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Full text of "Abhandlungen der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften"

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ABHANDLUNGEN 


DER 


MATHEMATISCH-PHYSIKALISCHEN KLASSE 


DER KÖNIGLICH BAYERISCHEN 


AKADEMIE over WISSENSCHAFTEN. 


ZWEIUNDZWANZIGSTER BAND. 


IN DER REIHE DER DENKSCHRIFTEN DER LXXV. BAND. 


MÜNCHEN 1906. 
VERLAG DER K. B. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
IN KOMMISSION DES G. FRANZ’SCHEN VERLAGS (J. ROTH). 


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Inhalt des XXII. Bandes. 


I. Abteilung (1903). 


Die fossilen Säugethiere Chinas nebst einer Odontographie der recenten Antilopen. 
Von Max Schlosser. (Mit 14 Tafeln und 32 Textfiguren) 


II. Abteilung (1903—1904). 


Eine Grundaufgabe der Photogrammetrie und ihre Anwendung auf Ballonaufnahmen. 
Von $. Finsterwalder. (Mit 2 Tafeln) 


Beiträge zur Petrographie der östlichen Zentralalpen, speziell des Gross -Venediger- 
stockes. Von Ernst Weinschenk. Ill. Die kontaktmetamorphische Schieferhülle 
und ihre Bedeutung für die Lehre vom allgemeinen Metamorphismus. (Mit 
5 Lichtdrucktafeln und einer farbigen Kartenskizze) 


Ueber Reptilien und Batrachier aus Guatemala und China in der zoologischen Staats- 
Sammlung in München, nebst einem Anhang über seltene Formen aus anderen 
Gegenden. Von Dr. Franz Werner. (Mit einer farbigen Tafel) 


Simon Marius aus Gunzenhausen und Galileo Galilei. Ein Versuch zur Entscheidung 
der Frage über den wahren Entdecker des Jupitertrabanten und ihrer Perioden. 
Von Josef Klug 


Ill. Abteilung (1905— 1906). 


Über die Verdampfungswärme des flüssigen Sauerstoffs und flüssigen Stickstoffs und 
deren Änderung mit der Temperatur. Von Heinrich Alt. (Mit 4 Tafeln) 


Revision der Spix’schen Typen brasilianischer Vögel. Von C. E. Hellmayr. (Mit 
2 Tafeln) ® i 


Über Mineralbestand und Struktur der kristallinischen Schiefer. Von E. Weinschenk 


Seite 


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Die 
fossilen Säugethiere Chinas 


nebst einer Odontographie der recenten Antilopen. 


Von 


Max Schlosser. 


(Mit 14 Tafeln und 32 Textfiguren.) 


Abh.d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 1 


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Vorwort. 


Die in dieser Abhandlung von Herrn Dr. Schlosser beschriebenen Säugethierfossilien 
wurden von mir während meiner Reisen in China 1899—1901 in chinesischen Apotheken 
und Drogerie-Grosshandlungen erworben. Wie diese Versteinerungen in derartige Hand- 
lungen kommen, erklärt sich aus der merkwürdigen Zusammensetzung der chinesischen 
Pharmacopoe. 

Nach der Eintheilung in der „List of chinese medicines“ von der chinesischen Seezoll- 
verwaltung herausgegeben, finden wir in dem reichhaltigen officinellen Material: Wurzeln, 
Rinden, Hülsen, Zweige etc., auch Insecten, mehr oder weniger gut durch Trocknen con- 
serviert, ferner eine Serie „diverser Artikel“ sowohl thierischen als auch mineralischen Ur- 
sprungs: getrocknete Schlangen, Eidechsen und deren Häute, ferner Bären- und Tigerknochen, 
Hirsch- und Rhinoceroshörner, Seehundsnieren, Excremente von Hasen, Fledermäusen, 
Elstern ete., ferner kleine Kuchen, Krötenspeichel enthaltend und vieles anderes Der- 
artiges mehr. 

Bei dieser in vielen Fällen absonderlichen Beschaffenheit der ca. 1600 officinellen 
Artikel ist es nicht zu verwundern, wenn auch Versteinerungen in ihren Bereich gezogen 
worden sind. Wir finden da versteinerte Krabben und Brachiopoden, dann sogenannte 
Drachenzähne (Lung’ chih) und Drachenknochen (Lung ku), welche nichts anderes sind als 
Zähne und Knochenteile fossiler Säugethiere. 

Diese interessanten Versteinerungen müssen im Innern Chinas in ungeheuern Mengen 
vorkommen und theils aus Höhlen, theils aus Ablagerungen stammen, in denen eine grosse 
Menge von Knochen, Kiefern und wahrscheinlich auch Schädeln zusammenliegen. Sie sind 
nicht verschweimmt und abgerieben, wie dies bei isolirt vorkommenden Vertebratenresten 
meist der Fall ist, sondern vollkommen frisch. 

Die durch Europäer bekannt gewordenen Einzelfunde sind äusserst gering im Ver- 
hältniss zu den ungeheuern Mengen, wie sie in den nur den Chinesen bekannten Localitäten 
vorkommen müssen. Die Säugethierüberreste führenden Ablagerungen werden eben in China 
eine grosse Verbreitung besitzen, jedoch nur an einzelnen Puncten so ergebnissreich sein, 
dass sich eine Ausbeutung derselben verlohnt. 

Bevor ich meine zweite Reise nach Ostasien zu naturwissenschaftlichen Forschungen 
antrat, wurde ich von meinem verehrten Lehrer Herrn Geheimrath v. Zittel in München 
auf diese Dinge in ausgiebiger Weise aufmerksam gemacht. Ich bin daher vor Allem diesem 


5 1* 


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Herrn für die interessante, wissenschaftliche Anregung zu ausserordentlichem Danke ver- 
pflichtet. Ich sollte auf meinen Reisen im Innern Chinas eine solche ergebnissreiche Localität 
auskundschaften oder wenigstens ein erschöpfendes Zähne- und Knochenmaterial aus den 
Medicinhandlungen der verschiedensten Gegenden mitbringen. 

Der ersten Aufgabe stellte sich nun Mancherlei entgegen, zuletzt die kriegerischen 
Ereignisse im Sommer 1900, von denen ich im Innern der Tschekiang-Provinz überrascht 
wurde. Diese bereiteten meinen Nachforschungen ein rasches Ende. Aber ich war um so 
eifriger im Durchsuchen von Apotheken und ähnlicher Geschäfte nach diesem merkwürdigen 
Material, denn gerade das für den Paläontologen Wichtigste, die Zähne, werden von den 
Chinesen auf das Sorgfältigste gesammelt, in zweiter Linie erst die Knochen. Beiden, 
Zähnen wie Knochen, schreiben die Chinesen besondere Heilwirkungen zu. 


Ich lasse hier einen interessanten Abschnitt aus einem chinesischen Werke über 
Arzneien folgen aus der Zeit des Kaisers Ch’ien hung 1736—96 p. 19. Mein Freund, der 
chinesische Zolldirector H. A. Wilzer war so liebenswürdig, dieses Capitel für mich aus 
dem Chinesischen zu übersetzen: 

„Drachenknochen. Die Drachenknochen haben einen süsssäuerlichen Geschmack, 
„der jedoch wenig ausgeprägt ist. Sie sind wirksam gegen Herz-, Nieren-, Darm- und 
„Leberleiden. Sie erhöhen die Lebenskraft und haben eine adstringirende Wirkung. Auf 
„die Nieren besonders üben sie einen wohlthätigen Einfluss, und was nervöse Anwandlungen 
„betrifft, so ist diese Medicin vor Allem schreckhaften und vom Schlagfluss gerührten Personen 
„zu empfehlen. Drachenknochen bewähren sich auch als Heilmittel gegen Verstopfung, 
„Träume, epileptische Anfälle, Fieber, Ruhr, Schwindsucht und Hämorrhoiden. Krankheiten 
„der Harnblase, ferner Athmungsbeschwerden und Geschwüre werden durch den Genuss 
„dieser Mediein geheilt. Drachenknochen sind ebenso adstringirend wie laxirend. Die 
„beste Qualität dieser Arznei erkennt man daran, dass sie, wenn mit dünner Seide umhüllt, 
„beim Einnehmen an der Zunge kleben bleiben.“ 

Ueber den Ursprung der Drachenknochen geht die Legende: 

„Dass sie die modernden Ueberreste derjenigen Drachen bilden, welche, da ihnen 
„Regen und Wolken fehlten, nicht im Stande waren, sich zum Himmel emporzuschwingen.* 

„Vor Nachahmungen aus altem Kalk ist zu warnen.“ 

„Der Patient‘ kann Drachenknochen auf vier verschiedene Arten zu sich nehmen: 

„l. Man thut eine Anzahl Knochen in eine Tasse mit kaltem Samshu (chinesischer 
„Reiswein), lässt dieselben die Nacht über darin liegen, giesst am Morgen den Samshu ab 
„und wäscht die Knochen dreimal in Wasser.‘ 

„2. Die Knochen werden in kochendem Samshu abgebrüht und dann gegessen.“ 

„3. Die Knochen werden in Fett geröstet.“ | 

„4. Sie werden in rohem Zustande gegessen.“ 

„Bei einer Drachenknochenkur muss der Genuss von Fischen und Pfeffer oder Kalk 
„enthaltenden Nahrungsmitteln oder Mediecamenten unterbleiben; Ginseng und Kuhbezoar 
schaden nicht, sind vielmehr zu. empfehlen.“ 


„Drachenhörner (fossile Geweihstücke und die Schneidezähne fossiler Rhinoceroten). 
„Die Hörner von Drachen sind ein gutes Heilmittel gegen Epilepsie und Herzkrankheiten.“ 


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„Drachenzähne. Drachenzähne haben einen säuerlichen, jedoch wenig ausgeprägten 
„Geschmack. Ihre Wirkung erstreckt sich hauptsächlich auf Herz und Nieren. Auch 
„heilen sie epileptische Anfälle von Erwachsenen und den Veitstanz der Kinder. Die Zu- 
„bereitung und Anwendung ist dieselbe wie bei den Drachenknochen.‘“ 

Soweit die „Neu bearbeitete Ausgabe der Medicinen“. 

Die Verwendung fossiler Säugethierreste zu Heilzwecken scheint in China schon ziemlich 
alt zu sein. Heutzutage findet man sie in jeder Apotheke, die einigermaassen Anspruch auf 
Vollständigkeit macht. 

Die Zähne werden von den Chinesen durch seitliche Schläge aus den Kiefern zu ent- 
fernen gesucht, man findet desshalb unter den Zähnen grösserer Thierarten (Rhinoceros etc.) 
nur selten ganze Stücke, meistens sind die Zähne an den Hälsen entzwei gebrochen. Von 
den kleineren Gattungen (z. B. Hirschen ete.) gelang es mir, öfters ganze Kieferstücke mit 
Zähnen zu bekommen, aber auch diese sind nicht selten beschädigt. Diese Kieferstücke 
scheinen in einem Mörser zerkleinert zu werden, bevor sie in den Handel kommen, nur der 
Zufall hat einige von ihnen unzerbrochen erhalten. 

Von den Knochen trifft man am häufigsten Epiphysenstücke der Arm- oder Schenkel- 
knochen grosser Säugethiere an. 

Die chinesischen Apotheker und Drogisten unterscheiden zwei Arten von Lung’ chih 
oder Drachenzähnen. 

1. Fun lung’ chih oder weisse (grosse) Drachenzähne. Dieselben bestehen im 
Wesentlichen aus den Zähnen von Proboseidiern und Rhinoceroten etc. Sie zeichnen sich 
durch ihre weisse Farbe aus und scheinen aus einer anderen Umgebung zu stammen wie 
die zweite Sorte. Gewöhnlich haftet ihnen eine röthliche, feine Erdart an. 

2. Tsing lung’ chih. Die schwarzen oder kleinen Lung’chih. Sie zeichnen sich 
durch schwärzliche Farbe aus und gehören Thieren kleinerer Gattungen an. Dieselben sind 
im Allgemeinen billiger wie die Fun lung’ chih. Unter den Zähnen dieser zweiten Sorte 
findet man eine weit reichere Fauna wie unter der ersten. Vorherrschend ist Hipparion, 
dann Hirsche ete., Suiden, selten Raubthiere und ganz vereinzelt Nager. 

Wie schon oben gesagt, trifft man diese Fossilien in jeder besseren Apotheke Chinas, 
ich sah sie sowohl im Norden wie im Yangtsethal in den Provinzen Shantung, Tschekiang, 
ferner in Shanghai, Hongkong, Canton, überall, wo ich nach ihnen fragte. 

Die grössten Vorräthe dieser Versteinerungen fand ich in Shanghai, nicht in den Apo- 
theken (d. h. es sind nicht „Apotheken“ in unserem Sinne, sondern Drogendetailhandlungen), 
die, obgleich sehr luxuriös ausgestattet, dort nur wenige, meist zertrümmerte Stücke führen 
und dabei sehr theuere Preise dafür berechnen, sondern in den unscheinbaren En gros 
Drogenhandlungen, wie ich sie eigentlich nur in Shanghai antraf. Dieselben liegen in grosser 
Zahl (ca. 50?) in der eigentlichen Chinesenstadt, in engen, nach chinesischer Art mit Stroh- 
matten überdachten Gassen, ganz abseits vom europäischen Verkehr. 

Das Material selbst ist in Strohmatten zu runden Ballen eingenäht, welche mit Seilen 
umwunden sind. Weisse und schwarze Lung’ chih sind besonders verpackt und werden 
sorgfältig getrennt gehalten. Zur Untersuchung wurde immer aus dem Ballen ein Teil 
des Materiales in einen flachen Korb geschüttet und so durchsucht, denn beide Sorten sind 
mit einer Menge von kleinen Steinen, Knochenfragmenten, Erdtheilen vermischt. Besonders 
die Tsing lung’chih sind mit recenten Zähnen von Pferden, Büffeln ete. reichlich vermengt, 


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so dass das Heraussuchen der werthvollen Fossilien immerhin dem Kenner überlassen werden 
muss. Dieses Vermengen der Lung’ chih mit recenten Zähnen ist offenbar auf Täuschung 
des Publikums berechnet, da nur die mineralisirten schweren Versteinerungen in den Augen 
der Chinesen Heilwerth besitzen. 

Daher kam es denn auch, dass meiner gründlichen Durchsuchung dieses Chaos von 
Steinen, Knochen, Fossilien und recenten Skeletttheilen ein gewisser Widerstand von Seiten 
der chinesischen Geschäftsleute entgegengebracht wurde, ich musste gewöhnlich sehr hohe 
Preise bezahlen oder auch das Geschäft zerschlug sich ganz und die mühsam herausgesuchten 
Fossilien wurden wieder zurückgegeben. 

Beide Sorten wurden nach dem Gewicht verkauft, der Preis schwankte ganz ausser- 
ordentlich, so dass bestimmte Summen hier nicht angegeben werden können. 

Die Drogen-Engroshandlungen in Shanghai beziehen diese Fossilien von den Provinzen, 
die der Yangtsekiang durchströmt, sie werden immer nur in kleinen Mengen, etwa nicht 
über einen Centner, mit anderen Waaren den Fluss herunter auf Dschunken dorthin trans- 
portirt. Eine andere Bezugsquelle ist Tientsin; von dort kommen sie durch den Kaiserkanal 
nach Shanghai. Jedenfalls wandern diese Versteinerungen, bevor sie in eine solche Handlung 
kommen, durch sehr viele Hände, daraus ist auch die Ungenauigkeit der Aussagen der 
Händler über ihren Ursprung zu erklären. 

Weitere jedoch nicht so grosse Vorräthe traf ich in Ningpo, wo der jetzt leider ver- 
storbene Zolldireector P. G. v. Möllendorf mich durch seine Sprachkenntnisse aufs Wesent- 
lichste unterstützte. Am Yangtsekiang waren die durchsuchten Vorräthe recht spärlich in 
den Städten Hankau, Wutchang, Shasi, Itchang und anderen. 

Sehr ergebnissreich waren meine Forschungen in den Apotheken Pekings nach diesen 
Versteinerungen. Ich traf zwar da keine Engroshandlungen mit so grossen Vorräthen wie 
in Shanghai, sah aber dafür in den dortigen Drogerien ein ausgewählteres, gut erhaltenes 
nicht mit so vielen Fälschungen gemischtes Material. 

Es bleibt mir nun noch die angenehme Pflicht übrig, verschiedenen meiner Landsleute 
und auch Ausländern in China an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank auszusprechen 
für das grosse Interesse und die werthvolle Unterstützung, ohne die Vieles unmöglich gewesen 
wäre. Vor Allem möchte ich danken Herrn Generalconsul Dr. Knappe, ferner den Herren 
Consul Dr. Grunewald, Viceconsul Joh. Thyen, Dr. Cordes, Dr. Franke, Dr. Betz, 
F. W. Hoffmann, Bergingenieur Vorschulte, den Herren des chinesischen Seezolles, be- 
sorders Sir Robert Hart Bart, dem ich die ganze werthvolle Correspondenz über die Ver- 
steinerungen verdanke, dann Herrn R. E. Bredon und Herrn H. A. Wilzer und zuletzt 
und nicht am wenigsten den Herren Offiecieren des I. Seebataillons, deren Gast ich im 
Frühjahr 1900 in Peking war, besonders Herrn Oberstleutnant v. Madai; ihm bin ich für 
sein liebenswürdiges Entgegenkommen zu ganz speciellem Danke verpflichtet. 


München, 16. Juli 1902. 
Dr. K. A. Haberer. 


Die erste Nachricht über das Vorkommen von fossilen Säugethierresten in China datirt 
bereits 50 Jahre zurück. Im Jahre 1853 veröffentlichte nämlich Davidson eine kurze Notiz 
über eine Anzahl Säugethierzähne, welche W. Lockhart aus Schanghai an Hanbury ge- 
schiekt und dieser dem britischen Museum in London übergeben hatte. 

Mithin fällt die erste Kunde über die fossilen Säugethiere Chinas ungefähr in die 
nämliche Zeit, in welcher auch im westlichen Nordamerika, in den Bad Lands von Nebraska 
und Dakota die ersten Funde von fossilen Säugethieren gemacht wurden. Während aber 
letzteres Material seitdem Gegenstand zahlreicher ausführlicher Publicationen geworden ist 
und die erstaunlich mannigfaltige fossile Thierwelt Nordamerikas fast ebenso genau bekannt 
ist wie die Fauna der Gegenwart, — ja ihre wichtigsten Vertreter fehlen bald kaum mehr 
in einer der bedeutenderen europäischen Sammlungen —, lassen unsere Kenntnisse der aus- 
gestorbenen Säugethiere Chinas noch recht viel zu wünschen übrig, denn die hierüber 
vorhandene Literatur besteht eigentlich nur aus einer kleinen Arbeit R. Owen’s und einer 
Monographie von E. Koken. Einige Säugethierreste sind ferner in dem Reisewerk des 
Grafen Bela Szecheny von L. v. Löczy beschrieben worden, auch finden wir einige 
gelegentliche Notizen in verschiedenen Arbeiten Lydekker’s, der auch ausserdem über 
fossile Säugethiere aus der Mongolei berichtet hat. Fast gleichzeitig mit Owen hat übrigens 
auch schon Gaudry eine kurze Notiz über pleistocäne Säugethiere von Süen Hoa Fu in 
der Nähe von Peking gebracht. 

Während ausserdem von den meisten, wenn nicht allen fossilen Säugethieren des nord- 
amerikanischen Tertiärs der Fundort sowie das geologische Alter sehr genau festgestellt ist, 
sind wir bezüglich der Fundorte der chinesischen Thierreste auf die vagen Angaben der 
dortigen Apotheker angewiesen, bei welchen solche Lung Ku „Drachenknochen* und Lung 
tschih „Drachenzähne“ von europäischen Reisenden erworben wurden. Wir erfahren hiedurch 
nichts weiter als die Namen der Provinzen Jünnan, Sztschwan, Schansi, Schensi, Honan ete., 
in einigen Fällen auch „oberer Hoangho“. Immerhin liegt diesen Angaben doch augen- 
scheinlich viel Wahres zu Grunde. 

Wirklich an Ort und Stelle beobachtet haben fossile Säugethierreste bisher nur Swinhoe, 
schon vor mindestens 30 Jahren, nach Woodward in einer Höhle am Yantsekiang, v. Löczy 
bei Quetä (Kuiti oder Guidui) am oberen Hoangho in Kansu, und Obrutschew in der 
Mongolei zwischen Urga und Kalgan beim Salzsee Iren dabassun nor. 

Ich möchte jedoch hier auf die Verbreitung der fossilen Säugethiere Chinas nicht 
weiter eingehen, ich ziehe es vor, die hierüber vorliegenden Nachrichten, soweit sie mir 
aus der Literatur oder aus der Correspondenz des Herrn Dr. Haberer zugänglich sind, in 
einem besonderen Abschnitt zu behandeln und darin auch die Fundortsangaben zu ver- 
werthen, welche dem von mir untersuchten Materiale beigefügt waren. 

Wie alles bis jetzt aus China nach Europa gekommene fossile Säugethiermaterial, 
so besteht auch dieses vorwiegend aus isolirten Zähnen, ganze Kiefer und andere Knochen 


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sind recht selten. Nur die Hirsche, Suiden, gewisse Antilopen und die kleineren 
Raubthiere sind in dieser Hinsicht besser vertreten; dagegen liegen von Rhinoceroten 
und von Hipparion fast nur isolirte Zähne vor, von Proboseidiern abgesehen von einem 
vollständigen Backenzahn nur Bruchstücke von Zähnen. Ganze Schädel sind europäischen 
Reisenden bisher überhaupt noch nicht zu Gesicht gekommen, selbst im Museum of the 
british society in Schanghai?) fehlen solche, obwohl dieses sonst sehr reich ist an Ueberresten 
fossiler Säugethiere aus China. 

So bedauerlich ein solch unvollkommener Erhaltungszustand auch ist, so lässt er sich 
im vorliegenden Falle doch leichter verschmerzen, weil diese Thierreste theils noch lebenden, 
theils solchen Gattungen angehören, welche sich an jetzt noch existirende sehr enge an- 
schliessen, so dass in osteologischer Hinsicht ohnehin nicht allzu viel Neues zu erwarten 
wäre. Die Untersuchung dieses Materiales müsste vielmehr auch dann, wenn wir alle hier 
vertretenen Säugethiere selbst bis ins kleinste Detail kennen würden, doch in erster Linie 
auf die Feststellung der einzelnen Arten und auf die Ermittelung der Verwandtschaft dieser 
Formen mit den fossilen und lebenden Formen von Europa, Asien und Nordamerika 
gerichtet sein. Es müsste also unter allen Umständen die Systematik, Phylogenie und 
Zoogeographie das Hauptziel der Untersuchung bleiben. Und für diesen Zweck ist das 
vorhandene Material auch in seinem jetzigen Zustand so ziemlich ausreichend, so dass man 
also wenigstens nicht den Einwand erheben kann, dass der Zeitpunkt für die Veröffent- 
lichung der Untersuchungsresultate noch nicht gekommen wäre. 

Indireet lieferte das chinesische Säugethiermaterial jedoch auch in morphologischer 
Hinsicht nicht ganz unwichtige Ergebnisse, insoferne ich bei der Bestimmung der zahlreichen 
Antilopenzähne genöthigt war, auch das Gebiss der recenten Antilopen zu studiren, 
das bisher immer noch viel zu wenig Beachtung gefunden hat, obwohl es für die Stammes- 
geschichte dieser Familie sehr werthvolle Aufschlüsse gewährt. Ich behandle diese Ver- 
hältnisse als Anhang in einem besonderen Abschnitt. 

Dass die fossile chinesische Hipparionenfauna durch weitere Aufsammlungen noch 
wesentliche Bereicherung durch neue Arten erfahren würde, halte ich für nicht sehr wahr- 
scheinlich, denn die bis jetzt gänzlich fehlende Mikrofauna dürfte nach dem Gesteinscharakter 
schwerlich Ueberreste in grösserer Zahl hinterlassen haben. Spätere Aufsammlungen an 
Ort und Stelle werden also nur eine Ergänzung unserer Kenntnisse der bis jetzt bekannten 
Arten bringen, nicht aber besonders viel neue Arten oder etwa gar neue Gattungen. 

Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle Herrn Dr. Karl Haberer den 
innigsten Dank und die vollste Anerkennung aussprechen zu können, nicht nur für das so 
werthvolle Geschenk, welches er mit dieser reichen Collection der Wissenschaft gemacht 
hat, sondern auch für seine grosse Sorgfalt und das Sachverständniss, mit welchem er dieses 
Material gesammelt hat, sowie für seine vielfachen Bemühungen, um über die Herkunft 
desselben Klarheit zu schaffen. Dies ist ihm auch, soweit es einem Einzelnen : überhaupt 
möglich ist, in der That gelungen, denn im grossen Ganzen kann jetzt über die räumliche 
Verbreitung der fossilen Säugethierfauna Chinas kein Zweifel mehr bestehen. Es handelt 
sich vielmehr nur mehr darum, deren Grenzen nach Westen und Süden festzustellen. 


1) Schanghai, Museum road. Die Sammlung wurde, wie mir Herr Dr. Haberer erzählte, diesem 
Museum von Esq. J. Wegener geschenkt. 


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Ich halte es für zweckmässig, der Beschreibung des fossilen Materiales eine Zusammen- 
stellung der mir bekannten Mittheilung über dessen Herkunft vorauszuschicken, denn hieraus 
geht am deutlichsten hervor, welche Dienste Herr Dr. Haberer der Wissenschaft geleistet, 
und welche Fortschritte unsere Kenntnisse Dank seiner Bemühungen gemacht haben. 

Endlich sei es mir auch vergönnt, Herrn Geheimrath Prof. v. Zittel meinen herz- 
lichsten Dank auszusprechen für die Erlaubniss, dieses werthvolle Material bearbeiten zu 
dürfen und ebenso Herrn Geh. Bergrath Prof. W. Branco in Berlin, welcher mir die 
Koken’schen Originale zur Ansicht schickte und so meine Arbeit ausserordentlich erleichterte, 

Für die chinesischen Namen gebrauche ich die Schreibweise in Stieler’s Atlas, da ich 
nicht einsehen kann, warum wir Deutsche uns der englischen Orthographie fremder Namen 
bedienen sollen, zumal da diese selbst nicht einmal consequent bleibt, sondern alle nur 
erdenkbaren Variationen aufzuweisen hat. 


Die Fundplätze der fossilen Säugethierreste in China, 


Wie ich in der Einleitung bemerkte, war man bisher bezüglich der Herkunft der 
fossilen chinesischen Säugethierreste — Lung ku und Lungtsch'ih — fast ausschliesslich auf 
die vagen Angaben der chinesischen Drogisten angewiesen, welche diese Knochen und Zähne 
als Arzneimittel verkaufen. Nur wenige europäische Reisende — Swinhoe, L. v. Löczy!) 
und W. Obrutschew — haben einige wenige dieser Thierreste an Ort und Stelle ge- 
sammelt; Swinhoe angeblich in einer Höhle am Yangtsekiang, v. Löczy bei- Quetae 
(Kuite, Guidui) am oberen Hoangho einen Nagerkiefer in einer Sandsteinlage der dortigen 
Süsswasserthone und Obrutschew in der östlichen Mongolei Zähne eines Rhinoceroten 
auf dem Wege von Urga nach Kalgan in der Gegend des Iren dabassun nor, welche vor 
Kurzem von E. Suess?) als Aceratherium bestimmt worden sind. 

Owen’s Originalien sollen aus einer Höhle bei Tschung king in Sz’tschwan stammen. 
Da aber Owen in seiner Abhandlung auch bemerkt, dass die fossilen Säugethiere von 
Pikermi in Griechenland ebenfalls in einer Höhle gefunden worden seien, so verliert seine 
Angabe wesentlich an Gewicht, da er es mit dem Begriff Höhle offenbar nicht sehr genau 
nimmt, denn bei dem Vorkommen in Pikermi kann doch sicher nicht von einer Höhle die 
Rede sein. Allein die Owen’schen Originale gehören Arten an, welche sich auch unter 
dem von Koken beschriebenen Materiale befinden und von diesem ist in der That ein 
grosser Theil pleistocän und kann daher recht gut aus Höhlen stammen, so dass also die 
Angabe v. Richthofen’s,’) dass die von ihm nach Europa gebrachten Säugethierreste in 
Höhlen der Provinz Jünnan oder doch im Löss gefunden worden seien, wenigstens für 
einen grossen Theil der Koken’schen Originalien wirklich zutrifft. 

Zweifellos stammen aus Höhlen und zwar von Süen Hoa Fu in der Provinz Tschili die 
Hirschgeweihe und die Ueberreste von Hyaena, Elephas, Rhinoceros tichorhinus, 


!) Wissenschaftliche Ergebnisse der Reise des Grafen Bela Szecheny in Ostasien. III. Bd. 
Budapest 1898, p. 17. 


2) Verhandlungen der kaiserl. russischen mineralog. Gesellschaft zu St. Petersburg. XXXVI. Bd., 
1899, p. 171. 

3) China. Ergebnisse eigener Reisen und darauf gegründeter Studien. IV.Bd. Einleitende Be- 
merkungen, p. XVI. 


Abh.d. II. Cl.d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 


[Se] 


10 


Equus caballus und Bos primigenius, welche Abbe David nach Paris geschickt und 
Gaudry!) beschrieben hat. 

Das Vorkommen von fossilen Säugethierresten im Löss sowie in Höhlen muss den 
Chinesen schon lange bekannt sein, denn schon Pumpelly?) erwähnt solche Reste aus 
dem Löss im nördlichen China sowie das Vorhandensein von zahlreichen Knochenhöhlen. 
Ich kann es mir nicht versagen, diese Bemerkungen. im Auszug wiederzugeben. Auf Seite 33, 
Reise von Kalgan nach Siwan und Sinpangan spricht er von den Wohnungen im Löss. 
Es heisst: „In it the Chinese excavate their dwellings .... In the course of this excavations 
fossil remains of quadrupeds are obtained in considerable numbers, especially horns of deer.* — 
Es ist dies die Gegend, aus welcher die Gaudry’schen Originale stammen. 

Von den Höhlen sagt Pumpelly p. 12: „Caves are abundant in this limestone and 
many of them are said to be of great extent One I visited near Fang-shan hien, consists 
of a series of large chambers extending nearly in a straight line“ und p. 13: „In parts of 
the empire the caves abound in fossil bones which are excavated and used in medecine 
under the names of „dragoons bones, dragoons claws“, 

Es ist wirklich erstaunlich, wie viele genauere Ortsangaben über das Vorkommen von 
nutzbaren Mineralien, Fossilien etc. in Pumpelly’s Reisewerk enthalten sind, wenn man 
bedenkt, welch kurze Zeit für so weite Reisen zur Verfügung stand. Ich gebe hier einen 
Auszug aus seiner tabellarischen Zusammenstellung p. 56—59,°) soweit sie die Anwesenheit 
von Höhlen und das Vorkommen von Fossilien betrifft. 


{) Bulletin de la societe esologique de France 1871. p. 177. 
2) Geological Researches in China, Mongolia and Japan. 1862 —65. 


3) p.56-59: Angaben Pumpelly’s über Vorkommen von Höhlen und fossilen Knochen. 


Provinz Departement Distriet Höhlen resp. Fossilien 
Petschili Pao ting Fu J’tschou ; Grosse Höhle im Lung tschi- Berg. 
(Pan ting Fu) (Y chau) ; 
Tsching ting Fu Mehrere grosse Höhlen. 
(Ching ting Fu) 
Schun tö Fu n a 5 
(Shun teh Fu) 
Schan’ si Tai jüen Fu Schou jang hien Grosse Höhlen bei Schou jang hien, 100 Li östlich 
(Tai ywen Fu) von Tai jüen Fu. 
Ping jang Fu Ta ning hien Grosse Höhlen im Berg Kung, 20 Li nordwestlich 
(Ping yang Fu) hievon. S 
Schen’ si Fung tsiang Fu Kien jang hien Höhle, 20 Li südöstlich. 
Ning kiang tschou a. Kae Fossile Brachiopoden (Schi jen). 
| Han tschung Fu . a mehrere grosse Höhlen. 
| (Han chung Fu) 
| Tung tschou Fu Jen s’hüen hien Mehrere Höhlen im Tsepe Lung mun-, Tancy- und 
(Tung chau Fu) (Yen shuen hien) Seou-Gebirge. 
Kiang’ su Kiang Ning Fu Kian pu hien Grosse Höhle (Pit of Heaven), 30 Li westlich. 
Ngan hwei Lu tschou Fu Tsiao hien Grosse Höhle bei der Stadt. 


(Lu chau Fu) (Tsau hien) 


41 


Dass in der That von den Chinesen Säugethierreste von pleistocänem Alter, aus Höhlen 
und aus dem Löss ausgegraben und als Arzneimittel verwendet werden, kann keinen Augen- 
blick zweifelhaft sein, und ebenso sicher ist es auch, dass solche vorwiegend aus den Süd- 
provinzen Sz’tschwan, Jünnan, Kwangsi und aus dem Nordwesten der Provinz Tschili, 


Provinz Departement District Höhlen resp. Fossilien 
Sz’tschwan Kia ting Fu. 24 Höhlen in einem Berg bei den Salzquellen. 
Tsche kiang | Hang tschou Fu Ttschang hwa hien | Mehrere Höhlen im Berg Pelai fung. 
(Hang chau Fu) (Chang hwa hien) | Fossile Brachiopoden (Schijen) in der Schijen- 
Höhle am Berg Junko (Yunko). 
Hu tschou Fu Stalaktiten in der Wang lung - Höhle. 
(Hu chau Fu) 
Tschu tschou Fu Höhlen in mehreren Bergen. 
(Chu chau Fu) Lung tsüen hien Fossile Brachiopoden und Höhle im Berg Wang 
I ma tsien. 
Schang hing Fu Höhlen. 
Kin hoa Fu Kin hoa hien Höhle Tsutse san tung. 
(Kin hwa Fu) (Kin hewa hien) 
Jen tschou Fu Fan schü hien Höhle Jang sang tung. 
(Yen chau Fu) x 
Kiangsi Jüan tschou Fu Fa ni hien Höhle und fossile Brachiopoden. 
Wan tsai hien E 4 e n 
(Wan tsui hien) 
Hunan Hang tschou Fu Hang tschouhien | Kohlen und Brachiopoden im Berg Nesko (?). 
(Hang chaw Fu) 
Kwei jang tschou Brachiopoden am Berg Schi jen. 
(Kweiyang chau) 
Jung tschou Fu Ling ling hien 2, 
(Yung chau Fu) 
Tschang to Fu Ngan hiang hien A 
(Chang te Fu) 
Kweitschou | Schi tsian Fu Drachenhöhle eine Meile südwestlich der Stadt. 
(Shi tsien Fu) 
Jün nan Wu ting tschou Jüen mao hien Höhle mit Knochen und Brachiopoden in den 
(Wuting chau Fu) | (Yuen mau hien) Kan hjü - Bergen (Kan hy iu). 
Jung tschang Fu Höhlen. 
(Yung chang Fu) 
Jang king Fu Höhlen mit Brachiopoden. 
(Yan king Fu) 
Talı Fu Orthoceratiten. 
Fo kien Tschang tschou Fu Höhlen. 
(Chang chau Fu) 
Fo ning Fu 5 


Tsuen tschou Fu 
(Tsiuen chau Fu) 


9* 


12 


Umgegend von Kalgan stammen. Ja die Koken’schen Originalien gehören, wie ich mich 
durch Augenschein überzeugt habe, zum grossen Theil, sicher zur Hälfte, pleistocänen 
Thieren an. Dies zeigt ihr Erhaltungszustand — die weissliche Farbe und das Kleben an 
der Zunge — sowie das noch daran haftende Gestein — Löss oder Höhlenlehm, die sich ja 
bekanntlich dem Aussehen nach kaum oder überhaupt nicht von einander unterscheiden lassen. 

Die pleistocänen Thierreste sind sogar offenbar die geschätztesten aller Lung tsch‘ih und 
Lung ku, denn in der chinesischen Pharmakopöa wird als Erkennungsmittel guter Waare 
angegeben, dass sie bei Berührung an der Zunge kleben sollen, was aber natürlich nur bei 
pleistocänen Säugethierzähnen und sonst nur bei grossen, viel Dentin enthaltenden Zähnen 
z.B. von Rhinoceroten, Proboscidiern aus den pliocänen rothen Thonen der Fall ist. 

Unter dem von mir untersuchten Materiale sind nun wirklich pleistocäne Säugethierreste 
ausserordentlich spärlich vertreten. Ich möchte fast glauben, dass seit der Zeit, als Herr 
v. Richthofen jene Zähne kaufte und der Zeit der Aufsammlung durch Herrn Dr. Haberer 
das wirklich pleistocäne Material nahezu aufgebraucht worden wäre und die Fundplätze, 
wenigstens die Höhlen, sich so gut wie vollständig erschöpft hätten. Funde im Löss sind, 
vielleicht von einigen Localitäten abgesehen, wie etwa im Norden bei Kalgan in der Provinz 
Tschili, ohnehin ein blosser Zufall, so dass der Bedarf an Lung tschi und Lung ku hiedurch 
schwerlich gedeckt werden könnte. 

Dass gerade die Südprovinzen Jünnan und Sz’tschwan die Hauptfundplätze pleistocäner 
Thierreste sind, scheint auch daraus hervorzugehen, dass die mir vorliegenden, wirklich 
pleistoeänen Knochen und Zähne von Herrn Dr. Haberer bis auf ein Stück sämnitlich in 
J‘tschang, Provinz Hupeh, gekauft worden sind, welcher Ort den eigentlichen Fundplätzen 
sehr viel näher ist als die Hafenplätze Ningpo, Schanghai und Tientsin oder gar Peking, 
wo das übrige von mir untersuchte Material erworben wurde. Auch scheint der Löss bei 
J‘tschang selbst fossile Thierreste zu enthalten. 

Durch die vielfachen Mittheilungen, welche Herrn Dr. Haberer auf seine an Zoll- 
beamte und andere Personen gerichteten Anfragen zugegangen sind, erfahren wir über das 
Vorkommen von fossilen Säugethierresten sehr viel Neues, denn es werden darin sogar eine 
Anzahl Localitäten genannt, deren Wichtigkeit in dieser Hinsicht bisher gänzlich unbekannt 
war. Mit Erlaubniss des Herrn Dr. Haberer bringe ich hier einen kurzen Auszug aus 
dieser umfangreichen Öorrespondenz. 


| 
| 
Provinz | Departement District Höhlen resp. Fossilien 
! r = = en == — ; —— —=- 
Kwang si | King jen Fu? | Knochenhöhle im Nan schan -Gebirge. 
Kwei lin Fu? Fossile Brachiopoden. 
Sin tschou Fu ? Pinsan hien Fossile Brachiopoden, 12 Li südöstlich vom Berg 
| Jen schi (Yen shi). 
Nan ning Fu? Süen ho hien Fossile Brachiopoden, 90 Li östlich vom Berg 
(Suen hau hien) Schi jen. 


Die Namen sind soweit wie möglich nach Stieler’s Atlas geschrieben, die Schreibweise Pum- 
pelly's in Klammer. / 
Fu = Präfectur, Ting = Subpräfeetur, Ttschou = Departement, Hien = District. 


13 


Ein Herr Stewens schreibt aus Schensi, dass 20 Meilen nordwestlich von Jeng kiangfu 
in einem Hügelzug von „Sandhills“ Knochen gefunden worden wären. 

Ein Drogist in Schanghai führt als Fundort Watsching Fu yüchow wei in Honan an. 

Herr Bergingenieur Vorschulte berichtet von dem Funde von Mammuthresten im 
Löss von Weishien am Yüho in Schantung. 

Herr Hoffmann in Wutschang nennt Tsching tschou an der Grenze von Sz’tschwan 
und Kansu sowie Tian schan zwischen Sz’tschwan und Tibet als wichtige Localitäten. 

Nach Herrn Fergusson in Sin gan fa kamen Knochen in einer Höhle bei Han tschong Fu 
in Schensi vor. 

Herr Murray in Schanghi berichtet, dass in der Nähe von Ningpo vor einigen Jahren 
ein erloschener Vulcan entdeckt worden sei, in dessen Krater sich eine Menge Drachen- 
knochen und Drachenzähne gefunden hätten. 

Herr G. J. Easton in Hang tschong fu, Schensi, schreibt, er hätte vor Jahren in 
Kansu gelebt und während seines dortigen Aufenthaltes dem Herrn Dr. v. Löczy, als 
dieser mit Graf Bela Szecheny auf der Reise nach Tibet kam, jenen Stegodonzahn 
verschafft, welcher in dem Reisewerk von Dr. v. Löczy beschrieben und abgebildet ist. In 
Schensi wurden fossile Säugethierreste in den tiefen Spalten und Wasserrissen gefunden 
und zwar in einer Entfernung von einer Meile von seinem jetzigen Wohnort Hang tschong fu. 

Herr G. Parker in Kiutsiı Kuou, Post Hankow, hat durch Chinesen erfahren, dass 
die „Drachenzähne“ in jeder Salpetergrube vorkämen. Bei Uinjang fu und Uin si hien in 
Nordwest Hupeh wurde nach den ihm zu Theil gewordenen Nachrichten ein Drache ge- 
fanden mit Esel ähnlichem Schädel — mithin aller Wahrscheinlichkeit nach ein Hipparion. 
Zum Fortschaffen dieser Ueberreste seien 70 Kuli erforderlich gewesen. Auch in Sining fu 
an der Westgrenze von Kansu südlich vom Ku ku-See wären Säugethierreste häufig. 

Herr Zollbeamter Edkins in Schanghai erzählt von den Funden von Stegodon, welche 
Swinhoe bei Tschung king fu in der Provinz Sz‘tschwan gemacht hat und fügt bei, dass 
Hanbury in seiner Pharmacographia fossile Reste von Schaf, Hirsch, Elephas und 
Mastodon aus den Provinzen Schansi und Schensi erwähne. Als Drachenzähne seien 
Swinhoe von den Chinesen fossiles Elfenbein von Tsching tu fu und Tsching tsching fu be- 
zeichnet worden. 

Sehr wichtige und ausführliche Mittheilungen verdanken wir endlich auch Herrn 
Zolldireetor Wilzer in Schasi und Herrn James Carral in Tschifu. Ersterer schreibt, 
dass ihm die chinesischen Drogisten als Fundplätze der Lungku und Lung tsch‘ih die 
Provinzen Schansi, Schensi, Sztschwan und Hupeh bezeichnet hätten. Auf Dschunken 
werden diese Thierreste dann über Tschung king und J‘tschang an die Hafenplätze am 
unteren Jang’tse gebracht. Sie würden theils von den Bauern beim Pflügen, theils in 
Bergwerken im westlichen China gewonnen. Als genauere Fundplätze hat Herr Wilzer 
zwei Präfecturen in der Provinz Hupeh ausfindig gemacht — Yün yangfu am Hanfluss in 
Nordwest Hupeh, am besten über Hankow zu erreichen und Schih nan fu am Tsching tschiang, 
in Südwest Hupeh, von J‘tschang aus am leichtesten erreichbar. 

Herr Wilzer fügt auch die Gebrauchsanweisung dieser als Medicamente verwendeten 
Thierreste bei. Ein chinesisches Arzneibuch nennt als Fundplätze die Provinzen Kansu, 
Schansi und Sztschwan, jedoch lieferten die Distriete Ts’angtschou in Tschili und T’ai yuan fu 
in Schansi eine besonders gute Qualität. 


14 


Herr Carral in Tschi fu schreibt: „Lung ku“, Knochen, und „Lung tsch‘ih*, Zähne, 
werden gefunden bei Tai yüan fu in Schansi und in den meisten Provinzen, welche der 
Jang‘tse durchfliesst. Oefters kommen in Schansi ganze Skelete zum Vorschein. Von 
Schansi stammen auch die besten und schönsten Zähne mit Knochen. Sie finden sich an 
feuchten Stellen, aber nicht in Mooren. Auch dieser Herr erzählt von der arzneilichen 
Verwendung dieser Thierreste und fügt auch Preisangaben bei: 1 Piccul Lung ku = 10 Tael, 
1 Piceul Lung tschih = 20—30 Tael — also 60,5 Kilo Lung ku 60,5 Mark, 60,5 Kilo 
Lung tschih 121—181,5 Mark —. Herr Carral bemerkt ferner noch, dass vor etwas 
mehr als 20 Jahren auch in Schan tung bei Huang hsien und bei Tschang ihsien solche 
Thierreste gefunden worden seien, dass aber jetzt keine mehr zum Vorschein kämen. 

Einige Aufschlüsse über die Herkunft und den Weg, welchen der Handel mit den 
Drachenzähnen, Lungku und Lung tsch’ih, nimmt, geben auch die gedruckten Jahresberichte 
der kaiserl. chinesischen Zollbehörden. Einen dieser Berichte für das Jahr 1884—1885 
(1. Nov. 1884 bis 31. Oet. 1885)!) hat mir Herr Dr. Haberer zur Einsichtnahme überlassen. 


Im alphabetischen Verzeichniss der chinesischen Medieinen p. 462 heisst es: 
787 Lung tsch'ih fossile Zähne cfr. Nr. 789 und 792 Categorie Sundry. 
Platz der Gewinnung: Tschihli, Sz’tschwan. 
789 Lung ku fossile Knochen cfr. Nr. 787 und 792 Categorie Sundry. 
Platz der Gewinnung: Tschihli, Hupeh, Sz’tschwan, Kiangsu, Kwangsi. 
792 Lung ya fossile Zähne dasselbe 787 Categorie Sundry. 
Platz der Gewinnung: Tschihli. 
Der Weg, den diese Sendungen nach den verschiedenen Hafenplätzen genommen 
haben, sowie die ansehnliche Menge dieser Lung ku und Lungtsch‘ih, welche während 
eines Jahres ausgeführt wurde, zeigt die untenstehende Uebersicht,?) welche ich aus diesem 


1) China Imperial Maritime Costums III Miscellaneous Series No. 17. List of Chinese Medecines. 
Published by order of the Inspector General of Costums. Schanghai 1889. 

2) In Tientsin wurden ausgeführt von‘ Tschihli und Sz’tschwan nach Hongkong, Ningpo und 
Schanghai Zähne von Stegodon 26,54 Pieul Lung tsch‘ih im Werth von 333 Tael. 

In Hankow Lung tsch’ih fossile Zähne ete. von Stegodon ete. von Kiang su, Sz’tschwan nach 
Schanghai, Wuhu und Ningpo 80,41 Picul im Werth von 636 Tael. 

In Hankow Lungku fossiles Elfenbein, Belemniten von Hunan, Sztschwan nach Schanghai 
4,5 Picul im Werth von 45 Tael. z 

In Wuhu Drachenknochen, Lungku von Schensi, Honan, Sz‘tschwan angekommen via Hankow 

5,4 Picul im Werth von 26 Tael. 

In Schanghai Lung tsch‘ih fossile Zähne von Hankow und Tientsin angekommen 35,75 Picul im 
Werth von 485 Tael. 

In Schanghai Lung ku fossiles Hlfenbein von Hankow und anderen Häfen N 132,2 Picul 
im Werth von 860 Tael. 

In Fu tschou trafen ein Fossilien (Stegodon) Lung tsch‘ih aus Sz’tschwan über Schanghai 4,13 Picul 
im Werth von 145,6 Tael. 

In Fu tschou trafen ein fossile Knochen verschiedener Thiere aus Hupeh über Schanghai 0,04 Picul 
im Werth von 0,28 Tael. 

In Kanton trafen ein fossiles Elfenbein, Lung ku, von Kwangsi, Tschili über Hongkong, Ningpo, 
Schanghai, Hankow 39,11 Picul im Werth von 205,3 Tael. 

In Kanton trafen ein fossile Zähne, Lung ya, aus Sz‘tschwan über Schanghai, Hankow, Tientsin, 
Hongkong '0,8 Picul im Werth von 10 Tael. 


15 


officiellen Bericht zusammen gestellt habe. Auch in diesen Aufzeichnungen treffen wir 
wieder die Namen der Provinzen Sz’tschwan, Honan, Schensi, Schansi, Hupeh, aber ausserdem 
auch Tschihli, Hunan, Kiangsu und Kwangsi. 

Dass unter den Bezeichnungen Stegodon sinensis wohl auch andere Zähne und 
fossiles Elfenbein zu verstehen sein werden, bedarf sicher keiner näheren Begründung. 


Wie gross die Menge dieser im Handel verkehrenden Lung ku und Lung tsch’ih sein 
muss, lässt sich zwar aus dieser Zusammenstellung nicht mit voller Sicherheit entnehmen, 
da vermuthlich ein und dieselbe Quantität an mehreren dieser Hafenplätze zugleich angeführt 
wurde, so dass die Gesammtsumme circa 350 Pieul = etwa 20000 Kilo doch bedeutend 
reducirt werden müsste, aber auch so bleibt sie noch hoch genug, um daraus auf die 
Häufigkeit der fossilen chinesischen Säugethierreste einen Schluss zu gestatten. Wie reich 
müssen diese Fundplätze sein, wenn sie innerhalb eines einzigen Jahres auch nur die 
Hälfte, etwa 10000 Kilo, liefern würden! 

Sehr wichtige Daten über die Herkunft der verschiedenen Thierreste ergeben sich 
endlich aus der Zusammensetzung der vier Collectionen und den Orten, an denen Herr 
Dr. Haberer dieses Material ausgesucht und angekauft hat. 


Seine erste Sammlung hat er in Schanghai erworben. Sie enthält neben recenten 
und subfossilen Zähnen tertiäre Säugethierreste, welche zweierlei Erhaltungszustand auf- 
weisen, die einen „Zing lung tsch'ih“ dunkel gefärbt und von mehr glasartiger Consistenz, 
fast durchscheinend, mit anhaftenden röthlichgrauen, sandigen Gesteinspartikeln, die anderen 
Fung lung tsch’ih weiss gefärbt, von porzellanartiger oder selbst kreidiger Consistenz, voll- 
kommen opac, mit ziegelrothen Thonpartikeln in Hohlräumen. Auch in der dritten, weitaus 
reichsten Sammlung, in Ningpo und Schanghai erworben, zeigen die Zähne theils den 
ersteren, theils den letzteren Erhaltungszustand, und als Fundort der ersteren ist Tientsin, 
als Fundort der letzteren Schansi, Schensi, Sz’tschwan angegeben. Ausserdem befanden 
sich in dieser Collection eine grosse Menge braun gefärbter, aber noch sehr frischer Zähne 
von Bovinen. Die zweite Sendung enthielt zwar nur eine kleine Anzahl von Zähnen und 
Knochen, allein sie bietet schon wegen ihrer Herkunft hervorragendes Interesse. Herr 
Dr. Haberer erwarb sie nämlich in J’tschang am oberen Yangtsekiang, also fast im 
Mittelpunkte des Gebietes, aus welchem sämmtliche fossilen chinesischen Thhierreste stammen. 
Ein Theil der. Zähne hat auch hier das nämliche Aussehen wie jene, als deren Fundort 
immer Tientsin angegeben wird, der andere stammt zweifellos aus dem Löss und die Zähne 
gehören theils dem Tapir, theils einem Merckii ähnlichen Rhinoceros, einer sogar 
unzweifelhaft dem. Rhinoceros tichorhinus an. In J‘tschang erhielt Herr Dr. Haberer 
auch einige Extremitätenknochen eines grossen Bovinen aus dem dortigen Löss. 

Die vierte Sendung endlich hat Herr Dr. Haberer während der Occupation in Peking 
zusammengebracht. Sie enthält hauptsächlich dunkel gefärbte Zähne und Kiefer sowie 
Knochen und Geweihreste, als deren Ursprung Schansi, Schensi, Honan, Hunan und Tientsin 


In Ninspo trafen ein Drachenzähne Lung tsch’ih aus Schansi ete. über Schanghai 11,45 Picul im 
Werth von 209 Tael. 

In Ningpo trafen ein Drachenknochen Lung ku aus Schansi ete. über Schanghai, Hankow 9,16 Picul 
im Werth von 176 Tael. 


16 


angegeben war, aber auch viele solche von weisser oder graublauer Farbe, allerdings gleich- 
falls mit der Angabe Tientsin. 

Eine kleinere Anzahl Hipparionzähne von weisser Farbe, die sich in der dritten 
Sendung befanden, waren mit der Notiz Kwang tung beziehungsweise Tschekiang Gebirge 
bei Ningpo versehen. 

Dieser verschiedenartige Erhaltungszustand der ächt fossilen chinesischen Säugethierreste 
gibt sehr werthvolle Aufschlüsse über den Charakter der Ablagerungen, aus welchen diese 
Zähne und Knochen stammen. 

Die weissen Zähne mit dem anhaftenden rothen Thon sehen denen aus Pikermi in 
Griechenland sehr ähnlich, auch das Gestein ist daselbst das nämliche. Wir haben es hier 
wahrscheinlich mit einem Löss Ähnlichen Gebilde der jüngeren Tertiärzeit zu thun, wohl 
einem blossen chemischen Zersetzungsproduct der damaligen Bodenoberfläche, welches sich 
von ächtem Löss nur dadurch unterscheidet, dass es durch die Thätigkeit der Atmosphärilien 
stärker verändert erscheint als der Löss der Pleistocänperiode. Die Veränderungen bestehen 
in Wasserverlust und Verwandlung der basischen Eisenoxydverbindungen in Eisenoxyd, in 
Absetzung von Kalklösungen und in Verfestigung des Thones. Die Thierreste sind hier 
nicht eigentlich unter Wasser abgelagert worden, sondern höchstens auf geringe Strecken 
durch Wasser transportirt und in Klüfte der damaligen Lössoberfläche eingeschwemmt 
worden. Es ist mithin eine ganz ähnliche Bildung wie der Bohnerzthon in Süddeutschland 
und die Phosphorite von Quercy in Südfrankreich. 

Die dunkel gefärbten Knochen und Zähne hingegen, an welchen noch grössere oder 
kleinere Partikel eines röthlichgrauen oder rostgelben Sandsteins oder grauer harter Mergel 
sitzen, können nur unter Wasser abgelagert sein, entweder in einem seichten Süsswasser- 
becken oder an einem Flussknie, denn diese dunkle Färbung findet sich nur an solchen 
Knochen und Zähnen, welche von Cadavern stammen, die unter Wasser verwest sind. 

Auch der Charakter dieser beiden Faunen ist durchaus verschieden. 'Beide enthalten 
zwar im Wesentlichen die nämlichen Arten, allein das Verhältniss, in welchem diese einzelnen 
Arten vertreten sind, ist ein ganz anderes. In den Schichten von Löss ähnlichem Aussehen 
herrschen nämlich vor Hipparion, die Rhinoceroten, die Antilopen, mit Ausnahme 
einer Gazellenart, die Giraffen und andere grosse Wiederkäuer, während Hirsche 
und Suiden nur ganz spärlich vertreten sind. In den sandigen Ablagerungen dagegen sind 
Hipparion und Rhinoceröten viel seltener und die ersterwähnten Wiederkäuer fehlen 
gänzlich, während die Hauptmasse der hier begrabenen Thierreste den Hirschen und 
Suiden angehört. Die Raubthiere spielen in beiden Ablagerungen, wie gewöhnlich, eine 
untergeordnete Rolle. Die Zahl ihrer fossilen Ueberreste macht stets nur einen geringen Bruch- 
theil der Säugethierreste aus, welche in einer beliebigen Tertiärablagerung gefunden werden. 

Diese verschiedenartige Zusanımensetzung der Faunen gibt nun auch einen werthvollen 
Fingerzeig für die früheren topographischen Verhältnisse. Die Equiden — Hipparion — 
die meisten Rhinoceroten, alle Antilopen sind Bewohner trockener, aber grasreicher, 
ausgedehnter Ebenen, die Hirsche und Schweine dagegen Bewohner der Wälder, be- 
sondere Häufigkeit der Schweine bedingt sogar einen ziemlichen Wasserreichthum oder 
doch mindestens die Anwesenheit vieler feuchter sumpfiger Plätze. Wir dürfen daraus also 
auch den Schluss ziehen, dass die Ablagerung der weissen Thierreste in Schluchten eines 
weit ausgedehnten Weidelandes, die Ablagerung der dunkelfarbigen in Wasserbecken eines 


17 


grösseren oder kleineren Waldgebietes vor sich gegangen ist. Diese Folgerungen aus der 
Zusammensetzung stimmen nun aber auch vollkommen mit jenen, welche sich aus dem 
petrographischen Charakter der beiden Ablagerungen ergeben. Löss und Humus bilden sich 
nur an der trockenen Bodenoberfläche, durch blosse Zersetzung des anstehenden Gesteins, 
Transport durch Wasser findet höchstens auf kurze Strecken statt. Feinkörnige Sandsteine 
und Mergel können sich dagegen nur unter Mitwirkung von fliessendem Wasser bilden, 
— die Möglichkeit, dass es sich um Flugsand, Dünensand handeln dürfte, ist in diesem 
Falle absolut ausgeschlossen — die hier vorliegenden Sandsteine sind augenscheinlich Ab- 
lagerungen in Seen oder Absätze an ruhigen Stellen grösserer Flüsse. 

Es ist demnach absolut ausgeschlossen, dass beide Arten von Säugethierresten, die 
weissen und die dunkelfarbigen, an den nämlichen Localitäten vorkommen könnten, es 
handelt sich vielmehr augenscheinlich um zwei oder mehrere grössere Gebiete, von denen 
eines nur die weissen, das andere nur die dunkelfarbigen Knochen und Zähne liefert. 

Die Herkunft der weissen Thierreste ist jetzt im Allgemeinen ziemlich sicher gestellt. 
Sie stammen aus den Provinzen Kansu, Schensi, Schansi, Sz’tschwan, also aus einem sehr 
umfangreichen Gebiete des westlichen China. Aus einer der oben erwähnten Mittheilungen 
glaube ich sogar einen Schluss auf einen speciellen Fundort ziehen zu dürfen, nämlich 
daraus, dass bei Taijüen Fu, Schansi, eine besonders gute Qualität von Lungtsch’ih ge- 
wonnen würde. Aber auch in der ganz im Südosten gelegenen Provinz Kwang tung und 
der an der Ostküste befindlichen Provinz Tschekiang scheinen solche weisse Lung tsch’ih 
(Hipparion-Zähne) vorzukommen. 

Als Fundplätze der dunkel gefärbten Knochen und Zähne kommen dagegen vermuthlich 
die Provinzen Honan, Hupe und Hunan in Betracht, denn bei vielen Partien solcher Säuge- 
thiere sind diese Provinzen als Bezugsquelle angegeben. Bei den meisten lautet die Fund- 
ortsangabe allerdings Tientsin. Da aber im weiten Umkreis dieser Hafenstadt nur Alluviun 
vorhanden ist, so bedeutet diese Angabe sicher nichts anderes, als dass jene dunkel gefärbten 
Lung tsch’ih und Lung ku hauptsächlich von Tientsin aus in den Handel gebracht werden. 
Vermuthlich werden sie auf dem Hoangho aus Honan nach Tientsin transportirt und 
gelangen von hier aus wieder in kleinen Partien nach Schanghai, Ningpo und anderen 
Hafenplätzen. Mit dieser Annahme ist auch die Thatsache, dass in Peking vorwiegend 
dunkel gefärbte Zähne und Knochen im Handel sind, recht gut in Einklang zu bringen. 
Indessen könnte es der Fall sein, dass an der von Herrn Wilzer erwähnten Localität 
Ts’ang tschou in Petschili, — die ich jedoch weder in Stieler’s Atlas noch auch auf der 
Brettschneider’schen Karte von China mit Sicherheit ermitteln kann; vielleicht ist der Ort 
Tschang te in Honan an der Grenze von Petschili damit gemeint — fossile Säugethiere von 
diesem Erhaltungszustand vorkommen. Da diese Localität verhältnissmässig nahe bei Peking 
und Tientsin liegt, so wäre es leicht erklärlich, warum an diesen beiden Plätzen die dunkel- 
farbigen „Drachenzähne“* vorwiegen. Auch aus J’tschang bat Herr Dr. Haberer ausser 
pleistocänen Resten nur solche von dunkler Farbe geschickt. Auch diese könnten aus 
Honan stammen und von dort auf dem unteren Hankiang nach Hankow, und von hier auf 
dem Yangtsekiang nach J’tschang gebracht worden sein. 

Noch wahrscheinlicher ist es freilich, dass das Verbreitungsgebiet der dunkelfarbigen 
Säugethierreste nicht auf die Provinz Honan beschränkt ist, sondern auch die angrenzende 
Provinz Hupe umfasst, in welcher die Stadt J’tschang liegt. Hiefür spricht besonders der 

Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 3 


18 


Umstand, dass die Provinz Hupe öfters als Ursprungsland von Drachenzähnen genannt wird. 
— Die oben erwähnten Orte Jün jang Fu am Hanfluss und Jün hisien liegen im nordwest- 
lichen und Schih nan Fu am Tschingkiang im südwestlichen Theile von Hupe. 

Die geographische Verbreitung der weissen und der dunkelfarbigen Säugethierreste 
ist also auch nach diesen Daten eine scharf geschiedene. Die ersteren finden sich in Schensi, 
Schansi und Sz’tschwan, vielleicht auch im südöstlichen Kansu, die letzteren haben an- 
scheinend einen etwas geringeren Verbreitungsbezirk, nämlich die östlich an jene Provinzen 
angrenzenden Provinzen Honan, Hupe, vielleicht auch noch Hunan und den südlichsten 
Theil der Provinz Petschili. 

Von welcher Beschaffenheit die Lung tsch’ih aus Kiangsi und die Lung ku aus Kwangsi 
sind, vermag ich allerdings nicht genauer anzugeben, da mir aus diesen Provinzen keine 
Fossilien vorliegen. Da aber in dem erwähnten Zollbericht für Kwangsi als Artikel fossiles 
Elfenbein und als Abgangsstation Hongkong notirt ist, so dürfte es sich wenigstens für 
Kwangsi um Ueberreste von Proboscidiern — Mastodon, Stegodon, Elephas — 
handeln. Jedoch muss ich daran erinnern, dass mir aus der benachbarten Provinz Kwantung 
Zähne von Hipparion vorliegen, wesshalb auch die Anwesenheit derselben in Kwangsi 
nicht ausgeschlossen erscheint, und ausserdem auch, soferne die Angabe richtig ist, aus 
Tschekiang, also sogar in nicht zu grosser Entfernung von Schanghai. 

Ob Stegodon insignis wirklich noch zur Hipparionfauna gehört und daher die 
Fundorte mit dieser gemein hat, wage ich nicht zu entscheiden, denn an dem mir vor- 
liegenden Zahn ist keine Spur von Gestein mehr vorhanden, wesshalb ich auch nicht an- 
zugeben vermag, aus welcher Ablagerung derselbe stammt. Als Fundort ist „Fokien“, also 
eine südöstliche Küstenprovinz, notirt. Koken hält die Schichten mit Stegodon insignis 
für entschieden jünger als jene, welche die Ueberreste von Hipparion enthalten. 

In jüngster Zeit ist man geneigt, die Süsswasserbildungen der Wüste Gobi, des west- 
lichen Theiles der Provinz Kansu und des nordöstlichen Tibet, als homolog den Ablage- 
rungen mit Hipparion zu betrachten, weil sie bei Quetä (Kuite) am oberen Hoangho 
ebenfalls Säugethierreste — einen Nager, .Siphneus — geliefert haben. Allein es handelt 
sich hier um eine Form, welche über das geologische Alter keinerlei Auskunft gibt, und 
die Quetä-Schichten selbst — Sandsteine und Mergel von grauer Farbe mit Planorbis, 
Limnaeus und Landschnecken — weichen in ihrem Aussehen vollständig ab von den 
röthlichgrauen Sandsteinen mit Hipparion, welche von ihnen anscheinend auch räumlich 
sehr weit entfernt, und durch die rothen Thone mit Hipparion von Schansi etc. getrennt 
werden. Dank dem freundlichen Entgegenkommen des Herrn Prof. L. v. Löczy in Budapest 
war es mir möglich, die von ibm gesammelten Gesteinsproben von Quetä zu studiren und 
mit den Gesteinspartikeln, die den Säugethierresten anhaften, zu vergleichen, wobei sich 
die vollkommene Verschiedenheit der Sandsteine mit Hipparion ergab. Auch Herr 
v. Löczy selbst hält die Schichten von Quetä für durchaus verschieden von den Ablagerungen 
mit Hipparion, wie ich aus einem seiner Briefe entnehmen konnte. Ich möchte ersteren 
fast lieber ein etwas geringeres geologisches Alter zuschreiben und sie etwa den Schichten 
mit Stegodon insignis gleichsetzen. Hiefür würde auch der Umstand einigermaassen 
sprechen, dass v. Löczy in Kansu einen Zahn von Stegodon erhielt und dass unter dem 
von ihm mitgebrachten unbestimmbaren Knochen aus Quetä sich Fragmente von Pro- 
boscidierknochen befinden. 


19 


Dagegen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die von Lydekker beschriebenen Säuge- 
thierreste aus der Mongolei — Hyaena macrostoma, Equus sivalensis, Gazella ete. — 
aus den rothen Thonen stammen, denn sie zeigen den nämlichen Erhaltungszustand, Knochen 
weiss, wie jene aus den rothen T'honen von Schansi, Sz’tschwan. 

Die Schichten, in welchen Obrutschew Zähne von Aceratherium südlich vom 
Iren dabassun nor auf dem Wege zwischen Urga und Kalgan gefunden hat, würden, da 
sie aus weissen und grünlichen Mergeln und feinkörnigen Conglomeraten bestehen, petro- 
graphisch und faunistisch zwar den Sandsteinen und Mergeln von Honan und Hupe ent- 
sprechen, allein es ist doch nicht ganz ausgeschlossen, dass wir es mit einer Fortsetzung 
der Quetäschichten zu thun haben, womit sich freilich der Fund von Aceratherium, das 
in den Quetä-Schichten kaum erwartet werden darf, schwer in Einklang bringen liesse. 

Aus den Notizen Pumpelly’s, aus den Fundortsangaben der bisher beschriebenen 
Säugethierreste aus China, aus der Correspondenz des Herrn Dr. Haberer und der Zu- 
sammensetzung seiner Collectionen und den diesen beigefügten Notizen gewinnen wir jetzt 
doch ein Bild von der Verbreitung der dortigen Thierreste, durch welches unsere bisherigen 
Anschauungen nicht unwesentlich modifieirt werden. Die wichtigsten Fundorte sind demnach: 

Pleistocän. Petschili: Süen Hoa Fu (Gaudry’sOriginalien); Schantung: Weihsien, 
Huangihsien und Tschangihsien (Mammuth?); Schansi: Löss von Han tschung Fu; 
Sz’tschwan: Tschung king Fu (Owen’s Originalien); Hupe: Löss von J‘tschang; Jünnan: 
Löss (Koken’s Originalien zum Theil); Jüen mao hien bei Wutingtschou (Pumpelly’s 
Knochenhöhle); Kweitschou: Schitsian Fa (Pumpelly’s Drachenhöhle); Kwangsi: 
King jen fa (Pumpelly’s Knochenhöhlen im Nan schan - Gebirge). 

Oberpliocän. Ablagerungen mit Stegodon. Westliches Kansu?, Jünnan?, 
Fokien? 

Unterpliocän. a) Rother Thon mit Hipparion. Schansi: Taijüen fu; Schensi: 
Han tschung fu? Fungtsiangfu?; Sz’tschwan: Tschingtufu, Tsching king fa und Tsching 
tschou; Kansu: Sining fu; Kwang tung: Tsching kiang; Tschekiang (Haberer Collect.); 
Tibet: Tian Schan; Mongolei (Originalien Lydekker’s). 

b) Röthliche Sande und graugrüne Mergel mit Hipparion. Honan: Wai king fu, 
Jü tschou wei; Hupe: J‘tschang, Jün jangfu am Hanfluss, Jün hisien, Schih nan fa am 
Tsching kiang; Hunan, Petschili: ? Tsang tschou. 


3* 


Beschreibung der Arten. 


Primates. 


? Anthropoide g. n. et sp. ind.? Taf. I, Fig. 1. 


In der letzten Sendung des Herrn Dr. Haberer, in Peking erworben, befand sich ein 
letzter Molar — M,; — des linken Oberkiefers, weleher entweder vom Mensch oder von einem 
neuen Anthropoiden herrührt. Dieser Zahn ist vollständig fossilisirt, ganz undurchscheinend 
und weist noch zwischen den Wurzeln einen röthlichen Thon auf, wie sich ein solcher nur an 
Zähnen findet, welche wirklich aus dem Tertiär und nicht etwa aus dem Löss stammen, so 
dass ich ihm auch in der That am liebsten ein tertiäres Alter zuschreiben möchte. Leider ist 
der Zahn schon stark abgekaut und ausserdem überall durch Pflanzenwurzeln ceorrodirt, so dass 
wir uns über das ursprüngliche Aussehen seiner Oberfläche keine Vorstellung machen können, 
weder darüber, wie hoch ursprünglich die Höcker waren, noch auch darüber, ob er glatt oder 
ob er mit wenig oder mit viel Runzeln versehen war. Es lässt sich jetzt bloss mehr constatiren, 
dass zwei Aussen- und zwei Innenhöcker vorhanden sind, von welchen der vordere Aussenhöcker 
weitaus der stärkste und höchste und der hintere Innenhöcker bei Weitem der schwächste ist, 
und dass der vordere Innenhöcker alternirende Stellung hat gegenüber den beiden Aussenhöckern. 
Der Querschnitt des Zahnes erscheint als gerundetes Viereck, jedoch springt der vordere Aussen- 
höcker stärker vor als die übrigen Höcker. Breite und Länge des Zahnes sind ungefähr gleich 
gross. Die beiden Aussenwurzeln sind im oberen Theile fest miteinander verschmolzen, divergiren 
aber nach unten zu ziemlich stark. Die Innenwurzel ist schwach und nur wenig nach rückwärts 


gekrümmt. 
Die Länge des Zahnes ist 9,4 mm än der Aussen- und 7,8 mm an der Innenseite, 
Die Breite „ a NORD Er, am Viordentandnes7 „ am Hinterrand. 


Welchem Lebewesen sollen wir nun diesen Zahn zuschreiben? 

Die Zusammensetzung, der Umriss und die Beschaffenheit der Wurzeln sind entschieden 
Mensch-ähnlich, bei Anthropomorphenzähnen divergiren schon die Wurzeln viel stärker, 
allein der Erhaltungszustand scheint doch für ein relativ hohes Alter, Tertiär, zu sprechen und 
es ist demnach doch gewagt, diesen Zahn der Gattung Homo zuzurechnen, so lange die an 
sich ja sehr wahrscheinliche Existenz des Tertiärmenschen noch nicht sicher gestellt ist. 
Wir müssen daher doch auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass dieser Zahn einem 
neuen Anthropoiden-Genus angehört, welches allerdings im Zahnbau dem Menschen viel 
näher käme, als alle bisher bekannten Anthropomorphen. 

Eine weitere Möglichkeit wäre allenfalls auch die, dass der vorliegende Zahn wirklich 
von einem Menschen stammt und etwa auf secundärer Lagerstätte in oberflächlich aufge- 
lockerten Tertiärschichten begraben wurde. Allein es ist sehr die Frage, ob ein Zahn von 
etwa pleistocänem Alter unter solehen Umständen so stark fossilisirt werden und einen solchen 
Erhaltungszustand annehmen könnte, dass man ihn von Zähnen von wirklich tertiärem Alter 
nieht mehr unterscheiden könnte, wie das hier der Fall ist. Aber selbst, wenn diese Möglichkeit 
wirklich eintreten könnte, so müssten wir doch diesem Zahn ein sehr hohes Alter, mindestens 
Altpleistoeän zuerkennen, denn es ist absolut ausgeschlossen, dass ein recenter oder selbst 
prähistorischer Zahn sich unter diesen Umständen so gewaltig verändern würde. 


21 


Ein sehr hohes Alter ist demnach für diesen Zahn auf jeden Fall sicher gestellt, nur 
lässt sich nieht entscheiden, ob es sich um Altpleistocän oder bereits um Tertiär handelt, ja 
selbst die Möglichkeit, dass wir es nicht mit einem Menschen-, sondern mit einem Anthro- 
poidenzahn zu thun haben, erscheint keineswegs vollständig ausgeschlossen. Allein eine 
definitive Lösung dieser Räthsel ist wenigstens vorläufig nicht zu erzielen. 

Ein Vergleich mit Pithecanthropus hat keinen Zweck, da bei diesem der dritte Molar 
trotz seiner viel bedeutenderen Grösse doch viel stärker redueirt erscheint als hier, und die 
Wurzeln in ganz ungewöhnlicher Weise divergiren. 

Recht ähnlich ist dagegen der obere M; von Troglodytes sivalensis Lydekker!) 
oder wie ihn Dubois nennt Palaeopitheeus sivalensis.?) Die Form des Umrisses, die 
Gruppirung und relative Stärke der einzelnen Höcker ist an dem chinesischen Zahn genau die 
nämliche wie an dem M; der indischen Anthropoiden, sie unterscheiden sich nur durch 
geringe Grössendifferenzen sowie durch die Stellung der Wurzeln. Bei Troglodytes sivalensis 
stehen sie weiter auseinander und die beiden Aussenwurzeln sind vollkommen von einander 
getrennt. Wäre der vorliegende Zahn in den Siwalik zum Vorschein gekommen, so würde 
wohl kaum Jemand Bedenken tragen, ihn als M,; des genannten fossilen Anthropoiden zu 
bestimmen. 

Ein oberer M; des paläolithischen Menschen von Krapina in Kroatien®) ist bis jetzt 
anscheinend noch nicht gefunden worden. Immerhin besteht auch zwischen den oberen M 
dieses alten Menschen und dem chinesischen Zahn insoferne eine gewisse Aehnlichkeit, als 
auch bei diesen die Wurzeln dieses M auf eine ziemlich weite Strecke miteinander verwachsen. 
Der neue Zahn steht also gewissermaassen in der Mitte zwischen dem des Siwalik Anthro- 
poiden und dem des ältesten, bis jetzt bekannten Menschen! 

Wenn auch der schlechte Erhaltungszustand dieses Zahnes über dessen systematische 
Stellung keinen näheren Aufschluss gibt, so fühlte ich mich doch verpflichtet, dieses Object 
zu besprechen, anstatt es mit Stillschweigen zu übergehen. 

Der Zweck dieser Mittheilung ist es, spätere Forscher, denen es vielleicht vergönnt ist, 
in China Ausgrabungen vorzunehmen, darauf aufmerksam zu machen, dass dort entweder ein 
neuer fossiler Anthropoide oder der Tertiärmensch oder doch ein altpleistocäner 
Mensch zu finden sein dürfte. 


Carnivora. 
Ursus sp. Taf£.], Fig. 2, 5. 


Von Tientsin liegt mir ein linker unterer M, eines Bären vor, welcher seinem Erhal- 
tungszustande nach offenbar aus den Schichten mit Cervavus Oweni stammt und mithin 
zweifellos dem Tertiär angehört. Die vordere Hälfte ist zwar weggebrochen, aber trotzdem 
zeigt dieser unscheinbare Rest ungemein interessante und gerade für diese Gruppe der Raub- 
thiere höchst wichtige Details in der eigenartigen Ausbildung seines Talons. 


Der Innenzacken — Metaconid — kann hier nur sehr klein gewesen sein. Der Talon 
besteht aus einem ziemlich kräftigen, mässig hohen, konischen Aussenhügel — Hypoconid —, 
einem wesentlich kleineren Innenhügel — Entoconid — und einem winzigen, dicht an das 
Hypoconid gerückten hinteren Hügel — Mesoconid —. Der Hauptzacken — Protoconid — 


des Zahnes dürfte ziemlich niedrig gewesen sein. Auf der Aussen- und Hinterseite des Talons 
befindet sich ein ‘nicht sehr deutlicher Basalwulst. Ein Seceundärhöcker zwischen Metaconid 
und Entoconid ist hier nicht entwickelt. 


!) Siwalik Mammalia. Supplement I. Palaeontologia Indica. Ser.X, Vol. IV, 1886, p.2, pl.I, fig.1. 

2) Ueber drei ausgestorbene Menschenaffen. Neues Jahrbuch für Mineralogie etc. 1897, p. 84, 
An, IB 

3) Kramberger. Der paläolithische.Mensch aus dem Diluvium von Krapina in Kroatien. Mit- 
theilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 1901, p. 191. 


Die Länge des ganzen Zahnes dürfte etwa 24 mm betragen haben, die Höhe des Haupt- 
zackens 9—10 mm. Länge des Talons 8,5 mm, Breite desselben 10 mm, Höhe desselben 8 mm. 
Die Länge der drei unteren M darf etwa auf 45 —50 mm geschätzt werden. 

Wahrscheinlich gehören diesem Ursiden einige untere Caninen aus Tientsin an, welche 
sich durch die kräftige Entwiekelung der Wurzel als Caninen von Bären erweisen, aber sonst 
kein weiteres Interesse verdienen. 

Dagegen erwähne ich hier nur mit einigem Bedenken einen zweiwurzeligen Prämolaren 
von sehr einfachem Bau, welcher sich noch am ehesten mit dem linken unteren P, des Ursus 
arvernensis von Roussillon, wie ihn Dep6ret!) abbildet, vergleichen lässt. Er besteht aus 
einem einfachen niedrigen Höcker, von welchem nach vorne und nach hinten eine deutliche 
Kante herabläuft. Ein nicht sehr diekes Basalband umgibt die Krone sowohl auf der Aussen- 
als auch auf der Innenseite. Statt des Innenhöckers ist hier nur eine basale Anschwellung zu 
beobachten. 

Die Länge dieses Zahnes beträgt 13,5 mm, die Breite 8,7 mm, die Höhe 8,5 mm. 

Durch den einfachen Bau des Talons unterscheidet sich der erwähnte Molar von dem 
entsprechenden Zahne aller bekannten Ursiden aus dem Tertiär, denn der Talon dieser letzteren 
ist beekenförmig gestaltet, indem seine einzelnen Höcker viel weiter auseinander stehen. Alle 
bisher gefundenen und genauer bekannten Ursus aus dem Tertiär gehören also zur Unter- 
gattung Euarctos, deren bekanntester Vertreter Ursus aretos ist. Nur Ursavus brevi- 
rhinus Hofmann sp.?) aus dem Obermiocän von Steiermark, wohl der älteste der ächten 
Ursinen, zeigt die beckenartige Ausbildung des Talons noch nicht sehr deutlich, auch fehlt 
ihm noch der Secundärhöcker zwischen dem Metaconid und Entoconid. Er ist die primitivste 
aller bekannten Bärenarten und könnte sogar der Ausgangspunkt für alle lebenden Bären 
sein, mit Ausnahme höchstens des in gewisser Hinsicht noch ursprünglicheren Ursus (Helarctos) 


malayanus. 
Die neue Form aus China zeigt in der Form des unteren Mı Anklänge sowohl an die 
Tremaretos-Gruppe — americanus und ornatus, als auch an Melursus und Thalas- 


saretos. Mit allen diesen hat sie den einfachen Bau des Mı gemein und die Schmalheit seines 
Talons, und da diese genannten lebenden Formen. sich von keinem der fossilen europäischen 
Bären ableiten lassen, so wird es überaus wahrscheinlich, dass dieser neue Urside aus China 
als ihr gemeinsamer Stammvater sich erweisen wird, denn er steht zwischen ihnen und dem 
Ursavus brevirhinus sowohl morphologisch als auch zeitlich in der Mitte. 

Es wäre sehr wünschenswerth, dass wir von dieser offenbar hochwichtigen Form bald 
genauere Kenntniss erlangen würden. 

Nach Analogie mit den übrigen fossilen und den lebenden Arten von Ursus dürfen wir 
aus der Beschaffenheit des M; den Schluss ziehen, dass auch die übrigen Molaren hier viel 
schmäler waren als bei der Euaretos-Gruppe. Auch waren diese Zähne nach der Analogie 
mit jenen der miocänen und pliocänen Formen noch nicht so stark in die Länge gezogen, 
namentlich nicht der obere M.. 

Aus Indien sind zwei fossile Bärenarten beschrieben worden — Ursus Theobaldi°) 
aus den Siwalik und Ursus namadieus?*) aus dem Pleistocän des Narbadathales. Der erstere 
wäre nach Lydekker der Vorfahre des recenten labiatus, der letztere wäre mit malayanus 
näher verwandt. Von dem ersteren kennt man zwar den Schädel sehr gut, aber die Zähne 
sind bis jetzt noch nicht gefunden worden, so dass wir über seine Verwandtschaft mit der 
chinesischen Form nicht das Geringste erfahren können. Vielleicht stehen sie einander sehr 


!) Animaux pliocenes de Roussillon. M&moires de la Soeiete geologique de France, No. 3, 1890. 
p- 34, pl. III, fig. 9. 

2) Siehe Schlosser über die Bären und Bären-ähnlichen Formen des europäischen Tertiärs. 
Paläontographica Bd. XXXXVI, 1899, p. 103. 

®) Lydekker R. Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Vol. II, 1884, part. VI, p.34, pl.28, fig. 1.2. 

4) Lydekker R. Ibidem p. 39, pl. 28, Fig. 3. 


23 


nahe, ja selbst die vollständige Identität der chinesischen und indischen Form wäre keineswegs 
ausgeschlossen, ist aber zur Zeit allerdings nicht zu beweisen. Ich unterlasse es daher, für 
die erstere einen besonderen Namen aufzustellen. Bei namadicus hingegen sind die oberen 
Zähne viel zu breit, namentlich M,, als dass diese indische Art von dem chinesischen Bären 
abstammen könnte, denn dieser letztere muss ziemlich schmale Molaren besessen haben, ent- 
sprechend dem langgestreckten unteren Mı. 

Aus den schwäbischen Bohnerzen hat bereits Jäger Zähne eines Bären abgebildet, die 
nach meinen Untersuchungen einer besonderen Speeies zugeschrieben werden müssen. Sie haben 
jedoch mit den Zähnen aus China nur das geologische Alter gemein und gehören einem Glied 
der Euaretos-Reihe an, wesshalb sie uns hier nicht weiter interessiren. 

Dagegen steht die folgende, von Koken beschriebene Bärenform aus China jedenfalls 
sehr nahe. Ich hatte gehofft, den oben besprochenen Molaren auf dieselbe beziehen zu können, 
was aber nicht statthaft ist, da Koken’s Original zweifellos aus Pleistocän, das meinige jedoch 
aus unzweifelhaften Tertiärschichten stammt. 


Ursus aff. japonicus Koken. 
1885 Koken. Fossile Säugethiere Chinas. p. 70, Taf. 1, Fig. 4. 


Als Ursus sp. aff. japonicus beschreibt der genannte Autor einen M, des rechten 
Unterkiefers, welcher in Folge seiner Kleinheit dem entsprechenden Zahn von japonicus recht 
ähnlich ist, aber sich doch durch gewisse Merkmale unterscheidet — stärkere Einschnürung 
in der Mitte, stärkere Verbreiterung der Hinterpartie, kräftigere Ausbildung der hinteren Höcker 
und mehr gerunzelte Oberfläche. 

Die Länge dieses Zahnes ist 20 mm, die grösste Breite 10,5 mm. 

Er wäre demnach auch für die vorige Art fast etwas zu klein. Seinem Erhaltungs- 
zustande nach stammt er aus Löss oder Höhlenlehm und kann daher unmöglich der nämlichen 
Art angehört haben wie der eben von mir beschriebene Zahn von unzweifelhaft pliocänem 
Alter. Jedoch sind direct genetische Beziehungen zwischen beiden Formen überaus wahrscheinlich. 


?!Hyaenarctos sp. Taf. I, Fig. 3. 
1885 Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part], p. 157, fig. 23. 


Dureh Hanbury erhielt das britische Museum zusammen mit den Säugethierresten aus 
China, welehe Owen später beschrieben hat, auch einen unteren zweiten Molaren, welcher 
jedoch von diesem Autor nicht erwähnt wird, weil er wahrscheinlich über dessen systematische 
Stellung nicht ganz mit sich im Reinen war. Erst Lydekker erkannte in diesem Zahn einen 
Molaren von Hyaenarctos. Er gibt das geologische Alter als „Pliocän“ an. Da nun die 
chinesischen Originale Owen’s — mit Ausnahme etwa von Stegodon — aller Wahrscheinlichkeit 
nach nicht pliocänes, sondern pleistoeänes Alter besitzen, so dürfte dies auch für diesen Hyaen- 
aretos gelten. Diese Vermuthung wird fast zur völligen Gewissheit durch die Beschaffenheit 
eines Ineisiven und eines linken unteren Molaren, M; — welche sich unter dem von Herrn 
Dr. Haberer in China gesammelten Materiale befinden, denn sie gleichen in ihrer Erhaltung 
fast ganz den Zälinen des Höhlenbären, und die Wurzel des M, klebt an der Zunge, ein 
ziemlich sicheres Kennzeichen für das pleistocäne Alter von Säugethierresten — natürlich zeigen 
dieses Verhalten nur Knochen und das Dentin, nicht aber auch der Schmelz von Zähnen. 

Mit dem Lydekker’schen Originale stimmt dieser M; sowohl in der Grösse, als auch 
in der Zusammensetzung recht gut überein, — bei diesem Vergleich muss man allerdings 
berücksichtigen, dass M; wesentlich kleiner und einfacher gebaut ist als Ma —. M; hat nur 
eine sehr kräftige, seitlich comprimirte Wurzel. 

Beide sind auffallend arm an Runzeln an der Oberfläche des Schmelzes. Der vordere 
Aussenhügel — Protoconid — ist noch ziemlich kräftig, und selbst an M; kann man auch noch 
drei weitere Hügel erkennen, einen vorderen Innenhügel — Metaconid — und einen äusseren 
und inneren Hügel am Talon. 


24 


M; hat nach der Zeichnung, welehe Lydekker gibt, eine Länge von 31 mm und eine 
Breite von 23 mm, an M, sind diese Maasse 18 mm, resp. 18 mm. 

Der Ineisiv, wohl Jı des Unterkiefers, besitzt ein V-förmig verlaufendes inneres Basalband. 
Die Höhe der Krone ist 13 mm, ihre Breite 11 mm. 

Ich bin keineswegs sicher, ob die beiden erwähnten Molaren wirklich einem Hyaenarctos 
angehört haben, denn bei dieser Gattung ist die Oberfläche der M nicht so glatt, auch sind 
Seeundärhöcker zwischen den vier Haupthügeln vorhanden. Ich bin daher fast eher geneigt, 
sie einem Amphicyon zuzuschreiben, allein eine definitive Genusbestimmung setzt in diesem 
Falle die Kenntniss der oberen Molaren voraus, die aber bis jetzt noch nicht zum Vorschein 
gekommen sind. . 

Mag es sich jedoch um Hyaenarctos oder um Amphieyon handeln, so bleibt es doch 
eine nicht uninteressante Thatsache, dass sich eine Form. welche in Europa schon im Plioeän 
geendet hat, in China noch bis in das Pleistocän erhalten hat, und hier scheinbar den 
Höhlenbären vertritt, wenn sie auch an Individuenzahl ganz auffällig hinter diesem 
zurücksteht. 


Vulpes sinensis n. sp. Taf. I, Fig. 6. 


Aus China liegen mir drei Unterkieferfragmente vor, — angeblich aus Tientsin, einer 
aus Hunan — ihrer Erhaltung und dunklen Farbe nach jedenfalls aus den Schichten mit 
Cervidenresten, deren Zähne in Grösse und Zusammensetzung sehr genau mit solchen des 
recenten Vulpes vulgaris übereinstimmen. 

Eines dieser Fragmente enthält die Alveolen der drei Ineisiven und die Alveole des 


Canin und des 1. Prämolaren, die beschädigten mittleren Prämolaren — P, und P; — und 
den vollständig erhaltenen letzten dieser Zähne — P4 —, das zweite enthält P; und P, und 
die vordere Alveole des ersten Molaren — Mı —,. das dritte ist zwar recht unscheinbar, 


aber es enthält den so umgemein wichtigen Talon dieses Zahnes. Gerade dieses Stück gibt 
uns volle Gewissheit, dass wir es mit den Ueberresten eines Caniden und zwar mit solchen 
von Vulpes zu thun haben. Der beckenförmige Talon besteht nämlich aus einem kräftigen 
Aussenhügel — Hypoconid, — einem etwas kleineren Innenhöcker — HEntoconid —, einem 
kleinen hinteren Höcker — Mesoconid — und einem kleinen, für die Gattung Vulpes aber 
recht charakteristischen Seceundärhöcker vor dem Entoconid. 

Die Form der Prämolaren, die Stellung der Ineisivalveolen und die gestreckte Gestalt 
des Unterkiefers spricht ebenfalls für die Bestimmung als Vulpes. 

Die Dimensionen sind: ; 

Canin. Weite der Alveole 


7 mm 
Pı Länge „ , 3,5 „ ; Abstand vom Canin 5 mm 
P3 ke = n 7,5 „ ; Höhe des Zahnes 4,5? „ 
P3 Suldess Zahnes@8:5 2,30% |, “ n 6,5 „ von Kiefer A 
P; ” D) D) 9 9 ” n D) 7,5 D) D) B 
P, „ ” „10 GR DA) D) n 85, D) D) A 
Pı D) ” „ 10 „> ” » ” 8 D) ” D) B 
M, 2 „ 15°? _„; Breite des Talons 7 5 


» 
Länge der vier P 32 mm 
Länge der unteren P und M 57? mm 
Höhe des Kiefers vor Pı 13 mm, hinter P, 16 mm. 
Foramina befinden sich unterhalb der hinteren Wurzel des P, und unterhalb des P;. 
Diese Reste verdienen ganz hervorragendes Interesse, denn es sind die ältesten, die bis 
jetzt von ächten Vulpes zum Vorschein gekommen sind, während die der etwa gleichaltrigen 
Caniden aus den Siwalik keine Beziehungen zu diesem Typus haben, sondern sich theils 
schon durch ihre Grösse — Canis Cautleyi Bose!) und Canis sp.?) — hievon entfernen, theils 


!) Lydekker. Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Palaeontologia Inica. 1884, Part VI, 
P.83, pInsPr nee mo8 ?2) Ibidem, p. 87, pl. 32, Fig. 2. 


25 


Canis eurvipalatus,!) in Folge der relativen Stärke ihrer Molaren sich an Canis littoralis 
und andere südliche Formen anschliessen. 

In Europa treten Füchse erst im Oberpliocän auf, Vulpes Donnezani Deperet in 
Roussillon?2) und Canis megamastoides Pomel in Perrier,’) von denen der letztere einen 
ganz fremdartigen Typus darstellt und sich am ehesten mit den lebenden südamerikanischen 
Caniden vergleichen lässt, während der erstere dem europäischen lebenden Vulpes entschieden 
ähnlich ist trotz der relativen Grösse seiner oberen Molaren. Da nun diese von Vulpes 
sinensis nicht bekannt sind, so ist zwar ein näherer Vergleich mit Vulpes Donnezani 
nicht möglich, aber immerhin könnte letzterer doch als direeter Nachfolger des sinensis in 
Betracht kommen. \ 


Die Vorläufer von Vulpes haben wir jedenfalls in den Galeeynus — fälschlich Cyno- 
dietis genannt — des nordamerikanischen Tertiärs zu suchen. Ein Galeeynus existirt zwar 
allerdings auch im europäischen Miocän — Oeningen und Günzburg —, allein von diesem 


kennt man das Gebiss nur ungenügend und im Skelet zeigt er noch sehr primitive Merkmale 
— kurze Extremitäten. Uebrigens stammt auch dieser jedenfalls von nordamerikanischen 
Galecynus ab und mithin müsste Vulpes sinensis, selbst wenn ein unmittelbarer Zusammen- 
hang zwischen ihm und dem europäischen Galeceynus oeningensis nachweisbar wäre, doch 
wenigstens indireet von einer nordamerikanischen Form abgeleitet werden, denn in Europa 
fehlen zwischen dem Obereoeän — Cynodictis — und dem Obermioeän — Galecynus — 
Caniden-ähnliche Formen vollständig, während sie in Nordamerika in der Zwischenzeit in 
allen Horizonten repräsentirt sind. 


Canis sp. 
1885 Koken. Fossile Säugethiere Chinas, p. 71, Taf. 1, Fig. 1, 2. 


Von einem Caniden von Wolfsgrösse beschreibt Koken den Caninen und den ersten 
Molaren eines linken Unterkiefers, welche, wie ich mich durch Untersuchung dieser Stücke 
überzeugen konnte, zweifellos aus dem Löss oder Höhlenlehm stammen und mithin pleistocänes 
und nicht pliocänes Alter besitzen. 

Bei der Unvollkommenheit dieses Molaren lässt sich über die systematische Stellung nichts 
Sicheres ermitteln, doch kann ich unmöglich glauben, dass er von dem von Canis lupus so 
fundamental verschieden ist, wie dies nach der Darstellung von Seite Koken’s der Fall 
sein müsste. 

Canis sp. 


Ein Canide von mindestens Wolfsgrösse wird repräsentirt durch ein Fragment des 
rechten Oberkiefers mit den Alveolen des vorletzten und letzten Prämolaren — P; und P, —. 
Dass dieses Stück nur einem Caniden angehören kann, zeigt nicht nur die Lage des Infra- 
orbitalforamens, dicht oberhalb des P; beginnend, sondern auch die Lage der beiden vorderen 
Alveolen des P, — Alveole der inneren Wurzel in die Länge gezogen und etwas vor der 
äusseren endend. Das Stück hat dunkle Farbe und befand sich in der in Peking erworbenen 
Sammlung. 

Länge des P; an den Alveolen 15 mm 
y ) » P; » ” ” 26 ” 
Breite des P, an den beiden vorderen Alveolen 14 mm. 
Dieser Canide war demnach ein wenig grösser als Canis Cautley Bose?) aus den Siwalik. 


!) Lydekker. Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Palaeontologia Indica. 1884, Part. VI, 
p-76, pl 32, Ko. 

2) Animaux pliocenes du Roussillon. M&moires de la societe geologique de France 1890, p. 29, 
Pla no replev. to, 8: 

3) Boule. Bulletin de la societe geologique de France 3 ser. Tome XVII, p. 321, pl. VII. 

*) Lydekker. Siwalik and Narbada Carnivora. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. II, 1884, 
p- 82 (259), Textf. 10, pl. XXXI, fie. 3, 6. 


Abh.d. II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 4 


26 


Wenn sich mit dem vorliegenden Bruchstück vorläufig auch nicht viel anfangen lässt, so 
ist es doch auch nicht ganz unwichtig, denn die ohnehin geringe Artenzahl der Caniden aus 
dem jüngeren Tertiär wird hiedurch doch um eine weitere bereichert, und da diese neue 
gerade aus China stammt, gewinnen wir auch wieder eine neue Stütze für die Annahme, dass 
die Einwanderung der Caniden in die alte Welt von Nordamerika ausgegangen ist und ihren 
Weg über Asien genommen hat. Dass sie nur von Nordamerika gekommen sein können, geht 
daraus hervor, dass dort im Miocän sowohl Vorläufer der Wölfe — Temnocyon und Hypo- 
temnodon — als auch solche der Füchse — gewisse „Cynodietis“ — gelebt haben, während: 
Caniden in der alten Welt nach dem Eocän vollkommen verschwunden sind und in Europa 
sogar erst im Oberpliocän wieder auftreten — Canis etruscus in Val d’Arno, Vulpes Don- 
nezani Roussillon. 

Canis ? sp. Taf. I, Fig. 12, 14. 


Nur mit Vorbehalt erwähne ich hier ein Fragment eines rechten Unterkiefers mit der 
Alveole des Canin und vier weiteren Alveolen, welche anscheinend einem einwurzeligen und 
einem zweiwurzeligen Prämolaren entsprechen, während die vierte der vorderen Wurzel eines 
dritten Prämolaren angehört. Zwischen der Alveole des Canin und jener des vordersten Prä- 
molaren ist der Oberrand mit einer scharfen Kante versehen, was für dıe Feliden ziemlich 
charakteristisch ist. Für die Bestimmung dieses Kieferstückes als zu Felis gehörig spräche 
ausserdem der Umstand, dass die Höhe an allen Stellen sich gleich bleibt. Dicht hinter Canin 
beträgt sie 15 mm, hinter dem letzten hier angedeuteten Zahn 16 mm. 

Dagegen ist die Lage der Mentalforamina ganz verschieden von der bei Felis, denn bei 
dieser Gattung steht das grössere zwischen dem Canin und dem vordersten Prämolaren, und 
das kleinere unterhalb dieses Zahnes, hier aber befindet sich das grössere unterhalb der vorderen 
Wurzel des zweiten Prämolaren und das kleinere erst unterhalb des dritten Prämolaren, wie das bei 
den Caniden der Fall ist, welche auch eine ähnliche Vertheilung der Prämolaralveolen aufweisen. 
Für einen Caniden stehen die Prämolaren jedoch fast zu dieht aneinander, auch reicht die 
Symphyse bis unter den zweiten P, von vorne gezählt, was aber hier nicht der Fall zu sein scheint. 

Die Genusbestimmung dieses Kieferfragmentes bleibt daher, solange nicht bessere Stücke 
zum Vorschein kommen werden, durchaus unsicher. I 


Lutra brachygnathus n. sp. Taf. I, Fig. 4. 


Unter den Raubthierresten aus den sandigen Schichten verdient ein Unterkiefer von 
Lutra, der angeblich von Tientsin stammt, ganz hervorragendes Interesse. Beim ersten An- 
blick ist man freilich kaum geneigt, an diese Gattung zu denken, denn Mı zeichnet sich durch 
ungewöhnliche Länge aus, allein die Form des Kiefers — vorne abgestutzt, an allen Stellen 
fast gleich hoch und die Abplattung des Unterrandes hinter dem Mı — spricht mit aller Ent- 
schiedenheit für die Bestimmung als Lutra. 

Der sehr steil aufsteigende Canin ist weggebrochen. Die Zahl der Prämolaren beträgt 
im’ Gegensatz zu den recenten Arten noch vier. Der vorderste — Pı — war sehr klein und 
seine Alveole steht neben der vorderen Wurzel des P, und zwar ist Pı hier nach einwärts 
verschoben. P3 war etwa doppelt so gross wie Pı. Er steht schräg zur Längsachse des Unter- 
kiefers. Gleich den folgenden P hatte er zwei Wurzeln. P3, und selbst P, sind ganz einfach 
gebaut und wesentlich niedriger als lang. Nebenspitzen fehlen vollständig, jedoch ist die Basis 
vorne und namentlich hinten wulstartig verdickt. M} ist doppelt so lang wie hoch. Der Talon 
hat beträchtliche Grösse, ist aber doch nicht viel breiter als der vordere Theil des Zahnes. 
Er fällt nach Innen zu sehr sanft ab. Ursprünglich hatte er offenbar zwei Höcker, den einen 
hinter dem Hauptzacken des Zahnes — Protoeonid —, den anderen an der Hinteraussenecke. 
Der Umriss ist hufeisenförmig. Der Zahn hatte auch noch einen allerdings kleinen Innen- 
zacken — Metaconid — schräg hinter dem Protoconid. Der M, und der aufsteigende Kieferast 
sind weggebrochen. a 

Wie schon bemerkt, ist der Kiefer an allen Stellen gleich hoch. Ein grosses Mental- 
foramen befindet sich schräg unterhalb des P,; und ein zweites unterhalb des P,. 


» 


Dimensionen: 
Länge der Zahnreihe hinter dem Canin 42 mm 
„ vier P 24 mm 


n 

„ des P;, 8,3 mm; Höhe des P, 5,5 mm; Breite des P, 4,5 mm 
D) an; n „Bi 66 ,; » mb 8,40 
» ” Mı 17,3 9 » b Mı 8,5 29 >) D) M, 7 » 
» 


elalon 5,2, 
Höhe des Unterkiefers hinter P, 16 mm; hinter M, 16,3 mm. 

Das Thier war demnach etwas grösser als die lebende Lutra vulgaris, aber etwa 
ebenso gross wie Lutra dubia Blainville aus dem Obermiocän von Sansan, 

Während im Miocän Lutra-ähnliche Formen eine ziemlich wichtige Rolle spielen — namentlich 
das allerdings im Skeletbau stark speeialisirte Potamotherium Valetoni im Untermiocän — 
sind Ueberreste solcher Raubthiere aus dem Pliocän bisher nur sehr spärlich vertreten. In 
Europa kennt man bloss Lutra hassica Lyd. — Lydekker!) schreibt hessica! — von 
Eppelsheim, deren erster unterer Molar an jenen der recenten orientalischen Ellioti erinnert. 
Häufiger ist dagegen diese Gattung in der Fauna der Siwalik hills in Indien. Lydekker 
beschreibt hievon drei Arten: Lutra palaeindica,?) Lutra bathygnathus°?) und Lutra 
sivalensis.*) Letztere scheidet schon wegen ihrer Grösse und der complicirten oberen P, 
und M, für etwaige Vergleiche vollständig aus. Auch bathygnathus ist wesentlich grösser 
als die chinesische Art und ihr unterer P, und Mı bedeutend dicker, dagegen ist palaeindica 
etwas kleiner und ihr Mı auch im Verhältniss viel schwächer. Lutra hassica steht in ihrer 
Grösse der neuen Art anscheinend recht nahe, allein ihr unterer Mı hat ebenso wie der von 
bathygnathus einen viel kräftigeren Innenzacken und einen viel breiteren und mehr grubigen 
Talon. Die Verwandtschaft mit allen diesen gleichzeitigen Arten ist demnach eine sehr entfernte. 

Auch unter den lebenden Lutra-Arten finden wir keine, welche zu Lutra brachy- 
guathus nähere Beziehungen hätte. Bei keiner ist der Talon des M, so langgestreckt und die 
Form der Prämolaren so plump wie hier. In diesen beiden Stücken nähert sich die neue Art 
mehr der Gattung Mellivora — wenigstens schliesse ich dies aus den Abbildungen in Blain- 
ville — Osteographie —, die auch bereits in der Siwalikfauna durch zwei Arten Mellivora 
punjabiensis Lyd.) und sivalensis Fale.°) repräsentirt ist. Gegen die Bestimmung unseres 
Exemplars aus China als Mellivora spricht jedoch entschieden die Beschaffenheit des Unter- 
kiefers, dagegen könnte sich das Gebiss von Mellivora.capensis allenfalls aus dem von 
Lutra brachygnathus entwickelt haben. 

Es erscheint demnach zweifelhaft, ob diese Art Nachkommen hinterlassen hat, wenigstens 
kommt wohl keine der lebenden Arten als solche in Betracht. Aus dem Öberpliocän sind 
bisher nur zwei Arten, Lutra Bravardi Gerv. und affinis Gerv., beschrieben, welche sich 
von brachygnathus vermuthlich ebenso wesentlich unterscheiden wie Lutra vulgaris. Auch 
sie können mithin nicht wohl auf diese Art zurückgehen. 

Was den Vorläufer von Lutra brachygnathus betrifft, so ist derselbe zwar nicht mit 
voller Bestimmtheit zu ermitteln, allein es besteht auch kein Hinderniss, denselben in einer 
Lutra des europäischen Obermiocän zu suchen, etwa in Lutra Lorteti Filh, obwohl diese 
sich im Zahnbau schon sehr enge an die recenten Arten anschliesst. Lutra brachygnathus 
hätte alsdann Reduction der Prämolaren — Verlust des Nebenzacken — und des Innenzacken 
des unteren Mı erfahren und zugleich Verdiekung der Prämolaren und Streckung des Talons 
des unteren Mı, also Specialisirung. 

In Nordamerika treten Lutra-ähnliche Musteliden erst im Loup Fork bed auf, sie sind 
jedoch erst sehr unvollständig bekannt und jedenfalls aus der alten Welt eingewandert. 


) Proceedings of the Zoological Society of London. 1890, p. 3—5. 
2) Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Vol. II, Part. VI, 1884. Sivalik and Narbada Carnivora, 
p. 13 (190), pl. XXVIL, fig. 1, 2. 


3) Ibidem p. 16 (193), pl. XXVII, fie. 3, 4. 4) Ibidem p. 19 (19), pl. XXVII, fig. 5. 
5) Ibidem p. 6 (183), pl. XXVII, fie. 6. 6) Tbidem p.3 (180), pl. XXVI. 


4* 


Meles taxipater n. sp. Taf. I, Fig. 7. 


Zu den beiden aus Maragha beschriebenen Dachsarten — Meles maraghanus Kittl)) 
und Meles Polaki?) Kittl — kommt jetzt eine dritte Art aus dem Unterplioeän — Meles 
taxipater. 


Ich begründe diese Art auf zwei Unterkiefer, von denen der eine aus Tientsin stammen 
soll und die Alveole des Canin und des vordersten und vorletzten Prämolaren und den zweiten 
und vierten Prämolaren sowie den trefflich erhaltenen ersten Molaren enthält, während der 
zweite nur mehr den Eekzahn und die vier Prämolaren aufweist und in Hunan gefunden sein soll. 

Möglicher Weise gehört zu dieser Art noch ein drittes Unterkieferfragment mit den beiden 
allerdings stark abgekauten Molaren und dem HEckfortsatz und der Gelenkrolle. Der M, ist 
hier freilich wesentlich kleiner, jedoch scheint er die nämliche Zahl und Gruppirung der Höcker 
besessen zu haben wie der erst erwähnte M. Auch dieses Stück soll aus Tientsin stammen. 
Obwohl nun auf diese Fundortsangaben nicht allzuviel Gewicht gelegt werden darf, so zeigt 
doch schon der Erhaltungszustand, dass diese drei Kieferstücke nur aus den röthlichgrauen 
Sanden stammen können. 

Vom Canin ist die Spitze abgebrochen. Dicht hinter ihm steht der kleine einwurzelige 
Pı. Auf diesen folgt unmittelbar der ebenfalls ziemlich kleine, zweiwurzelige und etwas schräg 
gestellte P,. Auch die übrigen P stehen sehr dicht aneinander. Kein einziger Prämolar besitzt 
einen Nebenzacken, dagegen sind sie vorne und hinten mit einem Basalwulst versehen. Am 


ersten Molaren — Mı — ist der Talon ebenso lang wie die Vorderpartie des Zahnes. Der 
Innenzacken — Metaconid — ist noch ziemlich kräftig, steht aber weit zurück. Hauptzacken 
— Protoconid — und Vorderzacken — Paraconid — sind nicht höher als der letzte Prämolar. 


Der Talon ist beckenförmig, und wird von zwei äusseren und drei inneren Höckern umgeben, 
von welchen der vordere Aussenhöcker bei Weitem der stärkste ist. Die Innenhöcker sind 
sämmtlich kleiner als die Aussenhöcker. Ihre Grösse nimmt von vorne nach hinten zu gleich- 
mässig ab. M, lässt in Folge der Abkauung keine Details mehr erkennen. Seine Wurzel 
sitzt bereits in dem aufsteigenden Ast des Unterkiefers. 

Die Höhe des Kiefers bleibt sich vom Canin an bis hinter den M, vollkommen gleich. 
Der Vorderrand des aufsteigenden Astes hat anscheinend die nämliche schräge Richtung wie 
bei Meles taxus. Der eine Kiefer hat ein Mentalforamen unterhalb des P,, die beiden 
anderen befinden sich unterhalb des P, und P3. Der andere Kiefer hat deren nur zwei; das 
eine steht zwischen P; und P,, das andere zwischen Pz und P;3. Dies ist jedoch durchaus 
kein Grund, die specifische Identität der. beiden Kiefer zu bezweifeln, denn auch Meles taxus 
zeigt in dieser Beziehung sehr verschiedene Verhältnisse und ebenso auch das untermiocäne 
Potamotherium Valetoni. 


Dimensionen: 

C Länge (von vorne nach hinten) an der Wurzel 6,5 mm 
Pı e 1,5 mm 

LE 4,6 „ ; Höhe 4 mm; Breite 5 mm 

P; » 5,8 ”»9 » 4,2 5 » 3,5 » 

P, D) 7,5 9» 5) 6 5 ” 4,83 ” 

Mı D) 16,3 „; „65,5; ” 7 5) 

Mı n 14,5 a) D) ? 9 ” 5,8 ) 

Ma 5 s ? a a 


r ” ” S ” ) 
Länge der vier P 19 mm; Länge der beiden M 19 mm (an dem kleineren Exemplar). 
Länge der Zahnreihe hinter dem C 40 (für das grössere Exemplar berechnet). 
Höhe des Kiefers hinter P, 15 mm, hinter dem M, 14,5 mm. 
Länge des Kiefers von der Ineisivenregion bis zum Condylus inel. 71 mm. 


!) Beiträge zur Kenntniss der fossilen Säugethiere von Maragha in Persien. I. Carnivoren. 
Annalen des k. k. naturhistorischen Hofmuseums. Bd. II, 1887, p.333, Taf. XV, Fig. 4. 
2) Ibidem p. 333, Taf. XVII, Fig. 3—6. 


29 


Die neue Art ist demnach um ein Geringes kleiner als mittelgrosse Exemplare von Meles 
taxus, mit welchem sie entschieden grössere Aehnlichkeit hat als Meles maraghanus Kittl, 
von dem bis jetzt freilich nur der Oberkiefer bekannt ist. Da aber der obere Molar von 
maraghanus viel kürzer und einfacher ist als bei taxus — er besitzt auch nur zwei Aussen- 
höcker —, so dürfen wir doch auf einen wesentlich kürzeren und einfacheren Talon des unteren 
ersten Molaren schliessen. Meles taxipater hingegen weicht hierin nur ganz wenig von der 
lebenden Species ab und darf daher unbedenklich für den Ahnen von Meles taxus ange- 
sprochen werden. Ueber seine Beziehungen zu dem japanischen Meles anakuma vermag ich 
niehts anzugeben, da mir hievon weder Originale noch Abbildungen zu Gebote stehen. 

Der oben genannte Meles Polaki von Maragha nimmt in Folge seiner viel beträcht- 
licheren Dimensionen und der geringen Complication seines unteren und oberen Mı eine ganz 
gesonderte Stellung ein. Das nämliche gilt auch von Promeles palaeatticus Weithofer!) sp. 
von Pikermi, der ausserdem auch die Form des Kiefers mit Mustela gemein hat. Es handelt 
sich vermuthlich um vollständig erloschene Typen. 

Alle pliocänen Meles-Arten gehen auf die obermiocäne Gattung Trochictis zurück, 
von welcher drei Arten, Trochictis carbonaria v. Meyer?) aus den Braunkohlen von Käpfnach, 
T. taxodon Gerv., und hydroeyon Gerv.°), beide aus Sansan, bekannt sind. Als Ahne von 
Meles taxipater kommt in erster Linie T. carbonaria, auf keinen Fall hingegen hydrocyon 
in Betracht, wesshalb ich auch nur auf die beiden ersteren näher hinweisen möchte. 


Palhyaena aff. hipparionum Gerv. sp. Taf. II, Fig. 9—12, 15—18. 


Der treue Begleiter des altweltlichen Hipparion, Palhyaena, fehlt auch in China 
nicht. Er bildet auch hier ein charakteristisches Glied der Hipparionenfauna wie in Pikermi,*) 
auf Samos, am Mont Leberon°) und in Maragha®) in Persien, allein obwohl die Ueberreste dieses 
Carnivoren in China keineswegs selten sind, so geben sie doch keinen Aufschluss, ob wir 
es mit Palhyaena hipparionum selbst, oder mit der in Indien hiefür vicariirenden Lept- 
hyaena sivalensis‘) oder aber mit einer oder vielleicht sogar zwei neuen Arten zu thun 
haben, denn die Grösse der einzelnen gleichstelligen Zähne schwankt innerhalb sehr weiter 
Grenzen. 

Weitaus die meisten Zähne stammen aus. den rothen Thonen von Schansi, Schensi und 
Sz’tschwan, wo auch Hipparion sehr viel häufiger ist als in den röthlichgrauen Sandsteinen 
von Honan, Hupe, Hunan und Tientsin (?), aus welchen mir aber doch auch mehrere Zähne 
— einer dieser letzteren wurde von Herrn Dr. Haberer in J‘tschang erworben —, sowie ein 
Unterkieferfragment eines jugendlichen Individuums vorliegen. Aus den rothen Thonen liegen 
mir vor fünf Kieferfragmente —, davon eines mit dem linken unteren Canin und dem P;, 
eines mit P, und der vorderen Wurzel des P,;, eines mit P,, eines mit dem unteren Mı und 
der Alveole des M, und ein Oberkieferbruchstück mit P; und dem Innenhöcker des Pı —, 
ferner 10 Caninen, 3 untere Prämolaren, 5 vollständige und 3 beschädigte untere Molaren 
— Mı —, 7 obere Prämolaren, nämlich 3 P; und 4 P,, davon allerdings nur ein einziger 


1) Mustela palaeattica. Weithofer. Beiträge zur Kenntniss der Fauna von Pikermi. Beiträge 
zur Paläontologie Oesterreich-Ungarns. Bd. VI, 1887, p. 226 (2), Taf. X (I), Fig. 1-10. 

2) Schlosser. Die Affen ..... und Carnivoren des europäischen Tertiärs. Beiträge zur Paläonto- 
logie Oesterreich-Ungarns. Bd. VII, 1888, p. 351 (127), Taf. VII, Fig. 30, 31, 35, 52. 

3) Gervais. Zoologie et Paleontologie francaises, p. 249, pl. 23, fig. 1. 

*) Gaudry. Animaux fossiles de l’Attique. 1862—67, p. 68, pl. XII, fig. 1-3. 

5) Gervais. Zoologie et Paleontologie francaises, p. 242, pl. XII, fig. 1 (non pl. XXIV fig. 2-5) 
und Gaudry, Animaux fossiles du Mont Leberon. 1873, p. 18, pl. II, fig. 7—10. 

6) Kittl. Carnivoren von Maragha in Persien. Annalen des k.k. naturhistorischen Hofmuseums. 
1887, p. 333, Taf. XV, Fig. 3, Taf. XVIII, Fig. 2—7. 

1) Lydekker. Siwalik and Narbada Carnivora. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. II, Part. VI, 
1884, p. 135 (312), pl. XLV, fig. 8, 9. 


30 


vollständig, und ein Bruchstück eines oberen Milchzahnes — D4 —, welche zusammen 
mindestens 10 Individuen repräsentiren dürften. 

Wie schon erwähnt, differiren die Dimensionen der einzelnen gleichstelligen Zähne sehr 
beträchtlich. Von den Caninen sehe ich hiebei vollständig ab, weil sie mit Ausnahme eines 
einzigen nur in isolirtem Zustande vorliegen, wesshalb die Bestimmung solcher Zähne bei ihrer 
indifferenten Gestalt ohnehin doch nur eine problematische sein kann. Aber auch die so 
charakteristischen unteren Molaren — Mı — und der ebenfalls mehrfach vertretene obere P; 
sehwanken sehr bedeutend in ihren Grössenverhältnissen, wie die Maasszahlen der besser erhaltenen 
Stücke zeigen. 

Dimensionen: 

Unterer © (im Kiefer befindlich), grösster Durchmesser an der Basis der Krone 13 mm, 
bei kleinen isolirten 11,5 mm. 

Abstand des P, vom Canin 8 mm, vom P3; 1.5 mm. 

Unterer Pg, A Länge 13,3 mm; Breite 7 mm; Höhe 8? mm 


B D) 19,00, 5 D) 1,9809; » 1,80% 
Pı ” 17 9 ” 8,5 93 No 10 ” 
M, A a Doom a ne „ 10,52?, Maximum 
B n DNORAN N > gr. ae Unna £ “4 
a en 2 
D 20 5 8.8 45 = » \ Az 
£ 2 % } ; Minimum 
E D) 19 93 D) RS U „0 » J 
Oberer P; A R 187 BE E 30.0: a lol Zen 
B D) 15 „9 D) Sa „., 102 „ 
n Pı » 27,5 9 ” 13,8 9 » 15 ” 


Diese Grössenverschiedenheit kommt jedoch auch bei Palhyaena hipparionum vor, 
wie ich durch Vergleichung eines Schädels aus Samos mit den von Gaudry gegebenen 
Abbildungen ersehe und ist somit kein zwingender Grund, die Existenz zweier Arten an- 
zunehmen. ; 

Was die Zusammensetzung der einzelnen Zähne betrifft, so gleichen die unteren durchaus 
jenen, welche Kittl, die oberen hingegen jenen, welehe Gaudry abbildet, ja in einer Be- 
ziehung ergänzen sie zum Theil sogar unsere Kenntnisse des Zahnbaues dieses interessanten 
Carnivoren, nämlich in Bezug auf die Zusammensetzung des Talon am unteren M,. Er besteht 


aus einem spitzen, ganz an die Innenhinterecke verschobenen Innenhöcker — Entoconid —, aus 
einem schneidend entwickelten Aussenhöcker — Hypoconid —, der öfters Zweitheilung erkennen 
lässt, und aus einem unpaaren Hinterhöcker — Mesoconid —, welcher mit dem überaus kräftigen 


Basalband sehr innig verbunden ist. Ueber die Beschaffenheit des immer noch unbekannten 
M, erfahren wir leider auch durch das Material aus China nichts weiter, als dass er ein- 
wurzelig und jedenfalls auch sehr einfach gebaut war. 

‚. Da die Hipparionenfauna Chinas nur eine einzige Art enthält, welche auch in 
Maragha mit Sicherheit nachgewiesen wurde, so ist es auch nicht recht wahrscheinlich, dass 
die dortige Palhyaena mit jener von Maragha, also mit hipparionum selbst identisch sein 
dürfte. Da aber vorläufig keine bemerkenswerthen Unterschiede gegenüber der ächten Pal- 
hyaena hipparionum sich ausfindig machen lassen, so führe ich die aufgezählten Stücke 
mit der Bezeichnung aff. hipparionum an. Von „Lepthyaena“ sivalensis aus Indien 
kennen wir viel zu wenig, als dass eine Identifieirung der chinesischen Zähne mit dieser Art 
statthaft wäre. 

Der Gattungsname Palhyaena scheint mir wirklich berechtigt zu sein, denn die hieher 
gestellten Carnivorenreste unterscheiden sich von jenen der freilich sehr nahe stehenden Gattung 
Ietitherium durch die bedeutend weiter vorgeschrittene Reduction des unteren Mı und der 
beiden oberen Molaren, welch letztere zugleich auch viel weiter nach einwärts verschoben sind. 

Morphologisch vermittelt Palhyaena freilich den Uebergang zwischen der Gattung 
Tetitherium und Hyaena, wenigstens zu Hyaena Chaeretis und Hyaenictis graeca 


31 


einerseits und zu den Viverren andererseits, denn nach dem Grad der Reduction der Molaren 
lassen sie sich wirklich in eine oder zwei Reihen gruppiren. 

Auch die Kieferformen der genannten Gattungen und Arten scheinen den genetischen 
Zusammenhang derselben zu bestätigen, denn der bei Ictitherium noch sehr schlanke Unter- 
kiefer wird bei Palhyaena schon plumper und zugleich beginnt auch schon die Aufwärtsbiegung 
seines Unterrandes hinter der Zahnreihe, was für die Hyänen so charakteristisch ist. Auch 
im Skelet beginnt bei Ietitherium eine Annäherung an die Organisation der Hyänen; so 
wird die Rolle des Humerus schmäler aber dafür höher, die Entepicondylarspange schmiegt 
sich mehr an die Diaphyse an und löst sich in der Mitte auf, und zugleich bildet sich ein 
Supratrochlearforamen, ferner schreitet die Reduction der ersten Zehe namentlich am Hinterfuss 
schon sehr weit vor und selbst die Gestalt der einzelnen Metapodien ist schon mehr Hyaena- 
als Viverra-artig, nicht minder auch die Form von Caleaneum und Astragalus. 

Morphologisch steht also der Ableitung der Hyänen von Ietitherium und somit von 
Viverra durchaus nichts besonderes im Wege, allein nichtsdestoweniger erscheint ein solcher 
Vorgang doch insoferne bedenklich, als gerade die nothwendigen Zwischenformen wie Ieti- 
therium, Palhyaena, Hyaena Chaeretis sammt und sonders gleichzeitig mit Hyaena 
gelebt haben. Man könnte freilich sagen: „Die uns bis jetzt allein bekannten Ictitherium, 
Palhyaena etc. sind der letzte Rest dieser Zwischenformen, die für die Abzweigung des 
Genus Hyaena wichtigen Typen haben schon im Miocän existirt.“ Leider ist uns jedoch 
hievon bis jetzt nicht das Mindeste bekannt, im europäischen Miocän fehlen sie vollständig, 
höchstens könnte Progenetta incerta!) von La Grive St. Alban der Stammvater von Ieti- 
therium sein, soweit wenigstens das Gebiss in Betracht kommt, allein dann fehlt doch immer 
noch das geologische Zwischenglied zu Palhyaena und von diesem zu Hyaena Chaeretis. 
Wir könnten unsere Hoffnung, die fehlenden Zwischenglieder zu finden, auf Asien setzen, aber 
auch hier existiren wieder Palhyaena, resp. Lepthyaena neben Hyaena, ja die Sache 
wird hier sogar noch wesentlich schwieriger, weil die Artenzahl der Hyänen der Hipparion- 
fauna in Asien sehr viel grösser ist als in Europa. 

Ich bin daher fast lieber noch geneigt, den Stammvater der Gattung Hyaena in Nord- 
amerika zu suchen. Matthew?) hat kürzlich die Vermuthung ausgesprochen, dass die Gattung 
Palaeonietis, die allerdings auch im mittleren Eocän Europas gelebt hat, der Ahne der 
Feliden und Hyäniden sein könnte. Für die Feliden ist diese Abstammung jetzt schon 
vollkommen sicher gestellt, denn die Gattung Aelurotherium verbindet Palaeonictis that- 
sächlich mit den oligoeänen und miocänen Feliden — Dinictis ete. Dagegen besteht jedoch 
zeitlich noch eine weite Kluft zwischen den Hyänen und Palaeonietis, wenn sich auch 
morphologisch nicht das Geringste gegen die Annahme genetischer Beziehungen einwenden 
lässt, denn sowohl der Schädelbau als auch das Gebiss und namentlich die von den Viverren 
total abweichenden Extremitäten, insbesondere die Form der proximalen Facetten des Meta- 
carpale II sprechen sehr für die directe Abstammung der Hyänen von Oreodonten oder 
doch von einem primitiven, den Öreodonten noch sehr nahestehenden Carnivoren, wie 
dies Palaeonictis ist. Allerdings hätten wir dann die Anklänge an die Hyänen bei Icti- 
therium und Palhyaena als blosse Convergenzerscheinungen zu deuten, und diese beiden 
Gattungen für Endglieder eines Zweiges der Viverren anzusehen. Freilich steht dieser 
Annahme wieder die durchaus an die Hyänen erinnernde Beschaffenheit der Extremitäten 
im Wege. 


!) Deperet. La Faune de Mammiferes miocenes de la Grive St. Alban. Isere. Archives du Museum 
d’histoire naturelle de Lyon. Tome V, 1892, p. 34, pl. TI, fig. 18. 

2) Additional Observations on the Creodonta. Bulletin from the American Museum of Natural 
History. New York 1901, Vol. XIV, Art. I, p. 8. 


32 


Hyaena. 
1872 Gaudry. Ossements d’animaux quaternaires recueillis en Chine. Bulletin de la societe geologique 
de France, p. 178. 


Aus Süen Hoa Fu erhielt Gaudry Coprolithen von Hyaena nebst Ueberresten von 
Elephas, Rhinoceros tichorhinus, Equus caballus, Bos primigenius und Hirsch- 
geweihen — Cervus Mongoliae. Diese Coprolithen dürfen vielleicht auf die allerdings nur 
aus Südchina bekannte H. sinensis Owen bezogen werden. 


Hyaena sinensis Owen. 
1870 Owen. Chinese Fossil Mammals. Quarterly Journal of the Geological Society of London, p. 422, 
pl. XXVIII, fig. 5—7. 
1885 Koken. Fossile Säugethiere Chinas, p. 72, Taf. I, Fig. 5—12. 
1885 Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part I, p. 80. 


Owen hat von dieser Art den oberen und unteren vorletzten Prämolaren beschrieben, 
Koken konnte den oberen J;, die oberen Prämolaren mit Ausnahme des ersten, und die 
unteren P;, Pı und M, dieser Hyäne untersuchen. Lydekker hält diese Art für identisch 
mit Hyaena felina aus den Siwalik, was jedoch Koken aus morphologischen Gründen mit 
Recht bestreitet, allein er irrt darin, dass er sie für pliocän hält, was sie entschieden nicht ist, 
denn wie ich mich durch Besichtigung seiner Originalien überzeugen konnte, kommt diesen Zähnen 
nur ein pleistocänes Alter zu. Dies zeigt zur Genüge ihr Erhaltungszustand und die noch anhaftende 
Gesteinsmasse — Löss oder Höhlenlehm. Freilich wird hiedurch seine Annahme, dass Hyaena 
sinensis und felina specifisch verschieden seien, auch durch geologische Gründe gestützt. 

Die Unterschiede gegenüber erocuta sind nach Koken folgende: Der obere und der 
untere P; sind niedriger aber länger und breiter, der untere P, höher, spitzer und länger, am 
oberen P, ist der vordere Lobus ebenso kräftig wie der hintere und der Innenhöcker steht 
senkrecht zur Längsachse des Zahnes, während bei erocuta der Vorderlobus im Vergleich zum 
Hinterlobus bedeutend redueirt und der Innenhöcker weit vorgerückt ist. Der untere M, hat 
einen viel stärkeren Talon, der sogar noch öfters einen Höcker trägt. 

Von Hyaena brunnea und striata unterscheidet sich sinensis durch den grossen, 
ziemlich weit vorne stehenden Innenzacken des oberen P, und durch die Kleinheit des Talons 
und des Innenzacken am unteren M,, sowie durch die Anwesenheit von starken Basalwülsten 
an den Prämolaren. 

Unter den Hyänen aus den Siwalik hat Hyaena felina jedenfalls die meiste Aehn- 
lichkeit mit sinensis, aber der Hinterlobus ihres oberen Py ist länger und der Vorderzacken 
hat den nämlichen Platz wie bei erocuta. Ferner besitzt der untere M, einen viel schwächeren 
Talon und ein Innenzacken fehlt vollständig. Hyaena Colvini entfernt sich von sinensis 
noch viel weiter, so dass ein näherer Vergleich überhaupt überflüssig wird. Beide sind also 
trotz ihres höheren geologischen Alters schon viel mehr in der Richtung gegen erocuta hin 
specialisirtt und können mithin auf keinen Fall die Ahnen von sinensis sein, einer noch 
primitiveren Form. Dagegen könnte eine von Lydekker!) nicht näher bezeichnete Art aus 
den Siwalik sehr gut der Stammvater von sinensis sein. Auch hier ist der obere P, nach 
dem Typus von striata und brunnea, P; und P,, aber nach.dem von erocuta gebaut. Die 
Länge der Zähne ist allerdings geringer als bei sinensis und P, zugleich auffallend breit; 
auch liegt der Hinterlobus dieses P, in der Längsachse des Zahnes, anstatt wie bei sinensis 
eine Drehung nach auswärts aufzuweisen. 

Hyaena macrostoma Lyd.?) und sivalensis Bose°) sind kleiner und haben noch sehr 


!) Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Vol. II, 1884, Part VI. Siwalik and Narbada 
Carnivora p. 132 (309), pl. XXXV A, Fig. 4. 

2) Ibidem p. 121 (298), pl. XXXVI, Fie. 2, pl. XXXVII, pl. XXXVIIL, Fig. 4, pl. XXXIX, Fig. 6. 

%) Ibidem p. 126 (303), pl. XXXIV, pl. XXXVIII, Fie. 2, 5, pl. XXXIX, Fig. 5, 7. 


33 


schmale Prämolaren und einen relativ grossen oberen Mı. Sivalensis bildet hinsichtlich der 
Grösse des oberen Mı und des complieirten starken Talons des unteren Molaren geradezu den 
Uebergang zu Lepthyaena und Palhyaena. H. macrostoma ist in diesen Stücken schon 
etwas weiter vorgeschritten. Sie könnte recht wohl der Ahne von Hyaena sinensis sein, 
wenn nicht ihr unterer P, bereits einen sehr grossen Hinterhöcker besässe. Eher kommt 
daher als Vorläufer von sinensis Hyaena sivalensis in Betracht, allein es bleibt alsdann 
noch eine weite Lücke zwischen beiden auszufüllen. Der Zeitraum zwischen Unterpliocän und 
Pleistocän wäre jedoch immerhin gross genug für die Existenz von einer oder zwei Zwischenformen. 

Die Hyänenarten des europäischen Tertiärs haben auf keinen Fall nähere Beziehungen 
zu sinensis, wohl aber zu crocuta und striata. Sie kommen daher für uns nicht weiter in 
Betracht, jedoch verdient bemerkt zu werden, dass H. erocuta in den Höhlen von Karnul, 
Provinz Madras, nachgewiesen wurde.) 

Unter dem von Herrn Dr. Haberer gesammelten Materiale befindet sich ein einziger 
Zahn, ein P, des linken Unterkiefers, angeblich aus Tientsin, welchen ich wegen seiner Form 
und seines Erhaltungszustandes unbedenklich als Hyaena sinensis bestimmen möchte. Die 
übrigen hellfarbigen Hyänen-Zähne stimmen mit jenen von sinensis, welche Koken abbildet, 
weder in ihrer Zusammensetzung noch auch in ihrer Consistenz überein. 

Die Koken’schen Originale sollen aus Jünnan, die Owen’schen von Tschung king 
stammen. 


Hyaena macrostoma Lyd. 


1884. Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata- Palaeontologia Indica, Ser. X, Vol. II, Part VI, 
p. 121 (298), pl. XXX VII, pl. XXXVIII, fig. 4, pl. XXXIX, fie. 6. 

1391. On a collection of Mammalian Bones from Mongolia. Records of the Geological Survey of India. 
Vol. XXIV, p. 209, fie. 1. 


Unter den Säugethierresten, welche das britische Museum aus der Mongolei erhielt, befindet 
sich auch ein Unterkieferfragment mit den Alveolen des letzten Prämolaren — Pı — und dem 
Molaren, Mı, welches Lydekker auf Hyaena macrostoma bezieht, eine fossile Hyänenart 
aus der Siwalikfauna. 

Trotz seiner Unvollständigkeit ergänzt dieses Stück die in Indien gefundenen Ueberreste 
dieser Species aufs Trefflichste, denn es gibt über die Beschaffenheit des Molaren, der bisher 
nur unvollkommen repräsentirt war, Aufschluss, sowie darüber, dass wirklich nur dieser eine 
Molar vorhanden war, während man aus der Aehnlichkeit der bekannten Zähne mit jenen von 
Lyeyaena graeca?) von Pikermi recht wohl auf die Anwesenheit eines zweiten Molaren 
schliessen durfte. 

Der P, ist lang und schmal und steht in gerader Linie vor Mı — nicht wie bei den 
ächten Hyänen etwas seitlich. Mı besitzt einen ziemlich langen Talon, aber keinen Innen- 
zacken. Ein M, ist, wie erwähnt, hier nicht vorhanden. Charakteristisch für diese Art ist 
besonders die Länge der Prämolaren. 

Unter dem von mir untersuchten Materiale aus China ist diese Art anscheinend nicht 
vertreten, was etwas sonderbar erscheint, insoferne die Fundstätten, von welchen diese Säuge- 
thierreste stammen, zwischen Indien und der Mongolei in der Mitte liegen und man folglich 
diese Form auch hier erwarten sollte. 


Hyaena sp. Taf. II, Fig. 5, 13. 


Die erwähnte Hyaena macrostoma ist unter meinem Material anscheinend durch eine 
andere kleine Art ersetzt, die aber leider nur durch eine geringe Anzahl isolirter und zumeist 
unvollständiger Zähne vertreten ist, so dass von der Aufstellung einer besonderen Species 
Umgang genommen werden muss. 


!) Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Vol. IV, Part II, p. 30, pl. VII, fig. 13. 
?2) Gaudry. Animaux fossiles de l’Attique. 1862—69, p. 95, pl. XV, fig. 6—8. 


Abh.d. Il. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 5 


34 


[n] 


Ich betrachte als hierhergehörig 3 obere J;, einen unteren C, einen unteren P; und 
einen unvollkommenen oberen P, aus den rothen Thonen von Schansi ete. und zwei obere P; 
von dunkler Farbe, einer davon aus Honan, der andere aus Tientsin. 

Die oberen J; sind kaum so gross wie bei der lebenden Hyaena striata, der untere P; 
hat hinten einen mässig starken Nebenhöcker wie bei brunnea, sein Hinterrand bildet mit der 
Aussen- und Innenseite rechte Winkel. 

Im Verhältniss zum oberen P; ist dieser Zahn ziemlich plump. Dieser letztere Zahn 
erinnert mehr an den von H. striata, jedoch steht der vordere Basalhöcker mehr auf der 
Innenseite als am Vorderrande. Da am oberen P, die Vorderpartie weggebrochen ist, so lässt 
sich auch nicht sagen, ob der Innenhöcker gross oder klein war. 

Dimensionen: 

Oberer J; Länge 9 mm; Breite 8 mm; Höhe 14 mm 


Unterer P; A We nn MILD BERR- N Ense 
Oberer P3 ea Le JE Fe RED: a 
Pa ” al? 5 ” x ” 5 ” 15 „ 


$)] 

Jedenfalls war diese Art kleiner als Hyaena eximia!) von Pikermi. Unter den Siwalik- 
Arten steht anscheinend Hyaena sivalensis?) am nächsten, sowohl in der Grösse als auch 
im Bau der Prämolaren. Bei der Unvollständigkeit dieser chinesischen Hyänenzähne verlohnt 
es sich nicht, weitere Vergleiche vorzunehmen. Es lässt sich aus der Analogie von Hyaena 
sivalensis jedoch der Schluss ziehen, dass der untere M; noch einen Innenhöcker und einen 
grossen Talon besessen hat, und dass auch der obere P, mit einem kräftigen Innenhöcker 
versehen war. 

Hyaena sp. Taf. II, Fig. 4, Taf. III, Fig. 15. 


Von einer Hyänenart mit sehr grossen unteren Molaren, dessen Talon noch einen sehr 
complieirten Bau besitzt, liegt mir eine ziemlich grosse Zahl isolirter Zähne vor. Ich hatte 
Anfangs gehofft, dieselben als Hyaena sinensis bestimmen zu können, allein ihr Erhaltungs- 
zustand lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass wir es doch mit einer wirklich tertiären 
Art zu thun haben. Ausserdem sind auch die unteren Prämolaren auffallend klein, und der 
untere M, trägt einen wöhlentwickelten dreihöckerigen Talon und einen deutlichen Innenhöcker, 
Metaconid, der zwar nicht so kräftig ist wie bei striata, aber doch viel stärker ist als bei sinensis. 

Ich vereinige in dieser neuen Art folgende Stücke: 

2 untere Caninen von Tientsin (?) von dunkler Farbe, je 1 unteren und 1 oberen J3, 
2 obere und 1 unteren C, 1 unteren P,, 4 untere P,, 2 untere M,, 1 oberen P, und 2 halbe 
obere P,, alle diese offenbar aus den rothen Thonen von Schansi. 

Dagegen bin ich nicht ganz sicher, ob auch zwei Oberkieferfragmente aus Tientsin, von 
denen das eine den P;, das andere Bruchstücke von P; und P, trägt, gleichfalls hieher gestellt 
werden dürfen, denn P; ist hier auffallend diek und plump und auch verhältnissmässig zu gross 
für die vorliegenden unteren P;. Der Innenhöcker des P, war nicht stärker als bei Hyaena 
eximia von Pikermi.°) 

Dimensionen: 

Unterer J;3; Länge 9 mm; Breite S mm; Höhe 9 mm 


» P, „ 165 ,; „a 5 a 
” P; „ 20 3 „ 18 5 Belloirır, 
D) Mı )) 30 9 ” 12 2 ” 21 ” 
Oberer J; „ 10 „93 „ 9 ”5 ” 13 ” 
» Pı ” 8,5 9 ” 8 De) » 7 ” 
) Ps „ 22 5 ” 1 6, 5 53 ) 1 7 ’ > ” 
D) Pı „ "85r4, ; „..15 "> „ 21? „ 


I) Gaudry. Animaux fossiles de l’Attique. 1862—69, p. 80, pl. XII, fig. 4—6, pl. XIII—XIV. 

2) Lydekker. Siwalik and Narbada Carnivora. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. II, 1884, 
p. 126 (303), pl. XXXIV, pl. XXXVIII, fig. 2-5, pl. XXXIX, fig. 5—7. 

3) Gaudry. Animaux fossiles de l’Attique. 1862—69, p. 80, pl. XI, fig. 4—6, pl. XIII—XIV. 


35 


Unter den Hyänenarten aus den Siwalik hat lediglich jene, welche bloss durch einen 
von Lydekker als ?Hyaena felina!) bestimmten Unterkiefer vertreten ist, eine grössere 
Aehnlichkeit, wenigstens gilt dies für den unteren P;. Ueber die Beschaffenheit des unteren 
Mı — Grösse des Talons, Anwesenheit eines Innenhöckers — gibt diese Abbildung jedoch 
leider keinen Aufschluss. Uebrigens halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass dieser Unter- 
kiefer wirklich zu Hyaena felina gehört, denn die Zähne sind hier nicht bloss kleiner, sondern 
auch, namentlich der P;, viel gedrungener als bei der ächten felina — Lydekker |. e. Fig. 12. 
— Die übrigen fossilen indischen Hyänenarten haben mit Ausnahme von sivalensis?) niemals 
einen Innenhöcker am unteren Mı, wie dies bei dem chinesischen Molaren der Fall ist, auch 
sind die Prämolaren bei allen viel gestreckter wie hier und der obere P, besitzt bei sämmtlichen 
einen grossen, hier aber kaum angedeuteten Innenhöcker. H. sivalensis besitzt überdies noch 
einen M,, der hier voraussichtlich fehlt. 

Sehr viel näher steht hingegen die schon erwähnte, weitverbreitete Hyaena eximia 
von Pikermi, Mont Leberon, Baltavär, schwäbische Bohnerze, Samos und Maragha mit ihren 
ebenfalls dicken und gedrungenen Prämolaren und dem schwach entwickelten Innenhöcker 
— Deuterocon — ihres oberen Pı. Der Talon des unteren M, ist dagegen schon redueirt, 
auch hat dieser Zahn bereits seinen Innenzacken — Metaconid — verloren. In der primitiven 
Ausbildung des unteren Mı gleicht die neue chinesische Art hingegen der Hyaena Chaeretis 
von Pikermi. 

Die neue Art und Hyaena eximia sowie die im Folgenden zu besprechende Hyaena 
gigantea aus China sind gänzlich erloschene Formen. Sie haben für die späteren Hyänen- 
arten im Oberpliocän und Pleistocän sowie für die lebenden Arten — brunnea, striata und 
erocuta — keinerlei Bedeutung, denn bei allen diesen ist der obere letzte Prämolar stets 
noch primitiver, insoferne er stets noch einen viel kräftiger entwickelten Innenhöcker besitzt. 
Ihre Vorläufer müssen wir daher unter den Hyänen der $iwalikfauna suchen, welche sich 
sämmtlich durch die Anwesenheit eines grossen Innenhöckers am oberen. P, auszeichnen. Auch 
Hyaena sinensis kann aus dem nämlichen Grunde nur auf eine siwalische Art zurück- 
geführt werden. 


Hyaena gigantea n. sp. Taf. II, Fig. 1-3, 6—8. 


Diese Art übertrifft in ihren Dimensionen alle bekannten fossilen und lebenden Hyänen. 
Sie basirt auf folgenden, freilich nur in isolirtem Zustande vorliegenden Zähnen, die zudem 
meist sehr fragmentär sind, aber immerhin die Reconstruction des ganzen Gebisses gestatten: 

1 unterer J;, 4 Spitzen von Caninen, 1 halber unterer P,, 1 unterer P;,, 1 ganzer 
und 1 halber unterer P,, 1 ganzer und 2 halbe untere Mı, 2 obere J;, 1 oberer P,, 1 ganzer 
und 1 halber oberer P53, 1 halber oberer P; und 3 halbe obere P,. Vielleicht darf ein aller- 
dings sehr sonderbares Zahnfragment als die Hälfte eines oberen M} gedeutet werden. 

Alle diese Stücke stammen aus den rothen Thonen von Schansi ete. mit Ausnahme eines 
oberen Pı, als dessen Fundort „Thibetfluss* angegeben ist, wie der Yangtsekiang zuweilen 
genannt wird. 

Die Ineisiven bieten nichts besonders Auffallendes, jedoch muss erwähnt werden, dass 
der untere J3 mit-einem Nebenzacken versehen ist, während ein solcher am oberen J; voll- 
ständig fehlt. Die Grösse der Caninen lässt sich nicht mehr ermitteln, allein sie zeigen doch 
sämmtlich den für Hyaena charakteristischen runden Querschnitt, zum Theil auch die gleich- 
falls sehr bezeichnende Runzelung des Schmelzes. 

Die unteren P, und P, haben an der Basis der dieken aber nicht sehr hohen Krone 
nahezu rechteckigen Querschnitt. Ein vorderer Nebenhöcker ist gar nicht und der hintere 
auch nur schwach entwickelt, dagegen ist vorne und hinten ein dicker Basalwulst vorhanden. 
Ganz auffällig contrastirt hiemit der gewaltige, aber verhältnissmässig schmale untere P,, denn 


!) Siwalik and Narbada Carnivora. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. II, 1884, p. 109 (286) 
pl. XXX, fig. 3. 
2) Ibidem p. 126 (303), pl. XXXIX, fie. 5. 


36 


er trägt nicht nur einen wohlausgebildeten Hinterhöcker, sondern auch einen dicken hohen 
Vorderhöcker. 

Der untere M, ist verhältnissmässig niedrig und sogar nur wenig länger als P,. Ein 
Innenzacken — Metaconid — fehlt gänzlich, und der Talon ist stark verkürzt und mit nur 
einem bald stärkeren, bald schwächeren Höcker versehen. 


Der obere P, hat die gewöhnliche Form wie bei allen Hyänen. P, ist relativ hoch 
und lang und mit einem allerdings schwachen Hinterhöcker sowie mit einem ebenfalls nicht 
sehr kräftigen Vorderhöcker versehen. Von dem oberen P, lässt sich nur soviel sagen, dass 
er sehr hoch und massiv gewesen sein muss und dass seine Vorderhälfte der des P, sehr 
ähnlich war. Wahrscheinlich besass er gleichfalls einen besonderen Hinterhöcker. 

P, ist der grösste Carnivorenzahn, den ich überhaupt jemals gesehen habe. Sein Vorder- 
höcker ist ein nahezu regelmässiger Conus, seine hintere Partie — Schneide — hat verhält- 
nissmässig geringe Länge. Da sich die Basis des Hauptzackens und des Vorderzackens auf 
der Innenseite sehr viel tiefer als an der Aussenseite des Vorderzackens und noch dazu sehr 
steil herabzieht, so bleibt kein Platz für einen grossen Innenhöcker, derselbe muss vielmehr 
sehr schwach gewesen sein und sehr tief unten gesessen haben wie bei Hyaena eximia, bei 
welcher auch die Innenseite der beiden genannten Zacken sehr ähnlich ausgebildet ist. Die 
Kleinheit des Innenhöckers — Deuterocon — wird übrigens auch dadurch bewiesen, dass die 
beiden vorderen Wurzeln des P, ganz dicht beisammen stehen. 


Ueber die Gestalt und Grösse des oberen M, kann ich leider nichts Sicheres angeben. 
Aus der Kleinheit und Einfachheit des Talons des unteren M, sollte man zwar den Schluss 
ziehen, dass der entsprechende obere M, auch nur sehr klein und namentlich nur sehr kurz 
gewesen sein muss. Es liegt mir jedoch ein Bruchstück eines Zahnes vor, das wohl nur als 
solches eines oberen Mı gedeutet werden kann, dessen richtige Orientirung zwar geradezu 
unmöglich ist, das aber doch vermuthlich den Talon darstellt und von der Spitze aus nach 
Aussen und Innen schneidend entwickelt ist. Soferne diese Vermuthung zutreffen sollte, müsste 
der obere M, ziemlich gross gewesen sein und wohl auch zwei Aussenhöcker besessen haben. 


Dimensionen: ’ 
Unterer Js; Länge 10 mm; Breite 9,5 mm; Höhe 14,5 mm 


n P; „ 24? 9 ” 1.9 9 ” 167 n 
„ P; » DONE nr BON RE ” IR, m 
" Pı R Saw. n: |) a »„ 26? „; abgekaut 24 
” Mı ” 37,5 DR) » 17,5 9 ” 21 n 


Länge der unteren Pa,—Mı 123? mm. 
Oberer J;3 Länge 13 mm; Breite 11 mm; Höhe 18 mm 
9 . 


) Ei ” ) ” 10,5 5 ” 9 ” 

> P5 a 28. 060: LO ee a „ ; frisch 

D) ‘P; „ BOB u; ” 23,5 9 D) 23 93 abgekaut 
„rszBa Rn 44? „; Br 5) a il. SEsutrisch 


Länge der 4 oberen P 125? mm. 


Ein Vergleich der Hyänen aus den $iwalik bietet sehr geringe Aehnlichkeiten mit den 
Zähnen dieser neuen riesigen Art, denn z. B. die gedrungene Form der Prämolaren kommt 
überhaupt so häufig bei Hyänenarten vor, dass sie für die Ermittelung verwandtschaftlicher 
Beziehungen wenig Anhaltspunkte liefert. Ich möchte hier nur darauf hinweisen, dass der Pı 
des Unterkiefers, welchen Lydekker!) als Hyaena felina? beschrieben und abgebildet hat, 
ebenfalls einen kräftigen Vorderhöcker und einen schneidenden Hinterhöcker besitzt wie die 
P; aus China, dass der untere Mı von Hyaena felina?) ebenfalls ziemlich niedrig und sein 


I) Siwalik and Narbada Carnivora. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. Il, 1884, p. 109 (286), 
pl. XXXIKX, fig. 3. 
?) Ibidem p. 10 (278), pl. XXXVIII, fig. 1, pl. XXXIX, fig. 1. 


37 


Talon stark redueirt ist, und dass am oberen P, von Hyaena macrostomal) die beiden 
vorderen Wurzeln gleichfalls sehr nahe beisammen stehen, und der Innenhöcker ebenfalls ziemlich 
klein ist. 

Unyergleichlich näher steht dagegen Hyaena eximia schon in der dieken gedrungenen 
Form und dem gegenseitigen Grössenverhältniss der unteren und oberen P, und P,;, in dem 
Bau des unteren M, und namentlich des oberen P,. Sie unterscheidet sich nur durch ihre 
viel geringere Körpergrösse und durch ihren einfacher gebauten unteren P,, der noch die Form 
des P; im Wesentlichen copirt, während er bei der neuen chinesischen Art von diesem total 
verschieden ist, was übrigens auch für den oben citirten Unterkiefer von ? Hyaena felina 
Lydekker pl. XXXIX, Fig. 3 gilt. Diese Verschiedenheit des P; und P, kann demnach nicht 
als Beweismittel verwendet werden gegen die Zusammengehörigkeit der Zähne dieser neuen 
Hyänenart. : 

Hyaena eximia, Hyaena gigantea und die vorher besprochene Hyaena sp. bilden 
zusammen eine engere Gruppe innerhalb der Hyänenarten der Hipparionenfaunen. Ihrer 
geographischen Verbreitung nach erweisen sie sich entschieden als ein mehr nördlicher Formen- 
kreis. Zu den Hyänen des europäischen Oberpliocän sowie zu denen des Pleistoeän und den 
lebenden Arten haben sie keine verwandtschaftlichen Beziehungen, denn sie zeigen eine Re- 
duction des oberen P,, die bei jenen sowie bei den Arten aus den Siwalik nicht vorkommt. 
Nur Hyaena macrostoma aus den Siwalik und aus der Mongolei zeigt ebenfalls, wenn. auch 
in sehr viel schwächerem Grad, eine Reduction des Innenhöckers am oberen P,. Durch den 
Besitz eines unteren M, erweist sie sich aber noch als eine ziemlich primitive Form. 

Die gewaltige Körpergrösse, um ein Viertel beträchtlicher als bei den gewaltigsten 
Exemplaren von Hyaena crocuta, die von keiner anderen Hyänenart auch nur im Ent- 
ferntesten erreicht wird, bietet uns allein schon Garantie dafür, dass Hyaena gigantea eine 
Form ist, welehe keine Nachkommen hinterlassen hat. 


Machairodus horribilis n. sp. Taf. I, Fig. 9, 10, 13, 15, 16. 


Ueberreste von Machairodus scheinen in den röthlichen Sandsteinen von Honan und 
Hupe — als Fundort ist allerdings Tientsin angegeben — keineswegs allzu selten zu sein, 
wenigstens liegen mir hievon sowohl eine Anzahl isolirter Zähne als auch zwei Schädelfragmente 
vor. Letztere gehören offenbar ein und demselben Individuum an und wurden von Herrn 
Dr: Haberer in Peking erworben. Es ist der linke Zwischenkiefer mit den drei Ineisiven 
und der rechte Oberkiefer mit den Alveolen der P;, P, und des M,. Die isolirten Zäbne sind 
3 halbe obere P,, 2 untere P, und 1 unterer M, sowie ein Bruckstück eines oberen Caninen, 
Sie haben sämmtlich dunkle Farbe wie die meisten Säugethierreste aus jenen Sandsteinen. 
Ausserdem kommt dieser Machairodus auch in den rothen Thonen von Schansi, Schensi und 
Sz’tschwan vor, denn aus diesen Schichten stammt je ein oberer und unterer P, sowie die 
Spitze eines unteren Caninen, allerdings angeblich aus Tientsin. 

Die Zähne stimmen in allen Details sehr gut mit solchen des Machairodus von Pikermi 
überein, nur sind sie zum Theil ein wenig grösser, namentlich die Ineisiven und der untere 
Molar, dessen Talon hier auch noch einen besonderen Zacken trägt. Dagegen unterscheidet 
sich der obere Canin sehr wesentlich von jenem des Machairodus von Pikermi,?) denn er 
hat fast doppelt so feine Zähnelung und scheint auch weniger breit und weniger gebogen 
gewesen zu sein. Er steht hierin dem Canin von Machairodus crenatidens°) viel näher. 
Merkwürdiger Weise ist hingegen die Zähnelung des unteren Caninen eine viel gröbere. Dass 


!) Siwalik and Narbada Carnivora. Palaeontologia Indieca. Ser. X, Vol. II, 1884, p. 12 (298), 
pl. XXXVI. 

2) Boule M. — Revision des especes europeennes de Machairodus. Bulletin de la Societe 
geologique de France. 1901, p. 558, fig. 6, 7 — identifieirt diesen mit M. Felis aphanista Kaup 
von Eppelsheim, wohl mit Recht. 

3) ITbidem p. 561, Fig. 10 im Oberpliocän der Auvergne und von Val d’Arno. 


38 


diese Zähne wirklich der nämlichen Art angehören, wie die erwähnten Schädelreste und die 
isolirten Zähne, dürfte wohl kaum einem Zweifel unterliegen, denn für den folgenden viel 
kleineren Machairodus aus China sind sie viel zu gross, und dass drei Arten dieser Gattung 
neben einander existirt haben sollten, ist doch recht unwahrscheinlich. 

Soweit die von Lydekker abgebildeten Reste des Machairodus palaeindicus!) einen 
Vergleich mit denen aus China gestatten, ist bei dieser grossen Art aus den Siwalik der obere 
dritte Ineisiv wesentlich grösser, der untere P4 dagegen etwas kürzer und zugleich dicker. 
Die wichtigsten Zähne, der obere P, und der untere Mı sowie der obere Canin sind leider 
von palaeindieus nicht bekannt, so dass es nicht angeht, die Reste aus China mit dem 
Machairodus aus Indien zu vereinigen. Machairodus sivalensis?) ist wesentlich kleiner 
als die chinesische Art. Von einer detaillirten Beschreibung glaube ich absehen zu dürfen, da 
die Gattung Machairodus doch ziemlich gut bekannt ist, und das neue Material keine weiteren 
Beiträge zur Kenntniss derselben liefert. Ich kann mich daher auf einige wenige Bemerkungen 
beschränken. 

Die Grösse scheint individuell etwas zu schwanken, denn der eine untere P, hat eine 
Länge von 27 mm, der zweite von 26 mm und der dritte von 25 mm, Differenzen, die nicht 
grösser sind als bei irgend einer beliebigen Art von ähnlichen Dimensionen. Dagegen bin ich 


nicht sicher, ob ein vierter unterer Pa — aus Schansi — von nur 22 mm Länge wirklich 
noch hieher gestellt werden darf. Im Gegensatz zu dem P, des Machairodus von Pikermi 
hat dieser Zahn hier vor dem Vorderzacken — Paraconid — nur einen einfachen Basalwulst 


anstatt eines Basalhöckers und steht hierin dem von sivalensis näher. Der untere M, ist, 
wie schon bemerkt, grösser als bei allen europäischen Machairodus mit Ausnahme des ober- 
plioeänen erenatidens.’) Seine Länge beträgt 35 mm, seine Breite 16 mm. Die Höhe des 
unteren Canin ist 27 mm, seine Breite-14,5 mm. Die oberen Ineisiven sind auf der Innenseite 
mit einem sehr deutlichen Basalband und an beiden Seiten mit je einer gezähnelten Kante 
versehen. An Jı fehlt die Krone, die von Jg hat eine Breite von 10 mm, die von J; eine 
Breite von 14 mm und eine Höhe von 20 mm. Die Länge des oberen Caninen lässt sich 
nicht ermitteln. Die Länge des oberen P, beträgt an den Alveolen nur 37 mm gegenüber 
41 mm bei dem Machairodus von Pikermi. Der schwache, aber zugespitzte Innenhöcker 
befindet sich ebenso weit vorne wie der Vorderrand des Hauptzackens — Protocon —. Der 
Mı wird durch eine verhältnissmässig grosse Alveole repräsentirt. 

Nachkommen hat dieser Machairodus schwerlich hinterlassen, denn die späteren Arten 
aus dem europäischen Oberpliocän sind mit Ausnahme von erenatidens kleiner und müssen 
daher von anderen Machairodusarten ahgeleitet werden. Crenatidens stimmt zwar in der 
Grösse der Zähne und überdies auch in der Feinheit der Zähnelung der Ränder des oberen 
Canin recht gut mit M. horribilis überein, aber es ist doch nicht recht wahrscheinlich, dass 
er auf eine chinesische Art zurückgehen sollte. Freilich existirt im europäischen Unterpliocän 
und Obermiocän keine einzige Art, welche jene Eigenschaften in sich vereinigt, die wir bei 
dem Vorläufer dieser Art voraussetzen müssen. 

Auch die Frage, von welcher Art Machairodus horribilis abstammen könnte, lässt 
sieh nicht in befriedigender Weise beantworten, obschon es etwas unwahrscheinlich ist, dass 
als sein Ahne ein Machairodus des europäischen Obermiocäns in Betracht kommen dürfte. 
Von den beiden Arten, die bis jetzt daselbst gefunden worden sind, hat Machairodus palmi- 
dens*) von Sansan zwar ziemlich grosse Aehnlichkeit in der Form des unteren P,, nicht aber 
in der‘ Form des unteren Mı und des oberen P,. M. Jourdani von La Grive St. Alban 
schliesst sich zwar in der Form dieser beiden letzteren Zähne enger an horribilis an, dafür 
ist jedoch der untere P, viel kürzer und schmäler, es ist somit anscheinend keine der beiden 
Arten näher mit diesem chinesischen Machairodus verwandt. M. aphanista aus dem Unter- 


!) Siwalik and Narbada Carnivora. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. II, 1884, p. 164 (341), 
pl. XLIU, fig. 8, 9, pl. XLIV, fie. 3. 


2) Ibidem p. 157 (334), pl. XLIV, Fig. 1, 2, 4-6. 
®) Bpule ]. c. p. 566, Fig. 14. 4) Ibidem p. 563, 570. 


39 


pliocän kann auch nicht wohl sein Stammvater sein, da beide so ziemlich das gleiche geologische 
Alter besitzen und das Nämliche gilt auch von den beiden indischen Arten — sivalensis und 
palaeindieus, welche sich ebenfalls nicht ungezwungen von jenen beiden Arten aus dem 
europäischen Miocän ableiten lassen. Es wäre daher nicht ausgeschlossen, dass bereits der 
Ahne dieses Machairodus in Asien gelebt hat. Soviel ist dagegen gewiss, dass sowohl diese 
hypothetische Form als auch die genannten Arten aus dem europäischen Obermiocän auf 
Nimraviden des nordamerikanischen Tertiärs zurückgehen. 


Machairodus sp. Taf.I, Fig. 8. 


Eine zweite Art von Machairodus ist möglicher Weise repräsentirt durch einen Canin 
des linken Oberkiefers, angeblich aus Tientsin, welcher mit dem von horribilis zwar die 
feine Zähnelung seiner Kanten gemein hat, aber sehr viel kleiner ist als dieser, denn seine 
Länge beträgt höchstens 95—100 mm, wovon etwa 57 mm auf die Krone treffen, und seine 
Breite 20,5 mm. Er ist demnach höchstens so gross wie der kleine Zahn von Machairodus 
eultridens, welehen Boulet) p. 553, Fig. 2 abbildet, er unterscheidet sich aber von diesem 
durch die Zähnelung beider Kanten, die bei cultridens vollständig fehlt und bei dem überdies 
viel grösseren Nestianus?) auf die Hinterkante beschränkt ist. Von den beiden indischen 
Machairodusarten liegt mir keine Abbildung dieses Zahnes vor. 

Es wäre immerhin nicht ganz undenkbar, dass dieser Zahn einem Weibchen des horri- 
bilis angehört hat, der grösseren Uebersichtlichkeit halber habe ich es jedoch vorgezogen, ihn 
gesondert zu Hesprechen. 

Felis sp. 
Koken. Fossile Säugethiere Chinas. Paläontologische Abhandlungen. 1885, p. 78 (106), Taf. I, Fig. 3. 


Unter dem von Koken untersuchten Material befand sich auch ein oberer J, eines 
grossen Feliden, der aber nicht speeifisch zu bestimmen ist. Wie ich mich durch Besichtigung 
des Originales überzeugt habe, stammt es unzweifelhaft aus dem Pleistocän. 


Felis sp. Taf. I, Fig. 11. 


Eine Katze von der Grösse des Felis pardus ist vertreten durch zwei untere Molaren, 
von denen der eine von weisser Farbe aus Sz’tschwan stammen soll, während der andere, 
welcher noch in einem Theil des Unterkiefes steckt, wie das anhaftende Gestein beweist, in 
den röthlichen Sandsteinen gefunden wurde. 

Unter den Feliden aus den Siwalik steht Felis sp. non det. aff. pardus Lydekker°) 
in der Grösse ungemein nahe, aber die Reduction des Talons scheint bei dieser Art noch weiter 
vorgeschritten zu sein, während hier an dem einen Zahn wenigstens noch ein Basalwulst und 
an dem anderen sogar noch ein kleiner Basalhöcker vorhanden ist. In dieser Beziehung kommt 
Felis efr. brevirostris*) von Maragha entschieden näher, die jedoch etwas kleiner ist. Das 
Nämliche gilt auch von dem etwas problematischen Felis leiodon®) von Pikermi. Bieten 
schon relativ wohlerhaltene Ueberreste von mittelgrossen fossilen Feliden bei der Bestimmung 
fast unüberwindliche Schwierigkeiten, so wird es geradezu unmöglich, einzelne Zähne solcher 
Formen richtig zu» deuten. Die beiden Zähne geben uns also weiter keinen Aufschluss, als 
dass schon mit Hipparion zusammen in China sowohl wie in Indien ein Felide von Panther- 


1) Bulletin de la societe geologique de France. 1901, p. 553, fie. 2. 

2) Fabrini J. Machairodus dı Val d’Arno Superiore. Bolletino del comitato geologico 1890, 
p- 26, tav. VI, fig. 68. 

3) Siwalik and Narbada Carnivora. Palaeontol. Indica. Ser. X, Vol. II, p. 151 (328), pl. XLIII, fig. 4. 

#) Kittl. Pliocäne Carnivoren von Maragha. Annalen des k. k. naturhistor. Hofmuseums in 
Wien, 1887, p. 331, Taf. XIV, Fig. 6. 

5) Weithofer. Beiträge zur Kenntniss der Fauna von Pikermi. Beiträge zur Paläontologie 
Oesterreich-Ungarns. 1888, p. 242, Taf. XI, Fig. 8. i 


40 


grösse existirt hat, wie solche auch in Maragha in Persien, in Pikermi, Eppelsheim — Felis 
ogygia — gefunden worden sind. Aber auch schon im Obermiocän gibt es eine ähnliche 
Form — Felis tetraodon —, und ebenso kommen solche im Oberpliocän vor, Felis 


issiodorensis ete. Ein genetischer Zusammenhang aller dieser Arten ist zwar überaus wahr- 
scheinlich, allein in Folge des indifferenten Zahnbaus und der öfters sehr unvollständigen 
Erhaltung dieser Ueberreste besteht kaum einige Möglichkeit, diese zahlreichen Arten in 
genetische Reihen zu ordnen. Bei diesen beiden ‚Zähnen von China ist dies ohnehin gänzlich 
ausgeschlossen. 

Länge des Zahnes aus Schansi 20 mm, Länge des Zahnes aus Tientsin (?) 21 mm. 


Rodentia. 


Siphneus arvicolinus Nehring. 


1883 Nehring. Sitzungsberichte der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin, p. 19, Fig. 6. 
1898 v. Löczy. Wissenschaftliche Ergebnisse der Reise des Grafen Bela Szechenyi in Ostasien. 
III. Bd., VI. Abth. Budapest, p. 17, Taf. XI, Fig. 2. 


Als Siphneus arvicolinus hat Nehring einen Nagerunterkiefer beschrieben, welcher 
nicht bloss vom morphologischen Standpunkt aus grösseres Interesse verdient, sondern auch 
desshalb, weil er, abgesehen von dem Rhinocerotenzahn, welchen Obrutschew zwischen 
Urga und Kalgan gefunden hat, bisher der einzige bestimmbare Säugethierrest ist, welcher auf 
einer wissenschaftlichen Reise in China an Ort und Stelle beobachtet wurde. Er stammt aus 
einer Sandsteinschicht oberhalb Quetä (Kuite, Guidui) am rechten Ufer des oberen Hoangho, 
welche dem mächtigen Süsswasserthon-, Gyps- und Mergelcomplexe eingelagert ist und Gaste- 
ropoden, Bithynia, Planorbis, Limnaeus und Succinea enthält. 

„Die Petrifieirung ist ziemlich weit vorgeschritten und es haften an mehreren Stellen der 
Kieferwand sowie auch zwischen den Prismen der Backenzähne Reste eines weisslichen, festen 
Gesteins“, berichtet Nehring über .den Erhaltungszustand dieses Kiefers. Er schliesst desshalb 
auf ein jungtertiäres Alter. 

Der Kiefer gehört der Gattung Siphneus an, denn seine drei Backenzähne haben im 
Gegensatz zu denen der übrigen Arvicolinen nur auf der Innenseite Schmelzfalten, an der 
Aussenseite hingegen nur schwache Einbuchtungen. Der erste Zahn besitzt vier solche Falten 
und aussen zwei stärkere nebst einer. schwachen Einbuchtung, die beiden folgenden je zwei 
Falten und zwei Einbuchtungen. Der erste Zahn ist fast doppelt so lang als der zweite, 
während er bei den recenten Siphneusarten den folgenden nur wenig an Grösse übertrifft. 
Er kommt hierin dem entsprechenden Zahn der Gattung Arvicola näher als dem der ächten 
Siphneus. Wurzeln fehlen vollständig. Der Kiefer weist einige Merkmale von Arvicola 
auf — der Eckfortsatz beginnt weiter hinten als bei den recenten Siphneus und der Unter- 
Rand zeigt eine Protuberanz, die auch bei Fiber zibethicus, aber nicht bei Siphneus 
vorkommt. Der 'Nagezahn reicht bis in den aufsteigenden Ast des Unterkiefers. 

Die Zahnreihe von Siphneus arvicolinus ist fast doppelt so lang als bei den meisten 
Siphneusarten. 

Phylogenetische Bedeutung hat diese fossile Form sieher nicht, es handelt sich vielmehr 
augenscheinlich um einen gänzlich erloschenen Typus, welcher den übrigen Siphneus in der 
Entwicklung — Zunahme der Körpergrösse weit vorausgeeilt, dann aber vielleicht in Folge 
des veränderten Landschaftscharakters — Umwandlung von warmem wasserreichen Waldland 
in kaltes trockenes Steppengebiet zu Grunde gegangen ist. Es dürfte sich daher empfehlen, 
diese Art von Siphneus zu trennen und hiefür ein besonderes Genus zu errichten. 


Dipoides Majori n. sp. Taf..II, Fie. 14. 


Von Nagethierresten enthält die Sammlung: des Herrn Dr. Haberer zwar nur einen 
einzigen Unterkiefer, allein dieses Stück ist von ganz besonderer Wichtigkeit, weil es einer 
Gattung angehört, die bisher nur durch isolirte Zähne aus den schwäbischen Bohnerzen vertreten 


“ 


41 


war, so dass man nicht einmal die Zahnzahl ihres Gebisses mit Sicherheit angeben konnte. 
Dieser Kiefer bietet demnach nicht nur vom zoogeographischen Standpunkt aus, soferne hiemit 
eine bisher ausschliesslich europäische Gattung in China nachgewiesen wird, sondern auch aus 
morphologischen Gründen grösseres Interesse. 

Der Kiefer hat ungefähr die halbe Grösse von dem eines Bibers und gehört auch 
einem Thiere an, welches mit Castor ziemlich nahe verwandt ist. Er stammt aus den sandig- 
mergeligen Schichten, angeblich von Tientsin, und hat hellgraubraune Farbe, während der 
vordere Theil des Nagezahnes dunkelblaugrau gefärbt erscheint. Von den ursprünglich vor- 
handenen vier Backenzähnen ist zwar der vorderstee — P4 — ausgefallen, jedoch ist wenigstens 
noch seine mit röthlichgrauem harten Gestein ausgefüllte Alveole vollständig erhalten, so dass 
über die Vierzahl der Backenzähne — 1P und 3M — kein Zweifel bestehen kann. Die 
Molaren sind scheinbar aus je drei schräg gestellten Lamellen von langgestreckt elliptischem 
Querschnitt zusammengesetzt, von welchen die vordere nur halb so gross ist wie die beiden 
anderen. Zwischen den Lamellen ist Cement eingelagert. Dies ist jedoch nicht der ursprüng- 
liche Bau der Zähne, denn es handelt sich nieht um vollständig getrennte Lamellen, sondern 
um drei, durch tiefe, von Aussen eindringende Querfalten getrennte Einstülpungen des ursprünglich 
zusammenhängenden Schmelzbleches. An den tieferen Partien der prismatischen Zahnkrone 
bemerkt man jedoch auch jetzt noch, dass die drei Lamellen durch zwei kurze Schmelzbrücken 
verbunden sind, von denen die erste an der Aussenseite, die zweite aber an der Innenseite 
sich befindet. Die Zahnkronen setzen erst an ihrer sehr tief im Kiefer befindliehen Basis 
Wurzeln an, und zwar jedenfalls nach Analogie der Unterkieferzähne aus den schwäbischen 
Bohnerzen je zwei einfache Wurzeln am Vorderrande und je eine stark in die Breite gezogene 
am Hinterrande.e Der Nagezahn durchzieht den ganzen Unterkiefer und endet erst im auf- 
steigenden Kieferast wie bei Biber. Von den Backenzähnen ist der Prämolar der grösste, 
während die Molaren von vorne nach hinten an Grösse zunehmen. Der Unterkiefer stimmt in 
seinem Aussehen abgesehen von “der Grössendifferenz, ganz mit dem von Biber überein, 
namentlich auch in der Ausbildung der Masseteransatzstelle. 


Dimensionen: 
P, Länge 7,5 mm; Breite 5,5 mm 
Mm AB: » 55 „ an der Kaufläche gemessen 
M, » 5,5 » „ 5,9 » 
M; ” 5,7 29 ” 5,3 ” 


Länge der unteren Zahnreihe 22mm; Länge des Kiefers vom Vorderrand des Nagezahnes 
bis zu dessen Hinterende 60 mm; Höhe des Unterkiefers vor P, 19 mm; hinter M, 13 mm. 

Die zu demselben Thier gehörigen Oberkieferzähne hatten nach der Analogie der Zähne 
aus den Bohnerzen im Gegensatz zu den Unterkieferzähnen zwei Aussenfalten, von denen jedoch 
die erste nur bis zur Mitte der Kaufläche reichte und hier durch eine schmale, beiderseits von 
Schmelz eingefasste Dentinbrücke von der entgegenkommenden Innenfalte getrennt war. Nur 
der letzte Molar des Oberkiefers hatte eine dritte Aussenfalte.e Was die Wurzeln der Ober- 
kieferzähne betrifft, so befand sich die grosse breite auf der Innenseite, die beiden einfachen 
aber standen an der Aussenseite. 

Die Oberkieferzähne dieses Biber-ähnlichen Nagers sind als solche auch dadurch von 
den Unterkieferzähnen zu unterscheiden, dass sich ihre Kronen nach auswärts und rückwärts 
anstatt nach vorwärts und einwärts krümmen. 

Von Castor unterscheidet sich Dipoides durch die geringere Zahl der Falten. Dies 
ist jedoch kein Grund, warum diese Gattung nicht doch ein Castoride sein sollte, denn im 
nordamerikanischen Tertiär gibt es gleichfalls Castoriden mit nur zwei Falten. 

Die Gattung Dipoides wurde schon vor 70 Jahren von F. Jäger für die erwähnten, 
von mir!) kürzlich neuerdings beschriebenen Zähne aus den schwäbischen Bohnerzen aufgestellt. 


!) Schlosser. Beiträge zur Kenntniss der Säugethierreste aus den süddeutschen Bohnerzen. 
Geologische und paläontologische Abhandlungen von Koken. Bd. V (IX), Heft 3, 1902, p. 21, Taf. I (VI), 
Fig. 18, 20—23, 25, 27, 29. 


Abh.d.II.Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXI. Ba. I. Abth. 6 


42 


Der Gattungsname ist freilich schlecht gewählt, denn die von Jäger hervorgehobene Aehn- 
lichkeit mit Dipus ist eine äusserst geringe, da dessen Zähne überhaupt nur eine einzige Falte 
besitzen, wie überhaupt diese Gattung nicht im Entferntesten mit Dipoides verwandt ist, 
allein es gebührt dieser unglücklichen Bezeichnung doch die unbestreitbare Priorität. 

Ausser in den schwäbischen Bohnerzen kommt die Gattung Dipoides auch im Pleistocän 
von England vor, wenigstens bildet Lydekker!) einen solchen Zahn ab, der jedoch viel grösser 
ist als die Zähne aus den Bohnerzen und aus China, welch letztere wieder um ein Geringes 
grösser sind als die ersteren. 

Dipoides ist vermuthlich aus Nordamerika gekommen, oder richtiger, aus einer nord- 
amerikanischen Form hervorgegangen, denn im dortigen Miocän gibt es mehrere solehe Casto- 
riden mit geringer Faltenzahl, die aber freilich nur drei Backenzähne besitzen — Sigmogom- 
phius, Eucastor. 

Die Anwesenheit eines Castoriden in den sandig mergeligen Schichten Chinas ist ein 
sicherer Beweis dafür, dass dieselben eine Süsswasserablagerung darstellen. In solchen sind 
auch im europäischen Tertiär Reste von Castoriden in der Regel anzutreffen. 


Proboscidia. 


Die Zähne von Mastodon und Stegodon haben wegen ihrer Grösse und ihres hübschen 
Aussehens jedenfalls schon viel früher die Aufmerksamkeit der chinesischen Sammler erregt, 
als die Zähne der übrigen fossilen Säugethiere. Sie sind die gesuchtesten und werthvollsten 
unter allen Lungtsch'ih. Allein die Vorräthe hievon dürften der Nachfrage schwerlich ent- 
sprechen, was offenbar auch der Grund davon war, dass Herr Dr. Haberer verhältnissmässig 
wenig von solchen Zähnen erwerben konnte. 

Unter dem Owen’schen Material waren sie dagegen relativ häufig. Auf einen derselben, 
den zweiten Backenzahn des Oberkiefers, begründete dieser Autor seinen Stegodon sinensis, 
die beiden übrigen, ein Fragment eines unteren Molaren und ein Fragment eines Milchzahnes (?), 
bilden die Originale zu seinem Stegodon orientalis. Lydekker hat jedoch den Nachweis 
erbracht, dass Stegodon sinensis mit Stegodon Clifti Fale. und Stegodon orientalis 
mit Stegodon insignis Fale. identisch ist. 

Koken hatte unter seinem Materiale zwei Zähne von Mastodon und zwei von Stegodon, 
die er als Mastodon perimensis Fale. var. sinensis Koken und M. sp. ex aff. Pandionis 
beziehungsweise als Stegodon insignis’Fale. und St. aff. bombifrons Fale. bestimmte. 

Einen sehr wohlerhaltenen Zahn von Stegodon insignis aus Kansu beschreibt v. Loczy. 

Unter dem Materiale, welches Herr Dr. Haberer gesammelt hat, befindet sich ein sehr 
schöner Molar von Stegodon insignis, drei grössere Zahnfragmente von Formen, welche an 
Mastodon latidens erinnern, ein unterer erster Prämolar, ein Bruchstück eines oberen Milch- 
zahnes? und eines letzten unteren Molaren, welche sich an Mastodon Pandionis anschliessen 
und mehrere unbestimmbare Stosszahnfragmente. 

Da es sich um meist wohlbekannte Arten handelt und die mir vorliegenden Proboscidier- 
zähne nicht viel Neues bieten, so darf ich mich bei deren Beschreibung möglichst kurz fassen. 
Der Werth dieser Objecte liegt weniger auf paläontologischem als auf stratigraphisch-geographi- 
schem Gebiete. 


Elephas sp. 
1871/72 Gaudry. Ossements d’animaux quaternaires recueillis en Chine. Bulletin de la societe geologique 
de France. Tome XXIX, p. 178. 


Gaudry erwähnt in dieser Notiz, dass Abb& David dem Pariser Museum einen 
Elephantenkiefer aus Süen Hoa Fu geschickt hätte, der jedoch nicht speeifisch bestimmbar wäre, 
weil die Zähne fehlen. Immerhin spricht für die Bestimmung als Mammuth der Umstand, 


!) Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part I, 1885, p. 221, fig. 30. 


43 


dass mit diesem Kiefer zusammen auch Knochen von Rhinoceros tichorhinus, Equus 
caballus und Bos primigenius gefunden worden sind nebst Geweihen von Cervus Mon- 
goliae und Coprolithen von Hyaena. 

Ueber das Vorkommen von Mammuth in China wird öfters berichtet. So schrieb Herr 
Bergingenieur Vorschulte an Herrn Dr. Haberer, dass sich in Schantung bei Wei hsien an Yü ho 
Mammuthreste im Löss gefunden hätten, über deren weiteres Schicksal freilich nichts weiter 
zu erfahren war. 

Soviel nun auch von Mammuthresten aus China gesprochen wird, so scheint doch bis 
jetzt noch kein Fachmann sichere Zähne des Elephas primigenius von dort untersucht zu 
haben, wenigstens finde ich in der Literatur keine derartige Angabe, was freilich nicht aus- 
schliesst, dass kurze Notizen hierüber vollkommen in Vergessenheit gerathen sein könnten. 


Elephas namadicus Falconer. 


1868 Busk. Quarterly Journal of the Geological Society of London. Vol. XXIV, p. 498. 
1886 Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part IV, p. 169. 


Busk bestimmte einen halben dritten Molaren des linken Oberkiefers, welcher mit der 
Hanbury’schen Sammlung in das britische Museum gelangt war und aus dem Pleistoeän von 
China stammt, als Elephas armeniacus. Lydekker stellt ihn jedoch zu namadicus, 
obwohl die Joche etwas weiter auseinander stehen und die Art der Abkauung eine abweichende ist. 

Elephas namadicus ist jetzt ausser in Indien auch in Burma, Irawadithal, in Japan 
und in China nachgewiesen worden. 


Stegodon bombifrons Falconer. 
1885 Stegodon aff. bombifrons Koken. Fossile Säugethiere aus China. Paläont. Abhandlungen, 
p. 12, Taf. VIT XI), Kir. 3. 
1886 Elephas bombifrons Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. 
Part IV, p. 82. 


Koken beschreibt ein Fragment eines letzten unteren Molaren mit vier Jochen und 
einem kleinen Talon. Die Zahl der Mammillen auf den Jochen scheint gewöhnlich 9 zu sein. 


2? 2 5— 6 6— 
Lydekker gibt die Jochformel zu ee? — für die Milchmolaren und 7 = - - 


für die Molaren an. Die Joche sind relativ niedrig und stumpf, das Cement in den Thälern 
ist spärlich, wenigstens bei den typischen Exemplaren. Das Koken’sche Exemplar nimmt in 
dieser Beziehung eine vermittelnde Stellung ein zwischen diesen und den Zähnen von insignis. 

Unter dem mir vorliegenden Materiale aus China ist diese Art nicht vertreten. Man 
kennt sie bis jetzt aus Indien — Siwalik Hills und Pundjab — und aus China. Sie scheint 
aber auch in Birma vorzukommen. 


Stegodon Clifti Falconer. 
1870 Stegodon sinensis Owen. Chinese Fossil Mammals. Quarterly Journal of the Geological Society 
of London, p. 417, pl. XXVII. 
1885 Stegodon Clifti Koken. Fossile Säugethiere aus China. Paläontologische Abhandlungen, p. 11. 
1886 Elephas Clifti Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part IV, p- 80. 


Owen beschrieb einen dritten — second upper molar, D; — fünfjochigen Backenzahn 
des Oberkiefers aus der Gegend von Schanghai als einer besonderen Species angehörig. 

Koken hatte unter seinem Materiale keinen hieher gehörigen Zahn, ebensowenig ist diese 
Art unter den Säugethierzähnen vertreten, welche Herr Dr. Haberer in China gesammelt hat. 


Das Owen ’sche Original stammt aus unzweifelhaften Tertiärschichten — marly beds in 
the vieinity of Shanghai — denn dieser Autor betont ausdrücklich den ächt fossilen Zustand 
desselben. 


Stegodon Clifti ist nach Lydekker noch recht ungenügend bekannt. Die Jochformel ist 
6* 


27 rn ZEN 
= . = > für die sogenannten Milchmolaren — richtiger Prämolaren — und E 5 2 . — = - 
für die Molaren. Die Höhe der Joche ist gering und die Molaren zeigen mehr oder weniger 
deutlich in der Mitte eine Längsfurche. Das Cement ist spärlich, der Schmelz zeigt verticale 
Rinnen. Stegodon Clifti ist der Nachkomme von Mastodon latidens. 

Man kennt Zähne dieser Stegodonart aus Indien — Siwalik Hills und Pundjab —, 


aus Birma, China und Japan. 


Stegoden insignis Falconer. Taf. XIV, Fie. 10. 


1570 Stegodon orientalis Owen. Chinese Fossil Mammals. Quarterly Journal of the Geological 
Society of London, p. 421, pl. XXVII. 

1885 Stegodon insignis Koken. Fossile Säugethiere aus China. Paläontologische Abhandlungen, 
p. 14, Taf. VI, Fig. 8. 

1886 Elephas insignis Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. 
Part IV. p. 89, 95. 

1898 Stegodon insignis L. v. Löczy. Wissenschaftliche Ergebnisse der Reise des Grafen Bela 
Szechenyi in Ostasien. Budapest, III. Bd., VI. Abtheil., p. 75, Taf. XT, Fig. 1, 2, 
Textfig. 46. 


Owen hatte unter dem von ihm beschriebenen fossilen Säugethiermaterial aus China 
einen halben Milchzahn des Unterkiefers und ein Fragment eines Molaren aus einer Höhle bei 
Tschungking, Sz’tschwan, welche Stücke die Originale zu seinem Stegodon orientalis bilden. 
Koken, welchem ein Fragment eines letzten Molaren vorlag, angeblich aus einer Höhle in 
Jünnan, bestimmte dieses und die Owen’schen Originale als Stegodon insignis Fale., dessen 
Zähne freilich von jenen des Elephas ganesa, wie Lydekker angibt, nicht zu unter- 
scheiden sind. 

2 (5—6) 7 


Die Jochformel ist nach Lydekker ag 


— richtiger Prämolaren — und en . em - Sa für die Molaren. 
—10 8—12 9—13 

Jedes Joch des letzten unteren Molaren zählt nach Koken mindestens 10 Mammillen, die 
Breite des Zahnes wird auf 88—90 mm geschätzt, die Entfernung zweier Kämme ist eirca 30 mm, 
die Höhe eines solchen 39 mm, längs der Seiten 45 mm. Die Querjoche sind für ihre basale 
Länge sehr hoch und schlank, das Email ist ziemlich glatt, besonders im basalen Theile. Das 
Cement geht bis zur Spitze der Querjoche, füllt aber die Thäler nicht aus. 

Diese Merkmale treffen auch für einen nahezu vollständigen letzten Molaren des linken 
Unterkiefer zu, welchen Herr Dr. Haberer in Peking erworben hat. Dieser Zahn, welcher 
aus Fokien stammen soll, besitzt noch 8 Joche und einen kleinen Talon, von denen nur die 
beiden ersten angekaut sind. Vorne ist mindestens ein Joch weggebrochen. Cement und 
Schmelz haben eine bräunlich gelbe Farbe. Das an Bruchstellen freiliegende Dentin klebt bei 
Berührung an der Zunge, was auch Owen für seine Exemplare angegeben hat, während der 
von ihm als sinensis beschriebene Zahn viel vollkommener fossilisirt ist. Die Zähne von 
Stegodon insignis haben demnach den nämlichen Grad von Fossilisation wie die von 
Elephas meridionalis von Val d’Arno, ein Zeichen, dass sie wohl aus etwas jüngeren 
Schichten stammen als die Reste aus der Hipparionenfauna. 

In der Zahl der Mammillen und in der Höhe und Runzelung der Toöhey stimmt dieser 
mir vorliegende Molar aus China ausgezeichnet überein mit jenem, welchen Graf B&la 
Szechenyi und v, Löczy in Tsingtschou, Provinz Kansu, erworben und an Lydekker zur 
Bestimmung geschickt hatten. Der dazu gehörige Kieferknochen ist kreideweiss und das an- 
haftende braunrothe, thonige harte Gestein machen es, wie Löczy schreibt, zweifellos, dass 
er aus den horizontal geschichteten limnischen Schichten der Umgebung von Tsing tschou 
stammt.. Diese Schichten haben im Wassergebiet des oberen Hoangho und im Becken des 
Kuku nor eine grosse Verbreitung. 


für die sogenannten Milchmolaren 


45 


Stegodon insignis ist bis jetzt nachgewiesen im Pliocän von Punjab und in den Siwalik 
Hills, wahrscheinlich auch im Pleistocän des Narbadathales, ferner in Burma, China, Java? 
und in Japan;!) ein allerdings höchst dürftiges Fragment eines Molaren aus Mindanao — 
Philippinen — hat Naumann?) beschrieben. 


Mastodon aff. latidens Clift. Taf. XIV, Fig. 5, 7. 
1847 Faleoner and Cautley. Fauna antiqua sivalensis, pl. XXX, fig. 6, pl. XXXI, fig. 2—8. 
1880 Lydekker. Siwalik and Narbada Proboscidia. Palaeontologia indica. Ser. X, Vol. I, p. 46, 
pl. XXXVIl, fig. 1, 2, 4—8, pl. XXXVII, XXXIX. 
1886 Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part IV, p. 74, fig. 19. 


Mit der dritten Sendung des Herrn Dr. Haberer, in Ningpo und Schanghai erworben, 
erhielt das Münchener paläontologische Museum ein Fragment eines Unterkiefermolaren und 
einen Oberkiefermilchzahn, wohl D, rechts, welche durch die tapiroide Ausbildung ihrer Joche 
und das Fehlen von Zwischenhügeln zwar noch an Stegodon erinnern, durch ihre geringe 
Warzenzahl und das Fehlen von Cement jedoch sich als Zahnfragmente von Mastodon 
erweisen. 

Der Fundort dieser beiden Stücke ist leider nicht mehr zu ermitteln, ihr Erhaltungs- 
zustand — sie sind so vollkommen wie möglich fossilisitt — macht es jedoch wahrscheinlich, 
dass sie aus älteren Schichten stammen als der Zahn von Stegodon insignis, dessen Zahn- 
beinsubstanz noch an der Zunge klebt, und dass sie daher möglicher Weise noch der Hipparion- 
fauna angehören. — Beide Stücke haben gelbliche Farbe. 

Das grössere Stück, wohl ein Fragment eines vorletzten Molaren des linken Unterkiefers, 
besteht aus zwei Jochen, und zwar ist das zweite Joch zugleich auch das hinterste Joch des 
Zahnes. Das erste Joch hat aussen und innen je einen grossen und dazwischen drei kleinere 
Höcker — Mammillen —, von denen wieder der mittlere der stärkste ist, aber von seinem 
äusseren Nachbar durch einen Spalt getrennt wird. Das letzte Joch hat drei gleich starke 
grössere Höcker — Mammillen — und zwischen dem mittleren und dem äusseren noch einen 
vierten, aber viel kleineren Höcker. Am Hinterrande sowie im Querthal befinden sich mehrere 
kleine Wärzchen. Die Basis des Zahnes ist von zahlreichen feinen concentrischen Runzeln 
umgeben. Der Schmelz erreicht eine beträchtliche Dicke. 

Der Milehzahn, D,, des rechten Oberkiefers besteht bloss mehr aus zwei Jochen, das dritte 
ist weggebrochen. Diese Joche haben ausser dem Innen- und Aussenhöcker noch 3 bis 4 
schwächere Höcker, von denen die Mehrzahl der Innenhälfte des Zahnes angehören und von 
dem überdies sehr kleinen Zwischenhöcker der Aussenseite durch einen tiefen Spalt getrennt 
werden. Ein kräftiges Basalband umgibt den Zahn auf allen Seiten. Der Schmelz ist nicht 
einmal halb so diek wie an dem oben erwähnten Molaren. Seine Oberfläche ist mit zahlreichen 
tiefen und meist verästelten Runzeln bedeckt. 

Breite des Molaren 90 mm. Abstand der beiden Joche 46 mm 

Höhe des Zahnes am ersten Joch 54 mm 

Breite des Milchzahnes an der Basis des ersten Joches 47 mm 
„ D) „ DEE D) »„ zweiten „ 54 „ 

Unter den indischen Arten kommt bei der Bestimmung nur Mastodon latidens in 
Betracht, welcher, wie Lydekker angibt, Mastodon Cautleyi mit Elephas (Stegodon) 
Clifti verbindet, so dass die Bestimmung mancher Zähne erhebliche Schwierigkeiten bietet. 


1) Naumann. Ueber japanische Elephanten der Vorzeit. Paläontographica 1881, Bd. XXVIII, 
p- 12, Taf. III, IV, V, von Ringemura, Prov. Ome. Ausserdem werden besprochen Stesodon Clifti 
von Shozushiwa und Elephas namadicus von Jokozuka und Yedobashi bei Tokio. 

2) Fossile Elephantenreste von Mindanao, Sumatra und Malakka. Abhandlungen und Berichte 
des k. zoologischen und anthropologisch-ethnographischen Museums zu Dresden, 1886, 87, Nr. 6, p. 8, 
Fig. 3, 4. Daselbst werden ausserdem behandelt fossile Reste von Elephas indicus aus Malakka, 
Stegodon sp. von Sumatra, Stegodon trigonocephalus von Java und Mindanao. 


46 


Die bis jetzt noch nieht bekannte Unterkiefersymphyse war vermuthlich kurz und zahnlos; die 
oberen Molaren sind breit und ohne Cingulum, ihre Joche haben geringe Höhe, die Median- 
furche wird oft sehr undeutlich, die Nebenhöcker bleiben klein, die Thäler sind nur unvollständig 
geschlossen, die Kleeblatt-ähnliche Abnutzungsfigur ist sehr undeutlich. Die Talons haben an- 
sehnliche Grösse, der Innenrand der Krone ist concav und nur mit schwachem Basalband 
versehen. Der Schmelz ist sehr diek und an den hinteren Zähnen fast glatt. Cement fehlt, 
dagegen findet wirklicher Zahnwechsel statt. Der vorletzte obere Molar hat öfters ein 5. Joch, 
der Talon des letzten oberen Molaren ist immer gross und bildet nicht selten ein 6. Joch. 
Molaren mit dicken Jochen und etwas kräftigeren Nebenhöckern führen unmerklich zu Mastodon 
Cautleyi hinüber, diejenigen aber, welche schmale Joche und schwache Nebenhöcker haben 
und eine nur undeutliche Längsfurche aufweisen, zu Stegodon Qlifti. 

Der untere Molar aus China unterscheidet sich zwar von den indischen Exemplaren durch 
die Breite seiner Thäler und die Höhe der Joche, allein in den wesentlichen Merkmalen stimmt 
er doch hiemit überein — Offenbleiben der Thäler, Abwesenheit von Nebenhöckern, dieker 
glatter Schmelz, Abwesenheit von Cement —, wesshalb man zum Mindesten vollkommenere Stücke 
abwarten müsste, um die Aufstellung einer besonderen Species rechtfertigen zu können. Die 
starke Runzelung des Schmelzes kommt auch sonst bei Milchzähnen von Mastodon vor und 
ist auch an zwei Originalien von latidens — Lydekker |]. ce. pl. XXXVII Fig. 4, 5 — zu 
beobachten. 

Ganz unsicher ist die Deutung eines sehr kleinen, stark abgeriebenen Unterkieferzahnes 
von tiefbrauner Farbe, an welchem noch röthliche Sandpartikel haften. Er besitzt zwei Joche 
und einen kleinen Talon. Das erste Joch besteht aus zwei gleich grossen Höckern, das nach 
vorwärts concave zweite Joch hat vier Höcker, von denen die beiden mittleren viel schwächer 
sind als die äusseren. Von Lydekker!) wird der vorderste obere Milchzahn von Mastodon 
latidens abgebildet, allein. derselbe ist einfacher aber trotzdem viel grösser als der mir vor- 
liegende Zahn, den ich eben nur desshalb hier erwähne, weil die relative Stärke der einzelnen 
Höcker und deren Gruppirung eine ähnliche ist wie bei Mastodon latidens. Der Zahn hat 
anscheinend nur eine, aber sehr massive Wurzel und kann desshalb keinen Nachfolger besessen 
haben. Aus diesem Grunde muss er als Prämolar angesprochen werden. Für Mastodon 
latidens ist er wohl zu klein. Es wäre nicht ausgeschlossen, dass er zur folgenden Species 
gehören könnte. 

Länge 24,5 mm; Breite am ersten Joch 16 mm; am zweiten Joch 19 mm. 

Mastodon latidens, eine Tetralophodontenart, war bisher nur aus Indien — Insel 
Perim, Sind, Punjab — sowie aus Birma und Borneo bekannt. Jetzt erweitert sich ihr Ver- 
breitungsbezirk nach Norden, indem auch China hinzukommt. 


Mastodon Lydekkeri n. sp. Taf. XIV, Fie. 8, 9. 


‚ Eine neue Mastodonart wird angedeutet durch ein Fragment eines sehr grossen Molaren, 
vermuthlich des rechten oberen M;. Es stammt, wie das noch anhaftende Gestein zeigt, aus 
den röthlichen Sanden und ist so vollkommen wie möglich petrifieirt. Seine Farbe ist ein 
lichtes Graugrün. In den Vertiefungen sitzt ziemlich diekes, schwarzgefärbtes Cement. Der 
Zahn befindet sich noch im allerersten Stadium der Abkauung. Leider ist nur ein Joch und 
der Talon vorhanden. Das Joch besteht aus einem sehr grossen Aussenhöcker und einem 
wesentlich kleineren Innenhöcker. Zwischen diesem und der tiefen Einsenkung in Mitte des 
Joches steht ein relativ grosser Höcker, zwischen dem Aussenhöcker und jener Einsenkung 
sind 5—6 schwache Warzen von verschiedener Grösse zu beobachten. Nach vorne und nach 
hinten verläuft von der Spitze des Aussenhöckers je ein wulstiger Kamm, so dass bei vor- 
geschrittener Abkauung eine Kleeblatt-ähnliche Figur zu Stande gekommen wäre. Der Talon 
setzt sich zusammen aus einem sehr grossen Aussenhöcker, der ebenfalls mit einem vorderen 
und einem hinteren Kamm versehen ist, und aus einem bedeutend kleineren Innenhöcker, der 


!) Siwalik and Narbada Proboscidia.. Palaeontol. Indica. 1880, Ser. X, Vol. I, pl. XXXVIL, fig. 5. 


47 


hinten gleichfalls einen kammartigen Wulst aufweist. Neben dem Aussenhöcker befinden sich 
zwei schwache. kammartig verbundene Warzen. Eine Anzahl solcher Warzen begrenzen auch 
den inneren Ausgang des letzten Querthales. Das letzte Joch misst an der Basis des Zahnes 
90 mm. 

Auch dieser Zahn schliesst sich in Folge der vollkommenen Abwesenheit von Zwischen- 
höckern an Mastodon latidens an, aber die Anwesenheit von Cement und das Vorhandensein 
der erwähnten Kämme auf den Aussenhöckern sowie die Gedrungenheit des Talon verbieten 
die Identifieirung mit Mastodon latidens. Die Aufstellung einer besonderen Art erscheint 
um so mehr gerechtfertigt, als eben abgesehen von Mastodon- und Stegodon-Arten sowie 
von Aceratherium Blanfordi eigentlich keine einzige der aus Indien beschriebenen Arten 
auch in China nachgewiesen werden konnte. Es war daher ohne Weiteres zu erwarten, dass 
auch Mastodon in China durch neue Arten vertreten sein würde. 

Wären in den Thälern Zwischenhügel vorhanden, so würde ich kein Bedenken tragen, 
diesen Zahn mit jener Form zu vereinigen, von welcher Koken!) einen zweiten Molaren des 
linken Unterkiefers als Mastodon perimensis bestimmt hat, während Lydekker?) sie für 
eine besondere Species hält. Solange jedoch nicht der Nachweis erbracht werden kann, dass 
auch die Mastodonarten aus den Siwalik und überhaupt die asiatischen auch tapiroide Zahn- 
formen entwickelt haben, geht es doch nicht wohl an, den vorliegenden Zahn und das Koken’sche 
Original auf ein und dieselbe Art zu beziehen, wenn schon die Wahrscheinlichkeit einer solchen 
Variabilität wirklich ziemlich gross ist. 

Es wäre nicht ausgeschlossen, dass der bei Mastodon aff. latidens erwähnte kleine 
Prämolar, das Original zu Taf. XIV, Fig. 9, zuMastodon Lydekkeri gerechnet werden dürfte. 


Mastodon perimensis var. sinensis Koken. 


1885 Koken. Fossile Säugethiere Chinas. Paläontologische Abhandlungen, p.6, Taf. VII (XID, Fie. 1. 
18386 Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part. IV, p. 57. 


Als Varietas sinensis bestimmte Koken einen wohlerhaltenen, vorletzten, jedenfalls 
fünfjochigen Molaren des linken Unterkiefers, welcher mit Mastodon perimensis — einem 
Tetralophodonten — die Dicke des Emails, die Anwesenheit von Öement und das Vorhandensein 
von je einem Zwischentuberkel an den inneren Höckern gemein hat, aber von den typischen 
Zähnen des perimensis durch folgende drei Merkmale unterscheidet: Der basale Theil der 
Krone ist höher, die Joche sind im Verhältniss zur Länge breiter und überdies einfacher, und 
die Abkauungsfläche verläuft viel schräger. 

Während Koken hierin nur relativ geringe Abweichungen sehen kann und diesen Zahn 
daher nur als eine Varietät von primensis betrachtet, ist Lydekker geneigt, denselben einer 
besonderen Species zuzuschreiben. Er unterlässt es jedoch, einen Namen hiefür vorzuschlagen. 

Ueber den Erhaltungszustand bemerkt Koken, dass der Zahn an und dunkelgefärbt 
sei und wohl aus einem Mergel stammen dürfte. 


Gesammtlänge des Zahnes 181 mm; Breite des ersten Joches 59 mm 
Dicke, des Schmelzes G— ua, » vierten), „1.608... 


Unter dem mir vorliegenden Materiale ist diese Art nicht vertreten, es müsste denn das 
eine oder andere unbestimmbare Bruchstück hieher gehören. Soferne jedoch diese Art auch 
eine tapiroide Varietät entwickelt hätte, wäre es nicht ganz unmöglich, dass das oben als 
Mastodon Lydekkeri beschriebene Fragment eines oberen letzten Molaren doch hiemit vereinigt 
werden dürfte, wenn auch die Wahrscheinlichkeit hiefür bei dem Fehlen von Kanten an dem 
Koken’schen Original und der beträchtlichen Grösse seiner mittleren Jochhöcker recht gering 
ist. Der Name Mastodon Lydekkeri müsste alsdann auch auf diese, bis jetzt nur als 
Varietät des primensis angesehene Form ausgedehnt werden. 


!) Fossile Säugethiere Chinas, p. 6 (34), Taf. VII, Fig. 1. 
2) Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part IV, p. 57. 


Mastodon sp. ex aff. Pandionis Falc. Taf. XIV, Fig. 4. 
885 Koken. Fossile Säugethiere Chinas. Paläontologische Abhandlungen, p. 9, Taf. VII (XI), Fig. 2. 
1886 Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part IV, p.7. 


Mit Mastodon Pandionis vergleicht Koken ein Fragment eines Molaren — Ma» oder 
M; — aus China, womit sich auch Lydekker einverstanden erklärt hat. Die Breite des 
ersten Querjochs beträgt an diesem Stück 83 mm. 

Wie Koken angibt, stammt dieser Zahn aus einem rothen Thon, ähnlich jenem von 
Pikermi; er gehört mithin unzweifelhaft der Hipparionfauna an. 

Mastodon Pandionis ist eine trilophodonte Form. Er zeichnet sich aus durch die 
lange schmale Kiefersymphyse, welche öfters auch Ineisiven trägt, durch breite Backenzähne 
mit complieirter Krone, welche sowohl vor als hinter dem Medianspalt mit Nebenhöckern ver- 
sehen sind, so dass die Querthäler wenigstens bei den typischen Zähnen vollkommen geschlossen 
sind. Aussen- und Innenhöcker der Joche stehen alternirend. Der Schmelz zeigt verticale 
Fältelung; die Zähne besitzen reichliche Cementbekleidung. Der letzte Oberkiefermolar ist 
relativ kurz. Die Dentinflächen sind unregelmässig gestaltet, nicht kleeblattförmig. 

Mastodon Pandionis ist bis jetzt beobachtet worden in Indien — Insel Perim, Sind, 
Punjab — und in China. 

Unter dem von Herrn Dr. Haberer gesammelten Materiale aus China finde ich ein 
Bruchstück eines letzten Unterkiefermolaren, ein Fragment eines zweiten unteren Prämolaren, 
und einen kleinen aber wohlerhaltenen Prämolaren? des rechten Unterkiefers. Diese Stücke 
stammen aus dem rothen Thon von Schansi und zeigen den nämlichen Erhaltungszustand wie 
die daselbst gefundenen Aceratherium- und Rhinoceros-Zähne Da auch bei diesen 
letzteren das Dentin an der Zunge klebt, so dürfen auch diese Mastodonzähne, welche sich 
hierin ebenso verhalten, unbedenklich zur Hipparionfauna gerechnet werden, welcher ja auch 
der indische Mastodon Pandionis. angehört. 

Der erwähnte erste Zahn des rechten Unterkiefers besitzt nur eine Wurzel, die allerdings 
in der Mitte an beiden Seiten eine tiefe Furche aufweist, wesshalb dieser Zahn auf keinen Fall 
einen Nachfolger gehabt haben kann und daher als Prämolar angesprochen werden darf, 
während der ihm sonst sehr ähnliche Zahn von Mastodon arvernensis!) zwei stark diver- 
girende Wurzeln besitzt und daher unzweifelhaft ein Milchzahn sein muss. Der Zahn besitzt 
je einen grossen Aussen- und Innenhöcker, die etwas gegeneinander verschoben sind und zwei 
sehr viel niedrigere und schwächere Talonhöcker. Ausserdem ist vor und hinter dem ersten 
Höckerpaar und hinter den Talonhöckern noch je ein Zwischenhöcker vorhanden. 

Das Fragment des ersterwähnten kleinen Zahnes ist wohl als Rest des P, zu deuten. 
Es ist leider bloss mehr ein Innenhöcker und der aus zwei grossen und einem kleinen Höcker 
bestehende Talon vorhanden. Die Zahl der Joche muss jedenfalls zwei gewesen sein. Die 
Abkauungsflächen liegen auf der Vorderseite des Joches und des Talons, bei dem von 
Lydekker?) abgebildeten Zahne — pl. XXXV Fig. 2 allerdings auf der Hinterseite —. Beide 
Prämolaren aus China haben anscheinend dem nämliehen Individuum angehört. 

Das Bruchstück des letzten Unterkiefermolaren besteht aus dem letzten Joch und dem 
Talon. Das auffallende Alterniren der Joche, sowie die mächtige Entwickelung des Cements 
sprechen für die Zugehörigkeit zu Mastodon Pandionis oder doch für die nahe Verwandtschaft 
mit dieser Species, wenn auch die sonst für diese Art charakteristische verticale Fältelung des 
Schmelzes nicht besonders deutlich ist. Das Stück vermittelt hinsichtlich der Ausbildung des 
Talons geradezu den Uebergang zwischen den beiden Originalien Lydekkers, insoferne er 
etwas weniger scharf abgestutzt ist wie bei dem einen — pl. XXXIV Fig. 4 —, aber fast 
ebenso grosse Höcker besitzt, wie bei dem anderen pl. XXXV, Fig. 4. 


1) Lortet et E. Chantre. Recherches sur les Mastodontes et les faunes mammalogiques, qui 
les accopagnent. Archives du Museum d’histoire naturelle de Lyon. Tome II, 1878, p. 299, pl. V, fie. 7. 

2) Siwalik and Narbada Proboscidia. Palaeontol. Indica. Ser. X, Vol.I, 1880, p. 32, pl. XXXIV 
bis XXXVII, Fig. 3. 


49 


Der Talon hat zwei grosse Höcker und vor denselben einen starken Zwischenhöcker, 
und aussen und innen noch je einen niedrigen Nebenhöcker. Das letzte Joch besteht aus einem 
grossen Aussen- und Innenhöcker und einem grossen Zwischenhöcker; neben jedem dieser drei 
Höcker befindet sich noch ein Secundärhöcker. 

Dimensionen: 


P, Breite am ersten Querjoech 17 mm; Breite am Talonjoch 15 mm 


Länge des Zahnes 24 „; Höhe des Zahnes Ze: 
P;, Breite am zweiten Querjoch 31? „ ; Breite am Talonjoch 23 „ 
Höhe des Zahnes 24, 
M;, Breite am letzten Querjoch 74 „ ; Breite am Talon Dome 
(an der Basis der Krone) Höhe’am letzten Joch 56 „ 


Mastodon sp. 


Speeifisch nieht näher bestimmbar sind eine Anzahl Molarbruchstücke und drei Stosszahn- 
fragmente. Unter den letzteren befindet sich eine allseitig glatt polirte Spitze eines solchen 
Zahnes. Alle diese Stücke haben schwarzbraune Farbe und stammen demnach aus den röthlich- 
grauen Sanden, aus welchen mir von Probosceidierbackenzähnen nur ein grösseres Fragment 
und ein Milchzahn vorliegt, welchen ich bei Mastodon latidens erwähnt habe, während 
aus der Angabe Kokens der Schluss gezogen werden könnte, dass auch Stegodon Cliftii, 
St. aff. bombifrons und Mastodon perimensis var. sinensis aus diesen Schichten 
stammen, insoferne er von grauer und dunkler Farbe dieser Zähne spricht. 


Perissodactyla. 


Rhinocerotidae. 


Isolirtte Zähne von Rhinoceroten sind unter den Lung tsch’ih reichlich vertreten, aber 
leider gehören vollständig erhaltene grössere Zähne, namentlich Molaren, schon mehr zu den 
Seltenheiten, denn die meisten haben durch das Lostrennen von den Kieferknochen mehr oder 
weniger starke Beschädigungen erlitten. Nur von den kleinsten Zähnen, nämlich den vordersten 
Prämolaren, liegt eine grössere Anzahl unverletzter Exemplare vor. 


Die von Herrn Dr. Haberer gekauften Rhinocerotenzähne zeigen verschiedenartigen 
Erhaltungszustand. Vier derselben, in J’tschang erworben, haben ein sehr frisches Aussehen 
und erweisen sich als geologisch sehr jung — pleistocän, eine etwas grössere Anzahl — etwa 
20 zeichnen sich durch dunkle Farbe aus wie überhaupt alle Säugethierreste, welche angeblich 
von Tientsin stammen. Die überwiegende Mehrzahl hat weisses Dentin und hellgelben oder 
hellgrauen Schmelz; als Fundort sind bei diesen die Provinzen Schansi, Schensi und Sz’tschwan 
angegeben. 


Die mir vorliegenden Zähne lassen sich zwar leicht auf die Gattungen Rhinoceros — 
in weiterem Sinne — und auf Aceratherium vertheilen, allein der genaueren Unterscheidung 
von zwei oder mehr Arten stehen oft erhebliche Schwierigkeiten im Wege, weil ein und der- 
selbe Zahn je nach dem Grade seiner Abnutzung ein sehr verschiedenes Aussehen zeigt. Für 
die Bestimmung dieser isolirtten Zähne war es daher nothwendig, möglichst frische, nicht oder 
doch nur wenig abgekaute Exemplare als Grundlage zu benutzen und daran durch Combination 
alle Veränderungen zu ermitteln, welche während der Functionsdauer eines solchen Zahnes 
möglich sind. Ueberdies musste aber auch die Variabilität der Zähne einer einzigen wohl 
charakterisirten und reichlich vertretenen Art festgestellt werden. Ich wählte als solche 
Aceratherium lemanense Pom. aus dem Untermiocän von Ulm, von welchem die Münchener 
paläontologische Staatssammlung weit über 100, zum grossen Theil noch in Zusammenhang 
befindliche Zähne besitzt. j 

Um diese Variabilität zum präcisen Ausdruck zu bringen, ist die Anwendung einiger 


Abh. d. 11. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 7 


50 


Termini techniei,!) welche für die einzelnen Bestandtheile der Zähne aufgestellt worden 
sind, nöthig. 

Die Zähne setzen sich aus folgenden Bestandtheilen zusammen: 

A. Untere Prämolaren und Molaren: Vorjoch Metalophid Md; Nachjoch Hypolophid Hd; 
Basalband Cingulum e. 

B. Obere Prämolaren und Molaren: Aussenwand Ectoloph E; Vorjoch Protoloph P; 
Nachjoch Metaloph M; Parastyl P,; Crista Cı; Crochet Cy; Anteerochet A; Cingulum C; 
Präfossette Pf; Mediofossette Mf; Postfossette Pf}. 

Die Variationen bei Aceratherium lemanense äussern sich in folgender Weise: 

a) an den unteren P und M: Verschiedene Grösse von gleichstelligen Zähnen; wechselnde 
Stärke des Cingulums; continuirlicher Verlauf desselben resp. Beschränkung des Cingulum auf 
Vorder- und Hinterseite des Zahnes. 

b) an den oberen P und M: Verschiedene Grösse von gleichstelligen Zähnen; wechselnde 
Stärke der Brücke zwischen den beiden Jochen der P; breiteres oder schmäleres Cingulum 
und grösserer oder geringerer Abstand desselben von ir Jochen; Anwesenheit resp. Fehlen 
des Cingulum an der Vorderinnenecke der M; Anwesenheit, resp. Fehlen der Crista und des 
Crochet an den P und des Crochet an den M; verschieden starke Entwickelung dieser Secundär- 
bildungen, im Maximum der Entwickelung an den P sogar zur Bildung einer Mediofossette 
führend; Anteerochet einfach oder an seiner Basis einen bald längeren bald kürzeren Fortsatz 
gegen den Ausgang des Querthales aussendend; Anwesenheit resp. Fehlen eines Basalhöckers 
am Ausgang des Querthales. 

Die Variabilität hat demnach einen ziemlich weiten Spielraum, ohne dass jedoch die 
wesentlichen Merkmale der. Speeies verwischt würden, nur scheint bezüglich der Anwesenheit 
resp. des Fehlens von Crista und Crochet und der verschiedenen Stärke dieser Secundärbildungen 
bei Abfassung von Speciesdiagnosen einige Vorsicht geboten zu sein. 

Die fossilen chinesischen Rhinoceroten wurden bisher auf sieben Arten vertheilt, nämlich: 

Aceratherium Blanfordi Lyd. var. hipparionum Koken. Taf. V, Fig. 9, 10. 

Rhinoceros (Aceratherium?) plicidens Koken. Taf. VI, Fig. 6, 7. 
sinensis Ow. Koken. Taf. III, Fig. 1, 2, Taf. VI, Fig. 1. 
sivalensis Fale. et Caut. Koken. Taf. V, Fig. 11, Taf. VI, Fig. 2—5. 
simplicidens Koken. Taf. V, As ZES: 

Fa ler NR Deere Alain \; Fig. 6 

Bei dr Spärlichkeit des Materiales, welches meinem Vorgänger Koken zur Verfügung 
stand, ist es nicht zu verwundern, dass er verschiedene Stücke nicht näher bestimmt, sondern 
bloss als Rhinoceros sp. bezeichnet hat, dagegen halte ich es für verfehlt, dass lan 
Rhinoceros sinensis eingezogen und mit Rhinoceros sivalensis vereinigt hat, einer Art, 
deren Zähne recht mangelhaft bekannt sind,?) trotzdem hievon eine ziemliche Anzahl existirt. 


” 


” 


7 


!) Es existiren zwar hiefür verschiedene Bezeichnungen, ich wähle jedoch jene, welche Osborn 
in seiner Monographie: The Extinet Rhinoceroses. Memoirs of the American Museum of Natural 
History. New York 1898 anwendet, denn dieses Werk wird doch voraussichtlich in Zukunft die Basis 
für das Studium der Rhinocerotiden bilden und überdies ist seine Nomenclatur zum Theil ohnehin 
nicht allzu verschieden von jener, welche die französischen und englischen Autoren schon: bisher benutzt 
haben, sondern mehr eine blosse Erweiterung derselben. Dagegen halte ich es nicht für zweckmässig, 
die von Koken gewählten Ausdrücke zu ceitiren, da dieselben so gut wie gar keinen Anklang gefunden 
haben und überdies auch ganz gut durch die Osborn’schen Bezeichnungen ersetzt werden können. 

2) Lydekker bildet hievon ab: Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Palaeontologia 
Indiea. Ser. X, Vol. II, Part I, Siwalik Rhinocerotidae. 1881, p. 28, pl. V, Fig. 1, 2, zwei obere M,, 
Fig. 4 einen oberen M,, Fig. 5 einen oberen D,, fälschlich als M bestimmt, Fig. 3 einen oberen P,, 
Fig. 6 einen oberen P,, Fig. 7 einen oberen M der Varietät gayensis. 

pl. VI, Fig. 2 ein Milchgebiss der Var. gayensis. Fig. 3 einen Unterkiefer. 

pl. VII, Fig. 1 ein Cranium und pl.X, Fig. 4 einen Schädel. 

Ferner in: Additional Perissodactyla. Ibidem, 1884, Vol. III, Part I, p.5, pl. I, Fig. 4 einen 


9l 


Allein selbst aus den wenigen Abbildungen, welche Lydekker hievon gibt, geht doch soviel 
hervor, dass sie von allen chinesischen Rhinocerotidenzähnen verschieden sind. Ich komme 
hierauf noch später zu sprechen. 

Rhinoceros simplieidens Koken basirt lediglich auf zwei Zähnen, einem unteren P, 
und einem oberen M,. Beide lassen sich ohne Zwang auf sinensis beziehen. 

Rhinoceros ? Aceratherium plieidens Koken wurde auf zwei ganz frische Zähne, 
einen unteren M; (?) und einen oberen Ma begründet. Die Deutung als Aceratherium ist 
wegen der beträchtlichen Höhe der Zahnkronen ohne Weiteres ausgeschlossen. Der obere My 
erweist sich jedoch wirklich als Vertreter einer besonderen Species. 

Von den beiden Zähnen, welche Koken nur als Rhinoceros sp. anführt, lässt sich der 
eine — Taf. V, Fig. 6 — mit einer neuen, von mir beschriebenen Art vereinigen, der andere 
— Taf. III, Fig. 3 — gehört wohl zu Rhinoceros plieidens. 

Von den sieben aus China bisher beschriebenen Rhinocerotidenarten bleiben demnach nur 
drei bestehen, Aceratherium Blanfordi Lyd., Rhinoceros plieidens Koken, Rhinoceros 
sinensis Owen. 

Auf diese drei Arten wäre nun auch das mir vorliegende Material zu vertheilen. Ich 
darf hier wohl gleich vorausschieken, dass die beiden letzteren Arten, wie ich mich durch die 
Besichtigung der Koken’schen Originale, welche mir Dank dem liebenswürdigen Entgegen- 
kommen des Herrn Geheimrath Prof. W. Branco in Berlin ermöglicht wurde, überzeugt habe, 
von der Hauptmasse des fossilen chinesischen Säugethiermateriales ausgeschieden werden müssen, 
da sie nicht aus den Pliocänablagerungen, sondern unzweifelhaft aus dem Löss stammen und 
mithin nur pleistocänes Alter besitzen. Von diesen beiden pleistoeänen Rhinocerotidenarten 
ist unter dem von Herrn Dr. Haberer gesammelten Materiale sicher nur Rhinoceros plieidens 
und auch dieser nur sehr spärlich vertreten, dagegen ist es etwas fraglich, ob ein mir vor- 
liegender unterer D; zu sinensis gerechnet werden darf. Allein selbst wenn sich dieser als 
zu sinensis gehörig erweisen sollte, wäre doch auch unter dem neuen Material eine weitere 
pleistocäne Art vertreten, nämlich Rhinoceros tichorhinus, recte antiquitatis Blumb. 

Die überwiegende Mehrzahl der Rhinocerotidenzähne des von Herrn Dr. Haberer 
gesammelten Materiales erweist sich jedoch als ächt tertiär und stimmt hinsichtlich seines Br- 
haltungszustandes auf das Allerbeste mit den Hipparion-, Cerviden- und Antilopenzähnen 
dieser Colleetion überein. Der kleinere Theil dieses Materiales schliesst sich an Aceratherium 
Blanfordi an, der grössere Theil muss als eine neue. Species aufgefasst werden, die ich zu 
Ehren des Gebers Rhinoceros Habereri benenne. 

Innerhalb dieser beiden Arten ist jedoch ein weiter Spielraum für Varietätenbildung 
gegeben, die aber doch die Grenzen nicht überschreitet, welche sich hiefür bei Aceratherium 
lemanense ermitteln liessen. Immerhin hielt ich es für zweckmässig, bei der Detailbeschreibung 
den eigentlichen Typus gesondert zu behandeln und als solchen den Varietäten gegenüber zu 
stellen. Die Unterschiede bestehen vorwiegend in Grössendifferenzen, welche wohl als sexuelle 
Merkmale aufgefasst werden dürfen, dann aber auch in stärkerer oder schwächerer Ausbildung 
der Crista, ein Unterschied, welchem jedoch keine grosse Bedeutung beigemessen werden darf, 
da sich sogar zwei benachbarte Zähne ein und desselben mir vorliegenden Öberkiefers hierin 
verschieden verhalten. Auch die schärfere oder schwächere Trennung der Joche an den oberen 
Prämolaren stellt lediglich eine individuelle Variation dar. 

Erheblieher sind dagegen die Differenzen zwischen den Zähnen der Rhinocerotiden- 
Zähnen aus Schansi, Schensi und Sz’tschwan, welche weisse Farbe besitzen und in einer 
rothen thonigen Matrix eingebettet sind, und den dunkelfarbigen, welche offenbar aus den 
röthlichgrauen sandigen Schichten stammen, welche vorwiegend Ueberreste von Cerviden 
geliefert haben. Einige dieser Zähne zeichnen sich durch die starke Verästelung von Ürista 


oberen M, oder M, der Varietät gayensis. Seine Abbildungen sind insgesammt wenig charakteristisch, 
obwohl es an Material hiefür nicht gefehlt hätte, denn in seinem Catalogue of the Remains of Siwalik 
Vertebrata in the Indian Museum. Caleutta 1885 p. 61—63 zählt Lydekker nicht weniger als 7 Ober- 
kiefer mit Zähnen, zum Theil vollständig, und eirca 20 isolirte Oberkiefermolaren und Prämolaren auf. 


Is: 


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2 


[eb | 


und Crochet aus. Auch die Ausbildung des Basalbandes weicht von den Zähnen des typischen 
Rhinoceros Habereri ab und ausserdem ist auch die Einbuchtung der Aussenwand viel 
bedeutender. Ich benenne diesen Rhinocerotiden Rhinoceros Brancoi. 

Einige andere dunkelgefärbte Zähne schliessen sich dagegen mehr an Aceratherium 
Blanfordi an. Ihre Zahl ist jedoch zu gering, als dass sich die Aufstellung einer besonderen 
Speeies rechtfertigen liesse; auch ist es nicht einmal vollkommen sicher, ob sie wirklich ein 
und derselben Art angehören; denn einer derselben, ein oberer zweiter Molar, hat auch einige 
Aehnlichkeit mit dem entsprechenden Zahn von Rhinoceros sivalensis, insoferne Antecrochet 
und Christa schwächer entwickelt sind als bei Blanfordi. Dieser Zahn befindet sich im 
Berliner Museum für Naturkunde, wo auch die beiden vollständigsten Molaren von Rhino- 
ceros Brancoi aufbewahrt werden. Sie scheinen erst nach der Veröffentlichung der Koken’- 
schen Monographie erworben worden zu sein, da Koken dieselben nicht erwähnt. 

Es wäre noch zu bemerken, dass aus den rothen Thonen einige wohlerhaltene Oberkiefer- 
molaren vorliegen, welche zwar in ihrer Zusammensetzung durchaus mit solchen von Rhino- 
ceros Habereri übereinstimmen, allein in der Grösse weichen sie sehr bedeutend hievon ab. 
Da aber auch bei Rhinoceros sivalensis ungewöhnlich starke Grössendifferenzen vorzukommen 
scheinen, so wird es sich empfehlen, auch diese wenigen Stücke vorläufig nur im Anschluss an 
Rhinoceros Habereri als Varietät zu besprechen. 

Die Zahl der in China nachweisbaren fossilen Rhinocerotiden beträgt demnach mindestens 
sieben. Hievon stammen drei aus unzweifelhaftem Pleistoeän, nämlich: Rhinoceros sinensis 
Ow., Rhinoceros plieidens Kok., Atelodus antiquitatis Blumb., und vier aus Pliocän 
und zwar aus den rothen Thonen: Rhinoceros Habereri n. sp. mit mindestens einer Varietät 
und Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. und aus den röthlichgrauen Sanden 
Rhinoceros Brancoi n. sp. und Aceratherium, Ceratorhinus sp. Selbst die Genus- 
bestimmung bleibt hier durchaus unsicher, wenn auch die Deutung als Aceratherium einen 
höheren Grad von Wahrscheinlichkeit für sich hat. 


. Rhinoceros sinensis Owen. 

1870 Owen. Chinese Fossil Mammals. Quarterly Journal of the Geological Society of London, p. 424, 
pl. XXIX, fig. 1—3. f 

1855 Koken. Fossile Säugethiere aus China, p. 24, Taf. III, Fig. 1, Taf. VI, Fig. 1. 

1885 h Rhinoceros sivalensis. Ibidem, p. 39, Taf. V, Fig. 11?, Taf. VI, Fig. 3—5. 

1885 5 E simplicidens. Ibidem, p. 32, Taf, V, Fig. 7, 8. 

1886 Lydekker. Rhinoceros sivalensis, Catalogue of Fossil Mammalia in the British Museum 
Part III, p. 130. 

Owens Material bestand aus Theilen von vier oberen und vier unteren M, von denen 
aber nur zwei, ein oberer M; und die Aussenseite eines angeblichen P; abgebildet wurden. 
Koken stellte das erstere der Owen’schen Originale zu Rhinoceros sivalensis, für die 
Owen’sche Species sinensis gab er zugleich eine genauere Diagnose. Lydekker vereinigte 
dann auch sinensis mit sivalensis, eine Auffassung, welche ich aufs Allerentschiedenste 
bekämpfen muss. 

Ich hätte nun erwartet, dass unter den zahlreichen mir zu Gebote stehenden Rhino- 
cerotenzähnen nicht wenige sich als zu sinensis gehörig erweisen würden: Allein trotz 
wiederholter genauester Durchmusterung dieses Materiales konnte ich eigentlich nur einen 
‚einzigen Zahn auffinden, welcher sich allenfalls als solcher von sinensis bestimmen liess und 
dieser zeigt einen von weitaus den meisten übrigen Rhinocerotenzähnen aus China durchaus 
abweichenden Erhaltungszustand, so dass sich mir sofort der Gedanke aufdrängte, dass Rhino- 
ceros sinensis überhaupt keine Art aus dem Tertiär, sondern vielmehr eine solche aus dem 
Pleistocän sein dürfte. ' 

Diese Frage liess sich freilich nur durch die direete Untersuchung der Koken’schen 
Originale beantworten, wesshalb ich mich an Herrn Geheimrath Prof. W. Branco wandte mit 
der Bitte, mir diese Stücke zur Ansicht zu schicken, welcher Bitte, wie ich hier mit auf- 
richtigem Danke anerkenne, auch mit der grössten Bereitwilligkeit entsprochen wurde. 


53 


‘Wie ich vermuthet hatte, sind nun diese Originale von sinensis wirklich durchaus anders 
erhalten als die grosse Mehrzahl der übrigen Säugethierreste aus China. Sie sind nicht rein- 
weiss und auch nicht vollständig petrifieirt, sondern mehr gelb gefärbt und kleben sehr stark 
an der Zunge, wie dies bei wirklich tertiären Säugethierresten niemals vorkommt. Da auch 
das noch anhaftende Gestein weder Thon noch Sandstein, sondern ächter Löss oder Höhlenlehm 
von gelbbrauner Farbe ist, so scheidet diese Art aus der Reihe der Tertiärarten aus. Die 
Angabe Owens, dass die von ihm beschriebenen Thierreste aus einer Höhle bei Tschung king Fu 
stammen, wird hiedurch einigermaassen bestätigt, dagegen erscheint es nunmehr durchaus über- 
flüssig, die speeifische Verschiedenheit des Rhinoceros sinensis von dem ächt tertiären 
Rhinoceros sivalensis näher zu begründen. Bei dem wichtigsten der Koken’schen Originale 
von sinensis oberer Pa — Taf. VI, Fig. 2 — ist eine Vermengung mit sivalensis schon 
aus morphologischen Gründen unzulässig, das Nämliche gilt ferner für die beiden oberen P, 
— Taf. III, Fig. 1, 2 —, welche Koken irriger Weise als Milchzähne gedeutet hat. Aber 
selbst die von ihm als sivalensis bestimmten Zähne, zwei obere M; — Taf. III, Fig. 5, 6 — 
und ein oberer P, (?) — Taf. V, Fig. 11 — unterscheiden sich schon durch ihre viel geringeren 
Dimensionen von dem wirklichen sivalensis, dessen P ausserdem anscheinend ein kräftiges, 
inneres Basalband besitzen. 

Die Zahl der von sinensis vorliegenden Zähne ist jedoch viel bedeutender als Koken 
geglaubt hat, denn es gehören nicht nur seine Originale zu sivalensis hierher, sondern auch 
die seines Rhinoceros simplicidens. Wir kennen also von Rhinoceros sinensis 
folgende Zähne: 

Unterkiefer: P, (simplicidens) Taf. V, Fig. 8; P, (sivalensis) Taf. VI, Fig. 3; 
Mı nicht abgebildet. 

Oberkiefer: P, Taf. III, Fig. 1, 2 (Fig. 2 fraglich ob sinensis, vielleicht plieidens); 
Pı Taf. VI, Fig. 1; ? P, (sivalensis) Taf. V, Fig. 11, jedenfalls nicht sivalensis und eher 
Mı als P, (vielleicht von plieidens); M, oder D;? simplicidens Taf. V, Fig. 7 (frisch); 
M; sivalensis Taf. VI, Fig. 4, 5. 

Koken legte bei Aufstellung der Diagnose von Rhinoceros sinensis grosses Gewicht 
auf die Beschaffenheit der Aussenwand, welche hier zwei verticale Rippen besitzt, die bis zur 
Basis gehen. Ich stimme hierin gerne bei, aber mit der Einschränkung, dass die Anwesenheit 
dieser zwei Rippen wohl nur für die Prämolaren, nieht auch für die Molaren gilt, und dass 
selbst an den P die zweite Rippe individuell sicher doch auch recht schwach werden kann. 

Unterkieferzähne. Ausser durch ihre Kleinheit zeichnen sich die P und M von 
sinensis durch die kantige Ausbildung des Vorjoches aus, die P ausserdem durch die sehr 
schwache Ausbildung des Basalbandes. An Ps fehlt dasselbe sogar vollständig. Die Oberfläche 
ist an frischen Zähnen mit groben, vertical angeordneten Runzeln bedeckt. Das Nachjoch bildet 
abgekaut von oben gesehen eine Nförmige Figur. 

P; Länge 20 mm; Breite an Basis 14 mm 
P; » 36 „5; » » » 26 „ 
Mı ” 38 ,; ” D) ” 29 „ 

Unter dem von Herrn Dr. Haberer gesammelten Material finde ich nur einen einzigen 
unteren Milchzahn-— D; —, der allenfalls zu sinensis gehören könnte. Er ist aber leider 
sehr wenig charakteristisch. 

Oberkieferzähne. Die Höhe ist auch hier, selbst an frischen Zähnen, nicht sehr be- 
deutend, das Basalband fehlt an der Innenseite vollständig, am Vorderrande ist es dagegen 
gut entwickelt, aber etwas nach vorne umgeschlagen. Frisch zeigt es namentlich an der 
Hinterseite des Zahnes eine auffällige Granulirung. Die beiden Joche sind fast bis an die 
Basis durch ein tiefes Thal getrennt. Die Postfossette bildet einen weit hinabreichenden 
Trichter. Die Hinterseite des Zahnes zeigt an dieser Stelle einen tiefen Einschnitt. Die 
Aussenwand der P hat hinten eine scharfe Kante, die bis zur Basis fortsetzt und ausser dem 
Parastyl noch eine zweite Rippe, die ebenfalls sehr weit herabgeht. 

Soferne auf diese Ausbildung der Aussenwand das Hauptgewicht gelegt wird, muss der 
eine der beiden von Koken als Milchzähne gedeuteten P, — Fig. 2 — von dieser Species 


54 


ausgeschlossen werden, was auch insoferne ziemlich berechtigt erscheint, als er ausserdem auch 
bedeutend höher ist als der andere — Fig. 1. Dann wäre allerdings die Ausbildung von 
Crochet und Crista sehr variabel, da dieselben an beiden P, vollständig fehlen. Immerhin 
würde dies keineswegs gegen die specifische Identität sprechen, da auch an dem einen der 
beiden M; — dem Original zu Fig. 4 — keine Crista vorhanden ist. An M; wäre auch die 
Ausbildung des Basalpfeilers in der hinteren Innenecke bedeutenden Abweichungen unterworfen. 


Ganz sicher gehört zu sinensis der frische, von Koken als simplieidens beschriebene 


obere M; oder D; — Taf. V, Fig. 7, dessen Crochet den nämlichen Verlauf zeigt — schräg 
zur Aussenwand und dem Nachjoch wie an dem P, — Taf. VI, Fig. 1 — und an dem M; 
— Taf. VI, Fig. 5 — von denen der erstere als Typus von sinensis aufgefasst werden muss. 


Dass dieser Mı oder D, keine Crista besitzt, halte ich keineswegs für ein Hinderniss, ihn doch 
mit Rhinoceros sinensis zu vereinigen. 
Die Dimensionen der sicher zu sinensis gehörigen oberen P und M sind: 


123 Länge 3l mm; grösste Breite 32,5 mm 
Pa ” 38 DE) ” ” 50 ” 
Mı (@) ” 45 5 ” ” 46 ” 2 
M3 »„ 43 „(an Innenseite); # 2 


Die Länge der Zahnreihe wäre ungefähr 220 mm. 

Fraglich bleibt dagegen die specifische Stellung des erwähnten. Koken’schen Originales 
des oberen P, — Fig. 2—, sowie eines von Herrn Dr. Haberer erworbenen oberen P;3. Ich 
bin eher geneigt, diese Zähne mit Koken’s Rhinoceros plicidens zu vereinigen. Eine 
Unterscheidung nach der Schmelzstructur ist gänzlich ausgeschlossen, da sich beide Arten hierin 


gleich verhalten — sehr dünne verticale. untereinander anastomosirende Rippehen und da- 
zwischen feine Punktreihen. 
Von dem vermeintlichen Ps von sivalensis — Koken Taf. V, Fig. 11 — ist nur soviel 


sicher, dass er nicht zu dieser, unzweifelhaft aus dem Tertiär stammenden Species gehören 
kann, dagegen bin ich keineswegs davon überzeugt, dass er wirklich ein P, sein muss, denn 
für einen solehen ist er ungewöhnlich stark abgekaut, während starke Abnutzung gerade als 
ein Merkmal von Mı betrachtet werden darf. Für die Deutung als Mı spricht ferner das 
vollständige Fehlen jeder Spur eines Basalbandes am Nachjoch und am Ausgang des Querthales, 
vor Allem aber die tiefe Ausbuchtung der Aussenwand gegenüber dem Ursprung des Nach- 
joches. Dass bei den wirklichen oberen M des Rhinoceros sinensis wahrscheinlich keine 
zweite Rippe an der Aussenwand vorhanden war, habe ich schon oben bemerkt. 


Gegen die Annahme, dass wir es doch mit einem Mı zu thun haben, liesse sich nur 
anführen, dass dieser Zahn an der Basis breiter ist als der von simplieidens Koken, welchen 
ich als Mı von sinensis deuten möchte und dass letzterer auch anscheinend kein so starkes 
äusseres Basalband besitzt. Unter diesen Umständen halte ich es für besser, diesen Zahn nicht 
näher zu bestimmen und ihn hier lediglich der Vollständigkeit halber anzuführen. Seine 
Dimensionen sind: 


Länge der Aussenwand 41 mm; Breite vorn 52 mm; Breite hinten 46 mm. 


Rhinoceros sinensis war ein verhältnissmässig kleines Thier. Sein nächster Ver- 
wandter ist nach Koken Rhinoceros platyrhinus aus der Siwalikfauna, wenigstens besitzt 
die Aussenwand der oberen P, auch hier zwei Verticalrippen. Allein bei Rhinoceros 
platyrhinus!) ist diese zweite Verticalrippe auch unzweifelhaft an den M vorhanden, wenn 
auch bedeutend schwächer als an den P, während ich dies für Rhinoceros sinensis bestreiten 
möchte. Bei platyrhinus scheinen ferner die Joche der P viel weniger scharf getrennt zu 
sein als bei sinensis, auch ist das Cingulum weniger kräftig und die Postfossette kaum so 
tief wie bei sinensis. Ueberdies ist die indische Art entschieden viel grösser und stammt 
ausserdem aus ächten Tertiärschichten. 


) Palaeontologia Indica. 1881, Vol. II, Part I, p. 48, pl. VIII. 


59 


In letzterer Hinsicht könnte man eher an die Identität mit Rhinoceros karnuliensis!) 
Lydekker denken, welche Art auch in der Grösse und in der Beschaffenheit der oberen M 
dem sinensis sehr ähnlich ist. Leider kennt man von karnuliensis keine vollständigen 
oberen P, denn an dem einzigen bis jetzt beschriebenen P; (?) fehlt die Aussenwand, auch 
besitzt derselbe keine Crista. Im Uebrigen ist auch er den P von sinensis recht ähnlich. Ich 
halte es daher für nicht ganz ausgeschlossen, dass sich bei genauerer Kenntniss der beiden 
Formen speeifische Identität ergeben könnte. Die Hauptschwierigkeit für die Vereinigung beider 
Arten bestände weniger in morphologischen, als in geographischen Verhältnissen, denn es ist 
eben doch fraglich, ob eine Species noch im Pleistoeän von China nach Indien kommen konnte. 

Rhinoceros karnuliensis wird von Lydekker -wegen der Kürze der Unterkiefer- 
symphyse und der Abwesenheit von Caninen zu den Atelodinae gestellt. Bei der Aehnlichkeit 
der Backenzähne von sinensis mit denen von karnuliensis ist es ziemlich wahrscheinlich, 
dass auch sinensis in diese Unterfamilie gehört, indessen reicht das bis jetzt vorhandene 
Material nicht aus, diese Frage mit Sicherheit zu entscheiden. Dies wäre erst dann möglich, 
wenn auch von sinensis wenigstens die Unterkiefersymphyse bekannt wäre. Diese Unsicherheit 
ist um so grösser, als Rhinoceros platyrhinus, welcher im Zahnbau ebenfalls dem sinensis 
ziemlich ähnlich ist, von Lydekker zu den Atelodinae, von Osborn aber zu den Cerato- 
rhinae gerechnet wird. Koken vergleicht sinensis mit indieus und findet, dass die 
chinesische Art wegen der nicht sinuösen Ausbildung der Aussenwand und der complieirten, 
mit drei Schmelzgruben versehenen Kaufläche der Gruppe des Rhinoceros indicus zuzutheilen 
sei — also der Unterfamilie der Rhinocerotinae. 

Ich für meinen Theil möchte dagegen sinensis wegen der Aehnlichkeit mit karnu- 
liensis doch lieber bei den Atelodinae unterbringen, also bei den Formen mit langem 
breiten Schädel, breitem, niedrigen, überhängenden Oceiput, mit je einem Horn auf Nasen- und 
Stirnbeinen, mit abgestutzten Nasenbeinen, meist ohne Ineisiven und Caninen. 


In der Gegenwart lebt diese Gruppe nur mehr in Africa, — Atelodus simus und 
bicornis, fossil kennt man sie erst aus dem Pliocän — pachygnathus Wagner und Neu- 
mayri Osborn — und Pleistoeän — antiquitatis und hemitoechus —. Keine dieser 


Formen ist jedoch mit sinensis näher verwandt. Wir wissen daher auch weder, von welcher 
Art sinensis abstammt, noch auch, ob und was für Nachkommen dieser Rhinocerotide 
‘ hinterlassen hat. 


Atelodus antiquitatis Blumenb. 
1872. Archives du Museum d’Histoire naturelle de Lyon. Tome I, pl. XV, fig. 3. 


Unter den Säugethierresten, welche Herr Dr. Haberer in J‘tschang gesammelt hat, 
befindet sich ein sehr frischer Zahn des linken Unterkiefers, wohl ein M,, welcher mit solchen 
des Atelodus antiquitatis so vollständig‘ übereinstimmt, dass ich kein Bedenken trage, ihn 
direet zu dieser Art zu stellen. In den Vertiefungen hat sich noch Cement erhalten, die noch 
anhaftenden Gesteinspartikelchen sind Löss. Auch die gelblichweisse Farbe kommt bei Rhino- 
ceroszähnen aus dem Löss sehr häufig vor. 

Dass dieser Zahn wirklich auf antiquitatis bezogen werden darf, geht aus seinem Aus- 
sehen aufs Bestimmteste hervor. Charakteristisch ist für die Unterkieferbackenzähne die starke 
Verjüngung der ziemlich hohen Zahnkrone nach unten, sowie das Anschwellen des Innenendes 
des Vorjoches, die starke Umbiegung des Nachjoches nach vorwärts und die Rückwärtsbiegung 
des Vorderrandes des Zahnes. Er hat grosse Aehnlichkeit mit den Zähnen des Unterkiefers, 
welehen Lortet und Chantre — 1.c. — abbilden, namentlich mit dem M, dieses Kiefers. 

Das Vorkommen von Rhinoceros antiquitatis in China wird zuerst von Gaudry°) 
erwähnt und auf diese Notiz bezieht sich auch Brandt in seiner Monographie der Tiehorhinen.?) 


I) Palaeontologia Indica. 1886, Vol. IV, Part II, p. 40, pl. X. 

2) Bulletin de la societe geologique de France. 1371/72, Tome XXIX, p. 178. 

3) Versuch einer Monographie der tichorhinen Nashörner. M&moires de l’academie imperiale 
des sciences de St. Petersburg. VII. Serie, Tome XXIV, No. 4, 1877, p. 57. 


56 


Die Gaudry’schen Originale bestehen allerdings nur in Extremitätenknochen und einem Nasen- 
fragmente. Sie wurden von Abb& David nach Paris geschickt und stammen von Süen hoa fu, 
nordwestlich von Peking. 

Durch den von Herrn Dr. Haberer geschenkten Zahn aus Hupe wird der Nachweis 
erbracht, dass Rhinoceros antiquitatis mindestens bis zum Yangtsekiang verbreitet war. 


Rhinoceros plieidens Koken. 
1835 Koken. Fossile Säugethiere aus China, p. 22, Taf. VI, Fig. 6, 7. 
1885 Koken. ?Rhinoceros sivalensis Ibidem, p. 30 (? Taf. V, Fie. 11), Taf. VI, Fig. 2. 
. & sp. 5 p. 34, Taf. III, Fig. 3. 


Koken begründete diese Art auf einen riesigen Molaren — My — des rechten Ober- 
kiefers und stellte dazu auch einen frischen Unterkiefermolaren. Ich glaube jedoch, dass 
auch ein unterer und vielleicht auch ein oberer Prämolar hieher gestellt werden darf, welche 
Koken als sivalensis beschrieben hat, ferner der untere M von Rhinoceros sp., sowie ein 
von Koken nicht abgebildeter P; des linken Unterkiefers. Wahrscheinlich gehört aber auch 
noch einer der beiden P, hierher, welche Koken als Milchzähne von sinensis gedeutet hat — 
Taf. VI, Fig. 2. Alle diese Zähne stammen, wie ihr Erhaltungszustand erkennen lässt, nicht 
aus dem Plioeän, sondern aus dem Pleistocän. 


Unter dem von Herrn Dr. Haberer gesammelten Materiale befindet sich ein halber P, oder P; 
des rechten Oberkiefers, und ein unterer Prämolar, P/, welche gleichfalls zu dieser Art gestellt 
werden dürfen, weil sie ihrem Erhaltungszustande nach unzweifelhaft pleistocänes Alter besitzen, 
für Rhinoceros sinensis aber entschieden zu gross sind, und eine weitere pleistocäne Art 
nieht existirt, der sie sonst noch angereiht werden könnten. Der obere P wurde von Herrn 
Dr. Haberer in.Peking erworben und soll aus dem Thibetfluss, wie der Yangtsekiang auch 
öfters genannt wird, stammen. Der untere M wurde in J’tschang gekauft und dürfte vielleicht 
auch in der Umgebung dieser Stadt gefunden worden sein. Auch der schon bei sinensis 
erwähnte Milchzahn — D; — aus J’tschang könnte vielleicht doch zu plicidens gehören. 


Das Koken’sche Original — Taf. VI, Fig. 6 — ist der rechte obere M, eines sehr 
grossen, hypsodonten Rhinocerotiden. Die Aussenwand erscheint am Ursprung des Nach- 
joehs — Metaloph — ziemlich tief eingebuchtet. Der Parastyl ist ziemlich schwach, reicht 
aber fast bis zur Basis. Die Vorderaussenecke ist nur wenig vorgezogen. Die Einschnürung 
am Innenende des Vorjoches — Protoloph -— ist sehr gering. Das lange Crochet bildet mit 
der Aussenwand einen ziemlich spitzen Winkel. Statt einer Crista hat dieser Zahn zwei längere 
und damit alternirend noch zwei, allerdings sehr kurze vorspringende Leisten. Eine weitere 
solehe Leiste geht auch vom Vorjoch in die Mediofossette. Die Postfossette ist ziemlich tief. 
Das dicke gekörnelte Cingulum umgibt die ganze Basis des Vorjoches. 

Der Zahn hat folgende Dimensionen: 


Länge der Aussenwand gegen die Mitte 72 mm 


- „ Innenseite DD, 
Breite vorn 76 mm; Breite hinten 58 mm. 
- Das zweite Original — Fig. 7 — ein unterer M zeichnet sich durch die starke, fast 


rechtwinkelige Biegung des Vorjoches und durch seine beträchtliche Höhe aus. Seine Länge 
‚ist 47 mm, seine Breite 27 mm (an der Basis), seine Höhe. 52 mm. 


Ein von Koken nicht beschriebener, ziemlich stark abgekauter P; des linken Unterkiefers 
hat eine Länge von 34 mm. Das Koken’sche Original zu sivalensis — Taf. VI, Fig. 2 — 
ist ein noch stärker abgenutzter P,, ebenfalls des linken Unterkiefers. Er könnte seinem Aus- 
sehen und dem Grade der Abkauung nach recht gut von dem nämlichen Individuum stammen 
wie der eben erwähnte P,. Er hat eine Länge von 37 mm. Das Basalband ist an beiden 
Zähnen schwächer als an jenem M, aber nur in Folge des Druckes, den die Zähne gegenseitig 
während des Zahnwechsels aufeinander ausüben. Frisch war es sicher mindestens ebenso 
stark wie an diesem. 


57 


Der untere M aus J’tschang stimmt, abgesehen von seinen bedeutenderen Dimensionen 
und seiner schon ziemlich fortgeschrittenen Abkauung, ganz gut mit dem Koken’schen Originale 
überein. Letzteres wäre alsdann ein erster, der Zahn aus J‘tschang dagegen ein zweiter Molar 
des linken Unterkiefers. Seine Länge ist 48 mm, seine Breite 34 mm. Ein M, kann es nicht 
gewesen sein, da beide Joche nach Innen zu ganz parallel verlaufen, während sie an M, ziemlich 
stark divergiren. Das Koken’sche Original zu Rhinoceros sp. — Taf. III, Fig. 3 — ist 
wohl doch nur ein rechter unterer M von plicidens. 

Während an der specifischen Identität der eben erwähnten Zähne kaum zu zweifeln ist, 
bleibt die Speeiesbestimmung von drei oberen Prämolaren durchaus unsicher. Es sind dies: 


Ein rechter oberer P,, das Koken’sche Original von sinensis — Taf. III, Fig. 2 
5 n » Ps, von Dr. Haberer erworben und 
R a »„ Pa, das Koken’sche Original von sivalensis — Taf. V, Fig. 11. 


Die bedeutende Höhe der Krone der beiden ersteren Zähne scheint gegen die Zuge- 
hörigkeit zu Rhinoceros sinensis zu sprechen, bei dem selbst P, in frischem Zustande nicht 
so hoch gewesen sein kann, wie der erwähnte P, — Taf. III, Fig. 2. Beide unterscheiden sich 
von typischen Zähnen des sinensis auch durch die schwache Entwickelung der zweiten Rippe 
an der Aussenwand, ein Merkmal, auf welches ich freilich nicht allzu viel Gewicht legen möchte 
und ausserdem, und dies scheint mir ziemlich wichtig zu sein, dadurch, dass das Basalband 
vom Vorjoch sehr weit absteht, während es bei dem unzweifelhaft zu sinensis gehörigen 
oberen P, — Taf. III, Fig. 1 — mit dem Vorjoch förmlich verschmolzen ist. Ferner sind 
die beiden Joche viel weniger scharf von einander getrennt als bei diesem, und endlich haben 
sie im Gegensatz zu dem erwähnten Zahn ein allerdings nur kurzes Crochet. 


Dimensionen: 
P, Länge in Mitte der Aussenwand 32 mm; Höhe der Krone 43 mm; Breite am Nachjoch 34 mm 


P; ” » D) n » 5 » D) n 58 „ a 

Den vermeintlichen P, von sivalensis — Taf. V, Fig. 11 — habe ich schon bei sinensis 
besprochen. Soferne er sich wirklich als P; und nicht etwa doch als M, erweisen sollte, 
könnte er nur auf pliecidens bezogen werden, da wir die Existenz einer dritten, ausschliesslich 
chinesischen Rhinocerosspecies im Pleistoeän doch nicht wohl annehmen können. 

Bei der vorigen Species habe ich auch schon bemerkt, dass der von Dr. Haberer in 
J’tschang erworbene untere Milchzahn — ein rechter D; — wegen seines indifferenten Baues 
keine sichere Bestimmung gestatte. Der Vollständigkeit halber muss ich auch hier auf ihn 
zurückkommen. Da er etwas kleiner ist als der entsprechende Zahn von Rhinoceros Mercki, 
dessen P und M so ziemlich die Grösse der correspondirenden Zähne von plieidens besitzen, 
so dürfte-er wohl doch eher von sinensis stammen, der aber freilich unter meinem Materiale 
nicht vertreten ist. 


Die Dimensionen sind: 
Länge 40 mm; Breite an der Basis der Hinterseite 20 mm. 


Den für Rhinoceros plieidens typischen Oberkiefermolaren vergleicht Koken mit 
solehen von Aceratherium perimense Lyd.,!) welches ich jedoch nicht für ein Acera- 
therium ansprecher kann, sondern vielmehr für eine Art von Teleoceras oder wohl richtiger 
Brachypotherium aus der Verwandtschaft von Goldfussi halte schon wegen der Form der 
Unterkieferzähne und der Kürze der Zahnlücke. Ich finde indess nur darin eine gewisse Aehn- 
lichkeit, dass beide ein gekörneltes Basalband an den oberen M besitzen. An eine speeifische 
Identität ist ohnehin nicht zu denken, insoferne perimense zweifellos aus dem Tertiär, pliei- 
dens aber aus dem Pleistocän stammt. 

Viel ähnlicher ist der Bau der oberen M von Rhinoceros megarhinus Christol, von 
dem mir ein oberer M aus dem marinen Pliocän von Montpellier vorliegt. Derselbe zeigt 
genau die nämliche Form des Crochet und der Crista und die nämliche Zahl und Form der 


1) Palaeontologia Indica. 1881, Ser. X, Vol. II, Part I, p. 9, pl. I-IV. 
Abh.d. II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 


[0 0) 


58 


Seceundärleisten wie das Koken’sche Original von plieidens. Er ist nur etwas kleiner und 
verhältnissmässig niedriger als dieses. Seine Aussenwand ist mehr wellig gebogen und das 
Basalband ungekörnelt. Diese Unterschiede erweisen sich nun ohne Weiteres lediglich als 
primitiverer Zustand, aber keineswegs als fundamentale Abweichungen, so dass also der Ab- 
leitung der chinesischen Art von Rhinoceros megarhinus nicht das Mindeste im Wege 
stünde. Allein dies gilt eben nur von dem mir vorliegenden Molaren aus Montpellier, bei 
allen mir aus der Literatur bekannten Zähnen von megarhinus!) sind die erwähnten Secundär- 
bildungen viel schwächer oder gar nicht vorhanden und ausserdem besteht hinsichtlich der 
Abgrenzung zwischen megarhinus und Mercki sehr grosse Unsicherheit, die ohne das Studium 
der Originale von beiden Arten kaum zu beheben sein dürfte, wesshalb ich wohl von einer 
weiteren Besprechung des megarhinus absehen darf. 

Bei der Mangelhaftigkeit des vorliegenden chinesischen Materiales lässt sich auch nicht 
mit Bestimmtheit feststellen, ob Rhinoceros plieidens zu den Ceratorhinae wie lepto- 
rhinus, megarhinus, etruscus oder zu den Atelodinae gehört, zu welchen der mit 
megarhinus so oft verwechselte Mercki gerechnet werden muss. Immerhin ist die erstere 
Möglichkeit entschieden wahrscheinlicher. Der unmittelbare Vorläufer wäre vielleicht doch in 
megarhinus von Montpellier zu suchen, der seinerseits wohl auf Schleiermacheri zurückgeht. 
Nachkommen hat Rhinoceros plicidens schwerlich hinterlassen. 


Rhinoceros Habereri n. sp. Taf. V, Fig. 5—10, 12—21, Taf. VII, Fig. 1-3, 6, 8, 11. 


Der grössere Theil der von Herrn Dr. Haberer gesammelten Rhinocerotenzähne gehört 
einer Art an, welche sich mit keiner bisher beschriebenen identifieiren lässt. 

Innerhalb dieser Form machen sich wieder zweierlei Typen bemerkbar, vorwiegend auf 
Grössenunterschieden basirend, welche ich gesondert behandeln werde, damit eine Trennung 
leichter möglich wird, soferne sich später bei Kenntniss der Schädel doch etwa die Existenz 
zweier Arten oder doch wirklicher Varietäten innerhalb dieses Formenkreises herausstellen 
sollte. Vorläufig bin ich allerdings geneigt, in diesen Abweichungen nur Geschlechtsdifferenzen 
zu erblieken. . 

Typus A. Das hievon vorliegende Material besteht aus 7 inneren und 5 äusseren In- 
eisiven, 33 Prämolaren und 16 Molaren, nebst 11 Milehzähnen des Unterkiefers, 1 oberen 
Incisiven, 30 Prämolaren, 11 Molaren und 22 Milchzähnen des Oberkiefers. 

Unterkiefer: Innere Incisiven. Die J haben eine halbkugelförmige Krone und 
ein Basalband an der Innenseite. 

Breite der Krone 9 mm; Höhe der Krone 10 mm; Länge der Wurzel 40 mm. 

Aeussere Ineisiven. Der Querschnitt dieser Zähne bildet ein 
Dreieck, dessen Aussen- und Vorderseite. convex und dessen Innenseite fast 
concay ist. Die Wurzel hat gerundet dreiseitigen Querschnitt. Die Krone 
ist überall mit Schmelz bedeckt, der sich selbst an abgekauten Zähnen an 
der Innenecke sehr lange erhält und an der Berührungsstelle von Hinter- 
und Aussenseite bis fast zur Spitze des Zahnes einen deutlichen Kiel bildet. 


Länge der Krone 56 mm; grösster Durchmesser an der Basis der 
Unterer Jz. Querechnittander Krone 22 mm; ‚sagittaler Durchmesser an dieser Stelle 2 mm; Länge 
Wurzel und nahe der Spitze. 
der Wurzel. circa 65 mm. 


Untere P und M. Als ein besonderes Charakteristicum dieser Art betrachte ich die 
starke Kniekung der Aussenwand, wodurch das Vorjoch sich sehr deutlich bemerkbar macht. 
Es bildet mit dieser einen nahezu rechten Winkel. Auch das Nachjoch bildet wenigstens an 
den P ziemlich genau einen rechten Winkel mit der Aussenwand. Das Basalband ragt an 


1) z.B. in Archives du Museum d’histoire naturelle de Lyon. 1879, Tome II, pl. XVII; viel ähn- 
licher sind dagegen jene in P. G@ervais Zoologie et Pal&ontologie francaise, p. 91, pl. I, fig. 1, 2 und 
Pe fg: 


59 


den P vorne und hinten sehr hoch hinauf, an der Basis des Vorjoches ist es aussen und innen 
unterbrochen, aber an der Aussenseite auf eine längere Strecke als an der Innenseite. Frische 
Zähne sind bedeutend höher als lang. P, zeigt auf der Aussenseite vor dem Vorjoch eine 
breite und tiefe verticale Rinne. 


Dimensionen: 
P, Länge 22—24mm am Oberrande; Höhe der Krone frisch 30—34 mm; Breite an der Basis 16 mm 
3 ” 30 n » ” ) ” » » » 3r# » 9 n an „ 23 D)) 
P, » 37 b) n ” 5) ” ” ” » Ar ”9 ” » nn n 26 b) 
Mı ” 39 n ” ” $) n » » b) 42 GR) n De v) 30 ” 


Länge der Zahnreihe approximativ 210 mm. 


Untere D. Diese Zähne bieten nichts besonders Auffälliges. Die Vertiefung vor dem 
Vorjoch ist an der Aussenseite des Dy auch hier zu beobachten wie an P,; das Vorjoch hat 
an frischen D, und D, zwei getrennte Spitzen, je eine aussen und innen. 


D, Länge 28mm; Breite am Hinterrande 15 mm 
D; ” 37 9» ” n n 18,5 n 
Oberkiefer: Oberer Incisiv. Dieser Zahn hat die gewöhnliche Form wie bei allen 
Rhinoceroten. 
Breite der Krone 24,5 mm, Querdurchmesser 11 mm; Länge der Wurzel 38? mm. 


Obere P. Der vorderste, Pı, hat zwei getrennte, ziemlich kurze Aussenwurzeln, welche 
aber beide mit der Innenwurzel fest verbunden sind. Mit Hilfe des Basalbandes, welches sich 
an der betreffenden Stelle als zungenartiger Lappen erhebt, und einer an der Innenseite der 
Aussenwand entspringenden verticalen Leiste kommt hier eine Art von Vorjoch zu Stande. 
Ausserdem ist eine ziemlich kräftige Crista und ein etwas kürzeres, neben der Einschnürung 
des Vorjoches befindliches Crochet vorhanden. An P, ist das Vorjoch ebenfalls wesentlich 
kürzer als das Nachjoch, aber immer ziemlich kräftig entwickelt. Beide Joche stehen selbst 
an frischen Zähnen miteinander in inniger Verbindung, nur ein einziger Pa macht hievon eine 
augenscheinlich individuelle Ausnahme. Das Basalband ist am Hinterrande fast ebenso hoch 
wie das Nachjoch, auch neben dem Vorjoch erhebt es sich abermals in der Gestalt eines drei- 
eckigen Lappens. Das Crochet verläuft an Pa—, parallel zur Aussenwand. Die Crista ist 
von wechselnder Stärke, steht aber immer tiefer als das Crochet, jedoch kommt es öfters zur 
Bildung einer Mediofossette. In dieser Beziehung sind zwei noch neben einander in einem 
Kieferstück befindliche Prämolaren, P; und P,, sehr instructiv, indem der eine eine grosse 
Mediofossette besitzt, der andere aber kaum die Andeutung einer Crista erkennen lässt. An 
P; und P, wird im Gegensatz zu Pı und Py das Vorjoch länger und stärker als das Nachjoch, 
welche erst bei halbabgekauten Zähnen eine einzige Usurfläche bilden. Das Basalband senkt 
sich an diesen beiden Zähnen in der vorderen Innenecke tief herab und bildet daselbst einen 
weit vorstehenden Wulst. Die Aussenwand stellt eine selbst an P, nur mässig nach vorne 
gekrümmte Fläche dar, an P; und P, ist sie aber nahezu eben. Von einem wirklichen Parastyl 
kann kaum die Rede sein, noch weniger aber von einer zweiten Rippe an der Aussenwand. 
Viel bemerkbarer als der Parastyl machen sich dagegen die beiden Wülste, von denen der 
eine an der vorderen und der andere an der hinteren Kante der Aussenwand herabläuft. Sie 
vereinigen sich an“der Basis des Zahnes in einen horizontal verlaufenden Wulst. 


Dimensionen der oberen P: 
Pı Länge 20 mm; Breite am Hinterrande 17 mm; Höhe 21 mm 


P; D) Sn; D) 2) ” sl ,; D) 36 „ 
P; a DER. e: n „  Vorderrande 46 „; RER: 
1a # 44 „; R m DOW: „ 62 „ (ziemlich frisch) 


Gesammtlänge der P in der Mittellinie der Zähne gemessen circa 120 mm. 


Molaren. Wie an den P ist auch an Mı und My der Parastyl sehr schwach entwickelt 
und immer nur auf den oberen Theil der Krone beschränkt, häufig fehlt er aber fast voll- 
ständig. Dagegen bildet die vordere und die hintere Aussenkante eine vorspringende kräftige 


8*+ 


60 


Leiste. Die Aussenwand ist im Ganzen eben, und nur im oberen Theil der Krone, an der 
Ansatzstelle der Joche, etwas eingebuchtet. Bei stärkerer Abkauung bildet der Oberrand eine 
vollkommen gerade Linie. Nach unten zu verschmälert sich die Aussenwand sehr rasch. Das 
Vorjoch hat ein dickes Antecrochet, welches unten in einen dieken Wulst endet. Dieser verläuft 
ähnlich wie bei Aceratherium Blanfordi fast bis an die Mündung des Querthales. Das 
Crochet ist ziemlich lang, eine Orista ist nur ausnahmsweise vorhanden und auch dann nur sehr 
schwach. Das Basalband steht nahe der Vorderaussenecke und in der Nähe des Innenendes 
des Vorjoches ziemlich weit von der Krone ab und endet in der Regel an der Vorderinnenecke. 
In der Mündung des Querthales befindet sich ein Basalpfeiler. Das hintere Querthal ist kaum 
halb so tief wie das vordere. Der Hinterrand zeigt an frischen oberen M einen tiefen Einschnitt. 

Der obere M, hat in Folge der starken Krümmung der Aussenwand und der bedeutenden 
Convexität des Vorjoches, nieht minder auch in Folge seines ungemein schwachen Parastyles 
ein ganz fremdartiges Aussehen. Crochet und Anteerochet verhalten sich wie an M, und M,, 
eine Crista ist nur ausnahmsweise und auch dann nur in der Tiefe vorhanden. An der 
Hinterinnenecke bildet das Basalband einen blattförmigen Lappen und daneben einen etwas 
höheren Zacken. 

Dimensionen: 
M, Länge am äusseren Oberrande 51 mm; Breite am Vorjoch 30 mm; Höhe (frisch) 52 mm 
M; » 58 9 » ) ” 36 9 » n 60 „ 


” ” ” 
M; „an Basis der Innenseite 40 „; " 5 e DICHEr En 5 HORzEn 
Länge der drei M circa 116 mm - at: 
H „ oberen Zahnreihe eirca 220—230 mm } ERS EL en 


Obere Milchzähne. Der D, hat nur eine einzige kurze Wurzel. Die Krone ist schmäler 
als an P,, hat aber eine sehr ähnliche Zusammensetzung. Die Aussenseite ist gleichmässig 
gewölbt und das äussere Basalband schwach und auf die Ecken beschränkt, das innere ist 
viel schwächer als an Pı. An D, zeigt die Aussenseite entsprechend der Ansatzstelle des 
Vorjoches eine seichte verticale Rinne, D; besitzt dagegen einen wirklichen Parastyl. Das 
innere Basalband ist an den beiden Querjochen unterbrochen und am Ausgang des Querthales 
durch einen Pfeiler ersetzt. Das Crochet verbindet sich früher oder später mit der Crista. 
An D; erfolgt diese Verbindung erst sehr spät. D; hat auch nur an der Vorderseite ein 
Basalband. Der Pfeiler an der Mündung des Querthales ist auch an D; vorhanden. Einen 
sicheren D4 konnte ich nicht ermitteln. 

Dimensionen: j 

D, Länge 17 mm; Breite am Hinterrande 12 mm (an der Basis) 

D, n 41 „ » ” )) Sl „ )) ” b) 

D; » 43 ” ” » ” 37 ” n ” ” 
Länge von D, 85 mm (in der Mittellinie). 


Typus B. Dieser ist vertreten durch 4 innere und 13 äussere Ineisiven, 28P, 12 M 
und 12 Milchzähne des Unterkiefers, und 20 P, 12 M und 12 Milchzähne des Oberkiefers. 

Die J, sowie die vorderen P und D sind grösser und stärker als bei Typus A, die M, 
namentlich der obere M;, auch höher als bei diesem. 'Bedeutendere morphologische Ver- 
schiedenheiten lassen sich zwar nicht feststellen, doch stehen die Joche der oberen P weiter 
‚auseinander, sind aber durch eine hohe Brücke miteinander verbunden, auch ist ihre Crista 
etwas kräftiger. An den oberen M ist das Crochet manchmal als dieker schiefstehender Cylinder 
entwickelt, und M, trägt aussen eine zweite schwache Verticalleiste, an der zapfenförmigen 
Anschwellung des Basalbandes beginnend. Wie ich mich an den Zähnen von Aceratherium 
lemanense überzeugt habe, sind dies Variationen, welche bei ein und derselben Art vor- 
kommen können. S$ie dürften sich wohl als Geschlechtsunterschiede erweisen und betreffen 
vorwiegend die vordere Partie des Gebisses. Die Stärke dieser Zähne steht aber wohl in 
Zusammenhang mit einer stärkeren Entwickelung der Kiefer und der vorderen Gesichtspartie 
und diese wieder mit der kräftigeren Ausbildung der Hörner. 


61 


Ich glaube daher kaum zu irren, wenn ich die Zähne des Typus B auf männliche In- 
dividuen beziehe. 
Dimensionen: 
Unterkiefer: Innere Ineisiven: Breite derKrone 12 mm; Höhe 10mm; Länge der Wurzel 60 mm. 
Aeussere Ineisiven: Länge der Krone 48 mm; Breite an der Basis 28 mm; Länge 


der Wurzel 80 mm. 
P; Länge 27 mm; Breite an der hinteren Basis 17 mm; Höhe frisch 32 mm 


P; D) 3A ,n; ” »» D) „ 26 „ 
Pı ” 36 9 ” ” ” ” D) 25 ” 
M; ? „ 47 >) ” ” ” ” ” 32 Pe? ” b) 25) ” 
D; ” 33 2 n ” » )) 2) 18 b) 
D; » 40 u] ) ) b} D) » 19 n 
Oberkiefer: PR ,„ 22 „; grösste Breite 20 „ 
M „60 „ ; Breite am Vorjoch 44 „ 
M; ,„ 45 „ ; Breite an der vorderen Basis 58 „ ; Höhe der Krone 66 mm 
Dis srösstes. breite ba» 
D; ” 48 De) ” ” 36 ” 
D; » Zu; D) D) 48 „5 


Endlich wären hier noch drei obere Molaren, ein M, und zwei M; des linken Oberkiefers 
zu erwähnen, welche zwar in ihrer Form vollständig mit den typischen Zähnen von Habereri 
übereinstimmen, aber in ihren Dimensionen ganz auffallend hinter ihnen zurückstehen. Da 
aber der eine der beiden M, in seinen Dimensionen doch schon einigermaassen zu den als 
Typus A ausgeschiedenen Zähnen hinüberleitet, dürften diese Zähne wohl doch nur auf abnorm 
kleinen Individuen des Rhinoceros Habereri zu beziehen sein. Die Maasse dieser drei 
Zähne sind: 

M, Länge der Aussenseite 47 mm; Breite am Vorderrande, an der Basis gemessen 47 mm; 
Höhe 46 mm; mässig abgekaut. 


My, Länge der Aussenseite 44,5 mm; „ “ P eis 5 Mr Blaue: 
Höhe 47 mm; mässig abgekaut. 
M; Länge der Aussenseite 44 mm; 2 h n RIRLe N 5 48,5 ,„; 


altes Individuum. 

Alle Zähne des Rhinoceros Habereri stammen aus einem rothen Thon, ähnlich dem 
Gesteinsmaterial von Pikermi in Griechenland. Auch der Erhaltungszustand ist dem der Säuge- 
thierreste von Pikermi sehr ähnlich, jedoch sind die chinesischen Zähne viel fester als jene 
aus Pikermi. Als Ursprungsort werden die Provinzen Schansi, Schensi und Sz’tschwan angegeben. 


Unter dem von Koken beschriebenen Materiale war diese Art sicher nicht vertreten, 
wohl aber, erhielt das Berliner Museum für Naturkunde später einige hieher gehörige Zähne 
aus Schanghai. 

Von den Rhinocerotidenarten aus dem Tertiär der indischen Siwalik hat nur Rhino- 
ceros palaeindicus!) einige Aehnlichkeit, soferne auch hier die Aussenwand in Folge der 
schwachen Entwiekelung des Parastyls nahezu flach erscheint. Dagegen schwillt das Innenende 
des Vorjoches der oberen M ganz ungewöhnlich stark an, auch fehlt an den P und M ein 
Antecrochet und ausserdem scheint auch das Basalband bei palaeindicus viel schwächer zu 
sein. In der Grösse dürfte Rhinoceros Habereri etwas hinter der indischen Art zurück- 


1) Faleoner and Cautley. Fauna antiqua sivalensis, pl. 72, fig. 3, 4, „platyrhinus‘, pl. 73, 
fie. 1, pl. 74, fig. 1,2, pl. 74, fig. 1-3, pl. 75, fig. 14, 9, 10 und: 

Lydekker. Palaeontologia Indica. Tertiary Vertebrata. 1881, Vol. II, p. 42, pl. Il, fig. 2-4. 
Catalogue of the Vertebrate fossils from the Siwaliks. Scientific Transactions of the 

Royal Dublin Society. 1884, Vol. III, p. 82, pl. III, fig. 1, 3 (2). 
Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. 1886, Part III, p. 132, fig. 15. 


n 


62 


stehen, während die Höhe der Zähne beträchtlicher zu sein scheint, soweit sich dies aus 
Abbildungen beurtheilen lässt. Auf keinen Fall kann demnach von einer Identität der chinesischen 
Art mit der indischen die Rede sein. Die beiden übrigen Rhinocerosarten aus den Siwalik, 
sivalensis!) und platyrhinus, unterscheiden sich schon durch die Ausbildung der Aussenwand 
so wesentlich von Habereri, dass es sich nicht verlohnt, sie mit der chinesischen Art ein- 
gehender zu vergleichen. Bei sivalensis ist die Aussenwand in der Nähe des Nachjoches 
eingebuchtet wie bei der Mehrzahl aller Rhinocerotiden und der Parastyl sehr kräftig, bei 
platyrhinus ist letzterer dagegen mässig entwickelt, und an Stelle der Einbuchtung trägt die 
Aussenwand hinter dem Nachjoch gewissermaassen einen zweiten Pfeiler, welcher fast kräftiger 
wird als der eigentliche Parastyl. Beide Arten entfernen sich also schon hierin viel weiter 
von Habereri als der erwähnte palaeindieus. 

Von den Rhinoceroten aus Maragha in Persien, die allerdings noch einer näheren 
Beschreibung harren, scheint Aceratherium Persiae Pohlig?) wenigstens in der Beschaffenheit 
der Aussenwand nicht ganz unähnlich zu sein, denn es fehlt auch bei diesem ein typischer 
Parastyl. Auch sein Orochet und Antecerochet erinnern etwas an die neue Art aus China, 
zugleich aber auch an das noch näher zu besprechende Aceratherium Blanfordi. Die 
generische Stellung jenes persischen Rhinocerotiden lässt sich nach der kurzen Notiz, welche 
Osborn darüber veröffentlicht hat, nicht genauer ermitteln, es ist nur soviel sicher, dass es 
sich hier um kein typisches Aceratherium handeln kann, sondern höchstens um eine stark 
modifieirte Endform dieser Stammesreihe. Eine Verwandtschaft mit Rhinoceros Habereri 
dürfte wohl doch ausgeschlossen sein, wenigstens lässt sich darüber nichts Genaueres feststellen, 
ehe nicht mindestens die Bezahnung dieser persischen Rhinocerotiden vollständig beschrieben 
sein wird. 

Vorläufig kommt daher als Verwandter der neuen Art lediglich Rhinoceros palae- 
indieus in Betracht, welchen Lydekker für den Stammvater des recenten indischen Rhino- 
ceros unicornis hält. Bei der weiten Verbreitung, welche die genannte fossile Art in den 
Siwalik besitzt — sie kommt. in allen diesen Ablagerungen zwischen Ganges und Indus vor 
und ist nur im Punjab selten — gewinnt es den Anschein, als ob sie bereits selbst aus einer 
asiatischen Stammform hervorgegangen wäre, die aber freilich bis jetzt noch nicht gefunden wurde. 

Das Nämliche dürfte auch für die neue Art aus China zutreffen. Auch sie scheint aus 
einer asiatischen Art hervorgegangen zu sein, die vermuthlich zugleich der Stammvater.von 
palaeindieus war. Aus Gründen, die ich bei der folgenden Art erörtern werde, scheint aber 
zwischen dieser Stammform und dem Rhinoceros Habereri noch ein Zwischenglied existirt 
zu haben. 

Leider beginnen unsere Kenntnisse der fossilen asiatischen Rhinocerotiden erst mit 
jenen, welche bereits der Hipparionenfauna angehören, wir müssen daher, wenn wir ihre 
Geschichte weiter zurückverfolgen wollen, entweder unter den Rhinocerotiden des nord- 
amerikanischen oder unter jenen des europäischen Tertiärs und zwar unter denen des Ober- 
miocän Umschau halten. 

Von den ersteren kann nur der geologisch jüngste, Teleoceras fossiger Cope sp.?) 
aus dem Obermiocän von Kansas zum Vergleiche herangezogen werden, denn die Rhino- 
cerotiden aus älteren Schichten sind noch zu indifferent, als dass sie in direeten verwandt- 


1) Die Literatur dieser Arten wurde bereits in der Einleitung zu den Rhinocerotiden und bei 
Rh. sinensis eitirt. x 

2) Osborn. Phylogeny of the Rhinoceroses of Europe. Bulletin from the American Museum. 
New York, 1900, p. 255, fie. 12a. 

3) Leider ist das Gebiss dieses interessanten Rhinocerotiden bis jetzt noch nicht abgebildet 
worden, so dass ich bei der Vergleichung ausschliesslich auf einen mir vorliegenden isolirten oberen 
Molaren angewiesen bin. Derselbe zeigt indessen so grosse Verschiedenheit von jenen des europäischen 
„Teleoceras“ brachypus und Goldfussi, dass es überaus unwahrscheinlich wird, ob diese bei 
Teleoceras belassen werden können. Sollte dies nicht der Fall sein, so hätte für sie der von Roger 
vorgeschlagene Genusname Brachypotherium Geltung. 


63 


schaftlichen Beziehungen zu unserer chinesischen Form stehen könnten. Dagegen hat Teleoceras 
fossiger im Zahnbau grosse Aehnlichkeit, namentlich in der Beschaffenheit der Aussenwand, 
in der Form des Crochet und in der Ausbildung der Postfossette, vor allem aber in Folge 
seiner beträchtlichen Hypsodontie. Es unterscheidet sich eigentlich nur durch die ungemein 
starke Abschnürung des Innenendes des Vorjoches, so dass hier wieder der ursprüngliche 
Protocon gewissermaassen regenerirt wird. Bei der beträchtlichen Reduction der Prämolarenzahl 
— bloss mehr 3 — und bei der ausserordentlich weitgehenden Speeialisirung die Extremitäten, 
kurz und plump, so dass dieser Rhinocerotide fast an Hippopotamus erinnert — wohl auch 
wie bei diesem eine Anpassung an das Wasserleben — wird es jedoch recht unwahrscheinlich, 
dass zwischen Teleoceras fossiger und Rhinoceros Habereri wirklich genetische Be- 
ziehungen existiren, denn bei der grossen Aehnlichkeit dieses letzteren mit palaeindicus und 
somit indireet mit dem lebenden unicornis dürfte eine Specialisirung seiner Extremitäten 
ähnlich wie bei Teleoceras fossiger schwerlich stattgefunden haben. 

Unter den geologisch jüngeren — obermiocänen — europäischen Rhinocerotiden käme 
als Verwandter resp. als Vorläufer von Rhinoceros Habereri und palaeindicus höchstens 
Ceratorhinus sansaniensis in Betracht. Allein der Parastyl sowie die Aussenwand sind 
hier ganz anders ausgebildet. Man muss jedoch berücksichtigen, dass diese eigenartige Organi- 
sation der beiden asiatischen Arten eben doch nur eine Speecialisirung darstellt, und dass auch 
sie jedenfalls aus einem Typus mit normaler Beschaffenheit der Aussenwand, also mit weit 
vorspringendem Parastyl und eingebuchteter Aussenwand und mit niedrigen Zahnkronen hervor- 
gegangen sein dürften. Diese Annahme gewinnt schon desshalb an Wahrscheinlichkeit, weil ja 
auch Rhinoceros sivalensis, welcher nach Osborn!) allein noch mit palaeindieus und 
den lebenden Rhinoceros sondaicus und unicornis die Unterfamilie der Rhinocerotinae 
bildet, in dieser Beziehung von palaeindicus sehr stark abweicht und sich viel mehr an die 
europäischen Ceratorhinae z. B. an Ceratorhinus sansaniensis anschliest. ÖOsborn 
sieht also hierin offenbar kein Hinderniss für die Annahme einer näheren Verwandtschaft 
zwischen Rhinoceros sivalensis und palaeindicus. Ich glaube ihm hierin auch vollständig 
zustimmen zu dürfen. 

Dagegen möchte ich doch bezweifeln, ob man, wie dies Osborn thut, bei der Abgrenzung 
der Unterfamilie der Rhinocerotinae auf die Beschaffenheit des Schädels so besonderes Gewicht 
zu legen hat. Es ist mir im Gegentheil doch viel wahrscheinlicher, dass die für die Rhino- 
cerotinen charakteristische Organisation des Schädels — Hinterhaupt vorwärts geneigt, concave, 
hornlose Stirnregion, Anwesenheit eines grossen Horns auf der Mitte der Nasalia und Besitz 
wohlentwickelter Schneidezähne — mit Ausnahme dieses letzten Merkmales wohl schwerlich als 
etwas Ursprüngliches aufgefasst werden darf. Ich glaube vielmehr annehmen zu dürfen, dass 
das Hinterhaupt auch bei den Ahnen der Rhinocerotinae steil aufgerichtet war, etwa wie 
bei Ceratorhinus sansaniensis und sich erst allmälig nach vorwärts geneigt hat. Ein 
solcher Vorgang wäre gewissermaassen ein Analogon zu der Knickung der Schädelachse bei 
den Cavicorniern, worüber sich Rütimeyer ausführlich ausgesprochen hat. Auch die Nasen- 
bildung der Ceratorhinae könnte recht gut die Basis gewesen sein für die Verhältnisse bei 
den Rhinocerotinae. 

Es bestehen daher keine unüberwindlichen Hindernisse für die Ableitung der Rhino- 
cerotinae von den Ceratorhinae, wenigstens nicht in morphologischer Hinsicht, dagegen 
wäre bei dem relativ geringen zeitlichen Abstand zwischen der Fauna von Sansan und der 
Hipparionenfauna kaum Platz für die hiebei nothwendigen Zwischenformen. Allerdings 
könnte Rhinoceros sivalensis selbst den Ausgangspunkt für palaeindicus bilden, aber 
zwischen sivalensis und Habereri müsste unbedingt noch mindestens ein Zwischenglied 
eingeschaltet werden. 


!) Phylogeny of the Rhinoceroses of Europe. Bulletin from the American Museum. New York, 
1900, p. 264. 


64 


Rhinoceros Brancoi n. sp. Taf. V, Fig. 1—4, 11, Taf. VI, Fig. 12. 
1885 Rhinoceros sp. Koken. Fossile Säugethiere aus China. p. 33, Taf. V, Fie. 6. 


In dieser Species fasse ich eine Anzahl dunkelgefärbter Zähne zusammen, welche angeblich 
theils aus Tientsin, theils aus Schanghai stammen und jedenfalls in jenen Schichten gefunden 
worden sind, welche auch die zahlreichen Cervidenreste geliefert haben. Es liegen mir 
hievon vor: 

Zwei rechte untere P,, der eine davon das Koken’sche Original zu Taf. V, Fig. 6, ein 
Mı des rechten und ein stark abgekauter M, des linken Unterkiefers, je ein rechter unterer 
D, und D,, ein linker oberer P;, ein rechter oberer P,, zwei rechte obere M,, je ein linker 
oberer M, und M,;, und ein linker oberer D; nebst einigen Bruchstücken von oberen M. Die 
besterhaltenen Oberkieferzähne, je ein P, und Mı, sind Eigenthum des Berliner Museum für 
Naturkunde und wurden mir von Herrn Geh. Bergrath Branco zur Beschreibung anvertraut, 
wofür ich ihm meinen besten Dank aussprechen möchte. Sie kamen erst vor Kurzem in den 
Besitz der genannten Sammlung. 

Unterkieferzähne. Von den Zähnen des Habereri unterscheiden sie sich durch etwas 
beträchtlichere Höhe und die etwas stärkere Knieckung der Joche. An den beiden D ist das 
innere Basalband unter dem vorderen Querthal auffallend kräftig ausgebildet. 


Dimensionen: 


P, Länge 33 mm; Breite an der Basis der Hinterseite 24 mm; Höhe am Vorjoch 37,5 mm 
Mı ” 35 » ; » e)] n ” » „ 25 ” 5 „ n ” 39 


” 
M, D)] 38 9» ” » ” ” rn » 25 9 ” » » 45 ” 
D, ) 280070; » D) 5) D) D) D) 15,5 ,„; ” D) D) ZU 2; 
D; 36,5 ») ” ) n ” ” 19,5 9) » ” ” 25 ” 


ee Sowohl an den P als auch an den M ist hier der Parastyl viel 
deutlicher als an jenen von Habereri, weil er von dem hinteren Theil der Aussenwand 
durch eine verticale Rinne getrennt wird; jedoch haben die Zähne beider Arten doch das 
gemein, dass der Parastyl nur wenig über die Aussenwand hervorragt. Ferner zeichnen sich 
die P und M von Brancoi durch den Besitz einer kräftigen Crista aus sowie durch die viel- 
fachen Verästelungen des Crochet; auch haben wenigstens die P eine Secundärcrista, so dass 
es nicht nur zur Bildung einer Mediofossette, sondern sogar zur Entwickelung mehrerer Fossetten 
kommt, von denen freilich bei der Abkauung nur die Hauptfossette erhalten bleibt. Dagegen * 
ist das Basalband stets schwächer als bei Habereri. Ausser der Einschnürung am Innenende 
des Vorjoches ist an den M auch eine solche am Nachjoch vorhanden. Der D, unterscheidet 
sich von den entsprechenden Zähnen von Habereri ebenfalls durch die Anwesenheit einer 
Crista und den Besitz von drei Spornen am Crochet, welche in die Mediofossette hineinragen. 
Auch an diesem Zahne bemerkt man eine kräftigere Entwickelung des Parastyl und eine leichte 
Einschnürung des Innenendes des Nachjoches. Endlich wäre noch zu erwähnen, dass die 
Zähne durchgehends etwas kleiner sind als bei Habereri, und dass Leisten an der vorderen 
und hinteren Kante der Aussenwand nahezu vollständig fehlen, während sie bei der vorigen 
Art ungewöhnlich kräftig ausgebildet sind. 

Was die einzelnen Zähne betrifft, so besitzt der ziemlich stark abgenutzte P; statt einer 
Mediofossette eine grössere und daneben noch zwei kleinere Gruben. Am Innenende des Vor- 
joches fehlt das Basalband, während es an P, an dieser Stelle sehr hoch hinaufragt. Die beiden 
Joche des P, stehen Te auseinander, jedoch sind sie in ihrer ganzen Höhe durch eine Brücke 
verbunden. Das Crochet gabelt sich an seiner Spitze, das Nachjoch trägt zwischen dem Crochet 
und der Aussenwand zwei Sporne. Die Crista verschmilzt bald mit einem der vom Ürochet 
ausgehenden Sporne.. An M, entsendet die Aussenwand nach innen mehrere gleich grosse 
Ausläufer, deren vorderster als Crista gedeutet werden muss. Vom Crochet gehen mehrere 
Sporne aus gegen die Crista zu, der vorderste endet fast direct am Vorjoch. Von M; ist nur 
ein ziemlich unvollständiges Exemplar vorhanden. Das Crochet ist hier sehr einfach, die Crista 
fehlt gänzlich, dafür hat der Zahn drei Basalzapfen, vor, neben und hinter dem Innenende des 
Nachjoches. 


65 


Dimensionen: 

P; Länge 30?mm; Breite am Nachjoch 35 mm; Höhe 32?mm 

Pı Di 5 n n = DIER-SE: „ 90 „; fast ganz frisch 
Mı „ MM 55 ” D) D) ER, ; n 51 De ” D) 
D; D) 40 „; D) » >) 38 9»; D) 32 29a. n D) D) 


Ich glaube kaum auf Widerspruch zu stossen, wenn ich diese Form wegen ihrer mehr- 
fachen Abweichungen von Rhinoceros Habereri für eine besondere Species halte. In der 
Ausbildung der Aussenwand, Anwesenheit eines deutlichen Parastyl und Fehlen von Vertical- 
leisten an der Vorder- und Hinterkante erweist sie sich sofort als primitiver gegenüber der 
vorigen Art, dagegen ist sie hinsichtlich der etwas höheren Zahnkronen und der zahlreichen 
Verästelungen des Crochet entschieden speeialisirter als diese. Immerhin stehen beide Arten 
einander doch so nahe, dass die Spaltung in diese beiden Arten nicht weit zurückdatiren kann. 

Unter den fossilen indischen Rhinocerotiden hat Rhinoceros palaeindieus noch 
am meisten Aehnlichkeit, ohne dass jedoch eine direete Verwandtschaft bestünde. Wenn auch 
die Existenz eines gemeinsamen Vorläufers grosse Wahrscheinlichkeit ist, so muss dieser doch 
bereits früher gelebt haben, als die Trennung in die beiden chinesischen Arten, in Habereri 
und Brancoi, erfolgt war. Erst die gemeinsame Stammform dieser Letzteren könnte auch 
auf den Ahnen von palaeindicus zurückgehen. 

Sichere Nachkommen von Rhinoceros Brancoi lassen sich bis jetzt nicht ermitteln. 
Immerhin steht unter den lebenden Arten Rhinoceros unicornis wenigstens im Zahnbau 
dieser Art etwas näher als dem Habereri. 

Man könnte fast versucht sein, Rhinoceros Brancoi für den Ahnen von Atelodus 
antiquitatis, bekannter unter dem Namen Rhinoceros tichorhinus, zu halten, wenigstens 
bestehen im Zahnbau mehrfache Anklänge an diese Pleistocänspeeies, namentlich die Be- 
schaffenheit der Aussenwand der oberen P und M, und die Anwesenheit von Secundärfossetten 
an diesen Zähnen sowie die Höhe der Kronen erinnern etwas an diese Art. Man wird mir 
freilich entgegenhalten, das seien nur Analogien, das Entscheidende bleibt immer die Be- 
schaffenheit des Schädels und der Nasenbeine, und hiernach gehört Rhinoceros antiquitatis 
in die Unterfamilie der Atelodinae und hat also mit der chinesischen Art nicht das Mindeste 
zu schaffen, denn letztere muss wohl doch bei den Rhinocerotinen eingereiht werden, da 
sie dem fossilen indischen Rhinoceros palaeindieus wenigstens, soweit eben der Zahnbau 
überhaupt auf Verwandtschaft schliessen lässt, doch viel näher steht. 

Ich kann jedoch nicht einsehen, warum das Ueberhängen des Hinterhauptes und die 
Bildung eines knöchernen Nasenseptums nicht auch bei einem Angehörigen einer anderen 
Formenreihe erfolgt sein könnte. Dazu kommt noch, dass Atelodus antiquitatis im Zahnbau 
von dem ältesten bekannten Atelodinen, dem Atelodus pachygnathus von Pikermi und 
Samos, wesentlich verschieden ist, wesshalb bedeutende Veränderungen nothwendig gewesen 
wären, um diese Art in Atelodus antiquitatis überzuführen. Allerdings wäre hiefür in 
dem ziemlich langen Zeitraum, der zwischen dem geologischen Vorkommen dieser beiden Arten 
verstriehen sein muss, die Möglichkeit für solche Umänderungen wohl doch gegeben gewesen. 

Jedenfalls wäre es verfrüht, die Lösung dieser Fragen versuchen zu wollen, solange wir 
von den chinesischen Rhinocerotiden nichts weiter kennen als isolirte Zähne. 

Da Rhinoceros Brancoi jedenfalls unmittelbar auf die nämliche Stammform zurückgeht, 
wie Rhinoceros Habereri, so gilt natürlich auch Alles für ihn, was bei Besprechung der 
letzteren Art über deren weitere Beziehungen zu anderen fossilen Rhinocerotiden bemerkt 
wurde. Auch für ihn ist die Abstammung von einem altweltlichen Ceratorhinen wahrschein- 
licher als von dem nordamerikanischen Teleoceras fossiger. 


Aceratherium? Ceratorhinus? sp. Taf. VI, Fig. 6—8. 


Unter den dunkelfarbigen Säugethierzähnen aus China befinden sich auch Zähne eines 
grossen Rhinocerotiden, deren Bestimmung wegen ihrer ziemlich indifferenten Zusammen- 
setzung allerlei Schwierigkeiten bietet, ja es ist sogar nicht unmöglich, dass diese Zähne mehrere 


Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 9 


66 


Arten repräsentiren, was sich aber nur mit Hilfe eines viel reichlicheren Materiales entscheiden 
liesse. Alle haben mässige Höhe und das Basalband ist an den oberen P und M auf die 
Vorder-, Hinter- und Innenseite, an den unteren auf Vorder- und Hinterseite beschränkt. 

Ich fasse hier folgende Zähne provisorisch zusammen: 

Je einen P, und P,; und einen noch im Kiefer steekenden My, des rechten und zwei 
halbe M des linken Unterkiefers, je einen Pı, P, und P; und einen stark beschädigten M; 
des rechten und je einen My und M; des linken Oberkiefers nebst der Aussenwand eines 
oberen Ma. Auch ein linker oberer D; wäre hier noch zu erwähnen. 


Unterkiefer. P, und P; sehen denen von Aceratherium Blanfordi sehr ähnlich 

und haben auch sehr ähnliche Dimensionen, jedoch fehlt ein Basalband fast vollständig. 
P, Länge 31 mm; Breite hinten an der Basis 24 mm; Höhe (frisch) 31 mm 
P; D) IT nes D) » 2 n„ 27 „5 

Von den M verdient nur der noch im Kiefer steekende M, Erwähnung. Er unterscheidet 
sich von den P unter Anderem auch durch seine auffallend rauhe Oberfläche, jedoch ist dies 
nur die Folge von der Frische dieses Zahnes. 

M, Länge 51 mm; Breite hinten an der Basis 35 mm; Höhe des Nachjoches (aussen) 40 mm. 

Oberkiefer. Der Pı ist einwurzelig, jedoch zeigt die Wurzel noch drei Furchen; das 
Nachjoch ist durch eine kurze schmale Brücke mit der Aussenwand verbunden und verläuft 
parallel mit dieser. Das Vorjoch ist nur durch eine Leiste angedeutet, das Basalband ist 
auf die Vorderinnenecke beschränkt. Dieser Pı erinnert an den Dı von Aceratherium 
Blanfordi. 

P3 besteht, abgesehen von der Aussenwand, aus zwei Jochen, von welchen das Vorjoch 
nicht viel kürzer ist als das Nachjoch. Beide Joche stossen unmittelbar aneinander und können 
auch an frischen Zähnen nur durch einen Spalt getrennt gewesen sein. Das ÜCrochet ist 
ziemlich schwach entwickelt, eine Crista scheint gänzlich zu fehlen. Das Basalband ist sehr 
schmal. Die Aussenwand zeigt deutliche Convexität. Der Querschnitt bildet ein gerundetes 
Viereck. Hiedurch, sowie durch das längere Vorjoch unterscheidet sich dieser Zahn von dem 
P, des Rhinoceros sivalensis und nähert sich fast etwas mehr dem von Aceratherium 
Blanfordi. 

P; hat eine sanftgerundete Aussenwand, der Parastyl ist nur durch eine Furche ange-, 
deutet. Crista und Crochet verschmelzen innig miteinander und veranlassen somit die Entstehung 
einer Mediofossette. Das Vorjoch ist kürzer. als das Nachjoch und mit ihm wie bei Rhino- 
ceros Habereri durch eine Brücke verbunden. Das schmale Basalband verläuft ziemlich 
genau parallel mit der Contour des Zahnes. 

Pı Länge 23mm; Breite 16 mm; Höhe 24 mm 
P; 2) 31 5 » 36 9 » 30? ,, 
P; ” 39 „5; n so; „. 40°, 

Ma besitzt eine ziemlich wellig gebogene Aussenwand. Die Einbuchtung fällt etwas hinter 
die Anheftungsstelle des Nachjochs.. Der Parastyl tritt nicht besonders stark heraus. Das 
Nachjoch ist wesentlich kürzer als das Vorjoch. Dieses letztere ist an seinem Innenende nur’ 
wenig eingeschnürt, viel weniger als bei Aceratherium Blanfordi, dessen Zahn sich auch 
ausserdem durch: das Auftreten von Secundärbildungen am Ausgang des Querthales wesentlich 
unterscheidet. Das Crochet ist nieht sehr lang und steht schräg sowohl gegen die Joche als 
auch gegen die Aussenwand. Die Crista wird nur durch einige Warzen angedeutet. Das 
Basalband endet schon an der Vorderinnenecke; an der Innenseite fehlt es vollständig. 

M; zeigt stärkere Einschnürung des Vorjoches als Ma. Auch besitzt er ein sehr kräftiges 
Anteerochet. Das vordere Basalband greift noch etwas auf die Innenseite hinüber, auch steht 
im Querthal ein kleiner Basalpfeiler. Das Basalband der Hinterseite bildet in der Mitte einen 
aufsteigenden zungenförmigen Lappen. Ich halte es daher keineswegs für ausgeschlossen, dass 
dieser Zahn einer anderen Rhinocerotidenart angehört als M3. 

Der obere D, hat eine sehr einfache Zusammensetzung. Er besitzt zwar ausser dem 
Anteerochet und dem Crochet eine deutliche Crista, aber Verästelungen des Crochet, die sonst 


67 


doch so häufig sind, fehlen hier vollständig. Ebensowenig ist hier ein inneres Basalband oder 
eine Warze am Ausgang des Querthales vorhanden. Dagegen erfolgt schon frühzeitig Ver- 
wachsung von Crista und Ürochet. 


M3 Länge der Aussenwand 63 mm; Breite am Vorjoch 62 mm; Höhe 55? mm 

M; B „ Imnenseite 42 „; ” n ” DA un: a 

D; hr „ Aussenwand 42,5 „; a A h Al: OR 

Wie schon vorhin bemerkt wurde, haben die Unterkieferzähne und die oberen Molaren 
eine gewisse Aehnlichkeit mit solchen von Aceratherium Blanfordi, die sich jedoch bei 
genauerer Betrachtung erheblich verringert, wesshalb von einer wirklichen Verwandtschaft mit 
dieser im Folgenden zu besprechenden Art wohl kaum die Rede sein kann. Auch Rhino- 
ceros sivalensis hat nur entfernte Aehnlichkeit, denn bei diesem ist der Parastyl der oberen 
Molaren offenbar viel kräftiger, dagegen die Einschnürung des Vorjoches viel geringer. Ferner 
fehlt am M; von sivalensis das Antecrochet sowie der Basallappen an der Hinterseite, und 
an den oberen P ist das Vorjoch anscheinend viel kürzer als an den Zähnen aus China. 


” 


Auch unter den europäischen fossilen Rhinocerotiden kenne ich keine Form, welche 
diesem chinesischen besonders ähnlich wäre. Nur die beiden ersten oberen P und der My, des 
Aceratherium platyodon!) aus der Meeresmolasse von Royans sehen den entsprechenden 
Zähnen aus China recht ähnlich. Dagegen weicht der obere P; sehr bedeutend ab, indem 
das Vorjoch viel grösser ist als an dem chinesischen P3. Immerhin scheint diese Aehnlichkeit 
mit einem unzweifelhaften Aceratherium doch dafür zu sprechen, dass auch die chinesische 
Art zu dem Genus Aceratherium gerechnet werden darf, womit sich auch die relativ geringe 
Höhe der Zähne sehr gut in Einklang bringen liesse. Freilich dürfen wir auch die Anklänge 
an Rhinoceros sivalensis nicht ganz ignoriren. Sollte sich Verwandtschaft mit diesem 
herausstellen, was allerdings mehr Material voraussetzen würde, als bis jetzt vorliegt, so käme 
allenfalls Ceratorhinus sansaniensis als Vorläufer der neuen Art in Betracht. 


Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Koken. Taf. VI, Fig. 1-5, 9—11, 13—18, Taf. VII, Fig. 4,5. 


1881 ?Lydekker. Rhinoceros palaeindieus. Siwalik Rhinocerotidae Tertiary and Posttertiary 
Vertebrata. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol.II, p. 44, pl. VI, fig. 1. 

18355 Lydekker. Aceratherium Blanfordi. Ibidem, Vol. III, Part I. Additional Perissodactyla 
and Proboscidea, p.2, pl.]I, fg. 1, 2, 6, pl. II, fig. 1(?), 2, 3, Textfig. 2. 

1885 Koken. Aceratherium Blanfordi var. hipparionum. Fossile Säugethiere Chinas. Paläonto- 
logische Abhandlungen, p. 18, Taf. V, Fig. 9, 10. 

1886 Lydekker. Aceratherium Blanfordi. Catal. of the Fossil Mammalia in the British Museum. 
Part. III, p. 154, Textfig. 18. 

1899 Suess. Rhinoceros sp. Ueberreste von Rhinoceros sp. aus der östlichen Mongolei. Verhand- 
lungen der kaiserl. russischen mineralogischen Gesellschaft St. Petersburg. Bd. XXXVI, 
palalaHresas 


Dieser von Lydekker aus den Siwalik beschriebenen Art, welche sich durch einen sehr 
charakteristischen Bau der Oberkiefermolaren auszeichnet, gehören eine grosse Anzahl isolirter 
Zähne aus Schansi, Schensi und Sz’tschwan an. Koken hat sie zuerst in China nachgewiesen 
und für die wenigen ihm von dort vorliegenden Zähne eine besondere Varietät aufgestellt, die, 
wie mir scheint, auch volle Berechtigung hat. Auch Lydekker bestimmte einige chinesische 
Rhinocerotidenzähne als solche von Aceratherium Blanfordi. Wahrscheinlich gehört 
hieher auch der Rhinocerotenzahn, welchen Obrutschew in der Mongolei zwischen Urga 
und Kalgan gefunden und Suess als Rhinoceros sp. beschrieben hat. Es ist dies offenbar 
der letzte Milchzahn des rechten Unterkiefers. 

Das von Herrn Dr. Haberer gesammelte Material ist nun sehr viel zahlreicher und 


1) Mermier. Etude complementaire d’Acerotherium platyodon. Annales de la Societe Linndenne 
de Lyon. 1896, pl. II. 


9* 


68 


erweitert unsere Kenntnisse des Gebisses dieses Aceratherium ganz bedeutend, denn es 
besteht aus 3 fast vollständigen unteren Ineisiven, 15 unteren Prämolaren, 13 unteren Molaren, 
9 unteren Milchzähnen, 28 oberen Prämolaren, 13 oberen Molaren und 7 vollständigen oberen 
Milchzähnen nebst einer grossen Anzahl hier nicht weiter berücksiehtigter Fragmente, während 
Koken hievon nur einen oberen und einen unteren Molaren und Lydekker nur einen ganzen 
und zwei halbe Molaren dieser Art aus China kannte. 


Unterkiefer: Ineisiven. Diese Zähne zeichnen sich durch riesige Grösse aus und 
kommen hierin jenen von Teleoceras Goldfussi und brachypus gleich. Diese gewaltige 
Entwickelung der unteren Ineisiven scheint nicht bloss dem Subgenus Teleoceras oder richtiger 
wohl Brachypotherium, sondern auch einigen geologisch 
jüngeren Aceratheriumarten eigen zu sein, denn sie 
findet sich auch bei solchen von Samos und Pikermi. Der 
Querschnitt dieser Zähne ist oben dreieckig, an der Vorder- 
innenecke stark zugeschärft, an der Aussenecke hingegen 
gerundet, ganz wie bei Aceratherium platyodon Mer- 
mier!) aus der Meeresmolasse von Royans. Dagegen 
bildet der Querschnitt der Wurzel eine ziemlich regel- 
mässige Ellipe. Nach Lydekker — |. c. p. 6 — wären 

Unterer Jy. ee Wurzel und die J von mässigen Dimensionen, seine Abbildung zeigt 
jedoch das direete Gegentheil hievon. 

Länge der Krone frisch 100 mm; grösster Durchmesser der Krone 48 mm; Gesammtlänge 
des J 220 mm. 


Untere Prämolaren und Molaren. Die Zahl der unteren P war sicher bloss mehr drei. 
Pı fehlt jedenfalls vollständig. Der grosse P, hat zwei vollkommen getrennte Wurzeln. Seine 
Vorderhälfte ist noch sehr einfach gebaut, denn an frischen Zähnen erscheint das Vorjoch erst 
als dreiseitige Pyramide entwickelt. Das Basalband ist hier wie an allen unteren Zähnen vorne 
und hinten sehr kräftig entwickelt, jedoch reicht es hier höher hinauf als an den M. An der 
Innenseite ist es .nur auf eine kurze Strecke, an der Basis des Vorjoches, unterbrochen, an 
der Basis der Aussenseite löst es sich wie an den übrigen P in zackige Warzen auf. P; und 
P, unterscheiden sich, abgesehen von der besseren Entwickelung des Vorjoches von P, nur 
durch ihre Grössenzunahme, von den M ausser durch die relative Kleinheit ihrer Vorderpartie 
auch durch das an der Hinterseite höher emporsteigende Basalband. M; zeichnet sich durch 
die weniger starke Knickung seines Nachjoches aus. 

Dimensionen der P und M: 


P, Länge 35 mm; Höhe 36 mm; Breite (hinten) 22 mm 


P; ” 41 DE) -n 36 » 9 » ” 29 » 
P ” 45 9» » Tan ” ” 35 ” 
Mı D) 50 „; 2 » » neh 
M; » 54 3 » 40 De) v) ” 28 n 
Länge der drei P eirca 120 mm 

” ” » M » 130 » 


BSR „ unteren P und M „ 250 
Den Unterkiefer hat Lydekker — |]. c. p. 6, Fig. 2 — abgebildet. Er unterscheidet 
sich von dem des Aceratherium ineisivum durch seinen eonvexen Unterrand und die an 
Rhinoceros javanicus erinnernde Gestalt der Symphyse. ° Die Zähne des Lydekker’schen 
Originals sind kleiner als die chinesischen. 
Obere Ineisiven sind bis jetzt noch nicht gefunden worden. Ihren Antagonisten im 
Unterkiefer entsprechend müssen sie jedenfalls sehr gross gewesen sein. 


1) Mermier, E. Sur la decouverte d’une nouvelle espece d’Acerotherium. Annales de la Societe 
Linndenne de Lyon. Tome XLI, 1895, p. 30, fig. 5. 


69 


Obere Prämolaren. Die Zahl derselben beträgt im Gegensatz zu den unteren sicher 
noch vier. Der vorderste, Pı, ist sehr kräftig, hat aber trotzdem nur eine einzige, allerdings 
sehr lange, dieke Wurzel. Das Nachjoch, Metaloph, ist Anfangs als Kegel entwickelt, der sich 
auch später nur ziemlich lose mit der Aussenwand verbindet und von dieser Berührungsstelle 
aus ein kurzes Crochet nach vorwärts entsendet. Das Vorjoch wird lediglich durch eine 
schwache verticale Leiste an der Innenseite der Aussenwand angedeutet und bleibt stets 
schwächer als die in ähnlicher Weise ausgebildete Crista. Der Aussenpfeiler — Parastyl — 
ist meistens gut zu beobachten. 

P, besitzt ein wohlentwickeltes Vorjoch — Protoloph —, welches mit dem Nachjoch 
— Metaloph — durch eine nicht sehr breite Brücke in Verbindung steht. Das kurze Crochet 
verläuft auch hier parallel zur Aussenwand. Die Crista ist ziemlich kurz und stumpf. 


P; unterscheidet sich von P, fast nur durch seine Grösse und durch das diehtere An- 
einanderrücken der Innenenden der beiden Joche, die aber hier durch einen tiefen Spalt von 
einander getrennt bleiben. P, ist nicht bloss grösser, sondern auch bedeutend breiter als P;. 
Bei weit vorgeschrittener Abkauung erfolgt Verbindung von Crista und Crochet und die Bildung 
einer Mediofossette. 

Alle P, mit Ausnahme des P,, haben gerundet viereckigen Querschnitt. Das Basalband 
stellt einen breiten, etwas umgeschlagenen Kragen dar, welcher an der Hinterseite der Zähne 
sowie an den Innenenden der Joche höher hinauf steigt als an der Vorderseite und zwischen 
den Jochen. 

Dimensionen der P: 

Pı Länge der Krone 28 mm; Breite 26 mm; Höhe circa 30 mm 
123 - 5 n 32, 5 „uls2ene: tnischn lee, 
P; n b) b) 40 9 ” 45 „ ; n 2) 46 b) 
Pı » ) b} 45 „ 3 ) B8 7 ; 

Länge der vier P circa 140 mm. 


Obere Molaren. An frischen M ist der Aussenpfeiler, Parastyl, nicht besonders stark 
entwickelt. Das anfangs ziemlich lange, dann aber kürzer werdende Crochet verwächst zuletzt 
mit der tief gelegenen kurzen Crista. Im Querthal befinden sich eine oder mehrere Warzen, 
welche bei der Abkauung mit dem wulstartig verlängerten Antecrochet verschmelzen. Die 
Aussenwand ist an Mı und M, gegenüber dem Nachjoch stark eingebuchtet. Diese Bucht 
verschwindet aber bei stärkerer Abkauung, was auch mit dem Parastyl der Fall ist. Gleich 
dem P, werden auch M, und M, im Alter viel breiter als lang, auch senkt sich der zwischen 
dem Wurzelhals und dem Oberrande des Cingulum befindliche Theil der Krone an der Innen- 
seite, namentlich an Pı und Mı ganz auffallend nach einwärts und abwärts, so dass, sobald 
einmal die Abkauung sich auch auf das innere Basalband erstreckt, der Zahn immer schmäler 
wird. An M,; baucht sich die Aussenwand zwischen der Hinterinnenecke und dem Parastyl 
sehr stark aus, aber bei den chinesischen Zähnen doch weniger als bei jenen aus den Siwalik. 
An NM; ist auch der Hinterrand mit einem Basalband versehen, in dessen Mitte sich hier ein 
zungenförmiger Lappen erhebt. 


Dimensionen der M: 
Mı alt Länge 36 an der Aussenwand; Breite 53 mm 


M, 7 ” 47 7 ” n ’ ” 50? „ 
IMaernisch Eat. DB, TA 5 > »„ 52 „ ; Höhe 48?mm 
IMEesE» > 5 se eelımenseiter®: n DOSE LE) EAST 230, 
Länge der drei M circa 120 mm an der Innenseite 

5 Rat: umd ME 7.7 02 Dmera > 


Milchzähne. Während die Zahl der unteren P sicher nur drei beträgt, scheint hier 
auch im Unterkiefer noch ein vierter D, und zwar ein ächter D, vorhanden zu sein, wenigstens 
liegt mir einwurzeliger, stiftförmiger Zahn mit convexer Aussenseite und flacher Innenseite vor, 


70 


der nur als D; eines Rhinocerotiden gedeutet werden, aber freilich zu Rhinoceros 
Habereri als zu Aceratherium Blanfordi gehören kann. Die Länge des oberen D; dieses 
Aceratherium macht es jedoch wahrscheinlicher, dass dieser Zahn noch einen Antagonisten 
im Unterkiefer besessen hat und dies wäre eben dann der vorliegende Zahn. Die übrigen 
unteren D zeigen nichts Besonderes ausser dem D,, welcher eine vom Gipfel des Vorjoches 
an der Aussenseite schräg nach unten verlaufende Falte besitzt. Zu erwähnen wäre allenfalls 
auch die beträchtliche Entwiekelung des Basalbandes an der vorderen und hinteren Aussenecke. 
Am oberen D; ist die Dreitheilung der Wurzel noch angedeutet. Seine Krone ist sehr einfach, 
das Vorjoch fehlt vollständig und das Nachjoch wird nur durch einen Kegel repräsentirt. Das 
Basalband umgibt den Zahn auf drei Seiten, aussen fehlt es. Die Joche des D, bleiben ziemlich 
lang von der Aussenwand getrennt. Das Vorjoch biegt sich rechtwinkelig um und verbindet 
sich mittelst des Crochet mit dem Nachjoeh. Vom Crochet gehen sowohl nach aussen als auch 
nach innen mehrere Sporne aus. An D; reicht es bis nahe an die Aussenwand. Die Abbildung 
gibt jedoch über den Bau dieser Zähne besser Auskunft, als dies durch eine eingehende 
Schilderung möglich wäre. Der untere D, ist unter dem mir vorliegenden Materiale nicht 
vertreten, wohl aber kennen wir denselben bereits aus der Abbildung, welche Suess gegeben hat. 


Länge des unteren Di 12 mm; Höhe desselben 12 mm 
# 4 ” D;z 36 ,„ ; Breite am Hinterrande 19 „ 
” ” D) D; 46 ,„; ” 0) ” 23 5 
5 e > Dı 50? „ ; Orig. von Suess: Rhinoceros sp. 
r „ oberen D;, 21 „; Breite am Hinterrande 17 mm 
D) » 2) D, 43 9 D) ” ” 40 » 
» ” n D; 46 9» ” » Vorjoch 42 » 
I 


)) » » D; 54 ” 


Die von Lydekker zu Aceratherium Blanfordi gestellten Di und D, — pl. I, Fig.6 — 
gehören schwerlich hieher, denn D} ist grösser, Dy aber kleiner als die entsprechenden Zähne 
aus China; auch fehlt an D, ein Crochet und die Crista hat eine ganz andere Gestalt als an 
den mir vorliegenden Milchzähnen. 


5 „ Vorderrande 44 „ 


Dagegen stimmen die von mir untersuchten M recht gut mit den Abbildungen überein, 
welche Lydekker von den oberen Molaren von Blanfordi gegeben hat — pl. I, Fig. 1, 2, 
pl. I, Fig. 2 —, und da diese ihrerseits wieder sehr gut mit den mir vorliegenden oberen P 
und unteren P und M harmoniren, so kann kein Zweifel darüber bestehen, dass wir es auch 
wirklich mit Aceratherium Blanfordi zu thun haben. Immerhin ist zwischen den oberen 
M; aus den Siwalik und jenen aus China doch insoferne ein Unterschied vorhanden, als bei 
den letzteren die Aussenwand viel weniger stark ausgebaucht erscheint. 


Sollte es sich ausserdem bestätigen, dass die von Lydekker ursprünglich als ?Rhino- 
ceros palaeindieus bestimmten P,—M, — |.c. 1881, pl. VI, Fig. 1 — wirklich dem 
typischen Aceratherium Blanfordi angehören, so würden die Abweichungen der chinesischen 
Form von dem ächten Blanfordi noch beträchtlicher, denn an diesem P, sind die Joche 
vollständig durch das freiendende Querthal getrennt, an den chinesischen aber verbunden oder 
doch nur durch .einen Spalt geschieden. Auch scheinen die chinesischen Zähne, namentlich 
im Unterkiefer, in der Regel etwas grösser zu sein als die indischen. 


Unter diesen Umständen dürfte es sich empfehlen, für die Zähne aus China die Be- 
zeichnung Varietas hipparionum beizubehalten, und dies um so mehr, als die Zahl der Arten, 
welche die chinesische Hipparionenfauna mit der fossilen Thierwelt der Siwalik gemein hat, 
ohnehin verschwindend gering ist. 


Die geringe Höhe der Backenzähne, namentlich der unteren, die Einfachheit der Prämolaren, 
die starke Ausbildung des Basalbandes, namentlich die kragenartige Entwickelung desselben an 
den oberen P, sowie die Rundung des Vorjoches an der Aussenseite der unteren Molaren weisen 
dieser Art entschieden einen Platz innerhalb der Gattung Aceratherium an. Ein weiteres, 
auch für diese Gattung sehr charakteristisches Merkmal ist die auffallende Einschnürung des 


71 


Innenendes des Vorjoches — Protoloph — der oberen Molaren neben dem kurzen aber massiven 
Anteerochet. Ein Aceratheriummerkmal besteht ferner auch darin, dass die Kronen der P 
sich gegen die Wurzel zu sehr rasch verjüngen. Immerhin nimmt Blanfordi innerhalb der 
Gattung Aceratherium eine ziemlich isolirte Stellung ein. Es erweist sich als ein stark 
speeialisirter Typus, der sicher keine weiteren Nachkommen hinterlassen hat. 


Die verwandtschaftlichen Beziehungen dieser Art werden wir jedoch erst später besprechen. 
Zunächst haben wir noch eine Anzahl Zähne zu untersuchen, welche in mehrfacher Hinsicht 
sich von den bisher erwähnten unterscheiden, aber ihnen im Ganzen doch so ähnlich sehen, 
dass wir sie wohl doch nur als Varietät des Aceratherium Blanfordi betrachten dürfen. 
Diese Auffassung erscheint um so berechtigter, als auch in den Siwalik verschiedene Formen 
vorkommen, welche zwar gewisse Abweichungen gegenüber dem typischen Aceratherium 
Blanfordi aufweisen, aber sich doch demselben so enge anschliessen, dass sie Lydekker 
nur als Varietäten von dem ächten Blanfordi abgetrennt hat. Er unterscheidet eine Varietas 
majus und eine Varietas minus — letztere pl. II, Fig. 4. 

Auch die noch zu besprechenden Zähne aus China unterscheiden sich in erster Linie 
durch ihre geringere Grösse von den oben beschriebenen. Ich benenne sie jedoch nur: 


Aceratherium Blanfordi var. 


Es sind: 4 untere Ineisiven, 10 untere P, 10 untere M, 18 obere P, 6 obere M und 
3 untere und 8 obere Milchzähne, D. 

Unterkieferzähne. Die J sind nicht so vollständig erhalten, dass man ihre Dimen- 
sionen genau ermitteln könnte. Es ist nur soviel sicher, dass sie in der Grösse hinter den 
oben erwähnten ziemlich weit zurückstehen. 

Die unteren P und M sowie die D unterscheiden sich von jenen des Blanfordi hip- 
parionum nur durch ihre relative Kleinheit. Es genügt daher die Angabe einiger Maasszahlen: 
P, Länge 29—31 mm; Mı oder My? Länge 45—48 mm; D, Länge 35 mm 
P; ” Say 4 D; ” 40 „ 

Oberkieferzähne. An den P machen sich, abgesehen von den geringeren Dimensionen, 
auch insoferne Abweichungen gegenüber den oben besprochenen P von Blanfordi geltend, als 
an Pı Crista und Crochet sehr bald aneinander stossen und so die Bildung einer Fossette ver- 
anlassen, die aber durch die Abkauung wieder sehr rasch verschwindet und ausserdem insoferne, 
als an P,—Pı die Joche durch einen engen, aber tiefen Spalt getrennt bleiben. Auch haben 
sie eine relativ kräftige Crista, so dass es fast immer zur Bildung einer Mediofossette kommt, 
und ausserdem ist das Basalband nie so massiv wie bei dem ächten Blanfordi var. hippa- 
rionum. Auch weist es in seinem Verlauf verschiedene Unregelmässigkeiten gegenüber den 
typischen Zähnen auf, bald tiefere Einschnitte, bald gleich hoch bleibenden Oberrand. 

Länge des Pı, 25 mm 
5 „ Pa 31—33 mm; Breite am Hinterrand 40 mm 
£ se Bau 38 de “ „ Vorderrand 48 „ 
” )) Pı 40? 93 ” b) n 55 b) 

Die beiden ersten Molaren unterscheiden sich von den oben beschriebenen ausschliesslich 
durch ihre Dimensionen, dagegen kommt an M; zuweilen eine Crista vor, die eigentlich bei 
dieser Art an M,; gänzlich fehlen sollte. 

M; Länge an der Innenseite 48—52 mm; Breite am Vorderrand 56 mm. 

Die oberen Milchzähne weichen, abgesehen von ihrer relativen Kleinheit, auch durch 

ihren einfacheren Bau, nämlich durch das Fehlen von Spornen an Crista und Crochet von den 


oben besprochenen ab. 
D; Länge 38 mm; Breite 30 mm. 


Ich bin sehr geneigt, diese Unterschiede lediglich als Geschlechtsdifferenzen aufzufassen. 
Die zuletzt besprochenen Zähne wären demnach vermuthlich solche von Weibchen. 


Dass Blanfordi zur Gattung Aceratherium gezählt werden muss, dürfte nach den 
obigen Ausführungen schwerlich mehr einem Zweifel unterliegen. Osborn!) stellt diese Art 
allerdings wegen der vermeintlichen Aehnlichkeit der oberen Molaren zu den Brachypodinen, 
ich finde jedoch die Aehnlichkeit mit diesen sehr gering, sie schliessen sich vielmehr doch 
entschieden enger an solche von Aceratherium ineisivum und tetradactylum an. 

Koken?) führt als Unterschied der europäischen Aceratherien an, dass meistens die 
ganze Innenseite der oberen Molaren mit einem Basalband versehen und dass das Antecrochet 
schwächer und steiler sei. Auch sei das Crochet entweder ebenfalls schwächer oder es fehle 
gänzlich. Ferner sei der Zwischenraum zwischen der Aussenwand und dem hinteren Querthal 
geringer, das Hauptthal in anderer Art und Weise vertieft und anders gerichtet und endlich 
sei die Aussenwand in eine markante Vorderecke ausgezogen. 

Von allen diesen Unterschieden kann ich höchstens die schwache Entwickelung des Crochet 
gelten lassen, aber auch sie trifft nur individuell zu, wohl aber besteht insofern ein Unterschied 
gegenüber den europäischen Arten von Aceratherium, als der Aussenpfeiler, Parastyl, weniger 
kräftig entwickelt ist und ausserdem insoferne, als den Ausgang des Querthales der oberen M 
häufig ein Basalpfeiler sperrt, und überdies das Antecrochet als Wulst bis an diese Stelle sich 
fortsetzt. Nicht zu vergessen wäre auch die nicht unbeträchtliche Zunahme der Körpergrösse. 
Diese Unterschiede erweisen sich jedoch ohne Weiteres nur als Specialisirungen. Die Angabe 
Koken’s, dass das Basalband bei Blanfordi schwächer sei als bei Aceratherium incisivum, 
ist irrig. 

Was den Vorläufer von Aceratherium Blanfordi betrifft, so kann dieses nicht wohl von 
ineisivum abstammen, weil diese Art ungefähr gleichzeitig mit ihm existirt hat. Das geologisch 
ältere tetradaetylum ist aber zu specialisirt, als dass Blanfordi von ihm abgeleitet werden 
könnte. Wohl aber könnte das noch ältere Aceratherium platyodon der Ausgangspunkt 
für alle drei Arten sein. Freilich müsste alsdann zwischen platyodon und Blanfordi eine 
Zwischenform existirt haben, bei welcher die Zunahme der Körpergrösse und die wulstartige 
Verlängerung des. Anteerochet des oberen M eben erst begonnen hätte. Diese Zwischenform 
ist bis jetzt noch nicht gefunden worden. Auch das noch nicht beschriebene Aceratherium 
aus Samos kann dieses Zwischenglied nicht wohl sein; es besitzt zwar ebenfalls riesige Incisiven, 
dagegen sind seine P und M auffallend klein. Soviel ist jedoch sicher, dass der Vorläufer 
von Aceratherium Blanfordi in der alten Welt gesucht werden muss. 


Nachkommen dürfte dieses Aceratherium ebensowenig hinterlassen haben wie das 
fälschlich zu Aceratherium gestellte Teleoceras? oder Brachypotherium perimense.?) 
Beide sind zu specialisirt, als dass ein anderer fossiler oder lebender Rhinocerotide von 
ihnen abgeleitet werden könnte. 


Tapirus sinensis Owen. Taf. III, Fig. 13. 15. 
1870 Owen. Chinese Fossil Mammals. The Quarterly Journal of the Geological Society of London, 
p. 426, pl. XXVII, fig. 8, 9, XXIX, fig. 4-6. 
1885 Koken. Fossile Säugethiere aus China, p. 34, Taf. IV, Fig. 12—19, Taf. V, Fig. 1—5. 


Diese Art ist bereits unter dem von Owen beschriebenen Materiale relativ recht gut 
vertreten, drei obere und vier untere Backenzähne, noch mehr solehe Zähne standen Koken 


1) Phylogeny of the Rhinoceroses of Europa. Bulletin of the American Museum of Nat. Hist. 
New York, 1900, p. 255. 

2) ].c. p. 20. 

3) Lydekker. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. II, 1881, p. 9, pl. I-V. Osborn, l.c., p. 249. 
Dass diese Art zu Teleoceras oder richtiger Brachypotherium gerechnet werden muss, geht aus 
der Beschaffenheit der unteren P und M, deren Vorjoch äusserlich kaum bemerkbar ist, aus der Kürze 
der unteren P und aus der Molarähnlichkeit der oberen P zur Genüge hervor. Auch die gewaltige 
Grösse des Thieres und sein steil aufgerichtetes Hinterhaupt. zeigen, dass wir es mit einem Brachy- 
podinen zu thun haben. Die Zähne erinnern sehr an jene von Goldfussi. 


1 
[) 


zur Verfügung. Er deutet dieselben als Pı—P, (Fig. 12—15) und M\—M; (Fig. 16—19) 
des Oberkiefers und P, (Fig. 4, 5), P; (Fig. 3), Ps (Fig. 1) und M, (Fig. 2) des Unterkiefers. 
Die mir vorliegenden Zähne sind der linke untere P3, noch im Kiefer steckend, und vor ihm 
eine Wurzel und eine Alveole des P,, ein rechter unterer Mı, je ein rechter oberer Mı und 
M, und ein linker oberer D;. Sie wurden von Herrn Dr. Haberer in J’tschang erworben. 
In der Grösse übertreffen sie die Koken’schen Originale, dagegen dürften wenigstens die 
beiden von Owen abgebildeten Oberkieferzähne in ihren Dimensionen nur unbedeutend hinter 
jenen aus J‘tschang zurückstehen. 


Morphologische Verschiedenheiten gegenüber diesen schon länger bekannten Ueberresten 
vermag ich jedoch nicht nachzuweisen, so dass über die Bestimmung als Tapirus sinensis 
kein Zweifel bestehen kann. Die Verschiedenheit dieser Art gegenüber Tapirus indieus hat 
bereits Koken ausführlich nachgewiesen, wesshalb ich mich mit einem Auszug aus dieser 
Charakterisirung begnügen kann. 


Es verdient besonders bemerkt zu werden, dass bereits Owen über den Erhaltungszustand 
dieser Zähne sagt: The dentine and portions of jawbone ... are blanched and absorbent from 
loss of animal matter, but not mineralized. Dies trifft auch für die mir vorliegenden Zähne 
zu, welche Herr Dr. Haberer in J‘tschang, Hupeh, erworben hat. Dieselben erweisen sich 
ihrem Erhaltungszustande nach als zweifellos pleistocän und durchaus verschieden von der 
weitaus grösseren Mehrzahl der übrigen fossilen Säugethierzähne aus China. Die Zähne selbst 
sind ganz weiss, die Stellen, an welchen das Zahnbein freiliegt, sowie die vorhandenen Kiefer- 
knochen kleben an der Zunge, die Hohlräume in den Knochen sind nur zum kleinsten Theil 
mit Gesteinsmaterial ausgefüllt und dieses erweist sich ebenso wie das in Vertiefungen der 
Zähne sitzende als weicher, nicht erhärteter graugelblicher oder gelbbrauner Löss. Diese 
Tapirreste sind also unzweifelhaft jünger als die weitaus grössere Mehrzahl der chinesischen 
Säugethierzähne und haben ganz gewiss pleistocänes Alter. 


Leider macht Koken über den Erhaltungszustand seiner Originale von Tapirus sinensis 
keinerlei Bemerkung, er spricht nur von der „pliocänen chinesischen Art“. Dank dem liebens- 
würdigen Entgegenkommen des Herrn Geheimrath W. Branco in Berlin bin ich jedoch in der 
Lage, auch für die Mehrzahl dieser Stücke das zweifellos pleistocäne Alter verbürgen zu können. 
Auch sie weichen in ihrem Erhaltungszustande durchaus von den weissen Säugethierzähnen aus 
Schansi, Schensi und Sz“tschwan ab, und das anhaftende Gestein ist lössartiger brauner Lehm, 
vielleicht wirklicher Höhlenlehm. Nur ein paar Zähne sind grau gefärbt, doch kommt eine 
solehe Färbung auch bei Zähnen aus europäischen Höhlen, namentlich an solchen von Ursus 
spelaeus ausnahmsweise vor, z. B. bei denen aus dem Kuhloch bei Pottenstein in der fränkischen 
Schweiz. Es besteht daher kein Anlass, diesen Zähnen ein höheres geologisches Alter zuzuschreiben 
als den übrigen. 


Wie schon oben bemerkt, sind die von Koken beschriebenen Zähne durchgehends kleiner 
als die von Herrn Dr. Haberer gesammelten, während die Owen’schen Originale in dieser 
Beziehung den Uebergang bilden. Wir dürfen daher vielleicht doch den Schluss ziehen, dass 
alle diese Zähne trotz ihrer beträchtlichen Grössendifferenzen einer einzigen Art angehören 
könnten. Solehe bedeutende Grössenschwankungen kommen auch bei den Tapirzähnen aus 
den pliocänen schwäbischen Bohnerzen vor, ohne dass man berechtigt wäre, sie auf mehrere 
Arten zu vertheilen. Jedenfalls wäre es verfrüht, für die neuen Zähne aus China eine be- 
sondere Species aufzustellen, solange nicht vollständige Kiefer gefunden sein werden.!) 


!) Allerdings gibt es in der Gegenwart in Amerika neben einander zwei verschieden grosse Arten 
— Tapirus terrestris und pinchacus und ebenso lebten bei Ajnaskö in Ungarn zwei Arten von 
Tapirus neben einander — Tapirus hungaricus und priscus, desgleichen auch im Pliocän von 
Südfrankreich — Tapirus arvernensis und Vialetti. Es wäre daher nicht unmöglich, dass auch in 
China zwei Arten von Tapirus neben einander existirt hätten. 


Abh.d.IIl.Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 10 


74 


Die bisher bekannten Tapirzähne aus China haben folgende Dimensionen: 


Unterkiefer Owen Koken neu Oberkiefer Owen Koken!) neu 
P, Länge — 24. 22,5 30? P, Länge — 19 — 
Breite — 15.18 ar Breite —- das u 
P; Länge 25 24 . 24 31 P, Länge — 22 — 
Breite 18,5 19.17 22 Breite — 25 — 
P, Länge — 30 = P; Länge 25 22.5 — 
Breite —_ 21 — Breite al 29 _— 
M, Länge 27 25 _ P, Länge — 26 — 
Breite 20,5 19 — Breite — 31 —— 
M, Länge 30 30 87% M, Länge — 22 29 
Breite 22 20 25 Breite 29 38 
M,;, Länge — — — My, Länge 29 26 - 25 - 24 34 
Breite —- — == Breite 31 30.27 - 26 39 
M; Länge — 24 
Breiter 7 — 29,5 


Koken vergleicht die ihm zu Gebote stehenden Zähne mit jenen aller damals bekannten 
fossilen Tapire. Ich glaube, mich bei Besprechung dieser Verhältnisse ziemlich kurz fassen 
zu dürfen, da einerseits von der Identität mit der einen oder anderen europäischen Art schon 
aus stratigraphischen Gründen keine Rede sein kann und andererseits der Zahnbau der Tapire 
überhaupt ein ziemlich indifferenter ist. 

Als Hauptunterschied gegenüber Tapirus priseus möchte ich anführen, dass bei sinensis 
an den oberen M im ersten Querthal von einer Stelle nahe der Aussenwand drei schiefe Leisten 
aufsteigen, je eine an das Vorjoch, an das Nachjoch und den Mittelhügel der Aussenwand, die 
aber freilich durch die Abkauung sehr bald verloren gehen, namentlich an den Zähnen der 
kleineren Individuen. 

P, ist entschieden plumper gebaut als bei sinensis. An den unteren M ist das Querthal 
nicht durch Warzen versperrt. Hierin sollen sich nach Koken beide Arten gleich verhalten. 
Ich sehe jedoch an allen unteren P und M von siuensis einen deutlichen Querkamm. Auf 
die Basalbildungen der oberen P und M, sowie auf die Stärke des vordersten Aussenhügel 
— Parastyl — glaube ich nicht allzuviel Gewicht legen zu dürfen. 

Tapirus hungarieus ist wesentlich . kleiner na seine Zahnreihen sind sehr verkürzt. 
Der Querschnitt der Zähne ist mehr quadratisch. In Bezug auf die Stärke der Sculptur, 
Anwesenheit von Leisten im Querthal der oberen M, scheint jedoch hungaricus ziemlich 
ähnlich zu sein, wenigstens der von Ajnäcskö, denn von Schönstein — Steiermark liegt nur 
die Milchbezahnung vor. 

Tapirus arvernensis endlich 2 bedeutend kleiner und seine Unterkieferzähne sind 
auch im Verhältniss viel kürzer. Ob Tapirus sinensis auf eine dieser drei Arten und nicht 
etwa direet auf die obermioeäne Form — Tapirus Telleri Hofmann — zurückgeht, wage 
ich nicht zu entscheiden. 

Wichtiger ist der Vergleich mit dem lebenden Tapirus indicus. Nach Koken ergeben 
sich folgende Abweichungen. Die Zähne von indicus sind etwas kleiner und mehr gestreckt, 
Aussen- und Innenseite des Zahnes stehen steiler, die Innenpfeiler sind nicht so specialisirt, 
eine Einschnürung derselben kommt nur selten vor. Der vordere Tuberkel der Aussenwand 
— Parastyl — ist klein und tritt wenig hervor, der hintere fehlt ganz. Nur die zum hinteren 
Cingulum absteigende Kante der Aussenwand ist vorhanden, aber schwächer. An den P geht 
das vordere Cingulum weiter zur Innenseite. Eine Basalwarze kommt an der Aussenwand 
nicht vor. 


!) Koken gibt von viel mehr Zähnen, als hier aufgeführt sind, die Maasse an, doch kenne ich 
diese Stücke nicht aus eigener Anschauung, sondern nur seine Originalien, welche in dieser Tabelle 
berücksichtist sind. 


75 


Der im Ganzen allerdings noch mehr abweichende Tapirus americanus — Zahnreihe 
noch mehr verkürzt, Luxuriren von Basalbildungen, auch zu beiden Seiten der unteren P und 
M — hat nach Koken fast mehr Aehnlichkeit mit sinensis als indieus, so in dem Zu- 


sammenrücken der Innenenden der Joche an den oberen P und in der Verdoppelung des hinteren 
Cingulum an den unteren P,—M3. Dass die lebenden und pleistocänen amerikanischen Tapire 
aus der alten Welt eingewandert sind und nicht direct auf die Tapiriden des nord- 
amerikanischen Eocän bis Miocän zurückgehen, halte auch ich für sehr wahrscheinlich, aber 
es ist mehr als fraglich, ob sie nähere Beziehungen zu Tapirus sinensis haben. 

Die auffallende Grösse der chinesischen Form scheint dafür zu sprechen, dass wir es mit 
einem gänzlich erloschenen Ausläufer des altweltlichen Tapirstammes zu thun haben, der auch 
mit dem lebenden Tapirus indieus nur den Ahnen gemein hat. 

Literatur: 

H: v. Meyer. Die fossilen Reste des Genus Tapirus. Palaeontographica, Bd. XV, 1865—68, p. 159, 
Taf. XXV—XXXI. 

Teller. Ein pliocäner Tapir aus Südsteiermark. Jahrbuch der k. k. geol. Reichsanstalt. 1888, p. 729, 
Mar XIV, XV. 

Hofmann, A. Die Fauna von Göriach. Abhandl. d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1893, p. 47, Taf. VII—-IX. 

Deperet. Les Animaux pliocönes du Roussillon. Me&moires de la societe geologique de France. 1900, 
19: 1 al N ner 


Chalicotherium sinense Owen. 


1870 Owen. Chinese Fossil Mammals. Quarterly Journal of the Geological Society of London, p. 430, 
pl. XXIX, fig. 7-10. 

18355 Koken. Fossile Säugethiere aus China, p. 17, Taf. I, Fig. 7—10. 

1886 Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part III, p. 165, fig. 21. 


Von dieser Art liegt mir zwar ausser dem Koken’schen Originale nichts weiter vor, allein ich 
darf dieselbe schon der Vollständigkeit halber nicht unberücksichtigt lassen. Auch halte ich 
es für nöthig, zwei Angaben, welche Koken hierüber gemacht hat, richtig zu stellen. 

Der von ihm beschriebene Zahn ist, wie man schon aus der Abbildung ersehen kann, 
nicht Ps (Pı nach Hensel’scher Zählweise), sondern in Wirklichkeit Mı. Dies zeigt schon sein 
complieirter Bau und seine namentlich für Chalicotherium auffallend starke Abkauung. Er 
stimmt in beiden Stücken mit dem entsprechenden Zahne des Chalicotherium sivalense, 
wie er in Fauna antiqua sivalensis, pl. 80, fig. 3, abgebildet wird, ganz ausgezeichnet überein, 
nur dass natürlich gewisse nebensächliche Verschiedenheiten bestehen, da es sich ja ohnehin 
um zwei verschiedene Species handelt. 

Die zweite Berichtigung betrifft das geologische Alter dieses Zahnes. Da er in seinem 
Erhaltungszustand vollkommen mit den Zähnen von Tapirus sinensis und Rhinoceros 
sinensis übereinstimmt, was auch schon Koken bemerkt hat, so stehe ich keinen Augenblick 
an, auch ihm anstatt des pliocänen lediglich pleistocänes Alter zuzuschreiben. Auch Owen 
betont den eigenthümlich frischen Erhaltungszustand seines Chalicotheriumzahnes und fügt 
weiter bei, dass nur das Vorhandensein der Gattung Chalicotherium ihn bestimme, die Fauna 
für älter als oberpliocän oder sogar postpliocän zu halten. 

Eine solehe Rücksieht hat nun freilich keinerlei Berechtigung, denn es ist nicht einzu- 
sehen, warum sieh eine Gattung in einem gewissen Gebiete nicht doch noch erhalten sollte, 
während sie in einem benachbarten oder gar in einem sehr entfernten vollständig erloschen ist. 

Bei Chalieotherium kommt aber noch hinzu, dass seine Reste allenthalben äusserst 
selten sind, so dass wir über die wirkliche vertiecale Verbreitung dieser Gattung noch lange 
keine absolute Gewissheit haben. Ich kann daher ihr Vorkommen im älteren Pleistocän von 
China keineswegs so befremdend finden. 

Ausser diesem von Koken beschriebenen Mı des linken Oberkiefers kennen wir von 
dieser Art nur noch den rechten oberen M;, das Original von Owen’s Chalicotherium 
sinense. Die Dimensionen dieser beiden Zähne sind: 

10* 


76 


M, Länge 25 mm an der Aussenseite; Breite 35 mm in der Vorderhälfte 
M; „ 40,5 ” ” ) ” D ” 25 ” „ ” » 

Am nächsten unter allen Arten von Chalicotherium steht jedenfalls Ch. sivalense, 
jedoch ist bei diesem die Hinterhälfte des M, breiter, und die Innenseite von M, und M; 
etwas länger, der Hauptunterschied scheint mir aber der zu sein, dass der zweite Innenhöcker 
von Ch. sinense etwas kräftiger entwickelt ist. 

Da von einer speeifischen Identität beider Arten schon wegen des verschiedenen geologi- 
schen Alters keine Rede sein kann — die Ueberreste von sivalensis erweisen sich schon 
hinsichtlich ihres Erhaltungszustandes und ihrer intensiv dunklen Farbe als tertiär —, so hat eine 
weitere Vergleichung wenig Werth. 

Soviel ist jedoch sicher, dass beide mit einander sehr nahe verwandt sind und wohl in 
einer direeten genetischen Beziehung zu einander stehen können. 

Die jüngeren europäischen Arten unterscheiden sich schon durch ihre Grösse von sinense 
und sivalense, erst das untermioeäne Chalieotherium Wetzleri, dessen obere P und M 
jedoch nicht bekannt sind, kann daher als ihr Stammvater in Betracht kommen. 


Chalicotherium sp. Taf. III, Fig. 7. 


Unter den Säugethierzähnen aus der Provinz Schansi befindet sich ein unterer rechter P;, 
welcher der Grösse nach ganz gut zu Chalicotherium sivalense Fale. u. Caut. sp. gehören 
könnte, dessen P; jedoch nicht genauer bekannt ist, da er an dem einen Originale — Unter- 
kiefer — ausgefallen ist, an dem anderen — beide Oberkiefer und Unterkiefer fest*miteinander 
verbunden — durch P, und P, des Oberkiefers verdeckt wird. Der einzige nennenswerthe 
Unterschied gegenüber Chalicotherium sivalense besteht in der wesentlich stärkeren Ent- 
wickelung des Basalbandes. 

Die Vorderhälfte des Zahnes ist etwas höher als die Hinterhälfte, im Uebrigen haben 
beide Halbmonde gleiche Grösse. Die Oberfläche ist glatt, zeigt aber bei Vergrösserung 
horizontale Runzeln wie die mir vorliegenden Stücke von Chalicotherium Wetzleri von 
Ulm und Chalicotherium (Macrotherium) grande, von Freising. 

Länge 16 mm; Breite 9 mm am Hinterrande; Höhe 10 mm am Vorjoch. 


Der Erhaltungszustand dieses Zahnes ist der nämliche wie bei allen Rhinoceroten-, 
Hipparion- und Antilopenzähnen aus Schansi, wesshalb sein einstiger Besitzer mit vollem 
Rechte als ein Glied dieser Pliocänfauna betrachtet werden darf. Da aber das von Owen 
und Koken beschriebene Chalicotherium sinense aus dem Pleistocän stammt, so muss 
dieser Chalicotheriumzahn einer anderen Art angehört haben, die aber vermuthlich der 
Stammyater von sinense war. 


Anchitherium Zitteli n. sp. Taf. II, Fig. 6, 8—12, 14. 


Von dieser, in Asien bisher noch nicht beobachteten Gattung liegen eine Anzahl Zähne 

vor, als deren Fundort die Provinz Schansi angegeben ist. Sie sind zum Theil von vorzüglicher 
Erhaltung, mehrere stecken noch in Kieferfragmenten. Sie stammen aus dem rothen Thon, - 
welcher anscheinend sämmtliche in dieser Provinz vorkommende Säugethierreste geliefert hat. 
Die Zähne besitzen, soweit sie nicht durch Corrosion gelitten haben, eine schön hellgelbe Farbe. 
Was ihre Stellung im Kiefer betrifft, sind es ein D,, je ein Py, P;, und Mı und Ma, des 
rechten und je ein P;, M, und M,3 des linken Unterkiefers, zwei P3, drei P; und je ein My 
und M, des rechten und zwei P, oder P; des linken Oberkiefers.. Dazu kommt noch ein 
rechter unterer J;. 
Zwei untere Molaren sind noch in einem Fragment eines linken Unterkiefers vereinigt. 
Die Abkauung ist bei allen diesen Zähnen eine äusserst geringe, nur ein einziger Zahn, ein 
unterer M, macht hievon eine Ausnahme. Diese Ueberreste vertheilen sich auf mindestens 
drei Individuen. 

Gegenüber dem europäischen Anchitherium aurelianense vermag ich im Zahnbau 
keine Unterschiede zu erkennen ausser am unteren D, und am oberen M;, wohl aber sind 


77 


diese chinesischen Zähne durchgehends bedeutend grösser als jene von La Grive St. Alban 
und von Sansan, welche hierin wieder die Individuen aus Steinheim und noch mehr jene von 
Georgensgmünd übertreffen. Ganz riesig scheinen die Ineisiven gewesen zu sein. 


Dimensionen: 
Unterkiefer: D, Länge 27 mm. Oberkiefer: P, Länge A351 mm; B 27 mm; Breite B 24,5 mm 
P; ” 26 ” P; ” ” 32 »3’n 30 9 n » 33,5 n 
P; ” 30 ” Mı ” ” 23,5 Mn 3 ” » 26,8 „ 
Mı Per) NM; „ il 2b D) 
My, » 26 » 


Die Länge der unteren Zahnreihe dürfte 140 —145, die der oberen 150 mm betragen 
haben gegenüber 120 im Unterkiefer und 115 im Oberkiefer von Anchitherium aurelianense 
von Steinheim und 127 mm im Unterkiefer und 135 mm im’ Oberkiefer von jenem aus La Grive 
St. Alban. 

Viel näher kommt in seinen Dimensionen Anchitherium Ezquerrae v. Meyer von 
Cerro di San Isidro bei Madrid. Ein oberer Molar, seiner starken Abkauung nach wohl Mı, 
weleher in H. v. Meyer’s Manuseript abgebildet ist, hat eine Länge von 22 mm und eine 
Breite von ebenfalls 22 mm, ein frischer Unterkieferzahn, ebendaselbst gezeichnet, hat eine 
Länge von 24mm. Es sind dies die Originale, auf welche dieser Autor die Species Anchi- 
therium Ezquerrae basirte — Jahrbuch für Mineralogie, 1844, p. 298. Sie waren in dieser 
Zeitschrift allerdings schon früher — 1840, Taf. VII, Fig. B, 1, 2 — abgebildet, aber in 
durchaus unkenntlicher Weise. 

Der untere J, hat einen Breitendurchmesser von 15 mm und einen Längsdurchmesser 
von 13 mm gegen 8 mm bei A. aurelianense. 

Morphologische Unterschiede bestehen, wie bemerkt, nur im Bau des unteren D, und des 
oberen M.;. 

D;, unterscheidet sich von jenem von A. aurelianense dadurch, dass die Aussenseite 
des ersten Joches mit jener der M und P übereinstimmt, während bei aurelianense von der 
Spitze des Vorjoches eine nach hinten und unten gerichtete Leiste vorhanden ist, ähnlich jener 
an den unteren Molaren von Paläomeryx. 

Der obere M; hat im Gegensatz zu dem von A. aurelianense einen winzigen zweiten 
Innenhöcker, Hypocon, während dieser Höcker bei aurelianense nicht viel kleiner ist als der 
vordere, Protoeon. Durch diese Reduction des oberen M, dürfte wohl auch die Gestalt des 
unteren M,;, etwas beeinflusst worden sein. Vermuthlich war der bei Anchitherium ohnehin 
schon sehr schwache dritte Lobus nur mehr als ganz dünne Leiste von rundlichem Querschnitt 
entwickelt. Von Anchitherium Ezquerrae ist kein oberer M; bekannt. 


Mag man nun auch über die speeifische Verschiedenheit der eben genannten Art im 
Zweifel sein, da sie möglicher Weise doch nur auf Zähnen eines besonders grossen Anchi- 
therium aurelianense basirt, so trifft dies auf keinen Fall mehr für die chinesische Form 
zu. Dieselbe stellt vielmehr augenscheinlich eine selbständige Species dar, welche allerdings 
von A. aurelianense abstammt. Während aber Letzteres geradezu das Leitfossil für das 
Obermioeän in Europa bildet, treffen wir in China die Gattung Anchitherium scheinbar noch 
in Gesellschaft von Hipparion. Da bisher noch kein Forscher an Ort und Stelle in China 
gesammelt hat, ist ja allerdings die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die Reste von 
Anchitherium und Hipparion aus verschiedenen Niveaus stammen, wie das in Europa der 
Fall ist. Aber andererseits ist es doch auch nicht absolut unmöglich, dass die beiden Gattungen 
wirklich noch zusammengelebt haben. Und diese Möglichkeit gewinnt an Wahrscheinlichkeit 
einmal dadurch, dass in China ausser Anchitherium bis jetzt noch keine andere miocäne 
Gattung zum Vorschein gekommen ist und ausserdem auch dadurch, dass das chinesische 
Anchitherium sich gegenüber dem europäischen entschieden als fortgeschrittener Typus erweist. 
Die Fortschritte bestehen in bedeutender Zunahme der Körpergrösse, namentlich in Vergrösserung 
der Ineisiven und Prämolaren und in Reduction der letzten Molaren. Vielleicht war auch Verlust 


78 


des P,, ja selbst der C, vielleicht sogar Verlust oder doch bedeutende Reduction der Seiten- 
zehen erfolgt. 

Dass Anchitherium Zitteli von A. aurelianense und nicht etwa von dem nord- 
amerikanischen A. equinum Scott abstammt, bedarf keiner weiteren Begründung, denn es 
genügt schon, auf die von Scott gegebenen Abbildungen!) zu verweisen, welche sehr wesentliche 
Verschiedenheiten gegenüber aurelianense und Zitteli erkennen lassen. Nachkommen hat 
die neue Art auf keinen Fall hinterlassen. 


Hipparion Richthofeni Koken. Taf. III, Fig. 18, 20, 22, Taf. IV, Fig. 1—27. 


1853 Waterhouse. Hipparion gracile. Quarterly Journal of the Geological Society of London. 
Vol. IX, p. 354. 

1573 Gaudry. Hipparion antilopinum. Animaux fossiles du Mont Leberon, p. 63. 

1882 Lydekker. Hipparion antilopinum. Siwalik and Narbada Equidae. Palaeontologia Indica. 
Ser. X, Vol. II, Part B, p. 708. 

1885 Koken. Hipparion Richthofeni. Fossile Säugethiere aus China, p. 39, Taf. IV, Fie. 1—11. 

1586 Lydekker. Hipparion Richthofeni. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. 
Part Ill, p. 64. 


Ueber das Vorkommen von Hipparion in China hat zuerst Waterhouse berichtet und 
die wenigen, ihm hievon vorliegenden Reste auf das europäische Hipparion gracile bezogen. 
Owen scheint dieselben merkwürdiger Weise nicht gekannt zu haben, denn in»seiner Arbeit 
über die fossilen Säugethiere aus China vermissen wir jede diesbezügliche Angabe. Erst 
Gaudry brachte die chinesischen Hipparionreste wieder in Erinnerung. Lydekker liess es 
unentschieden, ob sie zu antilopinum oder zu Theobaldi gehören. Koken hatte trotz der 
Dürftigkeit des ihm zu Gebote stehenden Materiales doch Gelegenheit, fast sämmtliche Zähne 
dieses chinesischen Hipparion zu studiren und die Verschiedenheit von den bisher bekannten 
Arten nachzuweisen. Er errichtete daher die Species Hipparion Richthofeni. 

Das mir zu Gebote stehende Material ist nun unvergleichlich viel reicher als das von 
Koken untersuchte. Es sind nämlich vorhanden eirca 200 Ineisiven, 30 Caninen, 150 Prä- 
molaren, 160 Molaren und 80 Milchzähne aus Unterkiefern, und je 80 Prämolaren und Molaren, 
sowie 70 Milchzähne des Oberkiefers, auch liegen mehrere Unterkiefersymphysen, Zwischen- 
kieferbruchstücke und Ober- und Unterkieferfragmente und je ein Metapodium und eine Phalange 
von Seitenzehen vor. Besonders wichtig ist ein Unterkieferstück mit P,—Mı und ein anderes 
mit PA—M;, weil hieraus die Länge der Zahnreihe viel sicherer ermittelt werden kann als 
mit Hilfe von isolirten Zähnen. Immerhin bieten auch die isolirten Zähne von Equiden, 
soferne wie hier jeder der verschiedenen Zähne in einer grösseren Anzahl von Exemplaren 
vertreten ist, für das Studium grosse Vortheile, da hiedurch die Veränderungen, welche der 
einzelne Zahn im Laufe der Abkauung erleidet, und das Abkauungsstadium, in welchem er 
sich gerade befindet, viel leichter ermittelt werden kann als an Zähnen, welche noch im 
Kiefer stecken und daher über die wirkliche Höhe ihrer Krone und somit über das Stadium 
der Abkauung keinen sicheren Aufschluss gewähren. Freilich erschwert die grosse Menge von 
gleichstelligen Zähnen auch wieder die Aufstellung einer bestimmteren Diagnose, weil fast jeder 
derselben wieder individuelle Abweichungen zeigt, wodurch sogar scheinbar wichtige Merkmale 
durch allmälige Uebergänge bis zum völligen Verschwinden gebracht werden können. 

Aus diesem Grunde halte ich es auch für durchaus zwecklos, eine allzu detaillirte Be- 
schreibung der einzelnen Zähne zu geben und etwa gar die Form und Zahl ihrer Schmelz- 
fältchen als Speciesmerkmal zu verwenden. 

Die Berechtigung der von Koken aufgestellten Art, Hipparion Richthofeni, wird auch 
durch das von mir untersuchte Material bestätigt, denn der grösste Theil lässt sich wirklich 
von dem ungefähr gleichgrossen Hipparion antilopinum aus den Siwalik gut unterscheiden, 


ı) W. B. Scott. The Mammalia- of the Deep River beds. Transactions of the American Philo- 
sophical Society. Vol. XVII, 1894, p. 94, pl. II, fig. 13—22, pl. III, fig. 23—28. 


18, 


aber es existiren doch auch eine ziemlich grosse Anzahl von Zähnen, die man kaum von 
solchen des freilich recht ungenügend bekannten H. antilopinum unterscheiden kann. 

Was den Erhaltungszustand des mir zu Gebote stehenden Materiales betrifft, so hat etwa 
ein Drittel desselben, und darunter befinden sich auch die vorhandenen Kieferstücke, eine 
dunkle, braune oder graue, der grössere Theil aber weisse Farbe. Die ersteren Stücke wurden 
grösstentheils in Tientsin und Peking, verschiedene aber auch in J‘tschang und Ningpo erworben; 
als Fundplätze wurden Tientsin, Honan und Hupeh angegeben. Das noch anhaftende Gestein 
ist ein röthlich grauer Sandstein, bei einigen wenigen aber auch ein harter weisslicher Mergel. 
Die Letzteren stammen aus Schansi, Schensi, Sz“tschwan, einige sollen in Kwantung und im 
Tschekiang-Gebirge bei Ningpo gefunden worden sein. Die Matrix ist an diesen Resten ein 
rother Thon, ähnlich wie bei den Säugethierresten aus Pikermi in Griechenland. Auch unter 
diesen Resten befinden sich mehrere Unterkiefersymphysen und Zwischenkieferfragmente. 

Unterkiefer: Ineisiven und Caninen. Diese Zähne bieten nichts besonders Auf- 
fälliges. Sie gleichen ganz denen des Hipparion gracile, nur sind sie wenigstens zum 
Theil ein wenig grösser. Die Marken weisen einige Einbuchtungen auf und auf der Innenseite 
des Zahnes verläuft eine kurze seichte Rinne, die jedoch bei der Abkauung bald verschwindet. 
J; hat einen tiefen Einschnitt nahe der Ausseninnenecke. 

Die drei Ineisiven nehmen einen Raum von 26—28 mm ein, an der Innenseite gemessen. 

Der Canin ist von J3 durch eine kurze Zahnlücke von eirca 5 mm getrennt. 

An den Milchineisiven reicht die Rinne an der Innenseite bis an die Basis der Krone. 

Prämolaren. Den vordersten P, P,, hat Koken nicht gekannt, unter meinem Material 
ist er nicht weniger als 26 mal vertreten. Die Kaufläche steigt hier nach vorne noch stärker 
an als an P, oder P,, aber individuell in verschiedenem Grade. Der Verlauf der Schmelzfalten 
ist meist sehr regelmässig, Fältelung kommt an der Anheftung der bekannten, in Mitte der 
Innenseite befindlichen Doppelschlinge vor, aber keineswegs bei allen Individuen. Vor der 
ersten Schlinge kann manchmal ein leistenartiger Vorsprung auftreten, bei besonders grossen 
Stücken, in der Regel ist diese Schlinge jedoch einfach herzförmig. Zwischen den beiden 
Aussenmonden bemerkt man zuweilen einen nach aussen gerichteten Sporn, ein zweiter solcher 
Sporn findet sich, allerdings höchst selten, am Vorderrande der zweiten Marke. Die vordere 
Marke verläuft wie bei Equus und Hipparion Theobaldi parallel zur Längsachse des Zahnes, 
bei H. gracile bogenförmig; von H. antilopinum ist dieser Zahn nicht beschrieben. Da- 
gegen steht H. gracile der chinesischen Art insoferne wieder näher, als die Schmelzschlingen 
gerundet sind im Gegensatz zu den mehr eckigen von Theobaldi. P, und P,. Der von 
Koken beschriebene P,; ist keineswegs typisch, denn die ihm eigene starke Fältelung am 
Vorderrande des ersten Querthales kommt bei meinem Material nur höchst selten in diesem 
Grade vor, ebenso findet sich die auf der Kaufläche an der Vorderaussenecke bemerkbare 
Schmelzinsel nur bei einem Theil der mir vorliegenden P, an ihrer Stelle ist vielmehr nur ein 
Vorsprung des Schmelzbandes zu beobachten. Die zwischen den beiden Aussenenden befindliche 
Spalte greift mit zunehmendem Alter immer tiefer in die Kaufläche ein, bei ganz alten, stark 
abgekauten Zähnen reicht sie sogar bis in die Doppelschlinge hinein. Der von hinten in das 
erste Querthal eindringende Sporn ist stets schwächer als bei H. gracile, doch kann er auch 
bei diesem recht undeutlich werden. Sonst wüsste ich keine Unterschiede gegenüber den P; 
und P, von H. gracile anzugeben. Bei H. antilopinum ist die vordere Einbuchtung im 
ersten Querthal spitzer und tiefer und die hintere Schlinge entsendet einen spitzigen langen 
Fortsatz in das zweite Querthal, während bei Riehthofeni wie bei gracile alle Schlingen 
mehr gerundet sind. 

Molaren. M, unterscheidet sich von dem ihm sehr ähnlichen My durch die geringere 
Entwiekelung seiner Talonschlinge — hinter der das zweite Querthal begreuzenden Schlinge — 
und die mehr horizontale Lage der Kaufläche. M; zeichnet sich, abgesehen von der Krümmung 
des Zahnprismas durch die kräftige Entwiekelung seiner Talonschlinge aus, die Anfangs zwar 
nur aus einem ziemlich tiefsitzenden Pfeiler besteht, bei der Abkauung aber immer grösser 
wird und mit der Schlinge hinter dem zweiten Querthal eine Doppelschlinge bildet, ähnlich 
jener zwischen den beiden Querthälern. Jedoch zeigt die Talonschlinge selbst wieder auf der 


80 


Innenseite eine besondere Einbuchtung. Die Fältelung des Schmelzes ist an den M fast etwas 
häufiger als an den P, besonders macht sie sich auf der Innenseite des zweiten Halbmondes 
bemerkbar, namentlich an den dunkel gefärbten Zähnen; am Eingang des ersten Querthales ist 
sie viel seltener. 

Die von Koken erwähnte Falte am Hinterrande des ersten Querthales findet sich keines- 
wegs an allen Exemplaren, auch die von ihm stark betonte Anwesenheit einer Basalsäule an 
der Vorderaussenecke ist öfters erst bei vorgeschrittener Abkauung zu constatiren. Der an 
dem Original seiner Figur 7, unterer M,, vorhandene Basalpfeiler fehlt an allen mir vorliegenden 
P und M. 

Wesentliche Unterschiede gegenüber Hipparion gracile vermag ich nicht zu entdecken, 
doch scheint bei diesem die Fältelung in den Marken durchwegs geringer und die Abschnürung 
der Talonschlinge von der Schlinge hinter dem zweiten Querthal weniger tief zu sein. Ueber- 
haupt verhält sich diese Art viel eonstanter und weniger variationsfähig als H. Richthofeni. 
Noch ähnlicher ist jedoch H. antilopinum, wenigstens stimmen die grösseren Zähne aus 
China fast vollständig mit jenen des Lydekker’schen Originales überein. Auch Hipparion 
crassum hat abgesehen von der geringen Fältelung des Schmelzes grosse Aehnlichkeit. 

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass durch die fortschreitende Abkauung die Schmelz- 
faltung zuletzt immer einfacher und die P und M somit immer Equus-ähnlicher werden. Da 
die Zähne nach unten zu sich etwas verjüngen, so ist der alte abgekaute Zahn nahe den 
Wurzeln kürzer und auch um ein Weniges schmäler, als er in frischem Zustande war. 


Dimensionen der P und M: 
Px Länge 28,5—30 mm; Breite 15 mm Maximum; Höhe 44 mm frisch 


4 25 de PD an imum 
A 24 ns N Fr abgekaut 
Paren 27 Om »„ 16,5 „ Maximum; Höhe 46mm 
” 22 Er „ 14,5 „ Minimum 
n al a ” 120% e abgekaut 
P, 2 25 or: or, Maximum zEloher A7mme zn, 
n ID „ 13 „ Minimum 
= 20 Ri a „ abgekaut 
IM en 28 ne: SE Miassim um Ho Her 6 0Pmime 
» 22 „5 0) ‚14 ” Minimum ; » 49 „ » 
D) 20 DR D) 13 D) D) 
Mn =, 27 Nee „ 138777 Maximum: SHöhe756 mm, 
) 28 De) 5) 11 D) Minimum ; D) 54 „ » 
M; %„ 24 Sure a Masimum); Door " 
5 31 ne re ee 3 abgekaut 
& 25 "5 5 9 ,„ Minimum er 
Unterkiefer: 
A Py,—Mı 92mm; Pa—P, 70 mm; Höhe des Unterkiefers B unter P, 57 mm 
B P,-M; 91 „; M-M;67 „; = ” in „ hinter M; 73 „ 


Zahnreihe P,—M, circa 135—140 mm 
Abstand des P, von © 45? mm. 


Milchzähne des Unterkiefers. Die JD und CD bieten nichts BenierkeusarsziEe 
wesshalb ich von einer Besprechung derselben Abstand nehmen kann. 

Die Milchbackenzähnhe — D — variiren sowohl bezüglich ihrer Grösse als auch in der 
‚Ausbildung der Schmelzfalten. Auch die Höhe des Basalpfeilers auf der Mitte der Aussenseite 
ist ziemlich verschieden, so dass er selbst an abgekauten Zähnen öfters erst ziemlich spät zum 
Vorschein kommt. Ebenso tritt auch der Basalpfeiler in der Vorderaussenecke von D; und Dy 
öfters erst bei weit vorgeschrittener Abkauung auf. Die von Koken erwähnte Schmelzfalte 
im Hintergrunde des vorderen Querthales fehlt bei vielen der mir vorliegenden D, durchaus 
unabhängig von dem Grade der Abkauung, dagegen kommt sie aber manchmal auch beim 


81 


europäischen Hipparion vor, wo sie nach Rütimeyer immer fehlen soll. Neben dem Basal- 
pfeiler an der Aussenwand sieht man an ganz frischen Zähnen noch eine oder zwei dünne 
niedrige Säulen, die aber fest mit ihm verwachsen und nur selten mehr durch die Abkauung 
zu Tage gefördert werden. Breite und Dicke ändern sich durch die Abnutzung des Zahnes 
wenig, nur die Fältelung wird einfacher. 


Als Unterschied gegenüber antilopinum und gracile (mediterraneum) kann allenfalls 
die stärkere Fältelung des Schmelzes gelten, bei antilopinum sind die D auch etwas kürzer 
als bei Richthofeni, indessen ist es sehr fraglich, ob diese Unterschiede sich auf die Dauer 
festhalten lassen werden und nicht etwa bloss für das einzige bis jetzt beschriebene Exemplar 
von antilopinum gelten. 


Dimensionen der D: 


D; Länge 32 mm; Breite 13 mm; Höhe frisch 26 mm Maximum 
East NN: „222, Minatmum 


; n 
D; s 28,5,;5 5 Nora e r „ 22 „. Maximum 
3 2, es 11 ns S \ 18,5 „ Minimum 
D; 5 allen... a I3HE e x 227 Maximum 
= 2 e a NE e 2 Minimum: 


Oberkiefer, Ineisiven und Caninen. Der Schmelz in den Marken der oberen J 
zeigt etwas mehr Fältchen als bei Hipparion mediterraneum (gracile), aber diese Fältchen 
sind etwas flacher, auch sind die Zähne selbst ein wenig kleiner als bei diesem. Sehr be- 
merkenswerth ist dagegen die geringe Entfernung des medialen Foramen und des Zwischen- 
kieferausschnittes von den beiden mittleren J. 


Abstand des Foramen von der Krone der beiden J 14—16 mm bei H. Richthofeni 
5 n 5 Rh . 5 ENES ) 1e2a) „„ H. mediterra- 
neum (gracile) 

- „ Ziwischenkieferausschnittes „ „ 5 5 ”„ n81—-40 „  „ H.Richthofeni 

5 n : ae ” r »„ „4248 „ ,„ H. mediterra- 
neum (gracile) 


Prämolaren. P, ist meistens stark in die Länge gezogen, und sein Vorderpfeiler ist bald 
schwächer, bald kräftiger ausgebildet und steht mehr oder weniger schräg zur Aussenwand. 
Der grosse Innenpfeiler hat in der Regel ovalen Querschnitt und verschmilzt im Alter häufig 
mit dem vorderen Innenmonde, was auch bei P; der Fall sein kann. Der gegen diesen 
Innenpfeiler gerichtete Sporn ist bald kürzer, bald länger, bald einfach, bald in zwei oder 
sogar drei Spitzen gespalten. Dies gilt nicht nur für den P,, sondern auch für die übrigen 
P und M. Die Nebenfalte an der Hinterinnenecke greift stets sehr tief in die Kaufläche ein. 
Die Fältelung in den Marken ist immer sehr beträchtlich, nicht selten ist auch der Vorderrand 
der ersten Marke stark gefältelt, und die Falten verlaufen mit Ausnahme von den unmittelbar 
an den Halbmonden befindlichen ziemlich genau parallel zur Längsachse des Zahnes. Von 
besonderer Breite, z. Th. Furchung der Aussenwand, Ueberhängen derselben nach innen, Höhe 
und Biegung des Zahnprismas, welehe Merkmale Koken stark betont, kann ich nichts ent- 
decken, vielmehr finde ich sie auch in dem nämliehen Grade bei der europäischen Art. 
Einzig und allein die grössere Ausdehnung der Aussenwand hat unter diesen Merkmalen 
wirklich einige Bedeutung. Auch auf die starke Entwickelung der vorderen und mittleren 
Aussenleiste — besser Aussenpfeiler — möchte ich nicht allzu viel Gewicht legen, obschon 
dieselben in der That in der Regel etwas kräftiger ausgebildet sind als bei graeile. Als 
Hauptunterschiede gegenüber H. gracile betrachte ich die Streekung der P, und die unregel- 
mässige und gestreckte Form des Innenpfeilers, die starke Entwickelung des gegen den Innen- 
pfeiler gerichteten Spornes und der tief eingreifenden Nebenfalte an der Hinterinnenecke. Bei 
Hipparion graeile ist dieser Sporn und diese Nebenfalte immer kürzer und der Breiten- 
durchmesser stets grösser als der Längsdurchmesser des Zahnes, auch hat der Innenpfeiler 
stets einen wohlgerundeten kurzelliptischen Querschnitt. Bei antilopinum ist der Zahn im 


Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 11 


82 


Verhältniss eher noch breiter, und der gegen den Innenpfeiler gerichtete Sporn eher noch 
kürzer als bei gracile, dagegen greift die erwähnte Nebenfalte scheinbar etwas tiefer in die 
Kaufläche ein. 

Molaren. Sie unterscheiden sich von den P bekanntlich durch die nach hinten an- 
steigende Kaufläche, durch ihre geringeren Dimensionen, durch die immer schwächer werdenden 
Aussenpfeiler, die stärkere Compression des Innenpfeilers und die stärkere Fältelung. M; 
zeichnet sich, abgesehen von seiner auffallenden Krümmung, dadurch aus, dass er gegen die 
Wurzel zu immer dieker wird, und mithin abgekaut viel länger und breiter erscheint als in 
frischem Zustande. 

Die für die P erwähnten Unterschiede gegenüber H. gracile und antilopinum gelten 
natürlich auch für die M, nur kommt hier für M,; noch ein weiterer hinzu, nämlich der, dass 
die Hinterhälfte. dieses Zahnes erheblich schmäler ist als die Vorderhälfte, ein Verhältniss, 
welches sich erst spät im Alter so ziemlich ausgleicht. 


Dimensionen der oberen P und M: 
P, Länge 34 mm; Breite 24 mm Maximum; Höhe 48 mm frisch 


& 2: „ 22 „ Minimum; a2 5 
N Hal A: ae 22 ae 5 abgekaut 5] 

Pausen DRS: »„. 28 „ Maximum; Höhe 40? „ > 
5 DI; 24 Ninınaums; er Aller, ; n 
= DE er Su n abgekaut 

Mı?y „ ED n„..22  „ Maximum; Flöhe 56 n 
2) 23,5, ; » 20 „ Minimum ; D) 56 „ ” 
» 20 „; b) 1957 ” abgekaut 

Ma NE „ 19,5 „ Maximum; Höhe 56 „ ’ 
b) 19 „5; D) 18 ” Minimum ; ” 47, » 
NE re »„ 22 „ Maximum; abgekaut 
RR: „ 18505, =Minimurme; h 


Frische P, und M, sind in isolirtem Zustande schwer von einander zu unterscheiden und 
daher hier nicht berücksichtigt. Zwei Oberkieferfragmente, eines mit Ps Mı, das andere mit. 
P; P, geben jedoch über die Grösse von P, Aufschluss. Die Maasse sind: 

P; alt Länge 20,5 mm; Breite 21 mm 

Ba ” ” 19 5 ” 21 ” 

BA mittleres Alter. „ 22,5 „; RI 
Zahnreihe ungefähr 140—150 mm. 


Die Oberkieferzähne aus Kwantung zeichnen sich sämmtlich durch ihre Kleinheit aus. 
Auch ist die Fältelung bei den meisten geringer und die Nebenfalte an der hinteren Innenecke 
dringt nicht so tief ein. Aber trotzdem stehen diese Zähne jenen des typischen Richthofeni 
wesentlich näher als jeder anderen Art. Es handelt sich hier wohl um eine kleine Lokalrasse, 
wie sie ja bei Equiden häufig vorkommen. 

M; Länge 21 mm; Breite 19 mm; Länge an Basis 23 mm 
N ER De: 2,02, Ellohe Sa trisch 
Bin ZUR 0 2. ,, absekalı 


Milchzähne. Trotz ihrer geringen Höhe bieten diese Zähne doch ein sehr wechselndes 
Bild, insoferne die Fältelung auch bier verschieden stark ist.und der gegen den Innenpfeiler 
gerichtete Sporn bald mit nur einer, bald mit zwei oder gar mit drei oder vier Spitzen endet. 
Der Innenpfeiler ist auch hier etwas comprimirter als bei Hipparion gracile. Auch die 
Breite dieser Zähne ist etwas geringer als bei der europäischen Art, namentlich auffällig ist 
dies bei D; und D;. 

Bei antilopinum sind die Milehzähne wesentlich breiter und ihr Innenpfeiler ist weniger 
comprimirt. 


83 


Die Dimensionen der oberen D sind: 
Dı Länge 13 mm; Breite 8 mm; Höhe 10,5 mm 


D; > BO 55 3 1998, 1; „ 22 „ Maximum 
Br arnı3 a In Om: 19 Minimum 
D; Br DIN ns = DONE: „ 20? „ Maximum 
> AD 5 3 20; 22 Minimum 
D; n Slsns Y RE „ 25 „ Maximum 
P: DIR nik: = 20 „ 22,5 „ Minimum. 


Die Unterscheidung von D; und D, ist in isolirtem Zustande durchaus unsicher. 


Ueber das Skelet lässt sich auf Grund des bisher vorliegenden Materiales sehr wenig 
ermitteln, aber immerhin möchte ich Folgendes hierüber erwähnen. 

Der Einschnitt an der Verwachsung der beiden Zwischenkiefer und das zwischen den 
Wurzeln der beiden Jı befindliche Foramen steht viel weiter vorne als bei Hipparion graecile; 
Richthofeni kommt hierin der Organisation von Equus caballus entschieden näher. Jedoch 
halte, ich es bei der Dürftigkeit des vorhandenen Materiales für durchaus verfrüht, hieraus 
irgend welche Schlüsse zu ziehen. 

Der Jochbogen inserirt etwas höher oben als bei H. antilopinum; auch bei H. graeile 
steht er in der Regel ein wenig tiefer. Bei letzterer Art beginnt er in der Regel erst ober- 
halb des Mı, bei Riehthofeni und antilopinum aber schon oberhalb des P.. 


Der Unterkiefer sowie der vorliegende distale und proximale Rest von Metapodien und 
die Phalangen der seitlichen Zehen bieten nichts besonders Auffälliges, nur wäre zu erwähnen, 
dass diese Knöchelehen sehr verschiedene Grösse besitzen. Der Distalrest eines Metapodiums 
ist viel zierlicher als bei H. gracile von Pikermi, die beiden Phalangen haben folgende 
Dimensionen: 


A. Länge 35,5 mm;. Breite der proximalen Facette 12,5 mm; Breite der distalen Facette 11 mm 
B. ” 29 ” D n ” 2 2] 10 ” ; ” n ” n 10 ” 


Trotz der nicht unbeträchtlichen Schwankungen in den Grössenverhältnissen und in der 
Complieation der einzelnen Zähne haben wir es in China doch sicher nur mit einer einzigen 
Species von Hipparion zu thun, welche sowohl von dem europäischen H. gracile als auch 
von dem indischen antilopinum verschieden ist, aber entweder direct auf die nämliche 
Stammform zurückgeht wie diese beiden Arten oder aber deren gemeinsamen Vorfahren darstellt. 


Nicht ganz unwichtig erscheint mir die Existenz der kleinen Form in Kwantung und im 
Tschekianggebirge. Die Kleinheit und der relativ einfache Bau ihrer Zähne scheint fast dafür 
zu sprechen, dass wir es nicht etwa bloss mit einer degenerirten Zwergrasse, sondern vielleicht 
doch mit dem ursprünglichen Typus zu thun haben, der aber dem eigentlichen Richthofeni 
doch so nahe steht, dass eine speeifische Unterscheidung nicht gerechtfertigt wäre. 

Solange jedoch fast nur isolirte Zähne die Grundlage für Untersuchungen abgeben, wäre 
es entschieden verfrüht, weitere Vermuthungen über die Herkunft des chinesischen Hipparion 
und seine Beziehungen zu den übrigen Hipparionarten auszusprechen. 

Was die Unterscheidung von den übrigen Hipparionarten betrifft, so ist sie eigentlich 
nur leicht für Hipparion Theobaldi aus den Siwalik,!) denn derselbe ist wesentlich grösser, 
und für Hipparion crassum von Roussillon,?) dagegen lassen sich für das europäische Hip- 
parion gracile (mediterraneum) und, das indische antilopinum, welche ungefähr die 
nämlichen Dimensionen, wenigstens individuell, besitzen, kaum allgemein giltige Abweichungen 
ermitteln. Die Vergleichung mit antilopinum erfordert schon desshalb grosse Vorsicht, weil 
hievon bis jetzt nur sehr wenige Stücke bekannt resp. beschrieben sind, so dass wir keineswegs 


I) Lydekker. Palaeontologia Indiea. Ser. X, Vol. II, Part III, 1882, p. 15, pl. XI, fig. 3, 4, 
pl. XI, fig. 2, 4. 
2) Dep&ret. Animaux pliocenes du Roussillon. Memoires de la societe geologique de France. 


1900, p. 76, pl. V, fig. 6—10, pl. VI. 
11 


54 


sicher sind, ob wir es auch mit dem wirklichen Typus dieser Species und nicht mit einer 
blossen Varietät oder Rasse dieser Art zu thun haben. 

Was zunächst Hipparion gracile!) betrifft, so verhält es sich im Ganzen viel constanter 
als Richthofeni. Als Unterschiede gegenüber der chinesischen Art kommen folgende Merkmale 
in Betracht: 

Am unteren P, dringt das erste Querthal bogenförmig statt vertical in die vordere Marke 
ein. Der von hinten in die vordere Marke der P und M eindringende Sporn ist bei gracile 
stärker als bei Riehthofeni, dagegen ist bei letzterem die Abschnürung der Talonschlinge 
von der benachbarten Schlinge am Eingang des zweiten Querthales viel deutlicher, die Schlingen 
selbst sind aber weniger gerundet als bei gracile. Die Fältelung des Schmelzes kann sowohl 
an den Unter- als auch an den Oberkieferzähnen der chinesischen Art complieirter werden als 
bei der europäischen Art. Die Oberkieferzähne sind insgesammt gestreckter als bei gracile. 
Selbstverständlieh gilt dies auch für die Zähne des Unterkiefers, doch ist bei deren an sich 
viel geringeren Breite dieser Unterschied viel weniger bemerkbar. Ferner ist auch der grosse 
Innenpfeiler der oberen P und M, sowie an den D, viel mehr in die Länge gezogen und im 
Querschnitt viel unregelmässiger als bei gracile. Ausserdem zeichnet sich Richthofeni durch 
die tiefe Nebenfalte an der Hinterinnenecke und die Länge des gegen den Innenpfeiler ver- 
laufenden Spornes aus. Die Fältelung endlich scheint bei Riehthofeni meist etwas stärker 
zu sein als bei gracile. 

Hipparion antilopinum unterscheidet sich von Richthofeni durch die weniger aus- 
gesprochene Rundung der Schlingen und die stärkere Einbuchtung des Vorderrandes des ersten 
Querthales. Die Oberkieferzähne sind sogar im Verhältniss noch breiter als bei gracile und 
der gegen den Innenpfeiler gerichtete Sporn eher noch kürzer und schwächer als bei der 
europäischen Art. Auch die unteren Milchzähne scheinen etwas kürzer zu sein als bei Richt- 
hofeni. Indessen kommen die in der späteren Arbeit von Lydekker?) abgebildeten Ober- 
kieferzähne solchen von Riehthofeni wesentlich näher, so dass ich fast zweifeln möchte, ob 
sich bei genauerer Kenntniss und direeter Vergleichung die Selbständigkeit beider Arten aufrecht 
halten lassen wird. Jedenfalls stehen beide Arten einander viel näher als dem europäischen 
Hipparion. 

Hipparion Theobaldi unterscheidet sich von Richthofeni nicht bloss durch seine 
viel beträchtlieheren Dimensionen, sondern auch durch den einfacheren Bau seiner Backenzähne, 
An den Unterkieferzähnen sind die Schlingen viel weniger gerundet und an den Öberkiefer- 
zähnen ist der Innenpfeiler viel mehr in die Länge gezogen. 

Hipparion crassum von Roussillon hat nach Depe&ret complieirtere Fältelung 
und stärkere Cementbedeckung als gracile. Auch durch ihr geologisches Alter — Mittel- 
pliocän — entfernt sich diese Art noch weiter von der chinesischen als dies bei H. gracile 
der Fall ist. | 


Bezüglich der nordamerikanischen Hipparionarten sind wir bedauerlicher Weise immer 
noch auf die Arbeit Leidy’s?) und auf ein paar kleine Aufsätze von Cope?) angewiesen. — 


I) Gaudry.' Animaux fossiles et Geologie de l’Attique. 1862—67, p. 218, pl. XXXIV, fig. 3—8. 
i R e du Mont Leberon. 1873, p. 32, pl. V, fig. 7—-10. 
Weithofer. Beiträge zur Kenntniss der Fauna von Pikermi. Beiträge zur Paläontologie 

Oesterreich-Ungarns. 1888, Bd. VI, p. 244, Taf. XII—XV. 2 

2) Lydekker, 1. c. p. 9, pl. XI, fig. 1, 2, pl. XII, fig. 1-3, Vol. II, Part I, 1884, p. 11, pl. 3. 

3) The Extinet Mammalian Fauna of Dakota and Nebraska. Journal of the Academy of Natural 
Sciences of Philadelphia. 1869, pl. XVII, XIX. 

4) A. Review of the North American Species of Hippotherium. Proceedings of the American 
Philosophical Society. 1889, p. 429—458, pl.3 und: 

On the Permanent and Temporary Dentition of Certain Three toed Horses. The American 
Naturalist. 1892, p. 942, 943, pl. 2. 


85 


Leidy verfügte nur über dürftiges Material, dessen geologisches Alter überdies keineswegs 
genauer ermittelt ist. Die von ihm abgebildeten Zähne machen fast sämmtlich einen 
recht fremdartigen Eindruck, denn die Fältelung in der Mitte ist entweder viel spärlicher 
oder viel unregelmässiger als bei allen altweltlichen Arten, so dass von einem direeten 
genetischen Zusammenhang zwischen diesen und den nordamerikanischen sicher nicht die 
Rede sein kann. 

Ueber die Herkunft der Gattung Hipparion selbst kann indessen kein Zweifel bestehen. 
In der alten Welt hat sie als Vorläufer die Gattung Anchitherium, allein die morpho- 
logische Verschiedenheit zwischen beiden ist zu gross, als dass Hipparion direet von 
Anchitherium abstammen könnte. Wir sind daher genöthigt, für Hipparion nord- 
amerikanischen Ursprung anzunehmen, da im jüngeren Tertiär von Nordamerika wirklich viele 
Zwischenformen zwischen den Anchitherium-ähnlichen und den Hipparion- und Equus- 
artigen Typen existiren. Aber auch in dieser Beziehung muss das nordamerikanische Material 
erst einer gründlichen Neubearbeitung unterzogen werden. ehe wir die wirklichen genetischen 
Reihen feststellen können. 

Viel inniger als zu Anchitherium sind die Beziehungen der Gattung Hipparion zu 
Equus. Es darf daher nicht Wunder nehmen, dass Hipparion eine Zeit lang als unbestreit- 
barer Vorfahre von Equus gelten konnte. Durch die Studien über Hipparion von Pavlow!) 
und Weithofer?) wurde diese Ansicht jedoch wesentlich erschüttert, denn diese wiesen darauf 
hin. dass Hipparion im Bau der Öberkieferzähne viel specialisirter wäre, als Pferd 
— Innenpfeiler, der ursprüngliche Protocon, ganz getrennt vom vorderen Halbmond und reichere 
Fältelung, namentlich in der Mitte dieser Zähne —. Nach Analogien mit anderen Stammes- 
reihen der Säugethiere sind wir aber berechtigt anzunehmen, dass der Vorläufer nicht speeialisirter 
sein kann als dessen wirklicher Nachkomme. Hipparion wäre somit lediglich als ein Seiten- 
zweig des Pferdestammes aufzufassen. 

Es ist hier nicht der Platz, diese Fragen eingehender zu behandeln, jedoch kann ich 
nicht umhin, auf verschiedene Momente aufmerksam zu machen. Die Regel, dass der Nach- 
komme speeialisirter ist als der Vorfahre, ist natürlich im Ganzen und Grossen unanfechtbar, 
aber wie jede Regel wird auch diese manchen Ausnahmen unterworfen sein. 

Was zunächst die stärkere Fältelung und die Rundung und Isolirung des Innenpfeilers 
des Hipparionzahnes gegenüber Equus betrifft, so verliert dieser Umstand dadurch an Be- 
deutung, dass bei dem zeitlich in der Mitte stehenden Equus Stenonis?) die Fältelung öfters 
ziemlich stark und der Innenpfeiler noch viel weniger eomprimirt ist als bei den späteren Equus- 
arten, so dass mithin Equus Stenonis auch morphologisch eine Mittelstellung einnimmt. Die 
Isolirung des Innenpfeilers hört wenigstens an den abgenutzten P von Hipparion öfters auf, 
auch wird die Fältelung an stark abgekauten Zähnen meistens schwächer, der Hipparionzabn 
wird also ontogenetisch bis zu einem gewissen Grade ein Equuszahn. 

Auch einen Einwand, welehen Boule®) kürzlich gegen den directen Zusammenhang von 
Equus und Hipparion erhoben hat, kann ich nicht für entscheidend ansehen. An den 
unteren Milchzähnen von Hipparion kommt nämlich ausser dem oft sehr complieirten Pfeiler 
auf der Mitte der Aussenseite auch häufig ein Basalpfeiler an der Vorderaussenecke vor, bei 
jüngeren afrikanischen Equiden und manchmal auch bei Equus Stenonis aber ein solcher 
an der Hinteraussenecke. Ich kann hier nichts weiter sehen als eine Neubildung, die übrigens 
auch an einigen D, von Hipparion Richthofeni und an einem Originale Weithofers aus 
Pikermi — 1. c. Taf. XV, Fig. 6 — wenigstens angedeutet ist. 


1) Etude sur l’'histoire pal&ontologique des Ongules. Bulletin de la Societe imperiale des Naturalistes 
de Moscou. 1888, p. 60 ete., 1900, p. 126. 

2) l.c., p. 52 (276). 

3) Forsyth Major. Beiträge zur Geschichte der fossilen Pferde. Abhandlungen der schweizer. 
paläontologischen Gesellschaft. 1882, Taf. II, Fig. 3. 

s) Observations sur quelques Equides fossiles.. Bulletin de la Societe geologique de France. 
Tome XXVII, 1899, p. 532, 541. 


86 


Für sehr beachtenswerth halte ich dagegen die von Deperet!) hervorgehobene Thatsache, 
dass die Extremitäten bei Hipparion crassum sich bis zu einem gewissen Grade Equus- 
artiger entwickeln, in Folge der Reduction und Rückwärtsverschiebung der Seitenzehen, und 
dass dementsprechend auch die proximale Fläche des Metacarpale III und die angrenzenden 
Carpalia sich mehr im Sinne von Equus modifieiren. Hipparion crassum erweist sich 
demnach gegenüber Hipparion gracile als fortgeschrittene Form. Dep£ret zieht hieraus 
den Schluss, dass wenigstens gewisse Hipparion doch als Vorläufer von Equus in Betracht 
kommen dürften und dass Equus selbst polyphyletischen Ursprungs zu sein scheint, wie dies 
auch schon Cope vermuthet hat. 


Ich schliesse mich diesen Ausführungen sehr gerne an, nur möchte ich den polyphyletischen 
Ursprung der Gattung Equus so aufgefasst wissen, dass unter Equus alsdann mindestens zwei 
in Wirklichkeit nicht direet miteinander verwandte Dinge verstanden werden. Ich würde aber 
es entschieden vorziehen, den Gattungsnamen Equus auf die altweltlichen und vielleicht einige 
aus der alten Welt in Nordamerika eingewanderte Pleistocän-Pferdearten zu beschränken, die 
grosse Mehrzahl der neuweltlichen Pferde, vor allem aber die aus dem älteren Pleistocän 
von Mittel- und Südamerika, als ein besonderes Genus von Equus zu trennen. 


Equus cfr. sivalensis Fr. Falconer et Cautley. Taf. III, Fig. 16, 17, 19, 21. 


1849 Faleoner and Cautley. Fauna antiqua sivalensis, pl. 81, fig. 1-4, pl. 82, fig. 2, 3—6. 

1882 Lydekker. Siwalik and Narbada Equidae. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. II, Part III, p. 21 (87), 
pl.XIV, fie. 1, 2, pl. XV, fig.. 

1886 - Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. Part III, p. 66. 

1891 5 On a Collection of Mammalian Bones from Mongolia. Records of the Geological Survey 
of India, p. 211, fie. 3. 


Unter dem mir vorliegenden Materiale befinden sich mehrere Kieferfragmente und isolirte 
Zähne, welche in ihrem Erhaltungszustande vollkommen mit jenen Säugethierresten überein- 
stimmen, welche aus Tientsin (?), Honan und Hupeh stammen sollen. Auch das anhaftende 
Gestein ist der nämliche röthlich graue Sandstein, beziehungsweise Mergel, wie an den Säuge- 
thierresten aus den beiden genannten Provinzen. Es wird hiedurch ziemlich wahrscheinlich, 
dass sie auch das nämliche geologische Alter besitzen, so dass also in China Equus schon 
neben Hipparion gelebt hätte, was freilich allen bisherigen Erfahrungen widersprechen 
würde, da selbst in Indien Equus sivalensis erst in jüngeren Schichten vorkommt als 
Hipparion. 

Natürlich können hierüber nur Aufsammlungen an Ort und Stelle unter fachmännischer 
Leitung entscheiden, allein die Möglichkeit einer Ausnahme von der Regel, dass Hipparion 
und Equus zeitlich geschieden sind, kann doch nicht a priori in Abrede gestellt werden. 

Allerdings muss auch bemerkt werden, dass die unteren Prämolaren, namentlich P3, 
Fältchen in den Marken zeigen, allein die gewaltige Höhe dieser Zähne und der Bau der 
unteren M; und der oberen P stimmt bereits vollständig mit dem Bau der Zähne von Equus 
überein. 

Es liegen: von diesem Equus vor: 


P5,, Mı und My und zwei M, aus linken, zwei P— P; und Ps? — und zwei M; des 
rechten Unterkiefers, je ein oberer P, und P; des linken Oberkiefers und ein oberer J. 

In der Grösse stimmen diese Zähne fast vollkommen mit denen der Originale von 
sivalensis überein, auch zeigen die unteren P und M auch den Sporn, welcher von dem 
hinteren Halbmond gegen die Mitte der Aussenseite dieser Zähne verläuft. Jedoch unter- 
scheiden sich P, und ein M, dadurch, dass in der zweiten Marke von der Innenseite des Halb- 
mondes aus zwei Sporne auftreten. Die Höhe der Unterkieferzähne ist sehr bedeutend und 
übertrifft selbst die Höhe der stärksten Zähne von Equus caballus, indessen verhält sich 


1) Roussillon, 1. c. p. 82. 


87 


auch der ächte sivalensis zweifellos in dieser Beziehung ebenso, wenigstens darf man dies 
aus der Höhe des Kiefers folgern. 


Die Unterkieferzähne haben folgende Dimensionen: 


» P, Länge 42mm; Breite 19 mm; Höhe 78 mm; = 

P; » SON ER ” 1 1.2 » ln 

Pı ” 30? u) ” 18 7) ” 80 » 

Mı ” 31 „9 ” 16 er) n 80 » 

M; A n 32 2) b)) 13 ve: ” 55 ” \ 
B\ 38%. { 18 , u ® angekaut 
33 ee 
DE. co re 


Von den beiden oberen P ist der erste noch ganz frisch, aber trotzdem besteht bereits 
eine sehr innige Verbindung zwischen dem ersten Halbmond und dem langgestreckten Innen- 
pfeiler. An dem zweiten ist die Krone horizontal abgebrochen. 


Py, Länge 40 mm; Breite 26,5 mm; Höhe 60?mm 
P; ” 33 „9 » sl „5 
Ich möchte fast glauben, dass der von Waterhouse erwähnte auffallend grosse Hippo- 
theriumzahn aus China ebenfalls zu Equus sivalensis gehört. Koken hatte unter seinem 
Materiale keine derartigen Zähne, dagegen macht er l. c. p. 48 — auf jene Notiz von Water- 
house aufmerksam. 


Equus sivalensis zeichnet sich nach Lydekker durch die Kürze der Zahnlücke und der 
Zwischenkiefer, durch die Anwesenheit einer Larmialdepression auf den Oberkiefern und den 
Hemionus ähnlichen Schädel aus. Die Kürze des Innenpfeilers der oberen M spricht Lydekker 
als ein Zeichen von Verwandtschaft mit Hipparion an. Ich kann als weiteren Anklang an 
Hipparion die Anwesenheit von Fältchen in den Marken der Unterkieferzähne anführen. 


Diese von mir untersuchten Reste von Equus sind jedoch nicht die ersten, welche aus 
ächten Tertiärablagerungen Chinas nach Europa gelangt sind, denn bereits vor 10 Jahren hatte 
auch Lydekker Gelegenheit, die Anwesenheit von Equus in Tertiärablagerungen der Mongolei 
zu constatiren und zwar bestimmte auch er die ihm vorliegenden beiden Zähne, einen oberen 
Pı und einen oberen M,, als solche von Equus sivalensis Fale. 


Ausser diesen beiden Zähnen kamen auch Bruchstücke von zwei ersten Phalangen, eine 
vollständige erste Phalange, das Oberende eines Metatarsus und ein Epistropheus dieses Equus 
in den Besitz von Prof. Huxley nebst Ueberresten von Gazellen, von Bos? und einem 
Kieferfragment von Hyaena macrostoma. 

Lydekker, welcher die Bestimmung dieses Materiales vornahm, macht ausdrücklich darauf 
aufmerksam, dass diese Stücke vollständig fossilisirt sind. Der P, hat nach ihm rein weisse 
Farbe und das an den Knochen und Zähnen anhaftende Gestein ist ein rother Thon oder 
Sandstein, soferne nicht die Hohlräume mit Krystallen ausgefüllt waren. 

Es kann somit keinem Zweifel unterliegen, dass es sich hier wirklich um Säugethierreste 
aus Tertiärschichten handelt, und da Lydekker selbst die beiden Zähne als solche von Equus 
sivalensis, der ihm jedenfalls sehr genau bekannten, indischen Art bestimmt hat, so besteht 
auch nicht das geringste Bedenken, die mir vorliegenden Equuszähne aus dem Tertiär des 
mittleren China auf Equus sivalensis zu beziehen, zumal diese letzteren jedenfalls von 
Fundorten stammen, welche den indischen Lokalitäten sicherlich näher liegen als die Mongolei, 
welche das von Lydekker untersuchte Material geliefert hat. 


Mit der Ansicht Lydekkers, dass auch die von Koken beschriebenen Equuszähne aus 
Yünnan zu Equus sivalensis gehören, kann ich mich freilich nicht einverstanden erklären, 
da das Koken’sche Material fast zum grösseren Theil nieht aus Pliocän sondern aus dem Löss 
oder aus Höhlen stammt. Da das eine der beiden Koken’schen Originale — Taf. I, Fig. 15 — 
überdies stärkere Schmelzfältelung aufweist, so wird es sich wohl doch eher um eine besondere 
Art handeln. 


88 


Nach Lydekker wäre Equus sivalensis der Ahne des heutzutage in der Mongolei 
lebenden Equus hemionus. Dagegen hätte Equus Onager von Beludschistan und Kätsch 
trotz seiner Aehnlichkeit mit hemionus wahrscheinlich doch -einen anderen Vorfahren, weil 
Equus sivalgnsis nicht im westlichen Pendschab existirt hat, sondern erst in den Siwalik 
östlich vom Ihelam gefunden wird. 


Equus caballus Linn. 
1872 Gaudry. Bulletin de la Societe geologique de France, p. 178. 


Gaudry erwähnt in seiner Fossillite auch Equus caballus aus Suen Hoa Fu, von 
Abbe David gesammelt. 


Equus sp. 
1835 Koken. Fossile Säugethiere aus China, p. 49, Taf. I, Fig. 14, 15. 


Koken beschreibt einen oberen Prämolaren und einen oberen dritten Molaren, ohne sie 
jedoch speeifisch zu bestimmen; der erstere wäre nach ihm Hemionus-, der letztere Caballus- 
ähnlich. Das geologische Alter wäre Jungtertiär, da die Erhaltung dieser Zähne die nämliche 
ist wie jener der Rhinoceros-, Tapir-, Proboseidier- und Hyänenzähne. Da nun aber 
die von Koken beschriebenen Reste der meisten Rhinoceroten, aller Tapire und Hyänen 
in Wirklichkeit unzweifelhaft pleistoeän und nicht pliocän sind, so wird dies auch für diese 
Equuszähne zutreffen. 

Zähne von Pferden sowie von Wiederkäuern werden den in den chinesischen Apotheken 
verkäuflichen Lung tsch’ih beigemischt. Auch unter dem von Herrn Dr. Haberer gesammelten 
Materiale befindet sich eine grosse Anzahl — über 100 — Equuszähne und zwar von sehr 
verschiedenartiger Erhaltung. Sie vertheilen sich auf Equus caballus, Equus asinus und 
einen grösseren Eselartigen Equiden. 

Die Zähne von eaballus und asinus sind sicher nicht fossil und stammen augenscheinlich 
von Hausthieren. Einige dieser Stücke sind insoferne interessant, als sie bis auf die Wurzeln 
abgekaut sind, was bei europäischen Pferden höchst selten vorkommt, weil man sie nur ganz 
ausnahmsweise so alt werden lässt. 

Die Eselzähne sind theils sehr klein, theils haben sie die Grösse von Hipparionzähnen. 
Sie zeichnen sich durch sehr einfachen Bau aus. 

Nur die Zähne eines nicht näher bestimmbaren Equiden scheinen wirklich fossil zu sein 
und aus dem Löss zu stammen. 


Artiodactyla bunodonta. 


Suidae. 


Ueberreste von Schweinen sind im chinesischen Pliocäen zwar gerade nicht häufig, aber 
doch auch im Verhältniss nicht viel seltener, als dies auch sonst gewöhnlich der Fall ist. Die 
meisten dieser Zähne und Kieferstücke stammen aus den röthlichgrauen Sanden und haben 
auch wie alle Säugethierreste aus diesen Ablagerungen entweder dunkle Farbe oder die Zähne 
sind von glasartigem Aussehen. Nur wenige Stücke stammen aus den rothen Thonen, allein 
sie gehören Arten an, die auch in den erwähnten Sanden vorkommen. 

. Die Bestimmung fossiler Suidenreste bietet, wenn wie hier fast nur Molaren vorliegen, 
grosse Schwierigkeiten, da gerade diese Zähne bei den geologisch jüngeren Arten meist einen 
sehr indifferenten Bau besitzen, so dass für die speeifische und generische ‚Unterscheidung 
eigentlich nur die Grössendifferenzen verwerthbar sind. Da aber gerade die Genera zumeist 
auf die Beschaffenheit der vorderen Gebisspartie, namentlich der Caninen — Hauer — gegründet 
‚sind, von welchen aber leider nur ein einziger vorliegt, so muss ich von einer genaueren Genus- 
bestimmung absehen. 

Aus China hat Koken nur zwei Suidenmolaren beschrieben. Lydekker erwähnt von 
dort auch das Vorkommen einer Siwalikspecies, des Sus giganteus, worauf ich am Schluss 
zu sprechen kommen werde. 


89 


Sus n. sp. 
1885 Koken. Fossile Säugethiere Chinas. Paläontologische Abhandlungen, p. 50, Taf. IL (VII), Fig. 1, 2, 


, 


Die Originale Koken’s sind ein wohlerhaltener letzter Molar des linken Oberkiefers und 
ein halber letzter Molar des linken Unterkiefers, wahrscheinlich von ein und demselben Individuum 
herrührend. Die Zähne sind, wie ich mich durch eigene Anschauung überzeugt habe, rein 
weiss und nicht vollständig fossilisirt. Sie stammen wohl aus dem Löss oder aus Höhlenlehm, 
wesshalb ich sie nicht für tertiär, sondern viel eher für pleistocän ansprechen möchte. 

Man sollte daher erwarten, dass sich diese Zähne ziemlich leicht bei einer der lebenden 
asiatischen Suidenarten unterbringen liessen oder doch mit der einen oder anderen hievon 
grössere Aehnlichkeit besitzen würden. Allein dies ist nach der Darstellung von Seite Koken’s 
nicht der Fall, denn sie unterscheiden sich von jenen von Sus serofa, indiceus ferus, verru- 
cosus und ceristatus durch ihre Kürze und Breite und erinnern eher an solche des afrika- 
nischen penicillatus und larvatus, sowie an barbatus, vittatus und andamanensis, 
die aber sämmtlich kleiner sind. 

Unter den fossilen Suiden aus den Siwalik steht Sus giganteus Lydekker jedenfalls 
am nächsten, welcher von Stehlin in die Untergattung Potamochoerus gestellt wird, die 
sich durch dieken Schmelz, geringe Kerbung, kurze Molaren und gedrungenen Talon der oberen 
M; auszeichnet und in der Gegenwart auf Afrika beschränkt ist. 

Das Vorkommen eines afrikanischen Typus im Pleistocän von China wäre nun allerdings 
an sich nicht uninteressant, allein es erscheint doch nicht allzu sehr befremdend, wenn wir 
berücksichtigen, dass dieser Typus im Pliocän in Indien und etwas später auch in Europa 
— Sus provincialis — zu Hause war. 

Jedenfalls wäre es wünschenswerth, die fossile chinesische Form vollständiger kennen zu 
lernen als dies jetzt mit Hilfe der zwei erwähnten Molaren möglich ist. 


Sus. Gruppe des Scrofa. 


Unter dem von Herrn Dr. Haberer gesammelten Materiale befinden sich ziemlich viele 
Suidenzähne von sehr frischem Aussehen. Einige stammen offenbar aus der Jetztzeit und 
können wohl nur kurze Zeit im Boden — vielleicht im Löss — gelegen haben. Ein Ober- 
kieferfragment ist ganz schwarz gefärbt, vielleicht lag es in einem Sumpf. Eine grössere 
Anzahl Zähne, angeblich aus Honan, hat dunkelbraun gefärbtes Dentin und gelblichen Schmelz 
und erinnert hinsichtlich des Erhaltungszustandes an die Zähne von Bibos, als deren Fundort 
ebenfalls Honan angegeben war. Dieser Umstand scheint dafür zu sprechen, dass wir es 
möglicher Weise mit Zähnen einer Wildschweinform zu thun haben. Als Fundort der 
ersteren, welche vermuthlich von zahmen Schweinen herrühren, war Tientsin vermerkt. 

In der Grösse stimmen diese Zähne am Besten mit solchen des Torfschweins überein, 
auch in ihrer Zusammensetzung, namentlich im Bau des unteren M,;, haben sie mit diesem 
grosse . Aehnlichkeit. 

Dass dieser Suide zur Gruppe von Serofa gehört, zeigt auch die Beschaffenheit der 
unteren Caninen, namentlich deren Querschnitt. Wie bei Serofa, ist auch hier die Innenfläche 
bedeutend grösser als die Aussen- und Hinterfläche, während bei der Verrucosusgruppe Aussen- 
und Innenfläche gleich gross und jede derselben bedeutend grösser ist als die Hinterfläche.t) 


% 


Sus Stehlini n. sp. Taf. VIII, Fig. 1-5, 7, 8. 


Unter allen fossilen Suiden aus China ist diese Form bei Weitem die häufigste. Sie 
kommt sowohl in den röthlichgrauen Sanden und Mergeln als auch, wenn schon sehr viel 
seltener in den rothen Thonen von Schansi vor. Bei der Mehrzahl der Stücke war als Fundort 
Tientsin angegeben, bei einem aber Hunan. Es liegen mir hievon vor ein Unterkiefer mit 


) Stehlin, Ueber die Geschichte des Suidengebisses, Abhandlungen der schweizerischen 
paläontologischen Gesellschaft. 1899, p. 229. 


Abh.d. II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 12 


90 


drei, zwei mit je zwei Molaren und drei Fragmente mit je einem Molaren, ein Oberkiefer- 
fragment mit dem ersten und zweiten Molaren, zwei isolierte untere (M;) und fünf obere 
Molaren, ein oberer Prämolar, ein oberer erster Ineisiv und eine Phalange. Aus Schansi 
stammen nur der Prämolar und sechs isolirte Molaren, sowie die Phalange. 

Dieser kleine Suide weist in seinem Zahnbau noch ziemlich alterthümliche Merkmale 
auf, insoferne seine Unterkiefermolaren jenen des untermiocänen „Hyotherium“ Meisneri 
von Ulm, welches von Stehlin allerdings noch zu Palaeochoerus gestellt wird, nicht nur in 
den Dimensionen, sondern auch in ihrer Zusammensetzung nicht unähnlich sind, während die 
Oberkiefermolaren bereits eine ziemliche Streckung erlitten haben, namentlich gilt dies für 
den M,;. 

Der Unterkiefer ist allerdings von jenem der Suiden des europäischen Miocän wesentlich 
verschieden, denn er zeigt unterhalb des ersten Molaren eine starke Auftreibung, ähnlich wie 
bei den lebenden Sus larvatus (Potamochoerus) und penicillatus, sowie bei Sus vittatus, 
die darauf schliessen lässt, dass am Oberkiefer bereits eine besondere Canincrista vorhanden war. 

Der Bau der Molaren ist noch ziemlich einfach; die in der Mittellinie des Zahnes be- 
findlichen Zwischenhöcker haben mässige Stärke. Das Basalband ist an den unteren M auf 
den Vorder- und Hinterrand beschränkt, an den oberen M, und M, umfasst es auch den zweiten 
Aussenhöcker. Zwischen den beiden Aussenhöckern befindet sich sowohl an den oberen als 
auch an den unteren M ein kleiner Basalhöcker. Die Höhe der Höcker ist verhältnissmässig 
geringer als bei den lebenden Suiden. Der Talon des unteren M; ist nicht viel schwächer 
als der zweite Lobus, dagegen bleibt er am oberen M, noch recht schwach. Der Unterschied 
gegenüber Hyotherium und Palaeochoerus besteht mehr in der Verschmälerung des oberen 
M; als in der Vergrösserung des Talons. 

Der obere P, hat einen ziemlich grossen zweiten Aussenhöcker; sein Basalband ist am 
Hinterrande zu einer Art von zweitem Innenhöcker angeschwollen, und dementsprechend zeigt 
auch die Innenwurzel eine Längsfurche. 

Dimensionen: 

Unterkiefer: Mı Länge 13,5mm; Breite 9 mm; Höhe ”7,5mm 
M, „ 16 2 „ 11,5 ,; „115 „ 
M, a FA IR » 105. . 5 „». 9 „0; Länge im Maximum 24mm 
Länge der unteren Molarreihe 50 „ 
% a n Zahnreihe 73? „ 
Höhe des Kiefers unterhalb P; 26,5 „ ; hinter M; 51 mm. 


Oberkiefer: P, Länge 10,5mm; Breite 11,5mm; Höhe 7,5 mm 
Mı pl 93 „ 138,5 „» 75 „ 
M; a „ 135,5 „ 95 » 
M3 „Eu 17 Baht: „13,80, 58 1 BängeimMaximum 18,5mm 
Pı-Msımele,, mau 
Wie schon erwähnt, haben die Zähne dieses kleinen Suiden grosse Aehnlichkeit mit 
jenen von Palaeochoerus und Hyotherium Meisneri. Die Fortschritte bestehen in Streckung 
der Molaren des.Oberkiefers und in Complication des oberen P,. Dazu kommt dann noch die 
Verdiekung des Unterkiefers unterhalb des ersten Molaren, welche darauf schliessen lässt, dass 
auch bereits eine Caninerista — Vorsprung am Oberkiefer — vorhanden war, aus welcher der 
Hauer herausragte, wie dies bei Potamochoerus der Fall ist. An Potamochoerus erinnert 
auch die geringe Ausbildung des Talon am oberen M;. 
Unter den Suiden aus den $iwalik stehen zwei, Sanitherium Schlagintweiti 
v. Meyer!) und Sus punjabiensis?) Lydekker anscheinend ziemlich nahe, aber leider sind 


l) Lydekker. Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Palaeont. Indica. Ser. X, Vol. I, 1880, 
Part II, p. 58,:pl. IX, fig. 6-9, Vol: III, Part II, 1884, p. 57 (91), pl. VI, fig. 7. 
2) Ibidem, 1884, Part II, p. 48 (82), pl. VIII, Fig. 9. 


91 


von beiden nur wenige Reste, Fragmente von Unterkiefern und untere Molaren, bekannt. Sie 
unterscheiden sich jedoch durch ihre geringeren Dimensionen sowie durch die schwächere Aus- 
bildung des Talons am unteren M; von dem chinesischen Suiden, auch hat wenigstens Sani- 
therium Schlagintweiti vermuthlich ein höheres geologisches Alter — obermioeän. Stehlin 
ist aus morphologischen Gründen geneigt, beide als eine einzige Species zu betrachten. 

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass dieses noch sehr an. Palaeochoerus er- 
innernde Sanitherium der Ahne des chinesischen Suiden war oder doch mit ihm die Stamm- 
form gemein hat. Beide wurzeln jedenfalls in der Gattung Palaeochoerus des europäischen 
Oligoeän und Untermiocän. 

Als Nachkomme von Sus Stehlini könnte wohl die jetzt auf Ostafrika beschränkte 
Gattung Potamochoerus in Betracht kommen, welche im Pliocän der Siwalik und später 
auch in Europa durch grosse Formen vertreten ist, die aber kaum als die Stammeltern der 
lebenden Arten gelten können mit Ausnahme des Sus provincialis!) von Südfrankreich. 
Dieser letztere könnte ganz gut auf Sus Stehlini zurückgeführt werden. 

Allerdings findet sich die erwähnte Verdickung des Unterkiefers und die Complication 
des oberen P, auch bei Sus vittatus, einem Glied der Serofagruppe, allein es ist kaum 
anzunehmen, dass sich die kleine chinesische Form in der kurzen Zeit zwischen Pliocän und 
Gegenwart in diese stattliche Art verwandelt haben sollte, zumal da gleichzeitig mit Sus 
Stehlini in China schon andere Arten gelebt haben, die im Bau und in der Grösse der Molaren 
dem Sus vittatus viel ähnlicher sind. 


Sus sp. 


Ganz unsicher bleibt die Altersbestimmung von zwei anscheinend zusammengehörigen 
Fragmenten eines rechten Suidenunterkiefers, von welchen das eine den letzten Molaren und 
das andere Alveolen von Prämolaren enthält. Beide Stücke sollen aus Schansi stammen, jedoch 
sind die spärlichen noch anhängenden Gesteinspartikel nicht der dortige rothe Thon, sondern 
eher eine Art Lösslehm und der Kieferknochen hat anstatt der weissen hellbraune Farbe, ist 
aber ziemlich vollständig fossilisirt. Der Zahn ist blaugrau gefärbt. Ich bin daher doch fast 
geneigt, diesen Stücken pleistocänes Alter zuzuschreiben, obwohl die auffallende Kleinheit des 
Molaren eher für ein domestieirtes als für ein wildes Schwein zu sprechen scheint. 

Der Zahn hat im Ganzen die nämliche Zusammensetzung wie bei der Scrofagruppe, 
jedoch ist der Talon sehr kurz und einfach. Die Länge dieses M,; ist 27,5 mm, die Breite 
13,7 mm. y 

Von den Alveolen steht die vorderste, jedenfalls dem Pı entsprechend, 8,5 mm entfernt 
von der ersten Alveole des P,, dessen Länge an den Alveolen 9,5 mm betragen hat und der 
folglich im ‚Verhältniss zu M3 sehr gross gewesen sein muss. 

Da mir weder Schädel von zahmen Schweinen noch von Wildsehweinen aus China 
vorliegen, so muss ich von weiteren Untersuchungen abstehen. 


Sus mierodon n. sp. Taf. VII, Fie. 9, 10. 


Entschieden pliocänes Alter haben zwei Kieferstücke aus den röthlich grauen Sanden und 
Mergeln. Die in diesen Fragmenten eingeschlossenen Zähne, der linke untere und der linke 
obere letzte Molar, M;, sind vollständig fossilisirt, blaugrau gefärbt und nahezu durchscheinend. 
Auch das Unterkieferbruchstück zeigt eine glasartige Consistenz. Als Fundort ist Tientsin notirt. 

Das Merkwürdige an diesen beiden Molaren ist die Kürze und Kleinheit ihrer Talons, 
so dass der Querschnitt des oberen M; ein langes rechtwinkeliges, der des unteren M, aber 
ein langes gleichschenkeliges, allerdings an den Eeken gerundetes Dreieck darstellt. Die Zähne 
sind zwar stark abgekaut, allein man sieht doch, dass sie sehr einfach gebaut waren. Das 
Basalband des unteren M, ist auf die Vorderaussenecke und den Raum zwischen den beiden 
Aussenhöckern beschränkt, am oberen M, ist ausser dem Basalband in der Vorderaussenecke 


!) Deperet. Animaux pliocenes du Roussillon. M&moires de la societe geologique de France. 
1890, p. 84, pl. V, fig. 12—14. 
12* 


92 


ein winziger Basalpfeiler zwischen den beiden Aussenhöckern zu beobachten. Der Talon des 
oberen M, besteht aus drei schwachen Höckern, am unteren M,; ist der hintere Höcker des 
Talons bedeutend stärker als die beiden seitlichen, aber doch sehr viel kleiner als die Höcker 
der beiden Hügelpaare. Der aufsteigende Kieferast beginnt erst ziemlich weit hinter dem 
Molaren und muss sehr zierlich gewesen sein. 

Unterer M; Länge 20,5 mm; Breite 12 mm; Länge des Talon 6 mm 

Oberer M; 5) 215 25 ” 15 „; ” ” n d n 

Unter den Suiden der Siwalikfauna finde ich keinen, der sich mit dieser Form ver- 
gleichen liesse. Dagegen haben drei Arten des europäischen Pliocäns wenigstens in der Aus- 
bildung des Talons des oberen M; ziemlich grosse Aehnlichkeit, nämlich Sus antediluvianus 
von Eppelsheim,!) Potamochoerus provineialis minor von Roussillon?) und Sus arver- 
nensis von Perrier,?) jedoch sind alle diese, namentlich die beiden letztgenannten Arten, sehr 
viel grösser und Sus palaeochoerus hat wahrscheinlich auch einen längeren Talon am 
unteren M;. 

Sus microdon ist wohl auch ein Nachkomme der oligocänen und untermiocänen Gattung 
Palaeochoerus, allein das obermiocäne Zwischenstadium Hyotherium fehlt bis jetzt, denn 
Hyotherium Sömmeringi und simorrense, die Verbindungsglieder zwischen Palaeochoerus 
typus, Waterhousi einerseits und Sus palaeochoerus ete. andererseits in der Stammesreihe 
von Scrofa sind schon etwas zu gross, als dass sich die neue Art hieraus entwickelt haben 
könnte. Viel besser als die erwähnten Hyotheriumarten würde der kleine Palaeochoerus 
aurelianensis*) aus dem Mittelmiocän die Lücke zwischen den ältesten Palaeochoerus 
und der neuen Art aus China ausfüllen, jedoch besitzt derselbe an seinen Molaren ein sehr 
starkes Basalband und am unteren M; überdies einen sehr kräftigen Talon. 


Solange wir übrigens über die Beschaffenheit der Prämolaren und Caninen dieses chinesi- 
schen Suiden nichts Näheres wissen, lässt sich seine Verwandtschaft nicht genauer ermitteln. 
Sicher ist nur soviel, dass seine Vorfahren in Europa gelebt haben. Die Kleinheit des Talons 
am oberen und unteren M, würde dafür sprechen, dass wir vielleicht einen Vorläufer der jetzt 
in Afrika lebenden Untergattung Potamochoerus vor uns haben, allein bei diesem ist der 
vordere Theil des aufsteigenden Kieferastes ganz abweichend gestaltet und viel näher an M,; 
gerückt. 


Sus hyotherioides n. sp. Taf. VIII, Fig. 7, 9—14. 


Diese Art, etwa von der Grösse des lebenden Sus vittatus, ist durch relativ zahlreiche 
Stücke vertreten, welehe mit Ausnahme eines einzigen Oberkiefermolaren von weisser Farbe, 
wohl aus Schansi, aus den röthlichgrauen lockeren Sandsteinen von Hunan und Tientsin, also 
jedenfalls aus dem östlichen China stammen und gelblichbraun oder graublau gefärbt sind. Es 
liegen mir hievon vor: 


2 Prämolaren — P; — und 5 Molaren des Oberkiefers, davon noch zwei in einem. 
Kieferfragment, 6 isolirte Molaren des Unterkiefers und ein Kieferbruchstück mit dem letzten 
unteren Milchzahn — D; — und dem ersten Molaren. 


Das Charakteristische an diesen Zähnen ist die Dieke der Höcker und an den unteren 
Molaren die kräftige Ausbildung der Basalwarzen und die geringe Höhe der Kronen. Die 
oberen Molaren zeichnen sich durch ihre ansehnliche Breite aus und erinnern in dieser Hinsicht 
mehr an jene von Hyotherium als an jene von Sus. Der obere M; hat einen sehr schwachen, 


!) Kaup. Description des Ossements de Mammiferes. II. Heft, 1833, p. 12, pl. IX. fig. 5—6. 
2) Stehlin. Geschichte des Suidengebisses. Abhandl. d. schweizerisch. paläontol. Gesellschaft, 
1899. 1900, p. 63, Taf, I. Fig. 29. 
3) Ibidem, p. 64, Taf. I, Fig. 32. 
*) ITbidem, p. 42, Taf. I, Fig. 13 und: 
Schlosser. Beiträge zur Kenntniss der Wirbelthierfauna der böhmischen Braunkohlenformation 
Prag, 1901, p. 16, Taf. I, Fig. 6, 7. 


93 


ganz auf die Innenseite beschränkten Talon; der des unteren M,; ist zwar etwas länger, aber 
sehr einfach gebaut, denn er besteht nur aus einem einzigen Höcker und einer kleinen Anzahl 
äusserer und innerer Basalwarzen. Der P; ist nicht viel länger als breit und überhaupt sehr 
gedrungen. Hinter dem Haupthöcker befindet sich ein fast ebenso grosser Secundärhöcker. 
Ein grosser Basalhöcker erhebt sich an der Hinterinnenecke des Cingulums. Ausführliche 
Beschreibungen dieser Zähne glaube ich besser durch genaue Abbildungen ersetzen zu können. 


Die Dimensionen der gleichstelligen Zähne scheinen ziemlich variabel zu sein, aber doch 
nicht soweit zu schwanken, dass die Aufstellung von zwei gesonderten Arten nothwendig wäre. 


Unterkiefer: M, Länge 19,5 mm; Breite 13,3 mm; Höhe 9,4mm; Minimum 


M %, 2 re LDiagl ale Der lOBs Maximum 
M3 r 2A, 5 nm oda: DD NMinimum 
M3 " 2 DE: a a: la: Maximum 
M; ” 37 3 » 20 9» D) 14 DS) =; 
D; ” 21 9 b) 10 9 )) 7 9 CF 
Oberkiefer: P; " 1STD Hr a RTONBE.N 5 = olasan, ee — 
M, n LER; D) 16,5 ', ; ” ? „; alt 
Mı D) 19 93 » 18,5 „; D) 9 »„ ; Maximum 
M, n 2a 5 uu20) 5 HE Minimum 
Mg ” 23, I, ) ” 21 ’ 5 9 ) 11 „9 Maximum 
M; D) 35 9 » 22,8 „; „12 DR) == 


Wie schon der Name angibt, hat diese Art noch einige Anklänge an Hyotherium, vor 
Allem in Folge der Breite der Oberkiefermolaren und der niedrigen Zahnkronen. 


Unter den indischen fossilen Suiden steht Sus hysudricus Falc. und Cautl. jedenfalls 
sehr nahe, jedoch sind unter dieser Art verschiedene Dinge zusammengefasst, so dass als Typen 
dieser Species von Stehlin!) nur die Originale zu Lydekker, pl. VIII, Fig. 5, 6, 8, 10, 11, 
betrachtet werden dürfen. Immerhin ist Sus hysudricus doch schon weiter in der Richtung 
gegen die lebenden Arten von Sus vorgeschritten. 


Unter den fossilen europäischen Suiden hat Sus choeroides von Monte Bamboli einige 
Aehnlichkeit, jedoch sind die oberen Molaren hier noch kürzer und somit noch Hyotherium 
ähnlicher, dagegen scheint der Talon des unteren M,; bereits etwas complieirter gewesen zu 
sein. Die neue Art würde demnach morphologisch zwischen beiden in der Mitte stehen, ohne 
dass jedoch directe genetische Beziehungen wenigstens zu dem indischen hysudricus gegeben 
wären, vielmehr sind wahrscheinlich alle drei nur gleichartige Stadien mehrerer Formenreihen, 
die aber sämmtlich auf Hyotherium Sömmeringi zurückgehen dürften. 


Die. Frage, ob Sus hyotherioides Nachkommen hinterlassen hat, lässt sich zur Zeit, 
wo wir dessen Gebiss nur ganz unvollständig kennen, schwerlich in genügender Weise beant- 
worten. Den nahe verwandten Sus choeroides hält Stehlin für eine gänzlich erloschene 
Form; bei der Aehnlichkeit der Molaren beider Arten könnte dies also auch für die chinesische 
zutreffen. Dagegen scheint dieser Autor den ebenfalls nicht allzusehr abweichenden Sus 
hysudrieus für einen Potamochoerus anzusprechen, wesshalb es doch nicht ausgeschlossen 
wäre, dass auch Sus hyotherioides sich in dieser Richtung weiter entwickelt hätte, allein 
um dies entscheiden zu können, müssten wir die Beschaffenheit der Caninen kennen, die bis 
jetzt leider noch nicht ermittelt sind. Die Aehnlichkeit mit den Molaren der Sus scrofa- 
Gruppe endlich ist eine so entfernte, dass jedenfalls mehrere Zwischenglieder existirt haben 
müssten, soferne genetische Beziehungen zwischen dem neuen Suiden und der Scrofa- 
Gruppe bestünden. Allein diese Zwischenformen sind bis jetzt noch nicht gefunden. Recht 
ähnlich sind dagegen die beiden Zähne von Sus sp. aus China, welche Koken beschrieben 
hat, namentlich der untere Molar. 


I) Geschichte des Suidengebisses.. Abhandl. d. schweizer. paläontol. Gesellschaft, 1899, p. 16. 


94 


Sus. n. sp. ind. Taf. VIII, Fig. 15—18. 


Ich bespreche hier einige Oberkieferzähne und einige unvollständige Molaren des Unter- 
kiefers, welehe in der Grösse und in ihrer Zusammensetzung ein wenig an jene von Sus 
Faleoneri Lyd.!) erinnern, allein unter letzterer Species dürften wohl zwei verschiedene Dinge 
zusammengefasst sein und ebenso ist es von den Zähnen aus China keineswegs sicher, ob die 
Unterkikferzährie zur nämlichen Species gehören wie jene des Oberkiefers. 

Die Oberkieferzähne stecken noch in Kieferbruchstücken und zwar gehören drei davon, 
der rechte obere M, und der linke obere My und M; augenscheinlich dem nämlichen Individuum 
an. Sie haben .weissliche Farbe und das anhaftende Gestein ist der rothe Thon von Schansi, 
Sz“tschwan, obwohl als Fundort Tientsin angegeben ist. Die übrigen Molaren sind grünlich- 
oder blaugrau gefärbt und die Gesteinsausfüllungen sind röthlicher Mergel beziehungsweise 
Sandstein. Als Fundort ist Schansi angegeben, was also kaum richtig sein kann. 

An dem unteren M; ist der Talon sehr stark entwickelt. Er hat zwei grosse paarweise 
gruppirte Höcker, einen unpaaren Hinterhöcker und zwischen diesem und dem Höckerpaar und 
ebenso zwischen den beiden Höckern selbst je einen grossen .Nebenhöcker. Die Höcker sind 
wenigstens in ihrer äusseren Partie sehr stark comprimirt. Der Zahn hat eine beträchtliche Länge. 

Auch am oberen M3 ist der Talon als dritter Lobus ausgebildet und überdies noch mit 
einem unpaaren Hinterhöcker versehen. Die oberen M; sind bedeutend länger als breit. Die 
Basalbildungen sind zahlreich und kräftig, und hiedurch erlangen die Zähne eine grosse Aehn- 
lichkeit mit jenen von Sus scrofa aus dem Pleistocän von Taubach. Eine ausführliche Be- 
schreibung wird auch hier besser durch genaue Abbildung ersetzt. 


Unterer M, Länge 48 mm; Breite 19,5 mm; Höhe 16 mm 
OberersaN u, LOrss ng: LS, DR: " Or 
D) M; ” 25,8 25 ” 23 De) n 102 
n M; ” 36 3 ” 24 9 ” 12 n 

In der Grösse übertreffen diese Zähne also auch den grossen Sus scrofa ferus von 
Taubach. 

Aus der Aehnliehkeit mit Sus Faleoneri, welchen Stehlin?) mit Sus eristatus, 
einem Angehörigen der Serofagruppe vergleicht, dürfen wir wohl den Schluss ziehen, dass 
auch hier ein Glied dieser eurasiatischen Gruppe vorliegt, wenn auch die Caninen bisher noch 
nicht ermittelt sind und der obere M in Folge der Breite seines Talon und der eigenartigen 
Abschnürung des unpaaren Talonhöckers ein sonderbares Aussehen aufweist. Da Stehlin auch 
den Sus Faleoneri für eine vollkommen erloschene Endform hält, so dürfte dies vermuthlich 
auch für diesen chinesischen Suiden zutreffen. 


Sus giganteus Falconer. 
1885 Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. London, Part II, p. 270. 


Lydekker bemerkt, dass das britische Museum durch Kingsmill einen linken Oberkiefer 

mit P,, Mı und dem unvollständigen M, aus einer Höhle in Sz“tschwan bekommen hätte. Das 
Stück wäre nicht zu unterscheiden von jenem, welches in Palaeontologia Indica, Ser. X, Vol. III, 
Part p. 53, 54, pl. XI, fig. 2 beschrieben und abgebildet wurde. 
Die Herkunft dieses Stückes ist jedenfalls höchst zweifelhaft, denn wenn es aus einer 
Höhle stammt, kann es, weil pleistocänen Alters, nieht mit Sus giganteus identisch sein, 
einer pliocänen Art aus den Siwalik. Ist es aber wirklich mit diesem identisch, so kann es 
nieht in einer Höhle gefunden worden sein. 

Unter dem von mir untersuchten Materiale en sich keine Suidenzähne von der 
Grösse des giganteus. 


l) Lydekker. Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. III, 1884, 
p. 32 (66), pl. VII, fig. 1, 2, 5, 7—9, pl.X. Ich halte die Originale Fig. 1, 7, 8 für specifisch verschieden 
von Fig. 2, 5, 9. 

2) Geschichte des Suidengebisses.‘ Abhandl. d. schweiz. paläont. Gesellschaft, 1899, 1900, p. 72, p. 265. 


95 


Hippopotamus sp. Taf. VII, Fig. 8. 


Eines der wichtigsten Stücke der Sammlung fossiler Säugethierreste, welche Herr Dr. 
Haberer in China erworben hat, ist der leider nicht ganz vollständig erhaltene und überdies 
auch stark verdrückte Molar von Hippopotamus aus den rothen Thonen von Schansi. Er 
gehört offenbar zur Hipparionfauna. 


Die eigenthümliche Einschnürung der Höcker, sowie die rauhe, fast chagrinartige Be- 
schaffenheit des Schmelzes lässt nicht den geringsten Zweifel darüber bestehen, dass wir es 
wirklich mit einem Zahn von Hippopotamus zu thun haben, allein der schlechte Erhaltungs- 
zustand macht es nicht ganz leicht, die Stelle zu ermitteln, welche dieser Zahn ursprünglich 
im Kiefer eingenommen hat. Immerhin ist es wahrscheinlich, dass wir hier den zweiten Molaren 
des linken Unterkiefers vor uns haben, dessen beide Innenhöcker jedoch weggebrochen sind. 
Der eine der beiden Aussenhöcker zeigt sowohl an seiner Vorder- als auch an seiner Hinterseite 
eine tiefe verticale Rinne, am Aussenhöcker ist dagegen nur eine solche und zwar an der 
Vorderseite zu beobachten. Das sonst bei Hippopotamus so mächtig entwickelte und am 
Vorder- und Hinterrand so hoch hinaufsteigende Basalband ist hier auffallend schwach aus- 
gebildet und ausschliesslich auf den Hinterrand beschränkt. 


Die Länge des Zahnes beträgt 58 mm; die Höhe der mässig abgekauten Krone 49 mm. 


Die Dimensionen dieses Zahnes scheinen bedeutender zu sein als bei dem geologisch 
gleichaltrigen Hippopotamus sivalensis, wenigstens misst der vorletzte untere Molar bei 
dem Original zu pl. 62, Fig. 2 in Faleoner und Cautley Fauna antiqua sivalensis in der 
Länge bloss 50 mm. 

Die Unvollkommenheit des chinesischen Zahnes von Hippopotamus gestattet vorläufig 
nieht, diese so dürftig vertretene Art mit einem besonderen Namen zu belegen. 

Wenn wir durch dieses Stück auch keine weiteren Anhaltspunkte für die Herkunft der 
Gattung Hippopotamus, welche bis jetzt immer noch eine ganz isolirte Stellung unter den 
bunodonten.Artiodactylen einnimmt, gewinnen, so hat es vom stratigraphisch-zoogeographischen 
Standpunkt aus doch hervorragende Bedeutung, denn es wird hiedurch neuerdings bewiesen, 
dass die Gattung Hippopotamus schon mit Hipparion zusammengelebt hat und überdies 
gewinnt auch die Annahme, dass Hippopotamus in Asien einheimisch ist, sehr viel an Wahr- 
scheinlichkeit. Es ist jetzt freilich Mode, für alle Formen, die sich geologisch nicht weit 
zurückverfolgen lassen, afrikanischen Ursprung anzunehmen und daher sollen auch die fossilen 
indischen Hippopotamen aus Afrika stammen. Bei der grossen Individuen- und der nicht 
unbeträchtlichen Artenzahl dieser indischen Hippopotamen ist dies schon an und für sich 
unwahrscheinlich und der asiatische Ursprung der jetzt auf Afrika beschränkten Gattung ent- 
schieden plausibler, eine Annahme, welche durch den Fund von Hippopotamus in der 
Hipparionfauna von China eine kräftige Stütze gewinnt. 


Artiodactyla selenodonta. Tylopoda. 


Paracamelus gigas. n. g. n. sp. Taf. IX, Fig. 14, 26. 


Unter dem mir zur Verfügung stehenden Materiale befinden sich zwei obere Molaren, 
welche sich wegen ihrer, im Verhältniss zur Breite höchst beträchtlichen Länge und ihrer geringen 
Hypsodontie nur auf einen Tylopoden beziehen lassen. Von den Molaren von Camelus 
unterscheiden sie sich durch die Stärke der Rippen an den Aussenhöckern. Bei den lebenden 
Camelusarten sind diese Rippen nur an den Gipfeln der Höcker kräftiger entwickelt, sonst 
aber kaum angedeutet, dagegen treten sie bei dem fossilen Camelus sivalensis!) schon viel 
deutlicher hervor. Bei den Tylopoden des nordamerikanischen Tertiärs, namentlich bei 


!) Faleconer and Cautley. Palaeontologia Indica. 1845—1849, pl. 86, 87. Besonders an Fig. 2b 
pl. 86 sind diese Mittelrippen gut zu sehen. 


96 


Poebrotherium, aber anscheinend auch noch bei Protolabis!) und selbst bei der lebenden 
Gattung Auchenia sind sie viel kräftiger als bei der Gattung Camelus, bei Poebrotherium 
sogar im Verhältniss ebenso stark wie an den beiden Zähnen aus China. 

Es besteht somit kein Hinderniss, diese letzteren einem Tylopoden zuzuschreiben und 
die Anwesenheit von Rippen an den Aussenhöckern für ein alterthümliches Merkmal anzusprechen. 

Der neue Tylopode, für welchen wegen dieses Merkmals, verbunden mit ungewöhnlicher 
Körpergrösse unbedenklich nicht bloss eine besondere Species, sondern sogar ein besonderes 
Genus errichtet werden darf, verhält sich demnach im Zahnbau sehr primitiv und sein einziger, 
an den Zähnen erkennbarer Fortschritt besteht in gewaltiger Zunahme seiner Körpergrösse, 

Ausser diesen Mittelrippen auf den beiden Aussenhöckern, von denen aber der zweite 
bedeutend kleiner ist als der erste, haben diese Molaren auch eine kräftige Falte an der Vorder- 
aussenecke und eine schwächere in der Mitte der Aussenseite. Die beiden Innenmonde sind 
wesentlich gestreckter als bei den Wiederkäuern. Auch ist die Oberfläche des Schmelzes 
fast ganz glatt anstatt rauh wie bei diesen. Die beiden M erweisen sich also auch hierin als 
solche eines Tylopoden. 

Die beiden Zähne haben dunkelgraue Farbe und sind vollständig fossilisirt. Der eine 


stammt aus Honan, der andere angeblich von Tientsin. Der erstere — ein My — steckt noch 
in einem Bruchstück des Oberkiefers, an welchem noch eine graue harte Gesteinsmasse — wohl 
ein Süsswassermergel — anhaftet. Es ist daher wohl nicht zu zweifeln, dass diese Molaren 


ungefähr das nämliche geologische Alter haben wie die Zähne von Hipparion Richthofeni etc. 
Die Dimensionen dieser Zähne sind: 


M, Länge 47 mm; Breite 38 mm an der Basis; Höhe 25 mm? frisch 
M3 ) 50 DR) D) 41 » D) » „9 ” 36 » 


Länge der drei Molaren ungefähr 140 mm gegen 120 mm bei Camelus sivalensis. 


Die Zähne dieses chinesischen Tylopoden sind demnach etwas grösser als solche von 
Camelus sivalensis, welcher seinerseits wieder etwas grösser war als der lebende Camelus 
dromedarius. Es liegt daher die Annahme sehr nahe, dass der fossile Camelide von China 
und Camelus sivalensis aus einer gemeinsamen Stammform hervorgegangen sind, deren 
Grösse etwa der von sivalensis gleichkam, während ihre Molaren noch nach dem primitiveren 
Typus der chinesischen Form gebaut waren, also noch kräftige Mittelrippen auf den Aussen- 
höckern besassen. Camelus sivalensis wäre alsdann im Zahnbau in der Richtung der Gattung 
Camelus vorgeschritten ohne sonstige Veränderung, die chinesische Form dagegen hätte den 
alterthümliehen Molarentypus bewahrt und 'nur in der Zunahme der Körpergrösse Fortschritte 
gemacht. 

Die gemeinsame Stammform von Camelus sivalensis und dem chinesischen Tylopoden 
ist jedenfalls aus Nordamerika gekommen, wo die Tylopoden bereits vom Mitteleocän an durch 
alle Horizonte durchgehen?) und bis in das Pleistocän fortsetzen, aber namentlich im Loup 
Fork Miocän einen bedeutenden Formenreichthum entfalten. Manche derselben, z. B. die 
Gattung Alticamelus®) mit Giraffenähnlichem Hals, sind freilich ohne Hinterlassung von 
Nachkommen ausgestorben, dagegen wäre die Gattung Protolabis des Deep River Miocäns 
nach Wortman — ].c. — p. 141 der Stammvater sowohl der jetzt in Südamerika lebenden 
Gattung Auchenia, als auch der jetzt auf die alte Welt beschränkten Gattung Camelus, 
welche aber in Nordamerika neben den erloschenen Gattungen Camelops und Eschatius 
noch im Pleistocän gelebt hat. 

Dass die Gattung Protolabis mit der chinesischen Form die Anwesenheit starker Mittel- 
rippen auf den Aussenhöckern der oberen M gemein hat, wurde bereits oben erwähnt. Protolabis 


I) Matthew. Fossil Mammals of Colorado. Memoirs of the American Museum of:Natural History. 
New York, 1901, Vol. I, Part VII, p. 436, fig. 31, 32. 

2) Wortman, J. L. The Extinet Camelidae of North America and some Associated Forms. 
Bulletin from the American Museum of Natural History. New York, Vol. X, 1898, p. 93—142. 

3) Matthew, W.D. Fossil Mammals from Colorado. Memoirs of the American Museum, 1901, p. 429. 


IR 


kann daher unbedenklich als Stammform der chinesischen Form angesehen werden, dagegen 
scheint der direete Nachkomme von Protolabis, Procamelus, im Bau der oberen M bereits 
der Gattung Camelus sehr ähnlich gewesen zu sein, wesshalb wohl die mit Procamelus 
gleichaltrige Gattung Pliauchenia eher das Mittelglied zwischen Protolabis und den beiden 
fossilen asiatischen Tylopoden bilden wird. 


Wenn nun auch die directe Ahnenreihe des chinesischen Cameliden und des Camelus 
sivalensis zur Zeit noch nicht genauer festgestellt werden kann, so ist doch soviel sicher, 
dass sie auf eine aus Nordamerika eingewanderte Form zurückgehen. 

Es erscheint mir nicht unwichtig, dass auch Lydekker!) an den unteren Molaren von 
Camelus sivalensis Merkmale beobachtet hat, wodurch diese ein alterthümlicheres Gepräge 
erhalten als jene der lebenden Arten der Gattung Camelus und zugleich denen der übrigen 
Selenodonten ähnlicher werden. 

Die unteren M tragen nämlich zwischen den beiden Innenhöckern eine verticale Falte, 
welche den Zahn in zwei Hälften theilt und beiderseits von einer schmalen Grube begrenzt 
wird, und ausserdem auch an der Vorder- und Hinterecke eine aufsteigende Falte, während 
bei den lebenden Kameelen diese Randfalten sehr schwach entwickelt sind, und an Stelle der 
Mittelrippe eine flache breite Rinne vorhanden ist. Ausserdem ist auch bei Camelus siva- 
lensis die Vorderaussenkante der unteren Molaren mit einer Falte versehen, die bei den 
lebenden Kameelen fehlt, wohl aber bei Auchenia vorhanden ist. Lydekker ist daher 
geneigt, eine nähere Verwandtschaft zwischen Camelus sivalensis und Auchenia anzunehmen. 


Merkwürdiger Weise ist ihm jedoch die Anwesenheit der Mittelrippen auf den beiden 
Aussenhöckern der oberen Molaren entgangen, er spricht vielmehr davon, dass die oberen 
Molaren von Camelus sivalensis mit solehen der recenten Camelusarten vollkommen über- 
stimmen, abgesehen von ihrer geringeren Grösse. Allein die Abbildungen in Falconer’s 
Palaeontologia Indica zeigen zum Theil die erwähnten Mittelrippen sehr deutlich, noch besser 
aber erkennt man dieselben an dem Gipsabguss des Faleoner’schen Originales von pl. 86, Fig. 2. 


Cervicornia. 


Giraffinae et Sivatheriinae. 


Die Giraffinae sind unter dem fossilen chinesischen Säugethiermateriale durch zwei 
Genera mit drei oder vier Arten vertreten; zu den Sivatheriinen dürfen einige Zähne ge- 
rechnet werden, welche sich nicht genauer generisch bestimmen lassen, wie überhaupt das 
Gebiss der einzelnen Gattungen dieser Unterfamilie noch recht ungenügend bekannt ist. 

Bevor ich jedoch an die Beschreibung der zahlreichen, allerdings meist isolirten Giraffinen- 
zähne und der spärlichen Sivatheriinenzähne gehe, muss ich einige Bemerkungen über die 
bisher bekannten fossilen Formen der Giraffinen sowie über die überhaupt nur fossil existi- 
renden Sivatheriinen vorausschicken. 

Lydekker fasst beide Unterfamilien als Camelopardalidae zusammen, so dass also 
auch die Gattungen Sivatherium, Bramatherium, Vishnutherium und Hydaspitherium 
sowie das bisher nur durch ein Schädelfragment repräsentirte Genus Urmiatherium in engste 
Beziehung zu den Giraffen kommen, andere Autoren trennen dagegen nach dem Vorgang 
Rütimeyer’s diese Gattungen als Sivatheriidae von den Camelopardalidae ab, welche 
dann — in v..Zittel’s Handbuch nur als Giraffinae angeführt und zwar als Unterfamilie 
der Cervicornia — die Gattungen. Camelopardalis, Aleicephalus, Samotherium, Pa- 
laeotragus und Helladotherium umfassen würden, denen aber auch wie ich hier voraus- 
schieken will, eine der beiden von Lydekker beschriebenen Arten von Hydaspitherium, 
nämlich H. grande beizufügen wäre, denn hiezu gehört alter Wahrscheinlichkeit nach der 
vermeintliche Helladotheriumschädel aus den Siwalik. 


!) Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Palaeont. Indiea. Ser. 1876, Vol. I, Part. II, p. 43. 
Abh.d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 13 


98 


Helladotherium ist in Wirklichkeit auf Pikermi beschränkt, der ursprünglich einem 
Weibchen von Sivatherium zugeschriebene, von Rütimeyer!) aber zu Helladotherium 
gestellte Schädel aus den Siwalik weicht in so vielen Stücken von jenem ab, welchen Gaudry 
beschrieben hat, dass es absolut nicht angeht, ihn bei Helladotherium zu belassen. Auf 
einige Unterschiede hat bereits Gaudry?) aufmerksam gemacht, es lassen sich aber noch viel 
mehr und viel wichtigere Abweichungen constatiren. Vor Allem ist die Gesichtspartie im Ver- 
gleich zum Cranium viel grösser. Der hinter der Zahnreihe befindliche Theil des Schädels ist 
nicht viel länger als der Oberkiefer, beim ächten Helladotherium aber fast doppelt so lang, 
der Hinterhauptscondylus ist auffallend kleiner und steht nur um ein Geringes weiter hinten als 
der Meatus auditorius, bei Helladotherium ist er gross und weit vom Gehörgang entfernt, auch 
ist die Thränengrube bei diesem viel gestreckter, die Stirn viel gewölbter und die niedrigen 
Orbitae liegen horizontal, während sie an dem sivalischen Schädel viel kürzer und aufwärts 
gerichtet sind. Fundamentale Unterschiede bestehen endlich im Gebiss. Bei Helladotherium 
sind die Rippen der Molaren schwach und die Kanten an der Aussenseite der Prämolaren nur 
wenig verdickt, das äussere Basalband ist sehr zart und die Marke besitzt einen langen vom 
Innenmond ausgehenden Sporn. An den Zähnen des indischen Schädels fehlt ein soleher Sporn 
vollständig, dagegen sind die Kanten und das Basalband zu dicken Wülsten geworden, auch 
scheint ein inneres Basalband vorhanden zu sein. Ueberdies sind die P im Verhältniss zu den 
M riesig gross. 

Von einer generischen Identität mit Helladotherium kann demnach nicht im Entferntesten 
die Rede sein. Das Einzige, was diese beiden Schädel eigentlich miteinander gemein haben, 
ist die Abwesenheit von Hornzapfen. Dies kann aber doch kein Grund sein, um beide Stücke 
ein und demselben Genus zuzuschreiben, vielmehr kann der Schädel doch recht wohl einem 
Weibchen einer der indischen Gattungen Bramatherium, Vishnutherium oder Hydaspi- 
therium angehören. Sivatherium dürfte allerdings hiebei kaum in Betracht kommen, denn 
die hiervon bekannten Schädel sind sämmtlich mit Hornzapfen versehen, so dass man also doch 
annehmen darf, dass auch die Weibchen dieser Gattung solche Hornzapfen besessen haben. 
Dagegen kennt man von Vishnutherium den Schädel überhaupt nicht, von Hydaspitherium 
und Bramatherium aber nur je einen, wer bürgt also dafür, dass diese, allerdings mit Horn- 
zapfen versehenen, Schädel von Weibchen stammen? 


Gegen die Bestimmung des fraglichen Schädels als eines solehen von Helladotherium 
spricht aber auch der Umstand, dass bisher sonst nichts weiter in den Siwalik gefunden wurde, 
was wirklich auf Helladotherium bezogen werden müsste. Dagegen stimmen die Zähne, auf 
welche Hydaspitherium grande Lydekker°) basirt, in der Grösse vorzüglich mit denen 
des vermeintlichen Helladotheriumschädels überein, auch die geographische Lage der Fund- 
orte lässt sich ganz gut mit der Annahme vereinbaren, dass diese unter zwei verschiedenen 
Namen angeführten Thierreste ein und derselben Species angehört haben, denn der Schädel 
stammt vom Markandafluss, nördlich von Delhi, die Hydaspitheriumreste aber aus den Siwalik 
von Punjab und zwar vom Ihelam, so dass also die Fundorte kaum drei Längen- und zwei 
Breitengrade aus einander liegen, Entfernungen, die bei der Aehnlichkeit der einzelnen Faunen, 
die man als Siwalikfauna bezeichnet, gar nicht in Betracht kommen können. 


An die Zugehörigkeit dieses Schädels zu der zweiten Art von Hydaspitherium, 
H. megacephalum ist nicht wohl zu denken, da diese Art kleiner ist und auch sogar im 
Zahnbau so grosse Abweichungen zeigt, dass sie auch generisch von H. grande getrennt 
werden sollte. Sein Schädel ist mit Hornansätzen versehen und nähert sich auch sonst dem 
von Sivatherium. Bramatherium und Vishnutherium sind wesentlich kleiner als Hy- 


i) Natürliche Geschichte der Hirsche. Abhandlungen der schweizer. paläontolog. Gesellschaft. 
1881, p. 74, Taf. III. 

2) Animaux fossiles de l’Attique. p. 260. 

3) Lydekker. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. II, Part IV, 1882, p. 126, pl. XX. — Unterkiefer 
mit P,—M;, pl. XXI, oberer M. 3 


3 


daspitherium grande und das vermeintliche Helladotherium, so dass sie in dieser Frage 
nicht weiter in Betracht kommen. 

Bramatherium perimense!) hat mit Hydaspitherium megacephalum Lyd.?) sehr 
grosse Aehnlichkeit sowohl im Schädel- als auch im Zahnbau. Bei Beiden befindet sich auf 
der Stirn je ein Hornansatz, welcher sich in zwei Aeste spaltet, deren Verlauf freilich nicht 
bekannt ist. Bramatherium hat zwar im Gegensatz zu Hydaspitherium auch noch je 
einen Hornansatz an beiden Seiten des Hinterhauptes, allein auf diesen Unterschied darf man 
wohl kein besonderes Gewicht legen, ebensowenig wie auf die etwas abweichende Form und 
Lage der Orbita — bei Bramatherium oval und schräg ansteigend, bei Hydaspitherium 
gerundet dreieckig und horizontal. Es handelt sich hier vielleicht nur um Speeiesunterschiede, 
ja das Fehlen resp. der Besitz von seitlichen Hornzapfen am Oeceiput kann auch bloss ein 
sexueller Unterschied sein. Im Zahnbau besteht zwischen beiden Arten fast vollkommene 
Uebereinstimmung. Beide haben dicke P aber zierliche M, ohne eigentliches Basalband oder 
Basalpfeiler. 

Es wird sich daher empfehlen, statt Hydaspitherium megacephalum zu setzen 
Bramatherium megacephalum Lyd. sp. und den Genusnamen Hydaspitherium auf 
H. grande zu beschränken, womit dann auch der vermeintliche Helladotherium-Schädel 
aus den Siwalik vereinigt werden sollte. 

Ueber die wohlbekannte Gattung Sivatherium brauche ich mich nicht weiter zu äussern, 
dagegen muss ich hier die allerdings nur auf Molaren basirende Gattung Vishnutherium?) 
berücksichtigen, da solche oder doch sehr ähnliche Zähne auch unter dem fossilen Säugethier- 
materiale aus China vertreten sind. 

Ob der von Lydekker zu Vishnutherium gestellte Metatarsus — 1. e. Vol. II, Part IV, 
pl. XVII, Fig. 3 — welcher sich trotz seiner Länge durch geringe Dicke auszeichnet, wirklich 
zu dieser Gattung oder doch eher zu Camelopardalis gehört, ist für uns nebensächlich. 


Vishnutherium unterscheidet sich von allen genannten Gattungen durch die schwache 
Runzelung der Oberfläche der M, durch die schwache Entwickelung der Mittelrippen an den 
Aussenhöckern der oberen und den Innenhöckern der unteren M, ferner durch den Besitz eines 
inneren und seitlichen Basalbandes an den oberen M und die relativ grosse Streckung dieser Zähne. 


Aus Maragha in Persien hat Rodler?) ein Hinterhaupt eines Sivatheriiden beschrieben 
und darauf ein besonderes Genus Urmiatherium begründet. Möglicher Weise wäre dies der 
zu Vishnutherium gehörige Schädel, was sich aber vorläufig nicht entscheiden lässt, da man 
aus Maragha keine Zähne kennt, welche auf dieses Urmiatherium bezogen werden könnten. 


Camelopardalis cfr. sivalensis Falc. et Caut. Taf. IX, Fig. 5, 6, 8, 11-13, 15—17. 


1868 Faleconer. Palaeontological Memoirs. Vol. I, p. 197, pl. XV. 
1876 Lydekker. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. I, Part II, p. 40, pl. VII, fie. 14, 15. 
1883 ai 5 5 Sera Voll Eantalv 925.103), pl.XVie te, 2,,576), 8. 


Ursprünglich kannte man aus den Siwalik nur Wirbel, welche wiederholt in der Literatur 
behandelt worden sind. Da wir es jedoch hier nur mit Zähnen zu thun haben, so darf ich 


!) Beddinston Albemarle. Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain. 1845, 
Vol. VII, p. 340) gibt Vorder-, Seiten- und Hinteransicht des Schädels. 

Owen. Quarterly Journal of the Geological Society of London. Vol. VI, 1845, p. 363, pl. 14, fig. 3.4. 

Falconer. Palaeontologsical Memoirs. Vol. I, 1868, p. 591, pl. 33, fig. 1—4. 

Lydekker. Palaeont. Indica. Ser. X, Vol. I, Part II. p. 42, pl. VII, fig. 13, Vol. II, Part IV, p. 31. 

2) Lydekker. Ibidem. Part IIT, p. 72, pl. XXVI u.XXVII, Vol. II, Part IV, p.20, pl. XVI, fig. 10, 
pl. XVII, fig. 3 pl. XIX. 

3) Lydekker. Ibid. Vol.I, Part I, p. 37, pl. VII, fe.1, 2, Vol. II, Part IV, p. 14, pl. XVI, fie. 7. 

%) Veber Urmiatherium Polaki. Denkschrift der k. k. Akademie Wien. Math.-naturw. Classe. 


1889, Bd. 56, p. 307, 4 Taf. 
135 


100 


von einer Beprechung dieser ersten Originalien füglich Abstand nehmen. Zähne wurden zuerst 
in dem eitirten Faleoner’schen Werk beschrieben und abgebildet. Kurz vorher hatte aller- 
dings schon H. v. Meyer!) zwei untere Prämolaren aus Nurpur Prov. Chämba auf Camelo- 
pardalis bezogen, jedoch bin ich hinsichtlich des einen dieser Zähne — Fig. 1—3 — doch 
nieht ganz sicher, ob er wirklich einer Giraffe angehört hat. Aber auch trotz der beiden 
Lydekker’schen Mittheilungen wissen wir doch noch ziemlich wenig von dem Gebiss dieser 
Art, denn es sind hievon nur die M, die oberen P; und P,, die unteren P, und der untere 
Dı bekannt. 

Sehr viel reicher ist dagegen das Material von Giraffen, welches Herr Dr. Haberer 
in China erworben hat. Es besteht zwar nur aus isolirten Zähnen, welche in der Grösse be- 
deutenden Schwankungen unterworfen sind, aber sie zeichnen sich durch ihre vortreffliche 
Erhaltung aus. Sie stammen aus den Provinzen Schansi und $z’tschwan. Eine Anzahl der- 
selben von mehr grauer Farbe, aber aus dem nämlichen rothen Thon, befanden sich in der 
letzten Sendung. Als ihr Fundort war Tientsin vermerkt. 


Der Stellung im Kiefer nach erweisen sich diese Zähne als: 


12 Prämolaren, 8 meist vollständige Molaren und 10 Milchzähne des Oberkaetn, 
19 hi „ze ” = ll) ” nebst 4 Caninen und 9 Inei- 
siven des Unterkiefers. 


Gleich den Zähnen aus Indien — Potwar, Perim Island und in dem ganzen Gebiet der 
Siwaliks — sind sie etwas grösser als bei allen anderen lebenden und fossilen Arten von 
Camelopardalis. 


Unterkiefer. Incisiven und Caninen gleichen denen der lebenden Giraffen, nur 
ist der hintere Lobus der C etwas kleiner und dafür dicker, aber doch im Verhältniss etwas 
grösser als bei den ungefähr gleich grossen C von Alcicephalus Neumayri Weith. aus 
Maragha in Persien,?) die übrigens ziemlich variabel zu sein scheinen. 


Canin. Länge der Krone 19 mm; Höhe 25 mm; Maximum 
’ ee 5 el 2:aMinimum: 


Unterkiefer. Prämolaren. Diese Zähne sind ungemein dick, der vorderste — P, — 
hat jedoch im Gegensatz zu den Folgenden sehr einfachen Bau. Er besitzt, abgesehen von 
dem erhöhten Hinterrand und dem umgebogenen Vorderrand, bloss zwei schräg verlaufende 
Coulissen, von denen die eine von der Spitze des Zahnes — Protoconid — herabzieht, und 
neben einem freistehenden Kegel endigt, die zweite aber zwischen dieser und dem Hinterrande 
sich befindet. Die Vorderpartie des P; und P, gleicht beinahe einem halben Molaren und 
besteht aus einem gestreckten Innenhügel und einem äusseren Halbmonde, welche an P; durch 
eine Leiste miteinander verbunden, an P, aber vollkommen getrennt sind. Die Hinterpartie 
ist nur halb so gross wie die Vorderpartie. Der Aussenhügel ist durch eine tiefe Furche vom 
Aussenmond der Vorderpartie getrennt, die Coulisse schiebt sich an P, zwischen den Aussen- 
mond und den Innenhügel der Vorderpartie ein und tritt erst bei etwas vorgeschrittener Ab- 
kauung mit dem Aussenmond in Verbindung, an P; besteht sie Anfangs aus zwei getrennten 
Theilen, von denen der eine mit dem Aussenmond innig verbunden ist. Auf der Innenseite 
von P; und P, befindet sich vorne eine aufsteigende Basalleiste, P, hat ausserdem auch vorne 
öfters ein äusseres rauhes Basalband ähnlich dem der Molaren. Auch die Verticalrippe an der 
Mitte des vorderen Innenhügels ist oft ebenso stark wie an den M. 


I) Ueber die fossilen Wirbelthierreste aus Indien und Hochasien. Palaeontographica, Bd. XV, p. 29, 
Ab IE, iron hy 

2) Weithofer und Rodler. Wiederkäuer. Denkschrift der k. k. Akademie, math.-naturw. Classe, 
Wien. Vol. 57, 1890, Taf. IV, Fig. 2—3. 


101 


Dimensionen der P: 


P, Länge 22 mm; Breite 14 mm; Höhe 16 mm; Maximum 


a les e 13.9 205 „ 314,5, ; Minimum 
P; PR 200... le 2 Maximum 
3 ER LERR ad. de: los eNınimum 
Pı 20 ..: „alas: Dax imum 
Pedal ,: N Pa 2 oe Nimimmm!. 


Länge der Prämolarreihe eirca 77 mm. 


Molaren. Von den beiden Innenhügeln verbindet sich der hintere viel früher mit dem 
vorderen Aussenmond als mit dem vorderen Innenhügel. Der Basalpfeiler auf der Aussenseite 
der M ist an Mı stärker und höher als an M5,, und an diesem wieder stärker als an M;, wo 
er überhaupt vollständig fehlen kann. Die verticalen Rippen in Mitte der beiden Innenhügel 
reichen nur etwa bis zur halben Höhe des Zahnes.. Am Vorderrande ist sowohl aussen als 
auch innen ein Basalband vorhanden, das aber an M, viel schwächer wird. 

Dimensionen der M: 


Mı Länge 32 mm; Breite 25 mm am Hinterrand; Höhe frisch 26 mm 
M, » 40 ,; ” 29 „ ” D) 5 D) D) 30? „ ; Maximum 
Ns AD: 25 \Vorderrand; » SERBUN 


Länge der Molarreihe eirca 114 mm. 
Länge der unteren Zahnreihe eirca 190 mm. 


Milchzähne. D,;, und D; haben im Ganzen die Zusammensetzung der entsprechenden P, 
sind aber viel niedriger als diese und D; besitzt an seinem Vorderrand eine Art Aussenmond 
und eine besondere Innenwand, die an P; fehlen. D, hat zwei Basalpfeiler, von denen jener 
zwischen dem zweiten und dritten Aussenmond der höhere ist. Die Runzelung des Schmelzes 
ist an den D meist schwächer als an den M und P. 


D, Länge 21 mm; Breite 11 mm; Höhe 12 mm; Maximum 
DE n IDEE DEE 
Dı 5 Ba „in derMitte 20 „; 208. 


Länge der unteren D-Reihe 76—80 mm. 


Oberkiefer. Prämolaren. Die Vorderaussenkante bildet einen dieken Wulst, auch die 
- Mittelrippe der Aussenwand ist stark verdiekt, aber doch etwas schwächer als jene Kante und 
diese Rippe flacht sich nach hintenzu allmälig ab, während die Hinteraussenkante einen nach 
vorne zu sich verflachenden Wulst bildet. Von diesen drei auf solche Weise entstehenden 
Wülsten verschmelzen die beiden ersten an ihrer Basis, dagegen ist ihre Verbindung mit dem 
dritten nicht sehr innig. In der Marke haben alle drei P einen, vom Innenmond ausgehenden 
Sporn, der sich an P, sogar gabelt, an P; aber nicht mehr so hoch hinaufreicht wie an P, 
und an P, wegen seiner geringen Höhe erst bei weit vorgeschrittener Abkauung sichtbar wird. 
Die Innenseite des Innenmondes zeigt eine schwache, aber breite Furche, die jedoch an Py 
sehr deutlich wird. Dieser Zahn hat auch in der Regel ein gut erkennbares inneres Basalband. 


Dimensionen der P: 
° Pa Länge 24 mm; Breite 23 mm; Höhe 26 mm frisch 
Bar 245 123: en 
Pı 2) 25 25 ) 30,5 „ 3 ” 29? , 
Länge der drei P 75 mm ungefähr. 


Molaren. Von den beiden Aussenmonden besitzt der vordere eine kräftige Vorderfalte 
und eine dieke Mittelrippe, der hintere aber nur eine Vorder- und Hinterfalte, die auch nie 
so stark werden wie jene des ersten Mondes; eine Mittelrippe ist nur schwach angedeutet. Die 
Aussenmonde verbinden sich bei der Abkauung immer nur lose mit einander, das Vorderhorn 
des zweiten und das Hinterhorn des ersten Innenmondes bleiben überhaupt immer frei. Basal- 


102 . 
pfeiler können an jedem M auftreten, jedoch sind sie stets schwach entwickelt. Der zweite 
Innenmond trägt öfters einen, allerdings sehr schwachen, Sporn. — Der zweite Innenmond des 
M, ist stets viel kleiner als der erste. 
Dimensionen der M: 

M, Länge 37 mm; Breite 38,5 mm; Höhe frisch 27 mm 

Nmurım ı 48, 5; „40 se: 5 SEE 

M3 „ 40,5 „5 „ 87 9 ” ” 35 ” 


Milehzähne. D; ist viel gestreckter und schmäler als sein Nachfolger, P,, auch besitzt 
er im Gegensatz zu diesem einen besonderen Basalpfeiler an der hinteren Innenecke. D; besteht 
aus je zwei Aussenhügeln und zwei Innenmonden. Von den drei Falten und den beiden Rippen 
seiner Aussenseite ist die Mittelrippe des ersten und die Vorderfalte des zweiten Aussenhügels 
am kräftigsten, während die Rippe dieses letzteren bei der Abkauung vollkommen verschwindet. 

Wie bei allen Camelopardalis ist dieser Zahn auch hier sehr gedrungen, fast quadratisch 
im Querschnitt, während er bei allen übrigen Artiodactylen in Folge der schwachen Ent- 
wiekelung des ersten Innenmondes mehr dreieckigen Umriss besitzt. D, unterscheidet sich von 
den M durch die Anwesenheit eines Basalbandes, das namentlich am Vorderrand und neben 
dem ersten Innenmond recht kräftig wird und zwischen den beiden Innenmonden zu einem 
dreikantigen Pfeiler anschwillt. Jedoch variirt die Stärke des Basalbandes sehr beträchtlich. 

D, Länge 24,5 mm; Breite 19 mm; Höhe 14 mm 
D; & 23 ENGE a 24: 5 2.142, ; Minimum 
D; » 30 De) ” 30,525 ” 20 „, 

Länge der oberen D-Reihe 73—78 mm. 


Wie schon oben bemerkt wurde, bestehen bezüglich der Grösse der Zähne sehr beträcht- 
liche Schwankungen, was auch Lydekker für das von ihm untersuchte Material aus Indien 
betont. Er gibt an, dass man bloss nach der Grösse sechs Arten von Camelopardalis in 
Indien unterscheiden könnte, dass wir es aber doch vermuthlich nur mit einer einzigen Art zu 
thun hätten. So gross wie bei den Lydekker’schen Originalien — man vergleiche den unteren 
M; — pl. XVI, Fig. 5 und 6 — sind jedoch die Abweichungen bei den chinesischen Zähnen 
keineswegs, wesshalb wir noch weniger Ursache haben, an die Anwesenheit mehrerer Arten 
zu denken. 

Dagegen ist es doch nicht unmöglich wenn auch nicht recht wahrscheinlich, dass die 
vorliegenden Zähne einer’anderen Art angehören als die indischen. Leider bildet Lydekker 
nur M und einige wenige stark abgekaute P, somit wenig charakteristische Stücke ab und 
auch diese nur ziemlich schematisch, wesshalb bei der ohnehin ziemlich indifferenten Form der 
einzelnen Zähne eigentlich nur die Grössenverhältnisse einige Anhaltspunkte gewähren. Aber 
so viel lässt sich immerhin ermitteln, dass die chinesische und die indische Form einander zum 
Mindesten viel näher stehen als allen anderen fossilen und lebenden Arten von Oamelopardalis. 

Die Camelopardalis von Pikermi — vetusta Wagner!) und parva Weithofer?) — 
sind beide kleiner als sivalensis, von parva ist es überhaupt nicht sicher, ob sie nicht doch 
mit Palaeotragus Roueni Gaudry vereinigt werden muss. Auch kennt man das Gebiss 
dieser beiden Arten noch sehr unvollständig, so dass ein eingehender Vergleich mit sivalensis 
: durchaus überflüssig erscheint. 

Gaudry hat von Pikermi eine Camelopardalis attiea°) beschrieben. Die wenigen 
hievon existirenden Zähne schliessen sich in ihren Dimensionen sehr enge an jene von vetusta 
an, so dass die Gaudry’sche Art wohl eingezogen werden sollte. ©. biturigum Duvernoy‘) 


1) Weithofer. Beiträge zur Kenntniss der Fauna von Pikermi. Beiträge zur Paläontologie 
Oesterreich-Ungarns. Bd. VI, 1888, p. 285, Taf. 1, 2. 

2) Ibidem, p. 281, Taf. XVI, Fig. 1, 2. 

3) Animaux fossiles de l’Attique, p. 248. 

4) Ibidem, p. 249. 


103 


von Issoudun en Berry ist nicht näher beschrieben und vermuthlich ein Problematicum, oder 
vielleicht ein Alces. 

Aus China endlich hat Koken eine Camelopardalis mierodon beschrieben, mit der 
wir uns noch im Folgenden zu beschäftigen haben werden. 

Von den lebenden Camelopardalisarten unterscheidet sich sivalensis ausser durch 
ihre bedeutenderen Dimensionen durch die gestreckteren Unterkieferprämolaren sowie durch den 
eomplieirteren Bau des unteren P5,. Das Erstere gilt auch von den unteren und oberen Dy 
und D;. Ueberhaupt erscheint ©. sivalensis auch in Folge ihrer Grösse fast zu speeialisirt, 
als dass man die lebenden Camelopardalisarten hievon ableiten dürfte, als Stammvater dieser 
letzteren kommt vielmehr eher Ü©. vetusta in Betracht, welche ihrerseits wieder einen gemein- 
samen Ursprung mit sivalensis hat. 

Vom Skelet der Camelopardalis sivalensis kennt man recht wenig, die meisten hieher 
gestellten Knochen hat Lydekker als nicht dazu gehörig erkannt. Was aber von Knochen 
wirklich auf Camelopardalis sivalensis bezogen werden darf — einige Wirbel, Radius, Tarsus, 
Metatarsus und Phalangen — stimmt vollständig mit solehen der lebenden Giraffen überein. 


?Camelopardalis microdon Koken. Taf. VIII, Fig. 19—29. 


1885 Koken. Ueber fossile Säugethiere aus China. Paläontologische Abhandlungen, III. Bd., p. 61 (89), 
Taf. 1II, Big. 13-15. 


Von dieser Art waren bisher nur drei obere Molaren bekannt, die nach der Schilderung 
ihres Erhaltungszustandes entweder aus Schansi oder aus Sz’tschuan stammen und zwar aus 
den Schichten mit Hipparion. 

Trotz der grossen Menge der mir aus China vorliegenden Zähne finde ich jedoch nur 
einige wenige, welche in der Grösse den drei Koken’schen Originalien gleichkommen und 
selbst diese unterscheiden sich mit Ausnahme eines einzigen durch das Fehlen oder doch durch 
die viel schwächere Entwickelung eines inneren Basalbandes. 

Auch bezüglich der Genusbestimmung bin ich keineswegs sicher, denn die Milchzähne, 
welche ihrer Grösse nach zu dieser Art gehören müssen und sonst bei keinem anderen von 
mir beschriebenen Selenodonten untergebracht ‘werden können, unterscheiden sich wesentlich 
von den Milchzähnen von Camelopardalis. Sie stimmen vielmehr fast vollkommen mit solchen 
von Cerviden überein, namentlich gilt dies von den unteren D; und D,. 

Wir müssen daher mit der Möglichkeit rechnen, dass wir es hier mit einem Cerviden 
zu thun haben, der sich allerdings auch den Giraffinae sehr enge anschliesst und vielleicht 
der Ueberrest jener Formen ist, aus welchen diese letzteren hervorgegangen sind. 

Es liegen mir von dieser Art vor: 

12P, 17 M und 3D des Unterkiefers, unter den P mehrere vom nämlichen Individuum und 
15P, 13 M und 4D des Oberkiefers, darunter ein Stück mit P,—Mı und eines mit M\—M;. 


Sie stammen theils aus Schansi und Sz“tschwan, theils, angeblich, aus Tientsin. Diese 
letzteren, aber auch verschiedene der ersteren haben graublaue Farbe, die übrigen haben weisse 
oder gelbliche Farbe. Das Gestein ist bei allen ein harter rother Thon, ähnlich dem von Pikermi. 
Ein oberer M wurde in J“tschang erworben. Das anhaftende Gestein ist hier ein grauer Mergel. 

Unterkiefer. Sicher hieher gehörige Ineisiven und Caninen sind nicht vorhanden. 

Prämolaren. P, und P, gleichen in ihrer Zusammensetzung jenen der lebenden Camelo- 
pardalis sowie jenen von sivalensis. Sie sind indessen etwas schlanker und an ihrer Basis 
viel weniger verdickt. Pz ist einfacher als bei sivalensis, denn er besitzt nur zwei schräg 
stehende Coulissen, aber keinen Innenpfeiler. Ein ziemlich frischer P; zeigt, dass der Innen- 
hügel durch Verschmelzung von zwei comprimirten Höckern entstanden ist. Mehrere P, gleichen 


jenen von Camelopardalis aus Abyssinien, wie sie Blainville — Osteographie — abbildet. 
P, Länge 15 mm; Breite 13,5 mm; Höhe 9,5 mm 
P; 2) 18 un, ” 13,5 „; „ale ” 
17,5 en 9; en E: SEE n a 


P,—P, 48 mm. 


104 


Molaren. Auch diese Zähne zeigen abgesehen von ihrer geringeren Grösse keinerlei 
Unterschied gegenüber C. sivalensis. Das Basalband ist an M, am kräftigsten, an M; fehlt 
es vollständig. Ebenso verhält es sich mit dem Basalpfeiler. An M, ist derselbe sogar ver- 
doppelt, an My, ist er klein und einfach, an M, fehlt er vollkommen. Frische Molaren haben 
ansehnliche Höhe. Die Runzelung des Schmelzes ist meistens recht bedeutend. Die Rippen 
auf der Mitte der Innenhügel reichen hier sehr weit herab. Die Innenmonde bleiben anscheinend 
sehr lange isolirt. Zuerst verbinden sich die beiden Innenhügel miteinander und erst später 
der zweite Aussenmond mit dem vorderen Innenhügel. 

M, Länge 25 mm; Breite 17 mm; Höhe 20 mm 

My n 28,5 „5; ls: D) 20277, 

Mann „0, D Sauger: = To: Tall! 
Länge der drei M 80 mm. 
Länge der unteren Zahnreihe 125—130 mm. 


” 


Oberkiefer. Prämolaren. Auch diese Zähne sind etwas schlanker als bei sivalensis 
und den lebenden Camelopardalis, namentlich werden die drei Wülste an der Aussenseite 
nur selten so diek. Auch findet keine Gabelung des vom Innenmond ausgehenden Spornes 
statt, wenigstens nieht an P,4 sondern höchstens an P,, an welchem auch die erwähnten 
Wülste am kräftigsten sind. 

Einzelne der oberen P, und P, besitzen eine Art inneres Basalband mit einem oder zwei 
besonderen zackenartigen Pfeilern. 

P, Länge 17 mm; Breite 18 mm; Höhe 20 mm 
P; ” 19 2; D) 20 „; Den 
Pı » 185; ” 22 „; „ 2, 
Pa —P, 53mm; P; und P, noch im Zusammenhang 38 mm. 


Molaren. Solche Zähne hat bereits Koken sehr genau abgebildet, nur ist an den mir 
vorliegenden Stücken das innere Basalband bloss ausnahmsweise so stark entwickelt wie an 
den Koken’schen Originalien, auch kommt nur an einigen wenigen der vom Innenmond aus- 
gehende Sporn in der hinteren Marke vor. Auch wird die Mittelrippe am zweiten Aussenhügel 
höchst selten so stark. 

Mı Länge 24 mm; Breite 25 mm; Höhe 18? mm 
AUS) A a ee 2 Brenn 
M; » 26 „; » 26 „; „.20° , 
Mı—M; 67 mm noch im Zusammenhang; Länge der oberen Zahnreihe 120 mm. 


Milchzähne. Von den oberen D stimmt der letzte — D, — in seinem Aussehen sehr 
gut mit den M von Camelopardalis mierodon überein, nur ist das Basalband am ersten 
Innenmonde sogar viel kräftiger entwickelt als an diesen. Dagegen unterscheidet sich D; von 
dem entsprechenden Zahne von Camelopardalis sivalensis und den lebenden Giraffen 
durch die bedeutende Streckung des ersten Innenmondes. Da dies aber auch bei Alcicephalus 
Neumayri der Fall ist, trotz dessen naher Verwandtschaft mit Camelopardalis, so besteht 
‚kein Bedenken, diesen D; auf die vorliegende Speeies zu beziehen, zumal die beiden Zähne 
— Ds und D; — noch in einem Kieferstück vereinigt sind. 


Der untere D, unterscheidet sich gleich dem oberen D; durch sein mehr Cerviden- 
ähnliches Aussehen. Die Höcker und Monde sind nämlich noch auffallend schlank und der 
zweite Aussenpfeiler ist etwas comprimirt anstatt kegelförmig. Der D; ist im vorderen Theil 
etwas kürzer und einfacher als bei Camelopardalis, und sein Innenhöcker ist noch nicht als 
“ langgestreckte Innenwand ausgebildet, sondern nur mässig comprimirt. 


Unterer D;, Länge 21 mm; Breite 12 mm; Höhe 12 mm 
D) 4 D) 29 D) 14 m D) 15,5 „ 
Oberer D; ” 23,5 ” 16 „5 D) 10 „ 
a D; Er 24 3 ” 20,5 DR » 15 » 


105 


Sowohl in Folge ihrer Kleinheit als auch wegen des primitiveren Baues der Milchzähne 
erweist sich diese Art als die ursprünglichste aller Camelopardalisarten, und desshalb wird 
es ziemlich wahrscheinlich, dass sie sich bei genauerer Kenntniss, namentlich des Skelettes, als 
Vertreter einer besonderen Gattung erweisen wird. 


Alcicephalus. 


Die Gattung Aleicephalus wurde von Rodler und Weithofer!) für zwei durch ihre 
Grösse verschiedene Arten einer Camelopardalidengattung aus Maragha in Persien aufgestellt, 
welche sich von Camelopardalis und Helladotherium durch die flache Stirn unterscheidet 
und somit einen noch ursprünglicheren, den Cerviden noch näher stehenden Typus darstellt. 
Auch in Folge der weit vorspringenden Orbitalränder weicht diese Gattung von Camelo- 
pardalis und Helladotherium ab. Ungemein nahe verwandt ist dagegen Samotherium, 
dessen weiblicher Schädel wenigstens nach dem Materiale des Münchener paläontologischen 
Museums gleichfalls ungehörnt war. 

Unter den indischen Formen scheiden, weil mit Hörnern versehen, bei einer näheren 
Vergleichung Sivatherium und Hydaspitherium megacephalum sowie Brahmatherium 
aus — soferne diese beiden letzteren nicht doch überhaupt bloss ein einziger Genus repräsentiren. 
Von Vishnutherium ist der Schädel noch nicht bekannt, wesshalb es hier nicht weiter in 
Betracht kommen kann. Dagegen hat der vermeintliche Helladotheriumschädel aus den 
Siwalik, der aber, wie ich gezeigt habe, wohl zu Hydaspitherium grande gehört, ziemlich 
grosse Aehnlichkeit mit dem von Alcicephalus, ja in Folge der geringeren Aufwölbung der 
Stirne sogar grössere Aehnlichkeit als jener des Helladotherium von Pikermi. 

Was den Zahnbau betrifft, so unterscheidet sich Aleicephalus von Camelopardalis 
durch den mehr quadratischen Querschnitt der oberen Molaren und durch die schwache Ent- 
wickelung der Rippen ihrer Aussenhöcker, durch die Schlankheit der oberen Prämolaren, durch 
die seitliche Compression und den einfacheren Bau der unteren Molaren und Prämolaren sowie 
durch die Streekung und Schlankheit der Milchzähne, ferner durch das Fehlen von Basalpfeilern 
an den unteren Molaren und die äusserst schwache Entwiekelung der Innenrippen dieser Zähne. 
Endlich ist auch die Runzelung des Schmelzes im Verhältniss zur Grösse der Zähne viel geringer 
als bei Camelopardalis. 

Helladotherium hat im Zahnbau etwas mehr Aehnlichkeit, jedoch ist die Vertiealrippe 
am zweiten Aussenhöcker seiner oberen Molaren kaum angedeutet, die unteren Molaren und 
Prämolaren sind viel weniger comprimirt und der untere P, hat keine Innenwand, sondern nur 
vor und hinter dem Haupthöcker je eine kurze Coulisse. 

Bedeutend ähnlicher ist der Zahnbau von Samotherium, die Molaren lassen sich kaum 
von solchen der Gattung Aleicephalus unterscheiden, dagegen sind die Prämolaren bedeutend 
plumper, die oberen P haben viel stärkere Rippen und Falten, und die unteren haben überdies 
eine ganz abweichende Zusammensetzung; Py besitzt statt drei Coulissen nur zwei, P, hat keine 
Innenwand in seiner Vorderpartie und an P, ist statt der Innenwand in der Hinterpartie nur 
eine sehr lange, zur Längsrichtung des Zahnes senkrecht stehende Coulisse vorhanden.?) 

Sivatherium hat viel plumpere und gedrungenere Zähne, die sich ausserdem durch 
besonders starke Runzelung der Schmelzoberfläche auszeichnen; das Letztere gilt auch von jenen 


Sy 


l) Die Wiederkäuer der Fauna von Maragha. Denkschriften der k. k. Akademie der Wissen- 
schaften, math.-naturw. Classe, Wien. Bd. 57, Abth. II, 1890, p. 754, Taf. I-IV, Fig. 1-4. 

2) Die von Forsyth Major — Geologieal Magazine, 1901, p. 355 — behauptete Identität von 
Aleicephalus und Samotherium ist somit kaum sehr wahrscheinlich. Auf jeden Fall hat aber dann 
der Name Alcicephalus die unbestreitbare Priorität, weil ihm charakteristische Abbildungen bei- 
gegeben wurden, während von Samotherium eigentlich keine solche existirt, denn die Miniaturabbildung 
eines Schädels kann man doch nicht emsthaft als wirkliche Abbildung gelten lassen; sie ist übrigens 
auch erst 1891 erschienen, die von Alcicephalus aber 1890. 


Abh.d. II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 14 


106 


von Hydaspitherium megacephalum,!) bei welchem auch überdies der untere P, wie bei 
Helladotherium noch keine Innenwand besitzt und an dessen oberen Molaren das Hinterhorn 
des ersten Innenmondes sich sehr weit in die Marke hinein fortsetzt, was auch bei den Molaren 
von Brahmatherium der Fall sein dürfte. Aehnlicher könnte, abgesehen von der relativ 
grösseren Dicke der Unterkieferzähne, das Gebiss der Hydaspitherium grande?) und des 
vermeintlichen Helladotherium aus den $Siwalik sein, jedoch sind die Oberkieferzähne dieses 
Schädels schlecht erhalten und bis jetzt nur ungenügend abgebildet worden und vom Unterkiefer 
ist der so wichtige P; noch nicht bekannt. 

Soviel geht jedoch aus diesen Vergleichen zur Genüge hervor, dass Alcicephalus eine 
wohlbegründete Gattung darstellt, welche einerseits mit Samotherium und andererseits mit 
dem indischen Helladotherium — Hydaspitherium grande — am nächsten verwandt ist. 

Das Skelet von Aleiecephalus unterscheidet sich nach Rodler und Weithofer durch 
die relative Länge der Tibia und des Hinterfusses von dem der lebenden Camelopardalis, bei 
welehen die Vorderextremität wesentlich länger geworden ist als die Hinterextremität, während 
Aleicephalus, Helladotherium und Samotherium noch mehr oder weniger die normalen 
Proportionen der Wiederkäuer zeigen. 

Aleicephalus war bisher nur von Maragha in Persien bekannt, von wo durch Rodler 
und Weithofer zwei Arten beschrieben len sind — Neumayri und coelophrys, |. c. 
p. 754 —, welche sich fast nur durch ihre Dimensionen unterscheiden. 

Unter dem Materiale aus China befinden sich nun eine ziemliche Anzahl, allerdings meist 
isolirtter Zähne, welche sich bei keiner anderen Gattung ungezwungener unterbringen lassen 
als bei dem Genus Aleicephalus, die aber gleichfalls in ihren Dimensionen so beträchtliche 
Abweichungen zeigen, dass man versucht sein könnte, auch hier die gleichzeitige Existenz zweier 
Arten anzunehmen. Wenn ich auch nur einer derselben einen Speciesnamen gebe, so halte 
ich es doch für zweckmässig, beide verschieden grosse Formen getrennt zu behandeln. 


Alcicephalus sinensis n. sp. Taf. IX, Fie. 1, 3, 4, 7, 9, 10, 18. 


Diese Art ist vertreten durch 14 untere P, 5 untere M, 7 untere D, 13 obere P, davon 
zwei noch in einem Kieferfragment, 7 obere M und 7 obere D. Wahrscheinlich gehören hieher 
auch einige untere J und C, welche sich aber von jenen von Camelopardalis sivalensis 
nur schwer unterscheiden lassen und daher übergangen werden dürfen. 

Mit einer einzigen Ausnahme haben diese Zähne eine weisse oder gelbliche Farbe und 
stammen aus einem rothen Thon und zwar: aus den Provinzen Schansi, Schensi und Sz’tschwan. 
Ein einziger P ist grau gefärbt. Er wurde von Herrn Dr. Haberer in Peking gekauft. Als 
Ursprungsort ist Tientsin angegeben, das anhaftende Gestein ist aber gleichfalls ein rother Thon. 


Unterkiefer. Die Prämolaren sind ihrer Zusammensetzung nach denen von Camelo- 
pardalis recht ähnlich, aber im Verhältniss wesentlich schmäler, der vorderste — P, — ausser- 
dem auch viel gestreckter. 

Die Molaren haben einen sehr einfachen Bau. Die Mittelrippen auf den Innenhöckern 
sind nur schwach entwickelt, Basalpfeiler fehlen vollständig. Auf der Aussenseite ist der 
Basalwulst meist dieker als an der Innenseite, aber er reicht hier nicht so hoch hinauf. 
‚ Uebrigens sind diese Basalbildungen auf den Vorderrand des Zahnes beschränkt. 

Von den’ Milchzähnen ist der vorderste — D, — viel complieirter und länger als bei 
Camelopardalis. Das letztere gilt auch von dem hintersten — D4 —, dagegen erscheint 
die Hinterpartie des mittleren — D; — im Verhältniss zu dem von Camelopardalis etwas 
verkürzt. D, besitzt auf der Aussenseite zwei mässig dieke Basalpfeiler. D, hat fast die 
nämliche Zusammensetzung wie D;, jedoch bildet der Innenhügel keine Innenwand wie an 

. D; und P;. 


l) Lydekker. Indian Tertiary and Bositertiany Vertebrata. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. II, 
1882, p. 118, pl. XVIII, fig. 3, pl. XIX. 
2) Tbidem, p. 126, pl. XX, pl. XXI, Fig. 2 


107 


Dimensionen: 
P, Länge 23,5 mm; Breite 14 mm; Höhe 17 mm; Maximum 


P; D) 27 9 5) ld 5 » ZU; D) 

ba D) 32 „9 ) Zi; D) san; n 

Mı D) 33 „9 D) Zu, n ala | 

Ma, 5 38 a: Sub: n ? „ g abgekaut 
M; E) 51 93 n 27 9 ” 32? ” J 


Länge der drei Peirca 78 mm; Maximum 
” » n M b) 115—120 De) ” 
5 „ unteren“ PZund- Mesi90=; - 


D;, Länge 23 mm; Breite 13 mm; Höhe 12? mm 
D; D) ZB 95 D) 16,5 „; ” 20,5 „ 
Dı D) 46 9 D) 20 25 D) 21 D) 


Oberkiefer. Die Prämolaren haben im Verhältniss zu ihrer Grösse ziemlich schwache 
Seulptur. Von den drei verticalen Rippen oder Wülsten der Aussenseite ist der mittlere zwar 
am breitesten, tritt aber weniger heraus als der vordere. Der Innenmond hat einen sehr 
schwachen Sporn, der erst bei starker Abkauung sich verbreitert. 


Die Molaren besitzen, wie schon erwähnt, eher quadratischen als rhombischen Querschnitt. 
Die Falten der Aussenwand verbinden sich an ihrer Basis zu einem Basalwulst. Die Verticalrippe 
des ersten Aussenhöckers ist die diekste, die des zweiten Aussenhöckers ist ziemlich schwach 
und fehlt an M, überhaupt vollständig. Die beiden Aussenhöcker sind sehr dick. Die Enden 
der Innenmonde bleiben sehr lange frei. Neben dem zweiten Innenmonde des M; befindet sich 
ein Basalpfeiler, an M, und M, scheint er immer zu fehlen. Der zweite Innenmond des M; 
erscheint im Verhältniss zum ersten stark redueirt. 


Von den Milchzähnen ist der vorderste — Dy — nicht vertreten, er muss jedoch sehr 
lang gewesen sein entsprechend dem unteren Dz.. An D; stehen die beiden Innenmonde sehr 
dicht beisammen, so dass der Zahnumriss die Form eines gerundet gleichschenkeligen Dreiecks 
bekommt. D, hat trapezförmigen Umriss. Im Gegensatz zu den M haben die D nur höchst 
selten und auch dann nur einen sehr schwachen Basalpfeiler. Das dichte Aneinanderrücken 
der beiden Innenmonde von D; verleiht diesem Zahn einige Aehnlichkeit mit dem von Camelo- 
pardalis, die aber in Folge der schwachen Ausbildung der vorderen, mittleren und hinteren 
Verticalrippe stark beeinträchtigt wird. 


Dimensionen: 
P; Länge 26 mm; Breite 27 mm; Höhe 25? mm 


P3 e DIR, ; els2 Shan: BaSaı. - 
P, ” 27 9 ” sl ”53 ” 33 ” 
Mı » 37 9 n 34 De) b) 33? » 
M3 b) 42 5 ” 40 9 » 34 ” 
M; D) Zoe ne; ” ERIC REN: ER as 2, 
Länge der drei P eirca 80 mm Maximum 
” ” n M ” 120 n ” 

N B „ oberen P und M eirca 190—200 mm 
D; Länge 28 mm; Breite 22,5mm; Höhe 16 mm 
D; ” 33 5 ” 28 » 93 » 23 » 


Der Taf. IX, Fig. 2 abgebildete obere M; unterscheidet sich von dem Originale zu Fig. 1 
durch seine geringeren Dimensionen. 


Länge an Aussenseite 38 mm; Breite 34 mm. 
‘Ich bin sehr geneigt, diesen Zahn einem Weibchen zuzuschreiben; die Aufstellung einer 
besonderen Species erscheint schon desshalb nicht gerechtfertigt, weil auch bei Camelopardalis 
14* 


108 


sivalensis die Grösse der einzelnen Zähne beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist. Das 
Nämliche dürfte auch für 2 untere und 2 obere P, sowie für 2 untere M; gelten. 
Dimensionen: 
unterer P, Länge 24 mm; Breite 17 mm; Höhe 22 mm 


) BA » 26,5, ; ” 20 „; » W20 „ 

R M; 5 Aa 3 20004: 2 9 frisch 
oberer Pa n 20 253 „ 22 DR) D) a alt 

„ P4 „ Al, 8 D) 2u 95; ” er) 


Das Minimum der unteren Zahnreihe darf man demnach auf 170 mm schätzen, das der 
oberen auf 165 mm. 


Die grössten dieser Zähne übertreffen in ihren Dimensionen die des Aleicephalus 
Neumayri von Maragha nur um ein Geringes, es bestünde somit kein Hinderniss, die Zähne 
aus China mit dieser Speeies zu identifieiren. Als morphologische Unterschiede könnte ich nur 
die kräftigere Entwickelung der Prämolaren und die Anwesenheit eines Basalpfeilers am oberen 
M, anführen. Wie weit diese Merkmale constant bleiben, müssen spätere Funde von voll- 
ständigen Zahnreihen lehren. 

Was mich bestimmt, die chinesischen Zähne vorläufig mit einem besonderen Namen zu 
belegen, ist lediglich der Umstand, dass die chinesische Hipparionenfauna mit der persischen 
doch nur sehr wenige Arten gemein haben dürfte, und selbst bei diesen ist die wirkliche Ueber- 
einstimmung keineswegs vollkommen sicher gestellt. 


Zu Aleicephalus gehört vielleicht das distale Ende eines grossen Metacarpale aus 
Schansi, welcher zwar die Grösse des entsprechenden Knochens von Samotherium besitzt, 
aber oberhalb der beiden Gelenkrollen wesentlich breiter ist. 


Aleicephalus sp. 


Wie in Maragha kommt auch in China neben der grossen Alcicephalusart auch eine 
kleine vor. Dass es sich. wirklich um eine besondere Species und nicht blos um besonders 
kleine Individuen handelt, zeigt die Anwesenheit eines oberen M;, wohl der charakteristischste 
Zahn dieser Gattung. Er entfernt sich durch seine Dimensionen selbst von dem kleinsten 
oberen M; der vorigen Art so beträchtlich, dass er unmöglich mehr auf sie bezogen werden kann. 


Diese zweite Art ist vertreten durch je einen P;, Pı, Ma, (?) und einen D, des linken 
Unterkiefers und durch vier obere Prämolaren und den bereits erwähnten M,. Von den oberen P 
gehören zwei — Py, — augenscheinlich dem nämlichen Individuum an. Sie sind jedoch zu 
schadhaft, als dass sie eine genauere Beschreibung oder eine Abbildung verdienen würden, 
es dürfte vielmehr genügen, die Unterkieferzähne und den oberen M; kurz zu besprechen. 


P; ist noch ganz frisch und im Verhältniss kürzer als bei sinensis, namentlich merk- 
würdig ist die Kürze seiner Innenwand. P, zeigt den nämlichen Erhaltungszustand wie Ma 
und stammt vermuthlich von dem nämlichen Individuum. Die Abkauung ist bei beiden schon 
bedeutend fortgeschritten. Sowohl der untere M, als auch der obere M, besitzen je einen 
Basalpfeiler. Alle erwähnten Zähne wurden wohl in den rothen Thonen von Schansi gesammelt. 

Dimensidnen: 

unterer P, Länge 22 mm; Breite 15 mm; Höhe 20 mm 
H P, D) 22. 005 16.2 5, Se Aa szalt 
„ M; D) 26 „; 5 on nl. 
oberer Pa AO DR m 19, Sao; ufrisch. 
” M; n 28 eh » 26,5 „ ; » 16 9 alt . 
Die Länge der Zahnreihe dürfte hier eirca 130—140 mm betragen haben. 


SET ir} 
m 
De} 
S 


Diese Art steht also in der Grösse dem Aleicepalus coelophrys Rodler und Weit- 
hofer von Maragha sehr nahe. Der Basalpfeiler der unteren Molaren scheint zwar bei der 
persischen Form etwas stärker zu sein, was aber kaum hinreichen dürfte, um die speeifische 


109 


Verschiedenheit zu begründen. Vollständigere spätere Funde werden vielleicht die specifische 
Identität der chinesischen und persischen Form ergeben, für jetzt ist es dagegen vorzuziehen, 
beide noch getrennt zu halten. 


Sivatheriine gen. et sp. ind. Urmiatherium? Taf. IX, Fig. 19—25. 


Unter dieser Bezeichnung führe ich eine Anzahl theilweise sogar noch im Zusammenhang 
befindlicher lichtfarbiger Zähne aus den rothen Thonen von Schansi und Sz“tschwan an, welche 
sich von den entsprechenden Zähnen von Alceicephalus durch gewisse Merkmale unterscheiden 
— vor Allem durch ihre verhältnissmässig geringe Höhe — aber vorläufig auch bei keiner 
anderen verwandten Gattung untergebracht werden können. 

Ausser an Aleicephalus erinnern sie auch an Zähne von Sivatheriinen. Sie haben 
mit solchen die rauhe Oberfläche des Schmelzes gemein, sowie die kräftige Entwickelung des 
Basalbandes an der Vorderseite aller Molaren und an der Vorder-, Innen- und Hinterseite der 
oberen Prämolaren. An diesen bildet es einen ziemlich hohen weit abstehenden Kragen, während 
es sich an den Molaren des Unterkiefers in mehrere Zapfen auflöst und an den Molaren des Ober- 
kiefers als gezackter Kamm entwickelt ist. Freilich kann von einer vollkommenen Ueberein- 
stimmung mit einer der Sivatheriinengattungen durchaus keine Rede sein, aber immerhin 
zeigen die unteren Molaren in dieser Beziehung einige Aehnlichkeit mit Hydaspitherium 
und Sivatherium, die oberen Molaren nur mit dieser letzteren Gattung — wenigstens mit 
den von Lydekker!) abgebildeten Molaren —. Eine genauere Vergleichung mit Zähnen von 
Sivatheriinen ist jedoch schon desshalb nicht möglich, weil das Gebiss der einzelnen Gattungen 
dieser Gruppe noch immer recht unvollständig bekannt ist. 

Ich bin sehr geneigt, diese Zähne dem Urmiatherium zuzuschreiben, von dem man 
allerdings bis jetzt nur das Cranium kennt. In den Dimensionen steht auch dieser Schädel 
hinter dem von Sivatherium und Hydaspitherium ziemlich weit zurück, und da dies auch 
für die vorliegenden Zähne aus China zutrifft, so wird die Wahrscheinlichkeit um so grösser, 
dass auch sie zu Urmiatherium gehören dürften, wenn auch nicht zu der persischen Art, 
dem U. Polaki.?) 

Die Zähne, welche ich hier also provisorisch als solche von Urmiatherium? zusammen- 
fassen will, sind ein P; des rechten und ein P, des linken Unterkiefers und zwei noch im Kiefer 
steckende untere Mı und M3. Vielleicht gehört auch ein unterer M; hieher — Taf. IX, Fig. 19 —, 
ferner zwei aneinander stossende Prämolaren, P; und P,, des linken Oberkiefers, ein linker 
und drei rechte obere Molaren, ein rechter oberer D; und je ein rechter und ein linker oberer D,. 

Während der untere P, dem entsprechenden Zahne von Camelopardalis vollkommen 
in seiner Zusammensetzung gleicht, unterscheidet sich P; sowohl von dem von Camelopar- 
dalis, als auch von jenem von Alcicephalus durch den Besitz eines nahezu isolirten Pfeilers 
an Stelle der Innenwand. Er stimmt in dieser Beziehung mit dem P; von Hydaspitherium 
und Helladotherium überein. 

Die unteren Molaren haben eine viel rauhere Oberfläche als jene von Aleicephalus und 
zeichnen sich auch durch den Besitz eines mehrzackigen Basalpfeilers und eines ebenfalls 
mehrzackigen Basalbandes aus. Rippen und Falten sind dagegen sehr schwach entwickelt. 
Die systematische Stellung des erwähnten unteren M3; ist insoferne etwas zweifelhaft, als seine 
Oberfläche viel glatter und sein Basalband viel schwächer ist an jenen M, und M, und dafür 
aber die Falten, hinter den Innenhöckern sehr kräftig entwickelt sind. 

Die oberen Prämolaren werden, wie bereits bemerkt, auf drei Seiten von einem kragen- 
artigen Basalband umgeben. An den oberen Molaren verbindet sich hier im Gegensatz zu jenen 
von Aleicephalus das Vorderhorn des zweiten Innenmondes schon sehr früh mit der Aussen- 
wand, während das Hinterhorn des ersten Innenmondes weit in die vordere Marke hineinragt. 


1) Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol.Il, pl. XXI, fig. 1. 
2) Rodler. Denkschriften der k. k. Akademie der Wissenschaften, math.-naturw. Classe, Wien. 1889, 
Bd. 56, p. 307, 4 Taf. i 


110 


Das Basalband ist an der Vorderseite kräftig entwickelt, zwischen den beiden Innenmonden 
wird es durch einen ziemlich dünnen und niedrigen Basalpfeiler ersetzt. Ms ist bedeutend 
länger als breit. 

Die oberen D, gleichen in ihrer Zusammensetzung vollkommen den Molaren, der obere 
D;, stimmt fast vollkommen mit dem von Alcicephalus überein, abgesehen von seiner be- 
deutenderen Grösse. Die Rippen und Falten der Aussenseite sind an den D und M in der 
nämlichen Weise ausgebildet wie bei Aleicephalus, nur an D; sind sie relativ schwächer. 


Dimensionen: 
unterer P;, Länge 27 mm; Breite 18 mm; Höhe 22 mm 


” Pı D) 33; D) 25.9; „ 25? „ 
= M, e BE ge e 25,5, 5 »„ 23 „5; mässig abgekaut 
oberer P; T 22 5 4 DIE  SSDWSE: > 4 
ARE Pı „ 23 9» » 30 m ” 17 9 ” ” 
. M, n Dee: e 0: 5 »„ 20 „ ; ziemlich alt 
„ M; ” 28. 5 5 „ 422 ,; D) a D) D) 
D) M; » 46 5; 5) El 55 D) 23,5 „ ; alt 
Länge der unteren Zahnreihe circa 200 mm 
- „ oberen " Re): 
D; Länge 33 mm; Breite 23mm; Höhe 18,5 mm 
D, „ 37025 D) 34 ,; „21,5, 


Ich glaube jedenfalls keinen grossen Fehler zu begehen, wenn ich diese Zähne provisorisch 
zur Gattung Urmiatherium stelle. 


Die Abstammung der Giraffinen und Sivatheriinen. 


Ueber die Herkunft der Giraffinae und Sivatheriinae wissen wir nichts Genaueres. 
Rütimeyer hält zwar Camelopardalis für einen Verwandten von Cervus alces, allein 
selbst wenn sich diese Ansicht bestätigen sollte, so wäre damit doch nicht das Mindeste ge- 
wonnen, da uns auch der Vorläufer von Alces nicht bekannt ist und Alces selbst erst viel 
später auftritt als die Gattung Camelopardalis. 


Immerhin sprieht die relative Häufigkeit der fossilen Ueberreste von Camelopardalis 
in China und Indien doch entschieden eher. für einen eurasiatischen Ursprung dieser Gattung 
und selbst eher für eine Einwanderung von Osten, also aus Nordamerika, als für eine Ein- 
wanderung aus Afrika, wo uns überhaupt keine ähnlichen fossilen Formen aus dem Tertiär 
bekannt sind, während in Nordamerika im Oberoligoeän oder Untermiocän die in vielen Stücken 
so ähnlichen Protoceratiden gelebt haben und in Europa im Obermiocän grosse Palaeo- 
meryciden — Palaeomeryx Kaupi, Bojani und eminens vorkommen, welche in morpho- 
logischer Hinsicht ebenfalls als Ahnen von Camelopardalis in Betracht gezogen werden müssen. 


Diese Palaeomeryciden unterscheiden sich eigentlich nur durch den Besitz von oberen 
Caninen, durch die Anwesenheit der sogenannten Palaeomeryxleiste an den unteren Molaren 
und durch den einfacheren Bau ihrer Prämolaren von Camelopardalis und weisen somit 
kein einziges Merkmal auf, welches der Ableitung der Giraffinen im Wege stehen würde. 
Der Verlust der oberen Caninen erfolgte bei den Hirschen, die sich zweifellos aus gewissen 
Palaeomeryciden entwickelt haben, mit der Entstehung des Geweihes, bei den Camelo- 
pardaliden wären sie jedenfalls schon durch die blosse Zunahme der Körpergrösse überflüssig 
geworden und somit verschwunden. Das allmälige Verschwinden der Palaeomeryxleiste können 
‚wir thatsächiich noch bei pliocänen Hirschen beobachten — Cervus australis in Europa 
und bei dem später zu besprechenden Cervavus in China — und dürfte somit auch bei dem 
Ahnen von Camelopardalis erwartet werden und ebenso ist die Complication der Prämolaren 
ein so, häufiger Vorgang, dass er auch für die Ahnen der Giraffinen Geltung haben könnte, 
um so mehr, als zwischen den Prämolaren von Palaeomeryx eminens und jenen von Camelo- 
pardalis durchaus kein fundamertaler Unterschied besteht. Die Streekung des Halses und 


11 


der Extremitäten von Camelopardalis ist ebenfalls kein Hinderniss für die Annahme einer 
näheren Verwandtschaft, denn sie ist doch sicher lediglich eine Speeialisirung, die noch dazu 
durch Formen wie Samotherium mit der Organisation von Palaeomeryx verbunden wird. 


Schwieriger wäre dagegen die Ableitung der Giraffinae von den Protoceratiden des 
nordamerikanischen Oligocän oder Untermiocän, denn es besteht nicht bloss zeitlich eine grössere 
Lücke zwischen Protoceras!) und Camelopardalis als zwischen Palaeomeryx und Camelo- 
pardalis, das Haupthinderniss für die Annahme einer direeten Verwandtschaft liegt vielmehr 
darin, dass Protoceras im Schädelbau speeialisirter ist als Camelopardalis. Die erstere 
Gattung besitzt nämlich mehr knöcherne Protuberanzenpaare am Schädel als Camelopardalis, 
es müsste also, soferne letztere Gattung aus Protoceras entstanden wäre, ein Theil dieser 
Auswüchse Reduction erlitten haben. Da wir jedoch nur wenige Beispiele dafür haben, dass 
in einer genetischen Reihe Specialisirungen aufgetreten sind, welche dann später wieder fast 
gänzlich verloren gingen, so dass nahezu der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt wurde, 
so erscheint immerhin grosse Vorsicht geboten bezüglich der Ableitung der Giraffinen von 
den Protoceratiden. Freilich dürfen wir auch nicht übersehen, dass auch für den Fall, 
dass die Giraffinen auf Palaeomeryciden zurückgeführt werden, ebenfalls Reduction einer 
Speecialisirung und Regenerirung eines früheren Zustandes angenommen werden muss, denn es 
ist alsdann die Palaeomeryxleiste der unteren Molaren verloren gegangen und der frühere 
Gelocuszustand regenerirt worden. Da aber diese Reduction für Nachkommen der Palaeomery- 
eiden, nämlich für gewisse Hirsche mit voller Sicherheit festgestellt werden konnte, so darf sie 
auch innerhalb einer genetischen Reihe Palaeomeryx- Camelopardalis angenommen werden. 


Umgekehrt ist es wahrscheinlicher, dass die Sivatheriinen aus Protoceratiden sich 
entwickelt haben, als dass sie aus Palaeomeryciden entstanden sind, denn für jene gewaltigen 
Umänderungen, welche nöthig gewesen wären, um die Palaeomeryeiden in jene aberranten 
Formen überzuführen, war die Zeit zwischen Obermiocän und Unterplioeän entschieden zu kurz, 
wohl aber wäre der Zeitraum, welcher zwischen der Ablagerung der jüngsten Schichten des 
White Riverbed und dem Erscheinen der Sivatheriinen verstrichen ist, mehr als genügend 
für die Umgestaltung der Protoceratiden in die Sivatheriinen. 

Zudem passen die Protoceratiden ohnehin nicht recht gut zu den übrigen selenodonton 
Paarhufern des nordamerikanischen Tertiärs, und schliesslich ist auch durchaus kein Grund 
einzusehen, wesshalb sie nach der Ablagerung des nach ihnen benannten Protocerasbed 
vollständig ausgestorben sein sollten. 

Allerdings zeichnet sich der Schädel der männlichen Individuen von Protoceras 
dureh den Besitz von Knochenauswüchsen auf den ÖOberkiefern und am Oberrand der Augen- 
höhlen aus, welche bei den Sivatheriinen kein Analogon haben und ausserdem auch 
durch den Besitz von Caninen, welche bei diesen fehlen. Auch ist der Schädel ungemein 
niedrig. Allein diese Unterschiede erweisen sich theils als Specialisirungen — die erwähnten 
Knochenauswüchse — theils als primitiver Zustand, — Besitz von Caninen und flacher niedriger 
Schädel —, der auch den ältesten Hirschen eigen war. Dagegen nehmen die Knochenauswüchse 
schräg oberhalb der Lacrymalia und jene oberhalb der Temporalgrube genau die nämliche 
Stellung ein wie bei den Sivatheriinen. Es bedurfte nur einer beträchtlichen Zunahme der 
Körpergrösse, der Bildung zahlreicher Luftkammern am Cranium, einer Vergrösserung der 
Protuberanzen auf den Stirnbeinen und Verschmelzung dieser Auswüchse mit jenen an den 
Seiten der Scheitelbeine sowie Verkürzung der Gesichtspartien verbunden mit Verlust der 
Caninen und Reduction der Protuberanzen auf den Oberkiefern, um den Schädel der Proto- 
ceratinen in jenen der Sivatheriinen überzuführen, Vorgänge, die wir zum grössten Theil 
auch in anderen Gruppen der Selenodonten beobachten können. Auch war zwischen dem 


1) Osborn, H.F. and Wortman, J.L. Characters of Protoceras. Bulletin from the American 
Museum of Natural History. New York, Vol. IV, 1892, p. 351—372 und: 

Scott, W.B. The Osteology and Relations of Protoceras. Journal of Morphology, Vol. XI, 1895,. 
p- 301—370, 3 pl. i 


112 


scheinbaren Erlöschen der Protoceratinen — Mittelmiocän — und dem ersten Auftreten 
der Sivatheriinen — Unterpliocän — hinreichend Zeit für solehe Vorgänge gegeben. 

Ebensowenig Schwierigkeiten für die Ableitung der Sivatheriinen bietet die Organisation 
der Extremitäten von Protoceras. Sie sind zwar noch sehr primitiv, aber keineswegs so 
differenzirt, dass nieht ächte Ruminantierextremitäten daraus entstanden sein könnten. Primitiv 
ist die Stärke der Ulna, die Höhe und Isolirung der Carpalia, das Getrenntbleiben der Meta- 
carpalia und die Anwesenheit von seitlichen Zehen. Am Hinterfuss haben diese Seitenzehen 
jedoch schon eine sehr weitgehende Reduction erlitten, auch beginnen schon die mittleren 
Metatarsalien miteinander zu verwachsen, und ebenso hatte auch schon Verschmelzung von 
Eeto- und Mesocuneiforme stattgefunden, dagegen bleiben wenigstens nach der Angabe von 
Scott Cuboid und Naviculare immer noch getrennt. Die seitlichen Metacarpalien reichen 
proximal viel höher hinauf als die mittleren und hierin verhält sich Protoceras sehr ähnlich 
der Gattung Gelocus, wesshalb ich auch nicht einzusehen vermag, wie man bei Protoceras 
von inadaptiver Reduction der Extremitäten sprechen kann. Auch das Freibleiben und die 
relative Höhe sämmtlicher Carpalien ist lediglich ein primitives Merkmal. Ebenso gut wie aus 
den Extremitäten von Gelocus jene der Hirsche sich entwickelt haben, konnten sich auch 
aus jenen von Protoceras die der Sivatheriinen herausbilden. 

Was die Zähne anlangt, so sind die Prämolaren von Protoceras zwar noch einfacher 
und gestreckter als bei den Sivatheriinen, aber sie haben mit ihnen doch schon die rauhe 
Schmelzoberfläche gemein und weichen hierin von denen der meisten fossilen Paarhufer 
Nordamerikas ganz bedeutend ab. Es hat übrigens sogar fast den Anschein, als ob Protoceras 
von einer altweltlichen Form abstammen würde, denn mit Ausnahme von Homacodon, 
einer sehr unvollständig bekannten Gattung, gibt es im Eocaen von Nordamerika keinen 
Paarhufer, von welchem man Protoceras ableiten könnte.!) Die vielfachen Anklänge an 
Leptomeryx erweisen sich als blosse Analogien in der Entwickelung und sind daher kein 
Zeichen für eine nähere Verwandtschaft. Es ist daher nicht ganz ausgeschlossen, dass der 
Vorläufer von Protoceras in der alten Welt existirtt hat und etwa im Oligocän zusammen 
mit Hyaenodon, Ancodus und anderen europäischen Formen nach Nordamerika gelangt ist, 
so dass also der Protocerasstamm nur als ein vorübergehender Bewohner der westlichen 
Hemisphäre anzusehen wäre. 

Auch die Thatsache, dass Protoceras ebenso rasch, wie er scheinbar gekommen ist, 
auch wieder gänzlich erloschen sein sollte, lässt sich mit unseren sonstigen Erfahrungen schwer 
in Einklang bringen. Immer mehr schliessen sich die Lücken innerhalb der einzelnen Formen- 
reihen und immer seltener werden jene Typen, welche sich nicht in solche Reihen einfügen 
lassen. Es ist desshalb schon an sich viel wahrscheinlicher, dass Protoceras in veränderter 
Form noch länger oder selbst bis in die Gegenwart sich forterhalten hat, als dass er nach 
kurzer Lebensdauer gänzlich ausgestorben sein sollte. Protoceras wäre überdies auch nicht 
die einzige Gattung, welche von Nordamerika nach Asien gewandert ist, ich brauche nur an 
die Tylopoden zu erinnern, welche ebenfalls erst zur Hipparionenzeit in der alten Welt 
erscheinen, während ihr Hauptstamm sich in Nordamerika vom Eocän an durch alle Horizonte 
bis in das Quartär verfolgen lässt. So gut aber Tylopoden, wenigstens der Vorläufer der 
"Gattung Camelus, aus Nordamerika nach Asien gelangt sind, ebenso gut können doch auch 
andere Formen von dort in die alte Welt gewandert sein. 

Gegen die Ableitung der Sivatheriinen von Protoceras sprechen eigentlich nur drei 
Momente. Erstens sind seine Prämolaren und Milchzähne viel gestreckter als .bei den Siva- 
theriinen, zweitens stehen die distalen Facetten des Radius — also für Scaphoid und 
. Lunatum?) — viel weniger schräg als bei diesen letzteren, und drittens sind die Sivatheriinen 


!) Nur Camelomeryx und Leptoreodon könnten Vorläufer von Protoceras sein. 

2) Thatsächlich sind auch an Scaphoid und Lunatum bei Sivatherium und Samotherium die 
Radialfacetten viel weniger schräg gestellt als bei den Cerviden, und selbst bei Dremotherium und 
Amphitragulus; sie nähern sich noch den Verhältnissen bei Prodremotherium. 


113 


den Giraffinen doch sehr ähnlich, so dass man sich nur ungern entschliessen kann, für beide 
Abtheilungen einen gesonderten Ursprung anzunehmen. 

Wenn wir jedoch diese Verhältnisse näher betrachten, so verlieren jene Einwände ganz 
erheblich an Bedeutung, denn die Verkürzung der Zähne und die Drehung der Carpalia 
und folglich auch die Schrägstellung der entsprechenden Facetten am Radius hat auch in der 
genetischen Reihe Gelocus-Dremotherium stattgefunden, es besteht somit kein Grund, die 
Möglichkeit dieser Aenderungen für die Nachkommen von Protoceras zu läugnen. Was aber 
die nahe Verwandtschaft zwischen Giraffinen und Sivatheriinen betrifft, so ist sie doch 
keineswegs mit voller Sicherheit festgestellt, so dass wenigstens vorläufig die Möglichkeit einer 
gesonderten Abstammung nicht ohne Weiteres von der Hand gewiesen werden darf. 


Cervidae. 


Die Ueberreste von Cerviden, namentlich Kieferstücke und isolirte Zähne, gehören nach 
jenen von Hipparion zu den häufigsten fossilen Säugethierreliquien in China. Selten sind 
dagegen Geweihe und Theile von Extremitätenknochen und selbst diese befinden sieh in einem 
so fragmentären Zustande, dass der einstige Bau des Geweihes sowie osteologische Einzelheiten 
nur in wenigen Fällen daran erkannt werden kann. Immerhin dürfen auch diese mangelhaften 
Documente nicht mit Stillschweigen übergangen werden, vielmehr werde ich versuchen, für 
jede der einzelnen Cervidenarten die zugehörigen Geweih- und Knochenreste zu ermitteln. 

Was den Erhaltungszustand betrifft, so ist derselbe, wenigstens der Gebisse, viel 
günstiger als bei den Ueberresten von Hipparion, indem Kieferfragmente mit drei bis vier 
Zähnen an Zahl den isolirten Zähnen kaum nachstehen, während wir es bei Hipparion 
fast nur mit isolirten Zähnen zu thun hatten. Ein weiterer Unterschied besteht auch darin, 
dass diese Cervidenreste zum grösseren Theil dunkle Farbe — Knochen braun oder schwarz, 
Zähne bräunlich oder blaugrau — besitzen und aus den sandigen, röthlichgrauen Schichten 
stammen, während die Hipparionzähne mindestens zu zwei Dritteln weisslich gefärbt sind, 
und das noch anhaftende Gestein ein rother Thon ist, ähnlich dem von Pikermi. 

Als Fundorte wurden die Provinzen Honan und Hupeh angegeben. Etwa die Hälfte 
dieser Cervidenreste wurde in Peking, einige auch in J’tschang erworben; die aus den 
beiden ersten Sendungen führten als Lokalitätsangabe Tientsin. Immerhin liegen auch einige 
solche Reste vor, welche in ihrem Erhaltungszustande den Thierresten aus Schansi und 
Sz“tschwan gleichen. Ziemlich viele Kieferstücke sind auch lichtbraun gefärbt und ihre Zähne 
sind fast durchscheinend, aber das anhaftende Gestein ist auch in diesem Fall ein harter, 
grauer oder röthlicher Mergel, der jedoch weniger Sandpartikel enthält als an den dunklen 
Stücken. 

Koken hat bereits eine Anzahl solcher Hirschreste beschrieben und abgebildet und 
zwar stellt er die‘ Mehrzahl derselben zu der Gattung Palaeomeryx, obwohl, wie er selbst 
bemerkt, das für diese Gattung so charakteristische Wülstehen an den unteren Molaren hier 
fast niemals vorhanden ist.!) Dasselbe hat, wie er meint, überhaupt nicht die grosse Be- 
deutung, die man ihm gewöhnlich zuschreibt und fehlt zudem auch bei einem von ihm beob- 
achteten Zahn von Palaeomeryx furcatus von Steinheim. 

Ich muss diese Ansicht auf’s Aeusserste bekämpfen, denn die Anwesenheit resp. das Fehlen 
jener Leiste ist eigentlich der einzige Anhaltspunkt, welche die Unterscheidung der Gattungen 
Dremotherium, Amphitragulus und Palaeomeryx einerseits und der Gattung Cervus 
— im weitesten Sinne — andrerseits bei isolirten unteren Molaren ermöglicht, bei oberen 
Molaren und Prämolaren sind wir ohnehin mehr oder weniger auf das Rathen angewiesen, 
wenigstens soferne es sich nicht um sehr frische, wenig abgekaute Zähne handelt. Da Cervus 
aus den Palaeomeryciden hervorgegangen ist, so ist ja die Möglichkeit gegeben, dass individuell 
bereits bei Palaeomeryx dieses Merkmal ausnahmsweise fehlen kann, obwohl mir wenigstens 


1) Fossile Säugethiere aus China, p. 54. 
Abh. d. II. Cl. d, k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 15 


114 


unter dem von mir schon untersuchten, sicher nicht geringen europäischen Material kein einziger 
solcher Fall bekannt ist. Unter dem chinesischen Materiale dagegen finde ich allerdings einige 
solche Zähne, allein sie gehören mit Ausnahme von zweien einer besonderen Art an, welche 
unter dem Koken’schen Material überhaupt nicht vertreten ist und sich ausserdem durch die 
niedrige Zahnkrone als Palaeomeryx erweist. An allen übrigen Zähnen fehlt dagegen die 
charakteristische Palaeomeryxleiste oder wie Koken schreibt Falte, doch ist zuweilen an 
deren Stelle oder richtiger neben der Stelle, an welcher diese Leiste verlaufen würde, eine 
ganz seichte feine Rinne sichtbar, welche übrigens auch an den mir vorliegenden Molaren des 
Cervus australis aus dem Pliocän von Roussillon zu beobachten ist. Durch diese Thatsache 
dürfte nun das Fehlen der Palaeomeryxleiste an einem einzigen Zahne von Palaeomeryx 
furcatus reichlich aufgewogen werden, denn dieser abnormen prophetischen Entwickelung 
steht somit ein primitives Stadium bei einem ächten Cervus gegenüber, allein zu einer Ver- 
einigung von Cervus mit Palaeomeryx geben solche Verhältnisse nicht den geringsten Anlass. 
_ Ich glaube, man sollte ein so bewährtes Unterscheidungsmittel, wie es die Palaeomeryx- 
leiste ist, nicht so leichten Kaufes preisgeben. Auch möchte ich sehr stark bezweifeln, dass 
Koken auch jetzt noch auf seiner damaligen Ansicht bestehen wird. 
Was die Zahl der in China vorkommenden vermeintlichen Palaeomeryxarten betrifft, so 
hat Koken deren drei beschrieben, nämlich: 


Palaeomeryx Owenii — |. c., p. 52, Taf. III, Fig. 4—12. 
P sp 2 — le. p. 96, Eat es: 
5 sps  ._—_.l..e., p. 56, Taralk eRiesl2: 
Von Cervus nennt er zwei Arten: 


Cervus (Rusa) orientalis, ]l. c., p. 57, Taf. II, Fig. 4—8, recte Fig. 4—7. 
n " leptodus, 1. c., p. 61, Taf. II, Fig. 9—11, recte Fig. 8—10. 


„Palaeomeryx* Owenii umfasst anscheinend zwei der Grösse nach verschiedene Arten, 
die nach meinen Erfahrungen keineswegs durch Uebergänge miteinander verbunden sind. Das 
Original zu Taf. III, Fig. 12, ein oberer P;, gehört jedoch überhaupt nicht einem „Palaeo- 
meryx“, sondern einer Antilope an. 

Palaeomeryx sp., Fig. 3, beruht auf einem grossen, aber an der Innenseite beschädigten 
Oberkiefermolaren, welcher absolut kein Merkmal an sich hat, welches ihn wirklich zu einem 
Palaeomeryxzahn stempeln würde. Er kann vielmehr ebenso gut einer Cervusart angehört haben. 

Palaeomeryx sp., Taf. II, Fig. 12, ist ein stark abgekauter oberer Molar, welcher der 
Grösse nach ganz gut zu dem kleineren, von Koken abgebildeten Palaeomeryx Oweni, 
Taf. III, Fig. 9, passen würde, aber viel grösser ist als jener des Palaeomeryx medius v. Mey. 
— jetzt Palaeomeryx Meyeri Hofm. — aus Georgensgmünd, womit ihn Koken vergleicht. 

Die beiden erwähnten Cervusarten konnte ich unter den mir vorliegenden grösseren 
Cervuszähnen aus China, soweit sie wenigstens sicher aus Tertiärablagerungen stammen, nicht 
wieder erkennen. 

Cervus orientalis, wozu übrigens Fig. 8, ein oberer My, schwerlich gehören kann, 
stammt aus Löss oder Höhlenlehm und ist mit Cervus (Rusa) Aristotelis sehr nahe ver- 
wandt, wenn nicht sogar wirklich identisch. 

Cervus leptodus ist ebenso wenig wie der vorige pliocän, sondern ebenfalls pleistocän 
‘und möglicher .Weise identisch mit dem Axis aus den Karnulhöhlen in der Provinz Madras, 
welchen Lydekker abgebildet hat. 

Von der ersteren Art, dem Cervus orientalis, befindet sich ein Zahn auch unter jenen 
Säugethierresten, welche Herr Dr. Haberer in J’tachang bekommen hat. 

Cervus Mongoliae Gaudry basirt auf Geweihen, welche Abbe David Bei Süen Hoa Fu 
in Petschili gesammelt hat. 

Diese Geweihe schliessen sich dem Elaphustypus an. 

Unter dem Material, welches Herr Dr. Haberer dem Münchener Museum geschenkt hat, 
kann ich drei sichere Arten von Cervus unterscheiden, welche wirklich aus dem Tertiär 
stammen. Es sind dies: 


115 


Cervus aff. sivalensis Lyd., die grösste Art, etwa von Elaphusgrösse aus Tientsin, 
Hupeb und Hunan. Hieher gehört auch Koken’s Palaeomeryx sp., Taf. III, Fig. 3, ein 
rechter oberer Mı von dunkelbrauner Farbe. 


Cervus aff. simplicidens Lyd. etwas kleiner als der vorige, aus Tientsin, Hunan. 
Cervus sp. noch kleiner, aber etwas grösser als Dama aus Tientsin, Hunan und Schansi. 


Eine etwaige vierte Art von Elengrösse wird durch zwei abgekaute untere Molaren aus 
Hunan angedeutet. 


Ausser den Kieferbruchstüeken und isolirten Zähnen liegen mir auch ziemlich viele Ge- 
weihfragmente und ein Paar abgeworfene Geweihe von jugendlichen Individuen vor, deren 
generischer und specifischer Bestimmung jedoch erhebliche Schwierigkeiten im Wege stehen. 


Leichter ist hingegen die Bestimmung der wenigen vorhandenen Carpalien und Tarsalien, 
— je ein Scaphoid, Astragalus und Calcaneum —, der fünf distalen Canonenden und der 
neun Zehenglieder sowie eines Lendenwirbels, denn sie können nach ihren Dimensionsverhält- 
nissen doch mit ziemlicher Sicherheit auf die einzelnen Arten vertheilt werden und zwar auf 
die vier Arten der Gattung Cervavus. Soweit die dürftige Erhaltung dieser wenigen Ueberreste 
überhaupt eine nähere Untersuchung gestattet, zeigen sie keinerlei Unterschiede gegenüber jenen 
von Dierocerus elegans und Palaeomeryx furcatus, und da bei diesen Formen aus dem 
europäischen Tertiär sicher keine distalen Reste von seitlichen Metapodien mehr vorhanden sind, 
so dürfen wir wohl annehmen, dass auch Cervavus, der Nachkomme dieser europäischen 
Formen, keine solehen mehr besessen hat. 


Um so bedauerlicher ist es freilich, dass das vorhandene Material in dieser Beziehung 
für die leider recht spärlich vertretenen Cervusarten keinen Aufschluss gibt, denn gerade das 
Plioeän von Asien sollte doch telemetacarpische und plesiometacarpische Hirsche neben 
einander enthalten, da zu jener Zeit in Amerika, welches jetzt die Heimat der telemetacarpischen 
Hirsche ist — mit Ausnahme der altweltlichen Genera Alces, Capreolus und Rangifer — 
fast noch keine Hirsche existirt haben. Dieselben sind vielmehr der Hauptsache nach erst 
im Pleistocän oder im allerjüngsten Pliocän aus der alten Welt eingewandert mit Ausnahme 
vielleicht von Cariacus und Coassus. 


Was die Geweihfragmente betrifft, so sind sie in der überwiegenden Mehrzahl einfache, 
schwach gebogene, abgebrochene Sprossen von meist kreisrundem Querschnitt. Es lässt sich 
zwar von keinem derselben entscheiden, ob wir es mit Endsprossen oder mit Seitensprossen zu 
thun haben, jedoch stammen wohl die dieksten und längsten derselben von mehrsprossigen 
Geweihen und ihre geringe Rauhigkeit könnte vielleicht auch ein Zeichen dafür sein, dass sie 
wenigstens zum Theil eher einer Elaphus ähnlichen als einer Rusa ähnlichen Form angehört 
haben; die kleineren könnten freilich auch von einem Axis ähnlichen Cerviden herrühren, 
namentlich kommt die Axisgruppe für einen Geweihabwurf von etwa 55 mm in Betracht, 
welcher sich dicht über dem Rosenstock stark zurückbiegt und trotz seiner geringen Länge 
doch Andeutung von Gabelung zeigt. Der Träger dieses Geweihes ist möglicher Weise doch 
auch in einer der im Folgenden beschriebenen vier Arten von Cervavus zu suchen. 


Zwei Abwürfe von Spiessern (?) steigen vom Rosenstock an senkrecht auf und dürfen 
vielleicht einem Vorläufer von Capreolus zugeschrieben werden, soferne es sich nicht doch 
um die folgende Form handelt. 


Drei seitlich comprimirte Gablergeweihe endlich, davon das eine mit Rosenstock, gehören 
aller Wahrscheinlichkeit nach dem Koken’schen Foren: Oweni, der neuen Gattung 
Cervavus an; hiefür spricht ihre grosse Aehnlichkeit mit Geweihstücken von Dierocerus 
elegans und „Palaeomeryx“ furcatus. WVermuthlich dürfen hiezu auch Geweihenden von 
dreieckigem Querschnitt gerechnet werden, denn diese Form des Querschnitts ist bei den 
genannten europäischen Arten recht häufig und darf daher auch wohl bei ihren unmittelbaren 
Nachkommen vorausgesetzt werden. 


Die ersterwähnten Geweihspitzen von kreisrundem Querschnitt können wohl auf eine der 
grossen Cervusarten bezogen werden. 


15* 


116 


Unsere Kenntnisse der fossilen chinesischen Cerviden bedürfen demnach noch vielfacher 
Ergänzung, erst Funde an Ort und Stelle können über die Zusammengehörigkeit der Zähne 
und Geweihe der einzelnen Arten befriedigenden Aufschluss geben. 


Cervavus n. gen. 


Gebiss zwischen dem der Gattungen Palaeomeryx und Dierocerus einerseits, und dem 
von primitiven Cervus andererseits in der Mitte stehend, aber Zähne mehr hypselodont als 
bei den ersteren; obere M denen von Dierocerus ähnlich, ebenfalls mit starken Rippen auf 
der Aussenseite und kräftigen Spornen an den Hinterenden der beiden Innenmonde, obere P, 
und P, stark verbreitert, P, öfters mit beginnender scheinbarer Theilung des Innenmondes, 
Innenrand des P, häufig abgestumpft, untere M ohne Palaeomeryxleiste, aber manchmal 
noch mit scharfer Rinne an deren Stelle, Innenhöcker der unteren P; und P, bereits etwas in 
die Länge gezogen, P somit in beiden Kiefern bereits complieirter; Anwesenheit von säbel- 
förmigen, aber bereits etwas verkürzten Caninen im Oberkiefer und relativ einfachen, aber 
schon einem Wechsel unterworfenen Geweihen. 

Frische Zähne dieser Formen sind stets etwas höher als gleich grosse von Dierocerus 
oder von Palaeomeryx furcatus. 

Höchst bemerkenswerth sind die individuellen Varietäten, welche bei den vier hieher 
gehörigen Arten vorkommen können, indem sie theils Verhältnisse wiederholen, welche bei 
deren Ahnen normal waren — relativ einfacher Bau der oberen Prämolaren, rudimentäre 
Ausbildung der Palaeomeryxleiste an den unteren Molaren, ungefähr bei jedem 20ten als 
Rinne, bei etwa einem Procent sogar noch vollständig ausgebildet — theils aber auch schon 
Verhältnisse aufweisen, welche erst bei ihren Nachkommen zur Norm werden — Complication 
der Prämolaren durch scheinbare Theilung des Innenmondes an den oberen, und durch Streckung 
des Innenhügels an den unteren, die in einem Fall sogar zur Bildung einer vollständigen 
Innenwand an P, führt wie bei Cervus Nestii von Val d’Arno und den meisten lebenden 
Cerviden. Cervus Nestii sowie Cervus australis von Roussillon haben überhaupt sehr 
grosse Aehnlichkeit mit den hier behandelten chinesischen Formen. Ja ich bin geradezu 
versucht, diese für die Verbindungsglieder zwischen jenen beiden Cerviden des europäischen 
Plioeän einerseits und den miocänen „Palaeomeryx“ furcatus und Dierocerus elegans 
andrerseits anzusprechen, so dass wir also zwei Formenreihen bekämen: 


Cervus Nestii Cervus australis 
Cervavus Oweni ; Cervavus 2. Species 
Dierocerus elegans „Palaeomeryx“ furcatus, 
welche dann im Mittelmioeän in Palaeomeryx anneetens!) — Tuchorschitz und Solnhofen — 


zusammenlaufen, einer noch etwas kleineren, aber bereits ebenfalls Geweihtragenden Form. 
Die Umprägung der Palaeomeryeiden zu gewissen Cerviden hätte alsdann in Asien statt- 
gefunden, was auch schon aus dem Grunde ziemlich wahrscheinlich wird, weil in Europa in 
der Hipparionenfauna kleinere Cerviden höchst selten und auch überdies gerade von den 
beiden genannten Arten, Nestii und australis, ziemlich verschieden sind. 


‚ Cervavus Oweni Koken sp. Taf. X, Fig. 13, 15, 16, 19, 21, Taf. XI, Fig. 31, 32.? 
1885 Palaeomeryx Oweni Koken. Fossile Säugethiere aus China, p. 52, Taf. III, Fig. 4, 7, 8, 10, 11, 
non Fig. 5, 6, 9, 12. 


Von dieser meist aus Honan, Hupeh (J'tschang) und Tientsin (?) stammenden Art — aus 
Schansi liegen mir etwa ein Dutzend isolirter Zähne vor — besitzt die Münchener paläonto- 


1) Schlosser. Die Säugethiere der böhmischen Braunkohlenformation. Beiträge zur Kenntniss 
der Wirbelthierfauna der böhmischen Braunkohlenformation. Prag, 1901, p. 12, Taf. 1, 2, 10, 11, 15, 
16—21, und: Beiträge zur Kenntniss der Säugethierreste aus den süddeutschen Bohnerzen. Geologische 
und paläontologische Abhandlungen von E. Koken, 1902, p. 69. 


117 


logische Sammlung je einen vollständigen Unter- und Oberkiefer, über 40 Unterkieferfragmente, 
davon 3 mit Milchzähnen, 84 isolirte untere M, 30 isolirte untere P, 9 Oberkieferfragmente 
mit Molaren, 4 mit Prämolaren und 1 mit Milchzähnen, 36 isolirte obere Molaren, 15 obere 
Prämolaren und 1 isolirten oberen Milchzahn. 

Die Dimensionen sind: 


Unterkiefer: P, Länge 9,5 mm; Breite 6 mm; Höhe 7,5 mm 


P; ” 11,5 DS ) 7,5 9» n 9 ” 
Pı a 9» D) 8 DE) ” 10 Eee 
M,} Bl,D: 0 De: „ 10,5 „; 12mm Maximum 
M3 )) 12 9 ” 12 DR) ” 18 9 1 n BD) 
M; ” 20,5 9) ” 12 9 » 13 ” 
Länge der unteren P 34 mm 
# 5 4 M Be $ 
5 4 n Zahnreihe 85 „ 
n „ Zahnlücke des Unterkiefers 40? mm 
Höhe des Unterkiefers vor P, 24 mm 
5 5 = hinter M; 31 „ 
D, Länge 8,5 mm; Breite 3 mm; Höhe 5 mm 
D; ” 12 5 » 5,9 9 ” 6 ” 
Dı )) 16 9 ” Üı »» ” 7 » 
Oberkiefer: Py3 Länge 11 mm; Breite 11 mm; Höhe 9,5 mm 
P; ” 11 9 ” 12 DR) » 13 ” 
P; ” 10,5 9» ” 14 9) ” 13 ” 
MP, , alla 2 „ 1a) 5 £ „ 12 „; 13,5 mm Maximum 
M3 ” 17 5 „ 19 DE) b) 14 „9 15,5 n » 
M; S Deck Sr = 1lE)ı F Maen la a Wi = e 
Länge der drei oberen P 34 mm 
e h Al 45 ,„ 


n 
5 „ oberen Zahnreihe 77,5 „ 


D; Länge 15 mm; Breite 14 mm; Höhe 9 mm 
D: 0) 12,5 ,;5 „ 14,5 „; » 9,5 „ 


Der obere P,; kann hier öfters eine Einschnürung auf seiner Innenseite aufweisen, so 
dass beinahe zwei vollständige Halbmonde entstehen. An P, verläuft der Innenrand in der 
Regel noch gleichmässig gerundet, aber manchmal erscheint die Innenseite des Innenmondes 
auch schon etwas abgeplattet, so dass der Zahn gerundet viereckigen Umriss bekommt, wie 
dies bei vielen Hirschen der Fall ist. 

An einem Oberkiefer zeichnen sich die noch ganz unangekauten Molaren durch ihre 
ungewöhnliche Höhe aus. Die obigen Maasse sind als Maximum angegeben. Die Stärke der 
Basalpfeiler der oberen M wechselt sehr beträchtlich. Die Basalpfeiler der unteren M sind bei 
dieser Art dieker und höher als bei der folgenden. 

Ein unterer M, zeigt noch die Palaeomeryxleiste, dagegen fehlt dieselbe an M, und M; 
des nämlichen Kiefers. Ich stelle hieher zwei obere Caninen, welche zwar noch die bekannte 
Form der Eekzähne von Moschus, Tragulus ete., sowie von Dremotherium zeigen, aber 
für die Grösse des Thieres doch stark redueirt sind und an der Kronenbasis scharf nach 
rückwärts gekniekt erscheinen. 

Ferner gehört hieher vielleicht ein Fragment einer Humerus-Trochlea und das distale 
Ende eines sehr schlanken Metacarpus, die jedoch keiner Besprechung bedürfen. 


Cervavus. 2. Species. Taf. X, Fig. 7, 9, 11, 12, 14. 


1885 Koken. Palaeomeryx Oweni. Fossile Säugethiere Chinas, p. 52, partim, Taf. III, Fig. 5, 6, 9. 
1885 n 4 sp. a » 9956, Taf I, Bie.21% 


Diese Form unterscheidet sich von der vorigen eigentlich nur durch ihre geringeren 
Dimensionen, jedoch ist auch der Basalpfeiler der unteren M durchgehends schwächer entwickelt, 
und die Innenhöcker dieser Zähne sind etwas schlanker als bei Oweni. Ein unterer M; zeigt 
die Palaeomeryxleiste. An einem unteren P, hat sich der Innenhöcker in eine förmliche 
Innenwand umgestaltet und der obere P; zeigt hier nicht selten eine verticale Furche an der 
Innenseite des Halbmondes. 

Diese Species ist vertreten durch einen Unterkiefer mit der vollständigen Zahnreihe, einen 
mit wohlerhaltenem Eckfortsatz, 24 Unterkieferfragmente mit Molaren, 11 mit Prämolaren, 
2 mit Milchzähnen, 32 isolirte untere M und 8 P, durch 7 Oberkiefer mit Prämolaren, 9 mit 
Molaren und. 3 mit Milchzähnen, 20 isolirte obere M, 12 Pund 3D. 

Auch von diesen Stücken stammen nur ganz wenige aus Schansi, die übrigen hingegen 
aus J“tschang, Hupeh, Honan und angeblich auch aus Tientsin. 


Dimensionen: 


Unterkiefer: P, Länge 9 mm; Breite 5,5 mm; Höhe 6 mm 


P; ” 11 2 » 6,5 ”»9 ” 7,5 n 

Pı » 11 a) » 7 an ” 8 ” 

Mı D) AR D) 9,8; ” 9 D) 

M, ” 15 »9 ” 10 De) ” 11,5 n 

M; » 19 ,„; „10,0, „5; „ 115, 
Länge der unteren P 31. mm 


; 5 A M 45—-48 
n n eh Zahnreihe 76 
ei „ Zahnlücke 50 


Höhe des Unterkiefers vor Pz 17,5 mm; hinter M; 27 mm 
D, Länge 15 mm; Breite 7 mm; Höhe 7 mm 


Oberkiefer: P, Länge 11 mm; Breitell mm; Höhe 9 mm 
P; 5) 10 DR) „. 11,0 ; D) ie) 


) n 
P, 2) I 95 „. 18 9 » 9 D) 
Mı ” 13,5 De ” 1A 9 b) 10 ” 
M; ” 15 9 ” 16 ) 11 
M; D) 15,5, ; 16 „ 115, 
Länge der drei oberen P 30 mm 
a ke) a 
»° » oberen Zahnreihe 71 „ 
D; Länge 13 mm; Breite 9 mm; Höhe 8 mm 
Dy » 11,5 DE] ” 12 9 ” 9 ” 


Wie diese Zahlen erkennen lassen, ist diese Form etwa um ein Zehntel kleiner als die 
unter Cervavus Oweni beschriebene Form. An und für sich wäre diese Grössendifferenz 
kaum genügend, um die Existenz von zwei verschiedenen. Arten anzunehmen, denn um diesen 
Betrag schwankt gewöhnlich die Mehrzahl der Individuen ein und derselben Art, ja Maximum 
und Minimum können nach meinen Erfahrungen selbst um 30 °/o auseinanderliegen. Allein 
alle diese Grössen sind bei einer wohlumgrenzten Species stets durch unmerkliche Uebergänge 
verbunden, was aber hier nicht der Fall zu sein scheint, denn ich war bei der Bestimmung, 
zum Mindesten bei den Molaren, niemals im Unklaren, ob ich sie bei der grösseren oder bei 
der kleineren Form einreihen sollte. Da überdies auch hinsichtlich der Dieke der Innenhöcker 
der unteren Molaren die kleinere Form von der grösseren abweicht, so dürfte die hier vor- 


119 


genommene Trennung wohl gerechtfertigt erscheinen. Gleiehwohl unterlasse ich es, für diese 
zweite Gruppe einen besonderen Speciesnamen aufzustellen. 


Ausser den erwähnten Kiefern und Zähnen rechne ich hieher einen Lendenwirbel, das 
distale Ende eines Metacarpus, ein Scaphoid und einen Astragalus nebst drei Phalangen. 
Abgesehen von ihrer Schlankheit bieten diese Knochen nichts besonders Bemerkenswerthes. 

Ferner möchte ich hieher oder noch zu Oweni die erwähnten Gablergeweihe und Geweih- 
enden von dreickigem Querschnitt stellen. 


Cervavus Rütimeyeri n. sp. Taf.X, Fig. 1-5, 8, 


Trotz der allgemeinen Aehnlichkeit mit den beiden eben behandelten Arten unterscheidet 
sich diese doch sehr leicht hievon durch ihre geringeren Dimensionen, und was die Hauptsache 
ist, von der ihr in der Grösse noch zunächst stehenden zweiten Form durch die bedeutendere 
Höhe ihrer Molaren. Ich brauche daher nicht zu zögern mit der Aufstellung eines besonderen 
Speciesnamens. 


Die oberen M tragen an der Vorderinnenecke öfters ein schwaches Basalband. Der 
obere P; zeigt stets eine Einschnürung des Innenmondes. 

Von dieser Art liegen vor: 

10 Unterkieferfragmente, 14 isolirte untere Molaren, 2 Oberkieferfragmente, 9 isolirte 
obere Molaren und 3 Prämolaren. Die Stücke haben mit ganz wenigen Ausnahmen dunkle 
Farbe, als Fundort ist theils Hunan, theils — aber meist jedenfalls irriger Weise — Schansi 
angegeben. 


Dimensionen: 


Unterkiefer: P; Länge 9,5 mm; Breite 6 mm; Höhe 6,5 mm 
10,587 5 D) 6,5 25 ” 95 „ 


4 ” 
Mı » 13 DE) » 8,54, ; n Id 
M; ” oral E; „ $) »5 a0, 
M; D) L7 9» ” 98 25 „11 2) 
Länge der drei unteren P 25? mm 
” ” ” n M 43 ” 
5 „ unteren Zahnreihe eirca 67 „ 
Höhe des Unterkiefers hinter P;, 17 „ 
” ” ” ” M; 24 ” 
Oberkiefer: P,; Länge 9,5 mm; Breite 10 mm; Höhe 8 mm 
Pı 4 Blues: e 111 eo ai 135 
Mı » 12,5 9 n 14 9» » 9 ” 
M3 F 14 +85 n 1A,D 45 + OR 
M; D) 15 »9 D) 15,5 „; na 
Länge der oberen P 25 mm 
7 ” ” M 40 ” 
5 R » Zahnreihe 64? „ 


Die Dimensionen der Zähne und somit wohl auch des ganzen Thieres stimmen fast genau 
mit denen der lebenden Capreolus überein. Durch die Art der Complication des oberen P;, 
die hier auf Theilung des Innenmondes abzielt, während bei Capreolus dieser Zahn noch 
einfacher ist und sich in anderer Weise vervollkommnet hat — er gleicht fast ganz dem P, — 
wird es jedoch ziemlich unwahrscheinlich, dass wir es hier mit dem Vorläufer von Capreolus 
zu thun haben. 


Hieher stelle ich zwei Metapodien und vier Zehenglieder, darunter zwei Klauen, welche 


die nämliche Grösse besitzen wie bei Capreolus. Eine Besprechung derselben ist überflüssig, 
da sie durchaus nichts Besonderes zeigen. 


120 


Cervavus speciosus n. sp. Taf. X, Fig. 6, 10. 


Eine noch kleinere Art wird repräsentirt durch zwei Unterkiefer, davon der eine mit 
Ps—M;, und den Alveolen des M;, der andere mit den Alveolen dieser Zähne, ferner durch 
drei untere M,;, einen Oberkiefer mit P,—M;, durch zwei isolirte obere P; und einen oberen M,. 

Als Fundorte sind notirt Hunan, Tientsin und Schansi. Letztere Angabe lässt sich mit 
dem Erhaltungszustande einiger Stücke nicht in Einklang bringen, denn in dieser Hinsicht 
stimmen die erwähnten Reste vollständig mit jenen von Hunan ete. überein, jedoch liegen 
auch einige Zähne von heller Farbe vor, die wirklich aus Schansi stammen können. 


Die Zusammensetzung der einzelnen Zähne ist die nämliche wie bei der vorigen Art, 
jedoch sind die Molaren im Verhältniss viel niedriger, der untere M, hat, wohl abnormerweise, 
zwei sehr hohe kräftige Basalpfeiler. 

Der Vorderrand der Augenhöhle liegt oberhalb der Berührungsstelle von M, und M;. 
Vor ihr befindet sich eine tiefe Thränengrube, wie sie in ähnlich starker Entwickelung nur 
bei dem viel grösseren Samburhirsch von Luzon vorkommt. 

Dimensionen: 


Unterkiefer: Py, Länge 4,6 mm an den Alveolen 


P; ” 7 ” ” ” n 

Pı ” 9 ” » ” ” 

Mı} 2 9,5 „; Breite 7 mm 

M; n al De) 7 » 

M3 e 6-0. 8,5 „ ; Höhe 8,5 mm 


Länge der unteren Zahnreihe 57 mm 
Höhe des Unterkiefers vor Ps 15,5 mm, hinter M; 21 mm 
Oberkiefer: P, Länge 10 mm; Breite 10 mm 


B 4 n 8 »9 ” 10 ” 
Mı » 10 9 ” 1 0, 5 ” 
Ma; ” N! DE) ” 13 ” 
M; ” 11 i) 5 29 ” 13 ” 


Länge der organ Zahnreihe 53 mm; P,—M; 48 mm 
Abstand des M; von der isenhöhle 19 mm 


In ihren Dimensionen steht diese Art demnach ungefähr zwischen Capreolus und 
Hydropotes in der Mitte. Ich stelle hieher auch ein Calcaneum. 


Dass diese beiden letzteren Arten schwerlich von Palaeomeryx furcatus abstammen 
können, geht wohl schon aus ihren geringeren Dimensionen hervor, eher käme in dieser Hinsicht 
Palaeomeryx Meyeri Hofmann von Günzburg und Steiermark in Betracht. Noch schwieriger 
wäre die Ermittelung ihrer etwaigen Nachkommen. Capreolus kann es wegen seiner einfachen 
Oberkieferzähne sicher nicht sein, Dama ist wohl doch zu gross, Axis hat ein viel fort- 


geschritteneres hypselodontes Gebiss, so dass man verschiedene hypothetische Zwischenglieder 
annehmen müsste. 


Die gleichzeitige Existenz so vieler Arten ein und desselben Cervidengenus an den 
nämlichen Lokalitäten ist eine ganz gewöhnliche Erscheinung, wesshalb nicht der geringste 
Grund vorliegt, an der Berechtigung zur Aufstellung von vier verschiedenen Arten zu zweifeln, 
denn wir haben Analoga hiefür in allen drei Horizonten des europäischen Tertiärs nämlich: 


Im Untermiocän (St. Gerand le Puy, Mainz, Ulm) Amphitragulus lemanensis 
elegans, Boulengeri, Pomeli, gracilis. 


Im Mittelmiocän (Tuchorschitz, Solnhofen) Palaeomeryx nee und zwei nicht 
näher bezeichnete kleinere Arten. 


Im Obermioeän (Sansan, bayerischer Dinotheriumsand, Steiermark) Dierocerus elegans, 
Palaeomeryx furcatus, Meyeri, parvulus, pumilio. 


121 


Alle diese verschieden grossen Formen bilden augenscheinlich genetische Reihen, welche 
möglicher Weise bis in die Gegenwart als die verschiedenen Typen der kleinen und mittel- 
grossen Cerviden fortsetzen, so dass man also von einer Gattung Cervus eigentlich überhaupt 
nicht sprechen kann, da sie eben polyphyletischen Ursprungs ist. Mit dem Begriff „Gattung“ 
lässt sich diese Annahme freilich schwer vereinbaren, denn als Merkmal einer wohlcharakterisirten 
Gattung müssen wir unbedingt deren einheitlichen Ursprung voraussetzen. Es wird daher der 
polyphyletische Ursprung einer Gattung geradezu ein Zeichen dafür sein, dass die betreffende 
„Gattung* eben keine natürliche ist, sondern ganz heterogene, wenn auch einander ähnliche 
Formen umfasst. 

Für die Gattung Cervus trifft dies auch ganz gewiss zu, denn hiefür spricht unter 
Anderem schon der Umstand, dass bereits in der Hipparionfauna vom Mont Leberon (Vaucluse) 
ein auffallend moderner Hirsch, Cervus Matheroni Gaudry, vorkommt, mit hohem drei- 
sprossigem Geweih und complieirtem, mit Innenwand versehenen P, im Unterkiefer. 


? Cervavus sp. 


Anhangsweise muss ich hier einen oberen P,, einen oberen M; und einen unteren M,; 
erwähnen, welche mit jenen von Cervavus Oweni in ihrer Zusammensetzung ganz gut über- 
einstimmen, aber trotz ihrer bedeutenden Grösse im Verhältniss sehr viel niedriger sind als 
diese. Ich muss mich darauf beschränken, ihre Maasse anzugeben. 


Unterer M; Länge 30 mm; Breite 16,5 mm; Höhe 16? mm 
Oberer M; 225: e 23 Abn DE loE ufrisch 
Alle drei Zähne stammen aus den rothen Thonen. Als Fundort ist Tientsin notirt. 


Palaeomeryx sp. 


Ein ächter, wenn auch sehr seltener Palaeomeryx wird angedeutet durch zwei untere 
Molaren aus Schansi, denn diese Zähne besitzen nicht nur das Palaeomeryxwülstehen, sie 
zeichnen sich vielmehr auch durch die geringe Höhe ihrer Krone aus. Sie stammen wie alle 
Säugethierreste von Schansi aus einen: rothen Thon. 


Ihre Dimensionen sind: 
M, Länge 13 mm 
IM; =, IE Hohegsamm: 

Die Existenz eines ächten Palaeomeryciden in der chinesischen Hipparionenfauna 
hat durchaus nichts Befremdendes an sich, denn auch in Europa kommen noch solche in diesem 
Horizonte vor— Palaeomeryx Pentelici und posthumus in Pikermi und in den schwäbischen 
Bohnerzen. 


Cervus im weitesten Sinne. 


Wie oben erwähnt wurde, liegen aus unzweifelhaften Tertiärablagerungen Chinas Ueberreste 
von mehreren grossen Hirscharten vor, theils von den Dimensionen des Edelhirsches, theils 
von jenen des Damhirsches, allein ihr mangelhafter Erhaltungszustand — sie bestehen mit 
Ausnahme von vier Kieferfragmenten nur aus isolirten Zähnen — erschwert die nähere Be- 
stimmung ganz ausserordentlich. 

Zudem haben die Zähne auch insgesammt einen sehr indifferenten Bau, so dass man 
zwar fast alle grösseren recenten und jungpliocänen Hirschformen von diesen alten Typen 
ableiten könnte, ohne dass jedoch eine gewisse Garantie für die Richtigkeit solcher Folgerungen 
gegeben wäre. Immerhin scheint aber doch die Annahme berechtigt, dass sich unter einer 
derselben wenigstens der Vorläufer der Elaphusgruppe verbirgt. 


Als alterthümliches Merkmal tragen diese fossilen Formen den einfachen Bau des letzten 
Unterkieferprämolaren an sich — auch bei Axis noch vorhanden — jedoch ist hiemit bei 
einigen schon ein ziemlich hoher Grad von Hypsodontie der unteren Molaren, also ein wesent- 
licher Fortschritt — verbunden. 


Abh.d. II. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 16 


er 
DD 
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Die aus den Siwalik bekannten fossilen Cervusarten geben für die richtige Deutung 
dieser dürftigen Ueberreste leider auch keine sicheren Anhaltspunkte, da auch sie meist nur 
recht mangelhaft repräsentirt sind, durch isolirte oder nur paarweise verbundene Zähne. Nur 
von einer Art, Cervus simplieidens, liegt ein Oberkiefer vor. Es dürfte daher am zweck- 
mässigsten sein, von einer Namengebung für diese chinesischen Formen gänzlich abzusehen 
und sie lediglich mit „affinis“ den der Grösse nach entsprechenden indischen Arten an die 
Seite zu stellen, was aber nur bei zweien von ihnen möglich ist, während sich für die dritte 
kein Analogon in der Siwalikfauna ausfindig machen lässt. 

Dass der einen oder anderen dieser Formen auch die oben erwähnten Sprossenenden von 
kreissrundem Querschnitt sowie einige ungegabelte abgeworfene Geweihe mit kräftigem Rosenstock 
angehört haben werden, ist in hohem Grade wahrscheinlich, allein es lässt sich vorläufig kaum 
entscheiden, für welehe von ihnen diese Annahme zutrifft, doch bin ich fast versucht, sie mit 
der kleinsten dieser Arten zu vereinigen, weil diese in den Siwalik keinen Verwandten besitzt, 
wohl aber dafür scheinbar der Elaphusgruppe ziemlich nahe steht, wesshalb man ihr auch 
wohl ein Elaphusartiges Geweih zuschreiben darf. 


Cervus aff. sivalensis Lyd. Taf. X, Fie. 27. 


1876 Cervus sp. Lydekker. Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Vol. I, Part II. Molar teeth 
and other remains, pl. VIII, fie. 5. 

1884 Cervus sivalensis. Lydekker. Ibidem, Vol. II, Part III. New Ruminants from the Siwalik. 
p- 17, fig. 8. 


Zu dieser Art, welche allerdings nur auf den unteren M, und M, und einem oberen M; 
beruht, stelle ich ein Unterkieferfragment mit drei, freilich stark abgekauten Molaren, einen 
abgekauten unteren M, und einen isolirten frischen unteren M}, obwohl die Mı und Ma — aber 
nicht auch M; — hier im Gegensatz zu dem Lydekker’schen Originale einen Basalpfeiler 
besitzen und der eine derselben auch ein wenig höher ist als der indische M, ursprünglich 
gewesen sein dürfte. 

Vielleicht gehört hieher auch ein beschädigter oberer P,. 

Obere M sind in China noch nicht gefunden worden. Der von Lydekker abgebildete 
obere M besitzt ein wohlentwickeltes Basalband auf der Innen- und Vorderseite. 


Mı abgekaut Länge 21 mm; Breite 14 mm 


M, frisch ae VL 15 „; Höhe 22mm 
M, alt h PR ns Joor, 
M; » ” 38 I) ” 15,8 » 


Länge der drei unteren M 73 mm 


Diese Art hat somit ungefähr die Grösse von Cervus elaphus. Ueber ihre nähere 
Verwandtschaft macht Lydekker nichts bekannt. 


Die chinesischen Zähne stammen aus Hunan und einer aus Tientsin (?), offenbar aus den 
sandigen Schichten. Sie haben graublaue Farbe. Ein bisher nicht erwähntes, aber sicher 
hieher gehöriges Bruchstück eines unteren Molaren zeigt hingegen den nämlichen Erhaltungs- 
zustand wie die Zähne aus Schansi und Sz’tschwan. 


Cervus aff. simplicidens Lydekker. Taf. X, Fig. 22—24, 26. 


1876 Cervus simplicidens. Lydekker. ]. c., Vol. I, Part II, p. 51, pl. VIII, fig. 3. 
1884 h a ER l. e., Vol. II, Part II, p. 15, pl. XIII, fie. 6.- 
1885? Palaeomeryx? Koken. p.56, Taf. IIl, fie. 3. 


Reichlicher als die vorige Art ist diese ihr an Grösse nicht weit nachstehende Art unter 
dem fossilen Materiale aus China vertreten, nämlich durch je ein Unterkieferfragment mit P; 
und P4, mit P, und M, und mit M;, durch einen isolirten unteren Py, durch drei untere M;, 
durch einen oberen P, (?) und durch vier obere Molaren, darunter auch ein M;. Etwas unsicher 


123 


ist es, ob ein Kieferfragment mit dem oberen P; und P, hieher gehört, welches in seinem 
Erhaltungszustand den Fossilien aus Schansi und Sz“tschwan gleicht. 

Aus den Siwalik kennt man bloss zwei obere Molaren — M, und M,; — und einen 
Oberkiefer mit P; uud M.;. 

Frische Zähne dieser Art. wie sie Lydekker in seiner ersten Arbeit abgebildet hat, 
besitzen ansehnliche Höhe. Die Basalpfeiler von oberen Molaren haben sehr verschiedene Höhe. 

Die mir vorliegenden oberen Molaren sind bis auf einen stark abgekaut, ihr Basalpfeiler 
hat mässige Höhe. Im Bau und in ihrer Grösse stimmen sie mit den Lydekker’schen 
Originalien ziemlich gut überein, das Nämliche gilt auch von den oberen P; und P.. 

Auch die unteren Molaren haben ansehnliche Höhe, aber ihr Basalpfeiler ist wesentlich 
kürzer als jener der oberen M. Die Prämolaren des Unterkiefers sind noch ziemlich primitiv, 
ähnlich denen von Cervavus, jedoch beginnt der Innenhöcker des unteren P, sich schon ein 
wenig nach vorne und hinten zu strecken. 

Dimensionen der unteren P und M: 


P, Länge 13 mm; Breite 6,5 mm; Höhe 8 mm 


P; ” 15 De ” 8 Hi) ” 9 ” 
P, n IST 05; D) 10 n.3 5) 14 0, 
Mı D) 19,5 „'; ” 12 »9 D) 125%, 
M, D) ? 9 D) ? n D) ? » 
M3 » 26 5) » 15 9» » 17 ” 


Dimensionen der oberen P und M: 


P; Länge 14 mm; Breite 15 mm; Höhe 14 mm 
P; ” 1a; ” 18 .,„; Be, 


Dienaier 0 de BEER 133041. Sat 
Ma ” 23 Pe ” 24 „59 n ? „ 
M; D) 25,9. 25 D) 27 » 9 D) ? » 


Lydekker betont die Aehnlichkeit dieser Art mit Cervus axis. In der That ist die 
Höhe der Molaren auch ein Charakteristicum der Axisgruppe. 

Es wäre daher nieht unmöglich, dass auch ein kleines abgeworfenes Geweih — Taf. XI, 
Fig. 32 — welches in geringer Entfernung von dem Rosenstock eine allerdings ganz kurze 
Sprosse entwickelt und sich stark nach rückwärts krümmt, auf diese Art bezogen werden 
dürfte, denn diese Biegung findet sich auch bei Axis. 

Die vorliegenden Zähne sowie die Geweihe stammen von Honan, Hunan, Hupeh und 
Tientsin. 

Vermuthlich ist auch der von Koken als Palaeomeryx sp., Taf. II, Fig. 3, abgebildete 
Zahn ein Molar dieser Species. Seinem Erhaltungszustande nach könnte er aus Honan oder 
Hupeh kommen. 


Cervus sp. Taf. X, Fig. 17, 18, 20, 25. 


Diese dritte und zugleich kleinste Art hat unter den Cervusarten der Siwalikfauna kein 
Analogon. Sie ist leider nur recht spärlich vertreten, nämlich: durch einen unteren Prämolaren 
— Ps —, einen stark abgekauten unteren Molaren — M; — und sechs obere Molaren. Von 
einem oberen Pz und einem Unterkieferfragment mit P, und P, ist es nicht ganz sicher, ob 
sie noch hieher gestellt werden dürfen, da diese Zähne doch für diese Species fast etwas zu 
lang sind. Mit Ausnahme eines oberen M von Schansi stammen alle diese Zähne theils aus 
Hunan, theils aus Tientsin. 

Auch hier ist der Innenhöcker des unteren P, nur als verticaler, etwas comprimirter 
Pfeiler entwickelt und sogar noch primitiver als bei der vorigen Art, die oberen Molaren sind 
hinsichtlich der Ausbildung der Sporne in den Marken und der Form der Basalbildungen den 
Zähnen von Cervus elaphus recht ähnlich, dagegen erscheinen die Innenmonde weniger gerundet 
als bei diesen, sondern mehr spitz dreieckig ausgebildet, was wieder mehr an die Axis- und 

16* 


124 


Rusahirsche erinnert. Die systematische Stellung dieser Art bleibt daher, solange keine 
frischen unteren Molaren vorliegen, durchaus unsicher, da die Höhe dieser Zähne hiefür einen 
wichtigen Anhaltspunkt bietet. 
Dimensionen: 
unterer Pı Länge 12 mm; Breite 7 mm; Höhe 8 mm 


” Pa ” 16 ” 9» B) 8,5 9 ” 11? „ 
n P; ” 16 n 9 >) 9 2 ” 14 ” 
-- M3, D) ZEN 5) a: » $ D) 
oberer Pa a © A 0 Ka 
b) Mı ” 19,5 De) ” 18 9 ” 16 ” 
” M3 ” 21 9 Sr) 20,5 25 » 17 ” 
„ M; ” 21 De) ” 20,5 De) ” ? ” 


Die Länge der Zahnreihe im Unterkiefer dürfte etwa 90 mm betragen, die des Ober- 
kiefers 85 mm, das Thier war daher etwas grösser als Dama und Axis und stimmt ungefähr 
mit Cervus suevicus,!) den ich kürzlich aus den schwäbischen Bohnerzen beschrieben habe, 
in den Dimensionen überein, jedoch ist der obere M bei diesem breiter. 


Cervus sp. 


Eine vierte Art, fast von der Grösse des Elen, wird angedeutet durch zwei stark 
abgekaute untere M aus Hunan, von denen M; eine Länge von 36 mm besitzt. Die Zähne 
sind sehr niedrig und mit einem sehr kurzen Basalpfeiler versehen. 


Die sehon früher beschriebenen Cerviden des europäischen Pliocän stehen mit Ausnahme 
von Cervus Bertholdi Kaup?) von Eppelsheim, der sich der Grösse nach zwischen sivalensis 
und simplieidens einreihen würde, hinter diesen vier Arten aus China in ihren Dimensionen 
ziemlich weit nach. Ob Bertholdi mit ihnen näher verwandt ist, lässt sich vorläufig nicht 
entscheiden. 

Die dritte Art hat ungefähr die nämliche Grösse, wie der von mir kürzlich beschriebene 
Cervus suevicus, wie ich oben bemerkt habe, dagegen finden wir für Cervus nanus Kaup?) 
von Eppelsheim und Cervus Matheroni Gerv.!) von Mont Leberon keine Analoga unter 
den gleichaltrigen Cerviden Chinas. 

Die Hirsche aus Val d’Arno und aus der Auvergne sind zwar sehr artenreich, allein 
noch immer recht unvollständig bekannt. Aus der von Dep£6ret°) gegebenen Uebersicht der 
Hirsche der Auvergne geht jedoch hervor, dass nur zwei derselben der Axisgruppe angehören, 
nämlich Cervus borbonicus Dep. (Croiz) und pardinensis Croiz, von denen der erstere 
in seinen Dimensionen anscheinend hinter C. sivalensis nur wenig zurücksteht — Länge der 
drei M 69 mm resp. 73 mm, während der letztere selbst kleiner ist als die dritte Species aus 
China. Es wäre nicht unmöglich, dass borbonicus sich aus einem der fossilen indisch- 
chinesischen Hirsche entwickelt hätte, dagegen ist pardinensis zu klein, als dass er aus 
einem dieser letzteren hervorgegangen sein könnte. 

Die übrigen Hirsche aus der Auvergne gehören nach Deperet zu den Untergattungen 
Polyeladus-C. ardeus Croiz, ramosus Croiz, — Elaphus — (. issiodorensis Croiz, 
Etueriarum Croiz, Perrieri Croiz, — und Capreolus — E. cusanus Croiz. neschersensis 
Dep. und buladensis Dep. 

Ueber die Herkunft der Untergattungen Polycladus und Elaphus gibt das fossile 
chinesisch-indische Material keinen Aufschluss, da bis jetzt keine Form bekannt ist, welche 


1) Schlosser. Beiträge zur Kenntniss der Säugethierreste aus den süddeutschen Bohnerzen. 
. Geologische und paläontologische Abhandlungen von Koken. 1902, p. 78, Taf. IV, Fig. 29—31. 

2) Description des ossements fossiles des Mammiferes. 5. Heft, 1839, p. 103, Taf. XXIII, fie. 3. 

3) Tbidem, p. 104, Taf. XXI, Fig. 3. 

#) Gaudry. Animaux fossiles du Mont Leberon. 1873, p. 65, pl. XIU. 

°) Bulletin de la societe geologique de France. Tome XII, Ser. III, 1883, p. 260. 


125 


wenigstens im Zahnbau sich deutlich an die Elaphusgruppe anschliessen würde, denn auch die 
dritte und vierte (?) Art können schliesslich ebenso gut in die Axis- als in die Elaphus- 
Gruppe gehören, und die Geweihe zeigen ebensowenig eine charakteristische Form. Die Gattung 
Capreolus möchte ich am liebsten von einem der beiden kleineren Cervavus ableiten, wenn 
nieht die oberen Prämolaren allzu sehr verschieden wären. 


Alces und Rangifer haben wahrscheinlich keine näheren Beziehungen zu den drei 
ersten Cervusarten aus China, denn diese letzteren haben schon einen ziemlichen Grad von 
Hypsodontie erreicht, während die genannten lebenden Arten ausgesprochen brachyodonte Zähne 
besitzen. Wohl aber könnte als Stammvater von Alces die erwähnte vierte chinesische Art 
in Betracht kommen. Jedoch reicht das dürftige, bis jetzt vorhandene Material überhaupt nicht 
aus, um dieser Frage näher treten zu können. 


Cervus leptodus Koken. 


1885 Cervus (Rusa) leptodus. Koken. Fossile Säugethiere China’s, p. 61, Taf. II, Fig. 9—11. 
1886? Cervus Axis. Lydekker. The Fauna of the Karnul Caves. Palaeontologia Indica. Ser. X, 
Vol. IV, Part II, p. 46, pl. XI, Fig. 1—3. 


Auch die von Koken als Cervus leptodus beschriebenen Zähne aus China sind höchstens 
mit Ausnahme des Originals zu Fig. 11 sicher pleistoeän und nicht pliocän. Nur bei diesem 
einen Zahn könnte man hierüber zweifelhaft sein, denn er ist etwas dunkler gefärbt, und das 
wenige anhaftende Gestein hat eine lebhaftere Farbe als Löss oder Höhlenlehm. 


In der Grösse stimmen diese Zähne ziemlich gut mit jenen von Cervus Axis überein, 
welche Lydekker aus den Karnulhöhlen in der Provinz Madras abbildet. Es handelt sich 
möglicher Weise um eine noch lebende asiatische Cervidenart, was ich jedoch nicht zu 
entscheiden vermag, da ich von solchen zu wenig Vergleichsmaterial zur Verfügung habe. 


Unter den Säugethierresten, welche Herr Dr. Haberer der Münchener paläontologischen 
Sammlung geschenkt hat, befindet sich ein unterer M; von sehr frischem Aussehen, angeblich 
aus Tientsin, welcher dem Original zu Koken’s Fig. 11 sehr ähnlich sieht, aber unzweifelhaft 
aus Pleistocän stammt. Die beträchtliche Höhe seiner Krone — 18,5 mm bei 25 mm Länge — 
und die starke Runzelung sprechen mit Entschiedenheit für seine Zugehörigkeit zu Axis. Von 
einer Speciesbestimmung muss ich indessen aus dem oben erwähnten Grunde absehen. 


Cervus cfr. Aristotelis Cuv. 


1885 Cervus (Rusa) orientalis. Koken. Fossile Säugethiere China’s, p. 57, Taf. II, Fig. 4—7 (Fig. 8?). 

1886 Cervus Aristotelis. Lydekker. The Fauna of the Karnul Caves. Indian Tertiary and Post 
tertiary Vertebrata. Memoirs of the Geol. Survey of India. Ser. X, Vol. IV, Part Il 
p- 46, pl. XI, fig. 5, 6. 

1885 Cervus Aristotelis. Lydekker. Catalogue of the Fossil Mammalia in the British Museum. 
Part II, p. 103. 


Als Cervus orientalis hat Koken eine Anzahl isolirter Zähne beschrieben, welche sich 
durch ihre geringere Höhe von den Zähnen der lebenden Rusahirsche unterscheiden sollen. 
Diese geringere Höhe ist aber lediglich eine Folge der Abkauung, denn ein von Herrn Dr. Haberer 
in J’tschang erworbener Zahn, ein rechter oberer M;, dessen Erhaltungszustand — Farbe, 
Consistenz und Beschaffenheit der anhaftenden Gesteinspartikelchen, Löss oder Höhlenlehm — 
genau der nämliche ist wie der der Originale Koken’s, stimmt in Bezug auf die Höhe seiner 
Krone vollkommen mit dem lebenden Cervus Aristotelis üherein, nieht minder aber auch in 
den Details seiner Zusammensetzung — Sporne in den Marken, Basalpfeiler von dreieckigem 
Querschnitt. 

Da wir es hier augenscheinlich mit einer pleistocänen und nicht wie Koken meinte, mit 
einer pliocänen Form zu thun haben und diese dem lebenden Cervus Aristotelis im Zahnbau 
zum Verwechseln ähnlich sieht, dieser Cervide aber auch thatsächlich von Lydekker in 
fossilem Zustande beschrieben worden ist — Narbadathal und Karnulhöhlen in der Provinz 


126 


Madras, so wird es überaus wahrscheinlich, dass auch die Zähne aus China auf Cervus 
(Rusa) Aristotelis bezogen werden müssen. 

Diese Art lebt heute in Birma, Siam, auf der malayischen Halbinsel, in Indien und auf 
Ceylon. Ihre ehemalige Existenz im südlichen China, etwa in Jünnan und Hupeh wäre nichts 
besonders Auffälliges. 

Kokens Original zu Fig. 8 ist fast zu gross, als dass es noch zur nämlichen Art 
gehören könnte. 


Cervus Mongoliae Gaudry. 


1872 Gaudry. Ossements d’animaux quaternaires. Bulletin de la Soeiete geologique de France, 
p. 178, Fig. 4. 


Als Cervus Mongoliae beschreibt Gaudry mehrere Geweihe, welche Abbe David 
bei Suen Hoa Fu in Nordwesten der Provinz Tschili gesammelt und dem Pariser Museum 
geschenkt hat. Sie schliessen sich an den Typus von Cervus elaphus an. Zusammen mit 
diesen Geweihen fanden sich Reste von Hyaena, Elephas, Rhinoceros tichorhinus, 
Equus caballus und Bos primigenius. 


Antilopidae. 


Diese Familie entwickelt im Tertiär von China einen erstaunlichen Formenreichthum, so 
dass hiegegen die Lokalitäten Pikermi in Griechenland, Maragha in Persien und wahrscheinlich 
auch Samos in dieser Hinsicht zurückstehen müssen. Leider liegen jedoch bis jetzt fast nur 
isolirte Zähne oder Kieferstücke vor, was die Bestimmung dieser Reste ausserordentlich erschwert, 
da fast alle bisher beschriebenen fossilen Antilopengattungen und Arten auf Schädeln und 
Hornzapfen basiren und somit keinen sicheren Anhaltspunkt gewähren. 


Die Lokalität Maragha in Persien, welche sowohl räumlich, als auch im Charakter ihrer 
Fauna den Fundorten in China am nächsten steht, enthält zwar Ueberreste zahlreicher Anti- 
lopenformen, von denen man sicher einzelne auch in China erwarten dürfte, allein gerade 
diese Antilopen haben eine sehr unglückliche und ungenügende Bearbeitung erfahren, indem 
die Autoren Rodler und Weithofer sich die Sache sehr leicht gemacht und nur die Hörner 
beschrieben haben. Bezüglich der Schilderung der Gebisse beschränkten sie sich auf drei 
Formen und begründeten diese Nachlässigkeit mit der kühnen Behauptung, dass „eine Ver- 
theilung der Gebisse auf die 8 unterschiedenen Arten ein Akt reiner Willkür wäre“. 


Die Siwalikfauna enthält je eine Art von Palaeoryx, Oreas, Strepsiceros, Alce- 
laphus, Hippotragus, Tetraceros, Gazella und Boselaphus und zwei Cobus, aber 
leider eignen sich hievon auch nur Palaeoryx, Oreas, Alcelaphus, Boselaphus und 
Tetraceros zu einem direeten Vergleich mit dem Antilopenmateriale aus China, denn nur 
von diesen Gattungen hat Lydekker Gebisse beschrieben und abgebildet. Die übrigen Formen 
basiren auf Schädeln oder doch auf Hornzapfen, welche zwar eine fast ebenso gute Basis für 
die Genusbestimmung darbieten wie die Zähne, aber im vorliegenden Falle leider nicht verwendbar 
sind. Es muss jedoch anerkannt werden, dass Lydekker?) bei der Schilderung des Siwalik- 
‚ materiales auf alle nur irgend erkennbaren Unterschiede im Zahnbau aufmerksam gemacht und 
so für die Bestimmung anderweitiger fossiler Antilopenzähne sehr werthvolle Daten geliefert 
hat. Diese indischen Formen mussten bei Bestimmung der Antilopenzähne aus China natürlich 
in erster Linie berücksichtigt werden, doch zeigte sich schon bei nur oberflächlicher Durchsicht, 
dass die Gattung Boselaphus in China keinen Vertreter’ hatte. : 


!) Die Wiederkäuer der Fauna von Maragha. Denkschriften der math.-naturw. Classe der 
k. k. Akademie. Wien, 1890. 

2) Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Palaeontologia Indiea. Vol. I, Part. I, Vol. III, 
Part III, Vol. IV, Part I, Suppl. 


127 


Wesentliche Hilfe für die Bestimmung der Antilopenzähne aus China sollte man von dem 
Antilopenmateriale aus Pikermi in Griechenland!) erwarten, da an dieser Lokalität Kiefer 
mit Zähnen in grosser Anzahl vorliegen und zwar in einem Mengenverhältniss, welches den 
dort gefundenen Schädeln ziemlich genau entspricht, allein die Zähne der Antilopen von 
Pikermi haben zum grössten Theil einen sehr indifferenten Bau, und verschiedene Arten sind 
hinsichtlich der Anwesenheit eines Basalpfeilerss an den Molaren und der Stärke der Rippen 
an diesen Zähnen thatsächlich sehr variabel. Auch existiren in Pikermi mehrere seltenere 
Arten, die sich in der Grösse an andere Formen dieser Fauna enge anschliessen, wie Anti- 
dorcas Rothi an Gazella brevicornis, Protragelaphus Skouzesi an Palaeoreas 
Lindermayeri, deren Gebiss jedoch bisher nicht beschrieben worden ist. Da nun ohnehin 
gut die Hälfte aller Gebisse, welche Pikermi geliefert hat, von alten Individuen herrühren, so 
wird die richtige Vertheilung auf die jeweiligen gleichgrossen Arten ausserordentlich erschwert 
und die Verwerthung dieses Materiales für den Vergleich mit jenem aus China fast unmöglich. 
Aber selbst jene Formen aus China, welche augenscheinlich Verwandte in Pikermi besitzen, 
zeigen doch wieder sehr weitgehende Unterschiede, so dass selbst die generische Identität öfters 
durchaus zweifelhaft bleibt. 

Die mangelhafte flüchtige Bearbeitung der Antilopen aus Maragha in Persien macht 
sich hier erst recht fühlbar, denn diese würden sich aller Wahrscheinlichkeit nach als die 
Zwischenglieder zwischen denen von China und denen aus Pikermi erweisen. 


Eine stattliche Anzahl fossiler Antilopen hat die Insel Samos geliefert, allein dieses 
Material harrt noch vollständig der Bearbeitung und kann daher für die Bestimmung des 
chinesischen Antilopenmateriales nicht verwerthet werden. Im Wesentlichen scheinen die 
Antilopenarten von Samos jedoch die nämlichen zu sein wie die von Pikermi. 


Fossile Antilopen kennt man endlich auch von Mont Leberon (Vaucluse)?), nämlich 
Tragocerus Amaltheus, Palaeoreas Lindermayeri und Gazella deperdita, von welchen 
die beiden ersteren auch für Pikermi charakteristisch sind. 

Im jüngeren Pliocän werden Antilopen immer seltener. Sie werden nur insoweit zur 
Vergleichung herangezogen werden, als sie sich etwa als direete Nachkommen chinesischer 
Formen erweisen könnten, denn eine speeifische Identität mit diesen erscheint ohnehin voll- 
kommen ausgeschlossen. 


Unter diesen Umständen wurde es zur absoluten Nothwendigkeit, die Gebisse der recenten 
Antilopen in der eingehendsten Weise zu studiren und zwar ausschliesslich an Naturobjecten, 
denn eine Odontographie dieser lebenden Gruppe existirt bis zur Stunde noch ebensowenig wie 
eine vollständige Odontographie der recenten Cerviden, obwohl beide Werke wirklich ein 
dringendes Bedürfniss wären und wenigstens von Seite der Paläontologen sicher mit Freuden 
begrüsst würden. Man sollte es nicht für möglich halten, dass vor Kurzem Sclater’) 
ein vierbändiges Werk über die recenten Antilopen herausgegeben hat, in welchem nur 
von Cephalophus die Zähne in natürlicher Grösse, aber auch diese bloss von aussen, 
abgebildet sind. 


Aus China kannte man bisher nur ganz wenige Ueberreste von fossilen Antilopen. 


Koken beschreibt bloss untere Molaren, welche aber, wie ich mich durch die Besichtigung 
seiner Originale überzeugt habe, zweifellos aus dem Pleistocän stammen und eine generische 
Bestimmung nicht gestatten. Ich komme hierauf noch eingehender zu sprechen. 

Ausser diesen bildet er noch einen anderen Antilopenzahn ab, bestimmt ihn aber als 
oberen P; von Palaeomeryx Oweni — Taf. III, Fig. 12 —, eine Bestimmung, deren 
Richtigkeit ich entschieden bestreiten muss. - 


l) Gaudry. Animaux fossiles et Geologie de l’Attique. Paris, 1862. 
2) ; 4 E du Mont Leberon Vaucluse. Paris, 1873. 
3) Sclater Philip Lutley and Thomas Oldfield. The Book of Antelopes. London, 1884 —1900. 


128 


Aus unzweifelhaften Tertiärschichten der Mongolei stammen die von Lydekker!) 
besprochenen Ueberreste — distales Humerusende, distales Metacarpusende, distales Radiusende 
und zwei Hornzapfen. Sie werden mit den entsprechenden Skelettheilen von Gazella gut- 
turosa verglichen. Der nähere Fundort wird nicht angegeben. 

Mit diesen Ueberresten zusammen wurden auch solche von Hyaena macrostoma und 
Equus sivalensis gefunden, sowie von einem grossen Ruminantier. 

Vor Kurzem hat Lydekker auch ein Schädelstück einer Pantholopsähnlichen Antilope 
von Hundes in Tibet beschrieben.?) 

Was das mir zu Gebote stehende Material von fossilen Antilopen betrifft, so vertheilt 
sich dasselbe auf eine erstaunlich grosse Menge von Gattungen und Arten, unter denen sich 
auch mehrere neue Genera en Die meisten Formen stammen aus den rothen thonigen 
Schichten von Schansi und 8z“tschwan und haben weisse oder gelbliche Farbe. Einige führen 
als Fundort die Bezeiehnung Tientsin. Auch in diesem Falle ist das Gestein ein rother Thon, 
die Zähne haben dagegen eine graue Farbe. Die Uebrigen sind meist dunkelgefärbt und in 
einem röthlichen Sandstein eingebettet. Es verdient bemerkt zu werden, dass auch die Species 
nach diesen Schiehten mit wenigen Ausnahmen scharf geschieden sind. 

Ich bin mir wohl bewusst, dass meine Bestimmungen der einzelnen Zähne, namentlich 
die Zutheilung der Prämolaren zu den dazu gehörigen Molaren in vielen Fällen nur auf Muth- 
massungen und Analogieschlüssen beruht, aber gleichwohl darf ich mich der frohen Erwartung 
hingeben, dass auch spätere Aufsammlungen von Kiefern mit vollständigen Zahnreihen nicht 
allzu viele wesentliche Aenderungen bringen werden. Ich hätte es für einen viel grösseren 
Fehler gehalten, wenn ich von diesem Versuch vollkommen Abstand genommen und diese 
schwierigen Objecte gänzlich mit Stillschweigen übergangen hätte. 


Antilopinorum gen. inc. 
18355 Koken. Fossile Säugethiere Chinas, p. 63, Taf. II, Fie. 13. 


Koken kannte nur wenige untere Molaren, welche ziemlich stark abgekaut sind. „Nach 
der ziemlich bedeutenden Grösse, der vorwiegenden Ausbildung der Mittelfalten der Aussenwand 
auf Kosten der Randfalten und dem gänzlichen Fehlen einer Columella und vorderen Com- 
pressionsfalten würde man die Verwandten dieses Thieres unter Gray’s Wüsten-Antilopen 
(Catoblepas, Oreas etc.) zu suchen haben, jedoch fehlen weitere Anhaltspunkte, die zu einer 
gesicherten Bestimmung führen könnten.“ 

Ich habe Dank dem freundlichen Dessen des Herrn Geh. Bergrath W. Branco 
Gelegenheit gehabt, die Koken’schen Originale zu untersuchen und kann durchaus bestätigen, 
dass eine Bestimmung derselben kaum aaa ist. Jedoch möchte ich diese Zähne wegen 
der Dieke und Plumpheit der Wurzeln fast eher auf Bovinen als auf Antilopen beziehen. 
Vielleicht könnten sie auch der Gattung Anoa angehören. 

Der Erhaltungszustand und das änhaftende Gesteinsmaterial — Löss oder Höhlenlehm — 
lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass wir es mit Ueberresten aus Pleistocän und 
nicht aus Tertiär zu thun haben. 


Gazella sp. 
1891 Lydekker. On a Collection of Mammalian Bones from Mongolia. Records of the Geological 
s Survey of India. p. 207—211. Fig. 3 


Aus der Mongolei erhielt das British Museum die Distalenden von Humerus, Radius und 
Metacarpus einer Antilope, die etwa die Grösse der Gazella gutturosa hatte und etwas 
kleiner war als subgutturosa. Hiezu gehören vielleicht auch zwei Hornzapfen, von denen 


!) On a Öollection of Mammalian Bones from Mongolia. Records of the Geological Survey of India. 
1891, Vol. XXIV, p. 207—211. 

2) On, the Skull of a Chiru like Antilope from the Ossiferous Deposits of Hundes. Tibet. 
Quarterly Journal of the Geological Society of London. 1901, p. 289—292, fig. 4. 


129 


der eine seitlich etwas comprimirt ist. Zusammen mit diesen Stücken fanden sich auch Reste 
von Hyaena macrostoma, Equus und Bos. Das tertiäre Alter dieser Antilope erscheint 
vollkommen sicher gestellt. Sie ist auch wahrscheinlich unter meinem Material vertreten, was 
sich aber vorläufig nicht mit Sicherheit entscheiden lässt, da die Hornzapfen aus der Mongolei 
nieht abgebildet wurden und die mir vorliegenden zu unvollständig sind, um einen Vergleich 
zu gestatten. 


Gazella dorcadoides n. sp. Taf. XI, Fig. 1, 2, 6—8. 


Diese Art ist anscheinend die häufigste aller Antilopen im Tertiär von China, allein 
sie ist vollständig auf die rothen thonigen Schichten von Schansi und Sz’tschwan beschränkt. 
Die Kieferknochen haben reinweisse Farbe, während die Zähne blassgelbe Färbung aufweisen. 


Mir liegen hievon vor 4 isolirte untere Prämolaren, 13 Unterkieferfragmente mit je 
zwei und 17 solche mit nur je einem unteren Molaren, ferner 8 isolirte untere Molaren, 
2 isolirte Oberkieferprämolaren, ein Oberkieferfragment mit den oberen P, und P,, ein weiteres 
mit P,— M,;, ein drittes mit den drei Molaren, 4 mit je zwei Molaren und 8 isolirte obere 
Molaren. Nach der Zahl der unteren M, vertheilen sich diese Ueberreste auf mindestens 
20 Individuen. Merkwürdiger Weise fehlen Milchzähne vollständig. 


Unterkiefer. Selbst die P haben im Verhältniss zu ihrer geringen Grösse sehr 
beträchtliche Höhe. P; ist nur wenig kleiner als P, und besitzt gleich diesem einen hohen 
spitzen, mit dem Hauptzacken nur lose verbundenen Innenhöcker und zwischen diesem und 
dem umgebogenen Vorder- und Hinterrande je eine, nur wenig schräg gestellte Coulisse. 


Die M sind ungefähr ebenso hoch wie lang. Ihre Innenseite trägt nur ganz schwache 
Verticalrippen an den Innenhöckern, und an der hinteren und vorderen Ecke je eine sehr 
scharfe Randfalte.e. Einen Basalpfeiler hat nur der erste Molar und auch hier bleibt er sehr 
niedrig. Der 3. Lobus des M,; bildet eine schwache Leiste an seiner Rückseite, ist aber sonst 
wohlgerundet. Die hintere und die mittlere Falte sind zuweilen abnorm stark entwickelt, 
reichen aber auch dann nur bis zur halben Höhe des Zahnes. Der untere Theil der Innenseite 
ist stets fast vollständig flach. 


Dimensionen: 
P; Länge 8,4mm; Breite 4,5 mm; Höhe 7,5 mm 


P, n FR ” 4,7 5 ” 7,8 ” 
Mı ESUOFSEERT: 4 6 a Eal0rose es trisch 
M, el ae: A 7 ee mio K „ „ abnorm hoch 18 mm 
M; n 16 9 » 7 »9 ” 16 ” ” ” » 17 » 
Länge der drei unteren P 22 mm? 
» En 5 a Me a tat 
= „ unteren Zahnreihe 60? „ 


Höhe des Kiefers vor Mı 16 
3 ” „ hinter M; 22? 


Oberkiefer. Am oberen Py ist die Mittelrippe mit der vorderen Randfalte zu eınem 
Wulste verschmolzen. Gleich dem folgenden P; ist auch P, fast ebenso breit als lang und 
mit einem kräftigen Innenmonde versehen. An P, steht die Mittelrippe weit vorne, ist aber 
viel schwächer als die Randfalte im Gegensatz zu jener des P3. In Folge der Abkauung 
bildet der in die Marke hineinragende Sporn bald eine Schmelzinsel. Auch die M besitzen 
in frischem Zustande in jeder Marke einen Sporn. Diese Sporne sind jedoch nur selten zu 
beobachten. Mit Ausnahme des M,; verjüngen sich die M, besonders M,, sehr stark gegen die 
Basis zu. Nur der vordere Aussenhöcker trägt eine deutliche Verticalrippe. Die Mittelrippe 
der Aussenseite ist sehr scharf und viel stärker entwickelt als die beiden Randfalten. Basal- 
pfeiler fehlen vollständig. An M;, ist die hintere Randfalte in eine weit vorspringende Leiste 
umgewandelt. 2 


” 


» 


Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 17 


130 


Dimensionen: 
Px, Länge 7 mm; Breite 6 mm; Höhe 6,5 mm 


P; ” 7,58 25 b) 7 25 Dal) » 
Pı » 7,2 ,; ” 8 „> 10 n 
Mı ” 11,8 „3 » 9,4 53 ” 10,5 „ 
M;, n l2300 a. ee: a a 
M; ” 13,5 9 ” 12 93 ” 13,5 ” 
Länge der drei P 22 mm 
" he M 87 „ aussen gemessen 


$)] 
oberen Zahnreihe 58 „ win der Mittellinie. 


Vielleicht gehören zu dieser Art auch ein Astragalus und das proximale Ende eines 
Radius aus Schansi, welche ungefähr die Grösse der entsprechenden Knochen der fossilen 
Gazella brevicornis haben, sowie ein Fragment eines stark gebogenen Hornzapfens von 
elliptischem Querschnitt, welcher mit denen der recenten Gazella dorcas grosse Aehn- 
lichkeit besitzt. 

Eine ungemein ähnliche, aber etwas mehr hypselodonte Form kommt in Maragha in 


Persien vor. Rodler und Weithofer bilden Il. c. — als Antilope sp. nov. minor Taf. IV, 
Fig. 6 — einen Unterkiefer mit P,—M; ab. Dagegen ist Gazella brevicornis Gaudry 
— Animaux fossiles de l’Attique, p. 299, pl. 56, Fig. 1—4, pl. 57 — nicht blos kleiner, 


sondern auch augenscheinlich weniger hypselodont. Die Vertiealrippen an den Innenhöckern der 
unteren und den Aussenhöckern der oberen M sind viel kräftiger und die oberen Prämolaren 
noch viel primitiver, denen der Hirsche ähnlicher, nur bezüglich der Reduction des unteren P,, 
der bei dorecadoides nach der Grösse des oberen Py zu schliessen noch ziemlich gross gewesen 
sein muss, zeigt sie einen gewissen Fortschritt gegenüber der chinesischen Form. Auch hat 
sie Hornzapfen von gerundetem Querschnitt und nach den Abbildungen bei Gaudry, aber 
nicht nach den Exemplaren der Münchener paläontologischen Sammlung, an allen unteren 
Molaren Basalpfeiler. 

Die etwaige Verwandtschaft mit den oberpliocänen Gazella deperdita, Antilope 
Aymardi und incerta lässt sich vorläufig nicht ermitteln, da von diesen Arten zu wenig 
Material bekannt ist, wohl aber könnte Gazella borbonica Brav. von Roussillon und Bourbon 
(Auvergne) recht wohl der directe Nachkomme der neuen Art aus China sein, wenigstens 
stimmen die von Deperet — Animaux plioc@nes du Roussillon, p. 89, pl. VII, fig. 9— 9a — 
abgebildeten unteren Molaren, abgesehen von ihren etwas grösseren Dimensionen ganz genau 
mit solchen von Gazella dorcadoides überein. 

Aus den Siwalik kennt man nur Hornzapfen von zwei Gazellenarten, wesshalb eine 
Vergleichung mit der chinesischen Art nicht möglich ist. 

Unter den lebenden Arten steht die in Nordafrika und Syrien lebende Gazella dorcas 
ausserordentlich nahe. Sie unterscheidet sich lediglieh durch eine geringe Complication des 
unteren P,, durch die schwächere Ausbildung der Verticalrippen an den Aussenhöckern der 
oberen M und das Fehlen des Basalpfeilers am unteren Mı, Abweichungen, welche ohne 
Weiteres als Differenzirungen aufgefasst werden dürfen und der direeten Ableitung dieser 
‚ Gazelle von der fossilen chinesischen Form nicht im Geringsten im Wege stehen. Gazella 
Thompsoni ist noch etwas primitiver, sie hat noch stärkere Rippen auf den oberen Molaren 
und Prämolaren und dürfte daher mit G. dorecadoides nur die Stammform gemein haben. 


Was die Herkunft der hypselodonten Gazellenarten betrifft, so sind wir hierüber auf 
blosse Vermuthungen angewiesen. Morphologisch lassen sie sich zwar ziemlich ungezwungen 
von Gazella brevicornis. ableiten. Allein da diese selbst schon zusammen mit Hipparion 
gelebt hat, kann sie doch nicht wohl der Vorläufer von gleichzeitigen Formen sein. Uebrigens 
ist auch der Stammvater von G&. brevieornis selbst noch nicht bekannt. Mieromeryx 
flourensianus im Obermiocän kann es nicht wohl sein, denn seine unteren Prämolaren sind 
viel complieirter als bei Gazella brevicornis und seine unteren Molaren besitzen eine 
„Palaeomeryxleiste“. Dass eine solche bei den Vorläufern der Hirsche vorhanden war und 


131 


dann wieder verloren ging, dürfte jetzt vollkommen sicher gestellt sein, dagegen liegt bis jetzt 
kein Anzeichen dafür vor, dass dieses Gebilde auch bei Vorfahren von Antilopen existirt hat. 

Ich bin daher geneigt, den Ursprung der Gazellen in den nordamerikanischen Hyper- 
traguliden zu suchen. Um Wiederholungen zu vermeiden, werde ich die Gründe für diese 
Ansicht erst bei der folgenden Gattung darlegen. 


Gazella altidens n. sp. Taf. XI, Fig. 3—5. 


Aus China liegt ausserdem eine zweite sehr ähnliche, aber etwas grössere Art von 
Gazella vor, welche jedoch im Gegensatz zu der vorigen an allen oberen Molaren wenigstens 
normal einen Basalpfeiler und am unteren P, einen kräftigen Innenhöcker besitzt. 

Auch diese Zähne stammen wohl sämmtlich aus Schansi und Sz’tschwan, obwohl als 
Fundort der wenigen vollständigeren Kieferstücke Hunan und Tientsin angegeben ist, denn der 
Erhaltungszustand ist genau derselbe wie bei der vorigen Species. 

Das mir hievon zu Gebote stehende Material setzt sich zusammen aus 4 isolirten unteren 
Prämolaren, 3 Unterkieferfragmenten mit je zwei Molaren, aus 10 isolirten unteren Molaren, 
einem unteren Milchzahn, einem isolirten oberen Prämolaren, 10 oberen Molaren, 2 oberen 
Milchzähnen — D, und D, — und einem Oberkieferfragment mit D,—M,. 

Der letzte untere Prämolar zeigt eine geringe Abweichung von dem entsprechenden Zahn 
der vorigen Art, insoferne der Innenhöcker etwas weiter vorwärts gerückt und auch etwas 
kräftiger ist als bei dieser. Ausser dem Mı scheint auch M},, wenigstens individuell, einen 
hohen aber dünnen Basalpfeiler zu besitzen. Der untere D, ist mit zwei kurzen blattförmigen 
Basalpfeilern versehen. 

Die oberen M weisen bei etwas vorgeschrittener Abkauung eine Schmelzinsel im Centrum 
auf. Die Stärke des Basalpfeilers ist sehr variabel; er kann auch, wie es den Anschein hat, 
öfters vollständig fehlen. Frische Zähne zeigen in jeder Marke einen vom Hinterhorn eines 
jeden Innenmondes ausgehenden Sporn. 

Der obere P, ist etwas gestreckter als bei der vorigen Species. Am oberen D, divergiren 
die Wurzeln ausserordentlich stark. 


Dimensionen: 
Unterkiefer: P, Länge 11,4 mm; Breite 6,8 mm; Höhe 9 mm 
12er: A late IS „ 12 „0; ziemlich frisch 


» 
M, Fr 14,5 „; n SD: ll SE Be tnisch 
M; 5 ler) n Son: TeellOr SE efnisch 
D; B) 15 9 » 7,8 9 Zr » 


Länge der drei unteren M 43? mm 


Oberkiefer: P, Länge 10 mm; Breite 8,5 mm; Höhe 7 mm 
Mı ” 13,5 »; n.. 12,8, „; zu [4 D) 
M, n 105, 5; m on: Go risch 
M; ” 16 9 „ 135 „; „ 16 
D; D) 11,5 „5; „ 10,5 „; 2. 8,07 
Länge der drei oberen M 40 mm in der Mittellinie. 


> 


In ihrer Grösse steht diese Art dem Palaeoreas Lindermayeri Wagn. sp. von Pikermi 
sehr nahe, allein die viel beträchtlichere Höhe ihrer Zähne spricht dafür, dass wir es mit einer 
Gazelle und nicht mit Palaeoreas zu thun haben. 

Vielleicht gehört hieher ein Hornzapfen aus Schansi, welcher elliptischen Querschnitt 
besitzt. Der Längsdurchmesser an der Basis ist 40 mm, der Querdurchmesser 27 mm. 

Obschon die Aehnlichkeit mit der vorigen Art sowie mit der lebenden Gazella dorcas 
nieht gering ist, stellt diese Speeies doch wieder einen besonderen Seitenast dar, welcher in 
Bezug auf die Körpergrösse vorgeschritten ist, in Bezug auf den Bau der Prämolaren — Hirsch- 
ähnlicher — dagegen sich noch ursprünglicher verhält. Wir haben hier möglicher Weise den 
Stammvater der lebenden Gazella Granti von Somaliland vor uns. 


ins 


132 


Gazella palaeosinensis n. sp. Taf. XI, Fig. 9, 12, 15—17. 


Unter den Gazellenähnliehen Antilopen aus China ist dies die grösste Art. Ihre Zähne 
stehen in der Länge kaum hinter denen von Ovis aries zurück. 

Alle Kieferstücke dieser Gazelle stammen aus den röthlichgrauen sandigen Schichten 
mit Ausnahme eines einzigen Fragmentes mit dem unteren M;. Als Fundort dieses Exemplares 
ist Schansi angegeben, bei allen übrigen ist als soleher Hunan oder Tientsin bemerkt. 

Es liegen mir vor ein Oberkiefer mit den drei M, ein zweiter mit D>—Mı, 2 Bruch- 
stücke mit je zwei und 2 mit je einem Molaren, eines mit dem D, und eines mit dem P;, 
ferner 2 Unterkiefer mit den drei M, 2 mit Mı und M5, eines mit M, und M,;,, 2 mit M3, 
eines mit D4,—M,, eines mit D, und eines mit D;. 

Die Unterkiefermolaren sind hier etwas höher als jene des Oberkiefers. Der Basalpfeiler 
des M, übertrifft an Höhe jenen des Ma, an M, ist ein solcher nur schwach entwickelt. Der 
Vorderrand jedes M trägt aussen und innen je eine starke Falte, am Hinterrande ist eine 
solche nur auf der Innenseite entwickelt. Die Falte auf der Mitte der Innenseite reicht nur 
bis zur halben Höhe des Zahnes. Die Innenseite weist ausserdem in der Mitte eine sehr breite 
und ziemlich tiefe, bis zur Basis reichende Furche auf. M; besitzt einen sehr grossen drei- 
eckigen Lobus, der an seinem Hinterrande ausserdem mit einer starken Leiste versehen ist. 

Die Oberkiefermolaren sind, wie erwähnt, nicht ganz so hoch wie die des Unterkiefers. 
Die Aussenseite trägt drei Verticalfalten — von denen die am Vorderrande kräftiger ist als 
die in der Mitte. Diese ist wieder stärker als jene am Hinterrande. Von den spitzen Gipfeln 
der beiden Aussenhöcker verläuft je eine Rippe bis zur Basis, jedoch ist die zweite namentlich 
an M,; wesentlich schwächer. Mı und M, sind mit je einem, allerdings ganz schwachen Basal- 
pfeiler versehen. Im. Centrum der oberen M kommt bei vorgeschrittener Abkauung eine lang- 
gestreckte Insel zum Vorschein. 

Von Prämolaren ist bloss der kurze aber breite obere P, vorhanden, dessen Querschnitt 
ein gerundetes längliches Viereck darstellt. Aus der Kürze des Alveolarraumes des unteren D, 
geht übrigens hervor, dass der untere P, nicht besonders lang gewesen sein kann. Ueber die 
Zusammensetzung der P gibt uns die folgende Species einigermaassen Aufschluss, auf welche 
ich hiemit verweisen möchte. 

Am unteren D, sind zwei Basalpfeiler vorhanden, von denen der hintere sehr viel dieker 
ist als der vordere. Der obere D; ist auf seiner Innenseite stark abgeflacht, trägt aber dennoch 
einen, allerdings schwachen, Basalpfeiler. Der untere D, ist wesentlich eomplieirter als der 
entsprechende P; sein konnte, ohne jedoch eine Innenwand zu entwickeln. 


Dimensionen: 
Untere Molaren und Milchzähne. 


Mı Länge 12,5 mm; Breite 7,5 mm; Höhe 11,5 mm 
Mn 15 as y 9 es nn Ball9N5, ee ahrisch 


Mauss ut sn „N GNoBBraE „0 On. Mersch 
D; ” 9 DE) ” 5 DR) r 6,7 ” 
D; b) 15 5 ” 6,5 » 9 n 8,8 ” 


Länge der drei een (alt) 42 mm 
„ Prämolaren nach der Länge der D geschätzt 29 mm 
Höhe den Unterkiefers vor Mı 22 mm; hinter M; 33? mm. 
Obere Prämolaren und Milchzähne. 
P; Länge 9,5 mm; Breite 7 mm; Höhe 6,5 mm 


Mı n 14 En 5. 0 nn Fumlarse n:sfrisch, 
M , 17 RS ERLD.D 2.5 ln: frisch 
M; 2) 16 De) » „16,5 5; » 13 D) 
D; D) 12 9 D) 8,8, m 5 » 8,4 „ 
D; D) 14,5 „5 n 9,5 25 » 115 „ 


Länge der drei Molaren 42 mm in der Mittellinie. 


133 


Diese Zähne weisen vielfache Aehnlichkeit mit verschiedenen lebenden Antilopen- 
gattungen auf, so dass wir der vorliegenden Species wohl mit Recht in phylogenetischer 
Beziehung eine grosse Bedeutung beimessen dürfen. 

Von der soeben behandelten Gazella doreadoides und altidens unterscheidet sich 
palaeosinensis durch den Besitz von starken Basalpfeilern an den unteren M, und M3, durch 
die breite tiefe Furche auf der Mitte der Innenseite dieser Zähne, durch den starken dritten 
Lobus des unteren M;, durch die geringere relative Höhe und die Plumpheit der oberen M. 


Unter den kleineren Antilopen von Pikermi steht Palaeoreas sowohl in der Grösse 
als auch im Bau der Molaren recht nahe, aber die oberen M besitzen sehr kräftige Basalpfeiler 
und alle Molaren sind wesentlich niedriger als hier, so dass eine nähere Verwandtschaft oder 
gar die generische Uebereinstimmung beider Arten absolut ausgeschlossen erscheint. Die 
Aehnlichkeit beruht hier vielmehr entschieden nur auf blosse Analogie. 


Gazella brevicornis ist nicht nur kleiner, sondern ebenfalls viel primitiver — bra- 
chyodont — als palaeosinensis, von Antidorcas Rothi ist das Gebiss noch nicht beschrieben, 
aber die Kiefer von Pikermi, welche ich auf diese Art beziehen möchte, unterscheiden sich 
gleichfalls durch die geringe Höhe ihrer Molaren. Uebrigens ist Antidorcas Rothi, wie 
Gaillard!) kürzlich nachgewiesen hat, keine Antilope, sondern ein Ovine. 


Unter den lebenden Antilopen hat Gazella subgutturosa, welche auch heutzutage 
das westliche China bewohnt, bei Weitem die grösste Aehnlichkeit in der Beschaffenheit der 
Molaren, die Innenseite der unteren M hat jedoch in der Mitte keine so starke Rinne, und 
die Basalpfeiler sind, soferne solche überhaupt existiren, jedenfalls viel schwächer. Die oberen 
Molaren sind im Verhältniss etwas schmäler. Die wirkliche Höhe der Molaren von subgutturosa 
vermag ich nicht zu bestimmen, sie dürfte aber wohl ungefähr die nämliche sein wie bei 
palaeosinensis. Auch Saiga tatarica hat sehr ähnliche Molaren, jedoch fehlt auch an 
ihren unteren M der Basalpfeiler, was ja indessen wohl kein Hinderniss wäre für die Annahme, 
dass wir in Gazella palaeosinensis den Ahnen von Saiga oder von Gazella subgutturosa 
zu suchen hätten. Letztere dürfen wir vielmehr wohl unbedenklich für den Nachkommen von 
palaeosinensis halten und das Nämliche gilt vermuthlich auch für die mit subgutturosa 
wahrscheinlich sehr nahe verwandte gutturosa, die ich jedoch nicht aus eigener Anschauung 
kenne. Dagegen müssten zwischen Saiga und dieser fossilen Form mehrere bis jetzt noch 
nieht ermittelte Zwischenglieder existirt haben, bei welchen allmälig Reduction der Prämolaren 
erfolgt ist. 

Die im Zahnbau ebenfalls recht ähnliche Gazella Bennetti, welche in Indien lebt, 
aber dort auch schon im Pleistocän existirt hat, ist etwas kleiner als palaeosinensis, sie 
dürfte daher eher auf die nächstfolgende Form zurückgehen, allein es ist noch wahrscheinlicher, 
dass sie von Gazella sp.?) der Siwalik abstammt. 

Pantholops°) steht im Zahnbau ziemlich ferne, könnte aber vielleicht doch mit palaeo- 
sinensis die Stammform gemein haben. Das Nämliche gilt allenfalls auch von Rupicapra 
und Nemorrhoedus, die jedoch sehr complieirte Prämolaren und einen einfacheren dritten 
Lobus des unteren M, besitzen. Ihre Beziehungen sind offenbar viel entferntere. Etwas inniger 
sind hingegen möglicher Weise die Beziehungen zwischen dieser Gazelle und Antidorcas 
Euchore einerseits und Antilocapra andererseits, wenn auch von einem direeten Zu- 
sammenhang keine Rede sein kann. Die eigenthümliche Complication des oberen und unteren 
M,; bei diesen Gattungen wäre sicher kein Grund gegen die Ableitung von palaeosinensis. 

Vielleicht ist Gazella palaeosinensis jene Art, welcher der von Koken — |. e. 
Taf. III, Fig. 12 — als Palaeomeryx Oweni beschriebene Oberkieferprämolar angehört, 


1) Le Belier de Mendes. Bulletin de la societe d’Anthropologie de Lyon, 1901, p. 23. 

2) Lydekker. Siwalik Mammalia Supplement I. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol.IV, 1886, p. 12, 
pl. IV, fie. 5. 

3) Auch fossil bekannt — Pantholops hundiensis, wohl Oberpliocän in Hundes, Tibet — 
Lydekker, Quarterly Journal of the Geologieal Society of London, 1901, p. 289—292, fig. 4. 


134 


auch dürfen vielleicht die von Lydekker!) erwähnten Gazellenknochen — Fragmente von 
Humerus, Radius, Metacarpus und Hornzapfen — aus der Mongolei, welche denen von Gazella 
subgutturosa sehr ähnlich sein sollen, hieher gestellt werden. 

Aus Maragha in Persien wurden von Weithofer und Rodler?) Schädelfragmente mit 
Hornzapfen unter den Namen Gazella deperdita Gerv. und Gazella capricornis n. sp. 
angeführt, von denen vielleicht die letzteren zu palaeosinensis gehören könnten, was sich 
aber zur Zeit weder beweisen noch widerlegen lässt. 


Gazella aff. palaeosinensis. Taf. XI, Fig. 10, 13. 


Unter dieser provisorischen Bezeichnung beschreibe ich eine Anzahl Kieferstücke und 
Zähne, welche denen von G. palaeosinensis .sehr ähnlich sind, aber in ihren Dimensionen 
hinter diesen zurückstehen, ohne dass bis jetzt sich vermittelnde Uebergänge nachweisen liessen. 

Der Erhaltungszustand der Kiefer und Zähne und die Beschaffenheit des anhaftenden 
Gesteins ist auch hier genau so wie bei der vorhergehenden Form. Als Fundort ist gleichfalls 
Tientsin und Hunan notirt. 

Es liegen mir vor zwei Unterkiefer mit den drei Molaren, einer mit zwei Milchzähnen 
und zwei Molaren, einer mit zwei Prämolaren und zwei Molaren, drei mit je einem Molaren, 
zwei Oberkieferfragmente mit je zwei Molaren, eines mit dem letzten Prämolaren und dem 
ersten Molaren und je ein isolirter oberer und unterer letzter Molar. 

Die unteren Molaren unterscheiden sich von jenen der palaeosinensis durch die viel 
niedrigeren oder gänzlich fehlenden Basalpfeiler sowie durch ihre geringere Grösse. An den 
oberen sind die Falten und Rippen der Aussenseite viel schwächer ausgebildet, auch fehlt der 
Basalpfeiler selbst an M, vollständig. Dementsprechend trägt auch der letzte untere Milchzahn 
— Dı — nur einen einzigen, überdies sehr schwachen Basalpfeiler. Ich halte diese Unter- 
schiede für hinreichend, um wenigstens vorläufig beide Formen von einander zu trennen. Die 
Vereinigung derselben wäre jedenfalls bedenklicher als diese provisorische Scheidung. 

Der obere Prämolar — P4 — hat eine concave Aussenfläche; die Mittelrippe ist auf 
die untere Hälfte der Krone beschränkt. Ebensowenig wie an den oberen Molaren ist hier in 
der Marke ein Sporn zu beobachten. Die Innenseite bildet einen wirklichen Halbeylinder. 

Die unteren P sind sehr schlank und schmal und ziemlich hoch. Zwischen dem Haupt- 
gipfel und dem Vorder- und Hinterrande des Zahnes steht je eine kurze Coulisse und zwar 
senkrecht zur Längsrichtung des Zahnes.. An P; ist der Innenhügel neben dem Hauptgipfel 
nur als kurze, etwas schräg nach hinten gerichtete Coulisse entwickelt, an P, ist er ebenfalls 
zu einer Schneide umgestaltet, aber nach vorwärts gerichtet und mit der vorderen Coulisse zu 
einer Innenwand verschmolzen. Der untere P, war schon sehr klein. Seine beiden Alveolen 
nehmen nur halb soviel Raum ein wie P;. 

Der untere vorletzte Milchzahn — D;z — gleicht im Ganzen dem P;, er ist jedoch 
niedriger und länger, und seine Coulissen sowie der Innenhügel sind stark verdickt. 


Dimensionen: 


Unterkiefer: P, Länge 5 mm; Breite 2 mm; Höhe — mm 
P; » BEE: D) 3,8, ; » 6,5 
Pı n 9,2 »9 » 4,8 9 ” 7,5 N 
M}, BR I Sr „Hr Orbr Se Bene e/Mrisch 
M, Fe Re AsIS7R ZH: »„ 17. „; etwas abgekaut 
M; b)] 17,8 9 ” 8,2 93 ” 15 93 ” ” 


Länge der drei P 23,7 mm 
n Se N 4, „; ziemlich alt 
unteren Zahnreihe '64 mm. 


1) Records of the Geological Survey of India. Vol. XXIV, 1891, p. 208. 
2) Wiederkäuer von Maragha. Denkschriften der k. k. Akademie der Wissenschaften, math.-naturw. 
Classe, Wien. 1890, p. 15 (767), Taf. V, Fig. 1, Taf. VI, Fig. 1. 


135 


D, Länge 5 mm; Breite — mm; Höhe — mm 
D; D) 9 5 D) 4,5 „; ” 5,5 5 
D; „ 15 De) ” 6,5 25 ” 10 ” 
Länge der drei D 29 mm 
Höhe des Kiefers vor Pa, 15,5 mm 
5 # „ hinter M; 31 " 

Oberkiefer: P, Länge 9 mm; Breite 8,5 mm; Höhe 10? mm 
Mı m on; „ 10 9 ” 7,8 „; alt 
M; „ 12 5 „ırlör,; ” 8,8 „ 
M; ” 14 9 ” 11,5 De) ” 9 ” 

Länge der drei oberen M (in der Mittellinie 26 mm) 


Da von dieser Form auch ein Theil der Prämolaren bekannt ist, eignet sie sich besser 
als palaeosinensis zur Ermittelung etwaiger verwandtschaftlicher Beziehungen. 

Was zunächst die kleineren fossilen Antilopen betrifft, so haben Gazella brevicornis, 
Antidorcas Rothii und Palaeoreas Lindermayeri nicht nur niedrigere Molaren, sondern 
auch viel einfacher gebaute Prämolaren und sind demnach noch primitiver. Von Helicoceras 
rotundicornis, gleichfalls aus Pikermi, kennt man nur die Hornzapfen, wesshalb von einer 
Vergleichung mit dieser und der vorigen chinesischen Art abgesehen werden muss. Aus dem 
nämlichen Grunde eignet sich auch Gazella sp. aus den Siwalik nicht zu einer näheren 
Vergleichung. Das Gleiche gilt auch von den kleineren Antilopenformen von Maragha in 
Persien mit Ausnahme der dortigen Antilope sp. nov. ind. minor, welche sich aber 
anscheinend eher an die oben behandelte Gazella dorcadoides anschliesst. 

Unter den lebenden Antilopenarten steht Gazella subgutturosa recht nahe, wenigstens 
im Bau der Molaren, nur tragen diese keinen Basalpfeiler, aber wenigstens im Oberkiefer etwas 
stärkere Rippen auf der Aussenseite. Dagegen sind die unteren Prämolaren bei subgutturosa 
viel einfacher. Da bei den Antilopen Reduction der Prämolaren ein fortschrittliches Merkmal 
zu sein scheint, so könnte die vorliegende Form ebenso wie die vorhin besprochene palaeo- 
sinensis recht gut der Ahne von Gazella subgutturosa sowie von der, vermuthlich sehr 
nahestehenden gutturosa sein und vielleicht auch von Bennetti, soferne diese letztere nicht 
doch auf die Lydekker’sche Gazella sp. zurückgeht, die aber jedenfalls mit palaeosinensis 
und der hier behandelten Form den directen Vorläufer gemein hat aber zugleich auch mit 
doradoides. Weniger innig sind die Beziehungen zu Pantholops, mit nur 2, von denen 
jedoch der untere Pı dem entsprechenden Zahn der chinesischen Gazelle sehr ähnlich sieht. 
Allein diese Reduction würde keineswegs gegen die direete Verwandtschaft zwischen beiden 
sprechen.” Pantholops hat jedoch eine primitivere Form des dritten Lobus des unteren M; 
— noch gerundet —, während palaeosinensis und die vorliegende Form eine besondere 
verticale Leiste am Hinterrande besitzen. 

Die Beziehungen zwischen den genannten Gazellen lassen sich in folgender Weise 
veranschaulichen: 


Gegenwart: 
G.Granti 6. Thompsoni G.dorcas G. Bennetti G.subgutturosa 
G.borbonica 


Plioeän: 
G.altid. G.dorcadoid. G.sp. Lyd.S.? G.palaeosinens. G. brevicorn. 
Bu; a 
Obermioeän: G. ähnlich brevicornis, 


aber kleiner und brachyodont. 


Jedenfalls zeigt das Vorhandensein ächter Gazellen in der Hipparionenfauna Chinas, 
dass diese Gattung viel weiter zurückreichen muss, als es bisher den Anschein hatte. Pan- 
tholops hat jedenfalls den nämlichen Ursprung wie Bennetti oder wie subgutturosa, was 


136 


sich aber jedoch nicht entscheiden lässt, so lange wir von den fossilen Gazellen Chinas nur 
das Gebiss, von den fossilen indischen — Siwalik — nur die Hornzapfen kennen. Auch Saiga 
und selbst Antidorecas Euchore dürften auf solche pliocäne Gazellenarten zurückgehen, 
ja es ist selbst nicht ausgeschlossen, dass auch die nordamerikanische Gabelantilope — 
Antilocapra — einerseits, und Rupicapra und Nemorrhoedus andererseits mit dem 
Gazellenstamm die Urform gemein haben. 


Protetraceros Gaudryi n.g.n.sp. Taf. XI, Fig. 14, 18—23. 


Ich beschreibe unter diesem Namen eine Anzahl Kiefer, deren Prämolaren noch sehr 
primitiv gebaut sind und ebenso wie die Molaren denen des lebenden indischen Tetraceros 
quadricornis Blainv. und des fossilen Tetraceros Daviesi, wie sie Lydekker!) abbildet, 
recht ähnlich sehen. Da wir aber doch wohl annehmen dürfen, dass wenigstens im Schädelbau 
und in der Form und Zahl der Hörner Verschiedenheit existirt hat gegenüber dem lebenden 
Genus Tetraceros, so wird es sich eher empfehlen, die chinesische fossile Art als „Protetra- 
ceros“ anzuführen. 

Der grösste Theil der hier beschriebenen Kiefer und Zähne stammt aus den röthlichen 
sandigen Ablagerungen von Honan, Hunan, Hupeh und angeblich auch von Tientsin, nur ein 
Paar dürftige Fragmente und einige isolirte Zähne stammen aus den rothen Thonen von Schansi 
und $z’tschwan. 

Auch bei dieser Antilope lassen sich nach der Grösse der Zähne zwei Gruppen unter- 
scheiden, die aber durch Uebergänge verbunden zu sein scheinen, wesshalb ich doch von einer 
vollständigen Trennung in zwei Varietäten oder gar in zwei Arten absehen darf. 

Das mir vorliegende Material besteht aus 3 Unterkiefern mit den Molaren, einem mit 
den P und M,, einem mit P, — Mı, 4 Unterkieferfragmenten mit je zwei und 8 mit je einem 
Molaren und einem mit zwei Milchzähnen und zwei Molaren, ferner aus 10 isolirten unteren 
Molaren und drei Prämolaren, aus einem Oberkiefer mit den Prämolaren und dem ersten 
Molaren, aus einem Oberkiefer mit P, und den drei Molaren, aus einem weiteren mit den 
beiden letzten Milchzähnen und zwei Molaren, aus einem Fragment mit den drei Prämolaren 
und zwei solchen mit je zwei Molaren und aus drei isolirten oberen Prämolaren und fünf 
isolirten Molaren. 


Unterkiefer. Die unteren Prämolaren sind ziemlich einfach gebaut. P; und P, haben 
vor und hinter dem Haupthügel je eine, nur wenig schräg stehende Coulisse und einen etwas 
zurückgeschobenen, gleichfalls eoulissenartig ausgebildeten Innenhöcker, der aber an P, wesentlich 
schwächer ist als an P4,. P, war nur halb so lang als P;. 

Die Molaren besitzen je eine äussere und innere Falte am Vorderrande und M; und My 
auch eine innere am Hinterrande. In der Mitte der Innenseite verläuft eine breite und ziemlich 
tiefe verticale Furche. Der dritte Lobus des M, ist ziemlich scharf abgesetzt und entwickelt 
in der Regel an seiner Rückseite eine verticale Leiste. 

Basalpfeiler können ausnahmsweise selbst an M, auftreten, sind aber alsdann immer sehr 
niedrig. Der von M, ist fast halb so hoch wie dieser Zahn, der von Mg; ist wesentlich niedriger. 

Von den beiden noch vorhandenen Milchzähnen gleicht der vordere — D; — im Ganzen 
einem P,, nur ist er viel niedriger, aber bedeutend länger. Der hintere — D, — trägt zwei 
ziemlich dicke aber niedrige Basalpfeiler. 

Oberkiefer. Die Prämolaren haben den nämlichen Bau wie bei den Palaeomeryeiden, 
nur ist P, etwas plumper und P, stark in die Länge gezogen. Jeder der drei P trägt einen 
Sporn in der Marke. 3 

Die Molaren besitzen gleichfalls einen solchen Sporn, aber nur in der hinteren Marke, 
jedoch ragt das Hinterende des ersten Innenmondes noch etwas in die Marke hinein. Basal- 
:pfeiler fehlen vollständig. Die Verticalfalten an der Vorderaussen- und der Hinteraussenecke 


I) Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. IV, Part], 
Supplement 1886, p. 19. 


137 


sowie der in der Mitte der Aussenseite sind kräftig entwickelt, ebenso die Rippen an den 
beiden Aussenhügeln, jedoch ist die des vorderen bedeutend stärker als die des hinteren. 


Von den beiden noch vorhandenen Milchzähnen trägt der hintere — D, — im Gegensatz 
zu den Molaren einen Basalpfeiler, an dem°vorderen — D; — ist der erste Innenmond von 
dem zweiten schon nicht mehr so scharf abgesetzt wie bei den Cerviden. 

Dimensionen: 


Unterkiefer: P, Länge 5,3mm; an den Alveolen 


P; 5 7,2 „5; Breite 4 mm; Höhe 5,5 mm; Minimum 
P » 8 93 5) 4,55; » 6 9 » 
Mı n 9,5 5 $)) 6 u) n 7% 9 n 
M; el 340 n GO: a! 79 n 
M; a A 53 » 6,7 25 „115 5; ” 
Mı 2) BE r (a Er) „; Maximum 
M, „412 „9 7 9» ». 125 „; ” 
M; 5 "5 D) De „12 9 D) 
D; » b) „; an den Alveolen Maximum 
D; »„ 85 „; Breite 4 mm; Höhe 4,5 mm 
Dı n 11 b)] 5 ” 5,5 ” D N 5? n 
Länge der drei D 25 mm Maximum 
e ua BR 19,5 „ Minimum; 20 mm Maximum 
„ RM 35 5 EST 15 » 
N „ unteren Zahnreihe 53 „ & 58. e 
Höhe des Unterkiefers vor P,z 13,8 „ n Lan, = 
n 2 a hinter M; 25,5 „ 5 Sa2ulr P 
Oberkiefer: Py, Länge 83mm; Breite 6 mm; Höhe 5? mm; Minimum 
P; D) mon „5 D) 1,8755 D) bEBPY, ; D) 
P, » 7 7 ” 8,5 Yes) ” 7,2 De) ” 
Mı ” 10 a, » 9,5 9 n 8 9 ” 
M3 » 11,5 „”» ” 10 9 ” 10 DR) » 
M; a a „ 10 9» EOS, >; D) 
P2 n 8,4 „ r 6,30,55 „6 Maximum 
P; » 8 n „ 7,7 u) » 8,7 ” 


we we we we we 0°. 
S 


I 2 ” 

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3 D D) 

Mı „ 105 „; »„ 10,4 „; MR RAN 

; ’ D) 

3 ; „115 „ 
D; » 8,5 9 ” 6,7 ” 
D, ” 85 5 00 7,5 „ 

Länge der drei D 24 mm? 
= 4 »„ P 23 „ Minimum; 25,5 mm Maximum 
» 0) „ M 31,5, ” ; 92 n 


Ich habe hier die grösseren und kleineren Individuen scharf auseinander gehalten, damit, 
falls doch einmal durch vollkommeneres Material die Existenz von zwei verschiedenen Arten 
nachgewiesen würde, eine speeifische Unterscheidung leichter vorgenommen werden könnte. 
Die Differenzen zwischen Maximum und Minimum sind jedoch hier keineswegs grösser, als bei 
irgend einer beliebigen recenten Art von gleicher Grösse, so dass es doch höchst wahrscheinlich 
wird, dass alle diese Stücke auch wirklich nur einer einzigen Species angehören. 

So ähnlich nun auch die Zähne denen des lebenden Tetraceros quadricornis sind!) 


” 


1) Dank der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Matschie bin ich in der erfreulichen Lage, einen Schädel 
mit wohlerhaltenem Gebiss, dem kgl. Museum für Naturkunde in Berlin gehörig, vergleichen zu können. 
Abh.d.II.Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. I. Abth. 18 


138 


— die Unterschiede bestehen lediglich in der relativen Kleinheit der unteren P und in der 
schwächeren Entwickelung des Basalpfeilers der unteren M —, so erscheint es doch insoferne 
etwas bedenklich, die vorliegenden Zähne und Kiefer auf Tetraceros zu beziehen, als der 
Schädel anscheinend keine so tiefe Thränengrube ' besitzt wie beim lebenden quadricornis 
und das Foramen infraorbitale viel höher oben und zwar zwischen P, und P; liegt, ganz wie 
bei der Gattung Cephalophus anstatt vor P3. Diesen letzteren Unterschied halte ich für 
wesentlicher als die schwache Ausbildung der Thränengrube, denn diese könnte man recht 
wohl als den ursprünglichen Zustand deuten. Dagegen ist es weniger wahrscheinlich, dass 
sich das Infraorbitalforamen nach vorwärts und abwärts verlagert hätte. 

Was das Verhältniss zwischen der neuen Art aus China und dem Tetraceros Daviesi 
Lyd. aus den Siwalik betrifft, so ist die erstere in Bezug auf die Anwesenheit von Basalpfeilern 
an den M und hinsichtlich des Baues der oberen P dem lebenden T. quadricornis!) ent- 
schieden ähnlicher als dieser letztere, dessen P anscheinend einfacher gebaut sind und dessen 
M anscheinend keinen Basalpfeiler besitzen. Dagegen hat Daviesi schon eine grosse Thränen- 
grube und das Foramen steht vor dem P%. 

Von den oben beschriebenen kleinen Antilopen aus China unterscheidet sich Prote- 
traceros Gaudryi ohne Weiteres durch die relativ geringe Höhe der Zahnkronen und durch 
die Länge und den primitiven, Cervidenähnlichen Bau der Prämolaren. Dagegen kommt er 
der Gazella brevicornis von Pikermi sehr nahe, nur sind bei dieser die unteren Prämolaren 
viel zierlieher und die beiden letzten auch gestreckter, auch haben die unteren Molaren keine 
Aussenfalte am Vorderrande. Bei den mir vorliegenden Stücken von Pikermi sind auch die 
Basalpfeiler der unteren Molaren sehr schwach, bei den Originalen Gaudry’s?) dagegen sehr 
hoch und stark, namentlich au dem zu Fig. 4. Eine nähere Verwandtschaft zwischen dieser 
Gazelle und Tetraceros ist nicht recht wahrscheinlich. 

Nach Lydekker besteht im Zahnbau grosse Aehnlichkeit zwischen seinem Tetraceros 
Daviesi und der lebenden afrikanischen Gattung Cephalophus. Die neue Art aus China, 
deren obere Prämolaren complieirter sind als bei Daviesi, würde sich daher von Cephalophus 
schon weiter entfernen, denn bei dieser Gattung sind die unteren P augenscheinlich redueirt, 
während die oberen P lediglich Verkürzung. erfahren haben. 

Tetraceros und Öephalophus stehen jedenfalls in einem sehr innigen verwandtschaft- 
lichen Verhältniss, aber die Trennung in diese zwei Gattungen muss doch schon vor dem Pliocän 
erfolgt sein, denn sowohl der indische Tetraceros Daviesi als auch die neue Art, P. Gaudryi, 
aus China sind dem lebenden Tetraceros quadricornis wesentlich ähnlicher als irgend 
einem Cephalophus. Mit dieser letzteren Gattung hat P. Gaudryi nur die Stellung des 
Infraorbitalforamen, T. Daviesi aber die einfacher gebauten ÖOberkieferprämolaren gemein. 
Ihre gemeinsame Stammform dürfte diese beiden Merkmale, wodurch sich Tetraceros Daviesi 
und Protetraceros Gaudryi vom lebenden quadricornis unterscheiden, in sich vereinigt 
haben und könnte somit auch zugleich der Ausgangspunkt der Gattung Cephalophus gewesen sein. 

Während die vorhin besprochenen Gazellenarten allenfalls noch von einer europäischen 
Form, der Gazella brevicornis von Pikermi abgeleitet werden könnten, wobei natürlich die 
gleichzeitige Existenz aller dieser Species vernachlässigt werden müsste, ist ein solcher Ursprung 
der Gattung Protetraceros noch viel weniger wahrscheinlich, denn sie schliesst sich an die 
lebende Gattung Tetraceros sehr innig an, die ihrerseits wieder zu den Cephalophinen 
gerechnet wird. Diese Unterfamilie kann jedoch unmöglich von Gazella brevicornis ab- 
stammen, da ihr Zahnbau entschieden primitiver ist als bei dieser fossilen Gazelle. 

Auch der geologisch ältere Mieromeryx flourensianus kann nicht wohl der Vorfahre 
von Tetraceros und den ÜCephalophinen sein, denn seine unteren P sind .. viel complieirter 
und seine unteren M tragen noch die „Palaeomeryxleiste*, welche bis jetzt bei keiner 


1) Auch fossil bekannt aus den Höhlen von Karnul, Provinz Madras. Lydekker, Tertiary and 
Posttertiary Vertebrata. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. IV, 1886, Part II, p. 46, pl. XI, fig. 12. 
?2) Gaudry. Animaux fossiles de l’Attique, p. 299, pl. LVI, fig. 1—4. 


139 


fossilen Antilope, auch nicht einmal als Rudiment nachgewiesen werden konnte, während ihre 
Reduction in der genetischen Reihe Dierocerus, Cervavus, Cervus australis sich ganz 
gut beobachten lässt. Diese Leiste scheint demnach niemals bei den Vorfahren von Antilopen 
existirt zu haben, wesshalb Micromeryx wohl einen gänzlich erloschenen Typus darstellen dürfte. 


Da nun im älteren europäischen Tertiär — Miocän — keine Form existirt, welche wir 
mit einiger Berechtigung für den Ahnen der Gazellen, der Gattungen Protetraceros und 
Tetraceros und der Cephalophinen ansprechen könnten, so müssen wir unter den Formen 
des nordamerikanischen Tertiär Umschau halten, wenn wir den Vorläufer dieser Antilopen 
ermitteln wollen. 

Hier treffen wir nun im White River, beziehungsweise auch im John Day bed die Gattungen 
Hypisodus, Hypertragulus und Leptomeryx, welche sich sowohl wegen ihrer Körper- 
grösse als auch wegen ihres Zahn- und Skeletbaues ziemlich gut als die Ahnen der Gazellen, 
der Cephalophinen und wohl auch der Neotraginen eignen und zwar käme die Gattung 
Hypisodus wegen der Höhe ihrer Zahnkronen als Ausgangspunkt der Gazellen und wohl 
auch der Gattungen Ourebia? und Madoqua in Betracht, während die Cephalophinen 
eher von Leptomeryx oder Hypertragulus abstammen, bei welchen die Zahnkronen noch 
ziemlich niedrig sind. 

Freilich bestehen in mehrfacher Hinsicht grosse Hindernisse für die Annahme solcher 
genetischer Beziehungen. Vor Allem hat Hypisodus!) im Alter nur mehr 2 P gegenüber 
den &2P der Gazellen, indem der ohnehin so kleine P, in beiden Kiefern verloren geht, 
ferner erinnert der Schädel in Folge der Anwesenheit einer tiefen Thränengrube viel eher an 
den der Cephalophinen und der Neotraginen als an den der Gazellen. Dagegen hat 
die Umformung des unteren Pı in eine Art fünfter Ineisiven geringe Bedeutung, denn es lässt 
sich sehr wohl annehmen, dass dieser Zahn später vollständig verloren gegangen wäre. 


Noch grösser als die Verschiedenheit im Bau des Schädels von Hypisodus gegenüber 
jenem der Gazellen sind die Abweichungen des Schädels von Leptomeryx und besonders 
von Hypertragulus?) gegenüber jenem der Cephalophinen, allein während der Schädel 
bei Hypisodus Differenzirungen aufweist, die bei den Gazellen nicht vorhanden sind, unter- 
scheidet sich der von Leptomeryx und Hypertragulus von jenem der Cephalophinen 
durch seinen primitiven, an die Verhältnisse bei den Tylopoden erinnernden Bau. Diese 
Aehnlichkeit mit dem Kameelschädel war auch der Hauptgrund, wesshalb die Hypertraguliden 
oder wie sie auch genannt wurden, Leptomeryeinen von Scott und Rütimeyer mit den 
Tylopoden in Beziehung gebracht werden, nachdem sie lange Zeit für Tragulinen gegolten 
hatten. Sie sind aber weder das Eine noch das Andere. Dass sie keine Tragulinen sein 
können, hätte schon das Fehlen der für diese Gruppe so charakterischen Leiste am ersten 
Innenhöcker und am ersten Aussenmoud der unteren Molaren lehren können, welche bei dem 
"wirklichen Stammvater der Tragulinen, nämlich bei der Gattung Cryptomeryx des europäischen 
Oligocän schon sehr genau zu beobachten ist, obwohl sich diese Gattung sonst noch sehr primitiv 
verhält, indem sogar noch ein fünfter Höcker — Protoconulus — an den oberen Molaren vor- 
handen ist. ; 

Die Aehnlichkeit mit dem Schädelbau der Tylopoden hängt vorwiegend damit zusammen, 
dass die Zwischenkiefer noch Ineisiven tragen und demzufolge noch viel kräftiger entwickelt 
wenn auch relativ kürzer sind als bei den ächten Ruminantiern, ferner mit der Kürze der 
Zahnlücke und ausserdem auch mit der bedeutenden Ausdehnung der Nasenbeine nach vorwärts 
und mit der geringen Wölbung des Cranium. Allein diese Merkmale waren ursprünglich allen 


!) Matthew W.D. The Skull of Hypisodus the Smallest of. the Artiodactyla with a Revision 
of the Hypertragulidae. Bulletin from the American Museum of Natural History. Vol. XVI, 1902, 
p. 311316, fie. 4. 

2) Scott W.B. The Selenodont Artiodactyls of the Uinta Eocene. Transactions of the Wagner’s 
free institute of science of Philadelphia 1899. Die Verwandtschaft mit den Tragulinen hat zuerst 
Cope, die mit den Tylopoden zuerst Rütimeyer behauptet. 

18* 


140 


Selenodonten eigen und sprechen zwar für den gemeinsamen Ursprung aller selenodonten 
Paarhufer, aber nicht direet gegen eine nähere Verwandtschaft zwischen den Hypertraguliden 
und gewissen Antilopen. 

Der Extremitätenbau der Hypertraguliden galt lange Zeit als ein Hauptargument für 
die Zugehörigkeit der Hypertraguliden zu den Traguliden. In Wirklichkeit haben wir 
es jedoch nur mit primitiven Verhältnissen zu thun, die sich in allen Gruppen der seleno- 
donten Paarhufer finden und mithin überhaupt keine besondere Beweiskraft haben. 

Dagegen weichen die Molaren der Hypertraguliden von jenen der Tylopoden z.B. 
von jenen von Poebrotherium vollkommen ab, sie haben rauhen Schmelz und sind auch 
nicht in die Länge gezogen wie bei diesem. Die Streckung der Prämolaren findet sich aller- 
dings auch bei den Hypertraguliden, allein dies ist lediglich ein primitives Merkmal, das 
auch der Gattung Gelocus zukommt, welche doch gewiss kein Tylopode ist. 

Dass zwischen den Hypertraguliden und den oben erwähnten Antilopen noch eine 
bedeutende Lücke besteht, soll natürlich keineswegs betritten werden, ja es ist sogar ziemlich 
wahrscheinlich, dass wenigstens die Gattung Hypertragulus einen vollkommen erloschenen 
Seitenzweig darstellt, denn obwohl sie geologisch höher hinaufreicht — bis in das John Day bed —, 
ist sie doch in mehrfacher Hinsicht primitiver als Hypisodus und Leptomeryx, allein ich 
halte es doch für richtiger zwischen scheinbar gänzlich ausgestorbenen und plötzlich auftretenden 
neuen Typen Anknüpfungspunkte zu suchen, als stets ein völliges Verschwinden geologisch 
älterer Formen anzunehmen. Selbst wenn also auch die drei genannten Gattungen nicht die 
wirklichen Vorläufer jener Antilopen sein sollten, so stehen sie doch vermuthlich den Ahnen 
dieser sonst so unvermittelt auftretenden Formen sehr nahe. Auch wären diese Antilopen 
ohnehin nicht der einzige Säugethierstamm, der etwa im Miocän von Nordamerika nach Eurasien 
gelangt ist. 


? Palaeoreas sinensis n. sp. Taf. XI, Fig. 24—29, 33, 34. 


Nur mit Vorbehalt führe ich unter dieser Bezeichnung eine Anzahl isolirter Zähne aus 
den rothen Thonen von Schansi sowie einen ebenso erhaltenen Oberkiefer mit den drei Molaren 
an, als dessen Fundort Tientsin vermerkt ist, weil diese Ueberreste in der Grösse und auch in 
ihrem Bau jenen des Palaeoreas Lindermayeri von Pikermi sehr ähnlich sind, nur unter- 
scheiden sich die Prämolaren des Unterkiefers durch ihre relative Kürze und Höhe sowie durch 
ihre Dicke. 


Ich stelle hieher folgende Stücke: 8 Prämolaren, 2 Milehzähne und 11 Molaren des 
Unterkiefers, 2 Prämolaren und 3 Molaren des Oberkiefers und den bereits erwähnten Oberkiefer 
mit drei Melaren, die jedoch etwas kleiner sind als die isolirten oberen Molaren, so dass es 
etwas fraglich erscheint, ob sie wirklich noch zur nämlichen Species gerechnet werden dürfen. 
Vier von den Unterkieferprämolaren, je zwei P, und P, scheinen von ein und demselben 
Individuum zu stammen, denn sie zeigen eine überraschende Uebereinstimmung in ihrem Er- 
haltungszustand und dem Grade ihrer Abkauung. 


Unterkiefer. Die unteren P, und P; sind sehr hoch und spitz; sie stellen von aussen 
gesehen ein nahezu regelmässiges Fünfeck dar. P, besitzt nur eine hintere Coulisse, an 
P; sind deren zwei vorhanden und der hohe, etwas zurückgeschobene Innenhöcker wird 
in Folge der Abkauung zu einer dritten Coulisse. Diese Coulissen stehen nahezu senkrecht 
zur Längsachse des Zahnes. P, unterscheidet sich von P; nur durch seine beträchtlicheren 
Dimensionen. 


An den Molaren ist die vordere und hintere Innenfalte mässig stark entwickelt, die 
sonst so häufig vorne an der Aussenseite vorkommende dagegen kaum angedeutet. In der 
Mitte der Innenseite verläuft eine breite aber ziemlich seichte Vertiealrinne. Die Basalpfeiler 
sind nicht besonders hoch, aber durch Verschmelzung von je zwei Säulen entstanden. Der 
übrigens nur schwache dritte Lobus des unteren M,; hat nach Innen zu eine stumpfe Kante. 
Die Höhe ist bei frischen Zähnen ungefähr gleich der Länge. 


141 


Dimensionen: 
P, Länge 8 mm; Breite 4 mm; Höhe 8 mm 


P; » 12 »9 n 6,8 9 ” 12 ” 
Pı ) 13,5 lan » 9 bi » ? n 
Mı ” 15 „9 n 9 nn» » 15 ) 
Ma Fe | De) ea! 9 a D) 
M; „us 19 »» nel 29 Pe We PN 
D; » 13 29 » 6,5 59 ” 8 ” 
Dı )) 16 2 ” 7 DIE] n 7 ” 


Länge der drei P 33 mm; Länge der drei Molaren 48? mm. 


Oberkiefer. Die oberen P haben eine sehr primitive Zusammensetzung. Sie sind 
sogar noch einfacher als bei Palaeomeryx, denn an Py fehlt der Sporn in der Marke. P; 
ist ziemlich massiv, aber schmal. 

Die beiden, der Grösse nach hieher gehörigen MeiaFen — P; — sind länger als breit. 
Die drei Falten Ser Aussenseite haben nahezu gleiche Stärke, dagegen ist die Verticalrippe 
des zweiten Aussenhöckers sehr viel schwächer als die des ersten. Der eine der beiden M, 
hat einen hohen, aber dünnen Basalpfeiler, an dem anderen ist er stärker, aber etwas niedriger. 
Gegen das Centrum des Zahnes verläuft zwischen den beiden Innenmonden ein schmaler gerader 
Spalt, der an Mı und M, des erwähnten Oberkiefers bereits zu einer Insel geworden ist. Die 
Zähne dieses Kieferfragmentes sind kleiner als jene beiden isolirten M; und unterscheiden sich 
hievon auch durch die Abwesenheit eines Basalpfeilers. Ich bin daher nicht sicher, ob sie 
nicht doch etwa eine besondere Species repräsentiren. 


Dimensionen: E 
P, Länge 11,5 mm; Breite 7,5 mm; Höhe 7,5mm 
Pı » 9,5 9 ” 12,5 »>» ” 12,5 „ 


M; n 17 93 » 15,5 79 ” 13 ” 
Mı # 1050: 5: Bl 115) 5 
M; » 15 "9 „ ale 


M; Pr 15 9 „ 12 n 
Länge der drei M in der Mittellinie gemessen 38,5 mm 


Die Ermittelung der systematischen Stellung dieser Zähne ist nicht ganz leicht, denn bei 
Palaeoreas Lindermayeri sind die Prämolaren niedriger und zierlicher, die Molaren jedoch 
haben überaus grosse Aehnliehkeit. Protragoceros Skouzesi?) weicht entschieden hievon 
ab, insoferne die Falten und Rippen an der Aussenseite der oberen Molaren auffallend schwach 
entwickelt sind. Von den drei oberen M besitzt nur der zweite einen Basalpfeiler, und auch 
dieser ist nur sehr schwach, während er bei Palaeoreas nur höchst selten fehlt, sonst aber 
ziemlich massiv und hoch wird. Von Helieoceras aus Pikermi kennt man bisher nur die 
Hornzapfen, wesshalb sich ihre Beziehungen zu der vorliegenden Art nicht ermitteln lassen. 


Das nämliche gilt auch für die meisten aus den Siwalik beschriebenen Antilopen, die- 
jenigen aber, deren Zähne bekannt sind, unterscheiden sich sämmtlich sehr wesentlich von 
Palaeoreas. 


Ueber die Herkunft der Gattung Palaeoreas wissen wir zur Zeit nichts Näheres. Es 


wäre jedoch nicht unmöglich, dass wir ihren Vorläufer in einer der Sansaner Antilopen, 
vielleicht in elavata zu suchen hätten. 


l) Gaudry. Animaux fossiles de l’Attique. 1862, 67, p. 290, pl. LII, fig. 45, pl. LI—LV. 

2) Wagner. Neue Beiträge zur Kenntniss der Säugethiere von Pikermi. Abhandl. d. k. bayer. 
Akademie, II. Cl., VIII. Bd., p. 155 (47), Taf. VII, Fig. 18, und: Weithofer. Beiträge zur Fauna von 
Pikermi. Beiträge zur Paläontologie Oesterreich- Ungarns, Bd. VI, 1888, p. 285, Taf. XVII, Fig. 4—6. 
Nach diesem Autor wäre übrigens Protragelaphus näher mit Oreas als mit Tragelaphus verwandt. 


142 


Tragoceros gregarius n. sp. Taf. XI, Fig. 1—9. 


Abgesehen von Gazella dorcadoides ist dies die häufigste Art unter den fossilen 
Antilopen Chinas. Leider ist sie unter dem mir zu Gebote stehenden Materiale mit Ausnahme 
von zwei Oberkiefern und einem Unterkieferfragmente nur durch isolirte Zähne vertreten, aber 
von diesen liegt mir eine ansehnliche Menge vor. Nach der Zahl der dritten unteren Molaren 
hätten wir es mit Ueberresten von mindestens 13 Individuen zu thun. 


Mit Ausnahme eines einzigen graublauen oberen Molaren, welcher offenbar aus den sandig- 
lehmigen Schichten stammt, haben alle diese Zähne die nämliche lichtgelbe Farbe der Kronen 
und die reinweisse Farbe der Wurzeln, und das etwa noch anhaftende Gestein ist der rothe 
Thon. Als Fundorte sind Schansi, Schensi und Sz’tschwan vermerkt. 

Ich zähle unter diesem Materiale 22 Prämolaren, 50 Molaren und 2 Milchzähne des Unter- 
kiefers und 23 Prämolaren, 39 Molaren und 5 Milchzähne des Oberkiefers. 


Obwohl alle hieher gerechneten gleichstelligen Prämolaren und Molaren unter einander 
in der Zusammensetzung sehr genau übereinstimmen, so bestehen doch hinsichtlich ihrer Dimen- 
sionen beträchtliche Differenzen, wesshalb ich lange geneigt war, das Vorhandensein von zwei 
besonderen Speeies anzunehmen, zumal da bei der Scheidung in zwei Gruppen fast gar keine 
Zwischenglieder zum Vorschein kamen. 


Was den Bau der Zähne betrifft, so sind die unteren Molaren jenen des Tragoceros 
amaltheus!) von Pikermi ungemein ähnlich, die oberen weichen insoferne ein wenig ab, als 
sie nur zum kleineren Theil mit einem Basalpfeiler versehen sind, der aber nicht nur an M, 
und M,, sondern auch an M; auftreten kann und auch in Bezug auf Höhe und Stärke be- 
deutenden Schwankungen unterworfen ist. Die Prämolaren sind etwas gedrungener als bei 
Tragoceros amaltheus von Pikermi und der untere P, ist überdies stets complieirter, 
indem der Innenhöcker nach vorwärts und rückwärts zu einer Art Innenwand sich verlängert, 
während P, erheblich verkürzt erscheint. 


Von einer genaueren Beschreibung der einzelnen Zähne glaube ich bei den geringen 
Unterschieden gegenüber dem wohlbekannten Tragoceros amaltheus Abstand nehmen 
zu dürfen. 


Dimensionen: 


Unterkiefer: P, Länge 12,5 mm; . Breite 6,7” mm; Höhe 8 mm; Minimum 


P; n 15 De) D) 8 „9 » I, u; D) 
Pı D) 15,5 „;5 n 8,5 „; »„ 12 9»; 0) 
Mı » 16 9 ” 11 De) ” 14,5 ee) ” 
M; N) 18 De) „r..18 9 2. ‚00,25 D) 
M; D) 25 53 2.128,95 „ 20 29 » 
D; n 20,5 9» ” 9,5 2 ” 8 u) n 
P3 ” 1 3, ö De) ” 7 93 » 10 5 Maximum 
P; 5) 1 6,3 9 ” 9 » 9 » Le » 9 n 
Pı D) 16,5 „; D) 95 „; FIR 1 MORE » 
Mı ” 17 De) „ 12 3 D) ? De) D) 
M, n 20 9 2 mi yD ne „..,19 ») » 
M; : 27 ER: vu lo 2: 21,005 n 


Länge der drei P 43 mm Minimum; 46 mm Maximum 
r NL ER 6 ie 


» 


!) Gaudry. Animaux fossiles de l’Attique. 1862—67, p. 278, pl. XLVII, fig. 4«—7, XLIX—XI. 


143 


Oberkiefer: P, Länge 16 mm; Breite 11,5 mm; Höhe 12 mm; Minimum 


P; D) 14 93 n 86, 49,:5 ven ” 
P, D) 12,5 „; D) 15,5 „; DE 22 » 
Mı 2) 16 5 » 17 5; ale 9 n 
M, D) Ion; ” 18,5 „; On; ” 
M; ” 19 ; D) 19 „9 a 57 9 ” 
D: D) 13,8, ; D) 14,3 „; alt D) 
P; 5 16,80, aD ee sl ; Maximum 
P; » 158,5 „5 D) 18,84; ae ” 
Pı D) 14 5 D) 17 9» „oe IB; 2) 
Mı » ? De) » ? 9» ” ? 9 ” 
Ma D) 2l 9 » 21 9 „18 9 » 
M; ” 20 9» ” 22 9 ” 18 9 » 
D; D) 16 9 D) 15 9» D) en n 


Länge der drei P 43,5 mm Minimum; 46 mm Maximum 
a BE 5.2 0550 a rn gen & in der Mittellinie. 


Zu diesem Tragocerus gehört vermuthlich die Spitze eines rechten Hornzapfens aus 
Schansi, deren Aussenseite mässig concav, und deren Innenseite nahezu eben ist. Vorne stossen 
beide Flächen in einer sehr deutlichen Kante zusammen, hinten ist das Horn gerundet. Die 
Fläche der Innenseite verläuft nicht gerade nach aufwärts, sondern steigt etwas nach vorwärts 
an, so dass sie in der Vorderansicht an den höher gelegenen Partien des Hornzapfens mehr 
zum Vorschein kommt als die Aussenseite. 


Tragoceros spectabilis n. sp. Taf. XII, Fig. 10—13. 


Zur Gattung Tragoceros stelle ich eine Anzahl grosser Antilopenzähne von mässiger 
Höhe, welche jedoch, abgesehen von ihren Dimensionen und der schwachen Ausbildung des 
Basalpfeilers, soferne ein solcher überhaupt vorhanden ist, mit den entsprechenden Zähnen der 
vorigen Art und jenen des Tragoceros amaltheus recht gut übereinstimmen. 

Sie stammen aus den rothen Thonen von Schansi und Sz“tschwan. Vom Unterkiefer 
liegen vor: 3 Mı, einer jedoch von blaugrauer Farbe, wohl aus den rothen Sanden, 3 My, 
5 ganze und 3 fragmentäre M;, von Oberkiefern 2 Fragmente, das eine mit Mı und M,, das 
andere mit PA— M3, 4 isolirte Mı, 6 isolirte My, und 2 isolirte M;, je ein einzelner P,; und 
P, und 2 Milchzähne — D; —. Vielleicht gehören hieher auch einige untere P;, die aber 
‚eher kleiner sind, als jene der vorigen Art, wesshalb ich sie lieber nicht berücksichtigen will. 

Der untere M, besitzt einen gerundeten Talon. Die oberen M haben keine deutlichen 
Sporne in ihren Marken. Die unteren M zeigen abgesehen von der Kleinheit des Basalpfeilers 
— an M; stets fehlend — und den etwas stärker gerundeten Aussenmonden keinerlei Unter- 
schiede gegenüber den beiden genannten Tragocerosarten, dagegen haben die beiden ersten 
Oberkiefermolaren bei stärkerer Abkauung fast regelmässigen quadratischen Querschnitt, was 
zwar häufig bei amaltheus, selten aber bei gregarius vorkommt. Auch sind die Rippen 
und Falten der Aussenseite sehr viel sehwächer entwickelt; ausserdem sind die Innenenden 
der beiden Halbmonde viel weniger verbreitert und verlaufen fast vollkommen parallel gegen 
die Aussenwand, die allerdings nur vom WVorderende des zweiten Halbmondes erreicht wird. 
Zwischen ihnen befindet sich eine langgestreckte Spalte, die aber bald zu einer Insel abgeschnürt 
wird. Basalpfeiler fehlen in der Regel an den oberen Molaren vollständig, doch ist der des 
M;, wenn vorhanden, stärker als der des M,. Die Marken werden in Folge der Abkauung 
der Zahnkrone zuletzt zu einem Uförmigen Spalt. 

Der obere P,, welcher glücklicherweise bei einem Kieferfragment noch mit M, und M, 
verbunden ist, unterscheidet sich wesentlich sowohl von dem bei gregarius, als auch von 
dem bei amaltheus, indem er verhältnissmässig viel länger aber schmäler ist als bei diesen 
beiden Arten. Aus diesem Grunde wird es wahrscheinlich, dass auch ein ziemlich kurzer 


144 


oberer P, und die erwähnten unteren P; doch hieher gestellt werden dürfen, obwohl sie viel 
gedrungener sind als bei gregarius und amaltheus. 

Der obere Milehzahn — D,; — besitzt viel kräftigere Rippen und Falten als die Molaren, 
was jedoch bei Milchzähnen von Selenodonten sehr oft vorkommt. Dagegen ist der Verlauf 
der Innenenden der Halbmonde der nämliche wie an den Molaren. 


Dimensionen: 


Unterer Ps? Länge 15 mm; Breite 9 mm; Höhe 7 mm; 
> Mı r 19 u 5 14 pe ls „ ; ziemlich frisch 
a Ma. men an ai Re EN ee er er Fe 
s M3 5 28 ansle a 13 as 19) „5; frisch 
Länge der drei unteren M 67 mm; Höhe des Kiefers hinter M; 44 mm 
Oberer P, Länge 14,5 mm; Breite 15,5 mm; Höhe 13,5 mm; frisch 


m P, D) 19.9 5; D) 17 na D) 85 „;alt 

” Mı „ 18 29 ” 21,5 93 n 12 NEON, 

” Ma ” 22 9 » 24 De) » 14 »I3n 

n M; e 24 SS = 23 ER: 2a knisch 
n Dı D) 19 5 » 17 9 „ 15 9 


Länge der drei oberen M 63 mm in der Mittellinie 
4 „ oberen Zahnreihe 105? mm 


Das Thier hatte demnach etwa die Dimensionen eines kleinen Rindes. 

Die Prämolaren waren anscheinend einer Reduction unterworfen, eine Erscheinung, die 
bei den Antilopen ohnehin nicht allzu selten ist. Dies sowie die Existenz von mindestens 
drei Arten der Gattung Tragoceros scheint fast dafür zu sprechen, dass dieselbe keine Nach- 
kommen hinterlassen hat. 


Unter den recenten Cavicorniern hat Anoa im Zahnbau eine gewisse Aehnlichkeit, 
wenigstens im Umriss der oberen Molaren und in der Dicke der Aussenhöcker. Die Anwesenheit 
von Cement würde kein Hinderniss für die Annahme einer Verwandschaft zwischen beiden 
Gattungen sein, ebensowenig die Reduetion der unteren Prämolaren. Ausserdem stellt auch 
Anoa einen ganz isolirten Typus dar, der sicher keine näheren Beziehungen zu den Bovinen 
hat. Allein gegen die Annahme genetischer Beziehungen zwischen Tragoceros und Anoa 


erheben sich starke Bedenken, insoferne die Hornzapfen bei beiden doch wesentlich verschieden 
gestaltet sind. 


Die Grösse der Hornzapfen von Tragoceros im Verhältniss zu der Grösse des Thieres 
und namentlich ihr starkes Variiren dürften wohl eine weitere Stütze sein für die Ansicht, 
dass wir es hier mil einem frühzeitig differenzirten, aber vollkommen erloschenen Typus zu 
thun haben. Rütimeyer!) ist zwar geneigt, von Tragoceros die lebende Gattung Hippo- 
tragus (Aegoceros) abzuleiten, allein ich kann mir nicht denken, dass aus dem stark com- 
primirten und noch dazu oft gedrehten Hornzapfen von Tragoceros ein Horn von kreisrundem 
Querschnitt wie das von Hippotragus entstehen sollte. 


Tragocerus? sylvaticos n. sp. Taf. XII, Fig. 21, 22, 28. 


Grösseres Interesse verdienen einige Zähne von dunkelgrauer Farbe, weil sie aus den 
röthlichgrauen Sandsteinen stammen, welche auch die zahlreichen Ueberreste der Cerviden 
geliefert haben. Wir dürfen daher den Schluss ziehen, dass sie von einer stattlichen Antilope 
herrühren, welche im Gegensatz zu der grossen Mehrzahl der übrigen fossilen Antilopen 
Chinas nicht trockene Steppen, sondern wasserreiche Waldgebiete bewohnt hat. 


!) Die Rinder der Tertiär-Epoche. Abhandlungen der schweizerischen paläontolog. Gesellschaft, 
1877, 18, D. 80. 


145 


Es liegen hievon vor: je ein unterer P, und P,(?), je zwei untere Mı nnd M,, zwei 
untere M;, zwei obere M, und ein an seiner Aussenseite stark beschädigter M,. Als Fundort 
ist Tientsin angegeben, einer stammt aus J’tschang. Pa sieht dem entsprechenden Zahn von 
Tragocerus gregarius sehr ähnlich, P, dagegen bildet durch Verwachsung des Innenhöckers 
mit der ersten Coulisse und dem eingebogenen Hinterrande eine Innenwand ähnlich wie bei 
Strepsiceros praecursor, die hintere Coulisse ist dafür sehr kurz. Ich stelle diesen P, 
nur desshalb hieher, weil mir keine andere Art aus den sandigen Schichten bekannt ist, bei 
weleher ich ihn sonst unterbringen könnte. Die unteren M stimmen, abgesehen von ihrer 
beträchtlichen Grösse, ganz mit jenen von Tragocerus spectabilis überein. Nur M, und 
M, besitzen einen sehr niedrigen Basalpfeiler, die Innenfalten sind sehr schwach entwickelt. 
An zwei unteren Molaren sind auch innere Basalpfeiler zu beobachten wie an dem Gaudry’schen 
Originale von T. amaltheus. Die oberen Molaren gleichen ebenfalls jenen von T. speeta- 
bilis, jedoch fehlt der Sporn in der zweiten Marke und der Basalpfeiler ist nur durch einen 
winzigen Zapfen repräsentirt. Die Oberfläche aller dieser Zähne zeigt auch hier wie bei dem 
genannten Tragocerus ziemlich starke Runzelung. 

Dimensionen: 


Unterkiefer: P, Länge 14 mm; Breite 8,3 mm; Höhe 11,8 mm 
la ” 16,5 5; » 10,820, „indian 


”» 


M, R 22 ai ke stehn Were al) FB-nalter 

M; b) 25 9 ” 14 9 ” 22 » 

M; n 30 De) » 15 „9 D) 22,5 ” 
Oberkiefer: My, Länge 23,5 mm; Breite 23,5 mm; Höhe 14 mm; alt 

M; D) Ar ” 23 5 2 D) 


Die Genusbestimmung bleibt vorläufig eine durchaus unsichere, ich führe diese Zähne nur 
desshalb als solche von Tragocerus auf, weil sie sich an jene von Tragocerus spectabilis 
noch am ehesten anreihen lassen. Es wäre sehr wünschenswerth, diese Art genauer kennen 
zu lernen, namentlich werthvoll wäre es zu erfahren, wie ihre Hörner beschaffen waren. Dem 
Zahnbau nach könnte sie sich vielleicht als Stammvater des Palaeoryx boodon Gerv. von 
Roussillon erweisen, wenigstens unterscheidet sich ein mir vorliegender oberer Molar dieser 
Antilope nur durch seine Grösse, durch seinen kräftigeren Basalpfeiler und die Anwesenheit 
eines schwachen Sporns in seiner zweiten Marke. 

Ich erwähne hier ausserdem zwei untere Molaren, M, und M,. ebenfalls von Tientsin, 
welche den oben beschriebenen sehr ähnlich sind, aber nicht bloss auf der Aussenseite sondern 
auch auf der Innenseite mit einem Basalpfeiler versehen sind, von denen der letztere freilich 
schwächer ist als der erstere. 


? Tragocerus Kokeni n. sp. Taf. XII, Fig. 14—19. 


Nur durch isolirte, Tragocerus ähnliche Zähne, vertreten. Unterer P, mit vorgeschobenem 
Innenhöcker und tiefer verticaler Rinne auf Aussenseite hinter dem Haupthöcker; oberer P, 
gestreckt, fast länger als breit, oberer P; gerundet dreieckig, ebenfalls mit vollständigem Innen- 
mond und mit Sporn in der Marke, untere M sehr einfach gebaut, etwas höher als lang, obere 
länger als hoch, Innenenden der Halbmonde der oberen M geradlinig und parallel verlaufend, 
durch schmalen Spalt von einander getrennt, nur hintere Marke mit schwachem Sporn versehen. 
Rippen auf Aussenseite der oberen und Innenseite der unteren M sehr schwach, ebenso die 
Rand- und‘Mittelfalte der oberen und die Innenfalte am Vorderrand der unteren M; schwacher 
Basalpfeiler nur an Mı und My, vorhanden. Zahnoberfläche nur mit schwachen Runzeln versehen. 

Ich habe die Hauptmerkmale dieser Zähne in Form einer Diagnose zusammengestellt, 
weil die Wahrscheinlichkeit ziemlich gross ist, dass wir es mit einer besonderen Gattung zu 
thun haben, die allerdings viele Anklänge an die beiden ächten chinesischen Tragocerusarten 
aufweist. 

An Tragocerus gregarius erinnert die Stellung des Innenhöckers und die Einbuchtung 
der Aussenseite des unteren P,, an Tragocerus spectabilis die schwache Entwiekelung der 

Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 19 


146 


Aussensculptur — Rippen und Falten — der oberen Molaren, sowie der Verlauf der Innen- 
enden der Halbmonde an diesen Zähnen, und ebenso die schwache Ausbildung der Basalhöcker. 
Aber Tr. speetabilis ist nicht nur grösser, sondern unterscheidet sich auch durch die rauhe 
Oberfläche aller Zähne und den primitiveren Bau der Prämolaren. Tragocerus gregarius 
hingegen hat complieirtere untere Prämolaren und starke Falten und Rippen an der Aussenseite 
der oberen und der Innenseite der unteren Molaren. 

Beide Arten entfernen sich gerade durch jene Merkmale, welche sie mit der vorliegenden 
Art gemein haben, von der typischen Tragocerusspecies, dem Tragocerus amaltheus; 
die vorliegende Art weicht demnach von diesem so vollständig ab, dass die Charakteristik der 
Zähne von amaltheus nur soweit für sie Giltigkeit hat, als es eben gleichfalls primitive 
Antilopenzähne sind. 

Die Aufstellung eines besonderen Genus wird sich demnach, wenn einmal mehr von dieser 
Art bekannt sein wird, schwerlich umgehen lassen. 

Die vorliegende Art basirt auf folgenden Zähnen: 2 isolirte Pa, 1 Mı, 4M; und 2 Milch- 
zähne, D, von Unterkiefern, einem Oberkieferfragment mit P4 und M,, 3 isolirten oberen 
Molaren — Mı, M, und M; — einem noch im Kiefer steckenden M,; und 2 oberen Milch- 
zähnen, D; und D4. Diese Zähne haben sämmtlich eine lichtgraue Farbe, das Zahnbein sowie 
Kieferreste sind weiss gefärbt; das Gestein ist theils der rothe Thon wie an den weissen oder 
gelben Zähnen aus Schansi und Sz’tschwan, theils aber auch ein erhärteter grauer oder rother, 
nur schwach sandiger Mergel. Es ist mithin der nämliche Erhaltungszustand, welchen auch 
die übrigen Zähne der vierten Sendung des Herrn Dr. Haberer aufweisen, soweit sie ebenfalls 
mit der Fundortsangabe Tientsin versehen sind. 

Die wichtigeren Merkmale dieser Zähne wurden bereits oben angeführt, wesshalb ich mich 
hier auf die Angabe der Dimensionen beschränken kann. Die unteren Milchzähne haben je 
zwei Basalpfeiler. 

Dimensionen: 

Unterkiefer: P, Länge 14,3mm; Breite 9,3 mm; Höhe 14,3 mm 
Me eo arte s RO: „ 16,5 „ ; mittl. Alter, 22 mmfrisch 
D; n 20 es 5 9 Sn ld frisch 
. Länge der drei unteren M circa 60 mm 
Oberkiefer: P, Länge 12 mm; Breite 13,5 mm; Höhe 11 mm; alt 


Mı “ Sn WB: m ar ee 
Mar Pe a tr LIE RR „ 145 „; mässig abgekaut 
M; 2) 22 5 „19,8 45 „hal „ ;. mehr » 
D; » 16 9 » 13 De) „ 8 ) 
Dı A 15 Br: 6 en ee 
Länge der drei oberen M 54 mm in der Mittellinie gemessen 
“ „ oberen Zahnreihe eirca 85? mm 


Schon durch die Dimensionen, worin sie nur dem Tragocerus gregarius an die Seite 
gestellt werden kann, wird die Berechtigung dieser Species vollkommen sicher begründet. 

Ein oberer M;, im Kiefer steckend mit 20 mm Länge und 16 mm Breite dürfte fast 
etwas zu klein sein für diese Art, jedoch existirt keine weitere Species, bei welcher er sonst 
‚untergebracht werden könnte. 

Unter den lebenden Antilopen kenne ich keine, welche sich auf diese Art zurück- 
führen liesse. 


Plesiaddax Depereti n. g. n. sp. Taf. XH, Fig. 20, 23—27. 


Unter dieser Bezeichnung fasse ich eine Anzahl Zähne mit lichtgelbem Schmelz und rein- 
. weissem Dentin zusammen, welche aus den rothen Thonen von Schansi stammen und in ihrem 
Bau gewisse Anklänge an die lebende afrikanische Gattung Addax erkennen lassen, wenn es 
mir auch durchaus ferne liegt, direete genetische Beziehung zwischen Addax und dieser fossilen 
Form anzunehmen. 


147 


Ich rechne zu dieser Art 5 isolirte Prämolaren und 5 Molaren des Unterkiefers nebst 
2 Unterkieferfragmenten mit je ein und einem halben Molaren, 4 isolirte Prämolaren und 
8 Molaren nebst einem Milchzahn des Oberkiefers und ein Oberkieferfragment mit P; und M, und M.. 

Die Zähne waren frisch vermuthlich nur um ein Geringes höher als lang. Sie sind mit 
ziemlich groben Runzeln an ihrer Oberfläche und überdies mit Cement versehen. 

Unterkiefer. Prämolaren. Der Oberrand dieser Zähne bildet in frischem Zustande 
eine scharfe Schneide, Py ist ziemlich lang und mit zwei Coulissen versehen, von denen die 
vordere den Innenhöcker vertritt, P3 unterscheidet sich von Py durch seine Grösse und die 
Anwesenheit einer Vordercoulisse, welche an P, viel stärker ausgebildet ist. Ausserdem trägt 
dieser Zahn einen etwas zurückgeschobenen hohen Innenhöcker, der bei der Abkauung mit 
der mittleren und hinteren Coulisse verschmilzt. Die Aussenseite der Prämolaren ist hinter 
dem Hauptzaken nur ganz wenig ausgefurcht. 

Molaren. An diesen Zähnen macht sich die grobe Runzelung des Schmelzes besonders 
bemerkbar. Die beiden Falten an der Innenseite, nur am Vorder- und Hinterrande vorhanden, 
sind ziemlich massiv. Zwischen den beiden Innenhöckern verläuft eine breite, aber nicht sehr 
tiefe verticale Rinne. Die Falte an der Vorderaussenecke ist sehr schwach, der Basalpfeiler 
sehr kurz und dünn, an M; scheint er ganz zu fehlen, während er an M; stärker ist als an Mı. 

Oberkiefer. Prämolaren. P; besitzt eine Art Innenmond, welcher nach vorne zu etwas 
zusammengeschnürt erscheint. Die Rippe des Haupthöckers ist bedeutend stärker als an P,, 
wo sie viel weniger hervortritt als die beiden Randfalten der Aussenseite. Der Innenmond des 
P, trägt einen kräftigen Sporn. Gleich den P des Unterkiefers sind auch die des Oberkiefers 
noch sehr primitiv, aber doch im Verhältniss etwas kürzer als solche von Cerviden. 

Molaren. Die Breite dieser Zähne ist erheblich geringer als ihre Länge. Der zweite 
Innenmond hat an seiner Innenseite eine Zusammendrückung erlitten, so dass er an seiner 
Hinterseite eine deutliche Kante entwickelt. Von den drei Falten der Aussenwand ist die vordere 
sehr viel dieker als die mittlere und diese schärfer aber schwächer als die hintere. Die 
Vertiealrippe des ersten Aussenhöckers ist sehr kräftig, die des zweiten kaum angedeutet. 
Basalpfeiler scheinen auf die beiden ersten Molaren beschränkt zu sein und zwar ist der des 
M3 stärker als jener des Mı. Die zweite Marke besitzt einen kräftigen Sporn an ihrer Rückwand, 
in der ersten Marke wird derselbe gewissermaassen durch eine Biegung oder Verästelung des 
Hinterendes des ersten Halbmondes ersetzt. Der zweite Halbmond verbindet sich etwas früher 
mit der Aussenwand als der erste. Zwischen den Enden dieser beiden Monde befindet sich 
eine grosse ovale Schmelzinsel, zuweilen auch noch eine zweite, sehr kleine nahe der Aussenwand. 

Der obere Milchzahn — D,; — unterscheidet sich von den Molaren ausser durch seine 
Kleinheit auch durch die kräftige Entwickelung der Falten und Rippen seiner Aussenwand, 
eine Abweichung, die bei Selenodonten sehr häufig vorkommt, sowie durch die geringe Dicke 
seiner Schmelzdecke. 


Dimensionen: 

Unterkiefer: P, Länge 14 mm; Breite 8 mm; Höhe 11 mm; 
P; n 17 9 5) 9 De en 
Pı » 16 3 „ 10 he a 
Mı n We e Tas ehe BEN PA: 
M; » 24 3 D) 10,20, ; Ya ae 
M; » 30,5 „5; D) 15 DEE) ee) 


» 
s Länge der drei unteren P circa 46 mm; Länge der drei M 72 mm 

Oberkiefer: P, Länge 18 mm; Breite 16 mm; Höhe 16 mm; 
P; > 14 08: E alloy aLE ES Selor  frisch’” 19"mm 
Mı 5; PAUSE EIER 5 Mg SEn at: ; 
M; ” 28 9 ” 24. » 5; » 21 5 
M; n 26er: 5 DNB: ; fast frisch 
D; n 19,5 9 n 16 De) n 17 "9 

Länge der drei oberen P 45? mm; Länge der drei M in der Mittellinie 66 mm 

192 


148 


Ich vergleiche diese Zähne mit jenen der lebenden Gattung Addax, weil auch bei dieser 
der Basalpfeiler gerade am zweiten Molaren am stärksten ist und die Innenenden der beiden 
Halbmonde sehr weit auseinander rücken und überdies auch nur die hintere Marke der oberen 
Molaren mit einem Sporne versehen ist. Dagegen sind die Basalpfeiler bei Addax viel kräftiger 
und ebenso auch die Rippen der Aussenhöcker der oberen Molaren, auch tragen die unteren 
Molaren an der Vorderaussenkante eine sehr kräftige Falte.e Sehr bedeutend ist ausserdem die 
Differenz in der Höhe der Zahnkronen; bei Addax haben selbst die Prämolaren sehr ansehnliche 
Höhe. Alle diese Abweichungen wären jedoch kein Hinderniss für den direeten genetischen 
Zusammenhang zwischen beiden Formen, denn sie erweisen sich lediglich als eine Folge weiter 
vorgeschrittener Entwiekelung. Einzig und allein der Umstand, dass die oberen Prämolaren 
von Addax keinen Sporn besitzen und somit primitiver sind, spricht allenfalls gegen die directe 
Verwandtschaft. 

Viel geringer ist die Aehnlichkeit mit den Zähnen von Hippotragus. Sie beschränkt 
sich auf die Form des Querschnittes der oberen M — ebenfalls ein regelmässiges Trapez, 
dessen Aussenseite grösser ist als die Vorder-, Innen- und Rückenseite — und auf die Art und 
Weise, wie die Innenden der beiden Halbmonde mit einander zusammentreffen und auf die 
Anwesenheit einer runden Insel im Centrum der oberen Molaren. j 

Unter den bisher bekannten fossilen Antilopen wüsste ich keine zu nennen, welche mit 
dieser neuen Form besondere Aehnlichkeit hätte. Die etwaigen Anklänge finden sich auch 
sonst überall wieder und beweisen nur das Eine, dass die Stammform der verschiedenen 
Gattungen, Tragocerus, Palaeoryx, Palaeoreas nicht sehr weit zurückliegen kann und 
einen sehr indifferenten Zahnbau besessen haben muss. 

Dagegen kommen zwei chinesische Formen wesentlich näher, nämlich Pseudobos sinensis 
und gracilidens, wenigstens in der Beschaffenheit der oberen Molaren, namentlich in dem 
Verlauf der Innenenden der Halbmonde, in der eigenthümlichen Compression des zweiten Halb- 
mondes und in der Form des Querschnittes dieser Zähne — trapezoidal und zwar Aussenseite 
wesentlich länger als Innenseite —. Freilich unterscheiden sie sich wieder sehr beträchtlich 
durch ihre sehr viel höheren Kronen, — die unteren Molaren ausserdem auch durch ihre viel 
geringere Breite — und, was allerdings weniger von Belang sein dürfte, auch durch das 
vollständige Fehlen von ’Basalpfeilern. Ein direeter genetischer Zusammenhang zwischen der 
fast noch brachyodonten Gattung Plesiaddax und den hypselodonten Gattungen Pseudobos 
und Bucapra ist natürlich schon desshalb ausgeschlossen, weil sie sämmtlich aller Wahrschein- 
lichkeit nach das gleiche geologische Alter besitzen, aber gleichwohl sind wir zu der Annahme 
einer gemeinsamen Stammform berechtigt; zwischen die jedoch in beiden Seitenlinien noch 
mindestens ein bis jetzt noch nicht beobachtetes Zwischenglied eingeschaltet werden müsste. 

Auch die im Folgenden zu besprechende neue Gattung Paraboselaphus hat entfernte 
Beziehungen zu Plesiaddax, ja sie kommt ihr insoferne sogar näher als die Gattungen 
Pseudobos und Bucapra, als ihre Zähne ebenfalls mit dickem und rauhem Schmelz 
bedeckt sind. 

Auch im europäischen Tertiär-Bohnerz von Melchingen und Salmendingen existirt eine 
Antilope, Jaegeri Rütimeyer,t!) welche vermuthlich auf die nämliche Stammform zurück- 
gehen dürfte wie die genannten Gattungen aus China resp. Indien. 


Strepsiceros praecursor n. Sp. Taf. XII, Fig. 1-7. 


Zu dieser Gattung stelle ich eine ansehnliche Menge grosser Antilopenzähne, welche 
sich von solchen der typischen Species Strepsiceros Kudu oder capensis von Ost- und 
Südafrika nur in unwesentlichen Merkmalen unterscheiden, so dass die Aufstellung eines beson- 
deren Genus wenigstens vorläufig nicht angezeigt erscheint. 

Mit Ausnahme eines Oberkieferfragmentes, für welches als Fundort Tientsin angegeben 


{) Beiträge zur Kenntniss der Säugethierreste aus den süddeutschen Bohnerzen. Geologische und 
paläontologische Abhandlungen. Neue Folge, V. Bd., 1902, p. 88, Taf. IV, (IX), Fig. 28, 33, 35. 


149 


ist, stammen alle diese Zähne aus Schansi und Sz’tschwan. Sie haben schwachgelblich gefärbten 
Schmelz und reinweisses Dentin, nur an dem erwähnten Oberkieferfragment ist der Schmelz 
graublau gefärbt. Das anhaftende Gestein ist ein ziegelrother Thon. 

Es liegen mir vor 6 Prämolaren, 9 Molaren und 2 Milchzähne des Unterkiefers, je 
1 Unterkieferfragment mit dem letzten Milchzahn und dem ersten Molaren, und mit den 
Alveolen des vorletzten Milchzahnes und dem vollständigen letzten Milchzahn, 8 Prämolaren, 
11 Molaren und 1 Milchzahn des Oberkiefers und ein Kieferstück mit dem oberen P, und 
3 Molaren — M, und M;. 

Bei frischen Zähnen ist Höhe und Länge annähernd gleich, was auch bei der lebenden 
Gattung Strepsiceros der Fall zu sein scheint. Wie bei dieser finden wir auch hier. an den 
Molaren die scharfeckigen V förmigen Halbmonde, die massiven Rand- und Mittelfalten der 
oberen Molaren und die ziemlich primitiven, Cervidenähnlichen Prämolaren, sowie die starke 
Runzelung des Schmelzes. Als Unterschiede müssen jedoch hervorgehoben werden die An- 
wesenheit hoher Basalpfeiler an den unteren Molaren, die stärkere Entwickelung der Vertical- 
rippen an den Aussenhöckern der oberen und den Innenhöckern der unteren Molaren und die 
bedeutendere Streckung der oberen P, und P;, sowie die Anwesenheit von je einem kleinen 
Sporn an den oberen Prämolaren. Am oberen M; ist in der Regel, an M,; nur ausnahmsweise 
ein kleiner Basalpfeiler vorhanden. Die Innenenden der Halbmonde der oberen M verlaufen 
parallel zu einander und sind durch einen langen schmalen Spalt getrennt. In der zweiten 
Marke bemerkt man einen kurzen Sporn, parallel zum Innenende des entsprechenden Halbmondes. 

An den unteren Prämolaren bildet der Innenhöcker sehr bald eine Innenwand, indem er 
in Folge der Abkauung mit der Vordercoulisse verschmilzt. 

Die hintersten Milchzähne entsprechen im Ganzen dem oberen M,, resp. ein und einem 
halben unteren M, der untere D; hat im Wesentlichen die Zusammensetzung eines P,, also 
zwei Coulissen und einen comprimirten, nach vorwärts verlängerten Innenhöcker. 


Dimensionen: 
Unterkiefer: P, Länge 17,5 mm; Breite 12 mm; Höhe 13,5 mm 


? 
Mı 5) Baar 3 D) 14,55; „19? 
M, D] 25 ”; ” 15,5 9 ” 25 » 
M; D) 30 De) » 15,5 „; we D) 
D; er I9royr. =; 3 de tee BEL: 
D; » 22,8 m; „ 11,8,; Dan, 
Länge der drei unteren Molaren 76 mm 
5 „ unteren Zahnreihe 122? „ 
n „ drei Milchzähne 53? „ 
Oberkiefer: Py Länge 15,5 mm; Breite 13 mm; Höhe 13 mm 
P; 2 IS; s 1399; ; „ amlköypel. 4 
Pı ” 15,5 9 ”» 20 9 ” NER » 
Mı ” 24 5 „ 22 E) ” 24? ” 
M; ” 28 „3 ” 25 u) ” 28 ” 
M; 5 27 BR Fr 24,5 „; 295,2: Maximum 
D, A 20 a: © Issum; rin n 
Länge der drei oberen P 47 mm 
\ ” nat, EM 70 „ in der Mittellinie gemessen 
3 „ oberen Zahnreihe 115? , 


Ich war Anfangs geneigt, diese Zähne zur Gattung Oreas zu stellen, weil sie denen von 
Oreas latidens Lydekker!) aus den Siwalik recht ähnlich sehen und auch wie diese 
wenigstens zum Theil mit einem, allerdings viel niedrigeren Basalpfeiler versehen sind, der 


1) Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol. III, Part II, 
1884, p.7 (111), pl. XIII, fig. 12, 13. 


150 


nach Angabe Lydekker’s bei Strepsiceros niemals vorkommt. Auch hat bei dieser Gattung 
der obere P, keine Mittelrippe, wie das hier der Fall ist. 

Allein die geringe Höhe der Kronen spricht doch entschieden gegen die Bestimmung als 
Oreas, wo selbst der obere Py fast doppelt so hoch als lang ist, nicht minder auch die 
beträchtliche Breite der oberen Molaren. Auf die Anwesenheit der Rippe auf dem oberen P; 
und auf das gelegentliche Vorkommen von Basalpfeilern an den oberen Molaren möchte ich 
kein besonderes Gewicht legen, dagegen wäre die Anwesenheit der kräftigen Basalpfeiler an 
den unteren Molaren eher ein Grund, für diese Zähne ein besonderes Genus zu errichten, da 
sie sich doch nicht gut bei Oreas unterbringen lassen, und die pliocäne Gattung Palaeoryx 
wegen der geringen Höhe ihrer Oberkiefermolaren und ihrer ganz anders gebauten, viel primi- 
tiveren Prämolaren ohnehin nieht weiter in Betracht kommt. 

Da die Gattung Strepsieeros übrigens auch bereits in den $Siwalik einen Vertreter, 
St. palaeindieus Lydekker besitzt, so besteht kein Hinderniss, sie auch in den ungefähr 
gleichaltrigen Ablagerungen Chinas zu suchen. Von diesem St. palaeindieus ist zwar der 
Schädel bekannt, allein die Zähne wurden weder genauer beschrieben, noch auch in natürlicher 
Grösse abgebildet. Aus der verkleinerten Abbildung der Seitenansicht des Schädels, welche 
die Oberkiefermolaren von der Aussenseite zeigt, geht jedoch hervor, dass diese Art jedenfalls 
bedeutend kleiner war als die chinesische, denn M}—M; messen bei palaeindicus an der 
Aussenseite nur etwa 63 mm, hier aber weit über 70 mm, so dass also von einer speeifischen 
Identität kaum die Rede sein kann. 

Strepsieceros, Oreas und Palaeoryx, welch letzterer mit Oryx sicher nicht näher 
verwandt ist, wie man aus dem Namen schliessen könnte, haben jedenfalls einen gemeinsamen 
Vorfahren. Allen ist die geringe oder doch verhältnissmässig nicht bedeutende Höhe der Krone 
und die primitive Zusammensetzung der Prämolaren und Molaren eigen, die noch lebhaft an 
den Zahnbau der Hirsche erinnert. Dagegen steht die Gattung Boselaphus, welche mit 
Strepsiceros und Oreas (Taurotragus) in eine Gruppe vereinigt wird, jedenfalls nur in 
sehr entfernten verwandtschaftlichen Beziehungen zu diesen wie schon der ganz an die Bovinen 
gemahnende Bau der Prämolaren zeigt. 

Unter den genannten drei Gattungen ist Palaeoryx jedenfalls die ursprünglichste. Ich 
möchte in ihr sogar den direeten Ahnen von Taurotragus (Oreas) vermuthen, wenn nicht 
der wesentlich verschiedene Bau der Hörner gegen diese Annahme sprechen würde. In dieser 
Hinsicht kommt eben doch die Gattung Palaeoreas viel eher als Ahne von Taurotragus in 
Betracht. Uebrigens dürfte auch der Vorläufer von Palaeoreas mit dem von Palaeoryx 
sehr nahe verwandt gewesen sein. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass alle diese Gattungen 
auf Antilope sansaniensis!) von Sansan oder doch auf eine sehr ähnliche Form zurück- 
gehen. Die Zähne von Palaeoreas, Palaeoryx, Strepsiceros und Taurotragus lassen 
sich ganz ungezwungen von jenen der Antilope sansaniensis ableiten. Als Urtypus der 
Hörner eignet sich dagegen etwas besser das Horn von Antilope celavata,?) ebenfalls aus 
Sansan, denn das Horn von sansaniensis krümmt sich mit der Spitze etwas nach vorwärts, 
so dass die vordere Contour, von der Seite gesehen, concav erscheint, während bei jenen 
Gattungen die Concavität eher auf die hintere Seite trifft. 


Strepsiceros annectens n. Sp. Taf. XIII, Fig. 8-11, 13. 


Ich bezeichne mit obigem Namen die Zähne einer ziemlich grossen Antilope aus China, 
weil dieselben Merkmale der vorigen Art mit solehen der lebenden Species Strepsiceros 
Kudu sowie mit solchen des lebenden Taurotragus (Oreas) Livingstonei in sich vereinigen. 

Die Zähne haben eine hellgraubraune bis blaugraue Farbe aber weisses Dentin, das 
anhaftende Gestein ist ein rother Thon wie bei den Zähnen aus Schansi und Sz“tschwan, jedoch 


1) Filhol. Mammiferes de Sansan. Annales des sciences geologique. 1891, Tome XXI, p. 289, 
pl. 40, fig. 1-2, pl. 43, fig. 11. 3 
2) Ibidem, p. 291, pl. XXXIX, fig. 1-6, pl. XLI, fig. 12, pl. XL, fig. 3. 


151 


war als Fundort Tientsin angegeben. Sie gelangten zum grössten Theil mit der vierten, von 
Herrn Dr. Haberer in Peking erworbenen Sendung in das hiesige Museum. 

Die Art ist vertreten durch 2 Prämolaren und 6 Molaren des Unterkiefers, 4 Prämolaren, 
9 Molaren und 2 Milchzähne des Oberkiefers, von denen die beiden Milchzähne sowie ein P, 
und Mı noch in Kieferfragmenten stecken. Ob die erwähnten Milchzähne zu dieser oder zur 
vorigen Art gehören, lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit entscheiden. 


Unterkiefer. P; und P, besitzen hier je eine vordere und eine hintere Coulisse, und 
einen grossen, nur mit dem Haupthöcker in Verbindung tretenden Innenhöcker. Die Molaren 
haben vorne, hinten und in der Mitte je eine kräftige Innenfalte und mit Ausnahme des M; 
am Vorderrande eine Aussenfalte. Der Basalpfeiler ist an M, und M» doppelt und ziemlich 
hoch, an M; aber einfach und niedrig. Bemerkenswerth erscheint die tiefe breite Verticalrinne 
in Mitte der Innenwand. Die P sind auch hier im Verhältniss zu den M ziemlich klein. Die 
Höhe ist der Länge annähernd gleich. M; hat einen kleinen gerundeten dritten Lobus. 

Dimensionen: 


P; Länge 15 mm; Breite 10 mm; Höhe 8?mm 


Pı ” 18 De) ” 10,8 53 ” 147 ” 
Mı ” 21 5 ” 14 „9 » 16? » 
M, ” 22,5 9 ” 14 ”) „ 17? b} 
M; ” 30 De) ” 14 9 er 
Länge der drei P 41 mm 
» » 5) M 77 D) 
5 „ unteren Zahnreihe 115? ,„ 


Oberkiefer. An den P und M sind die Aussenfalten sehr kräftig entwickelt, dagegen 
ist die Verticalrippe des ersten Aussenhöckers in der Regel nur mässig, und die am zweiten 
Aussenhöcker nur schwach oder gar nicht ausgebildet. P, ist dem P, ähnlich, aber gedrungener, 
und P, breiter als lang. Sie besitzen je einen schwachen Sporn. Ein solcher befindet sich 
auch in der hinteren Marke der Molaren. Das Hinterende des vorderen Innenmondes steht 
weit ab von der Mitte der Aussenwand, dägegen rückt das Vorderende des hinteren Mondes 
sehr nahe an den ersten Aussenhöcker heran. In der Mitte der Kaufläche befindet sich eine 
längliche Insel, welche sich jedoch auch theilen kann. Basalpfeiler fehlen an den oberen M 
vollständig. Die Molaren sind oben bedeutend schmäler als an ihrer Basis, aber selbst in 
frischem Zustande nicht viel höher als lang, An dem oberen vorletzten Milchzahn — D; — 
sind wie bei den meisten Antilopen die beiden Innenmonde nicht sehr scharf von einander 
getrennt. 


Dimensionen: 
P, Länge 15,5 mm; Breite 10?mm; Höhe 11? mm 
P; » 15,5 DE) ” 13,5 De) ” 14 » 
Pı e sy er n 1.8, urn ale, 
M, N ale: I Ds .: Zoe tisch 
M3 n 25 er n DIONDETER ll re, 
M; D) 25 9 ” ES BR ee 
D; 5 18 Dans; 5 ler SR 
D; ” 21 9 ) 18 ) 
> Länge der drei P 45 mm 
D) » ” M 66 „ 
R „ oberen Zahnreihe 100 „ in Mittellinie gemessen 


Von der vorigen Art unterscheidet sich diese durch das Freibleiben des Innenhöckers an 
den unteren Prämolaren, durch die breite tiefe Verticalrinne in Mitte der Innenseite der unteren M, 
durch die Schwäche der Verticalrippen an den Aussenhöckern der oberen Molaren und durch 
das Fehlen von Basalpfeilern an diesen Zähnen und ausserdem durch ihre etwas geringeren 
Dimensionen. 


152 


Mit dem lebenden Strepsiceros Kudu hat diese Form den Bau der unteren P gemein. 
Auch im Bau der unteren Molaren besteht ziemlich grosse Aehnlichkeit — Anwesenheit einer 
deutlichen Vertiealrinne in Mitte der Innenseite. An den oberen Molaren sind sowohl bei der 
neuen Art als auch bei Kudu die Rippen an den Aussenhöckern schwach entwickelt, auch 
fehlen bei Beiden Basalpfeiler an den oberen M. Dagegen sind die oberen P von Kudu viel 
breiter und die Innenenden der Halbmonde der oberen M drängen sich viel mehr zusammen. 
Ueberdies haben auch die unteren M von Kudu mit Ausnahme des ersten keinen Basalpfeiler. 


Taurotragus weist zwar einen sehr ähnlichen Bau der oberen P auf, auch nehmen die 
Innenenden der Halbmonde der oberen M gleichfalls einen sehr grossen Raum ein, aber die 
Verticalrippen der Aussenhöcker sind stärker entwickelt und der Innenhöcker des unteren P, 
bildet eine nach rückwärts verlaufende Innenwand. Auch fehlt an allen unteren M der Basal- 
pfeiler und die oberen M sind mehr in die Länge gezogen. 

Es besteht also doch grössere Aehnlichkeit mit Strepsiceros Kudu. Das Fehlen von 
Basalpfeilern an den M, die Dieke der oberen P, und die schwache Ausbildung der Vertical- 
rippen an den oberen M dürfen wohl unbedenklich als Speeialisirung aufgefasst werden. Dagegen 
könnte die Beschaffenheit der Innenenden der Halbmonde doch vielleicht ein primitiver Zustand 
sein und in diesem Falle wäre ein direeter genetischer Zusammenhang zwischen annectens 
und Kudu vermuthlich ausgeschlossen. 


Taurotragus kann nicht wohl von diesem Strepsiceros abstammen, er hat höchstens 
die Stammform mit ihm gemein. Das Nämliche gilt jedenfalls auch für Palaeoryx Pallasi, 
welcher sich schon durch den Bau seiner P wesentlich unterscheidet und sich offenbar schon 
früher von der Hauptlinie abgezweigt haben muss. 


Paraboselaphus Ameghinoi n. g. n. sp. Taf. XIII, Fig. 12, 14—16. 


Ganz ausserordentliche Schwierigkeit bietet die Bestimmung einer Anzahl grosser Molaren 
aus den rothen Thonen. von Schansi, zum Theil allerdings mit der Fundortsangabe Tientsin 
versehen, indem sie nach allen möglichen Richtungen hin Beziehungen aufweisen, ohne dass 
es möglich wäre, sie mit irgend einer bekannten Gattung zu identifieiren. Ich schlage daher 
als provisorischen Namen die Bezeichnung Paraboselaphus vor. 


Es sind 8 untere und 3 obere Molaren, die sich durch hohe und im oberen Theil stark 
comprimirte Zahnkronen auszeichnen. Mit Ausnahme eines unteren M, besitzt keiner dieser 
Zähne einen Basalpfeiler.. Die unteren M haben drei mässig stark entwickelte Falten auf der 
Innenseite, in deren Mitte sich auch eine ‘breite, aber sehr seichte Verticalfurche befindet. Die 
Vorderaussenecke trägt bei Mı und M, eine kräftige Verticalleiste, von einer eigentlichen Falte 
kann man kaum sprechen. An M; fehlt diese Verdiekung der Vorderaussenecke. Die Halb- 
monde der unteren M sind stark .in die Länge Baer Die Länge frischer Molaren ist 
wesentlich geringer als ihre Höhe. 


Die oberen M besitzen auf ihrer Aussenseite drei kräftige Falten und zwei Verticalrippen, 
von welchen die des vorderen Aussenhöckers die stärkere ist. Die Innenenden der Halbmonde 
bleiben anscheinend sehr lang vollkommen frei, jenes des zweiten Halbmondes rückt fast ganz 
dicht an den ersten Aussenhöcker. Nur die zweite Marke ist mit einem kurzen Sporn versehen. 
‚ Da diese oberen Molaren oben wesentlich länger als unten, aber zugleich oben schmäler als 
unten sind, sö zeigen sie je nach dem Grad der Abkauung ein sehr verschiedenartiges Aussehen. 
Die Schmelzoberfläche ist namentlich an den unteren M sehr rauh. Die sehr verschiedene 
Grösse der unteren Ma und M, lässt darauf schliessen, dass hier zwei und nicht bloss eine 
Speeies vorliegen, die aber vorläufig nicht wohl getrennt werden können. ‘Der grösste der 
unteren M; besitzt auch einen hohen Basalpfeiler. 


Nur mit Vorbehalt stelle ich hieher ein Fragment des rechten Oberkiefers mit P; —M,. 
Da dieser letztere Zahn fast bis zur Wurzel abgekaut ist, so kann dieses Stück nicht mit 
Sicherheit bestimmt werden. P%, ist hier im Verhältniss sehr schmal, P; dagegen relativ breit . 
und jenem sehr ähnlich. 


153 


Dimensionen der unteren M: 
Au, Der’srösseren: 

M, Länge 25,7 mm; Breite 14,3mm; Höhe 30 mm 

M; 5 32 aan : 15 zes „ 27 „; etwas abgekaut 
B. Der kleineren: 

M, Länge 22,5 mm; Breite 13 mm; Höhe 25 mm 


M; ) 29 9 n 14 53 ” 25 ” 

Oberkieferzähne: 
Mı?Länge 22,3mm; Breite 18,5 mm; Höhe 20 mm; mittleres Stadium der Abkauung 
M, ki 26 ne 2 EINE: A etirsch 

Oberkieferfragment: 


P; Länge 13,3mm; Breite 12 mm 
Pı rare; ; 1345yc; 
M, » 16 De) „ 19,5 ” 
Länge der oberen Zahnreihe eirca 90 mm 


Mit Vorbehalt stelle ich auch hieher einen unteren P,, welcher in Folge seiner starken 
Compression an den entsprechenden Zahn von Boselaphus erinnert, aber sehr viel niedriger 
und überdies auch glatter ist wie dieser und ausser einem kräftigen selbständigen Innenhügel 
noch eine besondere hintere Coulisse besitzt, während bei Boselaphus dieser Innenhügel mehr 
coulissenartig ausgebildet und die Hintercoulisse stark redueirt ist. 

Länge 26 mm; Breite 9,4 mm; Höhe 14,5 mm 

Wahrscheinlich gehören zu dieser Antilope ausserdem zwei noch vereinigte Milchzähne 
— D; und D, — des rechten Öberkiefers, welche natürlich in Folge ihrer geringen Höhe 
gegenüber den Molaren ein sehr fremdartiges Aussehen besitzen. D; ist im Verhältniss zu dem 
entsprechenden Zahn der übrigen Antilopen nach vorne zu auffallend verschmälert und hierin 
entschieden Cerviden-ähnlicher, auch sind seine beiden Innenmonde scharf von einander 
abgesetzt, anstatt ineinander ganz unmerklich zu verfliessen. 

Die systematische Stellung dieser Molaren lässt sich nur mühsam ermitteln. 

Sehr nahe steht jedenfalls Boselaphus, wenigstens die Zähne aus den Siwalik, welche 
Lydekker!) als Boselaphus sp. beschrieben hat, namentlich die Originale zu Fig. 7 und Fig. 8, 
allein diese letzteren sind im Verhältniss höher und besitzen wahrscheinlich auch einen ziemlich 
hohen Basalpfeiler. Ich bin übrigens keineswegs davon überzeugt, dass diese beiden Zähne 
wirklich zur Gattung Boselaphus gehören, denn insbesonders M; — Fig. 8 — hat oben einen 
viel beträchtlicheren Längsdurchmesser als an seiner Basis, während sich bei Boselaphus 
tragocamelus diese Dimension im Laufe der Abkauung nur sehr wenig ändern kann; diese 
beiden Zähne schliessen sich hierin viel eher an die Gattung Bos an. 

Grosse Aehnlichkeit haben die hier beschriebenen Zähne aus China auch mit denen von 
Strepsiceros praecursor, allein die Halbmonde der unteren M sind viel mehr in die Länge 
gezogen und die oberen M sind im Verhältniss viel schmäler; die Zähne dieses Strepsiceros 
haben plumpere Form, auch ist ihre äussere Seulptur viel kräftiger. 

Schwieriger ist die Unterscheidung der unteren M von jenen, welche ich zu Pseudobos 
gracilidens gestellt habe. Der Hauptunterschied besteht darin, dass die Aussenmonde bei 
diesen letzteren noch stärker eomprimirt und die Zähne an ihrer Basis nur wenig dicker sind 
als an ihrer Kaufläche. Allerdings ist auch der Schmelz bei diesen viel weniger rauh als hier, 
was sich namentlich bei der Vergleichung der Oberkiefermolaren bemerkbar macht. Die oberen 
M von Pseudobos unterscheiden sich überdies durch die schwache Entwickelung der Aussen- 
falten und durch die eigenthümliche Compression des zweiten Innenmondes. 


1) Rodents and New Ruminants from the Siwaliks. Palaeontologia Indica, Ser. X, Vol. III, 
Part III, 1884, p. 10 (114), pl. XII, fig. 1—5, 7, 8, 
Abh.d. II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 20 


154 


Immerhin zeigen die vielfachen Anklänge an Boselaphus, Strepsiceros und nicht 
minder auch die grosse Aehnlichkeit mit den Molaren von Pseudobos, dass die Trennung 
aller dieser Typen noch nicht allzuweit zurückliegen dürfte. Die neue Gattung gibt uns 
namentlich darüber Auskunft. wie die Zähne bei den Vorläufern von Boselaphus ungefähr 
beschaffen waren. 


Pseudobos n. g. 


Antilopenzähne von bedeutender Höhe, seitlich stark comprimirt, ohne Basalpfeiler; 
obere M mit secundärer Insel im Centrum der Kaufläche und verästeltem inneren Ende des 
zweiten Halbmondes; vollständige Abwesenheit von Cement, Fehlen von deutlichen Vertiealrippen 
an den Aussenhöckern der oberen und an den Innenhöckern der unteren M. 

So unvollständig diese Diagnose auch zu sein scheint, so reicht sie doch thatsächlich 
vollkommen aus, um diese Zähne von denen aller bisher bekannten Selenodonten zu unter- 
scheiden, denn bei keinem derselben treffen alle diese Merkmale gleichzeitig zu. Nur die 
Ovinen zeigen ähnliche Verhältnisse, allein ihre Molaren sind schon viel höher und die Mittel- 
falten an der Aussenseite ihrer oberen M viel kräftiger. 

Die unteren Molaren der neuen Gattung zeichnen sich durch ihre gleichmässige seitliche 
Compression aus, in Folge deren sie oben nur wenig schmäler sind als an ihrer Basis, sowie 
durch das nahezu vollkommene Fehlen der sonst an den Innenhöckern befindlichen Vertical- 
rippen. Auch die vordere und hintere Randfalte ist immer sehr kurz und dünn, und die von 
der Basis aufsteigende Leiste an der Vorderaussenecke reicht nicht ganz an den Oberrand der 
Zähne, so dass sie erst bei weiter vorgeschrittener Abkauung in die Kaufläche einbezogen wird. 
Basalpfeiler fehlen an allen Molaren aus China, dagegen trägt der erste Molar bei der in 
Maragha!) vorkommenden Art einen kurzen Basalpfeiler. Aber an My und M; war auch bei 
dieser Art kaum mehr ein solcher vorhanden. 

Im Gegensatz zu den unteren Molaren sind jene des Oberkiefers an der Basis fast doppelt 
so breit aber zugleich auch viel kürzer als an ihrer Kaufläche. Die Länge frischer Molaren 
mit Ausnahme des M,;, welcher an seiner Basis länger ist als an seinem ÖOberrande, beträgt 
etwa 5/4 der Breite dieser Zähne. Die vordere Randfalte ist wesentlich stärker als die Falte 
in Mitte der Aussenseite und diese selbst übertrifft hierin wieder die hintere Randfalte. Die 
Innenfläche des zweiten Innenmondes zeigt eine starke Abplattung. Das Vorderende dieses 
hinteren Halbmondes bildet zwischen den beiden Aussenhöckern ein Dreieck, von dem aber 
noch ein besonderer Sporn ausgeht, welcher parallel mit dem ersten Aussenhöcker verläuft. 
Auch das Hinterende des vorderen Halbmondes endet mit einer Spitze. Die Innenenden beider 
Monde schliessen einen schräg nach vorwärts gerichteten Spalt ein, der bei der Abkauung zu 
einer Insel wird. Endlich ist auch ein Sporn am Hinterende des zweiten Innenmondes zu 
erwähnen. Nur der vordere Aussenhöcker ist mit einer Verticalrippe versehen. Die Höhe 
eines frischen Zahnes verhält sich zu dessen Breite wie 5:4. 

Ich stelle, allerdings mit Vorbehalt, hieher mehrere Oberkieferprämolaren. Der vorderste 
hievon — P, — besteht aus einem dicken Aussenhöcker und einer Art Innenmond, der aber 
sehr niedrig bleibt und vorne vom Aussenhöcker durch einen Spalt getrennt wird. P; und Pı 
sind einander sehr ähnlich, der erstere ist nur etwas schmäler als der letztere und seine 
Kaufläche ist überdies stärker geneigt. Die Aussenseite hat vorne eine etwas dickere, hinten 
aber eine sehr zarte Randfalte und in der Mitte eine sehr wenig hervortretende Verticalrippe. 
Die P sind im Verhältniss zu den M sehr kurz und niedrig. Diese Zähne haben nur einen 


” 


!) Antilope nov. sp. ind. major. Rodler und Weithofer. Wiederkäuer von Maragha. Denk- 
‚schriften der k. k. Akademie der Wissenschaften, math.-naturw. Classe, Wien. 1890, Bd. LVII, Abth. II, 
p. 18 (770), Taf. IV, Fig. 5. 

Da der Basalpfeiler hier an dem Milchzahn viel kräftiger ist als am Molar — M, —, so ist es 
überaus wahrscheinlich, dass dieses Gebilde nach hinten zu immer mehr abnimmt, und daher mindestens 
an M3;, wenn nicht schon an M,, gänzlich fehlen wird. 


155 


geringen Theil des Kiefers für sich in Anspruch genommen. Untere P liegen bis jetzt nicht 
vor, jedoch können auch sie nur sehr kurz gewesen sein, wie ein Unterkieferstück aus 
Maragha!) zeigt, wo eine ungemein nahestehende Form vorkommt. Dieses Kieferfragment 
enthält 2 Milchzähne und den ersten Molaren — D;,— Mı —. Aus der auffallenden Kürze 
des D; geht mit voller Sicherheit hervor, dass auch der entsprechende P, sicher sehr kurz war. 


Endlich möchte ich noch zwei Milchzähne hieher stellen, einen linken oberen D, und 
einen rechten oberen D,. Letzterer besitzt im Gegensatz zu den Molaren einen blattförmigen 
Basalpfeiler und vorne ein starkes, hinten aber ein schwächeres Basalband. D; ist sehr schmal 
und seine beiden Innenmonde sind in eine ununterbrochene geradlinige Innenwand umgewandelt. 


Die starke Compression der Molaren sowie ihre beträchtliche Höhe, nicht minder auch 
die geringe Dicke des Schmelzbleches sprechen mehr für deren Zugehörigkeit zu einem Ovinen 
als für die Deutung als Antilopenzähne. Allerdings gibt es unter den hier beschriebenen 
Antilopen aus China wirklich eine Form, deren Zähne — wenigstens die unteren Molaren — 
sich nur mit Mühe von jenen der neuen Gattung Pseudobos unterscheiden lassen. Es ist 
dies die Gattung Paraboselaphus. Ihre Molaren sind jedoch weniger comprimirt und 
haben viel diekeren und rauheren Schmelz. Auch sind die unteren M an der Basis sehr viel 
dieker als am Oberrand, während sich bei Pseudobos die Dicke an allen Stellen der 
Krone nahezu gleich bleibt. Die oberen M von Paraboselaphus sind niedriger und 
plumper und überdies auch breiter. Auch ist ihre Aussenseite viel stärker skulpturirt. Nichts- 
destoweniger wird es doch sehr wahrscheinlich, dass beide Gattungen auf eine gemeinsame 
Urform zurückgehen. 

Unter den lebenden Formen hat Ovibos im Zahnbau ziemlich grosse Aehnlichkeit, jedoch 
sind seine oberen Molaren viel mehr in die Länge gezogen, die unteren dagegen noch nicht 
so hoch geworden wie hier. Budorcas hat zwar mit der vorliegenden Gattung das Fehlen 
von Basalpfeilern gemein, aber im Uebrigen sind die Zähne doch viel Bovidenartiger. 
Immerhin wäre eine wirkliche Verwandtschaft zwischen diesen drei Gattungen nicht ganz 
undenkbar, insoferne Pseudobos gewissermassen in der Mitte steht zwischen Budorcas und 
Ovibos, aber jede dieser beiden recenten Gattungen ist in einer Hinsicht primitiver als 
Pseudobos, und zwar Budorcas wegen der Kürze und Breite seiner oberen Molaren und 
Ovibos wegen der geringen Höhe seiner unteren Molaren. Soferne also genetische Beziehungen 
zwischen diesen drei Gattungen bestehen, kann es sich nur um drei Endglieder ein und des- 
selben Stammes handeln, die gemeinsame Stammform müsste schon vor der Gattung Pseudobos 
existirt haben. 

Am nächsten unter allen bis jetzt bekannten Paarhufern steht augenscheinlich Bucapra 
Daviesi,?) ja ich würde nicht das geringste Bedenken tragen, die mir vorliegenden Zähne als 
solche von Bucapra zu bestimmen, wenn nicht Rütimeyer als wesentliches Merkmal die 
Anwesenheit einer dicken Cementschicht angeben würde. Da es aber keine einzige Gattung 
gibt, bei welcher die einen Arten Cement besitzen, die anderen jedoch nicht, so erscheint es 
nicht statthaft, die Zähne aus China auf Butapra zu beziehen. Dagegen besteht nicht der 
mindeste Grund, für den zu diesen Zähnen gehörigem Schädel die nämliche Organisation 
vorauszusetzen, also sehr hohe Öberkiefer, eine mässig ansteigende Profillinie des Gesichts- 
schädels und kleines wenig gewölbtes Cranium. 

Beide Gattungen, Bucapra und Pseudobos, gehen jedenfalls auf ein und dieselbe 
Stammform zurück und gehören wohl zu den Ovinen, wenn sie auch im Gebiss noch 
Anklänge an gewisse Antilopen aufweisen. Ob sie jedoch als Stammformen von noch lebenden 
Formen in Betracht kommen dürfen, erscheint einigermaassen zweifelhaft, denn Bucapra 


!) Rodler und Weithofer. Die Wiederkäuer der Fauna von Maragha. Denkschriften der 
k. k. Akademie der Wissenschaften, math.-naturw. Classe, Wien. Bd. 57, 1890, p.18, Taf. IV, Fig. 5. 
Antilope n. sp. ind. major. 
2) Rütimeyer. Die Rinder der Tertiärepoche. Abhandlungen der schweizer. paläontologischen 
Gesellschaft. 1877/78, p. 105, Taf. II, Fie. 6, 7. 
20* 


156 


besitzt Cement, den ich bei keinem lebenden Ovinen kenne, und Pseudobos hat zu beträchtliche 
Körpergrösse, als dass ein lebender Ovinen mit Ausnahme von Ovibos hievon abgeleitet werden 
könnte. Ovibos kann aber nicht der Nachkomme von Pseudobos sein, weil seine Molaren 
noch keine so ansehnliche Höhe erreicht haben’ und somit noch primitiver sind; Ovibos dürfte 
sich also schon etwas früher von dieser Seitenlinie der Ovinen abgezweigt haben. Dass aber 
Pseudobos und Bucapra wirklich eine erloschene Seitenlinie darstellen, wird auch dadurch 
sehr wahrscheinlich, dass von Pseudobos bereits in der Hipparionfauna drei, wenn nicht 
vier Arten existiren, von denen zwei sogar die Grösse von Rindern erreicht haben. Diese 
vier Arten sind: 
„Antilope“ sp. nov. ind. major Rodler und Weithofer l. ce. Taf. IV Fig. 5 in Maragha 
)) ) n maxima „ ” ” IV » 7» ” 
und Psendobog gracilidens und interrmeldine in China, 


Pseudobos gracilidens n. sp. Taf. XIII, Fie. 17, 18, 20—24. 


Die neue Art basirt auf 13 oberen Molaren, einem oberen P,, 2 isolirten oberen P,, 
7 unteren Molaren und einem unteren Prämolaren. Sie ist wesentlich kleiner als die beiden 
Arten aus Maragha und die mit ihr vergesellschaftete aus China. 


Eine besondere Speeiesbeschreibung erscheint überflüssig, da sie sich mit der Charakte- 
risirung der Gattung decken würde und überdies besser durch die Abbildungen ersetzt wird. 


Dimensionen: 


Unterkiefer: P, Länge 16 mm; Breite 9 mm; Höhe 15 mm 


M,} > 20 RR: r ee aD DET Sch 
Mı 5) 16 9 ” 12 9 Dal, 

M; ” 23 DR) D) Aal „9 al „ ; frisch h 
M3; ” Sl 2 EN: 2 Oeetnrsch 


Länge der drei P 40°? mm; Länge der drei M 72? mm 


Oberkiefer: P;z Länge 14 mm; Breitewild,n2e: SEuHöhenllarnz, 
PR, 13,5 „; D) ee „der 
Mı IE DD. N) Ist 2, kirisch 
Mı 5 18 35 8, He ara 
M, a 2, 5 5 ee 5 on Asesigiriseh 
Ma h ZI; Be, OO: „ 23,5 „ ; mittleres Alter 
M; ei ADD er 20,30 4085 EB lEEenisch 
M; 2 um2 none; „24... ,05 "mittleres Alter 


Länge der drei P 40? mm; Länge der drei M 66 mm (in der Mittellinie) 
Vorkommen: Ausschliesslich in den rothen Thonen von Schansi und Sz‘tschwan. 


Pseudobos intermedius n. sp. Taf. XIV, Fig. 1-3, 6. 


Diese zweite Art hat ungefähr die Grösse der kleineren Art von Maragha — Antilope sp. 
noy. ind. major. — und ist vielleicht sogar mit derselben identisch, soferne sich bei weiteren 
‘Funden an dieser Lokalität herausstellen sollte, dass der kleine Basalpfeiler an dem Mı, dieser 
Antilope nur eine individuelle Abnormität ist. Die zweite Art von Maragha — Antilope sp. 
noy. ind. maxima — ist entschieden zu gross, als dass die Zähne aus China Bıezu gerechnet 
werden dürften. 


Aus Schansi und Sz‘tschwan liegen vor: 7 isolirte untere Molaren, 3 isolirte obere 
.Molaren, ein Oberkieferfragment mit M, und Ma, ein letzter oberer Milchzahn — D,;, — und 
ein Unterkieferfragment mit dem letzten Milchzahn — D, — und dem halben ersten M. 


Die oberen M sind ein wenig einfacher gebaut als die der vorigen Art. Der untere D; 
besitzt zwei dünne, nicht sehr hohe Basalpfeiler. 


157 


Dimensionen: 
Unterkiefer: Mı Länge 24 mm; Breite 14mm; Höhe — mm; alt 
Mı A 268: = Il armen Mose eu trisch 
Ma, DOKU 3 a 141 A: u NSOBer frisch 
Ms, 10335009, :5 £ as se; pn alt 
Dı n 25 ” 9) „ 3 Bi) u EN) alt 
Länge der drei M 85? mm 


Oberkiefer: Mı Länge 21 mm; Breite 22 mm; Höhe — mm; alt 
IM Au Dh: . Ada ene ED BE -Vetrisch! 
M3 ” 28 9 D) 25 5 ” alt 
M; . Don: > al: E22 SEE tasthrisch 
D, ” 24 9 TERM, 2) RN 


” 
Länge der drei M 72 mm 


? Antilope gen. et. sp. ind. Taf. XIV, Fig. 11. 


Durchaus unsicher ist die systematische Stellung eines grossen Wiederkäuerzahnes, eines 
linken oberen M;, welchen Herr Dr. Haberer in J’tschang erworben hat. Gegen die Deutung 
als Cervidenzahn spricht seine beträchtliche Höhe und die auffallend starke Abkauung der 
hinteren Hälfte. Für einen Camelidenzahn ist er zu breit und wohl auch etwas zu hoch, 
und überdies sind hiefür auch die Rippen an den Aussenhöckern viel zu kräftig. Auch besitzt 
er noch dazu eine Schmelzinsel im Centrum. Ein Bovidenzahn kann es aber auch nicht 
sein, denn es fehlt ihm selbst die Spur eines Basalpfeilers, und für einen Ovicaprinen ist 
er zu breit und zu niedrig. 

Noch erhöht wird die Schwierigkeit der Bestimmung dadurch, dass dieser Zahn wie so 
viele von der Lokalität J“tschang augenscheinlich aus dem Löss stammt, wesshalb man eigentlich 
erwarten sollte, dass es sieh um eine lebende oder doch um eine schon bekannte Pleistocänform 
handeln dürfte, allein er lässt sich weder bei einer lebenden asiatischen Art, noch auch bei 
einer der in Asien gefundenen pleistocänen Arten unterbringen. 

Es gewinnt daher fast den Anschein, als ob in Asien oder doch in China noch im 
Pleistocän allerlei jetzt gänzlich erloschene Typen gelebt hätten, und dass wir also dort auch 
eine grosse, gänzlich ausgestorbene Antilope erwarten dürften, wenigstens halte ich es nicht 
für ausgeschlossen, dass dieser Zahn einer Antilope angehört hat, welche sich etwa aus einer 
der dortigen pliocänen Strepsicerosarten entwickelt hatte und später vollkommen erloschen 
ist. Auch müssen wir allenfalls mit der Möglichkeit rechnen, dass es sich um eine primitive, 
ausgestorbene Ovicaprinenform handeln dürfte; primitive Merkmale wären in diesem Falle 
die Rauhigkeit des Schmelzes und die Breite und geringe Höhe der Krone sowie die starke 
Entwickelung der Rippen und Falten auf der Aussenseite. Schliesslich wären auch Beziehungen 
zu Boselaphus tragocamelus nicht ganz undenkbar, denn in den meisten Details zeigt 
dieses Stück eine nicht geringe Aehnlichkeit mit dem letzten Molaren dieses interessanten 
asiatischen Wiederkäuers, welcher auch fossil in den Karnulhöhlen der indischen Provinz 
Madras vorkommt, nur besitzt dieser starke Basalpfeiler, wenigstens an den von Lydekker!) 
abgebildeten Zähnen, während an einem mir zur Untersuchueg überlassenen Schädel des Stutt- 
garter Naturaliencabinets die Basalpfeiler an M,ı und M, viel schwächer sind und an den beiden 
M; vollkommen fehlen. Der Schmelz ist jedoch viel rauher als an dem vorliegenden Zahne. 
Sollte sich die angedeutete Möglichkeit, dass dieser Zahn von Boselaphus oder doch von 
einer nahestehenden Form herrühre, bestätigen, so würde sich das ehemalige Verbreitungsgebiet 
dieses Typus sehr weit nach Norden ausdehnen. 


Länge des Zahnes 31 mm an Aussenseite; 22 mm an Innenseite; Breite 24 mm; Höhe 31 mm. 


!) The Fauna of the Karnul Caves Indian Tertiary and Posttertiary Vertebrata. Palaeontologia 
Indica. Ser. X, Vol.IV, 1886, p. 44, pl. XI, fig. 7—10. 


Bovidae. 


Diese Familie ist nach Koken in China durch sechs fossile Formen vertreten, nämlich durch 
1 Speeies von Bibos-Koken p. 64, Taf. II, Fig. 16, 17, Textfig. 1. 
1 a „ Bison - £ p. 65, Taf. II, Fig. 18, 19, Textfig. 2. 
2% "MBORE 5. , p. 66, Textfig. 3 und p. 67, Textfig. 4. 
2 m „ Bubalus-,„ p. 67, Taf. II, Fig. 14, 20 u. p. 68, Taf. II, Fig. 15, 21, Textfig. 5. 


Dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen von Seite des Herrn Geh. Bergrath Branco 
war es mir möglich, diese Originalien zu studiren, wodurch meine Vermuthung, dass es sich 
nicht um pliocäne, sondern zweifellos um pleistoeäne Formen handeln müsse, auch vollauf 
bestätigt wurde. 

Durch ihren ganzen Erhaltungszustand unterscheiden sich diese Zähne unschwer von 
von wirklich tertiären und das noch in den Vertiefungen anhaftende Gesteinsmaterial ist 
unzweifelhaft Löss oder Höhlenlehm, die man ja, zumal in so kleinen Partikeln, kaum aus- 
einander halten kann, nur das Original von Bubalus, Taf. II, Fig. 14, ein oberer D,; sowie 
ein oberer M,, sind vollkommener fossilisirt, was aber auch keineswegs ausschliesst, dass sie 
aus einer vielleicht altpleistocänen Höhlenbreceire stammen. 


Gaudry führt in einer Fossilliste — Bulletin de la Soeiete geologique de France, 1871, 
1872, p. 178, auch Bos primigenius aus Suen Hoa Fu an. 

Das von Herrn Dr. Haberer gesammelte Material enthält zahlreiche Zähne von Boviden, 
allein die allermeisten derselben sind überhaupt nicht fossil. Ich kann darunter erkennen: 


Bison sp., ein oberer Molar von ganz ähnlicher Erhaltung und ähnlichem Bau wie 
Koken’s Bison, Taf. II, Fig. 18, 19. 

Bubalus indicus Sh., zahlreiche Prämolaren und Molaren des Ober- und Unterkiefers, 
theils aus Honan, theils aus $z“tschwan. Die letzteren sind offenbar ganz frisch, während 
die ersteren ihrer braunen Farbe nach zu schliessen aus einer Alluvialablagerung stammen 
und einen ähnlichen Erhaltungszustand aufweisen wie Säugethierzähne aus europäischen 
Pfahlbauten. 


Bos sp. 12 Prämolaren und Molaren des Ober- und Unterkiefers, angeblich aus Schansi 
von gelblicher Farbe und ziemlich stark zersetzt. Sie dürften wohl von einem zahmen Rind 
stammen, sind aber anscheinend längere Zeit im Löss gelegen. 13 Unterkieferzähne befanden 
sieh theils unter den Resten aus Tientsin, theils unter denen aus Sz’tschwan. Sie sind noch 
viel frischer als die ersteren. 


Bibos gaurus. H. Sm. Diesem riesigen Boviden gehören etwa die Hälfte aller mir 
vorliegenden Bovidenzähne an. Als Fundort ist die Provinz Honan angegeben. Der grösste 
Theil derselben hat bräunliche Färbung und erinnert in seinem Erhaltungszustande an Säuge- 
thierzähne aus Pfahlbauten. Gerade diese Zähne zeichnen sich durch ihre gewaltigen Dimen- 
sionen aus. 


13 Zähne sind dagegen vollkommen fossilisirtt und schwärzlich gefärbt. Ihr Erhaltungs- 
zustand lässt sich mit dem von Equus-Zähnen aus den schwäbischen Bohnerzen vergleichen. 
Aus einem derselben konnte ich auch wirklich ein Paar Bohnerzkörner herausholen, die 
sonstigen eingeschlossenen Gesteinspartikel sind dagegen Quarzkörner. Jedenfalls haben wir 
es hier mit ächt fossilen Objeeten zu thun, deren Alter jedoch mit Altpleistoeän hoch genug 
geschätzt sein dürfte. Bemerkenswerth ist auch der Umstand, dass diese Zähne etwas kleiner 
sind als die ersterwähnten. 


Es handelt sich daher möglicherweise doch um eine besondere ausgestorbene Species, 
wesshalb ich wenigstens die Dimensionen der besterhaltenen dieser Zähne angeben möchte und 
zwar als: 


159 


Bibos sp. 


Unterer Mı Länge an der Innenseite 31 mm; Breite 17 mm; Höhe 45 mm 


bi) 2 ” ” » ” 33,5 De) ” 18,5 9 ” 50 ” 
Oberer M3 r »  » Aussenseite384 „; „27 „; stark abgekaut 
B M; 5 ee a 37 55 9.28 „0; fast bisan die Wurzel abgetragen. 


Die starke Rauhigkeit dieser Zähne und der verhältnissmässig weit vorspringende und 
comprimirte Innenpfeiler sprechen für die Bestimmung als Bibos. In der Grösse schliessen 
sie sich an die Koken’schen Originale zu Taf. II, Fig. 16, 17 ziemlich genau an, so dass 
man sie wohl auch auf die nämliche Species beziehen darf, die aber bis jetzt noch keinen 
Namen besitzt. 

Es wäre ja nicht undenkbar, dass diese Art mit einer der indischen, als Hemibos und 
Amphibos beschriebenen Formen näher verwandt ist, allein man kennt von letzteren nur die 
Schädel, aber nicht auch das Gebiss, so dass von einer wirklichen Vergleichung Abstand 
genommen werden muss. 

Aus dem Narbadathal in Indien ist eine pleistoeäne Bibosart — Bibos palaeogaurus 
Fale. namhaft gemacht worden, welche demnach vielleicht sogar mit der vorliegenden Form 
identisch sein könnte, allein in dem Lydekker’schen Werk wird sie nicht mehr erwähnt, 
woraus wohl gefolgert werden darf, dass es sich um ein sehr problematisches Ding handeln 
müsse, und in seinem Catalogue of fossil Mammalia in the British Museum Part II p. 23 
bemerkt dieser Autor: „This provisional species is founded on the palate noticed below, — with 
the three true molars on both sides and P, on the left side — which according to Rütimeyer, 
is indistinguishable from that of the existing B. gaurus; the specimen is perhaps insufficient 
for specifie determination.“ Da auch keine Abbildung dieses Stückes existirt, so muss von 
allen weiteren Betrachtungen Abstand genommen werden. 

Immerhin beweisen die Zähne des Bibos aus China doch soviel, dass diese südliche Form 
vor noch nicht allzu langer Zeit noch ziemlich weit nach Norden — Honan — gereicht hat. 


Knochen von Boviden. 


Aus dem Löss von J“tschang erhielt Herr Dr. Haberer ein Basioceipitale eines riesigen 
Bovidenschädels, die distale Partie eines Radius, einen Femurcondylus und ein Cuboscaphoid, 
alles vielleicht dem nämlichen Individuum angehörig. 

Der Radius ist ungemein plump und breit und verschmälert sich nur ganz wenig oberhalb 
seiner Carpusfacetten. Seine grösste Breite ist 100 mm, der Durchmesser von vorne nach 
hinten 52 mm. 

Das Cuboscaphoid stimmt in der Grösse und Form ziemlich gut mit solchen Knochen 
des Bison priscus von Taubach überein. 

Da nun Bison priscus Bojanus wirklich bereits fossil in China nachgewiesen ist, 
— in dem Reisewerk des Grafen Szecheny beschreibt L. v. Löczy 1898 p. 12 einen Horn- 
zapfen dieses Bison aus dem Löss von Tsing-tschou in Kansu, — so wäre es nicht ausge- 
schlossen, dass auch diese Knochen von J‘tschang von Bison priscus stammen. 

Unter den von Lydekker!) aus der Mongolei beschriebenen Säugethierresten befanden 
sich auch eine Phalange und ein Pubis, die er als Bos bestimmte. 


t) On a Collection of Mammalian Bones from Mongolia. Records of the Geological Survey of 
India. 1891, Vol. XXIV, p. 208. 


160 


Ovidae. 


Nur der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass sich unter den von Herrn Dr. Haberer 
gekauften Lungtschi auch eine grössere Anzahl Molaren von Schafen und Ziegen befindet. 
Einige dieser Zähne können wohl längere Zeit in Löss gelegen haben, andere sind hingegen 
ganz frisch. Da mir keine recenten chinesischen Schafe und Ziegen als Vergleichsmaterial 
zur Verfügung stehen, glaube ich von einer weiteren Besprechung dieser Zähne Abstand nehmen 
zu dürfen. Keiner derselben hat wirklich pleistocänes Alter. 

Die meisten stammen aus Honan, einzelne waren aber auch den Säugethierzähnen von 
Schansi und Tientsin beigemischt. 

Als Ahnen der Schafe bezeichnet jetzt Gaillard — Bulletin de la societe d’Anthropologie 
de Lyon 1901 p. 25 — die als Antidorcas Rothii und Atropatenes beschriebenen 
plioeänen Antilopen aus Pikermi resp. Maragha als die der Ziegen die Gattung Tragocerus 
aus den nämlichen Schichten. Auf diesen letzteren Punkt werde ich noch an anderer Stelle 
zu sprechen kommen. Was aber die Ableitung der Schafe von Antidorcas betrifft oder 
von Oioceros, wie Gaillard jetzt diese Gattung nennt, — da sie mit den lebenden Anti- 
dorcas euchore sicher nichts zu thun hat — so hat diese Annahme jedenfalls sehr grosse 
Wahrscheinlichkeit für sich. Auch die Bezahnung des „Antidorcas“ Rothii lässt sich hiemit 
recht gut in Einklang bringen. 


161 


- Versuch einer Odontographie der recenten Antilopen. 


Die Untersuchung der fossilen Antilopenreste aus China machte ein eingehendes 
Studium der lebenden Gattungen nothwendig und zwar von deren Gebiss, weil Hornzapfen, 
worauf die Systematik dieser Familie vorzugsweise beruht, unter dem Material aus China höchst 
spärlich vertreten sind. 

Da nun eine Uebersicht des Gebisses der recenten Antilopengattungen zur Zeit noch 
nieht existirt, halte ich für keineswegs überflüssig, meine diesbezüglichen Studien in kurzen 
Zügen zu veröffentlichen mit Beigabe schematischer Abbildungen. 

Das meiner Skizze zu Grunde liegende Material befindet sich theils in der Münchener 
zoologischen Sammlung, theils, und zwar ist dies die Mehrzahl, im kgl. Naturaliencabinet in 
Stuttgart. Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Oberstudienrath Prof. Dr. K. Lampert, 
Herrn Prof. R. Hertwig und Herrn Dr. Doflein für die Benützung dieses Materiales meinen 
herzlichsten Dank auszusprechen. Einige in diesen Sammlungen nicht vertretene Gattungen 
sandte mir Herr Prof. P. Matschie aus dem Berliner Museum für Naturkunde, wofür ich nicht 
minder zu aufrichtigem Danke verpflichtet bin. 

Bei der Schilderung der einzelnen Familien und Gattungen befolge ich das System von 
Sclater und Thomas, worin jedoch Anoa, Rupicapra, Nemorrhaedus und Antilocapra 
sonderbarer Weise nicht berücksichtigt sind, wesshalb ich auch diese am Schlusse behandeln werde. 


Bubalinae. Beide Geschlechter gehörnt. Afrika. 

Bubalis. Afrika, Ara- 
bien. Untere Prämolaren kurz, 
aber sehr hochkronig. P, mit 
Innenwand, P, und P, mit ver- 
schmolzenen Coulissen in der 
hinteren Hälfte des Zahnes. 
Molaren ganz bovin, aber ohne 
ächten Basalpfeiler und nahezu 
glatt. Oberer P, ziemlich ein- 
fach, P; ähnlich P,, alle P 
sehr kurz. Obere M länger als 
breit, ohne Basalpfeiler, aber 
mit Sporn am Vorderrande der 
ersten und am Hinterrande der 
zweiten Marke und mit läng- 
licher Insel in Mitte der Kau- 
fläche. Alle Zähne mit viel 
Cement versehen. 


Damaliseus. Afrika. 
Zähne ähnlich Bubalis, aber 
schmäler und ohne Üement. 
P, in beiden Kiefern sehr klein, 
unterer P, mit nur einer Cou- 
lisse, P, mit nach vorne ver- 


Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 21 


162 


laufender Innenwand und mit Coulisse in der hinteren Partie. Untere M mit Andeutung von 
Spornen. Oberer P, etwas schmäler als P;, beide mit Sporn. Obere M mit zwei Spornen in 
jeder Marke. 

Connochaetes. Süd- 
und Ostafrika. Nur zwei 
untere P, davon P; klein, 
Pı mit vollständiger Innen- 
wand, P3; klein, mit Innen- 
höcker, aber ohne Coulissen. 
Oberer P, und P, klein, P; 
mit Innenmond. Oberer Ma 
und M; länger als breit mit 
je zwei Spornen in jeder 
Marke und Schmelzinsel im 
Centrum. AlleM ohne Basal- 
pfeiler und ohne Cement. 


Fig. 5. Connochaetes. 


Cephalophinae. Beide Geschlechter gehörnt. 

Cephalophus. Afrika. Prämolaren meist auffallend kurz, obere aus Aussenhöcker und 
Innenmond bestehend, untere schneidend entwickelt, jedoch mit verdicktem Innenhügel und mit 
schwachem Vorder- und Hinterhügel. P3; mit höchstens einer, Pı mit höchstens zwei Coulissen. 
Molaren niedrig; höchstens Mı mit schwachem Basalpfeiler. Obere M breiter als lang, ohne 
Mittelfalte und ohne Sporne. Untere M nur mit schwacher Vorder- und Hinterfalte. Dritter 
Lobus des unteren M,; gerundet. Oberfläche aller Zähne sehr rauh. 


aa 
Bene 


Fig. 6. Cephalophus Maxwelli, Fig. 7. Tetraceros quadricornis. 


Tetraceros. Indien. Prämolaren in beiden Kiefern Cervidenähnlich, oberer Py gestreckt; 
Innenmond vollständig entwickelt, aber wie an P3 eingebuchtet. Alle oberen P mit Sporn in 
der Marke. Obere M mit schwachem Basalpfeiler, Aussenwand mit drei Falten und zwei 
Verticalrippen. Unterer My, von mässiger Länge, P; mit zwei Coulissen und coulissenartigem 
Innenhöcker, P, ähnlich, aber mit selbständigem Innenhöcker. Untere M mit hohen aber dünnen 
Basalpfeilern und am Vorderrand mit Aussen- und Innenfalte, Innenseite mit tiefer Vertical- 
furche zwischen den beiden Höckern. Dritter Lobus des M; mit schwacher Kante. Zähne 
etwas länger als hoch, mit rauher Oberfläche. M ähnlich denen von Capreolus. Diese 
Rauhigkeit scheint hier jedoch eine secundäre Erscheinung zu sein. 

Neotraginae. Weibchen hornlos. 

Oreotragus. Ost- und Südafrika. Molaren höher 
als lang, ohne Basalpfeiler. Obere Prämolaren sehr 
hoch, mit Vorder- und Hinterfalte. und Mittelrippe. 
P, nur mit Innenhöcker, P; mit unvollständigem, Pı 
mit eingebuchtetem Innenmond. Unterer Py schneidend, 
klein, P; und P, scharfkantig, mit drei Coulissen, davon 
die mittlere aus dem Innenhöcker gebildet. Untere 
Molaren schmal mit Vorder-, Mittel- und Hinterfalte 
Fig. 8. Oreotragus saltatrixoides. und zwei Rippen auf Innenseite. Dritter Lobus des 


163 


M; dreieckig. Obere M mit drei Falten und zwei Rippen auf Aussenseite. Monde aller 
Molaren deutlich dreieckig. 

Rhaphiceros. Öst- und Südafrika. Aehnlich Oreotragus, aber Innenseite der unteren und 
Aussenseite der oberen Molaren fast glatt, Falten und Rippen sehr undeutlich. Dritter Lobus des 
unteren M; dreickig, hinten mit Kante versehen. P gestreckt, obere P, und P; mit unvollständigem 
Innenmond, unterer P; mit zwei Coulissen und Innenhöcker, P, mit Innenwand in der hinteren Hälfte. 

Madoqua. Zähne ähnlich, aber unterer P, kürzer. 


See FTIR. 
GESTZESEE ILS 


EIN) 
SITZT G SIITITTI 
Fig. 9. Rhaphiceros melampus. Fig. 10. Ourebia montana. 


Ourebia. Afrika. Unterer P, klein, P; und P, gleich gross, beide mit Coulissenartigem 
Innenhöcker; nur unterer Mı mit Basalpfeiler. Dritter Lobus des unteren M, gerundet; obere 
P, und P, gleich gross, mit vollkommenem Innenmond. Starke Rippen und Falten auf Aussenseite 
der oberen M; Hinteraussenecke des oberen M,; mit vorspringender Verticalleiste. 

Nesotragus, Ostafrika und Neotragus, Westafrika, nicht vertreten. 


Cervicaprinae. Weibchen hornlos. 

Cobus. Afrika. P und M in beiden Kiefern sehr hoch, P eomplieirt; unterer P, klein 
mit zwei, P; und P, mit je zwei Coulissen und Innenhöcker, aber ohne Innenwand. Oberer 
Pz einfach, nur hinten mit innerem Basalwulst, P; ähnlich P,. Untere M mit zwei Spornen 
in jeder Marke, obere M mit nur je einem Sporn, in der ersten Marke an der Hinter-, in der 


Fig. 11. Cobus ellipsiprymnus. 


zweiten an der Vorderwand. Höcker der M sehr dick. Untere M mit Basalpfeiler und vorne 
mit Aussen- und Innenfalte.e M auch mit innerem Basalpfeiler versehen. Basalpfeiler der 
oberen M mit dem vorderen Innenmond fest verbunden, M länger als breit, ohne Inseln im 
Centrum, M; nach rückwärts verlängert. Dritter Lobus des unteren M, gerundet. 


Cervicapra. Afrika. Zähne kaum höher als 
lang. Höcker und Monde der Molaren eigenthümlich 
von vorne nach hinten comprimirt. Pz in beiden 
Kiefern klein, unterer mit nur einer Coulisse, P; 
und P, mit je einer Coulisse und mit Innenhöcker. 
Oberer P; ähnlich P,, aber kleiner, alle P sehr 
sehr verkürzt. Untere M mit drei Innen- und zwei 
Aussenfalten, ähnlich denen von Cobus. Dritter 
Lobus des unteren M; gerundet. Obere M quadratisch, Fig. 12. Cervicapra bohor. 


21* 


164 


mit grossem Basalpfeiler und länglicher Insel im Centrum, aber ohne Sporne. Alle M mit 
Cement versehen. 


Antilopinae. Prämolaren und Molaren hochkronig. Weibchen bei vielen Arten hornlos. 


Antilope cervicapra. Weibchen hornlos. Indien. Schraubenhörner ähnlich Addax. 
Nur zwei untere P, aber mit je drei Coulissen, ohne Innenwand. Oberer P, klein, P; ähnlich P,. 
Untere M mit innerer und äusserer Falte am Vorderrand und Innenfalte am Hinterrand, 
Mittelfalte schwach entwickelt. Rippen der Innenhöcker dick, Talon des M; eckig. Obere M 
länger als breit, mit drei Falten auf Aussenseite und vorne und hinten auch mit Innenfalte. 
Sporn am Hinterrand der zweiten Marke. M,; mit Inseln am Hinterrande. Sämmtliche M ohne 
Basalpfeiler. 


Fig. 13. Antilope cervicapra. Fig. 14. Aepyceros suara. 


Aepyceros. Weibchen hornlos. Südafrika. Drei untere P; P, kurz, mit zwei Coulissen, 
P; mit zwei Coulissen und Innenhöcker, P; mit Innenwand. Oberer Py ziemlich gross, mit 
Innenhöcker. P,; dem P, ähnlich aber schmäler; P, mit Einbuchtung des Innenmondes und 
Inseln am Hinterrande. Obere M länger als breit, mit zwei Spornen in jeder Marke. Rippen 
an den Höckern der M. schwach. Kleine Falte zwischen den Innenmonden der oberen M. 
Dritter Lobus des unteren M, dreieckig. Alle M sehr hoch, ohne Basalpfeiler. 

Saiga. Weibehen hornlos. Osteuropa, mittleres westliches Asien. Prämolarenzahl redueirt 3. 
Unterer Ps ohne Innenwand, nur mit zwei, P; blos mit einer Coulisse. Oberer P klein aber 
breit, P; schmäler aber ähnlich P,. Drei starke Aussenfalten an den oberen M. Oberer M; 
mit grossem hinteren Fortsatz. - Innenseite der unteren M fast flach. M; mit grossem, drei- 
eckigen, dritten Lobus. Alle M ohne Basalpfeiler. 


« Fig. 15. Saiga tatarica. Fig. 16. Pantholops Hodgsoni. 


Pantholops. Weibchen hornlos. Tibet; nur 3 P. P, in beiden Kiefern klein und 
schmal, unterer P, mit Innen-, oberer P,; nur mit hinterer, P, auch mit vorderer Falte auf 
der Aussenseite. Aussenfalten der oberen M stark und weit vorspringend, an Vorder- und 
. Hinterrand und in der Mitte. Abwesenheit von Rippen auf Aussenhöckern sowie von Inseln und 
Spornen. Innenhöcker der unteren M mässig verdickt, Vorder- und Hinterfalte der Innenseite 
nicht sehr stark. Sämmtliche M ohne Basalpfeiler. 

Antidoreas. Weibchen hornlos. Südafrika. Nur 2P. P; in beiden Kiefern, besonders 
im Unterkiefer sehr klein. Unterer P, mit vergrössertem Innenhügel und zwei Coulissen. 


165 


Obere M nicht viel länger als breit, nur M; durch Hinzutreten eines hinteren, mit Schmelzinsel 
versehenen Talons in die Länge gezogen. Nur an M; ein Sporn in der hinteren Marke. 
Rippen an den Aussenhöckern der oberen und den Innenhöckern der unteren M fehlend. 
Falten auf Aussenseite der oberen M scharf, Innenseite der unteren M glatt. Alle M ohne 
Basalpfeiler. Dritter Lobus des unteren M,; gross, dreieckig. Oberer M; ähnlich differenzirt 
wie bei Antilocapra. 


[————_ —— —_I—— 
AÄNIHITD ETFTITTO 


Fig. 17. Antidorcas euchore. Fig. 18. Gazella subgutturosa. 


Gazella subgutturosa. Weibchen hornlos. Mongolei. P3, klein, alle P primitiv, selbst 
unterer P, schmal, mit einer Coulisse und coulissenartigem Innenhöcker, auch oberer P, com- 
primirt. Untere M vorne mit Aussen- und Innenfalte; Innenseite fast glatt mit schwacher 
Mittelfalte. Dritter Lobus des M,; kantig; Kronen der M von mässiger Höhe. Obere M länger 
als breit, ohne Sporne und Inseln. Falten der Aussenseite mässig, Rippen der Aussenhöcker 
sehr schwach entwickelt. Falten der oberen P sehr schwach. 

Gazella Bennetti. Weibchen gehörnt. Indien. Untere P sehr schmal, Py ziemlich 
kurz; Innenhügel von P; und P, coulissenartig, beide Zähne auch mit hinterer und vorderer 
Coulisse. Obere P ebenfalls primitiv. Obere M viel länger als breit, ohne Inseln. Rippen 
nur am ersten Aussenhöcker. Falten ziemlich scharf. Oberer M; mit Sporn am hinteren 
Aussenhöcker. Untere M mit drei Innen- und zwei Aussenfalten und seichter Furche in Mitte 
der Innenseite. Talon des unteren M; mit vorspringender Kante. Alle M ohne Basalpfeiler. 


SEE: 


IT YSDTDIDI 


Fig. 19. Gazella Bennetti. Fig. 20. Gazella dorcas. 


Gazella dorcas. Weibchen gehörnt. Nordafrika, Kleinasien. P; klein, P; und P, mit 
Vordercoulisse und coulissenähnlichem Innenhöcker. Innenseite der unteren M nahezu glatt, 
vorne mit”Aussen- und Innenfalte. Dritter Lobus des unteren M, dreieckig. Aussenseite der 
oberen M vorne, hinten und in der Mitte mit Falte, sonst fast ganz glatt. Alle M ohne 
Basalpfeiler, sehr hochkronig. 

Gazella Thompsoni. Weibehen gehörnt. Ostafrika. Sehr kurze P, sonst der Bennetti 
sehr ähnlich. Dritter Lobus des unteren M, hinten mit Kante. 

Gazella Granti. Weibchen gehörnt. Ostafrika. Unterer Mı mit Basalpfeiler; obere 
P; und P; ziemlich lang. 

Ammodorcas nicht vertreten. 2 P. 


166 


Lithoeranius Walleri. 3 P. Weibchen hornlos. Somaliland. Zähne Cervidenähnlich, 
sehr niedrig. Unterer P, sehr klein. P; und P, mit Innenhöcker und je zwei Coulissen. 
Oberer P, schmal, mit zwei Aussenhöckern und unvollständigem Innenmond, oberer P3 schmäler 
und gestreckter als Pı, aber wie dieser mit Sporn. Basal- 
pfeiler nur am unteren Mı und M», nicht an oberen M. 
Obere P und M mit starken Rippen an Aussenhöckern; 
Rippen an Innenhöckern der unteren M. Innenfalten an 
unteren und Aussenfalten an oberen M schwach ent- 
wickelt. Innenmonde der unteren M frei im Centrum 
des Zahnes endend. 


Doreotragus nicht vertreten. 3 P. 
Fig. 21. Lithocranius Walleri. 
Hippotraginae. Weibchen gehörnt. Afrika. 


Hippotragus.!) Oberer Pz gross, mit Innenmond. P; ebenso gross wie P, und diesem sehr 
ähnlich. Obere M sehr hoch, mit starkem Basalpfeiler von dreieckigem Querschnitt, mit zwei Spornen 


Fig. 22. Hippotragus. 


in jeder Marke, durch die Abkauung jedoch mit Ausnahme des hinteren Sporns der zweiten Marke 
bald verschwindend. Drei kräftige Falten auf Aussenseite der oberen und der Innenseite der unteren 
Molaren. Höcker der Molaren mit starken Rippen versehen. Zähne durchaus Bovinenähnlich. 

Oryx. Zähne Bovinenähnlich, aber weniger comprimirt, namentlich die P. Unterer P; 
einfach, kurz. P; mit hinterer Coulisse und coulissenartigem Innenhöcker. P, mit Innenhöcker 
und vorderer und hinterer Coulisse. Oberer P, klein, mit verdiekter Falte an Hinteraussenecke, 


Fig. 23. Oryx callotis. 


Innenmond aus langgestrecktem Basalwulst gebildet. P; ähnlich P,, nur schmäler. Aussenwand 
der oberen M mit drei gleich starken Falten. Untere M vorne mit mässiger Ausser- und Innenfalte. 
Höcker diek, Basalpfeiler schwach, mit Furchen versehen, am unteren M, einfach, am oberen M3 
fehlend. Obere M ohne Sporne in den Marken. Dritter Lobus des unteren M, hinten gerundet. 


!) Unterkiefer liegt nicht vor. Jedenfalls starker Basalpfeiler an den M, 


167 


D 


Addax. Mittelafrika. Sehr ähnlich Oryx, aber eomplieirterer unterer P,, mit vorderer 
und hinterer Coulisse, aber kleinem Innenhügel. Basalpfeiler der M viel kräftiger aber einfacher. 
Obere M mit Insel im Centrum und mit Sporn in der hinteren Marke. 


Fig. 24. Addax. 


Tragelaphinae. Weibchen hornlos. 


Boselaphus. Indien. Zähne sehr rauh und auch im Uebrigen durchaus bovin, abgesehen 
von der geringeren Höhe der Molaren, der Abwesenheit von Cement und der noch stärkeren 
Entwiekelung der Rippen an der Innenseite der unteren M und der Aussenseite der oberen M 


Fig. 25. Boselaphus tragocamelus,.) 


und P. Untere P mit complieirteren Coulissen als bei Bos. Obere M stets nur mit kleinen 
Inseln und nur einem Sporn und zwar am Hinterrand der zweiten Marke, während bei Bos 
normal zwei in jeder Marke existiren — Basalpfeiler sehr dünn. 


Tragelaphus. Afrika. Ungemein primi- 
tives Gebiss, Zähne nicht höher als lang. 
Oberer P, lang, sehr einfach, mit ganz un- 
vollständigem Innenmond, P; kräftiger als P,, 
aber diesem sehr ähnlich, unterer P, einfach, 
unterer P; und P, mit zwei Coulissen und 
Innenhöcker,’an P, zu einer Innenwand um- 
gewandelt. Basalpfeiler nur am unteren M,. 
Rippen der Aussenhöcker der oberen M kräf- 
tiger als an den Innenhöckern der unteren M. 
Nur vordere und hintere Innenfalte an den 
unteren M. Dritter Lobus des unteren M3 


Fig. 26. Tragelaphus sylvaticus. 


kantig. Obere M mit schwachen, aber scharfen Aussenfalten am Vorder- und Hinterrand und 
in der Mitte. Hinterende des ersten Innenmondes nicht mit den Aussenhöckern verbunden. 


168 


Eine Art hat dieken oberen Py und Schmelzinseln und Basalpfeiler am unteren M, und 
M, und am oberen M;. 
Limnotragus fehlt. 


Strepsiceros. Süd- und Westafrika. Zähne ähnlich Tragelaphus, aber sehr gross. 
Unterer Py einfach, P; und P, mit je zwei Coulissen und Innenhöcker, der an P, zu einer 
Innenwand wird. Oberer P, gross mit Innenmond, P,; ähnlich P,, untere M nur vorne mit 


Fig. 27. Strepsiveros Kudu. 


Innenfalte, Rippen an Aussenseite der oberen und an Innenseite der unteren M mässig 
entwickelt, Falten an Aussenseite der oberen M ziemlich kräftig, vordere stärker als die 
mittlere. Ohne Sporne, aber mit Schmelzinsel im Centrum. Nur unterer M mit Basalpfeiler. 


Taurotragus. Weibchen gehörnt. Afrika. (Oreas Livingstonei.) Molaren etwas höher 
als lang. Oberer P, niedrig, mit fast vollständigem Innenmond, P; ähnlich P,, beide mit Sporn 
am Innenmond, unterer P, schneidend mit einer, P; und P, mit drei.Coulissen und Innenhöcker, 
P; auch mit accessorischem Innenhöcker, Innenhöcker des P, als Innenwand entwickelt, Rippen 
an den Innenhöckern der unteren und den Aussenhöckern der oberen M mässig entwickelt, 


Fig. 28. Taurotragus Livingstonei. 


untere M nur mit Innenfalten, obere M auf Aussenseite mit drei Falten versehen, davon die 
vordere stärker als die mittlere und hintere. Basalpfeiler des unteren Mı dünn, aber hoch. 
Uebrige M ohne Basalpfeiler. Obere M länger als breit mit Insel, am Hinterende des vorderen 
Innenmondes und mit schwachem Sporn in der zweiten Marke. Dritter Lobus des unteren M; 
mit Kante versehen. 


Hier wäre auch die von Sclater und Thomas nicht berücksichtigte Gattung Anoa zu 
besprechen, sowie Rupicapra, Nemorrhaedus und Antilocapra. 


169 


Anoa. Nur zwei untere P, Innenhöcker des P; coulissenartig, an P,; normal; oberer P, 
schmal, mit unvollständigem Innenmond, P; ähnlich P,, aber schmäler und mit stärkerer Rippe 
an Aussenhöcker und schwächerem Innenmond. Rippen der Aussenhöcker der oberen und der 
Innenhöcker der unteren M kräftig, ebenso die Aussenfalten der oberen, nicht aber die Innen- 
falten der unteren M. Basalpfeiler am oberen Mı und My und am unteren M,. Obere M fast 
quadratisch im Querschnitt, mit Insel im Centrum, aber ohne Sporne. Oberer M; mit schwachem 
Talon, dritter Lobus des unteren M; gross, gerundet. Höcker und Halbmonde sehr dick. 
Molaren nicht viel höher als lang. 


> IST => 
SITZT 
Fig. 29. Anoa depressicornis. Fig. 30. Rupicapra. 


Rupicapra. P, und P, im Unterkiefer sehr klein mit nur je einer Coulisse, P, mit 
zwei Coulissen und einem nach vorwärts verlängertem Innenhügel; oberer P, gestreckt, einfach, 
P; mit Innenmond, kleiner als P,. Rippen auf Aussenhöckern der oberen und Innenhöckern 
der unteren M ziemlich schwach, Vorder- und Mittelfalte der oberen M mässig entwickelt; an 
den unteren M schwache Vorder- und Hinterfalte, Vorderaussenfalte sehr undeutlich. Obere M 
stark comprimirt. ° M ohne Basalpfeiler. Je ein Sporn in vorderer und hinterer Marke und Insel 
im Centrum. Dritter Lobus des unteren M; gerundet, dreieckig. Oberer M,; hinten etwas 
verlängert. Obere M gestreckt. Zähne nicht viel höher als lang. 

Es besteht ziemlich grosse Aehnlichkeit mit Tragelaphus und besonders mit Aepyceros. 


Nemorrhaedus. Unterer P, einfach, kurz, P,; mit Innenhöcker und Coulisse, Innenhöcker 
des P, in Innenwand umgestaltet. Oberer P, mit unvollständigem Innenmond, P; ähnlich P,;, 
alle drei mit Sporn. Aussenfalten der oberen M stark, kräftiger als Vorder- und Hinterfalte 
der unteren M. Vorderaussenfalte der unteren M schwach. Dritter Lobus des unteren M; 
klein, mit Kante bei bubalinus, sonst gerundet. Obere M, auch alt, länger als breit, mit Insel 
im Centrum und mit Sporn am Hinterrande beider Marken. Rippen der Aussenhöcker der 
oberen M stärker als die der Innenhöcker der unteren M. Basalpfeiler höchstens am unteren 
Mı.-. Alle Zähne, auch die P sehr hoch. 


Antilocapra. Alle P relativ lang. Oberer P, ähnlich P;, und P, ähnlich P,, nur 
schmäler, alle mit starker Verticalrippe. Rippen und Falten der M schwach mit Ausnahme 


EILIIIIDII> 


Fig. 31. Nemorrhaedus. Fig. 32. Antilocapra americana. 


Abh.d. II. Cl.d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 22 


170 


der grossen umgebogenen Mittelrippe der oberen M. Anwesenheit eines dritten Lobus am oberen 
M, und einer Art vierten Lobus am unteren M;. Untere P, und P; einfach; Innenhöcker der 
P, in eine Innenwand umgestaltet. Stark differenzirte Form. 


Ich will hier keine weitergehenden Schlüsse aus der Beschaffenheit des Gebisses ziehen, 
aber ich kann es auch nicht unterlassen, das Auseinanderreissen der Bubalinae und Hippo- 
traginae einerseits und das Ausschliessen von Rupicapra, Antilocapra und Nemorrhaedus 
von den Antilopen andererseits, wie dies in der neuesten Systematik von Selater und 
Thomas!) der Fall ist, als im höchsten Grade unnatürlich zu bezeichnen. 

Ich befinde mich in diesem Falle durchaus in Einverständniss mit Rütimeyer, wenn ich 
auch nicht wie er verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Rupicapra und den Bubalinae 
und Hippotraginae, sowie zwischen Portax (Boselaphus) und den Cephalophinae, und 
zwischen den Gazellen und Cobus zu finden vermag. Wie in allen anderen Abtheilungen 
der Säugethiere, so leistet auch hier, bei den Cavicorniern, das Gebiss für die Systematik 
weitaus bessere Dienste als alle anderen Merkmale, jedoch muss man bei seiner Anwendung 
sich vollkommen darüber klar sein, was primitive und was secundäre Charaktere sind, und 
welcher Veränderungen die ursprüngliche Zahnform fähig ist. 


Ergebnisse der Odontologie der recenten Antilopen. 


Nach den Verhältnissen im Zahnbau lassen sich die Antilopen in folgender Weise 
gruppiren: 

Bubalinae. Diese Familie ist eine durchaus natürliche, trotz der sehr verschiedenen 
Ausbildung der Hörner, denn die Zähne aller drei Gattungen haben den nämlichen Bauplan. 
Die Ineisiven und Caninen haben nahezu gleiche Grösse und stehen weniger bogenförmig als 
bei den übrigen Antilopen. Die Stammform hatte jedenfalls 3 P von der Zusammensetzung 
der P von Damaliseus, jedoch war der untere P, wohl noch grösser. Die Molaren waren 
dagegen denen von Bubalis und Connochaetes ähnlicher. Sicher war nur ein Sporn in 
jeder Marke der oberen M vorhanden. Das Fehlen von Basalpfeilern ist vielleicht eine 
Reductionserscheinung, insoferne sie vom zweiten Innenmond der unteren M aufgesaugt wurden. 
Ein Rudiment ist noch an M, zu beobachten. Der Cement von Bubalis ist ein Neuerwerb. 
Damaliscus tritt schon im indischen Tertiär auf, folglich muss die Trennung der drei Gattungen 
schon früh erfolgt sein. 

Am nächsten stehen unter den übrigen Antilopen Addax, Cobus und vor Allem Oryx. 

Cephalophinae zeichnen sich durch niedrige Zahnkronen und primitiven, Cerviden- 
ähnlichen Zahnbau aus. Die Ineisiven sind mit Ausnahme des Jı sehr klein und dicht zu- 
sammengedrängt. Auch der Schädelbau ist bei beiden Gattungen sehr ähnlich; bemerkenswerth 
erscheint die Grösse und Tiefe der Thränengrube. Die Einfachheit und Kürze der P von 
Cephalophus muss als Reduction gedeutet werden, ebenso das Fehlen der Mittelfalte an der 
Aussenseite der oberen M sowie die Abwesenheit von Basalpfeilern. Tetraceros ist jedenfalls 
die primitivere Form, aber die Trennung beider Gattungen muss sehr weit zurückliegen. — 
Mit keiner anderen Familie der Antilopen besteht nähere Verwandtschaft ausser mit den 
‚Neotraginae. 

Neotraginae. Unter diesen ist Oreotragus wohl die primitivste Form; die glatten 
einfachen Zähne von Nanotragus und Rhaphiceros erweisen sich als Speeialisirungen. Das 
Gebiss von Ourebia hat grosse Aehnlichkeit mit dem von Tetraceros. Die Einfachheit der 
Hörner, die Anwesenheit einer grossen Thränengrube und die Form der zierlichen Ineisiven 


!) The Book of Antelopes. London 1894—1900, 4 Vol., 40, 921, p. 100, pl. 121 Textfig. 
°) Die Rinder der Tertiärepoche nebst Vorstudien zu einer natürlichen Geschichte der Antilopen. 
Abhandl. der schweiz. paläont. Gesellschaft, 1877/78. 


171 


und Caninen hat diese Familie mit den Cephalophinen gemein, die P und M erinnern 
dagegen mehr an die Gazellen. Alle drei Unterfamilien, die Cephalophinae, Neotra- 
ginae und Antilopinae gehen vermuthlich auf nordamerikanische Formen, nämlich auf die 
- Hypertragulidae zurück. 

Cervicaprinae. Cobus und Cervicapra sind trotz der verschiedenen Körpergrösse 
wirklich ziemlich nahe verwandt. Cervicapra ist hinsichtlich der relativen geringen Höhe 
der Zahnkronen primitiver, aber vorgeschrittener in der Speeialisirung der Molaren — Com- 
pression der Höcker und Monde —, und in der Stärke des Cementes. Die Beschaffenheit der 
Ineisiven und Caninen bietet nichts besonders Auffälliges, dagegen spricht der Bovinenähnliche 
Bau der P und M für Beziehungen zu den Bubalinen, zu Addax und zu Anoa. Cobus 
existirt bereits in der Siwalikfauna. Die Hörner sind bovinenähnlich. 

Antilopinae. Die Gattungen Antilope und Aepyceros sind untereinander näher 
verwandt als mit den übrigen, die erstere ist primitiver in der Zusammensetzung des unteren 
P,, aber vorgeschrittener in der Reduction der Prämolarenzahl. 

Auch Pantholops und Saiga stehen vielleicht in einem engeren verwandtschaftlichen 
Verhältniss zu einander trotz der verschiedenartigen Hörner. Die Verdiekung der Aussenfalten 
an den oberen Molaren von Pantholops stellt jedenfalls eine Speeialisirung dar, dagegen ist 
die Breite der oberen M ein primitiver Zustand. Die Verschmälerung des oberen P;, die 
Kieinheit des unteren P; und die 3 Zahl der P erweisen sich als Reduction, welcher jedoch 
die Complication des unteren P, gegenüber steht, soferne diese nicht schon von alter Zeit her 
ererbt wurde. In diesem Falle wäre die Verwandtschaft mit Saiga eine sehr entfernte. 

Antidorcas mit reducirter Prämolarenzahl und complieirtem dritten M, nimmt eine sehr 
isolirte Stellung ein. Die letzterwähnte Specialisirung findet sich auch bei Antilocapra, ist 
aber kaum ein Zeichen näherer Verwandtschaft. 

Gazella subgutturosa und Bennetti stehen einander näher als der Gazella dorcas 
mit ihren dieken oberen P. Bei Bennetti sind die P gestreckter als bei doreas, aber doch 
relativ kürzer als bei subgutturosa. Näher als doreas kommt hierin G. Granti, die sich 
aber durch die schwache Entwickelung der Rippen an der Innenseite der unteren und der 
Aussenseite der oberen M wieder mehr an dorcas anschliesst und auch mit dieser die Kleinheit 
des unteren P, gemein hat. G. subgutturosa und Bennetti sind im Zahnbau primitiver; 
die Abwesenheit von Rippen an den Aussenhöckern der oberen P und M und der Innenseite 
der unteren M von G. dorcas erweist sich wohl als eine Speeialisirung, die aber schon sehr 
weit zurückdatirt, denn die Scheidung in beide Gazellengruppen bestand schon zur Zeit der 
Hipparionfauna. Die bedeutende Grösse von G. Granti darf wohl als Fortschritt betrachtet 
werden, die Anwesenheit des Basalpfeilers am unteren M, als primitives Merkmal. 

Gazella Thompsoni stellt gewissermaassen eine Mittelform zwischen Bennetti und 
dorcas dar, sie ist aber doch eher der Nachkomme einer Bennettiähnlichen Form. 

Lithoeranius ist im Zahnbau nicht nur die primitivste aller Gazellen, sondern auch 
fast die primitivste unter allen lebenden Antilopen. Die Zähne erinnern durchaus an solche 
von Hirschen, aber auch etwas an jene von Gazella brevicornis von Pikermi, jedoch 
sind die Zähne dieser fossilen Form viel zierlicher. 

Hippotraginae. Diese Unterfamilie hat im Zahnbau sowohl Anklänge an die Bubalinae 
als auch an Anoa und an die Bovinen. Es ist mir überaus unwahrscheinlich, dass diese 
Aehnlichkeit lediglich auf gleichartiger Entwickelung beruhen sollte, ich bin vielmehr der 
Ansicht, dass alle diese Formen auf eine gemeinsame Urform zurückgehen, die allerdings bis 
jetzt noch nicht bekannt ist. Auf die verschiedene Ausbildung der Hörner möchte ich um so 
weniger Gewicht legen, als z. B. die Bovinen zeigen, wie rasch und wie beträchtlich sich die 
Stärke, Länge und Richtung der Hörner ändern kann. Die gewundenen Hörner von Addax 
haben ein Analogon in der Gattung Antilope unter den Antilopinen. Der Hauptunterschied 
gegenüber den Bubalinen besteht in dem Vorhandensein von Basalpfeilern an den Molaren, 
in der Grösse des oberen P, und in dem Fehlen einer Innenwand am unteren P.. 

Auch die Cervicaprinen stehen nicht allzufern, ja sie sind eigentlich im Zahnbau sogar 
noch ähnlicher als die Bubalinen, namentlich besteht zwischen Addax und Cobus hierin 

22% 


172 


eine überraschende Aehnlichkeit. Als Unterschied wäre nur zu bemerken die Anwesenheit eines 
grossen Innenhöckers am unteren P; und P, und die Einfachheit und die Länge des oberen P, 
sowie das Fehlen von Schmelzinseln an den oberen M. 

Die Bovinen unterscheiden sich durch die Rauhigkeit des Schmelzes und den Besitz 
von Üement. 

Oryx ist im Bau der Hörner — abgesehen von deren Länge — primitiver als Addax, 
aber die eigenthümliche Ausbildung der Basalpfeiler der Molaren und die Einfachheit des 
unteren P, darf wohl als Differenzirnng aufgefasst werden. ; 

Hippotragus scheint in der Entwicklung der Hörner die ursprünglichste dieser 
drei Gattungen zu sein, der bovinenähnliche Zahnbau hingegen ist wohl eine besondere 
Differenzirung. 

Die Tragelaphinae sind, soferne die Gattung Boselaphus hieher gestellt wird, eine 
durchaus unnatürliche Gruppe, denn sie weicht im Zahnbau fundamental von Tragelaphus, 
Strepsiceros und Taurotragus ab. 

Die Zähne dieser letzteren Gattungen sind die primitivsten unter allen Antilopenzähnen. 
Sie stimmen im Wesentlichen mit jenen der Cerviden überein, nur sind sie viel weniger 
rauh und dafür höher. Die Ineisiven und Caninen von Tragelaphus unterscheiden sich von 
jenen bei Strepsiceros, Taurotragus insoferne als hier wie bei den Gazellen Ja, J; und 
C schmäler und spitzer sind als Jı. Tragelaphus ist jedenfalls die primitivste unter diesen 
Gattungen, denn Taurotragus und Strepsiceros haben wenigstens Zunahme der Körper- 
grösse erfahren. 

Boselaphus erweist sich seinem Zahnbau nach als ein primitivrer Bovine, geringe 
Höhe der Zahnkrone, Fehlen von Cement und schwache Entwickelung der Basalpfeiler. Der 
Bau der Zähne und die rauhe Schmelzoberfläche sprechen mit aller Entschiedenheit für die 
Trennung der Gattung Boselaphus von den Antilopen. Sie hat mit den Tragelaphinen 
nur die sehr entfernte Stammform gemein. 

Anoa ist sowohl mit den Bubalinen als auch mit den Hippotraginen sehr nahe 
verwandt. Besonders gross ist die Aehnlichkeit im Zahnbau mit der Gattung Oryx. Der 
Hauptunterschied gegenüber dieser Gattung besteht in dem Besitz von Cement und in dem 
Verlust des unteren P,, was aber natürlich kein Grund gegen die Annahme einer näheren 
Verwandtschaft sein kann ebensowenig wie die Verschiedenheit der Hörner, denn ein Analogon 
für beides haben wir auch in der Gattung COonnochaetes innerhalb der Bubalinen. Die 
Verkürzung des Gesichtsschädels von Anoa ist eine Speecialisirung. Anoa geht jedenfalls auf 
die nämliche Stammform zurück wie die Bubalinen und Hippotraginen. Auch die Cervica- 
prinen dürften derselben nicht allzu ferne stehen. Diese Stammform steht ihrerseits auch dem 
Ausgangspunkt der Bovinen und der Gattung Boselaphus sehr nahe. 

Unter den bisher bekannten fossilen Antilopen gibt es keine, deren Gebiss so beschaffen 
wäre, wie wir es für diese ursprüngliche Form erwarten dürfen. Nur die Zähne von Trago- 
cerus geben eine ungefähre Vorstellung hievon. a 

Rupicapra und Nemorrhaedus haben im Zahnbau sehr grosse Aehnlichkeit mit 
Aepyceros, besonders ist dies bei Nemorrhaedus der Falle Als Unterschiede lassen sich 
nur die Abwesenheit von Inseln an den oberen M und die Dicke der oberen P von Aepyceros 
anführen. Rupicapra steht in Folge der schlankeren Oberkieferprämolaren und des etwas 
mehr redueirten unteren P, schon ferner. Sie hat wohl die Stammform mit Nemorrhaedus 
gemein und diese steht wieder dem Ausgangspunkt von Aepyceros sehr nahe. Die Ab- 
weichungen im Schädelbau der drei Gattungen sind nicht so wesentlich, dass sie sich nicht 
etwa doch erst in der Zeit vom Unterpliocän an herausgebildet haben könnten. Sie bestehen 
in erster Linie in dem Fehlen von Thränengruben und in’der Anwesenheit von Lücken zwischen 
dem Ober- und Zwischenkiefer von Aepyceros. Da sich aber diese Gattung hierin auch von 
der Gattung Gazella unterscheidet, mit welcher sie trotzdem in ein und dieselbe Unterfamilie 
gestellt wird, so liegt doch gewiss kein Grund vor, Rupicapra und Nemorrhaedus aus 
dieser Gruppe auszuschliessen. Dagegen ist es entschieden ungerechtfertigt, diese Gattungen 


173 


mit Capra und Ovis zusammen zu stellen, welch letztere durch ihre excessiv hohen Molaren 
so wesentlich hievon abweichen. 

Antilocapra hat mit Pantholops die stark vorspringende Mittelfalte an der Aussenseite 
der oberen M gemein, mit Antidorcas die Form der P und den kräftigen Talon am oberen 
und unteren M. Das letztere Merkmal erweist sich freilich wohl nur als gleichartige Diffe- 
renzirung, allein der ganze Zahnbau ist doch dem der Gazellen resp. der Antilopinen so 
ähnlich, dass ein genetischer Zusammenhang mit diesen überaus wahrscheinlich wird, jedoch 
dürfte die gemeinsame Stammform immerhin schon- sehr weit zurückliegen. Der eigenthümliche 
Wechsel der Hornscheiden kann ebenso gut eine Specialisirung als der ursprüngliche Zustand 
sein; ich möchte indessen die erstere Möglichkeit für das Wahrscheinlichere halten, denn auch 
bei Hippotragus kommt Abschuppung der äusseren Hornfasern vor, wobei sich das Horn 
von unten her erneuert, worauf mich Herr Dr. Leisewitz aufmerksam gemacht hat. 

Auch Rütimeyer!) betont sehr stark die Beziehungen zwischen Antilocapra und den 
Gazellen. Der langgestreckte niedrige Schädel ist offenbar ein sehr primitives Merkmal. 


Bei Zugrundelegung des Gebisses würde die Gruppirung der Antilopen folgende sein: 
A. Bubalinae, Hippotraginae, Anoa, Cervicaprinae. Bovinengebiss. Uebergang 
zu den Bovinen — Boselaphus. 


B. Antilopinae inel. Rupicapra, Nemorrhaedus, Antilocapra. Uebergang zu den 
Caprinen. 


C. Neotraginae aus alten Vorfahren der Antilopinae entstanden. 
D. Cephalophinae, ein besonderer Stamm. 
E. Tragelaphinae haben mit Gruppe A die Urform gemein, 


1) Die Rinder der Tertiärepoche nebst Vorstudien zu einer natürlichen Geschichte der Antilopen. 
Abhandlungen der schweizerischen paläontologischen Gesellschaft. 1877/78, p. 67. 


174 


Rückblick. 


Wenn man die vorliegende Arbeit mit der Koken’schen Monographie der fossilen Säuge- 
thiere Chinas vergleicht, so werden sich in zweifacher Hinsicht gewaltige Unterschiede bemerkbar 
machen, an denen jedoch nicht die Autoren, sondern die Verhältnisse die Schuld tragen. 

Der eine dieser beiden Unterschiede besteht in der Quantität und Qualität des bearbeiteten 
Materiales, der andere in der wesentlich abweichenden Art und Weise der Darstellung. 

Während Koken!) nur über 5 Arten von Carnivoren, 5 Arten von Proboscidiern, 
11 oder richtiger nur 9 Arten von Perissodactylen und 15 Arten von Artiodactylen verfügen 
konnte, wobei jedoch die Zahl der wirklich pliocänen Arten sich auf die 5 Proboscidier, auf 
3 oder höchstens 4 Perissodaetylen und auf 4 Artiodactylen redueirt, im Ganzen also auf 
12 oder höchstens 13 Arten aus dem Tertiär, kann ich diesen mit Hilfe des vorliegenden 
Materiales und der übrigens recht spärlichen, anderweitig beschriebenen Formen 22 Arten aus 
dem Pleistocän und 60 Arten aus unzweifelhaften Tertiärschichten, also fünfmal soviel wirkliche 
Tertiärspecies gegenüberstellen, von denen sogar ganze Gruppen unter dem Koken’schen 
Material nicht einmal angedeutet sind wie die Carnivoren und Suiden oder wie die 
Antilopen nur durch einen einzigen Zahn repräsentirt werden. Auch in der Zahl der 
Individuen, beziehungsweise der Zähne hält das Koken’sche Material nicht im Entferntesten 
einen Vergleich mit jenem aus, welches Herr Dr. Haberer mit so grossem Eifer und Geschick 
zusammengebracht hat; denn es stehen z. B. seinen zwei Zähnen von Aceratherium Blan- 
fordi über 100 Backenzähne dieses Rhinoceroten und seinen zwei Dutzend Hipparion- 
zähnen nahezu 1000 in der Sammlung des Herrn Dr. Haberer gegenüber. 

Aber auch die Form der Darstellung weicht in der vorliegenden Arbeit wesentlich ab 
von jener in Koken’s Monographie, denn obschon es mir möglich war, oder doch möglich 
gewesen wäre, fast von jeder Art die 10 bis 20 wichtigeren Zähne aufs Genaueste zu schildern, 
nimmt die Beschreibung der einzelnen Species kaum oder höchstens ebenso viel Raum ein wie 
bei meinem Vorgänger. 


!) Koken beschreibt folgende Arten: 


Carnivora: Perissodactyla: Artiodactyla: 
Hyaenarctos sp. Chalicotherium sinense Sus n. sp. 
Ursus aff. japonicus Aceratherium Blanfordi var. hip- Palaeomeryx Oweni 
Hyaena sinensis parionum a sp. 
Canis n. sp. Rhinoceros plieidens Cervus orientalis 
Felis sp. ! r sinensis » leptodus 
Proboseidia: ( = sivalensis) Camelopardalis mierodon 
Mastodon perimensis var. sinensis = u simplicidens) a sp. 
er vinoceros sp. - ibos sp. 
- aff. Pandionis £ a . } 
Steyodon Cliftiüi Tapirus sinensis Bison sp. 
x insignis Hipparion Richthofeni ; Bos sp. 
n e . - 
ö bombifrons Hipparion sp. Bubalus Sp. 
Equus sp. Ovis sp. 


wobei nur die cursiv gedruckten Namen solche von Species aus dem Tertiär sind, und die eingeklam- 
merten ganz in Weofall kommen. 


175 


Diese Vereinfachung ist dem glücklichen Umstande zu verdanken, dass trotz der fabel- 
haften Bereicherung, welche die Zahl der fossilen Säugethiere in den 15 Jahren seit dem 
Erscheinen der Koken’schen Arbeit erfahren hat, doch auch die Sichtung dieses Materiales 
wesentliche Fortschritte gemacht hat, so dass es jetzt nicht mehr wie damals nöthig ist, jeden 
Zahn jeder einzelnen Species mit denen aller übrigen Arten des nämlichen Genus zu ver- 
gleichen, vielmehr darf man sich jetzt getrost darauf beschränken, solche Reste nur mit jenen 
der als allernächste Verwandte erkannten Arten aus den geologisch unmittelbar vorausgehenden 
und unmittelbar nachfolgenden Schichten näher zu confrontiren. 

Wir haben heutzutage dank der weitgediehenen Durcharbeitung und naturgemässen 
Gruppirung des fossilen Säugethiermateriales nur mehr nöthig, neue, oder durch den neuen 
Zugang wesentlich ergänzte, aber doch schon länger bekannte Formen in die schon ohnehin 
ziemlich sicher vorgezeichneten Stammesreihen einzufügen und zu prüfen, ob sie Merkmale an 
sich haben, welche sie geeignet erscheinen lassen, als Vorfahren oder Nachkommen von dieser 
oder jener Art oder Gattung, ja selbst von dieser oder jener ‘Unterfamilie zu gelten, oder ob 
sie sich als gänzlich erloschene Typen erweisen durch den Besitz von Merkmalen, welche mit 
der Organisation späterer Formen nicht in Einklang zu bringen sind. 

Gerade in dieser Beziehung haben unsere Kenntnisse der fossilen Säugethiere in den 
beiden letzten Dezennien so bedeutende Fortschritte gemacht. Wir haben jetzt genaue Kenntnisse 
von den Gesetzen, welche die Entwickelung der einzelnen Säugethierstämme regeln und zwar 
in zweierlei Richtung, nämlich als Progression und als Reduction, wobei aber letztere ebenfalls 
gewissermaassen als Progression, als Fortschritt zur Geltung kommt. Die Fortschritte!) äussern 
sich, soweit sie sich an fossilen Säugethieren beobachten lassen, in folgender Weise: 

1) Zunahme der Körpergrösse. 

2) Zunahme und Complication des Gehirns und dementsprechend auch des Craniums. 

- 3) Specialisirung der Schädelform durch Verkürzung des Gesichtsschädels — Primaten, 
gewisse Fleischfresser — oder Entwicklung von Geweihen oder Hörnern — gewisse Huf- 
thiere. 

4) Reduction des ursprünglichen Gebisses der Placentalier mit 23 +C, 4P 32M und 
3JD 1CD #PD (Milchgebiss) — durch Verlust von gewissen Ineisiven, Caninen und Prä- 
molaren bei Hufthieren. Nagern und Primaten und Verlust von gewissen Molaren und 
Prämolaren bei Fleischfressern und Fledermäusen, und ausserdem auch von gewissen 
Ineisiven und Caninen bei Inseetivoren — verbunden mit Umgestaltung von Caninen in 
Ineisiven und mit Complication von Prämolaren. 

5) Umgestaltung der ursprünglich fünfzehigen Extremitäten in vierzehige bei einigen 
Fleischfressern und selbst bei Primaten, in dreizehige bei gewissen Nagern und Unpaar- 
hufern, in vier- resp. zweizehige bei den Paarhufern und sogar in einzehige bei dem 
Pferdestamm. 


Morphologische und phylogenetische Resultate. 


Primates. 


Der einzige, diese Ordnung vertretende Zahn, ein M,; des linken Oberkiefers, ist leider 
zu stark abgekaut, als dass man ihn generisch bestimmen könnte. Er könnte ebenso gut einem 
Menschen, als einem neuen Anthropoidengenus angehören. In seinen noch erkennbaren Merkmalen 
erweist er sich gewissermaassen als eine Mittelform zwischen Palaeopithecus sivalensis 
und dem Menschen von Krapina. Mit dem Ersteren hat er die Zahl und Stärke der Höcker 
gemein, mit dem Letzteren die Verwachsung der Wurzeln. Leider lässt sich die ursprüngliche 


1) Es können hier nur die allerwichtigsten Modificationen angegeben werden, die bei den hier 
beschriebenen Formen erfolgt sind. 


176 


Beschaffenheit der Kaufläche, namentlich der so wichtige Grad der Runzelbildung absolut nicht 
mehr ermitteln, so dass wir auf die Bestimmung der Gattung vollkommen verzichten müssen, 


Auch über das geologische Alter dieses Zahnes sind wir im Ungewissen. Sein Erhaltungs- 
zustand erinnert zwar etwas an den der Zähne aus den Hipparionenschichten von Schansi 
und Sz’tschwan, allein es ist doch auch keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, dass dieser 
Zahn einem Menschen angehört hat, aber dann längere Zeit in aufgelockertem Tertiärthon 
begraben lag. Selbst wenn er jedoch nicht aus dem Tertiär stammen sollte, müssten wir ihm 
doch ein ziemlich hohes Alter zuschreiben, denn sonst könnte er nicht so stark fossilisirt sein. 


Carnivora. 


Ursus sp. Während die fossilen europäischen Ursusarten bereits sämmtlich mit Aus- 
nahme höchstens des Ursavus brevirhinus von Steiermark der Euarctosgruppe angehören, 
deren bekanntester Vertreter Ursus aretos ist, scheint in China zusammen mit Hipparion 
eine Ursusart gelebt zu haben, welche möglicherweise der Ausgangspunkt für die Tremaretos- 
gruppe sowie für Melursus und Thalassarctos ist, denn der Talon des unteren M, ist hier 
sehr einfach gebaut und sehr schmal, was auch auf einen einfacheren Bau der übrigen Molaren 
schliesen lässt. Als Stammvater dieser, freilich erst sehr mangelhaft bekannten Art kommt 
aber doch wohl der genannte Ursavus brevirhinus in Betracht. Sie ist möglicher Weise mit 
Ursus Theobaldi aus den Siwalik identisch, dessen Zähne zwar bis jetzt noch nicht gefunden 
worden sind, dessen Schädel jedoch nach Lydekker mit dem von Ursus, Melursus, labiatus 
grosse Aehnlichkeit besitzt. Der neue Ursus aus China könnte aber auch der Vorfahre des 
Ursus aff. japonicus sein, welchen Koken aus China beschrieben hat. Während jedoch 
der neue Ursuszahn aus China zweifellos aus Tertiärschichten stammt, ist Ursus aff. japo- 
nieus sicher schon eine pleistocäne Art. 


Hyaenaretos sp. In China kommt noch im jüngeren Pliocän oder sogar noch im 
Pleistoeän ein Hyaenarctos vor, dessen M jedoch auffallend wenige Runzeln aufweisen und 
daher eher an Amphicyon als an ächte Hyaenarctos erinnern. In Europa und in Indien 
sind diese Formen schon im älteren Pliocän erloschen, nachdem sie schon vom Oligocän an 
als Amphicyon und vom ÖObermiocän an als Hyaenarctos einen nicht unbeträchtlichen 
Reichthum an Arten entfaltet haben. 


Vulpes sinensis. Die Hipparionenfauna von China — und zwar die damalige 
Waldfauna enthält den ältesten ächten .altweltlichen Fuchs. In Europa erscheint ein solcher 
erst im Öberpliocän, Vulpes Donnezani. Die Ahnen dieses Vulpes sinensis, welcher 
sowohl in der Grösse als auch im Zahnbau dem lebenden Vulpes vulgaris sehr ähnlich ist, 
haben in Nordamerika gelebt; sie gehen jedoch auf die Gattung Cynodietis des europäischen 


Eoeäns zurück, die sich von Vulpes eigentlich nur durch die Viverrenähnlichen Extremitäten 
unterscheidet. 


Canis sp. Wolfsgrösse. Sowohl im Pleistoeän als auch im Pliocän von China 
kommt ein Canide von Wolfsgrösse vor, allein man kennt bis jetzt davon nur sehr dürftige 
Reste. Gleich den Füchsen sind auch die Wölfe aus Nordamerika in die alte Welt ein- 
gewandert, wo die Letzteren im Miocän durch die Gattungen Temnocyon und Hypotem- 
nodon, die. Ersteren aber durch Galeeynus repräsentirt werden. In Europa treten auch die 
Wölfe erst im Oberpliocän auf, in Indien dagegen haben schon gleichzeitig mit Vulpes 
sinensis und Canis sp. Vertreter der Füchse — Canis eurvipalatus und der Wölfe — 
Canis Cautleyi gelebt, von welchen der Letztere mit dem grossen Canis aus dem Tertiär 
von China nahe verwandt ist, während der Erstere sich mehr an südliche Fuchstypen anschliesst. 
Die Existenz einer mittelgrossen Canidenform mit verkürziem Kiefer wird angedeutet durch 
ein zahnloses Kieferfragment. Auch dieser Ueberrest stammt aus dem Tertiär. Dagegen hat 
der von Koken beschriebene Canidenzahn von Wolfsgrösse jedenfalls ein geringeres Alter, 
Pleistoeän. Möglicher Weise besteht zwischen diesem Caniden und jenem aus dem Tertiär 
ein directer genetischer Zusammenhang. 


Lutra brachygnathus ist eine speeialisirte Form, welche sich durch die dicken 
Prämolaren und den langen schmalen Talon des unteren ersten Molaren von allen übrigen 
Lutraarten unterscheidet und sich einigermaassen der Gattung Mellivora nähert. Allein nur 
das Gebiss hat einige Aehnlichkeit mit dem von Mellivora, die Form des Kiefers ist durchaus 
Lutraartig. Die chinesische Art geht wohl auf eine Species im europäischen Miocän, vielleicht 
auf Lutra Lorteti zurück. Nachkommen hat sie schwerlich hinterlassen. Die Lutraarten 
der Siwalikfauna sind nicht näher mit ihr verwandt. 

Die Gattung Meles hat zwar bei Maragha in Persien und in China, aber nicht auch im 
indischen Tertiär Vertreter. Während jedoch die beiden Arten aus Maragha dem lebenden 
Meles taxus theils durch ihren einfacheren Zahnbau theils durch ihre gewaltige Grösse 
ziemlich ferne stehen, schliesst sich der fossile Meles taxipater aus China sehr enge an 
jene lebende Art an. Als sein Stammvater darf Trochietis taxodon im europäischen Mioeän 
angesehen werden, | 

Palhyaena hipparionum, ein treuer Begleiter von Hipparion, fehlt auch in China 
nicht, oder ist daselbst doch wenigstens durch eine sehr nahestehende Form vertreten, was 
sich aber nicht entscheiden lässt, ehe nicht das Gebiss genauer bekannt sein wird. Palhyaena 
bildet scheinbar in morphologischer Hinsicht den Uebergang zwischen den Gattungen Icti- 
therium und Hyaena, denn sie hat noch zwei untere Molaren, und die Form der Prämolaren 
steht in der Mitte zwischen jener von Ictitherium und Hyaena Chaeretis. Trotzdem ist 
es nicht recht wahrscheinlich, dass wir hier eine genetische Reihe vor uns haben, denn alle 
genannten Formen treten gleichzeitig neben einander auf, während doch diese verschiedenen 
Entwicklungsstadien sich auf mehrere Formationsstufen vertheilen sollten. Die Ableitung der 
Hyänen von Ietitherium und indireet von Viverren wird noch dadurch erschwert, dass 
im Pliocän von Asien — China und Indien — die Zahl der Hyänenarten eine sehr grosse 
ist, anstatt dass erst allmälig eine Zunahme der Artenzahl stattgefunden hätte. Ich bin daher 
geneigt, für die Hyänen eine gesonderte Abstammung anzunehmen und sie mit Matthew von 
der eocänen Gattung Palaeonictis abzuleiten, wobei allerdings zeitlich eine sehr weite, 
vorläufig unüberbrückbare Kluft bestehen bleibt. 

Hyaena sinensis aus dem Pleistocän von China kann, soferne überhaupt eine indische 
Art als ihr Vorläufer in Betracht kommen darf, nur von Hyaena sivalensis abstammen, 
dagegen ist Hyaena felina trotz ihrer scheinbaren Aehnlichkeit mit sinensis doch nicht 
näher verwandt, denn die Reduction des Talon des unteren M, ist bei ihr schon viel weiter 
vorgeschritten als bei der geologisch viel jüngeren sinensis. 

Die von Lydekker in der Mongolei nachgewiesene Hyaena macrostoma, eine ächte 
Siwalikart, war unter dem von Herrn Dr. Haberer gesammelten Materiale nicht aufzufinden, 
sie wird anscheinend ersetzt durch eine andere kleine Art, deren Prämolaren viel gedrungener 
sind und mehr an jene von Hyaena sivalensis erinnern. 

Eine zweite, wesentlich grössere und anscheinend ziemlich häufige Art aus China, die 
aber vorläufig ebenfalls keinen Namen erhalten kann, da ihr oberer letzter Prämolar noch nicht 
genügend bekannt ist, hat in der Siwalikfauna keine Verwandten, dagegen steht sie der in 
Europa weit verbreiteten H. eximia, die aber auch in Persien vorkommt, in der Beschaffenheit 
der Prämolaren sehr nahe. Sie unterscheidet sich hauptsächlich durch den noch complieir- 
teren Bau ihres unteren Molaren. Beide Arten haben wohl einen gemeinsamen Stammvater, 
auf welchen aber auch wahrscheinlich die neue riesige Hyaena gigantea aus China 
zurückgeht. » 

Hyaena gigantea hat sowohl mit Hyaena eximia als auch mit der einen nicht näher 
benannten Art aus China die Reduction des Innenhöckers am oberen P, gemein, mit der 
ersteren auch die Reduction des unteren Molaren. Alle drei bilden zusammen eine engere 
Gruppe innerhalb der fossilen Hyänen und haben offenbar keine Nachkommen hinterlassen, 
denn alle geologisch jüngeren sowie die lebenden Hyänen besitzen einen viel complieirteren 
oberen Ps, wie er auch allen Hyänenarten aus dem Siwalik gemein ist. Nur diese können 
daher als die Ahnen der Hyänen von Val d’Arno und der Auvergne sowie als die der diluvialen 
und recenten Arten in Betracht kommen, während jene drei gänzlich erloschene Typen darstellen. 

Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 23 


178 


Hyaena gigantea erweist sich übrigens schon durch ihre für Hyänen ohnehin ganz 
ungewöhnliche Körpergrösse als vollkommen ausgestorbene Form. 

Die grosse Zahl der unterpliocänen Hyänenarten, welche durch das Material aus China 
von 7 auf 10 vermehrt wird, die sämmtlich gleichzeitig gelebt haben, zwingen geradezu zu 
der Annahme, dass diese Gattung schon weiter zurückdatiren muss und nicht erst zur Hip- 
parionenzeit aus Ietitherium ete. entstanden sein kann. 

Machairodus horribilis hat grosse Aehnlichkeit mit dem europäischen Machairodus 
aphanistus von Eppelsheim und Pikermi, aber die feine Zähnelung des oberen Canin erinnert 
an den geologisch jüngeren M. erenatidens. M. palaeindieus aus den Siwalik unterscheidet 
sich durch den kürzeren aber diekeren unteren P4, M. sivalensis ist kleiner, aber im Zahnbau 
ähnlicher. Es ist gerade nicht unmöglich, aber doch nicht recht wahrscheinlich, dass der 
erwähnte erenatidens von dieser chinesischen Art abstammt, deren direeter Vorläufer sich 
indessen nicht mit Sicherheit ermitteln lässt, wie es überhaupt schwer fällt, den genetischen 
Zusammenhang zwischen den einzelnen Machairodusarten festzustellen. Alle gehen jedoch 
auf die Nimraviden des nordamerikanischen Oligocän und Miocän zurück; allerdings kommt 
auch im europäischen Oligocän ein Machairodus vor. 

Machairodus sp. Eine zweite aber kleinere chinesische Machairodusart wird allenfalls 
durch einen oberen Caninen angedeutet. 

Felis sp. Im Pleistocän von China hat ein Felide von fast Löwengrösse existirt, von 
dem allerdings bis jetzt nur ein einziger Zahn bekannt ist. 

Felis sp. aff. pardus. Wie in der Siwalik-, so kommt auch in der Hipparionenfauna 
von China ein Felide von Panthergrösse vor. Ueber die Phylogenie der Katzen geben 
diese dürftigen Ueberreste keinerlei Aufschluss, wie überhaupt die Stammesgeschichte dieser 
Familie in Folge ihrer indifferenten Organisation wohl nie in befriedigender Weise festgestellt 
werden wird. 


Rodentia. 
Siphneus arvicolinus schliesst sich zwar im Zahnbau, abgesehen von gewissen Eigen- 
thümlichkeiten — undeutliche Entwickelung der Aussenfalten — an die lebenden Siphneus- 


arten an, allein seine beträchtliche Körpergrösse spricht dafür, dass wir es mit einer gänzlich 
erloschenen Form zu thun haben. An Arvicola erinnert die bedeutende Länge des ersten 
Backenzahnes, während er bei den ächten Siphneus nicht viel länger ist als der folgende. 
Die neue Art, welche eigentlich als besonderes Genus aufgefasst werden sollte, hat zwar auf 
keinen Fall mehr im Pleistocän gelebt, sie ist aber wahrscheinlich doch geologiseh jünger als 
Hipparion. 

Dipoides Majori ist ein Biberartiger Nager, dessen Backenzähne jedoch um je eine 
Falte ärmer sind als die von Castor. P% ist der grösste aller Zähne, gleich den M besitzt er 
je eine Aussen- und eine Innenfalte. Die oberen P und M, die man zwar noch nicht aus China, 
wohl aber aus den schwäbischen Bohnerzen kennt, hatten mit Ausnahme des M,, welcher mit 
drei Aussenfalten versehen ist, je zwei Aussen- und eine Innenfalte. Der Unterkiefer aus 
China ergänzt unsere Kenntnisse dieser Gattung sehr wesentlich, denn er zeigt, dass vier 
Backenzähne vorhanden waren wie bei Castor, was mit Hilfe der nur isolirt vorkommenden 
Zähne aus jenen Bohnerzen nicht zu ermftteln war. Die Vierzahl der Backenzähne war aber 
keineswegs mit Nothwendigkeit vorherzusehen, denn in Nordamerika gibt es im Tertiär Casto- 
riden mit nur drei Backenzähnen und geringerer Faltenzahl — Eucastor, Sigmogomphius. 


Proboscidia. 


Die aus China vorliegenden Ueberreste dieser Ordnung bestehen nur aus Zahnfragmenten 
und einigen wenigen, mehr oder minder vollständigen Zähnen, welche sich jedoch in ihrem 
Bau sehr enge an Formen aus dem indischen Tertiär anschliessen oder zum Theil sogar direet 
mit indischen Arten identifieirt werden dürfen. Sie bieten daher in morphologischer Hinsicht 
sehr wenig Neues. 


179 


Elephas primigenius. Die Annahme, dass das Mammuth auch in China gelebt hat, 
konnte bis jetzt zwar noch nicht durch Funde von Zähnen bestätigt werden, indessen hat sie 
einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für sich. 

Elephas namadicus steht dem europäischen antiqguus sehr nahe und kennzeichnet 
vermuthlich in Asien wie dieser in Europa einen tieferen Horizont des Pleistocäns. 


Stegodon Clifti, der Nachkomme von Mastodon latidens, Stegodon bombifrons 
sowie Stegodon insignis wurden bereits früher in China, der letztere sogar jetzt schon 
mehrfach nachgewiesen, ohne dass jedoch dieses neue Material unsere Kenntnisse dieser aus- 
schliesslich asiatischen Arten irgendwie erweitert hätte. 


Dagegen befinden sich unter dem von Herrn Dr. Haberer gesammelten Materiale Zähne 
von Mastodon latidens, oder einer doch sehr ähnlichen Art, der bisher aus China noch 
nicht bekannt war. An ihn. schliesst sich eine offenbar selbständige neue Species an, Mastodon 
Lydekkeri, die mit ihm die Abwesenheit von Zwischenhöckern sowie die ziemlich gleiche 
Grösse der Haupt- und Nebenhöcker gemein hat, aber in Folge des Vorhandenseins von Cement 
an Mastodon perimensis erinnert. Diese neue Art gehört unzweifelhaft der Hipparionen- 
fauna an. Das nämliche Alter hat wahrscheinlich auch Koken’s Mastodon perimensis 
var. sinensis, der aber nach Lydekker eine besondere Species repräsentirt. Alle diese 
genannten Arten von Mastodon gehören in die Gruppe der Tetralophodonten, bei welchen 
der vorletzte Molar vier und der letzte Molar fünf Joche besitzt. 


Im Gegensatz zu Europa, wo nur mehr Tetralophodonten zusammen mit Hipparion 
existit haben, hat sich in Asien — China, Indien — der Trilophodontenstamm, der 
morphologische Vorläufer der Tetralophodonten, erhalten in Mastodon Pandionis, welcher 
auch noch unzweifelhaft die vor den Molaren befindlichen Zähne gewechselt hat. Diese Art 
konnte jetzt schon mehrfach in China constatirt werden. 


Perissodactyla. 


Die Rhinocerotidae zählen nach meinen Untersuchungen im Pleistocän Chinas drei 
und in der Hipparionenfauna vier Vertreter. 

Die pleistocäneu Arten sind Rhinoceros (Atelodus) antiquitatis. der jedoch nur 
zoogeographische und stratigraphische, aber auf keinen Fall stammesgeschichtliche Bedeutung 
hat, Rhinoceros sinensis und Rh. plieidens. 


Rhinoceros sinensis wurde bereits von Owen beschrieben, später aber mehrfach mit 
sivalensis vermischt oder sogar vollkommen damit identifieirt, was jedoch schon aus strati- 
graphischen Gründen unzulässig ist, da sivalensis zweifellos dem Pliocän angehört. Auch 
unterscheidet sich sinensis dadurch von sivalensis, dass wenigstens seine oberen Prämolaren 
mit einer zweiten Rippe an der Aussenseite versehen sind, bei sivalensis aber sicher nicht. 
Auch steht sinensis in der Grösse entschieden hinter sivalensis zurück. Dagegen scheint 
dieser Rhinocerotide mit Rh. karnuliensis aus dem Pleistocän der Karnulhöhlen zum 
mindesten sehr nahe verwandt zu sein und somit ebenfalls in die Gruppe der Atelodinae zu 
gehören. Der Stammvater dieser beiden Arten lässt sich vorläufig nicht mit Sicherheit ermitteln. 


Rhinoceros plicidens ist eine sehr grosse Form, deren obere Molaren sich durch den 
Besitz eines sehr langen Crochet auszeichnen. Alle Zähne haben beträchtliche Höhe. Unter 
den bis jetzt, bekannten Arten aus dem Tertiär von Indien und China hat Rh. plieidens 
keine näheren Verwandten, wohl aber steht er dem Rhinoceros megarhinus aus dem 
jüngeren europäischen Pliocän sehr nahe und gehört vermuthlich wie dieser in die Gruppe der 
Ceratorhinae. Möglicher Weise stehen beide sogar in einem direeten genetischen Verhältniss 
zu einander. Wie Rh. megarhinus ist auch plieidens höchst wahrscheinlich ein Nachkomme 
des Ceratorhinus Schleiermacheri und somit europäischen Ursprungs. 

Rhinoceros Habereri n. sp. mit 3J 0 0 &P 3 M zeichnet sich durch die Höhe seiner 
Zahnkronen und die Abwesenheit eines Aussenpfeilers — Parastyl — an den oberen P und M 
aus und erinnert in dieser Hinsicht an Teleoceras fossiger aus dem nordamerikanischen 

23* 


180 


Obermiocän. Diese letztere Art besitzt ungemein kurze, plumpe Extremitäten, und soferne sie 
wirklich mit dem neuen Rhinocerotiden aus China verwandt wäre, müsste auch dieser ein 
kurzbeiniges plumpes Thier gewesen sein, was sich bis jetzt freilich nieht entscheiden lässt, 
solange wir nur seine isolirten Zähne kennen. Andererseits besteht aber doch auch im Zahnbau 
eine gewisse Aehnlichkeit mit Rhinoceros palaeindieus aus der Siwalikfauna, wenn auch 
die P bei diesem entschieden niedriger sind, und die M niemals ein Antecrochet tragen. Sollte 
Habereri wirklich mit dieser indischen Form, dem Vorläufer des lebenden indischen unicornis 
näher verwandt sein als mit Teleoceras fossiger, wofür übrigens auch der Umstand sprechen 
würde, dass die Zahl seiner Prämolaren noch # beträgt, während der amerikanische Rhino- 
cerotide trotz seines höheren geologischen Alters bereits Reduction der Prämolarenzahl bis 
auf 2 erfahren hat, so wäre gleichwohl noch eine ziemlich weite Kluft zwischen beiden Arten 
auszufüllen. Als entfernter gemeinsamer Ahne .könnte höchstens Ceratorhinus sansaniensis 
aus dem europäischen Miocän in Betracht kommen. 

Rhinoceros Brancoi n. sp. unterscheidet sich von Habereri durch seine zierlicher 
gebauten Zähne und durch die Anwesenheit zahlreicher Secundärfalten auf seinen oberen 
Backenzähnen. Während Habereri zweifellos ein Bewohner von Grassteppen war, wie das 
Zusammenvorkommen mit den zahlreichen Hipparion und den vielen Antilopenarten ver- 
muthen lässt, hat Brancoi augenscheinlich sumpfige Waldgebiete bewohnt, denn seine Ueberreste 
finden sich nur zusammen mit solchen von Hirschen und der Mehrzahl der Schweine. Im 
Zahnbau hat dieser Rhinocerotide eine gewisse Aehnlichkeit mit Atelodus antiquitatis, 
dem wollhaarigen Rhinoceros des europäischen und asiatischen Pleistocän, allein ehe wir nicht 
auch den Schädel kennen, lässt sich nicht entscheiden, ob diese Anklänge nur als Analogien 
oder als Zeichen von wirklicher Verwandtschaft aufgefasst werden dürfen. Dagegen ist wohl 
kaum daran zu zweifeln, dass Rhinoceros Brancoi und Habereri unmittelbar auf die 
nämliche Stammform zurückgehen. 

In dem chinesischen Waldgebiet hat jedoch noch ein zweiter Rhinocerotide gelebt, 
dessen generische Stellung freilich bei der geringen Zahl der hievon vorliegenden Ueberreste 
nicht mit voller Bestimmtheit ermittelt werden kann, wenn auch seine Zugehörigkeit zur Gattung 
Aceratherium die meiste Wahrscheinlichkeit für sich hat, denn seine relativ niedrigen Zähne 
erinnern doch eher an solche der folgenden Aceratheriumart, als an solche von Rhinoceros 
sivalensis. Sollte sich die Bestimmung als Aceratherium durch spätere bessere Funde 
bestätigen, so wäre zugleich auch ein Hinweis auf die Herkunft dieses Rhinocerotiden 
gegeben. Als ein, wenn auch entfernter Vorfahre käme alsdann wohl Aceratherium 
platyodon aus dem europäischen Mittelmiocän in Betracht. 

Aceratherium Blanfordi var. hipparionum verdient nicht bloss wegen der Häufigkeit 
seiner Ueberreste und der gewaltigen Dimensionen seiner Zähne, namentlich der unteren 
Schneidezähne ein besonderes Interesse, sondern auch desshalb, weil es eine der wenigen Arten 
ist, welche China mit der Fauna der Siwalik gemein hat. Die oberen P und M weisen 
insgesammt kräftige Secundärbildungen an ihrer Basis auf — kragenartiges Basalband, bezieh- 
ungsweise Basalwulst in der Tiefe des Querthales — und die unteren M sind stark in die 
Länge gezogen. Während die Zahl der unteren P sicher nur 3 beträgt, scheint die Zahl der 
unteren D noch 4 zu sein. Die riesige Entwiekelung der unteren Incisiven kannte man bisher 
nur bei der Unterfamilie der Braehypodinen, sie findet sich aber auch bei dem Acera- 
therium von Samos und kann uns daher auch bei Blanfordi nicht überraschen. Osborn 
stellt Aceratherium Blanfordi irrigerweise zu den Brachypodinen, als deren bekanntester 
Vertreter „Rhinoceros“ brachypus im europäischen Miocän zu nennen wäre. Dagegen 
gehört das von Lydekker und Osborn zu der Gattung Aceratherium gerechnete indische 
„perimense“ zweifellos zu den Brachypodinen. Aceratherium Blanfordi stammt aller 
Wahrseheinlichkeit nach von dem europäischen mittelmiocänen Aceratherium platyodon ab. 
Wie die meisten Arten der Gattung Aceratherium war auch A. Blanfordi ein Bewohner 
des Graslandes. Seine Ueberreste finden sich nur zusammen mit solchen von Hipparion und 
Antilopen, aber nie mit solchen von Hirschen und der Mehrzahl der Schweine. Nach- 
kommen hat Aceratherium Blanfordi schwerlich hinterlassen. 


181 


Tapirus sinensis stammt sicher nicht aus dem Pliocän, sondern augenscheinlich nur 
aus pleistocänen Ablagerungen. 

Wenn man nicht die Existenz zweier Tapirarten nebeneinander annehmen will, wofür 
sowohl in der Gegenwart, als auch schon im Tertiär verschiedene Beispiele anzuführen wären, 
so muss man für die Variationsgrenzen der Dimensionen dieser Art einen ziemlich weiten 
Spielraum offen lassen, denn die gleichstelligen Zähne zeigen bei Tapirus sinensis erhebliche 
Grössenschwankungen. Der lebende Tapirus indicus ist zu klein, als dass er als Nachkomme 
dieser Art gelten könnte, welche vermuthlich europäischen Ursprungs ist. 

Chalicotherium sinense, gleich Tapirus sinensis schon von Owen beschrieben, ist 
wie alle Chalicotheriumarten sehr selten im Vergleich zu den übrigen, mit ihm vergesell- 
schafteten Säugethieren. Auch diese Species stammt nicht aus dem Pliocän, wie man bisher 
glaubte, sondern schon aus dem Pleistocän und ist somit der jüngste und zugleich letzte 
Vertreter dieser Gattung. Sein Vorläufer war Chalicotherium sivalense aus dem indischen 
Tertiär, welches möglicher Weise auch in China gelebt hat, denn es liegt ein Zahn aus Schansi 
vor, der recht wohl zu dieser Art gehören könnte. 

Anchitherium Zitteli. Wir waren bisher gewohnt, die Gattung Anchitherium 
geradezu für das Hauptleitfossil des Miocäns anzusehen, allein in China scheint sie wirklich 
noch mit Hipparion, das zwar früher als ihr Nachkomme gegolten hat, aber doch wohl auf 
kein ächtes Anchitherium zurückgehen dürfte, zusammen gelebt zu haben, aber nur in den 
Grassteppen von Schansi, denn aus dem Waldland liegen bis jetzt keine Ueberreste von 
Anehitherium vor. Diese exceptionelle lange Lebensdauer des chinesischen Anchitherium 
erklärt sich indessen einigermaassen dadurch, dass diese Form in der Entwiekelung wesentlich 
vorgeschritten ist gegenüber den bisher bekannten Arten dieser Gattung. Ihr Fortschritt äussert 
sich in der bedeutenden Zunahme der Körpergrösse, eine Erscheinung, welche fast in allen 
Stammesreihen der Säugethiere wiederkehrt. Alle beginnen mit kleinen, unscheinbaren Formen, 
und nehmen dann bis zu ihrem vollständigen Erlöschen immer mehr an Grösse zu, nur aus- 
nahmsweise finden wir Rückschläge, den Nachkommen kleiner als seinen Vorläufer. Solange 
nicht Aufsammlungen an Ort und Stelle zeigen, dass Hipparion und Anchitherium auch in 
China nur in verschiedenen Horizonten vorkommen, dürfen wir an der Annahme festhalten, 
dass beide Gattungen daselbst noch zusammen gelebt haben. Anchitherium Zitteli ist 
jedenfalls der direete Nachkomme des europäischen Anchitherium aurelianense, dessen 
Vorläufer aber aus Nordamerika stammt — Mesohippus. 

Hipparion Richthofeni ist die häufigste und am weitesten verbreitete unter allen 
fossilen Säugethierarten, welche bis jetzt in China zum Vorschein gekommen sind. Die meisten 
Ueberreste dieses Hipparion stammen aus den westlichen Provinzen und fanden sich dort in 
Gesellschaft gewisser Rhinoceroten und Antilopen, den Bewohnern trockener Gebiete. 
Gleichwohl kommt dieses Hipparion auch nicht selten in den östlicher gelegenen Provinzen 
Honan, Hupeh und Hunan in Gesellschaft der Hirsche und Schweine, also in einem 
ehemaligen Waldgebiete vor. Es ist ja wohl möglich, dass Hipparion gelegentlich auf 
Wanderungen in diese Gegenden gelangte, aber es erscheint auch die Möglichkeit nicht aus- 
geschlossen, dass die hier vorkommenden Ueberreste zum Theil wenigstens von Thieren stammen, 
welche bei Ueberschwemmungen zu Grunde gegangen sind, wobei die Cadaver auf beträchtliche 
Strecken durch Wasser transportirt wurden. Der nächste Verwandte des chinesischen Hip- 
parion ist augenscheinlich das indische Hipparion antilopinum, jedoch können wir nicht 
mit Sicherheit entscheiden, ob Hipparion Richthofeni der Ahne des europäischen und 
westasiatischen H. graeile und des erwähnten antilopinum war oder nur die Stammform 
mit beiden gemeinsam hatte. In der Provinz Kwantung lebte eine kleine Form mit sehr 
einfach gebauten Backenzähnen, welche entweder eine Zwergrasse oder den ursprünglichen 
Typus des Hipparion Richthofeni darstellt. Von dem europäischen und westasiatischen 
Hipparion graeile unterscheidet sich diese Art durch die gestreckteren Zähne und die 
stärkere Fältelung des Schmelzes, sowie durch die unregelmässigere Form des Innenpfeilers 
an den oberen Prämolaren und Molaren. Bei Hipparion antilopinum sind die Schmelz- 
schlingen der Backenzähne weniger gerundet und die Zähne sogar noch breiter als bei gracile, 


182 


allein bei der geringen Zahl der von antilopinum existirenden Ueberreste ist es nicht ganz 
ausgeschlossen, dass diese Art mit Richthofeni am Ende doch identisch sein könnte. Jeden- 
falls besteht zwischen beiden eine nähere Verwandtschaft als zwischen Hipparion Richthofeni 
und graeile. Das indische H. Theobaldi sowie das europäische erassum unterscheiden sich 
schon durch ihre beträchtlicheren Dimensionen von H. Richthofeni. Die nordamerikanischen 
Hipparion endlich zeigen in dem Grade und in dem Charakter der Schmelzfältelung ein ganz 
abweichendes Verhalten; sie haben daher auf keinen Fall nähere genetische Beziehungen zu 
len altweltlichen Hipparionarten. Dass die Gattung Hipparion von Nordamerika einge- 
wandert ist, kann zwar nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, denn die Kluft zwischen ihr 
und dem altweltlichen Anchitherium ist viel zu gross, als dass dieses Letztere als der 
Stammvater von Hipparion gelten könnte, während in Nordamerika im Miocän thatsächlich 
eine ziemliche Anzahl Zwischenformen existiren. Allein dieses Material harrt erst noch einer 
genaueren Untersuchung. ; 

Sehr viel inniger als zwischen Anchitherium und Hipparion sind die Beziehungen 
zwischen Hipparion und der Gattung Equus. Eine Zeit lang galt ja auch Hipparion als 
der unzweifelhafte Stammvater von Equus, dann aber wurde der scheinbare Nachweis erbracht, 
dass Hipparion eine im Zahnbau viel specialisirtere Form darstelle als Equus, und mithin 
unmöglich als dessen Ahne aufgefasst werden dürfe. Diese Frage scheint mir jedoch noch 
keineswegs definitiv beantwortet zu sein, denn Complication der Schmelzfalten findet sich auch 
bei einem ächten Pferd, dem Equus Stenonis, und die Isolirung des Innenpfeilers der Ober- 
kieferzähne hört wenigstens bei stark abgekauten Prämolaren von Hipparion auf, der Hip- 
parionzahn wird also ontogenetisch gewissermaassen zu einer Art von Equuszahn. Ueberdies 
stellt Hipparion ecrassum im Bau der Extremitäten — Rückwärtsverlagerung der Seitenzehen — 
geradezu ein Uebergangsstadium zwischen Hipparion gracile und Equus dar. 


Die Gattung Equus selbst ist wohl polyphyletischen Ursprungs, oder sie umfasst Dinge, 
welche in Wirklichkeit nicht zusammen gehören, denn die fossilen pleistocänen amerikanischen 
„Equus“ stellen wahrscheinlich eine selbständige Gattung dar. 


Equus sivalensis kommt in China und zwar in dem ehemaligen Waldgebiet von 
Hunan, Hupeh, Honan, anscheinend zusammen mit Hipparion vor, während er in Indien 
nur in Ablagerungen gefunden wird, welche jünger sind als jene mit Hipparion. Auch aus 
der Mongolei kennt man Ueberreste des Equus sivalensis. Lydekker hält ihn für den 
Ahnen von Hemionus. Dies mag zwar für die von Lydekker untersuchte Form gelten, 
dagegen ist Equus aus Honan etc. anscheinend viel zu gross, als dass er als Ahne von 
Hemionus in Betracht käme. Die von mir untersuchten Zähne zeichnen sich durch eine für 
Equus fast ungewöhnliche Höhe aus. 


Equus sp. ist im Pleistocän von China mehrfach vertreten, jedoch reicht das bis jetzt 
vorhandene Material nicht aus, um die etwaigen Beziehungen zu den lebenden asiatischen 
Wildpferden festzustellen. 


Artiodactyla bunodonta. 


Sus sp. Im Pleistocän Chinas fanden sich Zähne eines grossen Suiden, welche in 
Folge ihrer Kürze und Breite von denen der asiatischen Schweine der Scerofa- und Verru- 
eosusgruppe abweichen und sich mehr an jene der afrikanischen Sus penicillatus und 
larvatus sowie an barbatus und vittatus anschliessen. 


Sus scrofa, eine kleine Form aus dem jüngeren Pleistoeän hat in der Gestalt der 
Molaren einige Aehnlichkeit mit dem europäischen Torfschwein, woraus aber nur das Eine 
hervorgeht, dass auch dieses Letztere aus Sus scrofa entstanden ist, ohne dass man zu der 
Annahme gezwungen wäre, dass dieses Thier aus Asien. eingeführt worden sei. Von einem 
weiteren pleistoeänen Suiden der Serofagruppe liegen nur spärliche Ueberreste vor. 


Sus Stehlini aus der Hipparionenfauna zeigt noch alterthümliche Merkmale, insoferne 
seine unteren Molaren jenen von „Hyotherium“ Meisneri aus dem europäischen Unter- 


185 


miocän sehr ähnlich sind. Alterthümlich ist die Kleinheit und die geringe Höhe dieser Zähne 
und insbesonders die schwache Entwickelung des Talons am oberen M;. Dagegen haben die 
beiden ersten oberen Molaren doch schon eine ziemliche Streekung erlitten, und der Unterkiefer 
zeigt unterhalb des ersten Molaren eine beträchtiiche Anschwellung, welcher im Oberkiefer 
jedenfalls eine kräftige Canincrista entsprach, wie sie sich auch bei der lebenden ostafrikanischen 
Gattung Potamochoerus und bei Sus vittatus, einem Angehörigen der Scerofagruppe, 
findet. Die Abstammung des Sus vittatus von diesem neuen Suiden ist jedoch nicht sehr 
wahrscheinlich, da gleichzeitig mit diesem in China schon eine andere Form gelebt hat, welche 
im Bau und in der Grösse der Molaren sich an vittatus sogar noch enger anschliesst. In 
der Fauna der Siwalik existiren zwei Suiden, welche dem Sus Stehlini sehr ähnlich sind 
— Sanitherium Schlagintweiti und Sus punjabiensis — und gleich ihm von einem 
europäischen Palaeochoerus abstammen. Als Nachkomme von Sus Stehlini könnte allenfalls 
Potamochoerus betrachtet werden. 


Sus mierodon, allerdings nur spärlich repräsentirt, zeiehnet sich durch die auffallende 
Kleinheit und Einfachheit des Talons am unteren M; und dementsprechend auch am oberen M, 
aus. Aehnlich schwache Entwickelung des Talons finden wir bei Sus antediluvianus im 
europäischen Unterpliocän und bei Potamochoerus provineialis minor und arvernensis 
im Oberplioeän, jedoch sind diese beiden letzteren Arten bedeutend grösser. Auch Sus 
mierodon geht höchst wahrscheinlich auf eine Palaeochoerus ähnliche Form des europäischen 
Oligocän oder Untermioeän zurück, allein es ist vorläufig nicht möglich, die fehlenden Zwischen- 
glieder namhaft zu machen, denn die hiefür in Betracht kommenden miocänen Formen wie 
Hyotherium Sömmeringi sind entweder schon zu gross oder wie Palaeochoerus 
aurelianensis zu speeialisirt. 

Sus hyotherioides erweist sich als eine sehr alterthümliche Form wegen der geringen 
Höhe ihrer Backenzähne und wegen der beträchtlichen Breite der oberen Molaren. Aehnliche 
Verhältnisse finden wir bei Sus hysudricus in der Siwalikfauna und bei Sus choeroides 
im europäischen Obermiocän, bei dem jedoch der Talon des letzten Molaren schon viel com- 
plieirter geworden ist. Es macht sich hier der Uebelstand besonders fühlbar, dass wir die so 
charakteristischen Caninen noch nicht kennen, welche über den genetischen Zusammenhang der 
einzelnen Suidenformen viel besseren Aufschluss gewähren als die im Ganzen doch etwas 
indifferenten Molaren dieser Gruppe. 

Als Sus nov. sp. ind. muss ich wegen Mangel an vollständigerem Materiale vorläufig 
einen Suiden von ansehnlicher Körpergrösse bezeichnen, welcher sich sowohl hierin als auch 
im Bau seiner Backenzähne recht enge an Sus Falconeri der Siwalik anschliesst und eine 
bedeutende Complication des Talons seiner letzten Molaren aufweist. Aus der Aehnlichkeit 
mit Sus Faleoneri, einem vittatus-ähnlichen Angehörigen der Scrofagruppe, dürfen wir 
den Schluss ziehen, dass auch dieser neue Suide ein Glied dieser Gruppe darstellt, und da 
Faleoneri einen gänzlich erloschenen Typus repräsentirt, dürfte dies wohl auch für diese 
chinesische Form gelten. 

Sus giganteus benennt Lydekker einige Zähne aus einer Höhle in Sz’tschwan. Ich 
finde unter den mir vorliegenden Suidenzähnen keine, welche sich auf diese gewaltige Form 
beziehen liessen. Die Bestimmung als giganteus ist übrigens sehr anfechtbar, weil hierunter 
eine Art aus dem Pliocän der Siwalik verstanden werden muss, während die von Lydekker 
in dieser Weise bestimmten Zähne jedenfalls aus dem Pleistocän stammen. 


Wie schon vorhin bemerkt, macht sich der bisherige Mangel an Caninen bei dem 
chinesischen Suidenmateriale recht fühlbar, da uns diese Zähne für die genetische 
Reihenfolge der einzelnen Suidenformen viel bessere Anhaltspunkte darbieten, als die im 
Ganzen doch recht einförmigen Molaren dieser Gruppe. Soviel dürfen wir jedoch mit Be- 
stimmtheit behaupten, dass alle Suiden des chinesischen Tertiär und ebenso auch alle fossilen 
indischen Suiden auf solche des europäischen Tertiärs zurückgeführt werden müssen. 

Hippopotamus. Obwohl von dieser Gattung nur ein einziger, allerdings riesiger 
Molar vorliegt, so hat dieses Objeet doch hervorragende Bedeutung, denn es zeigt, dass dieses 


184 


heutzutage für Afrika so typische Genus zur Zeit der Hipparionenfauna in Asien gelebt hat, 
und zwar sogar noch viel weiter nördlich als es bisher den Anschein hatte, solange nur aus 
den indischen Siwalik fossile Arten von Hippopotamus bekannt waren. Für die Stammes- 
geschichte der Gattung Hippopotamus gibt uns dieser Zahn zwar keinen direceten Aufschluss, 
aber immerhin wird es doch höchst wahrscheinlich, dass wir auch die Zwischenglieder zwischen 
Acotherulum des europäischen Eocän und diesem Hippopotamus in Eurasien zu suchen 
haben und nicht etwa in Afrika. 


Artiodactyla selenodonta. 
Tylopoda. 


Paracamelus gigas nov. gen. n. sp. benannte ich zwei Molaren eines riesigen, aber 
jedenfalls gänzlich ausgestorbenen Tylopoden, welcher in China zusammen mit Hipparion 
gelebt hat. Mit dem fossilen indischen Camelus sivalensis hat derselbe wohl die Stammform 
gemein. Während aber dieser letztere sich sowohl in seinen Dimensionen als auch in der 
Umgestaltung seiner Molaren — Verlust der Rippen an den Aussenhöckern der oberen Molaren — 
schon sehr enge an die lebenden Camelusarten anschliesst, hat die chinesische Form zwar 
den alterthümlichen Zahnbau bewahrt, in ihren Dimensionen aber die Durchschnittsgrösse der 
Gattung Camelus weit überschritten. Paracamelus und Camelus sivalensis haben ihre 
ursprüngliche Heimath in Nordamerika, wo die Tylopoden schon im Eocän und zwar mit 
sehr kleinen Formen beginnen und dann durch alle Stufen des Tertiärs sich fortsetzen unter 
fortwährender Zunahme der Körpergrösse. Die Formen von Camelgrösse sterben daselbst im 
Pliocän und Pleistocän aus, während die kleiner gebliebenen Auchenia in dieser Zeit nach 
Südamerica auswanderten. Den gemeinsamen Ahnen von Paracamelus und Camelus dürfen 
wir mit ziemlicher Sicherheit in der Gattung Protolabis des nordamerikanischen Mioeän suchen. 


Giraffinae et Sivatheriinae. 


Während Lydekker nur die eine Familie der Camelopardalidae anerkennt und 
zu derselben auch die im Folgenden unter den Sivatheriinen angeführten Gattungen rechnet, 
erscheint es doch angezeigter, zwei gleichwerthige Unterfamilien, Giraffinae und Siva- 
theriinae, anzunehmen. 

Die Giraffinen umfassen die Gattungen Camelopardalis, Orasius, Aleicephalus, 
Samotherium, Palaeotragus und Helladotherium nebst Hydaspitherium grande, 
denn dieser allerdings nur unvollkommen bekannten Art gehört vermuthlich auch der vermeintliche 
Helladotheriumschädel aus den Siwalik an, der aber in verschiedenen osteologischen Ver- 
hältnissen und namentlich im Zahnbau von dem des Helladotherium von Pikermi abweicht 
und sowohl in der Grösse als auch. in der Beschaffenheit der Zähne recht gut zu jenem 
angeblichen Hydaspitherium passt, während Hydaspitherium grande in beiden Stücken 
von dem Typus der Gattung Hydaspitherium, dem H. megacephalum, wesentlich abweicht, 
welcher hierin sowie auch im Bau des Schädels dem Genus Bramatherium so nahe steht, 
dass es fast besser wäre, diese Art „Bramatherium® megacephalum zu benennen und den 
hiedurch frei werdenden Genusnamen Hydaspitherium für das vermeintliche indische 
Helladotherium zu verwenden. 

Zu der Gattung Urmiatherium, welche bis jetzt lediglich auf einem Cranium basirt, 
gehören möglicher Weise entweder die eigenthümlichen, nahezu glatten, stark in die Länge 
gezogenen und mit wohlentwickeltem Basalband versehenen Zähne, auf welche die Gattung 
Vishnutherium begründet wurde, von welcher jedoch der Schädel nicht bekannt ist, oder 
aber, was ich fast noch für wahrscheinlicher halte, die neuen Sivatheriinenzähne aus China. 


Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Giraffinae von einem der grossen Palaeomeryx 
des europäischen Miocäns, Kaupi, Bojani und eminens, abstammen, denn weder die Zahn- 
form noch auch die Organisation des Skelettes der Giraffinen stehen dieser Annahme 
irgendwie im Wege. Es brauchte nur die Palaeomeryxleiste der unteren Molaren zu 


185 


verschwinden, eine geringe Complication der Prämolaren stattzufinden und der obere Canin 
verloren zu gehen, wenn aus dem Gebiss von Palaeomeryx das der Giraffen werden sollte. 


Die Sivatheriinen dürften dagegen amerikanischen Ursprungs sein, denn der Abstand 
zwischeu ihnen und den genannten Palaeomeryx ist zu gross, als dass in der kurzen 
Zeit zwischen Obermiocän und Unterpliocän die hiefür nöthigen Zwischenformen existirt haben 
könnten. Ich bin daher geneigt, die Protoceratinen Nordamerikas als die Ahnen der 
Sivatheriinen anzusprechen, denn ihre Organisation ist keineswegs eine so fundamental 
verschiedene, als dass sich nicht die Sivatheriinen aus ihnen entwickelt haben könnten. 
Weder der Schädelbau, noch auch das Gebiss und das Extremitätenskelett bieten für eine 
solche Ableitung unüberwindliche Schwierigkeiten; es waren vielmehr nur solche Umwandlungen 
nöthig, wie wir sie auch in anderen Stammesreihen der Selenodonten, z.B. Geloeus — 
Dremotherium — beobachten können. Auch der Umstand, dass die distalen Facetten am 
Radius für Lunatum und Scaphoid viel weniger schräg stehen, als bei den übrigen Ruminantiern 
fällt sehr wenig in’s Gewicht, denn diese minder schräge Stellung der betreffenden Facetten 
zeigt auch Gelocus, wenn schon nur in geringerem Grade als bei Protoceras und selbst 
Samotherium unterscheidet sich in dieser Beziehung von den Hirschen und Cavicorniern. 
Lediglich die grosse Aehnlichkeit der Giraffinae mit den Sivatheriinae spricht allenfalls 
gegen die Annahme, dass diese beiden Gruppen verschiedenen Ursprungs sein könnten. 

Camelopardalis sivalensis übertrifft alle bekannten Arten dieser Gattung durch seine 
gewaltigen Dimensionen, dagegen schliesst er sich im Bau der einzelnen Zähne sehr enge an 
die lebenden Arten an. 

Camelopardalis mierodon kommt zwar in den Dimensionen den übrigen Giraffen 
näher, dagegen sind die Milchzähne noch mehr nach dem Typus der Milchzähne der Cer- 
viden gebaut. 

Alcicephalus, bisher nur aus Maragha in Persien bekannt, unterscheidet sich von 
Camelopardalis durch den mehr quadratischen Umriss der oberen Molaren und die starke 
seitliche Compression der Unterkieferbackenzähne sowie durch das Fehlen von Basalpfeilern an 
den unteren Molaren. Die nächsten Verwandten sind Samotherium und das angebliche 
indische Helladotherium. Die chinesische Art, Aleicephalus sinensis ist ein wenig grösser 
als A. Neumayri; auch hat er im Gegensatz zu diesem einen Basalpfeiler an den oberen 
Molaren und kräftigere Prämolaren. Wie in Maragha in Persien kommt auch in China eine 
zweite, aber kleinere Art von Alcicephalus vor. 

Der Sivatheriine aus China ist nur durch eine Anzahl Zähne vertreten, welche sich 
jedoch auf keine der indischen Formen beziehen lassen und möglicher Weise der Gattung 
Urmiatherium, bisher nur aus Maragha bekannt, zugeschrieben werden dürfen. 


Cervidae. 


Die fossilen Hirschreste aus dem Tertiär von China gehören zum grössten Theil Formen 
an, welche früher als Palaeomeryx bestimmt wurden. Sie unterscheiden sich aber von den 
ächten Palaeomeryeinen durch die Abwesenheit der für diese so charakteristischen Palaeo- 
meryxleiste und die beträchtlichere Höhe ihrer Zahnkronen. Immerhin erweisen sich diese 
Formen als die unmittelbaren Nachfolger und die direeten Abkömmlinge der kleinen und 
mittelgrossen Palaeomeryxarten des europäischen Obermioeän. Da diese kleinen und mittel- 
grossen Cervinen des chinesischen Tertiär sich somit nicht bei der Gattung Palaeomeryx 
— im weitesten Sinne — unterbringen lassen, aber ebenso wenig bei einem Genus der 
fossilen oder lebenden ächten Hirsche, hielt ich es für nothwendig, für sie ein besonderes 
Genus „Cervavus“ zu errichten, von welchem sich ungezwungen vier Arten unterscheiden lassen. 


Gleich den älteren Gattungen Dremotherium, Amphitragulus, Dierocerus besitzt 
auch Cervavus ziemlich eomplieirte oberen Molaren und säbelförmige obere Caninen. Ueber 
das Skelet geben die dürftigen bis jetzt vorhandenen Ueberreste zwar recht wenig Aufschlüsse, 
aber immerhin zeigen sie sehr grosse Aehnlichkeit mit den Verhältnissen bei Dierocerus. 
Wahrscheinlich sind daher auch hier keine distalen Reste von seitlichen Metacarpalien 


Abh.d. II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. I. Abth. 24 


186 


mehr vorhanden. Das Geweih war vermuthlich wie bei Dierocerus noch ein einfaches 
Gablergeweih. 

Für die Cervusarten des europäischen Oberpliocän, wenigstens für jene von Dama- 
und Capreolusgrösse haben die Arten der Gattung Cervavus möglicher Weise grosse 
stammesgeschichtliehe Bedeutung, denn in Europa sind solche Cervinen in der Hipparionen- 
fauna sehr spärlich vertreten, die oberplioeänen Hirsche dürften also auf Formen zurückgehen, 
welche während dieser Zeit ausserhalb Europa gelebt haben. Ich möchte für die mittelgrossen 
miocänen und pliocänen Cervinen geradezu zwei Formenreihen aufstellen: 


Oberplioeän: Cervus Nestii Cervus australis 
Unterplioeän: Cervavus Owenii Cervavus 2. sp. 
Obermioeän: Dicrocerus elegans „Palaeomeryx“ furcatus 
Mittelmioeän: Palaeomeryx anneetens Palaeomeryx sp. 


Von Cervavus lassen sich in China vier Arten unterscheiden, zwischen denen bisher 
keine Uebergänge nachweisbar sind, wenn auch die beiden ersten einander in der Grösse sehr 
nahe stehen. Eine etwaige fünfte Art von der Grösse des europäischen Palaeomeryx 
Bojani ist leider nur schwach angedeutet. 

Cervavus Owenii, Cervavus sp, Cervavus Rütimeyeri, Cervavus speciosus 
und Cervavus sp. Die dritte und vierte Art gehen wahrscheinlich auf „Palaeomeryx“ 
Meyeri des europäischen Obermiocän zurück. 

Diese gleichzeitige Existenz von mehreren kleinen und mittelgrossen Cervinen ist 
keineswegs eine besonders befremdliche Erscheinung, sie hat vielmehr Analoga in den drei 
Abtheilungen des europäischen Miocän, wo gleichfalls immer mehrere, wohl von einander 
unterscheidbare Arten zusammen existirt haben, nämlich: 


Obermioeän: Dierocerus elegans, Palaeomeryx furcatus, Meyeri, parvulus 
und pumilio. 

Mittelmioeän: Dierocerus aurelianensis, Palaeomeryx annectens und Palaeo- 
meryx sp. 

Untermioeän: Dremotherium Feignouxi, Amphitragulus elegans, lemanensis, 
Boulangeri, Pomeli und gracilis. ; 

Diese gleichzeitige Existenz zahlreicher kleinerer Cervinenarten in allen Stufen des 
Miocän und des älteren Pliocän- zusammen mit der Existenz mehrerer grosser Hirscharten 
sowohl im europäischen und chinesischen Pliocän, machen es überaus wahrscheinlich, dass die 
Gattung Cervus im weitesten Sinne polyphyletischen Ursprungs ist. 


Neben Cervavus scheint sich in China aber auch noch die Gattung Palaeomeryx 
erhalten zu haben, jedoch wohl nur in einer einzigen, noch dazu sehr individuenarmen Species. 
Ihr Vorkommen in der Hipparionenfauna ist nicht besonders auffällig, da ja auch in Europa 
zu dieser Zeit noch Palaeomeryxarten in Pikermi und auf der schwäbischen Alb ge- 
lebt haben. 

Ausser diesen Cerviden gab es jedoch in China ebenso wie in Europa ächte Hirsche, 
die auch bereits beträchtliche Körpergrösse besitzen. Zwei dieser Cervusarten schliessen sich 
sehr enge an solche aus der Siwalikfauna an, nämlich an sivalensis und an simplicidens, 
‚beide ungefähr von der Grösse unseres Edelhirsches. Cervus simplieidens zeichnet sich 
bereits durch die Höhe seiner Zahnkronen aus und nähert sich hierin den lebenden Axis- 
hirschen. Vermuthlich gehört ihm auch ein kleiner Geweihabwurf an, weleher dicht über dem 
Rosenstock einen kurzen Spross entwickelt hat und sich stark nach hinten legt. Die dritte 
und zugleich kleinste Art, etwas grösser als Damhirsch, hat im Zahnbau Anklänge sowohl an 
Elaphus, als auch an Axis und Rusa. Eine vierte, sehr stattliche Art, von den Dimensionen 
‘ des Elenthieres ist leider zu spärlich vertreten, als dass sich über ihre verwandtschaftlichen 
Beziehungen Näheres ermitteln liesse, es ist lediglich zu erwähnen, dass sie sehr niedrige 
Backenzähne besessen hat. Auch in Europa gab es zur nämlichen Zeit schon mehrere 
Cervusarten. 


187 


Man sollte erwarten, dass sich der eine oder andere dieser Hirsche als Stammvater 
einer der zahlreichen Hirscharten herausstellen würde, welche im europäischen Oberpliocän 
gefunden worden sind. Allein nur Cervus borbonicus könnte allenfalls der Nachkomme 
von sivalensis sein, denn die übrigen sind kleiner als jene drei resp. vier Hirsche aus 
China. Die Hirsche aus dem europäischen Oberpliocän gehören den Gattungen Axis, 
Polyeladus, Elaphus und Capreolus an, die hier beschriebenen wohl zum Theil der 
Gattung Axis, vielleicht auch der Gattung Elaphus, allein ohne genaue Kenntniss der 
Geweihe lässt sich dies nicht mit Bestimmtheit entscheiden. Die Gattung Capreolus könnte 
wohl der Nachkomme von Cervavus sein, soferne man den Nachweis erbringen würde, dass 
Zwischenformen existiren, deren Prämolaren sich jenen von Capreolus nähern. 

Ausser diesen Hirschen aus dem chinesischen Pliocän kennen wir auch Hirsche aus 
dem chinesischen Pleistoeän. Einer derselben, Cervus leptodus, erweist sich als zur Axis- 
gruppe gehörig; ein anderer, orientalis, ist wohl mit dem lebenden Cervus Aristotelis 
identischh von dem sich auch ein Zahn unter dem von Herrn Dr. Haberer gesammelten 
Materiale befindet, so dass also auch die Rusagruppe schon fossil in China nachgewiesen ist; 
der dritte endlich gehört der Elaphusgruppe an, doch kennt man von ihm vorläufig nur 
Geweihe, welche von Gaudry als Cervus Mongoliae beschrieben worden sind. 


Cavicornia. 


Erstaunlich gross ist der Formenreichthum an fossilen Antilopen in der chinesischen 
Hipparionenfauna, aber merkwürdiger Weise sind es zumeist Typen, welche den gleichaltrigen 
Antilopenformen von Pikermi sehr fremdartig gegenüber stehen, insoferne sie meistens schon 
ein viel moderneres Gepräge zur Schau tragen. Dagegen sind die Beziehungen zu den Anti- 
lopen von Maragha, namentlich zu einigen nur mangelhaft beschriebenen sehr viel innigere. 

Während unter dem von Koken untersuchten Säugethiermaterial aus China sich nur ein 
einziger Antilopenzahn aus unzweifelhaften Tertiärablagerungen befand, war ich genöthigt, 
die mir vorliegenden Zähne dieser Gruppe auf 8 Genera und 16 Arten zu vertheilen. Ein 
grosser Theil gehört Gazellenähnlichen Formen an. 

Als Gazella sp. bestimmt Lydekker Extremitätenknochen aus der Mongolei, welche 
solchen von G. gutturosa und subgutturosa ähnlich sehen, also den jetzt noch in der 
Mongolei lebenden Arten. 

Gazella doreadoides, eine ausschliesslich der Steppenfauna angehörige Species, hat 
im Zahnbau sehr grosse Aehnlichkeit sowohl mit der jetzt in Nordafrika und Syrien lebenden 
Gazella dorcas, als auch mit der ostafrikanischen Gazella Thompsoni. Eine sehr ähnliche 
Art hat sich auch bei Maragha in Persien gefunden. Die Prämolaren des Oberkiefers sind 
schon sehr complieirt und die Molaren haben beträchtliche Höhe erreicht. G. dorcadoides 
könnte demnach sowohl die Stammform von G. borbonica im Oberpliocän von Roussillon 
sein als auch die der recenten G. dorcas und Thompsoni. 

Gazella altidens, sowohl durch etwas beträchtlichere Grösse, als auch durch den 
Besitz von Basalpfeilern an den Molaren und primitiveren Bau der Prämolaren von dorcadoides 
abweichend, hat mit dieser die Verbreitung sowie die Stammform gemein. Dem ursprünglicheren 
Zahnbau steht als Fortschritt die Grössenzunahme gegenüber. Wir haben es möglicher Weise 
mit dem Ahnen der jetzt in Somaliland vorkommenden Gazella Granti zu thun. 

Gazella palaeosinensis, die grösste der chinesischen Gazellen, stammt merkwürdiger 
Weise nicht aus dem ehemaligen Steppen- sondern aus dem Waldgebiete und ist wahrscheinlich 
der Ahne der noch jetzt in China lebenden G. subgutturosa. Auch Saiga und Gazella 
Bennetti, sowie Pantholops und vielleicht sogar Rupicapra und Nemorrhaedus haben 
. mit ihr wenigstens die Stammform gemein. 

Die Unterschiede, welche diese Gattungen im Zahnbau unter einander und der genannten 
fossilen Gazellenart gegenüber aufweisen, sind nichts weiter als Speeialisirungen, die innerhalb 
relativ kurzer Zeit eintreten konnten. Sie sprechen keineswegs gegen die Annahme einer 
näheren Verwandtschaft. 

24* 


188 


Gegenüber den eben erwähnten fossilen Gazellen Chinas und den genannten lebenden 
Gattungen erscheint Gazella brevicornis von Pikermi noch sehr alterthümlich, denn sie hat 
noch sehr niedrige Zahnkronen und hirschähnliche Prämolaren und steht mithin der gemein- 
samen Urform entschieden näher, wenn sie auch schwerlich selbst diese Stammform darstellt. 
Dies kann nämlich desshalb nicht wohl der Fall sein, weil sie selbst schon der Hipparionen- 
fauna angehört wie Gazella dorcadoides, altidens und palaeosinensis. Soviel ist auf 
alle Fälle jetzt schon sicher, dass Gazellen bereits viel früher existirt haben, als es bisher 
den Anschein hatte. Der Zusammenhang zwischen den lebenden und fossilen Gazellen lässt 
sich, soweit das Gebiss in Frage kommt, ungefähr in folgender Weise zur Darstellung bringen: 


Gegenwart: 
G. Granti G. Thompsoni G.dorcas G.Bennetti Pantholops. G. subgutturosa 
G.borbonica 


Plioeän: N 
G. altid. | G. doreadoid. G.sp. Siwalik ? G. palaeosinens. G. brevicorn. 
p) EEE — 
ee en en... 
Obermioeän: G. ähnlich brevicornis, aber 


kleiner und mehr brachyodont. 


Der Ursprung der Gazellen ist bis jetzt noch gänzlich unbekannt. Gazella 
brevicornis ist zwar im Zahnbau primitiver als die chinesischen Arten, allein sie hat aller 
Wahrscheinlichkeit nach gleichzeitig mit diesen gelebt, wesshalb sie auch nicht wohl deren 
Vorfahre sein kann. Ausserdem wissen wir auch über ihre Herkunft nichts Näheres. Miero- 
meryx flourensianus im europäischen Obermiocän hat zu complieirte Prämolaren und 
trägt an seinem unteren Molaren die „Palaeomeryxleiste“, daher kann er schwerlich als 
Stammvater der Gazellen in Betracht kommen. Ich bin nun sehr geneigt, diese Gruppe der 
Antilopen von nordamerikanischen Formen abzuleiten, nämlich von den Hypertraguliden, 
auch als Leptomerycinen beschrieben, welche man früher für Traguliden gehalten hat, 
während sie jetzt als Verwandte der Tylopoden betrachtet werden. Sie sind aber Keines 
von beiden, sondern ein selbständiger Stamm, der allerdings in letzter Linie auch auf den 
Ahnen der Tylopoden und Oreodontiden zurückgehen dürfte. Innerhalb der Hyper- 
traguliden hat sich der primitive Bau des Schädels bei Hypertragulus erhalten, während 
Hypsidos nicht nur in der Form des Schädels sondern auch im Zahnbau — hypselodont — 
wesentliche Fortschritte in der Richtung gegen gewisse Antilopen aufweist. Freilich besteht 
zeitlich noch eine weite Kluft zwischen dieser Gattung — Oligocän oder Untermiocän — und 
den ersten wirklichen Gazellen. 


Protetraceros Gaudryi nannte ich eine kleine braehyodonte Antilope aus der Wald- 
fauna des chinesischen Pliocäns, welche sich im Zahnbau sehr enge an die recente indische 
Gattung Tetraceros anschliesst, aber schwerlich sehon wie diese mit vier Hörnern versehen 
war. Auch steht das Infraorbitalforamen wie bei der lebenden Gattung Cephalophus vor 
und nicht oberhalb der Zahnreihe, während Tetraceros Daviesi aus den Siwalik hierin 
schon ganz mit der recenten Art, quadricornis, übereinstimmt. Dieser Tetraceros Daviesi 
nähert sich jedoch der recenten Gattung Cephalophus in Folge seiner schwächeren Prämolaren. 
Der einfache Bau der Prämolaren von Cephalophus ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine 
Reductionserscheinung und nicht etwa ein primitiver Zustand. Tetraceros Daviesi, Prote- 
traceros Gaudryi und die jetzt in Afrika lebende Gattung Cephalophus gehen wohl auf 
ein und dieselbe Stammform zurück, die wir aber kaum im europäischen Mioeän, sondern eher 
in Nordamerika suchen müssen und zwar in den eben erwähnten Hypertraguliden des 
White River und John Daybed. Unter diesen schliesst sich die Gattung Hypisodus auch im 
Schädelbau sehr enge an die mit den Cephalophinen nahe verwandte Gattung Madoqua, 


139 


einen Neotraginen, an. Antilopinae, Cephalophinae und Neotraginae wären demnach 
nordamerikanischen Ursprungs. 


Palaeoreas sinensis unterscheidet sich von Palaeoreas Lindermayeri in Pikermi 
durch ihre relativ kurzen aber zugleich etwas höheren Prämolaren. Die Gattung Palaeoreas 
ist möglicher Weise der Nachkomme der Antilope clavata von Sansan, welche noch kurze 
gerade Hörner und niedrige Zähne besessen hat. 


Die für die Hipparionenfaunen so charakteristische Gattung Tragocerus ist auch in 
China durch zwei typische Arten vertreten, denen sieh noch zwei weitere Arten anschliessen, 
deren Gattungsbestimmung jedoch vorläufig noch etwas unsicher bleibt. Tragocerus gregarius 
ist dem weitverbreiteten Tragocerus amaltheus sehr ähnlich, dagegen unterscheidet sich der 
bedeutend grössere Tragocerus speetabilis nicht blos durch seine Dimensionen, sondern 
auch durch den gedrungeneren Bau seiner Prämolaren. Bei Tragocerus? sylvaticus, dessen 
Ueberreste nur in der pliocänen Waldfauna vorkommen, sind die Prämolaren eher noch 
gedrungener und der untere P, bekommt sogar eine fast vollständige Innenwand, wesshalb ich 
diese Art nur mit Vorbehalt zur Gattung Tragocerus stelle. Ebenso unsicher ist die Genus- 
bestimmung des ?Tragocerus Kokeni mit sehr langgestreckten oberen P,, und einfachem, 
aber weit vorne stehendem Innenhügel am unteren P. Auch die oberen M sind länger als 
bei den ächten Tragocerus. Nachkommen der Gattung Tragocerus sind bis jetzt nicht 
bekannt. Keine der lebenden Antilopengattungen mit Ausnahme. der Gazellen hat so 
schmale, kantige Hörner wie Tragocerus. Es wird daher überaus wahrscheinlich, dass wir 
es hier mit einer gänzlich erloschenen Formengruppe zu thun haben. 


Plesiaddax Depereti hat im Zahnbau, abgesehen von der geringen Höhe der Zahn- 
kronen eine gewisse Aehnlichkeit mit der recenten Gattung Addax namentlich insoferne, als 
die Oberkiefermolaren hier ebenfalls bedeutend länger als breit sind. Gegen die directe 
Verwandtschaft beider Gattungen spricht der Umstand, dass die oberen Prämolaren von Addax 
keinen Sporn an der Innenseite des Halbmondes besitzen. Die Anwesenheit der Inseln im 
Centrum der oberen Molaren hat Plesiaddax auch mit der Gattung Hippotragus gemein, 
an welche auch der trapezoidale Querschnitt dieser Zähne erinnert. Dagegen unterscheidet 
sich Hippotragus wesentlich durch die kräftige Entwickelung der Basalpfeiler. 


Die jetzt noch lebende Gattung Strepsiceros hat möglicher Weise in China schon 
zusammen mit Hipparion existirt, wenigstens haben sich dort Zähne von zwei Antilopenarten 
gefunden — Strepsiceros ? praecursor und annectens —, welche von den Zähnen des 
recenten Strepsiceros capensis nur in unwesentlichen Merkmalen abweichen — Anwesenheit 
hoher Basalpfeiler an den unteren Molaren, stärkere Entwickelung der Randfalten an den 
Molaren, Anwesenheit von Spornen an den oberen Prämolaren und beträchtlichere Länge dieser 
Zähne. Da die Gattung Strepsiceros auch schon in der Siwalikfauna existirt, so besteht 
kein Grund, für die Strepsicerosähnlichen Zähne aus China ein besonderes Genus zu 
errichten, zumal da jene des Strepsiceros annectens geradezu den Uebergang zwischen 
Strepsieceros praecursor und Str. Kudu vermitteln, obschon auch gewisse Anklänge an 
Taurotragus (Oreas) bestehen. 

Strepsiceros, Oreas und Palaeoryx haben jedenfalls eine gemeinsame Stammform. 
Alle zeichnen sich durch die geringe Höhe ihrer Backenzähne und den an die Hirsche 
erinnernden Bau ihrer Prämolaren aus. Palaeoryx ist unter diesen drei Gattungen die 
primitivste; er könnte dem Zahnbau nach der Stammvater von Taurotragus (Oreas) sein, 
jedoch spricht die Form der Hörner gegen diese Annahme. In dieser Beziehung steht die 
fossile Gattung Palaeoreas entschieden näher. Alle vier Gattungen stammen wahrscheinlich 
von Antilopen aus Sansan ab, und zwar die erstgenannten etwa von Antilope sansaniensis, 
Palaeoreas aber von elavata. Die Hörner dieser letzteren Art haben noch die ursprünglichste 
Form aller Antilopenhörner. 

Als Paraboselaphus habe ich eine grosse Antilope beschrieben, deren Zähne 
beträchtliche Höhe besitzen und im oberen Theil bedeutend schmäler sind als an ihrer Basis. 
Die Falten und Rippen sind kräftig entwickelt, die unteren Molaren besitzen hohe Basalpfeiler. 


190 


Diese Form verbindet gewissermaassen die Gattung Strepsiceros mit Boselaphus und nähert 
sich zugleich auch der folgenden Gattung Pseudobos. 

Pseudobos unterscheidet sich von der vorigen Gattung durch seine viel höheren und 
stärker comprimirten Backenzähne, durch die glatte Oberfläche des Schmelzes, die schwache 
Entwickelung der Falten und das Fehlen von Rippen und Basalpfeilern. Die Zähne erinnern 
daher eher an solche von Oyvinen als an solche von Antilopen. 


Unter den lebenden Cavicorniern steht Ovibos in der Gestalt der Zähne sehr nahe. 
jedoch sind die unteren Molaren viel niedriger und die oberen mehr in die Länge gezogenr 
Von direeten verwandtschaftlichen. Beziehungen zwischen Ovibos und Pseudobos kann daher 
kaum die Rede sein, da die erstere Gattung sich bezüglich der unteren Molaren primitive, 
verhält, wohl aber könnten beide auf die nämliche Stammform zurückgehen. Ebenso verhält 
es sich vielleicht mit der recenten Gattung Budorcas. Sehr nahe verwandt mit Pseudobos 
ist Bucapra Daviesi aus den $iwalik. 8ie unterscheidet sich hauptsächlich durch den Besitz 
von Cement, — ein fortschrittliches Merkmal. — Auch sie hat mit Pseudobos vermuthlich 
den Vorläufer gemein. Da von Pseudobos gleichzeitig vier Arten existirt haben — graci- 
lidens und sinensis in China und Antilope nov. sp. ind. maxima und nov. sp. ind. 
major in Maragha —, von denen noch dazu die drei letzten sich durch ansehnliche Grösse 
auszeichnen, so hat dre Annahme, dass Pseudobos einen vollständig erloschenen Typus 
repräsentirt, sehr grosse Wahrscheinlichkeit für sich. 


Bovidae sind vertreten durch Bos, Bibos, Bubalus und Bison, von denen aber nur 
Bubalus, Bison und Bibos grösseres Interesse verdienen. Die Zähne von Bibos machen 
fast die Hälfte aller vorliegenden Bovidenzähne aus. Ihrem Erhaltungszustande nach gleichen 
sie theils den Zähnen aus Pfahlbauten, theils sind sie vollständig fossilisirt, so dass ihnen ein 
ziemlich hohes Alter zugeschrieben werden darf. Bibos gaurus lebt heutzutage viel weiter 
südlich als diese fossile, ihm sehr nahestehende Form aus Honan. 


Von Bubalus befinden sich unter dem Koken’schen Materiale einige Zähne, die 
anscheinend aus dem Löss oder aus Höhlenlehm stammen und somit unzweifelhaft altpleistocän 
sind, dagegen liegen mir Zähne von Bubalus indicus vor von dem nämlichen Erhaltungs- 
zustande wie die Zähne aus Pfahlbauten. 


Auf Bos primigenius bezog Gaudry einige Knochen aus dem Löss von Süen Hoa Fu. 


Von Bison priscus beschreibt v. Löczy einen Hornzapfen aus dem Löss von Kansu; 
aus dem Löss von J’tschang erhielt Herr Dr. Haberer einige Knochen, die wohl einem 
Bison angehört haben. 


Ovidae sind zwar durch zahlreiche isolirte Zähne vertreten, allein sie gehören theils der 
Gegenwart, theils der jüngsten Vergangenheit an und können daher kein besonderes Interesse 
beanspruchen. 2 


Die Zahl der nunmehr aus China bekannten Säugethierarten beträgt 85, und hievon 
stammen 22 aus dem Pleistoeän und 63 aus dem wirklichen Tertiär. Sie vertheilen sich auf 
44 Gattungen, von denen etwa 36 dem Tertiär angehören. Die übrigen sind nur im Pleistocän 
gefunden worden. Aber auch von den im Tertiär nachgewiesenen Gattungen gehen 18 noch 
in das Pleistoeän und selbst in die Gegenwart herauf. Ausschliesslich tertiär sind demnach 
nur 18. 


Durch diese Funde in China werden unsere Kenntnisse der fossilen Säuger überhaupt nicht 
unwesentlich bereichert, sie sind für uns schon desshalb besonders werthvoll, weil viele von 
ihnen manche bis jetzt noch sehr fühlbare Lücke in gewissen Stammesreihen ausfüllen. 


Die verwandtschaftlichen Beziehungen der fossilen chinesischen Säugethiere lassen sich 
wohl am besten in einer tabellarischen Uebersicht zur Darstellung bringen, wobei jedoch minder 
wichtige oder nicht näher bestimmbare vernachlässigt wurden und ausserdem auch solche, von 
denen weder der Vorfahre, noch auch der Nachkomme bekannt ist. 


Ursus sp. 


„ af. japonicus 
Vulpes sinensis 


Canis sp. 


Lutra brachygnathus 
Meles taxipater 
Palhyaena hipparionum 


Hyaena sinensis 
5 gigantea 
Machairodus horribilis 


Felis aff. pardus 
Stegodon insignis 
Mastodon latidens 


5 Pandionis 
Rhinoceros sinensis 
n plieidens 
s Habereri 
= Brancoi 


Aceratherium Blanfordi 
Tapirus sinensis 
Chalesotherium sinense 
Anchitherium Zitteli 
Hipparion Richthofeni 
Equus sivalensis 
Sus Stehlini 

„ hyotherioides 
Paraemalus gigas 
Camelopardalis fr. siva- 

lensis 
Camelopardalis 

don 
Aleicephalus sinensis 


micro- 


Sivatheriine 
Cervavus Oweni 

a sp. 
Cervus sivalensis 

„ simplicidens 
Gazella dorcadoides 


n palaeosinensis 
Protetraceros Gaudryi 


Palaeoreas sinensis 
Tragocerus gregarius 
Plesiaddax Depereti 
Strepsiceros praecursor 


Nachkommen. 


Tremarctos, Melursus ? Thallas- 
sarctos ? pleistocaen 

Ursus japonicus pleistocaen 

Vulpes Donnezani oberpliocaen. 
Vulpes vulgaris pleistocaen 

Canis etruscus oberpliocaen. Canis 
lupus pleistocaen 

? Mellivora 


Meles tasus pleistocaen 
2 


? Machairodus crenatidens ober- 
pliocaen 

Felis issiodorensis oberpliocaen 

?Elephas meridionalis „ 

Stegodon insignis A 

? Rhinoceros tichorhinus pleistoc. 


? Hipparion crassum oberpliocaen 
Equus hemionus pleistocaen 

Potamochoerus oberplioe. pleistoc. 
>) 


n ” n 


? Camelopardalis pleistocaen 


? Cervus Nestii oberpliocaen 

? „ australis „ ? Capreolus 
? „  borbonicus oberpliocaen 
? Axis oberpliocaen pleistocaen 
Gazella borbonica oberpliocaen, 

dorcas pleistocaen 

Gazella subgutturosa pleistocaen 
Tetraceros quadricornis „ 


Addax pleistocaen 
Strepsiceros pleistocaen 


191 


Vorläufer. 


Ursavus brevirhinus miocaen, Europa 


? Ursus sp. ? Theobaldi pliocaen, Asien 
Galecynus oligocaen, miocaen, Nordamerika 


? Temnocyon „ e R 


Lutra-Lorteti miocaen, Europa 

Trochictis R 1 

Viverriden ? Eurasien ? Aelurodon, Nord- 
amerika 

? Hyaena sivalensis pliocaen, Asien 

? Aelurodon, Nordamerika 

? Machairodus Jourdani miocaen, Buropa 


Felis tetraodon - N n 
Mastodon latidens pliocaen, Asien 

? Mastodon turicensis miocaen, Europa 
Mastodon angustidens h 5 

? Rhinoceros sivalensiS pliocaen, Asien 
Rhinoceros megarhinus „ Europa 

? Ceratorhinus sansaniensis miocaen, Europa 
? ” n ” n 
Aceratherium platyodon 5 S 
Tapirus priscus pliocaen, Europa 
Chalieotherium sivalense pliocaen, Asien 
Anchitherium aurelianense miocaen, Buropa 
? Protohippus ? miocaen, Nordamerika 

? Hipparion pliocaen ? Asien ? Nordamerika 
Palaeochoerus miocaen, Europa 

? Succhoeroides „ ; 

Protolabis miocaen, Nordamerika 

? Palaeomeryx eminens miocaen, Europa 


? e Kaupi A e 
? „ miocaen ? Europa ? Protoceras, 
Nordamerika 


? Protocerasoligocaen, miocaen, Nordamerik. 
? Dierocerus elesans miocaen, Europa 
? Palaeomeryx furcatus „ x 


? 


n ” n n 


? Hypisodus oligocaen, Nordamerika 


n n n 
a ? Leptomeryx oligocaen, Nord- 
amerika 
? Antilope clavata miocaen, Europa 


2 
= ” ” n n 


„ sansaniensis „ - 


” n n n 


192 


Solange wir bei dem fossilen Säugethiermateriale aus China nur auf isolirte Zähne 
angewiesen sind, bleiben wir freilich in vielen Fällen bei der Feststellung genetischer Reihen 
nur auf Vermuthungen beschränkt, und unsere Resultate müssen daher an Genauigkeit noth- 
wendiger Weise hinter jenen zurückstehen, welche die amerikanischen Forscher in dieser Hinsicht 
erzielt haben. So günstig wie in Nordamerika, wo man immer hoffen kann, durch mehrere 
übereinander liegende Schichteomplexe auch die geschlossenen Stammesreihen der verschiedenen 
Säugethiertypen zu finden, liegen die Verhältnisse in der alten Welt überhaupt nicht, denn 
selbst in dem geologisch so gut durchforschten Europa sind nur ausnahmsweise an ein und 
derselben Lokalität die zeitlich aufeinander folgenden, Säugethiere enthaltenden Schichten auch 
sämmtlich oder doch zum grösseren Theil entwickelt, die Ueberlieferung ist vielmehr meist 
eine so lückenhafte, dass wir die zeitlich aufeinander folgenden Formen in weit auseinander 
liegenden Gebieten zusammensuchen müssen. ° Wie viel sehlimmer sieht es nun erst in Asien 
aus, wo selbst die schon lange bekannte Siwalikfauna nur zum kleineren Theil von Fachleuten 
gesammelt wurde und nun gar erst in China, dessen wichtige Fundplätze überhaupt noch kein 
Fachmann ‘besucht hat! 

Es existiren aber auch noch zwei andere triftige Gründe, welche die Lücken in jenen 
Formenreihen vollkommen erklären. Während nämlich im europäischen Miocän, vom Unter- 
miocän bis in das Obermioeän, drei auch morphologisch innig verbundene Faunen bekannt sind, 
so dass selbst einige Arten aus der einen in die andere übergehen, besteht eine sehr fühlbare 
Lücke zwischen der obermiocänen Fauna von Sansan ete. und der unterpliocänen Fauna von 
Eppelsheim-Pikermi. Zwischen beiden muss eine besondere Uebergangsfauna existirt haben, die 
aber bis jetzt noch nicht zum Vorschein gekommen ist, denn überall, wo wir die ihr zeitlich 
äquivalenten Schichten antreffen — wie im Wiener Becken, sind diese marin entwickelt, und 
mithin der Ueberlieferung von Landthierüberresten höchst ungünstig. 


Wie aus obiger Zusammenstellung hervorgeht, haben ausserdem die Vorläufer gewisser 
Gattungen nicht in Eurasien, sondern in Nordamerika gelebt. Während aber die Faunen der 
älteren nordamerikanisehen Schichten zum Theil selbst mustergültige Bearbeitung erfahren haben 
und daher nahezu bis ins kleinste Detail bekannt sind, lässt gerade die Kenntniss der dortigen 
Miocänfauna noch sehr viel, ja fast Alles zu wünschen, was im vorliegenden Falle um so 
schmerzlicher ist, als gerade hier die unmittelbaren Vorfahren gewisser Gattungen und Arten 
der eurasiatischen Hipparionenfauna existirt haben. 


Unter diesen Umständen dürfen wir uns nicht wundern, dass die genetischen Beziehungen 
der fossilen chinesischen Säuger zu jenen aus älteren und jüngeren Schichten von Europa, 
Asien und von Nordamerika noch nicht so vollkommen festgestellt werden konnten, wie das 
etwa bei dem Formen des europäischen Miocän oder des nordamerikanischen Obereocän und 
Oligoeän resp. Untermiocän der Fall ist. Aber immerhin dürfen wir hoffen, dass sich viele 
dieser Lücken in befriedigender Weise ausfüllen lassen werden, wenn es einmal möglich sein 
wird, an den chinesischen Fundplätzen vollständigere Ueberreste, ja vielleicht sogar ganze 
Skelette auszugraben. 


193 


Stratigraphische und zoogeographische Ergebnisse. 


Die bis jetzt in China gefundenen fossilen Säugethierreste stammen zum grössten Theil, 
etwa °j, aus dem Tertiär, zum kleineren Theil, etwa !/ aus dem Pleistoeän, und zwar be- 
finden sich unter den letzteren ziemlich viele, welche von meinen Vorgängern ebenfalls noch 
für tertiär gehalten wurden. 

Die Arten aus dem Pleistocän bilden jedoch keine einheitliche Fauna, vielmehr reprä- 
sentiren sie mindestens zwei, wenn nicht drei verschiedene Perioden. Viele, und zwar der 
Quantität, aber nicht der Artenzahl nach die meisten Säugetiere gehören jedenfalls der jüngsten 
Vergangenheit an. Es sind dies die Zähne von Hausthieren — Pferd, Esel, Schwein, 
Schaf, Rind und Büffel, unter denen sich freilich doch die eine oder andere wildlebende 
Art, etwa von Esel, Schwein oder Büffel verbergen könnte. 

Ein Theil der Equiden-, Suiden- und Bovidenzähne hat braune Farbe und eine 
ganz ähnliche Consistenz wie die Säugetierzähne aus europäischen Pfahlbauten. Sie stammen 
angeblich aus Honan und sind im Gegensatz zu den ersterwähnien, welehe noch ihre ursprüng- 
liche Farbe aufweisen und nur etwas gebleicht oder brüchig erscheinen, jedenfalls unter Wasser 
abgelagert worden, während jene wohl in oberflächlich aufgewühltem Löss oder in Humus 
gelegen haben dürften. — 

Immerhin verdienen diese braungefärbten und ziemlieh massiven Zähne grösseres Interesse, 
denn sie gehören zumeist der Gattung Bibos, dem lebenden Gaur an und deuten wenigstens 
darauf hin, dass diese jetzt durchaus südliche wilde Bovidenform vor noch nicht allzu langer 
Zeit noch ziemlich weit nach Norden verbreitet war, denn als Fundort dieser Zähne ist wie 
erwähnt, die Provinz Honan angegeben. 

Dagegen haben die Bovidenzähne, welche Koken beschrieben hat, mehr weissliche 
Farbe, aber sie sind doch etwas mehr fossilisirt als die mir vorliegenden, möglicher Weise 
repräsentiren sie also ebenfalls eine bestimmte Periode am Ende der Pleistocänzeit. Ich ver- 
stehe unter diesen Bovidenzähnen jene, welche Koken als Bubalus sp., Bison sp. und 
Bibos bestimmt hat. Vorläufig lässt sich mit diesen Ueberresten jedoch nicht viel anfangen. 

Zweifellos pleistoeänes, vielleicht mittelpleistocänes Alter haben die Gaudry’schen Ori- 
ginalien aus dem Löss von Suen Hoa Fu in Petschili, nämlich Elephas sp, — Mammuth? —, 
Rhinoceros tichorhinus, Equus sp., Bosprimigenius, Cervus Mongoliae und Hyaena. 
Die Fundplätze dieser Säugethierreste dürften nicht allzuweit von jenen entfernt sein, welche 
schon Pumpelly erwähnt hat. Aber auch noch weiter im Süden scheinen Ablagerungen 
von ungefähr gleichem geologischen Alter zu existiren, wenigstens spricht dafür der Umstand, 
dass sich unter. dem Materiale, welches Herr Dr. Haberer in Itschang, Provinz Hupeh, 
bekommen hat, ebenfalls Rhinoceros tichorhinus befindet. Auch die Zähne von Cervus 
Aristotelis und Axis (leptodus) können vielleicht dieser Periode angehören, desgleichen 
auch die Hornzapfen von Bison priscus, welche von Löczy in Kansu erworben hat. 

Wesentlich unsicherer bleibt hinwiederum die Altersbestimmung der Zähne von Elephas 
namadicus, welche bereits mit der Hanbury’schen Sammlung in das britische Museum ge- 
langt sind. Da diese Elephantenart dem europäischen Elephas antiquus zum Mindesten 
sehr nahe steht, und dieser ein wichtiges Leitfossil für ältere Pleistocänschichten darstellt, 
so dürfte dies wohl auch für namadicus gelten. Es ist daher recht wohl möglich, dass wir 
ihn als Glied der ältesten chinesischen Pleistocänfauna ansprechen dürfen. Diese Letztere 
besteht aus: 


Ursusaff. japonicus Kok,. Rhinoceros sinensis Ow. Sus .n. sp. 
Hyaenarctos? sp.* »„  plieidens Kok. Cervus orientalis Kok.? 
Canide von Wolfsgrösse Tapirus sinensis Ow. 5 leptodus Kok.? 
Felis sp. Chalicotherium sinense Ow. Antilope g. et sp. ind. 
Hyaena sinensis Ow. Equus caballus? Mat. XIV. cRie>all 


Abh.d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. I. Abth. 25 


194 


und umfasst somit abgesehen von Hyaenarctos und Antilope g. et sp. ind. eine Anzahl 
Koken’scher Arten, sowie die meisten Arten, welche Owen beschrieben hat. Vielleicht darf 
hieher auch noch der eine oder andere Bovidenzahn gestellt werden. Koken’s Originale, 
von deren unzweifelhaft pleistoeänem Alter ich mich durch persönliche Untersuchung überzeugt 
habe, stammen angeblich aus der Provinz Jünnan, die Owen’schen aus der Provinz Sz“tschwan- 
Tschung King Fu. Unter dem Materiale, welches Herr Dr. Haberer dem Münchener Museum 
geschenkt hat, ist nur Hyaenarctos, Hyaena sinensis, Rhinoceros plicidens und 
Antilope, und selbst diese nur sehr spärlich und Tapirus sinensis, letzterer etwas besser, 
5 Zähne, vertreten. Alle diese Thierreste haben weisse oder hellgelbe Farbe, Knochen und 
Zahnbein kleben an der Zunge und das anhaftende Gestein ist Löss oder Höhlenlehm. Dass 
diese Fauna auf die Provinzen des südwestlichen China beschränkt ist, halte ich für sehr 
wahrscheinlich, denn einigen Credit darf man den Fundortsangaben der chinesischen Droguisten 
doch immerhin schenken, und überdies lassen sich auch die Angaben Pumpelly’s über 
24 Höhlen bei Kia Ting Fu, 8z°tschwan, Höhle mit Knochen bei Wu Ting Tschou in Jünnan, 
Drachenhöhle bei Schi Tsian Fu in Kwei Tschou und Knochenhöhle im Nan schan Gebirge in 
Kwangsi mit jenen Fundortsangaben ganz gut in Einklang bringen. 

Freilieh bietet die genauere Bestimmung des geologischen Alters dieser Fauna beträcht- 
liche Schwierigkeiten, denn keine einzige dieser Arten kommt ausserhalb China vor und selbst 
die Aehnlichkeit mit der pleistocänen Fauna der Karnul-Höhlen in der Provinz Madras und 
jener des Narbada-Thales in Indien ist eine ziemlich geringe. Ueberdies kennen wir auch das 
Alter dieser letzteren Faunen nicht genauer, so dass also selbst, wenn etwa Arten aus den 
Karnul-Höhlen wirklich unter der Pleistocänfauna China’s nachgewiesen werden könnten, doch 
für die Altersbestimmung nicht besonders viel gewonnen wäre. Wir sind also in dieser Hin- 
sicht in beiden Fällen ausschliesslich auf den Charakter der einzelnen Arten angewiesen. 

Die Fauna der Karnul-Höhlen besteht zwar vorwiegend aus Arten, welche noch heut- 
zutage in Indien leben — mit * vermerkt — aber ausserdem auch aus solchen, welche jetzt 
in Afrika beheimathet sind, sowie aus einigen ausgestorbenen, welche sich an recente afri- 
kanische Arten sehr enge anschliessen. Als afrikanische Arten nennt Lydekker!): 

Cynocephalus.sp., Hyaena erocuta, Equus asinus und Manis gigantea. 

Für verwandt mit afrikanischen Arten hält er Atherura carnuliensis, Sus carnu- 
liensis und Rhinoceros (Atelodus) carnuliensis, denen wohl Oryx? Addax? anzu- 
reihen wäre. 


!) Lydekker. The Fauna of the Karnul Caves. Palaeontologia Indica. Ser. X, Vol.IV, Part. II 1886, 
p. 19-58, Spl. Die Fauna dieser Höhlen besteht aus folgenden Arten, von welchen die noch lebenden 
mit * bezeichnet sind: 


Semnopithecus entellus Duf.* Phyllorhina diadema Geof.* DBoselaphus tragocamelus 


Cynocephalus sp. 
Felis tigris Linn.* 

»„  pardus Linn.* 

„ chaus Güld.* 

„  rubiginosa Geoff.* 
Hyaena crocuta Eıxl. 
Viverra carnuliensis Lyd. 
Prionodon sp. 

Herpestes griseus Desm.* 

= fuscus Wat.* 

e nipalensis Gray.* 
Ursus labiatus Blainy.* 
Sorex sp. 


Taphozous saccolaemusTemm.* 


Sciurus macrurus Hardw.* 
Gerbillus indicus Hardw_* 
Nesokia bandicoota Bech* 


an Kok. Gray .* 
Mus mettada Gray.* 
\ plathythrix Syk.* 
sp. 


Gollunda Ellioti Gray.* 
Hystrix erassidens Lyd. 


Atherura carnuliensis Lyd. 


Lepus cefr. nigricollis Cuv.* 
Equus asinus Linn. * 
ep: 


.Bos? Bubalus sp. 


Pall.* 

Antilopide Oryx? Addax.? 
Gazella Bennetti Sykes.* 
Antilope cervicapra Linn. 
Tetraceros quadricornis 

Blainv.* 

Cervus Aristotelis Cuv. 

n Axis Erxl. 
Cervulus muntjac Zimm.* 
Tragulus cfr. meminna Erxl.* 
Sus cristatus Wagn* 

„ earnuliensis Lyd. 
Manis gigantea 1ll. 


* 


195 


Für den Vergleich mit der chinesischen Pleistocänfauna eignen sich jedoch höchstens 
Felis tigris, Hyaena erocuta, Ursus labiatus, Equus asinus, Rhinoceros carnu- 
lieusis, die beiden Arten von Cervus und Sus cristatus, hingegen kommen die übrigen 
Paarhufer, die Nager, sowie die Fleischfresser mit Ausnahme von drei Arten hierbei 
nicht weiter in Betracht. Nun ist aber der Felidenzahn, welehen Koken beschrieben hat, 
überhaupt nicht gut bestimmbar, sein Ursuszahn hat grössere Aehnlichkeit mit dem des 
japanischen Bären als mit dem des Ursus labiatus, Equus asinus beweist auch nicht 
allzuviel, die beiden Hirsche sind noch lebende Arten und ebenso Sus eristatus. Ihr Vor- 
kommen in China würde also scheinbar sogar für ein geologisch jüngeres Alter der dortigen 
pleistocänen Säugethiere sprechen. In Wirklichkeit gehen jedoch die recenten Hirschspecies 
und Wildsehwein, wie wir aus den Verhältnissen in Europa ersehen, im Pleistocän recht 
weit zurück und gestatten daher keine zwingenden Schlüsse auf höheres oder geringeres Alter 
einer pleistocänen Fauna. Es verbleiben daher nur Hyaena erocuta und Rhinoceros 
(Atelodus) carnuliensis, von denen sich die erstere nun allerdings enge an Hyaena 
sinensis anschliesst, während der letztere vielleicht sogar mit Rhinoceros sinensis iden- 
tisch ist. 


Nicht besser sind die Resultate, die wir durch den Vergleich jener chinesischen Pleistoeän- 
fauna mit der Pleistoeänfauna des Narbada-Thales!) erzielen, denn wir finden in China nur 
wieder Euelephas namadicus ünd Cervus Aristotelis, und können vielleicht entfernte 
verwandtschaftliche Beziehungen zwischen dem Koken’schen Ursus aff. japoniceus und Ursus 
namadieus, zwischen Equus sp. und Equus namadicus, zwischen dem chinesischen und 
dem indischen Sus sp. und zwischen Rhinoceros sinensis und dem indischen Rhinoceros 
deecanensis Foote?) entdecken, sobald einmal mehr Material zu Gebote stehen wird, allein 
die Cerviden des Pleistoeän sind, wie ich vorhin bemerkte, zum Theil sehr langlebige Arten 
— z.B. Cervus elaphus und Capreolus — eine Eigenschaft, welche ebenso gut auch ge- 
wissen asiatischen Arten zukommen kann, sie haben also wenig Werth für die Bestimmung des 
geologischen Alters. Es verbleibt demnach nur Elephas namaldicus als leitende Art, von 
dem wir aber auch nicht bestimmt wissen, ob seine Ueberreste zusammen mit den Owen’schen 
Originalien gefunden wurde. 


Es bleibt daher nichts übrig als das Alter der unzweifelhaft pleistoeänen Säugethierreste 
nach deren morphologischem Charakter zu bestimmen, und da ergibt sich denn Folgendes: 


Elephas namadieus. Wenn es sich hier auch anscheinend um sehr dürftige Ueber- 
reste von unsicherer Herkunft handelt, so ist doch sicher, dass ziemliche Aehnlichkeit mit 
Elephas antiquus besteht, und da letztere Art für das ältere Pleistocän charakteristisch ist, 
wird wohl auch namadicus schwerlich aus dem jüngeren Pleistocän stammen, am aller- 
wenigsten dieser chinesische, der in Folge des weiteren Abstandes seiner Querjoche sich sogar 
noch primitiver verhält als der typische namadicus. 

Rhinoceros sinensis ist ein durchaus fremdartiger Typus. Seine Zugehörigkeit zu den 
Atelodinae spricht weder für noch gegen ein höheres geologisches Alter, denn ächte Ate- 
lodus leben heutzutage in Afrika, simus und bicornis, und im jüngeren Pleistocän auch in 
Europa und Nordasien, Atelodus antiquitatis (= tichorhinus). 


!) Ich fand in Lydekker’s Arbeiten folgende Arten aus dem Narbada-Thal eitirt: 


Ursus namadicus Falec. Stegodon ganesa Falc. Sus sp. 
Mus sp. Equus namadicus Fale. Cervus sp, Aristotelis Cuv. 
Euelephas namadicus Fale. Hippopotamus namadicus Portax namadicus Rüt. 

= hysudricus Falc. Fale. Bos namadicus Falec. 
Loxodon planifrons Falc. Hippopotamus palaeindicus Leptobos Frazeri Rüt. 
Stegodon insignis Fale. Falc. Bubalus palaeindicus Falc. 


2) Wahrscheinlich gehört Rhinoceros deccanensis ebenfalls in diese Fauna, von der er auch 


räumlich nicht allzuweit entfernt ist, denn er stammt aus dem Belgaum-District, nordöstlich von Goa. 
25* 


196 


Etwas bessere Dienste leistet uns hingegen Rhinoceros plicidens, denn sein nächster 
Verwandter, vielleicht sogar direeter Vorläufer, ist Rhinoceros megarhinus aus dem euro- 
päischen Oberpliocän, wodurch eben doch ein altpleistocänes Alter ziemlich wahrscheinlich wird. 


Tapirus sinensis erweist sich in Folge seiner Körpergrösse wohl als ein gänzlich 
erloschener Typus ohne direete Beziehungen zu dem lebenden indischen Tapir. 

Ganz unerwartet finden wir aber im chinesischen Pleistocän noch zwei Gattungen, welche 
sonst überall schon im jüngeren Pliocän erloschen sind, nämlich Chalieotherium mit der 
Speeies sinense und Hyaenaretos. Die Anwesenheit dieser beiden Gattungen dürfte bei 
der Altersbestimmung doch ziemlich stark ins Gewicht fallen und der Annahme eines altpleisto- 
cänen Alters als wesentliche Stütze dienen. 

Hyaena sinensis endlich beweist nicht besonders viel. Sie ist wohl ein naher 
Verwandter der europäischen H. spelaea —= crocuta, deren geologisches Alter jedoch 
keineswegs so sicher ermittelt ist, als man gewöhnlich meint. Beide gehen vielleicht auf eine 
gemeinsame Stammform zurück und vertreten sich anscheinend gegenseitig. 


Wägen wir nun alle diese Thatsachen gegen einander ab, so gewinnt die Annahme, dass 
den unzweifelhaft pleistocänen Säugethieren Chinas eher ein höheres, als ein Enesges geologisches 
Alter zukommen dürfte, doch la an Wahrscheinlichkeit. 


Zwischen diesem anscheinend älteren Pleistoeän und dem unzweifelhaften Tertiär — 
Hipparionfauna — schaltet sich wahrscheinlich ein besonderer Horizont ein, der allerdings 
nur Reste von wenigen Säugethierarten geliefert hat, nämlich die Zähne von Stegodon 
Cliftii, bombifrons und insignis einerseits und den etwas räthselhaften Siphneus arvi- 
colinus von Quetae andererseits. Soviel über diese Zähne von Stegodon auch schon 
geschrieben worden ist, so wenig Sicheres wissen wir über ihr Vorkommen. Nach den englischen 
Autoren soll ein solcher Zahn von Stegodon Clifti aus Mergeln bei Schanghai, ein Original 
zu Owens Stegodon orientalis, also von Stegodon insignis hingegen aus einer Höhle 
in Sz’tschwan stammen. Als Fundort des mir vorliegenden Stegodonzahnes war die Provinz 
Fokien notirt. Seinem Aussehen nach dürfte dieser Zahn jedenfalls aus Tertiärschichten 
stammen. Da nun die Provinz Fokien von Schanghai doch nicht allzuweit entfernt ist, gewinnt 
die Vermuthung, dass in den östlichen Provinzen jungtertiäre Ablagerungen existiren, sehr an 
Wahrscheinlichkeit. Ein weiteres Tertiärbeeken — oberpliocän — ist vielleicht in der Provinz 
Sz’tschwan vorhanden und ein drittes in der Provinz Kansu, im nordwestlichen China, denn 
es ist nicht wohl anzunehmen, dass der Stegodonzahn, welchen v. Löczy dort gekauft hat, 
aus weiter Ferne in diese entlegene Provinz gekommen sein sollte. 

Auf die weite Verbreitung der Gattung Stegodon im östlichen — Japan, Philippinen — 
und im südlichen Asien — Java, Birma, Indien — brauche ich nicht näher einzugehen, da 
uns auch die dortigen Verhältnisse kaum eine befriedigende Auskunft über das wirkliche 
geologische Alter dieser Gattung geben, aber immerhin scheint auch hier Stegodon insignis 
niemals mit Hipparion zusammen gefunden worden zu sein, ja Lydekker!) gibt sogar im 
Gegentheil an, dass diese Stegodonart noch im Pleistocän des Narbada vorkommt. * Wir sind 
daher wohl ziemlich berechtigt, die Schichten mit Stegodon insignis für Oberpliocän 
anzusprechen.?) 

Möglicher Weise entsprechen die Schichten mit Stegodon den Mergeln und Sandsteinen 
“mit Süsswassereonchylien, welche v. Löczy im westlichen Kansu beobachtet und in denen 


!) Catalogue of the fossil Mammalia in the British Museum. Part. IV 1886, p. 90. 

2) Eine reiche Säugethierfauna vermuthlich gleichaltrig mit den Stegodon-Schichten in China, 
Birma, Indien, hat sich bei Trinil auf Java gefunden. Dubois Verhandlungen der Berliner anthro- 
“ pologischen Gesellschaft, Sitzungsberichte 1895, p. 725 — erwähnt einen kleinen Axis, sehr zahlreich, 
Stegodon, Bubalus, Leptobos, Boselaphus, Rhinoceros, Sus, Hyaena, Felis, Manis 
und Hippopotamus. Auch der kürzlich von Lydekker — Quart- Journ. Geol. Soc. London 1901, 
p. 289 beschriebene Pantholops hundisiensis aus Tibet gehört vielleicht dieser Zeit an. 


197 


er einen Nagerkiefer — Siphneus arvicolinus — bei Quetä (Kuite) gefunden hat. Diese 
Süsswasserbildungen haben, wie Futterer!) nachweisen konnte, eine ausserordentlich grosse 
Verbreitung in Tibet und in der Wüste Gobi. Für uns kommen sie jedoch nicht weiter in 
Betracht, denn ihr petrographischer Charakter und ihre Fossilführung ist durchaus verschieden 
von jenen Ablagerungen, welche die hier beschriebenen Säugethierreste geliefert haben.?) 
Dagegen scheinen sie fast eher mit den feinkörnigen Conglomeraten, den weisslichen und 
grünlich weissen Mergeln und vielleicht auch noch mit den braunrothen sandigen Mergeln 
identisch und gleichaltrig zu sein, welehe Obrutschew°) zwischen Urga und Kalgan beobachtet 
hat. Allerdings stammt aus diesen der von Suess beschriebene Aceratheriumzahn, den ich 
auf Aceratherium Blanfordi beziehen möchte und soferne sich diese Bestimmung als richtig 
erweisen sollte, müssten sie doch den Hipparion-führenden Schichten im Alter gleichgestellt 
werden. Es sind dies jedoch, wie ich glaube, Fragen, deren Lösung wir einer späteren Zeit 
überlassen müssen. 

In einer wesentlich günstigeren Lage befinden wir uns hingegen bei der Bestimmung des 
geologischen Alters jener Ablagerungen, welche die reiche chinesische Hipparionenfauna 
enthalten. Sie haben zwar in petrographischer Hinsicht verschiedenes Aussehen, — in Schensi, 
Schansi und Sz‘tschwan sind sie als röther Thon, ähnlich jenem von Pikermi in Griechenland 
entwickelt, und die darin eingeschlossenen Säugethierreste haben helle Farbe, in den östlich 
davon gelegenen Provinzen Honan, Hupeh und Hunan bestehen sie aus röthlich grauen, fein- 
körnigen Sandsteinen und grünlichen Mergeln und die darin enthaltenen Thierreste haben dunkle 
Farbe und statt der Kreide- oder Porzellan-artigen glasartige Consistenz, — allein wie der 
Blick auf die umstehende Fossilliste lehrt, enthalten beide Ablagerungen, die Thone sowohl wie 
die Sandsteine und Mergel sehr viele gemeinsame Säugethierarten, wenn auch die Individuenzahl 
dieser Arten in den Thonen eine durchaus verschiedene, theils grösser, theils kleiner ist als in 
den Sandsteinen und Mergeln. So sind die Hipparionreste in den Thonen mindestens drei- 
bis viermal so zahlreich als in den Sandsteinen, ja andere Formen, nämlich die Mehrzahl der 
Antilopenarten, Camelopardalis sivalensis, Aleicephalus und gewisse Rhinoceroten, 
Rh. Habereri und Aceratherium Blanfordi sind ganz und gar auf die rothen Thone 
beschränkt. Dagegen kommen wieder andere Rhinoceroten und Antilopen sowie die 
Hirsche und Schweine fast nur oder sogar ausschliesslich nur in den Sandsteinen und 
Mergeln vor. 

Von den 43 Arten, welche in den rothen Thonen, und den 41 Arten, welche in den 
Sandsteinen nachgewiesen werden konnten, haben 22 Arten Ueberreste in beiden Ablagerungen 
hinterlassen, mithin der dritte Theil der Gesammtfauna. 


il) Vorträge über Forschungen und Studien in Centralasien und China. XIII. Bd. Verhandlungen 
des naturwissenschaftlichen Vereins. Karlsruhe, 1900. 

Diese Ablagerungen erstrecken sich nach Futterer vom Westrande des Tarim Beckens und vom 
Thien Schan bis in die östliche Mongolei und an den Chingan und nach Süden bis in die Längsthäler 
des Nan-Schan und an den Zaidam. 1. c. p. 6. 

2) Herr Prof. v. Löczy, welcher mir die von ihm gesammelten Gesteinsproben zur Ansicht geschickt 
hatte, ist, wie er mir brieflich mittheilte, ebenfalls der Meinung, dass diese Süsswasserbildungen 
durchaus verschieden wären von jenen, welche die Hipparionfauna enthalten. 

3) Verhandlungen der kaiserlich russischen mineralog. Gesellschaft. St. Petersburg, Bd. XXXVI, 
1839Fp. 171. 


198 


Homo? Anthropoide? n. g. 
Ursus sp. 

„  aff. japonicus Kok. 
Hyaenarctos? sp. 
Vulpes sinensis n. sp. 
Canide gen. et sp. ind. 

u Wolfsgrösse 

n ? sp. 
Lutra brachygnathus n. sp. 
Meles taxipater n. sp. 


Palhyaena aff. hipparionum Gerv. 


Hyaena sinenis Ow. 

2 macrostoma Lyd.') 

: sp. 

a sp. 

R gigantea n. Sp. 
Machairodus horribilis n. sp. 

N sp- ? 

Felis sp. aff. pardus L. 


Siphneus arvicolinus Nehr.?) 
Dipoides Majori n. sp. 
Elephas primigenius Blmb. 
5 namadicus Falc. 
Stegodon bombifrons Falec. 
A Cliftii Fale.3) 
5 insignis Fale.®) 
Mastodon aff. latidens 


a Lydekkeri n. sp. Chft. 
z perim. var. sin. Kok. 
" sp. ex. aff. Pand. Falc. 


Rhinoceros sinensis Ow. 
Atelodus antiquitatis Blmb. 
Rhinoceros plieidens Kok. 


L Habereri n. sp. 
k Brancoi n. sp. 
A Ceratorhinus sp. 


|Pleistocän 


o 
D 


Jünnan 
Petschili 
Itschan 

| S =8z’tschwan 
| H= Honan 
= selten 
rother Thon 
Schansi, Schensi 


Jz% 


I J 
ESP 
I 
s 


Pliocän 


Sz’tschwan 
röthl. Sandstein 


Hunan 


Pleistocän 
N = Narbada 
K = Karnulböhlen 
Pliocän 
P = Perim 
Pj= Punjab 
S = Siwalik 
B = Birma 


Identische 


Maragha in Persien 


Identische 
oder vicariirende 
Arten 


Be ee i8el 


+1 


Ss 


Me 


| 


| Honan, Hupeh, 


le | 


un 


I++t++ ++ 1 


Mareeg 


1) Von Lydekker aus der Monseolei citirt. 


2) Sicher aus Oberpliocän. 


Kansu (Quetä). 


| oder vicariirende Arten 


Palaeopitheus sivalensis? S Pj 
Ursus Theobaldi? S 

„  namadicus N 
Canis curvipalatus S 

„  Cautleyi S 


Lutra bathygnathus Pj S 
Lepthyaena sivalensis Pj S 
Hyaena crocuta K 

" macrostoma Pj 

5 sivalensis 

h felina. S partim 
Machairodus palaeindicus Pj 
> 2 sivalensis Pj 
Felis sp. aff. pardus Pj S 


Elephas namadicus N B 
Stegodon bombifrons Pj SB 

„ Chftu Pj SB 

r insignis NPjSB 
Mastodon latid. PPj 

“ „ et perim. PPj 

perimensis P Pj 

, Pandionis PPj Sind 
Rhinoceros carnuliensis K 


Rhinoceros palaeindicusPj ? 8 


Rhinoceros sivalensis S Sind 


Meles maragh. Kittl 
Palhyaen.hipp.Gerv. 


Hyaena eximia Roth 
Mach. aphan. Kaup 
„ orient. Kittl 
Felis cfr. brevirostris 

Kittl non Croiz. 


? Mastodon sp. 
4 Penteliei 


?Atel.NeumayriOsb. 


3) Ist eines der Owen’schen Originale zu sinensis, von Lydekker als Clifti bestimmt, aus 
mergeligen Schichten bei Schanghai. 
4) Owen’s Stegodon orientalis. 


aus Oberpliocän. 


Der mir vorliegende Zahn soll aus Fokien stammen, wohl 


Das Original v. Löczy’s wurde in Kansu erworben. 


199 


Pleistocän| Pliocän 5 Ben 
% E lg KB Sun onen 
FEFEFPIEFEIFEN Bee 
EEE Pj= Punjab 
ARAaamasan 2. S = Siwalik 
NUN SER Tabhtikche 
Senn a "2" 88 oder vicariirende Arten 
Aceratherium Blanfordi var. = + | — |Acerather. Blanfordi Pj Sind 
hipparionum Kok. | 
Tapirus sinensis Ow. ZEIST a _ 
Chalicotherium sinense Ow. S-JS I — |, — _ 
2 Sp. _ + | — |Chalicotherium sivalense S 
Anchitherium Zitteli n. sp. =. || — = 
Hipparion Richthofeni Kok. — 24 | + Hipparion antilopinum PPj S 
Equus cfr. sivalensis Fale.t) _ M |-+- |Egquus sivalensis S 
„  eaballus L. et sp. re | — 
Sus n. sp. Kok. +JI = | = = 
„ efr. serofa L. —+H — li — 
„ $Stehlini n. sp. — +s| + |Sus punjabiensis Pj 
n2.Sp: R 2 == 
„ iicrodon n. sp. — — lo: = 
„ hyotherioides n. sp. — —+s| + |Sus hysudrieus P Pj S Sind 
„ n. sp. ind. _ + |+ | „ Falconeri S 
„ giganteus Fale.?) ?+S | — | — |, giganteus SPj 
Hippopotamus n. sp. ind. _ +s| — |Hippopotamus sivalensis Pj S 
Paracamelus gigas n. g. n. sp. = — | + |Camelus sivalensis S 
Camelopardal. efr. sivalens. Falc. — —+ | — |Camelopardalis sivalensis PS 
? 2 microdon Kok. _ + | +5 u 
Aleicephalus sinensis n. sp. = —+ | — |Hydaspitherium (Helladothe- 
rium!) grande Pj S 
= sp. — SP || = — 
Sivatheriine. ? Urmiatherium = url er 
Cervavus Oweni Kok. sp. — Son Fü 
P 2. Species = +s|+ — 
„ Rütimeyeri n. sp. = 8 = 
„ * speciosus n. sp. — Se Ar = 
n ?sp. Es ri = — 
Palaeomeryx sp. —_ =r8| — = 
Cervus af. sivalensis Lyd. — — | + |Cervus sivalensis PjS 
„  aff. simplieidens Lyd. — 2-2 Sr „  simplicidens Pj 
5 Sp. — rs) Sr = 
» sp. Elengrösse _ = | Sr j — 
„ efr. Aristotelis Cuv. —+J1I zul Cervus Aristotelis KN 
» leptodus Kok.3) Il — En a AXIS IK. 
»„  Mongoliae Gaud. +P = = = 


I!) Von Lydekker aus der Mongolei beschrieben. 
2) Von Lydekker aus einer Höhle in Sz‘tschwan eitirt. 


3) Mongolei. 


Maragha in Persien 


Identische 
oder vicarlirende 
Arten 


Acerather. Blanfordi 
teste Kittl 


Hipparion Richthof. 
teste Kittl 


? Sus eryman.Waegn. 


Camelopard. attica? 

Aleiceph. Neumayri 
Rodl. 

Alciceph. coelophrys 
Rodl. 

Urmiath.PolakiRodl. 


200 


Pleistocän| Pliocän en 
= Be RK = karnullhöhlen Maragha in Persien 
Be] aAE_|0S orä 
EHER HER Be Identische 
Se Bes DS Eunb oder vicariirende 
Punnnasan” za Ss = Siwalik 
Tall 385 = s” Mlenifache Arten 
Binalelnn ei oder vicariirende Arten 
Antilopinorum gen. inc. Kok.? ed = | = —_ _ 
Gazella sp. Lydekker.!) — Me — = 
„  dorcadoides n. sp. = + | — |? Gazella porrecticornis Pj} | Antilope sp. nov. 
minor Rodl. 
„ altidens n. sp. = Sr |. — ? Gaz. capricor. Rodl. 
„  palaeosinensis n. sp. — | -ts| + | Gazella sp.? Pj — 
„ aff. palaeosinensis n. sp. — | _ _ 
Protetraceros Gaudryi n. g.n. sp. _ —+s| + |Tetraceros Daviesi S — 
Palaeoreas ? sinensis n. Sp. — sis —— Palaeoreas Linder- 
mayeri? 

Tragocerus gregarius n. sp. — Se ar or Tragoceros amalth. 
n spectabilis n. sp. — tr les — _ 
Die sylvaticus n. sp. = —.| Sr = _ 
PinoRs Kokeni n. sp. — ae | SF — _ 
Plesiaddax Depereti n. g. n. sp. _ + | — |? Alcelaphus palaeindicus S = 
Strepsiceros praecursor n. Sp. — + | — | Strepsiceros Falconeri PPj — 

R annectens n. sp. — Ei _ 
Paraboselaph.Ameghinoi.n.g.n.sp. — + | — |? Taurotragus S _ 
Pseudobos gracilidens n. g.:n. sp. - + | — | Bucapra Daviesi S — 

2 intermedius n. sp. — Ze — Antilope n. sp. ind. 
major Rodl. et 
maxima Rodl. 

Antilope g. et sp. ind. ag! Fi — _ 
Bos primigenius Blmb. HB — | — |Bos namadicus N | —_ 
Bison priscus Boj.2) a — _ 
Bibos sp. —+H — | — |? Bibos palaeogaurus N | — 
24 42 |, 42 | also 63 Pliocänarten, weil 21, beiden Schichten 
gemeinsame Species, in Abzug gebracht werden 
müssen. 


Ausschliesslich in den rothen Thonen kommen vor: 


Mastodon aff. Pandionis 
Rhinoceros Habereri 
‘ Aceratherium Blanfordi 
Chalicotherium sp. 
Anchitherium Zitteli 
Hippopotamus sp. 
Camelopardalis cefr. siva- 
lensis 


Kansu. 


Aleicephalus sinensis 
“ sp. 
? Urmiatherium 
?Cervavus sp. 
?Palaeomeryx sp. 
Gazella doreadoides 
& altidens 
Palaeoreas sinensis 


Original von v. Löczy. 


Tragocerus gregarius 
= spectabilis 
Plesiaddax Depereti 
Strepsiceros praecursor 

n annectens 
ParaboselaphusAmeghinoi 
Pseudobos gracilidens 

n intermedius 


201 


von welchen die Arten, deren Namen gesperrt gedruckt sind, in erster Linie den Charakter der 
Fauna bedingen, während die übrigen, da sie nur durch sehr spärliche, zum Theil sogar nicht 
einmal generisch bestimmbare Reste vertreten sind, ohne Weiteres vernachlässigt werden dürfen. 

Dagegen haben die folgenden für den Charakter der Fauna hervorragende Wichtigkeit, 


obwohl ihre Reste, wenn auch seltener, zugleich auch in den bunten Sandsteinen nnd Mergeln 
vorkommen, nämlich: 


Palhyaena aff. hipparionum Mastodon aff. latidens 
Hyaena sp. Hipparion Richthofeni 
4 gigantea Camelopardalis mierodon 


denn auch sie bilden einen charakteristischen Bestandtheil der Fauna der rothen Thone. 


Ausschliesslich in den bunten Sandsteinen und Mergeln kommen vor: 


Ursus sp. Machairodus sp. Sus mierodon 

Vulpes sinensis Dipoides Majori Paracamelus gigas 

? Canide sp. Mastodon Lydekkeri Cervus aff. sivalensis 
Canis sp. 4 aff. perimensis n sp- 

Lutra brachygnathus Rhinoceros Brancoi Gazella aff. palaeosinensis 
Meles taxipater # ?Ceratorhinus? Tragocerus sylvaticus 


Machairodus horribilis Equus efr. sivalensis 


Auch hier sind die Namen der besonders wichtigen Arten gesperrt gedruckt, aber es 
müssen noch verschiedene Arten, die zwar auch in den rothen Thonen vertreten, aber doch in 
den sandigen Schichten besonders häufig sind, hier angereiht werden, nämlich: 


Sus Stehlini Cervavus Rütimeyeri Cervus sp. 
„ hyotherioides 5 speciosus Gazella palaeosinensis 
Cervavus Oweni Cervus aff. simplieidens Protetraceros Gaudryi 


» 2. Species 


Unter diesen zeichnen sich besonders die vier Arten von Cervavus, Gazella palaeosi- 
nensis und Protetraceros Gaudryi durch ihren Reichthum an Individuen aus, so dass sie 
als ein wichtiger Bestandtheil dieser Fauna angesehen werden müssen. 


Die Fauna der rothen Thone besteht also der Hauptsache nach aus Hyänen, aus je 
einem Rhinoceros und Aceratherium, aus Anchitherium, aus Giraffen und aus den, 
diesen sehr nahestehenden Alcicephalus, aus Gazellen und fünf weiteren Antilopen- 
gattungen, zu denen sich noch das überaus häufige Hipparion gesellt. Sie setzt sich also 
zusammen aus Formen, welche nach Analogie mit ihren lebenden Verwandten vorwiegend 
trockene ausgedehnte Grassteppen bewohnen, auf denen allerdings vereinzelte kleine Wald- 
parzellen und Wassertümpel nicht gefehlt haben dürfen, denn erstere sind erforderlich für die 
Anwesenheit der Giraffen, letztere für die Existenz von Rhinoceroten. 


Die Fauna der röthlichen Sandsteine und Mergel setzt sich zusammen aus Ursus, Vulpes, 
Lutra, Meles, Machairodus, Dipoides, — einem Biberähnlichen Nager —, aus zwei 
Rhinocerosarten, aus Suiden und zahlreichen Hirscharten, zu denen allerdings auch drei 
Antilopengattungen und Hipparion sowie Equus kommen. 


Abgesehen von diesen Antilopen und Equiden erweist sich diese Thiergesellschaft durchaus 
als Bewohner wasserreicher Waldgebiete. Die Proboscidier darf man bei dieser Betrachtung 
völlig vernachlässigen, denn auch heutzutage leben die Elephanten bald im Walde, bald in 
der Steppe, auch gibt es unter den Antilopen noch in der Gegenwart ausgesprochene Wald- 
bewohner, ja gerade Tetraceros liebt auch jetzt noch wald- und buschreiche Hügel. Dass die 
lebenden Rhinocerosarten sich auch heutzutage scharf in Wald- und Steppenbewohner scheiden, 
braucht wohl kaum besonders betont zu werden. Die Beimischung von Hipparion kann bei 
dieser Waldfauna schwerlich befremden, wenn wir den erstaunlichen Individuenreichthum dieser 
Thiere berücksichtigen. Umgekehrt ist es auch nicht zu verwundern, dass auch mehrere 
Suidenarten beiden Faunen zugleich angehören. Es setzt dies nur voraus, dass auch in jenem 


Abh.d.II.Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 26 


202 


Steppengebiete stellenweise Wassertümpel vorhanden waren, deren Anwesenheit ohnehin schon 
durch die Gegenwart von Rhinoceros und Aceratherium bedingt war. Das Vorkommen 
von Hippopotamus in einem Steppengebiet und von einem Camel im Waldgebiet fällt bei 
der ausserordentlichen Seltenheit ihrer Ueberreste nicht allzu sehr ins Gewicht, auch die 
Anwesenheit von Equus sivalensis hat keine besondere Bedeutung, denn auch diese Art ist 
nur äusserst dürftig vertreten. Es ist vielleicht nieht einmal die Möglichkeit ausgeschlossen, 
dass diese spärlichen Ueberbleibsel einen kürzeren oder längeren Transport durch Hochwasser 
mitgemacht haben. Ebenso könnten vielleicht auch die Hipparionreste aus dem Waldgebiete 
von Thieren herrühren, welche zwar im Steppengebiet gelebt haben, aber durch Hochfluthen 
vernichtet und als Cadaver im Waldland abgesetzt worden sind. Diese wenigen Ausnahmen 
dürfen uns also nicht irre machen, wir sind vielmehr vollkommen berechtigt, die Formen aus 
den rothen Thonen für Bewohner vorwiegend trockener ausgedehnter Steppengebiete, die Formen 
aus den bunten Sandsteinen und Mergeln aber für Bewohner wasserreicher Waldgebiete anzu- 
sprechen; das erstere Gebiet befindet sich in den heutigen Provinzen Schansi, Schensi und 
Sz’tschwan, das letztere in den Provinzen Hupeh, Honan, Hunan und somit östlich von jenem. 
Auch liegt es, entsprechend dem Laufe des Yangtsekiang nicht unbedeutend tiefer als jenes. 
Dass das höher gelegene Gebiet leichter entwässert werden und Steppencharakter annehmen 
konnte als das tiefer gelegene, bedarf ohnehin keiner weiteren Ausführung. 


Die Verschiedenheit der beiden Faunen erklärt sich also ungezwungen aus der Lebensweise 
der einzelnen Arten, die ihrerseits wieder aufs Engste mit dem ehemaligen Landschaftscharakter 
zusammenhängt. Gegen die Annahme, dass diese Thiergesellschaften zwei verschiedenen Perioden 
angehören, wobei etwa die Steppenfauna älter wäre als die Waldfauna oder umgekehrt, spricht 
mit aller Bestimmtheit die stattliche Zahl der Arten — circa 20, also ungefähr ein Drittel 
aller überhaupt bekannten Species, — welche beiden Faunen zugleich angehören. Einzig und 
allein die Thatsache, dass in den Thonen noch die Gattung Anchitherium, welche bisher 
nur aus Miocänschichten bekannt war, in den Sandsteinen aber bereits die Gattung Equus 
vorkommt, könnte als Stütze für diese Annahme verwerthet werden, allein es lässt sich doch 
nicht einsehen, warum Anchitherium stets auf das Miocän beschränkt sein sollte und warum 
Equus nicht doch schon irgendwo vor dem Oberpliocän auftreten könnte. Derartige Correcturen 
unserer bisherigen Erfahrungen sind schon mehrfach erfolgt, und im vorliegenden Falle wäre 
es nicht einmal so unmöglich, dass hier in China die letzten Vertreter von Anchitherium 
sich noch zu einer Zeit erhalten hätten, als. bereits ein Equus entstanden war, sei es aus 
einem altweltlichen Hipparion, sei es aus einem nordamerikanischen Protohippus, denn 
gerade hier in China mussten die Einwanderer aus Europa mit den Einwanderern aus Nord- 
amerika zuerst zusammentreffen. Alle übrigen Angehörigen der chinesischen Hipparionen- 
fauna passen hingegen zeitlich sehr gut zu einander, obschon freilich nicht in Abrede zu stellen 
ist, dass auch verschiedene Antilopenformen schon ein sehr modernes Verhalten zur Schau 
tragen. Für diese letzteren haben wir jedoch auch Analoga in der Thierwelt von Maragha,t) 
wesshalb sie keinen weiteren Anlass bieten, der chinesischen Säugethierfauna ein etwas geringeres 
Alter als den übrigen Hipparionenfaunen zuzuschreiben, oder eine zeitliche Verschiedenheit 
der beiden chinesischen Hipparionenfaunen anzunehmen. 


Die Verschiedenheit der Fauna der rothen Thone einerseits und jener aus den Sandsteinen 
und Mergeln andererseits, deren Ursache ich lediglich in verschiedenartigen Existenzbedingungen, 
in Verschiedenheit des Landschaftscharakters erblicken kann, lässt sich nun auch mit dem 
verschiedenartigen petrographischen Charakter dieser Ablagerungen vorzüglich in Einklang bringen. 


Die rothen Thone sind nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach nichts Anderes, als der 
nachträglich stark ausgelaugte und stark durch Minerallösungen veränderte Humuüs der Tertiärzeit; 
seine rothe Farbe verdankt er der stärkeren Oxydation seiner ehemaligen Eisenoxydul- und 
seiner basischen Eisenoxydverbindungen. Dieser Humus wurde lediglich auf geringere Strecken 


!) Antilope nov. sp. ind. major, minor und maxima Rodler und Weithofer. Taf. IV, 
Fie. 5; 6, 7. 


203 


verschwemmt und in Vertiefungen der damaligen Bodenoberfläche abgesetzt und mit ihm auch 
die Cadaver der bei solchen localen Fluthen ertrunkenen Säugethiere. Ich halte diesen rothen 
Thon für eine den Phosphoriten des Quereys,!) den schwäbischen Bohnerzen und dem rothen 
Thon von La Grive St. Alban durchaus analoge Bildung. Die Thierreste behalten unter solchen 
Umständen weisse Farbe, soferne sie nicht in enge Spalten mit stark eisenhaltigem Mineral 
gerathen sind, wie das in den schwäbischen Bohnerzen der Fall war. 


Die Sandsteine und Mergel hingegen sind jedenfalls eine Ablagerung aus Süsswasser, 
abgesetzt in Deltas oder an Krümmungen grosser Flüsse oder in grösseren oder kleineren 
Seebecken. Das Gesteinsmaterial ist verschwemmter und zerkleinerter Detritus von anstehenden 
Schichten, jedoch hat Transport auf weite Strecken stattgefunden. Wie alle Wirbelthierreste 
aus dem Tertiär, welche unter Wasser abgelagert worden sind, haben nun auch diese aus den 
Sanden und Mergeln eine dunkle Farbe. 


Thone wie in Schansi, Schensi und Sz“tschwan scheinen aber auch noch in anderen 
Theilen von China zu existiren, wenigstens liegen mir auch Hipparionzähne vor von der 
nämlichen Beschaffenheit wie solche aus Schansi, welche angeblich theils aus der Provinz 
Kwantung, theils aus dem T'schekiang-Gebirge bei Ningpo stammen sollen. 


Auch die von Lydekker?) beschriebenen Säugethierreste aus der Mongolei haben nach 
Angabe dieses Autors den nämlichen Erhaltungszustand, wie jene aus den rothen Thonen von 
Schansi, aber merkwürdiger Weise konnte ich keine der von Lydekker aufgezählten Arten 
— Hyaena macrostoma, Gazella aff. subgutturosa und Equus sivalensis unter dem 
mir zur Verfügung stehendem Materiale aus den rothen Thonen nachweisen. Sollten diese drei 
Arten vielleicht doch einem höheren Horizonte angehören als die Hipparionenfauna aus den 
rothen Thonen Chinas? 


Die Hipparionfaunen in Europa und Asien werden von der Mehrzahl der Autoren in 
das untere Pliocän gestellt, von anderen aber als Obermiocän angesehen. Diese Unsicherheit 
kann jetzt als beseitigt gelten, nachdem Vacek?°) gezeigt hat, dass zwischen der sarmatischen 
Stufe, welche unzweifelhaft noch zum Miocän gehört, und der pontischen Stufe eine Trocken- 
periode existirt, in welcher die Pikermi-Hipparion-Fauna gelebt hat, eine Trockenperiode, 
welche die naturgemässe Grenzmarke zwischen den Ueberfluthungsphasen der miocänen und der 
plioeänen Zeit darstellt. Für die Verhältnisse in China ist diese Frage, ob Miocän oder Pliocän, 
jedoch überhaupt ganz nebensächlich, da eine ältere Fauna dort bis jetzt noch nicht beobachtet 
wurde. Viel wichtiger erscheint vielmehr die Thatsache, dass hier eine neue und zwar überaus 
artenreiche Hipparionenfauna erschlossen worden ist, welche uns noch viele wichtige Beiträge 
zur Stammesgeschichte der altweltlichen Säugethierfaunen liefern wird. 


Was das Verhältniss dieser chinesischen Hipparionenfauna zu anderen geologisch 
gleichaltrigen Thiergesellschaften betrifft, so verlohnt eigentlich nur ein Vergleich mit jener 
in Maragha in Persien und jener indischen, welche gewöhnlich als Siwalikfauna bezeichnet 
wird, die aber selbst wieder aus mehreren, auch räumlich weit auseinander liegenden Faunen 
besteht. In Europa kennt man Hipparionenfaunen von Concud in Spanien, Cucuron, 
Mont Leberon, Croix Rousse in Frankreich, Eppelsheim in Hessen, aus den schwäbischen 
Bohnerzen — Salmendingen, Melchingen, Trochtelfingen ete. — aus den Belvedere-Schottern 
und Congerien-Schichten des Wiener Beckens, von Baltavär in Ungarn, aus Rumänien und 
Südrussland, aus Casino*) in Italien, aus Pikermi und Negroponte in Griechenland und aus 
Samos und Troja in Kleinasien. Einige Arten wurden auch im Crag von Suffolk in England 
nachgewiesen. ' 


1) Nur die höheren Lagen enthalten hier Säugethierreste. 

2) Records of the Geological Survey of India. 1891, Vol. XXIV, p. 207. 

3) Ueber Säugethierreste der Pikermifauna vom Eichkogel bei Mödling. Jahrbuch der k. k. geolog. 
Reichsanstalt Wien. 1900, Bd. 50, p. 186. 

4) Diese nur mangelhaft bekannte Fauna scheint aber doch ein wenig jünger zu sein. 


26* 


204 


Keine dieser Lokalitäten hat mit der chinesischen Hipparionenfauna auch nur eine 
einzige Art gemein, was uns bei der grossen räumlichen Entfernung von den Fundplätzen der 
chinesischen Säugethierreste allerdings auch nicht überraschen kann, aber ich möchte die 
Thatsache doch nicht ganz mit Stillschweigen übergehen, dass gerade die deutschen, und mithin, 
abgesehen von den englischen, die nördlichst gelegenen Lokalitäten mit Hipparion, nämlich 
Eppelsheim und die schwäbischen Bohnerzgruben von Salmendingen und Melchingen in gewisser 
Hinsicht mit der chinesischen Hipparionfauna fast mehr Aehnlichkeit haben als die südlicheren 
und zugleich viel arten- udd individuenreicheren Lokalitäten Pikermi und Samos. Wir finden 
nämlich hier und in China Typen, welche in Pikermi und Samos gänzlich fehlen. Eppelsheim 
hat mit China gemein grosse Hirsche — Cervus Bertholdi —, die Gattungen Lutra 
— L. hassiea —, Melchingen und Salmendingen, Ursus und die Nagergattung Dipoides und 
hochkronige Antilopenformen — Paraboselaphus in China, „Antilope“ Jägeri in Schwaben, 
die zwar generisch von einander verschieden, aber doch recht nahe verwandt sind. 

Diesen Thatsachen gegenüber kann dem Umstand, dass in China wie in Pikermi und auf 
Samos die Gattungen Palhyaena, Hyaena, Machairodus, Mastodon, Camelopardalis, 
Gazella, Palaeoreas und Tragocerus vorkommen, schwerlich besondere Bedeutung bei- 
gemessen werden, denn diese Gattungen gehören anscheinend obnehin zu dem festen Bestand 
einer jeden reicheren Hipparionenfauna und sind vielleicht in Eppelsheim und in Schwaben 
bisher nur übersehen worden, wobei allerdings auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, 
dass sie wirklich ein orientalisches Element der Hipparionenfauna repräsentiren, da sie auch 
in der Fauna von Maragha in Persien vertreten sind, mit welcher wir uns nun zunächst 
beschäftigen müssen. Obwohl diese fossile Thierwelt bis jetzt nur theilweise eine erschöpfende 
Bearbeitung erfahren hat, denn es existiren erst Beschreibungen der dortigen Carnivoren 
und Wiederkäuer, während die Unpaarhufer, die Suiden und Proboscidier noch einer 
genaueren Untersuchung bedürfen, so können wir doch jetzt schon mit Bestimmtheit behaupten, 
dass sie der chinesischen Hipparionenfauna bedeutend ähnlicher ist als jede andere. 


Nach Kittl und Rodler-Weithofer besteht die Fauna von Maragha aus folgenden 
Arten, unter welehen die mit * versehenen auch in Pikermi vorhanden sind: 


Machairodus orientalis Kittl Gazella deperdita Gerv. (= brevicornis 
x gross, — wohl aphanistus Gaud.)* 
Kaup.* " eapricornis Rodl. 
Felis sp. cfr. brevirostris Kittl i Helicophora rotundicornis Weith. 
Hyaena eximia Roth* Antidorcas? Atropatenes Rodl. 
Palhyaena hipparionum Gerv.* Tragelaphus? Houtum Schindleri Rodl. 
Meles Polaki Kittl Protragelaphus Skouzesi Dam.* 
„  maraghanus Kittl Antilope sp. nov. ind. minor Rodl. 
Mastodon Penteliei Wagn.* i a 2, „| „ major Rodl. 
4 sp. wohl longirostris? n I „ maxima Rodl. 
Sus erymanthius Roth.* Hipparion gracile Kaup.* 
Urmiatherium Polaki Rodl. A Richthofeni Kok. 
Giraffa attieca Gaud.* 5 nf. 
Aleicephalus Neumayri Rodl. Rhinoceros Schleiermacheri Kaup.* 
5 , eoelophrys Rodl. Aceratherium Blanfordi Lyd. 
Palaeoreas Lindermayeri Wagn.* Atelodus Neumayri Ösborn (Acerath. aff. 


Palaeoryx Pallasii Wagn.* antiquitatis Kitt]). 
? Tragocerus amaltheus Roth sp.* N 


Von diesen 32 Arten kommen 13 auch in Pikermi vor, und zwar sind dies zumeist die 
Haupttypen aller südeuropäischen und kleinasiatischen Hipparionenfaunen, ihre Anwesenheit 
kann uns bei der relativ geringen Entfernung zwischen Maragha und Pikermi und Samos sicher 
nicht in Erstaunen setzen. Um so wichtiger sind dagegen Urmiatherium, Alcicephalus, 
Camelopardalis, die drei nicht näher bezeichneten Antilopen, Hipparion Richthofeni 


205 


— soferne sich diese Bestimmung als richtig erweisen sollte — und Aceratherium Blanfordi, 
denn wir haben es hier augenscheinlich mit ächt asiatischen Typen zu thun, welchen allenfalls 
auch die beiden Melesarten anzureihen wären. Besonders bemerkenswerth ist dabei der 
Umstand, dass die auch in Indien — Siwalik — vorkommenden Typen, nämlich Camelo- 
pardalis und Aceratherium Blanfordi unter diesen Formen den kleinsten Bruchtheil 
bilden, während die Anklänge an die chinesische Hipparionenfauna so überraschend zahlreich 
sind. Die Fauna von Maragha vermittelt demnach geradezu den Uebergang zwischen der 
chinesischen Fauna und jener von Samos und Pikermi, sie zeigt aber dabei nicht nur ausge- 
sprochen asiatischen Charakter, sondern auch eine nicht unbeträchtliche Beimengung von 
nordischen Elementen — die drei hypselodonten Antilopen, Alcicephalus, Hipparion 
Richthofeni und Meles, wobei noch zu bemerken ist, dass sich Urmiatherium recht wohl 
als identisch mit dem chinesischen Sivatheriinen herausstellen könnte. 


Eine allerdings sehr artenarme Hipparionenfauna ist kürzlich in Aegypten zum Vorschein 
gekommen. Mit unserer chinesischen hat sie lediglich die Anwesenheit von Hipparion und 
hypselodonten Antilopen gemein und zwar schliesst sich eine davon an eine Form aus Maragha 
an, während die andere im Zahnbau ein ungewöhnlich modernes Gepräge zur Schau trägt. 
Eine genauere Besprechung dieser ägyptischen Hipparionenfauna erscheint daher durchaus 
überflüssig und das umsomehr, als sie sich gewissermaassen nur als ein winziger Bruchtheil der 
reichen Säugethierfauna erweist, welche in den indischen Siwalik gefunden wurde. Mit dieser 
haben wir uns nun um so eingehender zu beschäftigen. 


Die Fauna der Siwalik. 


In obiger Tabelle habe ich die wenigen Arten namhaft gemacht, welche die chinesische 
Hipparionenfauna mit der Fauna der Siwalik gemein hat, sowie auch jene, welche einander 
gewissermaassen ersetzen, allein hieraus gewinnen wir nur eine durchaus ungenügende Vor- 
stellung von dem Reichthum an fossilen Säugethierformen, welchen Indien aufzuweisen hat. 
Man nennt diese Fauna gewöhnlich kurzweg die Siwalikfauna, sie umfasst jedoch auch einige 
Typen, die nicht sämmtlich gleichzeitig mit einander gelebt haben können und ausserdem 
besteht auch eine gewisse Verschiedenheit in der Fauna der einzelnen Fundplätze, die sich 
ohnehin auf ein weites Gebiet erstrecken. 

Der südlichste Punkt, wo Vertreter dieser Thierwelt zum Vorschein gekommen sind, ist 
die Insel Perim im Golf von Cambay. Die Fauna besteht hier nur aus ziemlich wenigen 
und fast ausschliesslich grossen Formen. Das Nämliche gilt auch von den sogenannten Man- 
charbeds von’ Sind, die Zahl der beiden Lokalitäten gemeinsamer Arten ist sehr beträchtlich. 
Einen sehr viel grösseren Reichthum an fossilen Arten hat das Pendschab aufzuweisen und 
kommt hierin der vierten Region, den subhimalayischen Siwalik, am ganzen Südrande des 
Himalaya verbreitet, vollkommen gleich, aber trotzdem hat jedes dieser beiden Gebiete eine 
stattliche Anzahl eigenthümlicher Arten. Die ärmste Fauna endlich ist jene des unteren 
Jrawadi-Thales in Birma, aber diese Armuth dürfte wohl doch nur eine scheinbare sein und 
zumeist darauf beruhen, dass zu der Zeit, als Lydekker die Siwalikfauna beschrieb, dort 
eben erst noch recht wenig gesammelt worden war. 

Eine tabellarische Zusammenstellung der Siwalikfaunen nach den einzelnen Lokalitäten 
ist meines Wissens bisher noch nicht gegeben worden, obwohl dies naturgemäss Aufgabe 
Lydekker’s gewesen wäre, der diese Faunen zuletzt bearbeitet hat und diese Liste jedenfalls 
genauer hätte machen können als jeder andere Autor, welcher hiebei lediglich auf die oft 
recht mangelhaften Ortsangaben in der Literatur angewiesen ist. 


206 


1) Aus Dinotheriumschichten. 


2) Bugti Hills. 


3) Genusbestimmung sehr unsicher. 


ZU Ne ee 
8. |,ela,la 2/83 | 225 
5 \l2.BM2B& Fe 5 2.23 Pr2 Re 
Arten = sgleelsels: Arten BEESIES EEE 
EI IERZIN EINS RS p EIER 
EIERN DE Ei 
Rn eu RR E: 2 
o= Bu DRE= =; 
Simia — | — /+ | —[Mastodon perimensis Fale. +1-1—-|—-|— 
Troglodytes sivalensis Lyd. —I—|+|—|— 5 punjabiensis Lyd. ll — 
Macacus sivalensis Lyd. + 5 Cautleyi Lyd. +|—-|--|—-|— 
Semnopithecus palaeindieus Lya| — -— | +|— a latidens Chft. ++ +++ 
Cynocephalus subhimalayan. Lyd.— | - +1 — Fi angustidens Cur. var. 
e Falconeri Lyd. — || 2 = palaeindicus?) —|+[1—-|—-|— 
Machairodus sivalensis Falc. —\— /+| — |) — [Loxodon planifrons Fale.* —ı—|+J+ — 
r palaeindieus Bse — — || — | —|Stegodon bombifrons Falc. = ++ | — 
Aelurogale sivalensis Lyd. — || + — | — “ insignis Falc.* — —/+[.+|+ 
Felis aff. pardus — ii H Cliftii Fale. +++ 
ar ynx + a ganesa Falc.* — ++ — 
„ existata Fale. — ı — | — + | — [Euelephas hysudricus Fale.* — — ||| — 
„ brachygnathus Lyd. — — /—|+|— [Chalicotherium sivalense Fale. |— —|— +1 — 
„ subhimalayana Bronn. — |— — |+ | — | Rhinoceros sıvalensis Fale. — |) [+1 — 
Aeluropsis annectans Lyd. | 17 —- | — n palaeindicus Fale. —?|+ 4 — 
Lepthyaena sivalensis Lyd. —|—-—/|+|+|1— » platyrhinus Falc. — || |+[— 
Hyaena Colvini Lyd. — |—|j+|+!-— |Aceratherium Blanfordi Lyd. — /+3))+| <= |— 
„  felina Bose — /|— | +) +|—[Teleoceras ? perimense Lyd. p. + +/+!+'+ 
a macrostoma Lyd. — |— + | — | — [Hipparion antilopinum Falc. ++ +/+ 
= sivalensis Lyd. —  — |+/+| — ® Theobaldi Lyd. + 6 — 
Viverra Durandı Lyd. —|—1—-|+|— " sp. 2? I|—|—|— |— 
n Bakeri Bose — |— /— + | — [Eguus sivalensis Falc. en FE 
Lutra palaeindica Fale. — — — |+ | — [Camelus sivalensis Fale. ll jo len 
„  bathygenathus Lyd. — | — /+| — | — [Camelopardalis sivalensis Falee + — | +1 — 
Enhydriodon sivalensis Fale. sp. — —  — | ++ | — | Hydaspitherium (! Helladotherium) 
Mellivora sivalensis Fale. — grande Lyd. — |, — Hl 
P punjabiensis Lyd. —— |+|— | —[Bramatherium (Hydaspitherium) 
Mellivorodon palaeindieus Lyd.  — | +|— | — megacephalum Lyd. sp. —|-/++]/- 
Hyaenarctos punjabiensis Lyd.. |— ? + — | Bramatherium perimense Fale. + — + — | 
r palaeindieus Lyd.. |—|— | + | — | — [Sivatherium giganteum Fale. — | — | || 
5 sivalensis Fale. = — + | — | Vischnutherium iravadieum Lyd. —|— | +|—- | — 
Ursus Theobaldi Lyd. —|—|— | | — [| Tragulus sivalensis Lyd. — 
Amphieyon palaeindieus Lyd.!) —|+|+/-+| — |Moschus sp. ala 
Canis curvipalatus Bose — |—)—|+ | — I Cervus sivalensis Lyd. ++] 
„ Cautleyi Bose — — +1 „  simplicidens Lyd. lan 
„Sp. —|—-|—-|+|—-| „ _triplidens Lyd. — ++) - 
Rhizomys sivalensis Lyd. — |— |+/+| — [Propalaeomeryx sivalensis Lyd. — — | +1 — 
‚ Hystrix sivalensis Lyd. — |—|+/+| —[? Dorcatherium majus Lyd.3) —|+[+[=| <= 
Caprolagus sivalensis Lyd. — | —|—-|+[/ |]? - minus Lyd. -—/—-/+1-|— 
Dinotherium pentapotamiae Falc.| — |+/+ | — | — [Oreas latidens Lyd. | ++ — 
2 indicum Fale. +|+|+|--| — | Strepsiceros Faleoneri Lyd. la 
Mastodon Falconeri Lyd. — |+/+|— | — [Hippotragus sivalensis Lyd. = lar las 
x Pandionis Fale. +1+|+|— | — | Boselaphus sp. El Aa ee 
Mi sivalensis Falec. — | +/+[/— | — | Alcelaphus palaeindicus Lyd. —|— || + | — 


16) 
o 
1 


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Arten EB ERIFEIEFIeR Arten SuFEIERIE RICH 
EB SHIELIGS |: 3” a5j55|E% 
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Cobus palaeindieus Lyd. | | 1— | + Sus punjabiensis Lyd.!) — | — || | 
„  patulicornis Lyd. —— a „ titan Lyd. — | —|+|—|— 
Tetraceros Daviesi Lyd. | —) — | + —1 „ sp. — | -|+4+1-|— 
Gazella porrecticornis Lyd. — |— |+ | — /— |Hyotherium sindiense Lyd. a NE 
REED: ==> 5 perimense Lyd. | 
Capra sivalensis Lyd. — |— |— +1! [(Sanither. Schlagintweiti v. Mey) | — [4 | | — 
» perimensis Lyd. +|—|- | — | — [Listriodon pentapotamiae Falce. | — | — 2 — || — 
asp: —|—-|+-|—- | — 4 Theobaldi Lyd. — + | —_— — 
Bucapra Daviesi Rüt. — | — |— + | — [| Tetraconodon magnum Fale. — | 
Bubalus platyceros Lyd. —/— | ++ | — | Hexaprotodon sivalensis Falc. | ++! — 
Bison sivalensis Fale. —,—|— /+ | — [| Hippopotamus iravatieus Fale. |-|— | - + 
Hemibos oceipitalis Fale. — Merycopotamus dissimilisFale.sp.| — | — + KG: | — 
A acutıicornis Falc. —|-|—-/+|— “ nanus Lyd. — | ++ et 
5 antilopinus Rüt. sp. _ I z pusillus Lyd. — RS 
Leptobos Falconeri Rüt. — | — [— |+ | — | Anthracoth. hyopotamoidesLyd.2)ı — + — || — 
Bos acutifrons Lyd. — ||| +) — 5 (Choeromeryx) silistr. | 
„ planifrons Lyd. ee Pentl sp.3) zu) PER 
„ platyrhinus Lyd. — | — /— |+ | |Hyopotamus giganteus Lyd.‘) = | = 
Hippohyus sivalensis Fale. —ı— + +) — h palaeindieus Lyd. |— +1 —  — | — 
Sus giganteus Falc. —|— |+/+/—| (inel.Sivameryx, D*) vonH.pal. — | — | — | —  — 
„ Falconeri Lyd. + — |Hemimeryx Blanfordi Lyd.’) + 1-1 — 
„ hysudrieus Lyd. ++ +4+1+1— | 


Diese Tabelle zeigt uns sofort, dass die Fauna der Insel Perim sowie die von Birma 
trotz ihrer Armuth an Arten doch jener von Pendschab und der subhimalayischen Region so 
ähnlich ist, dass wir sie entschieden für gleichaltrig mit diesen halten müssen. Auch die 
Fauna des Pendschab hat im Gänzen sicher das nämliche Alter wie jene der eigentlichen 
Siwalik, denn von ihren 72 Arten finden wir auch wieder 30 unter den 73 Arten der sub- 
himalayischen Siwalik und zwar gehören diese gemeinsamen Arten den wichtigen Gattungen 
Mastodon, Rhinoceros, Hippohyus, Hippopotamus, Merycopotamus und Hyaena an, 
während die übrigen Arten des Pendschab und der subhimalayischen Region eine mehr unter- 
geordnete Rolle spielen und überhaupt wegen ihrer Seltenheit — wie die Primaten und die 
meisten Carnivoren für den Charakter der Fauna keine besondere Bedeutung haben. Auch 
ist die Anwesenheit, beziehungsweise das Fehlen, solcher seltener Faunenelemente wohl durch 
Verschiedenheit der Schichtenausbildung sowie durch die Verschiedenheit des ehemaligen Land- 
schaftscharakters bedingt. Allerdings unterscheidet sich die Fauna der eigentlichen Siwalik 
von jener im Pendschab scheinbar recht bedeutend durch das Vorhandensein zahlreicher 
Bovinen. Allein es ist doch recht fraglich, ob die Ueberreste dieser Wiederkäuer auch 
wirklich aus denselben Schichten stammen wie die der übrigen Säugethiere. Von diesen 
Bovinen abgesehen erweist sich also auch die Fauna der subhimalayischen Siwalik als eine 
typische Hipparionenfauna, woran auch die Anwesenheit der vielen, ziemlich modernen 
Antilopentypen nicht das Mindeste ändern kann, denn wir finden viele, nahezu moderne 


1) Wohl = Sanitherium Schlagintweiti. 2) Bugti hills. 3) Garo hills. *) Bugti hills. 
5) Höchst problematisch, vielleicht Merycopotamus. 


208 


Antilopenformen auch in der Hipparionenfauna China’s, wo an ihrer Gleichaltrigkeit mit 
Hipparion sicher kein Zweifel möglich ist. 


Die meisten Bovinen sowie die Stegodon und Euelephas hysudricus dagegen 
werden wie Stegodon insignis in China vermuthlich einen höheren Horizont, etwa Ober- 
pliocän repräsentiren. 


Dass im Pendschab und in den subhimalayischen Siwalik auch ältere Schichten vorkommen, 
wie man aus der Anwesenheit primitiver Suiden, wie Hyotherium und Listriodon!) sowie 
der Gattung Merycopotamus schliessen könnte, halte ich nicht für recht wahrscheinlich, denn 
einen Hyotherium- und selbst einen Palaeochoerus-ähnlichen Suinen haben wir auch in 
der Hipparionenfauna China’s beobachtet, Listriodon für sich allein beweist auch nicht 
das Mindeste, denn diese Gattung kann sich recht wohl in Indien viel länger erhalten haben 
als in Europa und Merycopotamus dürfte sich eher als ein Nachkomme des Arretotherium 
acridens?) aus dem White-Riverbed von Montana erweisen, denn als Nachkomme der 
europäischen Gattung Ancodus. Dass in Ostasien eine Einwanderung nordamerikanischer 
Formen etwa am Ende des Mioeän stattgefunden hat, geht mit voller Bestimmtheit schon aus 
der Anwesenheit der Tylopoden und Leporiden hervor, die bis dahin überhaupt nicht in 
der alten Welt existirt haben. Mit dieser Einwanderung kann auch recht wohl der Vorläufer 
von Merycopotamus nach Indien gelangt sein. 


Ich trage daher kein Bedenken, die Fauna der Insel Perim, sowie die von Pendschab, 
den subhimalayischen Siwalik und von Birma, die sich lediglich durch ihre Artenarmuth von 
jenen unterscheidet, für eine einheitliche Hipparionenfauna zu halten, wobei allerdings wohl 
der grösste Theil der Bovinen und Stegodon nebst Euelephas hysudricus als Vertreter 
einer jüngeren Fauna ausgeschlossen werden müssen. Die eine oder andere Bovinenform 
dürfte freilich schon zur Hipparionzeit gelebt haben. 


Im Gegensatz zu der Fauna der genannten vier Regionen hat jedoch die Fauna der 
Mancharbeds von Sind wenigstens zum kleineren Theil ein etwas höheres geologisches Alter, 
angedeutet durch die Gattungen Anthracotherium, Hyopotamus, Hemimeryx und durch 
Mastodon angustidens var. palaeindicus; aber immerhin finden wir auch hier eine nicht 
unbeträchtliche Anzahl Arten, darunter auch Dinotherium, welche auch der Hipparionen- 
fauna des Pendschab und der subhimalayischen Siwalik eigen sind. 


Mit der Altersverschiedenheit der Siwalikfaunen ist es demnach keineswegs so schlimm 
bestellt, als man vielfach annimmt, denn lediglich in den Mancharbed von Sind lässt sich die 
Existenz von zwei offenbar zeitlich verschiedenen Faunen nachweisen und selbst hier hat die 
Hauptmasse der Arten zweifellos gleichzeitig mit Hipparion gelebt. 


!) Hierher oder zu Hippohyus gehört jedenfalls der untere Prämolar, welchen Lydekker als 
Hyaenodon bestimmt hat. — Siwalik Carnivora. Palaeontol. Indica, Ser. X, Vol. II, 1884, Part VI, 
p. 172 (349), Textfig. 21, während der obere — P, — ibidem pl. XLIII, Fig.5, 6 von einem Caniden 
oder von Amphicyon stammen dürfte. 


2) Douglass Earl. Transactions of the American Philosophical Society. Vol. XX, 1901, p. 33, 
pl. IX, Fig. 1, 2. 


209 


Die Beziehungen der asiatischen Hipparionenfaunen zur früheren und zur 
jetzigen Thierwelt. 


Kehren wir nun nach dieser keineswegs überflüssigen Abschweifung wieder zu unserer 
chinesischen Hipparionenfauna zurück und werfen wir noch einmal einen Blick auf ihre 
Zusammensetzung, so werden wir mit Leichtigkeit die Anwesenheit von viererlei Faunen- 
elementen feststellen können, nämlich: 

1) Gemeinsame Typen aller Hipparionenfaunen, bestehend aus den Gattungen Felis, 
Machairodus, Palhyaena, Hyaena, Mastodon, Aceratherium, Chalicotherium, 
Hipparion, Palaeoreas und Tragocerus. 

2) Arktische Typen: Ursus, Lutra, Meles, Dipoides, Cervus, eventuell sind auch 
arktisch die hypselodonten Antilopen, Paraboselaphus, ein Analogon der Antilope Jägeri 
in Deutschland und Pseudobos, ein Analogon der beiden grossen Antilope sp. von Maragha. 

3) Westasiatische Typen: Die Camelopardaliden — die kleine Camelopardalisart 
und die Gattung Aleicephalus — sowie Aceratherium Blanfordi und Rhinocerotiden 
mit flacher Aussenwand an den oberen Molaren — Rhinoceros Habereri China, Atelodus 
Neumayri Maragha — und Gazellen. 

4) Indische Typen, wie wir sie vorläufig nennen wollen: Canis, Vulpes, Mastodon 
latidens, Pandionis, Equus sivalensis, primitive an Palaeochoerus und Hyotherium 
erinnernde Suiden, Hippopotamus, Camelus, Camelopardalis sivalensis, Cervus 
sivalensis, simplicidens, Protetraceros, Strepsiceros, Paraboselaphus — Bose- 
laphus in Indien —, Pseudobos — Bucapra in Indien. Statt „indische* Typen könnten 
wir wohl mit dem nämlichen Recht „chinesische“ Typen setzen, denn es erscheint sehr fraglich, 
ob bereits die Vorfahren dieser Typen in Indien gelebt haben, ja von einem grossen Theil 
der eben genannten Formen wissen wir sogar mit voller Bestimmtheit, dass dies nicht der 
Fall war, denn sie erweisen sich als die Nachkommen von Typen des europäischen Miocän, 
andere hingegen, nämlich die Tylopoden, können nur aus Nordamerika gekommen sein. 

Es erübrigt uhs nunmehr näher zu untersuchen, wo etwa die Heimath der oben auf- 
gezählten Formen des chinesisch-indischen Tertiärs gewesen sein könnte, denn dass bereits 
ihre Vorfahren hier gelebt haben sollten, ist nicht wohl anzunehmen, weil sogar die älteste 
bekannte asiatische Säugethierfauna, nämlich die Antracotheriumfauna von Sind, welcher 
vermuthlich auch der dortige Mastodon angustidens angehört, wenigstens zum grösseren 
Theil augenscheinlich aus Europa stammt. Für Mastodon selbst liesse sich freilich auch 
afrikanischer Ursprung annehmen, er könnte vielleicht auch der direkte Nachfolger des ägyptischen 
Palaeomastodon!) sein und sich von Indien aus nach Europa verbreitet haben, wo er erst 
im Mittelmiocän auftritt, während er in Indien vielleicht sehon im Untermiocän, wenn auch 
als eine andere Species, gelebt hätte. Mit dieser Annahme liesse sich auch das relativ späte 
Erscheinen der Gattungen Anthracotherium und Ancodus in Indien ganz gut in Einklang 
bringen. Dass dieselben auch hier schon wie in Europa?) in der Hauptsache dem Oligocän 


1) Andrews, C. W. Extinet Egyptian Vertebrates. Geological Magazine 1901, p. 401, fig. 1. 
Mit diesem Palaeomastodon hat im Unteroligocän in Aegypten auch schon Ancodus existirt. Dass 
auch diese Gattung sich zuerst nach Indien und dann erst nach Europa gewandt haben sollte, ist bei 
ihrer relativen Häufigkeit in Europa höchst unwahrscheinlich. Sie wurzelt vielmehr augenscheinlich in 
Formen des europäischen Eocän und hat sich von hier aus auch nicht bloss nach Süden und Südosten, 
sondern auch nach Westen, nämlich nach Nordamerika, verbreitet. 

2) Anthracotherium und Ancodus kommen nur vereinzelt noch im Untermiocän vor, erstere 
Gattung in Vaumax, letztere in Treteau — Dep Allier. 


Abh.d. II.Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 


ID 
1 


210 


angehören, ist keineswegs nothwendig, es wäre im Gegentheil auch ganz gut denkbar, dass sie 
Indien erst im Untermiocän, ja vielleicht sogar erst im Mittelmiocän erreicht hätten. Ihr 
Zusammensein mit Mastodon und zwar mit einer Form, die in Europa zuerst im Mittelmiocän 
— Meeresmolasse von Heggbach — auftritt, hat unter diesen Umständen durchaus nichts 
Befremdendes an sich. Für eine ziemlich späte Einwanderung der Gattungen Anthracotherium 
uud Ancodus in Indien scheint ausserdem auch der Umstand zu sprechen, dass daselbst auch 
mit ihnen zusammen die allerdings etwas problematische Gattung Hemimeryx vorkommt, die 
entweder überhaupt mit Merycopotamus, einer schon wesentlich moderneren Form identisch 
ist, oder in Indien die Gattung Brachyodus vertritt, welche für das ältere europäische und 
ägyptische Mittelmiocän geradezu als Leitfossil dienen könnte. Dass die indischen Anthra- 
cotherium und Ancodus aus Nordamerika gekommmen sein sollten, wo diese Gattungen ja 
auch gelebt haben, halte ich für weniger wahrscheinlich wegen des gleichzeitigen Vorkommens 
von Mastodon, einer Gattung, welche entschieden altweltlich ist, während sie im Tertiär von 
Nordamerika immer nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt hat. 


Wenn,es demnach auch nicht zweifelhaft sein kann, dass die Säugethierreste aus dem 
indischen Tertiär, die man gewöhnlich kurzweg als Siwalikfauna bezeichnet, streng genommen 
drei, oder wenn wir von der Fauna mit Stegodon insignis absehen, zwei verschiedenen 
Perioden angehören, nämlich die der Mancharbeds von Sind dem Unter- oder Mittelmioeän, alle 
übrigen Faunen hingegen dem Unterpliocän, so kommt doch für die Tertiärfauna Chinas eine 
solehe Möglichkeit sicher nicht in Betracht. Wir dürfen daher bei unseren weiteren Unter- 
suchungen die Siwalikfauna und unsere chinesische Hipparionenfauna praktisch als ein 
einheitliches Ganze, als indochinesische Hipparionenfauna gelten lassen, da ein mit den 
erwähnten Mancharbed gleichzeitiger Horizont unter der bis jetzt bekannten fossilen Säugethier- 
fauna Chinas nicht vertreten ist. 


Freilich ist die Zahl der Arten, welche die chinesische Hipparionenfauna mit der 
indischen gemein hat, an sich sehr gering, aber dieses Verhältniss wird doch zum grossen 
Theil durch eine Menge vicariirender Arten ausgeglichen, auch dürfen wir nicht vergessen, 
dass zu jener Zeit, als Asien seine Säugethierwelt theils aus Europa, theils aus Nordamerika 
erhielt, bereits das Himalayagebirge schon eine beträchtliche Höhe besessen und somit für die 
meisten Formen eine unübersteigliche Schranke gebildet haben dürfte. Nur am Westfuss sowie 
am ÖOstfuss dieses Gebirges konnte die Einwanderung in Indien stattfinden, an der ersteren 
Stelle drangen die europäischen Typen ein, an der letzteren die nordamerikanischen, wobei 
diese neuweltlichen Einwanderer auf ihrem Zuge wohl das östliche China gestreift haben 
müssen. Wenn nun auch die Anwesenheit des Himalaya die Bildung von besonderen Arten 
zu beiden Seiten dieses Gebirges begünstigte, so war sie doch nicht hinreichend, den Charakter 
der Fauna, soweit er durch die generische Zusammensetzung bedingt wird, so vollständig zu 
verändern, dass man nicht doch von einer indochinesischen Hipparionenfauna sprechen 
dürfte. Diese, eine einheitliche Thiergesellschaft, müssen wir unseren weiteren Betrachtungen 
zu Grunde legen. 


Der grössere Theil dieser Fauna stammt augenscheinlich aus Europa, denn die meisten 
Gattungen haben hier bereits im Miocän oder sogar schon im Oligocän gelebt, oder sie lassen 
sich doch wenigstens ungezwungen von Formen des älteren europäischen Tertiärs ableiten. 

Die europäischen Bestandtheile der indochinesischen Hipparionenfauna sind: 

Anthropoiden, Viverra, Lutra, Meles, Hyaenaretos, Ursus, Amphieyon, 
Felis, Machairodus, Hystrix, Castorinen — Dipoides —, Mastodon, Dinotherium, 
Chalieotherium, Rhinoceros — Ceratorhinus — Aceratherium, Teleoceras — 
richtiger Brachypotherium —, Anchitherium, sämmtliche Suiden — mit Ausnahme der 
Dicotylinen ist dieser Stamm altweltlich und auch diese gehen auf die europäische Gattung 
Palaecochoerus zurück —, ferner Doreatherium und die Cerviden inel. Palaeomeryx. 
Auch viele Antilopengattungen, nämlich Palaeoreas, Tragocerus, Strepsiceros, Ple- 
siaddax, Alcelaphus, Oreas, Hippotragus, Cobus, Boselaphus und Paraboselaphus 
wurzeln wohl in europäischen Formen, nämlich in den Antilopen von Sansan. 


211 


Freilich lassen sich verschiedene von diesen Typen, nämlich die Anthropoiden und die 
Gattungen Felis, Mastodon, Dinotherium, Teleoceras und Anchitherium in Europa 
nur bis in das Ober- oder höchstens in das Mittelmiocän zurück verfolgen, vorher haben sie 
zum Theil, die Proboscidia in Nordafrika, zum Theil, die Vorfahren von Anchitherium, in 
Nordamerika gelebt, und von den Anthropoiden!) und von Teleoceras kennen wir die 
Vorläufer bis jetzt überhaupt noch nicht näher, aber trotzdem dürfen wir auch sie ohne 
Weiteres als europäische Elemente der indochinesischen Fauna bezeichnen, da sich die ent- 
sprechenden Gattungen der indochinesischen Hipparionenfauna ungezwungen auf die Vertreter 
dieser Gattungen im europäischen Miocän zurückführen lassen. Das Nämliche gilt natürlich 
auch für die sivalischen und chinesischen Arten der Gattungen Chalieotherium und Acera- 
therium.?) Beide sind zwar ausser in Europa auch in Nordamerika vertreten, aber die 'nord- 
amerikanischen Arten stehen den asiatischen sehr ferne. Die indo-chinesischen Machairodus 
endlich gehen ebenfalls auf europäische Arten — M. Jourdani und palmidens zurück, die 
allerdings ihrerseits wohl von nordamerikanischen Gattungen wie Dinietis, Hoplophoneus 
abstammen dürften. 


Diesen europäischen Bestandtheilen der indochinesischen Hipparionenfauna stehen nun 
eine Anzahl Formen gegenüber, welche augenscheinlich aus Nordamerika stammen. Es sind 
dies die Gattungen Lepus, Caprolagus, Vulpes, Canis, Hipparion, sowie die Tylopoden 
— Camelus und Paracamelus — und ausserdem wird der nordamerikanische Ursprung 
auch überaus wahrscheinlich für die Sivatheriinen als Nachkommen der Protoceratinen 
und möglicher Weise auch für die Antilopinae — Gazellen — und für die Cephalo- 
phinae und Neotraginae als Nachkommen von Hypertraguliden — Hypisodus. Auch 
die Gattung Merycopotamus der Siwalik könnte vielleicht nordamerikanischen Ursprungs sein 
und auf Arretotherium zurückgehen. 


Von den genannten Gattungen sind die Leporiden bis zum Pliocän überhaupt gänzlich 
auf Nordamerika beschränkt, die Caniden verschwinden nach dem Eocän vollkommen aus 
Europa — Cynodietis — und leben von da an bis zum Obermiocän ausschliesslich in Nord- 
amerika — Galecynus, Temnocyon ete. —, die Tylopoden und Protoceratinen sind 
augenscheinlich von Anfang an dort zu Hause gewesen und das Nämliche gilt auch von den 
Hypertraguliden. Der Pferdestamm endlich ist ebenfalls entschieden neuweltlich, wenn er 
auch dann und wann einige Vertreter nach Europa entsandt hat, die aber hier immer wieder 
nach kurzer Zeit gänzlich erloschen sind mit Ausnahme der geologisch jüngsten Typen, Hip- 
parion und Equus. Aber gerade der Vorläufer von Hipparion kann sich nur unter den 
Equiden des nordamerikanischen Miocän befinden. 


Unsicher bleibt hingegen die Herkunft der Camelopardalinen und der Gattung Hippo- 
potamus, welche in der Hipparionenfauna zum erstenmale auftreten. Die ersteren könnten 
allenfalls auf die grossen Palaeomeryx, wie Kaupi, Bojani, eminens des europäischen 
. Obermioeän zurückgehen — wenigstens steht dieser Annahme weder der Zahnbau noch auch die 
Beschaffenheit des Skelettes hindernd im Wege —, und somit wirklich einen altweltlichen und 
zwar europäischen Stamm repräsentiren. Von Hippopotamus ist dies sogar vollkommen 
sicher, soferne eben diese Gattung in Acotherulum des europäischen Obereocän wurzelt, 


1) Die Abstammung der in den Siwalik gefundenen Cynopithecinen ist vorläufig vollständig 
in Dunkel gehüllt, da Cynopithecinen, abgesehen von Oreopithecus vom Monte Bamboli, überhaupt 
erst in der Hipparionenfauna erscheinen. Dass sie sich aus nordamerikanischen Pseudolemuriden 
entwickelt haben, kann wohl nicht ernstlich bezweifelt werden, dagegen wissen wir nicht, wo die 
Zwischenformen vom Oligocän an bis zum Obermiocän gelebt haben. 

2) Chalicotherium ist anscheinend überhaupt ein europäischer Stamm, denn Vertreter dieser 
Gattung kommen hier vom Oligocän an bis in das Unterpliocän in allen Horizonten vor, während sie 
in Nordamerika nur sporadisch auftreten. Aceratherium verschwindet vom Untermiocän an überhaupt 
aus der westlichen Hemisphäre. Teleoceras ist daselbst auf einen einzigen Horizont — Obermiocän? — 
Loup Forkbed, beschränkt. 


27* 


212 


allein über den Verbleib der oligoeänen und miocänen Zwischenglieder wissen wir vorläufig. 
nicht das Geringste. Auch die neuesten Funde in Aegypten, wo jetzt im Wadi Natrun!) eine 
Hipparionenfauna zum Vorschein kam, in welcher Hippopotamus anscheinend eine her- 
vorragende Rolle spielt, gibt uns hierüber nicht den mindesten Anhaltspunkt. Diese Fauna 
besteht nämlich aus: 


Hipparion sp., verglichen mit Theobaldi Hippotragus Cordieri de Christ. 


Lyd. Ruminantier, hypselodont ähnlich. den 
Hippopotamus hipponensis Gaudry.?) Antilope n. sp. von Maragha, 
Sus sp. 


denen noch Camelus anzureihen wäre, wovon Dr. v. Stromer verschiedene Knochen 
gesammelt hat. 

Diese Fauna schliesst sich in Folge der Anwesenheit jener hochzähnigen Antilopen an 
jene von Maragha und an die chinesische Hipparionenfauna, in Folge der Anwesenheit von 
Hipparion ähnlich dem Theobaldi, der zahlreichen Hippopotamus und der Gattung 
Camelus aber an die eigentliche Siwalikfauna an; auch der Zahn von Sus erinnert am 
ehesten an solche aus den $iwalik. 

Da nun gewiss Niemand behaupten wird, dass die Gattung Camelus in Afrika entstanden 
sei, denn ihr nordamerikanischer Ursprung ist denn doch zweifellos sicher gestellt, so wird es 
auch überaus wahrscheinlich, dass diese indischen Elemente der ägyptischen Hipparionen- 
fauna auch in der That von Indien aus nach Aegypten gelangt sein müssen und nicht 
umgekehrt von hier nach Indien, und sich hier mit Maraghaformen gemischt haben. Auf 
keinen Fall ist also Aegypten das Entstehungscentrum der Hipparionenfauna überhaupt, es 
hat vielmehr nur spärliche Bruchtheile dieser Fauna, die aus benachbarten Gebieten eingewandert 
waren, beherbergt. Mithin kann also auch von einem afrikanischen Ursprung der Gattung 
Hippopotamus sicher keine Rede sein. 

Noch unbefriedigender fast als bezüglich der Herkunft der Camelopardalinen und der 
Gattung Hippopotamus ist der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse über den Ursprung 
der Cavieornier mit Ausnahme der oben genannten Antilopen mit relativ brachyodonter, 
Hirschähnlicher Bezahnung, ganz besonders aber in Bezug auf die Herkunft der Hyänen. 

Während die braehyodonten Antilopen ziemlich ungezwungen auf die Antilopen von 
Sansan und diese wieder auf Gelocus oder auf Bachitherium oder Prodremotherium im 
europäischen Oligocän zurückgeführt werden können, bleibt die Entstehung der scheinbar zu 
den Bovinen hinüberleitenden Gattung Pseudobos schon sehr räthselhaft, allein es ist doch 
wenigstens ziemlich sicher, dass auch sie in einer altweltlichen Form wurzeln muss, da sie 
sich eben doch an die Gattung Paraboselaphus recht enge anschliesst, die ihrerseits wieder 
zu Strepsiceros ähnlichen Formen hinüberleitet. Bei den vielfachen gegenseitigen Beziehungen 
zwischen diesen grossen indochinesischen fossilen Antilopen und den Bovinen wird es aber 
auch sehr wahrscheinlich, dass auch Letztere von Sansaner Antilopen abstammen. Dagegen 
versagen diese ältesten fossilen Antilopen vollständig, wenn wir sie mit den Gazellen in 
Beziehung bringen wollen, welche in der indochinesischen Hipparionenfauna bereits einen 
auffallenden Formenreichthum entfalten; sie können unmöglich zu einander in einem genetischen 
Verhältniss stehen. Ich bin daher geneigt, die Gazellen auf nordamerikanische Formen 
zurückzuführen, nämlich auf die Hypertraguliden, unter welchen sich Hypisodus trotz 
seines relativ‘'hohen geologischen Alters schon durch auffallend hohe Zahnkronen mit glatter 
Schmelzoberfläche auszeichnet. Da die Gazellen durch die Neotraginen mit den Cephalo- 
phinen verbunden werden, so wird auch für diese die Abstammung von Hypertraguliden 
sehr wahrscheinlich, jedoch wären die Vorläufer dieser beiden, relativ brachyodonten Gruppen 


!) Andrews, C. W. Note on a Pliocene Vertebrate Fauna from the Wadi Natrun Egypt. The 
Geological Magazine 1902, p. 433—439, 1 pl. 

2) Der Name Hippopotamus hipponensis bezieht sich auf eine Art aus Algier, die zweifellos dem 
Quartär angehört, und mithin kann die ägyptische Art nicht damit identisch sein. 


2135 


erst noch näher zu ermitteln. Protetraceros freilich könnte allenfalls auch von Hypisodus 
abgeleitet werden. 

Der Ursprung der Hyänen ist noch vollständig in Dunkel gehüllt. Morphologisch lassen 
sie sich ja ganz leicht auf die mit ihnen gleichzeitig auftretenden Gattungen Palhyaena und 
Ietitherium zurückführen und diese wieder etwa auf Progenetta im europäischen Ober- 
mioeän. Allein in dem kurzen Zeitraum, welcher zwischen Obermiocän und Unterpliocän 
verstrichen ist, dürfte eine so rasche Umformung in mehrere Zwischenglieder und eine Spaltung 
in so zahlreiche Arten, wie dies hier bei Hyaena der Fall gewesen sein müsste, kaum vor 
sich gegangen sein, wenigstens ist mir kein Analogon von so rascher Entwickelung bekannt. 
Es erscheint daher angezeigt, auch die Vorläufer der Hyänen in Nordamerika zu suchen und 
zwar in der freilich nur sehr mangelhaft bekannten Gattung Aelurodon, in welcher allerdings 
wohl auch Caniden irrigerweise mit eingeschlossen sind. 


Es erübrigt uns nunmehr zu untersuchen, in wieferne die indisch-chinesische Hipparionen- 
fauna an der Entstehung der späteren Säugethierfaunen betheiligt ist, sei es, dass gewisse 
Gattungen auch in jüngeren Faunen noch vertreten sind, sei es, dass neuere, modernere 
Gattungen aus Gattungen dieser Fauna entstanden sind. 


In Asien folgt auf die Hipparionenfauna die weit verbreitete Fauna mit Stegodon 
insignis, welcher auch vielleicht die verschiedenen Boviden der $Siwalikfauna angehören, 
aber leider ist diese Fauna noch ganz ungenügend bekannt, so dass wir über den genetischen 
Zusammenhang der einzelnen Glieder dieser beiden Faunen nichts Genaueres angeben können. 
Es dürfte nur das Eine sicher sein, dass sich aus einem asiatischen Mastodon, und zwar 
vermuthlich aus Mastodon latidens die Gattung Stegodon entwickelt hat, und dass die 
Bovinen wohl aus hypselodonten Antilopen wie Taurotragus (Boselaphus) hervorgegangen 
sein werden.- 

Besser bekannt sind hingegen die Faunen des europäischen Oberpliocän aus der Auvergne, 
von Roussillon, Montpellier und Val d’Arno.!) Sie enthalten Cynopithecinen, Canis, Vulpes, 
Ursus, Machairodus, Felis, Viverra, Mustela, Hyaena, Hystrix, Castor, Lepus, 
verschiedene kleinere Nager, Mastodon, Elephas, Hipparion, Equus, Tapirus, Rhino- 
ceros, Hippopotamus‘ Sus oder eher Potamochoerus, Bos, Leptobos, Gazella, 
Palaeoryx, Palaeoreas und zahlreiche Cerviden, theils zur Gattung Elaphus, theils zu 
Capreolus, Axis und Polyeladus gehörig. Von diesen gehen die Vertreter der Gattungen 
Ursus, Mustela, Hystrix, Castor, Tapirus, Rhinoceros und vielleicht auch die Axis- 
hirsche unbedingt auf Formen der europäischen Hipparionenfauna zurück, denn in der indo- 
chinesischen kommen sie entweder überhaupt nicht vor, oder sie sind daselbst nur durch 
fernerstehende Arten repräsentit. Dagegen können die Inuus von Val d’Arno und die 
Semnopithecus und Macacus aus Montpellier nur von siwalischen Affen abstammen, auch 
die Caniden, Viverra und die Hyänen lassen sich nur von sivalischen oder mit Ausnahme 
von Viverra allenfalls auch von chinesischen Arten ableiten. Dass Hippopotamus und 
Potamochoerus von Asien eingewandert sind, kann nicht ernstlich bezweifelt werden. Auch 
die erwähnten Cavicornier sind wohl aus Asien gekommen, denn ihre Aehnlichkeit mit 
sivalischen Formen ist bedeutend grösser als mit solchen von Pikermi und Samos. Asiatischer 
Abkunft ist ferner zweifellos die Gattung Equus, vielleicht auch Hipparion erassum, und 
das Nämliche gilt wahrscheinlich auch von Elaphus und Capreolus. Endlich könnten auch 
gewisse Felis und Machairodus sowie Mastodon arvernensis eher auf asiatische als auf 


L) 


1) Dass diese Faunen sämmtlich vollkommen gleichaltrig wären, soll hiemit keineswegs behauptet 
werden, ist aber hier auch durchaus nebensächlich. Auch in den schwäbischen Bohnerzen scheint diese 
Fauna angedeutet zu sein. Ferner gehören der Zeit nach hieher die Säugethierreste aus den Ligniten 
von Castelnuovo di Garfagnana in Italien, von Baröth in Siebenbürgen und aus verschiedenen Ablage- 
rungen in Südrussland sowie im Rhöne- und Saöne-Becken. Auch die Fauna von Casino bei Siena 
schliesst sich fast eher an die Fauna von Val d’Arno und der Auvergne, als an die Hipparionenfauna 
an, obwohl darin angeblich Hipparion gracile vorkommt. 


214 


europäische Vorläufer zurückgehen. Dass die Umwandlung der Gattung Stegodon in die 
Gattung Elephas in Asien stattgefunden hat, dürfte wohl von Niemandem in Zweifel gezogen 
werden. 

Leider erschweren äussere Umstände die Lösung dieser Fragen in ganz ungewöhnlicher 
Weise, denn von den erwähnten oberpliocänen Faunen hat bis jetzt nur die Fauna von 
Roussillon eine den modernen Bedürfnissen genügende Bearbeitung erfahren, die von Val d’Arno 
ist nur theilweise — Primaten, Caniden, Nager, Feliden, Ursiden, Equiden, Rhino- 
eerotiden, Suiden und Proboseidier — in neuerer Zeit genauer studirt worden. Auch 
der Erhaltungszustand des Materiales erschwert solche genetische Untersuchungen ganz bedeutend, 
denn z. B. von den sivalischen Hirschen sind nur sehr dürftige Ueberreste vorhanden und 
ebenso lässt die Kenntniss der dortigen Antilopen sehr viel zu wünschen. Dass der Mangel 
an Geweihen und Gehörnen bei dem chinesischen Material höchst fühlbar ist, habe ich schon 
früher bemerkt. 

Endlich sind auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten ein und desselben 
Genus oft recht gering und bei der Unvollständigkeit des Materiales oft überhaupt nicht zu 
beobachten, da nicht selten die eine Art durch ganz andere Theile des Gebisses oder Skelettes 
repräsentirt wird als jene, die mit ihr verglichen werden soll. Endlich ist es wohl auch nahezu 
unmöglich, diese Studien mit Hilfe der Literatur allein durchzuführen, aber ebenso schwer 
dürfte es fallen, das weit zerstreute Material in den Originalstücken selbst zu studiren. Auch 
würde eine erschöpfende Darstellung der genetischen Beziehungen der unterpliocänen und 
oberplioeänen Formen den hier zu Gebote stehenden Raum weit überschreiten. Ich darf mich 
daher wohl auf obige Andeutungen beschränken. 

Die Fauna des europäischen Oberpliocän ist in der Hauptsache gewiss der Ausgangs- 
punkt für die Fauna des europäischen Pleistocän, dagegen hat die indochinesische Hipparionen- 
fauna auf die Zusammensetzung dieser Thierwelt keinen directen Einfluss mehr ausgeübt, wohl 
aber dürfte die asiatische. Stegodonfauna in dieser Hinsicht grosse Bedeutung gehabt haben. 
In ihr haben wir die Vorläufer fast aller Bovinen, Ovicaprinen — Capra ibex, Rupi- 
capra — sowie von Saiga zu suchen, ferner das Zwischenglied zwischen dem fossilen Meles 
taxipater und dem noch lebenden Meles taxus, sowie den Ahnen von Sus scrofa und 
Equus ceaballus, während die europäische Oberpliocänfauna unter Anderem den Ahnen von 
Elephas antiguus und primigenius in Elephas meridionalis, den Ahnen von Rhino- 
ceros Mercki in Rhinoceros etruscus, den Ahnen von Ursus arctos und spelaeus in 
Ursus arvernensis enthält. Auch die meisten pleistocänen Hirsche dürften auf Formen 
aus der Auvergne zurückgehen. Hingegen wäre es wieder nicht unmöglich, dass Rhinoceros 
tichorhinus — recte Atelodus antiquitatis — etwa in Rhinoceros Habereri oder 
Brancoi wurzelt. Die Mierofauna, welche im jüngeren Pleistocän von Europa eine so hervor- 
ragende Rolle spielt, setzt sich wohl etwa zu gleichen Theilen aus Nachkommen von asiatischen 
und europäischen Pliocänformen zusammen, allein diese ausgestorbenen Arten sind uns bis 
jetzt fast gänzlich unbekannt. Da wir uns jedoch in erster Linie nur mit der fossilen asiatischen 
Thierwelt zu beschäftigen haben, brauchen wir auf die Entstehung der europäischen Pleistocän- 
fauna nicht näher einzugehen, zumal da gerade die in dieser Beziehung allein zur Geltung 
kommende Stegodonfauna bis jetzt nur ganz ungenügend bekannt ist. 

Neben der Wanderung asiatischer Formen nach Europa scheint aber im jüngeren 
Pliocän oder zu Anfang des Pleistocän auch eine, freilich recht spärliche Wanderung europäischer 
Formen nach China, wenn auch nicht nach Indien erfolgt zu sein, wenigstens lassen sich die 
dortigen Tapirus sinensis und Rhinoceros plieidens von europäischen Vorläufern, nämlich 
von Tapirus priscus und von Rhinoceros megarhinus ableiten, auch Elephas primi- 
‚genius ist wahrscheinlich aus Europa gekommen, vielleicht auch die Crocutaähnliche Hyaena 
der Karnulhöhlen in Indien. Sowohl die indische als auch die chinesische Pleistocänfauna 
schliessen sich an die ihnen zeitlich doch schon ferne stehende indochinesische Hipparionen- 
fauna jedenfalls viel enger an als die europäische pleistoeäne Thierwelt an die europäische 
Hipparionenfauna. In Asien ist die Entwickelung der Boviden, Ovicaprinen, gewisser 
Equiden, wohl auch der meisten Suiden, Feliden, Bären und jedenfalls auch der meisten 


215 


Primaten vor sich gegangen. Auch die Spaltung in die vielen, heutzutage meist in Afrika 
lebenden Antilopengattungen hat schon zur Zeit der Hipparionenfauna in Indochina 
begonnen, während die Antilopen von Pikermi, Samos und Maragha für die jetzigen 
Antilopen sehr geringe stammesgeschichtliche Bedeutung zu besitzen scheinen. In Asien 
haben sich auch die Gattungen Chalicotherium und Hyaenarctos bis in das Pleistocän 
erhalten. 

Die Hipparionenfaunen stehen in innigster Beziehung zur lebenden Thierwelt Afrikas. 
Die südeuropäisch-westasiatische betheiligt sich an der Zusammensetzung dieser Fauna mit 
Atelodus, welcher Gattung die beiden lebenden afrikanischen Rhinocerosarten angehören, 
mit Oryeteropus, Camelopardalis, vielleicht auch mit Samotherium — allenfalls der 
Stammvater der erst kürzlich entdeckten Okapia —, und wohl auch mit einigen Antilopen- 
gattungen, allein es erscheint doch recht fraglich, ob die Antilopen von Pikermi, Samos ete. 
für die heutige afrikanische Antilopenfauna jene grosse Bedeutung besitzen, welche man 
ihnen bisher beigelegt hat. Diese Verhältnisse bedürfen vielmehr entschieden einer erneuten 
Untersuchung. So viel ist jedoch auch jetzt schon gewiss, dass die indo-chinesischen Antilopen 
an der Zusammensetzung der afrikanischen Antilopenfauna viel stärker betheiligt sind als 
jene von Samos, Pikermi und Maragha, denn es schliessen sich die chinesischen Gazellen viel 
inniger an die afrikanischen an als Gazella brevicornis, auch finden wir in Indien 
und China bereits Verwandte von Strepsiceros, Oreas, Hippotragus, Alcelaphus, 
Cobus und sogar von Cephalophinen. Aber auch die übrigen Elemente der Siwalik 
betheiligen sich sehr stark an der Zusammensetzung der heutigen afrikanischen Thierwelt, die 
chinesische kommt freilich in dieser Hinsicht nicht weiter in Betracht, denn ihr Antheil 
beschränkt sich wohl nur auf Antilopen — Gazella, Strepsiceros und Plesiaddax —, 
vielleicht haben auch einige der Suiden als Vorläufer von Potamochoerus eine gewisse 
Bedeutung für die heutige afrikanische Fauna. Um so inniger sind die Beziehungen zwischen 
dieser und der Siwalikfauna. *In dieser letzteren treffen wir die Vorläufer von Troglodytes, 
Cynocephalus, Viverra, Mellivora, sowie den Ahnen von Hyaena striata und cerocuta, 
von Hystrix, Hyaemoschus (Dorcatherium), Camelus und Hippopotamus. KHiebei ist 
jedoch keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, dass”die Hyänen sowie Hippopotamus 
der Siwalik nur indirekt als Stammeltern der afrikanischen Arten in Betracht kommen, insoferne 
die Zwischenglieder in der Fauna des europäischen Oberpliocän gesucht werden müssen, und 
dass der Ahne der afrikanischen Hystrix doch im europäischen Unterpliocän existirt hat. 
Die Stammesgeschichte der Feliden bietet bei der Indifferenz dieser Formen und bei der 
Dürftigkeit des fossilen Materiales so viele Schwierigkeiten, dass wir diese Familie besser nicht 
weiter berücksichtigen. 

In neuester Zeit herrscht bekanntlich das Bestreben, dem afrikanischen Continente für 
die Zusammensetzung der fossilen und lebenden Thierwelt der östlichen Hemisphäre hervor- 
ragende Bedeutung beizumessen, und für jede Form, deren Vorläufer nicht näher bekannt ist, 
ohne Weiteres afrikanischen Ursprung anzunehmen, soferne sie nur in der heutigen afrikanischen 
Thierwelt Verwandte besitzt. Ja Osborn!) geht sogar so weit, die Gattung Anoplotherium 
des europäischen Eocän aus Afrika stammen zu lassen, weil ein mit ihr gleichaltriger Nager 
— Theridomys — mit der lebenden afrikanischen Gattung Anomalurus verwandt ist oder 
richtiger verwandt sein soll. 

Dass ich ein derartiges Verfahren, welches nicht mehr und nicht weniger bedeutet als 
die Ableitung’ fossiler Formen von noch lebenden Typen und mithin die Dinge auf den Kopf 
stellen heisst, prineipiell aufs Allerschärfste verurtheilen muss, brauche ich wohl kaum näher 
zu begründen. Die erwähnten Elemente der Pikermi- und Siwalikfauna, welche sich an der 
Zusammensetzung der heutigen afrikanischen Fauna betheiligen, sind denn doch gewiss eher 
auch die wirklichen Vorfahren der jetzigen afrikanischen Typen als die blossen Ausläufer einer 
hypothetischen afrikanischen Thierwelt. Eine solche hat es vielmehr aller Wahrscheinlichkeit 


1) Correlation between Tertiary Mammal Horizons of Europe and America. Annals of the New York 
Academy of Sciences, Vol. XIII, 1900, p. 56. 


216 


nach während des Tertiärs streng genommen ebenso wenig gegeben wie etwa eine oligocäne 
australische Fauna. Afrika erhielt seine Thierwelt immer nur aus benachbarten Continenten, 
im Eocän aus Europa, nämlich die Vorläufer der jetzigen Typen Madagascar’s, wahrscheinlich 
auch den von Oryeteropus und dabei ist es keineswegs sicher, ob diese Einwanderer nicht 
doch nur auf einen sehr geringen Theil von Afrika beschränkt geblieben sind. Die kürzlich 
in Aegypten gefundenen eocänen Säugethiere beweisen nichts für die Existenz einer eigentlichen 
afrikanischen Tertiärfauna, denn neben den Proboseidiern!) findet sich auch ein Amblypode 
— Arsinoitherium —, der sich nur mit nordamerikanischen Formen — Uintatherium — 
vergleichen lässt. Die mit ihnen ausserdem noch auftretende Gattung Ancodus ist entschieden 
europäischen Ursprungs, und Saghatherium erinnert am ehesten an Formen aus dem Tertiär 
von Patagonien. Es wären unter diesen Formen also höchstens die Proboseidier wirklich 
afrikanische Autochthonen. Diese aber verlegen vom Miocän an augenscheinlich ihren Wohnsitz 
vollständig nach Europa und dringen von da erst allmälig nach Asien und Nordamerika vor. 
Von Südamerika hat Afrika vielleicht die Hyracoidea erhalten, aus europäischen oder nord- 
amerikanischen eoeänen Lemuroiden oder aus südamerikanischen fossilen Platyrhinen 
haben sich die altweltlichen Affen entwickelt. Hat es wirklich im älteren Tertiär eine 
selbständige afrikanische Säugethierwelt gegeben, so kann sie nur aus Proboscidiern, 
Hyracoidea und aus Vorläufern von Cynopitheeinen und Anthropoiden bestanden haben 
und selbst diese verschwinden anscheinend ziemlich bald mit Ausnahme etwa der Hyracoidea 
aus Afrika, denn die Weiterentwickelung der Proboscidier und der Primaten hat sich 
offenbar in Europa und Asien abgespielt. Für alle späteren asiatischeuropäischen Faunen, 
namentlich für die uns hauptsächlich interessirenden Hipparionenfaunen und die aus diesen 
hervorgegangenen Thiergesellschaften hat dagegen Afrika nicht die geringste Bedeutung, denn 
gerade jene Typen, welche man allgemein als die Charakteristica der afrikanischen Thierwelt 
bezeichnet, Hyaena, Hippopotamus, Hyaemoschus — recte Dorcatherium — Camelo- 
pardalis, das Heer der mannigfaltigen Antilopen sowie die Zebras sind in Wirklichkeit 
asiatischen, zum Theil wohl auch europäischen Ursprungs. Eine wirklich afrikanische 
Säugethierfauna gibt es erst seit dem Pleistocän. 


Zu Nordamerika hat die indochinesische Hipparionenfauna mehr Beziehungen, als man 
bisher vermuthen konnte. Dass einmal eine Einwanderung nordamerikanischer Typen in Asien 
stattgefunden haben musste, kann schon desshalb keinem Zweifel unterliegen, weil nur im 
Tertiär von Nordamerika Tylopoden, also die Ahnen der Gattung Camelus gelebt haben. 
Dass nun aber bloss eine einzige Form aus dem so formenreichen Nordamerika nach Asien 
gekommen sein sollte, ist schon an und für sich höchst unwahrscheinlich und in der That 
konnten wir auch verschiedene andere Typen ausfindig machen, welche sich nur von nord- 
amerikanischen Vorfahren ableiten lassen. Diese Invasion muss aber gerade in Ostasien erfolgt 
sein, weil Europa von diesen Typen entweder ganz frei geblieben ist oder sie doch erst etwas 
später erhalten hat als Indochina, obwohl doch sonst fast während der ganzen Tertiärzeit ein 
ziemlich lebhafter Verkehr, namentlich im Oligocän zwischen Europa und Nordamerika statt- 
gefunden hat. Nordamerikanischer Abstammung sind, abgesehen von Camelus, die Caniden 
und die Leporiden, ferner die Gazellen und Cephalophinen als Nachkommen von 
:Hypertraguliden und die Sivatheriinen und vielleicht auch die Giraffinen als Nach- 
kommen der Protoceratinen. Auch Hipparion und Equus dürften wohl eher zuerst nach 
Asien als nach Europa gelangt sein. Ihr nordamerikanischer Ursprung kann nicht ernsthaft 
bezweifelt werden. Als Gegengabe erhielt Nordamerika die Gattungen Ursus, Mastodon und 
Tapirus, sowie seine Cerviden, allein es lässt sich bis jetzt nicht beweisen, dass dieser 
Austausch auch wirklich von Asien aus erfolgt ist, dagegen hat die Verbreitung gewisser 
‘ altweltlicher Pleistocänformen, Elephas primigenius, Cervus canadensis,. vielleicht auch 
von Rangifer und Alces sowie von Lynx nach Nordamerika sicher von Asien aus stattgefunden. 


!) Phiomia serridens ist nur das Milchgebiss von Palaeomastodon. Der Vorläufer hievon, 
Moeritherium, lebte allerdings ebenfalls in. Aesypten, ebenso Barytherium. 


217 


Man wird nun wohl von mir verlangen, die Wege ausfindig zu machen, welche die im 
Laufe unserer Untersuchungen genannten Säugethierarten auf ihren wechselseitigen Wanderungen 
eingeschlagen haben. Die frühere oder jetzige Verbreitung von naheverwandten Gattungen 
oder von Arten ein und derselben Gattung, die jetzt durch ein breiteres oder schmäleres Meer 
oder durch unübersteigliche Gebirge getrennt sind, wird ja allgemein mit besonderer Vorliebe 
für die Reconstruction früherer geographischer Verhältnisse verwerthet, namentlich für die 
vermeintliche Existenz von Landbrücken, auf welchen die Gattungen oder Arten von ihrem 
Entstehungscentrum aus nach ihren späteren Wohnsitzen gelangt sein müssten. 

Es lässt sich zwar nicht bestreiten, dass Landthiere ihren Weg auch immer nur über 
festes Land genommen und dass Tiefebenenbewohner auch schwerlich jemals hohe Gebirge 
überschritten haben werden, allein es ist doch eine überaus naive Annahme, dass die für eine 
solehe Wanderung unentbehrliche Landbrücke beziehungsweise Landsenke auch immer die 
einander zunächst gelegenen Theile der beiden getrennten Verbreitungsgebiete verbunden 
haben "müsste. 

Man macht sich hiebei immer die falsche Vorstellung, als ob die Ausdehnung des Ver- 
breitungsgebietes auch stets auf dem geradesten Weg und in der kürzesten Zeit erfolgen 
müsse, wie dies ja allenfalls bei wirklichen Wanderungen der Fall sein wird. Allein von einer 
eigentlichen Wanderung kann überhaupt kaum die Rede sein, wenn es sich um die Ausdehnung 
des bisherigen Verbreitungsbezirkes einer gewissen Art oder Gattung handelt, durch wirkliche 
Wanderungen wird dieser Zweck anscheinend sogar niemals erreicht. Die Wanderungen des 
Lemming z. B. haben noch niemals dazu geführt, die Wohnsitze dieses Nagers über den 
südlicheren Theil der Skandinavischen Halbinsel auszudehnen, auch das plötzliche Auftreten 
des asiatischen Steppenhuhns, welches vor etlichen Jahren an vielen Orten in Deutschland 
beobachtet wurde, führte keineswegs zur Einbürgerung dieser Vögel, dieselben sind vielmehr 
ebenso rasch wieder spurlos verschwunden wie sie gekommen waren. 

Die Erweiterung eines Gattungs- oder Artenbezirkes erfolgt anscheinend in der Weise, 
dass die an. den Grenzen befindlichen Individuen generationsweise und dabei immer nur um 
einen geringen Betrag, vielleicht nur um wenige Kilometer, weiter vorrücken, so dass also 
auch hier wie in der Geologie die langsame aber stetige Wirkung die Hauptrolle spielt. In 
dieser gleichmässigen radialen Weise dehnt sich also das Verbreitungsgebiet einer Art oder 
Gattung aus, soferne sie nicht auf unüberwindliche Hindernisse, wie Gebirge, Wüsten oder 
gewaltige Ströme und Seen oder Meere stösst. In diesem Fall wird die fernere Ausdehnung 
an dem Hinderniss entlang, also gewissermaassen in tangentialer anstatt in der normalen 
radialen Richtung stattfinden. Trifft die Art oder Gattung dann wieder auf eine gangbare 
Strecke, so kann sie auch wieder gegen ihr ursprüngliches Centrum umlenken und zuletzt ein 
Land oder eine Halbinsel bevölkern, welche ganz dieht an ihrer eigentlichen Heimath liegen, 
aber von dieser durch orographische oder hydrographische Hindernisse getrennt sind und auch 
schon vielleicht von jeher hievon geschieden waren. Der Weg, welchen die Form hiebei 
während so und so vieler Generationen eingeschlagen hat, kann unter diesen Umständen sogar 
einen fast vollständigen Kreis beschreiben. Natürlich denkt man nicht immer an diese Mög- 
lichkeit, sondern erklärt die Anwesenheit in benachbarten, aber durch Gebirge oder durch 
Wasser getrennten Gebieten lieber dadurch, dass dieses Gebirg oder dieses Gewässer erst nach 
dem Vorrücken der Art oder Gattung entstanden sei, dass also früher eine Niederung oder 
eine Landbrücke existirt haben müsse. Dies dürfte jedoch in vielen Fällen eine durchaus 
irrige Schlussfolgerung sein. Der Nachweis dafür, dass das Gebirge oder die Wüste, der See 
oder das Meer früher nicht existirt hätte, muss vielmehr unter allen Umständen der geologischen 
Detailforschung überlassen bleiben, niemals aber dürfen blosse zoogeographische Hypothesen 
und Speeculationen bei solchen Fragen den Ausschlag geben. 

Dass manche Gebirge erst im jüngeren Tertiär, also zu einer Zeit, in welcher die jetzigen 
zoogeographischen Grenzen schon in grossen Zügen angelegt wurden, entstanden sind, ist nun 
allerdings richtig, ebenso wenig kann auch die Existenz gewisser früherer Landbrücken geläugnet 
werden, eine Anzahl solcher ist vielmehr mit absoluter Sicherheit ermittelt, z. B. jene zwischen 
England und dem europäischen Continent oder jene: zwischen Italien und Nordafrika, allein 

Abh.d. II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. I. Abth. 28 


218 


dieser Nachweis ist stets Aufgabe der Geologie und nicht der Zoogeographie, letztere darf 
höchstens die Anregung zu diesbezüglichen Untersuchungen geben aber niemals auf Grund der 
Verbreitung dieser oder jener Form Niederungen oder Landbrücken reconstruiren, wie dies 
leider nur allzu häufig der Fall ist. 

Da nun die Geologie gerade jener Länder, durch welche die Einwanderung der miocänen 
europäischen und nordamerikanischen Formen in Asien und der indochinesischen Hipparionen- 
und Stegodonfauna nach Westen, sowie die Wanderungen während des Pleistocän erfolgt sind, 
noch sehr vieler Ergänzungen bedarf, so wird man davon absehen müssen, jetzt schon die 
Bahnen festzustellen, auf welchen diese faunistischen Verschiebungen vor sich gegangen sind. 


Zusammenfassung der Resultate. 


Die fossilen Säugethiere Chinas gehören theils dem Pleistocän, theils dem Pliocän an, 
und zwar hat jede dieser beiden Perioden wieder je eine ältere und eine jüngere Fauna. 


Zum jüngeren Pleistocän, vorwiegend durch Lössfunde vertreten, rechne ich Elephas 
primigenius, Rhinoceros tichorhinus, Equus, Bos primigenius, Cervus Mongoliae 
und Hyaena aus der Provinz Tschili und Cervus Aristotelis, Axis, Bison priscus? und 
Rhinoceros tichorhinus aus der Provinz Hupe, davon Bison priscus auch in Kansu. 


Das ältere Pleistocän wird repräsentirt durch eine Höhlenfauna, vorwiegend in den 
Provinzen $z‘tschwan und Jünnan, bestehend aus Ursus aff. japonicus, Hyaenarctos, 
Canide von Wolfsgrösse, Felis sp., Hyaena sinensis, Rhinoceros sinensis, plicidens, 
Tapirus sinensis, Chalicotherium sinense, Equus sp., Sus sp., Cervus orientalis, 
leptodus, denen wohl Elephas namadicus = Elephas antiquus? anzureihen wäre. Diese 
ältere Fauna entspricht vielleicht der Fauna des Narbaddathales und der Karnulhöhlen in Indien. 


Von den beiden Pliocänfaunen ist die jüngere wohl über den grössten Theil Ostasiens 
verbreitet, aber mit Ausnahme von Java nirgends besonders artenreich, auch fehlt es noch an 
einer genaueren Beschreibung dieser Thiergesellschaft, unsere Kenntnisse beschränken sich 
vielmehr ganz auf gewisse Proboscidier, nämlich auf Stegodon insignis, Clifti und 
bombifrons, von denen die erste Art das Leitfossil für diese Schichten darstellt. Von China 
hat man Stegodon insignis aus Fokien,- Sz“tschwan, Kansu, mit ihm gleichaltrig ist vielleicht 
Siphneus arvicolinus von Kuitai, vielleicht auch Pantholops hundisiensis aus Hundes 
in Tibet und das von Obrutschew gefundene Aceratherium aus der Mongolei sowie von 
Lydekker beschriebenen Reste von Equus sivalensis, Gazella aff. subgutturosa und 
Hyaena macrostoma, soferne diese nicht doch schon der Hipparionenfauna angehören, 
was entschieden wahrscheinlicher ist. 


Die ältere Pliocänfauna wird charakterisirt durch die zahlreichen Ueberreste von 
Hipparion Richthofeni. Sie gliedert sich selbst wieder in eine Steppenfauna, deren 
Ueberreste in einem rothen Thon in den Provinzen Schansi, Schensi und Sz“tschwan, vielleicht 
auch in Kwangtung und anderen östlichen Provinzen begraben liegen, — aus letzteren Gebieten 
ist bis jetzt nur Hipparion bekannt — und sich vorwiegend auf Mastodon Pandionis, 
Rhinoceros Habereri, Aceratherium Blanfordi, Anchitherium Zitteli, Camelo- 
pardalis aff. sivalensis, Aleicephalus sinensis, Urmiatherium, Gazella dorca- 
doides, altidens, Palaeoreas sinensis, Tragocerus, Plesiaddax,: Strepsiceros, 
Paraboselaphus und Pseudobos vertheilen, 


und in eine Waldfauna, deren Ueberreste aus röthlichen Sandsteinen und bunten 
Mergeln in den Provinzen Honan, Hunan, Hupeh und angeblich auch aus der Nähe von 
Tientsin stammen und vorwiegend den Gattungen Vulpes, Lutra, Meles, Machairodus, 
Dipoides, Cervavus und Cervus angehören. Charakteristisch für diese Fauna sind ausserdem 
die Arten Mastodon Lydekkeri, Rhinoceros Braneoi, Ceratorhinus sp., Equus cfr. 
sivalensis, Gazella palaeosinensis und Tragocerus sylvaticus. 


219 


Viele Arten, nämlich etwa ein Viertel der Gesammtfauna, kommen jedoch in beiden 
Faunen zugleich vor, aber ihre Ueberreste sind entsprechend der einstigen Lebensweise dieser 
Thiere ungleich häufiger in der Waldfauna als in der Steppenfauna und umgekehrt. Der 
Steppenfauna gehören die meisten Reste von Hyaena, Palhyaena hipparionum, Mastodon 
aff. latidens und Camelopardalis microdon sowie die überwiegende Mehrzahl der Reste 
von Hipparion, der Waldfauna dagegen der grössere Theil aller Suidenreste und jener von 
Protetraceros und fast sämmtliche Exemplare von Cervavus an. Die Ueberreste der 
Waldfauna wurden zweifellos in einem grossen Fluss oder in Süsswasserseen abgelagert, die 
Cadaver der Steppenbewohner haben hingegen keinen weiteren Transport durch fliessendes 
Wasser erfahren, sie wurden wohl nur in Vertiefungen der Bodenoberfläche eingeschwemmt 
nahe den Stellen, wo die Thiere verendet waren. 

Was den Charakter der chinesischen Hipparionenfauna betrifft, so hat sie mit der 
gleichaltrigen europäischen Thierwelt natürlich nur geringe Aehnlichkeit, aber immerhin enthält 
sie einen Nager, der ausser in süddeutschen Bohnerzen noch nirgends gefunden wurde, sowie 
Lutra, Hirsche und hochkronige Antilopen, die auch in Mitteleuropa durch verwandte 
Formen vertreten sind. Dagegen beschränkt sich die Aehnliehkeit mit den reichen Faunen 
von Pikermi, Samos, M. Leberon auf die Anwesenheit von Formen, welche jeder Hipparionen- 
fauna eigen sind, nämlich Palhyaena, Hyaena, Machairodus, Hipparion, tetralophodonte 
Mastodon, Camelopardalis, Palaeoreas, Tragocerus und Gazella und selbst hierin 
kommt die chinesische Fauna den europäischen näher als die Fauna der Siwalik, so dass man 
ein gewisses nordisches Gepräge der chinesischen Thierwelt nicht bestreiten kann, so innig 
auch sonst ihre Beziehungen zur Siwalikfauna sind. Mit der Fauna von Maragha in Persien 
hat die chinesische Hipparionenfauna entschieden grössere Aehnlichkeit als mit der europäischen, 
denn beide enthalten nicht bloss die ebenerwähnten Charakteristica einer jeden altweltlichen 
Thiergesellschaft aus jener Periode, sondern ausserdem auch die Gattungen Meles, Aleicephalus, 
Urmiatherium?, Pseudobos und sogar die nämliche Art von Aceratherium. Auf die 
vielfachen Anklänge der chinesischen Hipparionenfauna an die Thierwelt der Siwalik brauche 
ich hier nicht abermals weiter einzugehen, es dürfte vielmehr die Bemerkung genügen, dass 
fast jede chinesische Art in Indien einen Stellvertreter besitz. Aber daneben enthält die 
Siwalikfauna verschiedene Formen — Primaten, Mellivora, Viverra, Rhizomys, die 
Mehrzahl der Sivatheriinen, Tragulus, Dorcatherium?, Hippotragus, Cobus, Alce- 
laphus, welche ihr schon ein mehr südliches Gepräge verleihen, da auch ihre Nachkommen 
nur in der Fauna Afrikas resp. Südasiens vertreten sind, soferne solche überhaupt noch 


existiren, während sie an der Zusammensetzung der späteren Faunen Eurasiens — Europa 
und Asien nördlich des Himalaya — keinen Antheil mehr haben oder nur durch spärliche 
Ausläufer repräsentirt sind — Viverra, Primaten. 


Die indochinesische Hipparionenfauna wurzelt theils in den Säugethierfaunen des 
europäischen Miocän, theils in jener des nordamerikanischen Tertiärs. Europäischen Ursprungs 
sind die Anthropoiden, ferner Ursus, Hyaenarctos, Amphicyon, Meles, Mellivora, 
Lutra, Viverra, Felis, Machairodus, Hystrix, Dipoides, Mastodon, Dinotherium, 
Chalicotherium, Rhinoceros — Ceratorhinus —, Aceratherium, Teleoceras — 
Brachypotherium —, Anchitherium, sämmtliche Suiden, Dorcatherium, die Cerviden 
und die meisten Antilopen, vielleicht auch Camelopardalis, sicher auch, wenn auch nur 
indireet Hippopotamus. Aus Nordamerika stammen dagegen die Caniden, die Leporiden, 
Tylopoden — Camelus —, die Sivatheriinen, vielleicht auch Camelopardalis als 
Nachkommen der Protoceratinen und die Antilopinen — Gazellen — und Cephalo- 
phinen, als Nachkommen der Hypertraguliden, sicher die Gattungen Hipparion und 
Equus, vielleicht auch die Gattung Hyaena. 

An der Zusammensetzung der auf die Hipparionenfauna folgenden Stegodonfauna ist 
die indochinesische Hipparionenfauna jedenfalls in hervorragender Weise betheiligt, allein es 
bedarf erst eines genaueren Studium dieser jüngeren asiatischen Thierwelt, ehe die näheren 
Beziehungen zwischen beiden Faunen ermittelt werden können. Auch in Europa treffen wir 
im Oberpliocän Nachkommen der indochinesischen Hipparionenfauna, nämlich Cynopithe- 


220 


einen, Caniden, Viverren, Hyaena, Hippopotamus, Potamochoerus, Equus, auch 
verschiedene der dortigen Cerviden und Cavicornier sind entschieden asiatischer Herkunft. 
Das Nämliche gilt möglicherweise auch für die Feliden und Proboseidier. - Die übrigen 
Formen wurzeln dagegen eher in Angehörigen der europäisch-westasiatischen Hipparionenfauna. 

Den Einfluss, welchen die indochinesische Hipparionenfauna auf die Zusammensetzung 
der eurasiatischen und nordamerikanischen Pleistocänfauna ausgeübt hat, werden wir erst dann 
richtig beurtheilen können, wenn einmal die Stegodonfauna besser studirt sein wird; für jetzt 
können wir jedoch schon so viel sagen, dass die Thierwelt des europäischen Oberpliocän die 
Vorläufer wohl des grössten Theiles aller Pleistocäntypen enthält. Von Asien haben wir lediglich 
einen mässigen Beitrag, bestehend in Cavicorniern sowie in einigen Hirschen und vielleicht 
auch in einem Theil der Mierofauna zu erwarten. Dagegen hat Europa am Ende des Tertiärs 
Tapirus, — gewisse Rhinoceroten — vom Typus des Megarhinus und vermuthlich auch - 
Hirsche und Bären an Asien abgegeben, wo sich auch Hyaenarctos und Chalicotherium 
länger erhalten haben als in Europa. Europäischer Abkunft ist auch Elephas primigenius, 
dagegen scheint sein treuer Begleiter — Rhinoceros antiquitatis — sive tichorhinus 
eher in Asien entstanden zu sein. Afrika hat strenggenommen erst im Pliocän Säugethiere 
erhalten, eine wirklich afrikanische Säugethierfauna existirt erst seit dem Pleistoeän. An ihrer 
Zusammensetzung scheinen die Hipparionenfaunen und die europäische Oberpliocänfauna 
ziemlich gleichmässig betheiligt zu sein. Da aber die Letztere selbst wieder zur indochinesischen 
Hipparionenfauna in vielfachen genetischen Beziehungen steht, so darf man diese geradezu 
als die Hauptquelle fast aller jetzigen afrikanischen Säugethiertypen bezeichnen. Gerade jene 
Formen, welche man für die Hauptcharakteristica der „äthiopischen“ Region ansieht, sind in 
Wirklichkeit in Asien beheimathet. 


221 


Inhalt. 


Seite 
Vorwort von Dr. Haberer . ß : 3 : ä n ; s h : : ß ; : 3 
Vorwort des Autors 5 ; : ; 5 3 2 i : i : m 
Die Fundplätze der fossilen Singeihierr Oster in Cara . : ; . ; : E : : ; 9 
Beschreibung der Arten: Primates . i ; 5 i ; } : 2 : 5 ; 20 
Carnivora . e i 5 2 , ; : ? 2 . . il 
Rodentia . . N ; : ; i - ; : : > 40 
Proboscidia ö ; , : . i s : : s b a2 
Perissodactyla. e 5 : : 5 ? ; : . i et, 
Artiodactyla bunodonta r e ; j 2 : ß ; 88 
Artiodactyla selenodonta. Tylopoda . s ; . i Eu 99: 
Cervicornia. ; : Ä : er 
Alcicephalus : : N s . 105 
Cervidae R \ x „le: 
Cavicornia, Antilopidae, ; . 126 
Bovidae £ ; . 158 
Ovidae . : : . 160 
Versuch einer Odontographie der recenten Antilopen ; E ; i : : : : .  anl 
Ergebnisse der Odontologie der recenten Antilopen.. ö : i : i e : : no 
Rückblick - : 2 4 3 : 2 a : ß : ; $ 5 : > N TA. 
Morphologische und phylogenetische Resultate . 5 5 i i : : : on 
Stratigraphische und zoogeographische Ergebnisse . h . : - i : . 193 
Die Fauna der Siwalik . 5 : 205 

Die Beziehungen der asiatischen ion zur fr neten nd zur zen Heel 209 - 
Zusammenfassung der Resultate . : - e e B 5 > 5 5 a 2218 


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Tafel I. 


Homo? Anthropoide? rechter oberer M; $ nat. Grösse von unten. Fig. la von unten, 
Fig. 1b von aussen. p. 20. 

Ursus linker unterer M, von aussen, Fig. 2a von innen. Tientsin. Idem Fig.5. p. 21. 

Hyaenarctos? sp. Linker unterer M, und M; von oben. M, Copie nach Lydekker. Plei- 
stocän. p. 23. 


Lutra brachygnathus n. sp. rechter Unterkiefer mit P,—M, von oben, Fig. 4a von aussen, 
Fig. 4b Zähne von innen. Tientsin. p. 26. 

Ursus sp. linker unterer M, von oben. Idem Fig. 2. p. 21. 

Vulpes sinensis n. sp. rechter Unterkiefer combinirt von oben. Fig. 64 von aussen. 
Tientsin. p. 24. 

Meles taxipater n. sp. rechter Unterkiefer combinirt von oben. Fig. 7a von aussen. 
Tientsin. p. 28. 

Machairodus sp. linker oberer Canin von innen. Fig 8a Querschnitt. Tientsin. p. 39. 


” efr. horribilis n. sp. Fragment eines linken oberen Canin von aussen. 
Fig. 9 Kante desselben vergrössert. Tientsin. p. 27. 


Machairodus horribilis n. sp. linker oberer P, ergänzt aus 2 Fragmenten. Tientsin. 
Idem Fig. 13. p: 27. 


Felis sp. rechter unterer M, von oben. Sz“tschwan. Fig. 11a von aussen. p-33 


Canis? Fragment eines rechten Unterkiefers von aussen mit Alveolen von P,—P;. Tientsin. 
Idem Fig. 14. p. 26. 


Machairodus horribilis n. sp. linker oberer P, ergänzt von unten. Idem Fie. 10. p. 27. 
Canis? Fragment eines rechten Unterkiefers von oben. Idem Fig. 12. p. 26. 


Machairodus horribilis n. sp. unterer P, aus Schansi, unterer M, aus Tientsin, beide 
von oben. Idem Fig. 16. p. 27. 


Machairodus horribilis n. sp. unterer P, und M, von aussen. Idem Fig. 15. p. 27. 


Rothe Thone = Schansi, Sz’tschwan. Röthliche Sandsteine = Tientsin. 


Schlosser, Säugethiere Chinas. 


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Reprod. von J. B. Obernetter, München. 


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Tafel II. 


Hyaena gigantea n. sp. linker oberer P; von aussen. Tientsin. Idem Fig. 3 p. 35. 


r 2 „ linker oberer P, von aussen, combinirt aus 2 Stücken. Tientsin 
und Schansi, Fig. 2a von unten. p. 35. 


Hyaena gigantea n. sp. linker oberer P,; von unten. Idem Fig. 1. p. 35. 
” sp. rechter oberer P, von unten. Tientsin. Idem Taf. III, Fig. 5. p. 34. 
7 „ linker oberer P; von unten. Tientsin. Idem Fig. 13. p. 33. 


hr gigantea n. sp. linker unterer M, von aussen. Tibetfluss. Fig. 6a von oben. p. 35. 

35 ÄR E = a en r Schansi. Fig. 7a von oben. p. 35. 

a5 iR ” r =) (Pe n is Fig. 8a von oben. p. 55. 
Palhyaena aff. hipparionum Gerv. linker oberer P; von unten. Schansi. Idem Fig. 11. p. 29. 
„ „ » „ » ER „ » „  Rıo12, 9229. 

” H, F 5 he „ PBsvonausen. „. Hie292 9329: 

„ » ” 5 % en 2 a „ Fig.10. p. 29. 
Hyaena sp. linker oberer P, von aussen. Tientsin. Fig. 13a von innen. Idem Fie.5. p. 33. 


Dipoides Majori n. sp. linker Unterkiefer von oben. Tientsin. Fig. 14a von aussen. p. 40. 


Palhyaena af. hipparionum Gerv. linker unterer M, von aussen und von innen. Schansi. 
Fig. 15a von oben. p. 29. 


Palhyaena afl. hipparionum Gerv. linker unterer P, von aussen. Schansi. Fig. 16a von 
oben. p. 29. 


Palhyaena af. hipparionum Gerv. linker unterer P; von aussen. Schansi. Fig. 17a von 
oben. p. 29. 


Palhyaena aff. hipparionum Gerv. linker ünterer P,, Alveole von P, und Canin von 
aussen. Schansi. Fig. 18a von oben. p. 29. 


Rothe Thone = Schansi. Röthliche Sandsteine = Tientsin. 


Schlosser, Säugethiere Chinas. Taf. I. 


Reprod. von J. B. Obernetter, München. 


Abh.d.II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXIl. Bd. I. Abth. 


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14. 


Tafel II. 


Hyaena sp. unterer P; links von oben, rothe Thone. Schansi. Fig. la von aussen. p. 34. 


« = = Bi, ln r nn 3 Fig. 2a „, re p. 34. 
% N a Mies ee er 5 r Nie Bel cn » p- 34. 
55 „ oberer P, von innen reconstruirt. Tientsin röthliche Sande. p. 34. 
25 er e Bars, „  lIdem Taf. II, Fig. 4. r a p- 34. 


Anchitherium Zitteli n. sp. unterer P;3 von oben, rothe Thone. p. 76. 
Chalicotherium sp. aff. sivalense Falc. unterer rechter P, von oben, rothe Thone. p. 76. 


Anchitherium Zitteli n. sp. oberer P, von unten, rothe Thone. p. 76. 
r 5, = unterer P, ., oben 1 n P-216: 
5 ., 2 Da e 2 Me p- 76. 
* m ” oberer M, ,„ unten r e p- 76. 
7 4 x ‚ns Mia, 55 5 > p- 76. 


Tapirus sinensis Ow. unterer linker P; von oben. Pleistocän. J’tschang. p. 72. 

Anchitherium Zitteli n. sp. rechter oberer P, und P, von unten, rothe Thone. p. 76. 

Tapirus sinensis Ow. linker oberer D, von unten Pleistocän. J‘tschang. p. 72. 

Equus cfr. sivalensis Fale. linker oberer P, von unten, röthliche Sande. p. 86. 

er rs h „ rechter unterer P, von innen, röthliche Sande. Soll die Höhe 

zeigen! Idem Fig. 19. p. 86. 

Hipparion Richthofeni Koken linker oberer M, von innen, röthliche Sande. Idem 
Fig. 20. p. 78. 

Equus cfr. sivalensis Fale. linker unterer P, von oben. Idem Fig. 17. p. 86. 

Hipparion Richthofeni Koken linker oberer M, von unten. Idem Fig. 8. p. 78. 

Equus cfr. sivalensis Fale. linker unterer M, von oben, röthliche Sande. p. 86. 

Hipparion Richthofeni Koken linker unterer M, von aussen, röthliche Sande. p. 78. 


Rothe Thone = Schansi. Röthliche Sande — Tientsin, Honan etc. 


Schlosser, Säugethiere Chinas. 


Abh.d.II. Cl. d. k. Akad. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 


Reprod. von J. B. 


Taf. Il. 


Obernetter, München, 


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Tafel IV. 


Hipparion Richthofeni Koken rechter unterer Pz,und P, von oben, röthliche Sande. p. 78. 


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n e n; „ Unterkiefer P,—M, „ „ en re p. 78. 
” = ss ‚„ unterer M, von oben, röthliche Sande. p. 78. 

Pi 5 ni > = P, v.o., rothe Thone, kleine Varietät (2). p- 78. 
» 3 a linker Unterkiefer P,—M; von oben, röthliche Sande. p. 78. 
> „ unterer D, von oben, rothe Thone. p. 78. 

en en 55 rechter oberer P} „ unten 2 p- 78. 

ei e 7 linke untere D,—D, ‚„ oben p- 78. 

= e = linker oberer D, „ unten 1% el 

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e re = linke obere J,—J; „, N 5 I p. 78. 

e 5 ” nn „ JA-Js „  ,„ röthlicheSande. p. 78. 

% ou n rechter/oberer Pk 5 "zothenNhone. p. 18 

% 2 „ „ N + Pe73E 

„ » » „ » Ps » „ : p- 78: 

„ „ n 5 0. Bo „ , + cn p- 78. 

" ; Finger 1 5 ys „ = p- 78. 

Pr 55 7 „ unterer M3 „ oben, röthl. Sande. p. 78. 

„ z m rechter oberer Ms ,, unten, rothe Thone. p. 78. 

5 ” ’ ” „ Ps v.u., rothe Thone, kleine Varietät (?). p. 78. 
5 ” KH ea „ M, von unten, rothe Thone. p. 78. 

» „ BB linker „M,()alt ,, es en p- 78. 

5) 24 rechter „ M, 5 ; F 2 p- 78. 

„ » 5 en ao - re a 0b. tkeh 

„ H " > ie Er ry, „ röthliche Sande. p. 78. 


Rothe Thone = Schansi. 


Röthliche Sande = Tientsin, Honan etc. 


Taf. IV. 


Schlosser, Säugethiere Chinas. 


Reprod. von J. B. Obernetter, München. 


Abh.d.II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. I. Abth. 


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Tafel V. 


Rhinoceros Brancoin.sp. rechter oberer-M, von unten, röthl. Sande. Berliner Museum. p. 64. 


4 n . PS 3 DR: Ss Ki a5 N s p- 64. 

© in n; ” Eee, 5 “ 5 Tientsin. p. 64. 

e ” „ linker oberer D, v.u., röthl. Sande. Tientsin. Idem Fig.11. p. 64. 

> Habereri „ rechter „, WU rothe Thone. Schansi stark angekaut. p. 58. 
“ 2: Bat 20 55 er „ ziemlich frisch. 


Idem Fig. 13. p. 58. 


Rhinoceros Habereri n. sp. rechter oberer M; von aussen, rothe Thone. Schansi frisch. 
Idem Fig. 15. p. 58. 


Rhinoceros Habereri n. sp. rechte obere Prämolaren PÄ,—P, von aussen. #% nat. Grösse. 
Idem Fig. 18, 20, 21. p. 58. 


Rhinoceros Habereri n. sp. linker oberer D; von unten, rothe Thone. Idem Fig. 12. p. 58. 


; & a ” Dan 55 » Fi „er j B 
r Brancoi ” FE » Ds; „ aussen, röthl. Sande „ Fig.4. p. 64. 
y Habereniii.. en De Flame. en 
5 = „ rechter oberer P, ,, Pe nn Me a Tele 


en > = Br es ni rothe Thone, fast frisch. 
Idem Fig. 17. p. 58. ; 


Rhinoceros Habereri n: sp. rechter oberer M; von unten, rothe Thone, fast frisch. 
Idem Fig. 7. p. 58. 


Rhinoceros Habereri n. sp. rechter oberer M, von unten, rothe Thone, fast frisch. 
Idem Fig. 7. p. 58. 


Rhinoceros Habereri n. sp. rechter oberer M, von unten, rothe Thone, fast frisch. 
Idem Fig. 14. p. 58. 


Rhinoceros Habereri n. sp. rechte obere P; und P, noch in Zusammenhang von unten, 
rothe Thone. Idem Fig. 8. p. 58. 


Rhinoceros Habereri n. sp. linker oberer D, v. u., rothe Thone. Fig. 19a von aussen. p. 58. 
„ 1 Idem Fig. 8. p. 58. 
EB ” ” ” »„ Pı » „ „ Idem Fig. 8. p. 58. 


” ” „ rechter „ P3 ” 


Rothe Thone = Schansi. Röthliche Sande = Tientsin, Honan ete. 


Schlosser, Säugethiere Chinas. 


Abh.d.I1.Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 


Taf. V. 


Reprod. von J. B. Obernetter, München. 


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Tafel VI. 


Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. oberer linker P, von unten. Fig. 1a 
von aussen, rothe Thone. p. 67. 

Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. oberer linker P, von unten. Fig. 2a 
von aussen, rothe Thone. p. 67. 

Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. oberer linker P; von unten. Fig. 3a 
von aussen, rothe Thone. p. 67. 

Aceratherium Blanfordi var. bipparionum Kok. oberer linker P, von unten. Fig. 4a 
"von aussen, rothe Thone. p. 67. 

Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. rechter M3? von unten, rothe Thone, 


alt. p.26r7. 
Aceratherium ? sp. oberer rechter Ps von unten, röthliche Sande. p. 65. 
„ „ „ ”„ P, „ „ ” ” P- 69. 
„ „ „ „ Pı ” „ „ „ P- 65. 


Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. unterer linker M, ? von oben. Fig. 9a 
von aussen, rothe Thone. p. 67. 


Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. unterer linker P, von aussen, rothe 
Thone. p. 67. 


Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. rechter P, von oben. Fig. lla von 
aussen, rothe Thone. p. 67. 


Rhinoceros Brancoi n. sp. unterer rechter P, von oben, röthliche Sande. Fig. 12a von 
aussen. p. 64. 


Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. linker oberer D, von unten, rothe 


Thone. p. 67. 

Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. linker oberer D, von unten, rothe 
Thone. . p. 67. ; 

Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. linker oberer D; von unten, rothe 
Thone. p. 67. 


Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. rechter oberer M, von unten, rothe 
Thone. p. 67. 

Aceratherium Blanfordi va 
Thone, frisch. p. 67. 

Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. linker oberer M, von unten, rothe 
Thone, alt. p. 67. 


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. hipparionum Kok. rechter oberer M, von unten, rothe 


| Rothe Thone = Schansi. Röthliche Sande = Tientsin, Honan ete. 


Schlosser, Säugethiere Chinas. 


-Abh.d. II. Cl. d.k. Ak.d. Wiss. XXI1. Bd. I. Abth. 


Taf. VI. 


Reprod, von J. B. Obernetter, München, 


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Tafel VII. 


Rhinoceros Habereri n. sp. rechter unterer P, v. o., rothe Thone. Fig. 1a von aussen. p. 58. 
P, „ „ „ Fig. 2a ” „ P- 58. 
„ „ „ „ „ D,, D; „ „ „ Fig. 3a ” „ P- 58. 


Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. rechter unterer D,, D,, rothe Thone 
von oben. Fig. 4a von aussen. p. 67. 


”„ ” $) „ ” 


Aceratherium Blanfordi var. hipparionum Kok. rechter unterer D;, rothe Thone von 
oben. Fig. 5a von aussen. p. 67. 
Rhinoceros Habereri n. sp. linker unterer P, v. o., rothe Thone. Fig. 6a von aussen. p. 58. 
Hippopotamus sp. rechter oberer M, von unten, rothe Thone. p. 9. 
Rhinoceros Habereri .n. sp. linker unterer M; von oben, rothe Thone. Idem Fig. 11. p. 58. 
Sus microdon n. sp. linker oberer M, von unten, röthliche Sande. p. 91. 
” ” „ rechter unterer M; von oben, röthliche Sande. p. 91. 


Rhinoceros Habereri sp. linker unterer M; von aussen. Idem Fig. 8.: p. 58. 


Rothe Thone = Schansi. Röthliche Sande — Tientsin, Honan ete. 


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Sehlosser, Säugethiere Chinas Taf. VI. 


Reprod. von J. B. Obernetter, München. 


Abh.d. II. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XXIl. Bd. I. Abth. 


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Tafel VIII. 


1. Sus Stehlini n. sp. linker oberer M; von unten, rothe Thone. Fig. 1a von innen. p. 89. 
2 Pe „= 5; 5 Nor ER 5 nr p- 89. 

3 5 Br “ 4; 5 I n er r p- 89. 

A, 5; vs „ linker Unterkiefer von oben, röthliche Sande. Idem Fig.7. p. 89. 
5 3; & „ rechter unterer M, von oben, rothe Thone. p. 89. 

6 „ hyotherioides n. sp. linker oberer P; von unten, röthliche Sande. p. 92. 

7. „ Stehlini n. sp. linker Unterkiefer von aussen. Idem Fig. 4. p. 89. 

8. „ r „ rechter oberer P, von unten, rothe Thone. p. 89. 

9. „ hyotherioides n. sp. rechter unterer D, und M, von oben, rothe Thone. p. 92. 
10. r R 5 5 oberer M, von unten, röthliche Sande. p. 92. 

II % “ 25 R > M ,„ on 5 p. 9. 
Der " = ; er M „ rn rothe Thone. p. 92. 
13. 5 e ” unterer Ms „ oben röthliche Sande. p. 92. 

14. 5 » 55 „ 26 M „ » 5 p. 92. 

15.  , sp. ind. rechter unterer M; von oben, röthliche Sande. p. 94. 

16. er ns oberer M, ‚, unten, rothe Thone. p. 94. 

17 re er ee Me 5 1 Enge 

18. BE he h5 re Ms +, „  röthliche Sande. p. 94. 

19. Camelopardalis mierodon Kok. rechter oberer D; u.D, v. u., rothe Thone. p. 103. 


20. " “ „ linker unterer M, von aussen, „, = Idem Fig. 24. p. 103. 
DIR ke RE ” ” re ONE cr Er p- 103. 
2m r “ „ rechter P, ,„ aussen „ 5 p- 103. 
23. a; u 4 nr „ M, „ oben „, n Idem Fig. 26. p. 103. 
24. ;; e „ linker „ Ma: 5.8 % e 319220, 92103: 
2b. > ” „ xechter „, De n „ p. 103. 
26. r aa S „ „.* "Mb. ‚,. ‚aussenes n; Idem Fig. 23. p. 103. 
27. „ “ „ linker oberer P, „ unten „, ss p- 103. 
28. a 2 „ 5, 1, aPeSNIa ae en r10s: 
29, a a RSp, a A 0% 194.05. 


» Rothe Thone = 


Schansi. Röthliche Sande = 


Tientsin, Honan etc. 


Schlosser, Säugethiere Chinas. Taf. VI. 


Reprod. von J. B. Obernetter, München, 


; Abh.d. II. Cl. d. k. Akad. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 


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15. 


Tafel IX. 


Alcicephalus sinensis n. sp. oberer rechter M; v. u., rothe Thone. Fig.1a von aussen. p. 106. 


„ SP. ”„ „ M3 „ „ „ von unten. p- 106. 
“ sinensisn.sp. „ uber 5, 5 " ® p- 106. 
” Eh) ” ”„ „ P, ’ „ ” n „ P- 106. 


Camelopardalis cfr. sivalensis Falc. oberer rechter P,-P, von unten, rothe Thone. p. 99. 
= > = 5 er » Mu, y ” n p- 99. 
Aleicephalus sinensis n. sp. unterer linker M; von oben, rothe Thone. p. 106. 
Camelopardalis cefr. sivalensis Fale. unterer rechter D;-D, von oben, rothe Thone. p. 99. 
Aleicephalus sinensis n. sp. an ” 5 D,-D, ,„ ” - E p- 106. 
„ „ „ „ „ ir Bau „ 2 
Fig. 10a. P3 von aussen. p. 106. 
Camelopardalis sivalensis Fale. unterer linker C von innen, rothe Thone. 
Fig. 11a von aussen. p. 9. 
Camelopardalis sivalensis Falc. oberer linker D,-D;* von unten, rothe Thone. p. 99. 
5, r „ ? unterer „ Ms „ oben 2 En Pa3% 


Paracamelus gigas n. sp. oberer rechter M, von aussen, röthliche Sande. Idem Fig. 26. p. 9. 


Camelopardalis efr. sivalensis Falc. unterer linker M; von aussen, rothe Thone. p. 99. 


= en jr „ oberer N ns 5 55 p- 9. 
” ne > . unterer , »Bo-Bi „ı zoben n ’ p- 99. 
Aleicephalus sinensis n. sp. oberer linker D, von aussen, rothe Thone. Fig. 18a v. u. p. 106. 
Sivatheriine, Urmiatherium? unterer linker M; vonoben ,, ” p-103 
” „> D 5; »  M,; „ aussen ‚, , P-109. 
en En ? oberer rechter D,;, ,‚, unten „, 5 p- 109. 
5 5 ? unterer >, “Ps „oben. 5 p- 109. 
r 5 ? oberer linker M, ,‚, aussen „, en Idem Fig. 25. p. 109. 
> = an » P3-P; ,, unten ,, 5 p- 109. 
% r De ee Er Mi, * 0b a Idem Fig. 23. p. 109. 
Paracamelus gigas n.g.n.sp. ,„ rechter M;, „ , röthl.Sande. Idem Fig. 14. p. 95. 


Rothe Thone = Schansi. Röthliche Sande — Tientsin, Honan etc. * D, kleineres Individuum. 


Schlosser, Säugethiere Chinas. 


Abh. d. 11.C1.d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 


Taf. IX, 


München, 


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Reprod. von J. B. Obernetter 


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Tafel X. 


Cervavus Rütimeyeri.n. sp. rechter oberer M; von unten, röthliche Sande. p. 119. 


Cervus sp. Damagrösse 


”„ 


speciosus 
2. sp. 
Rütimeyeri 
2. SP. 
speciosus 
25 30% 

2. Sp. 
Oweni Kok. 
2. Sp. 
Oweni Kok. 


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rechter unterer P, ‚, 


” 


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” P;-M, „ 


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oberer P;-M; „, 


„ unterer D,-D,; ‚, 


„ 


2) 


„ M;-M; „ 
oberer P5-M; „, 


linker unterer M, „, 


rechteroberer D;-M, „, 


linker unterer M,-M; ‚, 


rechter ,„, 


„ 


„ 


eh) 


linker 


Cervavus Oweni Kok. sp. 


Cervus sp. Damagrösse - 


Cervavus Oweni Kok. 


Cervusaff.simplicidensLyd.linker ,„ P;M, 


” ” 


” ” 


sp. Damagrösse 


Rothe Thone = 


„ sivalensis Lyd. 


”„ 


„ 


„ 


” 


„ 


” 


Schansi. 


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aff. simplieidens Lyd. linker ,, 


Ps-M; ” 
”„ P,-P; ” 
oberer P,-M; ‚, 
” M;-M; „ 
oberer M; „, 
” M; „ 

”„ C ” 


unterer P, ” 


„ M,-M; „ 


„ techterobererP, „, 
„ M3; „ 
“ „ unterer M; 
M3; „ 


m, 


L2} ” 


„  rothe Thone. p- 119. 
„  röthliche Sande. p. 119. 
aussen, röthl. Sande. Fig.4a von oben. p. 119. 
Fr 5 Sp lel9> 
unten > Pa on PÄ0R 
oben s. „ Fig.7a von aussen. p.118. 
aussen „ „ Bie.sar „ oben malılg: 
unten ” pls: 
aussen „, „pl: 


unten, rothe Thone. p. 118. 


oben, röthl. Sande. p. 118. 
Y „ eombinirt. p. 116. 
„ » pls: 
unten , pie: 
aussen „ > spealilis. 
unten Bn 590, 
> ”» pl: 
aussen %„, N 
oben 55 105 Al 
aussen ı, = palsliee 
oben 5 „ Fig.22a vonaussen p.122. 
unten „, 22 
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aussen „, ee 
oben „ : Fig.27a vonaussen p.122. 


Röthliche Sande = 


Tientsin, Honan etc. 


ai 8 sch losser, Säugethiere Chinas. Taf. X. 


PZ 


Reprod. von J. B. Obernetter, München. 


Abh.d.II.Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXIl. Bd. I. Abth. 


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Tafel XI. 


Gazella dorcadoides n. sp. rechter oberer P,-M, von unten, rothe Thone. p. 
’ „ M; „ aussen „ „ 


” a n ; 
Fig. 2a von unten. p. 129. 
Gazella altidens n. sp. linker unterer M, von innen, rothe Thone. p. 131. 
x r „ ’ 
r rechter unterer M,-M, ,„, oben Re n 
Fig. 5a von aussen. p. 131. 
Gazella dorcadoides n. sp. linker unterer M, von aussen, rothe Thone. p. 
ss Br „ rechter „ M;M, „ Br ; r 
Fig. 7a von oben. p. 129. 
Gazella dorcadoides n.sp. rechter P, von aussen, rothe Thone. Fig. 8a von 


„ 


Fig. 9a von aussen. p. 132. 


Gazella af. palaeosinensis n. sp. linker unterer D;-M, von oben, röthl. Sandsteine. 


oberer MM; „, küurgene 


„ „ ” ” „ 
„ ” ”„ „ 


” „ „ „ „ 


Gazella palaeosinensis „ 5; 7 N „ 
„ linker oberer B& , 2 hr 


” ER) 


Fig. 16a von aussen. p. 132. 


oberer D,-M, ‚„ unten „, r pa@loys 


oberer D;-M}, ,, unten, röthl. Sandsteine. 


pP 
1% 

„ unterer M; „ aussen, rothe Thone. p- 132. 
P 
Protetraceros Gaudryi n. sp. rechter oberer P,-M, von unten, röthliche Sandsteine. p 
P 


129. 


129. 


oben. p. 129. 


palaeosinensis n. sp. rechter unterer P5-M» von oben, röthliche Sandsteine. 


” 


„ 


„ 


Gazella palaeosinensis n. sp. rechter oberer M,-M,» von unten, röthliche Sandsteine. p. 132. 


Protetraceros Gaudryi n. sp. linker unterer P,M, ,„, oben Ber 
. Fig. 18a von aussen. p. 136. 
Protetraceros Gaudryi n.sp. rechter oberer M, von unten, rothe Thone. 
„ » ” „> 
linker oberer D,-M, „ unten, e : 
s unterer M;, ,, aussen, rothe Thone. 


„ 2) = „ ” 


Fig. 23a von aussen. p. 136. 


„ 


p. 136. 


unterer D;-M, „ oben, röthliche Sandsteine. p. 136. 


: p- 136. 
p- 189. 


P,-M, „ oben, röthliche Sandsteine. 


Palaeoreas ? sinensis n. sp. linker unterer P,-P, von aussen, rothe Thone, Fig. 24 von oben, 


combinirt. p. 140. 


Palaeoreas ? sinensis n.sp. rechter oberer P, von unten, rothe Thone. p. 
" 5) „ linker jo Wen R es = p- 
H „ „‚techter "7, Me, 5 5; B p- 
= Er „ linker unterer D; „ oben 5; 2 p- 
5 r „ rechter unterer Ms „ aussen „ IR P- 


Cervus sp. Geweihabwurf von kreisrundem Querschnitt, röthliche Sandsteine. 


140. 
140. 
140. 
140. 
140. 
po: 


Cervavus Oweni Kok. sp.? Geweihabwurf Dierocerus ähnlich, röthl. Sandsteine. p. 116. 
’ ? von elliptischem Querschnitt, röthliche Sand- 


„ 5) ”„ E>] ” 


steine. p. 116. 


Palaeoreas? sinensis n. sp. rechter unterer M; von oben, rothe Thone. p. 140. 


E) „ ”„ ” „ M; ” „ ”„ ” 
(3. Lobus abgebrochen). p. 140. 


Rothe Thone = Schansi. Röthliche Sande = Tientsin, Honan etc. 


Sehlosser, Säugethiere Chinas. 


Abh.d. II. Cl. d. k. Akad. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 


Reprod. von J. B. Obernetter, München, 


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Tafel XII. 


Tragocerus gregarius n.sp. linke obere P,-P, von unten, rothe Thone. p. 142. 
M,-M3 ” „ „ ” P- 142. 


o* I „ rechter oberer M, von aussen ,, N 
Fig. 32 von unten. p. 142. 


”„ ” ”„ ” ” 


Tragocerus gregarius n.sp. linker unterer M,-M; von oben, rothe Thone. 
Fig. 4a von aussen. p. 142. 

Tragocerus gregarius n.sp. linker unterer P, von oben, rothe Thone. 
Fig. 5a von aussen. p. 142. 


Tragocerus gregarius n. sp. linker unterer P;3 von oben, rothe Thone. p. 142. 


„ ” „ „ „ P, ” „ ” „ 


Fig. 7a von aussen. p. 142. 
Tragocerus gregarius n.sp. linker oberer D, von aussen, rothe Thone. p. 142. 
Fr 3 „ rechter unterer M;, ,„ oben S ss p. 142. 


er spectabilis „ „ oberer M;, „ aussen $, a 
Fig. 10a von unten. p. 143. 


Tragocerus spectabilis n. sp. rechter oberer M,-M, von unten, rothe Thone. p. 143. 


e: er „ er unterer M3 „ oben 5 5 p- 143. 
” ” 55 linker oberer P, „ unten % Y p- 143. 
3; ? Kokeni Ir rechter „, M; r 55 = 5 p. 145. 
„ ; ” 5: En an M; ” ns graue Sande. p. 145. 
„ n Er s Bi Me e rothe Thone. p. 145. 
m j ” e linker unterer P, „ aussen „, 5 p- 145. 
„ „ + Re 35 M; , oben, graue Sande. 


Fig. 18 von aussen. p. 145. 
Tragocerus ? Kokenin. sp. linker unterer P, von oben, rothe Thone. Idem Fig. 17. p. 145. 


Plesiaddax Depereti n.g. n. sp. linker unterer P; von aussen, rothe Thone. 
Idem Fig. 23. p. 145. 


Tragocerus sylvaticus n.sp. rechter unterer M, von oben, röthliche Sande. p. 144. 

" H, Br 5 M, ,‚ aussen n u p. 144. 
Plesiaddax Deperetin. 2. n. sp. linker unterer P5-P,; von oben, rothe Thone. p. 146. 

> ” n r 55 ;» Mo 9 PR ; p- 146. 

y 20 > „ rechter oberer M;, „, unten „ hs p- 146. 

> 5 en n > x ABeMor sah, » > p: 146. 

nn H 5 „ linker N Diitıne ” 6 p. 146. 
Tragocerus sylvaticus,, » rechter  „ M, 5 „ röthl. Sande p. 144. 


Rothe Thone = Schansi. Röthliche Sande — Tientsin, Honan etc. 


Schlosser, Säugethiere Chinas. Taf. Xll. 


Reprod. von J. B. Obernetter, München, 


Abh.d.II.Cl.d. k. Ak.d. Wiss. XX11.Bd. I. Abth. 


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14. 
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20. 
21. 
22. 
23. 


Tafel XIL. 


Strepsicerus praecursor n.sp. rechter oberer M,; von innen, rothe Thone. p. 148, 
55 % y n re M; ,„, unten „, r p. 148. 
. „ linker di No e en „; p. 148. 
n ” ss r unterer Ms ,„ aussen „, = p. 148. 
” $ „ techter oberer P,-P,;, „ unten ne Rx p. 148. 
“ ” ,; 5 unterer Mk ,„ oben = r p. 148. 
“ m  lmker n Bis. m ” = p- 148. 
" annectens n.sp. „ r PAR; h „ ” P2150: 
d Fr „ rechter oberer M,; „, » 5, „ 


Fig. 9a von aussen. p. 150. 
Strepsiceros annectens n.sp. linker oberer M, von unten, rothe Thone. p. 150. 

r ® = 5 »„ NM; „ ausen „, „ p- 150. 
Paraboselaphus Ameghinoi n.g. n.sp. linker oberer M, von unten, rothe Thone. 

Fig. 12a von aussen. p. 152. 
Strepsiceros annectens n. sp. rechte obere P,-P, von unten, rothe Thone. p. 150. 
Parab oselap hus Ameghinoi .n.g. n. sp. linker oberer M, von unten, rothe Thone. p. 150. 


= “ 5; „ rechter unterer M, von oben, rothe Thone. 
Fig. 15a von aussen. p. 152. 


Paraboselaphus Ameghinoi n.g. n. sp. linker unterer P, von aussen, rothe Thone. 

Fig. 16 von oben. p. 152. 
Pseudobos gracilidens n.g. n.sp. rechter unterer M von aussen, rothe Thone. 

Fig. 18a von oben. p. 156. 
Pseudobos gracilidens n.g. n.sp. linker oberer P, von unten, rothe Thone. p. 156. 
Paraboselaphus Ameghinoi n.g. n. sp. rechter oberer P, von unten, rothe Thone. p. 152. 
Pseudobos gracilidens.n.g. n. sp. linker oberer P, von unten, rothe Thone. p. 156. 

3 r 3 7 PR Dyis, rn N Y p- 156. 

FR ss 55 „» . kechter „ My-M, „, „ ” ” p- 156. 


Paraboselaphus Ameghinoi? n.g. n. sp. linker oberer M, von unten, rothe Thone. 
Fig. 23 von aussen. p. 156. 


Rothe‘Thone = Schansi, Böthliche Sande - TWientsin, Honan ete. 


Sehlosser, Säugethiere Chinas. Taf. XII. 


232 


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@ Reprod. von J. B. Obernetter, München, 
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Abh.d.II.Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XXI. Bd. I. Abth. 


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Tafel XIV. 


Pseudobos intermedius n.g. n. sp. rechter oberer D, von unten, rothe Thone. p. 157. 
& 5 r » linker 7 No ln 2 : = = p. 157. 
N „ ar „ » Mn „ „ 
Fig. 3a von aussen. p. 157. 
Mastodon aff. Pandionis Fale. rechter unterer P von oben, rothe Thone. p. 48. 
, „ latidens Clift. „ oberer D,?,, unten, „ & p- 45. 
Pseudobos intermedius n.g. n. sp. linker unterer M, von oben, rothe Thone. 
Fig. 6a von aussen, Fig. 6b von innen. p. 157. 
Mastodon aff. latidens Clift. Bruchstück eines linken unteren M, von oben, rothe Thone, 
3 nat. Grösse. p. 45. 
Mastodon Lydekkeri n. sp. Clift. Bruchstück eines rechten oberen M; von unten, röthliche 
Sande, 3 nat. Grösse. p. 46. 
Mastodon Lydekkeri n. sp. ? rechter unterer P, von oben, röthliche Sande. p. 46. 
Stegodon insignis Fale. linker unterer M, von oben. Fokien? # nat. Grösse. p. 44. 
Antilope? gen. et sp. ind. linker oberer M, von aussen. Pleistocän. J’tschang. 
Fig. 11a von unten. p. 157. 


Rothe Thone = Schansi. Röthliche Sande = Tientsin, Honan etc. 


Schlosser, Säugethiere Chinas. Taf. XIV. 


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Reprod. von J. B. Obernetter, München, 


Abh.d.II.Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. I. Abth. 


A 


Akademiache Hnchärnekerai von F. Straub 


ABHANDLUNGEN 


DER 


MATHEMATISCH-PHYSIKALISCHEN KLASSE 


x 


DER KÖNIGLICH BAYERISCHEN 


ZWEIUNDZWANZIGSTEN BANDES 
ZWEITE ABTEILUNG. 
IN DER REIHE DER DENKSCHRIFTEN DER LXXV. BAND. 


MÜNCHEN 190. 
VERLAG DER K. AKADEMIE 
IN KOMMISSION DES G. FRANZ’SCHEN VERLAGS (J. ROTH). 


Eine 


Grundauigabe der Photogrammetrie 


und 


ihre Anwendung auf Ballonaufnahmen. 


Von 


S. Finsterwalder. 


(Mit 2 Tafeln.) 


Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. II. Abt. 29 


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Die Entwickelung der Photogrammetrie hat sich bisher im engsten 
Anschluss an die Methoden der Geodäsie vollzogen. Zumeist werden die 
Standpunkte, von welchen aus die Photographien aufgenommen sind, geodätisch 
festgelegt. Die Photographien liefern dann Bündel von Visierstrahlen, deren 
Orientierung ebenfalls auf geodätischem Wege durch Anpassung an vorher 
eingemessene Richtungen erfolgt. Manchmal werden auch die Standpunkte 
aus den Photographien auf dem Wege des Rückwärtseinschneidens 
nach gegebenen Fixpunkten bestimmt und damit auch die Orientierung der 
aus den Photographien hervorgehenden Visierstrahlenbündel gewonnen. Die 
einzelnen auf mehreren Photographien dargestellten Objektpunkte werden 
alsdann auf dem Wege des Vorwärtseinschneidens von mindestens zwei 
photographischen Standpunkten aufgefunden, wobei sich eine Reihe von Kon- 
trollen, die sogenannten Höhenkontrollen, von selbst einstellt. Bestimmt 
man nämlich in der üblichen Weise erst den Grundriss des Objektpunktes, so 
kann man mit Hilfe desselben aus jeder Photographie, die den Punkt enthält, 
einen Wert für die Höhe des Punktes finden und aus der Uebereinstimmung 
der verschiedenen Höhenzahlen auf die Richtigkeit der Konstruktion schliessen. 

Solange die Bestimmung der Standpunkte und der Orientierung der Bilder 
als nahezu fehlerfrei angesehen werden kann, fallen etwaige Missstimmigkeiten 
in den Kontrollen der photogrammetrischen Arbeit zur Last, wenn aber diese 
Voraussetzung nicht mehr zutrifft, kann man sich die Aufgabe stellen 
durch Verbesserung der angenommenen Standpunkte und ÖOrien- 
tierungen ein möglichst günstiges Stimmen der Kontrollen her- 
beizuführen, ja man wird sich sogar die Frage vorlegen, ob denn die in 
beliebig grosser Anzahl zu bildenden Bedingungen der Höhenkontrollen nicht 
ausreichen, um unabhängig von jeder Kenntnis der Standpunkte und der 
Orientierung das Objekt und die Lage der Standpunkte gegenüber dem Objekt 
zu bestimmen. Wie sich im Nachfolgenden zeigen wird, ist die soeben gestellte 
Frage im Wesentlichen bejahend zu beantworten und die Durchführung der 

29* 


226 


Antwort schliesst die Lösung der in der Ueberschrift genannten Grund- 
aufgabe der Photogrammetrie in sich. Um sie genauer zu begrenzen, 
setzen wir voraus, dass von den zu benützenden Bildern die innere Orien- 
tierung, das heisst die Lage des perspektivischen Zentrums gegenüber dem 
Bild (gegeben durch Bildweite und Hauptpunkt) bekannt sei. Wie ich schon 
vor Jahren gezeigt habe,!) reichen dann zwei solcher Bilder aus um die auf 
beiden zugleich dargestellten Teile des Objektes samt den dazu gehörigen 
Standpunkten bis auf den Masstab. und die äussere Orientierung, worunter 
die Lage des Objektes im Raum und die Stellung zu den Himmelsrichtungen 
zu verstehen ist zu bestimmen. 


Die Durchführung der Bestimmung geschieht vermittelst der von Herrn 
Guido Hauck eingeführten „gegnerischen Kernpunkte“. Es sind dies 
die Bilder des einen Standpunktes vom andern aus gesehen. Es be- 
zeichnen (Fig. 1) O, und O, die beiden Stand- 
punkte, E’ und E” die zugehörigen Bild- 
ebenen in derselben Lage wie bei der Auf- 
nahme. Jeder Punkt P des Objektes bildet 
sich dann von OÖ, und OÖ, aus in die Bild- 
punkte P’ auf E’ und P” auf E” ab. Be- 
zeichnen wir nun das Bild von 0, auf der 
Ebene E’ mit O0, und das von O, auf der 
Ebene EZ” mit O,”, so sind O0, und O0,” die 
gegnerischen Kernpunkte. Sie ergeben sich 
als Schnittpunkte der Verbindungslinie (Stand- 
linie) der beiden Standpunkte O,, 0, mit den 
Bildebenen Z’ und E”. Legt man durch die 
Standlinie O, 0, und eine Reihe von Objekt- 
punkten P, RB, P, ... Ebenen, so bilden diese das Kernebenenbüschel. 
Dieses schneidet die Ebenen E’ und E” in Kernstrahlenbüscheln, welche 
die Kernpunkte 0, bezw. 0, als Mittelpunkte haben und deren entsprechende 
Strahlen. nach den Bildpunkten P/, P/, P/, .... bezw. P/, Py, P,", laufen. 
Kernebenenbüschel und Kernstrahlenbüschel liegen perspektiv und sind daher 
projektiv aufeinander bezogen. Denkt man sich jeden Standpunkt mit seiner 
Bildebene starr verbunden und die Bildebenen aus ihrem Zusammenhange 
gelöst, so kann man, sobald die Kernpunkte bekannt sind, in jeder Bildebene 


Fig. 1, 


I) Die geometrischen Grundlagen der Photogrammetrie. Jahresbericht der Deutschen Mathematiker- 
Vereinigung, 6. Bd, S. 15. 


227 


das Kernstrahlenbündel und durch Verbindung mit dem perspektivischen Zentrum 
auch das zugehörige Kernebenenbüschel finden. Erstere müssen projektiv, 
letztere kongruent sein und die Rekonstruktion des Objektes geschieht dadurch, 
dass zunächst die kongruenten Kernebenenbüschel zur Deckung gebracht werden. 
In einer Kernebene desselben liegen dann nicht nur entsprechende Kernstrahlen, 
wie O0, P' und O0, P”, sondern auch die Visierstrahlen O,P’ und 0, P”, die 
sich im Objektpunkte P schneiden. So kann das Objekt mittels der Kern- 
punkte Punkt für Punkt wiedergefunden werden und hiebei bleibt nur die 
Länge der Standlinie O, O0, willkürlich, die den Masstab der Rekonstruktion 
bestimmt. 

Die nachfolgende Untersuchung gliedert sich demnach in vier Abschnitte. 
Im ersten werden die Methoden zur Auffindung der Kernpunkte besprochen, 
im zweiten wird die Wiederherstellung des Objektes sammt den beiden Stand- 
punkten bis auf den Masstab und die äussere Orientierung gelehrt und im 
dritten Abschnitte wird gezeigt, wie sich das soweit gefundene Objekt durch 
Wahl eines geeigneten Masstabes und Drehung im Raum den zur Orientierung 
gemachten Angaben über das Original möglichst gut anpassen lässt. Wesent- 
liche geometrische Ergebnisse der beiden ersten Abschnitte sind bereits in 
meinen früheren Veröffentlichungen über Photogrammetrie enthalten und wenn 
die Photogrammetrie gleich andern geometrischen Lehrgebäuden sich damit 
begnügen würde, einen Weg anzugeben, der nach einer endlichen Zahl aus- 
führbarer Vornahmen zum Ziele führt, so könnte Vieles in den folgenden 
Darlegungen unterbleiben. Weil aber die wirkliche Durchführung der 
Konstruktion das zu erstrebende Ziel der Photogrammetrie ist, muss auch 
das Mass der aufzuwendenden äusseren Mittel und die zu erreichende Genauigkeit 
erkannt werden. Zu dieser Erkenntnis soll die nachfolgende Untersuchung an 
der Hand eines praktischen Beispiels, dem der vierte Abschnitt 
gewidmet ist, beitragen. Obwohl die zu besprechenden Methoden auch für die 
gewöhnliche Terrain- und Architekturaufnahme von Bedeutung sind, habe ich 
als Beispiel eine Ballonaufnahme gewählt, weil hier die grosse Schwierigkeit 
der unmittelbaren Bestimmung der Standpunkte auf der Hand liegt und somit 
die Berechtigung einer mittelbaren Bestimmung derselben ohne weiteres ein- 
leuchtet. Zudem treten hiebei noch allerlei Besonderheiten auf, welche eine 
nähere Besprechung notwendig machen. 

Zur Verwendung kamen drei Photographien,!) welche die Umgebung des 
Marktes Gars am Inn aus ungefähr 2000 m Höhe gesehen darstellen, und von 


I) Vergleiche Tafel I, welche zwei davon in Lichtdruck reproduciert darstellt. 


228 


Herrn Privatdocent Dr. R. Emden gelegentlich einer Fahrt des Münchener 
Vereins für Luftschiffahrt im Vereinsballon „Sohncke“ aufgenommen 
wurden. Zur Erbauung dieses Ballons hat die k. b. Akademie der Wissen- 
schaften reiche Mittel gespendet, wofür ihr auch an dieser Stelle bestens 
gedankt sei. Der zu den Aufnahmen verwendete Apparat ist ebenfalls Eigentum 
des genannten Vereins und eigens für photogrammetrische Zwecke gebaut. 
Er besteht aus einer sehr stabilen Holzkamera, an deren Rückwand ein genau 
rechteckiger Metallrahmen von den .Seitenlängen 102,62 und 141,75 mm an- 
gebracht ist. Seine Ebene ist vom hinteren Knotenpunkte des Objektives 
149,0 mm entfernt und das Lot von diesem Punkte auf die Ebene des Rahmens 
trifft bis auf + 0,1 mm genau in den Mittelpunkt des Rahmens. Die photo- 
graphischen Platten im Format 120 x 160 mm sind in einer Wechselkassette 
untergebracht und ihre Ebene liest beim normalen Funktionieren der Kassette 
während der Aufnahme in der „Bildweite“ von 151,57 mm hinter dem ge- 
nannten Knotenpunkt und ist parallel zur Rahmenebene. Der Rahmen bildet 
sich auf den Platten in der Grösse 104,4 x 144,2 mm ab.') Kleine Störungen 
im Gange der Wechselvorrichtung, welche die Bildweite und den Parallelismus 
von Rahmen- und Plattenebene beeinflussen, verraten sich in der Grösse und 
Form des Rahmenbildes und können aus ihm leicht bestimmt werden.?) Die 
Wechselkassette fasst 12 Platten. Es wurden „Perorto“-Platten aus der Fabrik 
von OÖ. Perutz hier verwendet. Dieselben vereinigen Empfindlichkeit und richtige 
Wiedergabe der Farben in zufriedenstellender Weise. Die Entwickelung besorgte 
in dankenswerter Weise Herr Dr. Emden. Als Objektiv diente ein „Ortho- 
stigmat“ von Steinheil, ein Geschenk des Herrn Dr. Rudolf Steinheil an den 
Münchener Verein für Luftschiffahrt. Innerhalb eines Bildfeldes von 60° über- 
schreiten die Abweichungen dieser Linse von der perspektivischen Zeichnung 
kaum den Betrag von einer Bogenminute. Das Objektiv wurde auf !/ıa der 
Brennweite abgeblendet und zeichnete das Rahmenformat mit durchaus ge- 
nügender Schärfe. Bei der grossen Oeffnung, die zur Erzeugung eines kontrast- 
reichen Negatives bei kurzer Belichtung unerlässlich ist, tritt eine allen Weit- 
winkelaufnahmen gemeinsame Vignettierung, die in einer Unterbelichtung der 
Ränder bei normaler Belichtung der Mitte des Negatives besteht, auf, welcher 
beim Kopieren durch Vorsetzen einer entsprechend abgestuften durchscheinenden 
Maske entgegengewirkt werden muss. Der Momentverschluss System „Bruns“ 
liegt dicht hinter dem Objektiv und besitzt nach eingehenden Untersuchungen 


!) Nach diesen Massen sind die Dimensionen der Lichtdrucke auf Tafel I zu beurteilen. 
2) Vergleiche: Finsterwalder. Ueber die Konstruktion von Höhenkarten aus Ballonaufnahmen. 
Sitzungsbericht der math.:phys. Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften, 30. Bd. (1900), S. 160. 


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229 


des Herrn K. v. Bassus!) im ungebremsten Zustande eine Belichtungsdauer 
von 0,02 Sekunden. Sie darf nicht wesentlich überschritten werden, ohne 
dass eine Unschärfe der erzielten Bilder zu gewärtigen ist. Die 3 Platten 
zeigen sehr nahe die normale Grösse der Rahmenbilder, so dass die richtige 
Stellung im Moment der Aufnahme gesichert ist. Leider sind sie nicht be- 
sonders eben, was sich u.a. auch in der Krümmung der Rahmenbilder um 
0,1—0,15 mm kenntlich macht. Die Messung der Punktkoordinaten geschah 
auf den Negativen mittels eines in a Millimeter geteilten Metallmasstabes, 
dessen Nullstrich an den zu messenden Punkt angelegt wurde, während am 
Rahmenbilde die Ablesung mittels der Lupe geschah. Das Mittel aus zwei, an 
den beiderseitisen parallelen Rahmenbildern gewonnenen Messungsergebnissen 
wurde in die Rechnung eingeführt; es dürfte bis auf annähernd 0,05 mm 
genau sein. Den graphischen Konstruktionen wurden ähnlich gewonnene Ab- 
messungen auf Papierpositiven, die in Bezug auf Papiereingang korrigiert 
waren, zu grunde gelegt. 


1. Die Bestimmung der Kernpunkte. 


Die Auffindung der Kernpunkte begegnet einer Reihe von theoretischen 
und praktischen Schwierigkeiten, die es erklärlich machen, dass die hier zu 
behandelnde Grundaufgabe der Photogrammetrie bisher so wenig Beachtung 
fand. Es zeigt sich, dass eine in allen Fällen praktisch durchführbare Methode 
zur Ermittelung der Kernpunkte noch nicht gefunden ist und man sich zur 
Zeit mit Näherungsmethoden, die in wichtigen Fällen wirklich zum Ziele 
führen, begnügen muss. Wir unterscheiden zwei Gruppen von Bestimmungs- 
weisen, je nachdem man von der inneren Orientierung der benützten Photo- 
graphien absieht oder nicht. Die ersteren sind theoretisch ausgebildeter, aber 
praktisch unvollkommen, bei letzteren ist es umgekehrt. 

Die Aufsuchung der Kernpunkte ohne Zuhilfenahme der 
inneren Orientierung beruht auf dem Satze, dass die Kernstrahlenbüschel 
in beiden Bildebenen projektiv sind.) Zu ihrer Konstruktion bedarf man der 
Kenntnis der Bilder von sieben Objektpunkten P, PB, ... P,. Die Aufgabe, 
zwei Punkte O, und O,” so zu finden, dass O0, (P\, B,,...P}) projektiv zu 
0, (P,B',...P,) ist, wurde ursprünglich von Chasles gestellt. Sie fand 


!) Prüfung von photographischen Momentverschlüssen. Illustr. aöron. Mitteil., Bd. 6, 1902, S. 76. 
Dort ist der Apparat mit CV bezeichnet. 
2) Vergl. S. 226. 


230 


durch O. Hesse!) eine analytische und durch R. Sturm?) eine geometrische 
Lösung. Es gibt drei solcher Punktepaare. Beide Löungen sind praktisch 
kaum brauchbar, denn die Bildung der in Form einer dreireihigen Determi- 
nante erscheinenden Gleichung 3. Grades bei O. Hesse setzt die Ausrechnung 
von 14 siebenreihigen Determinanten voraus, während R. Sturm die gesuchten 
Punkte als Schnittpunkte zweier Kurven 3. Ordnung mit sechs bestimmten 
Schnittpunkten findet, welch letztere aber erst durch die sechsmalige Wieder- 
holung der Konstruktion des vierten Schnittpunktes zweier Kegelschnitte mit 
drei bekannten Schnittpunkten ermittelt werden müssen. In dem wichtigen 
Falle, dass die Objektpunkte alle genau oder nahezu in einer Ebene liegen, 
ist die Bestimmung auf diesem Wege unmöglich, da dann irgend zwei ent- 
sprechende Bildpunkte die definierende Eigenschaft der Kernpunkte haben. 
Ist einer der beiden Kernpunkte bekannt, so ist der zweite mittels fünf Bild- 
punktpaaren jederzeit linear bestimmt. Die Konstruktion der Kernpunkte 
ohne Hinzuziehung der inneren Orientierung wird dann sehr einfach, wenn 
die Bilder von vier Objektpunkten, A, RB, PR, P,, die in einer Ebene liegen 
und noch von zwei weiteren, P,, P,, bekannt sind.?) Sucht man nämlich in 
der Ebene E” einen Punkt Q,', so dass die Figur P/”, PB, P/, Pi @ pro- 
jektiv zuP’ PP, PP, ist, so geht die Verbindungslinie P,’ Q,” durch den 
Kernpunkt O,”, sie ist nämlich das Bild von O, P,. Gleicherweise ergibt sich 
in P Q, ein zweiter Ort für O,”. Auf ähnlichem Wege findet man 0,. 
Leider sind nur selten die Bedingungen für eine zweckentsprechende Anwendung 
dieses Verfahrens gegeben. 


Werden zur Aufsuchung der Kernpunkte die Elemente der 
inneren Orientierung (Hauptpunkt und Bildweite) benützt, so legt man 
folgende Definition der Kernpunkte zu grunde: Die Ebenenbüschel, welche die 
Verbindungslinien O, 0, bezw. 0,0, der Kernpunkte mit den zugehörigen 
perspektivischen Zentren als Axen haben und deren entsprechende Ebenen 
nach Bildern P/, P... bezw. P’, Pi... derselben Punkte laufen, sind 
kongruent. Zur Festlegung der Kernpunkte genügt hier bereits die Kenntnis 
der Bilder von fünf Punkten. Es schliessen nämlich die zugehörigen Ebenen 
in den Büscheln vier unabhängige Winkel ein, deren Gleichsetzung in beiden 
Büscheln gerade so viel Gleichungen liefert als Koordinaten zur Festlegung 


!) Die kubische Gleichung, von welcher die Lösung eines Problems der Homographie von M. Chasles 
abhängt. J. f. reine u. angew. Math., Bd. 62, 8. 188, Ges. Werke, $. 507. 

2) Ueber das Problem der Projektivität. Math. Annalen, Bd. 1, S. 533. 

®) Die geometrischen Grundlagen der Photogrammetrie. Jahresbericht des Deutschen Math. Ver., 
Bd. 6, 8.10. ie 


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231 


der Kernpunkte in ihren Bildebenen nötig sind. Die sich auf diesem Wege 
ergebenden vier Gleichungen sind sehr verwickelt, sie steigen in jeder der 
Koordinaten bis zum vierten, insgesamt bis zum achten Grade an.!) Hingegen 
wird nun die Bestimmung der Kernpunkte nicht mehr illusorisch, wenn das 
Objekt eben ist. Es sind nämlich in diesem Falle die beiden Strahlenbündel, 
die von den Centren der Photographien nach den entsprechenden Bildpunkten 
gehen, projektiv und die Aufsuchung der Kernpunkte kommt darauf hinaus, 
in zwei projektiven Strahlenbündeln die entsprechenden kongruenten Ebenen- 
büschel (deren Axen eben nach den Kernpunkten laufen) zu ermitteln. Zu 
diesem Zwecke bringt man die Strahlenbündel in perspektive Lage, wozu man 
die Kenntnis von 4 Paren entsprechender Strahlen d.h. von vier Paren ent- 
sprechender Bildpunkte braucht. Die Lösung dieser Aufgabe gibt H.Schröter.?) 
Sie führt wiederum auf eine Gleichung dritten Grades, durch welche die ent- 
sprechenden Tripel unter einander senkrechter Strahlen und Ebenen beider 
Büschel definiert werden. In entsprechenden Ebenen jener Tripel liegen die 
gesuchten Axen. Ihre Konstruktion oder Berechnung ist noch überaus mühsam 
und entspricht gar nicht den praktischen Bedürfnissen. 

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei einem nichtebenen Objekt, von 
dem aber bekannt ist, dass vier seiner Punkte in einer Ebene liegen. Selbst 
die Aufgabe, den Kernpunkt der zweiten Ebene zu finden, wenn jener der 
ersten Ebene bekannt ist, lässt hier wohl keine direkte Lösung zu. Es 
genügt zwar die Kenntnis dreier entsprechender Punktepare, aber die Auf- 
findung des zweiten Kernpunktes führt dann auf das, wie es scheint, bisher 
noch nicht gelöste Pothenot’sche Problem auf der Kugel. Denkt 
man sich nämlich um die beiden perspektivischen Zentra Kugeln vom Radius 
Eins gelegt und schneidet man sie mit den Strahlen nach den Bild- und 
Kernpunkten, so sind die sphärischen Winkel einander gleich, unter denen 


1) Dass die Aufsuchung der Kernpunkte auf diesem Wege nicht minder schwierig, wie auf dem 
früheren ist, lässt auch folgende Betrachtung erkennen. Denkt man sich die beiden aus fünf Ebenen 
bestehenden kongruenten Büschel so zur Deckung gebracht, dass auch die perspektivischen Oentren sich 
decken und hierauf die ganze Figur durch eine um den gemeinsamen Punkt der letzteren geschlagene 
Kugel geschnitten, so entstehen auf der Oberfläche derselben zwei perspektivische Kugelfünfecke, für 
welche die geodätischen Verbindungslinien entsprechender Punkte sich schneiden. Umgekehrt kommt 
auch die Aufsuchung der Kernpunkte darauf hinaus, zwei sphärische Fünfecke auf der Kugel perspektivisch 
zu legen. Lässt man die Kugel in die Ebene ausarten, so haben wir den Specialfall, zwei ebene Fünfecke 
in der Ebene perspektivisch zu legen. Diese Aufgabe kommt aber auf die Chasles’sche (S. 229 u. 230) 
zurück, wenn man die beiden Fünfecke durch Hinzunahme der imaginären Kreispunkte zu Siebenecken 
ergänzt und die projektive Definition der Winkel einführt. Es ist hiernach die Bestimmung der Kern- 
punkte aus fünf Punkteparen mit Hinzuziehung der inneren ÖOrientierungselemente theoretisch sicher 
nicht einfacher, als jene aus sieben Punkteparen ohne die letztere. 

2) Theorie der Oberflächen 2. Ordnung. Leipzig 1880, S. 377 u. 384. 

Abh.d. II. Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. II. Abt. 30 


232 


von den Schnittpunkten der Kernstrahlen aus die entsprechenden Seiten der 
sphärischen Dreiecke, die von den Schnittpunkten der Bildstrahlen gebildet 
werden, erscheinen. Diese Winkel können aus der einen sphärischen Figur, 
in welcher der Kernstrahl bekannt ist, gerechnet werden, in der zweiten 
Figur wird dann der unbekannte Kernstrahl mit Hilfe der gerechneten Winkel 
nach dem Pothenot’schen Problem auf der Kugel gefunden. 


So bleibt denn zur Auffindung der Kernpunkte unter Benutzung der 
inneren Orientierungselemente, die man im Interesse der Genauigkeit nicht 
entraten kann, nur der Ausweg übrig, das Vorhandensein gewisser Lagen- 
beziehungen am Objekte und äussere Orientierungselemente als bekannt vor- 
auszusetzen. Es soll mit Rücksicht auf die spätere Verwendung angenommen 
werden, man kenne die Orientierung des photographischen Apparates gegen 
die Vertikale (also den Neigungswinkel der optischen Axe desselben gegen die 
Lotrichtung und die Lage der Hauptvertikalen, nämlich des Schnittes der 
Vertikalebene durch die optische Axe mit der Bildebene) und wisse, dass eine 
auf beiden Bildern wiedergegebene Strecke P@ horizontal ist. Aus diesen 
Angaben lässt sich die Lage der beiden Aufnahmepunkte O, und O, gegenüber 
der willkürlich in einer Horizontalebene angenommenen Basis P@Q ermitteln 
und daraus die Lage der Kernpunkte 0, und O,’ in den Bildebenen finden. 
In den Figuren 2° — 2° ist die Konstruktion für einen bestimmten Fall durch- 
geführt. Bezüglich der Bezeichnung ist zu bemerken, dass die Grundrisse der 
mit grossen Buchstaben bezeichneten Punkte den Index 1, die Aufrisse den 
Index 2 tragen. So ist z.B. O,, der Grundriss und O0, der Aufriss des Punktes O,. 


Es sei (Fig. 2°) E’ die erste Bildebene mit dem Hauptpunkte A,; N’ sei 
der Nadir des Standpunktes oder der Fluchtpunkt der Vertikalen, der sich 
entweder direkt entnehmen oder aus der äusseren Orientierung der Aufnahme 
gegen die Vertikale leicht ermitteln lässt.) N’ A, ist die Hauptvertikale, 
P’ und Q’ seien die Bilder der Basisenden PQ. Die rechtwinkligen Koordi- 
naten von P’ und Q auf Hauptvertikale und Senkrechte durch den Hauptpunkt 
hiezu bezogen seien &, Yı, & Ys. Fig. 2? gibt den kombinierten Grund- auf 
Aufriss . der Bildebene und des Visierstrablenbündels, wobei die Aufrissebene 
durch die Hauptvertikale angenommen ist. Man zeichnet erst das rechtwinklige 
Dreieck O, A, N, aus der Bildweite O, A, und der aus Fig. 2° entnommenen 


!) Als Mittel hiezu dienen bei Ballonaufnahmen Lotleinen, die vom Aequator des Ballon herab- 
hängen und sich auf den Photographien mit abbilden. Der Schnitt der Bilder der Lotlinien ist der 
Nadir. Vergl. S. Finsterwalder: Ortsbestimmungen im Ballon. Illust. aeronaut. Mitteilungen. Bd. 3, 
1899, 8.31. Auf anderem Wege hat Herr K. v. Bassus denselben Zweck zu erreichen gesucht, wobei 
die Störung durch den Wind fortfällt. Ebenda Bd. 4, 1900, 8. 83. 


233 


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234 


Strecke Ay N, = A, N‘. Durch Auftragen der Koordinaten y, und y, von 
A, aus auf dem Aufriss der Bildebene A,N, erhält man die Aufrisse P/ 
und @, und aus ihnen mittels der Koordinaten x, und x, die Grundrisse P/ 
und @,. Man schneidet nun die beiden Strahlen O, P’ und 0, Q’ durch eine 
passende Horizontalebene derart, dass die Verbindungslinie der Schnittpunkte 
P, @, gleich der willkürlich angenommenen Basislänge PQ Fig. 2° wird und 
trägt das Dreieck 0,P,@, an die Basis PQ an, wodurch man den Grundriss 
O,, des ersten Standpunktes O, erhält. Genau ebenso wird aus Fig. 2° und 
Fig. 2° O,, der Grundriss des zweiten Standpunktes O0, gefunden. Man legt 
nun in Fig. 2° durch O,, O,, eine Aufrissebene und erhält durch Uebertragung 
der Strecken z, aus Fig. 2’ und z, aus Fig. 2° die Aufrisse der Standpunkte 
O0, und O,. Hierauf wird der Schnittpunkt R der Strecken PQ und O0, Os 
in Fig. 2° in die Grundrisse der Figuren 2” und 2° übertragen und dort die 
Punkte B, und (, samt ihren Aufrissen bestimmt. BD, und C, überträgt man 
dann in den Grundriss von Fig. 2° und erhält dort auch mittels der den 
Fig. 2? und 2° zu entnehmenden Strecken 2’ und 2” die Aufrisse B, und C). Die 
Punkte B und C in Fig. 2° und 2% werden durch Teilung der Strecken 0 P’ 
bezw. Q’ P” im Verhältniss B, P’:B,Q, (Fig. 2?) bezw. CL P”:C,Q, (Fig. 2%) 
gefunden. Zum Schlusse werden auf den Linien N’ B (Fig. 2%) bezw. N” C 
(Fig. 2%) die Längen N’ 0, = N, 0, @ig. 2°)" und"NE 0,7 13" 0. (Aieog) 
aufgetragen und’ so die Kernpunkte O, und 0,” gefunden. 

Die auf solche Weise ermittelten Kernpunkte sind in der Regel nicht 
genau, da abgesehen von den unvermeidlichen Fehlern der Konstruktion, die 
Voraussetzungen, auf welche sie sich gründet (Kenntnis der Orientierung beider 
Aufnahmen gegen die Vertikale und Horizontalität der Basis) zumeist nur 
unvollkommen erfüllt sind. Es entsteht daher die Aufgabe, die erhaltenen 
genäherten Lagen der Kernpunkte entsprechend zu verbessern, wobei man 
ausschliesslich die Kenntnis der inneren Orientierung zu Grunde legen wird. 


Es seien die Koordinaten des Kernpunktes O0, der ersten Bildebene x, %,, 
jene eines Bildpunktes P/ x/ y,; beide auf ein beliebiges rechtwinkeliges System 
durch den Hauptpunkt A, als Mittelpunkt bezogen. Das perspektivische 
Zentrum O, sei um die Bildweite d von A, entfernt. Der Winkel w/, welchen 
nun die Ebene 0,0, P/ mit der Ebene ©, A, O, einschliesst, kann durch 
folgendes Formelsystem, welches aus Fig. 3 folgt, leicht berechnet werden. 
In Fig. 3 sind die Dreiecke 0, A,0, und P/LM aus ihrer wahren Lage 
senkrecht zur Bildebene bezw. zum Kernstrahl O, 0, in die Bildebene um- 


geklappt. 


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Yo , 7 Yo ; x Ze Yo 
— —=tgp; Yo = - ı = 7 BT 
x) sın 99 COS 90 
a Se » ya 1 —&o 1) 
5 Pı) Ro) m Tupın) 
%G —% sın ©; cos 9, 
’ / 4 . I 
tgw, = tg (pP, — 9) sin a 


Berechnet man mittels eines ähnlichen Formelsystems, in dem alle Buch- 
staben doppelte Striche tragen, die entsprechenden Winkel w;', die zur zweiten 
Bildebene gehören, so drückt sich die Kongruenz der beiden Kernebenenbüschel 
durch die Gleichheit der entsprechend gebildeten Differenzen der w,; unter 
sich und jener der w, unter sich aus. Diese Gleichheit wird natürlich nur 
annähernd bestehen. Man wiederholt nun die Rechnung viermal, indem man 
der Reihe nach eine der vier unbekannten Koordinaten &, Y, % % durch 
einen passend abgeänderten etwa um 1 mm verschiedenen Wert ersetzt und 
so die Veränderungen der w, und y, ermittelt, die einer Veränderung der 
Kernpunktskoordinaten um je 1 mm entsprechen. Aus diesen Veränderungen 
der ,, w, kann man dann unter Voraussetzung der Proportionalität mit 
jenen der Kernpunktskoordinaten die linearen Gleichungen aufstellen, welche 
zwischen den Verbesserungen der Kernpunktskoordinaten 40,,4y, A, Ay 
bestehen müssten, damit Gleichheit der Differenzen w; und w, und damit volle 
Kongruenz der Kernebenenbüschel bestünde Hat man fünf Pare von Bild- 
punkten, so ergeben sich vier Gleichungen für die A, Ay, I&% Ay, , aus 
welchen sich dieselben berechnen lassen. Benützt man mehr Pare von Bild- 
punkten, so entstehen überschüssige Gleichungen, aus welchen man die Ver- 
besserungen nach der Methode der kleinsten Quadrate berechnen wird. Am 
einfachsten kommt man dabei zum Ziel, wenn man von dem Grundsatz aus- 
geht, dass die Summe der Quadrate der Unterschiede der Winkel der Kern- 
ebenenbüschel ein Minimum werden soll. Die Auflösung der zugehörigen 


 Normalgleichungen nach der Gauss’schen Methode gibt dann den mittleren 


Fehler eines Winkels des Kernebenenbüschels und jenen der Kernpunkts- 
koordinaten. Eine mehr systematische Ausgleichungsmethode soll im nächslen 
Abschnitt bei Gelegenheit der Rekonstruktion des Objektes besprochen werden. 


236 
2. Die Wiederherstellung des Objektes. 


Nachdem die Kernpunkte bestimmt sind, ist die Wiederherstellung des 
Objektes eine verhältnissmässig einfache Sache. Es handelt sich nur darum, 
die beiden Kernebenenbüschel so zur Deckung zu bringen, dass die Punkte 
0, 0, einen noch willkürlich gewählten Abstand etwa gleich der Längeneinheit 
besitzen und in jeder der Kernebenen die Visierstrahlen zum Schnitte zu 
bringen. Diese Schnitte sind dann die gesuchten Objektpunktee Man wird 
also zunächst mit den verbesserten Kernpunktskoordinaten das Formelsystem I 
und das entsprechende mit den doppelt gestrichenen Buchstaben neu durch- 
rechnen. Man erhält so eine Reihe von Winkeln: w,, w, % ...% ... und 
eine zweite: W , W, Wy 2... %, ..., deren Differenzen, die Winkel in den 
beiden Kernebenenbüscheln, nahezu übereinstimmen. Um die beiden Büschel 
möglichst zur Deckung zu bringen, bildet man aus diesen Reihen neue x, 4, 
die aus den Differenzen ihrer Glieder gegen das arithmetische Mittel einer 


derselben gebildet wird. Es wird demnach 4, = y, — = undy, =w — Dinab 


N 
Diese neuen Reihen stimmen bis auf die unvermeidlichen Beobachtungsfehler 
überein und mit den Winkeln x, = E— als Winkel der Kernebenenbüschel 


soll nun weiter gerechnet werden. Zunächst wählt man ein Koordinatensystem 
zur Festlegung der Objektpunkte, dessen Ursprung in den Punkt O,, und dessen 
Y-Axe in die Richtung O, O, fällt. Als Y Z- Ebene sei jene Kernebene gewählt, 
welche dem Winkel x, = 0 zugehört. 

‚Bezeichnet man (Fig. 4) mit y/ und yy' die 
Winkel, welche die Visierstrahlen von O0, und O, 
mit der Verbindungslinie O, OÖ, einschliessen, so be- 
rechnen sich dieselben aus den schon in Fig. 3 ein- 
geführten Winkeln « und , —g, durch folgende 
Formeln: 


cos ß, = cosa cos (p; — ) 
2) 


sin Yı — sin ß, = 5 — Ve’+ En 
denen ähnliche, bei welchen die Buchstaben doppelte Striche tragen, beizu- 
gesellen sind. Wird die Länge O, O0, gleich Eins gewählt und bezeichnen 
wir die Höhe des Dreieckes O0, P,O, mit h,, so berechnen sich die Koordinaten 
X,Y,Z, von P, folgendermassen: 


sin y; sin y; = . ’ 
h, ar el So: 8 Pa h, Sin A: Ye = h; ctg Y 5 Z, —= h; COS %, 3) 
sin (+71) 


FERN 


| 5 


237 


Wegen der Verschiedenheit der Winkel x; und x,’ liegen die beiden Visier- 
strahlen nicht genau in einer Ebene. Ihren kürzesten Abstand %, findet man 
aus der Formel: Re REeT, 4) 

Der Mittelpunkt dieses kürzesten Abstandes wurde bei Aufstellung des 
Formelsystemes 3 als Punkt P, angenommen. 

Anstatt auf die eben auseinandergesetzte Weise die Koordinaten der Ob- 
jektpunkte zu berechnen, kann man noch ein anderes Verfahren einschlagen, 
wobei man die Ausgleichungsrechnung zur schärferen Bestimmung der Kern- 
punkte vermeidet und statt derselben eine Schlussausgleichung einführt, für 
welche sich fertige Formeln angeben lassen. 

Auf Grund der genäherten Koordinaten der Kernpunkte führt man die 
Berechnung der Koordinaten der Objektpunkte und der kürzesten Abstände 
der zugehörigen Visierstrahlen mittels der soeben entwickelten Formeln 3 und 4 
durch. Dann dreht man die beiden Visierstrahlenbündel um die Punkte O, 
und O, solange, bis die Summe der Quadrate der kürzesten Abstände 
entsprechender Visierstrahlen ein Minimum wird. 

Zur Ableitung der entsprechenden Formeln bedienen wir uns mit Vorteil 
der Methoden der Vektoranalysis.. Der Vektor von O0, aus auf den Visierstrahl 
nach P, gerechnet bis zum Fusspunkt des kürzesten Abstandes der ent- 
sprechenden Visierstrahlen sei U,, der entsprechende Vektor von 0, aus ®,.. 
Der Drehvektor!) des Visierstrahlenbündels von O, aus sei U, jener des ent- 
sprechenden von OÖ, aus ®. Die Faktoren des inneren (skalaren) Produkts 
mögen durch den Punkt als Multiplikationszeichen getrennt werden, während 
für das äussere (vektorielle) Produkt das Kreuz verwendet wird.) Die um 
die Vektoren U und ® gedrehten Vektoren WA, und ®, sind dann: , + WA, xU 
und 8 + B,x%2. Ist € der Vektor von O, nach O,, so ist der kürzeste 
Abstand der Visierstrahlen nach dem Punkte P: 


E-TB-BXB- U —- UxXxU 
Die Summe der Quadrate dieser kürzesten Abstände soll ein Minimum 
sein, also: 
S= (C++ BY +B x B—U,— U x U) — Minimo’) 5) 
Die Aenderung dieses Ausdruckes bei Aenderung von U um dU und von 
® um d® muss daher verschwinden. Das gibt die Bedingungsgleichungen: 


1) Unter Drehvektor verstehen wir eine gerichtete Grösse, welche die Richtung der Drehaxe und 
die (in unserm Falle kleine) Länge gleich der Grösse des Drehwinkels hat. 

2) Vergl. Wilson-Gibbs: Vektor-Analysis. New-York 1901. 

3) Die Summe erstreckt sich auf die Zahl n der zur Bestimmung benützten Objektpunkte. 


—2E(C+-HBHBXB- U - UXxUV)-QAUx AU) = 0 
2LE(CHBH+HBEKBG-W- UXN. (BXxdAd)—= 0) 
Durch Umstellung des Punkt-Kreuzproduktes, wobei dU, bezw. d® an 
den Anfang kommen, erkennt man, dass die folgenden Faktoren verschwinden 
müssen, da ein inneres Produkt nur dann für alle Werte des einen Faktors 
(hier dU, bezw. d®) verschwindet, wenn der andere Faktor gleich Null ist. 


6) 


Daher wird: 
ZUXCEHB - U, DB xDB TU ZU —0N 
ZBx[ELB WISS US >) 
Der kürzeste Abstand der Visierstrahlen von ®, nach %, gerechnet ist: 
= +8 —Q, 

Durch Ausmultiplikation erhält man dann die Bedingungsgleichungen: 

SU, XE HIV XD DEN Se U 0 
EBK HEBKE KIT EB RE RI 


1) 


8)") 


In diesen Gleichungen stellen die 3 Summanden kleine Vektoren von der 
Ordnung der kürzesten Abstände vor. Ersetzt man überall ®, durch W,— €, 
was bis auf ft, richtig ist, so vernachlässigt man nur Grössen zweiter Ordnung. 
Es wird dann: 

ZU, KR HEU X U X B— I —- FUX[EXD = 0 
ZU, X EUX U XB—- U —- FZUXx[EXxXD + 9) 
+Ex|- 38, — FU xB® — U-+n|E&E x 2] = 0 
wobei die drei ersten Summanden der zweiten Gleichung infolge der ersten 
verschwinden. 

Benützen wir ferner die Formel: x |B x &|J|=-AN-CB—-A-BE, so 
ergibt sich 
— EX TR — FC-DB-WU, + B-WEE-A,+HnE-BE- n (G’B— 0 

Gehen wir zu den Koordinaten über und setzen wir: 
= Lt+ Lji+ Zi Le I HEHE Hi Bine 

g=-jiwmd = 15008, + Lk sing: 
so folgen aus der ersten Gleichung 10) drei gewöhnliche Gleichungen, aus 
der zweiten zwei solche, nämlich: 


5 


*) Da sich die & ausschliesslich auf den Index i erstrecken, wurde dieser weiterhin fortgelassen. 


4 


239 


— (N -U)ZR +) + MR —- D)EX IV, + MN —V)EX,Z+VZEY, 
= —>Y,ksiny, 
(ann - DEE MELZEV=X, 
— 1, ZZ, = Ik,(Z,c08%4,4 X,siny,) 
en =37.(, = DER ZB eenen‘ 
=D YV,%k,Cc08%; 
er ner W- U) = X,— nV, = — 2%,c08 x, 
= (2 07 20% U)ZzY,—n V,;, = Zk,sin x, 


Es sind dies fünf lineare Gleichungen für die Unbekannten N, —U,, 
%,—U,, V%,—U,, V,, V;. Dass V, und U, nur in der Verbindung V,— U, 
eingehen, liegt in der Natur der Sache, da eine gleich grosse Drehung beider 
Visierstrahlenbündel um die Linie O, 0, an den kürzesten Abständen ent- 
sprechender Visierstrahlen nichts ändert. Hat man die Gleichungen aufgelöst, 
so kann man die durch die Drehungen U und ® geänderten Vektoren WA, und 3, 
berechnen. Der Vektor D, nach dem Mittelpunkt des kürzesten Abstandes 
beider nach der Drehung wird: 


DD — IUHUXULE+-BHBXD 


Oder: DeUL a a a are Een 


—U+ 


wenn man wieder genähert 8, = W,— € setzt. 
Geht man wieder zu Koordinaten über und setzt man d,= 5147| +5 H 
so erhält man die verbesserten Koordinaten folgendermassen: 


= +4 hs, + (m + W)— ZU; + W)— | 
N — U 2) 15) 
5 Zn, Rn AN) —- (GO +V)-+V) | 

Die Quadratsumme der übrig bleibenden kürzesten Abstände lässt noch 

eine einfache Umformung zu: 


— _(K’—B Z EEXE) U (ER, x A;), 


Abh.d. 11. Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 3l 


BHUXTUH+DP—- ExB 19) 
2 , 


240 


da infolge der Minimumsbedingungen 7) die übrigen Glieder fortfallen. Ersetzt 
man B, = W,— €, so wird: 
S—_= FL U-D)- (EHHXA)—- B-(EXER) 14) 
Mit dem Verschwinden der Grössen ES, xMW, und ES, verschwinden, 
wie die Gleichungen 10) lehren, auch die Drehungen ®—lU und ® und, wie 
aus eben entwickelter Gleichung 14) zu ersehen ist, wird auch $ = (8). 
Wenn demnach die Gleichungen: FS8,—= 0 und Z[R, x [U] = 0 erfüllt 
sind, so befinden sich die beiden Visierstrahlenbündel um O, und 0, in solcher 
Lage, dass die Summe der Quadrate der Abstände entsprechender Strahlen 
ein Minimum ist. Die eben entwickelten Bedingungen lassen eine einfache 
mechanische Deutung zu. Denkt man sich die $, als Kräfte, welche 
zwischen zusammengehörigen Visierstrahlen wirken und dem kürzesten Abstand 
nach Länge und Richtung entsprechen, so sagt die erste Gleichung aus, dass 
die Resultante der Kräfte gleich Null ist und die zweite, dass die Summe der 
Drehmomente um den Punkt O, verschwindet. Die Kräfte bilden dann ein 
Gleichgewichtssystem. Es lässt sich daher folgender Satz aussprechen: 


Wenn zwei Bündel entsprechender Visierstrahlen so gegen- 
einander liegen, dass die Summe der Quadrate der Abstände 
entsprechender Visierstrahlen ein Minimum wird, so bilden diese 
kürzesten Abstände als Kräfte aufgefasst ein Gleichgewichts- 
system. 


3. Festlegung der äusseren Orientierung und des Masstabes des 
rekonstruierten Objektes. 


Hat man nach den Regeln des vorigen Abschnittes die gegenseitige Lage 
der Objektpunkte und der Standpunkte ermittelt, so erübrigt es noch, durch 
Vergleichung mit Messungen am Objekt den Masstab und die Orientierung 
des rekonstruierten Objektes zu bestimmen. Zu diesem Zwecke denken wir 
uns die Koordinaten einer Anzahl von Punkten des Originales gegeben und 
bestimmen dann die Verschiebung, Drehung und Masstabänderung, durch welche 
das rekonstruierte Objekt mit dem Original möglichst zur Deckung gebracht wird. 


Es lässt sich sehr leicht einsehen, dass, wenn wir zwei Punkthaufen durch 
Parallelverschiebung möglichst nahe zur Deckung bringen wollen, ihre 
Schwerpunkte zusammenfallen müssen. Es seien von demselben Ursprung 
aus gerechnet I, die Vektoren nach den gemessenen Punkten des Originales 
und 3,, jene nach den entsprechenden Punkten der Rekonstruktion. Erteilen 


241 


wir nun der Rekonstruktion eine Parallelverschiebung um den Vektor %, so 
ist der Abstand entsprechender Punkte durch W—(B,;,-+ X%) gegeben. Die 
Summe der Quadrate der Abstände ist dann: 
— EU ®&+%) 15) 
Damit 5 ein Minimum wird, muss für alle Werte von dX folgender Aus- 
druck verschwinden: 


— 2232 U B— H:-dR = —2dk- EU, —-B,—X = 0 16) 
woraus folgt: 
ZU —-B—-H)=- I =- FW WB —ınK, 
wo n die Zahl der verglichenen Punkte ist. Es wird also: 


SE SB 
De n 


x 


17) 
ZN, =D 


und En sind die Vektoren nach den Schwerpunkten der verglichenen 
n 


Punkthaufen und der Vektor X entspricht der Verbindungslinie der Schwer- 
punkte beider Haufen. Wird der zweite Haufen um diese Strecke verschoben, 
so decken sich die beiden Schwerpunkte. 


Nun wird der rekonstruierte Punkthaufen durch Drehung um den ge- 
meinsamen Schwerpunkt und Masstabänderung mit dem Originale mög- 
lichst vereinigt. Zu diesem Zwecke beziehen wir ihn auf ein Koordinatensystem. 
Der Vektor B, habe im alten System die Koordinaten X, Y, Z,, der Vektor W;: x, y,2;. 
Im neuen System seien die Koordinaten: von B;: &,—= 0, X, + 03 Y; +0,32; 
7, = %, X, 4 0, V, +0,27; 5; = 0, XL; +0, + 03 Z,. 18) 

Bringen wir das neue Koordinatensystem durch Drehung mit dem alten 
zur Deckung, so sind die Koordinatendifferenzen zwischen dem Endpunkt des 
gedrehten Vektors B, und jenem des unveränderten Vektor U, folgende: 


. I 21.°® 7 ” 
01 X,+05 N, +03, 4, —%5 Ay X, +09 !,4 052, —Y:; O3, X, 403 1,4032, — 2, 


Dabei sollen unter den Grössen «,...@,, nicht direkt die Richtungs- 
cosinus der Axen gegeneinander darstellen, sondern diese Grössen mit einem 
konstanten Faktor multiplieiert, welcher dann gleichzeitig der Masstabänderung 
der Vektoren ®, Rechnung trägt. 


Wir bilden nun die Summe der Quadrate obenstehender Differenzen, um 
das Quadrat der Entfernung entsprechender Punkte nach der Drehung zu 
erhalten und summieren über alle Punkte des Haufens.. Die Gesammtsumme 
S soll dann zu einem Minimum werden. 

31* 


242 


S=I(e, + +8) X + ta) Et t + ZZ — 
= Ay N; — 2 012 Y,% — 2 3 Z,% — 2091 X, y — 209 I, y, — 20, Z,y, — 
— N — 20 Y,2; — 203 2, + Yi + &) = Minimo 19) 
Statt der neun Grössen @, ... 3 führt man nun die vier unabhängigen 
Quaternionengrössen a, D, c, d, welche mit jenen folgendermassen zusammen- 


5 | 
hängen: ') 


n=d— —%—E 09= 2lab — cd) 4; = 2lac — bd) | 
G, = (ab + cd) = d’— + —e a, 2%lbe — ad) 20) 
Os = 2 (ac — bd) a =2(be-+ ad) ae 


Dieselben haben eine einfache geometrische Bedeutung. Sind «, ß, y die 
Richtungwinkel der Drehaxe und ist ® der Drehwinkel jener Rotation, welche 
zuszmmen mit einer Streckung im Verhältnis 7:1 die alte Figur der ®, in 
die neue überführt, so drücken sich die Quaternionengrössen folgendermassen 
durch die «, ß,y, T, w aus: 


Fo ao EL ) h) a VAR [42] 7 {00} 
a=YV Tsin 5 c08 0, b=YV1 sin „cos, c=VTsin cosy, d=VTcos5; 


T=ea ++ +d. 
In den Quaternionengrössen geschrieben ergibt sich 5 wie folgt: 
—18 = ad 2(Xu,-I,y- Ze) +" 2X +, y- Ze) + - Xu —-Ly4 22) | 
+ E(X,0 + Y,y + Z2)+2abZ(X,y,+TF,%)+2acZ(X,2,+ Z%) 
+2adZ(-Y,,+Zy) +2be2(Y,, + Zy)+ 2bdAZ(X,2, — Zi) 
+2 cd (-X,y+ Y,%)— 4 TZ(X+V+Z)-32@+N +2) 
— Minimo | 22) 
Setzt man die Differentialquotienten nach a, b, c, d gleich Null und führt 
man die Abkürzungen X +- Y + Z = R, u-+yitza=n ein, so erhält 
man folgende vier Gleichungen: 4 
a2 (Ka; — Yıy — Z2) - TER!) +2 (N y + Yıx) — ce2 (KR: + Zi) 
+42(Zy — Yı2) = 0 
aEKy+ nr) HE Um + Hy Ze) TERN)L+oL(Ns+Zy) 
+d2 (X, — Z:&) = 0 
a2Knt Ze) IE Kat ZWLee- Nm —- Lunt Ze) TER) 
+d2(Y,,; — X;yı) = 0 : 
ar (Zy— Ya) +b2 (X — Zw) + ce 2 (Yıx; — XKıyı) 
LINIE Fre 


21) 


23) 


l) Man vergleiche hiezu die klaren Auseinandersetzungen in F. Klein und A. Sommerfeld: 
Ueber die Theorie des Kreisels. . Leipzig 1897, S. 56. 


243 


Durch Elimination von a, b,c,d erhält man nachstehende Gleichung 
4. Grades für das Masstabverhältniss 7: 1. 


2, — T2R 2X y +) 2X +Zm) 2(Zy — Yı2) | 
Eee Em a 970 m 
" |r&as+2Z0) ZHa+zZy) B-ITER (Lu —Xy) | 

Bee Ze en | 


0 


24) 
wobei zur Abkürzung gesetzt wurde: 

= 2X Yu — Z a), 3 = 2(- Xu +Y:yv + Z%2), 

N Z(—X; © + Y; yı +22), a), — ZS(X, 2 +Y,yY: + Zi a). 


Dieselbe hat vier reelle Wurzeln. Jeder derselben entspricht ein System 
von Quaternionengrössen. Es gibt demnach vier verschiedene Lagen der beiden 
Punkthaufen gegeneinander, bei welchen die Variation von 5 verschwindet. 
Um zu erkennen, was aus der Summe S für jeden der Werte von 7 wird, 
multiplicieren wir die vier obigen Gleichungen 23) der Reihe nach mit a, b, c, d 
und addieren sie alsdann: 


0 — PER IS +1” ER 187 odderS=BSr, —- TER 
5 würde offenbar zu Null gemacht werden können, wenn die beiden 
>22 
Punkthäufen ähnlich sind und das Aehnlichkeitsverhältnis 7, = Ve gewählt 


wird. Man wird daher diesen Wert als Näherungswert bei der Auflösung 
der Gleichung 4. Grades für 7 benutzen und jene Wurzel derselben rechnen, 
die diesem Werte am nächsten kommt. Aus ihr ergeben sich dann mittels 
der vier linearen Gleichungen die Werte von a, b, c, d, aus diesen die Grössen 
&1....0&; und die Komponenten der gedrehten Vektoren ®,. Wendet man die 
so erhaltenen Koordinatentransformationsformeln auch auf die Koordinaten 
der Punkte O, und O,, die vorher auf den Schwerpunkt des zu vergleichenden 
Punkthaufens bezogen waren, an, so ergeben sich die beiden Standpunkte in 
ihrer Lage zu den Vergleichspunkten des Objektes. 
Wenn in einem speziellen Falle die drei Summen: =&(Z,y,— X;2)), 
Z(X,,,— Z,%), Z(Y,x,; — X,y,) verschwinden, spaltet sich von der Gleichung 
4. Grades der Faktor: 
ZX,,+Y, 4,442) —- TzR=V0 25) 
ab. Die Grössen a, b, c und damit auch der Drehwinkel w verschwinden hiebei 


und es ist dann das rekonstruierte Objekt schon in jener Stellung, in welcher 
es durch geeignete Masstabsveränderung mit dem Original möglichst zur 


244 


Deckung gebracht werden kann. Jene 3 Summen sind die Komponenten des 
Vektors: ZW,Xx BB. Es muss demnach die Summe der Vektor- 
produkte entsprechender, Vektoren beider Punkthaufen ver- 
schwinden, damit sie ohne Drehung durch blosse Masstabs- 
änderung möglichst nahe aneinander gebracht werden können. 

Den vorstehenden Ausführungen lag die Voraussetzung zu grunde, dass 
es einer endlichen Drehung bedürfe, um die beiden Punkthaufen möglichst 
zu vereinigen. Wenn jedoch die Rekonstruktion des Objektes auf grund des 
Näherungsverfahrens (Seite 232 u. f.) eingeleitet wurde, so ist die Orientierung 
des Objektes gegen die Vertikale genähert bekannt und es hat keine Schwierig- 
keit, durch Drehung um die Vertikale eine annähernde Orientierung auch in 
der Horizontalebene herzustellen. Aehnlich einfach liegt die Sache, wenn das 
Objekt, wie z. B. eine Terrainfläche, nahezu eben und horizontal ist. In 
solchen Fällen ist es auch leicht, die Masstabänderung vor der Ausführung 
der Drehung zu berechnen. Zunächst werden beide Punkthaufen, soweit sie 
verglichen werden sollen, wieder mit den Schwerpunkten zur Deckung ge- 
bracht. Nach der Voraussetzung haben dann entsprechende Vektoren bereits 
annähernd dieselbe Richtung. Das Quadrat der Entfernung der Endpunkte 
beider setzt sich aus zwei Theilen zusammen, von welchen der erste von der 
Komponente der Verbindungsstrecke in der gemeinsamen Richtung der Vektoren 
herrührt, der zweite von der Komponente derselben Strecke senkrecht hiezu. 
Die Grösse des ersteren ist von der Drehung unabhängig und es genügt, also 
ihn durch Masstabänderung zu einem Minimum zu machen, um die ganze 
Summe möglichst klein zu erhalten. Ebenso wird dieselbe Masstabänderung, 
welche ohne Drehung die ganze Summe möglichst klein macht, dies auch mit 
Drehung bewirken. Wir machen daher: 


8 — ZU, — TB, 
zu einem Minimum. Dies führt zu der Gleichung: 
— 2 2U,— TB3)-8, = 0 
ZU,:-B,— TB = (() 
Setzen wir wieder Y\, = x,i + yvjt?: Bd = Xi+-Yj-+ Zt, 
so wird: 
2 (R%, Yy = 22) 


ZB! —— SER 
P> I, 


’ 
wie vorhin (Formel 25). 


Mit diesem Wert 7 sollen die Vektoren ®, gestreckt und dann jene 
kleine Drehung vorgenommen werden, welche die Summe der Quadrate der 


ha sun 


245 


Entfernungen entsprechende Punkte zu einem Minimum macht. Bezeichnen 
wir der Einfachheit halber die gestreckten Vektoren 8, mit E,, und unter- 
werfen wir sie der durch den Vektor ll bestimmten kleinen Drehung, wodurch 
sie in@,—+ €,x 1 übergehen, so muss sein: 

= EU —E&,—€,x U)’ = Minimo 26) 

Daraus folgt: 
— 2 2— &—&;xVU)-(&;xal) = 0 

oder 


eL.at Di e eı) o 


Da diese Gleichung für alle Werte von dU gelten soll, wird: 


Sa N Er NE Se 0 27) 

Um diese Gleichung geometrisch zu deuten, setzen wir zuerst 
ZHx AM 28) 
und betrachten sämtliche Vektoren ll, die nachstehender Gleichung genügen: 
CS) N 29) 


Ihre Endpunkte liegen auf einer Fläche 2. Grades, dem Trägheitsellipsoid 
des Punkthaufens der @,, wenn man sich die Punkte alle mit der Masse Eins 
begabt denkt. Man kann nämlich die Gleichung auch so umformen, dass auf 
der linken Seite die Summe der Quadrate der Entfernungen der Endpunkte 
von €, multipliciert mit dem Quadrat der Länge des Vektors Il steht, nämlich: 

> \ (&,)’ (U)? FE (E, = U)’ Y —— M. 30) 

Durch Differentiation der Flächengleichung ergiebt sich: 

— 22; xVN). (&xdaW) 0, 
aur = oo er ll —V 31) 

Ersetzt man hierin dU durch £—U, so erhält man die Gleichung der 
Tangentialebene im Endpunkte von ll, wobei der Endpunkt von X ein be- 
liebiger Punkt derselben ist. 

&-U)-2&;x[&;xU] = 0 32) 
osx Bear Veen 

Wählt man den Vektor \ nach dem Berührpunkt derart, dass er der 
Minimumsbedingung 27) 


oder: 


| 
oO 


33) 


zu; x [Ex I - N = 0 


246 


genügt, so liegt der Endpunkt des Vektors Mt auf der Tangentialebene, : wie 
bei Ersetzung von X durch M in ihrer Gleichung 33) hervorgeht. Ausserdem 
steht aber dann die Tangentialebene senkrecht auf M, da sich aus vor- 
stehenden Gleichungen 32) und 27) auch die folgende: 

en K—-WW- M—=0 
kombinieren lässt. 

Demnach lässt sich der Drehvektor I, der den Punkthaufen der &, mög- 
lichst nahe mit jenem der W, zusammenbringt, folgendermassen finden: Man 
errichtet im Endpunkte des Vektors MW— F&,xN, eine zuM 
senkrechte Ebene und ermittelt dasjenige, dem Trägheitsellip- 
soid des Punkthaufens der &, ähnliche und konzentrische Ellip- 
soid, welches diese Ebene berührt. Der Vektor nach dem Be- 
rührpunkte ist der gesuchte Drehvektor U. Derselbe führt jeden 
Vektor €, in den neuen Vektor: %,; = &,+€,xNU über. Wendet man die 
durch 1 bestimmte Drehung auf die Standpunkte O, und O, an, so erhält 
man die Lage derselben gegenüber dem Originalobjekt. 

Durch die Drehung wird die Quadratsumme S der Abstände beider Punkt- 
haufen verringert. Den übrig bleibenden Betrag kann man leicht berechnen. 
Es ist nach 26): 

s- 24 &-&xW — (U C)’— 24. (x W+(Cx< U) 
= EU —6”’+2U-FE x AU,+F(ExU,) 
Unter Hinzuziehung von Gleichung 28) und 29) wird: 
5 = = (U, — &,) —- 2u g M _ DM’ 

Die Minimumsbedingung 27): 

S } 
wird durch skalare Multiplikation mit U: $ 
U-M — EU-8,X [Ex] =i0 


oder 
UML =& x =, 
woraus. 
UM = — (M) 
und A 
$S= ZU, — C)—- (M) 34) 


folgt. 

Es vermindert sich demnach die Quadratsumme der Abstände durch die 
Drehung um das Quadrat der Länge des Vektors M. Verschwindet der 
Vektor M, so ist eine Verminderung von $ durch die Drehung unmöglich, 


2 


247 


es wird dann auch nach obiger Konstruktion I = 0. Diese Bemerkungen 
stehen in engem Zusammenhang mit jenen auf Seite 244; dort sahen wir, 
dass das Verschwinden desselben Vektors die Drehstreckung aufhebt. 


Das Verschwinden des Vektors Wt hat übrigens auch eine sehr einfache 
mechanische Bedeutung. Mit Wt verschwindet auch die Summe: ZU, x |[B,— 4, 
und umgekehrt. Die Vektoren ®,— NW, sind aber die kürzesten Abstände 
entsprechender Punkte beider Haufen. Werden diese als Kräfte aufgefasst, so 
sagt das Verschwinden jener Summe aus, dass diese Kräfte den Punkthaufen 
der 3, nicht mehr um den gemeinsamen Schwerpunkt zu drehen vermögen. 
Aus dem Umstande, dass die Schwerpunkte im Koordinatenursprung vereinigt 
liegen, folgt ausserdem: ZU, = 0, SB, = 0 und daher auch F(U, — B) = 0, 
was aussagt, dass die Kräfte den Haufen auch nicht zu verschieben im Stande 
sind. Wir haben daher den Satz: Wenn sich zwei Punkthaufen mög- 
lichst nahe liegen, bilden die kürzesten Abstände beider als 
Kräfte aufgefasst, ein Gleichgewichtssystem.!) 

Wir wollen nun noch die Minimumsbedingung zum Gebrauch der Ko- 
ordinaten umformen. Es sei: ,= 1,1+yj+2, = Xi+-Yj+Zt 
Die Bedingung 27) lautet: 

= EN 

28-15 — (EU = 6x 
Gpeijteni: 
NIS: 
xy &i 


EU LU 7) Ri VItZH - ER (UI DU) = = 


Hieraus folgen die Gleichungen für U, U,, U;: 

— U + ZI) +9 ZX I, +9, EX, Z = S3(, 3, — Z,9Y) 
GER - BER ZB SDVZ—=3(Zu— Xo) 35) 
VG ZSXL ZUBE V,Z— BE + Y)= =(Xy — Ye) 


Die Koordinaten der gedrehten Punkte folgen aus: 


Dt 
yebti+tnjtst= 6 +, xU=NXNi+Vj+ Zr unZ 
PETE Os 
\ Br ein) 
n=V,+ZU—X0D,, 36) 
= Z-+X0, vv) 


!) Nach den Ausführungen auf 8. 244 gilt der Satz nicht nur, wenn die beiden Haufen annähernd 
gleiche Form und Grösse haben, sondern ganz allgemein. 
Abh.d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 32 


248 


Die Ausführungen dieses Abschnittes geben eine Erweiterung der Formeln, 
welche Herr F. R. Helmert!) für die Zusammenlegung zweier ebener in 
Masstab und Orientierung wenig verschiedener Dreiecksnetze entwickelt hat. 
Setzt man in den Gleichungen 23) Seite 242 Z, und z, gleich Null, so folgt 


aus den beiden ersten «= 0, b=0, was auf cos« = cos ß = 0 hinaus- 
läuft. Für 7 erhält man aus den beiden letzten die Gleichung: 
TER? (2X 4 Ky)? + Ed Ry)r 37) 


Aus denselben Gleichungen erhält man durch Multiplikation der ersten 
mit d und der zweiten mit —c und Addition: 


(d’ —- ec) Z(Y,u — X y) — 2ed2 (X + F,y) = 0 38) 


— u) En @ f 
Da nun c—= VTsin DR d=YVT cos 3: als #—c?=YVTcosw und 


SH u X; Yı) 
OR 2) 
zZ (Yu — X; yı) 

247) ’ > 


2de= YTsin w wird, so folgt: tgo — oder auch: 


2 (X: + I yı) 
2(X7 +7) 


AN ESI R — ‚efsın @ — 
welche mit den Helmert’schen Formeln übereinstimmen, sobald der Winkel w 
wie dort klein angenommen wird. Die zweite Helmert’sche Formel für (7 = 1) 
ergiebt sich übrigens aus den Formeln 35) unmittelbar durch Nullsetzen der 
Z-Koordinaten. 


4. Die Herstellung der Karte aus den Ballonaufnahmen. 


Von den vorliegenden drei Ballonaufnahmen des Marktes Gars am Inn 
wurden jene ausgewählt, deren Standpunkte am weitesten von einander ent- 
fernt sind. Die dritte Aufnahme wurde nur aushilfsweise bei der Aufsuchung 
zusammengehöriger Punkte und bei der Zeichnung der Ortschaft benützt. 
Das Seite 232 auseinandergesetzte Verfahren zur näherungsweisen Bestimmung 
der Kernpunkte konnte hier nicht direkt angewendet werden, da Lotleinen oder 
andere Behelfe zur Orientierung gegen die Vertikale fehlten. Es wurden daher 
genäherte Ballonorte auf dem Wege des räumlichen Rückwärtseinschneidens ?) 


!) Die europäische Längengradmessung im 52. Grad Breite von Greenwich bis Warschau. I. Heft. 
Veröffentl. der k. preuss. geod. Inst. u. Centralbureaus der intern. Erdm. Berlin ‚1893, 8. 47. 

2) Das ziemlich umständliche Verfahren hiefür habe ich in dem Referat über die geometrischen 
Grundlagen der Photogrammetrie (Jahresbericht der Deutschen Mathematikervereinigung, 6. Bd., S. 26) 
auseinandergesetzt. Der in dem erwähnten Vorgange liegende Rekurs auf eine schon vorhandene Karte 
ist für das weitere Resultat ohne jede Bedeutung und etwa der Benützung einer Karte bei Anlage einer 
Triangulation an die Seite zu stellen. Die atmosphärische Strahlenbrechung blieb hiebei, sowie auch 
bei den späteren Rechnungen ausser Betracht. 


249 


nach 3 Punkten, deren Lage dem Blatt 78 Wasserburg Ost der bayerischen 
Generalstabskarte 1:50 000 entnommen waren, bestimmt und nach ihnen die 
Kernpunkte konstruiert. Ihre Koordinaten ergaben sich auf E: u, = — 7,5, 
Y = 135,1, auf E’:o, = — 19,0, y, = 137,8 mm. Hierauf suchte ich auf 
beiden Negativen die Bilder von 11 zusammengehörigen Punkten auf, wobei 
möglichst genaue Identifikation angestrebt wurde, während die Bedeutung der 
betreffenden Punkte ganz nebensächlich war. Die Messung der Koordinaten 


gab folgendes Resultat: 


Tabelle I. 

Bildebene E’ | Bildebene E” y 
Nr. -- _—— Bemerkungen 

x u er «” y 2) EEE NER De 

l | 
1 | —5880 | 11,90 | 69,25 | — 17,95 | Ackerecke 
2 28,10.| ., 34,65 | — 59,40 , — 50,70 > 
3 70,80 — 15,35 | — 64,30 13,20 | Ecke eines Gärtchens 
4 — 67,95 | — 51,25 | 34,85 | 23,85 Ackerecke 
5 00 1,20) Onla1| 29,1 | Weskreuzung 
6 — 26,60 27,10- 39,45 ı — 49,35 | Ackerecke 
7 31,15 | 45,25 | — 27,15 23,80 | 4 
8 oe \ 957 — 1685  — 14,55 | Zwickel zwischen zwei Wegen 
9 | — 42,90 | —4135 ı 21,05 | 21,85 | Ackerecke 
10 | — 2,40 | —52,25  — 6,30:| 25,60 | R 
505 | 29,00: 1,70 | —51,55 | 
| 


| | s 


Wurden mit den angeführten Koordinaten der Kernpunkte die Winkel 
gerechnet, welche die Kernebenen nach den Punkten 1—11 mit einer mittleren 
Ebene einschliessen, so ergaben sich die Zahlen, welche in nachstehender Ta- 
belle unter der Rubrik „Vor der Ausgleichung“ enthalten sind. Diese Rechnung 
wurde alsdann viermal wiederholt, wobei je eine der Kernpunktskoordinaten 
um 1 mm abgeändert wurde. Aus dem Vergleich dieser Rechnungen liessen 
sich sodann die 10 Bedingungsgleichungen für die 4 unbekannten Verbesse- 
rungen der Kernpunktskoordinaten finden, welche die Kongruenz der beiden 
Kernstrahlenbüschel aussagen. Aus ihnen bildete man in der üblichen Weise 
die 4 Normalgleichungen und löste sie unter Berechnung der Gewichts- 
koeffizienten für die Unbekannten auf. Das Resultat der Ausgleichung war: 


%, = — 1,82 + 0,10 mm % — - 17,16 + 0,13 mm 
Bo 154.56 22 0.19 0m Y = 137,75 + 0,20 mm 


29% 
32 


19 
(eb) 
o 


Der mittlere Fehler einer Kernebenenrichtung ergab sich zu 


+ 00029 —= 1,74. 


Tabelle II. 


Nr. | R Vor der Ausgleichung | N Nach der Ausgleichung Differenz 
PET. Eee TE Jah! en 
1 | 29609 | — 290455 | 0°154 290671 — 290672 — 0001 
mau |. a5 wos enge 24,899 0,001 
3 — 354,522 | 34,022 0,000 | — 34,537 34,558 0,021 
4 . 24,096 | — 24,200 — 0,104 24,163 — 24,117 0,046 
5 0,938 | EA 0,010 0,928 — 0,911 0,017 
6 14,144 | — 13,390 — 0,254 14,137 — 14,136 0,001 
m a oT 14,912 — 0,285 — 15,179 15,182 0,003 
S — 8,152 | 8,114 | — 0,038 — 8,155 8,137 — 0,018 
9 15,830 Kan 16,051 ei 0,221 15,882 — 15,903 — 0,021 
10 — 1148 | 0,7388 : | — 0,360 — 1,113 1,087 — 0,026 
11 | — 0,832 | 1,085 0,253 — 0,900 0,871 — 0,029 
| | 


Mit den ansgeglichenen Kernpunktskoordinaten wurden nochmals die 
Winkel der Kernebenenbüschel aus beiden Bildern EZ’ und E” gerechnet. Die 
Werte derselben sind im zweiten Teile obenstehender Tabelle unter der Rubrik 
„Nach der Ausgleichung“ enthalten. Wie man sieht, ist die Uebereinstimmung 
hier eine sehr befriedigende. 

Wurden zur Berechnung der Kernpunktskoordinaten nur jene Bedingungs- 
gleichungen benutzt, welche sich auf die am günstigst gelegenen Punkte 1—5 
beziehen, so ergaben sich dieselben wenig verschieden, nämlich: 


% = —7,73 + 0,12 mm % = —17,16 + 0,16 mn 
Yo — 134,46 + 0,22 mm Y% = 137,96 + 0,25 mm 


Dabei wurden die mittleren Fehler unter Zugrundelegung einer Unsicherheit 
der Kernebenenrichtung von + 0,029° gerechnet. Wie man sieht, leistet die 
hier weit einfachere Rechnung annähernd dasselbe, wie die verwickeltere Aus- 
gleichung mit den 6 überschüssigen Bedingungsgleichungen. 

Nunmehr wurde aus den beiden Werten der Kernebenenwinkel das Mittel 
gezogen und dieses zur Berechnung der Koordinaten nach den Formeln 2) und 3) 
benützt. Der Ursprung des Koordinatensystems liegt in O,, die Y-Axe geht 
durch OÖ, und die Y Z-Ebene fällt mit der mittleren Kernebene zusammen. 
Einheit ist die Länge 0, 0,. Vergleiche nachstehende Tabelle IH. 


F® 


rn a At 


251 


Die Zahlen der letzten Rubrik bedeuten die: kürzesten Abstände zweier 
Strahlen nach dem Zusammenpassen. 

Betrachtet man die Zahlen der letzten Rubrik als Kräfte, welche senk- 
recht zu den betreffenden durch die Y-Achse gehenden Kernebenen wirken, 
so müssten dieselben nach dem Satze auf Seite 240 ein Gleichgewichtssystem 
bilden. Untersucht man dies etwa auf graphischem Wege durch Bildung der 
Kräfte- und Seilpolygone, so findet man das Erwartete nur annähernd be- 
stätigt. Der Grund liegt darin, dass das Ausgleichungsprinzip, nach welchem 
die Kernpunkte gefunden wurden, nämlich Minimum der Quadrate der Diffe- 
renzen der Kernebenenwinkel, nicht gleichwertig ist mit jenem, das dem ge- 
nannten Satze zu grunde liegt, bei welchem das Minimum der (Quadrate der 
Abstände entsprechender Visierstrahlen angestrebt wurde. 


Tabelle III. 


Nr x Yy 2 k 
1 — 0,26961 0,63133 0,47324 | — 0,00001 
2 0,19073 0,74850 0,41093 0,00001 
3 0,29468 0,38709 0,42801 | 0,00019 
4 —0,20953 0,29056 0,49654 | 0,00042 
5 — 0,00474 0,51456 0,46344 | 0,00014 
6 — 0,11593 0,75468 | 0,46028 0,00001 
7 0,12442 0,28094 0,45856 0,000083 
8 0,06496 0,58051 0,45380 I -_0,00014 
9 — 0,13745 0,31962 0,48280 —0,00019 

10 0,00913 0,26560 047143 | — 0,00021 

Ku 0,00693 0,75372 0,44833  —0,00029 

O5 0,00000 0,00000 0,00000 | _ 

0, 0,00000 1,00000 0,00000 | — 


Um den photogrammetrisch ermittelten Punkthaufen zu orientieren und 
seinen Masstab zu bestimmen, waren Messungen im Gelände notwendig, da 
sich das vorhandene Kartenmaterial als durchaus unzulänglich erwies. Eine 
Höhenaufnahme des betreffenden Gebietes existiert zur Zeit überhaupt nicht 
und auf dem Lageplan in 1:5000, der in den Katastralblättern NO I 23 und 
NO II 23 niedergelegt ist, liessen sich die ermittelten Punkte nicht mit 
Sicherheit auffinden. Als ich mich etwa 2 Monate nach der Ballonfahrt in 
Begleitung des damaligen Assistenten an der technischen Hochschule Herrn 


252 
Dr. Ge. Faber!) in die Gegend von Gars begab, liessen sich die auf den Photo- 
eraphien markierten Punkte noch ohne besondere Mühe und mit genügender 
Schärfe auffinden. Weniger befriedigend gelang das Eintragen in die Kataster- 
blätter, da die vorgesehenen Hilfsmittel infolge der ungenügenden Evidenz 
der Blätter zur Einmessung nicht voll ausreichten. So musste der Punkt 
Nr. 10 mangels passend gelegener Fixpunkte unbestimmt bleiben. Ganz 
unbefriedigend erwies sich die barometrische Höhenbestimmung der Punkte, 
obwohl sie mit zwei geprüften Bohne’schen Aneroiden und einem selbst- 
schreibenden Standaneroid ausgeführt wurde. Erstere verdanke ich der Güte 
meines Kollegen Herrn Dr. Max Schmidt, letzteres Herrn Professor Dr. Peter 
Vogel an der Artillerie- und Ingenieurschule. Der Grund liegt an der 
unruhigen Wetterlage des betreffenden sehr heissen und gewitterhaften Tages. 
Nach den Eintragungen in die Katasterblätter wurden unter Berücksichtigung 
des Papiereinganges die Koordinaten der Punkte bezogen auf den linken und 
unteren Rand des Blattes NO I 23 entnommen. Sie ergaben sich folgender- 
massen: 


Die Fehler der X- und Y-Koordinaten können auf 1-2 m, jene der 
Z-Koordinaten auf 2—3 m veranschlagt werden. 

Durch den Vergleich entsprechender Längen beider Punkthaufen wurde 
nun eine genäherte Länge der Basis O, 0, bestimmt und mit dieser der 
photogrammetrische Punkthaufen umgerechnet. Sodann wurden beide Haufen 


Tabelle IV. 
Zu | 
Nı | x Y 2 
TR | 2885,6 512,9 
2 200.38 5 986 | 440,9 
3 4780 | 666,2 | 440,3 
4 3165, | 511,5 
5 al 1873,0 438,7 | 
6 BImU,E | ae 433,1 | 
7 11a6= 1433: 459,6 
8 1372,4 Ba 410,1 j 
9 401,8 2494,0 504,6 
10 = a | 480,8 ; 
11 21115 | 169,0 407,8 i 
| 
i 


‚Ane 
. 


!) Herm Dr. Gg. Faber bin ich hiefür, sowie für die Durchführung der vorbereitenden Rechnungen 


zu grossem Danke verpfiichtet. 
i 


253 


(Punkt 10 ausgenommen) auf ihre Schwerpunkte bezogen und der photogram- 
metrische durch successive Drehungen um die drei Koordinatenaxen mit dem 
geodätischen annähernd zur Deckung gebracht. Nunmehr liess sich nach 
Formel 25) ein genauer Masstab bestimmen, aus welchem die Länge O, 0, zu 
4125,2 m folgt. Dann konnte die endgiltige Zusammenlegung beider Haufen 
nach den Formeln 35) und 36) geschehen, deren Resultat in nachstehender 
Tabelle V zusammengefasst ist. 

In derselben sind die photogrammetrisch ermittelten Koordinaten mit 
aufrechten, die geodätisch ermittelten mit kursiven Ziffern angegeben.!) 


Tabelle V. 

L Y zZ 

Nr. £ j : 
1 5546 10272 515,9 
558,0 1037,3 512,9 
2 Bad 5 9 9a 445,9 
816,6 377 440,9 
3 —- 708,6 _ Bor 439,9 
207,3 A EN 440,3 
4 son 1002,2 511,8 
RZ 1008,1 5115 
5 ar As 10,3 435,9 
Br 497 14,7 438,7 
6 986,7 341,5 430,9 
986,2 340,0 433,1 
7 zo Mega 461,5 
I 20666 | — 4196 459,6 
Bun 1O7E Bl us) 407,6 
187,2 nl) 410,1 
gamılolte 787.0 — 6862 | 505,4 
— 783,4 — 63570 504,6 
10 = 107657 | 480,9 
zu ae 480,8 
Se 925,8 — 163,6 404,5 
926,3 — 164,3 407,8 
0, — 2026,2 2 mugo A 7 2496,2 
0, 2061,1 SET | 2144,8 


- 1) Das Koordinatensystem ist auf der Karte Tafel II eingetragen. Die Punkte sind durch rote 
Kreise und Höhenziffern bezeichnet. 


1097 
bs} 
nr“ 


Mit denselben Formeln wurden auch die Punkte O, und O0, umgerechnet 
und damit die endgiltige Lage der Ballonorte bestimmt. Ihre Koordinaten 
im System der Katasterblattränder (Vergl. Tabelle IV.) sind 

für 0,:9 = =-8411,0m, y— Med 22496, 2m 
tür 0,:% = 92902,1m,  y— 1322 Dem VNA 


Aus der Summe der Quadrate der Koordinatenunterschiede ergibt sich 
mit Berücksichtigung des Umstandes, dass 30—7 —= 23 überschüssige Diffe- 
renzen vorhanden sind, ein mittlerer Koordinatenunterschied von + 2,8 m. 

Die mittlere Entfernung zweier Punkte der beiden Haufen beläuft sich 
auf 5 m. 

Dass ein nicht unbeträchtlicher Teil dieses Unterschiedes auf Rechnung 
der unsicheren geodätischen Punktbestimmung, namentlich der barometrischen 
Höhenmessung zu setzen ist, geht aus den früheren Bemerkungen, besonders aber 
auch daraus hervor, dass der mittlere Unterschied der X- und Y-Koordinaten 
nur 2,7 m, jener der Z-Koordinaten aber 3,0 m beträgt. 

Nach dem Zusammenschluss der Visierstrahlenbündel wäre ein noch er- 
heblich besseres Resultat zu erwarten gewesen. So beträgt der mittlere 
kürzeste Abstand zweier zusammengehöriger Strahlen nach Umrechnung der 
letzten Rubrik der Tabelle II in Metermass und Berücksichtigung des Um- 
standes, dass von den 11 Abständen 6 überschüssig sind, nur 1,1 m. Dazu 
kommt, dass die betreffenden Strahlen sich unter Winkeln kreuzen, die nur 
wenig von 90° abweichen. Sie liegen nämlich zwischen den Grenzen 85%685 
bei Punkt 5 und 99°384 bei Punkt 4 Da diese Winkel selbst nur um einige 
Hundertstel des Grades unsicher sind, kann der mittlere Punktfehler 
eines photogrammetrischen Punktes sicher auf weniger als 2m 
geschätzt werden. 


Nach dem im Ganzen befriedigenden Ergebnis des Vergleiches des photo- 
grammetrischen mit dem geodätischen Punkthaufen verlohnte es sich, die Zahl E 
der rekonstruierten Punkte derart zu verdichten, dass sich aus ihnen eine 
Karte des auf beiden Photographien dargestellten Gebietes im Masstab 1:10000 


zeichnen liess.!) Der nächstliegende Weg, aus den Koordinaten der Bildpunkte 
mittels der Formeln 1), 2) und 3) die Koordinaten des Raumpunktes im System 
der Tabelle III zu rechnen und mittels passender Transformationsformeln zum 
System der Tabelle V überzugehen, war schon deshalb etwas umständlich, weil 
einheitliche Transformationsformeln dieser Art nicht vorlagen.) Ich schlug 


!) Vergleiche für das Folgende Tafel II. 
2) Ich war damals noch nicht im Besitz der Formeln 23) und 24), 


Zi 


255 


daher ein Verfahren: ein, welches sich an das in den Sitzungsberichten der 
math.-phys. Klasse Bd. 30 (1900) S. 149 auseinandergesetzte unmittelbar an- 
schliesst. Auf eine Vergleichsebene in der mittleren Terrainhöhe von 440 m 
denkt man sich zusammengehörige Bilder eines Punktes P, von den zuge- 
hörigen Standpunkten O, bezw. O, projiciert. Die betreffenden Projektions- 
punkte seien @; und Q,;.. Ihre Verbindungslinie muss durch den Schnittpunkt O, 
gehen, in welchem die Verbindungslinie O, O, die Vergleichsebene trifft. Diese 
Punkte Q, und Q,' werden auf rechnerischem Wege, der alsbald auseinander 
gesetzt werden soll, ermittelt. Das Ziehen ihrer Verbindungslinie gibt eine 
Kontrolle für die Richtigkeit der Rechnung bezw. die Zusammengehörigkeit 
der Bildpunkte. Folgen die Punkte Q, ©; 0, in der gleichen Reihenfolge wie 
0, 0, O, aufeinander, so liegt der Punkt P, unterhalb der Vergleichsebene, im 
andern Falle oberhalb. Fallen Q, und Q, zusammen, so liegt P, gerade in 
der Vergleichsebene. Die Entfernung Q, Q; wächst mit der Entfernung des 
Punktes P, von der Vergleichsebene. Den Grundriss P,, des Punktes P, erhält 
man als Schnitt der Strahlen Q, O, und Q; O,, wobei O,, und O,, die Grund- 
risse der Standpunkte bedeuten. Analog ergibt sich der Aufriss. In unserem 
Falle wird der Schnitt im Grundriss sehr spitz, im Aufriss auf die Y Z- Ebene 
dagegen nahezu rechtwinklig. Es wurde daher dieser Aufriss zuerst bestimmt 
und der Grundriss durch Herabloten gefunden. 

Zur Berechnung der Punkte @, (bezw. Q,) projiciert man zunächst virr 
passend gewählte Punkte der Bildebene E’ (bezw. E”) auf die Vergleichsebene. 
Als solche wählt man am einfachsten die Mitten der Rahmenseiten. Dieselben 
begrenzen das Bildfeld in der Längs- und Querrichtung. Die zugehörigen 
Bildfeldwinkel rechnen sich aus den halben Rahmendimensionen von 52,2 und 
72,1 mm, sowie der Bildweite von 151,57 mm zu 2 x 19°004 bezw. 2 x 25°440. 
Um die Projektionen der Rahmenmitten zu finden, muss erst die Orientierung 
der Rahmenseiten gerechnet werden. Das geschieht durch die Auflösung einer 
Reihe sphärischer Dreiecke, welche mit den zugehörigen Formeln kurz an- 
geführt werden mögen. Dabei denkt man sich das Visierstrahlenbündel durch 
O, an die beiden Strahlen O, O, und O, P,, deren Lage im Koordinatensystem 
- der Tabelle V festliegt, angeschlossen. Es sind dann folgende Operationen 
auszuführen (Vergl. Fig. 5): 1) Berechnung der Nadirdistanzen e und A, sowie 
der Azimutdifferenz d der Strahlen O, O0, und O, P, aus den Koordinatendiffe- 
renzen ihrer Endpunkte. 2) Berechnung des von der nach unten gerichteten 
Senkrechten O0, N in O0, und den genannten Strahlen gebildeten Dreikantes 
O0,(N 0, P) aus den zwei Seiten e und A und dem eingeschlossenen Winkel d 
mittels folgender Formel für die Winkel vu an O, 0, und v an O,P: 

Abh.d. II. Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. II. Abt. 33 


—E „ A—E 
cos nal sın —_ 
is uhr... 2 N Ö, "3 BERN 2 ep 
a er a SD, au ee er 
cos —— ne 
[*} & ad 
. ! . . . 
siny, : sine sind: sin». 


Die dritte Seite y, trat schon in den Formeln 2) auf (Kontrolle). 3) Rech- 

n (vgl.8.236). 
4) Auflösung des Dreikantes O, (N 0, 4,), wobei 0,4 die optische Axe der 
Bildebene E’ (= Senkrechte zu EZ’ im Hauptpunhte A,) bedeutet, aus den 
Seiten NO,0,=e und 0,0,A=« (Formel 1) und dem eingeschlossenen 
Winkel a , , =u— y: 


. . ’ ’ 
nung des ausgeglichenen Kernebenenwinkels y, aus: vw = 4 + 


a TE Ss MZIE 
COS n 
9} er L 4 
OIZ—t, [4] Kt y [0] + T 2 1% e- yı 
et —— = or CHE - ctg - = — cte — 
879 ae, Re rn ons, ee a 
Zr 7% sın —: 
2 2 
. . - / . 
sin &: sina = sin (u— W): sin o. 


Dabei ist r die Horizontalprojektion des Winkels AO,0, und o der 
Winkel, welchen die Ebene 0, 0, A mit der Vertikalebene durch die optische 
Axe 0, A, einschliesst. &, ist die Nadirdistanz der optischen Axe. 5) Auf- 
lösung des Dreikantes 0, (N A B,), wo B, die Mitte der oberen (unteren) Rahmen- 
seite bedeutet, aus den Seiten NO, A=&, AO, B, = ß, dem halben Bild- 
feldwinkel in der Längsrichtung und dem eingeschlossenen Winkel an 0, A 
— 06— g, (Formel 1) 


Br ar ee ee 
ron sin 


. / - . . 
sing, : sine, = sin (0 —Q,): sin a’. 


u et ke A 


Dabei ist 7° die Horizontalprojektion des Winkels AO, B, und e&, die 
Nadirdistanz von O,B.. 

Aehnlich werden die entsprechenden Grössen für die Strahlen von O, 
nach den Mitten B, D, B, der drei anderen Rahmenseiten gefunden. Aus den 
Winkeln 7’, z und dem Azimut von O, O0, erhält man das Azimut von O0, B.. 
Zusammen mit der Nadirdistanz &, bestimmt es die Koordinaten des Punktes (, 
in welchem O, B, die Vergleichsebene trifft. Hat man so die Koordinaten der 
Punkte 0, 0, 0,6, D; ermittelt, in welchen die Strahlen von O, nach 5, 5b, B, B, 


2 


257 


und 4, die Vergleichsebene treffen, so rechnet man die Stücke D, U, =), 
DG=a DG=co, DU=d. Sie sind die Perspektiven der Stücke 
AB, =b und AB, = A,B, = a’ des Axenkreuzes der Bildebene E’. Die 
Koordinatenaxen der € und n’ sowie jene der & und 7”, welche vom Bilde E 
herrühren, sind auf- der Karte Tafel II eingetragen. 


Man bezieht nun die Punkte Q; auf ein System schiefwinkliger Koordinaten, 
& n,, deren Axen die Perspektiven der Axen in der Bildebene E’ sind (Vergl. 
Fig. 6). Zwischen den Koordinaten [; n; eines Punktes Q, und den z,4y, des 
Bildpunktes P/ in E’ bestehen dann lineare Beziehungen folgender Art: 
IR.“ y 1 I 5 a 
Ei Ri ui 12 ET Bye nr 
Diese Gleichungen müssen für folgende zusammengehörige Werte 7’ «xy 
erfüllt sein: 


& N % Yy 
ER) a0 
—dı 0 — 0 
0 De “ 
0 CE 


Mari 1 I Fe 
: a 
IR 0 1 k 5 be 
HN an are he ee 
oder: 
__ a (a, + d,) nz «b,a(aı + d) CD) 


ee a za Tee) 


258 


Formeln derselben Art gestatten das Umrechnen der Koordinaten x", y; 
eines Bildpunktes auf 2” in die Koordinaten $; 7, des entsprechenden Punktes 
Q; der Vergleichsebene. 

Mittels solcher Formeln, die sich mit dem Rechenschieber sehr bequem 
auswerten lassen, wurden die Koordinaten von 175 Punkteparen Q, Q,; be- 
stimmt und aus ihnen Grundriss und Höhe des zugehörigen Punktes P; 
graphisch ermittelt!) Die Kontrollen, welche durch das Ziehen der Ver- 
bindungslinien @,; @; , die nach dem Punkte O, laufen müssen, gewonnen werden, 
oder auch darin zum Ausdruck kommen, dass Grundriss und Aufriss senkrecht 
übereinander liegen, stimmten dabei stets so gut, dass die Lage und Höhe der 
konstruierten Punkte auf etwa 2 m gesichert erschien. Die Punkte wurden 
mit Rücksicht auf die Möglichkeit, das Terrain durch Höhenkurven in 10 m 
Abstand darzustellen, gewählt. Bei dem genauen Studium der Photographien, 
welches dem Auffinden zusammengehöriger Bildpunkte vorhergehen muss, 
gewannen die auf den ersten Blick so ausdruckslos und flach erscheinenden 
Bilder Formen und Plastik. Nicht Licht und Schatten heben dabei die aus- 
gezeichneten Linien des Geländes hervor, sondern neben der Bepflanzung, 
welche die gröberen Formen ausdrucksvoll betont, sind es fast unmerkliche 
Abweichungen von der perspektivischen Verzerrung entsprechender Gebilde, 
die das geschulte Auge darauf hinweisen, dass unebene Formen zur Abbildung 
gelangt sind. Kaum messbare Wellungen in den scharfen Linien des Wege- 
netzes und der Bebauungsgrenzen lassen erkennen, ob das betreffende Gebilde 
in einer Horizontalebene oder einer Vertikalebene liegt oder räumlich ge- 
krümmt ist. Letzterer Fall wird meistens daran erkannt, dass die Wende- 
punkte in beiden Bildern sich nicht entsprechen. Dort, wo das Gelände in 
beiden Bildern voll beleuchtet erscheint, wird man immer genügend Punkte 
zur ausdrucksvollen Darstellung der Formen finden, es sei denn, dass Wald- 
bedeckung ein Hindernis bietet. Wolkenschatten, auch schon leichter Schleier, 
wirkt sehr störend auf die Reichhaltigkeit der Punktbestimmung. Die Zahl 
der bestimmten Punkte — im Ganzen 186, also etwa 31 auf den Quadrat- 
kilometer — reichte aus, um an der Hand der Photographien das Wegenetz 
und die Kulturgrenzen nach dem Augenmass mit einer für den gewählten 
Masstab von 1:10000 genügenden Genauigkeit einzutragen. Auf gleiche Weise 
wurden auch die Gebäude bestimmt, die also hier kein höheres Mass von 
Richtigkeit beanspruchen können. Für die Darstellung der zahlreichen Ge- 
bäude des Marktes und Klosters Gars kam der Umstand zu gute, dass die- 


I) Diese Punkte sind in der Karte Tafel II durch einen schwarzen Punkt mit Höhenzahl bezeichnet. 


259 


selben auf einer nahezu ebenen, in 435 m Höhe gelegenen Flussterrasse liegen. 
Eine dritte Photographie, deren Aufnahmeort sich zwischen den beiden Stand- 
punkten 0, und O, befindet und die Ortschaft in fast senkrechter Daraufsicht 
zeigt, wurde mit einem Möbius’schen Netz, aus vier vorher bestimmten Punkten 
konstruiert, überzogen und das entsprechende Netz auf der Karte zur per- 
spektivischen Umzeichnung der Gebäudekomplexe benützt.!) Das Gelände selbst 
stellte ich, abgesehen von den Höhenkurven, absichtlich möglichst genau so 
dar, wie es auf den photographischen Bildern und auch in der Natur selbst 
von oben gesehen erscheint. Ich hoffe damit einen Beitrag zu der noch immer 
strittigen Frage der Terraindarstellung zu liefern. Derselbe ist allerdings 
durchaus negativ, insoferne es sich herausstellt, dass die natürliche Beleuchtung 
so gut wie keinen Anhaltspunkt für die Terraindarstellung bietet. Beleuchtungs- 
unterschiede, welche Formen charakterisieren könnten, sind dort, wo nicht 
gerade Sahlagschatten auftreten, nicht vorhanden. Man sieht von der Höhe 
aus keinerlei Formen, sondern ausschliesslich Farben, die durch die Vegeta- 
tionsdecke bedingt sind. Die Formen kommen nur in den wechselnden 
perspektivischen Verzerrungen der Linien zum Ausdruck. Die immer noch 
bestehende Uebersichtlichkeit verdankt das Kartenbild in erster Linie dem 
Umstande, dass auch die Vegetationsdecke in hohem Masse von der Terrain- 
form bedingt ist und dunkler Wald- oder Buschbestand die Steilhänge zum 
Ausdruck bringt. Will man das Gelände unabhängig von solchen zufälligen 
Umständen als reine Form wiedergeben, muss man notwendig zu schematischen 
künstlichen Mitteln greifen, deren Berechtigung nicht aus dem Anblick der 
Natur abgeleitet werden kann. Wenn solche Mittel, wie z. B. die sogenannte 
schiefe Beleuchtung des Terrains, dadurch, dass sie uns die mit ihrem Prinzip 
unvereinbaren Körper- und Schlagschatten vortäuscht, allgemein verständlich, 
also gewissermassen natürlich wirken, so ist das zweifellos ein Vorteil, der 
aber nicht etwa dadurch gesteigert werden kann, dass man möglichsten 
Anschluss an die Natur sucht, im Gegenteil, je mehr man sich derselben 
nähert, umso sicherer verliert man die Anschaulichkeit, die ja dort gar 
nicht vorhanden ist. Jede Geländedarstellung, die ihrem Zwecke 
dienen. soll, muss notwendig konventionell und bewusst un- 
natürlich sein. 


Zum Schlusse sei noch kurz die Frage erörtert, inwieweit die vorliegende 
photogrammetrische Aufnahme vom Ballon aus typisch ist, oder nur zufällig 


1) Vergl. hiezu: Ueber die Konstruktion von Höhenkarten aus Ballonaufnahmen. Sitzungsberichte 
der k. b. Akad. der Wiss. II. Cl. 1900. Tafel I. 


* 


260 


günstigen Umständen ihre Durchführbarkeit verdankt. Die Antwort ist sehr 
einfach. Jedes Terrain, das keine stärkeren Neigungen als etwa 35° aufweist, 
kann auf die gleiche Weise aufgenommen werden; falls eine Ballonbahn in 
ca. 2000 m Höhe darüber führt. Man hat nur in Abständen von ca. 4 Kilo- 
metern photographische Aufnahmen nach unten zu machen, wobei die Neigung 
des Apparates gegen die Vertikale ca. 45° einmal in Richtung der Fahrt, das 
anderemal in entgegengesetzter Richtung beträgt. Man ist so im stande, im 
Verlaufe einer Ballonfahrt einen Geländestreifen unterhalb der Ballonbahn in 
einer Breite, die die relative Ballonhöhe etwas übertrifft, aufzunehmen. 


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S. Finsterwalder: Grundaufgabe der Photogrammetrie. 


Markt Gars ajlnn 


Erste Aufnahme aus 2496,2 


Zweite Aufnahme aus 2144,8 m 


1. Il. Cl, d. k. Ak. d. Wiss. XXIl. Bd. Il, Abth. 


Druck von Carl 


Kuhn, München. 


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Beiträge 


zur 


Petrographie der östlichen Zentralalpen 


speziell des 


Gross-Venedigerstockes 


von 


Ernst Weinschenk. 


111. 


Die kontaktmetamorphische Schieferhülle und ihre Bedeutung für die Lehre 
vom allgemeinen Metamorphismus. 


(Mit 5 Lichtdrucktafeln und einer farbigen Kartenskizze.) 


Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 34 


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Einleitung. 


Ein langer Zeitraum, annähernd 9 Jahre, sind verflossen, seitdem ich die beiden ersten 
Teile!) einer petrographischen Monographie des Gross- Venedigerstockes in diesen Abhand- 
lungen veröffentlicht habe. Nur zögernd ging ich damals an die Niederschrift der Resultate 
meiner Aufnahmen in jenem Gebiete, weil die Gesamtheit meiner Beobachtungen nur zu 
sehr im Gegensatz erschien zu den allgemein als massgebend anerkannten Anschauungen, 
und die eigentliche Ursache, die entscheidend war für meinen damaligen Schritt, lag darin, 
dass von verschiedenen Seiten Exkursionen veranstaltet wurden, die auf kurzen Orientierungs- 
zügen das von mir in jahrelanger Arbeit durchforschte Gebiet durchkreuzten, und dass die 
Publikation?) der Ergebnisse solcher Touren den besten Teil der Resultate langjähriger 
Mühen vorweg zu nehmen drohte. 

Um vieles freier hätte ich die in vielen Richtungen von dem Hergebrachten abweichenden 
Ergebnisse meiner Studien vorführen können, wenn mir erst Zeit geblieben wäre, in dem 
weiteren Bereiche der Alpen wie in anderen Gebieten meine in den Hohen Tauern 
gesammelten Erfahrungen auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen. Doch was damals nicht mög- 
lich war, habe ich in diesem langen Zwischenraume nachgeholt, und der Abschluss meiner 
petrographischen Studien im Gross-Venedigerstocke, welche hier folgt, kann auf Grund aus- 
gedehnter Erfahrungen in der ganzen Zentralzone der Alpen vorgetragen werden, von Er- 
fahrungen, welche das früher Gegebene in jeder Richtung bestätigen. 

Wenn auch meine damals zuerst in der Wissenschaft eingeführte Anschauung von 
der Kristallisation der zentralalpinen Eruptivgesteine unter besonders erhöhtem Druck, der 
Pi&zokristallisation, namentlich in der ersten Zeit, mannigfachen Einwänden begegnete, 
wenn sie auch von vielen Seiten missverstanden wurde und manche scharfe Ablehnung 
erfuhr, so hat sie im Laufe der neun Jahre doch mehr und mehr an Boden gewonnen und 
selbst hervorragende Alpengeologen,?) welche vorher auf durchaus entgegengesetztem Stand- 
punkt standen, beginnen sich mehr und mehr mit der neuen Theorie zu befreunden. Dieser 


1) I. Ueber die Peridotite und die aus ihnen hervorgegangenen Serpentingesteine. Genetischer 
Zusammenhang derselben mit den sie begleitenden Minerallagerstätten. II. Ueber das granitische Central- 
massiv und die Beziehungen zwischen Granit und Gneiss. Diese Abh. 1894, XVIII, IIl. Abt. 651—746. 

2) F. Löwl, Der Gross-Venediger. Jahrb. geol. Reichsanst. 1894, XLIV, 515. — F. Becke, 
Olivinfels und Antigoritserpentin aus dem Stubachtal (Hohe Tauern). Tscherm. min. petr. Mitteil. 1894, 
XIV, 271. 

3) L. Duparc und L. Mrazec, Recherches geologiques et petrographiques sur le massiv du Mont- 
blanc. Mem. soc. phys. hist. nat. Geneve 1898, XXXIII. — A. Baltzer, Die granitischen Intrusivmassen 
des Aarmassivs. Neues Jakrb. Mineral. 1903, B.B. XVI, 292. 


34* 


264 


Tatsache geschieht auch dadurch kein Abbruch, dass eines der hervorragendsten Lehrbücher 
der Gesteinskunde!) selbst in seiner neuesten Auflage die von mir dargelegten Beobachtungen 
mit Stillschweigen übergeht, obwohl sie gerade in die dort vorgetragenen Hypothesen in 
weitgehendem Masse einschneiden und auch, wie die Folge zeigen wird, durchaus nicht so _ 
unbegründet sind, um ein völliges Totschweigen als wissenschaftlich unanfechtbar erscheinen 
zu lassen. 

Der Abschluss meiner Studien im Gebiete des Gross-Venedigers, welcher hier vorliegt, 
machte es notwendig, die früher von mir aufgestellten theoretischen Betrachtungen in jeder 
Richtung zu erhärten und das Gegensätzliche meiner Anschauungen den bisherigen Theorien 
gegenüber hervorzuheben. Dadurch hat: dieser Teil eine etwas mehr polemische Richtung 
erhalten, als von Anfang an beabsichtigt war, die aber für die Verteidigung meines Stand- 
punktes ‚sich als direkt notwendig erwies. 

Der eigentliche Abschluss meiner Untersuchungen erfolgte um Ostern 1903, mit der 
Absicht, dem sich mit dem Problem der kristallinischen Schiefer beschäftigenden inter- 
nationalen Geologenkongress in Wien diese Studie als Material vorzulegen. Leider konnte 
infolge Andranges die Drucklegung in diesen Abhandlungen nicht rechtzeig erfolgen, so dass 
erst jetzt, wenn auch etwas verspätet, so doch wohl nicht zu spät, dieser Beitrag zur Kenntnis 
der kristallinischen Schiefer erscheint. 


Geologische Verbreitung der Schieferhülle. 


Die am Schlusse beigefügte Kartenskizze gibt ein ungefähres Bild von der Verteilung 
der hauptsächlichsten Gesteinstypen. Eine detaillierte Aufnahme des Gebietes war von 
vornherein nicht beabsichtigt, sie dürfte aber auch schwer durchzuführen sein, da zahlreiche 
Gesteinstypen, welche in ihren Endgliedern ganz entgegengesetzten Gruppen angehören, 
durch mannigfache, oft über breite Zonen sich ausdehnende Uebergänge miteinander ver- 
bunden sind, und da andernteils der Wechsel der Gesteine von Schicht zu Schicht öfter in 
so bunter Abwechselung stattfindet, dass schon ein sehr grosser Massstab notwendig wäre, 
um dieselben im Detail auseinander zu halten. Ob durch eine derartige Ausscheidung der 
einzelnen Gebirgsglieder ein im Verhältnis zu der aufreibenden Arbeit stehender Erfolg für die 
Wissenschaft zu erreichen wäre, ist mir ausserdem im höchsten Masse fraglich. 

So wurden die hauptsächlichsten Gruppen, welche von petrographischem Stand- 
punkt aus als eine Einheit erschienen, zusammengefasst, und ich hoffe, für die Deutung 
der petrographischen Beschaffenheit der Gesteine wie für die Verfolgung der geologischen 
Geschichte des Gross-Venedigers wird diese kleine Skizze vollauf genügen. Löwl fügte 
seiner schon zitierten Abhandlung über den Gross-Venediger gleichfalls eine Kartenskizze 
bei, welche in der Hauptsache ebenfalls nur die grösseren Gruppen ausscheidet, die aber in 
zahlreichen Punkten von den von mir zusammengefassten abweichen. Ueber den Zentral- 
granit mit seinen schiefrigen Randzonen, welche übrigens stellenweise recht tief in das 
Massiv selbst eingreifen, habe ich schon im zweiten Heft dieser Beiträge eingehend berichtet. 
Ueber die aplitische Randzone, welche nach Löwl den granitischen Kern umgibt, kann 


1) H. Rosenbusch, Elemente der Gesteinslehre, II. Aufl., Stuttgart 1901. 


265 


man an zahlreichen Stellen recht abweichender Meinung sein, und die mikroskopische Unter- 
suchung der betreffenden Vorkommnisse gibt manche Bestätigung für diese Zweifel, indem 
sich diese Randzonen, namentlich auf der Südseite des Massivs nicht als reine, magmatische 
Ausscheidungsprodukte zu erkennen geben, sondern vielmehr als glimmerschieferähnliche 
Bildungen mit den normalen Mineralien dieser Gesteine, welche durch granitisch-aplitisches 
Material mehr oder minder durchtränkt sind, und in welchen man zwar öfter Lagen von 
reinem Aplit findet, ebenso oft aber auch Gesteine, in denen die mikroskopische Unter- 
suchung mit Sicherheit festzustellen gestattet, dass das granitische Magma mit fremden 
Materialien sich vermischte. Solche Bildungen gehören in die von mir ausgeschiedenen 
Gneis-Glimmerschieferzone. 

Die Abscheidung dieser Zone gegen den Granit selbst ist auf der Südseite eine mehr 
oder minder willkürliche, denn es erscheint so gut wie unmöglich mit einiger Genauigkeit 
den Punkt zu bestimmen, an welchem der reine schiefrige Zentralgranit zu Ende ist und 
die Vermischung mit den Schiefern beginnt. Während eine eigentliche aplitische Rand- 
zone als Umgürtung eines Granitmassivs nicht gerade die gewohnte Erscheinung darstellt, 
ist die Durchtränkung des Nebengesteines mit aplitischem Material ungemein weit verbreitet 
und aus den verschiedensten Gebieten schon beschrieben worden. Andernteils aber ist zu- 
zugeben, dass lokal auch der reine, unvermischte Granit gegen die Randzonen lichter und 
aplitähnlich wird, und besonders tritt diese Erscheinung an den zahlreichen Apophysen 
des Granites hervor, in welchen man öfter in einem Handstück beiderseits das Nebengestein 
der Gneis-Glimmerschieferzone durch ein schmales aplitisches Salband von dem granitischen 
Gang abgetrennt sieht. Solche Granitapophysen, namentlich innerhalb der Gneis-Glimmer- 
schieferzone der Südseite, welche ihre Gangnatur auf das Deutlichste erkennen lassen, sind 
oft in sehr vollkommener Weise schiefrig. Es ist bezeichnend, dass dann die Schieferung 
nicht etwa parallel zur Richtung des Ganges verläuft, sondern quer dazu und in Ueber- 
einstimmung mit jener der Schiefer, in welchen solche Granitgänge aufsetzen. Der petro- 
graphische Habitus solcher gangförmiger Gesteine ist derjenige der typischen „kristallinischen 
Schiefer“, was Rosenbusch gegenüber betont werden muss, der die Gangform den kristal- 
linischen Schiefern abspricht. Sehr bezeichnend ist ferner, das die aplitischen Gesteine 
derselben Zone meist einer schiefrigen Beschaffenheit völlig entbehren. 

Die von Löwl auf seinem Kärtchen ausgeschiedenen Gesteine der Schieferhülle sind: 
1. Schiefergneis und Hornblendeschiefer, 2. dieselben Schiefer am Kontakt, 
3. Kalkglimmer- und Chloritschiefer, 4. Phyllitstufe der Tauern, 5. Phyllit- 
gebirge, 6. Krimmler Schichten. Von diesen kommen für die petrographische Be- 
schreibung des Gross- Venedigermassivs selbst die wenig kristallinischen Krimmler Schichten 
kaum in Betracht, da sie nur im westlichen Teile des Nordrandes als schmaler Streifen an 
den Abfall des Massivs herantreten, wohin sie vermutlich durch eine Verwerfung gekommen 
sind; die Gesteine des sogenannten „Phyllitgebirges“ liegen überhaupt jenseits des Pinz- 
gaus. Das, was Löwl als „Phyllitstufe der Tauern“ ausscheidet, ist so ziemlich über- 
einstimmend mit der Gruppe der Grünschiefer, welche hier besprochen werden; Kalk- 
slimmer- und Chloritschiefer decken sich mit den von mir ebenso bezeichneten Gesteinen. 

Dagegen ergibt sich bei den beiden ersten Abteilungen ein fundamentaler Unterschied 
zwischen unserer Auffassung, ein Unterschied, der in erster Linie auf der verschiedenen 
Anschauung über die petrographische und geologische Bedeutung der Schieferhülle begründet 


266 


ist, ausserdem aber in hohem Masse auch durch die verschiedene Bewertung der petro- 
graphischen Eigentümlichkeiten eines Gesteines in Bezug auf: seine geologische Deutung 
hervorgebracht wird. Wie die weiter unten folgende petrographische Untersuchung in allen 
Teilen den Nachweis erbringen wird, dass die „Schiefergneise“ der Südseite und die 
Amphibolite des Nordabhanges durchaus heterogene Dinge sind, ebenso kann unter Beweis 
sestellt werden, dass grosse petrographische Unterschiede zwischen den südlichen Eklogiten 
und den nördlichen Hornblendeschiefern bestehen, die geradezu zwingend für eine 
Trennung dieser Typen sind. Was die zweite Rubrik „dieselben Schiefer im Kontakt‘ 
bedeutet, ist mir vollends unklar. Bei den Amphiboliten des Nordabhanges ist eine solche 
Abtrennung nach makroskopischen Gesichtspunkten immerhin noch denkbar, wenn man 
annimmt, Löwl habe die besonders stark injizierten und oft auch etwas granitisierten, meist 
deutlich krystallinischen Amphibolite in dieser Gruppe zusammengefasst, um sie von den 
weniger injizierten zu unterscheiden, welche er nicht mehr als kontaktmetamorph ansieht. 
So verschmälert sich seine Kontaktzone um das mächtige Granitmassiv stellenweise auf 
250 m. Trotz einer ungemein bedeutenden Anzahl von Dünnschliffen — das Profil im 
Hollersbachtal allein lieferte mir an hundert Dünnschliffe —, ist es mir nicht möglich 
gewesen, eine Trennung dieser „Schiefer im Kontakt“ von den anderen vom petrographischen 
Standpunkt aus durchzuführen und ebensowenig gelang die Abgrenzung der letzteren 
gegenüber der Phyllitstufe der Tauern. 

Alle diese Gesteine stellen unzweifelhafte Umwandlungsprodukte dar, aber Umwandlungs- 
produkte eines und desselben Gesteinstypus, die sich wohl durch Korngrösse voneinander 
unterscheiden, indem mit der Entfernung von dem umwandelnden Agens, dem granitischen 
Herd, ihre Beschaffenheit dichter und dichter wird, so dass sich die in nächster Nähe des 
Granites ziemlich grobkörnigen Gesteine in dichte, phyllitartige Grünschiefer ganz allmählich 
umformen. : So wenig man also die Gesteine der Nordabdachung mit denen des Südabhanges 
in einer Bezeichnung zusammenfassen darf, ebensowenig ist, wenigstens in einer nur die 
grossen Züge berücksichtigenden Skizze der Dreiteilung der Gesteine der Nordseite aufrecht 
zu erhalten. 

Was vollends Löwl mit seiner Unterscheidung von Schiefergneis gegenüber dem 
Kontaktgneis beabsichtigt, ist mir unverständlich; wo er in seinem Profil des Gross- 
Venedigers die Schiefergneise im Gegensatz zu den Kontaktgneisen einzeichnet, sind über- 
haupt keine Gneise vorhanden; es ist vielmehr die Zone der Eklogite mit ihren Knoten- 
schiefern und nicht injizierten Glimmerschiefern, welche weiter unten charakterisiert 
wird. Es stellt sich diese Zone hier als bezeichnender Horizont zwischen jener der 
„granitisierten* Schiefer, die etwa den „Kontaktgneisen“ Löwls entsprechen, und in welchen 
sich Schiefermaterial mit dem Granit vermischt und der Zone der Kalkglimmerschiefer und 
Chloritschiefer dar. 

Während auf der Nordseite somit in petrographischer Beziehung grosse Gleich- 
förmigkeit herrscht, ist auf der Südseite ein bezeichnender Wechsel der Gesteine vor- 
handen. Es sind zwar in der im allgemeinen so einheitlichen Schichtenfolge der nördlichen 
Schieferhülle, auch abgesehen von den lagerartigen granitischen Apophysen, Gesteine vor- 
handen, welche in ihrer Beschaffenheit wie in ihren genetischen Beziehungen von der 
Hauptmasse der grünen Schiefer weit abweichen, und die mehr den Charakter von Glimmer- 
schiefern an sich tragen, aber diese bilden so untergeordnete Einlagerungen, dass sie auf 


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Auch 


267 


dem kleinen Kärtchen überhaupt vernachlässigt wurden. Am Südabhang haben wir da- 
gegen drei voneinander völlig verschiedene Schichtenkomplexe, von welchen jeder wieder 
aus einer Mehrheit durch Uebergänge miteinander verbundener Gesteine zusammengesetzt ist, 
wodurch der südliche Teil des Profils eine grosse Mannigfaltigkeit von Gesteinstypen erhält. 

Man könnte in diesen drei Horizonten mit einiger Leichtigkeit noch weitere, besonders 
hervortretende Unterscheidungen ausführen, und in der Gneis-Glimmerschieferzone z. B. 
die beiden ziemlich mächtigen Einlagerungen graphitischer Schiefer ausscheiden. In den 
Eklogiten sind nicht mächtige, aber konstante Horizonte von Glimmerschiefern und 
Cipollinen vorhanden und die Chloritschiefer-Kalkglimmerschieferzone bietet für 
solche Trennungen noch viel ausgedehntere Gelegenheit, indem hier nicht nur die beiden 
Haupttypen unterschieden werden könnten, sondern auch noch die mannigfaltige Facies der 
Kalkglimmerschiefer, welche zwischen nahezu reinen Kalken und quarzitischen 
Phylliten variieren. 

Für die hier in Betracht kommenden Zwecke, welche in erster Linie in einer petro- 
graphischen Deutung der Gesteine gegeben sind, erschienen diese eingehenden Detailaufnahmen 
ohne grösseren Nutzen; auch die Tektonik des (sebietes soll nur insoferne berührt werden, 
als es für die petrogenetischen Fragen von Bedeutung ist, und in dieser Beziehung kommen 
nur die hauptsächlichsten Grundzüge in Betracht, welche im allgemeinen von grosser Ein- 
fachheit sind. Wenn auch Verwerfungen am Rande des Granites gegen die Schiefer 
namentlich im Osten des Massivs von Löwl nachgewiesen sind, so sind diese den Rand des 
Granites abschneidenden Klüfte für das hier gesteckte Ziel ohne Bedeutung, da zu jener 
Zeit, als dieselben sich bildeten, der Gross-Venediger mitsamt seiner Schieferhülle schon 
das gewesen ist, was wir heute noch beobachten. 

Wie der Gesamtbau des Gross-Venedigers mit seiner weitgehenden Verschiedenheit 
zwischen Nord- und Südseite im Detail zu erklären ist, darüber steht dem Tektoniker die 
Entscheidung zu, jedenfalls ist die Annahme Löwls vom petrographischen Standpunkt aus 
direkt unmöglich, dass der Hornblendeschiefer der Nordseite in der ursprünglichen Wölbung 
in den Glimmergneis der südlichen Schieferhülle übergegangen sei. 

Das zentralgranitische Massiv des Gross-Venedigers stellt einen Ausläufer des 
Zillertaler- und Ahrntaler Hauptkammes dar, der von Osten her in mächtiger Entwicke- 
lung eindringend sich in eine Reihe von auskeilenden Zungen zerschlägt, deren bedeutendste 
jene ist, welcher die Haupterhebungen des Gebietes, speziell der Gross-Venediger selbst an- 
gehören. Diese Masse geht erst westlich von der Hauptgruppe des Gross-Venedigers unter 
die Schiefer hinab, während drei andere Zungen, welche durch ziemlich schmale Schiefer- 
mittel voneinander getrennt sind, schon im Hollersbachtal verschwunden sind. Die Abgren- 
zung dieser Zungen gegeneinander ist namentlich im Krimmler Achental eine wenig 
prägnante und wurde mehr auf Grund der mikroskopischen als der makroskopischen Eigen- 
schaften der dort gesammelten Gesteine ausgeführt. Doch sind die mikroskopischen Eigen- 
schaften der Einlagerungen an der Schachen- wie an der Söllnalpe im Krimmler Achental 
derart, dass man in denselben die allerdings stark resorbierten Reste schiefriger Gesteine 
deutlich erkennt. 

Die granitischen Gesteine dieser verschiedenen voneinander abgetrennten Teile haben 
in petrographischer Hinsicht übereinstimmende Beschaffenheit; vielleicht ist lokal die „Augen- 
struktur“ in den kleineren Partien stärker entwickelt als in dem früher beschriebenen 


268 


Zentralmassiv. Sonst könnte ich jener Beschreibung nichts hinzufügen, als das Vorkommen 
eines beryllhaltigen, etwas schiefrigen Granites an der Abichlalpe im Untersulzbach- 
tal, der ganz durchsetzt ist von kleinen, aber mit blossem Auge erkennbaren Beryllindividuen 
von lichtblauer Farbe. Ein ähnliches Gestein wurde früher von Duparce im Montblane- 
gebiet beobachtet. 

Es kann somit zur petrographischen Beschreibung der Schiefer übergegangen werden, 
welche die den Zentralgranit namentlich auf der Südseite umgebenden eigenartigen Gneise 
und Glimmerschiefer nebst den in diesen vorhandenen Graphitglimmerschiefern um- 
fasst, sodann auf die Kalkglimmerschiefer und Chloritschiefer der Südseite übergeht, 
an welche sich die Besprechung der Eklogite und endlich jene der Amphibolite und 
Grünschiefer der Nordabdachung anschliesst. 


1. Gneis. 


Zwischen die schiefrigen Zentralgranite und ihre umgewandelten Nebengesteine legen 
sich nicht selten an der Nordseite sowohl wie namentlich an der Südseite des Zentralmassivs 
gneisartige Gesteine von etwas abweichender Beschaffenheit, in welchen eine Mischung 
des eruptiven Materiales mit dem schiefrigen in dem ganzen Gesteinshabitus nicht zu ver- 
kennen ist. Auch die verschiedenen Granitkeile, die vom Ahrntaler Hauptmassiv auslaufend 
am Nordabhang des Gross-Venedigerstockes auseinander gehalten werden können, sind nicht 
selten durch solche vom Zentralgranit petrographisch abweichende Bildungen voneinander 
getrennt und lassen sich nach diesen auch kartographisch gegeneinander abgrenzen. Makro- 
skopisch allerdings ist dies zumeist recht schwer, doch zeigen die Gesteine schon äusserlich 
eine viel abwechselungsreichere Beschaffenheit als der schiefrige Zentralgranit selbst. 

Im allgemeinen ist vor allem hervorzuheben, dass sie ärmer sind an Feldspat, der 
in den äussersten Endgliedern nur mehr in vereinzelten Individuen, analog zu den „schistes 
feldspatises* auftritt, dass sie dagegen mehr Quarz enthalten und in: zahlreichen Vorkomm- 
nissen reich an Kalkspat sind, der allerdings bei makroskopischer Betrachtung leicht mit 
Feldspat verwechselt wird; des ferneren zeigt der Quarz in solchen Gesteinen mehr den 
normalen Fettglanz gegenüber der sandigen Beschaffenheit im Zentralgranit. Im grossen 
und ganzen ist aber die Diagnose auf Grund mikroskopischer Untersuchung viel leichter zu 
stellen, welche eben ergibt, dass das Mengeverhältnis der Bestandteile von dem typischen 
des Zentralgranites weit abweicht und mittels deren in zahlreichen Fällen sich die Bestand- 
teile der beiden miteinander gemischten Gesteine nebeneinder erkennen lassen. 

Das Vorkommen von Apophysen des Zentralgranites an den verschiedensten Stellen 
am Nordabhang wie auf der Südseite des Stockes wurde schon im zweiten Teil dieser 
Beiträge erwähnt, Apophysen, die namentlich in den massigen Amphiboliten des oberen 
Hollersbachtales die mannigfaltigsten Gangformen aufweisen, und häufig durch ein 
aplitisches Salband sich auszeichnen, in welchem man u. d. M. eine besonders bedeutende 
Menge von Klinozoisit erkennt, der wohl aus dem Nebengestein aufgenommen ist. Solche 
Apophysen sind häufig quer geschiefert, oft in recht vollkommener Weise, und diese Schie- 
ferung pflegt parallel zu jener in den Randzonen des Zentralgranites selbst zu verlaufen. 
Auch an den Abhängen des Happ gegen das Dorfer-Kees sind solche Gänge in grösserem 


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7 


269 


Masse zu beobachten, doch erscheinen die Abzweigungen des Granites und zwar sowohl die 
normal zusammengesetzten als die eigentlichen Aplite in dieser schiefrigen Umgebung viel 
häufiger in Form schmaler, langaushaltender Einlagerungen, welche mit den umgebenden 
Schiefern in mannigfaltiger Weise gebogen sind, und sich in erster Linie a ihre von 
jener der umgebenden Schiefer verschiedene Beschaffenheit auszeichnen. 

Besonders hervortretend ist natürlich der stark abweichende Habitus der Aplite, welche 
zum Teil wie am Sölln-Kar im Krimmler Achental aus einem feinkörnigen Quarz-Feldspat- 
mosaik bestehen, in welchem grössere, ganz durchlöcherte, blaugrüne Hornblendeskelette 
eingewachsen sind, in denen man grössere Mengen von wohl kristallisiertem Eisenglanz 
findet. Zum Teil zeigen sie, wie am Happ, eine ziemlich grobkörnige Beschaffenheit, 
u. d. M. mit deutlicher granulitischer Struktur; neben dem etwas getrübten Orthoklas, 
der gewöhnlich in Karlsbader Zwillingen auftritt, wurde Quarz als Hauptbestandteil beob- 
achtet, der bezeichnenderweise nicht kataklastisch ist. Der in nicht unbedeutender 
Menge vorhandene, lamellierte Plagioklas wurde nach der Methode von Fouque& als 
unzweifelhafter Albit bestimmt. Die im Zentralgranit gewöhnlichen Einschlüsse im Plagio- 
klas fehlen hier. Es sind ausserdem Muskowit und Chlorit in geringer Menge vorhanden 
und in Nestern zusammengehäuft trifft man einen grünen Biotit mit Einschlüssen eines 
violetten Minerales, das weiter unten näher besprochen werden soll und vermutlich eine 
Varietät von Orthit ist. Turmalin habe ich in diesen Einlagerungen selbst nicht ent- 
deckt, dagegen in Begleitung von einer derselben am Happ ein schwarzes, dichtes Gestein 
beobachtet, das u. d. M. aus einem wirren Filz von Turmalinnadeln besteht. 

Solche Einlagerungen, welche sich im Gebiet des Gross-Venedigers selbst allerdings 
nie weit von der Grenze des Granites entfernen, sind in den Ostalpen überhaupt ausser- 
ordentlich weit verbreitete Bildungen, welche bald felsitartig dicht sind wie die „Feld- 
steine* im Klausener Revier!) in Südtirol, bald grobkörnig und pegmatitartig wie in 
den Tiroler Marmorlagern?) oder in der Umgebung von Hüttenberg?°) in Kärnten 
bald auch eine mehr mittelkörnige Beschaffenheit aufweisen wie in dem hier in Frage 
stehenden Gebiet oder in den Graphitlagerstätten der Steiermark.*) Ueberall aber sind 
diese Bildungen, so lange sie in einer schiefrigen Umgebung auftreten, lagerartig ausgebildet, 
und es ist dann in erster Linie ihre abweichende Zusammensetzung, welche auf ihre 
Eigenschaft als Fremdlinge hinweist. Aber auch die Struktur dieser Gesteine ist oft 
in hohem Masse für eruptive Bildungen charakteristisch, wie die granulitische der Vor- 
kommnisss am Happ oder die mikropegmatitische jener von Klausen. Endlich ist die 
Gegenwart von Turmalin eine all diesen Vorkommnissen eigentümliche Erscheinung. Dass 
diese Gesteine echte Abzweigungen oder Nachschübe des Zentralgranites darstellen, lässt die 
Art des geologischen Auftretens derselben überall da deutlich erkennen, wo dieselben in 
weniger schiefrigen Gesteinen beobachtet werden, in denen sie sofort Gangform annehmen. 
Sehliesslich soll nicht unterlassen werden, darauf hinzuweisen, dass diesen aplitischen Gesteinen 


1) E. Weinschenk, Einige Beobachtungen über die Erzlagerstätte im Pfunderer Berg bei Klausen 
in Südtirol. Zeitschr. prakt. Geol. 1903, 66. 

2) E. Weinschenk, Die Tiroler Marmorlager. Ebenda 131. 

3) B. Baumgärtel, Der Erzberg bei Hüttenberg in Kärnten. Jahrb. geol. Reichsanst. 1902, 
LII, 219. 

4) EB. Weinschenk, Alpine Graphitlagerstätten. Diese Abh. 1900, XXI, II. Abt., 233. 


Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. II. Abt. 35 


270 


im Gegensatz zu den normalen Apophysen die Erscheinungen der Pi&zokristallisation 
im allgemeinen fehlen, wie auch kataklastische Erscheinungen in denselben nur selten zu 
finden sind. 

Erwähnt soll ferner in diesem Zusammenhang ein am Löbbentörl in der oberen 
Frossnitz auftretenden „Augengneis“ werden, der u. d. M. eine höchst merkwürdige 
Beschaffenheit hat. Die grösseren Feldspate sind die normalen einschlussreichen Feldspate 
des Zentralgranites, deren Zwischenmittel aber auf das Vollkommenste zerrieben ist, so dass 
die einzelnen Bestandteile nicht mehr zu erkennen sind. Zwischen diesem Gereibsel treten 
Haufwerke von klar durchsichtigen, nicht verzahnten und nicht kataklastischen Quarzkörnern 
auf, die offenbar erst später zugeführt wurden. 

Abgesehen von diesen lagerförmigen Apophysen innerhalb der Schieferhülle, welche 
sich als Granite, resp. Aplite charakterisieren, sind die zu Anfang dieses Kapitels erwähnten, 
etwas abweichenden gneisartigen Gesteine näher zu betrachten, die sich als eigentliche 
Mischgesteine zu erkennen geben; solche Gesteine umsäumen den eigentlichen Zentral- 
granit, öfter durch Lagen von Glimmerschiefern unterbrochen, auf der Südseite vom 
Krimmler Törl über das Happ zum Mullwitz-Aderl, dann zur Schwarzen Wand 
und Kristallwand und sie erreichen eine besondere Bedeutung in der oberen Frossnitz 
und namentlich im Gschlöss. Der Feldspatgehalt der Gesteine ist: sehr wechselnd: von 
einzelnen Individuen des charakteristischen, an Klinozoisit reichen Oligoklases, der mit 
demjenigen im Zentralgranit auf das Vollkommenste übereinstimmt, bis zu dem normalen 
Feldspatgehalt des Granites selbst findet man alle möglichen Zwischenstufen. Die eigen- 
tümlich gerundeten Karlsbader Zwillinge des daneben vorkommenden, gleichfalls sehr ein- 
schlussreichen Orthoklases zeigen oft der Schicht parallel hindurchsetzende, helizitische 
Bänder von Quarzkörnern; Glimmermembranen, ganz mit Graphit bestäubt, sind nicht 
seltene Erscheinungen und dazwischen bildet der Quarz bald ein nicht verzahntes und nicht 
kataklastisches Aggregat, bald ist die Verzahnung der Körner sehr ausgesprochen und hin 
und wieder trifft man auch ganz zertrümmerte Partien. Dieses Mineral bildet meist einen 
recht erheblichen Bestandteil des Gesteines. 

Glimmer, vorherrschend Muskowit in grösseren Täfelchen, ist fast überall in nicht 
unbedeutender Menge vorhanden; seltener ist der Biotit, der gewöhnlich löcherig ist, in 
einzelnen Gesteinen wurde auch Hornblende beobachtet. Granatmikrolithen sind weit 
verbreitet und besonders häufig tritt hier ein violett gefärbtes Mineral hervor, welches oft 
von einem Rand von farblosem Klinozoisit parallel umwachsen ist. Die leistenförmigen 
Durchschnitte sind nicht selten Zwillinge mit paralleler und gerader Auslöschung, die beiden 
Hälften mit entgegengesetztem Charakter der Hauptzone, zu welcher somit die Achsenebene 
quer liegt. In mehr rundlichen Durchschnitten wurde eine Auslöschungsschiefe bis zu 36° 
gegen die Zwillingsgrenze gemessen. Das Mineral ist positiv mit starker Lichtbrechung, 
sehr schwacher Doppelbrechung, hat einen ziemlich kleinen optischen Achsenwinkel und 
schwache Dispersion der optischen Achsen. Der Pleochroismus ist sehr ausgesprochen: a fast 
farblos, b violett mit Stich ins Grauliche und c lichtbräunlich; die Absorption am stärksten 
parallel zur Hauptzone (Unterscheidung von ähnlich gefärbtem Turmalin) b>c>a. Man 
wird das Mineral als einen verhältnismässig licht gefärbten Orthit bestimmen können, wo- 
mit auch die Erscheinung übereinstimmt, dass dasselbe in Chlorit und Biotit und besonders 
häufig in Muskowit von pleochroitischen Höfen umgeben ist. 


VON 


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271 


Diese gneisartigen Gesteine sind im allgemeinen nicht arm an Kalkspat, der die 
letzte Ausfüllung bildet, im Quarz eingeschlossen aber auch in deutlichen Rhomboädern 
auftritt. Ferner ist zu erwähnen die Häufigkeit des Rutils, der oft in nicht unbedeutender 
Menge vorkommt, ferner Titanit, Zirkon und Apatit, Schwefelkies und ein nicht 
bestimmbares schwarzes Erz. Auf das Vorhandensein von staubförmigem Graphit, der 
durch die Graphitsäurereaktion festgestellt ist, wurde oben schon hingewiesen. 


Die Unterschiede dieser Gesteine gegenüber den schiefrigen Zentralgraniten sind also 
recht bedeutende, und die Beteiligung sedimentären Materiales tritt in ihrer Struktur 
und mineralischen Zusammensetzung auf das Deutlichste hervor. Ebenso sicher aber ist ein 
Teil der Bestandteile des Granites neben diesen zu erkennen, namentlich der von Klino- 
zoisitmikrolithen erfüllte Oligoklas, welcher ausserhalb dieser Zone allen Schiefern völlig 
fehlt, hier aber weit verbreitet ist, wenn er auch, neben oder ohne Orthoklas, nur in einem 
oder einigen wenigen Individuen in den nun zum Glimmerschiefer zu rechnenden Gesteinen 
auftritt. In letzterem Fall möchte man am ehesten an einen „schiste feldspatise“ im Sinne 
der Franzosen denken, in welchem der Feldspat auf eine Art von pneumatolytischer Bildung 
zurückzuführen ist. 


Auf der Nordseite habe ich Gesteine, welche in diese Gruppe der von Granit 
durchtränkten Schiefer gehören, im Hollersbachtal in typischer Ausbildung nur ganz 
untergeordnet angetroffen; hier sind die Kontaktzonen durch die massenhaften Apophysen 
bezeichnet. Je mehr man aber nach Westen fortschreitet und je mehr die einzelnen Granit- 
zungen sich einander nähern, desto charakteristischer treten diese Gesteine auf, und die 
Trennung der verschiedenen Granite durch schiefrige Zwischenmittel, welche ich im Gegen- 
satz zu Löwl in die Karte eingezeichnet habe, ist im Krimmler Achental nur noch durch 
diese gneisartigen Gesteine gegeben. 


An der Söllnalpe sowohl als an der Inneren Schachenalpe im Krimmler Achental 
habe ich Gesteine dieser Art gesammelt, in welchen man die meisten Eigenschaften der 
oben geschilderten Vorkommnisse der Südabdachung wieder erkennt. Auch hier findet man 
den nicht kataklastischen Quarz stets als wichtigen Bestandteil des Gesteines und da- 
neben in nicht unbedeutender Menge den Kalkspat. Ausser einzelnen Körnern von perthi- 
tischem Orthoklas und an Klinozoisitmikrolithen reichem Oligoklas fallen aber einschluss- 

freie Individuen von Plagioklas auf, welch letztere als Albit bestimmt werden konnten. 

Neben grösseren, lichtgrünlichen Muskowitblättchen, die sich zu Membranen zusammen- 

legen, findet sich Biotit meist in winzigsten Schuppen und ebenso winzige, rundliche 
Titanite, während dagegen Zirkon in ungewöhnlich grossen Individuen auftritt. 


Ein gneisartiges Gestein von der Inneren Ofenalpe im Hollersbachtal lässt gleichfalls 
einschlussreiche und einschlussfreie Plagioklase nebeneinander erkennen, erstere als Oligoklas, 
letztere als Albit bestimmbar. Der Quarz ist hier etwas kataklastisch. Biotit tritt zum 
Teil in grösseren Blättchen, zum Teil in winzigen, überall zerstreuten Fetzen auf; ferner 
ist Hornblende öfter in kleinen, eiförmigen Individuen vorhanden. Klinozoisit enthält 
das Gestein in ziemlicher Menge, namentlich als Einschluss im Biotit kristallographisch wohl 
begrenzt; fast jedes Korn hat einen braunen pleochroitischen Kern, der wohl Orthit ist. 
Es findet sich aber ausserdem ein farbloses, optisch stark anomales Mineral in dem Gestein 
vor, das im Biotit pleochroitische Höfe hervorbringt, und das in Analogie mit anderen Vor- 


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272 


kommnissen gleichfalls als Orthit!) anzusprechen sein dürfte. Endlich ist Muskowit in 
dünnen Leisten, viel Rutil, gedrungene Kristalle von Xenotim oder Zirkon, Apatit und 
Titanit vorhanden, letzterer in Form der sogenannten Insekteneier. 

In einem entsprechenden Gestein unterhalb der Grossen Weidalpe im Habachtal 
wurde ausserdem noch in ziemlicher Menge ein nicht bestimmbares Mineral aufgefunden, 
dessen Eigenschaften folgende sind: farblos mit zwei vollkommenen, aufeinander senkrechten 
Spaltrichtungen, parallell zu welchen die Auslöschung erfolgte, Lichtbrechung ca. 1.62, Doppel- 
brechung sehr schwach. Optisch zweiachsig mit sehr kleinem Achsenwinkel und schwacher 
Dispersion, positiv. In zahlreichen Punkten ist also volle Uebereinstimmung mit Zoisit ß 
vorhanden, von welchem das hier beobachete Mineral in erster Linie sich durch die viel 
niederere Lichtbrechung unterscheidet. Eine Isolierung des Minerales, welches in zahl- 
reichen, aber meist recht kleinen und ganz unregelmässigen Körnern in dem Gestein vorhanden 
ist, gelang nicht, und es konnte daher auch chemisch nichts weiter festgestellt werden. 


2. Glimmerschiefer. 


Einlagerungen eigentlicher Glimmerschiefer, welche meist vorherrschend aus Quarz 
und Muskowit mit oder ohne schon makroskopisch erkennbare Granaten bestehen, und die 
besonders gerne den Charakter von Knotenglimmerschiefern annehmen, sind mit den eben 
besprochenen Gneisen auf der Nordseite wie auf der Südseite so aufs innigste verknüpft, 
dass eine Trennung auf der Karte nicht möglich ist. Ebensowenig erschien es durchführbar, 
die meist sehr schmalen Lagen von hieher gehörigen Gesteinen innerhalb der Amphibolite 
und Grünschiefer der Nordabdachung oder der Eklogite im Süden auszuscheiden; dazu 
wären Aufnahmen in sehr grossem Massstab notwendig geworden. Trotz der quantitativ 
recht untergeordneten Bedeutung, welche die namentlich am Nordabhang in einer ganzen 
Reihe von schmalen Streifen sich wiederholenden Glimmerschiefer für den Bau des ganzen 
Gebirges haben, ist ihre Beschaffenheit doch interessant genug, um eine eingehendere Be- 
sprechung zu lohnen. 

Die Vorkommnisse zwischen Geister- und Söllnalpe im Krimmler Achental kann 
man ebensogut noch als feldspatarme Gneise bezeichnen; Orthoklas wie Plagioklas in 
derselben Ausbildung wie im Zentralgranit sind in einzelnen Individuen vorhanden; ausser- 
dem beobachtete ich ein grösseres Korn, bestehend aus zwei verschieden stark lichtbrechenden, 
nicht lamellierten Feldspaten, welche durcheinander und noch ausserdem von Quarz poikilitisch 
durchwachsen waren. Grosse Epidotzwillinge sind hier besonders auffallend. Eine der 
Schichtung entsprechende Abtrennung in verschieden zusammengesetzten Lagen tritt deutlich 
hervor. Aehnliche Gesteine liegen auch aus dem Hollersbach- und Habachtal vor, ersteres 
besonders ausgezeichnet durch sein ziemlich grobkörniges Quarzmosaik, welchem jede Zer- 
trümmerung fehlt. Ein Vorkommnis an der Warnsdorfer Hütte, welches, wie die Karte 
zeigt, schon der südlichen Schieferhülle angehört, zeigt mit den sofort zu besprechenden 
Gesteinen des Südabhanges grössere Uebereinstimmung. 


I) Vergl. B. Baumgärtel, 1. c. 228. 


I 


273 


Unter den Glimmerschiefern der Südseite sind völlig feldspatfreie Gesteine weit 
verbreitet. Der Hauptbestandteil derselben ist Quarz, welcher bald grobkörnig bald fein- 
körnig ausgebildet ist, hier ein einfaches Mosaik von Körnern bildet, dort aufs innigste 
verzahnte Strukturen aufweist. Kataklasen zeigt das Mineral im allgemeinen nicht, auch 
da nicht, wo die Aggregate sehr grobkörnig sind, doch liegt andernteils z. B. aus dem 
hinteren Umbaltal ein Glimmerschiefer mit ausgezeichneter Mörtelstruktur vor. 

Makroskopisch sind die Gesteine stets durch Muskowitmembranen dünnschiefrig 
und entsprechend dem Vorherrschen dieses Glimmers licht gefärbt, — so namentlich an der 
Zopetspitze, — wenn nicht Graphit als färbendes Pigment hinzutritt und sich allmähliche 
Uebergänge in die nächste Gruppe der Graphitglimmerschiefer einstellen. Die Zwischen- 
glieder sind besonders ausgezeichnete Knotenschiefer, deren Knoten bald graphitreiche 
Granaten bald Zoisitindividuen sind. In den graphitarmen Glimmerschiefern treten die 
Granaten häufig mit blassrötlicher Farbe deutlicher hervor, ausserdem beobachtet man in 
diesen nicht selten in Menge schwarze Nadeln von Turmalin. Ein grünlicher Glimmer- 
schiefer, in welchem Chlorit mit Muskovit zusammen die Membranen bildet, stammt von 
der Weissenecker Scharte gegen das Gschlöss zu. Linsenförmige, offenbar sekundäre 
Quarzaggregate sind fast allenthalben vorhanden. 

Unter dem Mikroskop beobachtet man häufiger die Beteiligung des Chlorites an 
den Membranen, in denen sich gerne der Graphitstaub konzentriert. Rhombo&drische 
Karbonate pflegen nicht zu fehlen; wie die rostige Verwitterung zeigt, sind die nicht 
lamellierten Körner derselben stark eisenhaltig. Die Granaten erweisen sich u. d. M. nur 
als feines Geäder, dessen Maschenwerk von weit vorherrschendem Quarz ausgefüllt ist; nicht 
selten ist der Granat umgewändelt und zu Aggregaten von Chlorit und Biotit, resp. auch 
von Karinthin geworden. 

Diese Glimmerschiefer sind die eigentliche Heimat von Zoisit ß, der in unregelmässig 
umgrenzten, löcherigen und oft sehr einschlussreichen, grösseren Individuen auftritt, die, wie 
schon bemerkt, einen Teil der Knoten bilden und auch in Bezug auf ihre löcherige Be- 
schaffenheit und ihren Einschlussreichtum mit den gewöhnlichen Knoten der Knotenschiefer 
übereinstimmen. Ausser diesem wurde von Gliedern der Epidotgruppe mit einer einzigen 
Ausnahme nur der violette Orthit, oft in ziemlicher Menge und zum Teil in wohl aus- 
gebildeten Kristallen aufgefunden. Eine Ausnahme bildet ein feldspatführender Glimmer- 
schiefer von der Rothen Säule, der aber in nahen Beziehungen zum Kalkglimmer- 
schiefer steht und Klinozoisit enthält. 

Abgesehen von dem Auftreten in Membranen trifft man einzelne grössere Blättchen 
von Muskowit, oft ganz mit Quarz durchwachsen, in beliebiger Stellung zur Schieferungs- 
fläche, und in ähnlicher Ausbildung ist Chlorit vorhanden, bald in schön lamellierten 
Durchschnitten mit normalen Interferenzfarben bald nicht lamelliert mit dem tiefdunklen 


_ Blau der niedersten Ordnung, und dann mehr zu radialer Anordnung neigend. Der Orthit, 


der in beiden als Einschluss auftritt, ist von pleochroitischen Höfen umgeben. Biotit ist 


überhaupt selten, in grösserer Menge namentlich in einem Gestein am Abbruch des Schlaten- 
keeses vorhanden. 

Ein braunvioletter Turmalin, senkrecht zur Hauptzone fast völlig absorbierend, ist 
weit verbreitet und öfter in deutlich hemimorphen Kristallen beobachtet worden. In kleinen 


Nadeln ist er in Massen in den Knoten von Granat und Zoisit vorhanden. Wo Feldspat 


274 


auftritt, konnte derselbe, obwohl ihm die Lamellierung fast durchgängig fehlt, als Albit 
bestimmt werden. Derselbe enthält bald massenhafte Glimmerschüppchen bald haufenweise 
Einsehlüsse von Rutil und Graphit, welche ihn in helizitischer Anordnung durchziehen, oder 
es setzen feinkörnige Quarzlagen durch denselben hindurch. Auf Spaltrissen wurde vereinzelt 
die Bildung von Kalkspat beobachtet. 

Rutil ist äussert verbreitet, namentlich auch als Einschluss in den grösseren Einspreng- 
lingen, er ist zum Teil gelb durchsichtig und dann wenig pleochroitisch, teils tiefviolett mit 
stärkerer Absorption parallel zur Hauptzone. Zirkon findet sich hin und wieder in ein- 
zelnen grösseren Kristallen. Ferner beobachtet man Magnetkies und ein schwarzes 
Erz, zum Teil Magneteisen in grössseren Körnern, manchmal auch in guten Kristallen, 
daneben aber auch sicher Titaneisen mit beginnender Leukoxenbildung. Endlich, nicht gerade 
häufig, ist Apatit vorhanden. 

In ganz untergeordneter Menge trifft man ausser diesen ein im Dünnschliff licht gelb- 
bräunliches Mineral von sehr kräftiger Lichtbrechung und ziemlich schwacher Doppelbrechung 
mit ungemein lebhaften, anomalen Interferenzfarben, welches für Rot annähernd einachsig, 
für Blau zweiachsig mit einem Achsenwinkel von ca. 90° ist und das nur als Chryso- 
beryll angesehen werden kann. 


Die Schichtstruktur der Gesteine tritt nicht nur durch die Glimmermembranen 
deutlich hervor, welche die einzelnen, vorherrschend aus Quarz bestehenden Lagen abtrennen, 
sondern ebenso auch durch die verschiedene Korngrösse des Quarzes in den einzelnen Schichten 
und die wechselnden Mengenverhältnisse der übrigen Mineralien. 


Ein äusserlich glimmerschieferähnliches Gestein von den Gastacher Gewänden 
verdient noch besonders hervorgehoben zu werden, weil in diesem die eigentümlich unregel- 
mässig radialen und zerkräuselten Aggregate des Saussurits, welche bei den Eklogiten 
näher beschrieben werden, öfter in scharf abgegrenzter Leistenform einen nicht unbedeutenden 
Gesteinsbestandteil darstellen. In dem Saussurit selbst wurde Klinozoisit und eine strahl- 
steinartige Hornblende bestimmt; ausserdem bildet der nicht kataklastische Quarz den 
Hauptbestandteil des Gesteines, das im übrigen normale Zusanımensetzung und Struktur der 
beschriebenen Glimmerschiefer hat. 

Schliesslich muss noch ein unbestimmbares Mineral erwähnt werden: In einem Glimmer- 
schiefer aus dem hintersten Um-baltal, welcher etwas graphithaltig ist, finden sich schon 
makroskopisch erkennbare, prismatische, schwarze Kristalle, welche u. d.M. farblos, aber von 
Graphit in helizitischer Anordnung und anderen Einschlüssen erfüllt sind. Das Mineral ist 
schwach licht- und doppelbrechend ähnlich dem Quarz, mit wenig schiefer Auslöschung, und 
zeigt quer zur Längsrichtung scharfe Spaltrisse, welche in einem senkrecht zur ersten, po- 
sitiven Bisektrix orientierten Schnitt 80° mit der langen Kante bilden. Parallel zu diesen 
Rissen liegt die Achsenebene; 2 E ist ca. 100°, die Dispersion sehr schwach. Das vorliegende 
Mineral konnte nicht identifiziert werden und wegen der Menge der Einschlüsse musste auch 
auf eine chemische Untersuchung verzichtet werden. 


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275 
3. Graphitglimmerschiefer. 


Die normalen lichten Glimmerschiefer gehen hauptsächlich in zwei Niveaus an der 
Südseite rasch in schwarze, graphitreiche Schiefer über, welche man am besten als Graphit- 
glimmerschiefer bezeichnet, obwohl sie sich schon äusserlich, abgesehen von der Färbung, 
in mehreren Punkten von den eigentlichen Glimmerschiefern entfernen. 

Die eine dieser nicht unbedeutenden Einlagerungen tritt direkt am Granitkontakt auf, 
innerhalb der meist noch recht gneisartigen Glimmerschiefer, die auch mit zahlreichen 
Bändern der Mischgesteine abwechseln. Man beobachtet zunächst kleine, dunklere Schmitzen 
und Bändchen innerhalb der lichten Gesteine und gelangt dann an eine ziemlich mächtige 
Lage schwarzer Schiefer, welche vom obersten Krimmler Achental, wo der Südrand des 
Granites auf die Nordseite des Massivs übergreift, über das Maurertörl, das Dorfer Kees 
und die Schwarze Wand bis ins oberste Gschlöss verfolgt werden konnte. Der andere 
Horizont dieser Graphitglimmerschiefer findet sich dagegen in der obersten Abteilung der 
Gneis-Glimmerschieferetage, unweit der Grenze gegen den Eklogit. Sie wurde verfolgt von 
den obersten Terrassen des Umbaltales über das Türmljoch, das vom Maurertal in das 
Isliztal hinüberführt, zum Klexenkopf und auch im Gschlöss konnte, wenn auch stark 
zerdrückt, die letzte Spur dieser Einlagerung konstatiert werden. 

Die Mächtigkeit dieser beiden Einlagerungen, deren Schichten in ganz besonders 
intensivem Masse gefaltet und gefältelt sind, ist eine recht wechselnde, an einzelnen 
Stellen über 100 m anschwellend, an anderen nur einige Meter mächtig. Da die Zone, in 
welcher diese Schiefer auftreten, stark vergletschert ist, zeigen sich die Spuren der aus den 
Eismassen emporragenden, meist recht schroffen Grate der Graphitglimmerschiefer häufig 
in besonders ausgezeichneter Weise in den Endmoränen, und die Zungen der Gletscher, die 
von solchen herabkommen, sind schon auf weite Entfernung durch einen schmutzig grauen 
Ton ausgezeichnet, welcher von dem massenhaft vorhandenen Graphit herrührt. 

Kleine Quarzlinsen, oft granathaltig, sind weit verbreitet, gewöhnlich aber von so 
geringen Dimensionen, dass man sie erst bei genauerer Betrachtung erkennt. Dagegen ist 
allenthalben ausgezeichnet erkennbar der Charakter von Knotenschiefern, wobei die Knoten 
bald aus Granaten bald aus spiegelnd spaltbarem Feldspat, seltener auch aus Zoisit be- 
stehen. Diese Schiefer sind stets vollständig schwarz und abfärbend, sie sind gute Leiter der 
Elektrizität, obwohl ihr Graphitgehalt im Durchschnitt nur zwischen fünf und zehn Prozent 
variiert. Ausser den erwähnten Knoten beobachtet man namentlich an dem Vorkommen am 
Maurertörl grössere Blättchen von Biotit und Chlorit, ferner besonders am Türmljoch 
grössere Turmalinprismen, deren Ausbildung eine höchst eigenartige ist. Die Nadeln des 
Turmalins durchdringen die phyllitartig dichte, schwarzglänzende Masse der sehr dünn- 
schiefrigen, aber stets stark gefältelten Schiefer in beliebiger Richtung, sich niemals an die 
Schieferungsfläche selbst anlegend, sondern selbst die schärfsten Falten quer durchsetzend. 
Dabei sind sie öfter in merkwürdig verästelter Weise miteinander aggregiert, so dass man 
bei oberflächlicher Betrachtung organische Formen vor sich zu haben meint. 

Auch sonst finden sich in dem in Betracht kommenden Gebiete schwarze, graphitreiche 
Schiefer, so namentlich im Gebiete der Kalkglimmerschiefer, welche aber im Gegensatz 
_ zu den hier erwähnten viel matter und dichter erscheinen und namentlich der Knoten, wie 
überhaupt aller makroskopisch erkennbaren Gemengteile entbehren, und mit diesen über- 


j 


276 


einstimmend sind untergeordnete Einlagerungen in den sogenannten Krimmler Schichten; 
der durchaus phyllitähnliche Charakter dieser Gesteine steht im Gegensatz zu dem kristal- 
linischen der hier betrachteten Vorkommnisse. Anderenteils trifft man graphithaltige Glimmer- 
schiefer innerhalb der Eklogitzone, die aber stets viel ärmer an Graphit sind und daher 
auch niemals rein schwarze Farbe aufweisen. Abgesehen von der ausgezeichneten Ausbildung 
der Knoten haben diese vielmehr Analogie mit den normalen Glimmerschiefern und wurden 
daher schon bei diesen eingehender betrachtet. 

Was die mikroskopische Beschaffenheit der beiden Einlagerungen von Graphitglimmer- 
schiefer in der Gneis-Glimmerschieferzone betrifft, so ist der weit vorherrschende Bestandteil 
derselben ein Serizit, der in stark mit Graphit bestäubten Membranen in den mannig- 
fachsten Windungen und Biegungen auftritt, hin und wieder unterbrochen von grösseren 
Einsprenglingen, durch welche im allgemeinen der Graphitstaub der gewundenen Schichtung 
parallel in helizitischer Weise hindurchsetzt. In dem Vorherrschen dieser meist sehr 
feinen serizitischen Membranen und dem damit Hand in Hand gehenden Verschwinden des 
Quarzes ist der hauptsächlichste Unterschied dieser Gesteine gegenüber den vorher besprochenen 
Glimmerschiefern gegeben. Nur selten nimmt an der Zusammensetzung dieser Membranen 
etwas Biotit oder Chlorit teil, dagegen beobachtet man häufig grössere Körner schwarzer 
Erze in denselben und in ziemlicher Verbreitung, aber durchaus nicht überall kleine 
Nädelchen von bald gelbem bald violettem Rutil. 


Der Graphit ist niemals kristallisiert, sondern stellt selbst bei stärkster Vergrösserung 
noch einen feinen formlosen Staub dar, übereinstimmend mit der Ausbildung des Graphitoids, 
der vor einigen Jahren wieder von Rosenbusch!) eine erneute Untersuchung erfahren hat. 
Die von mir seinerzeit veröffentlichten Untersuchungsresultate,2) welche mich zu der Ueber- 
zeugung führten, dass der sogenannte Graphitoid nichts weiter ist als feinverteilter Graphit, 
also der Name Graphitoid einfach zu streichen ist, betreffen speziell auch die hier be- 
trachteten Gesteine. 


Dieselben wurden von Rosenbusch in keiner Weise in Betracht gezogen; die von 
mir ].c. angegebene Unterscheidung von amorpher Kohle, als welche der Graphitoid an- 
gesehen wird, gegenüber von Graphit durch die Graphitsäurereaktion, die nur echter Graphit 
gibt, wurde an den von Rosenbusch studierten Vorkommnissen nicht einmal versucht. 
Auf die Bedeutung des in jener Abhandlung nachgewiesenen Stickstoffgehaltes von 0.08 
bis 0.012°/, in dem „Graphitoid“ bin ich schon an anderer Stelle?) zu sprechen gekommen, 
ich kann mich also hier darauf beschränken, zu konstatieren, dass auch heute noch kein 
Grund vorliegt, den Graphitoid als eine irgendwie von Graphit abweichende 
Substanz anzusehen, dass derselbe sich zum Graphit vielmehr etwa so verhält 
wie Kreide zu Kalkspat, wobei nur die Undurchsichtigkeit des Graphites die 
Ursache bildet, dass eine derartige Abtrennung überhaupt versucht wurde, 


) H. Rosenbusch, Studien im Gneisgebirge des Schwarzwaldes. Abh.' bad. geol. Landesanst. 
1899, IV, 9. 

2) E. Weinschenk, Ueber den Graphitkohlenstoff und die gegenseitigen Beziehungen zwischen 
Graphit, Graphitit und Graphitoid. Zeitschr. Krystallogr. 1897, XXVIII, 291. 

®) E. Weinschenk, Zur Kenntnis der Graphitlagerstätten II. Alpine Graphitlagerstätten. Diese 
Abh. 1900, XXI, II. Abt., 260. 


277 


Bei dieser Gelegenheit möchte ich übrigens einen kleinen Irrtum rektifizieren, der mir 
seinerzeit bei meinen Untersuchungen über Graphit unterlaufen ist und der auch in mein 
kleines Lehrbuch!) überging. Die Unterscheidung von Graphit gegenüber amorpher Kohle 
mittels der elektrischen Leitungsfähigkeit ergab sich bei eingehenderen Untersuchungen als 
nicht durchführbar, indem z. B. Schungit von Schunga, Gouv. Olonetz, der die Graphit- 
säurereaktion nicht gab, also wohl zweifellos amorpher Kohlenstoff ist, in dieser Beziehung 
sich nahezu gleich mit echtem Graphit verhielt. 


Unter den grösseren Einsprenglingen ist Feldspat am häufigsten, makroskopisch 
schon durch seine glänzenden Spaltflächen auffallend, u. d.M. tadellos frisch und völlig klar 
durchsichtig. Kristallographische Umgrenzung ist kaum vorhanden: es sind gerundete Körner, 
häufig einfache Zwillinge ohne eine Spur von Spaltbarkeit, nur selten mit ganz vereinzelten 
Zwillingslamellen. Das Mineral enthält öfter Einschlüsse von Quarz, gegenüber von welchem 
seine Lichtbrechung in jeder Richtung schwächer ist. Besonders hervortretend ist die heli- 
zitische Struktur, welche an keinem Mineral so prachtvoll auftritt wie am Feldspat. Im 
allgemeinen haben die Feldspate einen schmalen oder auch breiteren, völlig einschlussfreien 
Rand, der ziemlich scharf abgegrenzt ist und erst innerhalb dieses Randes trifft man die 
gewundenen Bänder der Graphiteinschlüsse, welche die helizitische Struktur bedingen. (Vergl. 
Taf. III, Fig. 1—4.) In Gesteinspartien, wo diese Feldspate sich häufen, erscheint im ge- 
wöhnlichen Licht ein eigentümlich breccienartiges Bild (Taf. III, Fig. 5), indem die heli- 
zitischen Kerne der Feldspate als scharf umrandete Bruchstücke von den klaren Rändern 
wie von einer Zwischenmasse umhüllt werden. Alle Bestimmungen, welche an diesen Feld- 
spaten gemacht werden konnten, ebenso wie die mikrochemischen Versuche weisen auf 
reinen Albit. 


Der zweithäufigste unter den Einsprenglingen ist der Granat, zum Teil in fast ein- 
schlussfreien, schlecht begrenzten Kristallen, zum Teil aber auch reich an Einschlüssen von 
Graphit. In den verschiedenen Schliffen beobachtet man in recht charakteristischer Weise 
das eigentümliche Widerspiel zwischen der Tendenz des Granates seine Einschlüsse konzentrisch 
anzuordnen und deren ursprünglicher Richtung. Die Zonarstruktur wird nur selten voll- 
kommen, es tritt vielmehr in den einzelnen einschlussreicheren Zonen stets die helizitisch 
gewundene Anordnung deutlich hervor (Taf. IV, Fig. 1). Der Granat ist manchmal von 
Chlorit umrandet oder unter Erhaltung der eigenartigen Anordnung seiner Einschlüsse 
ganz in Chlorit umgewandelt, so namentlich am Klexenkopf (Taf. IV, Fig. 2). Wenn 
zufällig quarzreichere Lagen auftreten, verliert der Granat seine kompakte Beschaffenheit 
und wird zu dem eigentümlichen Maschenwerk, das bei den Glimmerschiefern beschrieben 
wurde (Taf. IV, Fig. 3). Bemerkenswert ist die rissige Beschaffenheit der Granatkörner, 
wobei, wie das auch von Rosenbusch mehrfach betont wurde, die Risse im ganzen Gestein 
“ annähernd parallel laufen, also von der Orientierung des Granates unabhängig sind. An 
Stelle des Granates tritt nur selten und nur in graphitärmeren Gesteinen der Zoisit ß; 
gleichzeitig damit nimmt der Quarzgehalt, der in den normalen Graphitglimmerschiefern 
nur in Spuren vorhanden ist, bedeutend zu und es tritt ein eisenhaltiges Karbonat in 
grösserer Menge ein. Kataklasen zeigt der Quarz auch hier im allgemeinen nicht. 


1) E. Weinschenk, Die gesteinsbildenden Mineralien. Freiburg 1901, 8.53. 


Abh.d. Il. Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. Il. Abt. 36 


278 


Chlorit findet sich zum Teil in Nestern, zum Teil in grösseren Blättchen und dann 
stets quer zur Schiehtung und Schieferung des Gesteines. Er besitzt äusserst schwache 
Doppelbrechung mit anomalen Interferenzfarben und zeigt öfter einen Wechsel von ein- 
schlussarmen und -reichen Lamellen, auch ganz eigenartige, Kornähren nicht unähnliche 
Zeichnungen treten durch die Anordnung der Einschlüsse hervor (Taf. V, Fig. 5); häufig ist 
er mit Biotit verwachsen. Letzteres Mineral ist ein seltener Bestandteil der Membranen, 
etwas verbreiteter ist es namentlich in den Graphitglimmerschiefern am Maurertörl in 
grossen, zur Schiehtung beliebig angeordneten, häufig geradezu prismatischen Kristallen, 
welche bald eine graphitreiche Mittelschicht haben und oben und unten einschlussfrei sind 
bald die helizitische Struktur prachtvoll zeigen und dann gerne in die Schichten des Neben- 
gesteines hinein ausgezerrt erscheinen. (Vergl. Taf. III Fig. 6.) Neben dem Biotit finden 
sich Individuen von Muskowit bald einschlussfrei bald mit chiastolithartiger Struktur oder 
Nester von solchen, die eine eigentümliche Beschaffenheit zeigen. Die einzelnen Blättchen 
sind unvollkommen radial gestellt und oft stark gebogen, wobei sie ein prehnitähnliches, 
parkettiertes Aussehen annehmen; es schieben sich dann zwischen diese fingerähnlichen 
Muskowitblättehen derbe Lagen von Graphit ein. 

Der Turmalin tritt fast nur in schon makroskopisch erkennbaren Individuen auf, 
welche im Dünnschliff braun sind und bald eine durch die Graphiteinschlüsse hervorgebrachte 
Zonarstruktur aufweisen, stellenweise aber auch eine recht vollkommen helizitische Anord- 
nung der Einschlüsse zeigen. Endlich mag noch das Vorkommen grösserer Titanite, 
gleichfalls mit helizitischer Struktur erwäbnt werden sowie dass der Rutil in winzigen 
Nädelchen, öfter aber in grösseren, besonders schönen, herzförmigen Zwillingen (Taf. V, 
Fig. 4) in zahlreichen von diesen Gesteinen auftritt. 


4. Kalkglimmerschiefer. 


Neben den Chloritschiefern bilden die Kalkglimmerschiefer das hauptsächlichste 
Glied in der äusseren Zone der Schieferhülle. Es sind ungemein wechselvolle Gesteine, bald 
recht vollkommen kristallinisch, mit deutlich hervortretenden Glimmerblättehen und einer 
lichten, mittelkörnigen Kalkspatgrundmasse, bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck 
eines Gneises hervorrufend, bald phyllitartig dicht, dann meist arm an Kalkspat und 
infolge eines Gehaltes an Graphit von dunkler Farbe. 

Auch die Mengenverhältnisse der einzelnen Mineralien sind veränderlich; Einlage- 
rungen von plattigen, meist grauen, ziemlich feinkörnigen Kalken, in denen die weiteren 
Gemengteile makroskopisch nicht erkennbar sind, treten an mehreren Stellen in nicht un- 
bedeutender Mächtigkeit auf und sind dann durch recht schroffe Bergformen ausgezeichnet, 
so z. B. an dem Hügel, der die Häusergruppe Wallhorn bei Prägraten trägt oder jenseits 
der Isel gegenüber von Bobojach. Anderseits beobachtet man den Uebergang in kalkspat- 
freie Quarzite, welche meist licht gefärbt sind, bald körnige Beschaffenheit aufweisen bald 
wetzsteinartig dicht und dann ganz dünnplattig sind, wie in der unteren Mullitz. In den 
schwarzen, phyllitartigen Schiefern, die z. B. an der Dabernitz vorkommen, bilden die 
mit Graphit bestäubten Serizitmembranen den Hauptbestandteil des Gesteines, während sonst 
in dieser Gruppe die Glimmer gewöhnlich keine Neigung besitzen, sich zu membranartigen 


‚ia 


279 


Aggregaten zusammenzufinden. Endlich mögen noch Einlagerungen von Schwefelkies 
erwähnt werden, wie eine solche von geringer Mächtigkeit, aber aushaltend im Streichen in 
der Sojet vorhanden ist, die sich bis ins Ahrntal hinüber verfolgen lässt, wo sie an Mächtig- 
keit bedeutend zunimmt, so dass sie dort bergmännisch ausgebeutet wird. Das Erz ist fast 
reiner, körniger Schwefelkies, welcher oberflächlich natürlich etwas oxydiert ist, so dass die 
Ausbisse dieser Einlagerung schon auf weitere Entfernung an der rostbraunen Färbung der 
Hänge deutlich ist; doch ist die Oxydationsschicht nirgends bedeutend, wie überhaupt das 
Vorwiegen der Denudation über die Verwitterung die Gebiete der Zentralalpen auszeichnet. 

Die wechselnde mineralische Zusammensetzung bringt äusserst verschiedenartige Berg- 
formen mit sich, deren ausgesprochenste die unter steilem Winkel aufsteigenden und oft 
überhängenden Wände der Roten Säule bei Prägraten und der Bretterwände bei Virgen 
(Taf. I, Fig. 2) darstellen, welche aus dem normalen, dünnplattigen Typus der an Glimmer 
und Quarz mässig reichen, gneisartigen Kalkglimmerschiefer bestehen und die infolge eines 
stets vorhandenen Gehaltes an Kiesen ein licht bräunlichrötliche Färbung erhalten haben. 
Besonders schöne Schuttkegel bilden sich an den im Kalkglimmerschiefer aufsetzenden 
Runsen und am Fuss der Wände findet man allenthalben Aufschüttungen von lockeren, 
zermorschten Gesteinsgrus. Massige Formen mit schroffen Abstürzen zeigen dagegen die 
meist dunkeln oder auch deutlich gebänderten Kalkeinlagerungen, während die phyllitartigen 
Schiefer zu gerundeten Bildungen führen. 

Trotz dieses Wechsels in der Zusammensetzung der hier zu betrachtenden Gruppe wird 
man den Namen „Kalkglimmerschiefer“ beibehalten, da die hiedurch bezeichneten 
Gesteine weitaus vorherrschend sind und die übrigen nur lokale Faciesbildungen derselben 
darstellen. Ich möchte auch nicht, wie das von anderer Seite geschieht, statt dessen die 
Gesteine als Kalkphyllitgruppe zusammenfassen, da eben die hauptsächlichsten Repräsen- 
tanten so gar nicht den Charakter von Phylliten zeigen und in ihrer deutlich kristallinischen 
Ausbildung sich von den anderwärts zu beobachtenden Kalkphylliten petrographisch ebenso 
unterscheiden, wie etwa die Glimmerschiefer von der Gruppe der Quarzphyllite. 

Die normalen Kalkglimmerschiefer lassen makroskopisch Kalkspat, Quarz und 
lichten Glimmer (an dessen Stelle hin und wieder, so unterhalb des Islitzfalles in der 
Dorfer Alpe oder an der höchsten Stelle des Fussweges von Virgen nach Prägraten 
Fuchsit tritt) sowie meist geringe Mengen von Schwefel- oder Magnetkies erkennen, 
Sie sind bald ganz licht bald durch beigemengten Graphit graulichblau und zeigen im 
allgemeinen eine deutliche, ziemlich ebene Schieferung, welche der Schichtung parallel 
geht. Im Gebiete des Gross-Venedigers selbst wenigstens ist die ebene Beschaffenheit der 

 Schieferungsflächen vorwiegend, was gegenüber den oft stark gefalteten Zwischenlagerungen 
von Chloritschiefer hervorgehoben zu werden verdient. In anderen Teilen der Hohen Tauern, 
so z. B. im Fuscher Tal bei Dorf Fusch sind ganz analoge Gesteine völlig durcheinander 
_ geknetet, besitzen dann aber meist keine Spur einer Schieferung. 

Die mikroskopische Untersuchung zeigt gewöhnlich als vorherrschendes Mineral 

den Kalkspat, meist in wenig verzahnter Struktur, arm an Zwillingslamellen und nur 

ausnahmsweise mit mechanischen Störungen, die allerdings lokal bis zur völligen Zermal- 

mung geht. Neben ihm ist Quarz in ungemein wechselnder Menge der wichtigste Bestand- 

teil, bald in einzelnen gerundeten Körnern, welche sich den Formen des Quarzes der Quarz- 

porphyre nähern (Taf. IV, Fig. 5), öfter mit Einschlüssen von Kalkspatrhombo&dern, bald in 
36” 


280 


Haufwerken soleher Körner oder endlich auch in Form eines Kittes zwischen den einzelnen 
Kalkspatkörnern (Taf. IV, Fig. 6). Quarz und Kalkspat sind also hier fast gleichzeitig 
kristallisiert und zwar nach den übrigen Bestandteilen. Auch der Quarz ist meist nicht 
kataklastisch und zeigt Störungen nur da, wo auch der Kalkspat deformiert ist. 

Von weiteren Mineralien ist in erster Linie ein farbloser Glimmer zu erwähnen, in 
der Hauptsache optisch sehr nahezu einachsig, also ein Phlogopit. Er findet sich meist 
in einzelnen Lamellen, die sich nicht zu Häuten zusammenlegen und gewöhnlich keine Be- 
ziehungen zur Schieferung erkennen lassen; öfter sind sie auch in grösseren Haufwerken 
vorhanden. Wo sich aber die meist mit Graphit überstäubten Membranen einstellen, erkennt 
man im konvergenten polarisierten Licht leicht den optisch zweiachsigen Charakter des 
Glimmers, es ist dann normaler Serizit. Biotit ist verhältnismässig selten. 

Auch Chlorit mit normalen Interferenzfarben und zwillingslamelliert ist verbreitet in 
einzelnen Blättehen und namentlich in Nestern, in denen sich dann gerne der Graphitstaub 
konzentriert. Die Epidotgruppe erscheint durch mannigfache Glieder vertreten, welche 
meist gerundete, längliche Form haben. Neben Zoisit $# mit den bezeichnenden Eigen- 
schaften findet sich oft im gleichen Schliff Klinozoisit und daneben noch, merkwürdiger- 
weise nicht mit diesem zonar verwachsen, ein Epidot, der öfter recht kräftig gelb 
gefärbt und stark pleochroitisch ist; endlich das schon öfter erwähnte, weiter oben charak- 
terisierte violette Epidotmineral, welches ich für eine Form von Orthit halte. Dieses ist 
in einzelnen Schliffen der Kalkglimmerschiefer in besonderer Menge vorhanden und erscheint 
als Einschluss im Phlogopit umgeben von pleochroitischen Höfen; manchmal zeigt auch jedes 
Individuum von Klinozoisit, der an sich stets farblos ist, einen derartigen violetten Kern, der 
sich auch im polarisierten Lichte durch normale Interferenzfarben niederster Ordnung von 
den preussischblauen des Klinozoisits abhebt. 

In äusserst wechselnden Mengen findet sich Plagioklas, meist in gerundeten, nach 
der Symmetrieebene dicktafligen Individuen, gewöhnlich mit einzelnen Zwillingslamellen und 
oft recht vollkommen hervortretender Spaltbarkeit. Die nach der Methode von Fouque 
erhaltenen Resultate ergaben in allen Fällen Albit, wie auch die Lichtbrechung überall 
schwächer ist als jene von Quarz oder. Kanadabalsam. 

Ziemlich selten trifft man eine blaugrüne, schiefrige Hornblende, allenthalben aber 
den Turmalin, durch dessen meist kleine und schlecht begrenzte Individuen sich der Graphit- 
staub parallel zur Gesteinsschichtung hindurchwindet. 

Zu erwähnen ist noch Titaneisen in grösseren Körnern manchmal mit Leukoxen- 
bildung; Titanit und Rutil, oft direkt nebeneinander, ersterer auch besonders in Massen 
in den Albitkristallen angehäuft. Sulfide sind allenthalben zu beobachten, Magnetkies?) 
in Körnern oder wohlausgebildete Kristalle von Schwefelkies. Auch Eisenglanz ist 
sehr verbreitet, meist in scharf begrenzten, dünnen, lebhaft metallglänzenden Täfelchen, 
welche öfter rot durchsichtig sind, manchmal in ungemein grosser Menge das ganze Gestein 


I) Gegenüber der Bemerkung von 0. Mügge (Zur Kontaktmetamorphose am Granit des Hennberges 
bei Weitisberga, Centralblatt Mineral. 1901, 368), dass „die Lehr- und Handbücher“ den Magnetkies als 
Kontaktımineral nicht aufführen, möchte ich darauf hinweisen, dass in Kobells Lehrbuch der Mineralogie 
6. Aufl. von K. Oebbeke und E. Weinschenk 1899 8. 180 der Magnetkies als typisches Kontaktmineral 
aufgeführt ist. 


281 


erfüllend. Magneteisen dagegen konnte nicht nachgewiesen werden. Endlich ist fast 
überall Apatit in grösseren, gerundeten Körnern zu finden neben wohl ausgebildeten, auch 
zonar aufgebauten Kristallen von Zirkon oder Xenotim. 

In den vorherrschend aus Quarz zusammengesetzten Einlagerungen bildet dieser ge- 
wöhnlich ein normales Mosaik ohne Verzahnung der einzelnen Körner, in welchem etwa 
vorhandener Kalkspat mehr automorph ausgebildet ist; kataklastische Struktur ist selten. 
Die graphitreichen, phyllitähnlichen Schiefer lassen meist nur stark gewundene, mit Graphit 
bestäubte Serizitmembranen erkennen, in welchen etwas Rutil und Körneraggregate von 
Quarz untergeordnet vorkommen; von den oben betrachteten Graphitschiefern unterscheiden 
sich diese, wie schon erwähnt wurde, hauptsächlich durch das Fehlen der Einsprenglinge 
mit ihrer helizitischen Struktur. 

Jenseits des Iseltales gegen den Deferegger Kamm zu allerdings treten wieder ganz 
untergeordnet graphitische Schiefer auf, in welchen grössere Granateinsprenglinge, manchmal 
teilweise chloritisiert, vorhanden sind, so in der Fratnik und der oberen Mullitz; in diesen 
findet sich auch der violette Orthit in grösserer Menge und besonders ist das Vorhandensein 
zahlreicher Turmalinnädelchen in all diesen Schiefern hervorzuheben. Ganz eigenartig ist 
endlich ein Gestein dieser Zone, das in der oberen Zopetnitz gesammelt wurde; makro- 
skopisch durch dichte Beschaffenheit und dunkle Farbe, Härte und hohes spezifisches Gewicht 
ausgezeichnet, besteht es u. d. M. aus weit vorherrschenden, ganz von Graphit erfüllten 
kleinen Granatdodeka@dern, zwischen welchen ein untergeordnetes Bindemittel von Quarz, 
resp. saussuritähnlichen Aggregaten vorhanden ist. 


In Bezug auf seine Zusammensetzung den normalen Kalkglimmerschiefern äusserst 
ähnlich, von diesen in erster Linie unterschieden durch grösseres Korn und weniger deut- 
liche Schieferung ist eine an sich wenig mächtige, im Streichen aber auf ziemliche Ent- 
fernung zu verfolgende Kalkeinlagerung in der Eklogitzone, welche in den Gastacher 
Wänden sowohl wie in der obersten Kleinitz angetroffen und bis zur Weissspitze ver- 
folgt wurde und die besonders durch einen konstanten Gehalt an chromhaltigen Silikaten 
sich auszeichnet. Makroskopisch treten in erster Linie smaragdgrüne Fuchsitblättchen aus 
dem mittelkörnigen, etwas gelblichen Kalk hervor. 

U. d. M. erscheint der Kalkspat in grossen, mehr oder minder stark verzahnten 
Körnern, welche merkwürdigerweise manchmal gar nicht lamelliert (aber trotzdem in kalter 
Salzsäure löslich) sind, dazwischen finden sich feinkörnigere, nicht verzahnte und nicht 
lamellierte Aggregate eines ebenso aussehenden Minerales, das sich beim Behandeln mit Salz- 
säure als Dolomit zu erkennen gibt. Also wie gewöhnlich ist auch hier unter gleichen 
Bildungsbedingungen der Dolomit feinkörniger ausgebildet als der Kalkspat und es fehlt 
ihm die Eigenschaft, die eigenartig verzahnten Aggregate zu bilden. Ferner beobachtet 
man in dem Gestein viel Quarz in gerundeten Kristallen oder Körneraggregaten, manchmal 
etwas kataklastisch. Der Fuchsit zeigt auch im Dünnschliff noch lebhafte Färbung und 
prächtigen Pleochroismus (a himmelblau, la kräftig saftgrün); sein Achsenwinkel ist etwas 
kleiner als der des normalen Muskowits. An Einschlüssen enthält er oft massenhaft Rutil. 

Unter dem Fuchsit ist ein weiterer, lichtbräunlichgelber Glimmer zu beobachten, der 
nahezu optisch einachsig ist, und ein fast farbloser Klinochlor mit vielfacher Zwillings- 


282 


lamellierung und normalen Interferenzfarben. Zahlreich sind ferner prismatische Individuen 
von Zoisit a, die kleineren meist recht einheitlich, grössere aber häufig fleckig mit Zoisit ß 
verwachsen. Im Dünnschliff ist das Mineral farblos, makroskopisch licht smaragdgrün mit 
deutlichem Pleochroismus, lichtorange parallel und bläulichgrün senkrecht zur Hauptzone. 
Etwas seltener ist neben diesem ein makroskopisch dunkelgrüner Epidot, der auch im 
Dünnschliff noch kräftig gefärbt ist und sich durch seinen Pleochroismus auszeichnet 
(a gelblichgrün, b saftgrün, c orange). Auch diese beiden Mineralien sind chromhaltig. 

Lokal ist in denselben Gesteinen Turmalin in nieht unbedeutender Menge vorhanden, 
wie in Kalken gewöhnlich in ziemlich licht gefärbten, nur selten wohl begrenzten Prismen, 
die im Dünnschliff einen Pleochroismus von: farblos zu lichtgraugrün zeigen; sie sind nicht 
selten ganz skelettartig von Quarz durchwachsen. Das letztere gilt auch für die etwas 
seltenere lichtblaugrüne Hornblende. Endlich enthalten diese Gesteine, die man am besten 
als Cipoline bezeichnet, viel Titanit und Rutil mit Titanitrand, sowie Schwefelkies 
und Magnetkies. 


5. Chloritschiefer. 


Neben den Kalkglimmerschiefern mit ihrer wechselnden Facies ist in der äusseren 
Zone der Schieferhülle am Südabhang des Gross-Venedigerstockes eine Gesteinsgruppe vor- 
herrschend, welche man zweckmässig unter dem Namen der Chloritschiefer zusammen- 
fasst, weil nahezu ausnahmslos Chlorit in nicht unbedeutender Menge an der Zusammen- 
setzung der Gesteine sich beteiligt, eine Eigenschaft, die einen charakteristischen Unterschied 
gegenüber den Amphiboliten und Grünschiefern der Nordabdachung bildet, denen der 
Chlorit im allgemeinen fehlt. 

Die normalen Chloritschiefer sind lichtgrüne, wenig gut schiefrige Gesteine, meist 
mit einem leichten grauen Ton und einem schwach seidenartigen Glanz. Es sind manchmal 
durchaus homogene, gleichmässige Gesteine, meist aber tritt infolge eines lagenweise wechseln- 
den Gehaltes an Epidot eine mehr oder minder intensiv gelbe Bänderung hervor, welche im 
allgemeinen in den mannigfachsten Falten und Windungen verläuft und erkennen lässt, dass 
diese Gesteine eine ausserordentlich intensive Stauchung erlitten haben, im Gegensatz zu 
den Kalkglimmerschiefern, mit denen sie in so engem Schichtenverband stehen. Im allge- 
meinen haben auch die epidotreichen Bänder, welche zu nicht unbedeutenden Einlagerungen 
von gelbem Epidosit werden können, ein durchaus gleichmässiges feinkörniges Aussehen. 


Die wenig deutliche Schieferung bedingt den charakteristischen Unterschied der Berg- 
formen der Chloritschiefer gegenüber den Kalkglimmerschiefern. Zackige, oft sägenähnliche 
Grate und. steile Abstürze wechseln mit mehr gerundeten Formen ab und an Stelle des 
Schuttes, der den Fuss der Kalkglimmerschieferwände überdeckt, treten Anhäufungen grosser, 
widerstandsfähiger Blöcke. 

In den eigentlichen grünen Chloritschiefern beobachtet man etwas häufiger vereinzelte 
lichtere, weisse oder gelbliche Flecken, bald völlig gerundet und wenig scharf von der 
Gesteinsmasse sich abhebend, bald aber in kleinen, kurz rektangulären ‚Durchschnitten aus 
der grünen Grundmasse ziemlich gut hervortretend, letzteres namentlich in einem Vorkommen 
ausserhalb des Gross-Venedigergebietes, nämlich vom Bad Fusch im Fuscher Tal, welches 


ii WE ar 


283 


ganz erfüllt ist von solchen lichten, in ihrer Form an Feldspateinsprenglinge erinnernden 
Knötchen. In grösseren Individuen beobachtet man ausserdem in diesen Gesteinen lokal 
auch schon makroskopisch Biotit und Turmalin. 

So gleichmässig ihr Habitus makroskopisch ist, so mannigfaltig und interessant sind 
die Erscheinungen, welche sich u. d. M. darbieten. Den hauptsächlichsten Mineralbestand 
stellen in den normalen Typen der Chloritschiefer dar: Feldspat, schilfige Hornblende, 
Chlorit und Epidot, daneben ist wohl stets Titanit vorhanden; Kalkspat kommt in 
wechselnden Mengen hinzu, mit ihm zusammen tritt meist Quarz ein, und es entwickeln 
sich alle möglichen Uebergänge in die Kalkglimmerschiefer. Ganz untergeordnet sind 
völlig feldspatfreie Typen, solche wurden z. B. in der Frossnitz gesammelt. Aeusserlich 
sind diese von den feldspatführenden nicht zu unterscheiden; auch Kalkspat kann in ziem- 
licher Menge eintreten, ohne dass der äussere Habitus der Gesteine sich wesentlich ändert. 

Das grösste Interesse besitzt unter den zu betrachtenden Mineralien der Feldspat, 
von dem in erster Linie hervorzuheben ist, dass seine Substanz stets und in allen Fällen 
tadellose Klarheit und ideale Frische besitzt. Es muss dies besonders betont werden, als 
von anderer Seite vielfach von den mannigfaltigen Zersetzungserscheinungen im Feldspat 
derartiger Gesteine gesprochen wird. Es beruht das unzweifelhaft auf einer Verwechselung 
mit den Einschlüssen, welche in der überwiegenden Mehrheit der Gesteine in ungemein 
bedeutender Menge gerade im Feldspat angehäuft sind, deren mineralischer Charakter aber 
ebenso sicher, wie ihre helizitische Anordnung beweist, dass sie nicht Zersetzungsprodukte 
des Feldspates sein können (Taf. II, Fig. 1—3). 

Es ist in erster Linie eine lichtgrüne, strahlsteinähnliche Hornblende, welche in ganz 
charakteristischen, der Schichtung parallelen Schnüren und Zügen den Feldspat durchzieht, 
bald in einzelnen, schmalen Bändern bald in so eng gescharter Weise, dass die Feldspat- 
substanz nur noch ganz stellenweise durchschimmert. Mit der Hornblende ist häufig Biotit 
und etwas Chlorit vereinigt, dagegen sind Epidotmineralien ziemlich selten. Die Durch- 
wachsung mit diesen Hornblendezügen ist im allgemeinen eine so innige, dass selbst Gesteine, 
welche vorherrscheud aus nicht allzu feinkörnigem Feldspat bestehen, dieses Mineral makro- 
skopisch nicht zu beobachten gestatten, sondern den normalen Habitus der gewöhnlichen 
Chloritschiefer haben. Häufig erkennt man den Feldspat überhaupt erst in ganz besonders 
dünnen Schliffen, da die Masse der Einschlüsse ihn in den dickeren verdeckt. 

In einzelnen Gesteinen beobachtet man aber auch mehr oder minder einschlussfreie 
Feldspate, welche nur einzelne Glimmerschuppen und Epidotkörner enthalten; diese stellen 
sich mitten in den einschlussreichen ein und unterbrechen die helizitischen Windungen der 
Hornblendezüge. Eigentümlich ist endlich die fast stets gerundete Form der Feldspatkörner, 
welche mit der sogenannten Pflasterstruktur der Hornfelse identisch ist und die auch in 
den einschlussreichen Partien deutlich hervortritt (Taf. II, Fig. 4). 

Selten sind Vorkommnisse, in welchen die grünen Mineralien von dem Feldspat getrennt 
sind; der letztere bildet dann in vollkommen klaren, rundlichen Körnern ein gleichmässiges 
Pflastermosaik. Auch andere Mineralien konzentrieren sich im Feldspat, so wurden in einem 
an Kalkspat reichen Chloritschiefer aus dem Maurertal Haufwerke von Titanit im Kern 
des Feldspates beobachtet, in einem Gestein aus dem Tümmelbachtal ist der Feldspat ganz 
erfüllt von kleinen, scharfen Magneteisenoktaödern, während das Gestein sonst nur Eisen- 
glanz, diesen aber reichlich enthält. 


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Sobald Kalkspat in grösserer Menge eintritt, nimmt der Feldspat ein höchst eigen- 
artiges Aussehen an; er zeigt nun Neigung zu Kristallform und entwickelt ganz eigenartige 
Skelette, welche meistens der gewohnten Hornblendeeinschlüsse entbehren, an Stelle dessen 
poikilitisch von Kalkspat, in einem Gestein aus dem Tümmelbachtal auch von einheit- 
lichem Epidot durchwachsen ist. 

Bisher wurde von Feldspat schlechtweg gesprochen, da die genauere Bestimmung des- 
selben gerade in diesen Gesteinen ausserordentlich erschwert ist. In zahlreichen Schliffen 
fehlt überhaupt jede Andeutung einer Zwillingslamellierung oder Spaltbarkeit, man kann nur 
an den Rändern des Schliffes konstatieren, dass das klare Mineral schwächer lichtbrechend 
ist als der umhüllende Kanadabalsam. In anderen Schliffen findet man hin und wieder 
einen Durchschnitt, in welchem ein scharfer Riss senkrecht zu einer schmalen und meist 
auch kurzen Lamelle vorhanden ist, und man erhält dann im konvergenten Licht ein sym- 
metrisches Achsenbild senkrecht zur negativen Bisektrix; die Bestimmung der Auslöschungs- 
schiefer ergibt 75°, das Mineral ist Albit. In wieder anderen Schliffen sind die Lamellen 
häufiger, die Bestimmung gelingt in zahlreichen Fällen, und namentlich, wenn die skelett- 
artige Ausbildung im Kalkspat eintritt, pflegt auch die Lamellierung sehr deutlich zu sein. 

Unter den zahlreichen, nach der Methode von Fouque ausgeführten Bestimmungen 
ergab weitaus die grösste Anzahl ganz exakt die Werte des Albits. Ganz untergeordnet 
wurde in Schnitten la auch 85° gemessen, was auf eine geringfügige Beimengung von 
Oligoklas hinweist, wie man auch bei der Vergleichung der Lichtbrechung am Rande der 
Schliffe einzelne Stellen findet, in welchen die Lichtbrechung des Feldspates in einer Richtung 
ganz wenig höher ist, als jene des Kanadabalsams. Irgend ein Unterschied in Bezug auf 
Einschlüsse oder sonstige Beschaffenheit zwischen Albit und Oligoklas konnte nicht konstatiert 
werden; beide zeigen im allgemeinen um so eher Zwillingslamellen, je geringer die Menge 
der helizitischen Hornblende ist, welche sie umschliessen, aber es gibt völlig einschlussfreie 
Durchschnitte, die auch nicht eine Andeutung von Lamellierung haben. 

Ueber der lichten strahlsteinartigen Hornblende, welche neben Chlorit zum grossen 
Teil die grüne Gesteinsfarbe bedingt, trifft man hin und wieder grössere Individuen von 
einer licht blaugrünen Varietät, welche an beiden Enden wie struppige Besen sich ausfasern 
und in die nebenliegenden Feldspatkörner als Einschlüsse hinübersetzen (Taf. II, Fig. 5); 
eigentlich kompakt ist die Hornblende in diesen Gesteinen nicht, Querschnitte sind dem- 
entsprechend auch stets deutlich parkettiert. 

Der Chlorit, dessen Bedeutung für diese Gesteine durch den Namen Chloritschiefer 
vielleicht über Gebühr hervorgehoben wird, fehlt wohl nirgends; in geringer Menge be- 
teiligt er sich an den Hornblendebändern, häufiger umzieht er mit Epidotmineralien zusammen 
in breiten Flasern die einschlussreichen Feldspate, oder er bildet grössere Blättchen, die bald 
radial angeordnet bald isoliert und beliebig zur Schiehtung orientiert sind. Ueberall zeigt 
er deutliche Zwillingslamellen und normale Interferenzfarben, gehört somit in allen Fällen 
zum Klinochlor. Von sonstigen schuppigen Mineralien sind Biotit und Muskowit in 
zahlreichen Proben beliebig zur Schichtung gelagert vorhanden, an Stelle des letzteren 
tritt in kalkreichen Partien ein einachsiger Phlogopit. Lichte Glimmer bilden auch hin 
und wieder wirrschuppige Haufwerke, während der Biotit mit dem Chlorit zusammen öfter 
an der Zusammensetzung der flaserigen Zwischenlagen teilnimmt. Die beiden zuletzt ge- 
nannten Mineralien zeigen ferner pleochroitische Höfe um ein farbloses, stark dispergierendes 


4 


285 


Mineral der Epidotgruppe, vermutlich eines Orthits, niemals aber um den im Chlorit be- 
sonders gerne angehäuften Rutil. 

Ein wichtiger und allenthalben in diesen Schiefern vorhandener Gemengteil ist der 
Epidot, im Gegensatz zu den Kalkglimmerschiefern stets prachtvoll zonar aufgebaut und 
öfter auch in wohlausgebildeten Kristallen. Zum Teil bildet er grössere Individuen, welche 
von Chloritflasern umzogen werden, zum Teil ist er diesen selbst beigemischt oder bildet 
endlich in körnigen Aggregaten einen Hauptbestandteil des Gesteines. Die Zonarstruktur 
bedingt ausserordentlich bunte Interferenzfarben, welche von den anomalen des Klinozoisits 
ausgehend bis zu Farben zweiter oder dritter Ordnung ansteigen. Bald ist dabei der Kern 
schwächer doppelbrechend als der Rand bald ist das Umgekehrte der Fall; ersteres scheint 
in den normalen Chloritschiefern das Häufigere zu sein, letzteres in den kalkreichen Lagen 
vorzuherrschen. Schliesslich wurde auch die Kombination Klinozoisit-Epidot-Klinozoisit vom 
Kern zum Rande beobachtet. Die rhombischen Zoisite fehlen in diesen Gesteinen vollständig. 

Kalkspat in einzelnen Körnern ist weit verbreitet, wird aber auch lokal zu einem 
wichtigen Gesteinsbestandteil. Auffallend ist auch hier der Mangel einer Zwillingslamel- 
lierung; er bildet bald verzahnte bald gar nicht verzahnte Aggregate, im allgemeinen ohne 
eine Andeutung mechanischer Störung. Die eigentümliche poikilitische Verwachsung mit 
den Albitskeletten wurde schon erwähnt; in anderen Fällen bildet er gemengt mit Klinozoisit 
Züge von helizitischem Charakter, welche den Feldspat durchziehen. 

Mit dem Gehalt an Kalkspat tritt meist ein solcher an Quarz deutlich hervor, während 
den kalkspatarmen Varietäten der Quarz völlig zu fehlen scheint. Letzterer bildet gerundete 
Körner oder Aggregate von solchen meist ohne eine Spur von Kataklase. 

Verhältnismässig selten ist ein geringer Gehalt an Turmalin, in schön zonaren, 
innen blauen, aussen braunen Kristallen, welche sehr wechselnde Dimensionen besitzen. 
Titansäuremineralien sind allenthalben in nicht geringer Menge vorhanden; vorherrschend 
ist der Titanit meist in unregelmässig begrenzten farblosen Körnern, oft von winzigen 
schwarzen Einschlüssen ganz bestäubt. Er bildet in einzelnen Fällen einen Rand um Rutil 
und Titaneisen, welche an sich weniger in diesen Gesteinen verbreitet sind, aber doch 
hin und wieder auftreten. Bemerkenswert ist, dass im gleichen Gestein aus dem Maurertal, 
in welchem der Albit zentral angehäufte Titaniteinschlüsse aufweist, der Chlorit von Rutil 
erfüllt ist. Pleochroitische Höfe beobachtet man um keines der Titansäuremineralien. 

Ferner ist zu erwähnen das Auftreten von Magneteisen, das sich öfter in grösseren 
Kristallen findet, in kleineren namentlich auch als Einschluss im Albit. Sodann ist Eisen- 
glanz in glänzenden Blättchen nicht allzu selten, auch Schwefelkies, zum Teil in recht 
grossen Kristallen ist häufig. Erwähnt mag werden, dass Granat in einem einzigen Vor- 
kommen aus der Mullitz in kleinen Körnern beobachtet wurde und sonst völlig fehlt. 
Ueber die Verbreitung von Zirkon und Apatit konnten bei der verfilzten Struktur dieser 
Gesteine» nur wenig Anhaltspunkte gewonnen werden; vorhanden sind sie, aber offenbar 
nur in geringem Masse. 

Schliesslich möchte ich als bemerkenswert hervorheben, dass Sprödglimmer irgend 
welcher Art vollständig fehlen, während gerade diese Mineralien in analogen Gesteinen aus 
anderen Teilen der Zentralalpen eine nicht untergeordnete Rolle spielen. 


Abh. d. II.Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 37 


DD 
[02] 
jez) 


6. Eklogit. 


Von allen Typen, welche an dem Aufbau des Gross-Venedigers teilnehmen, sind die 
Eklogite die am verschiedenartigsten ausgebildeten. Im Osten sowohl wie im Westen des 
Gebietes treten in denselben Streichen mehr den Amphiboliten genäherte Formen auf, welche 
sich durch die dunkle Farbe der Hornblende schon makroskopisch von den eigentlichen 
Eklogiten unterscheiden, welch letztere namentlich zwischen der Dorfer Alpe und dem 
Tümmelbachtal in prächtigster Ausbildung vorhanden sind. Wie sich aber schon die 
äusseren geologischen Verhältnisse im Gross-Venedigergebiet weit von jenen entfernen, unter 
welchen die so typischen Eklogite des Fichtelgebirges vorkommen, so ist auch der ganze 
Gesteinscharakter von diesen etwas abweichend. Im Fichtelgebirge sind es ausschliesslich 
grössere oder kleinere, stark ausgebauchte Linsen, hier ein verhältnismässig schmales Band, 
das im Streichen weithin aushält. Dementsprechend steht dem durchaus massigen Habitus 
jener Vorkommnisse hier ein ausgeprägt schichtiger gegenüber, und wenn auch von eigent- 
licher Schieferstruktur dieser ungemein zähen, harten und kompakten Gesteine nur in wenigen 
Abarten die Rede sein kann, so ist doch die Bänderung eine ausgesprochen hervortretende 
Eigenschaft der meisten der hier zu betrachtenden Vorkommnisse. 

Selten sind unter den Eklogiten des Gross-Venedigers so grobkörnige und schönfarbige 
Vorkommnisse, wie sie unter jenen des Fichtelgebirges weit verbreitet sind, weitaus in den 
meisten Fällen erkennt man mit blossem Auge nur den Granat und die Hornblende, 
letztere in äusserst verschiedener Färbung, sowie in einzelnen Abarten Muskowit oder 
Epidot, während die übrigen Mineralien sich gewöhnlich der makroskopischen Beobachtung 
ganz entziehen. Die grosse Anzahl von Mineralien, welche in dieser Zone an der Zusammen- 
setzung der Gesteine teilnimmt, bedingt ein ausserordentlich buntes Bild, und die in weitesten 
Grenzen wechselnden Mengenverhältnisse der einzelnen Komponenten bringen einen ungemein 
verschiedenen Habitus der Gesteine hervor. 

Im allgemeinen zeichnen sich die eigentlichen Eklogite durch ungemein schroffe Berg- 
formen aus, die über die Gneis-Glimmerschieferzone in starren Wänden emporragen und deren 
Typus in den Gastacher Wänden und den obersten Teilen der Kleinitz vorliegt. Wo sie 
mehr den Charakter der Amphibolite annehmen, gehen auch hier mildere Formen hervor. 

Von verschiedenen untergeordneten Einlagerungen in dieser Gruppe ist schon früher 
die Rede gewesen, so von den Glimmerschiefern, welche unter diesen die verbreitetsten, 
häufig graphithaltig und als eigentliche Knotenschiefer ausgebildet sind; ferner von dem 
Cipolin mit seinen chromhaltigen Silikaten. Untergeordnete Einlagerungen dieser Zone sind 
mit den im nächsten Kapitel zu besprechenden Amphiboliten und Grünschiefern überein- 
stimmend ausgebildet. In der Hauptsache aber sind die hier als Eklogite zusammengefassten 
Gesteine von den übrigen weit abweichend, einesteils durch einen fast nie fehlenden Gehalt 
an Granat, durch lichtere Farben, ihre gebänderte Beschaffenheit und ihre grosse Härte 
und Zähigkeit, welche eben die massigen Felsformen, wie z.B. in den Gastacher Wänden, 
bedingt. 

Mineralogisch unterscheiden sich die Eklogite in zahlreichen Beziehungen von den 
Ampbiboliten und den übrigen grünen Schiefern, einesteils im Zurücktreten des Feld- 
spates, der nur mehr eine geringe Rolle spielt, anderenteils in der Häufigkeit des Kalk- 


287 


spates, der in zahlreichen Vorkommnissen zu einem wichtigen Gemengteil wird. Auch der 
Epidot besitzt hier ganz im Gegensatz zu den Angaben von Zirkel!) und Rosenbusch?) 
eine geradezu dominierende Stellung, wie überhaupt in der Zusammensetzung dieser Gesteine 
eine grössere Analogie mit den Chloritschiefern als mit den Amphiboliten hervortritt. Trotz 
dieser von dem Gewohnten abweichenden Eigenschaften kann man die hier vorliegenden 
Gesteine in ihrer Gesamtheit nicht wohl anders denn als Eklogite bezeichnen, mit welchen 
in der makroskopischen Beschaffenheit die grösste Aehnlichkeit vorhanden ist. 

Einer der konstantesten Gemengteile der in allen sonstigen Verhältnissen so ungemein 
wechselvollen Gesteine ist der Granat, dessen Individuen stets schon makroskopisch sichtbar 
sind. Derselbe bildet gewöhnlich gut begrenzte, oft recht scharfe Dodekaöder, die in etwas 
schiefrigen Gesteinen aus den Schieferflächen hervorragen, in solchen mit massigem Bruch 
aber im allgemeinen beim Zerschlagen durchbrechen. Die Grössenverhältnisse sind sehr 
wechselnd; ganz grosse Individuen sind selten, am häufigsten solche mit ca. !/g cm Durch- 
messer, während wieder andere Gesteine in grösster Menge kaum nadelstichgrosse Individuen 
enthalten. Doch wird der Granat niemals zum herrschenden Gesteinsgemengteil: eigentliche 
Granatfelse finden sich gar nicht. 

Die Hauptmasse der Gesteine ist ziemlich licht gefärbt; lichtgraulich grüne Töne, 
wenn Pyroxen oder Hornblende herrschen, gelbliche, wenn Epidot einen Hauptbestandteil 
bildet, sind die gewöhnlichen, und durch das stärkere Hervortreten des Muskowits nehmen 
die Gesteine oft ein glimmeriges Aussehen an, oder wenn dunkler gefärbte Hornblende vor- 
handen ist, nähern sie sich den Amphiboliten. 

Unter dem Mikroskop beobachtet man einen ungewöhnlichen Mineralreichtum: 
Hornblende der verschiedensten Färbung, Klinozoisit, Epidot und Zoisit « nebst dem 
violetten Orthit, verschiedene Pyroxene, Chlorit, Muskowit, Biotit, Disthen, 
Granat, Kalkspat, Quarz, Feldspat, Turmalin, Rutil, Titanit und Titaneisen, 
Apatit und Zirkon, Eisenglanz, Magnetkies und Schwefelkies und ausserdem noch 
ein unbestimmbares Mineral bilden die Gemengteile dieser Gesteine. Durch einen häufig 
recht bedeutenden Gehalt an Pyroxen und Granat unterscheiden sie sich überhaupt von 
allen bisher betrachteten Vorkommnissen des Gebietes; ferner pflegt hier der Gehalt an 
Rutil (vergl. Taf. V, Fig. 3) und an Titansäuremineralien überhaupt besonders bedeutend 
zu sein. 

Wie schon bemerkt, wechselt das Mengenverhältnis der Mineralien in ausser- 
ordentlich weiten Grenzen, dasselbe gilt auch von der Struktur: bald sind die Gesteine aus 
annähernd gleich grossen Mineralindividuen zusammengesetzt, welche u. d. M. in all ihren 
Eigenschaften wohl bestimmbar sind, bald liegen einzelne grössere Körner in einer dichten, 
zum radialstrahligen neigenden saussuritartigen Grundmasse, welche aus der in Eklogiten 
so weit verbreiteten „zerkräuselten* Hornblende, oft im Gemenge mit Klinozoisit besteht. 
Die grösseren Individuen von Hornblende oder Pyroxen, welche in solchen dichten, saussuriti- 
schen Massen liegen, sind dann randlich zerfasert und zerfetzt oder laufen in eigentümlich 
wurmartig zerkräuselte Aggregate aus, welche man als vermikulitische Bildungen be- 
zeichnen kann. Diese eigentümlichen, aus vorherrschender Hornblende bestehenden, meist 


1) F. Zirkel, Lehrbuch der Petrogr., 2. Aufl., 1894, III, 360. 
2) H. Rosenbusch, Elemente der Gesteinslehre, 1898, 518. 


288 


sehr dichten Aggregate scheinen überhaupt den Charakter der Eklogite zu bezeichnen und 
sind auch in den Vorkommnissen des Fichtelgebirges!) in weitester Verbreitung vorhanden. 

Eine fernere Erscheinung ist erwähnenswert und das ist der Reichtum an Ein- 
schlüssen, welche in einzelnen Mineralien in ungemein bedeutender Menge vorhanden sind, 
so namentlich im Disthen, dessen grössere Individuen dadurch fast unkenntlich werden, 
während merkwürdigerweise der Granat, sonst eines der einschlussreichsten Mineralien, 
neben demselben fast einschlussfrei sein kann. Auch eigentliche poikilitische Strukturen 
sind nicht selten, beides Erscheinungen, welche für kontaktmetamorphose Bildungen so 
charakteristisch sind. 

Die Eklogite sind oft stark gefaltet; u. d. M. beobachtet man dann prachtvoll gebogene 
Lamellen von Muskowit und Prismen von Epidot, während an sonstigen Gemengteilen die 
Schichtenbiegung sich wenig kenntlich macht und nur in Form der meist nicht sehr deutlich 
ausgeprägten helizitischen Struktur hervortritt. 

Dynamische Phänomene sind an den Mineralien der Eklogite ebenso selten wie 
an denjenigen aller hier besprochenen Gesteine; manchmal ist der Quarz etwas kataklastisch 
oder gröberkörnige, vorherrschend aus Pyroxen zusammengesetzte Lagen bestehen aus linsen- 
förmigen Körnern, welche von einer ganz dichten, im gewöhnlichen Schliff undurchsichtigen 
Masse umflasert werden. In besonders feinen Schliffen erkennt man, dass dieselben Zerrüt- 
tungszonen darstellen und aus feinstem eckigem Zertrümmerungsmaterial bestehen. Die 
Erscheinung ist aber, was nochmals betont werden soll, eine seltene Ausnahme und merk- 
würdigerweise sind derartige Gesteine ebenso zähe wie die nicht deformierten. 

Was die einzelnen Mineralien betrifft, so zeigen sich namentlich bei der Hornblende 
äusserst mannigfache Erscheinungen. Im allgemeinen ist das Mineral im Dünnschliff sehr 
licht gefärbt oder ganz farblos. Häufig sind nebeneinander im gleichen Gestein verschiedene 
Hornblenden vorhanden, die eine in kompakten, grösseren kurzprismatischen Körnern, die 
andere in dünnen Prismen von schilfartiger Beschaffenheit. Letztere ist bald farblos 
bald ganz lichtgrün gefärbt und bildet oft einen hervorragenden Gesteinsbestandteil; in 
anderen Varietäten wieder ist nur die körnige Ausbildung vorhanden. Die schilfige Horn- 
blende ist meist ganz frei von Einschlüssen, die kompakte häufig davon vollgepfropft und 
oft geradezu skelettartig. 

Einschlussarm ist stets nur der Glaukophan, der in weitester Verbreitung auftritt, 
bald nur in einzelnen Körnern : als Beimengung neben blaugrüner Hornblende bald in 
grösseren Platten die Hauptmasse des Gesteines bildend. Häufiger noch ist eine lichtblau- 
grüne Hornblende mit grösserer Auslöschungsschiefe; diese ebenso wie der Glaukophan 
werden in Berührung mit Granat, wie dies in Eklogiten gewöhnlich ist, von einem 
dunkleren, stärker absorbierenden Rand umsäumt. Dieser tritt auch dann auf, wenn solche 
Hornblende kleine Gänge im Granat bildet und ähnliches beobachtet man dort, wo von 
Minerameubildungen ausgekleidete Klüfte die Hornblende durchsetzen. Seltener ist eine 
farblose Hornblende in kompakter Ausbildung, öfter umrandet von einer ganz lichtbläu- 
lichen Zone, welche mit dem farblosen Kern gleichzeitig annähernd gerade auslöscht, aber 
noch schwächer doppelbrechend ist. Durch diese ganz geringe Auslöschungschiefe wie durch 


') Vergl. auch E. Düll, Ueber die Eklogite des Münchberger Gneissgebietes. Geognost. Jahresh. 
1902, XV. 


f*% 


289 


die schwache Doppelbrechung unterscheidet sich diese farblose Hornblende von dem schilfig 
ausgebildeten Tremolit. 

Grössere Glaukophankörner von durchaus kompakter Beschaffenheit umschliessen hin 
und wieder zersetzte Körner von farblosen Pyroxen, meist aber sind letztere von den 
gewöhnlichen faserigen Uralitaggregaten umhüllt oder sie gehen randlich in die schon 
erwähnten vermikulitischen Bildungen über, welche zum Teil auch für sich grössere Nester 
oder ganze Lagen im Gestein bilden, öfter mit einer durchschimmernden, ziemlich grob- 
körnigen Feldspatgrundmasse. Derartige Gebilde werden schliesslich so dicht, dass sie u.d.M. 
nieht mehr auflösbar sind. Selten sind auch feinkörnige Aggregate von Hornblende, welche 
rasch in parallelfaserige übergehen. Bemerkt mag noch werden, dass in Gesteinen, welche 
sonst ganz hornblendefrei sind, im Granat zahlreiche Fetzen von Karinthin eingeschlossen 
vorkommen. Auch dunkelgrüne, gemeine Hornblende wurde in einem Vorkommnis dieser 
Reihe beobachtet, wo sie die Sanssuritlagen gegeneinander abgrenzt. 

Das zweitwichtigste Mineral ist ein Pyroxen, makroskopisch lichtgrün, u. d. M. mit 
einem leichten, blaugrünen Stich oder völlig farblos. Es bildet stets mehr oder minder iso- 
metrische Körner, oft mit recht gut ausgebildeter Spaltbarkeit, ist randlich häufig vermi- 
kulitisch, gegen Granat zu auch von einem Karinthinband umsäumt. Von dem gewöhn- 
lichen „Omphacit“ der Eklogite zeigt das Mineral hier gewöhnlich etwas abweichende 
Eigenschaften, namentlich in einer sehr kräftigen Dispersion der optischen Achsen und der 
Mittellinien, welche an Stelle der Auslöschung einen Farbenwechsel zwischen rostbraun und 
lichtblau hervorbringt, ähnlich wie man es beim Fassait beobachtet; nicht selten sind dann 
die Körner zonar struiert und zeigen im Innern eine besonders kräftige Dispersion der 
optischen Achsen selbst, wobei v>.o im positiven Achsenwinkel ist. In vereinzelten Ge- 
steinen fehlt diese kräftige Dispersion völlig. Zwillinge und Zwillingslamellen sind beim 
Pyroxen allenthalben verbreitet. 

Die Uebergänge von Pyroxen in Hornblende sind sehr mannigfaltig und wurden 
schon bei dieser besprochen; es mag nur noch erwähnt werden, dass öfter mitten in den 
ganz dichten, saussuritischen Aggregaten trübe, randlich umkristallisierte Körner von diesem 
Pyroxen auftreten. Die Verbreitung des Minerales ist sehr bedeutend, bald neben Horn- 
blende bald ohne diese, doch kommen auch Varietäten vor, in welchen beide fehlen und 
Epidot ihre Rolle übernimmt. 

Von Mineralien der Epidotgruppe ist normaler Epidot, oft mit besonders fleckigen 
Interferenzfarben am häufigsten; die Ausbildung ist gewöhnlich prismatisch ohne deutliche 
Kristallform, Einschlüsse sind in grosser Menge vorhanden. Die Aggregate sind bald recht 
grobkörnig, gehen aber auch bis zu solcher Feinheit herab, dass man sie im Mikroskop 
nicht mehr auflösen kann. Neben oder auch an Stelle des Epidots tritt Klinozoisit in 
ähnlicher Weise auf, öfter zonar mit demselben verwachsen. In einem mehr amphibolit- 
ähnlichen Gestein vom Rainerkees fanden sich besonders schöne Kristalle. In gefalteten 
Gesteinen sind die Prismen dieser Mineralien öfter stark verbogen, ohne zerbrochen zu 
erscheinen. In einem Vorkommnis aus der Kleinitz wurde ferner Zoisit a in grösseren 
Einsprenglingen nachgewiesen. 

Endlich fand sich in einer schmalen, Chloritschiefer-ähnlichen Einlagerung von den 
Gastacher Wänden das violette, Orthit-ähnliche Mineral in Massen; das Gestein besteht 
ausserdem aus radialstrahligem, optisch anomalem Chlorit und Rutil. Der Orthit bringt im 


290 


Chlorit zahllose, pleochroitische Höfe hervor, der Rutil nicht. Doch erscheint das ganze 
Gebilde nach Zusammensetzung und Struktur nicht als normales Gestein, sondern als eine 
sekundäre Infiltration. Sonst wurde irgend ein orthitähnliches Mineral in diesen Gesteinen 
nicht beobachtet, was hervorgehoben zu werden verdient. 


Von Glimmern ist der Muskowit am verbreitetsten, bald in grösseren einheitlichen 
Blättchen auftretend bald in Nestern von sehr feinschuppiger Beschaffenheit, beide mit dem 
normalen Achsenwinkel des Muskowits und oft nebeneinander im gleichen Gestein. Einzelne 
meist stark gefaltete Bänder innerhalb der Eklogite bestehen fast nur aus grösseren gebogenen 
Muskowitblättehen. Weniger häufig ist ein grünlichbrauner Biotit, der manchmal sehr 
licht gefärbt ist. Das gewöhnliche Chloritmineral ist ein Klinochlor mit zahlreichen 
Zwillingslamellen und ziemlich normalen Interferenzfarben, zum Teil in grösseren Blättchen 
zum Teil in schuppigen Aggregaten auftretend, letztere namentlich in Formen, die auf 
Pseudomorphosen nach Granat schliessen lassen. Chloritoid findet sich nur lokal an der 
Kleinitz als Neubildung auf Klüften in grösseren zwillingslamellierten Tafeln, welche sehr 
schwache Doppelbrechung mit normalen Interferenzfarben aufweisen. Als eigentlicher Ge- 
steinsgemengteil wurde er nicht beobachtet. 


Die grösseren Granateinsprenglinge gehören wohl der Hauptsache nach dem Almandin 
zu, ein höherer Kalkgehalt wie in den Granaten der Eklogite des Fichtelgebirges konnte 
hier qualitativ nicht nachgewiesen werden. Sie sind stets optisch normal und äusserst rissig, 
wobei die Risssysteme wie gewöhnlich im ganzen Schliff annähernd der Schichtung parallel 
verlaufen. Der Granat ist bald vollgepropft von Einschlüssen, unter welchen Rutil, Ka- 
rinthin und Eisenglanz am häufigsten sind, die auch lokal eine helizitische Anordnung 
zeigen. Manchmal tritt er in Form von Ringen auf, welche ziemlich grobkörnige Aggregate 
von Epidot und Muskowit umschliessen, in anderen zeigt sich eine mehr zonare Anord- 
nung der Einschlüsse und endlich finden sich auch Vorkommnisse, in welchen der Granat 
ganz einschlussfrei ist. Die Umwandlung in Chloritnester, in denen öfter noch Reste von 
Granat vorhanden sind, wurde schon erwähnt. In Mikrolithen wurde das Mineral in diesen 
Gesteinen nicht beobachtet. 


In Form von Einsprenglingen findet sich neben dem Granat, aber seltener, Disthen, 
kaum je einigermassen deutlich kristallisiert und dann noch eben erkennbar bläulich gefärbt 
und pleochroitisch; gewöhnlich: aber ist seine Form ganz unregelmässig und die lappigen 
Individuen sind vollgepfropft mit Einschlüssen, welche oft die eigenartige Eiform auf- 
weisen, wie sie für die Einschlüsse in Andalusit der Kontaktgesteine so charakteristisch ist. 
Der Disthen findet sich in solchem Zustand auch neben ganz einschlussfreiem Granat, ausser 
welchem alle Gesteinskomponenten als Einschlüsse in demselben auftreten. Besonders massen- 
haft sind kleine Kriställchen von Rutil und Turmalin, welche hier zu Hunderten angehäuft 
sein können. Zur Bestimmung des Minerales dient die Spaltbarkeit und der quer zu dieser 
verlaufende Faserbruch, die Auslöschungsschiefe von annähernd 30° im Schnitt senkrecht 
zur negativen Bisektrix sowie die Erscheinung, dass leistenförmige Zwillinge annähernd 
gerade und parallel auslöschen, so dass die Bun Hälften nur durch die verschiedenen 
Interferenzfarben zu unterscheiden sind, 


Ein sehr verbreiteter Gemengteil der Eklogite des een ist im Gegensatz zu 
anderen Vorkommnissen der Kalkspat, der sich bald in Nestern findet, die eine sekundäre 


a rn 


291 


Zuführung nicht unwahrscheinlich machen, bald in einzelnen Körnern gleichmässig im Gestein 
verbreitet ist, bald eine Art von Grundmasse bildet, in welche Granatkristalle eingewachsen 
sind. Auf Adern dringt er auch in diese ein; Zwillingslamellen zeigt er ganz selten. Nur 
in einzelnen Varietäten ist Feldspat nachweisbar, bald als kaum durchschimmernde Grund- 
masse der zerkräuselten Hornblende bald ärmer an Einschlüssen oder auch davon frei. 
Zwillingslamellen sind auch an diesem Mineral kaum vorhanden; eine hin und wieder zu 
beobachtende Trübung und glimmerige Zersetzung ist den anderen Gesteinen gegenüber auf- 
fallend. Bestimmt wurden Albit und Oligoklas, in einem an Kalkspat reichen Gestein 
und mit diesem Mineral verwachsen, Oligoklas-Albit, endlich kommen auch Körner mit 
ganz ungleichmässiger Auslöschung vor. 

In sehr wechselnden Proportionen findet sich Quarz, meist ohne eine Andeutung von 
Kataklase; er bildet, öfter mit Feldspat zusammen in isolierten, wohl sekundären Nestern 
ein einschlussfreies Mosaik oder mit Eisenglanz schmale Gänge, anderseits trifft man ihn in 
gleichmässiger Verteilung als unzweifelhat primären Gemengteil. Turmalin kommt nur 
vereinzelt vor, namentlich als Einschluss im Disthen, seltener im Granat. 

Der Titansäuregehalt der Gesteine, meist als Rutil auskristallisiert, ist ungewöhnlich 
bedeutend; nur in einem einzigen der zahlreichen untersuchten Vorkommnisse konnten keine 
Titansäuremineralien nachgewiesen werden. Doch handelt es sich dabei kaum um ein pri- 
märes Gestein, sondern um ein sekundäres, aus Strahlstein und Magneteisen bestehendes 
Aggregat, welches sich konkordant zwischen die Schichten eingelegt hat. Der Rutil ist 
meist lichtgelb gefärbt und nicht pleochroitisch, seine Form ziemlich gerundet, daneben finden 
sich violette, oft recht gut begrenzte Kristalle; beide treten als Einschlüsse in allen mög- 
lichen Mineralien auf und sind nie von pleochroitischen Höfen umgeben. Man findet das 
Mineral oft haufenweise beisammen oder auch mit opakem Erz zusammen in gewundenen 
Bändern, die helizitisch durch Granaten hindurchsetzen. Von sonstigen Titansäuremineralien 
treten noch Titaneisen und Titanit auf. 

Ferner wurden beobachtet Apatit in gerundeten Körnern, wenig Zirkon, Magnet- 
kies und Schwefelkies, letzterer in Kristallen, und glänzende Blättchen von Eisenglanz, 
die manchmal in Menge vorhanden sind. 

Endlich ist noch ein farbloses Mineral zu erwähnen, welches dem Enstatit am ähn- 
lichsten ist, sich aber von diesem durch den optischen Charakter sowie durch geringere 
Liehtbreehung unterscheidet; die letztere ist nämlich etwas schwächer als jene der Horn- 
blende. Es bildet prismatische Körper, mit gerader Auslöschung, randlich etwas zerkräuselt. 
Spaltbarkeit ziemlich gut prismatisch. Doppelbrechung = ca. 0,010, positive Hauptzone, 
negativer scheinbarer Achsenwinkel von ca. 90° ohne bemerkbare Dispersion der Achsen. 
Das Mineral fand sich nur in einem Gestein von amphibolitähnlicher Beschaffenheit aus dem 
- hintersten. Umbaltal und zwar ziemlich spärlich. 


Amphibolite und Grünschiefer. 


Auf der Nordabdachung des Gross-Venedigerstockes bilden die Amphibolite und 
Grünschiefer im östlichen Teile des Massivs weitaus die Hauptmasse der Gesteine, gegen 
Westen zu werden sie mehr und mehr von den vordringenden Granitzungen verdrängt. Ihre 
Hauptentwickelung in dem in Betracht kommenden Gebiet haben sie daher im Hollers- 
bachtal, das in seiner ganzen Länge in diese Gesteine eingeschnitten ist. 

In den untersten Teilen dieses Tales sind vorherrschend ziemlich dichte, licht graugrüne, 
phyllitartige Gesteine, welche den Chloritschiefern der Südseite oft ausserordentlich ähnlich 
sind, meist aber deren charakteristischen Glanz vermissen lassen. Hin und wieder beobachtet 
man makroskopisch auch in diesen grössere Blättchen von Biotit. Mit der Annäherung an 
das Zentralmassiv wird der amphibolitische Charakter dieser Gesteine mehr und mehr deut- 
lich, sei es, dass dunkelgrüne, schon maskroskopisch erkennbare Hornblende in feinstengligen 
Aggregaten die Hauptmasse des Gesteines bildet, aus welchen in einzelnen Fällen bis zenti- 
metergrosse, leistenförmige, aber scharf abgegrenzte Einsprenglinge von lichtem Saussurit 
hervortreten, sei es, dass grössere kurzprismatische Hornblenden von dunkler Farbe aus einer 
lichten Grundmasse von meist dichtem Bruch sich abheben. 

Es kann nicht zweifelhaft sein, dass diese scharf umgrenzten Saussuritindividuen, welche 
im allgemeinen die leistenförmigen Durchschnitte des Labradors ergeben, Reste einer ur- 
sprünglichen, durch Umkristallisation in der Hauptsache verwischten Gesteinsstruktur 
sind und daher in genetischer Beziehung grosse Bedeutung besitzen. Sonst treten im frischen 
Bruch des anstehenden Gesteines keine ähnlichen Erscheinungen hervor; aber in den Roll- 
stücken der Bäche, so namentlich im Habachtal, sieht man auf der glattgescheuerten 
Oberfläche nicht selten eine ophitische Struktur in ebensolcher Vollkommenheit wie an 
irgend einem Diabas, während im Bruch eines solchen Gerölles die ganze Erscheinung 
vollständig unkenntlich ist. 

Die schiefrige Beschaffenheit der Gesteine ist meistens nicht allzusehr ausgeprägt, auch 
die Schichtung tritt weniger hervor .als bei den Chloritschiefern oder Eklogiten des Süd- 
abhanges, namentlich fehlen die gelben Epidotlagen hier fast vollständig. Unter den Amphi- 
boliten allerdings sind gebänderte Gesteine in weiterer Verbreitung vorhanden, dunkelgrüne 
Lagen wechseln dann mit mehr oder weniger rein weissen ab. Nur in der Umgebung der 
berühmten Epidotfundorte im Unter- und Obersulzbachtal enthalten die amphiboli- 
tischen Gesteine gelbe epidotreiche Schichten. 

Im allgemeinen sind die dem Granit näher liegenden Gesteine grobkörniger und deut- 
licher als eigentliche Amphibolite charakterisiert, die entfernteren zeigen mehr den Charakter 
von Grünschiefern, in welchen eine völlig dichte Beschaffenheit Platz greift, aber die Ab- 
grenzung der beiden Abteilungen ist nur sehr wenig scharf, und man findet noch in weiter 
Entfernung von der Kontaktzone einzelne echte Amphibolite als Zwischenlagen zwischen 
den Grünschiefern, in ziemlicher Nähe des Granites noch einzelne Schichten der letzteren 
Gesteine. Ueberhaupt ist diese Gruppe von Vorkommnissen sehr abwechselungsreich in ihrem 
äusseren Habitus. In den dem Granit benachbarten Zonen dieser Gesteine tritt gewöhnlich 
eine Verflechtung mit dem Granit ein, die besonders schön im oberen Hollersbachtal zu 
verfolgen ist. Dort sind die Amphibolite entweder von massenhaften Gängen von Granit 


293 


und Aplit durchzogen oder die letzteren Gesteine treten lagerförmig zwischen den Schichten 
auf, die sonst rein weissen Aplite meist durch einen Gehalt an einzelnen grösseren Horn- 
blendenadeln ausgezeichnet, und es ergibt sich so ein ausserordentlich wechselvolles Bild. 
Einige Profile aus dieser Zone, welche die verschiedene Art des Auftretens dieser granitischen 
Apophysen zeigen, wurden im zweiten Heft dieser Beiträge gegeben. 

Gegenüber dem gewöhnlich recht massigen Habitus der in den Zentralalpen so weit 
verbreiteten Amphibolite zeigen die Vorkommnisse des Gross-Venedigers immerhin eine etwas 
mehr schiefrige Beschaffenheit; während man sonst vorherschend, wenn auch mannigfach 
gebänderte, so doch massig brechende Gesteine findet, so ist hier eine, meist allerdings nicht 
recht vollkommene, aber stets vorhandene und der Bänderung parallele Absonderung nicht 
zu verkennen, welche in einzelnen Lagen zu deutlicher Schieferung wird. Ein anderer 
Unterschied gegenüber den Vorkommnissen aus anderen Zentralzonen-Gebieten verdient ferner 
hervorgehoben zu werden und das ist das fast vollständige Fehlen des Granates, der sonst 
fast überall und meist schon makroskopisch in grösserer Menge hervortritt. An der Nord- 
abdachung des Gross-Venedigerstockes ist dagegen das Mineral als eigentlicher Gesteins- 
gemengteil ganz ausserordentlich selten, häufiger noch als Neubildung innerhalb der 
Schiefer, wobei linsenförmige, seltener auch eigentlich gangförmig auftretende Aggregate von 
manganhaltigem Granat mit Quarz, auch mit Biotit ete. zur Ausbildung gekommen sind, 
ähnlich jenen, welche ich vom Schneeberg!) im Passeyer beschrieben habe. 

Die dichten Grünschiefer, welche hier in Frage kommen, unterscheiden sich äusserlich 
kaum von den Chloritschiefern der Südseite; in der mikroskopischen Beschaffenheit aber sind 
weitgehende Unterschiede vorhanden, welche sich in der mineralischen Zusammensetzung wie 
in der Struktur aussprechen. In erster Linie ist der Chlorit durchaus kein ständiger Bestandteil 
der Gesteine, und wo er auftritt, meist nur in einzelnen Blättchen entwickelt, dagegen nicht 
als Bestandteil der Flasern und Membranen, welche die Schieferung der Gesteine bedingen; 
seine Stelle wird im allgemeinen fast ganz von lichtgrüner Hornblende vertreten. Auch in 
den Amphiboliten ist der Chlorit nur ein akzessorischer Gemengteil. Ferner fehlt den 
Grünschiefern wie den Amphiboliten die in den Chloritschiefern so hervortretende helizitische 
Struktur so gut wie ganz, und wenn auch der Feldspat die gleichen Eigenschaften wie in 
jenen aufweist, so besitzen die massenhaften Einschlüsse kaum je die bänderartige Anordnung, 
sondern sind durchaus richtungslos verteilt, wie man das beim normalen Saussurit gewohnt ist. 

Wenn wir auf die mikroskopische Beschaffenheit der Gesteine übergehen, so interessiert 
in erster Linie die Beschaffenheit des Feldspates, der nur in ganz untergeordneten Vor- 
kommnissen fehlt, weitaus in den meisten einen hervorragenden Gemengteil bildet. Er ist 
hier viel häufiger einschlussfrei als in den Chloritschiefern und bildet dann meist ein recht 
regelmässiges Pflaster mehr oder weniger gerundeter Körner, welches entweder wie in gewissen 
gebänderten Amphiboliten die Lagen für sich allein zusammensetzt oder in körnigen Partien 
zwischen den übrigen Gemengteilen auftritt. Zwillingslamellierung oder Spaltrisse sind auch 
hier seltene Erscheinungen, wodurch die Bestimmung des Feldspates erschwert wird; der- 
selbe ist aber auch in den Amphiboliten und Grünschiefern fast ausnahmslos schwächer 
liehtbrechend als Kanadabalsam. Weitaus die meisten der nach der Methode von Fouque 


1) E. Weinschenk, Die Erzlagerstätte des Schneebergs in Tirol und ihr Verhältnis zu jener des 
Silberbergs bei Bodenmais im bayerischen Wald. Zeitschr. prakt. Geol. 1903, XI, 231. 


_ Abh.d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 38 


294 


vorgenommenen Bestimmungen ergaben Werte, welche mit dem Albit auf das Voll- 
kommenste übereinstimmen; der weitaus vorherrschende Feldspat ist also auch hier Albit. 
Nicht allzu selten aber beobachtet man eine meist in sehr unregelmässigen Konturen ver- 
laufende Zonarstruktur, welche auch in eine völlige Durchdringung verschiedener Glieder 
der Feldspatgruppe übergeht. 

In allen Fällen, in welchen eine Zonarstruktur beobachtet wurde, ergaben sich scharfe 
Unterschiede in der Lichtbrechung zwischen Kern und Hülle, und auch die Orientierung 
beider erwies sich als sehr verschieden. Der Kern bedeutend schwächer lichtbrechend hat 
die Orientierung des Albits, was mit Hilfe der hier etwas häufiger vorhandenen Zwillings- 
lamellen nach der Methode von Fouque bestimmt werden konnte, in den Rand setzen die 
Lamellen meist nicht hinüber, doch konnte mit Hilfe der im Zentrum vorhandenen im 
Sehnitt La Winkel von 85° gemessen werden, welche gegen den äussersten Rand zu ganz 
allmählich und ohne Grenze in 90° übergehen. So scharf die Grenze zwischen dem Kern 
von Albit und dem Rand von Oligoklas ist, so allmählich erfolgt der Uebergang vom 
normalen Oligoklas zu einem Oligoklas-Andesin, der stets das basischste Glied in allen 
Amphiboliten und Grünschiefern bildet. Besonders verdient hier hervorgehoben zu werden, 
dass bei den zonar struierten Feldspaten in diesen Gesteinen der Albit stets den Kern bildet 
und nach aussen zu basischere Schichten sich ansetzen, wie das auch Becke!) aus analogen 
Gesteinen beschreibt, ganz im Gegensatz zu der gewöhnlichen Erscheinung, welche man am 
Plagioklas der Eruptivgesteine beobachtet. 

Was die Einschlüsse betrifft, so findet man nur ganz vereinzelt helizitische Züge von 
Hornblende und Klinozoisit; meist sind diese beiden Mineralien oder eines derselben 
ganz unregelmässig verteilt und treten in wirr verfilzten Aggregaten auf, wie man das am 
Saussurit gewohnt ist, so dass die Beobachtung des Feldspates selbst erst in ganz dünnen 
Schliffen möglich ist. In anderen Fällen sind sie in geringer Menge vorhanden, der Klino- 
zoisit dann gerne in grösseren Kristallen oder an seiner Stelle auch radiale Aggregate von 
Chlorit. Oefter beobachtet man aus der deutlich parallel struierten Grundmasse der Amphi- 
bolite grössere Feldspateinsprenglinge sich abheben, die zweierlei Art sein können, entweder 
wohl lamelliert an Klinozoisit in kleinen Kriställcher äusserst reiche Individuen von Oligo- 
klas, wie sie im Zentralgranit vorhanden sind, oder aber Albit meist mehr oder weniger 
gerundet und völlig klar durchsichtig. 

Endlich beobachtet man grössere, wohlbegrenzte, aber nicht einheitlich auslöschende 
Feldspatindividuen, welche oft zu drei Vierteln aus Klinozoisit bestehen, und den makro- 
skopisch erkennbaren Saussuriteinsprenglingen entsprechen; sie sind öfter eingewachsen in 
eine Grundmasse aus klarem, nicht lamelliertem Albit; in einzelnen Fällen bestehen solche 
Flecken auch ganz aus scharf rektangulär umgrenzten Partien von Klinozoisit. Im allge- 
meinen aber ist im Dünnschliff die porphyrische Struktur, welche makroskopisch oft 
recht deutlich hervortritt, um vieles weniger klar und die ophitische Struktur vollends, 
welche an einzelnen im Bach abgerollten Stücken in so vorzüglicher Weise vorhanden ist, 
lässt sich u. d. M. kaum mehr in Spuren erkennen. 

In manchen Vorkommnissen von Amphibolit greifen die Albitändtvicnen mehr eckig 
ineinander, bis schliesslich eine ganz verzahnte Struktur hervorgeht, welche den Eindruck 


!) F. Becke, Ueber Zonenstruktur an Feldspaten. Sitzungsber. Lotos 1897, Nr. 3. 


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295 


eines stark kataklastischen Aggregates macht. Aber auch dann zeigt der Albit weder Spalt- 
barkeit noch Lamellen. Auch einzelne der grösseren Einsprenglinge von Albit, meist ein- 
fache Zwillinge, sehen randlich wie zertrümmert aus und laufen eigenartig stenglig in das 
Nebengestein aus. 

Die Zwischenmasse zwischen den unten zu besprechenden farbigen Mineralien bildet 
bald das absolut klare, feinere oder mittelkörnige Aggregat von Albit, das sich auch zu 
isolierten Lagen oder zu augenartigen Aggregaten absondert. Bald treten vereinzelte Ein- 
schlüsse in dem Feldspat auf, und es entwickeln sich schliesslich rein saussuritische, 
feinkörnige Aggregate mit richtungsloser Struktur, in welchen eine lichte Hornblende 
vorherrscht, meist in Verbindung mit Klinozoisit, und die von Chlorit oder von kleinen 
Biotitfetzen durchsetzt sind. Plagioklas ist in diesem Saussurit häufig bald in der Art, 
dass er isolierte, kleine, einschlussfreie Körner in demselben bildet, oder dass er in einheit- 
lichen grösseren Individuen durch das Aggregat der stärker lichtbrechenden Mineralien 
durchschimmert. Der Saussurit neigt zu radialer Struktur, und besonders sind eisblumen- 
ähnliche, im polarisierten Licht prehnitähnlich parkettierte Aggregate von Klinozoisit-Epidot 
in denselben zu erwähnen. Diese Aggregate werden schliesslich so dicht, dass sie sich selbst 
im dünnsten Schliff nicht mehr auflösen lassen. Oefter sind ganz einschlussfreie Albite in 
der von Saussurit vollgepfropften Grundmasse vorhanden. Auch trennen sich die Aggregate 
des Saussurits in ähnlicher Weise wie jene von Albit in einzelnen Lagen ab und bringen 
so eine gebänderte Struktur hervor. 

Der nächst wichtige Gemengteil der Gesteine ist die Hornblende, in äusserst ver- 
schiedenartigen Formen auftretend und selbst in einem und demselben Gestein in mehreren 
Ausbildungen nebeneinander vorhanden. Im allgemeinen besitzt sie im Gegensatz zu den 
Chloritschiefern hier viel mehr kompakten, häufig ganz kurzprismatischen Habitus; gegen- 
über den Eklogiten ist sie entschieden weniger natronreich. In einzelnen Amphiboliten des 
Hollersbach- und Habachtales beobachtet man grössere, körnig ausgebildete Individuen, 
welche im Kern braun, in den Randzonen blaugrün sind; der Kern zeigt dann mehr oder 
minder gesetzmässig oder auch ganz regellos angeordnete, opake Einschlüsse, welche dem klar 
durchsichtigen Rand fehlen, der nach aussen häufig wieder schilfig zerfasert. Auslöschungs- 
schiefe, Doppelbrechung, Achsenwinkel etc. sind in den beiden verschieden gefärbten Zonen 
völlig übereinstimmend und dieselben verlaufen auch ganz allmählich ineinander. Solche 
Körner zeigen meist keinen Zusammenhang mit der Schieferung des Gesteines, während 
neben denselben ein weiteres, meist lichtgrünes, schwach pleochroitisches Glied der Horn- 
blendegruppe vorhanden ist, dessen derbe Stengel sich parallel der Schieferung legen; sie 
bilden besonders gerne Flasern um Einsprenglinge von Feldspat oder um Klinozoisit-Epidot- 
Individuen. 

Die grösseren kompakten Körner, in welchen die zonar aufgebaute Hornblende auf- 
tritt, werden öfter ersetzt durch einfarbige, welche im Kern eine Anhäufung von opaken 
Einschlüssen aufweisen und die von dunkelgrünen Tönen bis zu den häufigeren blaugrünen 
des eigentlichen Karinthins wechseln. Auch diese sind gewöhnlich an den Enden schilf- 
artig ausgewachsen und öfter durchsetzt von einem feinen Staub stark doppelbrechender 
‚Einschlüsse, wahrscheinlich von Rutil. Die unregelmässige Endausbildung tritt namentlich 
da hervor, wo die Zwischenmasse rein saussuritisch ist, sie erscheint nur in geringem Masse, 
wo Albit den Hauptbestandteil derselben bildet. Solche grössere Hornblendedurchschnitte 

33* 


296 


sind bald arm an Einschlüssen bald geradezu skelettartig von solchen durchlöchert, auch 
poikilitische Verwachsungen mit Biotit finden sich. 

In einzelnen Gesteinen legen sich die Hornblendeindividuen quer zur Schieferung, sie 
sind dann ganz besonders ausgefasert und oft völlig zertrümmert, so dass namentlich die 
Querschnitte im polarisierten Licht wie parkettiert erscheinen. Die letztere Erscheinung tritt 
indes auch da ein, wo in verhältnismässig untergeordneten Zwischenlagen durch serizitische 
Häute ausgezeichnete Gesteine auftreten, welche kurze, divergent schilfige Hornblendegarben 
enthalten. 

Mineralien der Epidotgruppe sind gleichfalls in allgemeinerer Verbreitung vorhanden; 
wie schon der Mangel gelber Färbung bei makroskopischer Betrachtung zeigt, seltener der 
eisenhaltige Epidot als der eisenarme Klinozoisit. Letzterer, nicht selten auch in wohl 
ausgebildeten Kristallen, tritt meistens allein auf; nur untergeordnet sind Vorkommnisse, in 
denen er. mit den stärker doppelbrechenden Gliedern der Reihe zonar verwachsen ist. Er 
bildet zum Teil reeht grosse Individuen und ist zumeist völlig farblos, nur in einem isolierten 
Nest wurde deutlich gefärbter Klinozoisit beobachtet, in dem a licht weingelb, b zitronengelb 
war. Auch in dem Vorwiegen des Klinozoisits liegt ein Gegensatz gegenüber von den 
Chloritschiefern wie den Eklogiten, in welchen dieses Mineral stets in Verwachsung mit 
Epidot vorhanden ist. 

Was die Glimmer betrifft, so wurde fast ausschliesslich Biotit beobachtet, Muskowit 
spielt nur als Bestandteil der serizitischen Membranen in einzelnen abweichend ausgebildeten 
Gesteinen eine Rolle. Der Biotit ist zum Teil kristallographisch nicht allzu schlecht begrenzt, 
klar und arm an Einschlüssen, mit Chlorit parallel verwachsen, manchmal neben ganz zer- 
zauster Hornblende vorbanden, zum Teil bildet er löchrige, geradezu skelettähnliche Ein- 
sprenglinge, die nach allen Richtungen zerknittert sind; lokal verwächst er auch poikilitisch 
mit Hornblende. Die Biotitblättchen zeigen gewöhnlich keine Beziehungen zur Schieferung, 
sondern sind richtungslos angeordnet, häufig auch in die der Schichtung parallele Horn- 
blende- oder Chloritflasern hineingestaucht oder zerfasert. 

Der Chlorit, fast ausschliesslich Klinochlor mit Zwillingslamellierung und normalen 
Interferenzfarben, nur lokal in Nestern etwas anomal, bildet ähnlich dem Biotit, aber seltener 
grössere Einsprenglinge, welche quer zur Schichtung liegen. In kleinen Schuppen sind 
Chlorit sowohl als Biotit auch als Bestandteil des Saussurits ziemlich verbreitet; immerhin 
aber ist der Chlorit hier in den verschiedenartigsten Ausbildungsformen kein konstanter 
(Gremengteil, sondern mehr zufällig und in seiner Verbreitung beschränkt, besonders fehlt er 
den eigentlichen Amphiboliten. 

Kalkspat und Quarz sind im allgemeinen, selbst in geringen Mengen seltene Gemeng- 
teile. Ersterer zum Teil in körnigen Haufen, seltener auch lagenweise abgetrennt, zum Teil 
aber auch kristallographisch besser begrenzt in Chlorit und Hornblende eingewachsen; 
letzterer namentlich in solchen Schiefern, in welchen die serizitischen Häute eine gewisse 
Rolle spielen und zugleich schlierenartige Aggregate von Titanit auftreten. Mechanische 
Phänomene zeigen beide nicht. & 

Turmalin in zonar aufgebauten Kristallen, innen blau, aussen braun, ist ziemlich selten, 
in besonderer Menge wurde er in Amphiboliten aus dem mittleren Habachtal beobachtet. 
Eigenartig sind die Titansäuremineralien, welche in den verschiedenartig ausgebildeten Amphi- 
boliten und Grünschiefern eine nicht untergeordnete Rolle spielen, ohne dass irgend eine 


\ 


i 


297 


Gesetzmässigkeit in ihrer Verbreitung erkannt werden konnte. Es sind wieder Titaneisen, 
Rutil und Titanit, von welchen bald je eines bald zwei oder alle drei in einem und dem- 
selben Gestein vertreten sind; der Titanit befindet sich besonders in Form der sogenannten 
Insekteneier, welche ganze Flasern bilden, manchmal auch im Albit angehäuft sind. Das 
Titaneisen bildet in einigen Gesteinen prächtige Skelette, die zum Teil in Rutil umge- 
wandelt sind, in anderen geht es randlich in Titanit über. In wieder anderen Gesteinen 
enthalten grössere derbe Partien von Titaneisen einen gelb durchsichtigen Kern von Rutil. 
Dann kommt Rutil von Titanit umrandet vor oder der Rutil umschliesst den Titanit, kurzum 
diese Mineralien verbinden sich in der mannigfaltigsten Weise. Schon aus diesem äusserst 
wechselnden Verhältnis der verschiedenen Titansäuremineralien folgt, dass es sich hier nicht 
um Umwandlungserscheinungen handelt, zumal oft nebeneinander die entgegengesetzten 
Kombinationen vorhanden sind. In den hier in Betracht kommenden Gesteinen handelt es 
sich nach der ganzen Art der Ausbildung im Gegensatz zu den Beobachtungen von Rosen- 
busch!) um eigentliche primäre Verwachsungen. Es müssen noch die prächtigen, zum Teil 
ziemlich grossen Herzzwillinge von Rutil erwähnt werden, die in einigen Gesteinen dieser 
Gruppe vorhanden sind. 

Einen nicht seltenen, meist schon makroskopisch erkennbaren Bestandteil bildet ferner 
der Schwefelkies, der zum Teil in guten Kristallen auftritt, welche in einem Vorkommnis 
aus dem Untersulzbachtal von Chlorithöfen umschlossen werden, die eigentümliche, augen- 
ähnliche Form annehmen. Eisenglanz ist dagegen nur lokal in grösserer Menge vor- 
handen: einzelne Amphibolite aber sind von den scharf begrenzten Täfelchen, die öfter rot 
durchsichtig werden, wie besät. Ueber die Verbreitung von Zirkon und Apatit endlich 
kann auch bei diesen Vorkommnissen nur soviel gesagt werden, dass sie nicht in grösserer 
Menge vorhanden sind. 


Mineralische Zusammensetzung der Schiefer. 


Was zunächst die mineralogische Zusammensetzung der im vorhergehenden 
besprochenen Gesteine der Schieferhülle betrifft, so ist dieselbe in mehr als einer Beziehung 
von ganz hervorragendem Interesse. 

In erster Linie hervorzuheben ist der Typus des Plagioklases, der in allen unter- 
suchten Gesteinen so ausserordentlich übereinstimmend ist, wie die nach Hunderten zählenden 
Bestimmungen mittels der unanfechtbaren Fouqueschen Methode beweisen, mit denen auch 
die aproximative Messung der Lichtbrechung durchaus gleichwertige Resultate ergab. Letztere 
Methode allerdings, so zuverlässig sie an sich ist, — was gegenüber den Ausführungen 
Vaters?) betont werden muss, — würde keine Entscheidung darüber geliefert haben, ob 
Orthoklas oder saurer Plagioklas vorliegt, und anderenteils ist die Beschaffenheit der 
genauer studierten Feldspate für Bestimmungen nach sonstigen Methoden eine äusserst wenig 
geeignete. Das Zurücktreten der Zwillingslamellen, deren Spuren man in den meisten der 
untersuchten Gesteine erst nach längerer Uebung überhaupt entdeckt, ist für zahlreiche 


1) H. Rosenbusch, Mikroskopische Physiographie der gesteinsbildenden Mineralien, XVII. 
2) H. Vater, Ueber Ktypeit und Conchit. Zeitschr. Kristallogr. 1902, XXXV, 149. 


298 


Forscher die Ursache gewesen, derartige Vorkommnisse als Orthoklas-führende zu beschreiben. 
Meiner Ueberzeugung nach ist Orthoklas in den Gesteinen der Schieferhülle des Gross- 
Venedigers, abgesehen von vereinzelten „Gneisen“, nirgends vorhanden, und der gesamte, 
oft recht bedeutende Feldspatgehalt derselben ist als Plagioklas anzusprechen. 

Wo überhaupt durch Spuren von Spaltrissen oder von Lamellen die Möglichkeit einer 
exakten Bestimmung geboten war, ergab sich als überwiegend vorherrschendes Glied der 
Feldspatgruppe ein völlig normaler Albit, dessen optische Eigenschaften mit den von 
Fouque!) am reinen Albit bestimmten auf das Vollkommenste übereinstimmen. Neben 
demselben, aber ganz untergeordnet, wenigstens in den meisten der untersuchten Schiefer, 
ist Oligoklas vorhanden, und ‚es ist wiederum bemerkenswert, dass selbst in den seltenen 
zonar struierten Individuen, in welchen beide Glieder der Feldspatgruppe zu einem Kristall 
vereinigt sind, sich dieselben scharf voneinander abheben und in keinem Fall durch iso- 
morphe Mischungen von intermediärer Zusammensetzung verbunden sind. Anderseits 
findet in vereinzelten Fällen vom Oligoklas zu einem Oligoklas-Andesin ein ganz all- 
mählicher Uebergang statt. Letzterer stellt den basischsten Feldspat dar, welcher in 
diesen Gesteinen überhaupt beobachtet wurde. 

Im Gegensatz zu den gewohnten Erscheinungen steht ferner die Verteilung der ver- 
schiedenen Feldspate innerhalb der zonar struierten Individuen, indem hier ausschliesslich 
die umgekehrte Reihenfolge gefunden wurde: der innere Kern des Kristalles ist stets Albit, 
die äusseren Zonen bestehen dagegen aus basischeren Plagioklasen. 

Wenn man das Auftreten von Zwillingslamellen mit dynamischen Einwirkungen in 
Verbindung bringen will, wie das schon öfter?) versucht wurde, so ist ihr Zurücktreten in 
diesen so gerne als dynamometamorph bezeichneten Gesteinen auffallend, steht aber in gewissem 
Zusammenhang mit dem allgemeinen Fehlen dynamischer Strukturen in dem gesamten Bereich 
der Schieferhülle. Allerdings hebt schon Zirkel (l. c.) hervor, dass im allgemeinen in den 
beiden Endgliedern der Feldspatreihe die Zwillingslamellen spärlicher zu sein pflegen als in 
den Mittelgliedern, aber es scheint, dass die genetischen Verhältnisse dabei in viel höherem 
Maasse in Betracht kommen als die Zusammensetzung des Feldspates selbst. Ist es doch 
bezeichnend, dass in kalkreichen Gesteinen, namentlich in den Kalkglimmerschiefern des in 
Betracht kommenden Gebietes selbst der normale Albit reich an Lamellen ist. 

Mit Ausnahme einzelner Eklogite, in welchen etwas getrübte Plagioklase vorhanden 
sind, erscheinen dieselben stets tadellos frisch und absolut klar. Und wenn auch die 
Individuen infolge der grossen Masse von Einschlüssen kaum mehr durchsichtig werden, 
so ist doch in den Schiefern ebensowenig wie im Zentralgranit selbst irgend eine Spur einer 
Verwitterung oder Zersetzung zu erkennen. Während man im Feldspat des Granites selbst 
die massenhaften Mikrolithen von Klinozoisit, Granat etc. mit der Substanz des Feldspates 
in Beziehung bringen konnte, kann davon in den Schiefern im allgemeinen nicht die Rede 
sein. Bei dem Vorherrschen der Hornblende unter den vom Feldspat umschlossenen Mine- 
ralien kann man nicht daran denken, die Einschlüsse als Umwandlungsprodukte anzusehen, 
und völlig zur Unmöglichkeit wird eine derartige Hypothese durch die helizitische An- 


ı) F. Fouque, Contribution & l’e&tude des feldspats des roches volcaniques. Bull. soc. france. 
mineral. 1294, XVII, 281. 
2) F. Zirkel, Lehrbuch der Petrographie, I. Bd., 1893, 225. 


299 


ordnung dieser Einschlüsse, die namentlich in den Chloritschiefern so charakterıstisch hervor- 
tritt. Im Gegensatz steht diese Beobachtung zu den Angaben zahlreicher Autoren, welche 
ähnliche Gesteine beschreiben und wie Duparc und Mrazec!) den Feldspat zersetzt finden, 
Besonders hervorzuheben ist die (l. c. p. 37) gemachte Aeusserung, dass sich der Feldspat 
kaolonisiert, indem er sich mit Serizit belädt. Das sind doch einander ganz entgegen- 
gesetzte Prozesse. 

Bemerkenswert ist endlich, dass man in den „Gneisen* zwei verschiedenartige 
Plagioklase nebeneinander beobachtet, die sich viel weniger durch ihre Zusammensetzung 
als durch ihre Mikrostruktur unterscheiden. Die einzelnen zwillingslamellierten, an Epidot- 
mikrolithen reichen Individuen von Oligoklas resp. Oligoklas-Albit stimmen so sehr mit jenen 
im Zentralgranit überein und weichen soweit von dem daneben vorhandenen normalen Albit 
der Schiefer ab, dass man sie nur als aus dem Granit aufgenommen ansehen kann. 

Auch die Mineralien der Epidotgruppe zeigen manche eigenartige Erscheinung. Vor 
allem ist zu betonen, dass Zoisit a,*) welcher bisher als besonders verbreitet in Amphiboliten 
und analogen Schiefern galt, hier nur in zwei Schliffen unter den zahlreichen, welche unter- 
sucht wurden, nachgewiesen werden konnte. All das, was man bisher dafür nahm, erwies 
sich bei der Untersuchung im konvergenten, polarisierten Licht als Klinozoisit. Etwas ver- 
breiteter, aber immer noch recht beschränkt ist der Zoisit , der vor allem in den Knoten- 
glimmerschiefern allein vorhanden ist, und im Cipolin verwachsen mit Zoisit a auftritt, 
während er im Kalkglimmerschiefer neben Klinozoisit, aber nicht mit diesem verwachsen 
beobachtet wurde. Die Unterscheidung dieser drei schwach doppelbrechenden Glieder der 
Epidotgruppe hat sich als nicht so schwierig erwiesen, wie es anfangs?) schien. Wie ein- 
sehende Untersuchungen im konvergenten, polarisierten Licht an einer ungemein grossen 
Zahl von Schliffen bewiesen haben, lässt sich eine Unterscheidung schon nach dem Ton 
der Interferenzfarben ausführen. Der anomalste ist der Klinozoisit mit tiefpreussischblauen 
Tönen, graublaue Interferenzfarben gibt der.Zoisit «a und beim Zoisit ß nähern sich die- 
selben dem reinen Grau erster Ordnung, einen Schliff von normaler Dicke vorausgesetzt. 

Schwieriger ist die Unterscheidung gegenüber einer anderen Reihe von Gliedern der 
Epidotgruppe, welche bisher noch wenig eingehend untersucht worden sind, da sie stets nur 
in winziger Menge als Bestandteile der Gesteine auftreten und makfoskopisch noch gar nicht 
bekannt sind. Dieselben sind wie die besprochenen Mineralien farblos oder in den hier in 
Betracht kommenden Gesteinen häufiger licht violett gefärbt, haben ebenso wie die Zoisite 
wechselnde Lage der Achsenebene, bald parallel bald senkrecht zur Hauptzone mit verschiedenen 
Achsenwinkeln, geben ebenso wie diese bald normale bald ganz anomale Interferenzfarben, 
unterscheiden sich aber durch zwei Eigenschaften in charakteristischer Weise von denselben. 
In erster Linie ist es die grosse Auslöschungsschiefe, welche namentlich an den häufigen 
Zwillingen gemessen werden kann und 36—38° beträgt, gegenüber dem geringen Betrag 
derselben beim Klinozoisit, dann aber treten in ihrer Umgebung stets charakteristische pleo- 


!) L. Dupare und L. Mrazec, Recherches geologiques et petrographiques sur le massif du 
Montblanc. Mem. soc. phys. Geneve 1898, XXXII, Nr. 1. 

2) Verel. P. Termier, Sur une variete de zoisite des schistes metamorphiques des Alpes. Bull. 
soc. frang. mineral. 1898, XXI, 148, ferner: Sur une association d’epidote et de zoisite et sur les rapports 
eristallographiques de ces especes minerales. Ebenda 1900, XXIII, 50. 

3) E. Weinschenk, Ueber Epidot und Zoisit. Zeitschr. Krystallogr. 1896, XXVI, 156. 


300 


chroitische Höfe hervor, sobald sie in Glimmer oder Chlorit als Einschlüsse auftreten. 
Beide Eigenschaften haben sie mit dem Orthit!) gemeinsam, und sie wurden daher mit 
diesem identifiziert, obwohl irgend ein chemischer Anhaltspunkt dafür, wie hervorzuheben 
ist, fehlt. Trotz der grossen Verbreitung, welche solche Mineralien in den verschiedenartigsten 
Gesteinen besitzen, gelang es mir nur, einen Teil eines Milligramms derselben völlig rein zu 
erhalten. Dieses geringe Material wurde qualitativ im chemischen Laboratorium der hiesigen 
technischen Hochschule auf Cer geprüft, aber mit negativem Resultat. Doch ist nach freund- 
lichen Mitteilungen des Herrn Prof. Muthmann darin kein Beweis gegen das Vorhandensein 
von Ceriterden zu erblicken, da einesteils die Substanzmenge so ausserordentlich gering war, 
anderseits die Reaktionen der ÜCeriterden sehr wenig intensiv sind. 

Ich halte mich daher, trotz dieses negativen Resultates, im Hinweis auf die optische 
Uebereinstimmung dieser Mineralien mit dem Orthit für berechtigt, sie direkt mit dem- 
selben zu identifizieren. Eingehendere Untersuchungen werden dann ergeben, dass man 
wieder Orthit a und Orthit £ abtrennen muss, die sich ebenso wie die entsprechenden 
Zoisite durch Lage der Achsenebene, Grösse des Achsenwinkels und die Dispersion der Achsen 
unterscheiden. Dann würde die Epidotgruppe mindestens fünf verschiedene, schwach doppel- 
brechende Glieder umfassen. Die hier in Betracht kommenden Orthite sind namentlich im 
Gneis und Glimmerschiefer verbreitet und scheinen den Hornblende- und Chlorit- 
gesteinen zu fehlen. Der gewöhnliche braune Orthit, der im Centralgranit eine so grosse 
Rolle spielt, wurde dagegen in keinem der Schiefer aufgefunden. Bemerkt mag noch werden, 
dass trotz der ungemein grossen Menge von Titansäuremineralien in den meisten Schiefern, 
der Orthit das einzige Mineral in denselben ist, um welchen sich pleochroitische Höfe 
entwickeln. 

Was die Verbreitung der übrigen Glieder der Epidotgruppe betrifft, so ist auch 
darin mancher Unterschied der einzelnen Gesteinsgruppen zu konstatieren. In den Amphi- 
boliten und Grünschiefern der Nordseite herrscht der Klinozoisit vor und ist in einer 
grossen Reihe von Gesteinen allein vorhanden, in den Eklogiten des Südabhanges dagegen 
sind die kräftig doppelbrechenden Epidote viel weiter verbreitet und der Klinozoisit tritt 
nur untergeordnet in einzelnen Zonen der zonar gebauten Kristalle auf. In den Chlorit- 
schiefern endlich stellen die einzelnen Individuen meist eine Kombination von Klinozoisit 
mit Epidot dar, mit einer wechselnden Reihenfolge der einzelnen Schichten. 

Auch die Mineralien der Chloritgruppe zeigen in ihrer Verbreitung einige Besonder- 
heiten; als Bestandteile der Schiefer wurden fast ausschliesslich wohl zwillingslamellierte 
Blättchen von Klinochlor beobachtet, welche vollständig oder doch sehr annähernd normale 
Interferenzfarben geben, untergeordnet und meist nur in Nestern oder radialen Aggregaten, 
die in einzelnen Fällen mit Sicherheit als zersetzte Granaten erkannt wurden, findet sich 
nicht lamellierter Pennin mit anomalen, rostbraunen und blauen Interferenzfarben von sehr 
geringer Lichtstärke, letzterer herrscht dagegen im Centralgranit sowohl als in den 
sekundären Aggregaten der Serpentine. Im Gegensatz zu Tschermaks?) Beobachtungen 
erscheint der Klinochlor als wichtigster Gemengteil der grünen Schiefer, eine Differenz, 


!) E. Weinschenk, Gesteinsbildende Mineralien, Freiburg 1901, 83; B. Baumgärtel, Der Erz- 
berg bei Hüttenberg in Kärnten. Jahrb. geol. Reichsanst. 1902, LII, 228. 
?2) G. Tschermak, Die Chloritgruppe, II. Teil. Sitzungsber. Akad. Wiss. Wien 1901, C, I, 29. 


u 


301 


welche dadurch zu erklären ist, dass die „Chloritschiefer“, die Tschermak in dieser 
Richtung untersuchte, in der Hauptsache gar keine Chloritschiefer waren, sondern die im 
ersten Teil dieser Beiträge an zahlreichen Stellen erwähnten Magneteisen führenden Chlorit- 
aggregate, welche hauptsächlich gangförmig im Serpentin auftreten und mit Schiefern 
nichts zu tun haben. 

Eigentümlich ist auch das Verhalten der Titansäuremineralien, von welchen Rutil, 
Titanit und Titaneisen beobachtet wurden; der sonst in umgewandelten Gesteinen so 
verbreitete Anatas fehlt. Irgend eine Gesetzmässigkeit in der Verteilung der drei Mine- 
ralien war nicht aufzufinden, mit Ausnahme der Beobachtung, dass der Rutil in den 
Eklogiten vorherrscht, während die Chloritschiefer hauptsächlich Titanit enthalten. 
In einzelnen Fällen sieht man Titaneisenskelette zum Teil in Rutil umgewandelt, in 
anderen scheint der entgegengesetzte Prozess vor sich gegangen zu sein, und auch die Kom- 
binationen dieser mit Titanit variieren sich in der mannigfaltigsten Weise, so dass z. B. 
in den Amphiboliten, worauf schon hingewiesen wurde, die mannigfachsten Verwachsungen 
nebeneinander vorkommen, so dass hier speziell von Umwandlung und Uebergängen nicht 
die Rede sein kann. 

Endlich mag noch auf die Verbreitung des Turmalins in allen untersuchten Ge- 
steinsgruppen, besonders in den gut schiefrigen, hingewiesen werden, der überhaupt in den 
zentralalpinen Schiefern wenigstens in einzelnen Nädelchen nicht zu fehlen pflegt. Dass 
in den Schiefern dunkle, in den Kalken lichtere Varietäten auftreten, ist gleichfalls überein- 
stimmend mit den Beobachtungen in anderen Gebieten. 

Talk und Kaolin, welche von anderer Seite häufiger in entsprechenden Gesteinen 
erwähnt werden, wurden trotz intensiven Suchens in den Schiefern des Gross-Venedigers 
(ausser Talk am Serpentinkontakt) nicht gefunden; sie sind auch unzweifelhaft als eigent- 
liche Bestandteile der allerverschiedenartigsten Schiefer im Gebiete der Alpen nicht vor- 
banden. Der Talk findet sich lokal zwar auch in den Alpen in ungemein bedeutenden 
Mengen angehäuft, aber stets unter ganz besonderen Verhältnissen, wo er dann im allgemeinen 
die Hauptmasse des Gesteines ohne Rücksicht auf dessen ursprüngliche Zusammensetzung ver- 
drängt, wie z. B. in den Talkschiefern der Steiermark. Als untergeordneter Gesteins- 
bestandteil tritt er nur im Serpentin und den diesen begleitenden Neubildungen auf. Seine 
Bestimmung in der Gruppe der hier speziell in Betracht gezogenen Schiefern dagegen ist 
falsch und beruht auf seiner Aehnlichkeit mit Muskowit und Serizit. 

Aehnliche Ueberlegungen legt die Bestimmung des Kaolins nahe, auch hier ist es 
nicht das wasserhaltige Tonerdesilikat, das den Namen Kaolin führt, sondern die gewöhn- 
lichen serizitischen Umwandlungsprodukte der Feldspate, welche mit Kaolin nichts zu tun 
haben. Kaolin ist im Gebiete der Zentralalpen trotz der ungemein bedeutenden granitischen 
Massengesteine eine ganz ausnahmsweise Erscheinung, sicher nachgewiesen kaum an zwei 
bis drei, Punkten, was besonders hervorgehoben zu werden verdient. Aber auch sonstige 
Umwandlungen sind an den Feldspaten der zentralalpinen Gesteine kaum vorhanden; Stücke 
mit umgewandeltem oder auch nur angegriffenem Feldspat z. B. aus dem etwa 5000 Stücke 
umfassenden Gesamtmaterial des Gross-Venedigers, das mir zur Untersuchung vorliegt, kann 
man an den Fingern abzählen. Einschlussreich sind ja namentlich die Plagioklase in den 
verschiedensten Gesteinen des Gebietes, aber von Umwandlung ist meist keine Spur zu 
erkennen. Endlich wurden in den untersuchten Schiefern drei Mineralien konstatiert, welche 

Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. Il. Abt. 39 


302 


mit den gewöhnlichen, in ihren Eigenschaften genauer bekannten Mineralien nicht überein- 
stimmen, aber zum Teil wegen zu geringer Menge, zum Teil wegen ihrer Unreinheit chemisch 
nicht untersucht werden konnten. 

Von Erzmineralien ist abgesehen von Titaneisen namentlich das Magneteisen als 
Bestandteil der Chloritschiefer zu erwähnen. Der Eisenglanz erscheint häufiger, wie in 
Kontaktgesteinen gewöhnlich, als sekundärer Gemengteil. Von den Eisensulfiden scheint in 
den kalkreicheren Gesteinen der Magnetkies vorzuherrschen, der überhaupt in solchen 
Vorkommnissen eine nicht untergeordnete Rolle spielt, in den silikatreichen Schiefern dagegen 
ist der Schwefelkies viel weiter verbreitet. 


Die Struktur der Schiefer. 


Auch in Beziehung auf die Struktur sind mannigfache Erscheinungen vorhanden, 
welche eine eingehendere Würdigung verdienen. Die wichtigste Beobachtung in dieser Be- 
ziehung ist wohl in dem Mangel mechanischer Strukturen gegeben, welcher die 
Schiefer den granitischen Gesteinen gegenüber in so hohem Maasse auszeichnet. Wenn auch 
lokal fast in jeder Gruppe auch unter den ersteren einzelne kataklastische Erscheinungen 
beobachtet wurden, so bilden diese doch nur seltene Ausnahmen und in der Hauptanzahl 
der untersuchten Proben zeigen selbst Mineralien, welche dem Druck gegenüber zu den 
allerempfindlichsten gehören, auch nicht eine Spur einer Zertrümmerung. Wo grobkörnige 
Quarzaggregate keine Andeutung einer Trümmerstruktur aufweisen, wo Kalkspatkörner 
kaum eine Zwillingslamellierung, und wenn eine solche vorhanden ist, keine Biegungen der- 
selben erkennen lassen, da dürfte doch wohl der Beweis geliefert sein, dass schon während 
der Kristallisation der betreffenden Gesteine die Bewegung der Massen zur Ruhe gekommen 
war. Denn der von Rosenbusch!) aufgestellte Satz, dass kein Körper durch dieselbe Kraft 
wieder zerstört wird, welche zu seiner Bildung Anlass gegeben hat, steht nicht im Einklang 
mit den physikalischen Gesetzen. Wenn der Druck, der z. B. zur Entstehung eines Tur- 
malins, eines Quarzes ete. Anlass gibt, gleichzeitig auch Verschiebungen innerhalb der Gesteine 
hervorbringt, welche sich als Gebirgsfaltung äussern, so werden durch denselben eben auch 
die einzelnen Teile des sich bildenden Minerales verschoben und das schliesslich zur Ruhe 
gekommene Gestein muss die Bewegungen, welche sich während seiner Kristallisation voll- 
zogen, deutlich verfolgen lassen. 

Man hat von vornherein die Theorie der Dynamometamorphose auf der Erscheinung 
der intensiven Gesteinsfaltung und der Zertrümmerung begründet, welche man in solchen 
Gesteinen beobachtete, und versuchte nun durch den oben angeführten Satz das weit ver- 
breitete Fehlen solcher Strukturen, namentlich in den zentralalpinen Schiefern, mit dieser 
Theorie in Einklang zu bringen. Auch von einer bruchlosen Faltung im Sinne Heims 
kann nicht die Rede sein, denn die sämtlichen Gesteine, welehe hier beschrieben wurden, 
sind in ihrem heutigen kristallinischen Zustand überhaupt nicht gefaltet worden, 


) H.Rosenbusch, Zur Auffassung des Grundgebirges. Neues Jahrb. Mineral. 1889, II, 97. „Was 
während des Druckes und durch den Druck sich bildete, wird durch ihn nicht deformiert. Keine Kraft 
zerstört das, was sie schuf, so lange die Existenzbedingungen des Geschaffenen fortdauern.* 


SD a a a 


303 


sondern die Faltung war abgeschlossen, als ihre Kristallisation begann. Nur untergeordnete 
Spannungen kamen später noch zur Auslösung, welche aber keineswegs zu bruchloser Faltung, 
sondern in charakteristischer Weise zu den lokal vorhandenen Trümmerstrukturen Anlass gaben. 


Dass die zuletzt erwähnten, modifizierten Gesteine sehr häufig ihre Festigkeit trotz 
allgemeiner Zermalmung nicht eingebüsst haben, ist gleichfalls eine bemerkenwerte Erschei- 
nung. Aber es lassen sich ja selbst pulverisierte Mineralien durch gewaltigen Druck so 
zusammenpressen, dass dieselben eine ziemlich bedeutende Festigkeit erreichen, so dass es 
von diesem Standpunkt aus nicht auffallend erscheint, wenn die bei den Pressungsversuchen 
von Adams und Nicolson!) oder von Rinne?) völlig zu feinem Sand zermalmten Kalk- 
spate ihren Zusammenhang nicht verloren haben; irgend eine besondere Folgerung für den 
Metamorphismus kann daraus nicht abgeleitet werden. 

Die zweite Struktureigentümlichkeit, welche für die genetischen Beziehungen der Schiefer 
eine grosse Bedeutung besitzt, ist die helizitische Struktur, das Hindurchsetzen der 
Schiehtung durch neugebildete grössere Einsprenglinge. Rosenbusch zieht aus dieser 
Erscheinung, welche in zahlreichen „kristallinischen Schiefern“, besonders jenen der Zentral- 
alpen von weitester Verbreitung zu verfolgen ist, den Schluss, dass darin „ein sicherer 
Beweis für die Mineralneubildung in starrer Gesteinsmasse und für die Gleich- 
zeitigkeit der verschiedenen Mineralbildungen“ gegeben sei. Wie molekulare Be- 


wegungen in starrer Gesteinsmasse vor sich gehen sollen, — und solche müssen doch 
wohl da angenommen werden, wo grosse Kristalle von Granat, Zoisit etc. aus einem 
ursprünglich homogenen Schiefer sich abscheiden, — ist doch nicht leicht denkbar und 


wird auch durch die von den Anhängern des Dynamometamorphismus nach jeder Richtung 
ausgebeuteten Springschen Versuche in keiner Weise klar gestellt, denn bei diesen Ver- 
suchen handelt es sich um Stoffe, welche wenigstens der Mehrzahl der gesteinsbildenden 
Mineralien gegenüber entgegengesetzte physikalische Eigenschaften haben. Diese Sub- 
stanzen, meist Salze von Schwermetallen, mit welchen die Springschen Versuche geglückt 
sind, haben in geschmolzenem Zustand ein kleineres Volumen als in festem; es muss also 
durch Erhöhung des Druckes bei diesem eine Erniedrigung des Schmelzpunktes eintreten, 
wodurch schliesslich ein mehr oder minder deutlich viskoser Zustand der Masse entsteht. 
Und in einem solchen plastischen Zustand, nicht im starren erfolgten die vielberühmten 
molekularen Umlagerungen. Wenn V. Graber?) in einer Entgegnung auf meine Beobach- 
tungen bezüglich des Dynamometamorphismus das Flüssigwerden eines Gesteines unter hohem 
Druck als Grundlage seiner gesamten Deduktionen voraussetzt, so bewegt er sich nicht auf 
dem Boden der physikalischen Tatsachen. Und dadurch fällt auch das ganze auf dieser 
Hypothese errichtete Gebäude, wie bei anderer Gelegenheit nachgewiesen werden soll. 


Die Mineralien der Gesteine zeigen, soweit sie bis jetzt untersucht sind, ein gegen- 
teiliges Verhalten: durch den Druck wird also hier das Gegenteil bewirkt, es findet eine 
Erhöhung des Schmelzpunktes statt, und durch den Druck allein werden diese Stoffe 


1) F.D. Adams und J. T. Nicolson, An experimental investigation into the flow of marble. 
Philos. transact. roy. soc.. London 1901, A, CXCV, 363. 

2) F. Rinne, Beitrag zur Kenntnis der Umformung von Kalkspatkristallen und von Marmor unter 
allseitigem Druck. Neues Jahrb. Mineral. 1903, I, 160. 


3) H. V. Graber, Ueber die Plastizität granitischer Gesteine. Verh. geol. Reichsanst. 1902, 114. 
39* 


304 


noch starrer, noch weniger reaktionsfähig und beweglich, wenn nicht gleichzeitig andere 
physikalische Faktoren hinzutreten, welche die Wirkung des Druckes wieder aufheben. Hohe 
Spannung bewirkt in den Gesteinen in erster Linie, dass die Porosität mehr und mehr ab- 
nimmt, dass an Stelle lockerer Massen verbandsfeste Bildungen treten, in welchen aber 
selbst bei den enormsten Spannungsverhältnissen ohne Zuhilfenahme anderer Faktoren Mineral- 
neubildungen nicht entstehen. So wurden durch hohen hydraulischen Druck in einer Kunst- 
steinfabrik zu Wurlitz bei Hof im Fichtelgebirge Gemenge von pulverisiertem Serpentin 
mit anderen Mineralpulvern bei gewöhnlicher Temperatur zu kompakten Massen zusammen- 
gepresst, aus welchen sich ziemlich leieht Dünnschliffe anfertigen liessen, in denen keine Spur 
einer mineralogischen Aenderung zu erkennen war. Solche traten erst ein, als bei weiterer 
technischer Behandlung die so formierten Steine erhöhter Temperatur ausgesetzt wurden. 

Man wird nun allerdings diesem Versuch entgegenhalten, dass in den Gesteinen vor- 
handene Gebirgsfeuchtigkeit als mineralbildendes Agens die Beweglichkeit der Moleküle 
fördert. Doch waren auch jene Serpentinpulver mindestens ebenso feucht, wie Gesteine in 
einer Tiefe von einigen hundert Metern unter der Oberfläche. Auch die durch die Bewegung 
der einzelnen Teile sich entwickelnde hohe Temperatur wird sehr gerne bei diesen theore- 
tischen Betrachtungen in den Vordergrund gestellt, in besonderem Masse von Hörnes,!) 
der selbst eine Verkokung von Steinkohle der Erhitzung der Gesteinsmassen bei der Gebirgs- 
faltung zuschreiben möchte. Man geht dabei im allgemeinen von der geringen Wärme- 
leitungsfähigkeit der Gesteine aus, welche die Gelegenheit bieten würde, eine Ansammlung 
der bei den äusserst langsam wirkenden gebirgsbildenden Prozessen in langen Zeiträumen 
frei werdenden Wärme so sehr zu konzentrieren, dass tatsächlich eine gewisse Beweglichkeit 
der Moleküle bewirkt würde. 

Bei letzterer Anschauung gibt es zwei Möglichkeiten, entweder man denkt sich die 
Gesteine gebirgsfeucht, wobei man dem Wasser bei der erhöhten Temperatur die Rolle 
des Mineralbildners zuschreibt, oder man geht davon aus, dass Gesteine in grossen Tiefen 
völlig trocken sind. Im ersteren Fall wird die Gebirgsfeuchtigkeit die Wärme, welche sich 
während der unendlich langsam vor sich gehenden Faltungsprozesse entwickelt, auf weitere 
Entfernungen verteilen und dadurch in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigen; unter solchen 
Verhältnissen wird eine Temperaturerhöhung im stark zusammengepressten Gestein um 10° 
oder 20° schon weit übertrieben sein. Bei der anderen Annahme, dass nämlich das Gestein 
trocken ist, entbehrt man des Transportmittels für die Moleküle, des Wassers, und wenn 
auch die Versuche von Adams und Nicolson bewiesen, dass bei einer Temperatur von 
300°—400° Kalkspat sich viel weiter bruchlos deformieren lässt als bei gewöhnlicher Tem- 
peratur, und dass dann seine Moleküle schon eine gewisse Bewegungsfähigkeit besitzen, so 
ist einesteils der Kalkspat an sich eines der plastischsten Mineralien, anderseits erscheint eine 
Temperatur von 300°—400°, welche zudem bei den meisten Gesteinen gar keine Bedeutung 
haben würde, weit jenseits von allem, was man aus den Gebirgsbewegungen ableiten kann. 
Welche hohe Temperaturen müssten sich dann an den Bruchstellen, an Verwerfungen und 
Ueberschiebungen konzentrieren, wo die intensivste Gesteinszerreibung lokalisiert und die 
Bewegung eine unzweifelhaft unvergleichlich viel schnellere war. Und doch haben wir gerade 


!) R. Hörnes, Der Metamorphismus der obersteierischen Graphitlagerstätten. Mitt. naturw. Ver. 
Steierm. 1900, 90. 


305 


dort nur Zerreibung, nur Zertrümmerung und nicht die grossartigen Mineralneubildungen, 
welche unsere alpinen Schiefer auszeichnen. Man vergleiche mit diesen nur den „Loch- 
seitenkalk“ oder den „Pfahlschiefer“, und man wird der Anhäufung hoher Temperaturen 
bei Gebirgsbewegungen selbst nur in lokaler Verbreitung keine Bedeutung mehr beilegen; 
als regionales Agens kommt sie überhaupt nicht in Betracht. 

Allerdings wird auch die Temperatur der Tiefe selbst mit bei diesen Hypothesen in 
Betracht zu ziehen sein, da man sich solche Umformungen doch stets in nicht unbedeutender 
Tiefe unter allseitiger Belastung vor sich gehend denken muss, und es ergibt sich daraus 
eine direkte Verbindung des plutonischen Regionalmetamorphismus mit dem Dynamometa- 
morphismus, wie es z. B. Milch!) annimmt, wenn er sagt: „Hierzu ist eine Dislokation, 
eine Faltung durchaus nicht erforderlich, es können also vollkommen ungestörte Schichten 
metamorphosiert werden, es genügt hierzu der Druck der auf ihnen ruhenden Gesteine und 
die dadurch bewirkte Temperaturerhöhung.“ ... „In Faltengebirgen gesellt sich zu dem 
Druck der hangenden Gesteine noch der Druck, den der Seitenschub ausübt, resp. er tritt 
an des ersteren Stelle; demgemäss nehmen im gefalteten Gebirge jüngere Schichten Grund- 
gebirgsfacies an, die in ungefalteten Teilen der Erde infolge geringerer Belastung gegen- 
wärtig noch wenig oder gar nicht metamorphosiert sind.“ 

Wie bedeutend die Temperaturerhöhung durch die überlastenden Gebirgsmassen in dem 
hier in Frage stehenden Gebiete jemals gewesen ist, entzieht sich einer auch nur approxima- 
tiven Bestimmung, dass aber von den Höhen der Zentralalpen Massen von vielen Kilometern 
Mächtigkeit abgetragen worden sein sollten, welche bei solchen Betrachtungen notwendig 
erscheinen, ist doch wohl nur eine der Theorie zu Liebe gemachte Annahme, für welche 
irgend einen Beweis zu finden, recht schwer halten dürfte. Wenn’ aber eine bedeutende 
Temperaturerhöhung infolge überlastender, mächtigster Schichtenkomplexe nicht wahrscheinlich 
zu machen ist, wenn anderenteils die für die Beweglichkeit der Moleküle in diesen Gesteinen 
so notwendige, stark erhöhte Temperatur bei der Langsamkeit der Wirkung der gebirgs- 
bildenden Prozesse auch aus diesen nicht abgeleitet werden kann, so müssen wohl andere 
Ursachen für deren Umkristallisation als massgebend angenommen werden. Rosenbusch 
sagt, dass die von mir als helizitisch bezeichnete Struktur ein Beweis dafür sei, dass die 
„Mineralneubildung in starrer Gesteinsmasse“ vor sich ging. Im Gegensatz dazu möchte 
ich besonders darauf hinweisen, dass diese Struktur ihre hauptsächliche Verbreitung hat in 
Gesteinen, bei deren Umwandlung die Gesteinsmasse sicher nicht starr war, nämlich bei der 
Kontaktmetamorphose. Denn dass die von mir früher beschriebenen, von granitischem 
Magma durchtränkten „Cordieritgneise* des bayerischen Waldes,?) welche die helizitische 
Struktur am schönsten zeigen, sich während ihrer Umkristallisation in starrem Zustand be- 
fanden, das steht im Gegensatz zu der ganzen Beschaffenheit dieser Gesteine. Hier handelt es 
sich um Schiefer, welche von den mineralbildenden Agentien des Granites durchtränkt waren, 
und die so kein starres, sondern ein viskoses Substrat darstellten, und wenn nun in diesen 
in besonders hervorragender Ausbildung dieselbe Struktur vorhanden ist, so kann ich diese 
nicht für einen Beweis der Umbildung in starrem Zustand ansehen. Im Gegenteil, 


1) L. Milch, Beiträge zur Lehre von der Regionalmetamorphose. Neues Jahrb. Mineral. 1894, 
B.B. IX, 101. 
2) E. Weinschenk, Die Kieslagerstätte im Silberberg bei Bodenmais. Diese Abh. 1901, XXI, II, 351. 


306 


es handelt sich hier um eine typische Kontaktstruktur, wie überhaupt bei der kontakt- 
metamorphen Umbilduug der Gesteine alle Struktureigentümlichkeiten häufig auf das Voll- 
kommenste bewahrt bleiben. 

Uebrigens gibt ja Rosenbusch selbst zu, dass ein Unterschied der Struktur dynamo- 
metamorpher und kontaktmetamorpher Gesteine nur schwer festzustellen sei, und so finden 
wir in allen Strukturerscheinungen der Schiefer des Gross-Venedigers die normalen 
Formen kontaktmetamorpher Gesteine. In keinem Andalusithornfels der Vogesen 
ist die sogenannte Pflasterstruktur in so vollkommener Weise ausgebildet wie in den 
Chloritschiefern des Gross-Venedigers mit ihrem aus gerundeten Individuen bestehenden 
Feldspatmosaik. Nirgends ist der Reichtum an Einschlüssen mehr in die Augen fallend 
als in den hier besprochenen Gesteinen, alles Dinge, welche für Kontaktgesteine charak- 
teristisch sind. 

Wenn so in Bezug auf die Struktur der Gesteine volle Uebereinstimmung mit kontakt- 
metamorphen Bildungen in jeder Beziehung ausser allem Zweifel steht, so wäre zu unter- 
suchen, ob nicht in anderer Richtung so schwer wiegende Unterschiede aufgefunden werden 
können, dass man durch diese zu einer abweichenden Annahme gezwungen würde. 

Betrachten wir zunächst die Verteilung der verschiedenen Ausbildungsformen, die in 
typischen Kontaktgebieten so ausserordentlich bezeichnend mit der Entfernung vom Eruptiv- 
gestein eine Abnahme ihrer Korngrösse und ihrer kristallinischen Beschaffenheit aufweisen. 
Auf das bezeichnende Verhalten der körnigen Kalke in dieser Beziehung habe ich schon an 
anderen Stellen hingewiesen bei Gelegenheit der Besprechung der Tiroler Marmorlager- 
stätten,!) deren grobkörnige Vertreter dem Zentralgranit zunächst, deren feinkörnigere 
davon weiter entfernt sind. Im Gross-Venedigermassiv sind kalkreiche Einlagerungen 
nahe am Granitkontakt ganz untergeordnet, eigentlich nur in der schmalen Cipolineinlage- 
rung in den Eklogiten vorhanden, diese aber ist bedeutend kristallinischer als die entfernteren 
Kalkglimmerschiefer. 

Einlagerungen eigentlicher Glimmerschiefer und Graphitglimmerschiefer trifft 
man nur in der inneren Zone, im Gebiete der Kalkglimmerschiefer haben diese phylli- 
tischen Habitus. Die Amphibolite der Nordabdachung umrahmen die granitischen Massen; 
mit der Entfernung von diesen werden sie zu dichten Grünschiefern. In analogem Ver- 
hältnis stehen auf der Südseite Eklogite und Chloritschiefer, wie die mikroskopische 
Untersuchung mit grosser Sicherheit ergibt; kurz auch die Verteilung der Gesteine in dem 
Gebiet ist eine mit normaler Kontaktmetamorphose völlig übereinstimmende. Dazu kommen 
noch die phyllitischen Komplexe, welche namentlich im Norden an die Zonen der deut- 
licher kristallinischen Gesteine sich anschliessen. 

Endlich ist noch die Mineralkombination in Betracht zu ziehen, und in dieser 
Richtung. ergeben sich verhältnismässig weitgehende Unterschiede. Die Differenz zwischen 
den typischen Mineralien der Dynamometamorphose und jenen der Kontakt- 
metamorphose konnte bis vor kurzer Zeit als eine grundlegende erscheinen; Rosenbusch?) 
selbst hat in seinen „Studien im Gneisgebirge des Schwarzwalds“ dazu beigetragen, 


1) E. Weinschenk, Die Tiroler Marmorlagerstätten. Zeitsch. prakt. Geol: 1903, 131. 
?) H. Rosenbusch, Die Kalksilikatfelsen im Rench- und Kinzigitgneis. Mitt. bad. geol. Landes- 
anstalt 1901, IV, 369. 


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307 


dass sie heute nicht mehr als prinzipiell angesehen werden kann. Der hauptsächlichste 
Unterschied, welcher aufrecht erhalten werden sollte, bestand einesteils darin, dass bei 
normaler Kontaktmetamorphose Augit, bei Dynamometamorphose Hornblende 
entstehen sollte, dass in dynamometamorphen Gesteinen Glimmer und Sprödglimmer 
eine besondere Rolle spielen, während normale Kontaktmetamorphose ganz andere 
Mineralkombinationen liefern sollte, unter denen Wollastonit, Forsterit ete. hervorzu- 
heben sind. In dynamometamorphen Gesteinen müsste man also von vornherein Mineralien 
erwarten, welche ein kleines Molekularvolumen, einen Gehalt an Hydroxyl ete. enthalten, 
während in kontaktmetamorphen an ihre Stelle wasserfreie und spezifisch leichtere Mine- 
ralien treten. 

Nun ist schon lange bekannt, dass zu den typischen Mineralien der Kontaktgesteine 
Phlogopit und Pargasit gehören, welche in den zahlreichsten Vorkommnissen kontakt- 
metamorpher Kalke auftreten und Rosenbusch hat l.c. nun andererseits den Wollastonit 
und den Augit als Bestandteile dynamometamorpher Gesteine aufgeführt, so dass also 
in beiden Richtungen die Gesetzmässigkeit nicht aufrecht zu erhalten ist. 

Unzweifelhaft besteht ein charakteristischer Unterschied zwischen den Gesteinen der 
Schieferhülle der Zentralalpen und normalen Kontaktgesteinen, ein Unterschied,!) auf 
welchen ich schon mehrfach hingewiesen habe. Die normalen Kontaktmineralien, welche wir 
sonst zu beobachten gewohnt sind, fehlen in den Zentralalpen als Bestandteile der Schiefer- 
hülle völlig, Cordierit und Andalusit z. B. sind meines Wissens — ausser von Elterlein?) 
in den Schiefern des Schneebergs — niemals in zentralalpinen Schiefern beobachtet 
worden. In den Originalschliffen Elterleins aber sind die beiden Mineralien auch nicht 
aufzufinden. Die wenigen Fundorte von Andalusit, Cordierit und Pinit, welche aus 
der Zentralzone der Alpen überhaupt bekannt sind, gehören modifizierten Pegmatiten an 
und haben mit den Schiefern nichts zu tun. Ganz ebenso fehlen hier die für Caleiphyre 
so charakteristischen Mineralien: Wollastonit, Forsterit, Chondrodit, Periklas etc., 
von welchen jedes als echtes und charakteristisches Kontaktmineral anzusehen ist, und die 
in Kontaktgesteinen die weiteste Verbreitung haben. Auch Pyroxene, Granat ete. dürften 
in der Schieferhülle der Zentralgranite mit Ausnahme lokaler an den Serpentin gebundener 
Vorkommnisse in Kalkgesteinen nicht beobachtet sein, in anderen Gesteinen, z. B. den 
Eklogiten, treten solche, wie oben gezeigt wurde, in Menge auf. An Stelle von Spinell 
beobachtet man hier Korund und Diaspor als Gemengteile der körnigen Dolomite und 
Kalke, statt des Pyroxens Tremolit, an Stelle des Kalksilikates tritt die Kombination 
von Kalkspat und Quarz und die Tonerde trifft man ausser im Korund und den 
Mineralien der Epidotgruppe, namentlich in Glimmern mannigfaltiger Art und im Chlorit. 


In ganz analoger Weise finden wir in den Tonerde-reichen Gesteinen statt des An- 
dalusits Disthen und Sillimanit; Staurolith, Almandin, die Sprödglimmer, Epidot 
und andere besonders schwere Mineralien spielen hier eine besonders bedeutende Rolle, und 
daneben bringt die massenhafte Entwickelung des Glimmers einen von den normalen 


1) E. Weinschenk, Vergleichende Studien über den Kontaktmetamorphismus. Zeitschr. deutsch. 
geol. Ges. 1902, LIV, 441. 

2) A. v. Elterlein, Beiträge zur Kenntnis der Erzlagerstätte des Schneebergs bei Mayern in Süd- 
tirol. Jahrb. geol. Reichsanst. 1891, XLI, 289. 


30 


[0 6) 


Hornfelsen durchaus abweichenden Habitus der Gesteine hervor. An Stelle der Hornfelse 
treten mehr oder weniger gut ausgebildete Glimmerschiefer, in welchen aber nicht selten 
die Bildung von Knoten aus Granat und Zoisit, von Garben aus Hornblende etc. 
(porphyroblastische Beschaffenheit nach Becke) in noch viel vollkommenerer Weise zu 
beobachten ist als in den normalen Zonen kontaktmetamorpher Gesteine. Als Typen solcher 
Knotenschiefer wären neben den oben beschriebenen verschiedenen Vorkommnissen des 
Gross-Venedigers jene bekannten Belemniten führenden Zoisitphyllite am Nufenen 
oder am Lukmanier und anderen Orten der Schweiz zu erwähnen. Eigentliche Garben- 
schiefer sind im Gebiete des Gross-Venedigers nur ganz untergeordnet entwickelt, sie 
haben ihre Glanzpunkte im Zemmgrund des Zillertales, woher das in meiner „Allgemeinen 
Gesteinskunde“ (S. 101) abgebildete Stück stammt, oder am Südabhange des St. Gotthard. 

Es sind somit einesteils unzweifelhaft mineralogische Unterschiede vorhanden, welche 
die Gesteine der Schieferhülle von den normalen Kontaktgesteinen trennen, Unterschiede, 
die in den verschiedenen Alpengebieten in verschiedenem Maasse hervortreten, die aber 
anderseits durchaus keine durchgreifende Verschiedenheit bedingen. In den als kontakt- 
metamorphisch erkannten, vom Granit umhüllten und injizierten Bklogiten des Fichtel- 
gebirges!) spielt z. B. der Disthen eine viel bedeutendere Rolle als in jenen des Gross- 
Venedigers, in den an Granit angrenzenden, kontaktmetamorphen Kalken von Wunsiedel 
im Fichtelgebirge ist Quarz ein stets vorhandener Gemengteil, der in gleicher Weise wie 
in den Kalkglimmerschiefern stets in den eigenartig gerundeten Kristallen auftritt; 
in den Wunsiedler Kalken trifft man auch weder Wollastonit noch Pyroxen, dagegen 
Hornblendemineralien wie in den zentralalpinen Gesteinen. Glimmermineralien der ver- 
schiedensten Art treten in allen Gruppen normaler Kontaktgesteine auf, ebenso der Chlorit. 
Wenn ihre Entwickelung in den Vorkommnissen der Zentralalpen bedeutender ist als sonstwo, 
so ist das doch wohl kein prinzipieller Unterschied, sondern die Ursache dafür ist in den 
für eine Glimmerbildung günstigeren Umständen bei der Umkristallisation der zentralalpinen 
Gesteine zu erblicken. 

Alles in allem ist der Unterschied zwischen den normalen Kontaktgesteinen und den 
Schiefern der zentralaipinen Schieferhülle in den von Becke?) seinerzeit, allerdings in ganz 
abweichendem Sinne hervorgehobenen Beziehungen zwischen „Dynamometamorphose und 
Molekularvolumen“* zu suchen, d.h. die Mineralkombinationen, welche in den zentral- 
alpinen Schiefern die hauptsächliche Rolle spielen, sind derart, dass diese unter den ge- 
gebenen Verhältnissen des hohen Druckes das denkbar kleinste Molekularvolumen 
angenommen haben. So traten an Stelle der spezifisch leichten, normalen Kontaktmineralien 
spezifisch schwere, so entwickelten sich hier mit Vorliebe hydroxylhaltige Mineralien wie 
Glimmer, Chlorit, Sprödglimmer und Hornblende an Stelle der wasserfreien. So blieb Quarz 
neben Kalkspat erhalten, weil unter hohem Druck die Kieselsäure den kohlensauren Kalk 
nicht zersetzt; aus analoger Ursache wurde der Dolomit nicht zu Kalkspat und Periklas 
zerlegt, da der Druck die Kohlensäure zurückhielt und auch vorhandene Tonerde konnte 
das Magnesiakarbonat nicht zersetzen und kristallisierte als Korund aus. 


ERS DU Welrze; 
?) F. Becke, Ueber Beziehungen zwischen Dynamometamorphose und Molekularvolumen. Neues 
Jahrb. Mineral. 1896, II, 182. 


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309 


Endlich tritt in Bezug auf die mineralische Zusammensetzung noch eine in den Schiefer- 
zonen der Zentralalpen allenthalben zu verfolgende Erscheinung hervor, und das ist eine 
jüngere Generation von Turmalin, der unzweifelhaft erst in den letzten Stadien der Um- 
kristallisation den Gesteinen aller Art von aussen zugeführt wurde und auf die Tätigkeit 
vulkanischer Agentien hinweist. 

Ist so die Struktur der Gesteine der Schieferhülle jene normaler Kontaktgesteine, ihre 
Verteilung gleichfalls mit diesen völlig übereinstimmend, so erscheint auch in der minera- 
lischen Zusammensetzung durchaus kein Grund, welcher einen prinzipiellen Gegensatz bedingen 
würde. Die scheinbaren Gegensätze in dieser Beziehung sind auf das Einfachste durch die 
verschieden gearteten physikalischen Verhältnisse während der Umkristallisation der Gesteine 
zu deuten und der Begriff der Pi&zokontaktmetamorphose, den ich früher!) aufstellte, 
fasst wohl am besten im Zusammenhang mit der Pi@zokristallisation, deren Definition 
ich im zweiten Teil dieser Beiträge gegeben habe, die verschiedenen Faktoren zusammen, 
welche den Unterschied gegenüber der normalen Kontaktmetamorphose bedingen. Da es sich 
bei der Pi&zokontaktmetamorphose aber nicht um etwas prinzipiell der normalen Kontakt- 
metamorphose Entgegengesetztes handelt, sondern nur um eine Steigerung des normalen 
Druckes, so ist klar, dass beide durch alle möglichen Uebergänge miteinander verbunden 
sind. Dass dynamometamorphe und kontaktmetamorphe Gesteine in Beziehung 
auf ihre Struktur wie auf die Verteilung der einzelnen Zonen völlig identisch 
sind, ist in der völligen Uebereinstimmung der Ursache ihrer Umkristallisation 
begründet, die nicht von dynamischen Kräften eingeleitet wurde, sondern von 
vulkanischen Emanationen, welche die Nebengesteine durchtränkten, deren Um- 
kristallisation keineswegs in starrem Zustand vor sich ging. Die Intensität der 
Umwandlung hängt daher auch nicht von der durch den Druck produzierten 
Wärme ab, sondern steht nur insofern in Beziehung zu dem Gebirgsdruck, als 
dieser, während der kontaktmetamorphen Umbildung des Gesteines wirkend, 
ein anderes Gleichgewicht in der viskosen Masse hervorbrachte, als das bei 
sewöhnlichem Druck stabilste, das denn schliesslich zu anders gearteten Mole- 
kularkombinationen führte. 

Dieser Art der Betrachtung tritt Becke?) auch neuerdings wieder entgegen, indem 
er zwar die Art der Anordnung der verschiedenen Schieferzonen um den Zentralgranit als 
übereinstimmend mit derjenigen echter Kontaktgesteine anerkennt, „aber“, fährt er fort, 
„es fehlen die typischen Neubildungen der plutonischen Metamorphose (z. B. Andalusit, 
Cordierit) und dieselben Mineralgesellschaften und Strukturen finden sich in der westlichen 
Fortsetzung des Tauernzuges (Ridnaun, oberes Passeyer, Gurgler Kamm) fern von den 
Intrusivgesteinen“. Wie wenig der erste Teil dieses Einwandes zu bedeuten hat, habe ich 
schon früher an zahlreichen Stellen betont und auch im obigen ausführlich begründet; die 
Ursache,‘ dass so spezifisch leichte Mineralien sich während der Kontaktmetamorphose hier 
nicht entwickeln konnten, liegt in dem von Becke selbst hervorgehobenen „Volumgesetz*, 
d.h. in der Tendenz der Moleküle, unter hohem Druck den möglichst kleinen Raum ein- 


1!) E. Weinschenk, Dynamometamorphisme et piezocristallisation. C. R. VIII. congr. geol. intern. 
Paris 1900, 326. 


2) F.Becke, Westende der Hohen Tauern (Zillertal). Führer Exec. IX. intern. Geol.-Congress, Wien 1903. 
Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 40 


310 


zunehmen. Die Bedeutung der zweiten Hälfte des Einwandes habe ich an anderer Stelle?) 
gleichfalls schon beleuchtet, wenigstens soweit Ridnaun und Passeyer in Frage kommen, wo 
die Schiefer allenthalben noch von granitischen Ausläufern durchsetzt sind. 

Am Schluss seiner Betrachtungen schreibt Becke: „Für die eintretende Metamorphose 
sind also allgemein wirksame Ursachen (Versenkung in bedeutende Rindentiefe, in Regionen 
hohen Druckes und hoher Temperatur, Gebirgsdruck) verantwortlich zu machen, zu welchen 
die der Intrusion zuzuschreibenden Wirkungen (Intrusionswärme, Exhalationen von Gasen 
und Lösungen) nur fördernd hinzukommen.“ 

Wenn so Becke einesteils auf frühere Widerlegungen seiner Argumente einzugehen 
nicht für notwendig findet, stellt er in dem Schlusssatz weitere geologische Faktoren in 
Rechnung, deren Existenz überhaupt durchaus unwahrscheinlich ist. Denn zur Annahme 
einer Versenkung der zentralalpinen Gesteine in so bedeutende Tiefen, die doch wohl nur 
nach Zehntausenden von Metern berechnet werden können, liegt bei einfacher Betrachtung 
des ganzen Aufbaues der Zentralalpen kein irgendwie gearteter Grund vor. Und im Gegen- 
satz zu der aus dieser Hypothese abgeleiteten Annahme sehen wir gerade in den Alpen 
Beispiele genug dafür, dass auch der mächtigste Druck und die durch gewaltige Ueber- 
schiebungen herbeigeführte Versenkung um viele Tausende von Metern den Charakter eines 
Gesteines höchstens in der Weise verändert, dass dasselbe eine mechanische Zertrümmerung 
erfährt. Von einer inneren Umkristallisation und zumal von der Entwickelung so hoch- 
kristallinischer Schiefer ist dabei nirgends eine Spur vorhanden, wenn die gebirgsbildende 
Tätigkeit sich nicht eben im Wirkungsbereich mächtiger Eruptivmassen abspielte. Bei einer 
Betrachtung der gesamten Erscheinungen in den Alpen sowohl als in anderen Faltengebirgen 
kann man also den Schluss Beckes nur in umgekehrtem Sinne als gültig anerkennen: 
Für die eintretende Metamorphose sind also lokal wirkende Ursachen (Intrusionswärme, 
Exhalationen von Gasen und Lösungen) verantwortlich zu machen, zu welchen die allgemein 
wirksamen Faktoren (Versenkung in bedeutende Rindentiefe, Gebirgsdruck) nur fördernd 
hinzukommen und das ist es eben, was ich als Pi&zokontaktmetamorphose bezeichne. 


Auf einen wichtigen Punkt ist noch hinzuweisen, nämlich auf die ganz ungemein 
bedeutende Ausdehnung der metamorphosierten Komplexe im Gebiete der Zentralalpen, 
welche meist ein Vielfaches von dem erreicht, was man in anderen Gebieten zu beobachten 
gewöhnt ist. Die stark dislozierten Schichtensysteme, in welche die zentralalpinen Granite 
eingedrungen sind, dürften aber doch an sich schon besonders günstige Gelegenheit für die 
Fortbewegung der kontaktmetamorphischen Agentien gegeben haben, die Zerknitterung der E 
Schichten, die Zerrüttung der Gesteine vor Eintritt der Kontaktmetamorphose muss eine 
hochgradige gewesen sein, das beweisen die so intensiv gefalteten Graphitschiefer und 
namentlich auch die Erscheinung, dass kaum ein Rest der ursprünglichen Struktur in der 
jetzigen Beschaffenheit der Amphibolite und Grünschiefer zu entdecken ist. Für diese 
Erklärung sprechen aber auch die granitischen Apophysen, die in zahlreichen zentral- 
alpinen Gebieten sich weit selbst über diejenigen Entfernungen im Nebengestein verästeln, 
welche man sonst als äusserste Grenze kontaktmetamorpher Beeinflussung ansieht. Und 


!) E. Weinschenk, Die Tiroler Marmorlager. Zeitschr. prakt. Geol. 1903; XI, 131. 
—, Die Erzlagerstätte des Schneebergs in Tirol und ihr Verhältnis zu jener des Silberbergs 
bei Bodenmais im bayerischen Wald. Ebenda 231. 


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311 


wenn ein schmaler Gang eines granitischen Magmas von der Umgebung so wenig modifiziert 
wird, dass er zu normalem Granit auskristallisiert, dann war doch zweifellos das ganze 
Nebengestein erwärmt und von mineralbildenden Agentien durchtränkt, ohne welche die 
plötzliche Erstarrung des Gesteines zu glasiger Ausbildung geführt hätte. 


Auch die Verbreitung der gangförmigen Neubildungen der Titanformationen, 
welche ich!) aus dem Gross-Venedigerstock früher beschrieben und in jedem Stadium 
ihrer Ausbildung verfolgt habe, spricht für die Durchlässigkeit der Schieferhülle für vulkanische 
Agentien in weitestem Massstab. Finden wir diese Mineralneubildungen lokal doch noch 
in einer Entfernung von 12—15 km vom vulkanischen Herd in ihrer allerintensivsten Ent- 
wickelung, während die äussersten Ausläufer allenthalben noch in den entferntesten Zonen 
umgewandelter Schiefer gefunden werden. Lateralsekretion und Dynamometamorphose können 
für die Erklärung der Titanformation nicht in Anspruch genommen werden; die letztere 
nicht, weil ohne jeden Zweifel die entsprechenden Mineralneubildungen auf offenen Klüften 
vor sich gegangen sind, aber auch gegen jede Theorie der Lateralsecretion spricht die Ver- 
teilung der Minerallagerstätten, wie ich sie seinerzeit geschildert habe, die in besonders gross- 
artiger Ausbildung in den vom Granit eingeklemmten Schieferzungen vorhanden sind, und 
die von wenigen Ausnahmen abgesehen, ohne Rücksicht auf das Nebengestein, mit der Ent- 
fernung vom granitischen Zentralmassiv an Schönheit und Mannigfaltigkeit der Ausbildung 
verlieren. 


Kurzum alle chemisch-geologischen und petrographischen Faktoren weisen 
übereinstimmend auf die Kontaktmetamorphose als Ursache der Umkristalli- 
sation der Schieferhülle hin, deren Charakter als primär kristalliner Bestandteil etwa 
eines archäischen Schichtensystemes schon bei nur oberflächlicher Beobachtung gar nicht 
mehr in Frage kommt, deren Umwandlung durch den gebirgsbildenden Druck nach 
allen Erscheinungen, welche eine eingehende Untersuchung dieser Gebiete zu erkennen gab, 
völlig ausserhalb des Bereiches der Möglichkeit liegt. 

Die Kontaktmetamorphose ist im allgemeinen abhängig von vier Faktoren: 1. Hitze, 
2. Mineralbildner, 3. Zeit, 4. Druck, von welchen jeder eine variable Bedeutung besitzt. 
Hier in dem uns vorliegenden Fall waren die beiden ersten sicher die normalen, welche 
auch sonst die kontaktmetamorphe Umwandlung bewirkten, der erhöhte Druck aber, welcher 
während der wohl äusserst langsam während längerer Perioden andauernden Intrusion 
granitischer Gesteine vorhanden war, modifizierte das sonst gewohnte Bild der Kontaktmeta- 
morphose. An Stelle der Andalusit- oder Cordierithornfelse traten @limmerschiefer 
mit akzessorischen Mineralien; die Kalksilikatgesteine wurden ersetzt durch die Kalk- 
glimmerschiefer, während die Hornblende- und Chloritgesteine sich nicht allzuweit 
von der Beschaffenheit normaler Kontaktgesteine entfernen. 


1) E. Weinschenk, Die Minerallagerstätten des Gross-Venedigerstockes in den Hohen Tauern. 
Zeitschr. Kristallogr. 1896, XXVI, 337. 


40* 


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189) 


Das ursprüngliche Material der Schieferhülle. 


Im letzten Kapitel habe ich versucht, den Ursachen näher zu treten, welche die 
Umwandelung der Schieferhülle der Zentralalpen bewirkten; es erübrigt noch, auf das ur- 
sprüngliche Material einzugehen, aus welchem die Schiefer entstanden sind. 

Dass die jetzt in Form der „kristallinischen Schiefer“ vorliegenden Gesteine um- 
gewandelte Bildungen darstellen, darüber kann nach all ihren strukturellen Eigenschaften 
kein Zweifel herrschen. Dass aber der ursprüngliche Zustand der Gesteinsserie derjenige 
irgend einer normalen fossilführenden Formation gewesen sein soll, lässt sich mit eben 
solcher Sicherheit aus der Untersuchung des hier in Betracht kommenden Gebietes nicht 
schliessen. Fossilreste irgend welcher Art, die in sonstigen Teilen der alpinen Schieferhülle 
so weit verbreitet sind, wurden in diesem Gebiete nicht aufgefunden, ebenso fehlen alle An- 
deutungen' ursprünglich klastischer Elemente in den Gesteinen der Schieferhülle des Gross- 
Venedigers. Wenn ich trotzdem nicht anstehe, als ursprüngliches Substrat der kristallinischen 
Schiefer eine normale, klastische, sedimentäre Formation anzunehmen, so ist dafür einesteils 
die Zusammensetzung der untersuchten Gesteine selbst massgebend, anderenteils die Beob- 
achtungen in zahlreichen anderen Teilen der Zentralalpen, wo ein derartiger Nachweis mit 
Sicherheit geführt werden konnte. 

Eines tritt bei der ersten Begehung des Gebietes schon in den Vordergrund, und das 
ist die Verschiedenheit der Gesteine der Nord- und der Südabdachung, welche bei 
dem eingehenden petrographischem Studium in noch höherem Maasse deutlich wird. Es 
ist eine ganz bemerkenswert seltene Ausnahme, wenn ein Gestein, das auf der einen Seite 
irgend eine Rolle spielt, in einigermassen ähnlicher Beschaffenheit auch auf der anderen 
aufgefunden werden konnte, und dann bildet es dort höchstens eine ganz untergeordnete 
Einlagerung. | 

Die Gesteine der Nordseite tragen in ihrer ganzen mineralischen Zusammensetzung 
in höchstem Maasse den Charakter saussuritisierter und uralitisierter basischer Eruptiv- 
gesteine an sich, dass es zum Beweis dessen nicht eingehender chemischer Analysen bedarf; 
auch wenn die nicht allzu seltenen Vorkommnisse nicht aufgefunden worden wären, in 
welchen scharf begrenzte Feldspateinsprenglinge von der Form des Labradors der Labrador- 
porphyrite in umgewandelten Zustand noch erhalten wären, wenn auf der glattgescheuerten 
Oberfläche der Gerölle die ophitische Struktur nicht unverkennbar hervortreten würde, so 
müsste man doch nach dem ganzen mineralogischen Habitus auf diesen nahestehende Gesteine 


schliessen. Untergeordnet sind dazwischen Einlagerungen, in welchen Kalkspat und Quarz 


als Gesteinsgemengteile eine grössere Bedeutung erreichten, aber damit tritt gleichzeitig ein 
recht abweichender Gesteinstypus hervor, dessen Zusammensetzung und Struktur auf ursprüng- 
lich sedimentäres Material hinweist, welches auch das Substrat zur Bildung der unter- 
geordneten glimmerschieferähnlichen Gesteine lieferte, die mit Eruptivbildungen sicher nichts 
zu thun haben. 

Auffallend und besonders in der Zone der Amphibolite hervortretend ist die Bänderung 
der Gesteine, die zum Teil eine unzweifelhaft sekundäre ist, indem granitische oder nament- 
lich aplitische, lagerartige Apophysen sich zwischen die normalen Amphibolite ein- 
drängten, aus diesen einzelne Bestandteile auflösten und so manchmal selbst ein recht modi- 


u a ee ES ee 


313 


fiziertes Ansehen erhielten. Anderenteils ist aber ebensowenig ein Zweifel darüber möglich, 
dass die Bänderung des Gesteines in weitaus den meisten Fällen eine Spaltungserscheinung 
ist, bei welcher sich je die basischen und die sauren Gesteinsbestandteile lagenweise trennten. 
Ob man dabei an ursprünglich gebänderte Eruptivgesteine denken soll, oder ob diese Schei- 
dung während der Kontaktmetamorphose vor sich ging, ist äusserst schwer zu entscheiden. 
Nach den sonstigen Beobachtungen an kontaktmetamorphen Gesteinen ist eine solche Scheidung 
als sekundäre Erscheinung wenig wahrscheinlich, und doch beobachtet man hin und wieder 
Lagen, welche fast nur aus reinem Albit bestehen, die in dem ursprünglichen Gestein un- 
möglich vorhanden gewesen sein können, da dieses ohne jeden Zweifel einen recht basischen 
Plagioklas enthielt. Anderseits sind in der Reihe der Ergussgesteine derartig eingehende 
magmatische Spaltungserscheinungen äusserst selten, welche dagegen in den zugehörigen 
Tiefengesteinen eine bedeutende Rolle spielen. 

Gebänderte Gesteine von der Zusammensetzung der hier beobachteten Grünschiefer 
und Amphibolite sind in den Zentralalpen äusserst weit verbreitete Gesteine, welche nament- 
lich in den Tiroler Marmorlagern eine bedeutende Ausdehnung gewinnen, oft auch in ganz 
untergeordneten Lagen zwischen dem Marmor selbst auftreten. Diese machen auch in der 
ganzen Form des Auftretens jeden Zweifel unmöglich, dass ihre gebänderte Beschaffenheit 
eine primäre Spaltungserscheinung (vergl. Zeitschr. prakt. Geol. 1903, Fig. 36) ist. Ihre 
Lagerungsverhältnisse lassen dieselben aber mit Sicherheit als später zwischen die Kalke 
eingedrungene intrusive Bildungen erkennen, da dieselben nicht nur in Form von Lagern, 
sondern auch in Gängen auftreten. Die Amphibolite an der Nordabdachung des Gross- 
Venedigers dagegen verbinden sich mit den allerdings untergeordneten Zwischenlagen zu 
einem normalen Schichtensysteme. 

Ich möchte des ferneren darauf hinweisen, dass ganz ähnlich aussehende gebänderte 
Gesteine unter den Bojiten des bayerischen Waldes und der Oberpfalz weit verbreitet 
sind; die mikroskopische Untersuchung zeigt in diesen wechselnde Lagen einer braunen 
Hornblende mit einem basischen Plagioklas, der ebenso wie der Albit der Amphibolite 
des Gross-Venedigers meist der Zwillingslamellen entbehrt, so dass, abgesehen von der 
Farbe der Hornblende, das mikroskopische Bild beider oft äusserst ähnlich ist. In diesem 
Zusammenhang muss auf die braunen Kerne der blaugrünen Hornblenden verschiedener 
der hier beschriebenen Amphibolite hingewiesen werden. Es ist nicht unmöglich, dass in 
diesen der einzige Rest der ursprünglichen Mineralkombination vorliegt, welche diejenige 
eines Bojits gewesen wäre, während diese sonst völlig verwischt und auch gleichzeitig die 
ursprüngliche Struktur stark verändert wurde. 

Im übrigen ist auch ausserhalb der Alpen in kontaktmetamorphisch veränderten 
basischen Eruptivgesteinen, welche zu Eklogiten, Amphiboliten, Grünschiefern etc. geworden 
sind, im allgemeinen nur die porphyrische Struktur in denn umgewandelten Gestein noch zu 
erkennen, während sonst alle Struktureigentümlichkeiten verloren gegangen sind. Beobach- 
tungen an derartigen Gesteinen, welche die ursprüngliche Gesteinsstruktur zu rekonstruieren 
versuchen, sind meist auf subjektiver Voreingenommenheit begründet. Dies ist z. B. ohne 
jeden Zweifel bei E, Düll der Fall, welcher (l.c. S. 32—33) aus der Verteilung der Granaten 
in den Eklogiten des Fichtelgebirges die ursprüngliche Struktur gabbroider Gesteine 
herauszudeuten versucht. Ich selbst habe die betreffenden Schliffe eingehend daraufhin durch- 
gemustert und kann nur die Ueberzeugung äussern, dass davon überhaupt nichts zu sehen 


314 


ist, wie auch die beigegebenen Abbildungen viel mehr Subjektives als Objektives enthalten. 
Porphyrische Einsprenglinge erhalten sich dagegen selbst bei sehr intensiver Umwandlung 
häufig recht gut. 

Die Amphibolite und Grünschiefer der Nordabdachung des Gross-Venedigerstockes 
sind als kontaktmetamophosierte Eruptivgesteine der basischen Reihe anzusehen, in 
welchen lokal Reste einer porphyrischen Struktur übrig geblieben sind, die aber, wie andernteils 
die Erhaltung ophitischer Struktur beweist, durchaus nicht in ihrer ganzen Masse ursprünglich 
porphyrisch gewesen sind. Fasst man alle Detailbeobachtungen zusammen, so kommt man 
etwa zu folgendem Resultat: Die Amphibolite und Grünschiefer der Nordabdachung 
des Gross-Venedigerstockes waren urprünglich basische Eruptivgesteine, deren 
lokal erhaltene Struktur auf Gesteine der Reihe der Diabase und Labrador- 
porphyrite hinweist, in denen aber auch öfter Spuren einer braunen Horn- 
blende vorhanden sind, wie sie gewisse Gabbrogesteine charakterisiert. Die 
gebänderte Beschaffenheit der Gesteine, welche zum Teil wenigstens wohl 
ursprünglich ist, ebenso wie der Mangel an Zwischenlagerungen, welche man 
als Umwandlungsprodukte von Tuffen ansehen könnte, machen es wahrschein- 
lich, dass hier nicht effusive, sondern intrusive Bildungen der Umwandlung 
anheimfielen. 

Betrachten wir nun die einzelnen Typen der Gesteine der Südseite etwas näher, so 
ist dem Granit selbst am nächsten die Gneis-Glimmerschieferzone ins Auge zu fassen, 
welche durch die mehrfach sich wiederholenden Einlagerungen von Graphitglimmer- 
schiefer einen ausgeprägt sedimentären Charakter erhält. 

Was hier gegenüber den schiefrigen Zentralgraniten als Gneis bezeichnet ist, fasst 
alle Uebergänge zwischen jenen und den Glimmerschiefern zusammen, in welchen 
hin und wieder der Plagioklas des Eruptivgesteines mit seiner Zwillingslamellierung, seinen 
Einschlüssen etc. scharf getrennt neben jenem der Kontaktgesteine existiert, welch letzterem 
die Zwillingslamellen so gut wie ganz fehlen, und der auch in der Art und der Anordnung 
der Einschlüsse grosse Unterschiede gegenüber von ersteren aufweist. Es sind granitisierte 
Schiefer (schistes granulitises), welche diesen Gesteinstypus aufbauen. Die Einführung 
granitischen Materiales wird in den eigentlichen Glimmerschiefern auf ein Minimum reduziert, 
sie kommt nicht zum Ausdruck in den Graphitglimmerschiefern, selbst da, wo diese dem 
Granitkontakt auf das Nächste treten. Es ist daher auch durchaus nichts Merkwürdiges, 
wenn in dem Graphitglimmerschieferputzen im Granit, auf welchem die Warnsdorfer Hütte 
im Krimmler Achenthal steht, Injektion nicht zu beobachten ist. (Vergl. Löwl, Quer durch 
den mittleren Abschnitt der Hohen Tauern. Führer Exe. IX. intern. Geol.-Congress, Wien 1903.) 
Das ursprüngliche Substrat dieser Zone dürften mehr oder minder kieselige Grauwacken- 
schiefer gewesen sein, in welchen kalkige Bestandteile stets, aber in ganz untergeordneter 
Menge vorhanden waren. Die Entwicklung von Knotenschiefern in dieser wie in der 
folgenden Zone ist besonders hervorzuheben. 

Die Eklogite des Gross-Venedigers haben meines Erachtens zum Teil wenigstens 
eine abweichende Bedeutung gegenüber von den Eklogiten anderer Gebiete wie auch gegen- 
über von den vorher besprochenen Amphiboliten. Dies tritt namentlich in dem lokal nicht 
unbedeutenden Gehalt an Kalkspat und Quarz in den Vordergrund, sowie an den mannig- 
fachen Uebergängen, welche zwischen den normalen Eklogiten und den Einlagerungen von 


A hd 


rn RN 


F 


315 


Knotenschiefern, resp. Cipolin bestehen. Die normalsten Eklogite, welche so recht den 
Charakter der fichtelgebirgischen Vorkommnisse an sich tragen, sind ebenso wie letztere 
ziemlich massige Gesteine, in dem mikroskopischen Bild charakterisiert durch die unregel- 
mässig „zerkräuselte“, saussuritische Zwischenmasse. Das sind auch u. d.M. Gesteine von 
fast völlig richtungsloser Struktur, deren mineralische Zusammensetzung nur aus einem 
basischen Eruptivgestein abgeleitet werden kann. Diese Gesteine aber bekommen ein 
im grossen gebändertes Ansehen durch gelbe Lagen von Epidot, durch glimmerig glänzende 
Schichten, welche hauptsächlich aus Muskowit bestehen ete.. Manchmal sind Lagen der 
richtungslosen Gesteine in ziemlich bedeutender Mächtigkeit entwickelt, anderwärts treten 
ganz dünnschichtige und meist stark deformierte und gefaltete Partien dazwischen auf, in 
welchen auch die normal zusammengesetzten Gesteine sich durch eine Andeutung helizitischer 
Struktur von den eigentlich richtungslosen unterscheiden; dann treten Kalkspat und Quarz 
in grösserer Menge ein und es entwickeln sich aus ihnen schliesslich ganz heterogene Ein- 
lagerungen. Es sind ausserdem gerade in der Zone der Eklogite ziemlich ausgedehnte, 
sekundär zugeführte Massen vorhanden, welche oft im Streichen der Schichten weithin 
verfolgt werden können, die aber durch abnorme Struktur und Zusammensetzung sich von 
der Umgebung deutlich unterscheiden. Hieher gehören namentlich grob- bis feinkörnige 
Lagen von Quarz mit Zoisit und Rutil, von Chlorit mit violettem Orthit, von Strahlstein ete., 
welche das Bild der ganzen Gruppe noch bunter machen als es an sich ist. Anderenteils 
können aber die Knotenschiefer, Cipoline etc. nur als normale schichtige 
Einlagerungen angesehen werden, da sie mit dem Nebengestein durch alle Uebergänge 
verbunden sind. 

Der Typus der normalen Eklogite mit der Zusamensetzung eines basischen 
Eruptivgesteines, — von welchem übrigens nirgends ein Rest weder in Be- 
ziehung auf die Struktur noch auf die mineralische Zusammensetzung vor- 
handen ist — und diese Einlagerungen vom chemischen Charakter sandiger 
oder kalkiger Mergel sind durch alle möglichen Uebergänge miteinander ver- 
bunden. Dies ist aber nur denkbar, wenn durch fremde Einschwemmungen 
verunreinigte Tuffe, ähnlich gewissen Peperinen, angenommen werden, die ja 
auch nicht allzu selten mit Mergeln aller Art in nahen Beziehungen stehen. 
Allerdings konnten in diesen Vorkommnissen die interessanten Beobachtungen Rosenbuschs!) 
nicht wiederholt werden, der in einer Reihe von Glaukophangesteinen auch in der 
Struktur noch deutlich deren Herkunft aus Tuffen nachzuweisen imstande war. 

Wie bei den vorher besprochenen Gneisen das Eruptivgestein sich mit dem Sediment 
in mannigfachster Weise vermischt, so dass Rosenbuschs Zweiteilung in eruptive Ortho- 
und sedimentäre Paragneise bei diesen Gesteinen nicht aufrecht erhalten werden kann, 
so ist es auch bei den Eklogiten. Allerdings beruht die Vermischung auf ganz anderen 
Ursachen, aber trotzdem ist eine Trennung der sedimentären Bildungen vom Charakter der 
Tuffe und der echt eruptiven weder auf mikroskopischem noch auch auf chemischem Wege 
durchzuführen, und es erscheint Rosenbuschs Einteilung in Ortho- und Paragesteine auch 
hier nur in den äussersten Endgliedern anwendbar. Ueberhaupt ist eine ganz ausserordentlich 


l) H. Rosenbusch, Zur Deutung der Glaukophangesteine. Sitzungsber. Akad. Wiss. Berlin 1898, 
XLV, 706. 


316 


schwierige Frage für die moderne Petrographie in der Bezeichnung derartiger Gesteine 
gegeben, wie sie hier beschrieben worden sind. 

Die Namen Gneis, Glimmerschiefer, Eklogit ete., wie sie provisorisch beibe- 
halten wurden, haben für den Geologen eine in allen diesen Fällen nicht zutreffende Neben- 
bedeutung, indem man an das archäische Sehichtensystem erinnert wird und nur zu leicht 
dadureh zu Sehlüssen sich verleiten lässt, welche dem Charakter der Gesteine direkt wider- 
sprechen. Auch durch Vorsetzen der Bezeichnung Ortho oder Para wird dieser Missstand 
nicht allzu sehr gemildert, ganz abgesehen von den im obigen geäusserten Bedenken, dass 
eben diese Unterscheidung nur in besonders typischen Endgliedern möglich ist. 


Noch weniger möchte ich mich mit dem Vorschlag Salomons!) befreunden, welcher 
den kontaktmetamorphen Charakter der Gesteine durch Hinzufügung des Wortes Hornfels 
bezeichnet, also z. B. Hornfelseklogit, Hornfelsamphibolit ete., einesteils weil Hornfels im 
allgemeinen Sprachgebrauch doch wohl den Begriff des Dichten, Hornartigen?) mit sich 
bringt, was für die hier vorhandenen Gesteine in keiner Weise zutrifft, anderenteils weil die 
so gewonnenen Bezeichnungen die recht vagen und petrographisch so ausserordentlich ver- 
schiedenartigen, im allgemeinen rein geologischen Namen der „kristallinischen Schiefer“ nicht 
weiter spezifiziert, und wenn es geschieht, Namen gebildet werden müssen, welche, wie 
z.B. der von Salomon vorgeschlagene Ausdruck „Kalksilikatarmenhornfels“ das 
sprachlich Erlaubte weit überschreiten. Wenn eine gewisse Klärung durch weiteres Vorsetzen 
des Namens des Ursprungsgesteines auch immerhin erreicht werden könnte, so entstehen 
dadurch schliesslich wieder so unförmliche Namen, dass dieselben niemals Aussicht auf all- 
gemeine Annahme haben; man müsste z. B. einen Teil der hier vorliegenden Eklogite als 
Diabas- (oder Porphyrit-) Tuffhornfelseklogit, die Glimmerschiefer etwa als Grau- 
wackenhornfelsglimmerschiefer etc. bezeichnen. 


Endlich macht Salomon den Vorschlag, für gewisse Typen von Kontaktgesteinen 
analog zu den Eruptivgesteinen eigene Lokalnamen aufzustellen; aber auch in dieser 
Richtung scheint mir eine günstige Lösung der Frage nicht geboten, denn bei der ungemein 
bedeutenden Variabilität der hier in Frage kommenden Gesteine mussten Namen bald in 
noch üppigerer Fülle emporschiessen, als dies leider bei den Eruptivgesteinen schon der Fall 
ist. Uebrigens wurde eine grosse Auswahl von Namen, wie Chlorogrisonit, Valrheinit, 
Gadriolit, Cucalit, Paradiorit, Hypholit von Rolle?) für Gesteine aufgestellt, welche 
mit den hier beschriebenen Grünschiefern oder Chloritschiefern so gut wie identisch sind. 
Dass sich diese Namen keinen Eingang verschaffen konnten, beweist doch wohl, dass in 
dieser Richtung keine annehmbare Lösung der Frage gegeben ist. 


Jedenfalls ist die Ausdrucksweise Salomons keineswegs geeignet, die einfache Scheidung 
Rosenbuschs zu ersetzen, wobei allerdings zu bemerken ist, dass Rosenbusch bei seiner 
Einteilung nur „dynamometamorphe“* Bildungen im Auge hat, von welchen aber zum 


!) W.Salomon, Essai de nomenclature des roches metamorphique de contact. C. R. VIII. congr. 
geol. intern. Paris 1900, 342. 

2) Wenn Salomon auf die Kalksilikathornfelse hinweist, welche doch im allgemeinen dieser 
Forderung am wenigsten entsprechen, so liest meines Erachtens eben auch darin: schon ein Missbrauch 
des Wortes, der aber die Verallgemeinerung nicht entschuldigt. 

®) Fr. Rolle, Mikropetrographische Beiträge aus den rhätischen Alpen. Wiesbaden 1879. 


317 


mindesten ein sehr grosser Teil und gerade die allercharakteristischsten Vorkommnisse mit 
Kontaktgesteinen identisch sind. Ich habe daher hier zunächst von jedem Versuch einer 
besonderen Nomenklatur abgesehen und betone, dass die Namen Gneis, Glimmerschiefer. 
Eklogit ete., wie ich sie hier anwende, sich ausschliesslich auf die petro- 
graphische Beschaffenheit dieser Gesteine beziehen, dass dieselben aber einer 
geologischen Bedeutung völlig entbehren, und die so bezeichneten Gesteine 
mit der archäischen Formation nichts zu tun haben. 

Wenn wir in der äusseren Zone der Schieferhülle auf der Südabdachung des 
Gross-Venedigers den gesamten Gesteinscharakter betrachten, so spielen hier die aus sedi- 
mentärem, meist kalkig-mergeligem Material hervorgegangenen Schiefergesteine eine grössere 
Rolle. Gleichzeitig tritt eine Aenderung im äusseren Habitus der Gesteine ein, welche sich 
in erster Linie durch das Auftreten der Chloritschiefer zu erkennen gibt. Man kann auch 
unter den Chloritschiefern, wenn auch nur untergeordnet, Gesteine auffinden, welche in 
ihrer Struktur kein Anzeichen davon erkennen lassen, dass sie aus einem ursprünglich 
schiefrigen Gestein hervorgingen. Hier beobachtet man wieder in einzelnen Proben die 
Reste einer porphyrischen Struktur in Form saussuritisierter Feldspateinsprenglinge, welche 
aber nicht taflig, sondern mehr isometrisch ausgebildet waren. Unzweifelhaft sind also auch 
unter den Chloritschiefern Gesteine vorhanden, welche aus normalen Porphyriten hervorgingen, 
wie auch die Zusammensetzung der Schiefer auf ein derartiges Substrat hinweist. 

Weitaus herrschend aber sind hier gebänderte Gesteine, u. d. M. mit wohl ausgebildeter 
helizitischer Struktur, oft stark mit Kalkspat und gleichzeitig mit Quarz durchsetzt, welche 
Uebergänge in die Kalkglimmerschiefer darstellen. Die Verhältnisse der Chloritschiefer 
zu den mit ihnen wechsellagernden Kalkglimmerschiefern sind also ähnliche wie jene der 
Eklogite zu den Glimmerschiefern, nur dass im ersteren Fall das mergelige Zwischenmittel 
im allgemeinen kalkreicher war, und in sehr viel bedeutenderen Zwischenlagen auftrat, dass 
ferner die Tuffe eine mächtigere Entwicklung erlangt haben. Im übrigen aber sind die 
Chloritschiefer und die Eklogite nichts weiter als verschiedene Stadien der 
kontaktmetamorphischen Umwandlung eines und desselben — sicher effusiven 
— basischen Eruptivgesteines. 

Die Bezeichnung der zuletzt besprochenen Gesteine als Chloritschiefer gibt noch zu 
einigen Bemerkungen Anlass, welche sich auf ihre mineralogische Zusammensetzung 
beziehen. Vergleicht man die oben gegebene mikroskopische Beschreibung der Chlorit- 
schiefer mit der Charakteristik dieser Gruppe, welche Rosenbusch in seinen „Elementen 
der Gesteinslehre“ (S8. 508) gibt, so ergeben sich so bedeutende Diskordanzen, dass es 
kaum möglich erscheint, zwei Gesteinstypen von so weit abweichendem Charakter mit dem- 
selben Namen zu bezeichnen. 

Das, was Rosenbusch in der Hauptsache im Auge hat, hat auch tatsächlich mit den 
- von mir, beschriebenen Gesteinen gar nichts zu tun; es sind genetisch durchaus abweichende 
Bildungen, welche im allgemeinen weder den Habitus noch auch die geologische Bedeutung 
von Schiefern haben, die aber trotzdem auch heute noch in allen Sammlungen als Chlorit- 
schiefer weitergeführt werden. Schon bei der Besprechung des Chlorites selbst wurde darauf 
hingewiesen, dass Tschermak durch diese Gesteine zu einem Irrtum über die Verbreitung 
des Chlorites in den Chloritschiefern verführt wurde. Es handelt sich, wie schon mehrfach 
betont wurde, dabei um jene, auch im Gebiete der Zentralalpen so weit verbreiteten 

Abh.d. II. Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 41 


318 


Bildungen, welche an Serpentin gebunden, meist gsangförmig durch diesen hindurchsetzen 
und schon dadurch sich von allem, was man im geologischem Sinne Schiefer nennen kann, 
unterscheiden. Die Uebergemengteile, welche Rosenbusch für seinen Chloritschiefer 
anführt, namentlich Magneteisen, Strahlstein, Karbonspate, Epidot, Titanit, 
Serpentin und Talk, sind die charakteristischen Uebergemengteile dieser Gänge, welche 
im 1. Heft dieser „Beiträge“ ausführlich geschildert wurden und die man so wenig wie 
Mineral- oder Erzgänge irgend welcher Art zu den Gesteinen und noch weniger zu den 
Schiefern rechnen darf. Zirkel beschreibt in seinem Handbuch (III. Bd., S. 319) vermischt 
mit den Eigenschaften dieser gangförmigen Bildungen diejenigen der hier genauer studierten 


Chloritschiefer. 


Während der Korrektur dieser Arbeit ist eine Abhandlung von Laura Hezner über analoge 
Gesteine erschienen (Ein Beitrag zur Kenntnis der Eklogite und Amphibolite mit besonderer Berück- 
sichtigung der Vorkommnisse des mittleren Oetztales. Tscherm. min.-petr. Mitt. 1903, XXII, 437, Inaug.- 
Dissertation, Univ. Zürich), welche eingehender besprochen werden muss. Die Verfasserin, welcher die 
neuere Literatur über diesen Gegenstand in manchen wichtigen Punkten entgangen ist, bestätigt an 
der Hand einer Reihe von Analysen die Uebereinstimmung in der chemischen Zusammensetzung zwischen 
Eklogit und Gabbro. Völlig auf den Standpunkt des Dynamometamorphismus stehend, nimmt sie auf 
die hier ausgesprochenen und an mehreren Stellen schon früher mitgeteilten Ansichten nur in einer 
Fussnote Stellung, wobei sie ausspricht: „Es fehlt dort das die Metamorphose erzeugende, zentrale 
granitische Massiv, denn es liegen hauptsächlich sedimentäre Gneise vor, die nur durch kleinere Granit- 
stöcke unterbrochen werden.“ Es wird wohl die Frage erlaubt sein, inwieweit die überhaupt nicht weiter 
charakterisierten „Gneise“ als „Sedimentgneise“ anzusehen sind, und ob sie nicht vielmehr zu den oben 
geschilderten Gesteinen aus der Gneis-Glimmerschieferzone des Gross-Venedigers in naher Beziehung 
stehen. Auch scheint das Vorhandensein kleinerer Stöcke von Granit immerhin einer eingehenderen 
Würdigung in Bezug auf einen eventuellen unterirdischen Zusammenhang mit einem mächtigen 
Granitmassiv wert zu sein, da ja in so zahlreichen und ausgedehnten Teilen unserer Ostalpen nur die 
oberflächlichen Partien ‚der granitischen Intrusivmasse angeschnitten sind. Unter allen Umständen ist 
die Annahme eines derartigen grösseren, in der Tiefe ruhenden granitischen Kernes nicht so 
hypothetisch wie die physikalischen Ableitungen der Autorin, durch welche sie durch Erhöhung von 
Druck und Temperatur in der Tiefe die Umbildung der Gesteine erklären will. 

Inwieweit die Erhaltung gabbroider Strukturen in den von L. Hezner geschilderten Vorkommnissen 
tatsächlich ist, kann ich nicht beurteilen; jedenfalls habe ich an derartigen Gesteinen aus der ganzen 
Kette der Zentralalpen, welche ich auf jahrelangen Exkursionen gesammelt habe, niemals derartiges 
beobachtet. Dass hin und wieder Amphibolite unter analogen geologischen Verhältnissen ihre ursprüng- 
liche Gabbrostruktur bewahrt haben, ist keinem Zweifel unterworfen und wird an Vorkommnissen aus 
der Oberpfalz in nächster Zeit von anderer Seite beschrieben werden. 

Einige Bemerkungen mögen noch mehr nebensächlichen Anschauungen gewidmet werden: Wenn 
die Autorin die Bildung von Zoisit in den in Frage kommenden Gesteinen „wie die Oxydation des 
Pyrits für einfachen Verwitterungsprozess“ erklärt, dürfte sie wohl ziemlich vereinzelt dastehen. Des- 
gleichen dürfte die grosse Verbreitung von Zoisit 8 in den dort untersuchten Gesteinen einer Ver- 
wechselung ‚mit Klinozoisit, der nicht erwähnt wird, zuzuschreiben sein. Die Plagioklasbestimmungen, 
welche meist ziemlich kalkreiche Mischungen ergeben, stehen gleichfalls im Gegensatz zu den analogen 
Vorkommnissen von zahlreichen zentralalpinen Lokalitäten, von welchen mir Material zur Untersuchung 
vorliegt. Was endlich die analytische Untersuchung des Granates betrifft, so ist gerade für die hier 
besprochene Gesteinsreihe schon seit längerer Zeit und neuerdings von Düll wieder festgestellt worden, 
dass dieselben eine Ausnahme von der sonst allgemein gültigen Regel bilden, dass Kalkgranat und 
Eisenoxydulgranat nur in den äusseren Endgliedern Mischungen bilden. Es ist dabei festzustellen, dass 
ausser in Eklogiten solche Mischungen nicht bekannt sind, trotz der enormen Verbreitung der betreffenden 
Endglieder in allen möglichen Gesteinen. 

Auf zahlreiche weitere Einzelheiten wird bei anderer Gelegenheit einzugehen sein. 


319 


Schlussfolgerungen. 


Die im obigen gegebene Charakteristik der Schieferhülle vervollständigt die früheren 
Untersuchungen, welche die jüngsten Eruptivgesteine des Gebietes, den Granit und den 
Serpentin, resp. des letzteren Ursprungsmaterial, den Stubachit, umfassten. Um zunächst 
von den zwar in hohem Maasse interessanten, im Rahmen des Gesamtbildes aber doch nur 
die Rolle einer Episode spielenden Peridotiten abzusehen, liegen in erster Linie die Beziehungen 
des Zentralgranites zu den Gesteinen der Schieferhülle im Vordergrund der Debatte. Diese 
Beziehungen wurden früher nach der Seite des Zentralgranites zu ausführlich festgelegt, im 
obigen ist dasselbe gegenüber von den Schiefern geschehen, und es sollen nun die gegen- 
seitigen Verhältnisse der beiden Gesteinsgruppen im Zusammenhang eingehender betrachtet 
werden, namentlich auch in ihrer Bedeutung für die Lehre vom allgemeinen Meta- 
morphismus, an dessen Stelle man, soweit wenigstens moderne Theorien in Betracht 
kommen, in diesem Gebiet einfach den Dynamometamorphismus setzen kann. 

Dass das Zentralgestein ein echter Granit von ganz unzweifelhaft intrusiver Ent- 
stehung ist, dafür habe ich eine nicht zu erschütternde Reihe von Beweisen gegeben, und 
ebenso für die Tatsache, dass dieser Granit jünger ist, als die ihn umgebende Schieferhülle. 
In dieser Beziehung steht auch Löwl, mit welchem ich in zahlreichen sonstigen Punkten 
nicht übereinstimmen kann, vollkommen auf meinem Standpunkt. Wenn Löwl!) neuerdings 
zwischen einem granitischen und einem tonalitischen Teil des Zentralmassivs unter- 
scheidet, so berührt das den Kern der Sache, welche in Frage steht, nur wenig. Ob die 
Abtrennung auf der Karte, wie sie Löwl versucht, durchführbar erscheint, ist immerhin 
zweifelhaft. Jedenfalls habe auch ich schon früher auf den Reichtum an Plagioklas in den 
Zentralgraniten der verschiedensten Lagerstätten hingewiesen, der, wie mir scheint, mehr 
eine schlierige Absonderung als eine geologisch scharfe Scheidung bedingt; der eigentliche 
Gesteinstypus bleibt dabei gleichmässig echt granitisch. In dem zweiten Heft dieser 
Beiträge findet man eine Reihe von Profilen, welche die intrusive Entstehung dieser Gesteine 
über jeden Zweifel feststellen, und die leicht auf das Hundertfache sich vermehren liessen. 
Die Verästelung des Granites in seine Nebengesteine ist eine so augenfällige Erscheinung 
in der Kontaktzone rings um das Zentralmassiv, dass keine Möglichkeit einer anderen, wenn 
auch noch so komplizierten Erklärung gegeben ist. Wer, wie P. C. Habert?) ausspricht, 
dass man „in neuerer Zeit wieder sehr geneigt ist, diese Gesteine als eruptiv anzusehen“, 
dass aber „noch keine volle Sicherheit darüber besteht“, muss entweder meine Angaben und 
Profile für gefälscht halten oder aber er kann ihre geologische Bedeutung nicht ermessen. 
Im ersteren Fall würde eine einfache Begehung z. B. des oberen Hollersbachtales genügt 
haben, um die Richtigkeit meiner Beobachtungen zu erkennen. 

Darin steht nun allerdings das Gross-Venedigermassiv durchaus nicht vereinzelt in 
den Alpen da, dass man den intrusiven Charakter der Zentralgranite auf das Augenfälligste 
beweisen kann, derartige Beobachtungen wurden im Montblanc- oder im St. Gotthard- 


1) F. Löwl, Quer durch den mittleren Abschnitt der Hohen Tauern. Führer Excurs. IX. intern. 
Geol.-Congress, Wien 1903. 
2) P. C. Habert, Natur und Verbreitung der Zeolithe in den Schiefern der Alpen. Zeitschr. 
Ferdinandeum 1897, (3), XLI. 
41* 


320 


massiv mit eben solcher Sicherheit gemacht und an anderen Stellen, wie im Tessin oder in den 
Tiroler Marmorlagerstätten, liegen die Verhältnisse sogar noch um vieles klarer. Ueber- 
baupt lässt sich als ziemlich allgemein gültiger Erfahrungssatz aufstellen, dass gangförmige 
Apophysen des Zentralgranites in um so vollkommenerer Ausbildung auftreten, je weniger 
schiefrig das Nebengestein derselben ist; dann durchadern und durchweben die granitischen 
Gänge das zerrüttete Nebengestein oft auf Entfernungen von mehreren Kilometern (injeetion 
telefilonienne von Duparc und Mrazec). Ist die „Schieferhülle* dagegen deutlich oder 
gar vollkommen schiefrig, dann treten an Stelle der Gänge konkordante Einlagerungen, 
welche trotz recht charakteristischer Eigenschaften nur zu gerne für Gneis angesehen werden. 
Der petrographische Habitus der Apophysen des Zentralgranites neigt, wie dies der Fall zu 
sein pflegt, zum Aplitischen, im allgemeinen aber kann man von diesen noch eigentliche 
Aplitgänge unterscheiden, welche jünger sind als die Apophysen des Granites selbst und 
diese häufig genug quer durchsetzen. (Vergl. diese Beiträge zur Petrographie etc. II, Fig. 3.) 

Ein fast ständiger Gehalt an Turmalin ist charakteristisch für die Apophysen und 
namentlich für die Aplite, welche durch denselben einen besonders ausgeprägten Typus 
erhalten, zumal wenn es sich, wie in den Tiroler Marmorlagerstätten oder im Hütten- 
berger Revier in Kärnten, um sehr grosskörnige, pegmatitartige Bildungen handelt. Dem 
Granit des Massivs selbst fehlt dieses Mineral dagegen durchaus. 

Ausser in dieser Durchaderung des Nebengesteines ist ein Beweis für die intrusive 
Natur des Zentralgranites namentlich in der Gneis-Glimmerschieferzone gegeben, in 
welcher eine unzweifelhafte Vermischung des intrusiven Magmas mit sedimentärem 
Material stattfand, eine Vermischung, die nur als Resorption und vollständige gegenseitige 
Durchdringung der beiden Teile erklärbar ist; die beiden in jeder Beziehung entgegengesetzten 
Typen des Zentralgranites und des Glimmerschiefers sind hier durch alle Uebergänge 
verbunden. Man trifft Gesteine von recht granitähnlicher Zusammensetzung mit Flasern 
von graphithaltigem Serizit, man trifft anderenteils normale Glimmerschiefer mit vereinzelten 
Plagioklasen, wie sie nur als Bestandteile des Zentralgranites bekannt sind, so dass die Gesteine 
an die schistes feldspatises der Franzosen erinnern. 

Im allgemeinen scheint im Gesamtgebiet der Zentralalpen eine derartige den Granit | 
umhüllende Gneis-Glimmerschieferzone eine ausgedehnte Verbreitung zu haben, und es 
gibt Gebiete, wo diese äussere Schale des Granites mit ihrer höchst eigenartigen Zusammen- | 
setzung allein zutage tritt, während das Granitmassiv selbst nicht aufgeschlossen ist, wie | 
dies z. B. Baumgärtel von Hüttenberg berichtet. Wenn man dann nur die speziellen 
Lokalverhältnisse kennt und berücksichtigt, kann die Deutung solcher Vorkommnisse recht 
schwer werden, zumal mit dem Namen Gneis stets eine Begriffsverwirrung droht, welche 
den in diesem Falle rein petrographischen Begriff mit der Nebenbedeutung der archäischen 
Schieferformation umhüllt. 

Die eigenartige Erscheinung, dass der Granit in den Zentralalpen mit den allerverschieden- 
artigsten Gesteinen in Berührung tritt, bringt es mit sich, dass kaum ein Gebiet bekannt 
ist, in welchem sich sein Verhältnis zum Nebengestein in so mannigfaltiger Weise darstellt. 
Wer den Versuch macht, zu einer Deutung der Verhältnisse aus einem auch noch so ein- 
gehenden Studium eines kleineren Abschnittes der zentralen Alpen zu gelangen, dem wird 
eben der Ueberblick über die Gesamtheit der Erscheinungen mangeln, und der Erfolg davon 
ist die Aufstellung von Hypothesen, welche für den speziellen Fall vielleicht eine gezwungene 


321 


Erklärung geben, bei der Betrachtung eines weiteren Gebietes aber versagen. Und doch tritt 
nirgends die Einheitlichkeit der geologischen Beschaffenheit über weite Streeken in solchem 
Maasse hervor wie in den Granitgebieten der Alpen; die Intrusion des Granites als eines 
der jüngsten Phänomene in der ganzen Geschichte der Zentralkette lässt sich allenthalben 
mit Sicherheit verfolgen. 

Ob sich der Zentralgranit mit seinen Apophysen und aplitischen Adern mit dem 
Nebengestein auf das Innigste verflicht, wie z. B. im oberen Hollersbachtal, ob die 
Mischungszone der Gneis-Glimmerschiefer am Südabhang des Gross-Venedigers den 
Kontakt des Granites bezeichnet, ob wie in den steierischen Graphitlagerstätten apli- 
tische Lager oder wie bei Hüttenberg solche von pegmatitartiger Beschaffenheit 
zwischen die Schiefer als aushaltende Einlagerungen eingedrungen sind, oder ob der- 
artige Gesteine Kalke und Amphibolite in Gängen mannigfaltigster Form durchziehen, 
ob die Schichten einfach aufgeblättert und mit Granit injiziert sind, oder endlich das 
schwebende Dach eines solchen Lakkolithen nur eine Metamorphose in knotenschiefer- 
ähnliche Bildungen ohne Injektion oder Zerreissung erlitten hat, das alles muss auf eine 
und dieselbe Ursache, auf die Wirkung der granitischen Intrusion zurückgeführt werden, 
deren Resultate nur deshalb so verschiedenartige sind, weil der petrographische Charakter 
der Nebengesteine, in welche der Granit sich ergossen hat, ein so auffallend abwechselungs- 
reicher ist. 

Wer von diesen weiteren Gesichtspunkten aus die Erscheinungen des Granitkontaktes 
in den Zentralalpen selbst kennen gelernt hat, und dann die seinerzeit zur Erklärung dieser 
rein eruptiven Phänomene von seiten der Dynamometamorphiker „künstlich konstruierten 
Dislokationen‘ mit den tatsächlichen Verhältnissen vergleicht, der ist doch wohl berechtigt, 
ein Urteil über ähnliche Konstruktionen in Gebieten abzugeben, welche ausserhalb der von 
ihm eingehend studierten Zentralzone liegen, deren Charakter aber der eingehenden Beschrei- 
bung und zahlreichen Profilen nach zu urteilen, nichts prinzipiell von jenen Verschiedenes an 
sich trägt. Wenn mir daher Baltzer!) vorwirft, ich spreche über die Kontaktverhältnisse 
von Gneis und Kalk im Berner Oberland „etwas wie der Blinde von der Farbe‘, so 
habe ich bei einem Besuch dieser Vorkommnisse im vergangenen Sommer die Ueberzeugung 
gewonnen, dass dort zwar Verhältnisse vorliegen, welche jenen in den eigentlichen Zentral- 
alpen gegenüber schwieriger zu deuten sind, deren allgemeine Grundzüge aber nichts von 
jenen prinzipiell Abweichendes aufweisen. Die Ausbildung aplitischer Randzonen am Granit 
ist auch in jenem Gebiet an den verschiedenen „Kalkkeilen* in charakteristischer Weise zu 
beobachten, und wenn auch die Gesteinsveränderung nur auf die dem Kontakt zunächst 
gelegenen untergeordneten Partien beschränkt zu sein scheint und einen von der gewöhn- 
lichen Metamorphose abweichenden Verlauf nimmt, so ist doch, wie von anderer Seite 
berichtet werden wird, jener „mechanische Kontakt“ nur als eigentlicher Eruptivkontakt 
erklärbar. 

Es soll noch auf einige, mehr untergeordnete Erscheinungen in der Beschaffenheit der 
Kontaktzonen hingewiesen werden, welche sich aus den Untersuchungen des Gross- Venediger- 
stockes ergeben haben. Während die Glimmerschiefer an der Südseite in weitem Umkreis 


1) A. Baltzer, Die granitischen Intrusivmassen des Aarmassivs. Neues Jahrb. Mineral. 1903, 
B.B. XVI, 321. 


322 


von der Kontaktgrenze von granitischem Magma durchtränkt und grossenteils resorbiert 
sind, haben die in demselben vorhandenen Graphitglimmerschiefer trotz intensivster 
Zusammenfaltung keine derartige Injektion erlitten. Es gibt dafür nur eine Erklärung: 
durch die gewaltigen mechanischen Phänomene, welche die Aufstauung der Alpen hervor- 
gebracht hat, sind die quarzreichen Schichten in ihrem ganzen Gefüge zerrüttet worden und 
konnten so von dem intrusiven Magma auf weiteste Entfernung durchtränkt werden. Die 
zähen, quarzarmen oder quarzfreien Tonschiefer aber, aus welchen die Graphitglimmerschiefer 
hervorgingen, wurden in der mannigfachsten Weise durcheinander geknetet, ohne dabei ihren 
Zusammenhang zu verlieren. Die vulkanischen Schmelzmassen fanden hier keine Möglichkeit, 
das Gestein zu durchtränken und so blieben, selbst zunächst am Kontakt, diese Schiefer von 
der Injektion granitischen Materiales verschont, ganz analog zu den Graphitschiefern der 
Steiermark, welche gleichfalls keine Aenderung ihrer ursprünglichen Zusammensetzung 
erfahren haben. 

In geringem Maasse und auf den unmittelbaren Kontakt beschränkt, trifft man den 
unzweifelhaft aus dem Zentralgranit stammenden Feldspat auch in den Amphiboliten der 
Nordseite, so dass auch hier eine untergeordnete Durchtränkung mit dem granitischen 
Schmelztluss nachweisbar ist, die aber nur in jenen Zonen verfolgt werden kann, in welcher 
die Ausbildung der Apophysen eine besonders grossartige ist. Entsprechend dem massigen 
Charakter des Gesteines, welches hier ursprünglich vorhanden war, konnte eine derartige 
Typenvermischung nur in den äussersten Randzonen und nur in sehr geringem Maasse statt- 
finden. Bemerkenswert ist ferner, dass die aplitischen und granitischen Einlagerungen in 
den Amphiboliten sich auf sehr weite Entfernung verfolgen lassen, während die Eklogite 
der Südseite nur ganz untergeordnet derartige Zwischenlagen aufweisen. Auch hier kann 
auf den allgemeinen Gesteinscharakter hingewiesen werden, die Amphibolite sind, wenn auch 
nicht recht vollkommen, so doch meist deutlich schiefrig, die Eklogite dagegen sind an sich 
viel zäher und kompakter und zeigen nur lokal geringe Grade von Schieferstruktur. 

Ausser in seinem Verhalten zu dem schiefrigen Nebengestein sind auch im Granit 
selbst mannigfache, in verschiedenen Teilen der Zentralalpen verschiedene Anzeichen dafür 
vorhanden, dass der Kontakt desselben mit den Schiefern ein ursprünglicher Eruptiv- 
kontakt ist. Magmatische Spaltungsvorgänge, welche sich in dem erstarrenden 
Schmelzfluss abspielten, bewirkten bald eine aplitische Randfacies wie in einigen Teilen 
des Gross-Venedigerstockes, bald konzentrierten sie die basischen Teile zu Durbachit- 
ähnlichen Bildungen von lamprophyrischem Habitus wie an der Südseite des St. Gotthard- 
massivs, wo solche basische Lagen in buntem Wechsel mit aplitischen die Grenzzone bezeichnen. 
Besonders weit verbreitet sind auch porphyrische Randzonen, so z. B. in den Niederen 
Tauern, welche von normalen Granitporphyren meistens dadurch abweichen, dass die parallel 
gestellten Einsprenglinge im Querbruch augenähnliche Umrisse aufweisen; es sind typische 
Augengneise. 

Ganz besonders aber tritt allenthalben bei den zentralalpinen Granitmassiven die Er- 
scheinung zutage, dass das Gestein überall da, wo der Kern eines solchen Lakkolithen 
aufgeschlossen ist, ein durchaus normaler Granit ist, während gegen die Randzonen zu eine 
mehr und mehr vollkommene Parallelstruktur eintritt, die in den äussersten Zonen 
einer manchmal so dünnplattigen Beschaffenheit Platz macht, dass der schiefrige Zentralgranit 
z. B. in den Randzonen des Monte Rosa zu Dachplatten verarbeitet wird. Dabei ist in der 


323 


Zusammensetzung des Gesteines gegenüber dem Kerngranit keine irgendwie geartete Ver- 
schiedenheit zu erkennen, nur die Biotitblättchen, die im Zentrum des Massivs richtungslos 
und gern zu Haufen zusammengeballt angeordnet sind, legen sich den Schieferungsflächen 
parallel und bringen so die ausgesprochene Parallelstruktur hervor. 

In einzelnen Fällen tritt zwar gleichzeitig auf den Strukturflächen eine reichliche 
Entwicklung von lichtem Glimmer, meist in Form serizitischer Aggregate ein, die man 
so gerne für die Ergebnisse dynamometamorphosierender Prozesse ansieht, und welche dem 
riehtungslosen Granit fehlen. Doch sind derartige Gebilde durchaus nicht konstant an die 
schiefrige Form des Zentralgranites gebunden; so habe ich besonders am Mösele im Zillertal 
gegen die Furtschlagl-Hütte zu eine Gesteinsserie gesammelt, die selbst in den ganz 
dünnschiefrigen Randzonen keine Spur irgend einer Aenderung der Zusammensetzung erkennen 
lässt; die Biotitblättchen sind hier zu Membranen verbunden, denen jede Spur eines lichten 
Glimmers fehlt, und welche die normalen, granitisch struierten Quarz-Feldspataggregate gegen 
einander abtrennen. 

Becke!) versucht zwar auch neuerdings noch, all diese Modifikationen der Be- 
schaffenheit des Zentralgranites (oder Tonalites) als sekundäre Erscheinungen darzustellen. 
Er schreibt: „Diese Mineralumsetzungen vollziehen sich zumeist durch inneren Austausch und 
sind nur von beschränkten, wenngleich wesentlichen Aenderungen der Gesamtzusammen- 
setzung (Aufnahme von Wasser und Kohlensäure) begleitet. Die Umsetzungen folgen dem 
Volumgesetze, das ist, die Stoffe streben den Verbindungen mit kleinstem Volumen zu.“ 
Dass die Erscheinungen auch von anderen Gesichtspunkten aus aufgefasst werden können 
und aufgefasst wurden, ist dabei eine reine „quantite negligeable“, ebenso die zahlreichen 
Beweise, welche von meiner Seite für die primäre Eigenschaft dieser Bildungen beigebracht 
wurden. 

Auch die schiefrige Beschaffenheit wird unter denselben Gesichtspunkten betrachtet: 
„Die Schieferung erfolgt nicht selten ohne merkliche Kataklase durch Umkristallisieren 
(Kristallisationsschieferung).“ Irgend eine physikalische Grundlage für solche Thesen 
wird dabei freilich vermisst, wie überhaupt in der Theorie des Dynamometamorphismus das 
Forschen nach Beweisen für die aufgestellten Sätze im allgemeinen sehr vernachlässigt wird. 
Inwieweit der dasselbe Thema berührende Vortrag Beckes auf dem Wiener Congress die 
hier vorhandene, sehr empfindliche Lücke ausgefüllt hat, entzieht sich meiner Beurteilung, 
da die Berichte darüber mir nicht vorliegen. Nach dem allgemeinen Beifall, welchen seine 
Worte gefunden haben, ist dies vorauszusetzen, und es würde eine solche auf physikalischer 
Grundlage beruhende Stütze des Dynamometamorphismus auch dem Gegner hochwillkommen 
sein, welcher bisher gezwungen ist, hauptsächlich gegen Hypothesen zu kämpfen. 

Ich habe früher in diesen Beiträgen wohl als erster versucht, den primären Charakter 
dieser schiefrigen Beschaffenheit von physikalischem Standpunkt aus annehmbar zu 
machen, und ich erblicke gerade in dieser schiefrigen Ausbildung der Randzonen einen Beweis 
dafür, dass ein ursprünglicher Eruptivkontakt vorliegt und nicht eine durch Denudation und 
Transgression eingetretene Ueberlagerung des Granites durch Schiefer, wie dies die öster- 
reichischen Geologen so gerne annehmen, ebensowenig aber ein mechanischer Kontakt 
nach dem Rezept der Schweizer Schule. 


1) F.Becke, Westende der Hohen Tauern (Zillertal). Führer Exc. IX. intern. Geol.-Congr., Wien 1903. 


324 


Diese beiden Hypothesen, auf welchen eigentlich die ganze Theorie des Dynamometa- 
morphismus beruht, sollen hier kurz charakterisiert werden. Beider Grundlage ist ohne jeden 
Zweifel in der schon öfter erwähnten Nebenbedeutung des hier zunächst in rein petrographischem 
Sinne angewandten Wortes Gneis gegeben, welches nach Art einer Zwangsvorstellung die 
Idee des archäischen Alters suggerierte. In dem diesen „Zentralgneis“ der österreichischen 
Geologen, oder „Protogingneis“!) der Schweizer direkt überlagernden Schichten waren 
schon seit ungemein langer Zeit Petrefaktenreste?) bekannt, welche für diese ein sehr 
viel niedereres geologisches Alter mit Sicherheit festzustellen gestatteten, und es musste nun 
eine Erklärung für die doch einigermassen eigenartige Schichtenfolge gefunden werden, 
welche jungpaläozoische oder gar mesozoische Sedimente in Berührung mit dem „zuerst 
gewordenen‘, der Erstarrungskruste unseres Planeten brachten. 


So sollten diese Sedimente nach der Ansicht der einen nach einem längeren Widerspiel 
von Ablagerung und Denudation auf dem freigelegten archäischen Schichtensystem aufgelagert 
worden sein, wobei den Tälern unserer Zentralalpen die Eigenschaft zugeschrieben wurde, 
dass sie schon in jenen weit entfernten geologischen Perioden — z. B. in den Niederen Tauern 
im Carbon — als Einsenkungen vorhanden waren, in welche die Meere eintraten und trans- 
gredierend auf ihrer Unterlage die jüngeren Sedimente absetzten. Ein besonderer Beweis 
für solche Anschauungen wird in dem Vorhandensein konglomeratischer Ablagerungen 
erblickt, welche z. B. in den Niederen Tauern den Granit direkt überlagern. Auf der 
anderen Seite wurden die gewaltigen Faltungsprozesse der Alpen dafür in Anspruch genommen, 
so heterogene Bildungen miteinander im mechanischen Kontakt gebracht zu haben. Als 
dann mehr und mehr durch petrographische Untersuchungen die Ueberzeugung sich Bahn 
brach, dass die „@neise* eigentlich Granite sind, hatte die Vorstellung von dem hohen 
Alter der Gesteine schon so festen Boden gewonnen, dass man ohne weitere Ueberlegung 
dieses auch dem als Granit erkannten Gestein zuschrieb und auch nach dieser Erkenntnis 
an den beiden Arten der Deutung des Kontaktes festhielt. 


Nun war die Grundlage für weitere Theorien gegeben: die schiefrige Beschaffenheit 
der Randzonen des Granites erschien als ebensowenig verständliche Erscheinung wie die 
kristallinische Beschaffenheit der den Granit überlagernden Schiefer, deren ursprünglich rein 
klastische Struktur wegen der nicht allzu seltenen Fossilfunde keinem Zweifel unterliegen 
konnte. Der „deus ex machina“, welcher alle Zweifel beseitigte und das Ganze, wie im 
griechischen Drama, zu einem versöhnenden Abschluss brachte, war in dem mächtigen Drucke 
des sich faltenden Gebirges gegeben, und die an anderer Stelle von Lossen aufgebaute 
Theorie des Dynamometamorphismus ergab die erhoffte Lösung des Rätsels. 


1) Weshalb Baltzer (l. c.) die Schreibweise Protogin für etymologisch falsch erklärt und dafür 
Protogyn schreibt, ist nicht klar. Das Wort stammt doch wohl von griechisch protos und gignomai 
und dient so als Verstärkung der durch den Namen Gneis erweckten falschen Vorstellung. 

2) Es ist eine eigentümliche Erscheinung, dass die zahlreichen Funde von Fossilien im den 
Schweizer Glimmerschiefern, welche nach Studer (Geologie der Schweiz I, 375) schon 1814 von Char- 
pentier und Lardy am Nufenen, bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch an zahlreichen 
weiteren Stellen bekannt waren, in der Literatur so wenig berücksichtigt wurden, dass der Fund von 
Fossilresten in den Glimmerschiefern der Halbinsel Bergen, über welchen Reusch 1883 berichtete, als 
etwas völlig Neues erschien. 


Orlek 


325 


Dass bei einer Zusammenpressung von Schiefern mit den kompakten massigen Gebirgs- 
kernen von granitischer Beschaffenheit die ersteren besonders stark in Anspruch genommen 
wurden, erschien leicht verständlich und ebenso die Erscheinung, dass der Granit nur in den 
äussersten Randzonen eine besondere Beeinflussung erkennen liess, welche sich in seiner 
schiefrigen Beschaffenheit äussert. So erschien die Schieferung des Zentralgranites als eine 
Art von cleavage, welche mit der gewöhnlichen Art der cleavage in zahlreichen Fällen 
die Bildung serizitischer Glimmer auf den neugebildeten Strukturflächen gemeinsam hat, 
von derselben sich aber namentlich dadurch in recht ungünstiger Weise unterscheidet, dass 
man gezwungen war, in dem sonst nicht veränderten Gestein selbst Verschiebungen einzelner 
Bestandteile anzunehmen. Denn die Biotitblättchen, welche in dem normalen Gestein 
richtungslos eingestreut sind, zeigen in den schiefrigen Partien stets einen ausgezeichneten 
Parallelismus. 

Auch die in gewissen Beziehungen anomale mineralische Zusammensetzung der zentral- 
alpinen Granite, welche in den richtungslosen Gesteinen die gleiche ist wie in den schiefrigen, 
sollte denselben sekundären, lange nach der Erstarrung der Gesteine wirkenden Prozessen 
ihre Entstehung verdanken. Diese anomale Beschaffenheit, die sich namentlich in der Er- 
füllung des Plagioklases durch massenhafte, ganz unregelmässig angeordnete, aber oft 
sehr gut kristallisierte Individuen von Epidot, Klinozoisit, Granat, Muskowit ete. 
ausspricht, wurde allerdings von anderer Seite mit besonderer Vorliebe als Verwitterungs- 
erscheinung bezeichnet. Ich habe dem schon früher die absolut klare und unveränderte 
Beschaffenheit des Plagioklases selbst gegenüber gestellt, in welchem diese Einschlüsse vor- 
handen sind. Noch weniger verständlich sind die Vorstellungen von Becke!) über analoge 
Bildungen in den Tonaliten der Rieserferner, dessen Aeusserungen ich daher wörtlich 
anführe: „Nichtsdestoweniger kann ich in der mechanischen Beeinflussung des Gesteines 
nicht die Ursache jener Neubildungen erblicken. Ich muss vielmehr annehmen, dass sich 
unsere Gesteine, nachdem die magmatische Erstarrung abgelaufen war, lange Zeit unter 
äusseren Umständen befanden, in welchen die durch Erstarrung geschaffenen Verbindungen 
nicht die stabilste Gleichgewichtslage darstellten; namentlich gilt das für die basischen Plagio- 
klase, deren Silikate unter den herrschenden Umständen dem Zerfall in Natriumaluminium- 
silikat (Albit) einerseits, in Kalkaluminiumsilikat (Zoisit, Epidot) andererseits zustrebten. 
Es ist auch zu vermuten, dass alkalihaltige Lösungen das Gestein durchsetzten; nur so ist 
die Neubildung von Biotit und Kaliglimmer verständlich.“ Im übrigen werden aber die 
physikalischen Vorstellungen über die äusseren Umstände, unter welchen die Plagioklase „dem 
Zerfall zustrebten“, nicht weiter erläutert. Ich persönlich bin nicht imstande, mir vorzu- 
stellen, wie nach der Erstarrung des Gesteines unter irgend welchen Umständen, selbst wenn 
man den Druck noch als Agens hinzuzieht, ein einheitlicher Plagioklas ohne irgend eine Störung 
seiner Form und seines Gefüges zu erleiden unendlich viele Individuen von anderen Substanzen 
in sich selbst erzeugt. Denn die von mir früher beschriebene und auch abgebildete 
Beschaffenheit der Plagioklase in den zentralalpinen Graniten wenigstens ist eine so hervor- 
ragend charakteristische, dass man sie nicht missdeuten kann. Diese Bildungen sind in ihrer 
Gesamtheit nieht in irgend einem Stadium der Gesteinsbildung entstanden, in welchen unter 


1) F. Becke, Petrographische Studien am Tonalıt der Rieserferner. Tscherm. min.-petr. Mitt. 1892, 
XII, 421. 


Abh.d. II. Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXI. Bd. Il. Abt. 42 


326 


dem Einflusse äusserer Umstände vielleicht irgend ein untergeordneter Grad molekularer 
Beweglichkeit angenommen werden könnte. Hier handelt es sich um Kristallisationen, die 
zu einer Zeit gebildet wurden, als die Moleküle eine vollkommene Beweglichkeit hatten, 
und ein derartiger Zustand kann nur der flüssige sein. Die von Becke angedeuteten äusseren 
Umstände müssen somit derart gewesen sein, dass sie eine Verflüssigung des schon erstarrten 
Gesteines bewirkten. 

Auch an anderer Stelle äussert derselbe Verfasser Anschauungen über die Art und 
Weise der Umbildung, welche die Dynamometamorphose bezeichnet, ohne aber auch hier 
irgend welche physikalischen Anhaltspunkte zu geben. Er unterscheidet dort zwei Arten von 
Dynamometamorphismus: Die eine in Mineralneubildung und in den begleitenden chemischen 
Vorgängen offenbar nahe verwandt mit normaler Kontaktmetamorphose, sie erscheint an 
grössere Erdtiefen gebunden; die andere dürfte chemisch mit der Propylitbildung vergleichbar 
sein und’ spielt sich näher der Erdoberfläche ab; die erste ist nach dem Autor katogene, 
die zweite anogene Dynamometamorphose. Worin nun aber der trennende Unterschied der 
ersten Art von der Kontaktmetamorphose, der letzteren von der Zersetzung durch post- 
vulkanische Prozesse gegeben ist, lässt sich aus seiner Darstellung nicht ableiten.!) 

Es ist überhaupt bezeichnend, dass, so gross die Zahl der Anhänger des Dynamo- 
metamorphismus ist, doch noch niemals von irgend einer Seite versucht wurde, die Prozesse, 
welche man sich als Grundlage dieser Umwandlungen denkt, im Detail auf physikalischer 
Basis zu verfolgen. 

Rosenbusch?) selbst beschränkt sich darauf, immer und immer wieder zu versichern, 
dass die kristallinischen Schiefer dem Gebirgsdruck ihre heutige Beschaffenheit verdanken, 
und dass die Umbildung in starrem Zustand vor sich ging. Dass diese Sätze durch die 
häufige Wiederholung bewiesen seien, wird wohl niemand behaupten wollen, und anders als 
höchstens noch mit einem Hinweis auf die Springschen Versuche, deren Unzulänglichkeit 
für die hier in Betracht kommenden Ercheinungen oben diskutiert wurde, hat noch niemand 
versucht, die physikalischen Grundlagen des Dynamometamorphismus zu erforschen. Ex- 
perimentelle Untersuchungen, wie jene von Adams und Nicolson, über die plastische 
Deformierbarkeit des Kalkes haben gleichfalls in der Hauptsache höchstens negative Resultate 
gebracht. Ausserdem ist, was Plastizität anbetrifft, der Kalkspat unter den gesteinsbildenden 
Mineralien eine etwas isoliert dastehende Substanz, und schliesslich handelt es sich bei der 
Theorie des Dynamometamorphismus um sehr viel kompliziertere chemisch -physikalische 
Prozesse, so dass die Schlussfolgerung von Adams und Nicolson, dass sie durch analoge 
Versuche mit anderen Mineralien und Gesteinen imstande sein werden, Beweise für den 
Dynamometamorphismus in weitestem Umfange zu erbringen, mindestens etwas optimistisch 
erscheint. 

Gegenüber diesen Hypothesen, welche bis heute einer physikalischen Unterlage völlig 
entbehren, habe ich seinerzeit die Theorie der Pi&özokristallisation?) aufgestellt, welche 


!) F. Becke, Vorläufiger. Bericht über den geologischen Aufbau und die kristallinischen Schiefer 
des Hohen Gesenkes. Altvatergebirge, Sitzungsber. Akad. Wiss. Wien 1892, CI, I, 286. 

2) H. Rosenbusch, Zur Auffassung des Grundgebirges. Neues Jahrb. Mineral. 1899, II, 81 und 
an zahlreichen anderen Orten. 2 

3) Trotzdem ich im 2. Heft dieser Beiträge (p. 91) eine eingehende Definition des Begriffes der 
Piözokristallisation gegeben habe, hält Sauer (Abh. preuss. Akad. Wiss., Berlin .1900) diesen Namen für 


327 


ich gleichzeitig vom physikalischen Standpunkt aus eingehend zu begründen versuchte, Die 
anomalen Erscheinungen, welche uns die Gesteine der Zentralalpen darbieten, ergeben sich 
nach dieser Anschauung aus der Mitwirkung des Gebirgsdruckes, dem aber nicht wie bei 
der Dynamometamorphose die Hauptrolle dabei zukommen würde, sondern eine mehr 
untergeordnete, die normalen Prozesse modifizierende Bedeutung. Dass der Zentralgranit 
während seiner Kristallisation selbst in mannigfacher Weise die mechanischen Wirkungen 
gebirgsbildender Prozesse erfahren hat, dafür liegen doch wohl in den zerbrochenen, von 
der Mutterlauge wieder ausgeheilten Feldspatindividuen erkennbare Beweise vor, und wenn 
man mit den Schilderungen der kataklastischen Struktur im Zentralgranit selbst die Beob- 
achtungen vergleicht, zu welchen die Schieferhülle des Gross-Venedigers Anlass gab, so 
treten die früher dargelegten Grundzüge noch um vieles deutlicher in die Erscheinung. 
Einerseits haben wir den Zentralgranit allenthalben mit der vollkommensten 
Kataklase, die sich namentlich in der Zertrümmerung des Quarzes äussert, 
anderenteils die mannigfach dislozierten und gefalteten Gesteine der Schiefer- 
hülle, in welchen kataklastische Phänomene nur untergeordnet und ganz 
lokalisiert zur Ausbildung gekommen sind, in welchen selbst grobkörnige 
Aggregate von Quarz ohne mechanische Veränderung geblieben sind, und 
langnadelige Individuen von Turmalin die gefalteten Schichten quer durch- 
dringen, ohne eine Biegung oder Zerbrechung erkennen zu lassen. 

Dieser Gegensatz in der Beschaffenheit des Granites und der Schiefer ist 
zwar an zahlreichen Punkten der Alpen in genau übereinstimmender Weise zu verfolgen, 
im Gebiete des Gross-Venedigers aber ganz besonders deutlich hervortretend, und, wie mir 
scheint, liegt gerade in diesem Unterschied ein Faktor von weitgehender Wichtigkeit für 
die gesamte Geologie der Alpen. Ich hatte schon früher mehrfach Gelegenheit, darauf hin- 
zuweisen, dass in den Schiefern der Zentralalpen merkwürdigerweise mechanische Strukturen 
irgend welcher Art an zahlreichen Stellen völlig fehlen oder höchstens in ganz untergeord- 
neten Schichten zur Entwicklung gekommen sind, während der Zentralgranit allenthalben 
den Charakter intensiver Zertrümmerung an sich trägt. Wenn also Rosenbusch!) sagt, „die 
mechanischen Strukturen (der kristallinischen Schiefer) beweisen, dass die Gesteinselemente 
in starrem Zustand gegen- und ineinander gepresst und gegeneinander verschoben wurden‘, 
so beweist doch wohl der völlige Mangel solcher Strukturen, dass alle Bewegungen innerhalb 
des Gesteines, welche sich in der Faltung der Schichten etc. zu erkennen geben, keineswegs 
in starrem Zustand vor sich gegangen sind. 

Es scheint mir bemerkenswert und muss besonders hervorgehoben werden, dass die 
kataklastische Beschaffenheit des Granites in den vollkommen schiefrigen Randzonen 
keineswegs bedeutender zu sein pflegt, als im inneren richtungslosen Kern der Massive, dass 


völlig überflüssig, da er gleichbedeutend sei mit dem Bröggerschen Begriff der Protoklase. (Vergl. 
W.C.Brögger, Spaltenverwerfungen in der Gegend Langesund-Skien. Nyt Mag. Naturvid. 1884, XX VII, 
Nr. 3 und 4.) Dieser bezeichnet aber rein mechanische Einwirkungen auf die schon auskristalli- 
sierten Bestandteile eines noch nicht völlig verfestigten Magmas, während ich als Piözokristallisation 
alle chemischen und physikalischen Modifikationen zusammengefasst habe, welche durch hohen Druck 
vor und während der Verfestigung der einzelnen Bestandteile bewirkt wurden, und die sowohl in 
der Struktur als in der abweichenden Zusammensetzung der Gesteine zum Ausdruck kommen. 
1) H. Rosenbuch, Zur Auffassung des Grundgebirges. Neues Jahrb. Mineral. 1889, II, 81. 
42* 


328 


dieselbe aber andererseits in den Apliten nicht mehr zum Ausdruck kommt, während eigent- 
liche Granitapophysen recht deutliche Trümmerstrukturen aufweisen. Auch in der Gneis- 
Glimmerschieferzone, in welcher sich das granitische Material noch in nicht unbedeutendem 
Maasse an der Zusammensetzung der Gesteine beteiligt, fehlen die kataklastischen Erschei- 
nungen fast ganz, so dass sich auch darin ein charakteristischer Unterschied zwischen den 
normal zusammengesetzten granitischen Schiefern und diesen Mischgesteinen ergibt, der bei 
einer Erklärung der geologischen Vorgänge gewürdigt werden muss. Es ist mir aus dem 
ganzen Gebiete der zentralen Ostalpen nicht ein einziges Vorkommen eines Granites bekannt, 
in welchem die Erscheinungen der Kataklase fehlen; aus dem Gebiete der Westalpen erhielt 
ich von Mrazec einen Schliff von „Protogin“ aus dem Montblancmassiv, von den jüngsten 
granitischen Nachschüben stammend, welcher demgegenüber eine Ausnahme darstellt und 
keine Erscheinungen der Pi&zokristallisation zeigt; es handelt sich dabei aber um eine ganz 
vereinzelte Ausnahme. 

Die Beschaffenheit der granitischen Aplite und der sonstigen Bildungen, welche sich 
als Gefolge der vulkanischen Tätigkeit darstellen, ist nicht so einheitlich. Während 
z.B. in der Umgebung der steierischen Graphitlagerstätten die Neubildungen von 
Quarz, welche den schiefrigen Randzonen des Granites ein eigentlich stengliges Aussehen 
verleihen, in intensivstem Maasse zertrümmert sind, lassen Quarzneubildungen in dem oben 
beschriebenen, ganz zertrümmerten Granitporphyr am Löbbentörl keine Spur einer mecha- 
nischen Störung erkennen. Denselben Unterschied kann man in den Apliten verfolgen, 
im Gebiete des Gross-Venedigers und an zahlreichen anderen Stellen der Alpen sind diese 
Gesteine nicht oder nur in ganz geringem Grade kataklastisch, oft mit geradezu ideal voll- 
kommener granulitischer oder mikropegmatitischer Struktur wie am Pfundererberg bei 
Klausen,!) an anderen Orten z.B. im Gebiete der steierischen Graphitlagerstätten 
oder am Hüttenberger Erzberg sind mechanische Strukturen in den Gesteinen weit ver- 
breitet. Denselben Unterschied kann man in den „granitisierten“ Schiefern wie in den 
Kontaktgesteinen allenthalben verfolgen, von besonderer theoretischer Wichtigkeit sind dabei 
jene Gebiete, in welchen die Erscheinungen der Kataklase in diesen Gesteinen fehlen, weil 
dadurch in erster Linie der Theorie der Dynamometamorphose ein wichtiges Beweisstück 
entzogen wird. 

Löwl?) weist auf den Mangel solcher mechanischer Strukturen ‘in den Apliten hin 
und meint, dass man durch meine Theorie der Pi@zokristallisation (oder wie er ebenso 
unrichtig als unschön verdeutscht, der Druckstarre) über diese Schwierigkeiten nicht hinweg- 
kommt, wie überhaupt die ganze Theorie nicht haltbar sei. Wie aber der Dynamometa- 
morphismus diese Erscheinungen erklären soll, darüber lässt er sich bedauerlicherweise nicht 
aus. Inzwischen habe ich ein Gerölle aus der Isar°) bei Tölz beschrieben, welches die 
Sachlage insofern klärt, als dasselbe den unwiderleglichen Beweis liefert, dass der Granit 
völlig schiefrig war, als der Aplit in denselben eindrang, denn das kompakte, nicht kata- 
klastische, aplitische Gestein zeigt deutlich den Abdruck der ae Randflächen der 
Kluft, in welcher es zur Verfestigung gekommen ist. 


I) E. Weinschenk, Einige Beobachtungen über die Erzlagerstätte im Pfunderer Berg bei Klausen 
in Südtirol. Zeitschr. prakt. Geol. 1903, 66. 

2) F. Löwl, Der Granatspitzkern. Jahrb. geol. Reichsanst. 1895, XLV, 615. 

3) E. Weinschenk, Ueber ein interessantes Gerölle der Isar. Neues Jahrb. Mineral. 1898, II, 160. 


329 


Betrachten wir die Verhältnisse in ihrer Gesamtheit, so ist einesteils kein Zweifel 
möglich, dass der Zentralgranit selbst in intensivstem Maasse mechanisch beeinflusst ist, 
dass aber schon in den Nachschüben der granitischen Intrusion und ebenso in den kontakt- 
metamorphischen Nebengesteinen kataklastische Erscheinungen zu den Ausnahmen 
gehören, dass ferner die schiefrige Beschaffenheit des Granites vorhanden war, bevor die 
Aplite emporgestiegen sind. Und während die normalen granitischen Apophysen im Neben- 
gestein noch recht vollkommen schiefrig und kataklastisch sind, also echte kristallinische 
Schiefer im Sinne Rosenbuschs darstellen, sind schon in den durch das leichter bewegliche 
und später sich verfestigende granitische Exsudat aufgelösten Gmeisglimmerschiefern diese 
strukturellen Modifikationen verschwunden. Es können somit nicht Kräfte gewesen sein, 
welche auf den gesamten Gesteinskomplex in der Form, wie er heute vorliegt, eingewirkt 
haben, denn wenn der auf das völlig verfestigte granitische Gestein pressende Gebirgsdruck 
den Quarz dieses Gesteines völlig zertrümmert, so kann doch unmöglich der Quarz der Aplite, 
der Gneise und Glimmerschiefer ete. den Wirkungen dieses Druckes entgehen. Selbst der 
schon oben zitierte Satz Rosenbuschs, dass kein Körper durch dieselben Kräfte zerstört 
wird, denen er seine Bildung verdankt, ist in diesem Zusammenhang nicht zu verwerten, 
denn der granitische Bestandteil der Gneise oder die Aplite können doch wohl nicht dem 
Granit selbst als etwas extrem Entgegengesetztes gegenüber gestellt werden. 

Die Schieferhülle des Gross-Venedigers und ihr Verhältnis zum Zentralgranit liefert 
also eine grosse Anzahl von Beobachtnngen, welche einesteils unsere Ansichten über den 
allgemeinen Metamorphismus klären, andererseits aber auch interessante und neue Streif- 
lichter auf den Mechanismus der Gebirgsbildung werfen. Es ist festgestellt, dass der 
Granit selbst einem mächtigen Druck ausgesetzt war, das beweist in erster Linie die völlige 
Zerrüttung, welche die Struktur des Gesteines erkennen lässt, auch wenn man von der 
Schieferung in den Randzonen und von den mineralogischen Anomalien absehen will. Es 
sind unzweifelhaft gewaltige Bewegungen, die sich in der Struktur des Granites zu erkennen 
geben. Aber ebenso sicher haben die Aplite und die kristallinischen Schiefer der 
Hülle in ihrem heutigen Zustand diese Bewegungen nicht mitgemacht, d. h. sie sind kristal- 
lisiert, als das Gebirge zur Ruhe gekommen war und nur noch lokale Verschiebungen in 
demselben stattfanden, welche die Struktur der Hauptmasse nicht weiter beeinflussten. 

Durch die Gegenüberstellung dieser Erscheinungen erhalten wir einen wichtigen Hinweis 
auf den Zeitpunkt der Intrusion des granitischen Magmas, einen Zeitmesser, der allerdings 
nicht dieselbe Bedeutung für die geologische Feststellung der Eruption hat, wie etwa Tuff- 
schichten, die den fossilführenden Formationen eingelagert sind, der aber trotzdem eine 
besondere Wichtigkeit deshalb besitzt, weil er die Intrusion des Massengesteines in direkte 
Beziehungen zur Gebirgsfaltung selbst bringt. Die Gesamtheit der Beobachtungen, wie sie 
hier angeführt worden sind, liefert ein vollkommen eindeutiges Resultat: Der Zentral- 
granit kristallisierte, während sich gewaltige Bewegungen im Gebirge voll- 
zogen, die Aplite und die Kontaktgesteine dagegen nahmen ihre heutige Be- 
schaffenheit erst an, als die Bewegung in der Hauptsache zur Ruhe gekommen 
war; in der mineralischen Zusammensetzung derselben spricht sich aber deut- 
lich aus, dass „die Tendenz, ein möglichst kleines Molekularvolumen einzu- 
nehmen“ auch während der Kristallisation dieser Gesteine noch fortdauerte, 
d. h. dass eine gewaltige Spannung, welche sich aus früheren Bewegungen 


330 


der Erdrinde ergab, noch vorhanden war, die schliesslich nach Beendigung 
der ganzen Prozesse in lokalen Störungen ihre Auslösung fand. 

Dadurch aber kommt der Vulkanismus in direkte Beziehungen zur Gebirgsbildung, 
im Gegensatz zu den Ausführungen von Rothpletz,!) welcher ein gewisses Alternieren 
dieser beiden Hauptfaktoren der Tektonik unserer Erdrinde annimmt, welches derselbe auf 
einen von physikalischem Standpunkt doch wohl unmöglich festzuhaltenden Alternieren 
von Ausdehnung und Zusammenziehung des flüssigen Erdkernes begründet. In erster Linie 
ist zu betonen, dass die zentralalpinen Eruptivmassen jene geringfügigen Aeusserungen des 
Vulkanismus, welche bis zur Erdoberfläche gedrungen sind, und auf welche allein Rothpletz 
sich bezieht, um ein Vielfaches übertreffen, hier handelt es sich um Körper, deren Quer- 
schnitt viele tausend Quadratkilometer umfasst, deren Massen das Gebirge bis zu seinen 
höchsten Höhen aufbauen. Für die Ausgleichung der Spannungen im Innern unserer 
Erde sind daher diese Intrusivmassen von ungemein viel grösserer Wichtigkeit, gegenüber 
von welchen die Bedeutung der eigentlichen Ergussgesteine, die in Beziehung auf ihr geo- 
logisches Alter sehr viel leichter festzustellen sind, völlig verschwindet. 

Die mächtigen Zentralgranitmassive haben sich während einer der hauptsäch- 
lichen Faltungsperioden der Alpen verfestigt, mit ihrer Kristallisation war aber in der 
Hauptsache auch die Bewegung des Gebirges beendet, da diese in den nächst jüngeren 
Bildungen nicht mehr zum Ausdruck kommt. Damit ist nun allerdings keine genaue Fest- 
legung der Eruptionszeit dieser Granite in geologischem Sinne gegeben, aber ihr 
Empordringen kommt in direkten Zusammenhang zu der Gebirgsbildung selbst und ist in 
Beziehung auf diese genau festzustellen. Ob es mittleres Oligocän oder jüngeres 
Miocän oder irgend: ein anderer Zeitpunkt ist, in welchen wir diese ungeheuer mächtigen 
Massenergüsse anzusetzen haben, lässt sich nicht feststellen. Nach den Beobachtungen im 
Gross-Venedigerstock kann man ein genaueres Datum für dieselben überhaupt 
nicht angeben; doch zeigen die kontaktmetamorphisch umgewandelten Glimmerschiefer der 
Schweizer Alpen mit ihren Belemniten mit Sicherheit, dass es sich nicht um sehr alte 
Bildungen handelt. Die Uebereinstimmung in allen chemischen und petrographischen Bezie- 
hungen zwischen dem Zentralgranit des Gross-Venedigers und dem Protogin, welcher 
jene jurassischen Schichten kontaktmetamorphisch veränderte, lässt dieselben auch als zeitlich 
einander recht nahestehend erscheinen. 

Man wird aus der Gesamtheit der Erscheinungen in der Zentralkette der Alpen den 
Schluss ziehen dürfen, dass in diesen Gebieten durch die Verfestigung der gewaltigen grani- 
tischen Kerne die Massenbewegung zur Ruhe gekommen ist. Es kamen zwar auch später 
noch lokal Spannungen zur Auslösung, es wurden z. B. die nicht unbedeutenden Serpentin- 
massen unter hohem Druck zwischen die Schichten eingepresst, eine allgemeine Gesteins- 
faltung aber fand nicht mehr statt, und es ergibt sich daraus ein recht jugendliches Alter 
dieser einst für das Aelteste angesehenen Bildungen. Durch seine Untersuchungen im Adamello- 
gebiet kam Salomon?) zu ganz ähnlichen Resultaten; es ist dabei bemerkenswert, dass 


!) A. Rothpletz, Ueber die Möglichkeit, den Gegensatz zwischen Kontraktions- und Expansions- 
theorie aufzuheben. Sitzungsber. Bayer. Akad. Wiss. 1902, XXXIL, 311. 

2) W. Salomon, Geologisch-petrographische Studien im Adamellogebiet. Sitzungsber. preuss. 
Akad. Wiss. 1896, 1033. —, Ueber Alter, Lagerungsform und Entstehungsart der periadriatischen, granitisch- 


331 


derselbe trotz der ausgedehnten Verwertung der Literatur die von mir schon 1894 gegebenen 
Hinweise in dieser Richtung völlig ignoriert. 

Allerdings kommt er gerade in Bezug auf die uns hier beschäftigenden Gesteine zu 
durchaus abweichenden Ansichten, indem er z. B. ausspricht, dass die zentralalpinen Massen 
nicht tertiär sein können, da sie durch die tertiäre Faltung dynamisch umgewandelt wurden. 
„Aber man berücksichtige auch, dass die tertiäre Faltung der Alpen einen gewaltigen 
Zeitraum innerhalb der Tertiärperiode umfasste. Es ist daher sehr wohl möglich, dass 
eine erste Bewegungsphase die Granite zur Intrusion brachte, eine spätere sie nach ihrer 
Erstarrung dynamisch umwandelte.“ Ich glaube gerade diesen aus der Abhandlung von 
1899 entnommenen Satz in extenso geben zu müssen, weil es doch bemerkenswert erscheint, 
dass der Verfasser die Theorie des Dynamometamorphismus als so feststehend ansieht, dass 
es sich nicht lohnt, über entgegengesetzte, ausführlich begründete Anschauungen auch nur 
ein Wort zu verlieren. 

Den in obigem gegebenen Ausführungen über ein verhältnismässig sehr geringes Alter 
des Zentralgranites scheint nun eine Reihe von Beobachtungen zu widersprechen, welche in 
den verschiedensten Teilen der Ost- wie der Westalpen gemacht worden sind, nämlich das 
Vorhandensein von Konglomeraten, in welchen Gerölle eben dieses Zentralgranites oder 
Protogins eine grössere oder geringere Rolle spielen sollen und die verhältnismässig alten 
Formationen angehören. Am besten untersucht unter diesen sind die „Protogin “gerölle 
im Verrucano, deren Beschreibung Milch!) in seiner umfangreichen Monographie gibt. In 
gewissen Teilen des Verrucano spielen solche Gerölle geradezu die herrschende Rolle, so 
dass man Milch beipflicehten muss, dass dieser Granit vermutlich aus nächster Nähe stammt. 
Aus der Beschreibung, welche Milch von diesen Geröllen gibt, geht ziemlich klar hervor, 
dass dieselben mit normalem Protogin nicht übereinstimmen, wie auch Milch selbst ın 
einer brieflichen Mitteilung an Baltzer zugesteht. Trotz der grossen Anzahl, in welcher 
sie an gewissen Lokalitäten vorhanden sind, konnte der so ausgesprochene Charakter des 
Protogins oder Zentralgranites nicht nachgewiesen werden. Weniger eingehend untersucht 
sind die Protogingerölle im Infralias des Montblanc, deren Beschreibung von Dupare 
und Mrazec mit wenigen Worten gegeben wird, die keinen bestimmten Schluss gestatten; 
gar nicht von petrographischer Seite studiert sind die „Zentralgneis“ gerölle des sogenannten 
Rannachkonglomerates der steierischen Graphitlagerstätten, welches wohl 
karbonisch ist. 

Es gibt also einesteils nachweisbar jnrassische Schichten, welche durch den Zentral- 
sranit kontaktmetamorphisch verändert sind, anderenteils sind in viel älteren Ablagerungen 
Granitgerölle vorhanden, welche man sehr gerne mit dem Zentralgranit identifizieren möchte, 
ohne aber irgend eine charakteristische Uebereinstimmung zu finden. Jedenfalls wäre der 
Sache vielmehr gedient durch eine ins Detail gehende mikroskopische Untersuchung dieser 
Gerölle und eine Feststellung der übereinstimmenden Züge mit dem Protogin oder Zentral- 


körnigen Massen. Tscherm. min.-petr. Mitt. 1898, XVII, 109. —, Neue Beobachtungen aus den Gebieten 
des Adamello und des St. Gotthard. Sitzungsber. preuss. Akad. Wiss. 1899, 27. —, Ueber neue geo- 
logische Aufnahmen in der östlichen Hälfte der Adamellogruppe. Ebenda 1901, 170 und 727. —, Ueber 


die Lagerungsform und das Alter des Adamellotonalites. Ebenda 1903, 307. 
1) L. Milch, Beiträge zur Kenntnis des Verrucano, II. T. Leipzig 1896. 


332 

oranit als durch die einfache Bezeichnung „Protogingerölle“, welche den Verdacht erweckt, 
ale wären diese Bildungen tatsächlich genau mit Protogin übereinstimmend. Ich schliesse 
mich in dieser Beziehung vollständig Salomon!) an, welcher die Identität dieser Gerölle 
mit Protogin rundweg verneint. 

Die Zusammensetzung der Gesteine der Schieferhülle ist an zahlreichen Stellen derart, 
dass nicht bezweifelt werden kann, dass dieselben aus der Abtragung granitischer Territorien 
hervorgegangen sind; auch ohne dass die Beobachtung von Granitgeröllen herangezogen 
werden müsste, geht das aus der allgemeinen Zusammensetzung der Schiefergesteine hervor. 
Die Glimmerschiefer, die Chloritoidschiefer ete. waren ursprünglich mergelige Sandsteine, wie 
sie nur aus granitischen Gesteinen abgeleitet werden können, aber selbstverständlich nicht 
aus jenen Graniten, welche in Form von Gängen in diesen selben Gesteinen auftreten und 
die diese lokal aufgelöst und resorbiert haben. Während also auf der einen Seite klar ist, 
dass verwitternde granitische Gesteine zur Bildung der Sedimente Anlass gegeben haben, 
ist anderenteils mit eben solcher Sicherheit festzustellen, dass dies nicht der Zentralgranit 
gewesen Ist. 

Nach allen Beobachtungen über Beschaffenheit und Struktur des Zentralgranites in den 
Ostalpen sowohl als in den Westalpen sind diese Gesteine überall durchaus identische Bildungen, 
insgesamt ausgezeichnet durch die gleichen anomalen Erscheinungen, welche als primäre 
Eigenschaften der Gesteine erkannt wurden, die ihre Ursache in anomalen Bildungsbedingungen 
haben. Von einem Ende der Alpen bis an das andere bilden die mächtigen Zentralgranit- 
massive eine gewaltige Kette, die durch einen ungewöhnlich einheitlichen Charakter aus- 
gezeichnet ist. Wenn man normale Proben von Protogin aus dem Montblanc- oder 
St. Gotthardmassiv mit einem Zentralgranit aus Tirol oder Steiermark oder aus den 
rumänischen Karpathen oder dem ligurischen Apennin vergleicht, so findet man makroskopisch 
wie mikroskopisch dieselben Grundzüge und zwar diejenigen, welche auf einen hohen Druck 
während der Verfestigung dieser Gesteine hinweisen; sie zeigen insgesamt den Typus der 
Pi£zokristallisation. Diese Einheitlichkeit im Charakter des Massengesteins wiederholt sich 
bei den Gesteinen der Schieferhülle, so mannigfaltig diese im allgemeinen sind. Es ist kein 
Zweifel möglich, dass das, was ich Zentralgranit nenne, in der ganzen Kette der Alpen 
sehr nahezu gleichzeitiger Entstehung ist. 

Man könnte ja wohl annehmen, dass in einer der verschiedenen Faltungsperioden, 
welche die Alpen durchgemacht haben, der Zentalgranit an dieser, in einer anderen an 
jener Stelle emporgedrungen ist, und dass trotz der Verschiedenheit des Alters wegen der 
Gleichheit der äusseren Bedingungen sich die gleichen Ergebnisse herausstellten. Dem steht 
aber ein allgemeiner Erfahrungssatz gegenüber, nämlich der, dass in einer einheitlichen 
petrographischen Provinz — und das sind unsere Alpen von einem Ende zum anderen 
mit Sicherheit — verschiedenalterige Gesteine auch verschiedene Zusammensetzung aufweisen. 
Es gibt kein Beispiel dafür, dass in einem Gebiete Eruptivgesteine, welche durch ganze 
geologische Formationen voneinander getrennt sind, in ihrer chemischen Zusammensetzung so 
vollkommene Uebereinstimmung zeigen. Wenn nun aber das gleiche Alter all dieser gewaltigen 
Intrusivmassen von petrographischen Gesichtspunkten aus nicht bezweifelt werden kann, so geht 


2) W. Salomon. Neue Beobachtungen aus den Gebieten des Adamello und des St. Gotthard. 
Sitzungsber. preuss. Akad. Wiss. 1899, 46. 


a un ee 


4a 


Nr 


333 


dies sicher nicht über den Jura zurück, denn an einzelnen Punkten sind unzweifelhaft 
Ablagerungen des Jura von dem Zentralgranit kontaktmetamorphosiert worden. Ich glaube, 
diese Beobachtungen liefern eine lückenlose Reihe von Beweisen, gegenüber von welchen 
die Beobachtung der nicht identifizierbaren Granit- oder Gneisgerölle nichts zu sagen hat. 

Woher die letzteren stammen, ist zunächst nicht festgestellt, bei der grossen Menge, 
in welcher sie in gewissen Verrucanogesteinen vorhanden sind, ist es, wie schon bemerkt 
wurde, in höchstem Grade wahrscheinlich, dass sie aus nächster Nähe stammen. 

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf eine eigentümliche Erscheinung der 
Gerölle von Zentralgranit hinweisen, die in unseren bayerischen Moränengebieten ausser- 
ordentlich verbreitet ist. Die Gerölle, welche den Transport von der Zentralkette der Alpen 
bis in das Vorland ausgehalten haben, zerfallen hier häufig zu Grus, so dass man in jeder 
Kiesgrube in diesem Gebiete derartige desaggregierte Zentralgranitgerölle findet und schliesslich 
die in der frisch aufgeschlossenen Moräne massenhaft vorhandenen granitischen Bestandteile 
in dem aus dem Schotter hergestellten Strassenmaterial schon nach wenigen Monaten über- 
haupt nicht mehr findet; auch diese Eigenschaft fehlt den Geröllen des Verrucano. 

Der Zentralgranit ist ein verhältnismässig junges Intrusivgestein, das man 
somit auch nicht als Protogin bezeichnen darf, weil dieser Name immer wieder zu falschen 
Anschauungen Anlass gibt. Das Empordringen dieser ungeheuren Massen schmelz- 
flüssigen Materiales steht in innigem Zusammenhang mit der Gebirgsbildung 
selbst, unter deren Herrschaft sich diese gewaltigen granitischen Kerne ver- 
festigten. Die zusammengefalteten und zum Teil ganz zerrütteten Gesteine, 
in welche das Magma durch den gewaltigen Druck der aufgestauten Massen 
eingepresst wurde, wurden von den bei der Kristallisation des Massengesteines 
abgegebenen Mineralbildnern auf weiteste Entfernung durehtränkt und kamen 
so in jenes eigentümlich viskose Stadium, welches allenthalben in den Kontakt- 
zonen der Intrusivgesteine angenommen werden muss. 

Das Empordringen dieser Schmelzmassen zeigte hier einen von den gewohnten vulka- 
nischen Erscheinungen jedenfalls weit abweichenden Charakter: nicht in gewaltigem 
Massenerguss, nicht in einer einzigen, übermässigen Katastrophe brachen die feurigflüssigen 
Massen hervor, vielmehr langsam und allmählich wurde das Magma an den schwächsten 
Stellen in die Schiefer hineingepresst, immer neue Nachschübe aus der Tiefe brachten erneute 
glutflüssige Massen, und die Verfestigung der Gesteine muss daher eine viel langsamere, 
über viel längere Perioden hin andauernde gewesen sein, bis endlich ein gewisser Gleich- 
gewichtszustand erreicht war. Dadurch wurde die Möglichkeit einer Durchwärmung des 
Nebengesteines in viel weiteren Dimensionen gegeben und bei dem zerrütteten Zustand der 
umgebenden Schichtgesteine verbreiteten sich die äusserst langsam von dem erstarrenden 
Schmelzfluss abgegebenen Mineralbildner auf ungewöhnlich bedeutende Entfernungen im 
Nebengestein. 

Auch die dunklen Putzen, welche in dem Zentralgranit allenthalben vorhanden sind, 
stehen am besten mit einem derartigen Mechanismus im Einklang. Ich muss in dieser 
Beziehung allerdings die früher von mir gegebene Deutung derselben modifizieren; im 
zweiten Heft dieser „Beiträge“ (S. 727) habe ich dieselben als „Ausscheidungen“ den eigent- 
lichen Schiefereinschlüssen entgegengestellt, umfangreicheres Material aus den verschiedensten 
Teilen der Alpen lässt diese Ansicht als nicht haltbar erscheinen. Diese dunklen Putzen 

Abh. d. I. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 43 


334 


sind gleichfalls als Einschlüsse anzusprechen, aber als Einschlüsse, welche in sehr frühen 
Stadien der Intrusion losgerissen und während langer Zeit von dem granitischen Schmelzfluss 
verändert wurden; diesen gegenüber stehen die a. a.O. abgebildeten „echten“ Schiefer- 
einschlüsse, welche erst in den letzten Perioden vor der Erstarrung des Gesteines losgerissen 
wurden und daher ihre eckige Form und schiefrige Beschaffenheit bewahrt haben. Zwischen 
beiden gibt es in Form und Struktur und nicht zum wenigsten auch in ihrer Zusammen- 
setzung alle möglichen Uebergänge. 

Die Verfestigung des Eruptivgesteines begann unter dem gewaltigen Druck, welcher 
von allen Seiten auf dem Schmelzfluss lastete, und brachte in erster Linie die Orientierung 
des sich zuerst ausscheidenden blätterigen Glimmers senkrecht zu diesem Druck, d. h. parallel 
zur Grenze des Massivs hervor, während die in das zerklüftete Nebengestein hineingetriebenen 
Apophysen gegenüber der Richtung dieses Druckes eine beliebige Lage einnahmen, in diesen 
also die Schieferung auch durchaus nicht parallel zu ihrer Umgrenzung verläuft. Wo in 
dem Intrusivgestein taflige Feldspatkristalle sich ausgeschieden hatten, wurden auch diese 
quer zum Druck gestellt und von den parallelen Glimmerblättchen wie von einer Schale 
ringsum eingehüllt, dadurch aber gleichzeitig im Fortwachsen gehindert, so dass sie schliesslich 
zu den augenähnlichen Gebilden wurden, deren Hauptteil aus einem einheitlichen Feldspat- 
kristall besteht, während die ausgezogenen Spitzen meist von der Mutterlauge des Gesteines 
erfüllt wurden. Diese orientierende Wirkung übte der Druck aber nur in den Randzonen 
aus, durch die schmelzflüssige Masse selbst konnte er sich als orientierter Druck nicht 
fortpflanzen und so geht vom Rande aus die oft recht vollkommene Parallelstruktur 
gegen den Kern zu allmählich in eine völlig richtungslos körnige über. 

Nicht nur in dieser Parallelstruktur ist das Resultat des Druckes zu erblicken, sondern 
auch in zahlreichen mineralogischen Modifikationen, in denen sich in erster Linie die Tendenz 
ausspricht, das denkbar kleinste Molekularvolumen einzunehmen. Es entstanden die charak- 
teristischen Mineralien der Pi@zokristallisation, namentlich solche aus der Epidot- 
gruppe, Granat etc., welche sich auf Kosten kalkreicher Plagioklase entwickelten, ferner 
Chlorit, der mit dem Glimmer in näheren Beziehungen steht. Das weiter kristallisierende 
Gestein bildete allmählich ein zusammenhängendes Gerüste, dessen Hohlräume die an Mineral- 
bildnern reiche Mutterlauge erfüllte. Durch die Bewegungen des Gebirges traten Verbiegungen 
und Zerbrechungen einzelner Mineralien ein und auch während der Kristallisation des letzten 
Gemengteiles, des Quarzes dauerten diese deformierenden Wirkungen fort, welche die 
kataklastische Beschaffenheit des Quarzes hervorbrachten. 

Nun aber war ein mächtiges und festes Bollwerk geschaffen, an welchem sich die 
dislozierenden Kräfte brachen; so gross auch die Spannung un den granitischen Kern noch 
gewesen sein mag, allgemeine Bewegungen fanden während der nun folgenden Umkristallisation 
der Nebengesteine nicht mehr statt, und so bildete sich der Gegensatz der von kataklastischen 
Erscheinungen im allgemeinen unberührten Schiefer, wie der Aplite ete. gegenüber von dem 
zertrümmerten Zentralgranit heraus. Dass aber trotz des Mangels mechanischer Störungen 
in den zuletzt genannten Gesteinen auch jetzt noch ein gewaltiger Druck herrschte, das 
ergibt sich aus dem Fehlen der normalen, spezifisch leichten Kontaktmineralien, an deren 
Stelle andere treten, in welchen wiederum die Tendenz, ein möglichst kleines Volumen 
anzunehmen, nicht zu verkennen ist. Die Piözokristallisation ist gefolgt von der 
Pi&zokontaktmetamorph.ose. 


; 
L 
| 


335 


Die Deutung des gesamten Prozesses, welche hier gegeben wurde, wird allen im einzelnen 
aufgeführten Erscheinungen gerecht. An Stelle der Umwandlung der Gesteine in starrem 
Zustand, welche an sich kaum begreiflich erscheint, treten die allbekannten und in ihrer 
Wirkungsweise an hunderten von Punkten genau studierten vulkanischen Agentien, 
deren Tätigkeit bei der Umkristallisation der Gesteine durch die ungemein weite Verbreitung 
des Turmalins in diesen noch besonders bewiesen wird. Die Struktur der hier untersuchten 
„kristallinischen Schiefer“ ist so durchaus jene echter Kontaktgesteine und entgegengesetzt 
zu allem, was eine Umkristallisation in starrem Zustand hervorbringen müsste, kurz an Stelle 
der dynamometamorphischen Theorien muss für die Erklärung dieser Schiefergesteine 
die Erklärung durch Kontaktmetamorphose treten, während die Modifikation des Eruptiv- 
gesteines selbst nur durch hohen Druck zu deuten ist, welcher während der Kristallisation 
des Gesteines herrschte, d. h. die schiefrigen Zentralgranite sind in keiner Richtung 
als metamorphe Gesteine anzusprechen. 

Die übrigen kristallinischen Schiefer sind kontaktmetamorphisch umge- 
wandelte Eruptivgesteine und Sedimente, deren ursprünglicher chemischer Charakter 
nur wenig verändert ist. Die Unterscheidung der beiden Gruppen, welche Rosenbusch 
mit Hilfe ihres abweichenden chemischen Typus durchzuführen pflegt, ist aber hier auf 
diesem Wege nur schwer zu erreichen, einesteils wegen der Mischung der beiden Typen, 
wie sie in der Gneis-Glimmerschieferzone vorliegt, anderenteils wegen der weiten Verbreitung 
von Gesteinen, die nur als ursprüngliche Tuffe gelten können, deren Zusammensetzung sich 
jener der entsprechenden Eruptivgesteine in jeder Weise nähert. 

Betrachten wir die Ergebnisse dieser petrographischen Studien in ihrer Gesamtheit, so 
zeigt sich zunächst, dass die Schiefer der Südseite und jene der Nordseite des Gross- 
Venedigers prinzipiell verschieden sind, dass man dieselben also nicht durch einen Luft- 
sattel in Verbindung bringen darf. Es handelt sich hier um Gesteine, welche in keiner 
Weise durch Uebergänge verbunden sein können. 

Die Amphibolite und Grünschiefer, welche auf der Nordseite den Hauptanteil am 
Aufbau der Schichten nehmen, dürfen nicht einmal mit den so ähnlichen Chloritschiefern 
der Südseite in Parallele gebracht werden. Dort haben wir den ausgesprochenen Typus 
eines saussuritisierten basischen Eruptivgesteines völlig isoliert, welches in seiner wohl 
primär gebänderten Beschaffenheit den Eindruck eines ursprünglich gabbroiden Gesteines 
macht; auf der Südseite dagegen ist ein schichtenartiger Wechsel und ein ganz allmählicher 
Uebergang chemisch ähnlich konstituierter Bildungen in normale Sedimente vorhanden, 
ein Uebergang, den man nur durch die Annahme ursprünglicher Tuffe erklären kann. 
Während also die grösste Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die grünen Schiefer der 
Nordabdachung aus ursprünglichen Tiefengesteinen hervorgingen, sind jene der Südseite 
oberflächlich ergossene Decken gewesen, welche mit Tuffen und anderen Sedimenten 
von mergeligem Charakter wechsellagerten. Jedenfalls aber war zur Zeit der Bildung 
jener Ablagerungen das Gebiet der Schauplatz gewaltigster vulkanischer Tätigkeit, welche 
ziemlich basische Gesteine lieferte. Dies dürfte etwa um die Mitte der paläozoischen 
Periode stattgefunden haben. 

Die zweite, wiederum sehr bedeutende vulkanische Epoche setzte mit der haupt- 
sächlichen Gebirgsfaltung ein und dauerte an, bis diese zum Abschluss gekommen war, 
die von den jetzt emporgetriebenen granitischen Massen umgewandelten Gesteine haben eine 
43* 


336 


Wirkung der gebirgsbildenden Prozesse nur noch lokal erfahren. Vermutlich durch nicht 
allzu bedeutende Zeiträume von dieser Periode getrennt spielt sich zum drittenmal vulkanische 
Tätigkeit in dem Gebiete ab, in verhältnismässig geringem Maasse allerdings und haupt- 
sächlich unterschieden durch die Zusammensetzung der jetzt hervordringenden Schmelzflüsse, 
welche fast ausschliesslich aus Magnesiasilikaten bestanden. Die Serpentine resp. deren 
Muttergesteine, die Stubachite, sind die jüngsten in der Reihe der Gesteine, was dadurch 
bewiesen wird, dass sie auch innerhalb der schiefrigen Zonen des Zentralgranites auftreten 
und dass sie die Kontaktgesteine des Zentralgranites weiter umgewandelt haben. 

Es mag auffallend erscheinen, dass z. B. die vom Granit metamorphosierten Kalk- 
glimmerschiefer durch den unter so sehr ähnlichen Bedingungen verfestigten Peridotit 
eine völlige Umbildung in Granat-Diopsid-Epidot-Felse erfahren haben, welche wir 
in der Umgebung des Zentralgranites selbst nirgends beobachten. Es ist aber darauf hin- 
zuweisen,‘ dass die vom Zentralgranit ausgehende, geradezu regionale Metamorphose und 
die räumlich so ausserordentlich beschränkte Umwandlung am Serpentinkontakt in jeder 
Beziehung weitgehende Unterschiede aufweisen. Die umgewandelten Gesteinszonen um den 
Zentralgranit mit einer Mächtigkeit von vielen Kilometern waren von den Dämpfen, welche 
der Granit abgab, gleichmässig durchtränkt und machten eine eigentlich pneumatohy- 
datogene Umwandlung durch, die schmalen Kontaktzonen der Peridotite aber standen in 
erster Linie unter dem Einflusse der hohen Temperatur des Massengesteines, das nur wenig 
gasförmige Stoffe aus der Tiefe emporbrachte, wie dies bei den basischen Gesteinen das 
Gewöhnliche ist. Die Umwandlung stand hier in erster Linie unter dem Einfluss der Hitze 
und trat direkt am Kontakt besonders intensiv in die Erscheinung, konnte aber weitere 
Dimensionen nicht annehmen, weil die Fortbewegung der in geringem Maasse vorhandenen, 
umbildenden Agentien rasch ein Ziel fand. 

Der Granit sowohl als der Peridotit weisen ein Gefolge mannigfaltiger Neubildungen 
auf, welche wiederum recht charakteristisch sind. In dem Ganggefolge des Zentralgranites 
konnten lamprophyrische und aplitische Gänge unterschieden werden; die letzteren, in 
weit grösserer Menge und mannigfaltiger Ausbildung vorhanden, sind auch zum Teil in 
nicht unbedeutenden Einlagerungen in den Schieferzonen zu beobachten und erfüllen auch im 
Granit selbst nicht selten parallele Spaltensysteme. Dass ihnen im allgemeinen die Kataklas- 
struktur fehlt, wurde schon mehrfach betont und dies gilt auch für jene Vorkommnisse, 
welche in ganz zerknitterten Schiefern als schmale, aber mannigfach verwickelte Wellen- 
linien die Schieferung des Gesteines begleiten, so dass derartige Bildungen, z. B. im oberen 
Maurertal, dem sogenannten Gekrösestein nicht unähnlich werden. Dagegen fehlen im 
Gebiete des Gross-Venedigers pegmatitische Bildungen im Bereich des Zentralgranites 
vollständig. An ihre Stelle treten, wie es scheint, die ungemein reichen Minerallagerstätten, 
welche ich früher ausführlich unter dem Namen der Titanformation beschrieben habe. 

Ich brauche hier auf diese grossartigen und interessanten Bildungen nicht weiter ein- 
zugehen, nur einen Punkt möchte ich hervorheben, der bei einem eingehenden Studium 
auffallend erscheint. Unter der ungemein grossen: Anzahl von Mineralien, welche in den 
Minerallagerstätten des Gross-Venedigers beobachtet wurden, fehlen fast vollständig solche, 
welche die sogennanten seltenen Erden enthalten. Es wurden zwar seither von anderer Seite!) 


1) A. Cathrein, Ueber Monazit (Turnerit) aus Tirol. Neues Jahrb. Mineral. 1899, I, .137. — 
H. C. Bowman, Beiträge zur Kenntnis des Monazit. Zeitschr. Kristallogr. 1900, XXXII, 97. 


337 


sporadische Funde winziger Turneritkriställchen beschrieben, im Verhältnis zu der Bedeutung 
aber, welche der Ortbhit als ständiger Gemengteil des Zentralgranites und, wie es scheint, 
auch zahlreicher Schiefer besitzt, erscheint dieses Verhältnis recht merkwürdig. 

Es mag hier auch auf die lokale Bedeutung von Beryllium hingewiesen werden, 
welches zum Teil als Bestandteil des Granites zur Entwicklung eigentlicher Beryllgranite 
führt, wie sie im Habachtal vorkommen, namentlich aber im Nebengestein desselben Granit 
lokal angereichert ist, so dass ein nicht unbedeutender Bergbau auf Smaragd — von den 
europäischen sicher der wichtigste — in dem Gebiete umgeht. Schliesslich darf in diesem 
Zusammenhang auch der Chrysoberyll als Bestandteil der Glimmerschiefer nicht ver- 
gessen werden. h 

Die mannigfachen Mineralneubildungen der Titanformation haben sich auf offenen 
Klüften entwickelt, sie bilden auf denselben Drusen und Krusten mit offenen Hohlräumen, 
wie sie wohl kaum entstanden wären, so lange die gebirgsbildenden Kräfte die Gesteine 
zusammenpressten. Und man beobachtet auch im allgemeinen keine mechanischen Phänomene 
an den einzelnen Mineralien, welche wie z. B. der Epidot an der Kampenwand im Unter- 
sulzbachtal oft ganz besonders bedeutende Grösse erlangen. Da nun, wie seinerzeit eingehend 
begründet wurde, eine Erklärung dieser Minerallagerstätten ohne die Zuhilfenahme vulka- 
nischer Agentien nicht denkbar ist, da sie ausserdem in höchst charakteristischen Beziehungen 
zu dem Zentralgranit stehen, so liefern dieselben einen weiteren Beweis dafür, dass die 
Massenbewegungen mit der Verfestigung des Granites zum Stillstand gekommen waren und 
dass die Nachwirkungen der vulkanischen Tätigkeit mehr und mehr normale Verhältnisse 
vorfanden. 

Es mag ferner noch auf die nicht unbedeutende Verbreitung von Erzlagerstätten 
hingewiesen werden, welche in dem Gebiete bekannt geworden sind, von welchen weitaus 
die meisten wegen der Schwierigkeiten des Terrains einesteils, wegen der geringen Wertigkeit 
des Materiales anderenteils heute nicht mehr ausgebeutet werden. In erster Linie sind das 
Gänge der Blendebleiformation, die namentlich in den Amphiboliten der Nordseite in 
grosser Anzahl bekannt sind; sie lieferten zum Teil einen recht silberreichen Bleiglanz und 
auch andere Silbererze waren denselben, meist allerdings nur in geringer Menge, beigemengt. 
Dass solche Bildungen, im Bereiche der Ostalpen wenigstens, in der Umgebung des Zentral- 
granites und genetisch mit diesem verbunden eine ungemein grosse Verbreitung besitzen, 
habe ich schon an zahlreichen anderen Stellen betont. 

Ein Zusammenhang mit anderen Eruptivgesteinen, welcher z. B. für die hieher gehörigen 
Gänge des Pfunderer Berges bei Klausen behauptet wurde, scheint nicht aufrecht 
erhalten zu sein. Wie ich in meiner schon oben zitierten Skizze dieser Lagerstätte betonte, 
sind auch dort unzweifelhafte aplitische Ausläufer des Zentralgranites in nächster Nähe und 
in inniger Verbindung mit den Erzlagerstätten nachweisbar, welche allerdings von den 
österreichischen Geologen schlechtweg als Glieder der Phyllitgruppe angesehen werden. 

Dass sie das nicht sind, beweisen neben ihrer Zusammensetzung, welche jene eines 
Aplites ist, ihre mikropegmatitische Struktur und ihre Lagerungsform, welche zeigt, dass 
diese Gesteine erst sekundär zwischen die Schiefer eingedrungen sind. Der Zentralgranit ist 
aber im allgemeinen eine der jüngsten Eruptivbildungen wie im Gesamtgebiet der Zentral- 
alpen, so auch in dem südlich an dieses angrenzende Gebiet von Klausen, so dass, ab- 
gesehen von lokalen Beobehtungen, schon von diesem Gesichtspunkt aus die Aeusserungen 


338 


W. Hammers!) ziemlich deplaziert erscheinen. Namentlich weicht auch der Ton, in 
welchem derselbe meine Ansichten nicht zu widerlegen, sondern lächerlich zu machen 
versucht. von dem sonst in wissenschaftlichen Kontroversen üblichen sehr zu seinen Un- 
gunsten ab. 

Ausser den so verbreiteten Erzgängen der Blendebleiformation findet sich, worauf schon 
oben hingewiesen wurde, eine nicht unbedeutende lagerförmige Masse von derbem Schwefel- 
kies innerhalb der Kalkglimmerschiefer. Ferner ist unweit dem Defferegger Schutzhaus 
auf dem Mullwitzaderl ein kleiner Schurf vorhanden, in welchem eine granitische Einlagerung 
im Gneis so mit silberhaltigem Bleiglanz und mit Blende imprägniert ist, dass sie einen 
kleinen Abbau ermöglicht. 

Besonderes Interesse, wenn auch geringe Bedeutung haben endlich die Goldlager- 
stätten des Gebietes, welche ja bekanntlich die ganze granitische Zentralzone der Alpen 
begleiten.‘ In dem speziellen Gebiet allerdings sind sie sehr untergeordnet, während sie in 
anderen Teilen der Zentralalpen, so im Gasteiner Tal oder namentlich im Val Antrona 
und Val Anzasca am Monte Rosa ertragreicher werden. Was hervorgehoben zu werden 
verdient, das ist die Erscheinung, dass neben den meist sehr armen Goldquarzgängen, 
welche namentlich im Granit und dessen nächster Nachbarschaft aufsetzen, auf der Südseite 
des Gross-Venedigers in der Eklogitzone des oberen Frosnitztales ein Typus von Gold- 
lagerstätten aufgefunden wurde, der sonst nicht bekannt ist. Man trifft hier das Gold als 
Freigold in Begleitung und oft umhüllt von ungewöhnlich grossen Kristallen von Bunt- 
kupfererz, zu welchen sich eine Reihe von Mineralien der Titanformation, Albit, Apatit 
und tafliger Kalkspat gesellen. Diese letzteren Lagerstätten sind zwar von geringer 
Verbreitung, haben aber stellenweise eine recht gute Ausbeute ergeben, während das Gold 
der Goldquarzgänge auf primärer Lagerstätte hier überhaupt nie in Arbeit genommen wurde 
und höchstens ganz vereinzelt der goldhaltige Sand namentlich der in das Pinzgau 
mündenden Tauerntäler verwaschen wurde. 

Analoge postvulkanische Prozesse folgten auch der Intrusion der Peridotite, sie wurden 
ausführlich im ersten Heft dieser Beiträge gewürdigt; auch sie führten in der Hauptsache 
auf offenen Klüften zu Mineralneubildungen, welche mechanische Strukturen im allgemeinen 
vermissen lassen, mit Ausnahme einer nur ganz lokal zu beobachtenden Form, welche am 
ehesten den Charakter einer pegmatitartigen Ausbildung des Peridotits besitzt und die 
namentlich im Stubachtal beobachtet wurde. Es mag hinzugefügt werden, dass auch die 
von mir als Stubachit bezeichneten Peridotite in der ganzen Zentralkette der Alpen einen 
gleichmässigen Charakter besitzen. So zahlreich aber die Vorkommnisse dieser Art auch 
sind, welche ich seither gesammelt und studiert habe, so ist unter denselben doch kein 
Vorkommnis vorhanden, welches das ursprüngliche Gestein so vollkommen erhalten zeigen 
würde wie jenes, welches ich von den Totenköpfen im oberen Stubachtal beschrieben 
habe. Stets ist die sekundäre Serpentinbildung mehr oder minder weit vorgeschritten, so dass 
diese alpinen Vorkommnisse mit ihrer fast stets vorhandenen Umbildung, welche zum 
Teil ganz ungeheuer bedeutende Massen wie jene ‘des Alatales in Piemont gleichmässig 
ergreift, in charakteristischem Gegensatz stehen zu den analogen meist wenig mächtigen 
Vorkommnissen der Pyrenäen, in welchen Serpentinisierung fast nie zu beobachten ist. 


1) W. Hammer, Referat über meine bezügliche Notiz in Verh. K. K. geol. Reichsanst. 1903, 68. 


339 


Auch dies spricht in hohem Maasse für die Richtigkeit meiner Hypothese über die Bildung 
des Serpentins. 

Das Bild, welches hier von dem petrographischen Charakter der Gesteine des Gross- 
Venedigers gegeben wurde, liefert somit mannigfache Anhaltspunkte, welche die wichtigsten 
geologischen Fragen in dem Gebiete zur Entscheidung bringen. Was nach der Kristallisation 
der Schieferhülle, nach der Bildung der Mineralgänge noch folgte, ist von untergeordneter 
Bedeutung für die Gesamtheit der Erscheinungen und ohne jede Wichtigkeit für die Klärung 
der in erster Linie zu betrachtenden Frage nach der Bedeutung des regionalen Meta- 
morphismus. 


München, Petrographisches Seminar, April 1903. 


Erklärung der Tafeln. 
Vergrösserung durchschnittlich 45 —60fach. 


Tafel II. 


Fig. 1-3. Albitkörneraggregate in verschiedenem Maasse erfüllt von helizitischen Zügen strahl- 
steinähnlicher Hornblende. Typus des Chloritschiefers. Fig. 1 und 2 aus der Dorfer Alpe, Fig. 3 aus 
dem Tümmelbachtal. Polarisiertes Licht. 

Fig. 4. Pflasterstruktur im Chloritschiefer. Gerundete Körner von Albit ohne Zwillingslamellen. 
Tümmelbachtal. Polarisiertes Licht. 

Fig. 5. Ausgefaserte Hornblendekörner quer gegen die Schichtung. Grünschiefer. Hollersbachtal. 
Gewöhnliches Licht. 

Fig. 6. Pflasterstruktur im Amphibolit. Einschlussarme, gerundete Albitkörner ohne Zwillings- 
lamellen. Hollersbachtal. Polarisiertes Licht. 


Tafel III. 
| Fig.1. Albiteinsprengling mit wenig helizitisch angeordneten Graphiteinschlüssen. Graphit- 
glimmerschiefer Maurertörl. Gewöhnliches Licht. 


Fig. 2. Derselbe im polarisierten Licht. 

Fig. 3. Albiteinsprenglings, im Kern einschlussreich, helizitisch, mit von Quarz durchwachsenenm, 
von sonstigen Einschlüssen fast freiem Rand. Graphitglimmerschiefer Türmeljoch. Gewöhnliches Licht. 

Fig. 4. Albiteinsprengling mit einsschlussreichen Flecken in helizitischer Struktur. Ebendaher. 
Gewöhnliches Licht. 

Fig. 5. Zahlreiche kleine Albiteinsprenglinge mit einschlussreichem Kern und einschlussfreiem 
Rand. Erscheint infolge der helizitischen Anordnung der Graphiteinschlüsse brekzienähnlich. 
Graphitglimmerschiefer Maurertal. Gewöhnliches Licht. 

Fig. 6. Biotiteinsprengling mit quer zur Spaltbarkeit hindurchsetzenden helizitisch angeord- 
neten Graphiteinschlüssen, oben und unten einschlussfrei, randlich in die Schichten hineingeschleppt. 
Ebendaher. Gewöhnliches Licht. 


rar 7 nat 2 1 2 


340 


Tafel IV. 


Fig. 1. Granateinsprengling, Graphiteinschlüsse halb helizitisch, halb zonar angeordnet. 
Graphitglimmerschiefer Maurertal. Gewöhnliches Licht. 

Fig. 2. Desgleichen, ganz in Chlorit umgewandelt unter Erhaltung der Struktur. Graphit- 
glimmerschiefer Klexenkopf. Gewöhnliches Licht. 

Fig. 3. Granateinsprengling in quarzreichem Glimmerschiefer. Die Granatsubstanz bildet nur 
noch ein Netzwerk um die zahlreichen Quarzeinschlüsse. Zopetspitze. Gewöhnliches Licht. 

Pie. 4. Granatringe in Eklogit mit Kerm von Glimmeraggregaten und Epidot. Kleinitz. 
Polarisiertes Licht. ; 

Fig. 5. Gerundete Quarzkriställchen im Kalkglimmerschiefer. Dorfer Alpe. Gewöhnliches Licht. 

Fig. 6. Quarzkitt zwischen Kalkspatkörnern im Kalkglimmerschiefer. Ebendaher. Polari- 


siertes Licht. 


Tafel V. 


Fig. 1. Normale Struktur der Glimmerschiefer; nicht verzahntes Quarzaggregat ohne jede 
optische Störung. Zopetspitze. Polarisiertes Licht. 

Fig. 2. Ausnahmsweise Mörtelstruktur, ganz lokales Vorkommnis. Quarzphyllit. Fratnik- 
Polarisiertes Licht. 

Fig. 3. Menge und Ausbildung des Rutils (schwarze Körner) im Eklogit. Gastacher Wände. 
Gewöhnliches Licht. 

Fig. 4. Herzförmige Zwillinge von Rutil. Knotenglimmerschiefer. Gastacher Wände. Gewöhn- 
liches Licht. 

Fig. 5. Kornährenähnliches Chlorit quer zur Schichtung im Graphitglimmerschiefer. Maurertörl. 
Gewöhnliches Licht. 

Fig. 6. Magneteisen in scharfen Kristallen. Chloritschiefer Saukopf. Gewöhnliches Licht. 


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Gosler-Wand bei Prägraten. Typischer Serpentinstock. ö | 

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Unter 60° einfallender Kalkglimmerschiefer. 


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Abh. d. II. Kl. d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 


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E. Weinschenk, Beitr. z. Petrogr. d. Centralalpen etc. Tafel IN. 


Meisenbach Riffarth & Co. München 


Abh.d. II. Kl.d.k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 


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4 Weinschenk, Beitr. z. Petrogr. d. Centralalpen etc. Tafel IV. 


Fig. 5. Fig. 6. 


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Abh. d. II. Kl.d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. Il. Abt. 


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E. Weinschenk, Beitr. z. Petrogr. d. Centralalpen etc. 


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Tafel VI. 


Gross-Venediger-Stockes 


Mafsstab- 1:125000. 


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| Gneis und Glimmerschiefer. 


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| Chloritschiefer u.Kalkglimmer- 
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‚chiefer. 


Hauptrichtung der 
Kämme. 


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1 Taler. 


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n Meisenbach Riffarth & Co. München 
Abh. d. II. Kl.d. k. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 


Ueber 


Reptilien und Batrachier 


aus Guatemala und China 


in der zoologischen Staats-Sammlung in München 


nebst einem Anhang über seltene Formen aus anderen Gegenden. 


Von 


Dr. Franz Werner 


Privatdozent an der Universität Wien. 


(Mit einer farbigen Tafel.) 


Aus den Abhandlungen der K. Bayer. Akademie der Wiss. II. Kl. XXII. Bd. II. Abt. 


München 1903. 
Verlag der K. Akademie 


in Kommission des G. Franz’schen Verlags (J. Roth). 


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Die beiden Kollektionen, von denen die aus Guatemala stammende von Herrn Professor 
Sapper, die aus China von Herrn Dr. Haberer zusammengebracht wurde und welche 
sich jetzt in der Münchener Sammlung befinden, enthalten interessantes und wohlerhaltenes 
Material aus beiden Gebieten und hat daher trotz der immerhin bereits reichen Literatur 
eine Bearbeitung derselben in mancher Beziehung neue Tatsachen ergeben, die im Laufe 
der Aufzählung der Arten mitgeteilt werden sollen. 


I. Guatemala. 


Ich gebe nachstehend eine vollständige Aufzählung der von Herrn Professor Sapper 
in Guatemala gesammelten und bis Ende Juni 1903 in München eingetroffenen Arten, wobei 
ich die von mir in einem früheren Verzeichnis (Verh. zool.-bot. Ges., Wien XLVI, 1896, 
p- 351— 355) bereits genannten und mehr weniger ausführlich behandelten Exemplare ebenso 
wie die von Boettger und Doflein determinierten nur namentlich anführe und nur auf 
diejenigen meine Bemerkungen beschränke, welche ich bei meinem Aufenthalt in München im 
April 1903 bestimmt habe und welche der bisher letzten Sapperschen Sendung angehören. 
Als Literaturverweise mögen nur Boulengers Kataloge und die beiden grossen Werke über 
die herpetologische Fauna Zentralamerikas, nämlich Günthers Bearbeitung der Reptilien und 
Batrachier in der Biologia Centrali Americana, London 1885—1902, sowie Brocchis und 
Bocourts Bearbeitung derselben Klassen in der Mission Sceientifique du Mexique etc. (Paris 
1882— 1897), angeführt werden, soweit nicht neuere und speziellere Angaben vorliegen. 


Reptilia. 
1„Lacertilla: 
Iguanidae. 
1. Anolis rodriguezi Bocourt. Boulenger, Cat. Liz. II (1885), p. 49; Bocourt, 
Miss. Scient. Mex., Rept. p. 62, T. XIH, Fig. 1. 
2. Anolis sallaei Gthr. Boulenger, Cat. Liz. II, p. 79; Bocourt p. 90, T. XIII, Fig. 3, 
XVI, Fig. 21; Günther, Biol. C. A., Rept. p. 49, T. XXVII, Fig. 13. 
3. Anolis petersii Boc. var. bivittat« Wern. Werner, Verh. zool.-bot. Ges., Wien 
1896, p. 351. 
4. Corythophanes percarinatus A. Dum. Boulenger, Cat. Liz. II (1885), p. 102, 
Gunther, Biol. C. A., Rept. p. 53; Bocourt p. 120, T. XVII, Fig. 2; A. Dumeril; 
44* 


344 


Arch. Mus. VII, p. 518, T. XX, Fig. 3. Die Exemplare der Koll. Sapper wurden von mir 
seinerzeit (Verh. zool.-bot. Ges., Wien 1896, p. 351) unter dem Namen (0. cristatus Merr. 
erwähnt. Sie stammen von Chiacany und Coban. 

5. Laemanctus deborrii Blngr. Boulenger, Cat. Liz. II (1885), p. 106 und Bull. 
Soc. Zool. France, 1877 p. 465. T. VII, Fig. 1; Günther, Biol. C. A., Rept. p. 54. Von 
dieser Art, von welcher schon ein Exemplar von Chiacany vorliegt, ist ein zweites aus Coban 
eingetroffen. Beide sind typisch in jeder Beziehung. 

6. Sceleporus variabilis Wiegm. Boulenger, Proc. Zool. Soc. 1897, p. 516; Günther, 
Biol. C. A., Rept. p. 75 (1890); Bocourt l.c. p. 200, T. XVII bis, Fig. 1, T. XIX, Fig. 2. 
Exemplare aus Campur. 

7. Sceleporus formosus Wiegm. Boulenger, Proc. Zool. Soc., London 1897, p. 501; 
Günther, Biol. C. A., Rept. p. 60 (smaragdinus). Es liegen 26 ö und 12 (Campur und 
Coban) vor. Das grössere ö wurde von mir (l. e. p. 352) als Sc. serrifer Cope beschrieben. 
Nach eingehendem Vergleich mit der wichtigen Arbeit Boulengers über die Gattung Sceleporus 
bin ich zur Ueberzeugung gekommen, dass diese Exemplare trotz mancherlei Aehnlichkeit mit 
Se. serrifer Cope und dugesii Bocourt zur obigen Art zu rechnen sind. 

Ich gebe nachstehend eine tabellarische Uebersicht der wichtigsten Merkmale bei den 


drei Exemplaren: 


grösseres Ö kleineres ö & 
nicht quer ge- quer geteilt, quer geteilt, 
teilt, nicht in im Kontact mit im Kontakt mit 
Frontale: Kontakt mit Interparietale Interparietale 
Interparietale 
Parietalia: rechts geteilt beide geteilt beide ungeteilt 
Supraocularia: 5 5) 5 
Zwischen Supraocularia und Supraciliaria 
Schuppenreihen: 3—4 3—4 3—4 
Canthalschildchen: 2 2 2 
Auricularschuppen: b) 4 6 
Querreihen von Rückenschuppen: : 40 41 39 
Davon dem beschilderten Teil des Kopfes 
entsprechend: 91, gif; g1/, 
Hinterbein reicht mit der Spitze der 4. Zehe: ne deinkel er D= Em 
Femoralporen: 13—12 12—13 11—12 


Rückenschuppen deutlich trieuspid, mit ziemlich langer Mittelspitze, die Kiele parallel 
oder nach hinten kaum merklich konvergierend; die Seitenschuppen mit schief nach aufwärts 
und rückwärts gerichteten Kielen. Bauchschuppen bicuspid. Tibia durchwegs kürzer als der 
beschilderte Teil des Kopfes. 

Was die Färbung anbelangt, so ist das schwarze Halsband durchwegs in der Nacken- 
mitte unterbrochen und geht auf der Unterseite des ö in Grün über. Unterseite des @ grünlich 
weiss. Beim ö die Kehle blau, nach hinten ins Grüne übergehend, Brust und Bauchmitte 
grünlich weiss, Bauchseiten blau, nach der Bauchmitte zu mehr weniger deutlich schwarz 
eingefasst. 

Schwanz bei allen drei Exemplaren regeneriert. 


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345 


Xanthusiidae. 


7. Lepidophyma flavomaculatum DB. Boulenger, Cat. Liz. II (1885), p. 326; a 
Biol. C. A., Rept. p. 30; Bocourt, Miss. Scient. Mex. p- 306, T. XX F, Fig. 2 (flavo- 
lim), und p. 3809, T.XX F, Fig. 30, XX G, Fig. 2 (smithii). 


Sceineidae, 


8. Lygosoma assatum Cope var. brevis n. Boulenger, Cat. Liz. III (1887), 
p- 264; Günther, Biol. C. A., Rept. p. 31 (Mocoa). Ein Exemplar von Coban. Entfernung der 
Schnauzenspitze vom Vorderbein nicht ganz 2mal in der von der Achsel zur Hüfte enthalten. 
Keine vergrösserten Nuchalia; 30 Schuppen um die Rumpfmitte; 19 Subdigitallamellen unter 
der 4. Zehe. Oberseite braun; ein schwarzes Band vom Nasenloch durch. das Auge über 
die Schläfe und an der Körperseite entlang, allmählich verschwindend. Oberlippenschilder 
schwarz gerändert; ebenso die Schilder und Schuppen d.r Kehle. Rumpfseiten weiss gefleckt. 
nach hinten weiss punktiert. 


2. Opkiekla, 
Typhlopidae. 


1. Typhlops tenwis Salvin. Boulenger, Cat. Snakes I p. 28 (1893); Günther, Biol. 
C. A., Rept. p. 86; Bocourt 1. c. p. 499, T. 29, Fig. 3, 3a—c, T. 30, Fig. 3. Zu dem 
bereits vorhandenen Exemplar kam im Juli 1903 noch ein zweites von Coban. 


Colubridae. 
A. Aglyphae. 


2. Polyodontophis annulatus DB. Boulenger, Cat. Snakes I, p. 189 (1893); Günther, 
Biol. ©. A., Rept. p. 107 (1893) (Henicognathus). Ausser dem von mir ]. c. p. 352 erwähnten 
Beunlare liegen zwei weitere vor, von denen eines ein ö mit der Schuppenformel V. 158, 
Se. 119/119 + 1, das zweite ein © mit der Schuppenformel V. 155, Sc. 106/106 +1 ist, 
also die Be afenzahlen grösser, die Subcaudalenzahlen weit geringer als bei diesem Exemplar. 
Das ö besitzt vier Paare von schmalen Querbinden, durch breite rote Zwischenräume getrennt; 
hinter dem vierten roten Band folgt nur mehr ein einfacher, etwas breiterer schwarzer 
Ring und hinter diesem ein grosser schwarzer Doppelfleck, hinter dem die drei normalen 
schwarzen Fleckenreihen beginnen. Beim © finden sich 16 einfache schwarze Ringe, die in 
der Mittellinie teilweise unterbrochen sind. Hinterhälfte des Rumpfes sehr dunkel. Die 
Schwanzlänge ist bei dieser Art sehr beträchtlich (beim ö& 680 mm Totallänge und 270 mm 
Schwanzlänge; beim 2 770 mm Totallänge und 300 mm Schwanzlänge, also beidemale etwa 
wie 5:2). — Ein im Juli 1903 eingetroffenes Exemplar (Kopf mit Vorderkörper) lässt vier 
Ringpaare erkennen, der 2. Ring des 4. Paares sehr breit; dahinter Färbung sehr dunkel, 


keine Streifen erkennen lassend. 


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3. Streptophorus diadematus Hall. var. labiosa Boc. Günther, Biol. C. A., Rept. 
p- 101 (1893) (atratus var.). Ein Exemplar dieser Varietät, der auch die früher erwähnten 


j Exemplare (l. c. p. 352) angehören. Günther ist vollständig im Recht, wenner diese Form, 


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_ welehe ausschliesslich als Farbenvarietät Berechtigung hat, einzieht. Die gekielten hinteren 


Supralabialia müssen auf einer optischen Täuschung des Autors der Art (vielleicht infolge 


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346 


starker Plattdrückung des Kopfes, wobei diese Schilder der Länge nach umgebogen und 
scharfkantig gekniekt wurden) beruhen, die Zahl der Supralabialia ist durchaus nicht konstant. 
Dagegen ist es meiner Ansicht nach nicht richtig, die Form bei atratus unterzubringen, da 
die Subeaudalzahlen viel höher sind. Das von mir untersuchte Exemplar hat 139 Ventralen 
und 108 Subcaudalenpaare; Supralabialia 6, Temporalia 1 +2. Halsband in der Nacken- 
mitte unterbrochen. Kopf oben tiefschwarz, vordere Supralabialia hellgrau, das letzte 
hellgelb. Vordere Sublabialia schwarz, hintere gelb, nach innen schwarz eingefasst. Kehle 
grau, nach hinten ins Grünliche spielend. Aeussere drei Schuppenreihen jederseits mit einem 
gelben Mittelpunkt. Ventralen und Subcaudalen rötlich mit schwarzen Mittelflecken, diese 
alle zusammenhängend. 

4. Streptophorus atratus Hall. var. Sebae DB. Boulenger, Cat. Snakes II, p. 293 
(1894); Günther, Biol. ©. A., Rept. p. 102 (1893). Auch diese Art wurde von mir schon 
seinerzeit (l. c.) erwähnt. Unterseite einfarbig gelb; bei einem Exemplar Rücken einfarbig 
hellbraun, bei den anderen dunkelbraun, Querbinden gelb eingefasst oder hellbraun, die 
Querbinden nicht oder mehr weniger deutlich gelb gerändert. 


5a. Drymobius boddaerti Sentz. var. modesta n. Ein Exemplar von Coban, 
mit 193 Ventralen, 121 Subeaudalenpaaren. Supralabialia 9 (5., 6.), 8 (4., 5.); Temporalia: 
— + 2, Frontale 1!/, mal so lang wie breit, länger als sein Abstand von der Schnauzen- 
spitze, kürzer als die Parietalia. Oberseite einfarbig rotbraun, Oberlippenschilder und Unterseite 
gelblich. Ein zweites Exemplar (2) ebendaher besitzt 180 Ventralen, 126 Subcaudalenpaare, 
beiderseits 9 (4., 5., 6.) Supralabialia und Temporalia: a. - +1+ m wobei die Zahl 
über dem Strich die obere, die unter dem Strich die untere Längsreihe der Temporalia 
andeutet. Färbung ebenso wie beim vorigen Exemplar, nur Unterseite nach hinten deutlich 
rotbraun werdend. 

5b. Drymobius boddaerti Sentz. var. rappü Gthr. Ein halbwüchsiges Exemplar (Kopf 
und Vorderkörper) und ein junges, beide von Coban; Temporalia 2+2 + 2, beim jungen 
Exemplar 1 + 2. 

6. Drymobius margaritiferus Schleg. Boulenger, Cat. Snakes II, p. 17 (1894); 
Günther, Biol. C. A., Rept. p. 125 (1894); Bocourt, Miss. Scient. Mex., Rept. p. 716, 
T. XLIX, Fig. 2 (1890). Acht Exemplare dieser fast invariablen Art. 


7. Spilotes microlepis n. sp. Diese Art befand sich unter dem Namen $. pullatus in 
der Sammlung. Da Günther diese letztere Art aus Zentralamerika nicht erwähnt, so glaubte 
ich zuerst, dass ein Phrynonax vorliege; als mir Herr Konservator Doflein das Exemplar 
einsandte, sah ich aber sofort, dass ein echter Spilotes, sehr ähnlich pullatus, aber mit 
höherer Schuppenreihenzahl (18, davon 6 gekielt) und längerem Schwanze, vorlag. Rostrale 
breiter als hoch; Internasalia wenig breiter als lang, kaum kürzer als die Präfrontalia; 
Frontale 1'/; mal so lang wie breit, ebenso lang wie sein Abstand von der Schnauzenspitze, 
fast ebenso lang wie die Parietalia. Frenale fehlend oder klein, dreieckig, das hintere Nasale 
in Kontakt mit dem Präoculare. Sieben Oberlippenschilder, 3. und 4. am Auge, das 5. 
klein, dreieckig, 6. und 7. sehr gross; vier Sublabialia in Kontakt mit den vorderen Kinn- 
schildern, die etwas kürzer sind als die hinteren. Ventralia 207, Subcaudalenpaare 135. 


347 


Das Exemplar ist 1690 mm lang, davon der Schwanz 490 mm. Ein Kopf von der letzten 
Sendung Professor Sappers (Juli 1903) grösser als der des vollständigen Exemplares. 


8. Coluber corais Boie var. melanurus DB. Boulenger, Cat. Snakes II, p. 31 (1894); 
Günther, Biol. C. A., Rept. p. 116 (1893) (Spilotes). Ein Exemplar aus Campur und eines 
von Coban. Letzteres 130 cm lang, ist ein ö mit Sq. 17, V. 204, Se. 79/79 +1. Supra- 
labialia 8; kein Suboculare. 


9. Leptophis mexicanus DB. Boulenger, Cat. Snakes II, p. 108 (1894); Günther, 
Biol. ©. A., Rept. p. 129 (1894). Ein Exemplar von Chiacany. 7 


10. Leptophis occidentalis Gthr. Boulenger, Cat. Snakes II, p. 111 (1894). Ein grosses 
Exemplar von Coban. Sq. 15, V. 179, A. 1/1, Se. 183/183 + 1, Supralabialia 9 (5. 6.); 
Postoeularia 2 (3), Temporalia 1-+ 2, Sublabialia 5—6 in Kontakt mit vorderen Rinnen- 
schildern. Das Präoculare erreicht das Frontale. Ein zweites Exemplar (1755 mm, Schwanz 
655 mm) hat 184 Ventralen und 189 Subcaudalenpaare. Obwohl die Diagnosen der 
verschiedenen Autoren im allgemeinen das Charakteristische an dieser Schlange nicht sehr 
hervorheben, so dass man vielfach in Versuchung geraten kann, gewisse Exemplare von 
L. liocercus Wied. dafür zu halten, so ist sie doch sehr leicht kenntlich durch die total 
verschiedene Färbung und die schwarzen Schuppenkiele. Sie scheint übrigens auch grösser 
zu werden als ihre südliche Verwandte. L. praestans Cope und sargi Fisch. ist sicher mit 
occidentalis identisch, wie dies auch Boulenger bereits angibt. 


11. Leptophis modestus Günther. Günther, Ann. Mag. N. H. (4), IX, 1872, p. 26; 
(‚Ahaetulla); Cope, Proc. Amer. Phil. Soc. XXIII, 1886, p. 279; (Philothamnus); Günther, 
Biol. C. A., Rept. p. 129, T. XLVIIIL (1894); Boulenger, Cat. Snakes II, p. 107 (1894). 
Es liegt ein Exemplar dieser seltenen Schlange vor, ein © von 1105 mm Länge (420 mm 
Schwanzlänge). V. 183, A. 1/1, Sc. 169/169 + 1. — Auge deutlich kürzer als sein Abstand 
vom Nasenloch. Frontale wenig länger als breit, länger als sein Abstand vom Rostrale. 
Das linke Nasale halb geteilt, das rechte ungeteilt; 4—5 Sublabialia in Kontakt mit den 
vorderen Kinnschildern. 


12. Urotheca elapoides Cope var. aequalis Salvin. Boulenger, Cat. Snakes II, p. 183 
(1894); Günther, Biol. C. A., Rept. p. 106, T. XXXVI, Fig. A (1893); Bocourt, Miss. 
Scient. Mex., Rept. p. 637, T. XLVII, Fig. 7—T7e. 3öö und 22 2 von Coban; erstere 
V. 125, 127, 131, Se. 95/95, 99/99, 113/113 + 1, letztere V. 127, 131, Se. 108/108, 95/95 + 1. 


13. Coronella micropholis Cope. Boulenger, Cat. Snakes II, p. 203 (1894); Günther, 

Biol. C. A., Rept. p. 109, T. XXXVII (1893); Cope, Rep. U. S. Nat. Mus. 1898 (1900), 
p-. 898. Zwei Exemplare von Coban. V. 231—234, Sc. 56—59 Paare. Das erste Exenplar 
ist oben sehr dunkel; unten sind die dunklen Ringe mit grossen gelben Flecken gezeichnet, 
die hellen schwarz bespritzt. Das zweite hat 1+ (23x 2)-+-5 dunkle Ringe und auf der 
Ventralseite befindet sich zwischen den Ringen desselben Paares ein dunkler Fleck. Sieben 
kleinere Exemplare aus der letzten Sendung gehören zwei verschiedenen Varietäten an; die 
_ eine, nur in einem Exemplar vertreten, hat 18 breite rote, schwarz gesäumte Ringe (die 
mittleren am schmälsten) auf dem Rumpf, sechs auf dem Schwanz (der letzte auf der 
Schwanzspitze, die ersten zwei noch rot, schwarz gerändert, die iibrigen einfarbig schwarz- 
braun); der Zwischenraum zwischen den einzelnen Ringen ist breit und die Schuppen des- 


348 


selben haben dunkle Spitzen. Internasalia und Präfrontalia, ein mit letzteren zusammen- 
hängender Fleck vorn am Frontale, sowie die hinteren zwei Drittel der Parietalia mit einem 
entsprechenden Teil der Schläfen und des Hinterkopfs weiss (gelb?). Die übrigen Exemplare 
haben 26 (2), 27 (3) oder 29 (1) ziemlich schmale rote, schwarz gesäumte Ringe auf dem 
Rumpf (mit schmalen hellen, wenig schwarz getüpfelten Zwischenräumen) und sieben auf 
dem Schwanz (die ersten zwei oder drei so wie auf dem Rumpf, die übrigen einfarbig dunkel- 
braun. Präfrontalia und ein Fleck auf jedem Internasale hell (gelb?); der grosse dunkle 
Scheitelfleck bedeckt noch gut zwei Drittel der Parietalia und steht bei zwei Exemplaren 
mit dem ersten schwarzen Ring median in Kontakt. 


14. Atractus quadrivirgatus Jan. Boulenger, Cat. Snakes II, p. 313 (1894); Günther, 
Biol. C. A., Rept. p. 94 (1893); Bocourt, Miss. Scient. Mex., Rept. p. 554, T. XXXIJ, Fig. 11 
bis 12 (1883). Ein Exemplar, oberseits sehr dunkelbraun, Streifen kaum merkbar; Oberlippe 
und Unterseite gelblich, nach hinten immer stärker dunkelbraun gewölkt. Rostrale von 
oben kaum sichtbar. Frontale ebenso lang wie breit, viel kürzer als Parietalia. Temporalia 
1-1; Ventralia 139, Subeaudalia 41/41 +1. 


15. Pethalognathus nebulatus L. Boulenger, Cat. Snakes II, p. 293 (1894); Günther, 
Biol. C. A., Rept. p. 139 (1894). Ein ö von Coban, V. 180, Se. 95/95 + 1. 


B. Opisthoglyphae. 


16. Himantodes cenchoa L. Boulenger, Cat. Snakes III, p. 84 (1896); Günther, 
Biol. C. A., Rept. p. 175 (1895) (Dipsas). Ein ö und 2 aus Coban, wie die früher einge- 
sandten mit nicht sehr stark verbreiterten Medianschuppen. — Neben dieser Art kommt 
auch H. elegans Jan., die auch (allerdings ohne genauere Fundortangabe [,„Zentralamerika“]) 
in der Münchener Staats-Sammlung sich findet, in Guatemala vor. 


17. Leptodira albofusca Lac. Ein Exemplar aus Coban. 


18. Oxyrhopus doliatus DB. Boulenger, Cat. Snakes III, p. 106; Werner, S.-B. 
Bayer. Ak. Wiss., 1897 p. 210. Auch diese Art stammt aus der Koll. Sapper und ist, da 
ein Irrtum ausgeschlossen, neu für die Fauna von ganz Zentralamerika; ausser ihr sind nur 
noch zwei Oxyrhopus-Arten (O. petolarius und cloelia) sowohl in Guatemala wie in Brasilien 
zu Hause. 

19. Oxybelis acuminatus Wied. Boulenger, Cat. Snakes III, p. 192 (1896); Günther, 
Biol. C. A., Rept. p. 177 (1895) (Dryiophis). Ein Exemplar aus Coban. 


I De 


20. Erythrolamprus longicaudus n. sp. Da in der letzten Sendung von Herrn 
Prof. Sapper (Juli 1903 angekommen) endlich ein vollständiges Exemplar dieser Art sich 
vorfindet, so bin ich nun imstande, die spezifische Verschiedenheit dieser von mir bisher zu 
E. imperialis B. und G. gerechneten Schlange festzustellen. Die Brüchigkeit des Schwanzes 
scheint sie übrigens mit ihren nächsten Verwandten, den übrigen E.-Arten mit 17 Schuppen- 
reihen, zu teilen, deren Subcaudalenzahl in Boulengers Katalog nicht angegeben werden 
konnte, da kein unverletztes Exemplar vorlag. Von E. decipiens und grammophrys, die 
beide ebenfalls 17 Schuppenreihen besitzen, unterscheidet sich die Art auch durch die viel 
geringere Ventralenzahl (118—125) und die viel höhere Subcaudalenzahl (129 Paare). Ober- 
lippenschilder 8 (3.—5. am Auge), 1 Postoculare, Temporalia 1+2; 5 Sublabialia in 


i 


349 


Kontakt mit den vorderen Kinnschildern, die kürzer sind als die hinteren. Schuppen fein 
gestreift; oben dunkelbraun, nach hinten heller; eine gelbe Längslinie, vom oberen Rande 
des Postoculare ausgehend, zieht über die anstossenden Hälften der 5. und 6. Schuppenreihe 
und verschwindet nach hinten allmählich. Ein schwarzer Streifen zieht über die Zügel- 
und Schläfengegend, über die 2.—4. (und die anstossenden Hälften der 1. und 5.) Schuppen- 
reihe, ist hinten nach unten weniger scharf begrenzt und greift auf dem Schwanz auf die 
Subeaudalenränder über. Oberlippe und Unterseite gelblich weiss; eine Punktreihe jederseits 
am Bauchrand. — Totallänge 331 mm; Schwanz 179 mm. 


21. Erythrolamprus fissidens Gthr. Boulenger, Cat. Snakes III, p. 207 (1896). 


22. Stenorhina degenhardti Berthold var. A. Bingr. Boulenger, Cat. Snakes III, 
. 229; Günther, Biol. C. A., Rept. p. 158 (1895). Sechs Exemplare aus Coban. 


Sq. 17, V. 153, Se. 45/45 +1. — 1. Der von oben sichtbare Teil des Rostrale misst 2/3 seines Abstandes 
vom Frontale. 2. Frontale 1!/3mal so lang; wie breit, länger als sein 
Abstand von der Schnauzenspite, etwas länger als die Parietalia. 
3. Sublabialia 4 in Kontakt mit vorderen Kinnschildern. Querbinden 
der Oberseite deutlich; Ventralen und Subcaudalen gelblich, dunkel 


O+ '3 


gefleckt. 

ö V.148, Se. 41/41 +1. — 1. 2/3. 2. 11/2, sonst wie voriges Exemplar. 3. Sublabialia 3. Oberseite 
einfarbig dunkelbraun; Ventralen und Subcaudalen weisslich, dunkel 
gefleckt. 

a: V. 147, Se. 42/42 +1. — 1. fast — Abstand. 2. wie 4. Exemplar. 3. 4 Sublabialia. Zeichnung 
der Oberseite auf hellem Grunde, daher sehr deutlich. 

Q V.155, Se. 32/321. — 1. fast = Abstand. 2. 11/2, länger als Abstand von Schnauzenspitze, 


= Parietalia. 3. 4 Sublabialia. Ventralen wie bei vorigem Exemplar, 
aber viel stärker grau gefleckt. 


) V.155, Se. 34/34-+-1. — 1. und 2. wie voriges Exemplar. 3. 3 Sublabialia. Frenale rechts vom 
hinteren Nasale getrennt. Ventralen grüngelb, am Vorderrande dunkel 
gewölkt. 

Q V.159, Se. 33/33 +1. — 1. *%/5. 2. 11/4, sonst wie 1. Exemplar. 3. 4 Sublabialia. Unterseite 


sehr stark dunkel gefleckt. 


23. Homalo eranium schistosum Bocourt. Boulenger, Cat. Snakes III, p. 221 (1896); 
Bocourt, Miss. Scient. Mex. p. 584, T. XXXVI, Fig. 10 (1883); Günther, Biol. C. A., 
Rept. p. 152 (1895). 


24. Mimometopon sapperin. gen. n.sp. (Taf.I.) Aeusserst ähnlich Fleischmannia 
obscura Bttgr. (Kat. Rept. Sammlg. Mus. Senckenbg. II, 1898, p. 69), aber die beiden 
letzten verlängerten Oberkieferzähne sehr deutlich gefurcht. Oberkieferzähne im ganzen 16, 
nach hinten etwas an Grösse zunehmend. Kopf oben ganz flach; Schnauze 1!/ymal 
so lang wie das Auge, ebenso lang wie sein Abstand vom Nasenloch, sonst wie F'. obscura. 
Auge um die Hälfte grösser als sein Abstand vom Mundrand. Rostrale wie bei F'. obscura. 
Internasalia fast ebenso lang wie die Präfrontalia; Frontale fast doppelt so lang wie breit, 
vorn kaum verbreitert, sechseckig (vordere Spitze stumpfer als die hintere), länger als 
sein Abstand von der Schnauzenspitze, etwas kürzer als die Parietalia.. Frenale deltoidisch, 
ebenso hoch wie lang; ein Präoculare, die Oberseite des Kopfes nicht erreichend; zwei 
Postoeularia; Temporalia 1—+ 2; Supraocularia 7, das 3. und 4. am Auge; 4 Sublabialia 
berühren die vorderen Kinnschilder, die viel kürzer sind als die hinteren. Sq. 17, V. 158, 


Abh. d. II.K1.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 45 


350 


A. 1/1, Se. 86/86 + 1. Oberseite schwarzbraun, Unterseite rotbraun, fein heller punktiert. 
Kehle etwas dunkler mit kleinen, hellen, runden Flecken, sonst ähnlich der F. obscura. 
Totallänge 570 mm, Schwanz 160 mm, also relativ etwas kürzer als bei F. obscura (1: 3,56 
gegen 1:83,05 bei letzterer Art). 

Da diese Schlange, welche von Böttger und Doflein untersucht und in die Gattung 
Fleischmannia gestellt wurde, Furchenzähne besitzt, was bei F. obscura, deren Gebiss ich 
Dank der Liebenswürdigkeit des Herrn Kustos F. Römer am Senckenbergischen Museum 
in Frankfurt a/M. untersuchen konnte, sicher nicht der Fall ist, so muss sie aus dieser 
Gattung eliminiert und in eine separate Gattung gestellt werden, die ich Mimometopon 
nennen will und die mit Thamnodynastes am nächsten verwandt sein dürfte. 


C. Proteroglyphae. 


25. Elaps elegans Jan. Boulenger, Cat. Snakes III, p. 418 (1896); Werner, Verh. 
zool.-bot. Ges. 1896, p. 353. 2 ö ö mit V.200, 203, Se. 46/46, 48/48 +1 und 3229 
(V. 220, 220, 224, Se. 34/34, 35/35, 33/33 + 1) aus Coban. Frontale 1!/amal so lang wie 
breit, länger als Abstand von der Schnauzenspitze, ebenso lang wie Parietalia; diese länger 
als ihr Abstand von den Internasalen. 

26a. Elaps fulvius L. var. apiatus Jan. Boulenger, Cat. Snakes II, p. 422 (1896); 
Günther, Biol. C. A., Rept. p. 184 (aglaeope). & aus Coban mit V. 202, Se. 52/52 +1; 
47 +13 schwarze Ringe. 

26 b. Elaps fulvius L. var. sapperin. 5 V.202, Sc. 49/49 + 1. Dieses Exemplar, 
dessen Färbung noch sehr gut erhalten ist, unterscheidet sich von den bekannten Formen 
in der Auflösung der schwarzen Ringe in Flecken und durch die verschiedene Kopfzeichnung. 


Viperidae. 


27. Lachesis lanceolatus Lac. Boulenger, Cat. Snakes III, p. 535 (1896). Ein kleines 
Exemplar von Campur. Im allgemeinen scheint sich diese Art von der folgenden in der 
Zeichnung dadurch zu unterscheiden, dass bei den Dreiecksflecken der Oberseite der Winkel 
gegen die Medianlinie ein rechter oder stumpfer, bei L. atrox aber ein ausgesprochen spitzer 
ist; die Schuppen sind etwas länger, spitziger als bei atrox und der Kiel erreicht nahezu 
die Spitze der Schuppen. R 

28. Lachesis atrox L. Boulenger, Cat. Snakes III, p. 537 (1896); Günther, Biol. 
C. A., Rept. p. 191. Kopf und Vorderkörper eines halbwüchsigen Exemplares sowie ein 
junges. Bei dem ersteren Supralabialia 7—8, 9 Schuppenreihen zwischen den Augen; 
zwischen dem 5. und 6. Supralabiale ist links ein Schildechen fast bis zum Lippenrand ein- 
gekeilt.. Das kleine Exemplar (Sq. 25) hat beiderseits 7 Supralabialia (rechts ein Schildchen 
zwischen dem 5. und 6. eingekeilt, ganz wie beim vorigen); 7 Schuppenreihen zwischen den 
Augen. Ausserdem noch ein älteres, etwa 1!/a m langes 5 (Sq. 25, V.215, Se. 70/70 +1) 
und ein junges Exemplar (Sq. 27, V. 241, Se. 63/63 + ...). Das grosse Exemplar ist, soweit 
die Epidermis erhalten ist, sehr lebhaft gefärbt. Auf der Oberseite ist die Grundfarbe 
zwischen den dunklen Dreiecksflecken hellgelb, schwarz bespritzt, auf der Unterseite hellgelb, 
schwarzbraun gefleckt. Das junge Tier ist grau, die Zusammensetzung der Dreiecksflecken 
aus 3 Flecken (vergl. Werner, Untersuchungen über die Zeiehnung der Wirbeltiere, Zool. 


4 r; 


- 


ni UL 2 200 


351 


Jahrb. Syst. Bd. VI, Taf. VI, Fig. 12) ist deutlich erkennbar; Unterseite weiss, in der Mitte 
grau gewölkt. Ausser in diesen Exemplaren aus Coban ist die Art auch noch aus Campur 
vertreten. 

29. Lachesis nummifer Ptrs. Boulenger, Cat. Snakes III, p. 544 (1896); Günther, 
Biol. C. A., Rept. p. 191 (1895) (Bothriechis). Drei vollständige Exemplare und ein Kopf 
von Coban. 

1. Sq. 25, V.129, Se. 36. Rostrale breiter als hoch; Nasale durch 3 Schuppen 
vom Rostrale getrennt; 7 Schuppen von einem Supraoculare zum anderen; 4 Reihen von 
Schuppen zwischen dem Auge und den Supralabialen; Grube durch 2 Schuppenreihen von 
den letzteren getrennt. 10 Supralabialia, das 4. und 5. am grössten. 

2. Sq. 25, V. 127, Sc. 36. 8 Schuppenreihen zwischen den Supraocularen; 3 Sub- 
ocularreihen; sonst wie das vorige Exemplar. 

3. (Kopf.) Nasale durch 2 Schuppen vom Rostrale getrennt. Sonst wie das vorige 
Exemplar. 

4. Sq. 25, V. 131, Sc. 34. Rostrale nicht vom Nasale getrennt; 9 Schuppenreihen 
zwischen den Supraocularen; 3 Subocularreihen; 9—10 Supralabialia. Wie schon die 
geringe Anzahl der Ventralen anzeigt, ist diese Schlange von sehr gedrungener Körper- 
sestalt und dadurch schon allein von der vorigen schlanken Art unterscheidbar. 

30. Lachesis aurifer Salvin. Boulenger, Cat. Snakes III, p. 568 (1896); Salvin, 
P. Z. S. 1860, p. 459, T. XXXII, Fig. 1; Werner, Verh. zool.-bot. Ges. 1896, p. 355, 
VI Eie. 5. 

Ausser diesen 4 Lachesis-Arten kommen in Guatemala noch weitere 4 (L. godmani, brachy- 
stoma, bicolor, schlegelii) vor; L. godmani, bicolor und aurifer sind nur von dort bekannt. 


Batrachia. 
Salientia. 


1. Rana halecina Kalm. Boulenger, Cat. Batr. Sal. p. 141 (1882). Ein 2 von 
85 mm Länge, sehr gut mit der Beschreibung bei Günther (Biologia Centrali-Americana, 
Batrachia p. 198 [1900]) übereinstimmend. Oberseite graubraun; Tympanum ?/; Augen- 
durchmesser. — Üoban. 

2. Hylodes murieinus Cope. Boulenger, Cat. Batr. Sal. (1882), p. 203; Günther, 
Biol. C. A., Batr. p. 232 (1900) (rkodopis). 

3. Bufo marinus L. Boulenger, Cat. Batr. Sal. (1882), p. 315; Günther |. ce. 
p. 249 (1901). Ein junges Exemplar von Coban. Parotoiden wie bei den zentralamerika- 
nischen Stücken überhaupt, weit weniger mächtig entwickelt als bei südamerikanischen. 

4. Hyla gabbii Cope. Boulenger, Cat. Batr. Sal. (1882), p. 372; Werner, Verh. 
zool.-bot. Ges., Wien 1896, p. 344 (salvini); Günther, Biol. C. A., Batr. p. 274, T. LXX, Fig. B. 

5. Hyla baudinii DB. Boulenger, Cat. Batr. Sal. p. 371 (1882); Günther l.c. 
p. 270, T. LXXI. Ein Exemplar (2) von Coban. — Gaumenzahngruppen rundlich, auf der 
Verbindungslinie der Choanen-Hinderränder. Kehle und Brust schwach granuliert. 

6. Agalychnis moreletii A. Dum. Boulenger, Cat. Batr. Sal. p. 422 (1882); Günther 
l. ce. p. 289 (1901). Fünf Exemplare von Coban, das grösste 77 mm lang. Tympanum 

45* 


352 


einmal 3/;, zweimal ?/s, zweimal !/a Augendurchmesser. Saugscheiben der Finger grösser 
als das Tympanum. Das Hinterbein erreicht mit dem Tibiotarsalgelenk beim grössten 
Exemplar das Nasenloch, bei den übrigen den Augenvorderrand. Helle, unsymmetrisch 
angeordnete Flecken auf der Oberseite fehlen nur einem Exemplar völlig, sind aber auch 
bei zweien der übrigen nur in sehr geringer Zahl vorhanden. 

Da ich von den Agalychnis-Arten einiges Vergleichsmaterial besitze, so vermag ich 
dieselben folgendermassen zu unterscheiden: 

I. Schwimmhäute der Finger reichen wenigstens bis zur Basis der vorletzten Phalanx. 
A. Rumpfseiten nicht hell und dunkel gebändert . . . . . A. moreletii A. Dum. 
B. Rumpfseiten hell und dunkel vertikal gebändert: 
1. Hinterbacken gelb: 


a. Ferse mit einem grossen dreieckigen Hautlappen . . A. calcarifer Blngr. 
b. Ferse ohne Hautlappn . . „m... 02.20.20. A. callidryas Cope. 
2. Hinterbacken purpurviolett . . 2 2 2.2.2.2... 4. helenae Cope. 


II. Schwimmhäute der Finger erreichen nicht die Basis der vorletzten Phalanx. 
A‘. Gaumenzähne vorhanden; Saugscheiben der Finger kleiner 


als das Tympanum . . . 20.0. A. dacnicolor Cope. 
B‘. Gaumenzähne fehlen; San af Fiber grösser als 
das: Tyıipanum...2' WET I EEE RENTEN! 


Ich muss übrigens gestehen, dass ich die beiden letzten Arten doch lieber zu Phyllo- 
medusa rechnen möchte, denen sie im Bau der Hinterfüsse entschieden näher stehen; und 
nachdem der Hauptunterschied eben im Fussbau besteht, sehe ich nicht recht ein, warum 
Günther diese Arten von Phyllomedusa entfernt hat. 


Gradientia. 


variegatus Gray. Boulenger, Cat. Batr. Grad. (1882), p. 73; Günther, 
Biol. C. A., p. 302, T.LXXV. Drei Exemplare. Schwarz, mit einer Reihe sehr unregel- 
mässiger En ee hellgelber Flecken auf der Rückenmittellinie, die zu einem Längs- 
bande verschmelzen können. Ein Exemplar besitzt einen gelben Flecken auf dem Kopf und 
die dorsale Fleckenreihe ist auch auf den Schwanz fortgesetzt. Seitenfalten 12—13; Oberlippe 
zwei über die Unterlippe herabhängende Zipfel bildend. Kopflänge bis zur Kehlfalte !/ı des 
Abstandes von der Kehlfalte zum Hinterende der Kloakenspalte betragend. Augen seitlich. 
Pterygoidzähne von den Palatinzähnen entfernt, Choanen einander genähert. Totallänge 
des grössten Exemplares 161 mm, Schwanz 85 mm. 

Spelerpes Dofleini n. sp. Nahe verwandt der vorigen Art, aber viel plumper und 
robuster, Kopflänge bis zur Kehlfalte !/; des Abstandes der Kehlfalte von dem Hinterende 
der Kloakenspalte betragend. Augen schief nach vorn gerichtet. Pterygoidzähne dicht 
hinter den Palatinzähnen, Choanen weit voneinander entfernt. Färbung graubraun, unregel- 
mässig gelblich weiss gefleckt und gewölkt. Totallänge 150 mm, Schwanzlänge 67 mm. 


Bi I 


399 


II. China. 


Trotz der wichtigen Beiträge, welche in den letzten beiden Dezennien von Boettger,!) 
Boulenger?) und Günther’) zur herpetologischen Fauna des chinesischen Riesenreiches 
geliefert wurden, sind wir noch immmerhin von der vollständigen Kenntnis derselben weit 
entfernt. Es ist daher überaus dankenswert, dass Herr Dr. Haberer bei seiner erfolgreichen 
Sammeltätigkeit in verschiedenen Teilen des Landes auch den Kriechtieren und Lurchen 
seine Aufmerksamkeit geschenkt hat, deren Ergebnisse sehr erfreuliche und wesentliche sind, 
indem nicht nur mehrere Arten neu für China nachgewiesen werden konnten, sondern auch 
eine Art sich als noch unbeschrieben erwies. Es wird sich der Uebersicht halber als nicht 
unzweckmässig erweisen, wenn ich anhangsweise eine Uebersicht der bisher aus dem eigent- 
lichen China bekannten Arten gebe (mit Zugrundelegung des zweiten Verzeichnisses von 
Boettger in Ber. Offenb. Ver. f. Nat. 1888, p. 104—169) und einige Bemerkungen über 
deren Verbreitung innerhalb des Landes und im allgemeinen anschliesse. 


Reptilia. 
A. Chelonia. 


1. Damonia reevesü Gray. Shanghai; Hankou am Yangtsekiang; unter den Exemplaren 
von letzterem Fundort auch ein öder var. unicolor. 


2. Trionyz sinensis Wiegm. Ein junges Exemplar von 90 mm Panzerlänge von Hankou. 


1) Materialien zur herpetologischen Fauna von China I (24/25 Ber. Offenb. Ver. f. Nat. 1885, 
p. 115—170); II (26/28 Ber. 1888, p. 53—191, Taf. 1-2); III (Ber. Senckenbg. nat. Ges. 1894, p. 129—152, 
Taf. III) (eitiert als Boettger III). Aufzählung einiger neu erworbener Reptilien und Batrachier aus Ost- 
asien (Ber. Senckenbg. nat. Ges. 1887/88, p. 187—190) (zitiert als Boettger IV). 

2) On the Reptiles, Batrachians and Fishes collected by the late Mr. John Whitehead in the 
Interior of Hainan (Proc. Zool. Soc., London 1899, p. 956-962, Taf. LXVI—-LXIX) (zitiert als Blngr.). 

On a Collection of Reptiles and Batrachians made by Mr. J. D. Latouche in NW.-Fokien, China 
(Proc. Zool. Soc., London 1899, p. 159—172, Taf. XVI—XIX) (zitiert als Blngr.). 

Catalogue of Snakes in the Collection of British Museum I—III (1894—1896) (zitiert als Blngr. Cat.). 

3) On a Collection of Reptiles from China (Ann. Mae. N. H. [VI] 1, 1888, p. 165—172) (citiert 
als Gthr. J). 

Third contribution to our knowledge of Reptiles and Fishes from the Upper Yangtsze-kiang (Ann. 
Mae. N. H. [VI], IV 1889, p. 218—223) (zitiert als Gthr. II). 

Report on the Collections of Reptiles, Batrachians and Fishes made by Messrs. Potanin and 
Berezowski in the Chinese provinces Kansu and Sze-chuen (Annuaire Mus. Ac. St. Petersbourg 1, 1896, 
p- 199— 219, T. I) (zitiert als Gthr. III). 

Ferner: L. v. Mehely, Reptilien und Amphibien. In „Zoologische Ergebnisse‘. Dritte asiatische 
Forschungsreise des Grafen Eugen Zichy, Bd. II, Budapest 1901, p. 43—68, T. VI-VI. 

J. de.Bedriaga, Amphibien und Reptilien (Wiss. Resultate der von N. M. Przewalski nach 
Zentralasien unternommenen Reisen, Zool. Teil, Bd. III, Abt. 1, Lief. 1: Amphibien. St. Petersburg 1898, 
p. 1-69, 1 Tafel. 


3) 
ou 
» 


B. Squamata. 
1. Lacertilia. 


3. Tachydromus septentrionalis ‚Gthr. ö 2 vom Ningpogebirge. 1 Femoralpore jeder- 
seits. Kinnschilder beim ö genau so wie in der Abbildung bei Boulenger (P. Z. S. 1899, 
p. 162); sechs dorsale Schilderreihen (zwei kleine mediane). @ mit sechs Schilderreihen, ausser 
den beiden kleinen medianen auch noch zwei akzessorische zwischen den äusseren, wie 
Boulenger ebenfalls angibt. 

4. Eremias argus Ptrs. Zwei Exemplare von Tsingtau, eines von Kiautschou. Bei 
dem einen Exemplar von Tsingtau ist das erste Supraoculare vom Frontale durch Körner- 
schuppen getrennt. 


Schuppen vom Haisband Halsbandschildehen Ventralen Femoralporen 
zu den Kinnschildern 
1. Tsingtau 21 2) 14x 31 12 
2. 5 ie) g 14 x 30 10 
3. Kiautschou 22 11 14 x 30 ) 


2. Ophidia. 

5. Tropidonotus tigrinus Boie. Ein ö von Hankou am Yangtsekiang. Sq. 19, V. 150, 
A. 1/1, Se. 62/62 +1. Ventralen an den Seiten und vorn dunkelgrau, Hinterränder weiss- 
lich; Kehle und vorderster Teil des Bauches weiss; schwarze Seitenflecken der Oberseite nur 
vorn deutlich. 

6. Tropidonotus percarinatus Blngr. (P. Z. S. 1899, p. 163, T. XVII, Fig. 2.) Ein ö 
vom Ningpogebirge; Sq. 19, V. 142, A. 1/1, Sc. 76/76 + 1. Frontale 1!/, mal so lang wie 
breit, deutlich kürzer als die Parietalia. Suboculare sehr deutlich; Temporalia 2 +3, das 
obere der ersten Reihe nur halb so hoch wie das untere (auch in der Abbildung bei Boulenger 
ersichtlich, aber im Text nicht erwähnt) und vertikal halbiert. Oberlippenschilder 8—9, 
das 4., bezw. 5. am Auge. Hintere Kinnschilder voneinander vollständig getrennt. Augen- 
durchmesser grösser als die halbe Schnauzenlänge. Hintere Supralabialia oben grau. Total- 
länge 592 mm, Schwanz 160 mm. Diese Art wurde erst vor vier Jahren aus der Provinz 
Fokien bekannt, wo Latouche sie auffand. 

7. Tropidonotus habereri n. sp. (Taf. I.) Nächst verwandt 7. piscator Schn. und 
T. annularis Hall., aber von ersterer Art durch die grössere Zahl der Ventralen (164—163) 
und geringere Zahl von Subeaudalen (55—65 Paare), sowie durch das Fehlen der charakte- 
ristischen Kopfzeichnung und verchiedene Rumpfzeichnung, von letzterer durch die unge- 
kielten äusseren drei Schuppenreihen jederseits und das grössere Auge (beim 6 Augendurch- 
messer gleich dem halben Abstand des Auges von der Schnauzenspitze, beim 2 gleich dem 
halben Abstand vom Rostrale) unterscheidbar. Die Schuppen sind übrigens lange nicht so 
stark gekielt wie bei 7. annularis. Drei erwachsene Exemplare (5 und 2 2) und drei junge 
vom Ningpogebirge. Oberseite bleigrau, Unterseite rot; Zeichnung wie bei T. annularis. 

8. Dinodon rufozonatus Cant. Ein 2 vom Ningpogebirge mit der auffallenden Zahl 
von 19 Schuppenreihen, sonst aber ganz typisch. V.198, A. 1, Sc. 65/65 + 1. Frontale 
etwas länger als breit; Frenale berührt das Auge. Vordere Kinnschilder länger als die 
hinteren. 


355 


J 
9. Zamenis spinalis Ptrs. Zwei Exemplare von Tsingtau, beide 9. Sq. 17, V. 210 
bis 211, A. 1/1, Se. 90/90 -+ 1, 91/91 + 1. Oberlippenschilder 8, das 4. und 5. am Auge. 
Subocularia 1—2, im letzteren Falle 3 mal das 2. vor dem 1. Temporalia 2+2, 2-+3 
(letzteres 1 mal). 


10.—15. Coluber. China ist wohl das an Coluber-Arten reichste Gebiet der alten 
Welt, nicht weniger als 14 Arten, darunter die meisten von ansehnlicher Grösse und schöner 
Färbung, bewohnen das Gebiet. Nur Amerika wird von einer grösseren Artenzahl bewohnt 
(nach Boulenger 16, nach Cope 11, in der Ausdehnung Boulengers aber 26 Arten). Da- 
gegen kommen in Europa nur 5, in Kleinasien 4, in den Kaukasusländern 4, auf dem Fest- 
lande Ostindiens 10, auf den Sunda-Inseln und Philippinen 9, auf Ceylon 1 und im übrigen 
Asien 6 Arten vor; die Gattung fehlt aber in Persien, Afchanistan und Beludschistan, im 
grössten Teile Vorderindiens (bis auf den Süden, wo Coluber helena vorkommt, und auf die 
Gebirge des Nordens (Himalayas mit 7 Arten, Khasi Hills). Die japanischen Coluber-Arten 
kommen mit einer einzigen Ausnahme (C. schrenki, der bisher erst aus Korea und dem 
Amurland bekannt ist) auch in China vor. 

Die 14 Arten Chinas, von denen sechs in der Kollektion vertreten sind, lassen sich 
folgendermassen voneinander unterscheiden: 


A. Schuppen in 19 Längsreihen: 


I. Keine Bauchkante, PR glatt, Temporalia 1 + 2, Anale 
SEHEN gear er) > a en ne morphyraceus.-Cantor: 
II. Bauchkante vorhanden, ee mehr weniger deutlich gekielt; 
Temporalia 2+2 oder 2 +3: 
1. Schuppen schwach gekielt; Anale meist geteilt; meist ein 
Suboculare unter dem Präoculare . . . OÖ. quadrivirgatus Boie. 
2. Schuppen wenigstens auf dem Rücken Skanle eich, An 
ungeteilt; kein Suboculare: 
a) Alle Caudalschuppen gekielt . . 2 2 2020... (0. melanurus Schleg. 
b) Die äusseren Caudalschuppen glatt . . » . 2... 0. radiatus Schleg. 


_ 


B. Schuppen in 21—27 Längsreihen: 


T‘. Schuppen in 21 Reihen: 
1°. Keine Bauchkante; Ventralia 162—-190 . . . . ... ©. rufodorsatus Cant. 
2‘. Bauchkante vorhanden; Ventralia 200—224 . . . . . 0. comspieillatus Boie. 
II‘. Schuppen in 23-—27 Längsreihen: 
1“. Kein Suboculare; Temporalia 1 +2 oder 1+3; keine 
Bauchkante. . . C. mandarinus Cant. 
2“, Suboculare meist ae Benporalie 112 Be 3 " Y 
a‘) Schuppen stark gekielt; in 23 Reihen; Bauchkante vor- 


handen: 
a) Ventralia 208—221; Subeaudalia 80-96 . . . C. phyllophis Blngr 
ß) Ventralia 173; Subcaudalia 70 . . . . . ©. davidi Sauv. 


b‘) Schuppen schwach, mehr weniger deutlich selalb: 


Si 
fen) 


a") Frontale kürzer als sein Abstand vom Rostrale; 
Präoculare in Kontakt mit Frontale; 10 Oberlippen- 
schilder; 27 Schuppenreihen . ... „0. moellendorffi Bttgr. 
Frontale länger als sein Abstand vom ehe 
Präfrontale meist vom Frontale getrennt; nicht 
mehr als 9 Oberlippenschilder. 
Ventralia über 226; Subcaudalia wenigstens 90. 
Bauchkante vorhanden. 
Hinterhälfte des Körpers mit zwei breiten dunklen 
Seitenbändern, die ein breites helles Dorsalband 
begrenzen; unterseits mit einem dunklen Längsband 
jederseits, das von dem lateralen durch ein helles 
Band getrennt ist . . . ©. taeniurus Cope. 
$$ Hinterhälfte des Körpers a grossen Te air 
schmalen Längsstreifen oder einfarbig dunkelbraun, 
unterseits dunkel gefleckt oder gewölkt . . . . C. climacophorus Boie. 
Tr Ventralia weniger als 226; Subcaudalia unter 90; 
keine Bauchkante. 
A Frenale wenig länger als hoch; Schuppen glatt 
oder spurweise gekielt, in 25—27 (selten 23) Reihen (©. dione Pallas. 
AA Frenale bedeutend länger als hoch; Schuppen 
schwach, aber deutlich gekielt, in 23 Reihen . . 0. schrenkit Strauch. 


»44 


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10. Ooluber rufodorsatus Cant. Ein Exemplar vom Ningpogebirge und vier von Hankou 
am Yangtsekiang. 5 V.169, Se. 56/56 +1. 2 V. 176, 178, 180, 184; Se. 48/48, 49/49, 
51/51, 50/50 +1. Nur bei zwei Exemplaren sind auf einer Seite acht Supralabialia vor- 
handen, d.i. in 20°/, der Fälle; überhaupt sind die Ooluber-Arten vielfach äusserst konstant 
in den Zahlenverhältnissen der Schilder und Schuppen. 

11. Ooluber dione Pall. Zwei Exemplare von Tsingtau und zwei von Peking (leg. 


Hauptmann Täubler). 
1. Tsingtau: 9 Sq.27, V.213, Sc. 59/59-++ 1; Suboculare beiderseits; Temporalia 244; Sublabialia 4. 


D2 E Om 25 lge: „ 42/42-+...; kein Suboculare; 5 243; n 4. 
3. Peking: 5 „ 25, „ 198-+1%, „ 65/65+ 1; Suboculare beiderseits; a 2-44; " 4. 
2 A 07257 22200 „ '60/60+ 1; links ein Suboculare; = DE8% 5, 


Färbung der Oberseite ee graubraun; nur Nr. 2 rotbraun; dieses hat auch allen die 
Rückenflecken nicht quer verbunden, was bei den übrigen wenigstens zum Teil der Fall ist. 

12. Coluber climacophorus Boie. Zwei Exemplare in jugendlichem Alter, von Tsingtau 
und Hankou stammend. — Neu für China und bisher nur aus Japan bekannt. 

Exemplar von Tsingtau: Sq. 23, V. 227, Se. 101/101 + 1; Sublabialia 4—5. 

a „ Hankou::..,„:25, „.233,.,..108108-1 71; R 4, 

13. Coluber phyllophis Blngr. Diese prachtvolle, grosse und sehr auffallende Natter, 
welche im Wiener Hofmuseum schon seit Jahren in einem grossen Exemplare unbenannt 
in der Schausammlung steht, ist in der Kollektion Haberer in vier Exemplaren vertreten, 
an denen durchwegs die schlechte Erhaltung der Schwanzgegend (nicht verstümmelt, 
aber wie durch Fäulnis innerlich weich geworden) auffällt. Die überaus stark gekielten 


357 


Schuppen und die Färbung machen diese Art sehr leicht kenntlich. Die Exemplare stammen 
vom Ningpogebirge bei Shanghai. 
1. 2 Sq. 23, V.213, Se. 84/84 -+ 1, Temporalia 3+ 3, Sublabalia 5—5 


Bwsdnrelagier Ara0sin ;, '85/85e; ! 2+8, f A 
2 Pa 2. #929. a DaB, i 4A—4 
A, Snlie BBskaein22 lie ;in98/93E 1, 1 1353, s 4—5 


Bei den beiden grösseren Exemplaren (1 und 3) sind vorne 2, hinten nur 1 Schuppen- 
reihe jederseits ungekielt; bei den zwei kleineren ist aber schon vorn die 2. Schuppenreihe 
schwach gekielt und hinten auch die erste. Bei 1. ist unter dem rechten Frenale ein kleines 
Schildchen zu bemerken. Das Nasenloch füllt oft die ganze hintere Hälfte des Nasale bis 
auf einen schmalen Rand aus. 

14. Coluber quadrivirgatus Boie. Ein junges Exemplar muss dieser Art zugerechnet 
werden, obwohl seine Färbung eine ganz ungewöhnliche ist. Oberseite graubraun, vorn mit 
zwei Reihen kleiner brauner Flecken, hinten ganz einfarbig. Oberlippe dunkel bespritzt. 
Unterseite schmutzigweiss. Seitenkiele des Bauches (die nicht sehr deutlich sind) nicht heller. 
Schuppen nahezu glatt. Sq. 19, V. 201, Sc. 84/84 + 1. Das Exemplar stammt von Hankou. 

15. Coluber conspicillatus Boie. Ein einziges grosses @ Exemplar von Hankou; die 
Art ist von China selbst bisher noch nicht bekannt gewesen Sq. 23, V.214, A. 1/l, 
Se. 62/62 + 1, Temporalia 1-2, 1-+-3. Alle Schlangen der Kollektion, welche auch in 
Japan vertretenen Arten angehören, unterscheiden sich (mit Ausnahme von Coluber quadri- 
virgatus) von japanischen in keiner Weise. 

16. Zaocys dhumnades Cant. Ein & (1900 mm lang) dieser mächtigen Schlange, 
welche anscheinend mit der angegebenen Länge ihre Wachstumsgrenze erreicht; sonst 
wäre es wohl ein sonderbarer Zufall, das das grösste Exemplar des British Museums, das 
meiner Sammlung und das oben erwähnte fast genau die gleiche Länge besitzt. V. 191, 
Se. 120/120 + 1, Temporalia 2 + 2; äusseres Paar der mittleren Schuppenreihen schwach 
gekielt. Ningpo-Gebirge. 

17. Bungarus candıdus L. var. semifasciata Kuhl. Ein junges Exemplar, mit 36 
(38) + 10 dunklen Querbinden, ganz mit javanischen Exemplaren übereinstimmend. 

18. Ancistrodon blomhoffii Boie. Neun Exemplare, davon sechs vom Ningpo-Gebirge, 
drei von Hankou. 6 und 2 sind nach der Schwanzschilderzahl kaum zu unterscheiden und 
auch die Form der Schwanzwurzel ist nur wenig anders beim @ als beim 6. Diese kleine, 
in Ostasien die Rolle unserer Kreuzotter spielende und ihr auch bei flüchtiger Betrachtung 
nicht unähnliche Lochotter ist sehr wenig variabel. Schuppen bei den vorliegenden Exemplaren 
ausnahmslos in 21 Reihen. Ventralen bei den Exemplaren von Shanghai 139—148, bei 
denen von Hankou 140—150; Subcaudalen 33—42, bezw. 40—50 Paare. Durchschnittszahl 
der Ventralen 143, der Subcaudalen 40 Paare. Mehr variieren die Temporalıa. 


3mal2 +3+5,2+3+5 also 9mal 2+3-+5 
2mal 2+3+5,2+4+5 4mal 2 +4 +5 
Imall2+2+5,2+3+5 3mal 2+4+6 
Ilmal2+4+42+4+5 Ilmal 2+-2+5 
Imall 2+4+5,2+4+6 lmal 2+4+4 
Imal 2+4+6,2+4-+6 


Abh.d.II.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 46 


©) 
Su 
[d9) 


Zwei Postocularia beiderseits (ausser dem Suboculare) kommen dreimal, zwei Post- 
ocularia einerseits einmal vor. In Bezug auf die Oberlippen- und Präocularschilder ist keine 


einzige Abweichung zu bemerken. 


" Batrachia. 


1. Rana tigrina Daud. Ein grosses @ von Shanghai. 

2. Rana limnocharis Wiegm. Shanghai und Hankou, 55 und 22. 

3. Rana esculenta L. var. nigromaculata Hall. —= chinensis Osb. 15 Exemplare, alle 
mit der charakteristischen Metatarsalschaufel, aber sonst nichts weniger als übereinstimmend. 
Zwei grosse @ von Shanghai allein tragen auch die charakteristische Streifenzeichnung der 
Varietät; von den übrigen sind sechs kleine helle Exemplare von Shanghai, die übrigen 
von Hankou oberseits sehr dunkel, wohl infolge Formolkonservierung, so dass eine Zeichnung 
(mit Ausnahme einer hellen Rückenmittellinie bei zweien) nicht unterscheidbar ist. Die 
erwachsenen Exemplare sind durchwegs 2 2. 

4. Rana japonica Blngr. 2 9 Exemplare von Shanghai, die sich in der Länge der 
Hinterbeine sehr wesentlich unterscheiden, im übrigen aber übereinstimmen, so dass ich 
trotzdem kein Bedenken trage, sie zur selben Art zu rechnen. Sie ähneln der Rana agilis 
Thom. sehr in der Färbung. 

Dimensionen in mm: 


Totallänge (Schnauzenspitze bis After) . 3 56 46 
Kopflänge 3 5 e : o : y 19 16.5 
Kopfbreite - : : ; ö a i 18 12 
Augendurchmesser . 3 d j ß - 7 6.9 
Interocularbreite 2 ‚ ; 5 2 £ Aut, 3 
Vom Auge zum Nasenlcch . 4 } : 4,5 3 
Vom Auge zur Schnauzenspitze i i B 8 7 
Tympanumdurchmeser . . } L : 4 3 
Vom Auge zum Tympanum . j ö s 1.5 1.2 
Vorderbein . ; ; h E ' : Me 27 
Hinterbein . s 2 - . : : 95 88 
Tibia’ "9%: f NO R n : { 26 23 
1. Finger i s : h 5 i ; 9 7 
1. Zehe . e ' ö : F | 1 6 5) 
Innerer Metatarsaltuberkel . 5 5 : 2 1.3 


Der erste Finger ist bei beiden Exemplaren so lang wie der zweite. Das Hinterbein 
erreicht mit dem Tibiatarsalgelenk das Nasenloch beim grösseren, reicht über die Schnauzen- 
spitze hinaus beim kleineren Exemplar. — Oberlippe weiss vom Auge zum Mundwinkel. 
Unterkieferränder dunkel gefleckt. (Noch stärker gefleckt sind dieselben, ebenso die Kehle, 
bei einem grossen, sehr dunklen @ von Nikko, Japan, ebenfalls in der Münchener Sammlung, 
leg. Haberer.) 


5. Bufo vulgaris Laur. Neun Exemplare von Tsingtau, ferner zwei von Hankou und 
eines von Shanghai, durchaus typisch. Tympanum in der Grösse sehr wechselnd (!, 2, 1 


359 


Augendurchmesser), ebenso Bauch bald gefleckt (4 Exemplare aus Tsingtau), bald einfarbig 
(5 Exemplare aus Tsingtau). Der var. japonica Schleg., die mir gleichzeitig in schönen 
Exemplaren aus Japan vorlag, entsprach kein einziges Exemplar auch nur annähernd; die 
Grösse ist durchwegs der von Ö aus Mitteleuropa entsprechend. 


6. Bufo raddii Strauch. 366, 19 aus Tsingtau. Die 5 ö graugrün mit dunkleren 
Flecken, helle Rückenlinie bei allen dreien nur angedeutet. Das @ sehr ähnlich BD. viridis 
Laur., aber mit heller Rückenlinie. 


7. Hyla arborea L. var. savignyi Aud. 3 Exemplare aus Shanghai von geringer Grösse. 


8. Bombinator orientalis Blngr. Ein schönes grosses & von Tsingtau, 47 mm lang. 
Starke Brunstschwielen an der Innenseite der drei Innenfinger und längs der Innenseite des 
Unterarms. Warzen der Oberseite sehr stark entwickelt, ‚spitzig. Dunkle Flecken der 
Bauchseite klein, rund oder schnörkelig. Fingerspitzen gelb, Zehenspitzen dunkel. 


Uebersicht der bisher vom eigentlichen China bekannten 
Reptilien und Batrachier. 


Chelonia. 


Platysternidae, 
Platysternum megacephalum Gray (Boettger p. 107). 8.-China (Gray). 


Testudinidae. 


? Oyclemys dhor (Gray) (Boettger p. 104). China (Bell). 

Oyclemys trifasciata (Bell). Shanghai (Steindachner). 

Cyclemys flavomarginata (Gthr.). Tamsui auf Formosa (Swinhoe) Festland gegenüber 
Formosa (Gray). 


Damonia reevesii (Gray) (Boettger p. 105). Tientsin (v. Moellendorff); Shanghai (Stein- 
dachner, Peters, Boulenger, Boettger, Werner); Lilong, Provinz Canton (Müller); Yangdsy 
bei Wutschang (Hankow) (Boettger, Werner); Lüshan-Gebirge (Boettger); Chapoo bei Ningpo 
(Boettger); Berge nördlich von Kiu-Kiang (Gthr. I, p. 165); Chi-Tsen, Kiu-Kiang, Foo-Choo 
(Boulenger); var. unicolor (Gray) (Boettger p. 106); China (Hilgendorf); Shanghai (Gray). 

Damonia mutica (Cantor). Yünnan (Anderson); Canton (Cantor). 

Ocadia sinensis Gray (Boettger p. 106). S.-W.-China und Provinz Kiang-hsi (David); 
Canton und Formosa (Gray); Takao, S.-Formosa (Boettger); Taipa, Formosa (Stejneger). 

Nicoria spengleri (Walb.). China (Gray). 

Olemmys Schmackeri Bttgr. Hainan (Schmacker). 

Olemmys beali (Gray). China (Gray). 

Clemmys nigricans (Gray) (Boettger p. 105). Canton (Gray). 


Trionychidae, 


Trionyx sinensis Wiegm. (Boettger p. 107). Macao (Wiegmann); Hongkong (Stein- 
dachner); S.-W.-China und Provinz Kiang-hsi (David); Formosa (Gray); Chusan (Cantor); 
46* 


360 


Shanghai (Peters, Gray, Boettger); Flüsse der Provinz Chihli (v. Moellendorff); Peking 
(Brandt, v. Moellendorff); Provinz Ordos und mittlerer Chuan-che (Hwang-ho) (Przewalski); 
Hankou (Werner); Berge nördlich von Kiu-Kiang (Gthr. I, p. 166); Chefoo, Foo-choo 
(Boulenger); Fluss Chung-chung-chon (Gthr. IH, p. 203). 


Trionyz swinhonis (Gray). Shanghai (Gray). 


Empydosauria. 


Crocodilus porosus Schn. (Boettger p. 111). S.-China (Lesson, Gray). 

Alligator sinensis Fauvel. Yangdsy bei Chiu-Kiang (Fauvel, v. Moellendorff, Günther 
II, p. 219). 

Squamata. 
Lacertilia. 
Geckonidae. 

Hemidactylus coctaei DB. (Boettger p. 114). Lilong und anderwärts in der Provinz 
Canton (Müller). 

Hemidactylus frenatus DB. Ding-hu-shan am Westfluss, Provinz Canton (Boettger), 
Hongkong (Hallowell); Hainan (Boulenger) ; Swatau (Boettger); Taiwanfu auf S.-Formosa 
(Boulenger). 

Hemidactylus brookisi Gray. Amoy (Parenti und Picaglia); Ningpo (Boulenger). 

Hemidactylus platyurus (Schneid.) (Boettger p. 115). Lilong, Provinz Canton (Müller); 
Hongkong (Boulenger). 

Gecko japonicus (DB.). Provinz Sze-tschwan; Ichang, Provinz Hu-bei (Blngr.); 
Canton (v. Moellendorff); Ding-hu-shan am Westfiuss, Provinz Canton (Boettger); Hongkong 
(Boulenger, Boettger); Formosa (Blngr., Stejneger); Chusan (Günther); Ningpo (Boulenger) ; 
Kiu-Kiang (David); Shanghai (Blngr., Boettger); Tschifu (David, Strauch); Provinz Chihli 
(v. Moellendorff); Peking (Mehely); Gebirge nördlich von Kiu-Kiang (Gthr. I, p. 169). 

Gecko subpalmatus Gthr. (Boettger p. 116). Provinz Tsche-Kiang (Günther), Kuatun, 
Provinz Fokien (Boulenger). 

Gecko swinhoei Gthr. Peking (Günther); Miau- a -shan bei Da-dshiau-sy (Peking) 
(Boettger); Tientsin, Provinz Petschili (Müller). 

Gecko verticillatus Laur. Canton (Boulenger, v. Moellendorf, Boettger), Provinz 
Guang-hsi (v. Moellendorff). 

Asgamidae. 

Draco maculatus Cant. (Boettger p. 117). Provinz Yünnan (Anderson). 

Draco whiteheadi Blngr. Hainan (Blngr., P. Z. S. 1899, p. 956, T. LXVI, Fig. 1). 

Acanthosaura kakhienensis (Anders.). Kakhien-Gebirge, Provinz Yünnan (Anderson). 

Acanthosaura lammidentata Blngr. Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger, P. Z. 8. 
1899, p. 160). 

Acanthosaura hainanensis Blugr. Hainan (Blngr., P. Z. S. 1899, p. 957, T. LXVI, Fig. 2). 

Japalura swinhoei Gthr. (Boettger p. 117). Formosa (Günther, Müller, Stejneger). 


Se 


361 


Japalura mitsukurü Stejn. Botel Tobago Island, Formosa (Stejneger, Journ. Sci. Coll., 
Imp. Univ. Tokyo XII, 3, 1898, p. 218). 


Japalura yunnanensis Anders. Teng-yue-chow bei Momein, W.-Yünnan (Anderson); 
Provinz Sze-tschwan (Boulenger); im westlichen Sze-tschwan (David); Ichang (Gthr. II, p. 218). 


Calotes versicolor Daud. Canton (Boulenger, v. Moellendorff); Lilong und Fumun, Provinz 
Canton (Müller); Cum-sing-moon (Hallowell) Provinz Guang-hsi (Boettger); Hainan (Boulenger, 
Boettger). 


Liolepis bellii (Gray) (Boettger p. 120). Hainan (Boulenger, Boettger); Canton (Peters). 


Varanidae. 


Varanus salwator (Laur.) (Boettger p. 121). China (Günther). 


Anguidae. 


Ophisaurus harti Blngr. Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger, P. Z. S. 1899, p. 160, 
T.XVv]). 


Lacertidae. 


Tachydromus meridionalis Gthr. Günther, Ann. Mag. N. H. (VI), I, 1888, p. 168; 
Rept. Brit. Ind. p. 70, T. VIII, Fig. D; Boettger, 24/25 Ber. Offenb. Ver. Nat. 1885, p. 118; 
Nanning am Yutschang, Provinz Guang-hsi; Canton (Bittgr.). 


Tachydromus septentrionalis Gthr. Günther 1. c. p. 168; Boettger III, p. 139, 145, 
Boulenger p. 161; Kiu-Kiang, Nankin, Ningpo (Günther I, p. 168); Kuatun, Provinz Fokien 
(Blngr. p. 161); Lüshan-Gebirge bei Kiu-Kiang, Dalashan-Gebirge und Chinhai bei Ningpo 
(Boettger); Huihsien, Provinz Kansu (Günther III, p. 203). 

Tachydromus wolteri Fisch. Kiu-Kiang (Günther I, p. 169). 


Eremias argus Ptrs. (Boettger p. 122). Tschifu (Peters, Boulenger); Peking (Stein- 
dachner, David, v. Moellendorff, Boulenger); Tsingtau, Kiautschou (Werner); Miau-feng-shan 
bei Da-dhsiau-sy (Peking) (Boettger); zwischen Daba und Khalgan (Mehely). 


Eremias brenchleyi Gthr. Miau-feng-shan bei Da-dsiau-sy (Peking) (Boettger); Kalgan, 
Nankou-Pass (Mehely). 


Eremias multiocellata Gthr. Provinz Kansu (Strauch). 
Eremias przewalskyi (Strauch). Provinz Kansu (Strauch). 


Scincidae. 

Mabwia siamensis (Gthr.) (Boettger p. 124). Hainan (Boulenger, Boettger); Hongkong 
(Peters); Formosa (Fischer, Müller). 

Mabuia multifasciata Kuhl. Hainan (Boettger, Ber. Senckenberg. Ges. 1894, p. 131). 

Lygosoma (Riopa) bowringi (Gthr.). Hongkong (Günther). 

Lygosoma (Hinulia) indicum Gray. Sung-pau, Provinz Sze-Chuen, Lun-ngan-fu 
(Gthr. IH, p. 203); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger, P. Z. S. 1899, p. 162); Dalanshan 
bei Ningpo (Boettger, Ber. Senckenberg. Ges. 1894, p. 145). 


Lygosoma (Lygosoma) chalcides (L.) (Boettger p. 124). Hongkong (Günther). 


362 


Lygosoma (Homolepida) chinense (Gray). Ding-hu-shan am Westfluss, Provinz Canton 
(Boettger). 

Lygosoma (Liolepisma) laterale (Say). Momein in W.-Yünnan (Anderson); Provinz 
Sze-tschwan (Boulenger); W.-Sze-tschwan (David); Canton (Müller, v. Moellendorff); Lilong, 
Provinz Canton (Müller); Ding-hu-shan am Westfluss, Provinz Canton (Boettger); Hongkong 
(Boettger); Ningpo (Günther); Miau-feng-shan bei Da-dshiau-sy (Peking) (Boettger); Kuatun, 
Provinz Fokien (Boulenger); Chapoo bei Ningpo (Boettger); Berge nördlich von Kiu-Kiang 
(Gthr. I, p. 169); Napier-Island in der Hangtscheu-Bucht bei Ningpo (Bttgr. IV, p. 187). 

Lygosoma potanini Gthr. Ta-tsien-lu, Provinz Sze-chuen (Gthr., Ann. Mus. St. Peters- 
burg 1896, p. 204). 

Tropidophorus sinicus Bttgr. Ding-hu-shan am Westfluss, Provinz Canton (Boettger); 
Hongkong (Boulenger). 

Tropidophorus yunnanensis Blngr. (Boettger p. 126). Hotha-Tal, Yünnan (Anderson). 

Eumeces chinensis (Gray). Hainan (Boettger); Nan-ning, Provinz Guang-hsi (Boettger); 
Canton (Boettger, Boulenger); Lilong, Provinz Canton (Müller); Fluss Siıkiang, Provinz 
Canton (Blngr.); Hongkong (Blngr., Boettger); Ningpo, Chusan (Boulenger); Dalanshan und 
Chinhai bei Ningpo (Boettger); Shanghai (Boettger); Formosa (Stejneger). 

Eumeces elegans Blngr. Formosa (Blngr., Stejneger); Ningpo und Umgebung, Shanghai 
(Boulenger); Provinz Kiang-hsi (David); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger); Berge nördlich 
von Kiu-Kiang (Gthr. I, p. 169). 

Eumeces quadrilineatus (Blyth). Hongkong (Hallowell, Günther); W.-Sze-tschwan 
(David). 

Eumeces zanthi Gthr. Ichang, Ob. Yangtsekiang (Gthr., Ann. Mag. Nat. Hist. (6), IV, 
1889, p. 220); Li-fang-fu, Tal des Tung-Flusses (Gthr. III, p. 203). 


‚Ophidia. 
Typhlopidae. 


Typhlops braminus Daud. Provinz Canton (Müller); Canton, Gebirge Lo-fou-shan, 
Provinz Canton (Boettger); Hongkong (Hallowell, Boulenger, Cat. I); Hainan (Boettger III, 
p- 132); Formosa (Boulenger, Cat.). 


Boidae. 
Python reticulatus (Schneid.) (Boettger p. 146). Hongkong (Boettger); Chusan (Cantor). 


Python molurus L. S.-China (Günther, Boulenger, Cat. I); Formosa (Günther); Hoihow, 
Hainan (Blngr., Cat.). 


Erys jaculus L. (Bttgr. p. 147). Provinz Kansu (Przewalski). 


Colubridae. 
1. Aglyph ae. { 

Polyodontophis collaris (Gray). Ichang, Ob. Yangtsekiang (Günther, Ann. Mag. Nat. 
Hist. (6), IV, 1889, p. 220, als Ablabes sinensis); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger p. 162). 
‚Tropidonotus swinhonis Günther (Boettger p. 137); Formosa (Günther). 


363 


Tropidonotus nuchalis Blngr. Ichang, Ob. Yangtsekiang (Günther, Ann. Mag. N. H. 
(6), IV, 1889, p. 221, als 7. swinhonis var.); (Boulenger ibid. (6), VII, 1891, p. 281). 

Tropidonotus vibakari Boie. Formosa (Boulenger, Cat. I). 

Tropidonotus parallelus Blngr. Hotha-Tal, Yünnan (Anderson, als T. dipsas non Blyth). 

Tropidonotus modestus Gthr. W.-Yünnan (Anderson). 

Tropidonotus piscator Schn. (Boettger p. 136). Hainan (Boettger); Provinz Guang-hsi 
(Boettger); Canton (Boulenger, Peters, Boettger); Lilong, Fumun und Tschonglok, Provinz 
Canton (Müller); Hongkong (Blauford, Boettger); Gaulung gegenüber Hongkong auf dem 
Festland (Boettger); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger); Formosa (Stejneger). 

Tropidonotus eraspedogaster Blngr. Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger, P. Z. S. 1899, 
p- 163, T. XVII, Fig. 1). 

Tropidonotus percarinatus Blngr. Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger ibid. p. 163, 
T. XVII, Fig. 2); Ningpo-Gebirge (Werner). 

Tropidonotus annularis Hall. (Boettger p. 135). Ningpo, Provinz Tsche-kiang, Formosa 
(Günther); Chinhai bei Ningpo (Boettger IV, p. 146); Lilong, Provinz Canton (Müller); 
Berge nördlich von Kiu-Kiang (Gthr. I, p. 171). 

Tropidonotus habereriı Wern. Ningpo-Gebirge (Werner). 

Tropidonotus tigrinus Boie (Boettger p. 138). Umgebung von Peking (David); N.-China 
(Günther, v. Moellendorff); Provinz Kiang-hsi (David); Ningpo (Günther); Kuatun, Provinz 
Fokien (Boulenger); Peking, Chifu, Berge nördlich von Kiu-Kiang (Gthr. I, p. 171); Hai 
How, Hainan (Boulenger, Cat. I); Tschifu, Weihawei (Boettger III, p. 149); Dalanshan bei 
Ningpo (Boettger III, p. 146); Lüshan-Gebirge bei Kiu-Kiang (Boettger III, p. 139); Hankou 
(Werner); Hui-hsien, Provinz Kansu (Gthr. III, p. 205). 

Tropidonotus stolatus (L.) (Boettger p. 136). Hainan, Provinz Guang-hsi (Boettger); 
Canton (Günther, Peters, Boettger); Lilong, Fumun und Tschonglok, Provinz Canton (Müller); 
Hongkong (Günther, Blanford, Boettger); Nien-hong-li (Boettger) und Wampoa (Hallowell) 
bei Hongkong; Gaulung, Festland gegenüber Hongkong (Boettger); Formosa (Günther, 

| Stejneger); Chusan, Formosa, Hongkong, Hainan (Boulenger, Cat. I); Hainan (Boettger III, 
 p. 182). 

ö Tropidonotus subminiatus Schleg. (Boettger p. 137). Hongkong (Günther, Boettger); 
Provinz Tsche-kiang (Günther). 


Tropidonotus chrysargus Schleg. (Boettger p. 135). Provinz Tsche-kiang (Günther); 
Hainan (Boulenger). 
Tropidonotus trianguligerus Boie (Boettger p. 138). Tschonglok, Provinz Canton (Müller). 


Pseudoxenodon macrops (Blyth). Kia-ting-fu, Provinz Sze-chuen, 1070’ (Boulenger, 
Cat. I, p. 271); Ta-tsien-lu, Provinz Sze-Tschuan (Gthr. III, p. 206). 


Pseudoxenodon dorsalis (Gthr.) (Boettger p. 136). Provinz Tsche-kiang (Günther). 
Opisthotropis andersonii (Blngr). Hongkong (Boulenger, Cat. I, p. 284, T. XVII, Fig. 3). 


Tapinophis latouchii Blngr. Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger, P. 27.8. 1899, p. 164, 
T. XVII, Fig. 1—1e). 
Rhabdops bicolor (Blyth). Yünnan (Anderson). 


364 


Trirhinopholis styani Blngr. Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger ibid. p. 164, T. XVII, 
Fig. 2—26). 

Achalinus rufescens Blngr. Hongkong (Boulenger, Ann. Mag. N. H. (6), II, 1888, 
p. 43; Cat. Snakes I, p. 308, T.XX, Fig. 2). 

Achalinus braconnieri (Sauvage) (Boettger p. 128). Ichang, S.-China (Günther Ann. 
Mag. Nat. Hist. (6), IV, 1889, p. 220, als A. rufescens nec Blngr.); O.-Kiang-hsi (Sauvage). 

Lycodon fasciatus (Anders.) (Boettger p. 145). W.-Yünnan (Anderson). 

Lycodon aulicus (L.) (Boettger p. 144). Hongkong (Boettger); Amoy (Steindachner). 

Dinodon rufogonatus (Cantor) (Boettger p. 144). Provinz Kiang-hsi (David); Chusan 
(Cantor, Günther, Jan); Ningpo (Cope); Peking (Steindachner); Formosa (Boettger); Hoi- 
How, Hainan, Kiu-Kiang-Gebirge (Gthr. I, p. 171); Shanghai, Kia-tiang-fu, Provinz Sze- 
chuen 1070’; westliche Hügel bei Peking (Boulenger, Cat. I); Ningpo-Gebirge (Werner). 

Dinodon septentrionalis ((Gthr.) var. ruhstrati Fischer (Boettger p. 145). Formosa 
(Fischer, Boulenger, Cat. I); Berge nördlich von Kiu-Kiang (Günther I, p. 171); Kuatun, 
Provinz Fokien (Boulenger p. 165). 

Zaocys dhumnades (Cant.) (Boettger p. 135). Chusan (Cantor, Günther); Berge nördlich 
von Kiu-kiang (Gthr. I, p. 170); Ningpo (Cope); Shanghai (Boettger III, p. 143); Lüshan- 
Gebirge bei Kiu-Kiang (Boettger III, p. 189); Ningpo-Gebirge (Werner); Lun-ngan-fu, 
Provinz Sze-Tschuan (Gthr. III, p. 205). j 

Zamenis korros (Schleg.) (Boettger p. 133). Hainan (Boettger III, p. 133); Canton 
(Boettger); Lilong, Provinz Canton (Müller); Hongkong (Günther, Boettger); Amoy (Stein- 
dachner); Hoi How, Hainan; Berge nördlich von Kiu-Kiang (Günther I, p. 170). 

Zamenis mucosus (L.) (Boettger p. 133). Hainan (Boettger IH, p. 133); Provinz 
Guang-hsi (Boettger); Canton (Müller, Boettger); Hongkong (Hallowell, Günther, Blanford, 
Boettger); Amoy (Steindachner, Parenti und Picaglia); Formosa (Günther); Chusan (Cantor, 
Günther). 

Zamenis spinalis (Ptrs.) (Boettger p. 134). Berge westlich von Peking (v. Moellendorff, 
Jan, Boulenger, Cat. I); Hoi How, Hainan (Boulenger, Cat. I); Tsingtau (Werner). 


Coluber porphyraceus Cantor. Yünnan (Anderson); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger 
p. 165). 

Coluber mandarinus Cantor (Boettger p. 130). Chusan (Cantor); Kuatun, Provinz 
Fokien (Boulenger p. 165). 

Coluber rufodorsatus (Cantor) (Boettger p. 130). Formosa (Günther); Provinz Kiang-hsi 
(David); Chusan (Cantor, Günther); Ningpo, Provinz Tsche-kiang (Günther); Shanghai 
(Boettger, Boulenger, Cat. II); Tientsin, Provinz Petschili (Müller); westliche Hügel b. Peking, - 
Berge nördlich von Kiu-Kiang (Günther I, p. 170); Chikiang, Hang-Chau, Ningpo, Hoi How, 
Hainan (Boulenger, Cat. II); Lüshan-Gebirge bei Kiu-Kiang p. 147, Chinhai bei Ningpo 
p- 146, Sitai-See bei Shanghai p. 144 (Boettger III); Hankou und Ningpo-Gebirge (Werner). 

Coluber dione Pallas (Boettger p. 131). Peking (Günther, David, v. Moellendorff, 
Mehely, Werner); Tschifu (Boettger III, p. 149, Boulenger, Cat. II); Chen Lang Kuan, Gan 
King, Hoi How, Hainan (Boulenger, Cat. II); Tsingtau (Werner); Berge nördlich von Kiu- 
Kiang (Günther I, p. 170). 


365 


Coluber taeniurus Cope (Boettger p. 131). Formosa (Boettger); Provinz Kiang-hsi 
(David); Ningpo, Provinz Tsche-Kiang (Cope, Günther); Shanghai (Günther, Boettger); 
Kloster Ta-chio-see, nordwestlich von Peking (v. Moellendorff); Berge bei Kiu-Kiang (Boulenger, 
Cat. ID); Peking, westliche Hügel (Boulenger, Cat. II); Yünnan (Anderson); Wusung-Fluss 
bei Shanghai (Boettger III, p. 144). 
Coluber conspieillatus Boie. Hankou (Werner). 
Ooluber climacophorus Boie. Tsingtau, Hankou (Werner). 
Coluber phyllophis Boulenger (Boettger p. 141). Kiu-Kiang (Boettger); Wu-lee-See, 
25 Meilen nördlich von Ningpo, Ningpo (Boulenger, Cat. II); Kuatun, Provinz Fokien 
(Boulenger p. 165); Ningpo-Gebirge (Werner); Berge nördlich von Kiu-Kiang (Günther I, 
p. 170); Formosa (Stejneger); Lun-ngan-fu, Provinz Sze-chuen (Günther III, p. 202). 
Coluber davidi (Sauvage) (Boettger p. 135). China (Sauvage). 
Coluber moellendorffü (Boettger) (Boettger p. 133). Nanning am Yu-tshang, Provinz 
Guang-hsi; Canton (Boettger). 
Coluber quadrivirgatus Boie. Hankou (Werner). 
Coluber melanurus Schleg. (Boettger p. 132). S.-China (Günther); Canton (Jan). 
Coluber radiatus Schleg. (Boettger p. 132). Lilong, Provinz Canton (Müller); Hongkong 
(Boettger). 
Simotes purpurascens (Schleg.) (Boettger p. 129). S.-China (Dumeril und Bibren). 
Simotes cyclurus (Cantor) (Boettger p. 129). S.-China (Günther); Fumun, Provinz 
Canton (Müller). 
Simotes formosanus Gthr. (Boettger p. 129). Takao, Formosa (Günther); S.-Formosa 
(Fischer, Müller); Taipa, Formosa (Stejneger); Swatow, S.-China (Boulenger, Cat. II); Tamsui 
(Swinhoe); Hainan (Boettger, Ber. Senckenbg. Ges. 1894, p. 133, als 8. hainanensis). 
Simotes violaceus (Cantor) (Boettger p. 139). Amoy (Günther); Lilong, Provinz Canton 
(Müller); Gaulung gegenüber Hongkong (Boettger); Hainan, Hongkong (Boulenger, Cat. II); 
Hainan (Cope, Proc. Ac. Philad. 1894 p. 423, T. X, Fig. 1 [Holarchus dolleyanus]). 
Simotes chinensis Günther. Berge nördlich von Kiu-Kiang (Günther, Ann. Mag. N. 
H. (6), I, 1888, p. 169); Hoi How, Hainan (Boulenger, Cat. Snakes II, p. 228, T. IX, Fig. 1). 
Simotes vaillanti Sauvage. China (Sauvage). 
Ablabes major (Gthr.). Ningpo (Günther); Berge nördlich von Kiu-Kiang (Günther I, 
p. 170); Chusan, Shanghai, Formosa (Boulenger, Cat. II); Hongkong (Günther, Hallowell, 
Boettger); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger p. 165); Lüshan-Gebirge bei Kiu-Kiang 
(Boettger III, p. 140). 

Calamaria pavimentata DB. (Boettger p. 128). Canton (Boettger). 

Calamaria septentrionalis Blngr. Berge nördlich von Kiu-Kiang (Günther I, p. 169, 
als C. quadrimaculata nec DB.); Hongkong, Festland gegenüber dem Chusan - Archipel, 
Chusan-Archipel (Boulenger, Cat. Snakes II, p. 349, T. XX, Fig. 1); Kuatun, Provinz Fokin 
(Boulenger p. 165). 

Calamaria berezowskii Gthr. Lun-ngan-fu, Provinz Sze-Tschuan (Günther, Ann. Mus. 
St. Petersbourg I, 1896, p. 205, T. I, Fig. A). 

Abh.d.II.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 47 


EA 


2. Opisthoglyphae. 

Hypsirhina plumbea Boie (Boettger p. 139). Formosa (Gthr., Stejneger); Hongkong, 
Hoi How, Hainan (Boettger III, p. 134, Boulenger, Cat. III); Canton, Nyen-hong-li bei 
Hongkong (Boettger); Lilong und Tschonglok, "Provinz Canton (Müller). 

Hypsirhina enhydris Schn. (Boettger p. 140). Hongkong (Günther). 

Hypsirhina bennetti Gray (Boettger p. 139). China (Gray, Günther); Hainan (Boettger 
III, p. 134). 

Hypsirhina chinensis Gray (Boettger p. 139). lchang; Hoi How, Hainan (Boulenger, 
Cat. IID; Hainan (Boettger III, p. 134); Canton (Boettger); Lilong und Tschonglok, Provinz 
Canton (Müller); Hongkong (Steindachner). 

Homalopsis buccata (L.) (Boettger p. 140). Hongkong (Hallowell, Boettger). 

Dipsadomorphus multimaculatus Boie (Boettger p. 143). Hongkong (Günther, Jan, 
Boettger); Canton (Boettger); Fumun, Provinz Canton (Müller). 

Dipsadomorphus kraepelini (Stejn). Formosa (Stejneger). 

Psammodymastes pulverulentus Boie. Formosa (Boulenger). 

Chrysopelea ornata Shaw (Boettger p. 142). Hongkong (Boettger). 


3. Proteroglyphae. 


Hydrus platurus (L.). Hydrophis gracilis Shaw. 

Distira stokesii (Gray). Hydrophis fasciatus (Schn.). 

Distira cyanocincta (Daud.). Acalyptophis peroni (DB.). 

Distira ornata (Gray). Emydocephalus (Aepysurus) ijimae Stejn. 
Distira viperina (Schmidt). Platurus laticaudatus (L.). 

Enhydris hardwickii (Gray). Platurus colubrinus (Schn.). 


Hydrophis obscurus Daud. 

Bungarus faseiatus (Schneid.) (Boettger p. 148). Canton (Peters, Boettger); Lilong 
und Fumun, Provinz Canton (Müller); Hongkong (Boettger). 

Bungarus candidus L. var. multicinctus Blyth (Boettger p. 148).1) Berge nördlich von 
Kiu-Kiang (Günther I, p.-171); Formosa, Hoi How, Hainan (Boulenger, Cat. III); Kuatun 
Provinz Fokien (Boulenger p. 165); Provinz Guang-hsi (Boettger); Canton (Peters, Boettger); 
Fumun, Provinz Canton (Müller); Hongkong (Blanford, Boettger); Formosa (Günther, 
Stejneger); Provinz Kiang-hsi (David). 

Naja tripudians Merr. (Boettger p. 147). Kiu-Kiang, Hoi How, Hainan (v. fasciata 
Gray) (Boulenger, Cat. III); Chusan-Archipel (v. sputatrix Boie) (Cantor); Hainan, Macao 
(Boettger); Canton (Günther, Peters, Boettger); Hongkong (Hallowell, Steindachner, Boettger); 
Provinz Kiang-hsi (David). 

Naja bungarus Schleg. (Boettger p. 148). S.-China, Hongkong (Boettger). 

Callophis macclellandi (Reinh.) Berge nördlich von Kiu-Kiang (Günther I, p. 171); 
Formosa, S.-China (Boulenger, Cat. III); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger p. 165). 


{) Auf p. 357 aus Versehen als var. semieineta Kuhl angeführt; die hohe Zahl der dunklen Quer- 
binden lässt aber bereits die Zugehörigkeit zu obiger Varietät (vergl. auch Boettger II, p. 86) erkennen. 


y 
Se 
n 
5 
2 
r 
Ü 


367 


Amblycephalidae. 


Amplycephalus moellendorffü (Bttgr.) (Boettger p. 145). Hongkong (Boettger); Canton 
(Boettger); Gebirge Lo-fou-shan, Provinz Guang-dung (Boettger IV, p. 188). 


? Pseudopareas vagus (Jan). Hongkong (Jan). 


Viperidae. 

Aneistrodon acutus (Günther). Ann. Mag. N. H. (V]), 1, 1888, p. 171, T. XII. Berge 
nördlich von Kiu-Kiang (Günther); Ichang (Günther); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger 
p- 166). 

Ancistrodon blomhoffiü (Boie) (Boettger p. 155). Formosa, Hoi How, Hainan, Hang- 
Chau, Provinz Che-Kiang (Boulenger, Cat. III); Ichang, Berge nördlich von Kiu-Kiang 
(Günther I, p. 171); Provinz Chihli (v. Moellendorff, Eastlake); Umgebung von Peking 
(David, v. Moellendorff); Provinz Sze-Tschwan (v. Moellendorff, Eastlake); Ichang, Provinz 
Hu-bei (Swinhoe); Provinz Kiang-hsi (v. Moellendorff, Eastlake); Kiu-Kiang, Provinz 
Kiang-hsi (David); Ningpo (Me. Cartee); Formosa (Swinhoe); Ningpo-Gebirge und Hankou 
(Werner); Hui-hsien, Provinz Kansu (Günther III, p. 206). 

Lachesis jerdoniüi (Gthr). Ichang (Gthr. II, p. 221, als Z. zanthomelas); Kia-tiang-fu, 
Provinz Sze-chuen, 1070° (Günther). 

Lachesis mucrosquamatus (Cantor) (Boettger p. 153). Formosa (Günther, Fischer, 
Boulenger, Stejneger). 

Lachesis monticola Gthr. Lun-ngan-fu, Provinz Sze-Tschuan (Günther III, p. 206). 

Lachesis gramineus (Shaw) (Boettger p. 152). Ningpo (Günther); Formosa (Boettger 
IV, p. 188, Stejneger); Hongkong (Boettger, Günther, Steindachner); Lilong und Tschonglok, 
Provinz Canton (Müller); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger p. 165); Hainan (Boettger 
IH, p. 135). 


Als fraglich für China möchte ich bis auf weiteres ausehen die folgenden Arten: 
Typhlops lineatus (Boie). (Hongkong, nach Günther) (Typhlina bei Boettger p. 127). 
Xenopeltis unicolor Reinw. (China bis Peking, nach 


Wallace) { ! ; i { h (1% 3 „128). 
Lycodon albofuscus (DB.). (Formosa, nach Günther) (Ophites 2 h „ 145). 
_Dendrelaphis caudolineatus (Gray). (China, nach Jan) (Dendrophis . . „ 142). 
1 Dendrophis pictus Gmel. (China, nach Günther) . (5; A „LA2). 
Oligodon sublineatus DB. (Amoy, nach Steindachner) ( = „.128). 
Hypsirhina sieboldi (Schleg.). (China bis Peking, nach 
Wallace) ; i . 2 A . (Ferania ; s „ 140). 
Dipsadomorphus cyaneus (DB.). (China, nach Günther) (Dipsas bubalina „ 5 „ 143). 
Dryophis prasinus Boie. (China, nach Günther) . (Tragops . n „.143). 
Pseudopareas vagus (Jan). (Hongkong, nach Jan) . Gyr e „ 145). 


Ganz zu streichen wäre Buophrys modestus Gthr. = Philodryas Schotti (Schleg.) 


nach Boulenger, also eine südamerikanische Art. 
47* 


368 


Batrachia. 


A. Salientia. 
1. Ranidae. 


Oxyglossus lima Tsch. (Boettger p. 154). Hainan (Boettger); Canton (Boettger); 
Lilong, Provinz Canton (Müller); Hongkong (Hallowell); Gebirge Lo-fu-shan, Provinz Guang- 
dung (Boettgr IV, p. 188); Hainan (Boettger III, p. 135). 

Rana Kuhliü DB. (Bttgr. p. 157). Provinz Yünnan (Anderson); Kuatun, Provinz Fokien 
(Boulenger p. 166); Gebirge Lo-fu-shan, Provinz Canton (Peters). 

Rana boulengeri Gthr. Ningpo (Boulenger, Cat. und Günther, Rept. Brit. Ind. p. 404, 
T. XXVI, Fig. A [?], als R. Kuhlü); Ichang (Günther, Ann. Mag. N. H. (6), IV, 1899, 
p. 222 [ö]); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger p. 166). 

Rana yunnamensis Anders. (Boettger p. 159). Hotha-Tal, W.-Yünnan (Anderson). 


Rana tigrina Daud. (Boettger 158). Provinz Yünnan (Anderson); Hainan (Boettger III, 
p. 137); Macao (Peters); Canton (Boettger); Hongkong (Boettger III, p. 137); Formosa, 
Ningpo, Shanghai (Boulenger); Shanghai (Werner). 

Rana limnocharis (Wiegm. (Bttgr. p. 156). Provinz Sze-Tschuan (Boulenger); Provinz 
Yünnan (Anderson); Hainan (Boulenger, Boettger); Canton (Boettger); Lilong, Provinz Canton 
(Müller); Hongkong (Boulenger, Boettger III, p. 137); Whampoa bei Hongkong (Hallowell); 
Formosa, Tschusan, Ningpo, Shanghai (Boulenger, Cat.); Formosa (Stejneger); Shanghai 
(Boettger III, p. 144, IV, p. 189); Hainan (Boettger III, p. 135); Hankou (Boettger III, 
p. 138); Ya-chon, Provinz Sze-chuen (Günther p. 206); Shanghai, Hankou, Werner). 

Rana plancyi Lat. (Boettger p. 158). Formosa, Chusan, Ningpo, Shanghai (Boulenger); 
Shanghai (Boettger III, p. 145, IV, p. 189); Hankou (Boettger III, p. 138); Lühsan-Gebirge 
bei Kiu-Kiang (Boettger III, p. 140); Dalanshan bei Ningpo (Boettger III, p. 147). 


Rana esculenta L. var. nigromaculata Hall. (Bttgr. p. 155). Peking (David, v. Moellen- 
dorff, Lataste, Mehely); Dadiau-sy, Peking (Boettger); Tschifu, Tschusan und Ningpo 
(Boulenger, Cat.); Shanghai (Boulenger, Boettger, Werner); Shanghai (Boettger III, p. 144, 
IV, p. 189); Hankow (Boettger III, p. 138); Lühsan-Gebirge bei Kiu-Kiang (Boettger III, 
p. 140); Chapoo bei Ningpo (Boettger III, p. 147); Shi-chih-kai, Peking (v. Mehely p. 62); 
Tjan-tsin, Fan-schun, Provinz Tsche-l, Chingan (v. Bedriaga p. 16); Shanghai, Hankou 
(Werner); Ketau und Hang-Chau, Che-Kiang; Berge nördlich von Kiu-Kiang; Ningpo 
(Boulenger, Tailless Batr., p. 355). 

Rana temporaria L. Sung-pau, Provinz Sze-chuen (Günther p. 206). 

Rana japonica Gthr. (Bttgr. p. 157). Provinz Kan-su, im östlichen Nan-shan nahe 
dem See‘ Kuku-noor (Przewalski); Provinz Chihli (v. Moellendorff); Dadiau-sy, Peking 
(Boettger); Ningpo und Provinz Sze-Tschuan (Boulenger); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger 
p. 167); Lühsan-Gebirge bei Kiu-Kiang (Boettger. III, p. 140); . Insel Tungtungding im 
Süsswassersee Tahoo bei Soochow (Boettger III, p. Ir Dalanshan bei Ningpo (Boettger 
III, p. 147); Shanghai (Werner). 

Rana amurensis Blngr. (Bull. Soc. France XI, 1886, S. A. p. 4); Chinhai bei Ningpo 
(Boettger III, p. 146). 


ä 


369 


Rana martensi Blngr. (l. c. p. 5). Chinhai bei Ningpo (Boettger III, p. 147). 

Rana longierus Stejn. Taipa, Formosa (Stejneger, Journ. Seient. Coll., Imp. Univ. 
Tokyo XII, 3, 1896, p. 216). 

Rana guentheri Blngr. (Bttgr. p. 156). Hongkong (Steindachner, Boettger III, p. 137); 
Canton (Boettger); Amoy (Boulenger); Hainan (Boettger III, p. 135). 

Rana macrodactyla (Gthr.) (Bttgr. p. 157). Hainan (Boettger); Canton (Boettger); 
Lilong, Provinz Canton (Müller); Hongkong (Hallowell, Boulenger, Boettger III, p. 137); 
Hainan (Boettger III, p. 135). 

Rana margariana (Anderson) (Boettger p. 158). Yünnan, Irawaddi und seine Neben- 
flüsse (Anderson). 

Rana andersonii Blngr. (Boettger p. 155). Hotha-Tal, Yünnan (Anderson); Hainan 
‘(Boulenger p. 958); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger p. 168). 

Rana chloronota Gthr. (Boettger p. 155). Hongkong (Boettger). 

Rana graminea Blngr. Hainan (P. Z. S. 1899, p. 958, T. LXVL, Fig. 1). 

Rana latouchü Blnugr. Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger, P. Z. S. 1899, p. 167, 
DE XIX aBie.1)): 

Rana rickettii Blngr. Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger, P. Z. S. 1899, p. 168, 
T. XIX, Fig. 2). 

Nannorana pleskei Gthr. Sung-pau und In-chuan, Kham-Gebirge (Günther, Ann. Mus. 
Zool. Ac. St. Petersbourg 1896, p. 206); Guidui, Oberlauf des Chuan-che, Dy-tschju, Ober- 
lauf des Yangtse (v. Bedriaga p. 32, T. I, Fig. 5—5 ce). 

Rhacophorus Davidi (Sauv.) (Boettger p. 160). Boulenger, P. Z. S. 1899, p. 169; 
Muping in W.-Sze-Tschuan (David, Sauvage). 

Rhacophorus leucomystax Gravh. (Bttgr. p. 160, als maculatus). Hainan (Boettger III, 
p. 136); Canton (Boettger); Lilong und Fumun, Provinz Canton (Müller); Hongkong (Hallowell, 
Boulenger, Boettger III, p. 137); Swatow (Boettger); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger 
p. 169); Hainan (Boulenger p. 959). 

Var. quadrilineata Wiegm. auf Formosa (Boulenger). 

Rhacophorus dennysii Blfd. Foochow, Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger p. 169). 

Rhacophorus exiguus Bttgr. Chinhai bei Ningpo (Boettger, Ber. Senckenbg. naturf. 
Ges. 1894, p. 148, T. III, Fig. 3a—b). 

Rhacophorus oxycephalus Blngr. Hainan (Boulenger, P. Z. S., London 1899, p. 959, 
BEEXVI, Fig. 3). 

Ixalus kakhienensis Anders. (Boettger p. 161). Nampoung-Tal, Yünnan (Anderson). 

Ixalus tuberculatus Anders. (Boettger p. 161). Kakhien-Gebirge, Yünnan (Anderson). 

Staurois hainanensis Blngr. Hainan (Boulenger, P. Z.S. 1899, p. 958, T. LXVII, Fig. 2). 


2. Engystomatidae. 
Calophrynus pleurostigma Tsch. (Boulenger p. 161). Provinz Yünnan (Anderson); 
Hongkong (Peters). 
Microhyla fissipes Blugr. (Boettger p. 162). Taiwanfu, S.-Formosa (Boulenger). 


370 


Microhyla ornata DB. (Boettger p. 162). Provinz Sze-Tschuan (Boulenger); Canton 
(Boettger); Ningpo (Boulenger); Hongkong (Boettger III, p. 137); Dalanshan und Chinghai 
bei Ningpo (Boettger III, p. 149). 

Microhyla pulchra (Hall.) (Boettger p. 162). Canton (Boettger); Lilong, Provinz Canton 
(Müller); Brackwassersümpfe zwischen Hongkong und Whampoa (Hallowell); Hongkong 
(Boulenger). 

Callula pulchra Gray (Boettger p. 163). Lilong, Provinz Canton (Müller); Hongkong 
(Boettger III, p. 137). 

3. Bufonidae, 


Bufo melanostietus Schneid. (Boettger p. 164). Hainan (Boettger III, p. 136); Canton 
(Boulenger, Boettger); Whampoa bei Hongkong (Hallowell); Hongkong (Boulenger, Boettger 
III, p. 137); Amoy (Steindachner); Hainan (Boulenger p. 959); Formosa (Stejneger). 

Bufo raddii Strauch (Boettger p. 164). Tschifu (Lataste); Peking, zwischen Daba 
und Khalgan (Mehely); Tsingtau (Werner); Dschan-Magzei, zwischen Sza-tschou und 
Ju-nan-tschan, Pifun-tscha, Fluss Babo-cho (Nun-schan), Sinin, Provinz Kan-su, Tientsin, 
Che-Kiu (Unterlauf des Chuanche) (v. Bedriaga p. 49). 

Bufo vulgaris Laur. (Boettger p. 164). Peking (v. Moellendorff); Tschifu, Shanghai, 
Ningpo, Tschusan (Boulenger); Hui-hsien, Provinz Kan-su (Günther III, p. 207); Lun- 
ngan-fu, Provinz Sze-Tschuan (Günther ebenda); Shanghai (Boettger III, p. 145, IV, p. 189); 
Chapoo bei Ningpo (Boettger III, p. 149); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger p. 171); 
Tsingtau, Hankou, Shanghai (Werner); Provinz Kan-su, Dao-Tung, Provinz Tschili 
(v. Bedriaga p. 41); Ichang, Moh-si-Min, Provinz Sze-chuen (Boulenger, Tailless Batr., p. 348). 

Bufo mammatus Gthr. Gebirge und Plateau von Kham (Tung-so-lo) (Günther, Ann. 
Mus. Ac. St. Petersbourg 1896, p. 208). 


4. Hylidae. 
Hyla arborea (L.) v. Savignyi And. (Boettger p. 165). Hainan und Ichang (Boulenger). 
Hyla immaculata Bttgr. (Ber. Senckenbg. naturf. Ges. 1887/88, p. 189 und 1894, 
p. 140). Lühsan-Gebirge bei Kiu-Kiang und Shanghai (Boettger 1. e.). 
Hyla chinensis Gthr. (Boettger p. 166). W.-Sze-Tschuan (David); Formosa (Günther); 
Tschusan (Günther); Amoy (Steindachner); Lühsan-Gebirge bei Kiu-Kiang (Boettger III, 


p- 141); Dalanshan und Chinhai bei Ningpo (Boettger III, p. 149). Wahrscheinlich kommt 
auch noch Hyla stepheni Blngr. in China vor. 


5. Pelobatidae. 
Megalophrys feae Blngr. Khakien-Gebirge östlich von Bhamo, Grenze der Provinz 
Yünnan (Blngr.). 
Leptobrachium boettgeri Blngr. Lühsan-Gebirge bei Kiu-Kiang (Baettger, Ber, Sencken- 
bergische naturf. Ges. 1894, p. 141, als Z. monticola); Kuatun, Provinz Fokien (Boulenger, 
Proc. Zool. Soc. London 1899, p. 171, T. XIX, Fig. 3). 


Leptobrachium boulengeri Bedr. Dy-tschju, Oberlauf des Blauen Flusses (v. Bedriaga 
p. 63, T. I, Fig. 7—7 e). 


371 


6. Discoglossidae. 


Bombinator orientalis Blngr. (Boettger p. 166, als B. aff. igneus Laur.). Tschifu 
(Peters); Tsingtau (Werner). — Von Boulenger aus Korea beschrieben. 


B. Gradientia. 
Molge vulgaris (L.) (Boettger p. 167). China (Boulenger). 
Molge pyrrhogastra Boie. Berge bei Kiu-Kiang. 
Molge sinensis (Gray). Ostküste von China, landeinwärts von Ningpo (Gray); Provinz 
Tsche-Kiang (David); Festland bei Hongkong (Boettger). 
Tylototriton verrucosus Anders. Provinz Yünnan (Boulenger); Nanting-Hügel, West- 
Yünnan (Anderson). 


Salamandrella Keyserlingi Dyb. Ksernzo, Provinz, Sze-Tschuan (Bedriaga p. 8). 
Hymobius peropus Blngr. (Boettger p. 168). ? China oder Japan (Boulenger). 


Hynobius chinensis Gthr. Ichang, Ob. Yangtsekiang (Günther, Ann. Mag. Nat. Hist. 
(6), IV, 1899, p. 222). 

Pachytriton brevipes (Sauv.) (Boettger p. 168). Süden der Provinz Kiang-hsi (Sauvage). 

Batrachyperus sinensis (Sauv.) (Boettger p. 169). Muping, W.-Sze-Tschuan. (David); 
Sung-pan, Kuo-chu-chin, Kham-Berge (Günther III, p. 209). 

Megalobatrachus maximus Tsch. (Boettger p. 169). Muping, W.-Sze-Tschuan (David). 


Uebersicht der Verbreitung. 


Zahl der £. spezifisch 
Gattung Arten in, PA | orient. | chines. | Hainan |Formosa| J apan | Liu-Kiu 
China wen Arten 
Platysternum . | il == 1 _ — _ — _ 
Cyelemys !) 2 _ 2 2 — 7a — (F) 
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Ocadia . | 1 _ 1 er = 1 Le, Kr 
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Trionyx 2 E 2 = 1 1 _ 
Crocodilus . 1 _ 1 = — — — — 
Alligator 1 1 — 1 | — — er ur 
Hemidactylus. 4 _ 4 — 1 1 — — 
Gecko 4 — 4 2 — 1 1 1 
Draco 2 = 2 1 1! — — _ 
Acanthosaura . 3 = 3 1 1a! _ — 
Japalura 3 = 3 3 | En 2! — (N 


1) Cyelemys dhor und Nicoria spengleri sind als für China noch zweifelhaft hier nicht aufgenommen. 
2) Kursiv gedruckt sind die nur paläarktischen und nearktischen Gattungen; gesperrt die rein 
paläarktischen; mit Ausrufzeichen die auf Hainan, bezw. Formosa beschränkten Arten; (f) bei Japan und 
Formosa bedeutet, dass zwar die betreffende Gattung, aber keine chinesiche Art dort vorkommt. Ein 
Sternchen (*) vor dem Gattungsnamen bedeutet, dass die Gattung zwar paläarktisch ist, aber teilweise 

_ über die Grenzen des Gebietes hinausgeht. 


|| Zahl der spezifisch 
Gattung | Arten in orient. | chines. | Hainan |Formosa| Japan | Liu-Kiu 
China Arten 


Calotes . 

Liolepis . 

Varanus 

* Ophisaurus e 
*Tachydromus!) . 
Eremias . 

Mabuia . 

Lygosoma . 

* Tropidophorus 

Eumeces 

Typhlops Sa arg 
Python en Wr | 
Eryx ; ; 
Polaantentis : 
Tropidonotus?) 
Pseudoxenodon 
Opisthotropis . ER ER 
Napinophisg.- wen een 
Diichmopholispo een 
Rhabdops . 

Achalıinus . 

Iycodon 
Dinodon 
Zaocys 
Zamenis 
Coluber . 
Simotes . 
Ablabes . 
Calamaria . ee 
Hypsickınar re 
Homalopiis . 2... | 
Dipsadomorphus. . . . | 
Thamnodynastes . . . | 
Chrysopela . . 2... | 
Buanpamusp nn tr | 
Naja . 
Gallophis 
Amblycephalus 
* Ancistrodon ı 
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!) T. formosanus Blngr. (Ann. Mag. N.H. (6), XIV, 1894,.p.462) wurde in der Uebersicht der chinesischen 
Arten aus Versehen weggelassen. i 


2) Zaocys dhumnades Cant., Tamsui (Nord-Formosa) Mus. München. 
3) T. balteatus Cope von Hainan in der Uebersicht weggefallen (Proc. Ac. Philad. 1894, p.426, T. X, Fig. 9), 


| Zahl der } spezifisch | 
Gattung | Arten in Kulz orient. | chines. | Hainan |Formosa Japan | Liu-Kiu 
| China arkt. Arten 
| 
Rhacophorus . | 5 5 4 2 (1!) 1 (rn (r 
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Staurois | 1 | — 1 1 ı!|ı — _ — 
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Calophrynus | 1 — 1 _ — — = = 
Microhyla . | 3 = 3 — == 1 — 1 
Callula . | 1 _ 1 _ _ = _ _ 
Bin EN a 4 3 1 1 1 1 1 = 
Hyla. 143 3 | — 2 1 1 1 = 
Mesalophrys . il an 1 _ —_ _ — 
Leptobrachium 2 — P) 9% — — dh: ee 
Bombinator 1 1 E= = = _ = 
Maigem E21... | 3 3 = il —_ = 1 1 
Tylototriton 1 — 1 — > nr EH ) 
Salamandrella . . . | 1 1 = E — — _ = 
Hynobius REIT, 1 2 (1) — (2) 1 — = (f) —_ 
Beytribon sn | 1 1 _ ] = —_ _ _ 
Batrachyperus . . . | 1 2 = 1 = — e= == 
Megalobatrachus . 1 1 Ibn: = = = 1 — 
Il 
Verteilung der Arten auf die Provinzen von China.!) 
1. Petschili (Chihli, Tsche-li) H E . 14 Reptilien 4 Batrachier 
2. Schansi . ; , o . : N 1 R — R 
3. Schensi . 2 : h 9 5 i il N = ” 
4. Kansu 5 2 © 5 ; a $ 6 = b) E 
5. Schantung . e D : ) : 5 “ 4 e 
6. Kiangsu . 5 > e \ a e 13 Reptilien 7 Batrachier 
7. Honan . : : s > - . — 5 _ a 
8. Ngan hwei . R 0 s > & 1 # _ 2 
9. Hupe (Hu-bei) . 6 i : b 16 a 7 
r 10. Sze-tschwan (Sze-Chuen, Sze-Tschuan) . 16 a 12 F 
11. Tschekiang (Che-Kiang) . R n j 32 Reptilien 13 Batrachier 
12. Kiang-si . . © : h e . 28 a 8 “ 
j 13. Hunan . a e : g n : — ä — 3 
} 14. Kweitschou e A ; B ; a _ # —_ R 
15. Fokien . ö : i Ä : 0 al n 12 > 
16. Kwangtung (Guang-dung) h R & 54 Reptilien 14 Batrachier 
17. Kwangsi (Guang-hsi) : c 6 e 10 Fi 1 5 
18. Yünnan . a . ; { a e 12 nn 11 5 
1) Im vorhergehenden Verzeichnis der Fundorte ist Yang-dsy, Yangtse = Yang-tse-kiang, Chefoo, 
y Chifua = Tschifu, Chiu-Kiang —= Kiu-Kiang, Chusan = Tschusan, Hankow = Hankou, Swatow = Swatau, 


 Ichang = Itschang. 
Abh.d. II. Kl.d. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 48 


| Provinzen 


Art en 
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Damonia reevesi . . » .. - 1 1 1 il N 
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Ocadia sinensis. . 0... | 1 1 
Clemmys nigricans . 2.2... | | 1 1 
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Alligator sinensisn » . 22. 1 1 | 
Hemidactylus coctaei. . » - - | nt 
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Japalura yunnanensis . . . . ai 1 
Calotes versicolor .. . 2... .. zellen 
Liolepis bellii | 
Ophisaurus hart cr il 
Tachydromus meridionalis . . . 1 
m septentrionalis . | 1 1 al 1 
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Maäbnuta.siamensisie. | ı 1 
Lygosoma bowringü . { 
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R yunnanensis | | 
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Provinzen 


375 


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Tropidonotus nuchalis | 1 | 
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Opisthotropis andersoni . | | \ 1 
Tapinophis latouchii . I | l| 
Rhabdops bicolor . ı | | 1 
Trirhinopholis styani I | L|| 
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Lycodon fasciatus . | | | 1 
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Dinodon rufozonatus . | ı | u | | 
h septentrionalis . | | 1 L.|| 
Zaocys dhumnades | | erg | 
Zamenis korros . | | 1 1 | 1 
h mucosus . | | 1 | 1 
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Coluber porphyraceus | | | L| 1 
F mandarinus . | | | 1 L| 
4 rufodonatus . | 1 | 1 et | 
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H taeniurus . 1 | I al | 1 
i eonspicillatus | | 1 | 
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Provinzen 


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Homalopsis buccata . » » . . | 1 
Dipsadomorphus multimaculatus. | 1 
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Bungarus fasciatus . ». . 2. | | 1 

H eandids . .... | | d ll nl 
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Callophis macclellandi . . . . | | 1 1 
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377 


Provinzen 
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_ Tylototriton verrucosus.. . . .» 1 
 Salamandrella Keyserlingi. . . 1 
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Pachytriton brevipes. . . . . | 1 
Batrachyperus sinensis | 4 | 
-Megalobatrachus maximus.. . . | | | 1 | 
Summe ” ı | 111) 9.20 ı [2428| 45|36 | [as |68 |10| 23 
| 1. 


378 


Allgemeine Betrachtungen über die Reptilien- und Batrachierfauna 
von China. 


Wie aus vorstehender Tabelle ersichtlich, zählt China nach dem gegenwärtigen Stande 
unserer Kenntnisse 6 Gattungen von Schildkröten mit 11 Arten, 2 Gattungen von Krokodilen 
mit ebensovielen Arten, 15 Gattungen von Eidechsen mit 42 Arten, 30 Gattungen von Schlangen 
mit 81 Arten, ferner von Batrachiern 14 Gattungen von schwanzlosen mit 47 Arten und 
7 Gattungen von geschwänzten mit 9 oder 10 Arten; also zusammen 53 Gattungen und 
136 Arten von Reptilien, sowie 21 Gattungen und 56 Arten von Batrachiern. 

Es ist mir ebensowenig wie einem anderen Bearbeiter gelungen, die Grenzlinie zwischen 
der paläarktischen und indo-orientalischen Reptilien- und Batrachierfauna innerhalb Chinas 
auch nur einigermassen feststellen zu können und zwar aus einem sehr einfachen Grunde, 
weil nämlich eine solche überhaupt nicht existiert, sondern eine innige Durchdringung beider 
Faunengebiete zu erkennen ist. Echt paläarktische Gattungen dringen bis in den äussersten 
Süden, tropische bis zum äusserten Norden vor. Als echt oder wesentlich paläarktische 
Gattungen wären nur Olemmys, Alligator, Ophisaurus, (Tachydromus), Eremias, Eumeces, 
Eryx, (Aneistrodon), Bombinator, Molge, Salamandrella, Hynobius, Pachytriton, Batrachy- 
perus und Megalobatrachus zu erwähnen, von denen Alligator, Ophisaurus, Eremias, Eryzx, 
Bombinator, Salamandrella, Pachytriton und Batrachyperus nicht in Japan vertreten sind. 

Die 5 nördlichsten Provinzen werden von folgenden Arten bewohnt: Damonia reevesii, 
Trionyx sinensis, Gecko japonicus, swinhoeti, Tachydromus septentrionalis, Eremias (alle 
4 Arten Chinas), Lygosoma laterale, Eryx jaculus, Tropidonotus tigrinus, Dinodon rufo- 
zonatus, Zamenis spinalis, Coluber rufodorsatus, dione, taeniurus, Ablabes major, Ancistrodon 
blomhoffi, Rana esculenta, japonica, Bufo raddii und vulgaris, Leptobrachium boulengeri, 
Bombinator orientalis, von denen Damonia, Gecko, Dinodon, Coluber taeniurus, Ablabes 
und Leptobrachium sicher keine paläarktischen Formen sind, und dasselbe gilt jetzt auch 
für die noch in der Trias in der paläarktischen Region reich entwickelte, jetzt aber hier 
fast ausgestorbene Gattung Trionyx, ‚die in der Folgezeit ihr Verbreitungsgebiet in der 
alten Welt nach den Tropen verschob. Trotzdem also Trionyx einst auch paläarktisch war, 
können wir dies für die Gegenwart nicht annehmen; dagegen spricht schon die relativ 
grosse Wärmebedürftigkeit auch der nördlichsten Formen beider Hemisphären. Auch Lygosoma 
und Tropidonotus tigrinus besitzen noch indische Verwandtschaft, während andererseits 
Olemmys, Alligator, Ophisaurus, Eumeces und alle Molche fehlen. Dagegen finden sich 
gerade in den 3 südlichsten Provinzen Molge und in Hainan die beiden ersteren Gattungen 
Olemmys und Eumeces sowie die echt paläarktischen Ayla arborea und Zamenis spinalis 
(Hainan) und Tropidonotus vibakari (Formosa). Die Hauptmasse der chinesischen Reptilien 
ist aber zweifellos tropischer, indo-orientalischer Provenienz. Von den Schildkröten stehen 
3 paläarktische 8 indo-orientalischen Arten entgegen; unter den Eidechsen kommen auf 
14 paläarktische 28 indo-orientalische, von den Schlangen gar nur 11 paläarktische auf 
70 indo-orientalische Arten. Unter den Batrachiern sind 14 paläarktische Frösche und 8 oder 
9 Schwanzlurche; dagegen 33 indo-orientalische Froschlurche und 1 Schwanzlurch. Nur in 
den Caudaten überwiegt also der paläarktische Einfluss bedeutend und ist bei den Krokodilen 
dem indischen gleich; sonst aber prädominiert die indo-orientalische Fauna ganz mächtig. 
In vielen Fällen ist es freilich schwer, anzugeben, ob eine spezifisch chinesische Art palä- 


379 


arktisch oder indisch ıst; doch lässt sich dies nach der näheren Verwandtschaft immerhin 
mit grosser Wahrscheinlichkeit erkennen. 

Als zum mindesten nördlich eircumpolare Gattungen (die ausnahmslos auch China 
bewohnen, aber teilweise in Europa jetzt fehlen), sind zu nennen: Olemmys, Trionyx, 
(Alligator), Ophisaurus, (Eusmeces), Coluber, Ancistrodon, Rana, Bufo, Hyla; nähere Be- 
ziehungen zu einer amerikanischen Form (Oryptobranchus) hat auch Megalobatrachus. Von 
allen chinesischen Gattungen, die in der nearktischen Region vertreten sind, fehlen nur 
Alligator, Lygosoma und Ophisaurus in Japan. 

Ich muss nur noch erklären, warum ich gewisse chinesische Arten der paläarktischen 
Region zurechne. Die drei Olemmys-Arten, die in China vorkommen, sind charakteristische 
Formen Chinas und nur eine (C©. beali) tritt noch nach Annam über. Da aber ausserhalb 
der paläarktischen und nearktischen Region sonst absolut keine Olemmys-Art vorkomnt, 
so ist es wohl berechtigt, auch diese Arten der paläarktischen Fauna zuzurechnen; dasselbe 
gilt auch für die Gattung Alligator, Ophisaurus und Eumeces. Tachydromus ist als Gattung 
der rein paläarktisch-äthiopischen Familie der Lacertiden als paläarktisch anzusehen und der 
malayische 7. sexlineatus Daud. ein extremer südlicher Ausläufer, die einzige wirklich tropisch 
indo-orientalische Lacertide überhaupt. Die Gattung Coluber ist wohl im allgemeinen eine 
nördlich circumpolare Gattung und auch hier sind die indo-orientalischen Formen als süd- 
liche Ausläufer zu betrachten; wenn ich fünf Arten als indische betrachtet habe, so hat dies 
seinen Grund darin, dass dieselben erst nach ihrer Differenzierung neu nach China vor- 
gedrungen sind und ihr Hauptverbreitungszentrum im malayischen Archipel haben. Dasselbe 
gilt auch von Ancistrodon, von welcher Gattung eine Art — entsprechend Tachydromus von 
den Eidechsen — sich im Sundarchipel vorfindet (A. rhodostoma auf Java) und eine — wieder 
einem Tachydromus entsprechend — im Himalaya zu Hause ist (A. himalayanus). 

Von den Batrachiern sind unter den vier chinesischen Bufo-Arten zwei paläarktisch, 
eine sicher indisch, eine spezifisch chinesisch; die Hyla-Arten sind alle aus der Verwandt- 
schaft der paläarktischen H. arborea. Bei allen anderen Gattungen ist eine Erklärung nicht 
notwendig, da sie sich von selbst ergibt; höchstens das möchte ich noch besonders bemerken, 
dass ich die Arten der esculenta-temporaria-Gruppe von Rana zur paläarktischen Fauna 
gerechnet habe, also esculenta, temporaria, japonica, amurensis, martensi und longierus. 

Charakteristisch für China sind 6 Schildkröten, 1 Krokodil, 16 Eidechsen, 30 Schlangen, 
also 54 Reptilien; ferner 30 Frösche und 4 oder 5 Molche, also 34—35 Batrachier; auf 
Formosa beschränkt erscheinen von 34 Reptilien 4 und von 7 Batrachiern 1 Arten; auf 
Hainan von 33 Reptilien 4 und von 12 Batrachiern 3 Arten. Schwanzlurche fehlen auf 
beiden Inseln. 

Da China nicht von hohen Gebirgszügen durchschnitten ist, welche eine Vermischung 
der Arten des Südens und Nordens verhindern würden, so habe ich versucht, zu ermitteln, 

ob vielleicht die grösseren Flüsse, welche von West nach Ost fliessen (Hoang-ho, Yang- 
 tse-kiang, Si-Kiang), eine Trennung des Gebietes in vier Zonen (I. nördlich vom Hoang-ho, 
II. zwischen Hoang-ho und Yang-tse, III. zwischen Yang-tse und Si-Kiang (inkl. Formosa) 
und IV. südlich von Si-Kiang (inkl. Hainan)) gestatten. Bei Ausserachtlassung der dicht am 
Yangtse liegenden Fundorte Ichang, Hankou und Kiu-Kiang ergeben sich für die Zone I 
14 Reptilien und 4 Batrachier, für II 20 Reptilien und 15 Batrachier, für III 96 Reptilien 
und 39 Batrachier und für IV 32 Reptilien und 12 Batrachier (fast ausschliesslich auf 


380 


Hainan entfallend, da sonst aus dieser Zone fast nichts bekannt ist). Der Zone I und II 
ist je ein Reptil und Batrachier, Zone II und III 5 Reptilien und 2 Batrachier, Zone III 
und IV 20 Reptilien und 8 Batrachier gemeinsam. Ueber 3 Zonen sind verbreitet: Trionyx 
sinensis, Gecko japonicus, Lygosoma laterale (I—III), Dinodon rufozonatus, Zamenis spinalis, 
Coluber rufodorsatus (I, ILL, IV), Coluber dione (1, I, IV); über alle 4 Zonen: Tropidonotus 
tigrinus und Aneistrodon blomhoffi; von Batrachiern sind nur Rana esculenta und japonica 
sowie Bufo vulgaris über 3 (I—III) Zonen verbreitet, ebenso R. limnocharis (I—IV). Ein 
irgendwie bemerkenswerter Einfluss der chinesischen Ströme auf die Verteilung der Kriechtiere 
und Lurche lässt sich also ebenfalls nicht erkennen und dürften hiefür demnach grossenteils 
klimatische Verhältnisse in Frage kommen, deren Veränderung gewisse Arten eben leichter 
trotzen können als andere. — Von der japanischen Fauna fehlt Olemmys japonica, Eumeces 
marginatus, Tachydromus tachydromoides und holsti, Dinodon und Oallophis japonicus und 
Ooluber. Schrenki in China; ebenso viele Arten von Reptilien sind gemeinsam. Von Batrachiern 
Japans fehlt Bufo formosus, Rana rugosa, Rhacophorus buergeri und schlegelü, ferner 
Hynobius naevius und nebulosus und lichenatus sowie Onychodactylus in China, während 
5 Rana-Arten, 1 Bufo, 1 Hyla gemeinsam sind. Die Liu-Kiu-Inseln haben trotz der Nähe 
von Formosa nur mehr geringe Beziehungen zu China, da von den Reptilien nur 16°/o, 
von den Batrachiern nur 36°/o der Liu-Kiu-Fauna in China vorkommen. 


381 


Amar &; 


l. Bemerkungen über einige seltenere Reptilien und Batrachier der zoologischen 
Staatssammlung in München. . 


Während eines sechstägigen Aufenthaltes in München, den ich vorwiegend zum Studium 
der Guatemala-Reptilien der zoologischen Staatssammlung benützte, fand ich unter dem 
undeterminierten Material derselben einige andere interessante Arten, welche hier kurz be- 
sprochen werden mögen: 


1. Python spilotes Lac. 


Eine Haut von ganz ungewöhnlicher Grösse (290 cm lang) befindet sich (ohne Fund- 
ortsangabe) in der Sammlung. Dieselbe zeigt in der Zeichnung einen Uebergangscharakter ' 
zwischen spilotes typ. und var. variegata und lässt zwei seitliche helle Längsbänder erkennen, 
zwischen welchen sich eine Längsreihe von Ziffern ähnlichen, ebenfalls hellen Schnörkeln 
über die ganze Rückenlänge hinzieht. Die hellen Stellen sind die Reste der bei variegata 
sonst noch mehr Ausdehnung besitzenden, bei spilotes typ. (welche eigentlich die Varietät 
ist) noch weiter reduzierten Grundfärbung. 


2. Contia collaris Men. var. macrospilota n. 


Ein von Herrn Korb in Russisch-Armenien gefangenes Exemplar dieser Art (@ Sq. 15, 
V.170, A. 1/1, Se. 52/52 + 1) lässt auf dem Rücken eine Längsreihe grosser, braunschwarzer 
mehr weniger in die Länge gezogener Flecken erkennen. Es sind etwa 25 solcher Flecken 
vorhanden, deren letzte schon ziemlich undeutlich sind, während der hinterste Teil des Körpers 
überhaupt, wie normalerweise, einfarbig ist. — Eine ähnliche, aber nur vorn gefleckte Varietät 
ist Boettgers var. semimaculata, die nur aus Chios bekannt ist. 


3. Prosymna sundevalli Smith var. bivittata n. 


Von der in den Verh. zool.-bot. Ges, Wien XL, 1902, p. 339 beschriebenen Form 
dieser Schlange habe ich nun ein zweites Exemplar aus Deutsch-Südwestafrika (leg. Leutnant 
Kuhn, 1902) gesehen, welches in der Färbung vollkommen mit dem dort beschriebenen 
Exemplare übereinstimmt und daher wohl als eine ständige Lokalform anzusehen ist, die 
einen eigenen Namen verdient. Schuppenformel des Exemplares: V. 159, A. 1, Sc. 26/26 + 1. 


4. Psammophis trinasalis Wern. 


Ein weiteres reiches Material dieser Form, die ich in den Verh. zool.-bot. Ges., Wien 1902, 

p. 340 als Subspezies zu P. sibilans L. gestellt habe, überzeugt mich von der absoluten 

Konstanz derselben, welche demnach Artrang verdient. Die Zahl und Stellung der Nasalia, 
Abh.d. IIKl.d.K. Ak.d. Wiss. XXIl. Bd. II. Abt. 49 


382 


sowie die vollständig an Psammophis schokari Forsk. erinnernde Kopfform und Zeichnung 
lassen diese Art leicht erkennen. Sie scheint für Deutsch-Südwestafrika charakteristisch 


zu sein. : 
5. Naja anchietae Boc. 


Von dieser seltenen Schlange besitzt die Sammlung ein zwar teilweise nicht gut 
erhaltenes, aber immerhin sicher bestimmbares Exemplar. Es unterscheidet sich von der 
Beschreibung von Barboza du Bocage durch das besonders stark entwickelte Rostrale, 
welches sich noch etwas zwischen die Präfrontalen einkeilt und dessen von oben sichtbarer 
Teil so lang ist wie sein Abstand von der Mitte des Frontale. Das Exemplar entspricht 
also etwa der var. fitzingeri der Coronella austriaca im Verhältnis zur typischen Form. 
Der Augendurchmesser ist 21/a mal in der Schnauzenlänge enthalten. Die Internasalia sind 
ebenso lang wie die Präfrontalia. Frontale 1!/a mal so lang wie breit, seine Länge 2/3 seines 


Fig. 2. 


Fig. 1. 


Fig. 3. 


Fig. 1—3. Kopf von Naja anchietae Boc. 


Abstandes von der Schnauzenspitze, etwas mehr als die halbe Länge der Parietalia; 1 Prä- 
oculare, 2 Postocularia, 3—5 Subocularia, 2 + 3 Temporalia (auf beiden Seiten aber sehr 
verschieden angeordnet), 7 Supralabialia, Sq. 17, V. 191, A.1, Sc. 57/57 +1. Das Exemplar, 
welches aus Deutsch-Südwestafrika stammt und von Herrn Leutnant Kuhn gesammelt 
wurde, ist ein @ und 1350 mm lang, wovon 235 mm auf den Schwanz entfallen. Es ist 
braun, ohne bemerkbare Zeichnung. -— Im Anschlusse möge die Bemerkung gestattet sein, 
dass die von mir seinerzeit ebenfalls aus Deutsch-Südwestafrika erwähnte Aspidelaps scutatus 
in Bezug auf die Gestalt des Rostrale genau eine nordamerikanische Natterngruppe wieder- 
holt, welche von den amerikanischen Autoren als besondere Gattung „Phyllorhynchus“ von 
den altweltlichen Lytorhynchus-Arten abgetrennt wird. Aspidelaps lubricus entspricht in der 
Form des Rostrale den letzteren. 


6. Elaps dumerilii Jan. 


Zwei Exemplare der Sammlung aus Columbien (leg. Dr. Essendorfer), ein & von 
530 mm Totallänge (Schwanz 84 mm) in gutem Zustand und ein ziemlich stark eingetrocknetes 


0) 
& 
z 


385 


junges Exemplar geben mir Anlass zu einigen Bemerkungen über diese sehr seltene Art der 
an interessanten Elaps-Arten reichen Münchener Sammlung. Schuppenformel des &: V. 194, 
Se. 49/49 + 1; des jungen Exemplares: V. 190, Se. 50/50 +1. Das besitzt ausser dem 
oeeipitalen Vollring noch 13 Triaden schwarzer Ringe des Rumpfes, der mittlere viel breiter 
als die beiden anderen. Auf dem Schwanze befinden sich 7 schmale zwischen 8 breiten 
schwarzen Ringen, die alle nur durch weisse (ehemals wohl gelbe) Färbung getrennt sind. 
Auf der Unterseite bemerkt man die breiten Mittelringe der Triaden deutlich, die seitlichen 
nur spurweise, in der Mitte zwischen den 6 ersten Triaden und zwischen der ersten und dem 
oeeipitalen Vollring aber noch je einen grossen schwarzen Flecken, der wie ein Rest eines — 
auf dem Rücken verschwundenen — schwarzen Ringes aussieht. Diese Zwischenflecken werden 
nach hinten immer kleiner und verschwinden, wie erwähnt, hinter der 6. Triade völlig. 
Das junge Exemplar hat ausser dem Oceipitalring noch 16 Ringe, an deren jeden sich zwar 
jederseits ein heller Ring anschliesst, der aber von der roten Grundfarbe nicht durch einen 
deutlichen schwarzen Ring geschieden ist. Der Schwanz besitzt nur 10 einfache schwarze 
Ringe. Zwischenflecken der Bauchseite wie bei dem grossen Exemplar. 


7. Rana japonica var. ornativentris n. 


Ein auffallend grosses Exemplar (2), 75 mm lang, von Herrn Dr. Haberer bei Nikko 
auf Nippon gesammelt, zeichnet sich durch grosse, durikle, deutlich konturierte Flecken von 
verschiedener, meist rundlicher Form auf der Unterseite aus, was von der normalen Form 
so abweicht, dass ich stutzig wurde und das Exemplar zur Untersuchung an Herrn Boulenger 
einsandte, welcher in liebenswürdigster Weise die Prüfung vornahm und die Zugehörigkeit 
zur obigen Art feststellte. 


8. Breviceps mossambicus var. occidentalis n. 


Dieser Breviceps ist wohl das erste von Deutsch-Südwestafrika bekannte Exemplar 
und ist von Herrn Leutnant Kuhn gesammelt worden. Von der östlichen Form unter- 
scheidet es sich durch die gelbe Schnauze, die hell- und dunkelgrau marmorierte Oberseite 
und die mit kleinen braunen Flecken (welche eine fleckenlose Mittelzone frei lassen) ver- 
sehene Kehle. Eine helle Rückenmittellinie und ein dunkler, schiefer Subocularfleck ist 
vorhanden. Bauch weiss, Gliedmassen mehr gelblich. Haut dicht porös und an den Seiten 
mit vereinzelten kleinen weissen Warzen. — Da die bekannten Breviceps-Arten sich ohnehin 
nur sehr wenig voneinander unterscheiden, so erachte ich die angegebenen Merkmale als 
zur Abtrennung dieser Varietät genügend. 


Il. Neue Schlangen aus Argentinien. 


In einer grossen Schlangensendung aus Rosario in Argentinien, die die zoologische 
Staatssammlung in München Herrn Dr. König verdankt und die ich zur Bestimmung erhielt, 
befinden sich auch nebst einigen Seltenheiten (Pseudablabes agassizüi Jan, ein 5 mit 
129 Ventralen und 61 Subcaudalschilderpaaren, Temporalia 1+ 2, ferner Oxyrhopus oceipito- 
luteus DB., ebenfalls ein ö, mit 205 Ventralen und 64 Subcaudalenpaaren, oben braun ohne 
jede Zeichnung, unten einfarbig gelblichweiss [Totallänge 915 mm, Schwanzlänge 180 mm]) 
auch zwei sehr interessante Neuheiten, wovon eine sogar Anspruch hat, als Repräsentantin 


384 


einer neuen Gattung betrachtet zu werden. Ich nenne diese Gattung, welche (wenn wir 
von dem sonderbaren Schnauzenanhang absehen, der an den von Vipera ammodyltes erinnert), 
mit dem opisthoglyphen Ithycyphus einige Aehnlichkeit hat: 


Rhinodryas n. g. 


Charakter: Oberkieferzähne (14 an der Zahl) gleich lang, durchwegs solid, ebenso die 
Unterkieferzähne; Palatin- und Pterygoidzähne vorhanden. Auge mässig gross, Pupille rund. 
Schuppen glatt, mit Apicalporen, in 23 geraden Längsreihen. Kopf ziemlich deutlich vom 
Halse abgesetzt, Schnauze in einen kurzen, beschuppten Anhang auslaufend, der schief nach 
vorn und aufwärts gerichtet ist. Präfrontale mit Supralabialen in Kontakt, kein Frenale. 
Rumpf lang gestreckt, ohne Bauchkante; Schwanz lang, mit zweireihigen Subcaudalen. 


Rhinodryas Königi n. sp. 


Schnauzenanhang vorn vom Rostrale, welches doppelt so hoch als an der Basis breit 
ist, seitlich und oben von je zwei Schuppen bedeckt. Internasalia etwas mehr als halb 
so lang wie Präfrontalia. Frontale fast doppelt so lang wie breit, ebenso lang wie sein 
Abstand vom Vorderrand der Internasalia 
und ebenso lang wie die Parietalia. Augen- 
durchmesser gleich einem Drittel der Ent- 
fernung vom Vorderrand des Auges zur 
Basis des Rostrale. Ein Präoculare, vom 
Frontale getrennt; 2 Postoeularia, Tem- 
poralia 2-+2 oder 3. Oberlippenschilder 8, 
das 4. und 5. am Auge, Sublabialia 4 Fig. 4. Kopf von Rhinodryas Königi n. g. n. sp. 
oder 6 in Kontakt mit den vorderen Kinn- 
schildern, die ewas kürzer sind als die hinteren. Ventralia 221, Anale ungeteilt, Subeaudalia 
130 Paare. Oberseite graugrün, mit einer undeutlichen braunen Mittellinie. Oberlippe und 
Kehle grünlich gelb, Bauch- und Schwanzunterseite schmutzig grün. Die hinteren Oberlippen- 
schilder sind von der graugrünen Schläfenfärbung durch einen dunkelbraunen Streifen 
getrennt. Das einzige Exemplar, ein ö, ist 1!/a m lang, wovon 44 cm auf den Schwanz 
entfallen. Der Kopf ist 3!/a cm lang, dazu kommen noch 5 mm für den Schnauzenanhang. 


Leptophis argentinus n. Sp. 


Diese schöne Schlange ist nahe verwandt dem L. nigromarginatus Gthr., von der sie 
sich aber durch den Besitz von 2 Präocularen, durch den sehr deutlichen Kiel der medianen 
Schuppenreihe, der kaum schwächer ist als der der seitlichen Reihen, und schliesslich durch 
die Temporalenzahl 1-+1 leicht unterscheidet. Das einzige vorliegende, gut erhaltene 
Exemplar ist 1 m lang, wovon 35 cm auf den nicht ganz vollständigen Schwanz entfallen. 
Ventralia 156, Subcaudalia 108/108+.... Von den 8 Supralabialen ist das 7. und 8. 
jederseits vollständig verschmolzen, was aber jedenfalls nur individuelle -Variation ist. Sub- 
labialia 5 im Kontakt mit den vorderen Kinnschildern. Färbung ganz wie bei L. nigro- 
marginatus. 


"Werner, Reptilien von Guatemala und China. 


Loren \üller-Mainz. 


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Sımon Marius aus Gunzenhausen 


und 


Galileo Galilei. 


Ein Versuch zur Entscheidung der Frage über den wahren Entdecker 


der Jupitertrabanten und ihrer Perioden 


Josef Klug 


K. Gymnasialprofessor am K. Realgymnasium in Nürnberg. 


Abh.d.II.Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 50 


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1.+RPeil: 


Über die Entstehung der Streitfrage und deren Beurteilung 
im Laufe der Jahrhunderte. 


1. Die Entdeckung der Jupitertrabanten durch Galilei, 


Galilei, der Begründer der wissenschaftlichen und experimentellen Mechanik, der Vor- 
kämpfer gegen rückständige, Aristotelische Naturanschauungen, war vom Geschick auch 
ausersehen, gegen eine unhaltbare Weltanschauung den entscheidenden Schlag zu führen. 

 Copernieus hatte 1543 sein Werk: De revolutionibus orbium coelestium veröffentlicht; 
doch nur wenige hervorragende Geister konnten dem neuen Gedanken folgen und sich 
losmachen von einer durch hohes Alter geheiligten Theorie. Ja man war von einer 
Annahme der Copernicanischen Ideen noch so weit entfernt, dass Tycho Brahe noch an 
der Wende des 16. Jahrhunderts ein neues Weltsystem aufstellen konnte, das infolge der 
Berühmtheit des Autors rasch Anhänger fand. 

Nun trat ein Ereignis ein, das die Entscheidung bringen sollte: Wenige Jahre nach 
dem Tode Brahes (1601) wurde in den Niederlanden das erste Fernrohr hergestellt (1608). 
Die Kunde hievon und bald auch eine Reihe von Fernrohren kam 1609 nach Italien; 
auch Galilei, der damals Professor in Padua war, hörte davon Ende Juni 1609 und erhielt 
wohl auch eine ungefähre Beschreibung des Instrumentes. Er machte sich sofort daran, 
ein solches zu verfertigen und schon im August 1609 hatte er ein Fernrohr konstruiert, 
welches den Ruf jenes von Flandern bald weit übertraf. Mit demselben reiste Galilei auf 
den Wunsch der Signoria nach Venedig (23. August) und zeigte es auf dem Campanile 
„dem ganzen Senat unter unendlichem Erstaunen aller“; selbst die ältesten Senatoren 
scheuten sich nicht, den hohen Turm zu besteigen, um mit dem Fernrohr die Schiffe zu 
beobachten, die man mit freiem Auge noch lange nicht sah. Der Nutzen des neuen 
Instrumentes für Land- und Seefahrt war augenfällig und als Galilei das Fernrohr dem 
Dogen schenkte, wurde dies Geschenk von der Republik so hoch angeschlagen, dass man 
Galileis Stellung in Padua zu einer lebenslänglichen machte und mit einem jährlichen 
Stipendium von 1000 Gulden ausstattete.. (Näheres hierüber siehe bei Favaro: Intorno 
al cannocchiali.) 

50* 


38 


le 0) 


Galilei verbesserte sein Instrument und richtete es dann (anfangs Januar 1610) auf 
die Sternenwelt. Schon im März 1610 erschien sein Sidereus Nuntius im Druck und durch 
dieses Werk erfuhr die überraschte Mitwelt zuerst von den wunderbaren Entdeckungen, 
die Galilei am Himmel gemacht hatte. 

Das nächstliegende Feld der Beobachtung mit dem Fernrohr bot der Mond. Galilei 
konnte auf der Oberfläche desselben die Existenz von Bergen und Thälern etc. konstatieren 
und er berechnete sogar die Höhe eines Berges zu vier italischen Meilen (ca. 6000 m). Er 
richtete das Instrument auch auf den Fixsternhimmel und erkannte, dass, während die 
Planeten als runde Kügelehen wie kleine Monde sich darstellten, die Fixsterne in keiner 
Weise durch kreisförmige Peripherie umgrenzt erschienen, und durch das Fernrohr nur 
heller und grösser sich zeigten. Ausserdem fand er eine Menge neuer Fixsterne, so z. B. 
im Gürtel und Schwert des Orion allein deren 50, in den Plejaden 36. Die Milchstrasse 
konnte er als eine Gruppierung unzähliger Sterne definieren. Er wollte auch die Nebel 
als Sternhaufen aufgefasst wissen, da er im Örionnebel 21 und im Nebel der Praesepe 
mehr als 40 Sternchen unterscheiden konnte. 

Zufällig stiess Galilei am 7. Januar 1610 bei seinen Himmelsbeobachtungen auf den 
Jupiter und erkannte mit seinem ausgezeichneten Instrument, dass demselben drei winzige, 
doch sehr helle Sternchen benachbart waren. Zuerst hielt er sie für Fixsterne, da sie 
jedoch mit Jupiter in einer geraden, der Ekliptik parallelen Linie lagen und glänzender 
waren als die übrigen Sterne von gleicher Grösse, wurde seine Aufmerksamkeit geweckt. 
Als er nun am 8. Januar zufällig die Beobachtung derselben wieder aufnahm, fand er die 
gegenseitige Lage ganz verändert und zögernd begann er zu überlegen, wie es denn 
möglich sei, dass Jupiter, der gestern westlich von zweien der Sternchen gestanden hatte, 
jetzt gegen alle drei eine östliche Lage einnehmen könne. Galilei fürchtete zunächst, 
Jupiter habe sich vielleicht von der vorausberechneten astronomischen Bahn entfernt und 
durch eine Eigenbewegung jene Sternchen überholt. Mit Sehnsucht erwartete er die 
nächste Nacht; leider verhinderten Wolken die Beobachtung. Am 10. Januar sah 
Galilei nur zwei Sternchen und beide östlich von Jupiter; der dritte war nach Galileis 
Vermutung vom Jupiter verdeckt. Nun erkannte er auch, dass die Lagenveränderungen 
nicht von Jupiter sondern von den Sternchen herrührten. Am 11. Januar erblickte er 
wiederum zwei Sternchen in derselben Richtung, aber von Jupiter weiter entfernt. Jetzt 
stand es bei Galilei fest, dass es am Himmel drei Wandelsterne gebe, die um den 
Jupiter kreisten, wie Merkur und Venus um die Sonne. 

Von nun an beobachtete er planmässig und setzte den Beobachtungen, besonders wenn 
er mehrere in derselben Nacht anstellte, die Zeiten bei. Er fand, dass die Revolutions- 
bewegungen so schnell seien, dass schon nach Stunden meistens eine merkliche Verschiebung 
wahrnehmbar sei. Am 13. Januar endlich sah er zum erstenmale vier solche Sternchen. 

Galilei setzte diese Beobachtungen bis 2. März 1610 fort, verglich auch die Stellungen 
mit benachbarten Fixsternen, beobachtete die Änderungen in der Breite und die der Ent- 
fernungen vom Jupiter nach Minuten und Sekunden. .Das Resultat dieser ersten Entdeckungen 
mit dem Fernrohre legte er in der epochemachenden Schrift „Sidereus Nuntius“ nieder, 
deren Widmung mit 4. Idus Martii 1610, während die Druckerlaubnis vom 1. März 1610 
datiert ist (Galilei opere, ed. Favaro, Bd. III). Die neu entdeckten Sterne nannte er dem 
Cosimo II. und dem Medicäischen Fürstengeschlechte zu Ehren „Medicea Sidera“. 


| 3 


389 


Es ist begreiflich, dass diese Entdeckung der Jupitermonde in der wissenschaftlichen 
Welt ungeheures Aufsehen erregte; bald erhob sich auch der Kampf für und wider Galilei 
— am heftigsten aber in Italien, wo die Aristotelische Schule im schlimmen Bunde mit 
Neid, Bosheit und Kurzsichtigkeit einen letzten, unrühmlichen Kampf kämpfte gegen 
Galilei und die neu- erwachte Wissenschaft. Die meisten oder fast alle Gelehrtenschulen 
der damaligen Zeit standen unter dem bannenden Einfluss der alten Griechen und suchten 
in ihrer rettungslosen Unselbständigkeit ihr Heil einzig und allein in der Interpretation 
der griechischen Philosophen und Mathematiker, besonders des Aristoteles. Der wahre 
Geist der Forschung war ganz abhanden gekommen und man begnügte sich in blindem 
Autoritätsglauben auch in naturwissenschaftlichen Dingen mit den Spekulationen des 
Aristoteles, dessen Überlieferungen als die höchste Leistung angestaunt und als Dogma verehrt 
wurden, über welches der menschliche Geist nicht hinauskommen könne. Die Theorien 
eines Aristoteles und Ptolemaeus galten als heiliges Vermächtnis, an das nicht gerührt 
werden dürfe. — So war es denn natürlich, dass die Entdeckung Galileis wie ein Blitz in 
das alte, hölzerne Gebäude der Peripatetiker zerstörend einschlug, es war natürlich, dass 
die Vertreter der alten Schule mit allen Mitteln zu retten suchten, was zu retten war: 
„Wie könnten so viele Fixsterne mehr existieren als Ptolemaeus und Tycho Brahe gezählt 
hatten? Wie könnte das Himmelsgewölbe, ein so starres, unveränderliches Gebilde, Körper 
in sich fassen, die eine so rasche Ortsänderung zeigten, wie verträge sich dies mit der 
Ptolemaeischen Sphärentheorie?* 

Wohl rief Galilei alle Verehrer der wahren Philosophie zusammen, um ihnen die 
Wahrheit seiner Entdeckung ad oculos demonstrieren zu können, — wohl reiste er mit 
seinem Fernrohre nach Bologna, um den Gelehrten die vier Jupitermonde zu zeigen, aber 
ohne Erfolg. Die vier „Lichtpunkte“* wollte man entweder nicht gesehen haben, oder, 
wenn man sie sah, erklärte man sie für ein trügerisches Spiel der Glaslinsen, für optische 
Täuschung. 

So hatte denn Galilei zunächst in Italien einen schweren Kampf zu bestehen gegen 
Missgunst und Borniertheit. Zeugnisse dieses traurigen Kampfes sind eine Anzahl von 
Streitschriften, die in kurzer Zeit gegen und für Galilei veröffentlicht wurden. 

Der erste und stärkste Verteidiger Galileis war Johann Kepler, der soeben sein 
epochemachendes Werk über den Mars veröffentlicht hatte. Kepler empfing die erste Nach- 
richt von der Entdeckung der Jupitermonde schon anfangs März 1610 durch den kaiser- 
lichen Rat Joh. Math. Wackher von Wackhenfels, mit dem er vielfach über das Welt- 
system diskutierte. Kepler war über diese Mitteilung sehr erregt und sein Staunen wuchs, 
als Wackher ihm versicherte, dass sehr gelehrte und charaktervolle Männer bereits über 
die Entdeckung Galileis schrieben und dass sogar schon ein Buch darüber erschienen sei, 
das mit der nächsten Post ankommen werde. Das erste Exemplar dieses Buches, des 
- Nuntius Sidereus, kam an den Kaiser Rudolph, den Freund der Astronomie; der Kaiser 
überliess Kepler dasselbe zum Durchlesen und forderte zugleich von ihm ein Gutachten 
über die Entdeckungen Galileis. Während Kepler damit beschäftigt war, gelangte ein 
Brief Galileis an Julian Mediei, den Gesandten des Grossherzogtums Toskana am kaiserlichen 
Hofe. Dieser Brief enthielt ein Exemplar des Nuntius Sidereus und zugleich die Bitte an 
Kepler, derselbe möge sich über die neue Entdeckung äussern. Kepler erhielt anfangs 
April auch dieses Exemplar der Galileischen Schrift und bei einer Zusammenkunft mit 


390 


Julian Mediei versprach er dem Galilei briefliche Antwort bis zur nächsten Post. Da nun 
Kepler von J. Mediei um eine Abschrift dieses Briefes angegangen wurde, ferner an Kaiser 
Rudolph einen Bericht über die Sache abzufassen hatte und mehrere Gelehrte und Bekannte 
von ihm Auskunft und sein Urteil über die Entdeckung Galileis verlangten, so entschloss 
sich Kepler seinen Brief an Galilei drucken zu lassen. Dieser Brief, der schon am 19. April 
vollendet war, erschien dann im Druck unter dem Titel: „Dissertatio cum nuntio sidereo 
nuper ad mortales misso a Galilaeo Galilaeo mathematico Patavino“ zu Prag im Mai 1610 
mit einer Widmung an J. Medici. 

Es war für Kepler nicht leicht über eine Sache zu schreiben, von deren Wahrheit 
er sich nicht mit den eigenen Augen überzeugen konnte, fehlte ihm doch das einzige, 
nötige Hilfsmittel, das Fernrohr. Doch suchte er allenthalben die Möglichkeit der neuen 
Entdeckung durch Wahrscheinlichkeitsbeweise sicher zu stellen, indem er historische Notizen, 
philosophische Gründe und Analogieschlüsse in gründlicher Weise für die Behauptungen 
Galileis ins Feld führte. Ausserdem aber waren es Erwägungen intimer Art, die Kepler 
dazu brachten, Galileis Nachrichten Glauben zu schenken: Es war das grosse Vertrauen 
auf Galileis wissenschaftlichen Ruf und auf seine freundschaftlichen Verbindungen mit dem 
Hofe und dem Geschlechte der Medici. „Sollte Galilei diese Familie verspotten, dadurch 
dass er den Namen Mediei Hirngespinnsten beilegte?“ 

Kepler erkannte, welche Stütze Galileis Entdeckung für das Copernicanische Weltsystem 
sei, und er spricht mit Galilei: „Was sagt Copernicus Absurdes, wenn er die Erde mit 
ihrem einzigen Mond um die Sonne in einem Jahr gehen lässt, während den Jupiter auf 
seinem zwölfjährigen Umlauf sogar vier Monde begleiten ?* 

Diese Dissertatio soll für Galilei nur den einen Nutzen und Zweck haben, sagt Kepler, 
ut contra morosos novitatum censores, quibus ineredibile quiequid incognitum, profanum 
et nefandum quiequid ultra consuetas aristotelicae angustiae metas, uno proaspiste sis 
progressurus instructior.“ 

Noch im gleichen Jahre verfasste Kepler eine kleine Schrift (datiert vom 11. Sep- 
tember 1610, im Druck erschienen zu Frankfurt 1611): Kepleri narratio de observatis 
a se quatuor Jovis Satellitibus erronibus, quos Gal. Galilaeus mathematicus Florentinus 
jJure inventionis Medicaea Sidera nuncupavit. — Galilei hatte (im Mai 1610) an den 
Kurfürst Maximilian I. von Bayern und den Herzog Wilhelm V. von Bayern und an seinen 
eigenen Bruder Michelangelo in München, je ein Fernrohr geschickt, welch letzterer sein 
Exemplar an den Kurfürsten von Köln, den Herzog Ernst von Bayern, der zu jener Zeit 
sich in München und am kaiserlichen Hofe befand, um 100 Gulden verkauft hatte. Dieses 
wurde Kepler (am 30. August) auf einige Tage zur Verfügung gestellt und dieser beobachtete 
noch in derselben Nacht den Jupiter und entdeckte mit seinem schwachen Instrument einen 
Trabanten; die Beobachtung setzte er bis zum 9. September fort und überzeugte sich so von 
der Wirklichkeit der Trabanten. Er führt als Zeugen der Beobachtungen an den Ben. 
Ursinus, Thom. Segethus, Tengnaglius und Schultetus. Die Narratio schliesst mit den 
Worten: „Dies ist Alles, teurer Leser, was ich dir von den wenigen und übereilten 
Beobachtungen öffentlich mitteilen zu müssen glaubte, damit du entweder auf mein und 
meiner Zeugen Zeugnis hin in Zukunft unter Abweisung jeden Zweifels die offenbare Wahr- 
heit anerkennst, oder dir selbst ein gutes Instrument verschaffest, das dich durch den 
Augenschein überzeuge.“ 


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391 


Die Dissertatio und dann auch die Narratio Keplers waren für Galilei von ungeheurem 
Wert. Sie zerstörten in den gelehrten Kreisen das Misstrauen gegen Galileis Entdeckungen 
und die Übereinstimmung mit diesem grossen Astronomen machte es Galilei leicht, klein- 
liche Angriffe inferiorer Geister unbeachtet zu lassen und gab ihm zugleich neuen Mut 
zu weiteren Forschungen. 

Der erste, von niederer Gesinnung diktierte Angriff ging von einem gewissen Martin 
Horky aus. Von Geburt ein Böhme, hatte Horky in Prag mit Kepler verkehrt, war 
dann in Bologna mit Beginn des Jahres 1610 Schüler des damals berühmten Magini und 
wurde sogar als Amanuensis in dessen Haus aufgenommen. Als die Nachricht von der 
Entdeckung Galileis nach Bologna gedrungen war, wendet er sich am 31. März brieflich 
an seinen väterlichen Freund Kepler und ebenso am 6. und 16. April, sucht Belehrung 
von Kepler und spricht zugleich, offenbar gegen Galilei aufgereizt durch das abfällige 
Urteil seines Meisters Magini, den Wunsch aus, gegen „die vier fingierten Planeten“ zu 
schreiben, „sed jam ululandum cum lupis“. In dem Brief vom 27. April zeigt er seinen 
ganzen Hass gegen Galilei in geradezu unflätigen Ausdrücken. Hierauf erzählt er, dass 
Galilei am 24. bis 26. April mit seinem Fernrohr in Bologna war und zwar im Hause des 
Magini um daselbst die neuen Sterne zu zeigen. Er (Horky) selbst habe am 24. und 
25. April Tag und Nacht nicht geschlafen und das Instrument auf 1000fache Weise geprüft. 
Obwohl Horky selbst sagt, er habe am 25. April ein Sternchen im grossen Bär und die 
vier dem Jupiter benachbarten Sternchen beobachtet, so behauptet er trotzdem: „Auf der 
Erde. tut es (das Fernrohr) Wunder, am Himmel täuscht es“. Er habe das Instrument 
heimlich in Wachs abgestochen, um später in der Heimat ein viel besseres zu machen. 
Alle bei obigen Beobachtungen Galileis Anwesenden aber hätten gestanden, dass das 
Instrument täusche. Daraufhin sei Galilei verstummt und am 26. April in aller Frühe 
abgereist. 

Ähnliches meldet am 26. Mai Magini, dem Kepler die Dissertatio und einen Brief 
gesendet hatte (anfangs Mai), an Kepler: „Galilei habe mit seinem Instrument am 24. bis 
25. April in seinem Hause. übernachtet, um die neuen Wandelsterne zu zeigen; habe aber 
nichts erreicht. Denn mehr als zwanzig sehr gelehrte Männer waren anwesend, niemand 
aber habe die neuen Planeten wirklich (perfecte) gesehen“. 

So liessen sich also beide, Magini und Horky, Meister und Schüler weder durch den 
Augenschein belehren, noch verstanden sie in ihrer Voreingenommenheit gegen Galilei den 
wahren Sinn und Zweck der Dissertatio Keplers. Horky ging nun an die Abfassung einer 
Schrift gegen Galileis Entdeckung. Er wollte sie noch dem Kepler zur Begutachtung 
schieken, tat dies aber leider nicht und schon im Juni 1610 erschien „Martini Horky a 
Lochovie brevissima peregrinatio contra nuncium Sidereum nuper ad omnes philosophos 
et mathematicos emissum“ (Galilei opere, ed. Favaro III. p. 127—45) im Druck. Magini 
hatte zwar die Drucklegung dieser Schmähschrift zu verhindern gesucht, aber zu spät; 
Horky liess sie auswärts drucken. Am 30. Juni schickte dieser das erste Exemplar an 
Kepler. Nun aber ging Keplers Geduld zu Ende; denn seine Autorität ward infolge 
unglaublicher Missverständnisse gegen Galilei ausgebeutet. Um daher nicht in den unbilligen 
Verdacht zu kommen, als sei er mit der Horkyschen Schrift irgendwie im Einverständnis, 
schrieb Kepler am 9. August 1610 an Horky einen Brief, worin er seinen Unwillen 
ausdrückt und Horky den väterlichen Rat erteilt, wenn er vor Schaden bewahrt bleiben 


% 


392 


wolle, möge er Bologna sofort verlassen; ferner teilt er mit, dass er betreffs der Pere- 
grinatio an Galilei einen Brief gerichtet habe, so wie ihn Horky verdiente. In dem 
Briefe an Galilei gibt Kepler seinem Abscheu gegen die „Peregrinatio* und deren leicht- 
fertigen Verfasser scharfen Ausdruck, dem Galilei aber bezeugt er seine Beistimmung und 
Bewunderung. Um aber allem Missverständnis ein Ende zu machen, gibt Kepler dem 
Galilei die Erlaubnis, von dem Briefe jeden öffentlichen Gebrauch zu machen. 

Horky verschwand aus Italien, Galilei aber unternahm nichts gegen jene kritiklose 
Sehrift und überliess das Urteil über dieselbe dem gesunden Menschenverstand des Lesers. 
Trotzdem erschien im November 1610 zu Padua eine Schrift von einem Schotten, namens 
Joh. Wodderborn: Confutatio quatuor problematum etc. (Gal. op., ed. Favaro Bd. III), 
in welcher der Verfasser den M. Horky gründlich abfertigt, die zum Beweis gegen Galilei 
angeführten Stellen aus Keplers Dissertatio dem wirklichen Sinn gemäss richtig erklärt, 
auch die. Einwände Horkys gegen die vier neuen Planeten entkräftet und besonders gegen 
die Meinung, als seien die Trabanten Halluzinationen oder optische Täuschungen, die durch 
Lichtreflexionen an oder in den Glaslinsen entstünden, aufklärende Versuche anführt. 

Ausser dieser ziemlich gründlichen Abhandlung erschien gegen die Peregrinatio noch 
ein Verteidigungsbrief von Joh. Ant. Roffeni: Epistola apologetica contra caecam 
peregrinationem cuiusdam furiosi Martini, cognomine Horky, editam adversus nuntium 
sidereum; Bononiae 1611 (Gal. op. IlI.). DBeendigt war sie Weihnachten 1610. Roffeni, 
Professor der Philosophie in Bologna, der sich viel mit Mathematik befasste, war ein 
intimer Freund Maginis und warmer Verehrer Galileis. Dieser Schrift entnehmen wir 
einiges, das für die damalige Situation und Weltanschauung bezeichnend sein dürfte: Als 
der Nuntius Siderius in Bologna bekannt geworden war, waren die Gemüter sehr erregt. 
Den einen schien es unglaublich, dass den vielen ausgezeichneten Astronomen im Laufe 
der Jahrhunderte diese vier Planeten entgangen seien; andere behaupteten, diese neuen 
„Himmelswunder“ seien Halluzinationen die durch Brechung an den konkaven und konvexen 
Linsen hervorgerufen würden. Roffeni sagt, dass bei der Anwesenheit Galileis in Bologna 
viele gelehrte und vornehme Männer sich bei Magini einfanden, um durch das Instrument 
sich die neuen Planeten von Galilei zeigen zu lassen, dass auch die mit guten Augen aus- 
gestatteten auf gewisse Art befriedigt worden seien und Horky doch selbst zugestehe, am 
24. April zwei und am 25. alle vier globulos aut maculas minutissimas gesehen zu haben. 
Wenn sie mit freiem Auge nicht gesehen werden, so beweise das für die Nichtexistenz der 
Trabanten nichts; denn auch der Merkur werde von Menschen mit schwacher Sehkraft 
nicht gesehen und diese könnten deshalb auch behaupten, der Merkur existiere nieht; mit 
dem Fernrohr aber könnten sie ihn sehr leicht und lange sehen. Man brauche sich die 
vier Trabanten nur aus Jupiter- in Merkurferne gerückt zu denken und man könnte sie 
dann vielleicht besser als den Merkur sehen. Horky berufe sich auf die Autorität Tycho 
de Brahes, der sie doch hätte sehen müssen bei der Schärfe seiner Augen und der Güte 
seiner Instrumente; Tycho habe doch auch Tausend neue Fixsterne verzeichnet. (Tycho 
verzeichnet in Wirklichkeit nur ca. 22 Sterne mehr. als die Alten). Horky führe die heilige 
Schrift an, die nur sieben Planeten kenne, ferner astrologische Gründe, dass nämlich die Wir- 
kungen auf die menschlichen Geschicke, wie sie Ptolemaeus den einzelnen Planeten zuschreibe, 
durch die neuen Planeten gestört würden ete.: — Dies alles wiederlegt Roffeni und erweist 
durch Analogieschlüsse die Möglichkeit der Existenz der vier Jupitermonde. 


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393 


In innigem Zusammenhange mit den angeführten Schriften steht noch die voluminöse 
Abhandlung von Sizzi: Auavoia astronomica, optica, physica, qua siderei nuntii rumor de 
4 planetis a G. Galilaeo mathematico celeberrimo recens perspieilli cuiusdam ope conspectis, 
vanus redditur, auctore Francisco Sitio Florentino. Venetiis 1611. (Widmung an Joh. 
Medici, einem Feinde Galileis) (Gal. op. III). Sizzi, ein Freund Horkys, hatte mit diesem 
Gründe gegen Galileis Entdeckungen besprochen und ausgetauscht, wurde aber von dem 
plötzlichen Erscheinen der Peregrinatio ebenso wie andere überrascht, am meisten aber 
durch den gehässigen Ton derselben, Seine Aıavoia ist davon völlig frei, aber sie ist geradezu 
typisch für die Art und Weise, wie zu damaliger Zeit von den Anhängern der alten, 
aristotelischen Schule naturwissenschaftliche Fragen behandelt wurden. Wortglaubereien 
treten an die Stelle sachlicher Prüfung. So sehr lag man im Banne der alten Philosophen, 
dass jede andere Methode der Forschung zurückgedrängt und alle Selbstständigkeit und 
Spekulationsfähigkeit verloren war. 

Die bis jetzt genannten Druckschriften, denen man vielleicht noch eine Reihe anderer 
hinzufügen könnte, gaben eine Menge Stoff und Anregung zur Auseinandersetzung; die 
Diskussion über die vier neuen Planeten wurde lebhaft geführt, mündlich und schriftlich, 
wie man aus dem reichen Briefmaterial aus jener Periode zur Genüge ersehen kann. 

Wir haben schon früher gesehen, wie rasch die Kunde von den neuen Sternen den 
Weg an den kaiserlichen Hof nach Prag und Wien gefunden hatte. Zum raschen Bekannt- 
werden der neuen Entdeckung trug auch der Umstand viel bei, dass damals Herzog Ernst, 
Kurfürst von Köln und Mainz, der Landgraf Ludwig von Hessen, der Herzog von Braun- 
schweig, der Herzog von Bayern etc. zu einem Kongress in Prag zusammenkamen,. Wie 
weit ferner die Kunde von Galileis Entdeckung in kurzer Zeit gedrungen war, erhellt 
aus einem Briefe, den Belisar Vınta, der Freund, Gönner und Förderer Galileis am medi- 
zäischen Hofe, am 22. Mai 1610 an Galilei richtete. (Gal. op. X.) Er meldete hierin, 
dass ausser dem kaiserlichen auch der englische, französische und spanische Hof um ein 
Fernrohr und den Nuntius Sidereus baten. Galilei selbst hatte schon 19. März 1610 den 
Wunsch ausgesprochen, solche nach Spanien, Polen, Österreich, Mantua, Modena, Urbino, 
ete., zu schicken (Gal. op. X. p. 298, 301, 356). Ja es wurde ihm sogar schon am 
20. April 1610 von jemand aus der Umgebung des Königs Heinrich IV. von Frankreich 
der Vorschlag gemacht, die neuen Sterne nach dem Namen des „grossen Gestirns von 
Frankreich“ zu benennen und zwar mit dem Namen Arrigo (= Enrico, Heinrich), welcher 
dem Geschlechte der Bourbonen eigen sei; er (Galilei) umfasse mit diesem Namen zwei 
Könige), die sich in diesem Zeitalter mit dem Hause Medici durch Heirat verbunden hätten. 
So werde er sich Frankreich, Toskana und auch Venedig, den Freund Frankreichs, ver- 
bindlich machen. (Gal. op. X, p. 382). 

Vorstehende Ausführungen mögen genügen, um annähernd beurteilen zu können, mit 
welcher Geschwindigkeit sich die neue Kunde in allen Ländern Europas ausbreitetee Man 
ist aber geradezu überrascht, über das Interesse, welches alle Kreise der Gesellschaft der 
Entdeckung Galileis entgegenbringen, wenn man einen Einblick in den Briefwechsel tut, 
den Galilei gerade in dieser Zeit nach allen Seiten zu pflegen hatte. Auch aus Keplers 
® 


1) Heinrich II. von Frankreich war mit Katharina Medici und Heinrich IV. mit Maria Medici 
vermählt. 


Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 5l 


s 


394 


Briefen erkennt man dieselbe allgemeine Begierde nach Belehrung und Aufklärung. Es 
ist hier nicht möglich, auf die Einzelheiten dieses Briefwechsels näher einzugehen und nur 
weniges werden wir bei späteren Gelegenheiten herausgreifen können. 


In Florenz, am Hofe der Medizäer, denen zu Ehren Galilei die Trabanten Medicea 
Sidera genannt hatte, wurden die Entdeckungen bald anerkannt und schon am 12. Juli 1610 
wurde Galilei durch ein Dekret zum ersten Mathematiker der Universität Pisa und ersten 
Philosophen des Grossherzogs, ohne die Verpflichtung zu Vorlesungen, ernannt und nach 
Florenz berufen, wohin er auch anfangs September 1610 übersiedelte. 


Im Verlaufe der nun folgenden Jahre 1611, 1612 und 1613 wendet sich die Auf- 
merksamkeit neuen Enthüllungen aus der .Sternenwelt zu: Galilei berichtet der Reihe nach 
von der „Dreikörpergestalt des Saturn“, von der Sichelform der Venus und der Ab- und 
Zunahme derselben; es entbrannte der Streit über die Sonnenflecken, deren Natur und Ent- 
decker. Durch das Auftauchen dieser neuen merkwürdigen Dinge trat naturgemäss, nach- 
dem die erste Begeisterung verflogen war, das Interesse für die Jupitermonde in den Hinter- 
grund, und nachdem man sich allgemein von der Wirklichkeit der Existenz derselben über- 
zeugt hatte, erwartete man nur noch mit Ungeduld nähere Aufschlüsse über die Konstitution 
und Revolutionsbewegungen der Jupiterwelt. Galilei hatte solche mehrmals versprochen. 
Aber dieses Versprechen löste er eigentlich in seinem ganzen Leben nicht ein, obwohl er 
sich bis zum Jahre 1619 intensiv mit der Aufstellung von Tafeln über die Bewegungen 
der Jupitertrabanten beschäftigte und deren Aufstellung und Verbesserung durch ein reiches 
Beobachtungsmaterial und stete rechnerische Vergleichung fort und fort anstrebte. Das 
Resultat dieser Bemühungen befriedigte ihn nicht und so blieb der grossen Welt gerade 
derjenige Teil seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, welchem Galilei sicherlich die meiste 
Mühe, die grössten Opfer an Zeit und hauptsächlich an Gesundheit gebracht hat, ganz 
unbekannt. Die hierauf bezüglichen Manuskripte, Berechnungen und Beobachtungen übergab 
er nach seiner Erblindung 1637 seinem Schüler Renieri, der das Werk vollenden sollte. 
Auch dieser kam nicht zum Ziel und nach dessen Tode 1647 waren jene Galileischen 
Beobachtungsjournale nicht mehr zu finden; sie blieben verschwunden, bis es 200 Jahre 
später Alberi, dem verdienstvollen Herausgeber der ersten Gesamtausgabe Galileischer Werke 
und Briefe, gelang, dieselben im Jahre 1843 in der damals K. K. biblioteca Palatina de’Pitti 
zu Florenz unversehrt aufzufinden. 


Nur zweimal erfuhr die gelehrte Welt in Druckschriften von den Bemühungen Galileis 
um die Bestimmung der mittleren Bewegungen der Jupitermonde: Zum erstenmale in dem 
„Discorso intorno ai Galleggianti (gedruckt im Winter 1611/12), worin Galilei die Umlaufs- 
zeiten der vier Trabanten ziemlich angenähert kund gibt. — (Gal. op. IV, 63—64 Ed. 
Favaro) — das zweitemal im Anhang zum dritten Briefe an Marcus Welser über die 
Sonnenflecken (Gal. op. V, 226— 229), der mit den übrigen Briefen unter dem Titel: 
„Istoria e dimostrazioni intorno alle macchie Solari“ im Jahre 1613 auf Veranlassung und 
Kosten der Academia de’ Lincei zu Rom gedruckt wurde. Hier meldet Galilei, dass es ihm 
gelungen sei, Tafeln aufzustellen, und bringt im Anhang die täglichen Stellungen der 
Jupitermonde für die auf die Herausgabe des Werkes folgenden Monate März und April 
bis zum 8. Mai 1613, auf vier Blättern verzeichnet, mit der Überschrift: Moediceorum 
planetarum ad invicem et ad Jovem constitutiones futurae in mensibus Martio et Aprile 1603 


Ps 


ur 


395 


a Galileo G. S. earundem Stellarum, nec non periodicorum ipsarum motuum Repertore 
primo, caleulis eollectae ad meridianum Florentiae (Gal. op. V. p. 241—245), 

Hier nennt sich Galilei noch ohne Widerspruch den ersten Entdecker und niemand 
hatte ihm bis dahin im Verlauf vor drei Jahren, während doch alle Welt, wie wir 
gesehen, von dieser Entdeckung wusste und sprach, den Rang streitig gemacht. Es 
sollte noch ein ganzes Jahr vergehen, bis jemand auftrat, der allen Ernstes den Versuch 
wagte, Galilei die Ehre der Erstentdeckung zu entreissen. Simon Marius war es, der 
dies unternahm. 

Dieser markgräflich Ansbachische Hofastronom, über dessen Lebensverhältnisse wir 
später sprechen werden, veröffentlichte im Jahre 1614 bei Joh. Lauer in Nürnberg eine 
Schrift: Mundus Jovialis, anno 1609 detectus ope perspieilli Belgiei, hoc est, quatuor 
Jovialium planetarum, cum theoria tum tabulae, propriis observationibus maxime fundatae, 
ex quibus situs illorum ad Jovem ad quodvis tempus datum promptissime et facillime supputari 
potest. Inventore et autore Simone Mario Gunzenhusano, marchiorum Brandenburgensium 
in Franconia Mathematico, puriorisque medicinae Studioso. 

Simon Marius kommt also dem Galilei nicht nur in der Herausgabe von Tafeln 
zuvor, sondern nimmt auch.die Priorität der Entdeckung (Marius 1609, Galilei 1610!) für 
sich in Anspruch. 

Man hat nun S. Marius vielfach einen Plagiator genannt; ob mit Recht oder Unrecht, 
verlohnt sich wohl der Untersuchung. 

Unsere Aufgabe wird zunächst sein, den Lebensgang des Marius zu verfolgen, seine 
Beziehungen zu Galilei aufzusuchen, des Marius Stellung in der Wissenschaft zu präzisieren, 
seine Schriften zu prüfen, um an der Hand des von ihm vorliegenden schriftlichen 
Materials und der auf ihn bezüglichen Bemerkungen in Schriften und Briefen von Zeit- 
genossen und anderer, hauptsächlich aber durch Vergleich seiner Arbeiten mit entsprechenden 
Schriften Galileis ein Urteil in obiger Frage definitiv zu gewinnen. 


2. Simon Marius und seine Werke, 


Simon Marius wurde am 10./20. Januar 1573 zu Gunzenhausen geboren,!) als Sohn 
des Reichart Mayr.?) Er besass als Knabe eine schöne Stimme; durch dieselbe erregte er 


1) Das Geburtsdatum scheint bis jetzt unbekannt gewesen zu sein. Des Marius Biographen geben 
nicht einmal das Geburtsjahr richtig: Die einen nehmen 1572 als solches an, wahrscheinlich verleitet durch 
des Marius Angabe im Mund. Jov.: 1614 aetatis XLII. z. B. Dr. Jul. Meyer in der Abhandlung Osiander 
und Marius 1892, die anderen 1570 z. B. Örtel (Erlanger Nachr. 1775), Jselin, Zedler, Jöcher, Adelung 
und Stark (Geschichte der Stadt Gunzenhausen 1899). In seinem Progn. astrol. auf 1609 dagegen schreibt 
Marius (Blatt B. 2): „Eben an diesem tag (10./20. Januar) Anno 1573 halbweg 12 Uhr nach Mittag in 
der Nacht bin ich auf die Welt zu viel Creutz und Leyden geboren worden zu Guntzenhausen an der 
Altmühl, dessen latitudo ist 49 grad 6 minuten, longitudo 35 grad 0 minuten“. 

2) Marius ist die latinisierte Form des Namens Mair. Letztere Schreibweise seines Namens 
gebrauchte Marius selbst am meisten. Wir finden sie in der Unterschrift zu einer Eingabe an den 
Markgrafen um Drucklesung der Tabulae directionum, praes. 1. May 1598 (abgedruckt in „Hailsbron- 
nischer Antiquitäten Schatz“ von Joh. Ludw. Hocker, Onolzbach 1731, pag. 43 und ebenso in „Franconia* 
Beiträge zur Geschichte, Topographie und Literatur von Francken, II. Bd. 1813, pag. 70—82; in letzterem 
Abdruck ist jedoch die Originalschreibweise nicht beibehalten und der Name Mayr gebraucht), ferner 
finden wir die Unterschrift Mair unter der Widmung zu den Tabulae directionum 29. Nov. 1598, unter 
51* 


396 


die Aufmerksamkeit des Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach, der in Gunzenhausen ein 
Jagdschlösschen besass, in dem Masse, dass dieser den Simon Marius 1586 in die Fürsten- 
schule zu Heilsbronn!) aufnahm. Doch wurde er bald wieder herausgenommen und als Sing- 
knabe der fürstlichen Kapelle zu Ansbach beigegeben. Nach drei Jahren aber, 1589 wurde er 
an Stelle seines Bruders Leonhard, der seine Studien zu Heilsbronn beendigt hatte, wieder 
in die Fürstenschule aufgenommen, wo er sich dem Studium der alten Sprachen und später 
besonders der Astronomie und Mathematik widmete. Im Winter 1595/96 kam er selbst- 
ständig, wie er behauptet, auf ein Weltsystem, das mit dem des Tycho Brahe überein- 
stimmt. Ende 1596 schrieb er eine Abhandlung über den 1596 erschienenen Kometen. 
1597/98 verfasste er seine Tabulae directionum, die endlich 1599 zum Drucke kamen. Er 
blieb Schüler oder Alumnus der Heilsbronner Schule bis Mai 1601.?) Mehrfache Eingaben 
an den Markgrafen hatten endlich den Erfolg, dass Marius Ende Mai 1601 auf Kosten und 


der Widmung zu seinem ersten Prognost. astrol. (auf 1601) 29. Junij 1600, auf dem Titel des nach des 
Marius Tod von Daniel Mögling 1625 herausgegebenen Schriftchens: Gründliche Widerlegung der Position 
Circkel Claudij Ptolemaei, etc. 

Ausserdem scheint die Schreibweise Mayr (und Mayer) in Gebrauch gewesen zu sein. So steht 
in der Taufmatrikel des Pfarramtes zu Gunzenhausen: unter Anno 1573. 11. Januarij: „Vater Reichart 
Mayr, Kindt Simon, Gevatter Simon Keiser, alle zu Guntzenhausen“; Marius selbst schreibt im Progn. 
astrol. zu 1612 auf Blatt 4,,: Mayer und gleich darauf (Blatt 5,1): Mayr. 

Der Vater des Marius soll nach Dr. Jul. Meyer (Erinnerungen an die Hohenzollernherrschaft in 
Franken, Ansbach, 1890) und K. Stark (Geschichte der Stadt Gunzenhausen, 1899) und anderen Bürgermeister 
gewesen sein. Für diese Angabe finde ich keinen Beleg. Nach der oben angeführten Taufmatrikel 
scheint er es damals wenigstens nicht gewesen zu sein und in dem schon erwähnten „Antiquitäten 
Schatz“ von Hocker (1731) steht nur: Simon Marius oder Mayer, Reichard Mayers eines Raths-Verwandten, 
Sohn von Gunzenhausen.“ 

1) Heilsbronn war 1132—1578 ein Zisterzienserkloster, wurde dann aufgelöst und der ganze Besitz fiel 
dem Markgrafen von Ansbach und Bayreuth zu. Dieser baute aus den Mitteln ein Spital zu Ansbach und 
gründete durch Urkunde vom 19. Juli 1581 zu Heilsbronn die sogenannte Fürstenschule (Muck, Geschichte 
des Klosters Heilsbronn). Dieselbe wurde 1582 mit 100 Schülern eröffnet (Hocker, Antiqu. Schatz, pag. 195). 

2) Mehrere ältere z. B. L. Hocker und neuere Biographen erwähnen, dass Marius ca. 1598/99 auf 
Kosten des Markgrafen die Universität Königsberg besucht habe und dass in dortiger markgräflicher 
Druckerei die Tabulae directionum gedruckt worden seien. Die Ursache zu dieser falschen Angabe 
waren offenbar einige Aktenstücke, die in: Franconia, Beiträge zur Geschichte etc. von Francken, 2. Bd. 
1813, pag. 70—82 veröffentlicht sind. Sie enthalten zwei Bittschriften des Marius um Unterstützung 
seiner astronomischen Studien und um Drucklegung seiner Tafeln, aus den Jahren 1597 und 1598, ferner 
die begleitenden Gutachten der markgräflichen Hofräte, eine Entschliessung an die markgräfliche 
Regierung in Königsberg betreffs der Aufnahme und Unterhaltung des Marius dortselbst, welche Ent- 
schliessung jedoch vom Markgrafen nicht unterschrieben und nicht zur Ausführung kam. Marius kam 
nicht nach Königsberg; dies ergibt sich schon daraus, dass Marius selbst nie davon spricht und sich 
im Mund. Jov. einen Autodidakten nennt, der in Astronomie nie einen lebenden Lehrer gehabt habe. In 
der Widmung zu den Tabulae direetionum, datiert vom 29. November 1598 zu Heilsbronn, nennt er 
sich noch Stipendiarius et Alumnus Heilsbronnensis. Ebenso nennt er sich auf dem Titelblatt dieser 
Tabulae direet., die erst 1599 gedruckt worden waren. Auch 1600 war Marius noch in Heilsbronn 
gewesen, wie aus den Witterungsbeobachtungen für 28. März und für „Anfang des Mayen“ 1600 
(Prognost. astrol. auf 1612, Blatt B5 und B6) und aus dem Datum der Widmung zum Progn. astr. auf 
1601: „Heilsbronn am tag Petri und Pauli, 29. Junij 1600“ hervorgeht. Noch für den 4./14. März’und 
für 23. April (= 3. Mai) 1601 besitzen wir des Marius Heilsbronner Wetterbeobachtungen (im Progn. 
astrol. auf 1612, Blatt B4, resp. im Progn. astrol. auf 1613, Blatt C1). Die Tabulae directionum wurden 
auch nicht zu Königsberg gedruckt, sondern zu Nürnberg von Christophorus Lochner. 


ä 


397 


mit einem Empfehlungsschreiben des Markgrafen (dat. 12./22. Mai 1601, s. Franconia, Bei- 
träge zur Geschichte von Franken, II. pag. 70/82, 1813) zur weiteren astronomischen Aus- 
bildung zu Tycho Brahe nach Prag geschickt wurde. Vorher hatte er sein erstes!) Pro- 
gnosticon astrolog., das auf 1601 herausgegeben und der Freifrau Maria von Eyb, einer 
geborenen Freiin von Crailsheim gewidmet. Sein Aufenthalt in Prag war von kurzer Dauer 
und Marius scheint dortselbst weder mit Tycho Brahe und noch weniger mit Kepler in 
näheren Verkehr gekommen zu sein.?) Brahe starb schon am 24. Oktober 1601; Marius 
kehrte dann auf kurze Zeit nach Ansbach zurück und begab sich noch 1601, mit einem 
landesherrlichen Stipendium von 100 Gulden ausgestattet, nach Padua, um an der dortigen 
berühmten, venetianischen Universität Medizin zu studieren. Mancherlei Missgeschick ver- 
folgte ihn hier: Er beschädigte sich durch einen schweren Fall so, dass er, wie er in der 
Widmung des Mundus Jovialis und im Prognost. astrol. auf 1609 selbst berichtet, ein dauerndes 
Kopfleiden davontrug. Ferner blieb nach dem Tode des Markgrafen Georg Friedrich (1603) 
acht Monate lang jede Unterstützung von Ansbach her aus, so dass er bittere Not leidend, 
sich durch Ausübung der Astrologie, seiner ärztlichen Kenntnisse und durch Unterricht selbst 
unterhalten musste. Ein Schüler von ihm war Balthasare Capra, ein Mailänder Edelmann, 


l) Dr. Jul. Meyer gibt in „Erinnerungen an die Hohenzollernherrschaft“, Ansbach 1890, pag. 90 
und in seiner Abhandlung, Osiander und Marius“ 1892 an, dass Marius auf 1607 sein erstes Prognost. 
veröffentlicht habe. Dies ist unrichtig, da die Berliner K. Bibliothek von Marius ein Prognost. auf 1601 
besitzt, in welchem er auf der ersten Seite der Widmung selbst sagt, dass dieses Prognost. sein erstes 
sei. Von da an hat er jährlich sein Prognost. astrol. erscheinen lassen, sogar während seines drei- 
jährigen Aufenthalts in Italien, wie man aus Hinweisen auf seine Prognost. aus dieser Zeit ersehen kann. 
Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg besitzt von Marius sogar noch ein Prognost, astrol. auf 
1628 und auch „alte und neue Schreibkalender“ auf 1627 und 1628, obwohl Marius schon 1624 gestorben 
war. Er hatte also bei seinem Tode Prognost. für mehrere folgende Jahre schon ausgearbeitet, die nach 
seinem Tode von dem Verleger Joh. Lauer in Nürnberg ohne Vorrede resp. Widmung herausgegeben 
wurden. 

2) Marius kam Ende Mai nach Prag. Er wurde dem Johann Ericksen, einem Gehilfen des Tycho 
Brahe, zur Unterstützung bei den Beobachtungen zugeteilt und nahm bei diesem auch Wohnung, wie 
aus dem Brief Ericksens an Kepler, Prag, 27. Mai 1601, erhellt: „Marggravii Anspachensis Mathematicus, 
Simon Marius, post unum vel alterum diem familiae nostrae numerum adaugebit, et uti confido, me 
liberabit, observationibus, quantum ex colloquiis mutuis intelligere potui, aligquo modo assuefactus, alias 
in Astronomicis haereseos non condemnabitur.“ (Hanschius, Epistolae Kepleri ete. pag. 176.) Marius 
scheint demnach in direktem persönlichen Verkehr mit Brahe selbst nicht gestanden zu sein. Mit 
Kepler jedoch war es ihm gar nicht möglich, nähere Beziehungen anzuknüpfen; denn Kepler war von 
April bis Anfang September 1601, also gerade zu der Zeit, als Marius in Prag sich befand, von Prag 
abwesend (zur Erholung in Steiermark) und beschäftigte sich im September sehr intensiv mit der Auf- 
suchung der zweiten Ungleichheit der Sonne (coepi laboriosissime inquirere proportionem secundae 
Eccentrieitatis Solis); indessen starb Tycho. Den ganzen Oktober brachte Kepler hin mit der Pflege des 
kranken Tycho und mit den Sorgen um dessen Beisetzung. (Kepler an Longomontanus, 1605; Hanschius 
p- 171). Marius selbst war Ende September von Prag abwesend, denn er schreibt in seinem Prognost. 
astrol. auf 1613 (Blatt D3): „am 15./25. September (1601) war ich in Znaim in Mähren“. Er hatte also 
kaum Gelegenheit mit Kepler in nähere Berührung zu kommen und scheint von ihm und seinen Ver- 
hältnissen sehr wenig gewusst zu haben, wie wir aus einem Briefe schliessen, den Johann Papius aus 
Ansbach an Kepler am 22. August 1602 geschrieben hat: „Rogaveram quidem Simonem Meierum, ut 
me de rerum tuarum statu erudiret: Sed nihil ex hoc, neque per literas, neque, cum ad nos 
ipse rediisset, cognoscere potui“. (Hanschius, pag. 75.) Von einer Freundschaft, die Marius nach 
einigen Schriftstellern damals mit Kepler geschlossen haben soll, kann nicht gesprochen werden. 


398 


von dem wir noch manches berichten werden. Unter seinen Kommilitonen nahm Marius 
. scheinbar eine geachtete Stellung ein, da er 1604/05 dem deutschen Studentenausschuss 
angehörte.?) 

Im Juli 1605?) reiste er, nachdem er von der Regierung 150 Gulden zur Auslösung 
erhalten hatte (Meyer, Erinng. p. 89) nach Deutschland zurück, trat als Mathematiker in die 
Dienste der Markgrafen von Ansbach und nannte sich „Fürstlichen bestellten Mathematicum 
und Medieinae Studiosum“, erst von ca. 1615 ab aber einfach „Mathematicum et Medicum“. 
Es wurde ihm aus dem, Ansbach und Bayreuth gemeinschaftlichen, Heilsbronner Fond ein 
jährlicher Gehalt von 150 Thalern angewiesen und ihm zugleich zu seinen Beobachtungen 
einer der Schlosstürme, der spätere Mariusturm, eingeräumt (Meyer, Erinnerungen p. 89). 
1606 vermählte er sich mit der Tochter des Nürnberger Buchdruckers und Verlegers 
Joh. Lauer. Marius beschäftigte sich hauptsächlich mit der Abfassung von Kalendern 
(„alte und neue Schreibkalender‘, ferner „Prognostica astrologica“) und mit Beobachtungen 
des Sternenhimmels.. Im Jahre 1610 veröffentlichte er die Übersetzung der ersten sechs 
Bücher Euklids und endlich 1614 seinen Mundus Joviälis. 1619 gab er eine Abhandlung 
über den grossen Kometen, der im November und Dezember 1618 gesehen worden war, 
heraus. Marius soll am 26. Dezember 1624 in Öttingen gestorben sein. Die letzten zwei 
Jahre seines Lebens, scheint Marius in schweres Siechtum verfallen zu sein, da er nicht 
mehr imstande war, ein schon 1623 fertiges Schriftehen zum Druck zu bringen. Dasselbe 
wurde vielmehr als Manuskript durch einen Freund der mathematischen Wissenschaften, den 
Nürnberger Kaufherrn Philipp Eckebrecht, denselben Eckebrecht, der auch Kepler bei der 
Herstellung der Tabulae Rudolphinae mit Rat und Tat unterstützte, unter Zustimmung des 
Marius 1623 dem Mathematiker Daniel Mögling in Butzbach in Hessen geschickt, damit 
dieser die Herausgabe besorge. Aber erst nach dem Tode des Marius kam die Schrift 
heraus unter dem Titel: „Gründliche Widerlegung der Position Circkel Claudij Ptolemaei, 
vornemblicher aber, Johannis Regiomontani; mit grosser Mühe und vielem Nachdencken, 
so wol auss Ptolemaeo selbsten, als auch allen anderen vortrefflichen Astrologen, so von 
Ptolemaei Zeiten an, biss auff Regiomontanum gelebet, und von directionibus Theorice und 
Prastice geschrieben: zusammengezogen, durch Simon Mairn, F. F. B. B. bestellten Mathe- 
maticum und Medicum“ (1625). 


!) Nach Meyer („Erinnerungen“ p. 89) hätte Marius erst 1602 Prag verlassen; jedoch muss Marius 
schon im November oder spätestens in den ersten Tagen des Dezember 1601, nachdem er sich vorher 
noch in Ansbach aufgehalten hatte, nach Padua abgereist sein, da er sich nach „Stemmi ed Inserizioni 
concernenti Personaggi Galileiani“ von Favaro (1893) schon am 18. Dezember 1601 in die Universitäts- 
matrikel von Padua eingeschrieben hat. In derselben Schrift ist auch verzeichnet, dass Marius 1604/05 
dem deutschen Studentenausschuss angehörte. 

Im Prognost. astrol. auf 1612 schreibt Marius (Blatt 4,2): „... als ich Anno 1601 zu ende dess 
Jars in Italiam reisete, .. .“. 


2) Bezüglich der Zeit seiner Abreise aus Italien liest man bei Marius im Prognost. astrol. auf 
1628, Blatt B 3,1: „Anno 1605 im Julio nach dem 14./24. grosse Hitz mit folgentem hefftigen Donner 
an etlichen orten Hagel, wie mein Bruder Jacob seliger verzeichnet. Ich bin damals eben auff der 
Reiss auss Italia in den Alpibus gewesen, war grosse Hitz und gewaltig gedonnert“ und genauer 
noch im Prognost. astrol. auf 1612, Blatt B4,e: „Anno 1605 den 15/25. Juli... da hat es die Nacht 
zu frühe ein hefftig Gewitter gehabt und eingeschlagen, als ich in einem Dorff lag ein meilwegs von 
Donnawerth gegen Augspurg.“ 


“ 


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399 


„An jetzo aber auff vornehmer und Kunstliebender Personen Communication und 
Begehren allen der Astrology zugethanen, so sonderbarem Gefallen und Nutz in offent- 
lichem Truck erstmals publieiert, durch Danielem Mögling Würtemberg. Phil. ac Med. 
Doctorem, auch Landtgräv. hessischen Hoff-Med. und Math. zu Butzbach ....... Frankfurt 
am Mayn, in Verlegung Lucae Jennisii, Anno MDOXXV*“. 

Die Widmung an „Philip Eggebrechten“ ist datiert: Butzbach in der Wetteraw, den 
10. December 1624. Mögling wusste damals nicht, ob Marius noch lebe oder nicht: 
jedenfalls war dessen Zustand schon längere Zeit hoffnungslos. In der Vorrede „An den 
guthertzigen Leser“ reproduziert Mögling Bruchstücke aus zwei Briefen des Marius, von 
denen der zweite hier beigefügt werden soll, da es vielleicht eines seiner letzten Schrift- 
stücke überhaupt ist: „Weil ich so viel vermerke, dass es sich mit der Publication meines 
armen und in hoher Schwachheit coneipierten Tractätlins also sperret, so gelangt meine 
Bitt an den Herre, er wölle mir mein Tractätlein mit meiner krancken Handt geschrieben 
wider zuschicken, wil es zu anderen meinen Sachen legen; möcht sich nach meinem Todt 
etwan einer finden, der nach Gottes Willen es andern mittheilet. Wann ein Ding Gott nicht 
haben wil, so muss es nicht geschehen‘. 

Marius hatte ein gläubiges Gemüt, hing fest an seinem protestantischen Glauben und 
an den Worten der hl. Schrift. Sein Buchstabenglaube machte es ihm unmöglich, sich 
zum copernicanischen Weltsystem zu bekennen; er blieb Anhänger des tychonischen 
Systems einzig und allein aus dem Grunde, um mit den Worten der hl. Schrift nicht in 
Konflikt zu kommen, trotzdem er selbst auch durch seine Fernrohrbeobachtungen mitge- 
holfen hatte, gerade der Lehre des Copernicus zum Siege zu verhelfen und obwohl er mit 
den tüchtigsten Vertretern derselben wie z.B. mit Kepler in Verbindung gestanden war. 
Er war eine mystisch angelegte Natur, der mit Ernst und voller Überzeugung seine jähr- 
lichen Prognostica astrol. verfasste. Er war der Astrologie mit Leib und Seele verschrieben 
und er hielt sie für eine so notwendige Wissenschaft, dass er ihr noch den letzten Rest 
seiner Lebenskraft opferte, indem er am Schlusse seines Lebens das vorhin angeführte 
Schriftchen verfasste, einzig zu dem Zwecke, dass die Astrologie der Alten, welche durch 
falsche Erklärungen verdorben und in Misskredit geraten wäre, wieder auf die alten 
Grundlagen zurückgeführt und zu neuem Glanze und Einflusse gebracht würde. 

Um die astronomische Wissenschaft hat Marius sicher einige Verdienste; seine 
Leistungen liegen jedoch nicht auf dem Gebiete der Theorie, sondern nur auf dem der 
Beobachtung, obwohl er sich auch hier gerne an fremde Resultate anlehnte und ihm die 
Selbständigkeit in gewisser Beziehung abging. Was ihm unbestritten zukommt, ist die 
Entdeckung des Andromedanebels am 15. Dezember 1612 und die Entdeckung (wenn auch 
vielleicht nicht die erste, so doch unabhängige) der Stella nova von 1604 (in Serpentario); 
auch beobachtete er die Szintillation der Sterne und sah mit Hilfe eines Fernrohrs, dem 
das Okular entnommen war, ganz richtig, dass die Körper derselben Strahlenbündel 


_ entsenden, in denen an wechselnden Stellen Lücken waren (Licet enim corpora fixarum 


et planetarum appareant multis perforata foraminibus, Mund. Jov. praefatio). Auch die 
Sonnenflecken hat Marius beobachtet, nachdem sie ihm (nach dem Progn. Astr. zu 1613; 
im Mund, Jov. fehlt diese Beifügung) im August 1611 von Ahasver Schmidner aus Königs- 
berg gezeigt worden waren. Marius hat auch nach seiner Angabe (im Progn. auf 1613 am 
11. Oktober und im Mund Jov., Nachwort, am 3./13. Oktober 1611) eine neue Beobachtungs- 


400 


methode gefunden, die er allerdings nicht beschreibt. Über das Wesen der Sonnen- 
flecken sagt er nur, es seien „corpora, quae circa solem feruntur“ (Prog. 1613) und dass 
sie in einer Linie um die Sonne gehen, die von der zur Ekliptik parallelen abweicht 
(Mund. Jov.). 

Von den drei Kometen, die 1618 gesehen wurden, hat Marius nur den grossen und 
zwar vom 24. November bis 19. Dezember beobachtet. Über diese erschienen eine ganze 
Flut von Schriften (in einem Bande der Giessener Univ.-Bibl. sind allein ca. 16 enthalten); 
auch Marius konnte dem allgemeinen Drange nicht widerstehen und veröffentlichte, da ihm 
vorgeworfen worden war, dass er wegen der grossen Kälte, die damals herrschte, den 
Cometen nicht beobachtet habe und dass er mit der Publikation solange zögere, bis er sehe, 
was andere darüber schreiben, Mitte 1619 eine: „Astronomische und astrologische Beschreibung 
dess Kometen im November und December vorigen 1618. Jars ist gesehen worden“ (gedruckt 
und verlegt bei Joh. Lauer in Nürnberg). Die Widmung an die Markgrafen Christian 
und Joachim Ernst ist vom 16./26. April 1619. In dieser Schrift entwickelte Marius 
seine Ansicht über die Konstitution der Welt, über die Entstehung der Kometen ete., so 
dass wir dieselbe hier beifügen möchten, um dadurch zugleich ein Beispiel von der 
mystischen, phantastischen und zugleich naiven Naturanschauung des Marius zu geben: 
Die Erde, als das Zentrum der Welt, .denkt sich Marius von fürf Kreisen oder Regionen 
umgeben. „Die erste ist jene, worin Regen, Wind, Donner, Hagel ihren Stand und 
Bewegung haben, die zweite enthält die obere, feine, wässerige Luft, darinnen die Regen- 
bogen gesehen werden, die dritte Region „ist das Firmament mit seinem ganzen Heere* 
(Planeten), die vierte ist die Sphäre der Fixsterne, wo auch die neuen Sterne stehen, und 
in der fünften sind die aquae superioris, von denen Moses schreibt.“ Dies erklärt er später 
(Blatt 4,) weiter: „Die Erde samt ihren unteren Wassern steht in centro universi, das ist 
die gröbste Materie, darauf folgt aör, auch aus Wasser gemacht, darinnen die Wolken ihren 
Lauf haben, hierauf fängt allmählich das Firmamentum an: Sonne, Mond, Planeten, 
Fixsterne. Über dieser Feste ist wieder Wasser, das sind nun die aquae supra coelos 
(Moses I. Cap.)“. 

Betreffs des Wesens der Kometen nun steht Marius ganz in den Fusstapfen Tychos: 
Marius stimmt mit diesem überein, wenn dieser die Ansicht des Aristoteles bekämpft, dass 
die Kometen aus den Dämpfen der Erde kämen und glaubt mit Tycho, „dass die Materie 
der Kometen nicht von Anfang der Welt an gewesen sei, sondern, dass die Materie indem 
Firmamento generiert werde. Wie wir nämlich in den unteren Regionen manchmal unge- 
wöhnliche Phänomene: Wetter, Hagelsteine, Regen, lebendige Frösche und anderes entstehen 
sähen, so sähen wir auch in den noch höheren Regionen bisweilen extraordinarias apparentias 
als parelia, Halones, das sind Nebensonnen, Nebenmonde, fallende Feuer. Marius glaubt 
jedoch nicht wie Tycho, dass die Materie der Kometen und neuen Sterne aus der Milchstrasse 
genommen werde, sondern er schliesst, dass die materia cometica nicht allein in aetherea 
regione, das ist in firmamento anzutreffen sei, sondern per communicationem a@ris summi 
et firmamenti durch Gottes Willen und der Sonnen 'anziehende Kraft, eine Cometische Materia 
entstehe. Es sei aber nicht blosses Wasser, sondern eine solche Feuchte, die ihren subtilen 
Schwefel bei sich habe und derentwegen in der Subtilheit der ätherischen Region von der 
Sonne entzündet werde und eine Form, jedoch eine unvollkommene gebe, wie in Aetherea 
regione die corpora sein, nämlich eines Sternes.“ 


® 


401 


Die Sonnenflecken seien gleich einem Kometen, da er etlichmal maculas caudatas 
in disco Solis ausdrücklich gesehen habe, wie wenn solche maculas ein refrigerium wären 
summi caloris Solis und hernach per conglobationem zu einem Kometen würden. 


Die neuen Sterne, „wie er selbst observiert“, „müssen aus einer viel subtileren und 
perfekten Materia durch Gottes Willen gemacht sein und ihren Stand in supremo aethere 
bei den Fixsternen haben und ihre Materie wird nicht ex aquis superioris äeris, sondern ex 
aquis superioribus supra firmamentum genommen, die ätherische bei den Fixsternen ganz 
nicht ausgeschlossen, aus einem subtilsten Wasser und aus der ätherischen Substanz“. 


Von dem Kometen (1618) glaubt er „nach seiner Beobachtung, dass er lange bei 
der Sonne gewesen und wohl von ihr ausgebreitet worden sei und endlich einen Schuss 
getan durch Austreibung der Sonnenkraft und um Martini Altes Kalenders bei den branchis 
Scorpionis zornig worden und seinen Lauf e parte meridionali durch den elften Grad des 
Skorpions durch den Bootem gegen den kaiserlichen Gestirn ursae majoris seinen Weg 
genommen ... Wo aber ungefähr und wie weit er seinen Stand von der Erden gehabt, 
ist Marius unmöglich, gewiss anzuzeigen. Doch sei der Komet anfänglich bei der Sonne 
gestanden, dann höher gestiegen und daselbst endlich dissipiert“. 


In welch abergläubischer Weise ferner Marius an dem Einfluss der Planeten- 
konstellationen auf die Welt und ihre Bewohner festhielt, zeigt uns eine Auslassung des 
Marius in seinem Progn. auf 1623 (Blatt A2): „Was ich aber von der grossen Vereinigung 
Saturni und Jovis im feurigen Triangel vor 19 Jahren geschrieben hab bei solcher Mut- 
massung verbleibe ich noch ziemlichermassen, nämlich gleichwie 65 Jar ungefähr nach der 
dritten Konjunktion und 9 in solchem feurigen A, von Anfang der Welt zu rechnen, 
die Sündflut ist kommen, und 64 Jar nach der dritten Konjunktion Saturni-Jovis im 
feurigen A, von dem aussgang aus Agypten zu rechnen, Jerusalem in die Asche gelegt 
worden, also werde bei diesem recursu in den feurigen A, welcher auch ist der dritte von 
Christi Geburt und Zerstörung des jüdischen Regiments, vermutlich das Ende der Welt, 
oder der jüngste Tag sich herzumachen, ungefähr um das 64. oder 65. Jar von 
dem 1603. Jahr zu rechnen... .“ 


Vorstehende lange Ausführungen waren nötig, um an Beispielen ein genaues Bild von 
der naiven Weltanschauung des Marius zu geben. Die Kometenschrift hat fast keine wissen- 
schaftlichen Wert und dieser Mangel wird um so deutlicher und auffallender, wenn man mit 
dieser Schrift des Marius die gleichzeitige des Peter Crüger, eines bekannten Danziger Mathe- 
matikers, über denselben Gegenstand vergleicht; man erkennt hierbei mit Genugtuung, dass 
es auch damals Männer gegeben hat, die an Gründlichkeit in Beobachtung und Kritik auch 
den modernen Forschern nichts nachgeben. 


Wenn nun Marius trotz der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel weder in der Beob- 
achtung der Sonnenflecken noch in der des Kometen etwas geleistet hat, so bleiben doch 
noch seine Forschungen aus seiner Glanzzeit 1610—1614 zur Beurteilung übrig. Wir 
meinen seine Beobachtungen mit dem Fernrohr an den Planeten. Obwohl diese der Haupt- 
gegenstand der vorliegenden Abhandlung sind, so ist doch hier schon anzudeuten, dass die 
angebliche Entdeckung der Venusphasen von Kepler als Plagiat an Galilei bezeichnet wurde, 
ebenso wie wir nachweisen werden, dass die von Marius behauptete Entdeckung der Jupiter- 
trabanten ebenfalls ein Plagiat an Galilei ist. Es bleibt ihm vielleicht das Verdienst der 


Abh.d.Il.Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 52 


402 


der Aufstellung von Tafeln der mittleren Bewegung der Jupitertrabanten (im Mundus 
Jovialis); doch auch dieses Verdienst begegnet, soweit die Selbständigkeit und Unabhängigkeit 
in Betracht kommt, berechtigten Bedenken und wird mit gutem Grund in Zweifel gezogen. 


3. Beiträge zur Charakterzeichnung des Marius. Baldesare Capra. 


Es sollen hier nur einige wenige Punkte aufgezeichnet werden, welche zur Skizzierung 
einiger Charakterzüge des Marius dienen können. Sie betreffen gewisse Entdeckungen des 
Marius und seinen Aufenthalt in Padua. — Durch fehlerhafte Übersetzungen des griechischen 
Textes des Almagest von Ptolemaeus waren die Regeln zur Einteilung des Himmelsgewölbes 
ete., die Ptolemaeus zum Zwecke des Wahrsagens aus der Stellung der Sterne gegeben 
hatte, etwas entstellt worden, so auch von Regiomontanus und anderen. Marius will nun 
in seinen. „Tabulae directionum (1599)* die richtige Deutung des Urtextes zuerst wieder 
aufgefunden haben und rühmt daher seine Tabulae directionum auf dem Titelblatt als 
solche, „in welchen die älteste Methode der Astrologen und des Ptolemaeus selbst nicht 
bloss wieder hergestellt (restitutus), sondern von neuem erfunden sei (de novo inventus).* 
Wie es nun mit dieser neuen Erfindung bestellt ist, geht aus folgendem hervor. Marius 
war mit „Epitome Astrologiae* von Hispalensis, welches Werk 1142 entstanden und im 
Jahre 1548 bei Heller in Nürnberg in lateinischer Sprache neu erschienen war, sehr wohl 
bekannt. Das Werk enthielt die alte, nach Marius richtige Einteilung des Himmels und 
Marius führt sogar die Regel hierzu aus jenem Werk wörtlich an. Dann sagt er weiter: „Diese 
kürzeste und leichteste Art Himmelsörter zu skizzieren habe ich, fern sei mir Ruhmsucht, 
am Astrolabium selbst gefunden, bevor ich eingesehen hatte, was der Autor 
(Hispalensis) mit seinen Worten meine, den ich doch in anderen Dingen durch 
öfteres Lesen mir vertraut gemacht hatte. Ja ich habe sogar, was noch mehr ist, 
diese ganze Art figuras coeli erigendi früher ausgedacht, als ich in gelehrten Werken 
nur etwas darüber gelesen hatte.* — Ausserdem sagt er noch: „Ich glaube endlich bei- 
fügen zu müssen, dass, während ich mich mit der Ausarbeitung der Tafeln beschäftigte, 
neue „Ephemeriden* von Martin Everard herauskamen ...; denselben ist eine tabula 
domorum, bezogen auf den Horizont von Brügge eingereiht, welche auf derselben 
Methode (des Ptolemaeus) begründet ist.“ — Marius schliesst dann seine Vorrede mit 
den Worten: „Damit aber nicht irgend ein Streitsüchtiger vielleicht glaube, dass ich mich 
mit fremden Federn schmücke, möget Ihr wissen, dass die „tabulae delineationum et coeli 
mediationum“ aus Regiomontanus genommen sind. Die „tabulae vero domorum‘* 
habe ich meinen besonderen Freunde und treuen Mitarbeiter, dem talentvollen jungen 
Manne Aug. Lanius aus Ansbach zur Berechnung gegeben, nachdem ich ihm 
vorher die Rechnungsweise gezeigt hatte.“ 

Vor der Kritik nun wird des Marius Behauptung von der Neuentdeckung des alten 
Rezepts nicht bestehen können, wenn man beachtet, dass gerade das, was er entdeckt 
haben wollte, in zwei ihm wohlbekannten Werken schon enthalten war. Man wird 
um so weniger geneigt sein, sich auf seine Seite zu stellen, als er zu damaliger Zeit noch 
ein Eleve in der Astronomie war; er sagt ja selbst in einem Briefe an den kaiserlichen 
Bergrat Vicke (1611) in Beziehung auf seine tabulae directionum: „Ich, der ich damals 
(bei Abfassung der Tafeln) gleichsam Autodidakt in dieser Wissenschaft und in geometrischen 


403 


Demonstrationen weniger zu Hause gewesen bin, habe gethan, was ich konnte. Ich hatte 
nämlich kaum zwei Jahre lang damals ernstlich Astronomie studiert, jeden 
Lehrers entbehrend.* (Am 1. May 1598 sagt Marius dagegen in seiner Eingabe an den 
Markgrafen um Übernahme der Druckkosten (30 fl.) der Tafeln, dass er „mit sonderlicher 
Lust nun in das fünfte Jahr mit dem Studio Astronomico versiret“.) 

So wenig sicher nun hier das Verdienst des Marius selbst auch war, so beschuldigte 
er doch (1611) den berühmten Magini des Plagiats an seinen Tafeln. Auch Kepler wurde 
um sein Urteil in dieser Frage angegangen und zwar von Vicke, dem Freunde des Marius. 
Kepler jedoch schreibt zurück (Juli 1611): „Ich habe nicht Lust, über dessen (Marii) 
Tafeln weiter zu streiten. Es genügt das, was ich gesagt habe, dass sie im Gebrauch 
unbequem seien, was, wie ich sehe, der Autor zugiebt... Ich habe nicht vor, deshalb 
gegen Marius feindselig aufzutreten: Denn davor möge mich ein gesunder Sinn bewahren, 
dass ich in solchen Lappalien Ruhm suche.“ In Bezug auf obiges angebliches Plagiat des 
Magini aber gibt Kepler den Rat: „Marius möge mit dem Verkleinern aufhören.“ 

Es folge hier noch ein zweites Beispiel von dem merkwürdigen Ahnungsvermögen des 
Marius. Auf pag. ©3 des Mundus Jovialis bemerkt er: „Nachdem ich das genannte Ver- 
hältnis (nämlich zwischen dem Radius der Sonnen- und Jupiterbahn = 11:60) hatte, 
berechnete ich eine Tafel der Gleichungen. Gelegenheit zu dieser Erfindung aber bot mir 
meine Ansicht über das Weltsystem, welche dem Wesen nach mit der des Tycho 
übereinstimmt, und auf welche ich in dem Winter 1595/96 verfiel, als ich zum 
erstenmale Copernicus las, zu der Zeit, wo ich noch in der Heilsbronner Schule war, und 
nicht einmal der Name des Tycho, viel weniger dessen Hypothese mir bekannt war; und 
diese sah ich erst im folgenden Jahre im Herbst 1596 bei dem hochwürdigen und sehr 
gelehrten M. Franciscus Raphael, Pfarrer zu Ansbach, jetzt in Christo ruhend, skizziert, 
welche Skizze ihm selbst von einem Wittenberger Studenten überschickt worden war.“ 
Marius führt auch Zeugen dieser seiner Entdeckung des tychonischen Systems an, die aber 
allerdings ausser dem früher genannten Lanius, der in Halle privatisierte, im Jahre 1614, 
— als Marius zum erstenmale seine Entdeckung aus dem Jahre 1595/96 kund gibt — 
schon gestorben waren und ferner auch bei Lebzeiten als Zeugen gegen ihn nicht gefährlich 
werden konnten, da sie, wie Marius selbst sagt, wegen anderer Lehrtätigkeit astronomische 
Werke nicht selbst studieren konnten und nichts davon verstanden. Tatsächlich ist in 
den vorhandenen Eingaben des Marius, in denen er den Markgrafen um Förderung seiner 
Studien angeht, und in den Gutachten der Räte, aus den Jahren 1597 und 1598 nur von 
Tafeln und einem Traktat über den Komet 1596, nie aber, selbst nicht 1599 in der Vor- 
rede zu den Tafeln, von dieser 1614 behaupteten Entdeckung des tychonischen Systems die 
Rede. Auch bei dieser Gelegenheit wendet sich Marius schliesslich gegen Übelwollende und 
verwahrt sich wohlweislich dagegen, als ob er mit obiger Erzählung den Ruhm eines anderen 
für sich in Anspruch nähme. 

Nachdem Galilei am 7. Januar 1610 die Jupitertrabanten und Ende 1610 die Venus- 
phasen entdeckt und seine Beobachtungen hierüber bekannt gemacht hatte, behauptete auch 
Marius, aber erst Mitte des Jahres 1611, und zwar zuerst in einem Briefe an Vicke, dass 
er ebenfalls die Venusphasen Ende 1610, und kurz darauf im Progn. astr. auf 1612, dass 
er auch die Trabanten schon Ende 1609 gesehen habe; beides mit Unrecht, wie wir 


sehen werden. 
52* 


404 


Aus diesen angeführten Beispielen erkennt man wohl die eigentümliche Begabung 
des Marius, der gerade das, was er eben bei anderen Autoren las, vorher selbst schon 
entdeckt hatte. — 

Hier ist nun auch der Ort, zweier Vorkommnisse zu gedenken, die mit des Marius 
Aufenthalt in Padua zusammenhängen; es ist der schmähliche Angriff Capras auf Galilei 
und sein noch schmählicheres Plagiat an dem Proportionalzirkel desselben. 

Als Marius sich auf Kosten des Markgrafen in Padua aufhielt, um Medizin zu 
studieren, schloss sich ihm ein junger mailändischer Edelmann, namens Balthasar Capra, an, 
der hisher Medizin studierte, nun aber Geschmack an der Astronomie und Mathematik 
empfand und deshalb im diesen Studien ein Schüler des Marius wurde. Als nun beide, 
wie rewöhnlich, auch am Abend des 10. .Oktober 1604 zur Übung des jungen Eleven und 
in Gegenwart des kalabresischen Edelmanns Camillo Sassa astronomische Messungen vor- 
nahmen, bemerkte Marius einen neuen, hellglänzenden Stern. Die Kunde hievon kam 
durch Cornaro, einen Freund des Capra, auch zu Galilei; dieser liess sich das Studium des 
Sternes sofort angelegen sein, hielt darauf drei grosse Vorträge, die von mehr als 1000 Per- 
sonen besucht wurden, und belehrte und beruhigte so das Publikum, welches durch die 
ungewöhnliche Erscheinung aufgeregt war. Zugleich stellte er Marius und Capra als die 
Entdecker des neuen Sternes dem Publikum vor. 

Bald darauf erschien über denselben Gegenstand eine Schrift Capras: Considerazione 
astronomica circa la nova portentosa Stella, che nell’ anno 1604 adı 10. ottobre apparse. 
Con un breve giudizio delli suoi significati. Di Baldesare Capra gentil homo Milanese, 
studioso d’Astronomia e Medieina. Padua 1605; Widmung datiert vom 16. Februar 1605. 
(Galilei opere, ed. Favaro II. 285—305.) In dieser Schrift bringt Capra die Geschichte der 
Entdeckung des neuen Sternes und knüpft daran Erwägungen an über die Zeit, den Ort 
der Erscheinung, die Parallaxe und über die Entstehung und Lage des Sternes im Welt- 
raume etc. In seine Betrachtungen flicht er Bemerkungen über Galilei, die von einer | 
solchen aggressiven Kühnheit und solchem Selbstbewusstsein zeugen, dass man kaum glauben 
kann, sie stammten von dem jungen Manne, der doch noch Neuling in dieser Wissenschaft 
war, selbst her. In der Tat muss man als Mitschuldigen dieses unerhörten Vorgehens 
neben dem Vater des Capra, besonders Capras Lehrer S. Marius ansehen, unter dessen 
Führung die Schrift entstanden war. 

Es scheint ein ganzes Komplott gegen Galilei bestanden zu haben; denn dieser beklagt 
sich (Difesa, Gal. opere II. p. 530) (1607) über die seit Jahren fortgesetzten, heimlichen 
Verläumdungen Capras und seiner Berater. Wenn man die böswilligen Unterstellungen, 
Beschimpfungen und geradezu, gegen nachweislich besseres Wissen, lügenhaften Aussagen 
Capras gegen Galilei mit Unwillen liest, so kann man nicht umhin dem Marius, dem 
Lehrer und Berater Capras, den Vorwurf zu machen, er habe statt den jugendlichen Feuer- 
eifer des: Capra zu zügeln, denselben in seinem Hass gegen Galilei schlecht beraten. — 
Woher die Abneigung gegen Galilei kam, lässt sich nicht sagen; vielleicht hat hierbei der 
grosse Ehrgeiz und Neid des Marius und Capra eine Rolle gespielt, der einerseits den 
Erfolg, den Galilei mit seinen Vorträgen erzielte, nicht mit ansehen konnte, andererseits 
sich gerade durch diese Vorträge um den gebührenden Ruhm gebracht sah und darin eine 
genügende Ehrung nicht erblickte, dass Galilei in seinem ersten Vortrage beide als die 
ersten Entdecker des Sternes den Zuhörern vorstellte. Denn ‚Capra sagt trotzdem in 


405 


seinem Buche, dass Galilei den Ruhm der Entdeckung nicht dem gespendet habe, dem 
er gebühre. 

Wir wollen nur ein Beispiel der verwerflichen Art, mit der Marius und sein Schüler 
gegen Galilei wüteten, anführen (Difesa, l. c. pag. 526/528): Einen Monat vor Veröffentlichung 
der Considerazione schickte Capra den Cornaro, einen Freund Galileis, zu diesem mit einem 
Zettel, auf dem zwei Fragen verzeichnet waren, deren Beantwortung Capra von Galilei 
erbat: „Es wird bezweifelt, ob es gut ist zu sagen, dass der neue Stern mit dem leuchtenden 
Kern der nördlichen Krone und mit dem leuchtenden Kern im Schwanze des Schwans 
immer eine Gerade bilde? Wenn ferner diese Sterne oder andere beliebige eine Gerade 
bilden, wie ist es möglich, dass sich die gerade Linie erhalte, während der neue Stern 
seine Höhe ändere?“ — Galilei wunderte sich nicht über die Unwissenheit des Capra, wohl 
aber über die seines Lehrers, da doch diese Art der Bestimmung der Unbeweglichkeit 
eines Sternes bei Ptolemaeus in 50 Beispielen, ferner bei Tycho und Maestlin vielfach vor- 
komme. Galilei liess antworten, dass der neue Stern nicht mit Schwan und Krone, 
sondern, wie er schon in seinen Vorträgen erklärt habe, mit der Krone und dem ersten 
der drei Sterne des grossen Bär in einer Geraden liege; er zeigte ferner an einem Globus, 
dass die drei Sterne immer in einer Geraden d.h. in einem grössten Kreise bleiben. — 
Obwohl nun Cornaro, wie dieser selbst in einer Erklärung vom 15. April 1607 schriftlich 
bezeugt, seinen Auftraggebern die genaue Antwort Galileis referierte, erschien trotzdem 
einen Monat später in der genannten Schrift Capras die Beschuldigung gegen Galilei 
(Considerazione, 1.c. pag. 302), „dieser habe die Unbeweglichkeit des neuen Sternes dadurch 
beweisen wollen, dass er beobachtete, der Stern bilde eine gerade Linie mit Krone und 
Schwan.“ — Darum sagt Galilei in Hinsicht auf die beispiellose Unverfrorenheit Capras 
mit Recht: „Ich weiss nicht, in welcher Schule Capra diese äusserst schändliche Sitte 
(questa brutissima creanza) erworben hat; von seinem deutschen Lehrer glaube ich es sicher 
nicht, denn da dieser Schüler des Tycho Brahe war, hatte er von jenem lernen und 
seinem eigenen Schüler zeigen können, welche Ausdrücke gebräuchlich sind bei der Ver- 
öffentlichung nicht nur der von anderen gesagten, sondern auch der geschriebenen Dinge 
und alle beide, als Studierende desselben Autors, konnten von diesem Bescheidenheit ge- 
lernt haben.“ 

Galilei tat zunächst (1605—1607) nichts zu seiner Verteidigung gegen die kecken 

- Angriffe, obwohl es ihm ein Leichtes gewesen wäre aus dem Ankläger einen Angeklagten 
zu machen, ja er duldete nicht einmal, dass eine Apologie, die ein Schüler Galileis gegen 
die Considerazione geschrieben hatte, trotz ihrer Vortrefflichkeit veröffentlicht werde. Galilei 
glaubte aus Mitleid mit der Jugend des Capra dessen Schamgefühl nicht verletzen zu sollen 
und hoffte hierbei, dass Capras Vater, Lehrer und Freunde auf dessen Gemüt korrigierend 

“einwirken würden und dass diese unverdiente Milde die Anmassung Capras von selbst ein- 
dämmen werde. 

Doch hatte Galileis Mässigung nicht den gewünschten Erfolg: 

Seit 1597 ungefähr hatte Galilei einen sogenannten Proportionalzirkel oder, wie 
Galilei ihn nennt, compasso geometrico e militare vollendet, davon in Padua selbst bis 1607 
mehr als 100 Stück fertigen und geschriebene Gebrauchsanweisungen zirkulieren lassen. 
Erst 1606, Widmung vom 10. Juli, liess er ein Werk („Le operazioni del Compasso 
geometrico e militare“, Padova, 1606, Gal., op. II) drucken, das die geometrischen und 


406 


und rechnerischen Operationen, die der Zirkel ermöglichte, genau beschrieb. Bald darauf 
erschien im Jahre 1607 (Widmung vom 7. März) in Padua ein neues Werk von B. Capra 
unter dem Titel: Usus et fabrica eireini eujusdam proportionis. Dieses Werk Capras aber 
entpuppte sich als ein Plagiat der schlimmsten Sorte; es war grossenteils eine einfache 
Übertragung des Galileischen Buches ins Lateinische, dem einiges aus Maginis: De altitu- 
dinibus ete. und auch einige, sehr unwichtige Dinge (frivolissime cose) als eigene Zutaten 
beigefügt waren. Capra gab den Gebrauch des Zirkels als seine Erfindung aus und erklärte 
Galilei, allerdings nicht mit direkter Nennung des Namens, für einen unverschämten Usurpator. 

Diese neue, unerhörte Leistung Capras genügte jetzt, um bei Galilei jede Rücksicht 
zurückzudrängen und energisch gegen den unverbesserlichen Feind aufzutreten. Er wendete 
sich sofort an die Signori Riformatori dello Studio di Padua in Venedig (Padua gehörte zu 
Venedig) und erwirkte durch authentische Beweise seiner Autorschaft die einstweilige Beschlas- 
nahme des Buches von Capra und die Vorladung Capras vor den hohen Rat in Venedig. 
— Am 19. April fand die Sitzung statt und hier brachte Galilei seine Anklage und die 
allgemeine Begründung derselben vor, die Capra mit vagen, nichtssagenden Ausflüchten zu 
entkräften suchte. Schliesslich wurde diesem ein Termin von 5 bis 6 Tagen gewährt, um 
sich zu einer weiteren Sitzung vorzubereiten, in welcher er angeben sollte, was von ihm 
in der Schrift herrühre (Difesa, 1. e. pag. 530 etc.). 

Diese Sitzung, zu der auch eine Reihe Gelehrter Zutritt erhalten hatte, fand endlich 
statt und hatte für Capra ein klägliches Resultat. Capra erklärte sich gleich anfangs 
bereit, jede Satisfaktion zu geben, auch eine Schrift drucken zu lassen und zu 
veröffentlichen, durch welche die Ehre und der gute Ruf Galileis wieder 
hergestellt werde; doch Galilei widersetzte sich diesem Anerbieten aus Misstrauen, und 
so nahm denn das Schicksal seinen Lauf. Das Buch Capras wimmelte von Fehlern und bot 
auch sonst dem Galilei leichte Angriffspunkte. Capra, von Galilei über verschiedene Punkte 
des Buches befragt, konnte nirgends Auskunft geben, nicht einmal über seine „eigenen* 
Zutaten, die sich als einfache Anwendungen der aus Galilei entnommenen Regeln von 
selbst ergeben mussten und die Galilei in seiner Schrift mit Recht glaubte weglassen zu 
können; auch bier ergab sich die völlige Ignoranz Capras!). Es zeigte sich mit 
aller Evidenz, dass „in dem Buche von Capra nichts enthalten ist, was von ihm ist, mit 
Ausnahme der Fehler.“ (Difesa, 561.) 

In diesem Sinne wurde auch der Urteilsspruch gefällt und mit Trompetenschall in 
der Universität zu Padua verkündet, Capra als Plagiator bezeichnet und demgemäss 
sein Werk eingezogen. 

Die Unwissenheit Capras, die sich bei dem Colloquium ergab, macht es sicher, dass 
die Abfassung des Werkes nur durch die kräftige Unterstützung seines Lehrers Marius 
möglich sein konnte. 

Dass Marius bei Ausarbeitung und Herausgabe der Schrift geholfen, geht aus ver- 
schiedenem noch hervor: Capra sagt in jenem Kolloquium sogar, dass er nicht Mathematik, 


!) So konnte Capra z. B. auf die Frage Galileis, wie viele regelmässige Vielflache es gäbe, keine 
Antwort finden, obwohl über die Konstruktion der Seiten derselben ein eignes Kapitel sich in seinem 
Buche findet. (Gal. op. II. p. 552.) 

Der Urteilsspruch enthält den Passus: „non havendo il Capra saputo rispondere, ne render buon 
conto sopra le cose per lui aggiunti nel predetto libro“ (l. c. p. 560). 


& 


407 


sondern Medizin studiere, ganz im Gegensatz zu früheren Aussprüchen.!) „Che egli ha 
stampato esser opera del suo maöästro“ (l.c. p. 594), so sagt er nach seiner Ver- 
urteilung zu einigen Bekannten; ferner erklärte er, — als Galilei ihn aufforderte in Gegen- 
wart der Kommission eine leichte Rechnung auszuführen, nämlich eine Seite eines gleich- 
seitigen Dreiecks zu berechnen, das einem gegebenen Kreise inhaltsgleich ist, nachdem er 
doch an der betreffenden Stelle seines Buches die Seite des entsprechenden regelmässigen 
Fünfecks ete. auch in Zahlen angegeben habe, — „che quella fabrica non era altrimente 
sua invenzione, ma l’avere avuto dal suo ma&stro“; „er sei nicht da, um aus der 
Mathematik zu doktorieren, sondern seine Profession sei die Medizin“ (l. c., pag. 554). In 
der Widmung der Schrift selbst nannte er dieselbe: „hie, licet imperfeetus praestantissimi 
viri (Marii) colturae fructus“, auch berief er sich bei seiner Verteidigung direkt darauf, 
dass er „nicht Autor dieses Werkes“ sei. 

Das aber, woraus das Einverständnis zwischen Lehrer und Schüler ohne weiteres 
hervorgeht, ist der Umstand, dass Capra es wagt, dieses Plagiat dem Gönner und Ernährer 
des Marius, nämlich dem Markgrafen Ernst Joachim von Ansbach zu widmen. 
Diese Widmung schliesst mit den Worten: Igitur C. T. hasce lucubrationes cuiusmodi sint 
ex manu Simonis Marii pacato vultu suscipiat, quod si faciat, non male ille suam 
operam collocasse apertissime cognoscet.* 

Man hat neuerdings versucht, Marius von jeder Teilnahme an jenem unterirdischen 
Angriff auf Galilei und an jenem schmählichen Plagiat freizusprechen. Nun wird dies 
schon nach dem so eben beigebrachten Materiale kaum mehr möglich sein. Marius war 
zwar 1607 nicht mehr in Italien, da er dieses Land sicher schon anfangs Juli 1605 ver- 
lassen hatte, wie wir schon erwähnt haben; aber wir haben auch von Marius selbst ein 
schriftliches Zeugnis darüber, dass er gerade zu der Zeit Juli 1606, als Galilei seine 
„Operazioni del compasso geometrieo“ veröffentlichte, mit Capra brieflich verkehrte. Denn 
in seinem Progn. astr. auf 1607, dessen Widmung vom 17./27. Juli 1606 datiert ist, 
schreibt er (Blatt C 4,1): „Diesen Monat (September) wird der Jovis(!) nach der Sonnen- 
untergang gegen auffgang sehr schön und gross leuchten, also zwar, das ... etliche ver- 
meinen werden, es sey ein newer Stern, wie diss Jahr bey der opposition Solis unnd Martis 
in Mayen geschehen, da in Italia bey jr vil Martem vor ein neuen Stern angesehen haben, 
wie ich durch meinen gewesenen Discipulum Balthasar Capra neulich schrifftlich bin berichtet 
worden‘. Wenn ferner Capra seine Schrift dem Markgrafen widmete und durch Marius, 
der doch den Zirkel Galileis und dessen Schriften darüber kannte, und daher auch wusste, 
dass Capras Schrift ein Plagiat war, feierlich überreichen liess, so ist das Einverständnis 
des Marius mit der Schrift und, wie aus früherem hervorgeht, seine Mitarbeiterschaft 
doch wohl ziemlich sicher. 

Was den Anteil des Marius an der „Considerazione Capras“ und den darin enthaltenen 
- unverschämten und lügenhaften Angriffen betrifft, so sind wir in der Lage, denselben ausser 
allen Zweifel zu stellen. Denn im Progn. astrol. auf 1623 sagt Marius (Blatt A 2,): 
„... dieweil auf vorgedachte grosse Vereinigung (h und 9) im Schützen folgents 1604. Jahr 
im Herbst der herrliche schöne Newe Stern im Schützen erschienen ist. Davon viel schreibens 


1) Noch in seiner Considerazione (l. c. p. 289) sagt Capra: „Oredendomi per ceeitä de’ nostri tempi 
essere solo amatore e defensore delle scienze mathematiche contro dell’ ignoranti calumniatori.“ 


Be ‚: 


408 


xewesen, ich auch zu Padua in Welschland meinem in Mathematicis discipulo 
Balthasar Capra, einem Meyländischen vom Adel einen Tractat in die Feder 
dietirt, welchen er auch unter seinem Namen, mir zum besten, in welscher 
sprach hat trucken lassen, dieweil ich in solchen einen vornehmen Professorem 
Philosophiae daselbsten (hier ist Galilei gemeint!), welcher gantz ungeschickte sachen 
wider die observationes Astronomorum hatte in truck publicirt, nach nohtturfft widerleget habe.“ 

Damit ist also die schändliche Konspiration des Marius und Capras gegen Galilei bloss- 
gelegt und man wird wohl auch schon deswegen an dem Einverständnis beider bei dem 
Plagiat von 1607 nicht mehr zweifeln dürfen. 

Vorstehende Ausführungen mögen genügen zur Kennzeichnung einer bedauerlichen 
Charaktereigenschaft des Marius, der von falscher Ehrsucht getrieben, einerseits fremde Ver- 
dienste für sich in Anspruch nahm und andererseits in schimpflicher und hinterlistiger Weise 
auch die Hand dazu bot, jene zu verkleinern und zu entstellen. 

Wir kommen jetzt unserem eigentlichen Thema näher und werden uns daher zunächst 
mit dem Mundus Jovialis des Marius beschäftigen. 


4, Mundus Jovialis von S. Marius. 


Der Mundus Jovialis ist dasjenige Werk von S. Marius, durch das sein Name der 
Geschichte der Astronomie angehört. Marius tritt hierin dem Galilei gegenüber, um zum 
erstenmale seine Priorität in der Entdeckung der Jupitertrabanten vor der gelehrten Welt 
zu behaupten und zu vertreten. Es ist daher notwendig, auf den Inhalt des Mund. Joy. | 
genauer einzugehen, um die Angaben und Behauptungen unseres $. Marius kennen zu lernen 
und dann prüfen zu können. 

Das Werkehen ist den Markgrafen Christian und Joachim Ernst von Brandenburg zu 
Ansbach und Bayreuth gewidmet. Die Widmung ist datiert vom 18./28. Februar 1614. 
In derselben hebt Marius die Verdienste der Markgrafen um die Wissenschaft und besonders 
um seine Person mit Recht hervor, und mit leicht begreiflicher Überschwenglichkeit stattet 
er seinen Dank ab. Hierbei betont er besonders, dass auch ein anderer Fürst aus dem Branden- 
burger Geschlecht, nämlich Albert, Herzog von Preussen, sich als hervorragender Förderer 
der Astronomie erwiesen habe, und dass durch dessen Unterstützung es vor 63 Jahren dem 
berühmten Erasmus Reinhold möglich geworden sei, seine — unter dem Namen Tabulae 
Prutenicae überall bekannten und benützten — Tafeln drucken zu lassen. Wie Reinhold 
durch die Widmung seiner Tafeln den Namen des Brandenburger Geschlechts in alle Welt 
getragen und durch die Benennung der Tafeln unsterblich gemacht habe, so wolle Marius 
durch die Widmung seiner neuen Entdeckungen seine Dankbarkeit für alle Wohltaten vor 
aller Welt bezeugen und das Andenken an diese Wohltaten durch Widmung und Benennung 
dieser Jupiterwelt (Marius nennt die Trabanten Sidera Brandenburgica) „an den Himmel 
schreiben“, dass es „bis ans Ende der Welt“ der „ganzen gelehrten Nachwelt“ empfohlen 
bleibe. Marius spinnt den Vergleich mit Reinhold noch weiter, um an der Grösse von 
dessen Werk den Wert seiner eigenen Arbeit zu messen: 

„Ultra quadriennium integrum, a prima huius Mundi Jovialis detectione, facta 
a me cum perspieillo belgico, deo sic disponente, consumpsi et ineredibiles labores, vigilando, 
observando et calculando sustinui, usque dum omnes, ut opinor, motuum diversitates in 


409 


apparentia deprehendi, deprehensas conveniente theoria excusavi, et ex hac tandem tabulas 
construxi, ex quibus facili negocio ad quodvis tempus datum, situs horum siderum ad Jovem 
supputari atque manifestari potest. 

Reinholdus quidem integrum septennium insumpsit conditione suarum tabularum 
Pruteniearum, at ille adjutus fuit observationibus annorum plus minus bis mille, tum 
etiam tabulis Alphonsinis, quin et inventionibus et observationibus Copernici.“ 
„Praeterea planetae, quorum canones Reinholdus condidit, inde a creato mundo cogniti 
fuere: Mei vero usque inannum 1609 omnibus hominibus incogniti etinobservati.“ 
Dies sage er aber nicht, um gleichsam die Mühe und die Autorität Reinholds, des besten 
Mannes, zu verkleinern, sondern vielmehr deshalb, damit seine (des Marius) Arbeiten neben 
denen des Reinhold mehr hervorträten und dadurch auch etwas an Autorität gewännen.“ 

Marius hält es also nicht für unbescheiden, sein Werkchen mit einem der bedeutendsten 
Werke des vorausgehenden Jahrhunderts in Vergleich zu setzen und dabei anzudeuten, dass 
seine Arbeit eigentlich eine schwierigere war als die Reinholds. 

Weiterhin wendet er sich in der Widmung an die Güte der Markgrafen mit der Bitte, 
sich auch ferner seiner anzunehmen, da er nun in vorgerücktem Alter sei, Familie habe 
und infolge eines gefährlichen Falles und des angestrengten Studiums in einem Zustande 
äusserster geistiger Schwäche (in summa cerebri imbecillitate) sich befinde; betont 
auch, in allerdings nicht recht logischer Weise, dass dieses Studium der Astronomie einen 
ganzen Mann erfordere und erwähnt, dass er hierin Autodidakt sei und nie einen lebenden 
Lehrer gehabt habe. In gewohnter Selbstschätzung aber lässt er einfliessen, dass er als der 
einzige aus der so grossen Zahl der Zöglinge in Heilsbronn diesen so hohen mathematischen 
Studien sich gewidmet habe, „ohne allen Zweifel von der Gottheit hierzu getrieben* 
(divinitus procul dubio exeitatum). 

Dieses „Werkzeug Gottes“ erzählt dann in einer sehr umfangreichen Vorrede dem 
Leser die Geschichte und den ganzen Verlauf seiner Entdeckungen. Wir lassen ihn selbst 
sprechen: „Ich hatte, geneigter Leser, bei mir beschlossen, weitläufiger mit dir in dieser 
Vorrede zu verhandeln und über all das, was von mir bisher durch das belgische Instrument 
an der Sonne, dem Mond und den übrigen Sternen und sogar am ganzen Himmel beobachtet 
wurde, lang und breit zu sprechen. Aber da nicht nur meine schlechte Gesundheit und 
andere dazwischen kommende Geschäfte mich von meinem Vorhaben abhielten, sondern auch 
die Frankfurter Messe nahe und das Büchlein selbst schon unter dem Drucke war, konnte 
ich mein Vorhaben nicht ausführen, sondern war gezwungen, diese Veröffentlichung meiner 
Beobachtungen wider meinen Willen zu verschieben. In folgendem nun werde ich kurz 
auseinandersetzen, wie und wann ich zur Kenntnis und zur Benützung dieses In- 
straments kam.* 

„Im Jahre 1608, als die Frankfurter Herbstmesse abgehalten wurde, weilte dortselbst 
auch der sehr vornehme, tapfere und tüchtige Mann, Johann Philipp Fuchs, Herr von 
 Bimbach-Möhrn ete., der vertraute Berater meiner Fürsten, nicht nur Gönner und Verehrer 
der ganzen Mathematik und anderer ähnlicher Wissenschaften, sondern auch deren eifrigster 
Pfleger. Unter anderem geschah es da, dass ein Kaufmann zu dem genannten Edelmann 
kam und ihm mitteilte, dass ein Mann aus Belgien auf der Frankfurter Messe sei, der ein 
Instrument ausgedacht habe, durch das man die entferntesten Gegenstände, wie wenn sie 
sehr nahe wären, sehen könnte; daraufhin bat er den genannten Kaufmann, dass er jenen 

Abh. d. II. Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 53 


410 


Belgier zu ihm brächte, was auch ‘geschah. Viel verhandelte er (v. Fuchs) mit dem ersten 
belgischen Erfinder und da er an der Wahrheit der neuen Erfindung zweifelte, brachte 
der Belgier endlich das Instrument hervor, welches er bei sich hatte und dessen eines Glas 
einen Sprung hatte, und forderte auf, die Wahrheit der Sache zu prüfen. Er (v. Fuchs) 
richtete nun das Instrument direkt auf die Gegenstände, und sah, dass dieselben einigemal 
vergrössert wurden. So von der Wahrheit des Instruments überzeugt, fragte er jenen um 
den Preis, um welchen er ihm ein ähnliches Instrument verschaffen könnte. Der Belgier 
verlangte eine hohe Summe; deswegen zerschlug sich der Handel. Der genannte Edelmann 
kehrte nach Ansbach zurück, rief mich zu sich und berichtete mir, dass ein Instrument 
erfunden sei, durch welches die entferntesten Gegenstände ganz nahe erschienen. Diese 
Neuigkeit hörte ich mit höchster Verwunderung ... 

Wir nahmen dann zwei Gläser aus gewöhnlichen Brillen und setzten eines hinter das 
andere in passender Entfernung und erkannten ungefähr die Wahrheit der Sache. Aber da die 
Konvexität des vergrössernden Glases zu gross war, schickte er (v. Fuchs) die in Gips eingedrückte 
Form des Konvexglases nach Nürnberg an jene Meister, welche Brillen machten, damit sie 
ähnliche Gläser ausführten; aber vergeblich. Sie brachten passende Instrumente nicht zu- 
stande und das Geheimnis der Fertigstellung wollte sich ihnen nicht offenbaren. Während 
wir so keine Kosten scheuten, verstrichen mehrere Monate. Wenn uns die Kunst des Glas- 
schleifens bekannt gewesen wäre, so hätten wir gleich nach der Rückkehr von Frankfurt 
die besten Fernrohre verfertigt. Inzwischen werden in Belgien solche Fernrohre ver- 
breitet und ein hinreichend gutes wurde uns übersandt, an welchem wir uns sehr ergötzten. 
Dies geschah im Sommer 1609. Von dieser Zeit an begann ich mit diesem Instrument 
den Himmel und die Sterne zu betrachten; wenn ich nachts bei dem öfter erwähnten Edel- 
mann war, gab er mir zuweilen die Erlaubnis dasselbe mit nach Hause zu nehmen, besonders, 
ungefähr gegen Ende November, wo ich nach meiner Gewohnheit in meinem ÖObserva- 
torium die Sterne betrachtete. Damals schaute ich zum erstenmale den Jupiter, der in 
Opposition mit der Sonne war und fand kleine Sternchen, bald vor, bald hinter dem Jupiter, 
in gerader Linie mit ihm. Zuerst glaubte ich, sie gehörten zu den Fixsternen, die ohne 
dieses Instrument nicht sichtbar wären, wie solche ja auch in der Milchstrasse ete. von mir 
gefunden wurden. Da aber Jupiter damals gerade rückläufig war und ich trotzdem während 
des Dezembers diese Begleitschrift der Sterne sah, geriet ich zuerst in grosse Verwunderung, 
dann aber kam ich allmählich zu der Meinung, nämlich, dass diese Sterne um den Jupiter 
kreisten, wie die fünf Sonnenplaneten $ 2? Ah um die Sonne sich bewegen, daher fing ich 
an, die Beobachtungen zu notieren, deren erste am 29. Dezember (1609) geschah, als drei 
derartige Sterne in gerader Linie vom Jupiter aus gegen Osten erblickt wurden. 

Zu dieser Zeit, das gestehe ich ganz offen, glaubte ich wenigstens, dass es drei solche 
Sterne seien, die den Jupiter begleiten, da ich mehrmals drei in solcher Ordnung gestellte 
Sternchen neben dem Jupiter sah. Inzwischen wurden auch aus Venedig zwei ausgezeichnet 
geschliffene Gläser, konvex und konkav, von dem berühmten und gelehrten Joh. Bapt. Lenk, 
der aus Belgien nach dem Frieden nach Venedig zurückgekehrt war, und dem dieses 
Instrument schon sehr bekannt war, uns überlassen. Diese Gläser wurden in einem hölzernen 
Tubus eingepasst und von dem früher genannten edlen und sehr tapferen Mann mir über- 
geben, damit ich erprobe, was es in der Sternenwelt und den Sternen bei Jupiter leiste, 
Von dieser Zeit an bis zum 12. Januar beobachtete ich die Jupitertrabanten und fand auf 


A eh 


a ii iii 


411 


irgend eine Weise, dass es vier solche Sterne seien, die den Jupiter umkreisen. Endlich 
segen Ende Februar und Anfang März war ich über die Zahl der Trabanten 
überhaupt sicher. 

Vom 13. Januar bis 8. Februar war ich in Schwäbisch Hall und liess das 
Instrument zu Hause, aus Furcht, es möchte auf der Reise Schaden nehmen. Nachdem ich 
nach Hause zurückgekehrt war, setzte ich die gewohnten Beobachtungen fort und, damit 
ich genauer und fleissiger die Jupitermonde beobachten könnte, gab mir der oft erwähnte Mann 
aus besonderer Liebe gegen diese mathematische Studien volle Gewalt über sein Instrument. 
Daher setzte ich von dieser Zeit an bis jetzt mit diesem Instrument und anderen richtig 
konstruierten die Beobachtungen fort. Dies ist die wahre Geschichte; ich dürfte wohl nicht 
auf einen so grossen Mann bei seinen Lebzeiten so in einer Öffentlichen Schrift ungestraft 
lügen, der nicht nur wegen seiner tapferen Taten und hohen Kriegskunst in Gallien, Ungarn, 
Belgien und Deutschland sehr berühmt ist.... Nicht aber werde dies von mir erzählt, 
wie wenn ich die Ehre Galileis verkleinern und ihm die Entdeckung dieser 
Jupitersterne bei seinen Italienern entreissen wollte, keineswegs, sondern vielmehr 
deshalb, damit man einsehe, dass diese Sterne von keinem Sterblichen mir auf irgend eine 
Weise gezeigt, sondern durch eigene Forschung fast genau zur selben Zeit, oder ein 
wenig früher, als sie Galilei in Italien zum erstenmale gesehen bat, von mir 
in Deutschland gefunden und beobachtet worden sind. Verdientermassen wird 
daher Galilei der Ruhm der ersten Entdeckung dieser Sterne in Italien zuerkannt 
und bleibt ihm. Ob aber unter meinen Deutschen irgend einer vor mir dasselbe auf- 
sefunden und gesehen habe, konnte ich bisher nicht erkennen und es wird auch nicht 
leicht geglaubt; vielmehr habe ich ganz das Gegenteil erfahren, dass nämlich solche 
existieren, welche sich nicht entblöden, den Galilei und mich in unverschämter Weise des 
Irrtums zu zeihen. Aber ich zweifle nicht, dass gerade jene über ihren Irrtum und ihr 
voreiliges Urteil über die Arbeiten anderer Reue und Scham empfinden. 

Wenn daher dieses mein Büchlein in die Hände Galileis nach Florenz kommt, bitte 
ich ihn, dass er dasselbe mit der Gesinnung aufnehme, in der es von mir geschrieben ist. 
Fern sei es von mir, dass durch mich seine Urheberschaft in seinen Entdeckungen auch 
nur etwas vermindert werde, vielmehr sage ich ihm Dank für die Veröffentlichung seines 
Nuntius Sidereus, durch den ich am meisten bestärkt wurde: besonders aber waren mir die 
Beobachtungen desselben nützlich, weil sie gerade zu jener Zeit ungefähr gemacht worden 
sind, wo ich in Schwäbisch Hall war und die Observation unterliess; wenn sie mir auch 
nicht allenthalben genau erscheinen, so waren sie mir doch soweit es den östlichen und 
westlichen Stand und die gegenseitige Lage dieser Sterne betrifft, von sehr grossem Nutzen. 
Die Methode Galileis zur Messung des Abstandes vom Jupiter gelang mir nicht, sondern 
ich blieb bei der meinigen, die ich auch vor der Kenntnis des Sidereus Nuntius gebraucht 
habe, und welche ich anderswo bei der Veröffentlichung meiner hauptsächlichen Beobach- 
tungen auseinandersetzen werde.“ 

„Jetzt wollte ich über die Sonnenflecken sprechen, um, wie ich mir vorgenommen 
hatte, auch alles das, was ich in Bezug darauf vom 3. August 1611 bis jetzt beobachtet 
habe, kund zu tun. Aber nicht allein aus den oben angeführten Gründen, will und kann 
ich für jetzt nichts darüber sicher behaupten, sondern weil auch die gelehrtesten Männer 
darüber verschiedener Meinung sind und ich selbst keine mir genügende Erklärung habe. 

53* 


412 


Ich verlasse daher diesen Gegenstand und werde nun vier andere Dinge besprechen, 
deren ich in den Widmungen der jährlichen Prognostica bisher keine Erwähnung tat,“ 

Wir wollen nur kurz den Inhalt dieser Ausführungen des Marius angeben, da sie mit 
unserem Zwecke in keinem Zusammenhang stehen: 

1. Am 15. Dezember 1612 hat Marius mit dem Fernrohr den Andromedanebel 
entdeckt, — ein Verdienst, das ihm von R. Wolf und 8. Günther auch als zu Recht bestehend 
zuerkannt wird. Marius führt für diese Entdeckung einen Zeugen an, — wir sagen den 
ersten und einzigen einwandfreien Zeugen überhaupt, den Marius bei all seinen be- 
haupteten Entdeckungen vorbringen kann; trotzdem glauben wir beifügen zu müssen, dass 
dieser Mann, Lucas Brunn, kurfürstlich sächsischer Mathematiker, nicht etwa Zeuge für 
das Datum der Entdeckung ist; denn nach des Marius Angabe war L. Brunn im 
September 1613 bei ihm zu Besuch und hiebei zeigte Marius „jenen seltsamen Stern“ 
(hanc stellam monstrosam); 

2. spricht Marius über die Szintillation der Sterne, ohne „seine eigene Meinung“ 
darüber darzutun; 

3. behauptet Marius, er habe nach seiner Rückkehr von Regensburg (Oktober 1613) 
mit einem neuen Instrument nicht nur die Planeten, sondern auch alle ausgezeichneten 
Fixsterne völlig rund gesehen. Er wundert sich, „dass Galilei mit seinem so aus- 
gezeichneten Instrument nicht dasselbe gesehen habe.“ Da nun aber die Anhänger des 
Copernicus die scheinbar unbestimmte Gestalt der Fixsterne mit der ungeheuren Entfernung 
begründet hatten, so falle umgekehrt dieser Grund für diese ungeheure Entfernung nunmehr 
weg und daher sei seine eigene und des Tycho Theorie von der nicht sehr grossen 
Entfernung der Sterne die richtige; 

4. behandelt Marius lang und breit die Ursachen des Flimmerns oder des Wallens 
der Luft. 

Dann folgt des Marius Bildnis mit der Überschrift: Simon Marius Guntzenhusanus 
Mathematicus et Medicus Anno MDCXIV. Aetatis XLIL., und mit der Unterschrift: Inventum 
proprium est: Mundus Jovialis et orbis terrae secretum nobile, Dante Deo. 

Nunmehr beginnt erst die eigentliche Abhandlung über die Jupitermonde, die sich auf 
46 Seiten erstreckt. i 

Alles was Marius über den Gegenstand sagte, hätte er auf einigen Seiten zusammen- 
fassen können. Doch gelingt es ihm, durch Entwicklung nicht nur der seit vier Jahren 
bekannten Theorie der Satellitenbewegung, sondern auch durch Ausführungen von Rechnungen 
über Verfinsterung, Distanzen und aequationes, die auch für die damalige Zeit sehr einfacher 
Natur waren, und besonders durch fortgesetzte Wiederholung längst gesagter Dinge, den 
oben angegebenen Raum zu füllen. Die ganze Anlage des Werkchens und dessen stilistische 
Ausführung deuten auf eine übereilte Abfassung hin. Der Gegenstand selbst wird mit 
einer Breite, ja mit einer gewissen verwirrten Geschwätzigkeit und dabei gerade in sehr 
wichtigen Dingen unvollständig behandelt, dass die Lektüre nichts weniger als interessant 
ist. Das Hauptinteresse bieten die Tafeln der mittleren Bewegung der Jupiter- 
trabanten, die dem Werke beigefügt sind und diesem geschichtliche Bedeutung verleihen. 
Über die genaueren Umstände und Einzelheiten der eigentlichen Entdeckung und deren 
Verfolgung wird nichts berichtet, und so vermisst man gerade das, was uns die Erzählungen 
von Entdeckungen so anziehend macht, nämlich die Darstellung der Irrungen und der 


TE Bu 


‘ 


413 


unglaublichen Mühen in der Überwindung oft auch kleinlicher Dinge. Besonders auffallend 
aber ist der Mangel von Zeugen. Marius gibt Niemand an, mit dem er über die 
wichtige Entdeckung gesprochen oder dem er seine Entdeckung gezeigt hätte. 

Wir wollen hier nicht auf die Einzelheiten der Abhandlung eingehen, da wir späterhin 
fortgesetzt Gelegenheit haben werden, die Hauptpunkte des Werkes nach und nach zu 
behandeln, und, um den Vorwurf der Wiederholung uns zu ersparen, jetzt darauf ver- 
zichten müssen. 

Was nun die Wirkungen des Mundus Jovialis auf die gelehrte Welt betrifft, die sich 
Marius vielleicht erhofft, so ist hiervon fast nichts zu merken. Das Werk erlangte zunächst 
keine Bedeutung und wurde wenig bekannt. Nach Italien fand es den Weg nur ganz vereinzelt. 
Scheinbar die erste Nachricht von dem Erscheinen des Mund. Jov. erhielt Galilei durch 
Francesco Stelluti in Rom. Dieser schreibt schon am 31. Mai 1614 an Galilei (Gal. op. XII. 
pag. 68): „Fürst Cesi habe ihn beauftragt, an Galilei zu schreiben, dass Jemand ein Werk 
habe drucken lassen, in welchem er sich als Entdecker der Medicäischen Planeten ausgibt, 
wie man aus dem Bücherkatalog von Frankfurt ersehen habe; der Titel des Werkes sei: 
Mundus Jovialis, anno 1609 detectus ope perspicilli Belgiei, inventore Simone Mario, Brandeb. 
Mathem. Zur Vorsicht schreibe man dies an Galilei, das Werk selbst sei in Rom noch nicht 
angekommen.“ 

Daraufhin schrieb Galilei sofort (7. Juni) an Marcus Welser in Augsburg und bat 
ihn um Besorgung des Mundus Jovialis. In dem Verfasser desselben, hatte Galilei seinen 
alten Widersacher, den Lehrer und Freund des Plagiators Capra erkannt. Er sandte des- 
halb seine „Difesa“, welche die genaue Erzählung seines Kampfes in Padua gegen Capra 
und Marius enthielt, an F. Stelluti nach Rom. Dieser bestätigt bereits am 14. Juni in einem 
Briefe an Galilei (Gal. op. XII. pag. 72) den Empfang der Schrift und spricht zugleich seine 
Verwunderung aus, dass Marius den Ausgang, den das Plagiat des Capra hatte, sich nicht 
als warnendes Beispiel dienen lasse. Stelluti meldet noch, dass Fürst Cesi einige Exemplare 
des Mund. Jov. bestellt habe und dass, sobald dieselben ankämen, man an Galilei eines 
schicken werde, damit er das schöne Plagiat sehe, welches, ohne weitere Erklärung, von 
allen auch für ein solches gehalten werde (accio veda il bel furto, ch& per tale, senz’ altra 
dichiaratione, sarä finhora da tutti creduto). Galilei muss jedoch schon in den ersten Tagen 
des Juli 1614 den erbetenen Mund. Jov. von Marcus Welser aus Augsburg erhalten haben; 
denn dessen Bruder Matthaeus Welser schickte an Stelle des schwer erkrankten Marcus am 
20. Juni ein Exemplar mit Brief (Gal. op. XII. pag. 77) an Galilei ab. 

Schon am 10. Juli befasste sich die Academia dei Lincei mit der Sache und in dem 
Protokoll vom 10. Juli, das von Joh. Faber abgefasst wurde, befindet sich die Stelle: „Es 
fragte auch Galilei an, auf welche Weise man gegen S. Marius, den Usurpator des Jupiter- 
systems antworten und ob man sich in dieser Sache an Kepler, oder an den Markgrafen 
Marcus Philipp von Brandenburg (Galilei verwechselt diesen mit den Ansbacher Markgrafen) 
wenden soll. Es wurde beschlossen, dass man es lieber sähe, wenn sich Galilei an Kepler, 
als einen Astronomen, brieflich wende“ (Bibl. d. K. Akad. d. Lincei, Cod. 30, car. 56 und 
Favaro, @. Galilei e lo studio di Padova, II. Bd.). In Übereinstimmung mit diesem Beschluss 
schrieb Cesi an Galilei unter dem 12. Juli 1614 (Gal. op., XII. Nr. 1030): „Mir ist es 
angenehm dass die Usurpation des Marius schon vollständig aufgedeckt ist, und ich möchte 
sie auch der Welt kund getan wissen, wie es notwendig ist und möglichst bald. Betreffs 


414 


der Art und Weise verhandelten wir gestern lang und breit mit den Herrn Genossen, die 
hier sind, und allen gefiel der Vorschlag am meisten, sich brieflich an Kepler zu wenden, 
da dieser doch Astronom in demselben Deutschland und gut informiert sei, während der 
andere Vorschlag einige Schwierigkeit biete“. 

Es ist sicher, dass Galilei diesen Rat nicht befolgt, sondern die Abrechnung mit Marius 
auf eine andere Gelegenheit zu verschieben sich vorgenommen hat. Wir finden diese Er- 
scheinung, dass er auf Angriffe ete. nicht gleich antwortet, wiederholt, so auch gegenüber 
der ersten Schrift Capras (1605), auf die er erst zwei Jahre später zurückkommt, als er 
sich gegen das Plagiat Capras zu verteidigen hatte, 

Als später Horky (1610) die bekannte Schmähschrift (Peregrinatio) gegen Galilei los- 
gelassen hatte, hüllte sich Galilei in Schweigen und überliess es der Zeit und dem gesunden 
Urteil der Leser, den Verfasser zn richten. 

Dass Galilei aber Keplers Urteil in der Angelegenheit nicht angerufen habe, erhellt 
aus dem Umstand, dass Kepler weder von dem einen noch von dem anderen als Streitrichter 
erwähnt wurde, und das wäre bei der grossen Bedeutung Keplers sicher geschehen; auch 
Kepler selbst spricht nirgends davon. 

Wir fragen uns nun, warum hat sich denn Kepler nicht aus eigenem Antriebe dazu 
berufen gefühlt, in den Streit einzugreifen und sein Urteil zu fällen? — Wir sagen: Kepler 
hatte dies nicht nötig; denn sein Urteil war durch die Dissertatio und die Narratio und 
durch Briefe, von denen wir noch reden werden, schon seit 1610 hinlänglich bekannt, als 
man von Marius noch nichts wusste. Kepler stand ohne jeden Zweifel auf Seiten 
Galileis. Dass nun aber Kepler in Deutschland nicht gegen Marius offen auftrat, lag 
in persönlichen Verhältnissen. Kepler und Marius waren verknüpft durch das Band der 
Religion und des Vaterlandes, ausserdem war vielleicht in Kepler die Überlegung ausschlag- 
gebend, gegen den Hofmathematiker eines einflussreichen Fürsten, dessen Geschlecht durch 
die neuen Sterne. verherrlicht wurde, höchstens mit dem Erfolg eigenen Schadens auftreten 
zu können. Er hütete sich um so mehr, als seine Stellung unter Kaiser Matthias schon 
überdies nicht die festeste. war und ausserdem Kaiser Matthias mit dem Markgrafen Joachim 
Ernst so befreundet war, dass er 1612 dessen Hochzeit mit der Gräfin Solms durch seine 
Anwesenheit in Ansbach verherrlichte. | 

Was Kepler für eine Meinung über Marius hatte, werden wir später des näheren 
untersuchen. 


5. Galileis Saggiatore, 


Galilei nahm den Behauptungen des Mundus Jovialis gegenüber für die nächste Zeit 
eine abwartende Stellung ein. Er konnte dies der Öffentlichkeit gegenüber ganz gut, da 
niemand das Bedürfnis fühlte, an Galileis Priorität zu zweifeln. Zudem wurde seine Kraft 
ausser durch seine eifrigen Beobachtungen der Jupitermonde, besonders durch seine Verhand- 
lungen mit dem Hofe von Spanien, bei dem Galilei seine neue Methode, die geographische 
Länge durch die vorauszuberechnenden Verfinsterungen der Jupitermonde zu bestimmen, 
nutzbringend verwerten wollte, in Anspruch genommen, dann aber auch durch den Streit 
mit Rom über das kopernikanische Weltsystem, der im Jahre 1616 im ersten Akte spielte 


und früher schon seine bedenklichen Schatten vorauswarf. — Es kam dann das Jahr 1618 


mit seinen drei Kometen. Über diese Kometen veröffentlichte Horazio Grassi eine anonyme 


£ 


415 


Disputation, die im Collegium Romanum der Jesuiten 1619 gehalten worden war. Galilei 
liess von seinem Schüler Mario Guiducci eine Gegenschrift (Discorso delle Comete) 1619 
verfassen. Durch diese fühlte sich H. Grassi angegriffen und beleidigt, so dass er im selben 
Jahre 1619 unter dem Pseudonym Lothario Sarsi eine ziemlich umfangreiche, mit zahlreichen 
und heftigen Ausfällen gegen Galilei gespickte Abhandlung erscheinen liess: Libra astronomica 
ac philosophica, qua Gal. Galilaei opiniones de Cometis a M. Guiducci in Florentina academia 
expositae, atque in lucem nuper editae, examinantur (Gal. op., Bd. VI). Endlich trat Galilei 
selbst auf den Kampfplatz und bereitete den berühmten „Saggiatore‘ vor, in dem er scharfe 
Abrechnung mit seinen Gegnern hielt. Die Schrift wurde nach vielen Hindernissen, wobei 
auch verschiedene Krankheiten Galileis eine Rolle spielten, auf Kosten der Academia dei 
Lincei erst 1623 zu Rom gedruckt. Sie war dem Erzherzog Leopold von Österreich gewidmet, 
der sich seinerzeit in Florenz aufgehalten und lebhaft für Galilei und dessen Kometenstudien 
interessiert hatte. 

Im Saggiatore schaut Galilei zurück auf seine Entdeckungen und Werke und lässt im 
Geiste all die öffentlichen und geheimen Anfeindungen, die jene ihm gebracht, noch einmal 
vorüberziehen. Er erinnert sich dabei auch jener, welche unter dem Vorgeben, seine Ver- 
öffentlichungen nicht gekannt zu haben, sich als die ersten Entdecker seiner eigenen Ent- 
deckungen ausgaben (Saggiatore, Gal. opere, ed. Favaro, Bd. VI. p. 199— 372). Dabei glaubte 
Galilei, den richtigen Zeitpunkt für gekommen, seine alte, seit neun Jahren unbeglichene 
Rechnung mit Simon Marius tilgen zu können. Galilei führt zu diesem Zwecke aus: 
(l.e. 214—217): „Ich könnte nicht wenige derartiger Usurpatoren nennen; aber ich will 
sie jetzt unter Stillschweigen übergehen, obgleich man die ersten Diebstähle weniger zu 
züchtigen pflegt als die folgenden. Aber ich will nicht länger mehr schweigen über den 
zweiten Diebstahl, welcher mit allzugrosser Frechheit nur dasselbe hat tun wollen, wie schon 
viele Jahre früher der erste mir es tat bei der Aneignung der Erfindung meines Compasso 
geometrico, obgleich ich ihn schon viele Jahre vorher einer grossen Anzahl von Männern 
gezeigt und mitgeteilt hatte und schliesslich eine Schrift darüber drucken liess; und es sei 
mir für diesmal verziehen, wenn ich, gegen meine Natur, gegen meine Gewohnheit und 
Neigung, vielleicht allzu heftig werde und mich beklage über das, worüber ich viele Jahre 
geschwiegen habe. Ich spreche von 8. Mario aus Gunzenhausen, welches jener Mensch war, 
der schon in Padua, wo ich mich damals befand, die Anweisung meines genannten Kom- 
passes ins Lateinische übertrug (man sieht, dass Galilei nunmehr die ganze Schuld dem 
Marius zuschiebt) und dieselbe als sein Werk von einem seiner Schüler unter dessen Namen 
drucken liess, und plötzlich, vielleicht um der Strafe zu entgehen, sich in sein Vaterland 
davon machte, indem er seinen Schüler, wie man sagt, nelle peste zurückliess, gegen welchen 
ich in Abwesenheit des Marius in der Weise vorzugehen gezwungen war, wie es aus meiner 
Difesa, die ich damals (1607) verfasste und veröffentlichte, ersichtlich ist. Dieser selbe 
(Marius) hat nun, gewöhnt, sich mit fremden Federn zu schmücken, sich nicht geschämt, 
vier Jahre nach der Veröffentlichung meines Nuntius Sidereus als Autor der von mir ge- 
machten und in jenem Werk veröffentlichten Entdeckungen sich auszugeben, und, indem er 
es unter dem Titel Mundus Jovialis drucken liess, hat er frech behauptet, er habe vor mir 
‚die medizäischen Planeten die sich um den Jupiter drehen, entdeckt. Aber weil es selten 
vorkommt, dass die Wahrheit sich von der Lüge unterdrücken lässt, siehe da hat nun eben- 
derselbe in seinem eigenen Werke durch seine Unachtsamkeit und zu geringe Einsicht mir 


416 


Gelegenheit gegeben, mit unwiderstehlichen Beweisen ihn zu überführen und seine Täuschung 
bloss zu legen, indem ich zeigen werde, dass er nicht nur die genannten Sterne vor mir 
nicht beobachtete, sondern auch sicher zwei Jahre nach mir sie nicht sah: und ich 
sage ferner, dass man mit grosser Wahrscheinlichkeit behaupten kann, dass er sie überhaupt 
niemals beobachtet hat. Und wenn ich auch aus vielen Stellen seines Buches den 
evidentesten Beweis für das, was ich sage, erbringen könnte, will ich doch das andere auf 
eine andere Gelegenheit versparen, und, um mich nicht allzusehr zu verbreiten und von 
meinem Hauptzweck abgelenkt zu werden, nur eine einzige Stelle anführen. Simon Marius 
schreibt im II. Teil seines Mund. Jov. bei der Betrachtung des sechsten Phänomens, mit 
Fleiss beobachtet zu haben, wie die vier Jupitertrabanten nicht immer in gerader Linie 
parallel der Ekliptik sich befanden ausser in der grössten Entfernung vom Jupiter, 
sondern, dass sie ausserhalb derselben immer eine merkliche Neigung gegen die genannte 
Linie hätten, und zwar sagte er, ist diese Neigung immer nördlich, wenn sie in dem 
unteren Teile ihrer Bahn sind, und andererseits ist sie immer südlich, wenn sie im 
oberen Teile ihrer Bahn sich befinden: und um solche Erscheinung zu erklären, verlegt 
er den von der Ekliptikebene aus südlich gerichteten Teil ihrer Kreise in die oberen Partien. 
— Nun ist diese seine Lehre voll von Unrichtigkeiten, welche offenbar beweisen und be- 
zeugen seinen Betrug (la sua fraude): 

1. Ist es unwahr, dass die vier Kreise der Trabanten sich gegen die Ekliptikebene 
neigen, sie sind nämlich zu derselben parallel. 

2. Ist es nicht wahr, dass dieselben Sterne niemals unter sich in gerader Linie ange- 
ordnet sind ausser in den Maximalentfernungen vom Jupiter: Es geschieht vielmehr bis- 
weilen, dass sie in irgend einer Distanz, in der grössten oder mittleren oder kleinsten, in 
genau gerader Linie gesehen werden und sich gegenseitig begegnend sich genau decken, so 
dass die beiden als ein einziges Sternchen erscheinen, auch wenn sie entgegengesetzte Be- 
wegung haben und dem Jupiter sehr nahe stehen. 

3. Ist es falsch, dass, wenn sie sich gegen die Ekliptikebene neigen, dies immer in 
der Weise geschieht, dass die oberen Teile ihrer Kreise gegen Süden, die unteren aber gegen 
Norden gerichtet sind. Vielmehr sind nur zu gewissen Zeiten ihre Deklinationen so be- 
schaffen, zu anderen Zeiten aber haben sie gerade entgegengesetzte Neigungen, d.h. gegen 
Norden, wenn sie im mittleren oberen Teil ihres Kreises und gegen Süden, wenn sie im 
mittleren unteren Teil ihres Kreises sich befinden. — Aber $. Marius, der diese Dinge 
weder verstanden, noch beobachtet hat, hat unvorsichtigerweise seinen Betrug aufgedeckt. 

Die Sache verhält sich nun so: 

Die vier Kreise der medizäischen Sterne sind immer parallel der Ekliptikebene; und 
da wir in derselben Ebene uns befinden, so geschieht es, dass der Jupiter manchmal keine 
Breite haben, sondern sich selbst auch in der Ekliptik befinden wird, die Bewegungen jener 
Sternchen hier in ein und derselben geraden Linien zu geschehen scheinen und ihre Kon- 
junktionen in einem beliebigen Punkte immer körperlich d. h. ohne irgend eine Abweichung 
sein werden. Wenn aber Jupiter sich ausserhalb der Ekliptikebene befinden wird, wird es 
eintreten, dass, wenn seine Breite eine nördliche ist, die oberen Teile der vier Trabanten- 
kreise, während sie der Ekliptik parallel bleiben, uns, die wir immer in der Ekliptikebene 
sind, sich nach Süden zu neigen scheinen gegenüber den unteren Teilen, die mehr nördlich 
sich zeigen werden. Im Gegenteil aber werden sich die oberen Teile derselben Kreise, wenn 


417 


die Breite des Jupiter südlich sein wird, nördlicher zeigen als die unteren: — so dass die 
Deklinationen der Sterne, wenn Jupiter nördliche Breite hat, das entgegengesetzte von dem 
zu tun scheinen, was sie bei südlicher Breite des Jupiter tun werden; d.h. im ersten Falle 
sieht man die Sterne sich nach Süden neigen, wenn sie im oberen Teil der Bahn sind, und 
gegen Norden, wenn sie im unteren Teile sich bewegen; aber im anderen Falle neigen 
sie sich nach entgegengesetzten Richtungen, d. h. nach Norden im oberen, nach Süden im 
unteren Teile ihrer Bahn, und diese Neigungen werden grösser und kleiner sein, je nachdem 
die Breite des Jupiter grösser oder kleiner sein wird. 

Also sind, da S. Marius schrieb, er habe beobachtet, dass die genannten vier Sterne 
immer sich nach Süden im oberen Teil ihrer Kreise neigen, seine Beobachtungen 
gemacht zu der Zeit, als Jupiter nördliche Breite hatte: Aber als ich meine 
ersten Beobachtungen machte, war Jupiter südlich und blieb so lange Zeit, und war 
durchaus nicht nördlich, dass die Breiten der vier Sterne sich damals so hätten zeigen können, 
wie Marius schreibt, sondern erst mehr als zwei Jahre später: folglich, wenn er sie über- 
haupt jemals sah und beobachtete, so war das erst zwei Jahre nach mir. 

Hiernach ist er also durch seine eigenen Erklärungen der Lüge überführt, wenn er 
behauptet, vor mir solche Beobachtungen gemacht zu haben. Aber ich füge noch hinzu 
und sage, dass man mit grösster Wahrscheinlichkeit glauben kann, dass er sie niemals 
gemacht hat, schon deshalb weil er behauptet, sie niemals genau in gerader Linie gesehen 
und beobachtet zu haben, ausser wenn sie sich in den Maximalentfernungen vom Jupiter 
befanden; die Wahrheit aber ist, dass vier ganze Monate, — nämlich von Mitte Februar 
bis Mitte Juni 1611, in welcher Zeit die Breite des Jupiter sehr klein oder Null war, — 
die Verteilung dieser vier Sterne immer in gerader Linie stattfand in allen ihren Lagen. 

Man bemerke ferner noch die Scharfsinnigkeit, mit der Marius sich als Vorgänger von 
mir zeigen will: 

Ich schrieb in meinem Nuntius Sidereus, meine erste Beobachtung am 7. Januar 
1610 gemacht zu haben, die anderen in den folgenden Nächten: Da kommt nun S. Marius 
und druckt, indem er sich diese meine Beobachtungen aneignet, in dem Titel seines Buches 
und auch im Werke selbst, er habe seine Beobachtungen Ende des Jahres 1609 gemacht, 
woraus ein anderer den Schluss auf seine Priorität machen könnte: Die älteste Beob- 
achtung jedoch, die er dann vorbringt als von ihm gemacht, ist die zweite von mir 
gemachte. Aber er verkündigt sie als im Jahre 1609 gemacht und unterlässt es, den Leser 
aufmerksam zu machen, dass, da er ausserhalb unserer Kirche steht und die @Gregorianische 
Kalenderverbesserung nicht angenommen hat, der 7. Januar 1610 bei uns Katholiken 
derselbe ist wie der 28. Dezember 1609 bei den Häretikern. 

Und dies ist der ganze Vorgang seiner fingierten Beobachtungen. Man teilt ihm 
auch fälschlicherweise die Auffindung der periodischen Umlaufszeiten zu, die von mir 
in langen Nachtwachen und unter den schwersten Mühseligkeiten aufgefunden und in meinen 
„Lettere Solari“ und auch in dem Traktat, das ich über die „sehwimmenden Körper“ 
veröffentlichte, mitgeteilt wurden; dies war dem genannten Simon bekannt, wie sich klar 
aus seinem Buche ergibt und er hat daraus unzweifelhaft jene Bewegungszeiten 
entnommen.“ 

Dies sind die Worte Galileis. Auf die Hauptpunkte seiner Ausführungen werden wir 
zurückkommen. 

Abh. d. II.Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. II. Abt. 54 


418 


Unsere nächste Aufgabe wird es sein, festzustellen, wie weit es späteren Forschern 
gelungen ist, Galileis Behauptung über das Plagiat des Marius näher zu begründen oder 
zu widerlegen und durch Auffindung weiteren Materials die Entscheidung in dieser Frage 
zu fördern. Hiebei möge es uns erlaubt sein, Aussprüche verschiedener Gelehrten anzuführen, 
welche deren Stellung in dem Streite zwischen Galilei und Marius präzisieren. Wir bringen 
sie im allgemeinen in der zeitlichen Reihenfolge. 

Wir kommen zunächst zu Kepler, dessen Verhältnis zu Marius aus mehreren Gründen 


genauer auseinandergesetzt werden muss. 


6. Kepler und Marius. 


Kepler trat mit Marius in gewisse Beziehungen. Es ist also begreiflich, wenn er, als 
der bedeutendste Astronom jener Zeit, in der Streitfrage zwischen Galilei und Marius als 
Kronzeuge beigezogen wird. Bei der Wichtigkeit des Namens ist es angezeigt, seine Be- 
ziehungen zu ‚Marius ausführlich darzulegen und seine Stellung gegenüber der Person, den 
Werken und Entdeckungen des Marius zu kennzeichnen. 


Die erste Berührung Keplers mit Marius mag in Prag 1601 stattgefunden haben. Die 
Biographen des Marius heben gewöhnlich hervor, dass Marius auf Betreiben des Tycho Brahe 
nach Prag berufen worden und daselbst mit Tycho und Kepler in enge Beziehung und 
Freundschaft getreten sei. Für letztere Behauptung jedoch fehlt jede Unterlage. Marius, 
der seit 1589 sich in der Heilsbronner Schule befand, bat seit 1597 ın wiederholten Ein- 
gaben an den Markgrafen um Förderung seiner astronomischen Studien und um die Möglichkeit 
seiner Fortbildung an einer Hochschule: Als solche war Königsberg ausersehen. Da dieser 
Plan jedoch aus bisher unbekannten Gründen unausgeführt blieb, so bemühten sich seine 
Freunde und Gönner zum Ersatz für die getäuschte Hoffnung um eine Hilfsarbeiterstelle bei 
Tycho Brahe. Diese wurde dem Marius wahrscheinlich durch Vermittlung des Markgrafen 
leicht gewährt und Ende Mai 1601 kam Marius, ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben 
des Markgrafen nach Prag. Mit Tycho Brahe trat er kaum in näheren Verkehr, da Marius 
nicht dem Tycho selbst, sondern einem Gehilfen Joh. Ericksen als. Hilfsarbeiter zugeteilt 
wurde (siehe Kepleri epistolae, ed. Hanschius, pag. 176) und da Tycho selbst bald darauf in 
eine schwere Krankheit verfiel, der er schon im Oktober 1601 erlag. Kepler aber war 1601 bis 
September von Prag wegen Krankheit abwesend; als er endlich in Prag eintraf, absorbierten 
ihn seine Arbeiten und die Sorgen um den schwerkranken Tycho vollständig, ausserdem 
war Marius selbst im September (Progn. 1613, Blatt D3) von Prag abwesend, auf einer 
Reise in Mähren. Kurz vor oder nach dem Tode des Tycho jedoch musste Marius Prag 
verlassen haben, da er sich darauf noch in Ansbach aufhielt (siehe: Papius an Kepler, 
Hanschius 1. c. pag. 75) und bereits am 18. Dezember 1601 sich in die Universitätsmatrikel 
zu Padua eintrug mit den Worten: „D. Simon Marius Guntzenhusanus Francus Inelytae 
Germanjae Nationi nomen meum dedi expositis pro more 6 Ib. venetis, 18. Xbris, anno 
1601* (Favaro: Gal. Galilei e lo studio di Padova, I. p. 178). Daraus ergibt sich, dass, 
wenn Kepler überhaupt mit Marius verkehrte, dieser Verkehr sich nur auf wenige Tage 
erstrecken konnte. Jedenfalls wurde damals zwischen Kepler und Marius, kein Freundschafts- 
verhältnis geknüpft und sie waren auch nicht näher miteinander bekannt geworden. Davon 
ist auch in den späteren Schriften, weder des Kepler noch des Marius nie die Rede. Dass 


= DAMPF VE NE ch .r 


419 


Kepler und Marius sich eigentlich fremd geblieben sind, bezeugt auch der Brief des Joh. 
Papius (Ansbach) an Kepler (Hanschius, 1. e. pag. 75), in dem Papius ausführt, dass er 
über Keplers Verhältnisse von Marius weder brieflich aus Prag, noch mündlich, als Marius (im 
Oktober oder November 1601) nach Ansbach zurückgekehrt war, irgend etwas erfahren konnte. 

Infolgedessen konnte sich zunächst auch ein Briefwechsel zwischen Kepler und Marius 
nicht entwickeln. Ein Briefwechsel, jedoch von kurzer Dauer und unter eigentümlichen 
Verhältnissen, die wir gleich auseinandersetzen werden, entspann sich erst von 1612— 1613. 
Auf diese kurze Zeit beschränkte sich der gauze Briefverkehr, der aus drei Briefen bestand, 
von denen wir noch zwei besitzen, einen von Kepler und einen von Marius (s. Hanschius). 

Die indirekte Ursache des Briefwechsels war ein kaiserlicher Bergrat Nicolaus Vicke 
in Wolfenbüttel.. Derselbe trieb astronomische Studien und da er erkannte, dass z. B. die 
nach Copernicus errechneten Sonnen- und Planetenörter nicht mit den neueren Werten des 
Tycho Brahe übereinstimmten, so bat er in einer Reihe von Briefen Kepler um Aufschluss. 
Als Vieke ca. 1610 auch in die Geheimnisse der astrologischen Kunst einzudringen versuchte 
und zu diesem Zwecke verschiedene Astrologien und Tafeln wie die des Magini, Everard, Marius, 
Stadius, Origanus, Cardanus etc. studierte, fand er Verschiedenheit in den Vorschriften zur 
Stellung des Horoskops und in den Tafelwerten. In Betreff der entstehenden Unklarheiten 
wandte sich Vicke wiederum an Kepler. Kepler gewährte die verlangte Auskunft bereit- 
willig und äusserte sich auch gelegentlich in einem Briefe vom 8. Februar 1611 und wahr- 
scheinlich ausführlicher in einem verloren gegangenen Briefe vom 17. März 1611 über die 
in Rede stehenden Tafeln; so schrieb (Juli 1611) Kepler an Vicke betreffs der Tabulae 
directionum des Marius: „Es fällt mir nicht ein über des Marius Tafeln weiter zu streiten. 
Es genügt das, was ich gesagt habe, dass sie im Gebrauch unbequem seien. Darauf ist in 
Marius eine ängstliche Vergleichungssucht entstanden, zwischen dem was er selbst zuerst 
berechnet und gezeigt hat, und dem, was ich, wie er anerkennt, in eine bequemere Form 
gebracht habe, und er schliesst die Bitte an, dass ich ihn nicht allzu unsanft behandeln 
möge. Wahrscheinlich hast du ihm geschrieben, dass ich öffentlich gegen ihn auftreten 
werde. Aber davor möge mich ein gesunder Sinn behüten, dass ich jemals in solchen 
Lappalien und Spitzfindigkeiten irgend welchen Ruhm mir erhoffe.* Diese Worte beziehen 
sich als Antwort auf einen Brief von Vicke, den dieser am 6./16. Juli 1611 an Kepler 
gerichtet hatte, und der für uns deshalb von besonderer Wichtigkeit ist, weil in demselben das 
Bruchstück eines Mariusschen Briefes angeführt wird. In diesem Briefe hatte nämlich 
Marius seine Beobachtungen mit dem Fernrohr an der Venus und den Jupitertrabanten dem 
Vieke mitgeteilt und diese Mitteilungen mögen hier folgen; Marius schreibt: „Die ersten 
sechs Bücher Euklids sind ins Deutsche übertragen und schon vor einem Jahre gedruckt 
worden; ich beschäftige mich nun mit den übrigen: seitdem habe ich ein anderes Werk 
vor, in welchem ich erstens die Unbeweglichkeit der Erde behaupte. — Ich lasse hiebei 
alles Persönliche (b)!) beiseite, sondern prüfe nur die Argumente gegen das kopernikanische 
Weltsystem, welches in unserer Zeit Kepler zugleich mit Galilei gutheisst und von dem er 
ernstlich behauptet, dass es sich so verhalte (c). — Hierauf wird die Meinung jener zurück- 


1) Beim Abdruck dieses Briefes in seiner Dioptrik (Kepleri op. omnia, ed. Frisch, II. 467) machte 
Kepler 5 Randbemerkungen (b—f), von denen hier drei (b), (c), (f) in Betracht kommen; siehe p. 122 
vorliegender Abhandlung. 

54* 


420 


gewiesen, welche geglaubt haben, dass die Himmelskörper so ungeheure Masse besässen, 
und es wird die neue, wahrscheinlichere Grösse von mir übermittelt werden, in welcher 


Angelegenheit mir das belgische Instrument — allgemein perspieillum genannt — von 
Nutzen gewesen ist. — Drittens werde ich zeigen, dass die Venus nicht anders von der 


Sonne erleuchtet werde, wie der Mond und dass dieselbe sichelförmig erscheine (corniculatam, 
diy6touo» reddi), wie von mir vom Ende des vorausgehenden (f) (superioris d.h. 1610.) 
Jahres an bis in den April des gegenwärtigen (praesentis d.h. 1611.) Jahres mit Hülfe 
des belgischen Fernrohrs vielmals und aufs sorgfältigste beobachtet und gesehen wurde, zur 
Zeit da sie der Erde sehr nahe war, sowohl westlich als östlich — Viertens werde ich 
berichten über die vier neuen jovialischen Planeten, welche um den Jupiter kreisen, wie 
die übrigen Planeten mit der Sonne, jedoch in ungleicher Entfernung und Periode. Ich habe 
schon aufgefunden die Perioden der beiden äussersten und Tafeln konstruiert, so dass 
man von nun an zu jeder Zeit sehr leicht erfahren kann, wieviel Minuten sie zur Rechten oder 
Linken vom Jupiter abstehen. — Diese beiden letzten Kapitel sind seit dem Bestehen der Welt 
ganz unerhört. Vielleicht werde ich bei meiner Arbeit auch noch auf andere Dinge stossen.* 

Hier interessiert uns weniger die Meldung der neuen Forschungen des Marius, auf die 
wir erst später im II. Teil der Abhandlung eingehen können, als vielmehr die Stellung, 
die Kepler zu derselben einnimmt. Kepler antwortet auf diese Mitteilung zunächst in einem 
Brief an Viecke noch im Juli oder August 1611: Nachdem Kepler sein Urteil über des 
Marius Tafeln ausgesprochen und dem Vicke, der die Methode Keplers, das Horoskop zu 
stellen, nicht verstanden und von neuem um Aufklärung gebeten hatte, bemerkt hat, er 
wolle in einer Sache von so geringem Werte sich nicht mehr bemühen und nicht mehr 
behelligt werden, geht er auf des Marius Forschungen über und drückt zunächst den Wunsch 
aus, er möchte sehen, ob in der Mariusschen Euklidübersetzung etwas an der Übersetzung 
von Xylander geändert sei. Dann spricht er seine Verwunderung darüber aus, dass Marius 
Argumente gegen die Bewegung der Erde beibringen wolle, ohne die Personen, die das 
Gegenteil behaupten, zu nennen, wie wenn es eine schimpfliche und gefährliche Sache wäre, 
oder wie wenn er durch seine Argumente Schande auf diese Personen häufen würde. Kepler 
sagt weiter, dass nicht bloss Kepler und Galilei, sondern ungezählte Personen aus allen gelehrten 
Berufen die Bewegung der Erde für ‘sicher hielten, und rät dem Marius, sein (Keplers) Buch 
über die Prinzipien der Astronomie und seine Kommentare über den Mars zu lesen. Die 
heilige Schrift dürfe man nicht zur Entscheidung der Frage herbeiziehen: sie spreche über 
Mathematik, lehre aber nicht Mathematik. Sie spreche jedoch, damit sie verstanden werde, 
in volkstümlicher Sprache, deren Lehrmeister die Augen seien: Der Augenschein aber täusche 
hier. — Dann führt Kepler wörtlich fort: 

„Besonders freue ich mich, dass in Deutschland Einer ist, der mit dem Italiener Galilei 
den Kampf aufnimmt in der Erforschung der Geheimnisse des Himmels, und ich bitte dich, 
Marius aufzufordern, dass Marius die zwischen den Nationen üblichen Neigungen zur Ver- 
kleinerungssucht ebenso beiseite lasse, wie er sich vor Persönlichem zu hüten entschlossen 
ist: Es handelt sich nämlich um die Sache der Wahrheit. Galilei schrieb vor einigen 
Monaten nach Prag, dass der Sirius nicht den 50.' Teil der Grösse des Jupiter einnehmen 
(Galilei an Medici in Prag, Febr. 1611): ich vermute, er vergleicht, wie gewöhnlich, die 
Scheiben unter sich, deren Durchmesser das Verhältnis 1:7 haben. Dies stimmt mit der 
Ansicht des Marius ganz überein. 


421 


Über die Phasen der Venus schrieb Galilei im November!) vorigen Jahres nach Prag 
folgendes Rätsel: „Haec immatura a me jam frustra leguntur oy“. Drei Monate später (der 
betreffende Brief Galiles an Jul. Medici ist vom 1. Januar 1611) löste er das Rätsel 
folgendermassen: „Cynthiae figuras aemulatur Mater amorum.* Also wieder Übereinstimmung 
zwischen Galilei und Marius. Marius muss ein sehr gutes Fernrohr besitzen, wie ich 
wenigstens keines habe. Ich vermute, Marius werde das Argument, welches sich aus der 
Beleuchtung der Venus für Kopernikus etc. ergibt, nicht ausser acht lassen, und welches 
Galilei in seinem italienischen Brief, den ich, wie ich hoffe, meiner Dioptrik, die in Augs- 
burg gedruckt wird, werde beifügen lassen, mit viel Feinheit entwickelt hat. Wenn in- 
zwischen Marius beraten werden kann, so möge er beraten werden: Ich werde nämlich 
diesen Bruchteil des Mariusschen Briefes, dem Galileischen Briefe anfügen, wenn Marius 
inzwischen nicht anders bestimmen wird. 

Ich möchte wissen, ob Marius auch am Saturn etwas Neues bemerkt. Ich wünsche 
ihm auch Glück zur Auffindung der Perioden von zwei Jupitertrabanten. Galilei schrieb 
im vergangenen Dezember (11. Dezember 1610): „Spero che havero trovato il metodo* etc. 
Ich selbst habe in den Monaten April und Mai mit einem nicht sehr guten Instrumente, 
mit dem ich den vierten Trabanten sehr selten sehen konnte, die Periode des dritten scheinbar 
= acht Tagen gefunden: Galilei gab dem vierten, wenn ich nicht irre, fünfzehn Tage“. 

Es ist nicht zu leugnen, dass schon in diesem Briefe ein gewisses Misstrauen Keplers 
gegen die Mariusschen Forschungen und Behauptungen zwischen den Zeilen zu lesen ist, 
und auffallend ist die eingeflochtene Warnung, Marius möge sich vor der üblichen Ver- 
kleinerungssucht hüten, da es sich um die Sache der Wahrheit handle. 

Offen aber spricht Kepler seine Zweifel an den Angaben des Marius aus in der Vor- 
rede zur „Dioptrice“, die in der zweiten Hälfte des Jahres 1611 zu Augsburg erschien. In 
dieser Vorrede erzählt Kepler die grossen Entdeckungen, die Galilei mit dem Fernrohr 
gemacht habe, und preist ihn als den scharfsinnigsten Beobachter, der mit Hülfe des Fern- 
rohres den besten Beweis für das Kopernikanische Weltsystem erbracht habe. Hierauf 
berührt Kepler die Eifersucht und Verkleinerungswut, die unter den Nationen‘ 
herrsche und führt dann als neuestes Beispiel hiefür an den Simon Marius 
aus Franken. Kepler sagt: „Da aber niemals in der Philosophie Eifersucht und Ver- 
kleinerungswut unter den Nationen fehlt und viele der Deutschen nach einem Zeugnis hiefür 
in Deutschland suchen werden: so führe ich gerade über jene Verhältnisse den Brief eines 
Deutschen, Simon Marius, eines Franken?), an. Aus diesem wird zugleich auch das sich 
ergeben, dass Galilei nicht übel daran getan hat, als er, um seine Ansprüche sicher zu 
stellen, seine Entdeckungen frühzeitig, jedoch in Rätselform uns nach Prag berichtet hat“. 

Kepler lässt nun den oben (p. 419/20) angeführten Brief des Marius an Vicke wörtlich 
folgen, und macht überdies zu fünf Stellen dieses Briefes Randbemerkungen, die ebenfalls 
in der Dioptrik abgedruckt sind und die Keplers Urteil über Marius scharf hervortreten lassen. 
Von diesen fünf Randbemerkungen interessieren uns hier nur drei (Kepleri opera, II. 469): 


l) Der betreffende Brief Galileis ist vom 11. Dezember 1610; am 13. November 1610 meldete 
Galilei die Lösung des Saturnrätsels an Jul. Medici nach Prag. 

2) Die Worte „cuiusdam Simonis Marii Franei astronomi celebris“ fügte Kepler in dem Fehler- 
verzeichnis der Dioptrik hinzu. 


422 


(b) „er (Marius) hat Kepler von einer Befürchtung befreit, da dieser nämlich, wenn 
Marius für die Bewegung der Erde unter Nennung seines (Keplers) Namen eingetreten 
wäre, sehr für seine Reputation gefürchtet hätte.“ 

(c) „ein erstes gutes Zeichen des Sieges vor dem Kampf, weil Marius aus Unwissenheit 
die Zahl der Anhänger (des Kopernikanischen Systems) nur auf zwei beschränkt, während 
sie doch schon weitverbreitet sind, wenn nicht alle Zierde der Wissenschaft in die Gehege 
der Akademien eingeschlossen sein soll.“ 

(f) „gerade zu der Zeit als Galilei über die Venus von Florenz nach Prag geschrieben 
und schon damals dem Marius vorausgesagt hat, dass dies in solcher Weise erscheinen werde.“ 

Hieraus ist ohne allen Zweifel ersichtlich, dass Kepler die angebliche Entdeckung 
der Venusphasen durch Marius für ein Plagiat an Galilei hielt. 

Es sind drei Galileische Briefe, an die sich Marius nach der Ansicht Keplers anlehnt. 
Erstens der Brief Galileis an Julian Medici vom 11. Dezember 1610; in diesem Brief sagt 
Galilei: :„Ich hoffe die Methode zur Bestimmung der Umlaufszeiten gefunden zu haben.“ 
Marius sagt daraufhin (Juni 1611), er habe die Periode der beiden äussersten Trabanten 
bereits gefunden. — Zweitens bemerkt Galilei in seinem Briefe vom Februar 1611 an 
Jul. Mediei in Prag, dass die Siriusscheibe = „4; der Jupiterscheibe sei; offenbar im Anschluss 
daran erwähnt Marius, dass er nächstens nachweisen werde, dass die Masse der Himmels- 
körper nicht so ungeheuer sei, wie man annehme, und er werde deren wahrscheinliche 
Grösse übermitteln. — Drittens meldet Galilei am 1. Januar 1611 an Jul. Medici die Ent- 
deckung der Venusphasen, und nun im Juni 1611 schreibt Marius dasselbe, aber nicht an 
bedeutende Gelehrte und öffentlich, sondern an einen Dilettanten in der Astronomie. 

Es ist hier besonders hervorzuheben, dass Marius in diesem Briefe an Vicke noch 
nicht behauptet, dass er auch die Jupitertrabanten entdeckt habe. Diese Be- 
hauptung tat er erst später in seinem Prognosticon auf 1612, das Ende 1611 herauskam, 
als die Dioptrik Keplers schon gedruckt war. Wenn also Kepler in der Dioptrik die Frage 
nach dem Entdecker der Jupitertrabanten gar nicht aufwirft, so ist das selbstverständlich, 
da eine solche Frage für ihn nicht existierte und ihm ebensowohl wie der ganzen Welt 
nur Galilei der Entdecker war; es war ihm trotz des reichen brieflichen Verkehrs, den 
er mit Freunden des Marius pflegte, nicht bekannt geworden, dass auch Marius auf die 
Entdeckerehre Anspruch machte. Allerdings hat Marius merkwürdigerweise auch seinen 
Freunden nichts davon mitgeteilt, dass er schon Ende 1609 die Trabanten entdeckt habe; 
und erst im Prognosticon auf: 1612 legte er der überraschten Welt diese Behauptung gleich 
gedruckt vor; vielleicht nahm Marius an, dass die Sache im Druck glaubhafter sei. Während 
Marius auf diese Weise die Laufbahn eines „Entdeckers* mutig beschritt, lauerte das Ver- 
derben schon im Hintergrund. Denn ungefähr zur selben Zeit, als er der Welt sich als 
Entdecker aufzwingen wollte und als er sein Prognosticon gedruckt las, mochte er wohl 
auch in der Dioptrik lesen, wie Kepler ihn in einem Öffentlichen Werke vor der ganzen 
gelehrten Welt als Plagiator brandmarkte. 

Was tat nun Marius auf diesen ungeheuren Vorwurf hin, der seine wissenschaftliche 
Ehre und Glaubwürdigkeit öffentlich vernichtete? — Nichts! — Damals wäre es notwendig 
gewesen, nicht nur gegen einen solchen Vorwurf sich zu verteidigen, sondern es musste unver- 
züglich der Beweis erbracht werden, dass Kepler im Unrecht sei. Es war unumgänglich 
nötig, dass Marius durch Zeugen, Briefe, durch seine Manuskripte glaubhaft nachwies, dass 


423 


er die behaupteten Entdeckungen gemacht und dass er nicht nur die Venusphasen sondern 
auch die Jupitertrabanten tatsächlich vor oder gleichzeitig mit Galilei entdeckt habe. Wenn 
Marius diesen Versuch unterliess, so war damit der sichere Beweis geliefert, dass ihm die 
Möslichkeit fehlte, einen solchen Beweis irgendwie zu erbringen, dass er mit anderen 
Worten weder die Venusphasen noch die Jupitertrabanten entdeckt hatte und dass Kepler 
ihn mit Recht des Plagiats bezichtigte. 

Wenn wir vorhin sagten, Marius tat nichts gegen diese öffentliche Beschimpfung, so 
meinten wir damit, dass er weder öffentlich dagegen auftrat, noch irgendwie oder wo eine 
rechtfertigende Klarlegung der Sache gab. Nur seinem Prognosticon auf 1613, wo er die 
Sache hätte klar legen können, berührt er ganz vorsichtig und furchtsam die Angelegenheit 
mit einigen Worten, die nicht ahnen lassen, welch schwerer Vorwurf öffentlich auf ihm 
lastet; er schreibt nämlich: „Ich hab aber wider alles verhoffen erfahren, dass ich bey 
etlichen übel damit (d. h. mit seinen neuen Entdeckungen) angelauffen, einig und allein 
wegen einer Controversia, so noch zur zeit die Mathematicos uneinig machet: Nemlich, dass 
etliche seyn (wie auch noch zur zeit ich selbsten) so die Erden unbeweglich, hergegen die 
Sonnen beweglich halten. Etliche aber gantz das Widerspiel asseviern, unter welchen vor 
anderen ist, der vortreffliche gewesene Kaiserl. Mathematicus Johann Kepler, .... zürne 
darumb mit keinem im geringsten nicht, sondern lobe und gönne wahrhafftig einem jeden, 
Er sey Deutscher oder Welscher, seine ihm von Gott gegebene Gaben, will auch nicht, 
dass einigem Menschen solcher gestalt durch mich, oder meine Schrifften soll ein Nachteil 
an Ehr und Reputation soll zugefügt werden, begere auch anderst nichts, als dass mir 
gleiches von jhnen widerfahre. Zu verhalten aber fernere Ungelegenheit und das nicht 
etwa mit der zeit meine Arbeit pro furto (wie man gerne gethan hette) möchte gehalten 
werden, ... so hab ich mir vorgenommen inn dieser dedication mit gar wenigem und nur 
Summarischer weise anzeigen, was seythero von mir in caelo durch solch neu erfundenes 
Niderländisches Instrument ist observirt worden.“ Dies ist seine ganze Erwiderung auf 
Keplers schwere Beschuldigung. 

Man wird zugeben müssen, dass sie zur Entlastung des Marius nicht genügt. Doch 
machte Marius zu seiner Rehabilitierung einen Versuch, und der ist ein weiterer Beweis für 
die Schwäche und Unhaltbarkeit seiner Sache: Er suchte auf privatem Wege durch hoch- 
mögende Herren zu seinen Gunsten einen Druck auf Kepler auszuüben. Dies war nämlich 
für Marius gerade damals eine leichte Sache. Keplers Beschützer, der Kaiser Rudolph war 
zu Beginn des Jahres 1612 gestorben, und der Nachfolger, der Kaiser Matthias, gegen 
Kepler nicht besonders günstig gesinnt. Daher hatte ja Kepler auch seine Stellung in Prag 
aufgeben müssen und war nach Linz versetzt worden. Kaiser Matthias war nun gerade im 
Laufe des Jahres 1612 bei dem Markgrafen Joachim Ernst, als dieser seine Hochzeit mit 
der Gräfin Solms feierte (Meyer, Erinnerungen p. 129), in Ansbach zu Gaste. Bei dieser 
Gelegenheit mag wohl Marius sein Anliegen gegen Kepler der Umgebung des Kaisers zu 
Gehör gebracht haben und zwar durch den Phil. von Fuchs. Dass das Vorgehen des 
Marius die gewollte Wirkung hatte, erfahren wir durch Kepler selbst (Kepler an Marius, Prag, 
10. November 1612.). Als nämlich Kepler noch im Jahre 1612 von Linz nach Prag zurück- 
kehrte, um die Auszahlung seines rückständigen Gehaltes zu erwirken, wurde er von dem 
kaiserlichen Rat Dr. Eisen, der zur Schlichtung der böhmischen Wirren nach Prag berufen 
worden war, direkt „befohlen, ja sogar angefleht* (jussus,, quin et exoratus), an Marius zu 


424 


schreiben; Dr. Eisen setzte Kepler auch auseinander, welch grossen Kummer wegen Keplers 
Aussöhnung mit Marius der Freiherr von Fuchs an den Tag lege, welcher bekanntlich der 
Gönner des Marius und zugleich der Vertraute des Markgrafen von Ansbach war. Den 
Wunsch oder Befehl solch mächtiger Personen konnte Kepler nieht unerfüllt lassen, und 
er verfasste noch kurz vor seiner Abreise von Prag am 10. November 1612 einen Ver- 
söhnungsbrief an Marius. Dies geschah also mehr als ein Jahr nach dem Erscheinen der 
Dioptrik. Den Auftrag zur Versöhnung mit Marius aber erledigte Kepler in jenem Brief 
auf ganz sonderbare Weise. Er lobte den Marius wegen seines Fleisses im Aufsuchen der 
Trabantenperioden und nennt ihn „den einzigen Zeugen aus unserem Deutschland für die 
Wahrheit über die Jupitermonde“. Dann aber deduziert er mit einer köstlichen Ironie 
und einer Sophistik ohne gleichen aus den Anschuldigungen in der Dioptrik geradezu 
Anerkennungen für Marius und schliesst mit dem tröstenden Wort: „Breviter rusticus sum; 
sie enim tractare soleo nonnisi amicos“; gibt also damit hintennach doch wieder zu, dass 
die Dioptrik tatsächlich nichts Angenehmes für Marius enthält. 

Kepler hatte aber das Verständnis des Marius scheinbar doch zu tief eingeschätzt, 
wenn er glaubte durch ein paar süsse Worte alles vergessen zu machen. Denn Marius 
antwortete nicht auf diesen Brief Keplers. Erst als Kepler einen zweiten Brief!) Ende Juli 
oder im August 1613, in welchem er den Inhalt der soeben erschienenen Lettere Solari 
Galileis (die Kepler seit 18. Juli 1613 besass) besprach, an Marius geschickt hatte, antwortete 
Marius in einem Briefe vom 24. August 1613. Bezeichnender Weise entschuldigt sich dieser 
darin jedoch, dass er nicht auf alles antworten könne, was Kepler früher geschrieben, da 
er diesen Brief verlegt habe. — Dies ist nun die ganze Korrespondenz zwischen Kepler und 
Marius; sie wechselten später keine Briefe miteinander. 

Ausserlich war die Aussöhnung zwischen Kepler und Marius hergestellt; innerlich 
aber hatte Kepler über Marius noch dieselbe Ansicht, wie seine späteren Äusserungen 
beweisen. Die Biograpben haben zu unrecht manches gefabelt von der Freundschaft der 
beiden Männer, die bei ihrer Zusammenkunft 1613 zu Regensburg neu befestigt worden sei; 
doch stützen sich solche Nachrichten nur auf Bemerkungen des Marius. Kepler hatte nämlich 
1613 den Kaiser Matthias auf Befehl zum Reichstage nach Regensburg begleitet, da dort 
über die Einführung des Gregorianischen Kalenders verhandelt werden sollte. Marius hatte 
schon in seinem Briefe den Wunsch ausgesprochen, Kepler möge ihn in Ansbach besuchen, 
und als dies nicht geschah, kam Marius selbst im Oktober 1613 nach Regensburg. Marius 
berichtet nun im Mundus Jovialis (Blatt B2, Rückseite), dass er die vier Trabanten Jo, 
Europa, Ganymed und Callisto benamst habe, und dass er zu Regensburg den Kepler als 
den Taufpaten (compatrem) dieser vier Sterne aus Scherz und Freundschaft, die sie damals 
geknüpft hätten, begrüsst habe. Diese „Freundschaft“ war aber eine ganz vorübergehende 
und eine nur äusserliche. Denn dieser Anfang der Freundschaft war zugleich ihr Ende. 
Kepler.und Marius kamen nie mehr zusammen, sie wechselten auch nie mehr einen Brief. 
Denn einige Monate später erschien der Mundus Jovialis, in welchem Marius zwar nicht 
mehr von seiner Entdeckung der Venusphasen wohl aber von seiner Entdeckung der 
Trabanten spricht; und da mag Kepler, der nur Galilei als Entdecker gelten liess, erkannt 
haben, dass Marius unverbesserlich sei, und hat demgemäss allen Verkehr mit diesem 


I) Dieser Brief ist uns leider nicht erhalten. 


425 


abgebrochen.!) Kepler hat den Marius nie als Entdecker anerkannt, sondern nur den Galilei, 
wie sich aus seinen Briefen und Werken ergibt. Er nannte ihn zwar den einzigen Zeugen 
in Deutschland für die Existenz der Trabanten, nannte ihn aber nicht Entdecker, nicht 
einmal den ersten Zeugen; Kepler hat ja selbst schon lange vor Marius in seiner Narratio 
gemeldet, er habe die Trabanten im September 1610 beobachtet. Noch 1611 und 1612 
drückt Kepler zwar seine Freude aus (Brief an Vieke und Marius), dass Marius die Perioden 
die Trabanten gefunden habe; nachher jedoch lesen wir bei Kepler nichts mehr über diese 
Forschungen des Marius, und den Namen Marius überhaupt nur noch gelegentlich, ca. dreimal; 
den Mundus Jovialis schweigt Kepler geradezu tot. 

Man fragt sich zum Schlusse noch, warum Kepler nicht eine offene Erklärung abge- 
geben habe, um einem allfallsigen Prioritätsstreit zwischen Galilei und Marius vorzubeugen. 
Man kann den Grund, wie wir es früher schon getan haben, einerseits in persönlichen Ver- 
hältnissen suchen; andererseits aber kann man die Berechtigung der Frage verneinen, da 
die Stellung Keplers hierin hinreichend bekannt war und er immer auf Seiten Galileis stand. 
Kepler gibt jedoch selbst als Grund an, dass er nicht gerne mit Marius anbinde und ihn 
lieber in Ruhe lasse; denn in einem Briefe an Joh. Remus vom 31. August 1619 (Hanschius, 
pag. 519) sagt er betreffs Marius: 

„De maculis assentitur tibi Marius, cetera vates invisus et audax et plusquam pro- 
gnostes, ut quidem et fatetur. Habeat sibi res suas seorsim, ne gravis sit amieis“. Damit 
hat Kepler sein abschliessendes Urteil über Marius abgegeben; denn er bezeichnet ihn als 
einen verhassten und kühnen Alleswisser, dem man seine Anmassungen lassen müsse, damit 
er seinen Freunden nicht aufsässig werde. Dieses Urteil ist scharf und deutlich, und damit 
können wir unsere Ausführungen über diesen Gegenstand beschliessen. 


7. Ansichten verschiedener Gelehrten über die Streitfrage. 
a) 17. Jahrhundert. 


Wenn wir in der Folge mehrere Aussprüche von bedeutenden und urteilsfähigen 
Männern über die Prioritätsfrage zwischen Galilei und Marius bringen, so sind wir uns von 
vornherein darüber klar, dass nicht alle diese Aussprüche von gleichem Gewicht sein werden. 
Und doch beschränkte sich diese Auswahl hauptsächlich auf Männer, die der Sache der Zeit 
oder dem Beruf nach näher standen. 

Wir beginnen, die historische Reihenfolge einhaltend, gerade mit dem wichtigsten 
Zeugen neben Kepler, mit dem berühmten Jesuiten Scheiner. Wenn man weiss, dass gerade 


lt) Zwar beruft sich Marius noch 1623 (in seinem Prognosticon auf 1628, Blatt A 4, Rückseite) auf 
die in Regensburg (1613) mit Kepler geschlossene Freundschaft, indem er wegen der Verschiedenheit der 
Planetenörter, die sich zwischen den Tabulae Prutenicae und anderen ergibt, schreibt: „Mein günstiger 
Herr und guter Freund J. Kepler wird es am besten wissen nach seinen Tabulis so er ex observationibus 
et fundamentis Tychonis mit grosser mühe perficirt hat, were zu wünschen das solche, oder auss den- 
selben von dem Authore deducirte Ephemerides publieirt würden, wie er vor zehn Jahren zu thun 
willens gewesen, wie ich von jhme zu Regenspurg verstehen können“ ... Also fast bis zu seinem 
Lebensende (1624) hatte Marius durch Kepler nichts mehr erfahren und er wusste nicht einmal, dass die 
von ihm so sehr gewünschten Ephemeriden schon lange vorher, der erste Teil 1617, der zweite Teil 1619, 
von Kepler tatsächlich bereits veröffentlicht worden waren. Es war also jede Verbindung mit Kepler 
unterbrochen. — 


Abh.d. II.Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 55 


426 


zur kritischen Zeit 1612—1613 zwischen Galilei und Christ. Scheiner der Streit betreffs der 
Sonnenflecken entbrannt war, so wird man unseren Gewährsmann Scheiner sicherlich nicht 
der Parteilichkeit für Galilei beschuldigen. Ferner aber wirkte Scheiner gerade zu dieser 
Zeit als Professor an der Universität Ingolstadt, welches eirca 100 km von Ansbach, dem 
Aufenthaltsort des Marius, entfernt ist, so dass Scheiner von einer Entdeckung der Jupitermonde 
in Ansbach fraglos hätte hören müssen. In seinen Disquisitiones mathematicae (Ingolstadt 
1614) schreibt er pag. 46: „Idem (tubus opticus = Fernrohr) plures nobis planetas detexit, 
eorum qui hactenus noti fuere, quodammodo stipatores: Jovis quidem valde nobiles quatuor, 
Saturni verosimiliter duos (Es waren dies in Wirklichkeit nicht Saturnmonde, sondera 
der Ring des Saturn): quorum prima inventionis gloria merito celebratur doc- 
tissimus mathematicus D. Gal. Galilaeus.“ Hiebei steht die Randbemerkung des 
Verfassers: „Galilaeus inventor Jovialium et Saturnalium Planetarum.* Auf pag. 78 steht: 
„Jovis comitatus admirabilis a Galilaeo primum detectus; frustra enim seroque nimis 
contrarium Calvinianus quidam (= Marius) hoc primum anno (= 1614) et 
importune satis persuadere nobis conatur.“ 

Als Scheiner auf pag. 80 die Umlaufsperiode des vierten Trabanten, wie sie Galilei 
in „Discorso sui Galleggianti* (1612) augegeben, mit der entsprechenden, von Marius im. 
Mundus Jovialis verzeichneten vergleicht, spricht er von Marius: „qui quidem Galilei 
inventis, a quo haec utique hausit, ut non obscure ipsemet indicat (Mund. Jov. 
praefatio), haec facile addere potuit“ und darauf von dem „Galilei aemulo.* 

Es möge hier auch erwähnt werden, dass Scheiner eine sehr richtige Kritik an der 
Beobachtungsmethode übt, die Marius zur Bestimmung der Umlaufsperioden der Monde 
benützt hat. Scheiner gibt nämlich an, dass diese Periodenbestimmung nur durch die Zeit 
zwischen den Konjunktionen gelingen könne, und wenn Marius hiezu die Zeit 
zwischen den stationären Punkten wählt, so urteilt Scheiner hierüber mit vollem 
Recht: „quod Marius periodicae revolutionis observandae initium statuit in puncto stellae 
tropico, sive stationario, id et periculi est plenissimum, (vel ipsomet teste, parte 2, 
phaen. 4) et ipsummet erroris suspectum reddit et cumque Galilaeicas revolu- 
tiones arbitraria quadam aestimatione deciderit, fortem coniecturam ingerit.“ 

Niemand wird verkennen, welch entscheidendes @ewicht diesen Äusserungen Scheiners 
zugemessen werden muss. Wenn er wegen der örtlichen und zeitlichen Nähe gegen Marius 
einer der wichtigsten Zeugen ist, so müssen wir ihm andererseits das Verdienst zusprechen, 
dass er zuerst und allein neben Galilei selbst auch in sachlicher Beziehung Andeutungen 
darüber gemacht hat, wie man auch die Revolutionszeiten des Marius und dessen Tafeln 
zur Vergleichung herbeiziehen könne. Wenn er selbst Beobachtungen zur Prüfung der 
Marianischen Tafeln anstellt (pag. 85), so müssen wir sein Urteil um so mehr schätzen, und 
es kann ihm der Vorwurf der Öberflächlichkeit ebenso wenig gemacht werden, wie, bei 
seinem Verhältnis zu Galilei, jener der Parteilichkeit. — Wir fassen zusammen, dass Scheiner 
dem Marius die Priorität der Entdeckung energisch abspricht, dass er des Marius 
Umlaufsperioden als aus Galileis Discorso mit irgend welchen Konjekturen ge- 
nommen direkt bezeichnet, und dass Scheiner ‘schliesslich auch aus theoretischen 
Gründen das Plagiat des Marius folgert, da es unmöglich sei, mit einer solchen Beob- 
achtungsmethode, wie sie Marius benützt, ein brauchbares Resultat in den Umlaufszeiten 
zu erhalten. — 


427 


Marius erfuhr diese Anschuldigungen Scheiners schon im August 1614 und zur Abwehr 
schrieb er dann ein Nachwort zum Mund. Jov., welches scheinbar den damals noch unver- 
kauften Exemplaren des Mund. Jov. zugleich mit neuen Tafeln der Trabantenbewegungen 
beigeheftet wurde. (Ein solches Exemplar befindet sich in der Herzogl. Bibliothek zu 
Wolfenbüttel.) Marius behauptet in diesem Nachwort, dass er ausser dem Nuntius Sidereus 
kein Werk von Galilei weder besitze noch gelesen habe. Während er mit diesen Worten 
den Vorwurf des Plagiats abzuweisen sucht, antwortet er auf die Behauptung Scheiners, 
dass Marius eine falsche Methode zur Bestimmung der Perioden gewählt habe, die nicht 
zum Ziel führe, ebenfalls nur mit wenigen Worten: „Puerilia sunt quae de modo observa- 
tiones periodicae restitutionis prope Jovem primitus instituendae annotet, ubi frequens concursus 
Jovialarum contingit: Theorice recte loquitur, at nullo practice.“ 

Damit hat Marius keinen der Vorwürfe Scheiners widerlegt, wie wir später sehen werden. 

Ein anderer Zeitgenosse des Marius, Johann Fabricius, der Ende 1610 die Sonnen- 
flecken entdeckt hatte und ein Sohn des David Fabricius, mit dem Marius gerade 
damals im Briefwechsel stand, gewesen ist, weiss ebenso wenig von der Entdeckung 
der Trabanten durch Marius wie sein Vater; denn er sagt in seinem Schriftchen „De Maeulis 
in Sole observatis“ (Juni 1611) auf Blatt B3: „Audisti, ut nuper sagacissimus ille Galilaeus, 
Lunam etiam in parvo a nobis interstitio mirabiliter fecerit visendam. (Blatt B 4) „Praetereo 
nunc Saturnum recens a Galilaeo triformem observatum, ut ex literis cujusdam viri fide 
digni accepimus: Taceo adinventos quatuor circa Jovem errones, qui ejusdam 
Galilaei diligentia nobis monstrati sunt.“ 

Hierin liegt ein direkter Beweis gegen die Behauptung des Marius, die Trabanten 
entdeckt zu haben. 

Zu beachten ist ferner das Werk eines Zeitgenossen Galileis, der „Almagestum novum* 
von J. B. Ricceioli, Soc. Jesu, (Bologna 1651); dieses Werk ist wegen seiner „Reichhaltigkeit 
von Daten aller Art“ viel zitiert und allgemein bekannt gewesen. Persönliche Beziehungen 
zwischen Galilei und Riccioli bestanden nicht und ihre Ansichten in Bezug auf das Welt- 
system gingen ganz auseinander. Riccioli schreibt im genannten Buche, praef. pag. XII 
und XIV: „Maculas solares et Jovialıium Satellitum ambitus observaverunt Galilei, S. Marius, 
Scheiner, Vince. Renieri“ und spricht von der Periode der Satelliten, deren Beobachtung 
von S. Marius und Galilei begonnen worden wäre; dann gibt er seine Meinung über die 
Priorität der Entdeckung der Jupitertrabanten kund (pag. 488): „Ich will über die Jupiter- 
monde sprechen, welche Galilaeus Florentinus primus eorum detector 1. im Nuntius 
Sidereus, 2. in Briefen an M. Welser über die Sonnenflecken, an deren Ende er Ephemeriden 
der Bewegungen derselben aufstellt, 3. im Dialog über das Weltsystem behandelt.“ Pag. 489 
sagt er noch einmal ausdrücklich: „Tres primum primusque Galilaeus anno 1610 die 
7. Jan. hora noctis prima detexit.“ Pag. 491 erwähnt er auch, dass, wenn S. Marius 
die Maximaldigressionen zur Bestimmung der Perioden benützt habe, diese Methode 
nicht den Anspruch auf Sicherheit machen könne, da die Trabanten doch im 
stationären Punkte teilweise mehrere Stunden verblieben. 

Riecioli hatte also genaue Kenntnis der Galileischen und des Mariusschen Werkes und 
trotzdem nennt er wiederholt ohne auch nur einen Zweifel auszusprechen, Galilei den ersten 
Entdecker. Sein Urteil ist bei der wissenschaftlichen Stellung des Mannes wohl nicht zu 


übersehen. 
55* 


428 


Ein Zeitgenosse Rieciolis war Gassendi, Professor zu Paris, als astronomischer Beobachter 
und Verfasser der „Institutio astronomica (1647) viel genannt. Dieses sein Hauptwerk 
enthält nichts über unsere Frage; doch ist der Ausgabe von 1656 beigedruckt: „Noven 
Stellae eirca Jovem visae Coloniae 29. Dec.—4. Jan. 1642—1643 et de iisdem Petri 
Gassendi judieium“. Die Veranlassung zu letzterer Abhandlung war diese: Ant. Maria 
Schyrlaeus de Rheita, dessen Name in der Geschichte der Optik genannt wird, wollte ausser 
den vier inneren Trabanten des Galilei fünf andere äussere Jupitermonde gesehen haben 
und nannte letztere nun nach dem Papste Urban VIII. und dem Grossherzog Ferdinand Ill. 
von Toscana: „Stellae Urban-octavianae und Ferdinando-tertianae.* Gassendi erklärt diese 
Entdeckung de Rheitas als Täuschung und spricht hiebei vorübergehend von den „Medizäischen 
Sternen, quas Galilaeus primus monstravit;“ Marius wird gar nicht erwähnt. 

Wir kommen jetzt zu Johann Dom. Cassini. Dieser berühmte Astronom, der nach 
vieljähriger Arbeit unter Benützung aller vorausgehenden einschlägigen Veröffentlichungen 
eine verhältnismässig gute Tafel der Trabantenumläufe zustande gebracht hatte, war zuerst 
Professor der Astronomie in Bologna und dann Sternwartedirektor!) (1671) und Akademiker 
in Paris. In seiner Abhandlung „über die Hypothesen der Jupitermonde“ lässt sich Cassini 
folgendermassen hören: „So hatten also die Konfigurationen, die man aus den Tafeln des 
Marius zog, keine Ähnlichkeit mit den wirklichen Konstellationen; wenn Galilei in Zweifel 
zog, ob Marius jemals diese Satelliten gesehen habe, so kann man nichtsdestoweniger daran 
nicht zweifeln, wenn man die Methode prüft, deren Marius sich bei seinen Beobachtungen 
bedient hat und die offenbar einer Person nicht in den Sinn gekommen wäre, welche sie 
nicht geübt hatte: Die Schwierigkeiten, die sich bei der Ausführung dieser Beobachtungen 
häuften, waren darin stark ausgeprägt.“ 


Cassini rührt ‘die Prioritätsfrage hier also nicht an und der Grund, den er für tat- 
sächliche Beobachtungen des Marius vorbringt, dürfte wohl nicht stichhaltig sein. Auch 
in seinem berühmtesten Werke: Ephemerides Bononienses Mediceorum siderum ex hypothesibus 
et tabulis Joh. Dom. Cassini (Bononiae, 1668) kommt er nicht auf den Prioritätsstreit zu 
sprechen. Einen Zweifel in dieser Sache gibts für ihn nicht; er nennt auch die Trabanten 
mit dem Galileischen Namen. Er entwickelt seine neue Beobachtungsmethode, die Brauch- 
barkeit seiner Tafeln zur Längenbestimmung, die Bemühungen Galileis in dieser Beziehung, 
dessen Veröffentlichungen hierüber und deren Mängel. Schliesslich sagt er von Marius: 
„8. Marius motus longitudinis Jovialium siderum tabulas in Mundo Joviali dedit, quae jam 
toto dissident caelo, adeo ut ne’ quidem ad cognitionem singulorum planetarum sufficiant. 
Sed nec latitudinum Jovialium Siderum leges pereipit; cum eas putarit perpetuas, quae 
suarum observationum tempore peculiariter conveniebant ut etiam notatum a 
Galilaeo est.“ Dass Cassini über Galileis Priorität ausser jedem Zweifel ist, ergibt sich aus 
dem letzten Satz insbesondere. „Marius habe die Erscheinung der wechselnden Breite der 
Monde nicht verstanden und die Breite für ewig gleichbleibend gehalten. Marius habe die- 
selbe so bestimmt, wie sie zu der Zeit war, als er seine Beobachtungen machte, 
was schon Galilei bemerkt habe.“ Dieser aber hatte nun in seinem Saggiatore bewiesen, 


1) Dieses Amt blieb 121 Jahre in der Familie Cassini, indem es der Reihe nach auf Jacques (f 1756), 
Cesar-Francois (F 1784) (auch Cassini de Thury genannt), Jacques Dominique, der 1792 sein Amt nieder- 
legte, überging. 


Bw on Ve EEEEE 


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429 


dass die Breiten des Marius ungefähr auf die Jahre 1612—1613 passen. Demgemäss ver- 
legt Cassini im Einverständnis mit Galilei die (ersten) Beobachtungen des Marius 
in die Jahre 1612/13, also zwei Jahre nach der ersten Beobachtung Galileis. Wir 
besitzen übrigens noch eine nachgelassene Äusserung Joh. Dom. Cassinis in dieser Angelegen- 
heit. Er hatte seinen Lebenslauf niedergeschrieben und dieser Nachlass wurde von seinem 
Urenkel Jacques Domin. Cassini veröffentlicht in: „Memoire pour servir & l’histoire des sciences 
et & celle de l’observatoire royal de Paris; suivie de la vie de Joh. D. Cassini.* (1810). 
Man liest im letzteren Teile des Werkes (pag. 197): „Galilee fut le premier, qui publia 
la decouverte des 4 satellites de Juppiter, que 8. Marius se ventait aussi d’avoir 
decouverts dans le m&me temps.“ — Der Sohn Jacques Cassini teilt die Ansicht seines 
Vaters, wenn er in seinen „Elements d’astronomie“ oder vielmehr in den „Tables astro- 
nomiques“ pag. 620 Galilei die Priorität zuerkennt, mit den Worten: „Les satellites de 
Jupiter ont ete decouverts en 1610 par Galilee.* 

Wir wollen diese Reihe von Äusserungen mit einer Bemerkung des unserem Galilei 
kongenialen Huygens schliessen. Die Veranlassung zu dieser bot ein Brief des Kardinals 
Fürst Leopold Mediei an M. A. Ricei (25. Mai 1665), worin der Fürst auf eine Bemerkung 
Riceis hin, Huygens bediene sich zur Breitebestimmung der Pendeluhr, irrtümlicherweise 
mitteilt, dass schon Galilei diese Methode gelehrt habe. Huygens, der von dieser Behauptung 
des Fürsten Kenntnis erhielt, wendet sich brieflich (1673) an Boulliau und sagt, dass 
Niemand von einer solchen Erfindung Galileis wisse, ausser der der Längenbestimmung mit 
Hilfe der Jupitermonde. „Mais enfin que faut-il faire pour öter & ce prince l’opinion, qu’il 
semble avoir congue de moi, comme si je m’attribuais linvention d’autrui, et que 
je ressemblais & ce Simon Marius.“ 

Hiemit hat Huygens das Urteil ausgesprochen, welches nachgewiesenermassen das ganze 
17. Jahrhundert über des Marius Entdeckung der Jupitermonde gefällt hat. 

Als wichtigstes Resultat dieses Abschnittes jedoch müssen wir die Feststellung Scheiners 
und Ricciolis bezeichnen, dass Marius durch seine Beobachtungsmethode ein genaues Mass 
der Revolutionszeiten nie erlangen konnte, ferner dass Joh. Dom. Cassini, ebenso wie 
Galilei, aus der falschen Breitentheorie des Marius indirekt schloss, Marius habe seine 
Beobachtungen zu der Zeit gemacht, als die Breite in der Weise sich zeigte, wie er sie 
schildert, also erst im Jahre 1612—1613. 


ß) 18. Jahrhundert. 

Wenn im 17. Jahrhundert nur Galilei als der wirkliche Entdecker der Jupitermonde 
angesehen wurde, so macht sich im 18. Jahrhundert die Stimme der Freunde des Marius 
bemerkbar und zwar besonders in Deutschland. Während man vorher Marius nur insoweit 
erwähnte, als man seine Tafeln und Methode einer Kritik und Prüfung unterzog und deren 
Unbrauchbarkeit feststellte, wurde jetzt der Versuch gemacht, dem Marius die Priorität der 
Entdeckung zuzusprechen. — Der gewaltige Eindruck, den die Entdeckungen Galileis seinerzeit 
auf die Gemüter gemacht hatten, war nicht mehr wirksam und mit ihm war auch das 
genaue Gedächtnis an den geschichtlichen Konnex der Ereignisse von 1610— 1614 geschwunden. 
Und als man die Details der astronomischen Entdeckungen in grossen Enzyklopädien zusammen- 
trug, griff man auf die Originalwerke zurück, wobei man es unterliess, durch kritische 
Sichtung des Materials das Tatsächliche festzustellen. 


2 


In dieser Weise wird von gewisser Seite auch die Frage nach dem eigentlichen Ent- 
decker der Jupitermonde behandelt, und so gingen denn die Behauptungen des Marius, die 
dieser in seinem Mundus Jovialis niedergelegt hatte, in jene Sammelwerke über, und von 
da aus kamen sie in weitere Kreise. All diese Urteile haben aber deshalb keinen Wert 
für die Geschiehtsforschung, weil alle ohne Ausnahme die Angelegenheit ganz kritiklos 
behandeln und sich nur auf das stützen, was Marius selbst erzählt. 

So erscheint 1727 in den „Acta erudita“* 6. Sammlung pag. 328—431 ein Aufsatz 
des Erlanger Mathematikprofessors Joh. Seb. Stedler: „Problem die longitudinem zur See 
zu finden.“ Hierin erwähnt er die Entdecker Galilei und Marius und sagt: „Die Ehre 
der Entdeckung gebührt dem 8. Marius, als derselbe nach Ausweis seines Mund. Jov. 
die Satelliten eher als Galilei gesehen.“ 

Ebenso erzählt Iselin in seinem „Histor. und geogr. allgem. Lexikon“, Basel 1726—27, 
die Entdeckungsgeschichte genau nach dem Mund. Jov. und spricht dem Marius die 
Priorität zu. Dasselbe finden wir in Zedler: „Universallexikon‘, Halle, Leipzig 1739, 
wo der entsprechende Artikel aus Iselin ad verbum abgeschrieben wird. Aus Jöcher: 
„Allgemeines Gelehrten-Lexikon“ Leipzig 1750/51 geht der Artikel über die „Priorität“ 
des Marius wörtlich über in Vocke: „Geburts- und Todes-Almanach Ansbacher Gelehrter“ 
1796. Es wird ohne weitere Ausführung 8. Marius nach dem Mund. Jov. als Entdecker 
angegeben; ebenso in der Ergänzung des Jöcherschen Lexikons durch Adelung etc. 1813; 
nebenbei bemerkt steht in diesem Werk auch Galilei als Entdecker der Jupitertrabanten. 

Doppelmayr (Histor. Nachrichten, Nürnberg 1730), erzählt genau nach dem Mund. 
Jov., dass Marius die vier Monde „etwas eher als Galilei in Italien“ gesehen habe. 

Es folge noch: „Erlanger gelehrte Bemerkungen und Nachrichten‘ XVI. Stück, 
18. April 1775, pag. 121/24. Hier ist die Schrift eines M. Örtel exzerpiert: „De vita et fatis 
S. Marii,“ in der „eine sehr lesenswerte Stelle vom Mund. Jov. selbst eingerückt ist,“ worin 
erzählt wird, dass Marius „1609/1610 zuerst die Trabanten des Jupiter bemerkte.“ 

Es ist nicht nötig an vorstehenden Artikeln Kritik zu üben; sie können zur Ent- 
scheidung unserer Frage nichts beitragen. Wenn auch diese Werke eine Reaktion in 
dem Urteil über die Trabantenentdeckung erkennen lassen, die gegen Galilei gerichtet ist, 
so müssen wir doch bemerken, dass diese Reaktion auf gewisse Kreise in Deutschland 
hauptsächlich beschränkt blieb, und dass man im grossen ganzen immer noch Galilei als 
den wahren Entdecker feierte, wie es auch von den grossen französischen Mathematikern 
des 18. Jahrhunderts z. B. von. Lagrange geschehen ist. 

Andere Namen für und gegen Galilei oder Marius wollen wir beiseite lassen, da 
niemand tatsächliche Beweisstücke zur Klärung der Frage beibringt. 


y) 19. Jahrhundert und Neuzeit. 


Erst dem 19. Jahrhundert blieb es vorbehalten, in derartigen Fragen genauer zu ver- 
fahren. Man sah sich durch die Eröffnung von Bibliotheken, Archiven und durch Wieder- 
auflegen alter Werke in der Lage, das Material zu vergleichen und kritische Hand anzulegen. 

So wäre denn auch der berühmte Alexander von Humboldt wohl imstande gewesen, 
ein richtiges Urteil in dieser Angelegenheit abzugeben; aber gerade bezüglich dieses Punktes 
vermissen wir leider in seinem sonst unübertrefflichen, in aller Welt bekannten Werke: 
„Cosmos“ die Sorgfalt des Urteils. | 


} 


EA ET RE, MEET“ 


431 


A. v. Humboldt steht fast ganz auf der Seite des Marius und spricht wiederholt diesem 
die Priorität zu. Bei dem hohen Gewicht, das dem Namen Humboldt innewohnt, ist es 
nötig auf Humboldts Ausführungen näher einzugehen: 

Im III. Band pag. 315 spricht H. von $. Marius als demselben, „welcher die Jupiter- 
trabanten neun Tage früher als Galilei gesehen.“ In der hieher gehörigen Anmerkung 7, 
p- 354/55 führt H. aus: „Galilei, welcher den Unterschied der Entdeckungstage 29. Dez. 1609 
und 7. Januar 1610 dem Kalenderunterschied zuzuschreiben sucht, behauptet deshalb die 
Jupitersatelliten einen Tag früher als Marius gesehen zu haben; er geht in seinem Zorne 
gegen die „bugia del impostore eretico Guntzenhusano“ soweit, zu erklären, che molto pro- 
babilmente il Eretico S. Mario non ha osservato giammai i Pianeti Medicei* (s. Saggiatore!). 
Humboldt schliesst daran die Bemerkung: „Sehr friedsam und bescheiden hatte sich doch 
der Eritico selbst über das Mass seines Verdienstes in der Entdeckung ausgedrückt.“ Auch 
auf pag. 522 spricht Humboldt von der „ersten Entdeckung (der Trabanten) durch $. Marius.“ 
Im II. Band, pag. 356/57 geht Humboldt etwas näher auf die Geschichte der Entdeckung 
ein: „Die Monde des Jupiter wurden, wie es scheint, fast zugleich und unabhängiger- 
weise, am 29. Dezember 1609 von S. Marius zu Ansbach und am 7. Januar 1610 von 
Galilei zu Padua entdeckt. In der Publikation dieser Entdeckung kam Galilei durch 
den Nuntius Sidereus (1610) dem Mund. Jovialis (1614) des $. Marius zuvor.“ In der 
Anmerkung 44, pag. 509 sagt Humboldt: „Die so sonderbar verspätete Erscheinung 
des fränkischen Kalenders oder Practica auf 1612 und des Mundus Jovialis, Februar 1614, 
konnte allerdings zu dem Verdacht Anlass geben, Marius habe aus dem Nuntius sid. 
des Galilei, dessen Zueignung vom März 1610 war, oder gar aus früheren Briefen und Mit- 
teilungen geschöpft“... „Auffallend ist es mir immer gewesen, dass, wenn Kepler 
in einem Gespräch mit Marius scherzhafterweise als Taufzeuge jener mythologischen Be- 
nennungen (der Trabanten mit) Jo, etc. aufgeführt wird, derselbe weder in seinem in 
Prag (April 1610) erschienenen Kommentar (= Dissertatio) zum Nunt. Sid., 
noch in seinen Briefen an Galilei oder an den Kaiser Rudolf (Herbst 1610) seines 
Landsmannes Marius Erwähnung tut, sondern überall von „der glorreichen 
Entdeckung der Medizäischen Gestirne durch Galilei“ spricht. — Ein Brief aus 
Prag, 25. Oktober 1610, an Galilei gerichtet, endigt mit den Worten: Neminem habes, 
quem metuas aemulum.“ — Bevor wir das Urteil Humboldts richtig stellen, wollen wir zuerst 
die Meinung Frangois Aragos, eines Freundes von Humboldt, in der gleichen Angelegen- 
heit hören. In seiner nachgelassenen „Astronomie populaire (1854/57), Band IV, pag. 350 
bis 353 berichtet Arago von der Entdeckung Galileis und spricht von dem Glückwunsch 
Keplers an Galilei: „„Galilaee vicisti!““, ferner von der Bestimmung der Umlaufszeiten, 
den Anfeindungen, von dem Widerstand des berühmten Jesuiten Clavius und dessen schliess- 
lichem Einverständnis mit Galilei; Arago fügt bei, dass Marius vier Jahre später im Mund. 
Jov. behauptet habe, die Entdeckung vor Galilei gemacht zu haben. Arago betont im 

- Einverständnis mit dem Saggiatore, dass die erste Beobachtung des Marius die zweite Galileis 
gewesen sei, und fährt dann weiter: „Mais l’identitE ne parait pas aux premier coup d’oeil, 
parce que 9. Marius date d’apres le calendrier non r&eforme6, ce qui semble prösenter 
en sa faveur une anteriorite de 10 jours sur les observations de Galilei, qui suivait dejä le 


calendrier gregorien.“ Scheinbar beweise also dieser Astronom, die Monde schon am 


29. Dezember 1609 gesehen zu haben. „Mais doit-on ajouter foi ä la reclamation 


132 


tardie de Marius, lorsqu’ on songe qu’il s’etait deja trouve quelque peu implique 
dans l’aceusation de plagiat, que fit Galilee & un Seigneur Capra, ä& l’occasion du 
compas de proportion, proces que le grand astronom de Florence gagna completement.“ 
Bei dieser Gelegenheit spricht Arago einen allgemeinen Grundsatz aus, nach dem sich 
die offizielle Gesehichtschreibung bei solchen Prioritätsstreitigkeiten zu richten habe: „La 
rövelation d’une decouverte par une lecture acad&mique ou par l’impression sont les seuls 
moyens de constater les droits ä une invention, et sans ce rapport, la prioritE ne saurait 
ötre contestee qu’ä& Galilee.* Arago wundert sich auch über Humboldt, der diesen Grund- 
satz bei der Beurteilung jener Frage ganz ausser acht lasse: „J’ ai ete etonne de lire 
l’ourrage de mon meilleur ami, le Cosmos de M. de Humboldt, que malgre les principes 
reconnus liberalement par lui-meme en tant d’occasions, il attribue la premiere decouverte 


des satellites de Jupiter & Marius. Le mathematicien, — fügt er als Resultat seiner 
Betrachtungen über Marius und Galilei bei, — de l’electeur de Brandenbourg n’a droit 


ä &tre Lite sur cette matiere que pour avoir eu l’idee, malheureuse ä tant d’Egards, 
de donner ä& ces satellites les noms d’ Jo, d’Europe, de Callisto et celui de 
Ganymede.“ 

Humboldts Stellung in unserer Sache ist um so eigentümlicher, als er obigen Grundsatz 
Aragos anerkennt, und in Bd. II. Anm. 44 einen ganz ähnlichen, schon früher ausge- 
sprochenen Gedanken Aragos verzeichnet: „Il n’y a qu’une maniere rationelle et juste 
&erire l’histoire des sciences, c’ est de s’appujer excelusivement sur des publications ayant 
date certaine; hors de lä tout est confusion et obscurite.“ 

Humboldt zieht die Angaben Galileis in Zweifel, dass Marius die Datumsangabe nach dem 
alten Julianischen Stile gemacht habe, und dies als böswillige Unterstellung annehmend, 
lest er jene Behauptung dem Zorne Galileis über seinen Nebenbuhler zur Last. — Um 
nun in dieser Angelegenheit alle Zweifel zu entfernen, lassen wir Marius selbst als Zeugen 
für Galileis Behauptung auftreten; er schreibt in seinem Mundus Jovialis (Blatt C2, Rück- 
seite): „Constitui etiam epochas mediorum motuum ad initium anni 1610 ad mediam noc- 
tem, praecedentem primum diem Januarii, juxta Calendarium Julianum, quia videlicet 
unica saltem observatio horum siderum in praecedenti anno a me annotata erat, nimirum 
29. Decembris.“ 

Daraus und aus dem Umstand, dass seine Tafeln sich auf den Julianischen Kalender 
beziehen, muss man annehmen, dass des Marius Entdeckungsdatum nach dem alten Stile 
zu rechnen ist, und dass, da dieser um zehn Tage damals zurück war, der 29. Dezember 
1609 des Marius = dem 8. Januar 1610 ist. Galilei machte die erste Beobachtung 
am 7. Januar, also ist die erste Beobachtung des Marius — der zweiten Beob- 
achtung des Galilei; woraus sich allein schon die Priorität des Galilei ergeben würde. 
Galilei ist also gerechtfertigt.!) 


!) J. A. C. Oudemans und J. J. Bosscha sagen in ihrer Abhandlung Galil6ee et Marius (Arch. 
Neerland., Ser. II, T. VIIL, 2. Livr. p. 146): Die Anklage Galileis, Marius habe seine Leser im Ungewissen 
gelassen, dass er (Marius) sich des alten Kalenderstils bedient habe, sei falsch. Marius habe vielmehr 
(Blatt E4) erklärt, dass er wie Reinhold das Jahr mit dem 1. Januar, more’'Romano beginne, und 
(Blatt F3 Rückseite), dass die Sonne am 10. März in das Zeichen des Widders trete, und ferner (Blatt 
C2 Rückseite) dass er den Julianischen Kalender benütze. — Dies ist alles ganz richtig und trotzdem 
bleibt die Anschuldigung Galileis, Marius habe den Leser über das Entdeckungsdatum getäuscht, zu - 


433 


Humboldt findet es allerdings schliesslich „auffallend“, dass Marius erst so spät mit 
seinen Ansprüchen hervortritt und dass Kepler, der doch mit Marius verkehrte, nie seines 
Landsmannes Entdeckungen erwähnt, sondern in seinen schriftlichen Äusserungen „überall‘ 
Galilei als Entdecker preist. Die einzige Erklärung für solche Eigentümlichkeiten jedoch 
— das Plagiat des Marius — will Humboldt nicht zugestehen. Man kann Humboldt in 
mehrfacher Beziehung den Vorwurf der Inkonsequenz nicht ersparen. Arago, der aus dem 
Kalenderschwindel, aus der bekannten Plagiataffäre Capras und der zeitlichen Verspätung 
des Marius den Schluss zieht, dass dieser verspäteten Reklamation des Marius schwerlich 
Glauben beizumessen sei, verfährt konsequenter. Er spricht mit Recht seine Verwunderung 
darüber aus, dass sein bester Freund Humboldt, der immer nach dem richtigen Grundsatz 
verfahren sei, gerade hier demselben untreu geworden. 

Wir mussten bei Humboldt länger verweilen, da die ungeheure Bedeutung des Mannes 
und seines Cosmos sehr dazu beigetragen hat, ein schiefes Urteil über den Prioritätsstreit 
in weitere Kreise zu bringen. So müssen wir es ihm vielleicht auch zur Last legen, wenn 
eine in dieser Beziehung falsche Ansicht in die in Deutschland weitverbreiteten Werke der 
populären Astronomie, von denen wir nur Mädlers Wunderbau des Himmels nennen wollen, 
übergegangen ist. 

Ausser Galilei, Scheiner und Riccioli hat niemand der Streitfrage neue Gesichtspunkte 
zugeführt als Frisch, der verdienstvolle Herausgeber von Joh. Keplers Werken (Kepleri 
opera omnia, Frankfurt 1858—1871). Frisch war (neben Humboldt) der erste, der betont, 
welch bedeutende Rolle zur Schlichtung des Streites dem Briefverkehr Keplers mit Marius 
und Galilei ete. zugewiesen werden muss, er war auch der erste, der das von Marius selbst 
wiederholt angeführte Prognostikon für das Jahr 1613 herbeizieht. Aus letzterem folgert 
er: „... es leuchtet ein, dass er (Marius) zu damaliger Zeit (1613) selbst noch nicht die 


Recht bestehen. Denn Marius hat nirgends gesagt, dass er die Trabanten am 29. Dezember 1609 
alten Stils entdeckt habe; vielmehr hat er durch die Behauptung (s. Praefatio), er habe die Trabanten 
fast zu gleicher Zeit oder eigentlich etwas früher als Galilei gesehen, den Leser direkt auf die irrige 
Meinung gebracht, des Marius 29. Dezember 1609 sei nach dem neuen Stil zu nehmen; denn würde 
er nach dem alten Stil genommen, so wäre es der 8. Januar 1610 und Marius hätte dann, da Galilei 
die Monde bereits am 7. Januar 1610 entdeckt hatte, doch nicht sagen können, er habe sie „etwas 
früher“ als Galilei gesehen. — Wenn ferner Marius in seinem Mund. Jov. so nebenbei erwähnt, dass er 
seine Tafeln auf den Julianischen Kalender beziehe, so folgt daraus noch nicht, dass er auch den Ent- 
deckungstag nach dem alten Stil angegeben hat. Ausserdem aber würde ein Leser, der dies dennoch 
aus dem Mund. Jov. herausgelesen hat, ohne die damalige Verbreitung und den Gebrauch des neuen 
- Kalenders genau zu kennen, eben durch jene Bemerkung des Marius — „etwas früher als Galilei“ — höchstens 
zur Meinung kommen, dass eben auch Galilei den alten Kalender benützt habe. Jedenfalls musste Marius, 
um einen Irrtum zu vermeiden, das Datum in der damals üblichen Doppelform bringen. 

Dass Marius seine Leser mit dem Datum wirklich getäuscht hat, sehen wir in der vorerwähnten 
Abhandlung von Stedler, den biographischen Artikeln von Iselin, Jöcher, Vocke, Adelung, Doppel- 
mayr, Örtel und ganz besonders deutlich bei Humboldt, welcher, von Marius völlig getäuscht, sagt, 
Marius habe die Monde am 29. Dezember 1609, also neun Tage früher als Galilei (7. Januar 1609) 
entdeckt, während letzterer aus Gehässigkeit behaupte, jener 29. Dezember 1609 sei = 8. Januar 1610. 
Genau so wie A. v. Humboldt wurde auch der neueste Biograph des $. Marius, nämlich Dr. Jul. Meyer 
durch Marius irre geführt (s. diese Abhandlung p. 437). 

Die dolose Absicht des Marius, den Leser über das wahre Entdeckungsdatum zu täuschen, gelang 
also, wie wir sehen, vollständig. 


Abh. d. II. Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXI. Bd. II. Abt. 56 


k 


434 


erste Entdeckung der Satelliten und der Venusphasen sich zugesprochen hat... Übrigens 
dürfte man nicht Unrecht haben, wenn man sagte, dass Marius, wenn er im Jahr 1609, 
wie er selbst im Mund. Jov. 1614 behauptet, die Satelliten entdeckt hätte, sicher im 
Prognostikon zu 1610 oder 1611 dieser Sache Erwähnung getan hätte.‘ 

Frisch geht dann auf die Untersuchung des Mund. Jov. über und fährt fort, indem 
er sich auf den Vergleich bezieht, den Marius zwischen seinen Leistungen und jenen des 
Reinhold anstellt: „Wenn Jemand, sich selbst als Astronom rühmend, solches auszusprechen 
wagt, wird man nicht mit Recht zweifeln müssen, was er über seine Entdeckungen sagt?“ 
Doch folgen wir Frisch (Kepleri opera, II, p. 470/471) noch weiter: „Damit offenbar 
werde, für was für einen Astronomen und Beobachter man den Marius halten muss, wählen 
wir nur folgende zwei Beobachtungen von ihm: 


1. „„omnes fixae insigniores exquisitae rotundae cernuntur; ich wundere mich, dass 
Galilei mit seinem so ausgezeichneten Instrument nicht dasselbe gesehen hat.““ Daraufhin 
wird zu beweisen gesucht, dass das Copernicanische Weltsystem falsch sei. 

2. „„Omnes in coelo stellae scintillant, luna sola excepta. Wer die Wahrheit dessen 
erforschen will, der nehme das konkave Glas aus dem Fernrohr und bringe den Teil des 
Instruments, wo das Glas fehlt, gegen die Augen, richte das Fernrohr auf einen Stern oder 
Planeten, dessen Szintillation er sehen will.“ “}) 


„Über seine anderen Beobachtungen dann referierend, zeigt er (Marius) so wunder- 
bare Übereinstimmung mit denen des Galilei, dass es uns Niemand zum Vorwurf 
machen kann, dass wir schwerlich zu der Meinung kommen, dass Marius zuerst die 
Satelliten und die Venusphasen entdeckt habe. Marius masst sich auch nur sehüchtern 
diese Ehre au...,“ 

„Das allein ist in Wahrheit dem Marius zuzuerkennen, dass er zuerst Tafeln von 
den Bewegungen der Satelliten aufgestellt und Umlaufszeiten angegeben hat, die nicht 
viel von der Wahrheit abweichen.“ 

Über letzteren Punkt werden wir später noch ausführlich sprechen. 


Frisch vergleicht auch noch den Wortlaut des Mund. Jovialis mit dem des Nuntius 
Sidereus und findet da eine Reihe von Stellen, aus denen die Abhängigkeit des Marius von 


Galilei ganz deutlich hervorgeht. Die Reihe solcher Stellen könnte um einige sehr auf- 


fallende vermehrt werden; doch mögen die bei Frisch angeführten hier genügen: 


Galilei sagt, accepisse se nuntium de per- Marius eundem accepit nuneium per nobilem 
spieillo circa mensem Maium 1609 per . Germanum J. Ph. Fuchsium, anno 1608, 
nobilem Gallum J. Badovere. quando celebrabantur nundinae Franko- 


fort. autumnales. 


Galilei: Fuisse a quodam Belga perspieilum Marius: excogitatum esse instrumentum, quo 
laboratum, cuius beneficio obiecta visibilia remotissima quasi proxima cernerentur. 
licet ab oculo inspieientis longe dissita 
uti propingua distincte cernebantur. 


i) Diese zweite Beobachtung des Marius ist wohl richtig. 


Pau! E25 


Galilei: elaboravi nullis sumptibus parcens 


organum excellens, — ad coelestium spe- 
eulationes me contulı. 


Galilei: Die 7. Januar 1610 cum coelestia 


sidera per perspicillum spectarem, Jupiter 
sese obviam fecit et tres illi adstare stel- 
lulas, exiguas quidem verumtamen cla- 
rissimas, cognovi; quae licet e numero 
inerrantium a me crederentur, nonnullam 
tamen intulerunt admirationem, eo quod 
secundum exactam lineam rectam atque 
eclipticae parallelam dispositae videbantur. 


Galilei: Statutum ideo omnique procul dubio 


a me deeretum fuit, tres in coelo adesse 
Stellas vagantes circa Jovem, instar Veneris 
et Mereurüi circa Solem. 


Galilei: ac non tantum tres, verum quatuor 


esse vaga sidera circa Jovem suas eircum- 
volutiones obeuntia. — 


435 


Marius: hac ratione, nullis interim parcens 


sumptibus, elapsi sunt menses aliquot. — 
Interim divulgantur in Belgio eiusmodi 
perspicilla et transmittitur satis bonum, 
quod factum est in aetate annı 1609. 
Ab hoc tempore coepi cum hoc instru- 
mento inspicere coelum et terram. 


Marius: Circa finem Novembris primum as- 


pexi Jovem et deprehendi stellulas exiguas 
in linea recta cum Jove: Primum ratus 
sum, ıllas esse ex numero fixarum. Cum 
autem Jupiter tum esset retrogradus,t) et 
ego nihilominus hanc stellarum concomi- 
tantiam!) viderem per decembrem, primum 
valde admiratus sum. 


Marius: post vero paulatim in hanc descendi 


opinionem, videlicet quod Stellae hae circa 
Jovem ferrentur, prout 5 Solares planetae 
eirca Solem circumaguntur; Itaque coepi 


adnotare observationes quarum prima fuit 
die 29. Dec. 


Marius: Hoc tempore credebam saltem tres 


eius modi stellas esse, quae Jovem comi- 
tentur... Ab hoc tempore usque in 
12. Jan. diligentius attendebam his Jov. 
sideribus, et deprehendi aliquo modo 
4 eiusmodi corpora esse, quae Jovem 
sua cireuitione spectarent. — 


„Diesem, was aus Mund. Jov. des Marius und dem Nunt. Sid. des Galilei genommen 


ist, wäre einiges beizufügen, was den ruhmsüchtigen Geist des Marius scharf zeichnet, 
und wenn man dies mit dem Vorausgehenden vergleicht, dann muss man, da man fast 
keinen Menschen als Zeugen seiner Entdeckungen sieht als ihn selbst, und da 
er erst einige Jahre, nachdem die Dinge zum erstenmale bekannt wurden, sich 
den ersten Entdecker nennt, die von Marius gemachten Behauptungen in Zweifel 
ziehen.“ Frisch notiert hier auch zur weiteren Zeichnung des „ruhmsüchtigen“ Charakters 
des Marius, dessen Auftreten betreffs seiner „tabulae directionum“ und seine Behauptung 
bezüglich der Entdeckung des tychonischen Weltsystems (diese Abhandlung p. 402—403). 


Nach Frisch konnte auch Antonio Favaro, der berühmte Galileiforscher, in dieser 


Frage nichts Entscheidendes tun, da diesem von den Werken des Marius, nur der Mund. 


!) Fast genau so hatte sich Galilei im Sid. Nuntius ausgedrückt. 


56* 


436 


Jov. zu Gebote stand. So blieb auch Favaro nichts übrig als in der Angelegenheit Frisch 
zu folgen. Favaro führt auch Frischs Zusammenstellung von ähnlichen Stellen des Mund. 
Jov. und Nunt. Sid. an, er ruft ferner die so lange vergessene Stelle aus dem Saggiatore 
wieder ins Gedächtnis zurück. (Favaro, Gal. e lo studio di Padova, II, p. 448— 444.) 

Wir kommen hiebei zu einem Punkte, der auch bei Favaro der Richtigstellung bedarf. 
Es wird nämlich von Humboldt die Unabhängigkeit des Marius von Galilei behauptet, 
während Frisch und Arago das Gegenteil annehmen. 

Auch Favaro berührt diesen Punkt, wenn er sagt: „A distruggere tutto l’edifizio di 
menzogno architettato dal Mayr, basterebbe un solo argomento, essere cio& assolutamente 
impossibile che a lui, studioso d’astronomia e in relazione col Keplero, non fosse pervenuta 
notizia, se non dalla edizione veneta almeno dalla tedescha del Sid. Nuntius, 
curata dal Keplero stesso.‘ (Siehe dagegen Bibl. Mathem. II. Bd., 2.|3. Heft, 1901, 
Notiz von Favaro.) 

Diese Frage, ob Marius den Nuntius Sidereus in Händen hatte oder nicht, wird 
wiederum durch Marius selbst gelöst; denn er sagt: (Mund. Jov., pag. C2, Rückseite) 
Interim prodierat Sidereus Nuntius, qui mense Junii eiusdem anni primumin manus 
meas devenit.“ Marius besass also den Nunt. Sid. schon im Juni 1610 und seine direkte 
Abhängigkeit von Galilei ist kaum zu bezweifeln. Wir werden später auch den Nachweis 
führen, dass Marius auch aus anderen Schriften Galileis schöpfte. — 

Es interessiert uns hier noch ein Urteil, das Rudolf Wolf in seiner „Geschichte der 
Astronomie“ besonders aber in seinem „Handbuch der Astronomie“ (1890—1892) nieder- 
gelegt hat. Wolf verzeichnet mit Sorgfalt Marius’ Verdienste um die Astronomie; trotzdem 
aber nennt er (Handbuch d. Astr., Il., $ 549) Galilei den Entdecker der Jupitermonde. In 
der Anmerkung hiezu modifiziert er in gewissem Sinne jene Ansicht und schreibt: „...es 
wurde ihm (Galilei) durch Fortsetzung der Beobachtungen möglich, die Umlaufszeiten der 
vier Trabanten bis auf die erste Dezimale richtig zu bestimmen, während es ihm dagegen 
allerdings noch nicht gelang die wünschbaren Tafeln zu erstellen. — Wie schon früher 
gezeigt wurde, war Galilei keineswegs der Erste, der den Himmel mit dem Fernrohr 
durchforschte, ja es ist kaum zu bezweifeln, dass ihm z. B. S. Marius in dieser Richtung 
zuvorkam, und so vielleicht wirklich schon im November 1609 die Jupitertrabanten 
sah; immerhin ist es aber wohl noch sicherer, dass letzterer die Natur dieser 
Sternchen anfänglich nicht erkannte, sonst hätte er wohl dem befreundeten 
Kepler Nachricht von seinem Funde gegeben, und wäre jedenfalls nicht erst lange 
nach Erscheinen des Sider. Nuntius in seiner Practica auf 1612 und seinem Prognosticon 
astrologicum auf 1613, ja eigentlich erst in dem Mundus Joviales 1614 mit seinen 
Ansprüchen hervorgetreten. Wie ganz anders würde der sonst nicht unverdiente Mann 
in der Geschichte dastehen, wenn er dies offen eingestanden, Galileis eigentliche Entdeckung 
rühmend anerkannt, und für sich nur das ihm wirklich zukommende Verdienst in 
Anspruch genommen hätte, die Revolutionszeiten etwas besser bestimmt und die 
Tafeln merklich verbessert zu haben, — anstatt sich auch noch mit fremden 
Federn zu schmücken, ja Galileis Schrift, wie dieser selbst und dann namentlich 
Favaro schlagend nachwies, in unerlaubter Weise auszuschreiben und sich so 
selbst als Plagiarius hinzustellen.“ — Wolf sucht sich also in etwas sophistischer 
Weise aus dem Dilemma zu ziehen, in das er durch die Tatsache gerät, dass Marius die 


a. 


DI EEE ne Fa 


437 


Trabanten schon in November 1609 gesehen haben will, aber erst 1614 seine Entdeckung 
und seine Priorität behauptet. Wolf glaubt dem Marius den einen Teil der Erzählung, 
dass er wirklich schon im November 1609 mit dem Fernrohr die Trabanten sah, den andern 
Teil der Erzählung, dass Marius die Trabanten vor Galilei erkannt habe, glaubt er jedoch 
nicht, und hält auch den Marius für einen Plagiator. — 

Wenn Wolf eine Verbesserung der Revolutionszeiten als ein dem Marius „wirklich 
zukommendes Verdienst“ hervorhebt, so macht er dieses Verdienst ganz illusorisch, 
wenn er den Beweis Galileis im Saggiatore als schlagend anerkennt, dass nämlich Marius den 
“ Galilei ausgeschrieben, also wohl auch die Revolutionszeiten selbst aus Galileis Dissorso ent- 
nommen habe. 

Nur noch eine Abhandlung wollen wir in unserer Angelegenheit betrachten. In dem 
44. Jahresbericht des Historischen Vereins Mittelfranken, 1892, erschien (pag. 51—71) aus 
der Feder des um die fränkische Lokalgeschichte wohl verdienten Oberlandesgerichtsrates, 
nunmehrigen Landgerichtsdirektors, Dr. Julius Meyer in Ansbach ein Artikel: „Osiander 
und Marius“, eine Würdigung der wissenschaftlichen Verdienste beider Männer und zugleich 
eine Verherrlichung dieser beiden Ansbacher Staatsangehörigen. Wir können nur die 
Hauptpunkte der Abhandlung besprechen, die den Beweis erbringen sollen, dass Marius mit 
vollem Recht der Erstentdecker der Jupitermonde genannt werde. 

Der Verfasser erzählt den Lebensgang des Marius, bringt einige Notizen aus der 
Geschichte der Fernrohrerfindung durch Lippershey, berichtet nach dem Mund. Jov. und 
Nunt. Sid., wie Galilei und Marius zur Kenntnis dieser Erfindung kamen, wie und wann 
beide dieselbe zur Entdeckung der Jupitertrabanten benützten. Er kommt zu dem Schlusse, 
dass Galilei die Monde „etwas später“ entdeckt habe als Marius und meint: „Mit der 
Publikation der Entdeckung der Jupitertrabanten ist Galilei allerdings dem Marius zuvor- 
gekommen, aber das entscheidet nicht, sondern der Zeitpunkt der Entdeckung selbst. Dieser 
ist von Marius, unter Berufung auf den sehr gewichtigen Gewährsmann J. Ph. von Fuchs, 
auf den 29. Dezember 1609 fixiert, während Galilei die Trabanten zum ersten Male am 
7. Januar 1610 erblickte.* Der Verfasser wendet sich später, offenbar verleitet durch 
Humboldts Ansicht, gegen den Saggiatore Galileis, wo „dem ketzerischen protestantischen 
Astronomen in Ansbach ganz unbegründet vorgeworfen werde, dass seine frühere Beob- 
achtung auf einer Kalenderverwechslung beruhen müsse.“ — Wir haben eigentlich 
nicht nötig noch einmal auf diese, schon früher erledigte Sache zurückzukommen; wir wollen 
aber trotzdem, damit mit jener Verdächtigung Galileis, als habe er (Galilei) fälschlicherweise 
jenen Vorwurf erhoben, endlich einmal aufgeräumt werde, wiederholt betonen, dass Galilei 
den 7. Januar 1610 nach dem Gregor. Kalender, Marius dagegen, den 29. Dezember 1609 
(allerdings verschleiert) nach dem alten, Julianischen angibt, dass also der 29. Dezember 1609 
des Marius = 8. Januar 1610 des Galilei ist. 

Das Hauptargument des Verfassers für die Glaubwürdigkeit des Marius in seiner Ent- 
deckungserzählung ist die Berufung des Marius auf die Zeugschaft des. Kriegs- 
obersten Joh. Phil. von Fuchs, des „sehr gewichtigen Gewährsmannes.* — Sehen wir 
doch einmal die Erzählung des Mund. Jovialis, praefatio, genauer an: Daselbst ist J. Ph. von 
Fuchs nur als Zeuge des Fernrohrhandels und einiger Himmelsbetrachtungen im November 
angerufen, wo von Jupitertrabanten noch nicht die Rede war. Dann lesen wir: „Quando 
noctu apud saepius memoratum Nobilissimum virum fui, interdum mihi dabatur potestas 


438 


portandi domum, praesertim circa finem Novembris, ubi pro more in meo obser- 
vatorio considerabam astra: Tune primum aspexi Jovem, — et deprehendi stellulas 
exiguas, modo post, modo ante Jovem in linea recta cum Jove.“ Marius stellte also, was 
sehr eigentümlich ist, die Jupiterbeobachtungen erst und zum erstenmale in seinem 
Hause und zwar allein an, J. Ph. von Fuchs war demnach nicht anwesend bei 
der Entdeckung der Trabanten. Wir lesen mit Sicherheit zwischen den Zeilen, dass 
J. Ph. von Fuchs die Trabanten damals wenigstens überhaupt nicht zu Gesicht 
bekam; denn sonst hätte Marius dies wohl ausdrücklich hervorgehoben, und bei seiner 
ungemeinen Weitschweifigkeit mit grossen Worten erzählt. — Welcher Laie würde nicht 
in Staunen geraten und sich in Ausrufen der Verwunderung ergehen, wenn er plötzlich ein 
solch merkwürdiges und schönes Phänomen am Himmel sähe? Warum erzählt Marius nichts 
hievon? Wenn Marius vorher lang und breit ihre gemeinsamen Deliberationen betreffs des 
Fernrohres verzeichnet, darf man da annehmen, dass er die gemeinschaftlichen Erwägungen 
und Erklärungen bei der Entdeckung der Trabanten gerne verschweigt? Darf man annehmen, 
dass Marius sich die Gelegenheit entgehen lässt, eines solch gewichtigen Augenzeugen 
für die Entdeckung mit besonders kräftigen Worten sich zu versichern und jene ganz 
besonders ausführlich zu betonen? Im Gegenteil würde Marius sicherlich den denkwürdigen 
Abend, da er seine Entdeckung dem Gönner zum erstenmale zeigte und erklärte, in allen 
Kleinigkeiten geschildert und beschrieben haben. — Aber nirgends erwähnt er, dass der 
dem Herrn von Fuchs die Mitteilung gemacht, oder dass dieser die Trabanten gesehen. 
Marius kann ganz gut den J. v. Fuchs als Zeugen für die von ihm erzählte „historia 
verissima‘* anführen, da dieser ja auch einen Teil der erzählten Geschichte mit erlebte, 
aber man darf den Freiherrn von Fuchs nicht auch als Zeugen für den anderen Teil 
der Geschichte, nämlich für die eigentliche Entdeckung der Trabanten, auf- 
stellen, wie es ja auch Marius selbst nicht und nirgends tut. 


Somit fällt das Hauptargument Meyers von selbst. Der Verfasser hebt auch die Ver- 
dienste des Marius um die Astronomie hervor (s. Wolf l.c., histor. Tafel!) und sucht der 
Bedeutung des Marius ein höheres Relief zu geben. So erzählt er, „dass ihn (Marius) 
bedeutende Mathematiker und Astronomen auf seiner Sternwarte aufsuchten, so Lucas Brunn 
aus Dresden 1612 (!), P. Saxonius aus Altdorf 1614.* Nun weiss einerseits die Geschichte 
der Astronomie und Mathematik von der Bedeutung dieser Männer nicht sehr viel zu berichten, 
und ferner verlegt Marius selbst ersteren Besuch in den September 1613, nicht 1612; anderer- 
seits aber wirft es auf unseren Astronomen und Entdecker Marius ein sonderbares Licht, wenn 
man im ganzen nur zwei!) Männer anführen kann, die ihn bis 1614 besucht haben, besonders 
wenn man erwägt, dass Marius doch gerade damals seine so bedeutende Entdeckung gemacht 
haben will, so dass man doch meinen sollte, es müssten seine Bekannten, und die Gelehrten 
aus dem nahen Altdorf, Nürnberg und aus Ansbach wenigstens mit Begierde die Gelegenheit 
ergriffen haben, die wunderbare Entdeckung zu schauen, wie es ja auch in Italien bei Galilei 
der Fall war. Aber nichts von alledem tritt ein: Keine Meldung, keine Nachricht 
dringt nach aussen, kein Zeuge für die Entdeckung war bei Marius. Darf man 
daraus nicht schliessen, dass Marius die Entdeckung nicht gemacht hatte und das die von 


!) Marius selbst gibt ca. vier an, führt sie aber nicht als Zeugen seiner Jupiterbeobachtungen auf. 


7 2 ki a A ee u 


i 


1 


439 


Besuch ungestörte Ruhe seines Observatoriums eben darin ihren Grund hatte? Nicht einmal 
dafür gibt es einen Zeugen, dass Marius damals die Trabanten überhaupt nur gesehen hat. 

Als weiterer Grund für das Ansehen des Marius wird sein Briefwechsel mit 
bedeutenden Männern angeführt. Es lassen sich hier aber nur 7—8 solche Briefe angeben. 
Es sind also nicht viele und diese werden die Autorität des Marius schon deswegen nicht 
stützen können, da aus dieser geringen Zahl nur die geringe Verbindung des Marius mit 
anderen Gelehrten sich ergibt; aber auch diese wenigen sind durchaus nicht für die Sache 
des Marius von Vorteil und gerade die wichtigsten werden mit Erfolg später von uns gegen 
Marius verwendet werden müssen. 

Wenn der Verfasser von diesen Briefen später als „häufig und anerkennend“ spricht, 
so haben wir das erstere Epitheton schon beleuchtet. Zur Begründung des zweiten aber 
sagt Meyer, dass in dem Briefe Keplers an Marius (10. November 1612) am Rande die 
Bemerkung steht: „Marius et Galilei simul Jovialium deteetores.“ Der Leser der Abhandlung 
Meyers könnte nun zur Meinung kommen, es handle sich hier um einen Ausspruch Keplers; 
aber der Leser täuscht sich dann. Es ist das nur eine Randbemerkung des Herausgebers 
der Briefe Keplers (Hanschius, epistolae Kepleri aliorumque mutuae, 1718), der damit 
in dankenswerter Weise nur den Inhalt der betreffenden Stelle, wie er es ja in der ganzen 
Sammlung tut, summarisch andeuten will. Leider passiert dem Herausgeber Hanschius 
gerade bei dieser Randbemerkung ein Lapsus; denn es handelt sich im ganzen Briefe 
nirgends um die Entdeckung der Jupitertrabanten und gerade an der zitierten 
Stelle wird von Galileis Entdeckung der Venusphasen gesprochen. Gerade die Stelle, 
die dem Marius günstig wäre, sie ist 1. nicht von Kepler und 2. ist sie auch noch als 
Inhaltsangabe falsch. 

Wenn Meyer ferner den Schluss des Briefes (Vale mutuamque amicitiam cole) als 
besonderes Zeichen der Freundschaft zwischen Kepler und Marius ansieht, so wird ihn 
trotzdem wohl jedermann als das betrachten, was er ist, nämlich eine stehende Redensart 
und übliche Höflichkeitsformel. 

Um nun einen Begriff von der überwiegend günstigen Beurteilung zu geben, die 
Marius in Bezug auf seine Prioritätsansprüche erfährt, nennt Meyer eine Reihe von Autoren 
und Werken, um daraus gleichsam eine Volksabstimmung für seinen Marius zu gewinnen: 
Nach Meyer sind für Galilei die Autoren: 

„J. Chr. Sturm, Cl. Fr. de Chäles, J. B. Hofmann ete.“ 

Für Marius dagegen: 

„Rost, Buddeus, Wiedeburg, Winkler, Walch, Wolff, Pasch, Rentsch, Köhler, Oertel, 
Weidler, Gräfenhahn, Stedler; dann die Gelehrtenlexika von .Iselin, Menke, Jöcher, Zedler, 
Doppelmayer, die Erlanger Gelehrten Anmerkungen und Nachrichten vom Jahre 1775.“ 
Zu letzteren kommen noch „Le grand dictionnaire historique, Giov. Dom. Cassini und 
Riccioli, Kästner und Humboldt.“ 

Die Autoren für Galilei wollen wir weder der Zahl noch dem Werte nach weiter 
prüfen, da wir früher schon mehr und gewichtigere Stimmen beigebracht haben. Was dann 
aber die lange Reihe von Autoren für Marius anbelangt, so konnten wir einen Teil der- 
selben nirgends erlangen; doch glauben wir annehmen zu dürfen, dass das Urteil derselben 
wohl von nicht grösserem Gewicht sein wird als das gewisser Autoren aus dem 18. Jahr- 
hundert, die unserer Prüfung unterlagen. Wie wir früher gesehen haben, bestand das 


440 


„Urteil“ derselben in einem Referat aus dem Mund. Jovialis und kann also auf die Beurteilung 
der Frage keinen Einfluss ausüben. Das Urteil A. v. Humboldts haben wir schon beleuchtet, 
und was Kaestner betrifft, so bringt er nichts vor, was für Marius günstig wäre, ausser 
einer sehr allgemeinen und vorsichtig gehaltenen, subjektiven Meinung, ohne weitere Be- 


gründung. — Es erübrigt noch Joh. Dom. Cassini, dessen Ansicht wir ebenfalls früher 
schon geprüft haben, sie lautete „Galil&e fut le premier‘, und eine Prioritätsfrage bestand 
für ihn nicht. Von Marius erwähnt er die Tafeln, die unbrauchbar seien. — Der letzte 


Helfershelfer ist dann Riceioli, auch dieser sagt, wie wir sahen: „Galilaeus primus Satellitum 
detector“ und kritisiert des Marius Beobachtungsmethode. 

Nachdem Meyer sich noch gegen Favaro und dessen Verdachtsgründe betreffs der 
Beteiligung Marius’ an dem Plagiat des Capra gewendet hat, führt er zum Vorteil seines 
Klienten noch an, dass Marius 55 Quartseiten und Galilei nur 22 kleine Oktavseiten über 
die Trabanten geschrieben habe und nachdem er die wörtliche und inhaltliche Überein- 
stimmung zwischen Mund. Jov. und Nunt. Sid.. erklärlich gemacht, sagt er noch zum Schluss: 
„Nicht mit Unrecht, sondern mit gutem Glauben haben fast alle namhaften Geschichts- 
schreiber die Erzählung des Marius auf Treu und Glauben angenommen.“ 

Wir fügen nur bei: Wenn diese Angabe Meyers auch auf Wahrheit beruhen würde, 
— was leider weder der Zahl noch dem Gewichte nach zutrifft, — so wäre mit diesem 
„Treu und Glauben“ immer noch nichts für die Glaubwürdigkeit des Marius und für 
seine Priorität vor Galilei bewiesen, für die wahre Geschichtsschreibung aber nichts gewonnen. 


Halten wir nun endlich Umschau nach beweiskräftigen Gründen für die Priorität 
unseres Marius, so ist nicht ein einziger vorhanden, der die Sache des Marius auch nur ein 
wenig stützen könnte. 

Denn, dass 1. einige spätere Schriftsteller ein Referat aus des Marius Mundus Jovialis 
bringen, kann als Beweis für die Tatsächlichkeit des dort Erzählten niemals gelten; 

dass 2. die Berufung auf die Zeugschaft des J. Ph. von Fuchs auf die Wahrheit der 
Erzählung des Marius von der Trabantenentdeckung schliessen lasse, wird durch den Nach- 
weis entkräftet, dass Marius den Genannten gar nicht als Zeugen jener Entdeckung anführt; 

dass 3. der Mund. Jov. einer so hohen Person, wie dem Markgrafen von Ansbach, 
dem Brodherrn des Marius, gewidmet war, kann um so weniger beweisen, als einige Jahre 
vorher 1607 das frechste Plagiat von einem Freunde des Marius, der selbst wahrscheinlich 
Mitwisser und Mithelfer hiebei war, denselben Markgrafen gewidmet worden war und von 
Marius selbst überreicht werden sollte; 

dass 4. A. v. Humboldt und andere den 29. Dezember 1609 nach dem neuen Stile 
rechnen wollen, wird durch Marius’ Angabe selbst unzweideutig widerlegt; und damit 
schwindet von selbst jegliche Priorität. 


Erst in allerneuester Zeit hat Marius eine ernstliche Verteidigung gefunden durch zwei 
bedeutende Gelehrte: J. A. C. OQudemans in Utrecht und J. J. Bosscha in Haarlem. Sie 
gehen tiefer auf die Werke des Marius ein und suchen auf Grund von Berechnungen mit 
Hilfe neuerer Tafelwerke ein umfassendes Urteil der Leistungen und Ansprüche des Marius 
zu gewinnen. Wenn nun die Verfasser der betreffenden Abhandlung!) (Galilee et Marius, 


1) Die Societe Hollandaise schrieb unter Hinweis auf Humboldts Cosmos 'auf 1. Januar 1900 eine 


Preisaufgabe aus, in der untersucht werden sollte, ob und wie weit der Vorwurf, der gegen Marius wegen 


441 


Arch. Neerl. II. Ser., T. VIII., 2. Livr., 1903) die Priorität der Trabantenentdeckung für 
Marius nicht direkt aufrecht erhalten oder als nebensächlich erklären, so suchen sie doch 
mit allen Mittel die Unabhängigkeit des Marius von Galilei darzutun. Die Abhandlung 
ergeht sich leider in heftigen Angriffen gegen Galilei, die allerdings zum grössten Teil 
nicht haltbar sind, hier jedoch nicht näher ausgeführt werden können. Es ist ja richtig, 
dass es für die Verdienste eines Mannes nicht sehr viel ausmacht, ob er die Priorität in 
der Trabantenentdeckung habe oder nicht; aber, wenn Marius sich diese Priorität zu Unrecht 
zuspricht, so ist dadurch doch dargetan, dass Marius unwahre Behauptungen aufstellt und 
an Glaubwürdigkeit verliert. Gerade für diese Unglaubwürdigkeit aber werden wir später 
noch einige sehr bezeichnende Beispiele bringen. 

Die Verfasser sind ferner (p. 140) irriger Ansicht über die Stellung Keplers gegenüber 
Galilei und Marius; sie sind auch irriger Meinung über die Ansichten des Galilei und Marius 
in Betreff der Abweichungen?) der Trabanten (p. 138, 146, 160—161); sie glauben Galilei habe 
den Abweichungen keine Bedeutung beigelegt und dieselbe wahrscheinlich der Wirkung 
einer Jupiteratmosphäre zugeschrieben, während Marius die Abweichungen durch die Neigung 
der Bahnebenen der Trabanten erklärt habe. Dass nun letzteres durchaus unrichtig ist, 
wird später ausgeführt werden; dass aber Galilei damals (1610—1614) von der Breiten- 
theorie, wie er sie später im Saggiatore darstellt, noch nichts gewusst oder auf die Ab- 
weichungen nicht geachtet habe, wird durch zwölf Beobachtungen des Sidereus Nuntius 
allein schon widerlegt; ferner sind in der Galileiausgabe von Alberi von März 1610 bis 
17. Februar 1613 (Bd. V,1) ungefähr 50 Deklinationsabweichungen bei Galileis Beobach- 
tungen verzeichnet. Doch hat Galilei in seinem Beobachtungsjournal, welches im 2. Teil 
des III. Bandes der Galileiausgabe von Favaro in autographischem Nachdruck erscheinen 
wird, für jenes Zeitinterwall gegen 100 Trabantenabweichungen verzeichnet und überdies 
hätte eine genaue Untersuchung der Konstellationszeichnungen für die Zeit 1. März bis 
8. Mai 1613 im Anhang der Lettere Solari (Gal. op. ed Favaro, V. Bd.) den Verfassern 
dartun müssen, dass Galilei bereits 1612/13 sich eine genaue Vorstellung des Grundes der 
Abweichungen gemacht hatte, während Marius 1614 eine solche noch nicht hatte 
und in seinen Ausserungen und Tafeln über diesen Gegenstand sich direkt an die Publi- 
kationen Galileis anlehnt. Darüber wird noch berichtet werden. Wenn die Theorie Galileis 
nicht umfassend genug war und die Neigungen der Bahnebenen der Trabanten nicht 
berücksichtigte, so kann ihm in dieser Sache bei dem damaligen Stand der Wissenschaft 
und der Schwierigkeit der Messung kein Vorwurf gemacht werden. Jedenfalls beruht sein 
Erklärungsversuch durchaus nicht auf der Annahme einer Jupiteratmosphäre, sondern nur 
auf der Neigung der Jupiterbahn zur Ekliptik. 


des Plagiats an Galilei erhoben worden sei, Berechtigung habe oder nicht. Jenes Ausschreiben gab auch 
die Veranlassung zu dieser unserer eigenen Abhandlung. — Die eingelaufene Arbeit veranlasste die 
Preisrichter, die Frage selbst zu untersuchen und dabei kamen sie, wie die Soc. Holl. in dem Referat 
über die Preisarbeiten (1900) mitteilte, zu einem für Marius günstigen Resultat. Nachdem dann Antonio 
Favaro in einer Notiz der Bibl. Mathem. (I. Bd., 2./3. Heft) 1901 die Notwendigkeit betont hatte, dass 
jene neuen Forschungen veröffentlicht würden, erschien 1903 die umfangreiche Abhandlung der Herren 
J. A. C. Oudemans und J. J. Bosscha: „Galilee et Marius.“ 
1 !) Herr Oudemans hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen, Formeln für die Breiten- 
 abweichung der Trabanten von der durch den 9 gehenden Ekliptikparallelen aufzustellen und die 
_ Abweichung des vierten Trabanten für einige Jahresanfänge zu errechnen. 


Abh. d. II.Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 57 


442 


Den Vorwurf eines Plagiats an Galilei suchen die Verfasser dadurch zu entkräften, 
dass sie die Mariusschen Trabantenperioden aus dem Mund. Jov. mit den mittleren Perioden, 
wie sie die neuere Zeit gefunden hat, vergleichen und dabei finden, dass die Mariusschen 
Werte besser sind als die Galileischen. Marius könne also schon deswegen nicht von 
Galilei abgeschrieben haben. Dieses Argument werden wir später erst genauer prüfen, wir 
wollen aber jetzt schon darauf hinweisen, dass es nicht angeht die Perioden des Mund. 
Jov. mit den säkularen mittleren Umlaufszeiten zu vergleichen, um daraus ihre Genauigkeit 
zu beweisen, sondern man kann diese nur beurteilen nach den mittleren Perioden, wie sie 
1610—1614 tatsächlich in die Erscheinung traten. Wenn wir diese Vorsichtsmassregel 
beobachten, werden wir finden, dass Galilei genauer ist als Marius. 

Was die Trabantenamplituden betrifft, so ist es richtig, dass Galilei hierin bis 
Anfang 1612 stark voneinander abweichende Werte aufstellt, während die Mariusschen 
Werte 6, 10, 16, 26 Jupiterhalbmesser genauer sind. Trotzdem wird gezeigt werden 
können, dass Marius seine Amplituden aus dem Sidereus Nuntius genommen hat, dass bei 
Galilei die Werte der Amplitude nebensächliche Bedeutung hatten und Galilei auf sie keine 
besondere Mühe verwendete, da er die Perioden nicht wie Marius aus den Zeitinterwallen 
der stationären Punkte, sondern der Trabantenkonjunktionen mit 9 bestimmte. 

Schliesslich suchen die Verfasser noch den Nachweis zu führen, dass Marius sehr 
exakt, Galilei dagegen nur ungenau beobachtet habe und sie errechnen sich zur 
Begründung dieser Behauptung die Trabantenörter aus den Tafeln von Delambre. Da aber 
diese Tafeln nicht die nötige Genauigkeit bieten, wie die von Damoiseau, nach welchen die 
im Anhang unserer Abhandlung gegebenen Konjunktionszeiten von Herrn Prof. Berberich!) 
berechnet worden sind, so können die aus den Delambreschen Tafeln gezogenen Schlüsse 
keine Beweiskraft besitzen. Dagegen werden wir durch unumstössliches Material den Beleg 
dafür bringen, dass Marius’ Beobachtungen sehr ungenau sind, während Galilei mit bewun- 
derungswürdiger Exaktheit beobachtet hat. 

Der Nachweis dafür, dass Marius bessere Resultate als Galilei habe, muss demnach 
als misslungen angesehen werden und der Haupteinwand der Verfasser, dass die besseren 
Resultate den Marius von selbst von ‘der Beschuldigung des Plagiats schützen, besteht nicht 
zu Recht. — 

Damit ist im grossen ganzen das Material, das zu Gunsten des Marius beigebracht 
werden kann, erschöpft und in den folgenden beiden Teilen dieser Abhandlung wird an 
der Hand der betr. Originalschriften und Briefe gezeigt werden, wie weit das Plagiat des 
Marius und wie weit die eigene Forschertätigkeit an den Erfolgen des Marius beteiligt sind. 


1) Da die Tafeln von Damoiseau uns nicht zu Gebote standen, hat Herr Professor A. Berberich, 
ordentliches Mitglied des K. astron. Recheninstituts in Berlin, die Güte gehabt, Tafeln für die Zeiten 
der oberen Konjunktionen der vier Trabanten (von 1611 bis 1614) zu berechnen und uns zur Verfügung 
zu stellen. Dafür sei ihm auch hier der gebührende Dank abgestattet. 


443 


II. Teil. 


Die von Marius behauptete Entdeckung der Jupitertrabanten, 
ihrer Perioden und der Venusphasen. 


(Vergleich der Mariusschen Schriften aus den Jahren 1610—1614 und der gleichzeitigen 
Publikationen Galileis.) 


1. Die Schriften des Marius aus 1609 und 1610. 


Im Mundus Jovialis (1614) erzählt Marius von seinen Bemühungen um ein Fernrohr, 
das er sich 1608 schon verschaffen wollte. Im Sommer 1609 sei ein solches aus Belgien 
an Freiherrn Philipp von Fuchs-Bimbach nach Ansbach gesandt worden; Ende November 1609 

habe er (Marius) dasselbe mit nach Hause nehmen dürfen und damals zum erstenmal den 

_ Jupiter betrachtet, kleine Sterne bald vor bald nach dem Jupiter gesehen, und allmählich 

sei er zu der Ansicht gekommen, dass es Trabanten seien, die um den Jupiter kreisen. 

- Daraufhin habe er die Beobachtungen notiert und zwar die erste am 29. Dezember 1609. 

| Wenn diese Angaben des Mundus Jovialis der Wahrheit entsprechen, so wird es 
möglich sein, sie an Ausserungen, die Marius über den gleichen Gegenstand im Jahre 1609 
oder 1610 machte, zu prüfen. Hiezu dienen uns die Prognostica auf 1609, 1610, 1611, 
die Euklid-Übersetzung des Marius aus 1610 und Briefe. 

Im Prognostikum auf 1609 entschuldigt sich Marius, dass sein versprochener Traktat 

_ über den neuen Stern von 1604 noch nicht erschienen sei und verspricht einen erweiterten 
Traktat, in welchem er auch seine Meinung über die Herkunft dieser Sterne und der 
_ Kometen an den Tag geben wolle. Man möge sich gedulden, da ‚er durch seines Leibs, 
sonderlich aber des Hauptes Schwachheit vielmals verhindert werde, so dass er nicht ver- 
richten könne, was er gerne wollte.“ Vom Fernrohr vernehmen wir noch nichts, wohl 
deshalb, weil das Prognostikum schon vollendet war, als der Fernrohrhandel auf der Herbst- 
messe 1608 zu Frankfurt vor sich ging. 
E Im Prognostikum auf 1610 jedoch dürften wir wohl eine Bemerkung über das 
_ Fernrohr erwarten, um so mehr als Marius nach seiner Angabe schon im Sommer 1609 
ein solches zu Beobachtungen benützte und damals das Prognostikum wohl noch nicht so 
"abgeschlossen war, dass man demselben nicht noch eine Notiz von der neuen Erwerbung 
“und den Beobachtungen hätte einfügen können. Aber Marius spricht nur über die doctrina 
meteorologica und behandelt die Frage, ob man in den freien Künsten die deutsche Sprache 
57% 


144 


anwenden solle. Dagegen ist vom Fernrohr ete. auch im Prognostikum auf 1610 nicht die 
Rede. (Referat über das Progn. 1610 in Ges. Nachr. d. Ökon. Gesellsch. in Francken, 1766, 
pag. 226.) 

Die gespannteste Erwartung richten wir nun auf das Prognostikum zu 1611. Bis 
zu dessen Druck (2. Hälfte des Jahres 1610) musste doch Marius in der Erforschung der 
Trabanten schon ziemlich weit gekommen sein. Was die Hauptsache aber ist: Seit März 
1610 sprach alle Welt von der Entdeckung der Jupitertrabanten durch Galilei und Marius 
hatte, wie er selbst im Mundus Jovialis (Blatt © 2 Rückseite) schreibt, im Juni 1610 den 
Sidereus Nuntius in Händen, in welchem Galilei seine Entdeckungen in alle Welt 
hinausposaunt und alle Astronomen auffordert, zur Erforschung der Perioden sich mit ihm 
zu vereinigen. — Wenn man nun berücksichtigt, wie sehr die Kalendermacher darnach 
trachteten, in den Widmungen der jährlichen Prognostika etwas Neues von allgemeiner 
Wichtigkeit zu bringen, so ist man sehr überrascht, dass im Prognostikum auf 1611 
nichts vom Fernrohr und nichts von der Entdeckung des Marius erwähnt ist.!) 
— Es ist absolut unglaublich und bei dem Charakter des Marius völlig ausgeschlossen, dass 
Marius ruhig zugesehen haben sollte, wie ein anderer überall als der grosse Entdecker 
gefeiert wurde und den ganzen Erfolg, die ganze Ehre für sich erntete, die Marius, wenn 
die Erzählung des Mund. Jov. wahr wäre, mit vollem Recht zum Teil für sich beanspruchen 
musste. Im Prognostikum auf 1611 musste Marius mit seinen Beobachtungen und den 
Belegen für die Wahrheit derselben hervortreten, nur ein lauter, deutlicher Protest konnte 
für Marius damals noch die Priorität oder die Gleichzeitigkeit der Entdeckung retten. Wenn 
man nun im Prognostikum zu 1611 nichts dergleichen findet, so ist damit der Beweis 
erbracht, dass Marius die Trabanten weder am 29. Dezember 1609 entdeckt, 
noch bis Mitte 1610 beobachtet hatte. 

Etwas früher als das Prognostikum zu 1611 liess Marius seine Übersetzung von 
sechs Büchern des Euklid erscheinen. Sie kam anfangs 1610 heraus und war dem 
Frhr. von Fuchs gewidmet. Die Vorrede trägt das Datum des 6./16. Januar 1610. 
Gerade um die Zeit also, als Marius diese Vorrede schrieb, hatte er seine ersten, angeblichen 
Beobachtungen mit dem Fernrohr angestellt, und gerade acht Tage vorher, nach Angabe 
des Mund. Jov. am 29. Dezember 1609 (v. st.), die Trabanten bereits als solche erkannt 
und seine Beobachtungen zu verzeichnen begonnen. Dazu kommt noch, dass gerade der- 
selbe Frhr. von Fuchs, der Wohltäter und Gönner des Marius es war, der dem Marius 
durch die Überlassung des Fernrohrs jene Entdeckungen möglich machte, 
derselbe Fuchs, dem Marius seine Euklidübersetzung widmete. — Gab es eine 
passendere Gelegenheit, den Ruhm des verdienten und verehrten Mannes zu feiern, als hier? 
Konnte Marius jemals den Namen des Mannes mehr ehren, als dadurch, dass er jetzt dessen 
Verdienste um die Entdeckung der Jupitertrabanten der staunenden Welt erzählte? Hier 
bot sich in zwingender Weise die Möglichkeit für Marius, seinen Gönner ungewöhnlich zu 
feiern und dabei zugleich sich selbst die Ehre der Entdeckung zu sichern. — Allein auch 
in der Euklidübersetzung, ebensowenig wie im Prognostikum auf 1611, berichtet Marius 
nichts von seinen Fernrohrbeobachtungen, nichts von der Trabantenentdeckung. 


!) Dass im Prognostikum auf 1611, welches nicht aufgefunden werden konnte, nichts von dem 
Fernrohre und nichts von den Trabanten erwähnt wurde, ergibt sich aus dem Referat im Prognostikum 
auf 1612, wo Marius zum erstenmal über jene Gegenstände berichtete. 


445 


Damit ist der unwiderlegliche Beweis erbracht, dass Marius die Trabanten weder 
entdeckt noch überhaupt in der ersten Hälfte des Jahres 1610 mit dem Fern- 
rohr etwas Neues am Himmel gesehen hatte. 

Sicherer Beleg hiefür ist weiterhin der Umstand, dass Marius nicht einen Zeugen 
beizubringen weiss, der die Entdeckung oder auch nur die spätere Beobachtung der Trabanten 
durch Marius bestätigen könnte. Auch keiner seiner Freude: Vicke, D. Fabricius und 
Odontius, mit denen er im brieflichen Verkehr stand, hat damals von Marius erfahren, dass 
er die Trabanten entdeckt habe. 


Demnach ist jeder Anspruch des Marius auf die Trabantenentdeckung 
abzuweisen. 


2. Die Schriften des Marius aus 1611. 


a) Die Briefe an Vicke, Odontius und D. Fabricius, das Prognostikum auf 1612. 


Die erste Druckschrift, in der Marius etwas über seine Beobachtungen mit dem Fern- 
rohr mitteilt, ist das Prognostikum auf 1612, dessen Widmung an die Markgrafen Christian 
und Joachim Ernst mit: Ansbach den 1. März 1611 datiert ist. Auf Blatt A2 und 3 
erwähnt Marius, das er von Ende Dezember 1609 an mit dem Fernrohr beobachtet habe, 
dass die Milchstrasse und die Nebelsterne nur eine Häufung von Fixsternen sei; er wolle 
nicht weiter ausführen, was er am Mond und den vier Jupitertrabanten vermerkt habe. 
Die Venus habe er diesen Winter über, in dem von der Sonne abgewendeten Teil 
feuerrot, besonders aber am 5./15. Februar und ebenso am 25., 26., 27. Februar sichel- 
förmig, den von der Sonne abgewendeten Teil aber grünlich gesehen. 

Im eigentlichen Prognostikum spricht er auf Blatt Bl und 2 davon, dass er die 
Jupitermonde vom Ende Dezember 1609 an vielmals gesehen habe, dass er dies seinen 
_ Freunden David Fabricius und J. C. Odontius mitgeteilt und Galilei „unter- 

dessen“ einen Traktat darüber veröffentlicht habe. 

Noch an einer dritten Stelle berührt Marius seine Fernrohrbeobachtungen. Auf 
Blatt B7 bemerkt er wieder, dass er vom Einde des Dezember 1609 an mit dem ihm 
von Obersten Frhr. von Fuchs zugestellten Fernrohre die Trabanten bis Mitte April 1610, 
'_ und „nun wieder zu frühe“ beobachtet habe. Er habe auch bereits die Perioden des 
_ dritten und vierten Trabanten erforscht und Bewegungstafeln fertiggestellt. 

Dies ist alles, was Marius im Prognostikum auf 1612 von seinen Beobachtungen mit 
dem Fernrohr mitteilt. Über die Zeit der Abfassung des Prognostikums haben wir zwar 
von Marius selbst ein bestimmtes Datum, da die Widmung mit dem 1. März 1611 datiert 
ist. Dieses Datum ist jedoch nur ein fingiertes und bedeutet nicht die Fertigstellung der 
‚Schrift, wie man zufällig durch Marius selbst nachweisen kann. Marius schreibt im Pro- 
“gnostikum über die Konstellationen des Monats Mai 1612 (Blatt B6, Rückseite): „... es 
ist wohl zu besorgen, dies Jahr werde kein solch frühes Jahr sein, wie heuriges 1611, 
dergleichen bei Mannsgedenken kaum gewesen ist, dass der Wein um St. Veitstag ver- 
‚blühet hat.“ Der Veitstag ist nämlich der 5.15. Juni. Die Niederschrift des Prognostikums 
auf 1612 war also am 15. Juni 1611 noch nicht vollendet; der Abschluss dieses 
Prognostikums gehört also jedenfalls der zweiten Hälfte des Jahres 1611 an. 


446 


Beim Lesen der zweiten oben angeführten Stelle des Prognostikums (Blatt Bl und 2) 
muss man zu der Ansicht kommen, dass Marius die Beobachtung der Jupitermonde, welche 
er angeblich schon seit Ende Dezember 1609 betrieben habe, sehr bald seinen Freunden 
gemeldet habe, und dass der Nuntius Sidereus Galileis „unterdessen“ d.h. wohl nach 
dieser Meldung erschienen sei. Demnach müsste man glauben, dass Marius schon frühzeitig 
und vor dem Erscheinen des Nuntius Sidereus Galiles (März 1610) seinen Freunden die 
Entdeckung der Jupitermonde angezeigt hätte. Wenn nun diese Behauptung des Marius 
zurecht besteht, hätte Marius das gleiche Recht auf die Entdeckerehre wie Galilei. 

Um Klarheit in die Sache zu bringen und das Wort „unterdessen“ zu beleuchten, 
ist es nötig, die Zeit der Abfassung jener Briefmeldungen zu bestimmen und deren Inhalt 
zu erfahren. 

Auf dieselben Briefe, die Marius im Prognostikum auf 1612 erwähnt, weist er auch 
im Prognostikum auf 1613 (Widmung, Blatt A2, Rückseite) nochmals hin; er erzählt, 
dass er in jenem Prognostikum auf 1612 von seinen Beobachtungen der Venusphasen, der 
Jupitermonde, ihrer Bewegungshypothese und den gefundenen Perioden der beiden äusseren 
Monde gesprochen und „solches zuvor (d. h. vor der Ausgabe des Prognostikums auf 1612) 
etlichen guten Freunden schriftlich vermeldet“ habe. Diese guten Freunde aber waren die 
schon genannten D. Fabricius, Odontius und ausserdem der Bergrat Vicke. Die Briefe an 
die beiden letzteren aber sind uns teilweise erhalten und wir können auch die ungefähre 
Zeit der Abfassung derselben bestimmen. 

Vicke teilt nämlich den Inhalt des Mariusschen Briefes am 6./16. Juli 1611 dem 
Kepler mit und sagt, dass Marius vom Ende des vorausgehenden (superioris) Jahres 
das ist also von Ende 1610 an bis in den April des gegenwärtigen (praesentis) d.i. 
1611 die Venus sichelförmig gesehen habe. Da also der Brief einerseits die Beobachtung 
des April (v.st.) 1611 noch enthielt, anderseits aber der Inhalt bereits am 6./16. Juli 1611 
von Vicke an Kepler gemeldet ward, so muss der Brief des Marius im Mai oder Juni 
1611 an Vicke geschrieben worden sein. ° Dies wird auch dadurch bestätigt, dass der 
vorausgehende Briefe des Vicke an Kepler am 8./18. Mai 1611 geschrieben wurde und 
noch nichts von jenen Entdeckungen des Marius enthält. j 

Die briefliche Mitteilung, die Marius in Betreff seiner Beobachtungen an J. C.Odontius 
ergehen liess, ist mit dem uns interessierenden Teil enthalten in einem Brief des J. C. Odontius 


an Kepler. Dieser trägt das Datum: Altdorf, 24. November v. st. = 4. Dezember 1611. 


Der die Mariusschen Mitteilungen enthaltende Teil dieser Briefe lautet: „Dieser (Marius) 
teilt mir bona fide mit, er habe das Ende der Mondsfinsternis im Dezember 1610 
sehr genau beobachtet. ... Damals habe er (Marius) nämlich den Mond mit dem neuen 
Instrument G. Galileis betrachtet... Dei Anfang und die Mitte der Finsternis, sagt er, habe 
er nicht beobachten können wegen der Wolken, aber um die fünfte Stunde sei bei grösster Kälte 
der Himmel ganz hell geworden. Um ebendieselbe Stunde habe er (Marius) auch alle vier 
Begleiter des Jupiter, zwei davon östlich und westlich, sehr schön und deutlich gesehen. . .“ 

Marius hatte also Odontius mitgeteilt, dass er mit dem Fernrohre die Mondsfinsternis 
Ende Dezember 1610 beobachtet habe. Diese Mondsfinsternis, die hier gemeint. 
ist, war aber die vom 19.j20. Dezember v. st. = 29.30. Dezember 1610. Daraus 
ergibt sich zunächst sicher, dass jener Brief des Marius an Odontius nicht 1610, 
sondern erst 1611 geschrieben wurde. Zur weiteren Bestimmung der Zeit des Briefes 


447 


dient das Prognostikum auf 1613, in welchem Marius über den Inhalt seines Prognostikums 
auf 1612 berichtet und sagt, dass er diese im Prognostikum verzeichneten Beobachtungen 
vorher schon einigen guten Freunden gemeldet habe. Dies stimmt nun inhaltlich ganz auf 
die Briefe an Vieke und Odontius; beide Briefe werden also ungefähr zu gleicher Zeit 
und zwar vor Beendigung des Prognostikums auf 1612, d. h. vor Juli 1612, also im Mai 
oder Juni 1612 abgefasst worden sein, wie wir für den Brief an Vicke schon sicher nach- 
gewiesen haben.?) 

Damit ist nunmehr festgestellt, dass das „unterdessen“ des Marius, ob beabsichtigt 
oder nicht, eine vollkommene Täuschung des Lesers über die Zeit der Meldung seiner 
Beobachtungen hervorruft und dass diese Meldung des Marius an die genannten Freunde nicht 
vor, sondern mehr als ein Jahr nach dem Erscheinen das Sidereus Nuntius 
(März 1610) geschehen sind, und zwar erst gegen die Mitte des Jahres 1611. 

Was den Inhalt der Briefe betrifft, so erweckt die Notiz des Prognostikums auf 1612 
auch in dieser Beziehung bei dem Leser falsche Vorstellungen, wenn er nach dem Wort- 
laut annimmt, Marius habe seinen Freunden geschrieben, dass er schon „von Ende 
Dezember 1609 an“ die Trabanten beobachtete. Dies meldete Marius weder in seinem 

| Briefe an Vicke noch in dem an Odontius. Vielmehr lesen wir dort nur, dass Marius „von 
Ende Dezember 1610 an“ die Venusphasen beobachtet und Trabantenperioden gefunden 
habe, und hier, im Briefe an ÖOdontius, erfahren wir nur, dass Marius „Ende Dezember 
1610* bei Gelegenheit einer Mondsfinsternis die Jupitermonde gesehen, und dass er nunmehr 
die Periode des vierten und dritten Trabanten zu 164 resp. zu 10—11@ bestimmt habe. 

Weder Vicke noch Odontius weiss etwas von der Entdeckung der Trabanten durch 
Marius zu berichten, wie sie es sicher getan hätten, wenn ihnen solches mitgeteilt worden 
wäre; übrigens musste auch diese Mitteilung, auch wenn sie stattgefunden hätte, ihren 
Zweck verfehlen, da sie fast eineinhalb Jahre zu spät gekommen wäre. Also auch in Bezug 
auf den Inhalt der Briefe wird der Leser durch das Prognostikum auf 1612 in die Irre geführt. 

Von D. Fabriceius dem dritten Freunde, auf den sich Marius beruft, besitzen wir leider 
keine direkte Ausserung »betreffs der Beobachtungen des Marius, wohl aber solche des Sohnes 
Johann Fabricius. 

Johann Fabricius befand sich Ende 1610 in Holland, lernte hier den Gebrauch des 
_ Fernrohres kennen und richtete es dann auf die Sonne. In der Nähe der Sonnenränder 
entdeckte er nun gewisse Unregelmässigkeiten und erkannte sie als Flecken, während sein 
Vater zu gleicher Zeit ähnliche Beobachtungen machte. Bald darauf kehrte er aus Holland 
zu seinem Vater zurück und beide beobachteten gemeinsam das Phänomen. Sie versicherten 
sich endlich (anfangs 1611) durch vielfache, fortgesetzte Beobachtungen der Wahrheit des 
Gesehenen und Joh. Fabrieius gab dann zu Wittenberg seine bekannte Schrift „De maculis 
in sole observatis“ heraus, mit der Widmung vom 13. Juni 1611. 


1) Dass die Briefe des Marius an Vicke und Odontius gleichzeitig verfasst sind, geht vielleicht 
auch aus dem Umstand hervor, dass Marius später (1613) selbst beide Briefe miteinander verwechselt, 
s er in seinem Briefe an Kepler (August 1613), der in seiner Dioptrik den Brief des Marius an Vicke 
veröffentlicht und dabei dem Marius den Vorwurf des Plagiats an Galilei gemacht hatte, sich fälsch- 
icherweise über die Indiskretion des Odontius, der an Kepler ohne sein (des Marius) Vorwissen den 
ariusschen Brief weitergegeben habe, beklagt. Marius hatte also offenbar an Odontius und Vicke 1611 


gleichzeitig dasselbe geschrieben. 
I; 


448 


An der Abfassung dieser Schrift wird, da sie gemeinsame Arbeiten des Vaters und 
Sohnes betraf, der Vater D. Fabrieius nicht unbeteiligt gewesen sein und sicher war sie ihm 
vor der Drucklegung zur redaktionellen Begutachtung vorgelegen. Wenn also D. Fabrieius 
jemals in der Zeit von Ende 1609 bis Mitte März 1611 durch Marius von seiner Trabanten- 
entdeckung und den anderen Beobachtungen benachrichtigt worden ist, so wird man die 
Wirkung dieser Nachricht verspüren an Stellen obiger Schrift, wo Joh. Fabrieius über die 
neuen Entdeckungen mit dem Fernrohre sich auslässt (Blatt B3 und 4). Nun spricht aber 
J. Fabrieius daselbst nur von Galilei (sagacissimus ille Galilaeus), der es uns durch das 
Fernrohr ermöglicht habe, den Mond in so wunderbar kleiner Entfernung zu sehen, der 
die vier Trabanten um den Jupiter uns gezeigt und der jüngst erst die Drei- 
sestalt des Saturn entdeckt habe. — Wir finden dagegen bei J. Fabricius keine 
einzige Bemerkung über Marius, noch weniger über dessen angebliche Entdeckungen.?) 


Dadurch wird zum drittenmale bestätigt, dass Marius an seine Freunde weder im Jahre 
1610 noch im ersten Teil des Jahres 1611 von seinen Beobachtungen berichtete. Wenn wir 
nämlich beachten, dass J. Fabrieius seine Schrift Mitte Juni 1611 abgeschlossen hat und 
in derselben die angeblichen Beobachtungen des Marius über die Venusphasen, Trabanten- 
perioden ete., die doch erwähnenswert gewesen wären, nicht bringt, so ist dadurch über- 
einstimmend mit früherem bewiesen, dass die erwähnten Briefe des Marius die Freunde bis 


Juni 1611 noch nicht erreicht hatten, dass also ihre Abfassung frühestens in den 


Monat Mai oder Juni 1611 fällt. 


Als Resultat vorstehender Untersuchung haben wir also gefunden, dass Marius erst 
gegen die Mitte des Jahres 1611 von seinen Fernrohrbeobachtungen an seine 
Freunde berichtet hat, und zwar 1. dass er die Mondsfinsternis Ende Dezember 1610 
beobachtet und dabei die Trabanten gesehen habe, 2. dass er die Perioden des dritten und 
vierten Mondes gefunden zu haben glaubte, 3. dass er von Ende 1600 bis April 1611 die 
Venus sichelförmig gesehen. — An seine Freunde hat er also durchaus nichts davon 
geschrieben, dass er die Trabanten vor Ende 1610 gesehen oder gar schon Ende 1609 
entdeckt habe. Wenn wir also im Prognostikum auf 1612 lesen, Marius habe die Jupiter- 
monde von Ende Dezember 1610 an vielmals gesehen und dies seinen Freunden D. Fabricius 


und Odontius mitgeteilt, während Galilei „unterdessen“ einen Traktat darüber veröffentlicht ° 


habe, so haben wir nunmehr erkannt, dass Marius in seinem Prognostikum auf 1612 den 


Leser über den Inhalt und die Zeit der Abfassung jener Briefe getäuscht hat und damit 4 


ist bewiesen, dass er in seiner Berichterstattung zweideutig, vielleicht absichtlich unklar und 
wissentlich unwahr und deshalb auch im allgemeinen nicht ohne weiteres glaubwürdig ist. 


ı) Der Briefverkehr zwischen Marius und D. Fabrieius scheint nicht häufig und langdauernd 
gewesen zu sein. Denn D. Fabricius sagt in seinem Prognostikon auf 1616 (Blatt D3, Rückseite): „(ich) 
zweiffel auch nicht, es werde der achtbar und hochgelehrte Herr Simon Marius ... zu Onspach hierinnen 
(— in den Mondmessungen —) vor andere etwas sonderlichs prestirn können mit seinem wolbereiten 
Perspieillo optico, weil er die motus vier Jovialium, als auch die Diametros 9| und Q dadurch scrupulose 
observiret hat, wie ich solches auss seinem mir zugeschickten Prognostico dess 1613. Jahres nun erstlich 
ersehen habe.“ $ 

Also kurz vor der Widmung seines Prognostikons „die conversionis Pauli“ d.i. 25. Januar 1616 
hat Fabrieius erst das Mariussche Prognostikum auf 1613 erhalten, und vom Mundus Jovialis des Marius 
weiss er scheinbar noch nichts. 


449 


ß) Falsche Berichterstattung des Mundus Jovialis. 

Nachdem Marius im Prognostikum auf 1612 die Behauptung einmal aufgestellt hatte, 
von Ende 1609 an die Jupitertrabanten beobachtet zu haben, war es natürlich, dass er in 
seiner Hauptschrift über den Gegenstand, im Mundus Jovialis dieselbe Behauptung wieder- 
holte. Wir brauchen diese nicht nochmals zu widerlegen, nachdem wir die Unrichtigkeit 
derselben bereits aus den Schriften und Briefen des Marius aus 1610 und 1611 erwiesen 
haben. Dagegen wird es am Platze sein, die Unzuverlässigkeit und Leichtfertigkeit der 
Mariusschen Berichterstattung, wie sie im Mundus Jovialis weiterhin zutage tritt, an der 
Hand des Prognostikums zu 1612 und besonders des Briefes an Odontius näher zu beleuchten. 


In der Widmung des Mundus Jovialis erzählt Marius: Im Sommer 1609 habe Frh. 
J. Ph. von Fuchs ein Fernrohr erhalten. Mit diesem Instrument habe er den Himmel und 
die Sterne betrachtet; schliesslich — Ende November 1609 — (auf Blatt B4, Vorder- 
seite sagt Marius, im Herbst 1609 habe er die ersten Beobachtungen gemacht) habe Herr 
von Fuchs ihm dasselbe nach Hause mitgegeben und damals habe er (Marius) zum erstenmal 
den Jupiter mit seinen Trabanten gesehen; im Dezember 1609 habe er sie als solche 
erkannt, daraufhin die Beobachtungen verzeichnet und zwar die erste am 29. Dezember 
1609. — Im Prognostikum auf 1612 dagegen berichtet Marius: „... also hab ich auch 
mit solchem neuen Instrument, so von dem edlen und gnädigen Herrn Hans Philipp Fuchsen 
von Bimbach, Obrist ete. mir zugestellet, von dem End des Dezember des 1609. Jahres 
an bis in das Mittel des Apriln dieses 1610. Jahres und nun wiederum zu frühe die vier 
neuen Planeten, so ihre Bewegung um den Körper Jovis haben, vielmals gesehen, da ich 
erstlich vermeint, es wären kleine subtile Fixsterne, so sonsten nit gesehen werden.“ Er 
habe auch die Perioden der beiden äusseren erfunden und Tafeln gerechnet. 


Über die Unrichtigkeit der Behauptung, dass er Ende Dezember 1609 die Trabanten 
gesehen habe, wurde schon gesprochen, dagegen interessiert der Widerspruch zwischen 
Prognostikum und Mundus Jovialis: Hier werden die ersten Beobachtungen in den Sommer 
und für die Trabanten in den Herbst resp. in das Ende November 1609 verlegt, dort 
heisst es dreimal, er habe vom Ende Dezember 1609 an beobachtet. Die Zeitangaben 
des Mundus Jovialis und des Prognostikums sind also um einen vollen Monat verschieden. 

Dies nur nebenbei. Dagegen wird die Glaubwürdigkeit der Mariusschen Bericht- 
erstattung überhaupt vollkommen erschüttert durch folgende Zusammenstellung. 

Das wichtigste Dokument für unseren Zweck ist der Brief des Marius an Odontius, 
weil in demselben die bisherigen (bis Mitte 1611) Forschungsresultate des Marius mit be- 
stimmten Massangaben angeführt sind. Es heisst darin: „Der (Trabant), welcher sich am 
weitesten von Jupiter entfernt, vollende seinen Umlauf in 16 Tagen, die Stunden ständen 
bei ihm noch nicht fest; bei den übrigen (Trabanten) sei die Beobachtung verwickelter, 
doch glaube er, dass der dritte Trabant in zehn oder elf Tagen seinen Umlauf um 
Jupiter vollende und in der Maximalentfernung von neun Minuten still zu stehen 
scheine; daher glaube er, dass die Trabanten eine Kreisbewegung um den Jupiter haben.“ 

Im Mundus Jovialis lesen wir jedoch zunächst über die Maximalelongationen 
(Blatt B4, Rückseite): „De horum duorum (d.i. des dritten und vierten Trabanten) maxima 
elongatione intra 6 mensium spatium confirmatus sum.“ „Der vierte entferne sich 13, 
der dritte Trabant 8 Minuten von Jupiter.“ Weiter spricht Marius (Ü© 2, Vorderseite) 

Abh.d.II.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 58 


450 


von seinen Erfolgen bis März 1611 betreffs der Umlaufszeiten des dritten und vierten 
Trabanten, die ihm beim Aufsuchen der Umlaufszeit des zweiten Trabanten zugute 
gekommen sei, „quem interim deprehenderam non ultra 5 minutaa Jove utrinque excurrere.* 

In seinem tatsächlichen Bericht an Odontius „vermutet“ also Marius noch Mitte 1611 über 
die Maximalelongationen, dass der dritte Tranbant 9 Minuten vom Jupiter abstehe; sonst 
weiss er über den Gegenstand nichts zu melden. Dabei dürfen wir allerdings annehmen, 
dass Marius den Bahnradius des vierten zu 13—14 Minuten wohl wusste, da dies seit 
Galileis Sidereus Nuntius allgemein bekannt war. Vergleichen wir mit dieser spärlichen 
Angabe die Notizen des Mundus Jovialis, wonach Marius in sechs Monaten d.h. also bis 
Juni 1610 die Digressionen des dritten und vierten Trabanten zu 8 resp. 13 Minuten 
gefunden hätte, so hätte er nach dem Mundus Jovialis schon im Juni 1610 für den dritten 
Trabanten mit acht Minuten schon ein genaueres Resultat als Mitte 1611, d.h. ein 
Jahr später, wo er nach authentischer Mitteilung an Odontius noch neun Minuten ver- 
mutet. — Vom zweiten Trabanten weiss Marius an Odontius Mitte 1611 noch gar 
nichts zu berichten, während er im Mundus Jovialis behauptet, bis März 1611 die 
Digression des zweiten zu fünf Minuten gefunden zu haben. Der Mundus Jovialis gibt 
also eine Darstellung der Forschungsresultate, welche den tatsächlichen Vorgängen direkt 
widerspricht. Dies wird im folgenden noch auffallender. 

Über die Umlaufszeiten lesen wir im Mundus Jovialis (Blatt € 2, Vorderseite) : 
„.. . tempus intra spacium septem vel octo mensium adinveni dieram quasi 17. Interim 
etiam dum haec inquiro, ecce Tertius etiam se prodit... Post integrum annum, id est 
circa finem Anni 1610 nactus sum, videlicet cursum suum im propria orbita eirca Jovem 
absolvere spacio 7 dierum. Dumque his rebus exerceor, paulatim in Quarti praecisiorem 
motus ad sua initia recursum descendo, ita quidam in Martio Anni 1611 crediderim 
tempus periodicum comprehendere ultra dies 16 etiam horas 18. Tertii vero putabanı 
tune dierum 7 horarum 3 et minutorum 993.“ 

Im Mundus Jovialis lesen wir also, Marius habe die Periode des vierten Trabanten in 
7—8 Monaten, d.h. bis August 1610 zu 17 Tagen, bis März 1611 aber zu 16 Tagen 
18 Stunden bestimmt; — an Odontius dagegen schreibt Marius Mitte 1611, dass der vierte 
Trabant in 16 Tagen seinen Umlauf vollende, die Stunden seien ihm noch nicht bekannt. 

Nach dem Mundus Jovialis wäre also Marius schon im August 1610 mit der Periode 
von 17 Tagen der mittleren Umlaufszeit von 16% 18% 5= näher gewesen als 1611, wo er 
dieselbe im Brief an Odontius auf 16 Tage schätzte. Während nun Marius in diesem Brief 
ausdrücklich Mitte 1611 mitteilt, die Stunden kenne er noch nicht, behauptet er anderer- 
seits im Mundus Jovialis, bis März 1611 die Periode zu 164 18% bestimmt zu haben. 

Am auffallendsten aber ist der Widerspruch zwischen Mundus Jovialis und obigem 
Brief bei den Angaben über den dritten Trabanten. Im Mundus Jovialis sagt Marius: 
„ungefähr Ende 1610 erhielt ich die Periode der dritten Trabanten zu sieben Tagen und 
im März 1611 glaubte ich, dass sie 74 3b 53m betrage.* An Odontius dagegen meldet er 
Mitte 1611, dass der dritte in 10 bis 11 Tagen seinen Umlauf vollende. Damit ist der 
sicherste Beweis dafür geliefert, dass die Erzählung des Mundus Jovialis über Auffindung 
der Umlaufszeiten ete. wissentlich und absichtlich unwahr sind.!) 


1) Dass übrigens Marius bei Abfassung des Prognostikons auf 1612 also Mitte 1611 in der Tat von, 
der Periode des dritten Trabanten noch nichts wusste, dass also die im Briefe an Odontius mitgeteilten 


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451 


Ahnliches gilt vom Prognostikum auf 1612. Hier hat er behauptet, die Periode des 
dritten und vierten Trabanten gefunden und bereits Tafeln für diese hergestellt zu haben. 
Aus dem Briefe von Odontius wissen wir, dass dies absolut unwahr ist, Dies wird in der 
Hauptsache durch Marius selbst bestätigt, wenn er ein Jahr später im Prognostikum auf 
1613 referiert, er habe schon im Prognostikum auf 1612 erwähnt, dass von ihm bereits „die 
Periode des vierten oder äussersten (Trabanten) erforschet und tabulas berechnet wurden.“ 
Er spricht also hier nur vom vierten und nicht mehr vom dritten Trabanten. 


Wiederholend bemerken wir schliesslich, dass Marius zum erstenmale im Prognostikum 
auf 1612 von seinen Trabantenbeobachtungen des Jahres 1609 und 1610 spricht, ohne 
direkt seine Priorität gegenüber Galilei zu berühren. Dies tut er erst 1614 im Mundus 
Jovialis, wo er zum zweiten Male von jenen frühzeitigen Beobachtungen berichtet. Wenn 
wir nun schon aus den Schriften des Jahres 1610 nachgewiesen haben, dass diese Behauptung 
eine unwahre ist, so bestätigen uns die Briefe des Marius an Vicke, Odontius und auch 
D. Fabrieius dasselbe Resultat. In keinem dieser Briefe hat Marius zu behaupten 
gewagt, dass er die Trabanten schon 1609 oder bis Ende 1610 überhaupt gesehen oder 
gar entdeckt habe. 

Ferner kann als sicheres Resultat betrachtet werden, dass Marius bis Mitte 1611 von 
den Trabanten nicht mehr wusste, als dass der vierte Trabant ca. 16 Tage zu seinem 
Umlauf brauche, dass der dritte in neun Minuten (der vierte in 13—14 Minuten) Abstand 
vom Jupiter stationär sei. Von der Periode des dritten, zweiten, ersten Trabanten und 
dem Bahnradius der beiden letzteren war ihm Mitte 1611 noch nichts bekannt. — Galilei 
gab nun schon in seinem Sidereus Nuntius (März 1610) die Periode des vierten zu ungefähr 
einhalb Monat an, aus den Beobachtungen des Sidereus Nuntius selbst aber konnte jeder 
aufmerksame Leser die Periode des vierten auf mehr als 16 Tage, seine Maximaldistanz 
zu 13—14 Minuten und die des dritten (aus der Beobachtung vom 18. Januar und 12. Februar) 
zu mehr als acht Minuten abschätzen. Die Kenntnisse des Marius Mitte 1611, hatte damals 
jeder, der nur den Sidereus Nuntius gelesen hatte. Von den eigenen Forschungs- 
resultaten, die Marius bis Mitte 1611 aufzuweisen hatte, bleibt also gar nichts übrig. 
Zu solchen Resultaten braucht man kein Fernrohr, sondern nur den Sidereus Nuntius Gahileis. 


Beobachtungsresultate tatsächlich alles umfassten, was Marius von den Trabanten bis dahin beobachtet 
hatte, bestätigt Marius indirekt selbst in seinem Prognostikon auf 1613. In diesem weist er auf das 
Prognostikon auf 1612 und seine angeblichen Fernrohrbeobachtungen hin, die in demselben verzeichnet 
waren, mit den Worten: „Hab auch zu unterschiedlichen Malen der vier neuen jovialischen Planeten 
samt ihrer generali hypothesi Erinnerung gethan und dass von mir allbereit der Periodus (- man merke 
wohl! —) des vierten oder äussersten erforschet und tabulas berechnet wurden. Wie denn solches 
zuvor ich auch etlichen guten Freunden schriftlich vermeldet hab.“ Diese guten Freunde waren, wie 
wir wissen, Vickenius, D. Fabricius und Odontius. Marius erinnert sich also im Prognostikum zu 1613, 
dass er einem Freund (Odontius) die Periode des dritten Trabanten zu 10 bis 11 Tagen angegeben hatte, 
wusste aber jetzt, dass diese Angabe ganz falsch war, und verbesserte sich jetzt dadurch, dass er sagte, 
er habe im Prognostikon auf 1612 nur von der Periode des vierten gesprochen. Marius erkennt 
also damit an, dass er Mitte 1611 nur von der Periode des vierten Trabanten etwas gewusst 
habe. Und damit ist: die Unwahrheit seiner Berichterstattung in Mundus Jovialis, nach der er im März 
1611 die Periode des dritten zu 74 3h 53m bestimmt hätte, über allen Zweifel erhaben. 


58* 


452 


Es ist nun ferner ganz undenkbar, dass ein Astronom 18 Monate — Ende 1609 bis 
Mitte 1611 — seinen Fleiss den Trabanten widmete, ohne den geringsten Erfolg, noch dazu 
ein Astronom, der kaum ein Jahr später (1612 im Prognostikum auf 1613) mit ziemlich 
genauer Periode aller vier Trabanten hervortritt. — Angenäherte Resultate hätte Marius 
schon 1611 haben müssen, wenn er wirklich solange beobachtet hatte. Gelang es doch 
auch anderen Männern, die sich nur gelegentlich einmal mit Fernrohrbeobachtungen - 
beschäftigten, in kurzer Zeit annehmbare Resultate zu finden. So schreibt z. B. Kepler an 
Vicke und später an Marius selbst, dass er in zwei Monaten (April—Mai 1611) durch 
nur wenige Beobachtungen mit einem schlechten Instrument die Periode des dritten 
Trabanten zu ungefähr acht Tagen bestimmt habe. — Wenn also Marius in angeblich 
18 Monaten nichts erreichte, so ist damit ein zweiter indirekter Beweis dafür geliefert, dass 
Marius im Juni 1611 noch keine 18 Monate beobachtete, dass er also die Trabanten 
Ende 1609 nicht entdeckt und überhaupt bis Ende 1610 nicht beobachtet hatte. 
Es ist möglich, dass er Ende Dezember 1610 die Trabanten gelegentlich gesehen hat 
und es hat den Anschein, als habe Marius die Zeitangabe im Briefe an Vicke: — „von Ende 
des vorigen Jahres 1610 bis in den April des laufenden 1611° — in dem Prognostikum 
auf 1612 durch eine kleine Ziffernänderung einfach um ein Jahr vorgerückt hat, so dass es 
jetzt ganz ähnlich so lautete, er habe beobachtet — „vom Ende des Jahres 1609 bis in 
die Mitte des April 1610.“ 

Nachdem so auf mehrfache Weise dargetan ist, dass Marius im Prognostikum auf 
1612 und im Mundus Jovialis zu Unrecht von Entdeckungen und Beobachtungen des Jahres 
1609/10 spricht, bringen wir im folgenden noch einen Fall unwahrer Berichterstattung des 
Marius, welche ein zweites Plagiat an Galilei in sich schliesst. 


3. Die Entdeckung der Venusphasen (Prognostikum 1612). 


Am 11. Dezember 1610 schrieb Galilei an Giuliano Medici, den Verwandten und 
Gesandten des Grossherzogs von Toscana in Prag: „Ich erwarte mit Sehnsucht die Antwort 
auf meine beiden letzten an I. Hoheit gerichteten Briefe, um das zu hören, was Kepler 
über die ausserordentliche Erscheinung am Saturn gesagt hat. Indessen schicke ich ihm 
das Rätsel einer anderen Merkwürdigkeit, die von mir neuerdings beobachtet wurde, und 
welche die Entscheidung der grössten Zwistigkeiten unter den Astronomen mit sich bringen 
wird und ein besonders starkes Argument für das pythagoräische und kopernikanische Welt- 
system enthält; ich werde seiner Zeit die Lösung des Rätsels und andere Besonderheiten 
veröffentlichen.“ Dieses Rätsel in Anagrammform lautete: „Haec immatura a me jam frustra 
leguntur 0. y.“ 

Schon am 30. Dezember 1610 teilte Galilei dem berühmten Jesuiten Clavius in Rom 
mit, was er seit drei Monaten an der Venus neues -entdeckt habe: „Zuerst rund und sehr 
klein, nahm sie als Abendstern allmählich an Grösse merklich zu, begann dann aber in 
der Nähe ihrer Maximaldigression die Rundheit auf der von der Sonne abgewendeten Seite 
zu verlieren und in wenig Tagen die Form eines Halbkreises anzunehmen. So blieb sie 
eine Zeit lang, bis sie begann sich wieder gegen die Sonne zurückzuziehen. Jetzt beginnt 
sie deutlich sichelförmig zu werden und die Sichel wird immer dünner, so lange man sie 
abends sieht. Seiner Zeit werden wir die Venus als Morgenstern sehen, mit ihren sehr 


453 


feinen Hörnchen von der Sonne abgewendet, welche in der grössten Digression einen Halb- 
kreis bilden werden, und diese Form wird die Venus viele Tage unverändert beibehalten. 
Dann wird sie sehr schnell die volle runde Gestalt annehmen und viele Monate werden wir 
sie als ganz rund sehen, aber recht klein, so dass ihr Durchmesser nur der sechste Teil 
von dem zu sein scheint, wie er jetzt sich darbietet. Ich sehe sie mit dem Fernrohr so 
scharf begrenzt, wie wir den Mond mit freiem Auge sehen, und zwar mit einem Durch- 
messer halb so gross als der Monddurchmesser. — Es ist also jetzt klar, dass die Venus 
(und der Merkur wird zweifellos dasselbe tun) um die Sonne geht, welche sicherlich das 
Zentrum der Revolutionen aller Planeten ist. Ausserdem sind wir sicher, dass die Planeten 
an sich dunkle Körper sind und von der Sonne beleuchtet werden, was ich von den Fix- 
sternen nicht glaube.* Diese Venusbeobachtung, die Beobachtung der Mondsfinsternis vom 
29.30. Dezember 1610 und drei Konstellationen der Trabanten aus derselben Nacht und 
anderes teilte Galilei in ganz ähnlicher Weise auch seinem ehemaligen Schüler und Freund 
Benedetto Castelli, Casinenser Mönch in Brescia, am gleichen Tage, 30. Dezember, mit. 

Von den vielen Briefen, die gerade im Anfang des Jahres 1611 zwischen Galilei und 
anderen über die sehr überraschende Entdeckung der Venusphasen gewechselt wurden, 
interessieren uns hier nur einige. 

Schon am 1. Januar 1611 sendet Galilei die Lösung des Anagramms vom 11. Dezember 
1610, um das sich viele und besonders Kepler bemüht hatten, und dessen Lösung Kepler 
noch am 9. Januar 1611 von Galilei erbittet, an Giul. Mediei in Prag. Die Lösung des 
Rätsels war: Cynthiae figuras aemulatur mater amorum. Hiebei berichtet Galilei über die 
Entdeckung der Venusphasen fast in derselben Weise wie an Clavius. Erwähnt auch die 
Folgerungen, dass die Planeten von Natur dunkle Körper seien und sich um die Sonne 
bewegen. Dies sei eine Behauptung, die bisher von den Pythagoräern, von Copernicus, 
Kepler und Galilei wohl geglaubt, aber noch nicht in überzeugender Weise bewiesen worden 
sei, wie eben jetzt bei Venus und Merkur. Es werden also nunmehr Kepler und die andern 
Kopernikaner Ursache haben sich zu rühmen, dass sie richtig geglaubt und philosophiert haben. 

Dieser Brief Galileis mag ca. am 15.—20. Januar 1611 nach Prag gekommen sein; 
am 7. Februar schreibt Giul. Medici an Galilei zurück, dass er Galileis Brief mit der Lösung 
des Anagramms sofort an Kepler gegeben habe, welcher darüber erstaunt und sehr zufrieden 
gewesen sei, so dass er selbst an Galilei schreiben wolle. Er (Medici) habe auch dem Rat 
Wackher davon Mitteilung gemacht, der in Galilei ganz verliebt sei und wünsche, dass 
Galilei einmal eine Reise nach Deutschland mache. ... Auch Thomas Seggett, David 
Rieques und Hasdale habe er von der Entdeckung Galileis benachrichtigt. — Erst am 
29. März 1611 schreibt Kepler an Galilei, dass er seinen Brief über die Venusphasen („ante 
nostros tumultus“) mit grossem Vergnügen gelesen habe; er habe die Neuigkeit einigen 
Pflegern der Wissenschaft und Philosophie mitgeteilt und dafür gesorgt, dass die 
Sache auch dem Kaiser gemeldet wurde. Ihm selbst sei die Sache unvermutet gekommen, 
da er geglaubt habe, dass Venus wegen ihres ungeheuren Glanzes eigenes Licht besitze. 
Er habe leider kein Fernrohr, stark genug, die Erscheinungen der Venus und des Saturn 
zu zeigen. 

Aus vorliegenden Briefen erkennt man einen Weg, auf dem die neue Entdeckung 
bald nach Deutschland kam und daselbst rasch weite Verbreitung fand. Noch andere 
Personen lassen sich aus den von Favaro in Galilei opere, Bd. XI., gesammelten Briefen 


454 


angeben, welche die Verbindung Deutschlands mit Italien gerade in solchen Dingen bildeten. 
Die wichtigste neben Giul. Medici, Kepler und Hasdale in Prag war der kaiserliche Rat 
Marcus Welser in Augsburg. M. Welser war befreundet mit Paola Gualdo, dem 
Erzbischhof von Padua, mit Clavius und Joh. Faber, deutsche Jesuiten in Rom, Männer, 
die andererseits wieder mit Galilei brieflich verkehrten. Ende 1610 (29. Oktober) knüpfte 
Welser durch Vermittlung des P. Gualdo brieflichen Verkehr mit Galilei selbst an. M. Welser 
stand anfangs den Entdeckungen Galileis recht skeptisch gegenüber, bis er durch Clavius 
und Gualdo von der Wahrheit überzeugt wurde. Schon dem 17. Dezember 1610 teilte 
Gualdo das Anagramm Galileis über die Venus dem M. Welser mit und wahrscheinlich 
schon Mitte Januar 1611 die Lösung des Rätsels, denn am 4. Februar 1611 erwartete 
Gualdo schon die Antwort Welsers aus Augsburg. Diese Antwort Welsers traf auch am 
10. Februar in Padua ein. Noch traut Welser der Entdeckung Galileis nicht, die sehr 
schön und merkwürdig sei, wenngleich er (Welser) nicht verstehe, inwiefern sie ein Beweis 
dafür sei, dass Venus sich um die Sonne drehe. Er hofft, dass Galilei die Sache sofort an 
Kepler berichtet habe; zur Vorsicht aber habe er selbst die Entdeckung an einen Freund 
in Prag gemeldet. — Unterdessen hatte Welser von Rom aus durch Clavius die Nachricht 
erhalten, dass die Entdeckungen Galileis an Jupiter, Saturn und Venus wahr seien. Die 
Jesuiten in Rom, so besonders Olavius und Grienberger hatten seit Ende 1610 die Beob- 
achtungen Galileis mit einem ausgezeichneten Fernrohr nachprüfen und alles bestätigen 
können, was Galilei entdeckt hatte (Gal. op., XI., Nr. 466). Nunmehr lässt Welser allen 
Zweifel fallen und schreibt in diesem Sinne auch an Galilei am 15. Februar 1611 (Nr. 478). 

Auch in München am Hofe des Herzogs Maximilians I. von Bayern, wo sich 
Galileis Bruder befand, waren die Entdeckungen schon anfangs 1611 bekannt. 

Im Januar 1611 war also die Nachricht von der Entdeckung der Venusphasen in 
Deutschland an mehreren Orten verbreitet, und es ist wahrscheinlich, dass diese Nachricht 
noch auf vielen anderen Wegen aus Italien rasch nach Deutschland gedrungen war. Die 
Sache musste schon deswegen ungeheures Aufsehen erregen und daher die Nachricht davon 
sich rasch ausbreiten, weil in der neuen. Entdeckung ein scheinbar ganz sicherer Beweis 
für die Richtigkeit der damals noch sehr angefochtenen kopernikanischen Lehre erblickt 
wurde. Man wird nicht fehl gehen, wenn man annimmt, dass diese Nachricht auch sehr 
bald an den Hof von Ansbach gekommen sei, um so mehr als Ansbach zwischen Prag und 
Augsburg in der Nähe der letzteren Stadt liegt und Marius durch Vicke und Odontius etc. 
in indirektem Verkehr mit Prag d. h. mit Kepler stand und Kepler selbst sagt, er habe die 
Neuigkeit mehreren Freunden mitgeteilt. 

Von Marius besitzen wir keine anderen Notizen über seine Venusbeobachtungen als 
die, welehe im Prognostikum auf 1612 und im Briefe an Vicke niedergelegt sind. Beide 
Notizen stammen aus der Mitte des Jahres 1611, zu welcher Zeit die Galileische Ent- 
deckung schon allgemein bekannt war. Der Brief des Marius wurde bekanntlich von Vicke 
dem Kepler mitgeteilt und was Kepler von den „Entdeckungen“ des Marius für eine 
Meinung hatte, das hat er in seiner Dioptrik (1611) öffentlich kund getan: Kepler nannte 
den Marius einen Verkleinerer Galileis ete. Doch haben wir dies schon früher ausgeführt 
(pag. 421—422) und es genüge hier die Mitteilung des dortigen Resultates: Kepler hielt 
die Mariussche Entdeckung der Venusphasen für ein Plagiat an Galileis Mit- 
teilungen. 


WU AR TEE a, 


455 


Dass Kepler an dem in der Dioptrik gefällten Urteil festhielt, geht daraus hervor, 
dass Kepler dem Marius für die öffentliche Beleidigung nie öffentliche Genugtuung gab, 
sondern noch 1619 ihn als „vates invisus et audax et plusquam prognostes* bezeichnet, dem 
man seine Anmassungen lasse, damit er einem nicht aufsässig werde. 

Marius selbst wagte von seiner angeblichen Entdeckung der Venusphasen nie mehr 
zu sprechen und in seinem Mundus Jovialis, wo er 1614 eine Zusammenstellung seiner 
Fernrohrbeobachtungen und Entdeckungen gibt, spricht er mit keiner Silbe von den 
Venusphasen; und dies ist ein indirektes Eingeständnis dafür, dass Kepler mit seinem 
Vorwurfe des Plagiats im Rechte war. 

Deshalb darf man mit Recht auch behaupten, dass Marius’ Berichterstattung im Pro- 
gnostikum auf 1612 und auch im Briefe an Vicke ebensowenig Vertrauen verdient, wie 
seine nachgewiesenermassen falschen Angaben im Mundus Jovialis. Daher kann die Notiz 
im Prognostikum auf 1612 von der angeblichen Beobachtung der Jupitertrabanten Ende 
1609 auch durch die dreimalige Wiederholung nicht als glaubwürdig betrachtet werden und 
kann die tatsächlichen Beweise, die wir gegen des Marius Behauptung vorgebracht haben, 
niemals entkräften. 


4. Die Fernrohre zur Zeit der Entdeckungen Galileis. 


Es existiert noch ein Gegenstand, der erörtert werden muss: Das Fernrohr des 
Marius. — Nach dem Prognostikum auf 1612 wurde dem Marius von seinem Gönner, 
dem Obrist Frhr. J. Ph. Fuchs von Bimbach, Ende 1609 ein Fernrohr zur Verfügung 
gestellt, mit dem er die Entdeckung der Trabanten gemacht habe. Ähnlich berichtet er im 
Mundus Jovialis. 

Wenn wir vorher sicher nachgewiesen haben, dass Marius die Trabanten nicht ent- 
deckt und wahrscheinlich erst Ende 1610 gesehen habe, so steht damit scheinbar die Tat- 
sache noch im Widerspruch, dass Marius 1609 bereits ein Fernrohr gehabt hat, also wohl 
auch Beobachtungen damit gemacht haben wird. Die Berufung auf den Frhr. von Fuchs 
ist ein Argument, das wohl zu Gunsten des Marius sprechen kann. Doch haben wir schon 
im ersten Teil dieser Abhandlung (pag. 438) gezeigt, dass Fuchs wohl als Zeuge für den 
Besitz des Fernrohrs gelten kann, aber als Zeuge für die Entdeckung der Trabanten nicht 
einmal von Marius angeführt wird. Damit scheidet der Kronzeuge für Marius von selbst 
aus der Betrachtung aus. — Wenn nun aber Marius 1609 wirklich ein Fernrohr hatte, 
andererseits jedoch nachgewiesen ward, dass er bis Ende 1610 keine Trabantenbeobachtungen 
gemacht hatte, so bleibt nur die eine Annahme übrig, dass Marius 1609/1610 wohl ein 
Fernrohr hatte, dieses aber zu Trabantenbeobachtungen unbrauchbar gewesen ist. Wenn 
Frhr. v. Fuchs vor Marius selbst nicht als Zeuge für eine bestimmte Beobachtung angerufen 
werden kann, so kann die Zeugschaft des Mannes auch nicht auf die Brauchbarkeit des 
Fernrohrs bezogen werden. Übrigens ist es nicht unmöglich, dass trotzdem die ganze Fernrohr- 
geschichte des Mundus Jovialis um ein Jahr verschoben werden muss; denn ein so viel- 
beschäftigter Mann, der wie der Frhr. v. Fuchs in den damaligen politischen und religiösen 
Wirren eine Rolle als Heerführer und Diplomat spielte, wird schwerlich Zeit dazu gefunden 
haben, den Mundus Jovialis zu lesen und solche Kleinigkeiten, wie es der Fernrohrhandel etc. 
war, auf ihre Wahrheit zu prüfen. Nicht über allen Zweifel erhaben ist die Erzählung 


456 


des Marius über diesen Fernrohrhandel auf der Herbstmesse 1608 zu Frankfurt schon deshalb, 
weil der Erfinder des Fernrohrs Lippersheim (und ebenso Metius) sich erst im Oktober 1608 
um Verleihung eines Patentes an die Generalstaaten wendeten und das erste Fernrohr ein- 
schickten. Wenn nun diese Erfindung anfangs sogar geheim gehalten wurde und Fürsten, 
wie Heinrich IV. von Frankreich erst Ende Dezember 1608 von der Erfindung Kenntnis 
erhielten, so ist es nicht sofort glaubhaft, wenn man im Mundus Jovialis liest, dass ein 
solches Instrument schon im Herbste 1608 auf der Messe zu Frankfurt käuflich gewesen sei. 

Wenn es ferner nach der Erzählung des Mundus Jovialis sicher scheint, dass Freiherr 
v. Fuchs im Sommer 1609 aus Belgien ein Fernrohr und anfangs 1610 zwei Linsen von 
Lenck aus Venedig erhielt, so ist noch viel sicherer, dass diese Instrumente zur Beobachtung 
der Jupitermonde nicht tauglich waren. Wie schwer es war, damals — bis 1612 — ein 
brauchbares Fernrohr zu erhalten, ergibt am besten der Briefwechsel, wie er aus den Jahren 
1610—1613 im Bd. X und XI der Nationalausgabe der Werke Galileis von Favaro vorliegt. 
Daraus wollen wir, um ein Urteil über die Verbreitung und Herkunft brauchbarer Fern- 
rohre zu ermöglichen, folgende Zusammenstellung exzerpieren. 

Das Erzeugungsland brauchbarer Fernrohre war damals Italien. Nur von Galilei 
oder aus Venedig konnte man solche erlangen. In der ersten Hälfte des Jahres 1610 scheint 
überhaupt niemand ein geeignetes Fernrohr gehabt und niemand die Trabanten gesehen zu 
haben ausser Galilei. Zwar wollte er vielen die Trabanten ete. im Instrument zeigen, 
aber man sah sie nicht oder wollte sie nicht sehen. Galilei selbst schreibt über seine und 
fremde Fernrohre an Belisar Vinta, den Staatssekretär des Grossherzogs Cosimo Medici, am 
19. März 1610: „.:. Aber weil die ausgezeichneten und zur Verfolgung der Erscheinungen 
tauglichen Instrumente sehr selten sind, und ich unter den 60, die ich mit grossen Kosten 
und Mühen verfertigt habe, nur eine sehr kleine Anzahl habe auswählen können, des- 
halb habe ich diese wenigen dazu bestimmt, dass sie bedeutenden Fürsten gesandt würden 
und insbesondere den Verwandten des Grossherzogs: Schon haben mich die Herzoge von 
Bayern und der Kurfürst von Köln, und der Kardinal Del Monte um solche bitten lassen, 
und ich werde sie ihnen sobald als möglich zugleich mit der Abhandlung (Sidereus Nuntius) 
schicken. Mein Wunsch würde sein, auch nach Frankreich, Spanien, Polen, Österreich, 
Mantua, Modena, Urbino, und wohin ]. Hoheit noch wünschen sollte, welche zu schicken... 
Ohne ausgezeichnete Fernrohre kann man die wichtigsten Sachen nicht sehen und diese 
wird man, wenn nicht von mir, von einer anderen Seite her nicht erhalten 
können, wie ich glaube, weil, als ich einige von diesen meinen wenigen Fernrohren 
mehreren Herren von jenseits der Alpen gezeigt habe, welche schon in Deutschland, 
Flandern und Frankreich genug Fernrohre gesehen hatten, diese Herren erstaunten 
und behaupteten, dass die anderen Fernrohre, die sie gesehen hätten, im Vergleiche 
zu den meinigen Kleinigkeiten (bagatelle) seien.“ 

Erst im September 1610 hören wir von verschiedenen Seiten, dass die Trabanten 
gesehen worden seien. So von Anton Santini in Venedig, der sie am 20. und 23. September 
sah. In Rom, wo man bei den Jesuiten im Collegium Romanum den Entdeckungen Galileis 
eifrig nachging, obgleich man denselben damals noch kein Vertrauen schenkte, konnte 
Clavius trotz Fernrohr die Trabanten nicht finden. Auch Magini in Bologna konnte die 
Trabanten nicht sehen, obwohl er ein Fernrohr von Santini hatte (Magini an Galilei, 
28. September 1610). „... Endlich am 4. Dezember 1610 meldet Santini dem Galilei, 


457 


dass der Pater Clavius und seine Kollegen die Trabanten vom 22. bis 27. November beob- 
achtet hätten, aber sie seien noch nicht sicher, ob es Planeten seien, und teilt die betreffenden 
Konstellationen mit. Erst am 17. Dezember 1610 schreibt Clavius an Galilei selbst: endlich 
hätten sie die Trabanten mehrmals sehr deutlich gesehen. Er notierte auch einige Be- 
obachtungen (6.—17. Dezember 1610), „aus denen man aufs klarste erkennt, dass es keine 
Fixsterne, sondern Wandelsterne seien, die ihre Lage gegeneinander und gegen Jupiter 
ändern.“ Galilei verdiene grosses Lob, da er der erste sei, der dies beobachtet habe. 
Clavius konnte mit seinem Instrument auch schon die oblonge Gestalt des Saturn konstatieren. 
Das hiebei benützte Fernrohr ward dem Pater Clavius im November 1610 von Santini aus 
Venedig zum Geschenk gemacht worden und war offenbar neben dem Galileischen das beste 
Instrument der damaligen Zeit; mit ihm sahen die Jesuiten in Rom auch die Sichelgestalt 
der Venus und, wie Pater Grienberger am 22. Januar 1611 an Galilei schreibt, die Scheibe 
der Venus so gross wie die des Mondes bei unbewaffnetem Auge. Es zeigte zwar nicht 
sehr klar, vergrösserte aber 1000—1200 mal (Flächenvergrösserung).t) 


In den übrigen Teilen Italiens hatte man keine oder nur unbrauchbare Fernrohre 
erhalten. So z. B. in Neapel und Sizilien noch Ende 1610, wie Grienberger an Galilei 
berichtet hat; in Brescia war es noch im April 1611 und noch später unmöglich 
am Saturn oder an der Venus etwas zu erkennen (Castelli— Galilei, 3. April 1611 und 
Cigoli—Galilei 23. März 1612). Wenn auch von 1611—1612 in Venedig viele Linsen und 
Fernrohre verfertigt wurden, so war es doch sehr schwer solche Linsen zu erhalten, deren 
Glas rein genug war, um die Beobachtungen Galileis leicht verifizieren zu können. So 
schreibt am 18. Februar 1611 M. Welser an Galilei, dass einige Fernrohre aus Venedig 
nach Augsburg gekommen seien, aber sie seien nur wenig besser als die in Deutschland 
fabrizierten, und er bittet um die Adresse des Meisters, der für Galilei arbeitet. — Wir 
erkennen die Schwierigkeit, die Galilei selbst hatte, um die an ihn ergangenen Fernrohr- 
bestellungen auszuführen, aus mehreren Briefen, die Sagredo aus Venedig an Galilei 1612 
und 1613 schrieb. Sagredo übermittelte Galileis Aufträge an den Glasschleifer Bacei und 
dessen beste Fabrikate an Galilei; später machte Sagredo noch den Meister „Antonio all in 
segno di 8. Lorenzo in Fuzzaria“ ausfindig, der nach gegebenen Formen ebensogute Linsen 
als Bacei verfertigte. Galilei schreibt 25. Januar 1613 an Fürst Cesi in Rom, der ihn bat, 
dem Erzbischof von Bamberg, damals in Rom anwesend, ein Fernrohr zu überlassen, er 
(Galilei) wolle, wenn er nach Florenz zurückgekehrt sei, ein Fernrohr zu schaffen suchen, 
wenngleich es seine „sehr grosse Schwierigkeit habe, reines Krystallglas zu finden.“ Fabio 
Colonna teilt noch am 3. August 1613 dem Galilei aus Neapel mit, dass es in Neapel keine 
Fernrohre gäbe, geeignet zum Sehen der neuen Sterne (Trabanten, Saturnbegleiter etec.). 
Ende November 1613 schiekt ihm Galilei ein solches. — Der Herzog Christoph Zbaraz hat, 


!) Auf dieses Fernrohr bezieht sich offenbar eine Bemerkung in dem Briefe von Greg. de St. Vincent 
an Huygens (4. Oktober 1659), welche Bemerkung Oudem. und B. p.”132 ihrer Abhandlung anführen. 
„Vor mehr als 50 Jahren (il y avait plus de 50 annees) brachte Scholier, der Begleiter des Jesuiten- 
Paters O. Maleotius aus Belgien nach Rom ein Fernrohr, welches nicht weniger gut war als das Galileische, 
mit dem sie es verglichen.“ In dieser Bemerkung sind zwei Fehler: Das Fernrohr, mit dem die Jesuiten 
die Trabanten, die „Saturnbegleiter“, die Venusphasen etc. sehen konnten, kam nicht 1609, sondern erst 
im November 1610 nach Rom; ferner kam es nicht aus Belgien, sondern als Geschenk des Santini 
aus Venedig. 


Abh. d. I. Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 59 


458 


nach Mitteilung an Galilei vom 27. September 1612 in Venedig, Padua und Bologna ver- 
geblich ein brauchbares Fernrohr gesucht; er bittet Galilei um ein solches. 

Nach Deutschland, das damals in regstem Verkehr mit Italien stand, kam die Kunde 
von den Fernrohrentdeckungen Galileis schon anfangs März 1610 (M. Welser an Clavius, 
12. März 1610). und der Wunsch nach geeigneten Fernrohren war überall lebendig. Der 
Kaiser Rudolf II., der Verehrer und Pfleger der Astronomie, durch Giul. Medici, Kepler, 
Hasdale etc. über die Entdeckungen benachrichtigt, wünschte ein Fernrohr zur Beobachtung 
derselben. Der Kaiserliche Gesandte in Venedig, Georg Fugger, schreibt am 28. Mai 
1610 an Kepler, „er habe dafür gesorgt, dass das Fernrohr, das dem Kaiser überschickt 
werden sollte, mit grösster Sorgfalt angefertigt werde.“ 

Bevor dieses jedoch nach Prag gelangte, waren schon zwei Fernrohre aus Venedig ange- 
kommen. Das erste kam Ende Juni 1610 nach Prag an Ammorale Taxis, dem es von 
seinem Vetter Ferdinand in Venedig zugeschickt ward. Der Kaiser benützte es und war 
sehr befriedigt davon. Anfangs (ca. 4.) Juli 1610 kam ein zweites und endlich am 11. Juli 
ein drittes Fernrohr an. Dieses war jenes von Georg Fugger versprochene, von demselben 
Meister hergestellt, der Galilei bediente und zugleich das beste von allen dreien (Hasdale an 
Galilei, 12. Juli und 9. August 1610). — Über diese drei fremden und zugleich über die 
einheimischen Fernrohre schreibt Kepler am 9. August 1610 an Galilei, es seien schlechte 
Fernrohre, „durch keines der. bisherigen werden die kleinen Sterne (stellae minutae) 
entdeckt.“ „Das beste der vorhandenen Fernrohre vergrösserte den Durchmesser zehnmal 
die übrigen kaum dreimal.“ Er selbst habe eines mit drei- bis vierfacher Vergrösserung 
konstruiert; dieses zeige auch sehr viele Sterne der Milchstrasse recht deutlich, — Aber es 
war ebensowenig tauglich zum Sehen der Jupitermonde wie alle übrigen Fernrohre 
in Prag; auch das‘ Instrument, welches der Kardinal Borghese in Prag dem Kaiser gezeigt 
hatte, genügte nicht und noch am 17. und 24. August 1610 lässt der Kaiser dem 
Galilei durch Hasdale schreiben, er möge ihm „eines jener ausgezeichneten Fernrohre“ senden. 
— Auch der toskanische Gesandte in Prag, Giul. Medici, der selbst wiederholt um ein 
Fernrohr gebeten hatte, schrieb noch am 23. August 1610 an Galilei, dieser möge doch 
endlich ein gutes Instrument nach Prag schicken, um den Leuten „den Mund zu stopfen“ 
(turar la bocca); dieselbe Bitte kehrt am 20. Dezember 1610 wieder. Auch Kepler schreibt 
noch im Dezember 1610 an Galilei und bittet um ein Konvexglas. Eine Konkavlinse könne 
er sich in Prag fertigen lassen, eine gute Konvexlinse dagegen nicht. 

Bis Ende des Jahres 1610 konnte man also am kaiserlichen Hofe in Prag 
weder von Galilei noch anderswo her ein Fernrohr erhalten, das zu Trabantenbeobachtungen 
tauglich war. Was nun dem mächtigsten Manne Deutschlands, dem Kaiser, trotz der Be- 
mühungen des Kaiserlichen Gesandten in Venedig und des toskanischen Gesandten in Prag 
nicht gelingen wollte, wird unserem Marius in Ansbach wohl kaum gelungen sein. — In 
Deutschland existierte allerdings ein Fernrohr, das. die Trabanten zeigte; es gehörte dem 
Kurfürst von Köln, dem Herzog Ernst von Bayern. Mit diesem Fernrohr wurden, so- 
weit bekannt, die Jupitertrabanten überhaupt zum erstenmale in Deutschland 
gesehen und zwar von Kepler vom 30. August bis 9. September 1610. Daraufhin 
schrieb ja bekanntlich Kepler seine Narratio. 

Dass gerade der Kurfürst von Köln ein geeignetes Fernrohr besass, erklärt sich so: 
Der Kurfürst war ein Bruder des Herzogs Wilhelm V. von Bayern, der 1597 zugunsten 


459 


seines Sohnes Maximilian auf den bayerischen Thron verzichtet hatte. Am Hofe Maximilians (I) 
in München war der Bruder Galileis, Michelangelo, seit 1608 angestellt (Michelangelo Galilei 
an G. Galilei 19. März und 15. April 1610). Galilei sandte nun seinem Bruder in München, 
um ihn dem Herzog zu empfehlen, 1610 einige Fernrohre: das erste gelangte am 25. Mai 
an Maximilian I., der am 8. Juli 1610 in einem Briefe Galilei dafür dankte. Ein zweites 
erhielt der Vater, Herzog Wilhelm V., und dem Herzog Ernst, dem Kurfürsten von Köln, 
der sich damals in München aufhielt, verkaufte Michelangelo Galilei das dritte um bundert 
Gulden (Michelangelo-Galilei 27. April 1611). Dieses dritte ist jenes Instrument gewesen, 
welches Kurfürst Ernst Ende August 1610 mit nach Prag nahm und welches er dann dem 
Kepler ein paar Tage überliess.!) Von diesen drei Fernrohren war nach Michelangelos 
Angabe dieses dritte zur Beobachtung der Jupitermonde, der Mondgebirge etc. 
tauglich, aber zu Venus- und Saturnbeobachtungen unbrauchbar (Michelangelo G. 
an Galilei, 27. April 1611 und Kurfürst Ernst an Clavius, 24. März 1611). Auch das 
Fernrohr, das Giul. Medici in Prag endlich anfangs 1611 von Galilei erhalten, war nach 
Kepler (Brief an Galilei, 28. März 1611) wohl zu Trabantenbeobachtungen geeignet, ver- 
sagte aber bei den Venusphasen und den Saturnbegleitern. Fernrohre von der hiezu 
erforderlichen Reinheit und Auflösungskraft gab es in Deutschland 1611 (und 
vielleicht auch 1612) nicht; Kepler hat die Phasen nicht gesehen. Noch Ende 1611 
drängt der Kaiser auf Zusendung guter Gläser, so dass der Gesandte Giul. Medici durch 
Brief an den toskanischen Staatssekretär Vinta (14. und 21. November 1611) auf Galilei 
einen Druck auszuüben suchte. 

Wie der Kaiser suchten auch andere Fürsten und Personen in Deutschland vergeblich 
nach passenden Fernrohren, so z. B. der Kurfürst von Sachsen (Giul. Medici an Vinta, 
21. Mai 1612). Ferner August, Fürst von Anhalt, ein Mann, der nicht nur ein Freund 
der Wissenschaften war, sondern auch persönlich sich sehr eifrig mit dem Studium der 
Mathematik und Physik beschäftigte. Dieser Fürst scheute keine Kosten, um sich ein 
passendes Fernrohr zu verschaffen: „ausser denen, die er sich in Deutschland zusammen- 
stellen und anfertigen liess, liess er sich auch mehrere aus fremden Landen, Frankreich, 
Belgien und anderen Gegenden liefern; aber mit keinem von diesen Instrumenten 
hatte man den gewünschten Erfolg.“ Der Fürst wünscht nun von Galilei die Her- 
stellungsweise der Fernrohre zu erfahren und bittet Galilei ihm zwei bis drei Paare von Galilei 
geprüften, brauchbaren Linsen zu übersenden, „zumal man solche in hiesiger Gegend aus den 
Glaswerkstätten nicht erhalten könne“ (B. Schröter an Galilei, 8. Juli 1610). Auch Welser 
schreibt 7. Januar 1611 an Galilei, dass die Kenntnis von der Herstellung der Gläser in 
Deutschland sehr erwünscht sei. Übereinstimmend mit obiger Behauptung, dass man weder 
in Deutschland, noch in anderen Ländern wie Frankreich, Belgien ete. gute Fernrohre 
erhalten konnte, sind noch verschiedene Meldungen aus Frankreich. 


!) Auf Seite 131 ihrer Abhandlung suchen die Herren Oudemans und Bosscha die Minderwertigkeit 
der Galileischen Fernrohre darzutun durch eine Bemerkung Keplers, der in seiner Narratio über das 
Galileische Fernrohr des Kurfürsten Köln mitteilt, es sei, was die „Bequemlichkeit“ beim Durchsehen 
betrefie, minderwertiger als andere, die er im Besitz habe, und es zeige die Sterne viereckig. Diese 
Fehler des Fernrohres sind für damalige Zeit wohlbegreiflich; aber trotz derselben war es das einzige 
Fernrohr, mit dem Kepler damals die Jupitertrabanten sehen konnte; es übertraf also alle übrigen 
an Schärfe und Auflösungskraft ganz bedeutend. 

592 


460 


Die Königin von Frankreich, Maria Medici, verlangt ein Fernrohr von Galilei und 
Matheo Botti schreibt (6. Juli 1610) daher an B. Vinta: „Man würde der Königin einen 
grossen Gefallen durch die Übersendung eines Fernrohrs erweisen und zugleich dem Staate 
der Medici Ehre machen. In Paris halte man die gewöhnlichen Fernrohre schon für 
ein grosses Ding und die Werkstätten seien voll davon. Am 13. September 1610 hatte 
die Königin ein grosses Fernrohr von Galilei erhalten (And. Cioli-Vinta, 13. September 1610), 
doch zeigte es wenig mehr als die anderen (Botti-Vinta, 19. September 1610). Später im 
August 1611 hatte Galilei ein zweites Fernrohr an den Hof von Paris gesandt; über die 
Aufnahme desselben von seite der Königin berichtet Botti an Galilei und den Grossherzog 
(18. August 1611), das Fernrohr sei besser als das vorhergehende. Die Königin könnte 
keine grössere Freude haben, wenn man ihr Ziegelsteine (mattoni) aus Diamanten, Rubinen 
und Smaragden geschickt hätte. Sie habe sich am Fenster auf den Boden gekniet, um den 
Mond betrachten zu können. „Aufstehend ging sie mit mir im Kabinett auf und ab, und 
dies setzte sie, obgleich der König und viele Herren kamen, eine Stunde lang fort.“ 
Gallanzone Gallonzoni, am Hofe des Kardinals Joyeuse, schreibt aus Frankreich vom Schlosse 
Joyeuse aus an Galilei (18. August 1612), der dem Kardinal im September 1611 ein gutes 
Fernrohr (nach Tivoli) gesandt hatte: „In diesen Gegenden Frankreichs, wo ich bin, habe 
ich keine grossen Mathematiker gefunden und sie haben auch am Himmel nichts beobachtet, 
weil sie keine passenden Instrumente haben.“ Man begegne dem grössten Zweifel an 
Galileis Entdeckungen. 

Auch in Belgien und Holland waren diese Zweifel noch anfangs 1612 weit ver- 
breitet, der Grund war auch hier der Mangel an guten Fernrohren. Daniello Antonini, 
der in der Gefolgschaft Erzherzogs Albrecht von Österreich damals in Belgien war und in 
Mathematik und Physik grosses Wissen besass, schreibt am 9. April 1611 aus Brüssel an 
Galilei, der ihm am 5. März 1611 seine neuesten Entdeckungen mitgeteilt hatte: „In 
diesen Gegenden finden sich keine Fernrohre, die die Linie mehr als 5mal 
vergrössern.“ Am 2. September 1611 schreibt derselbe aus Brüssel an Galilei: „Ich 
habe einige von den ausgezeichnetsten Fernrohren gesehen, die sie hierzulande 
fabrizieren; aber sie sind nichts wert im Vergleich mit jenem von Euch, das ich in 
Padua sah, weil nieht eines vorhanden ist, das die Linie mehr als verzehnfacht. Ich 
habe welche gesehen von dem eigentlichen ersten Erfinder, die dem Serenissimus (Erz- 
herzog Albrecht) geliefert waren; aber alle sind sie Dutzendware (ma son tutti dozinali).“ 
Diese Notiz ist um so mehr zu beachten, als der Erzherzog Albrecht, als Gemahl der Infantin 
Isabella, Tochter Philipps II. von Spanien, die Regentschaft der spanischen Niederlande führte. 

Auch Johann Fabricius, der doch um die Jahreswende 1610/11 Studien in Holland 
machte und sich viel mit Fernrohren beschäftigte, hatte in Holland kein Fernrohr 
gefunden, mit dem man die Trabanten sehen konnte; und auch später, 1611, als er mehrere 
holländische Fernrohre verschiedener Grösse besass, war es ihm nicht möglich, mit denselben 
die Jupitermonde zu beobachten. 

Auch aus England, wo die Trabanten von Harriot am 17. Oktober 1610 zuerst 
gesehen wurden, besitzen wir ein Zeugnis, dass man dort Fernrohre zur Betrachtung der 
Venusphasen und der Saturnbegleiter noch Ende 1613 kaum erhielt. Joh. Wells schreibt 
15. Oktober 1613, aus London an Galilei: „Ich scheute nicht Mühe noch Kosten bei der 
Konstruierung sehr vieler Fernrohre, bis mir eines mit 1000facher Vergrösserung gelang, 

/ 


461 


mit dessen Hilfe ich die besonderen Geheimnisse des Jupiter, des Mondes, der Milchstrasse 
und Nebelsterne einsah; die Geheimnisse des Saturn und der Venus aber sind mir bis jetzt 
verborgen. Es gibt hier Fernrohre, die wie ich höre, 5000 mal vergrössern: Augenzeuge 
dafür bin ich nicht und ich glaube es kaum. Daher bitte ich dich, dass du mir irgend 
welche Linsen von dir übermitteln mögest, mit deren Hilfe ich in das Reich der Venus 
und des Saturn eindringen könnte.“ — 

Aus der vorausgehenden Zusammenstellung ergibt sich folgendes Resultat: 

In Italien und Deutschland war man erst im September 1610 imstande, die Ent- 
deckung der Trabanten zu verifizieren; die Venusphasen konnte man 1611 und wahr- 
scheinlich noch 1612 wegen Mangel an passenden Fernröhren in Deutschland nicht sehen; 
während sie in Italien schon anfangs 1611 von den Jesuiten in Rom, die neben Galilei das 
beste Fernrohr der damaligen Zeit besassen, beobachtet werden konnten. — Auch das 
Ursprungsland des neuen Instruments, die Niederlande, lieferte ebenso wie Deutschland noch 
im Jahre 1611 keine Fernrohre, die zu Trabanten- und Phasenbeobachtungen geeignet 
waren. Demgemäss standen also die Fernrohre von 1609 auf einer noch niedrigeren Stufe. 
Brauchbare Fernrohre lieferte 1610 und 1611 scheinbar nur Italien und die Ent- 
deckungen Galileis wurden 1611 in Holland noch allgemein angezweifelt, waren also durch 
Fernrohre noch nicht erwiesen, bis Antonini die noch Ungläubigen durch Augenschein 
belehrte (Antonini aus Brüssel an Galilei, 4. Februar 1612). Nicht einmal der Regent der 
Niederlande, Erzherzog Albrecht, hatte 1611 geeignete Fernrohre und auch der Kurfürst 
von Köln, der zugleich Bischof von Freising, Hildesheim und Lüttich war, konnte solche 
nicht aus Holland erhalten, obwohl seine Länder zum Teil Holland sehr nahe, zum Teil in 
der Niederlande selbst lagen. 

Wenn also Marius schon im Sommer 1609 ein Instrument aus Holland und anfangs 
Januar 1610 eines aus Venedig gehabt haben will, mit denen er die Trabanten gesehen oder 
entdeckt haben will, so ist das eine Behauptung, die jeder Glaubwürdigkeit entbehrt. Ebenso- 
wenig Glauben verdient seine Angabe, er habe schon Ende 1610 mit dem Fernrohr die 
Venusphasen beobachtet. Nachdem es nicht einmal dem Kaiser und anderen hervorragenden 
Fürsten und Männern bis 1611 oder auch 1612 gelungen war, brauchbare Fernrohre zu 
erhalten, behauptet Marius, er habe anfangs Januar 1610 schon zwei solche gehabt; 
nach alledem, was wir bisher gehört haben, ist diese Behauptung des Marius eine offen- 
kundige Unwahrheit.t) 


1) Die Überreste, die von Fernröhren des Marius noch vorhanden sind, werden in der K. Regierungs- 
bibliothek zu Ansbach aufbewahrt. Herr Hofrat Jüdt in Ansbach hatte die Liebenswürdigkeit dem Ver- 
fasser folgende Angaben über die Teile jener Instrumente zu machen: „Es ist vorhanden 

l. eine in eine hölzerne Röhre gefasste Objektivlinse von 52 mm Weite. Auf der Holzfassung 
steht geschrieben: Focus = 14 Schuh, Amplificatio = 40 mal; 

2. eine ähnliche Holzfassung, aber ohne Linse, hat 85 mm innere Lichtweite und trägt die Auf- 
schrift: Focus = 25 Schuh, Amplificatio = 100mal; 

3. zwei Blechröhren von 95 mm Lichtweite, die eine 3,08 m, die andere 4 m lang. Okulare sind 
nicht vorhanden.“ 

Hiezu ist zu bemerken, dass unter Schuh wohl der preussische = 0,313853 m verstanden werden 
muss, und dass Amplificatio nicht die lineare, sondern die Flächenvergrösserung bedeutet. 

Das erste Fernrohr war zu Trabantenbeobachtungen überhaupt nicht, das zweite unter Umständen 
vielleicht brauchbar und vielleicht mit dem Fernrohre des Marius vom Ende des Jahres 1613 identisch. 


462 


Anhangsweise ist hier einstweilen zu bemerken, dass, wie wir später nachweisen 
werden, die Untersuchung der Trabantentafeln des Mundus Jovialis den Schluss nahe legt, 
Marius habe wegen Mangels an guten und brauchbaren Fernröhren teilweise vielleicht bis 
tief in das Jahr 1613 hinein die Trabanten nicht sicher beobachten können. Erst für das 
Jahr 1614 werden die Tafeln so, dass man aus ihnen besonders für den 3. und 4. Trabanten 
auf tatsächliche und planmässige Beobachtungen schliessen könnte. Dies könnte auch mit 
der Erzählung des Marius im Mundus Jovialis in Einklang gebracht werden, nach welcher 
Marius nach seiner Rückkehr von Regensburg (Oktober 1613) sich ein Fernrohr verschafft 
habe (also wohl Ende 1613), mit dem er die grösseren Fixsterne als Scheiben gesehen 
habe. Wenn dies wirklich der Fall gewesen sein sollte, so würde Marius als erster die 
Beugungskreise im Fernrohr gesehen haben, und es würde sich daraus ergeben, dass 
dieses Fernrohr vorzüglich zentriert war und Gläser von ausgezeichneter Homogeneität und 
Reinheit enthielt. Es ist möglich, dass er endlich mit diesem 1614 auch die Trabanten 
regelmässig beobachten konnte. — 


5. Prognostikum auf 1613 (1612). 


Die nächste Mitteilung des Marius über seine Beobachtungen, die einzige aus 1612, 
die wir von ihm besitzen, ist das Prognostikum auf 1613. In der Widmung zu diesem 
spricht Marius von seiner Entdeckung der Merkurphasen, von der Grösse der Planeten und 
Fixsterne, von den Sonnenflecken und schliesslich auch von den Jupitertrabanten, deren 
Distanzen und Umlaufszeiten er zum erstenmal angibt. — Ein reicher Stoff, den wir 
einer genaueren Prüfung unterziehen wollen. Dabei werden wir finden, dass Marius keinen 
Punkt berührt, der .nicht schon vorher von Galilei in schriftlichen Darlegungen, die auch 
Marius nicht unbekannt waren, behandelt worden waren. Dafür bringen wir zunächst 
den Nachweis. 


a) Abhängigkeit des. Prognostikums auf 1613 von Galilei. 


Die Widmung des Mariusschen Prognostikums zu 1613 ist mit dem Datum: 30. Juni 
v.st. (= 10. Juli n. st.) 1612 versehen. Wir haben schon beim Prognostikum auf 1612 den 
Nachweis gebracht, dass die Datierung der Widmung nicht den Zeitpunkt für den Abschluss 
des Prognostikums —- dieser war dort eirca vier Monate später zu setzen — bedeutet; und 
daher ist es auch beim Prognostikum auf 1613 gestattet, den Abschluss desselben etwa im 
September oder Oktober 1612 anzunehmen. Ferner sei hier konstatiert, dass Marius 


Man, kann aus diesen Angaben auf die Mariusschen Fernrohre wohl einen Schluss machen; ein tat- 
sächlicher Beweis für die Brauchbarkeit derselben liegt nicht vor, da Marius nicht einmal einen Zeugen 
dafür hat, dass er die Venusphasen wirklich gesehen hatte, und später auch nicht mehr von diesen 
spricht. Dass aber sein bestes Fernrohr jedenfalls schwächer war als das Galileische, dafür liefert der 
Umstand den Beleg, dass Marius die Saturn-Begleiter (= Ring) nicht beobachten konnte. 

Siehe hingegen Favaro: Intorno ai Cannocchiali costruiti ed usati da Gal. Galilei; Atti d. R. Istit. 
Veneto, 1901, T. LX, P. II, p. 317—342; danach enthält die K. Galerie in Florenz in der Tribuna di 
Galilei zwei Fernrohre von Galilei, die nach neuesten Untersuchungen 15- und 20-fach vergrössern und 
von denen sich besonders das erstere durch seltene Klarheit auszeichnet. — Hieher gehört auch der 
Hinweis auf jene Stelle des Prognostikums auf 1613, an welcher Marius die Güte des Fernrohrs Galileis 
im Vergleich mit dem seinigen betont. (Diese Abhandlung p. 464, in der Mitte.) 


2 


465 


schon anfangs 1611 von der Entdeckung der Venusphasen, die Galilei am 1. Januar 1611 
an Giul. Mediei und Kepler nach Prag gemeldet hatte, Kenntnis bekam und daraufhin die 
Venusphasen schnell entdeckte. Der gleiche Brief Galileis, und ein zweiter Brief Galileis 
an G. Medici (Februar 1611) wurde von Kepler mit dem oft besprochenen Brief des Marius 
an Vicke in seiner Dioptrice, die 1611 in Augsburg erschien, abgedruckt. Dieses Werk 
Keplers war Marius bekannt; denn in demselben wurde Marius von Kepler öffentlich des 
Plagiats an Galilei geziehen und Marius hatte daraufhin 1612 durch einflussreiche Herren 
den Kepler zum Widerruf seiner Anschuldigung zu bringen gesucht. Auf diese Beschuldigungen 
geht Marius in seinem Prognostikum zu 1613 nicht ein und begnügt sich mit einigen, dem 
Uneingeweihten unverständlichen Klagen über Anfeindungen, die er wegen seiner Gegner- 
schaft gegen das kopernikanische Weltsystem erfahren habe. Marius kannte also Galileis 
Briefe vom 1. Januar und Februar 1611 und wahrscheinlich noch andere; ausserdem aber, 
nach eigener Angabe im Mundus Jovialis, seit Juni 1610 den Sidereus Nuntius Galileis. 
In dem Prognostikum zu 1613 sagt nun Marius von seinen Beobachtungen: „Das 
erste nun, dass ich auch vermerket, dass Mercurius gleicher Weise von der Sonne erleuchtet 
werde, wie Venus und der Mond.“ Galilei hatte schon am 1. Januar 1611 geschrieben: 
— „i pianeti tutti sono dı loro natura tenebrosi (accadendo anco Mercurio l’istesso che a 
Venere): l’altro, che Venere necessariamente si volge intorno al Sole, come anco Mercurio 
e hi altri pianeti, cosa bencreduta da i Pittagorici, Copernico, Keplero et me, ma non 
sensatamente provata, come hora in Venere et in Mercurio.“ — Im Brief vom Februar 16li 
steht: ... ho demonstratione certa, che si come tutti i pianeti ricevono il lume dal sole. 
Marius spricht auch über die Grösse der Sterne: „Item dass die corpora coelestia, 
sonderlich aber die Planeten keineswegs so gross sein, wie bisher geglaubt worden. Solches 
aber ist daher entstanden, dieweil sie, die astronomi, die corpora coelestia bei der Nacht 
observiert haben, da sie dann in are nocturno viel grösser erscheinen als bei Tage.* — 
Auch Galilei spricht davon in vielen Briefen und zuerst im Siderius Nuntius, wo er angibt, 
warum die Fixsterne sich mit dem Fernrohr kaum grösser und deutlicher sichtbar machen 
lassen, was bei anderen Dingen geschehe. „Ratio autem huius est, quod scilicet Astra, 
dum libera ac naturali oculorum acie spectantur, non secundum suam simplicem nudamque, 
ut ita dieam, magnitudinem sese nobis offerunt, sed fulgoribus quibusdam irradiata, micanti- 
busque radiis crinita, idque potissimum cum iam increvit nox; ex quo longe 
maiora videntur, quam si ascitiis illis crinibus essent exuta: .., Hoc apertissime 
intelligas licet ex eo, quod Stellae in Solis occasu inter prima crepuscula emergentes, 
tametsi primae fuerint magnitudinis, exiguae admodum apparent, et Venus ipsa, si 
quando eirca meridiem se nobis in conspectum dederit, adeo exilis cernitur, ut vix 
Stellulam magnitudinis ultimae aequare videatur.... Intonsa igitur in mediis 
tenebris specetantur Astra, erines tamen illorum diurna lux abradere potest.“ Dieses 
Thema über die Strahlung der Sterne und ihrer scheinbar verschiedenen Grösse bei Tag 
und Nacht untersucht Galilei in einer Reihe von Briefen und zwar in gründlichster Weise, 
so auch in jenem Briefe an G. Medici (Februar 1611). Dasselbe Thema, dass einzelne 
Gestirne am Tage selbst sichtbar sind, dass aber das Tageslicht die Irradiation auslöscht, so 
- dass die Gestirne ohne Strahlen sind, bearbeitet auch Marius: „... Den 16. November 1611 
zwischen 10 und 11 Uhr zu Mittag habe ich den Jovem zu vielen Malen durch das Instrument 
schön rund und ohne einige Strahlen gesehen. ... Gleicher Weiss hab ich auch 1], Std. 


a 


464 


oder länger nach der Sonnen-Aufgang Jovem und cor Leonis gar ausdrücklich bei schönem, 
hellem Himmel gesehen den 30. Oktober 1611.*.... „Das cor Leonis belanget, so ich bei 
Tag nahe bei 9} gesehen hab, ohne Strahlen, gleich einem lichten Punkt.“ — Im An- 
schluss an diese Bemerkungen gibt Marius Zahlen über die Grössen sämtlicher Planeten. 
Auf diese Massangaben werden wir später zurückkommen. Über das cor Leonis sagt er: 
„Das cor Leonis belanget, ..... so ist sein diameter kaum der vierte Teil des diameters 
Jovis gewesen, ... wäre demnach um ein geraumes als ungefähr 4mal kleiner als der 
Erdboden“ (Marius schätzt den 9 Durchmesser = 4 Erddurchmesser!). 

Diesen sehr bedenklichen Zahlenangaben fügt Marius nun folgende Bemerkung bei: 
„Dies ist beiläufig meine Meinung von der Grösse der Planeten und cordis leonis; es soll 
aber Niemand gedenken, dass ich oder ein anderer Mathematicus sanior dafür halten, als 
wenn gar'nichts fehlen konnte. Nein, durchaus nieht: Denn in diesem Fall ex minimo 
maxima deduziert werden. So will ich auch mit Galilei nicht hart streiten, wenn er 
durch sein Instrument, welches denn viel besser sein muss, als das Meine (denn er die gute 
Gelegenheit der Gläser halber zu Murano bei Venedig hat, welches wir dieser Ort nicht 
haben können) etwas anderes gefunden hat. Doch weiss ich gewiss, wo je ein merklicher 
Differenz zwischen uns sein sollte, dass er näher meiner observatios wird beistimmen, als 
Tyehonis oder der alten Astronomen.“ 

Zu all jenen unglücklichen .Zahlenangaben wurde Marius veranlasst durch eine bei- 
läufige Bemerkung Galileis in dem Brief vom Februar 1611, wo Galilei über den Sirius 
berichtet: „Et benche il disco di esso Cane apparisco non maggiore della einquantesima 
parte di quello di Giove.“* (Galilei vergleicht hier die Flächen!). 

Der nächste Punkt: betrifft die Jupitermonde, deren Bahnradien und Perioden 
Marius angibt. Marius wusste schon aus dem Briefe Keplers an Vicke, dass Galilei im 
Dezember 1610 nach Prag berichtete: „Spero che ho trovato il metodo per definire i periodi 
de i quattro Pianeti Medicei, stimati con gran ragione quasi inesplicabili dal S. Keplero.* 
Ausserdem war Ende Mai 1612 der berühmte Discorso sui Galleggianti Galileis 
erschienen und in diesem, überall rasch verbreiteten Werke waren die Geschwindig- 
keiten und die Perioden der vier Jupitermonde schon verzeichnet. 

Schliesslich berichtet Marius noch über die Sonnenflecken, die ihm im August 1611 
von David Schnidner aus Königsberg gezeigt worden seien, — ein Gegenstand, der gerade 
jetzt, im Jahre 1612, am meisten besprochen wurde, wegen der Kontroverse Galileis mit 
Christoph Scheiner, der seine Briefe über die Sonnenflecken herausgegeben hatte. 

In allen Beobachtungen, die Marius in seinem Prognostikum auf 1613 bespricht, 
hatte er Galilei als Vorläufer, und fast alle seine Darlegungen sind wahrscheinlich ver- 
anlasst und abhängig von Galileis schriftlichen Äusserungen über die gleichen Dinge. 


ß) Trabantenperioden im Prognostikum auf 1613 und im Discorso sui Galleggianti. 


Über den wichtigsten Gegenstand seiner Beobachtungen, über die Jupitermonde, schreibt 
Marius im Prognostikum auf 1613 folgendes: „Die vier jovialischen Planeten belangt, so 
hab ich seither durch fleissiges observieren und ungläublich vieles experimentieren und 
und kalkulieren aller vier periodica tempora erfunden, welche ich auch allen G@utherzigen 
und Liebhabern der Astronomie freiwillig kommuniziere. Ich halte aber die Ordnung also: 
Nämlich, dass ich den ersten jovialischen Planeten denjenigen nenne, welcher nur drei 


er a u“ 


Be 


an. u un ee 


465 


Minuten von Jove in utramque partem abweicht; den anderen, welcher nur fünf Minuten, 
den dritten, weleher nur acht Minuten, den vierten, welcher nur dreizehn Minuten abweicht. 
Diese maximae elongationes, sonderlich aber des vierten wird etwas geändert, nachdem 
Jupiter nahe oder fern von der Erden absteht, aber solche Differentiam habe ich mit meinem 
Instrament nicht abmessen können.“ 


„Die Periodica restitutio des vierten jovialischen Planeten geschieht in 164 18% 23m 
fere; des dritten geschieht in 74 3b 57=; des zweiten in 34 13b 18m; des ersten inl4 18h 18m 308, 
Aus diesem Fundament und hypothesi hab ich tabulas gemacht, welche zu seiner Zeit 
auch sollen publiziert werden. Wo ich auch unterdessen noch ein Mangel vermerke (wie 
denn nicht möglich, dass alles in so kurzer Zeit sollte perfekt ergründet sein) soll solches 
nach Vermögen korrigiert werden. Ich habe getan, was ich gekonnt; ich will mit meiner 
Arbeit anderen gern die Hand bieten.“ 


Wir haben demnach bei Marius hier ein sehr wichtiges, beachtenswertes Resultat. 
Diese Resultate, die der Wahrheit schon recht nahe kommen, sind um so erstaunlicher und 
wunderbarer, als Marius ein Jahr vorher in dieser Hinsicht absolut noch keine Erfolge 
aufzuweisen hatte. Man erinnere sich: Marius will Ende 1609 die Trabanten entdeckt 
haben, Mitte 1611 hatte er, wie wir durch den Brief an Odontius nachgewiesen haben, 
trotz seiner Behauptung die Perioden des dritten und vierten Trabanten durch „viel kalkuliern® 
aufgefunden zu haben, die Periode des dritten auch nicht einmal angenähert (statt 74 gibt 
er 10 bis 11@), und vom vierten wusste er nicht viel mehr als Galilei in Sidereus Nuntius 
schon angegeben hatte, vom zweiten und dritten überhaupt noch nichts. — Nun auf einmal, 
nur ein Jahr später, 1612 gibt Marius für alle vier Trabanten ein fertiges Resultat, nach- 
dem er vorher eineinhalb Jahre lang nicht das mindeste erreicht hatte. — Darin liegt 
ein entschiedener Widerspruch, der sich kaum lösen lässt. 


In eine eigentümliche Beleuchtung geraten jedoch diese plötzlichen Erfolge des 
Marius, wenn wir die gleichzeitigen Schriften Galileis in Betracht ziehen: 


Ende 1611 verfasste Galilei seinen berühmten Discorso sui Galleggianti, in welchem er 
den Kampf gegen die falschen Naturanschauungen der Aristoteliker kräftig fortsetzte und 
zum erstenmale in genialer Weise das virtuelle Prinzip als Grundlage der Hydrostatik auf- 
stellte und verwendete. Der Druck des Discorso verschob sich bis zum Mai 1612 und 
wurde Ende Mai fertig gestellt. Mit Beginn des Juni 1612 versendete Galilei. die 
Schrift an seine Freunde; eine grosse Zahl von Briefen aus dem Juni, Juli, August 1612 
gibt davon Zeugnis. Dass der Discorso grosses Aufsehen in der gelehrten Welt erregte 
und sich rasch verbreitet, wird dadurch bewiesen, dass er schon September 1612 neu 
aufgelegt wurde. (Pappazoni an Gal., 30. September 1612; Cesi-Galilei, 6. Oktober 1612; 
Pannoecchieschi d’Elei-Galilei, 6. Oktober 1612.) 

Dieser Discorso enthielt auf den ersten Seiten Galileis Mitteilungen über die 
Jupitermonde, deren Geschwindigkeiten und Perioden er endlich, nachdem er oft 
und von vielen Seiten dazu aufgefordert worden war, kund gab. Die Umlaufszeiten sind: 

1. Trabant: 14 18% e quasi mezza 


2. a 34 134],® in circa 
Er Fr 74 4b prossimamente 
4. „ 164 18% prossimamente. 
Abh.d.II.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXI. Bd. II. Abt. 60 


466 


Nachdem nun die übrigen Notizen des Marius im Prognostikum zu 1613 alle mehr 
oder minder von Galileischen Schriften und Beobachtungen abhängen, so lässt sich auch die 
Vermutung nicht von der Hand weisen, dass Marius auch seine Trabantenperioden von 
Galilei entlehnt hat, um so mehr als auch hier die Galileischen Veröffentlichungen 
bereitsgedruckt vorlagen, ehe Marius sein Prognostikum zu 1613 abgefasst hatte. 

Wir wollen noch aus der Verbreitung des Discorso die Möglichkeit dartun, dass Marius 
bei Abfassung des Prognostikums den Discorso Galileis in Händen hatte: Aus Rom sind 
schon vom 9. Juni Briefe von Cesi und Sarrochi datiert, die dem Galilei den Dank für die 
Übersendung des Discorso ausdrücken; es’ folgen Briefe, unter anderen von Sagredo aus 
Venedig und Gualdo in Padua vom 16. und 22. Juni, die zeigen, wie grosses Interesse für 
die Abhandlung in den gelehrten Kreisen vorhanden war, und Gualdo schreibt, dass das 
Exemplar durch die Hände aller dortigen Philosophen gehe; er glaube, dass es vielfach 
abgeschrieben werde. Am 23. Juni sendet Galilei seinen Discorso an Giul. Medici in 
Prag und bemerkt dazu, es würde ihm unangenehm sein, wenn Kepler, der italienischen 
Sprache nicht mächtig, den Discorso nicht würde lesen können. — Es folgen wieder eine 
lange Reihe von Briefen aus Rom, und auch ein Schreiben von Magini in Bologna (23. Juni). 
Am 13. Juli finden wir einen Brief von Marcus Welser in Augsburg an Gualdo, worin 
er schreibt: „Non occorre che mi mandi il Discorso del S°*- Galilei uscito ultimamente, 
essendomene giä capitata una copia per altra via. Ho cominciato a leggerlo, et per quanto 
ho visto sin hora, mi riesce fatica bella, curiosa et utile, che stuzzicar& di novo gli filosofi 
della scola ordinaria, et ei sarä da fare et da dire: sed vincat veritas, et per l’amor di Dio 
non faciamo questo torto al nostro secolo, di voler preferire gli errori invecchiati alla 
verita di novo ritrovata.“ Demnach hat M. Welser, der Freund Sagredos und Gualdos, die 
gerade die intimsten ‘Freunde Galileis waren und dessen Briefe an Welser vermittelten, den 
Discorso nicht zuerst von diesen, sondern auf einem anderen Wege, wahrscheinlich auf dem 
gewöhnlichen Weg des Buchhandels und zwar schon vor dem 13. Juli erhalten, — ein 
Beweis dafür, wie rasch die Kunde von dem neuen Buch Galileis und das Buch selbst nach 
Deutschland gekommen war. — 

Auch der mehrfach erwähnte Antonini, der sich damals in Brüssel befand, dankt 
bereits am 21. Juli dem Galilei für die Übersendung des Discorso und des Briefes vom 16. Juni. 

Ebenso finden wir vom Kardinal Joyeuse eine Danksagung für den Discorso, datiert 
vom 6. August aus Schloss Joyeuse in Frankreich, ebenso von dem Sekretär des Kardinals, 
von Gallanzoni (18. August), der zugleich schreibt, dass er das Buch schon dreimal ge- 
lesen babe. — 

Endlich lesen wir auch den Brief von Giul. Mediei aus Prag. Derselbe schreibt am 
25. August, dass er lange Zeit von Prag abwesend, und auf dem Kurfürstenkongress in 
Frankfurt gewesen sei. Daher habe er den Brief mit dem Discorso erst nach seiner An- 
kunft in Prag erhalten. Leider sei damals Kepler schon nach Linz abgereist gewesen. An 
dessen Stelle habe er den Discorso an Wackher gegeben; dieser habe denselben sehr gelobt. . 
und er ist bei mir geblieben, um den Diseorso samt Galileis Brief an Kepler nach 
Linz zu schicken. Demnach hat also Kepler, auf diesem Wege wenigstens, im August 
1612 den Discorso Galileis erhalten. 

Es interessiert hier noch ein Brief aus Deutschland. Am 11. September 1612 
schreibt Ursinus in Prag am Kepler in Linz: „Heri fui cum Wackerio... Dedit mihi 


467 


librum italicum, Galilaei novum Diseursum de rebus quae sub aqua aceidunt quaeque in ea 
moventur. Hune ego per otium proximis diebus latinitate donabo. Videbam enim, Wackerium 
hoe velle.* Wackher brachte also dem Ursinus ein Exemplar des Discorso zur Übersetzung 
ins Lateinische. Nun war aber das von Galilei nach Prag überschickte Exemplar an Kepler 
nach Linz weitergegeben worden, demnach hatte man in Prag noch andere, die wohl nicht 
von Galilei gesandt, sondern auf anderem Wege dahingekommen waren. 


In dem engen Rahmen der Briefsammlung der Galileiausgabe Favaros haben wir also 
schon zwei Dokumente dafür, dass der Discorso bald nach seinem Erscheinen auf dem Wege 
des Buchhandels nach Deutschland kamen; an Welser in Augsburg und an Wackher in Prag. 


Nach alledem ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch Marius in Ansbach den Discorso 
sich bald verschaffen konnte; wir haben ja auch gesehen, dass er stets über die neuen Ent- 
deckungen Galileis und zwar ziemlich rasch orientiert war, sogar über Galileis briefliche 
Mitteilungen, und wir wissen, dass er den Sidereus Nuntius kaum drei Monate nach seinem 
Erscheinen in Händen hatte. Ausserdem lebte in Mailand noch sein ehemaliger Schüler 
Capra, Galileis Todfeind, mit dem Marius durch die bekannten schimpflichen Angriffe auf 
Galilei ganz besonders verbunden war. 


Wenn nun auch der Nachweis, dass Marius die Galileischen Trabantenperioden aus 
dem Discorso wirklich kannte und benützte, mit dem vorhandenen Schriftenmaterial nicht 
direkt erbracht werden kann, so wird man andererseits noch weniger den Beweis dafür 
liefern können, dass Marius die Perioden durch Beobachtungen selbständig gefunden 
hat; vielmehr werden wir sehen, dass seine Trabantentafeln ete. gegen diese Annahme 
sprechen. Wir kommen darauf ausführlich zurück. Wir haben hier nur die Möglichkeit 
dargetau, dass Marius in der Zeit zwischen dem Erscheinen des Discorso — anfangs Juni 
1612 — und des Prognostikums auf 1613 — September oder Oktober 1612 — sich den 
Discorso infolge der raschen Ausbreitung desselben verschaffte, so dass er daraus die Perioden 
der Trabanten hatte entnehmen können. — 


6. Galileis Lettere Solari (1613) und der Mundus Jovialis des Marius (1614). 


Im Jahre 1613 verfasste Marius wie alljährlich ein Prognostikon. Von dem Pro- 
gnostikum auf 1614 besitzen wir nur ein Referat von Rabe in den „Gesammelten Nach- 
richten der ökonomischen Gesellschaft in Franken“, herausgegeben von Hirsch, II. Jahrgang 
1766, pag. 227: „Simon Marius hat wieder seinen Öalender 1614. beeden Fürsten dediciert. 
Die Niederländische Brillen, heisst es, ıst 16038 von einem Teutschen Niederländer erfunden 
und hat Marius diss Instrament vom Hans Philipp Fuchsen von Bimbach etc. Obristen 
bekommen.“ — Dieses Prognostikum auf 1614 scheint also keine besonderen Aufzeichnungen 
über des Marius Beobachtungen zu enthalten. 

Es existiert ferner noch ein Brief des Marius an Kepler, vom 26. August 1613. 
Dieser Brief enthält jedoch gar nichts von besonderer Bedeutung; es war die Antwort des 
Marius auf Keplers, von einflussreichen Personen veranlassten Versöhnungsbrief von 10. Nov. 
1612. (Siehe diese Abhandlung, 1. Teil, p. 423.) 

Wir kommen also sofort zur wichtigsten Schrift des Marius, zum Mundus Jovialis. 


Er erschien 1614 und war den Markgrafen von Ansbach gewidmet; die Widmung trägt 
60* 


2 


468 


das Datum: 18. Februar 1614 (= 28. Februar n. st... Der Mundus Jovialis ist in mehr- 
facher Beziehung für uns von hervorragender Wichtigkeit: 1. Erzählt hier Marius in der 
Vorrede ausführlich, wie er zum ersten Fernrohr kam und wann er die ersten Beobachtungen 
mit demselben machte; 2. stellt Marius hier zum erstenmal direkt die Behauptung auf, die 
Trabanten zur selben Zeit wie Galilei, oder noch etwas früher entdeckt zu haben, er 
betont also zum erstenmale sein Recht auf die Entdeckungspriorität; 3. gibt Marius in der 
Abhandlung selbst die Theorie der Trabanten, ziemlich genaue Umlaufszeiten und als An- 
hang Tafeln zur Bestimmung der mittleren Bewegung derselben ete. 

Es ist nun im Laufe dieser Abhandlung zur Gewohnheit geworden, beim Auftauchen 
einer Entdeckung oder eines Beobachtungsfortschrittes des Marius nachzuforschen, ob nicht 
vorher eine Publikation oder ein Brief Galileis über den betreffenden Gegenstand erschienen 
sei. Jedesmal ist dies der Fall gewesen und daher fragen wir auch diesmal nach der 
Schrift Galileis, die dem Mundus Jovialis direkt vorausging. Auch jetzt ist unsere Nach- 
frage von Erfolg begleitet. Denn im März 1613 waren die, auf Kosten und Veranlassung 
der Academia dei Lincei, deren Mitglied Galilei war, gedruckten Lettere Solari Galileis 
unter dem Titel: Istorie e dimostrazioni intorno alle Macchie Solari zu Rom erschienen. 
Die Ursache dieser Publikation war folgende: Der berühmte Astronom Pater Christoph 
Scheiner in Ingolstadt hatte zwar nicht die ersten, wohl aber die eingehendsten Beobach- 
tungen über die von Joh. Fabrieius Ende 1610 entdeckten Sonnenflecken gemacht und 
diese seine Studien in drei Briefen (Ende 1611) an den Marcus Welser in Augsburg 
niedergelegt und sie wurden anfangs 1612 veröffentlicht. Galilei erhielt anfangs 1612 diese 
Briefe von Welser selbst mit der Bitte, Galilei möge seine Meinung über den Gegenstand 
äussern. Die Folge davon waren drei ‚Briefe Galileis an Welser, welche, als inzwischen 
drei weitere Briefe Scheiners durch Welser veröffentlicht worden waren, auf Betreiben des 
Marchese Cesi, des Begründers der Academia dei Lincei, auf Kosten der letzteren gedruckt 
wurden. Sie sollten schon ‘Januar 1613. erscheinen, aber ihr Erscheinen wurde dadurch 
verzögert, dass Galilei ihnen die für Februar, März, April 1613 vorausberechneten Konsti- 
tutionen der Jupitermonde als Anhang beifügen wollte. Diese aber konnte Galilei erst im 
Februar, als der Druck der Briefe schon vollendet war, an Cesi abliefern ‘(Cesi an Galilei, 
15. Februar 1613), so dass dann nur noch die Konstitutionen für März, April und acht 
Tage des Mai abgedruckt wurden. 

Der Druck des Werkes war offenbar ein Ereignis in der gelehrten Welt. Schon im 
Oktober 1612 meldet Cigoli aus Rom an Galilei, dass die Akademie das Werk in grosser 
Anzahl drucken lassen wolle; im November 1612 schreibt Cesi an Galilei, dass 2000 bis 
3000 Exemplare gedruckt werden sollten. Am 18. Januar 1613 schon schreibt M. Welser 
an den Jesuiten Faber in Rom: Er habe gehört, der Fürstbischof von Bamberg, der sich 
als Gesandter Kaisers vom 20. Dezember 1612 bis 9. März 1613 in Rom befand (siehe 
„Joh. Gottfried von Aschhausen“ von H. Weber, Würzburg, 1889), wolle einen Teil seiner 
Leute zurückschieken. Welser bittet daher Faber, man möge, wenn Galileis Werk vollendet 
sei, jenen Leuten einige Exemplare zur Besorgung an ihn mitgeben. Schon am 26. Januar 
1613 schreibt Welser wieder an Faber: „Ich erwarte, dass man mir die gedruckten Briefe 
Galileis schicke.“ Der Fürstbischof von Bamberg nahm regen Anteil an den Bestrebungen 
der Linceisten und den Studien Galileis. Um sich ihm dankbar zu zeigen und weil Joh. 
Faber, der Kanzler und Sekretär der Akademie, Bamberger Untertan war, suchte man den 


469 


Druck des Werkes zu beschleunigen, damit man dem Bischof einige Exemplare noch vor 
der Abreise überreichen könne. Aber noch war man über die Vorrede, in der Galilei einen 
Überblick über seine bisherigen Entdeckungen geben sollte, noch nicht einig; daher schreibt 
Cesi an Galilei (22. Februar 1613): „Die Abreise des kaiserlichen Gesandten nähert sich, 
und da man erkennt, wie gut es sei, wenn derselbe einige Exemplare zur Verteilung an 
seine Freunde in Deutschland erhalte, so wird man einige Abzüge ohne die Vorrede machen, 
und da es, wie ich glaube, nötig ist, wird man das letzte Blatt, das ordnungsgemäss die 
Druckfehler ete. enthalten soll, samt den Konstitutionen der Medizäischen Sterne drucken. 
Ich erwarte dieselben im nächsten Briefe, weil es wirklich gut ist, sich möglichst bald des 
Werkes zu erfreuen, damit die Leser nicht bei allen Konstitutionen des März die Möglichkeit 
des Vergleiches mit der Beobachtung verlieren und in Deutschland nicht vorher neue Schriften 
inzwischen herauskommen.“ Am 2. März schreibt Cesi wieder an Galilei, teilt ihm mit, 
dass das Fehlerverzeichnis ete. angekommen seien. Es seien in der Geschwindigkeit vierzig 
Exemplare ohne Vorrede fertig gestellt worden; davon nähmen der Bischof und seine Be- 
gleiter bei der am kommenden Montag oder Dienstag stattfindenden Abreise viele mit nach 
Deutschland; an Welser gingen bei dieser Gelegenheit fünfzehn Stück ab. — Endlich am 
22. März 1613 meldet Cesi an Galilei: „Vor wenigen Stunden hat der Drucker das Werk 
vollendet. — Ich habe viele Konstitutionen und das Nachwort dazu verteilt, und 
es ist eine Sache, welche staunen macht. Ich habe diesen Abend (beim Vergleich der 
Konstitutionen) ein ganz besonderes Vergnügen gehabt; aber es ist kein Wunder mehr, 
nachdem ihr mit solcher Sicherheit in die Geheimnisse des Himmels eingedrungen seid. 
Ähnlich ist es dem $. Stelluti und $. Cigoli, die bei mir waren, ergangen.“ Schliesslich 
erwähnt er noch im Hinweis auf den Bischof von Bamberg, wie erwünscht und nützlich 
es sei, dass „die Wahrheit im wissenuschaftlichen Deutschland eine weitere Ver- 
breitung“ finden werde. 

Bei dieser geradezu geschäftsmässigen Sorgfalt in der Verteilung musste das neue 
Werk Galileis sich rasch verbreiten. Festzuhalten ist auch, dass von Cesi die Konstitu- 
tionen samt Nachwort auch als Separatabzug in vielen Exemplaren verteilt 
worden waren. Eine Reihe von Briefen zeugt davon, dass die Lettere Solari sofort den 
Weg in die Fremde fanden. 

Nach Deutschland kamen sie, da der Kaiserliche Gesandte, der Fürstbischof von 
Bamberg viele Exemplare und noch 15 für Welser mitbekam noch im März 1613. Die 
Welserschen Exemplare kamen jedoch nicht so bald an ihre Adresse. Daher fragt auch 
Welser am 29. März bei Faber an, wem denn die Exemplare mitgegeben worden seien, er 
wolle sie einfordern. Galilei hatte Welser jedoch später selbst zwei Exemplare geschickt, 


wofür sich Welser am 30. Mai bedankt. — Bei Giul. Medici in Prag waren die Lettere 
Solari auch eingetroffen; denn dieser sendet am 18. Mai an Galilei seinen Dank für die- 
selben mit dem Bemerken, dass er das Werk schon dem Wackher gegeben habe. — Am 


10. Juli endlich lesen wir, dass Welser an Kepler schreibt: „Da Galilei auf die Briefe des 
Apelles ausführlich geantwortet hat und dabei deiner Meinung über die Sonnenflecken 
viel näher zu kommen scheint als der des Apelles, habe ich dir ein Exemplar der Schrift 
überschicken zu müssen geglaubt.“ Kepler erhielt dies am 18. Juli 1613 (Kepler an 
Maelcote in Brüssel, 18. Juli 1613, siehe Hanschius: Kepleri Epistolae). Es waren also 
in Deutschland bald nach dem Erscheinen nachweisbar eine grosse Anzahl Exemplare vor- 


470 


handen durch private Vermittlung allein. Da aber die Lettere Solari in der starken Auf- 
lage von 2000—3000 Exemplaren gedruckt wurde, die Konstitutionen samt Nachwort aber 
in noch grösserer Menge, so wird sich wohl auch der Handel des Buches bemächtigt und 
viele Exemplare nach Deutschland gebracht haben. Demnach ist es schon deshalb nicht 
unwahrscheinlich, dass Marius bei seiner anerkannten Wissbegierde und bei seinen alten 
Verbindungen mit Italien das Buch sich bald verschafft hatte. Abgesehen aber von dieser 
Wahrscheinlichkeit lässt sich auf anderem Wege der Nachweis erbringen, dass Marius den 
Inhalt des Werkes sicher kannte: 

In seinem Mundus Jovialis schreibt er über die Lichtschwankungen und Verfinsterungen 
des vierten Trabanten (Blatt D 3, Rückseite) „Quando itaque Quartus prope umbram Jovialem 
versatur, et diffieilius radios solares exeipit, tune minor apparet quam alias, imo omnino 
ecelipsatur, id quod Galilaeum suo instrumento perfectissimo vidisse testantur literae 
Kepleri ad me missae.“ Nun ist die Sache die: Auf den keplerschen Versöhnungsbrief 
(10. November 1612) antwortete Marius, offenbar verstimmt durch die ironische Schreib- 
weise desselben, erst am 16./26. August 1613. — In jenem Briefe konnte Kepler natürlich 
noch nicht von der Verfinsterung der Trabanten sprechen, da Galileis Lettere Solari, in 
denen die Sache am Schlusse besprochen wird, Ende 1612 noch lange nicht erschienen 
waren. Wenn also Marius in seinem Mundus Jovialis sagt, er habe durch einen Brief 
Keplers erfahren, dass Galilei Trabantenverfinsterungen beobachtete, so musste diese Mit- 
teilung in einem zweiten Briefe Keplers an Marius stattgefunden haben. In der Tat 
erwähnt Marius in seinem Schreiben vom 16./26. August 1613 jenen zweiten Brief Keplers 
mit folgenden Worten: „Tuae litterae superioris anni, sub finem ejusdem recte ad manus 
pervenere meas ... Saepissime ad illas respondere proposui, verum, nescio quo fato, hactenus 
illud a me intermissum est. Quando tuae ultimae hisce diebusa. D. Joanne Melchiore 
Wolfhard mihi tradebantur, statim ad priores responsum dare cogitabam: Verum illae 
a me sunt adeo bene custoditae, ut eas jam bene reperire nequeam.* — Der zweite Brief 
Keplers gelangte also Mitte August 1613 in die Hände des Marius und es ist jener 
Brief, der nach Angabe des Mundus Jovialis den Bericht Keplers über die Ver- 
finsterungen der Trabanten also über das Nachwort und die Konstitutionen 
der Lettere Solari Galileis enthielt. Da nun die Lettere Solari schon am 18. Juli 
1613 in Keplers Händen waren, so hat also Kepler seinen Bericht hierüber zwei bis drei 
Wochen nachher schon an Marius gesandt. (Leider ist der zweite Brief Keplers uns nicht 
erhalten.) Demnach war also Marius schon Mitte August 1613 über die neuen 
Beobachtungen Galileis wieder auf dem Laufenden. 

Dazu kommt noch das Hauptmoment: Im Oktober 1613 kam Marius mit Kepler auf 
dem Reichstag zu Regensburg zusammen, auch der Kaiserliche Rat Wackher, der mit den 
Letteri Solari schon seit Mai 1613 bekannt und ein grosser Galileiverehrer war, nahm an 
demselben teil. Diese drei Personen unterhielten sich, wie Marius berichtet (Mundus 
Jovialis 2, Blatt der Praefatio und B2, Rückseite), über astronomische Dinge und da wird 
sicher, besonders nachdem Kepler schon vorher darüber an Marius geschrieben hatte, auch 
von den Lettere Solari und den Konstitutionen gesprochen worden sein, so dass Marius, wenn 
er nicht schon damals sofort sich genau davon unterrichten konnte und wenn er nicht schon 
vorher ein Exemplar der Konstitutionen besessen haben sollte, sich wohl bald eines ver- 
schafft haben wird. Jedenfalls kann mit Bestimmtheit behauptet werden, dass Marius 


> ei 


471 


bei Abfassung seines Mundus Jovialis die Lettere Solari und deren Anhang 
wohl gekannt hat.!) — Wie er dann diese Publikation Galileis im Mundus Jovialis ver- 
wenden konnte oder wahrscheinlich benützt hat, darüber wird im dritten Teil dieser Ab- 
handlung gesprochen werden. 


Wir wollen schliesslich, ohne auf andere Einzelheiten einzugehen, nur noch eine 
synehronistische Zusammenstellung geben, die den Zusammenhang zwischen Galileischen 
Veröffentlichungen und Mariusschen Beobachtungen deutlich ausprägt. 

Im Juni 1610 hatte Marius den Sidereus Nuntius und daraufhin spricht er 1611 in 
seinem Brief an Vicke und an Ödontius zum erstenmal von einer Trabantenbeobachtung. 

Im Januar 1611 meldet Galilei die Entdeckung der Venusphasen nach Prag und vier 
bis fünf Monate später spricht auch Marius davon; und während dieser bisher noch nie 
von Trabantenbeobachtungen des Jahres 1609 etwas hatte verlauten lassen, nimmt er nun 
Mitte 1611 in seinem Prognostikum auf 1612 neben der Entdeckung der Venusphasen auch 
die der Trabanten in Anspruch, wohl angespornt durch das Lob, das Kepler dem Marius 
wegen seiner Forschungen in einem Briefe an Vicke gespendet hatte. Allerdings gebrauchte 
Marius damals noch nicht das Wort Entdeckung oder Priorität, sondern er verzeichnete 
einstweilen nur die Zeiten der angeblichen Beobachtungen im Jahre 1609. 

Als nun Kepler in seiner Dioptrik Ende 1611 den Marius des Plagiats an Galileis 
Entdeckung der Venusphasen geziehen hatte, wagte er es 1612 in seinem Prognostikum 
auf 1613 nicht mehr diese Entdeckung oder die der Trabanten weiter zu behaupten. 

Dagegen war inzwischen 1612 Galileis Discorso mit den Trabantenperioden erschienen; 
dies griff Marius auf, unterliess, wie gesagt, im Prognostikum auf 1613 zwar die Behauptung 
von der Trabantenentdeckung, trat dagegen mit „seinen“ Trabantenperioden hervor. 

Nun kam Ende 1612 der Versöhnungsbrief Keplers und im Oktober 1613 die Zu- 
sammenkunft mit Kepler; daraus schöpfte Marius wieder Selbstvertrauen und Mut zu neuen 
Taten, inzwischen waren auch 1613 die Lettere Solari Galileis mit den Trabantenkonstitutionen 
ete. erschienen; dadurch war mit einem Male auch das Material zu Tafeln vollständig 
geworden und Marius krönte nun sein Werk durch die Herausgabe des Mundus Jovialis, in 
welchem er mit seinen neu und bestimmt formulierten Ansprüchen in ausgedehnterem 
Masse hervortrat: Zwar versagte er sich, scheinbar für immer, die Entdeckung der Venus- 
phasen, dagegen trat er definitiv mit seinem Anspruch auf die Entdeckung der Trabanten 
und seinen Tafeln hervor. — Galilei veröffentlichte nichts mehr über diese Dinge, Marius 
auch nicht. — 

So zog also ein Erfolg Galileis jedesmal einen „Erfolg“ des Marius nach sich. 


!) In dem Nachwort, welches Marius vielleicht Ende 1614 oder anfangs 1615 seinem Mundus 
Jovialis nachträglich angefügt hat, stellt er in Abrede, dass er ausser dem Sidereus Nuntius ein Werk 
Galileis besitze oder gelesen habe. 


472 


III. Teil. 


Die Beobachtungen des Marius; seine Tafeln und Perioden 
der Trabantenbewegungen. 


1. Die Beobachtungsmethode des Marius bei der Bestimmung der Trabantenperioden, 


Im Mundus Jovialis lesen wir über die Maximaldigression (Blatt B4, Rückseite): „De 
horum duorum (nämlich des dritten und vierten Trabanten) maxima elongatione intra 
mensium 6 spacium confirmatus sum.“ Später (Cl und 2) spricht er von der Methode, 
mit der er die Umlaufszeiten der Trabanten bestimmte, in folgender Weise: „Hoc opus, 
hie labor. Nisi enim mihi de Secundo et Tertio phaenomeno!) certo constitisset, nunguam 
tempora restitutionis periodicae indagare potuissem. Nulla enim ratione in cognitionem 
periodicae revolutionis pervenire potuissem, nisi terminus maximae elongationis a 
Jove utcungue mihi notus fuisset. Itaque prima inquisitio periodici motus fuit Quarti 
Jovialis Erronis, ut qui prae reliquis maxime a Jove elongatur. Per plures ergo observa- 
tiones deprehendi tempus dimidiae revolutionis, id est, inter maximam elongationem orientalem 
et occidentalem, idque in diebus saltem. 

Nam praecisa esse non poterat, ob tarditatem motus in tali ad Jovem situ; nihilominus 
ab iis incipiendum erat, quae erant simpliciora, et facilius observationi patebant: duplicata 
post dimidia periodo, resultabat tota periodus restitutionis motus Quarti Jovialis, videlicet 
Saturni Jovialis, vel Calistus, quod tempus intra spatium septem vel octo mensium, adinveni 
dierum quasi 17. Interim etiam dum haec inquiro, ecce Tertius etiam se prodit, et luminis 
sul majestate, et eoipso, quod interdum cum Quarto stationarius quasi cernebatur, hic quidem 
in distantia 13. ille vero octo minutorum: Quod cum aliquoties accideret, in Tertij etiam 


1) Die sieben „Phänomene“ des Marius betreffs der Trabanten sind (Mund. Jov., B3): 

1. Dass die Trabanten nicht in fester Entfernung von 4 an einem und demselben Ort stehen 
bleiben, sondern, bald östlich bald westlich stehend, sich um den 4 bewegen. 

2. Jeder der Trabanten hat seine bestimmte Maximalelongation beiderseits des 2%. 

3. In der Nähe des 4 sind sie am schnellsten, in der Maximalentfernung stationär. 

4. Die Perioden der Trabanten sind ungleich; die der näheren sind kürzer als die der entfernteren. 

5. Das Bewegungszentrum in Bezug auf die Gleichheit der Perioden ist die Sonne, nicht die Erde. 

6. Sie bewegen sich, in Bezug auf einen ganzen Umlauf, in einer geraden, zur Ekliptik parallelen 
Linie; weichen jedoch von dieser bald nördlich bald südlich ab. 

7. Die Trabanten werden nicht immer in gleicher Grösse gesehen; sie sind bald kleiner bald grösser. 


ä 


2 2 TE 


EU 


473 


investigationem periodicae restitutionis devenire incepi, quam etiam post integrum annum, 
id est, circa finem Anni 1610. nactus sum, videlicet cursum suum in propria orbita circa 
Jovem absolvere spacio 7 dierum. Dumque his rebus exerceor, paulatim in Quarti prae- 
eisiorem motus ad sua initia recursum descendo, ita quidem ut in Martio Anni 1611 crediderim 
tempus periodieum comprehendere ultra dies 16 etiam horas 18. Tertij vero putabam tune 
dierum 7. horarum 3 et minutorum 53. Quae tempora licet exacta non fuerunt, me tamen 
plurimum juvarunt in inquirendo et enucleando tempore revolutionis Secundi Jovialis, quem 
etiam interim deprehenderam non ultra quinque minuta a Jove utrinque exeurrere, idque 
prineipaliter factum fuit, quando omnes quattuor simul cernebantur, et Quartus cum Tertio 
in maxima elongatione versabatur. Hac ratione, ut paucis me absolvam, hactenus in- 
eredibili exantlato labore, in cognitionem omnium Quatuor Jovialium Planetarum, 
temporum periodieorum, (Deo felicem, uti spero, successum largiente) perveni, qualia 
quidem ad praesens usque tempus observationibus diligentioribus satisfacere scio. De sequen- 
tibus annis sequentes etiam observationes testabuntur. Non ego jam absolutam certitudinem 
promitto, fundamenta jeci totius hujus negotij non inutilia diligenti horum siderum obser- 
vatori, quibus facilime defectus addi, excessus vero rescindi in posterum, si quis 
erit, poterit. 

Necesse enim est quam plures observationes habere, satisque longo intervallo inter sese 
distantes,!) praecipue autem tales, in quibus est eadem habitudo Jovis ad Solem et terram: 
Causa in sequentibus ostenditur. 

Non autem sufficiebant maximae elongationes ad indagationem temporis periodiei, sed 
adhibui post etiam observationes, quae prope Jovem aceidebant, ubi celerior et incitatior est 
motus horum planetarum secundariorum. Quantos autem labores sustinuerim, nolo dicere, 
sed illi soli constare puto, qui simili in negocio aliquando periculum fecit. Itaque plura de 
hoc phaenomeno addere supervacaneum duco.* — 

Die Methode des Marius zur Bestimmung der Umlaufszeiten bestand also darin, dass 
er die Zeitdifferenz zwischen der östlichen und westlichen Maximalentfernung der Trabanten 
vom Jupiter bestimmte. Eigentümlich wirkt die Zusammenstellung der Bemerkungen über 
das Auffinden der Distanzen und Perioden: Von Distanzen sagt Marius, dass er innerhalb 
von sechs Monate die Bahnradien des dritten und vierten Trabanten zu 8° und 13° gefunden 
habe; von den Perioden erzählt er, dass er die des vierten nach 7—8 Monate, zu 17 Tagen 
bestimmte und später erst, Ende 1610 (also nach 12 Monat), nachdem der dritte und vierte 
zugleich in ihren stationären Punkten öfter beobachtet worden wären, habe er die Periode 
des dritten 'Trabanten zu 7 Tagen erhalten. Schon früher haben wir diese Angaben des 
Mundus Jovialis mit den Notizen im Brief an Odontius verglichen und als unwahr nach- 
weisen können; hier wollen wir noch von deren Ungereimtheit sprechen: Wenn Marius bis 
Juni 1610 den Bahnradius des dritten und vierten Trabanten hatte, so ist kein Grund vor- 
handen, warum ihm die Auffindung der Periode des vierten zu 179 erst 1—2 Monate später 
geglückt sein sollte (zumal er Juni und Juli 1610 wegen der Sonnennähe gar nicht be- 
obachten konnte), oder warum er die Periode des dritten Trabanten gar erst 6 Monate später 
zu 74 bestimmen konnte. Denn mit der Bewältigung der Bahnradien ist doch bei seiner 
Methode die eigentliche Arbeit beendigt, und er hatte nur die Zeiten zweier aufeinander 


!) Diese Bemerkung steht auch in der bekannten Einleitung zu Galileis Discorso sui Galleggianti. 
Abh.d. II.Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 61 


474 


folgenden Maximaldigressionen von einander abzuziehen, um die Periode zu bekommen, 
d.h. also mit der Grösse der Maximaldigressionen musste er zu gleicher Zeit auch die 
Perioden erhalten. 

Deshalb wäre ja auch seine Methode recht einfach gewesen, wenn sie ausführbar wäre. 
Seine Methode steht und fällt, mit der Möglichkeit der genauesten Messbar- 
keit der Maximaldistanzen und der Distanzen überhaupt. Dies wird durch folgende 
Aufstellung erhärtet. Die mittleren Bahnhalbmesser und Geschwindigkeiten (= Weg in einer 
Stunde) sind für den 1., 2., 3., 4. Trabanten der Reihe nach 5,70; 9,07; 14,46; 25,44 
Jupiterhalbmesser (Berliner Astronom. Jahrbuch für 1904) und 825; 4°2; 221; 0°9; der 
mittlere Äquatordurchmesser des Jupiter nach J. J. See (Figur und Dimension des Jupiter ete., 
Astr. Nachr., Bd. 153) = 38:402 + 0038. In folgender Tabelle bedeuten I, II, III, IV die 
vier Trabanten; ma und ta die entsprechenden Fehler der mittleren Bewegung und mittleren 
Umlaufszeit, die durch eine um 5“, 10%, 15°, 20°, 30" fehlerhafte, in der Nähe des stationären 
Punktes gemessenen Distanz bei den einzelnen Trabanten hervorgerufen werden. 


Distanz- | I | II IM IV 
fehler | ma ta mg ba ma ta ma ta 
Bj |nahl7esr a + 14° za re Nr 89 
10° | +25° + 2,9% |°#T965 | 4,66. | 7155, ee ee 
15° | +3065 || #3,66.|| 424° +57 +1® | +9# +14 | -+15,6% 
20°.) #835°.5. HA 280 E62 ee 10,5 | ee ee 
3 Arge +8,1° | .#27°% 00.5 12,9% 420° ae 
I. | | | | 
Man ersieht daraus, dass eine nur um 5“ fehlerhafte Distanzbestimmung schon eine 
+2 bis + 8,9 Stunden fehlerhafte Umlaufszeit ergiebt, und dass dieser Fehler auf + 5,1% 


bis + 22,2% erhöht bei einem Distanzfehler von 30°. Des Marius Methode konnte also 
nur auf Grund der allergenauesten Messungen in die Nähe des Zieles führen. 
Sehen wir zu, wie diese Hauptbedingung von Marius erfüllt werden konnte.!) 


1) Marius Methode bestand also darin, dass er die Zeitdifferenz der Maximalalongationen bestimmte. 
Allerdings sagte er in der oben (pag. 473) angeführten Stelle, dass dies nicht genügte, und dass er 
„später auch Beobachtungen in der Nähe des Jupiter (prope Jovem)‘ zur Periodenbestimmung 
benützt habe; doch würde man einem Irrtum verfallen, wollte man annehmen, Marius habe, wie Galilei, 
die Konjunktionen der Trabanten mit Jupiter beobachtet; denn Marius konnte in der Nähe des 
Jupiter die Trabanten überhaupt nicht beobachten, wie sich aus mehreren Stellen des Mundus 
Jovialis selbst ergibt. Auf Blatt C4, Vorderseite, heisst es: „Prope Jovem licet exactior sit huius rei 
observatio (nämlich der Breitenabweichung der Trabanten), tamen mihi per meum instrumentum diffieilior 
erat.“ Da, wo Marius über die Verfinsterungen der Trabanten durch den Jupiterschatten berichtet 
(Blatt D3, Rückseite), erwähnt er, dass Galilei die Verfinsterungen gesehen habe. Wohl habe auch 
er (wie Galilei) manchmal gesehen, dass die Trabanten in merklicher Entfernung des Jupiter plötzlich ver- 
schwanden, aber er habe die Zeit nicht notiert (!). Man müsse es zu Zeiten der Quadratur des Jupiter mit 
der Sonne tun. Dann fährt er fort: „Ab anno hucusque (wohl 1613 nach dem Erscheinen der Lettere 
Solari!) diligenter attendi in hanc rem, praecipue in Quarto(!): in reliquismihi permeum instru- 
mentum impossibile est, ecelipsationem ejusmodi intueri, verum nunquam hactenus similis 
observatio mihi contingere potuit, annitar tamen in posterum....“ Wenn jemand, durch den 


475 


2. Die Beobachtungen und Messungen des Marius, 


a) Zuverlässigkeit Mariusscher Beobachtungen, seine Fixstern- und Planetengrössen. 


Die Unzuverlässigkeit Mariusscher Berichte haben wir schon mehrfach berührt; es 
folge noch ein Beitrag zu jenen Konstatierungen. 

Im Prognostikum auf 1613 berichtet Marius von Merkur folgendes: „Das erste nun, 
dass ich auch vermerkte, dass Mercurius gleicher Weise von der Sonne erleuchtet werde 
wie die Venus und der Mond. Dieweil ich ihn nun etlichmal in occasu matutino und 
exortu vespertino viel heller und schöner gesehen hab, als in occasu vespertino et exortu 
matutino, da doch sonsten ganz das Widerspiel ratione elongationis a terra geschehen solle.“ 
Der Sinn dieser Bemerkung ist wohl der, dass der Merkur, der doch in den entfernteren 
Stellen seiner Bahn und von der Erde aus wegen seiner grösseren Entfernung eigentlich licht- 
schwächer erscheinen müsste, als in den der Erde näher liegenden Bahnteilen, sich gerade 
umgekehrt verhalte, da er nach des Marius Beobachtung in diesen letzteren Bahnteilen 
lichtschwächer erscheine; dies erklärt sich Marius eben damit, dass hier der Merkur wie 
Venus eine Sichel bilde. Marius will also vielleicht sagen, dass er den Merkur nach seiner 
östlichen Maximalelongation in exortu matutino und vor seiner westlichen in occasu vespertino, 
also nach Sonnenaufgang Östlich und vor Sonnenuntergang westlich von der Sonne licht- 
schwächer gesehen habe. Wenn Marius damit behaupten will, er habe den Merkur am 
Tage gesehen, so bemerken wir hiezu: Weder Galilei noch Pater Grienberger konnten, 
obwohl sie die besten Fernrohre der damaligen Zeit und sicherlich weit bessere als Marius 
besassen, Merkur am Tage nicht sehen und Rud. Wolf sagt über diesen Gegenstand (Hand- 
buch der Astronomie II, $ 536): „die geringe, nur 28° betragende Elongation Merkurs 
bewirkt, dass er nur selten und auf kurze Zeit für das freie Auge sichtbar wird, ja sogar 
mit kräftigen Fernrohren nur bei grosser Aufmerksamkeit während des eigentlichen Tages 
verfolgt werden kann.“ „Dass Beobachtungen am Tage auch nach Erfindung des Fern- 
rohrs selten blieben, ist begreiflich, und es verdient ehrenvolle Erwähnung, dass schon in 
der zweiten Hälfte des vorigen (18.) Jahrhunderts Jean Vidal und Edward Pigott zahlreiche 
Beobachtungen dieser Art machten“ (l. c., Anmerkung a). — Nach all dem scheint obige 
Angabe des Marius nicht recht glaublich. Doch dies nur nebenbei. Die Hauptsache ist 
folgendes: Marius will nach der östlichen und vor der westlichen Elongation bei Merkur 
einen Lichtdefekt gegenüber den Lichtverhältnissen in den oberen Teilen der Bahn gemerkt 
haben. — Nun haben aber Grienberger und Galilei sehr eingehende Beobachtungen mit 
ihren überlegenen Instrumenten darüber angestellt, — Grienberger mit dem von Santini 
dem Clavius geschenkten Fernrohr, das die Venus fast so gross wie den mit freiem Auge 
gesehenen Mond zeigte, Galilei mit seinen bekannten Fernrohr, das ihm die Trabanten, die 
Venussichel, die Dreigestalt des Saturn so frühzeitig offenbarte und von dem Marius 


ersten Satz verleitet, vielleicht glauben wollte, Marius habe Verfinsterungen wenigstens des vierten 
Trabanten beobachten können, so bemerken wir gleich, dass diese scheinbare Behauptung des Marius 
sehr unwahrscheinlich ist. Denn der dritte Trabant, als der lichtstärkste der vier Trabanten, war viel 
leichter zu beobachten als der vierte; wenn also Marius die Verfinsterung des dritten Trabanten nicht 
mit seinem Instrument beobachten konnte, so war ihm dies beim vierten noch viel weniger mög- 
lich. Obige Stelle ist wieder ein Beispiel von der zweideutigen, offenbar absichtlich unklaren Bericht- 
erstattung des Marius. 
61* 


476 


selbst einsah, dass es „viel besser sein muss, als das seine“ (Prognostikum 1613) und dessen 
Überlegenheit er auch im Mundus Jovialis mehrfach anerkennt. Galilei aber gelang es, 
wie es scheint, nie, die Merkurphasen zu sehen, oder auch nur Lichtdefekte konstatieren 
zu können, Grienberger dagegen schreibt an Galilei in heller Verzweiflung darüber, dass 
sein Instrument in dieser Beziehung versage (24. Juni 1611): „In Mercurio, nisi Mercurium 
agnoscere, non potuimus; scilicet vaferrimus agnosei non vult. Adhibitis acutioribus, atque 
cum JJove comparatus, visus est per vitrum Jovi par sine vitro viso; nec defectum ullum 
certo discernere potui. Moveri circa solem esseque Venere sublimiorem, vel ex eo adducor 
ut credam, quod multiplicationem perspicilli, quantam Venus, cum nobis est vieina, ipse 
non admittat; quin fixas simulet, et scintillatione imitetur. Et quamvis non putem, alia a 
Dominatione tua in Mercurio visa esse, quidquid tamen illud est quod Galilaicum perspi- 
eillum viditque Florentia, fac saltem ut etiam Roma vidisse Galilaeum sciat.... meque D. 
tuae commendo; et se commendat etiam perspicillum Clavianum, expectatque avide sociari 
cum Galilaico. Mihi Clavianum sensim consenescere videtur cum Clavio.“ 

Was Galilei und Grienberger nicht sah, konnte unmöglich Marius mit seinem schlechteren 
Instrument gesehen haben. Auch nach theoretischen Erwägungen müsste, ganz im Wider- 
spruch mit des Marius angeblich beobachteten Lichtdefekten in dem unteren Teil der 
Merkurbahn, gerade in diesen Teilen der Bahn, vor der westlichen und nach der östlichen 
Elongation, der Merkur seinen grössten Glanz haben; denn auch bei der Venus tritt im 
unteren Teil ihrer Bahn ca. 35—40 Tage vor und nach der unteren Konjunktion das 
Lichtmaximum ein, wie sich beobachten und berechnen lässt (Wolf, l.c., $ 537). 

Nach all dem Vorgebrachten scheint jene Beobachtung des Marius eine Täuschung 
und erst aus theoretischen Gründen konstruiert worden zu sein. 

Es wird von Interesse sein, hier die Mariusschen Planetengrössen ete. anzuführen, um 
einen Begriff zu geben, wie sehr Marius durch seine fehlerhaften Spekulationen über die 
Grösse der Sterne von den richtigen Werten sich entfernte. — Wir stellen die Planeten- 
grössen zusammen, wie sie Marius, Tycho, das Altertum und die Neuzeit annahmen. Als 
Einheit ist, wie bei Marius im Prognostikum auf 1613, das Volum der Erde (molis terrena) 
zugrunde gelegt. 


\ Marius Tyeho Altertum Neuzeit 
Saturn | 3 22 90 823 
Jupiter | a 14 80 13351) 
Wais | Ra Is 1} 20 
Venus I s Er = 
Merkur | 306 is 1000? 20 


!) 1. Marius gab den 4 Durchmesser = 1000 Meilen (= 7420 km) im Mundus Jovialis an. Die neuesten 
Messungen von See geben dagegen 144794 + 143 km. Wenn Marius ferner (Mundus Jovialis, 
Blatt D2, Rückseite) den Erdhalbmesser = 859 Meilen schätzt, so ist dann allerdings das 4-Volum = 
+ Erdvolum. — Wie kritiklos Marius jedoch die Planetengrössen und andere Zahlen aufstellt, zeigt 
folgendes. An oben erwähnter Stelle des Mundus Jovialis sagt er auch, dass die (mittlere) Entfernung 
Erde—Sonne 1150 Erdhalbmesser, 'also = 987850 Meilen und da diese Entfernung =+44 der (mittleren) 


| 
| 


477 


Aus dieser Tabelle erkennt man, dass Marius bei weitem die schlechtesten Werte hat; 
so ist z. B. sein Wert des Jupitervolums ca. 6700 mal zu klein. Man kann daraus schon 
ein Urteil über den „Astronomen“ Marius ableiten. 

Marius versucht sich auch an den Grössen der Fixsterne. Offenbar um nicht 
hinter Galilei, der in seinem Briefe an Giul. Medici (Februar 1611) erklärte: „Und wenn 
auch die Scheibe des Sirius nicht grösser als der 50. Teil von jener des Jupiter zu sein 
scheint... ..*, zurückzustehen, gibt Marius ebenfalls die Grösse eines Fixsterns an, indem 
er anführt, dass der Durchmesser des „Cor Leonis, soweit er habe schätzen können, kaum 
der vierte Teil des Diameters Jovis sei.“ Er fügt aber dann eine Bemerkung bei, die 
geradezu beschämend für ihn (Marius) ist: „(Cor Leonis) wäre demnach um em geraumes 
als ungefähr 4mal kleiner als der Erdboden“ (Prognostikum auf 1613, Vorrede). Natürlich, 
wenn a (cor Leonis) = 4 b (Jupiter) und b=;+ c (Erde), so muss sicherlich a bedeutend 
kleiner sein als +c, da ja a=,„4c wäre. Dies ist unbestreitbar; und es wäre auch hier 
richtig, wenn Cor Leonis und Jupiter dieselbe Entfernung von der Erde hätten. Man kann 
nicht annehmen, dass Marius seine fixe Idee von den geringen Entfernungen der Fixsterne 
soweit getrieben habe, dass er Cor Leonis und Jupiter in dieselbe Sphäre zu legen für 
nötig fand, sondern man muss wohl als Entschuldigung zulassen, dass Marius hier, wie es 
auch der alte Homer manchmal tat, etwas geschlafen habe. 

Man kann über eine Kritik obiger Zahlen des Marius hinweggehen, obgleich er selbst 
von seiner Leistung eine hohe Meinung hat, wenn er (Prognostikum 1613) sagt: „ich will 
mit Galilei nicht hart streiten, wenn dieser etwas anderes gefunden habe. Doch weiss ich 
gewiss, wo je ein merklicher Differenz zwischen uns sein sollte, dass er näher meiner 
observation wird beistimmen, als Tychonis, oder der alten Astronomen‘. — Galilei hat 
wohl dieses Prognostikum nie gelesen; er würde sich auch für eine solche captatio bene- 
volentiae kaum bedankt haben. 

Ein weiteres Beispiel für die eigentümliche Art des Marius, angebliche Beobachtungen 
zu verarbeiten, bringt der folgende Abschnitt. 


ß) Die Breitenabweichungen der Trabanten bei Marius und Galilei. 


In seinem Sidereus Nuntius verzeichnet Galilei über 70 Trabantenbeobachtungen 
(7. Januar bis 2. März 1610). Bei mehr als 40 Beobachtungen fügt er bei, dass die 
beobachteten Trabanten genau in einer geraden Linie liegen, die durch den Jupiter gehe 


Entfernung Sonne— 2 angegeben wird, so berechnet sich letztere = 5338270 Meilen und ungefähr auch 
— der mittleren Distanz Erde—4. Bestimmt man jedoch diese mittlere Entfernung aus den Mariusschen 
Angaben für die Grösse des 4 (Durchmesser 1000 Meilen = 1‘), so erhält man als mittlere Distanz 
des 4 von der Erde nur 3518000 Meilen statt der obigen 5388000 Meilen, Werte, die unter sich 
gar nicht übereinstimmen und überhaupt ca. 20mal zu klein sind. 

2. Nach Marius ist also die mittlere Distanz Erde—4 ungefähr 5388000 Meilen; wenn er 
ferner den Bahnhalbmesser des vierten Trabanten zu 13000 Meilen berechnet, so müsste der Winkel, 
unter dem dieser Halbmesser von der Erde aus erscheint, 8,3' betragen. Marius selbst aber sagt, das 
er diese Grösse zu 13' gemessen habe, Dies ist also ein Wert, der um mehr als 50° grösser ist 
als der berechnete. 

Dies sind einige Beispiele, die deutlich zeigen, mit welch unverzeihlicher Kritiklosigkeit Marius 
seinen Mundus Jovialis abgefasst hat. 


478 


und zur Ekliptik parallel sei; 12 mal notiert Galilei die nördliche oder südliche Abweichung 
eines Trabanten von diesen Geraden (13., 15., 17., 20., 22., 24., 26., 30., 31. Januar, 
11. Februar, 1., 2. März). Die Erscheinung der Trabantenabweichungen, die Galilei schon 
bei seiner 6. Beobachtung (13. Jan. 1610) der Trabanten entdeckte, konnte zu damaliger 
Zeit mangels theoretischer und technischer Hilfsmittel natürlich nicht einwandfrei erklärt 
werden. Man wusste damals noch nicht, dass die Bahnen der Trabanten zur Jupiter- 
bahn geneigt sind und Galilei nahm an, dass die Jupitermonde sich in Ebenen 
bewegten, die zur Ekliptikebene parallel seien. 

Nach dieser Theorie müssten also die Trabanten zur Zeit ihrer Maximalelongationen 
immer in der durch den Jupiter gezogenen zur Ekliptik parallelen Geraden verweilen, in 
allen übrigen Stellungen aber von derselben im Allgemeinen abweichen; sie blieben dabei 
natürlich in den parallelen Ebenen und nur von jener Geraden wichen sie, je nach der 
Stelle des Trabanten in seiner Bahn und je nach der Breite des Jupiter, nördlich oder 
südlich ab. Galilei erläutert diese Erscheinung erst in seinem Saggiatore (1623) näher und 
sagt, dass die Abweichungen im oberen Teil der Trabantenbahnen (d. h. von der westlichen 
bis zur östlichen Maximalelongation oder, wenn wir den Punkt der oberen heliozentrischen 
Konjunktion mit 0° bezeichnen, von 270 bis 360° oder 0° und von da bis 90° eines Umlaufs) 
südliche und im unteren Teil (von 90 bis 270°) nördlich sein müssen, wenn die Breite des 
Jupiter, wie 1612 und 1613, eine nördliche ist; anfangs 1610, da die Breite des Jupiter 
südlich war, mussten die Abweichungen den vorigen entgegengesetzt verlaufen; Ende 1610 
und anfangs 1611, da Jupiter in der Ekliptik 
oder ganz in der Nähe stand, durften sich 
nach Galileischer Theorie keine Abweichun- 
sen zeigen. In beistehender Figur, wo E die 
Erde (eigtl. die Sonne), EX ein Vertikalschnitt 
der Ekliptikebene, J und Jı der Jupiter in 
nördlicher und südlicher Breite (+ ß), o und u 
die Lage eines Trabanten in oberer und unterer 
Konjunktion seien, sind die Verhältnisse sche- 
matisch dargestellt. « und o, erscheinen uns von der Erde aus nördlich, o und u, südlich von der 
zur Ekliptikebene parallelen und durch J oder J, senkrecht zur Tafelebene gezogenen Geraden.!) 


!) Über die Breiten der Trabanten hat Galilei, wie sich aus dem Beobachtungsjournal und den 
Konstellationen der Lettere Solari ergibt, schon frühzeitig, nicht erst 1623 zur Zeit des Saggiatore, seine 
Theorie der zur Ekliptik parallelen Bahnen aufgestellt. In der Tat wurde diese Theorie auch durch 
seine Beobachtungen 1610 und 1612/13 teilweise scheinbar unterstützt. Doch muss hier betont werden, 
dass die Messung der Abweichungen von den Parallelen zur Ekliptik in damaliger Zeit eine Aufgabe 
sein musste, die aus mehreren Gründen schwer zu lösen war. Einmal war die Orientierung der Parallelen 
zur Ekliptik selbst komplizierter Natur, ferner galt es bei den Breitenbestimmungen Sekundengrössen zu 
messen, was bei den damaligen technischen Hilfsmitteln mit dem Fernrohr nicht direkt möglich sein 
konnte. Galilei selbst gibt für die Quantität dieser Abweichungen nur einmal eine bestimmte Zahl an: 
am 22. Januar 1613 (6b 50m ab occasu) beobachtet er den 1. und 4. Trabanten in Konjunktion der Länge 
nach und verzeichnet dabei zwischen beiden eine Breitendifferenz von (ferme) 0'45; damit meint er jeden- 
falls # Jupiterhalbmesser. Nimmt man den Jupiterhalbmesser zu 24", so wäre das Galileische 0'45 un- 
gefähr 18". Aus den Angaben und Formeln J. A. C. Oudemans (Arch. Neerl., 1903, p. 151 und 185) 
würden sich 23" errechnen. Im übrigen begnügt sich Galilei mit der einfachen Konstatierung 


479 


Simon Marius hat nun diese Angaben, dass die Trabanten in Geraden sich bewegen, 
die zur Ekliptik parallel sind ete., aus dem Sidereus Nuntius des Galilei in seinen Mundus 
Jovialis übernommen. Als 6. Phänomen führt er (Mund. Jov., Blatt B3, Rückseite) genau 
wie Galilei folgendes aus: „Diese Trabantenbahnen bewegen sich in einer zur Ekliptik 
parallelen Linie, weichen jedoch bei ihrem Umlauf von dieser Parallelen merklich ab. 
bald nördlich, bald südlich, was besonders sichtbar ist, wenn zwei (Trab.) in Konjunktion 
stehen, von denen der eine sich dem Jupiter nähert, der andere sich entfernt.“ Weiter 
erklärt er dies (Blatt C4): „... ich erkannte endlich, dass diese Trabanten in der Maximal- 
elongation immer in der vorgenannten parallelen Linie verweilen, ausser diesen Grenz- 
punkten aber immer von ihr abweichen und im oberen Teile ihrer Kreisbahn südlich, 
im unteren aber nördlich seien, und dass die grösste Abweichung in der Nähe des 
Jupiter stattfinde‘. Die Grösse der Abweichung jedoch konnte Marius, wie er sagt, mit 
seinem Instrumente nicht messen und er schätzte, da der 4. Trabant bei seinen Konjunktionen 
mit 9 nie oberhalb oder unterhalb des 2} vorübergehe, die maximale Abweichung des 4. 
zu 15°, beim 3. auf 12%, beim 2. und 1. jedoch auf 10“. Auf diesen Grundlagen hat 


der Abweichung. Die Breitenabweichungen, die Galilei beobachtet, waren alle nur relative; es scheint 
damals unmöglich gewesen zu sein, die absoluten Abweichungen von der Ekliptikparallelen zu erkennen 
oder gar zu messen. In den Beobachtungen Galileis findet man eine Stelle, die andeutet, dass er 
bestrebt war, die Lage der Bahnebenen der Trabanten zu finden. Bei der Beobachtung am 1. Febr. 1612 
macht er folgende Bemerkung mit Bezugnahme auf ein Instrument, mit dem er vom 31. Jan. 1612 an 
die Trabantendistanzen genau ermittelte: „Nota, quod si in instrumento, quo distantiae capiuntur, note- 
tur linea, quae illum secet secundum angulum, quo ductus Eelypticae secat parallelum aequatori in loco 
Jovis, per motum Jovis in hac linea, cognoscetur numquid Medicei Planetae feruntur in planis Ecelypticae 
parallelis“. Diese Vorschrift wird Galilei kaum ausgeführt haben und sie hätte ihn auch nicht zum Ziele 
führen können. Die absolute Breitenbestimmung war Galilei nicht möglich und die genaue Untersuchung 
seiner Trabantenabweichungen mit Hilfe moderner Tafeln zeigt ganz sicher, ebenso wie gewisse Be- 
merkungen Galileis selbst, dass er nur relative Breiten angibt, d.h. er geht in seinen Beobachtungen 
nicht von der oftgenannten Parallelen aus, sondern er bezieht sich auf eine in der Konstellation selbst, 
gewöhnlich durch einen oder zwei vom 4 entfernter stehende Trabanten und zugleich durch den 4 
gegebene Gerade; weicht nun ein anderer, zu gleicher Zeit sichtbarer Mond von dieser Geraden nördlich 
oder südlich ab, dann verzeichnet Galilei in der Beobachtung nördliche oder südliche Breite für diesen 
Mond. In seinem Beobachtungsmanuskript, welches im 2. Teil des III. Bandes der Galileiausgabe er- 
scheinen soll und von dem mir Herr A. Favaro einen Abdruck gütigst hat zukommen lassen, hat Galilei 
eine solche Gerade durch den 4 bei allen Beobachtungen vom 27. Nov. 1612 bis zum 23. Febr. 1613, ebenso 
in den für 1. März bis 8. Mai 1613 voraus berechneten Konstellationen der Lettere Solari eingezeichnet und 
durch die Zeichnung kenntlich gemacht, welche Monde nördlich, südlich oder in der Geraden liegen. 
Dass diese Gerade meistens nicht genau die zur Ekliptik Parallele ist, zeigt z. B. die Beobachtung vom 
13. Febr. 1610. Östlich von 4 sind der 4. und 1., westlich der 2. und 3. Trabant sichtbar in den 
resp. Entfernungen 6‘, 2‘, 3',5 und 4’ vom 2%; die Berechnung nach Herrn Oudemans Angaben liefert 
für dieselbe Reihenfolge die Abweichungen: — 31"; — 2"; +12; +16". Sie liegen (mit Ausnahme 
des 1.) ungefähr in einer Geraden, aber sicherlich nicht in der zur Ekliptik parallelen; Galilei jedoch 
sagt: „Omnes in eadem recta ad amussim secundum Eelypticae longitudinem‘. — Wenn wir ferner 
für 29. Febr. 1612, 6h ab oce. für den 1., 2. und 4. Trabanten (westlich) die Abweichungen +5”, +12”, 
—-12" und die Distanzen ca. 4‘, 8° und 9° finden, so neigt der 4. Trabant sicher nicht nach Süden, wie 
Galilei verzeichnet. Die Beobachtung ist jedoch ganz richtig, wenn wir beachten, dass 4, der 1. und 
2. Trabant eine Gerade darstellen, von welcher der 4. tatsächlich südlich abweicht. — Wenn also Galilei 
die Parallele zur Ekliptik als Richtlinie der Trabantenabweichungen zu nehmen meint, so ist das immer 
nur annähernd, aber nicht genau richtig; und seine Breitenangaben sind nur relative. 


i 


480 


Marius eine Tafel berechnet, welche zu jedem gegebenen Wert der mittleren Bewegung die 
„Breite* der Trabanten geben sollte. 

Des Marius Tafel stellt nun die Theorie von den zur Ekliptik parallelen Bahnebenen 
nur für einen Fall qualitativ (nicht quantitativ) dar, nämlich wenn die Breite des 
Jupiter nördlich ist, wie sie zur Zeit der Abfassung des Mund. Jov., also 1613, war. 
Aber Marius hat übersehen, dass die Richtungen der Abweichungen bei negativer 
Breite des 2 den Breiten seiner Tafel gerade entgegengesetzt sein und überhaupt 
verschwinden müssen, wenn der 9, wie es 1610/11 der Fall war, in der Ekliptik stand.t) 

Galilei macht in seinem Saggiatore diesen Fehler dem Marius zum Vorwurf und sieht 
darin sogar den Beweis dafür, dass Marius 1610 und 1611 überhaupt nicht beobachtet und 
deshalb auch die Trabanten nicht hatte entdecken können. Diese Beweisführung Galileis 
ist jedoch nicht ganz stichhaltig, da die Galileische Theorie von den Abweichungen nicht 
als genügendes Kriterium der Erscheinungen gelten kann und wenn sie auch die tatsäch- 
lichen Erscheinungen anfangs 1610 und auch 1613 teilweise erklärte, so stand sie doch 
zu anderen in direktem Gegensatz (vergl. hiezu die Abhandlung von Oudemans und Bosscha, 
Arch. Neerland. 1903, 2. Lieferung, p. 151)?). 


!) Herr Oudemans und Bosscha behaupten, Marius habe die richtige Idee gehabt, dass die Ebenen 
der Trabantenbahnen zur Ekliptikebene geneigt gewesen seien, allerdings aber darin einen Fehler ge- 
macht, dass er die Apsidenlinie immer senkrecht zur Linie Sonne—% und parallel zur Ekliptik gestellt 
habe. — Diese Behauptung ist, soweit sie die Neigung der Babnebenen betrifft, nicht richtig. Es 
ist festzustellen, dass Marius nirgends von einer Bahnneigung spricht (man vergleiche hiezu: 
Mundus Jov. Blatt B3 Rückseite, C+ und E 3 Rückseite). Er spricht nur von der zur Ekliptik parallelen 
Geraden durch Jupiter und von nördlichen und südlichen Abweichungen, in derselben Weise, wie er sie 
bei Galilei besprochen und verzeichnet findet, nie aber von Ebenen, und er geht jedem Versuch zur 
Erklärung der Erscheinung aus dem Wege. 

2) Diese Beweisführung suchen die Herren Oudemans und Bosscha auch durch folgende Erklärung 
zu entkräften. Marius sage selbst, er sei erst spät, wohl in der 2. Hälfte seiner Beobachtungszeit, 
also ca. um 1613, zur Kenntnis der FTrabantenabweichungen gekommen und habe daher in 
seinen Tafeln und Theorie die Erscheinungen geschildert, wie sie sich tatsächlich 1613 gezeigt hätten. Die 
früheren Erscheinungen habe er nicht beobachtet und daher auch in seiner Theorie nicht berücksichtigen 
können. Galileis Beweisführung sei also hinfällig. — Diese Ausführungen der Herren Oudemans und 
Bosscha stützen sich auf die Bemerkung des Marius (Mund. Jov. © 4 Vorderseite, Zeile 12): „Tarde ad- 
modum in cognitionem hujus phaenomeni veni...“ und sie übersetzen cognitio mit Kenntnis. Es 
ist jedoch der Nachweis nicht schwer, dass hier cognitio nicht mit Kenntnis, sondern mit Erkenntnis 
zu übersetzen ist. Zunächst widerspricht der Annahme, dass Marius erst spät die Existenz der Trabanten- 
abweichungen erfahren habe, der Ausspruch (C 4, Zeile 1): „Hoc quoque phaenomenon manifeste in 
oculos incurrebat..“ Ferner aber wissen wir von Marius selbst, dass er schon im Juni 1610, 
also im Anfang seiner angeblichen Trabantenbeobachtungen, den Sidereus Nuntius Galileis in Händen 
hatte. In diesem spricht Galilei mehr als 40 mal bei seinen 73 Beobachtungen von der zur Ekliptik 
parallelen Linie, in der sich die Trabanten bewegen, und 12 mal verzeichnet Galilei Abweichungen 
der Trabanten von jener Linie. — Marius hatte also schon sehr frühe, schon Mitte 1610, Kennt- 
nis von den Abweichungen. Dagegen gelang ihm die teilweise Erkenntnis von dem Verlauf 
dieser Erscheinungen sehr spät, erst Ende 1613, nachdem ihm durch die Konstellationen Galileis in 
den Lettere Solari die Theorie ad oculos demonstriert worden war. Er wusste also schon im Juni 1610 
von jener Erscheinung, musste also als gewisserhafter Beobachter sein Augenmerk darauf richten und 
durch die Beobachtungen zur Einsicht kommen, dass seine Tafel gerade den Erscheinungen von 1610, 
besonders aber auch von 1611 und zum grössten Teil auch von 1612 direkt widersprechen. — In dieser 
Beziehung bleibt also der Einwand Galileis zu Recht bestehen. 


u 


481 


Man fragt sich, wie es kommt, dass Marius einerseits Galileis Beobachtungen verwertet, 
andererseits aber die Folgerungen aus denselben in seiner Breitentafel nicht allgemein dar- 
stellt oder darzustellen vermag? 

Man muss wohl annehmen, dass Marius, da sich Galilei damals theoretisch darüber 
noch nicht direkt geäussert hatte, noch nicht erkannt hatte, dass die scheinbaren Trabanten- 
abweichungen von der Breite des Jupiter etc. abhängig seien. — Andererseits gibt es doch 
eine leichte Erklärung für die Grundlagen der Breitentafel des Marius. Wir sind gewohnt, 
die Ursache für jede neue Errungenschaft des Marius bei Galilei zu suchen; und wirklich 
sind wir auch jetzt wieder in der Lage, die Quelle angeben zu können, aus der Marius 
offenbar schöpfte: Es sind die Lettere Solari Galileis. In dem Anhang hiezu gab 
Galilei die Konstellationen der Trabanten vom 1. März bis 8. Mai 1613, die graphische 
Darstellung ihrer Lage zu Jupiter. Jedem aufmerksamen Betrachter dieser Zeichnungen 
muss auffallen, dass die Trabanten meistens nicht in einer Geraden mit Jupiter 
liegen — ein Umstand, der bisher noch nicht erforscht und gewürdigt worden ist. Ver- 
folgt man aber die Zeichnungen an der Hand der berechneten mittleren Trabantenörter, 
dann enthüllt sich uns der Grund für die scheinbar unregelmässige Stellung der Trabanten 
zur Geraden und wir erkennen dann in den Galileischen Zeichnungen die Grund- 
lage für die ganze Weisheit, die Marius über die Trabantenabweichung in 
seinem 6. Phänomen und den Tafeln niederlegte: 

1. Die Trabanten befinden sich in ihren Maximalelongationen stets in der durch den 
9, gehenden, zur Ekliptik parallelen Geraden, 2. an allen anderen Orten weichen die Tra- 
banten von dieser Geraden ab, 3. in dem oberen Teil ihrer Bahn (270° bis 90°) befinden 
sie sich südlich, im unteren Teil (90° bis 270°) nördlich von jener Geraden, 4. die Maximal- 
abweichung findet immer in der Nähe des 9 statt, 5. der 4. Trabant geht nie nördlich 
oder südlich an 9 vorüber, 6. die Maximalabweichung des 4. Trabanten ist ungefähr = 
2 Jupiterhalbmesser, also — wenn der 9 = 1’ gesetzt wird — = 15"; die Maximal- 
abweichungen der übrigen Trabanten sind etwas kleiner und man kann sie mit Marius auf 
12“ resp. 10” schätzen), 7. die Abweichungen sind besonders sichtbar, wenn 2 Trabanten 
einander begegnen etc. 

All dies erkennt man aus den Konstellationen Galilei. — Marius hat. 
diese Resultate aus Galileis Zeichnungen verwertet und Tafeln konstruiert, die 
also nur auf Galileis Zeichnungen passen, dagegen mit den tatsächlichen Er- 
scheinungen (auch für 1613) nur teilweise übereinstimmen. Marius beschreibt 


1) Für März 1613, die Zeit, für welche Galilei die Konstellationen der Trabanten in den Lettere 
Solari verzeichnet, ist in den Ephemeridentafeln von Magini die Breite des 4 zu 10 40° angegeben. Aus 
dieser Breite und den Mariusschen Grössen für die mittlere Jupiterdistanz = 5388000 Meilen und für 
den Bahnradius des 4. Trabanten = 13000 Meilen, errechnet sich die Maximalabweichung des letzteren 
auf 145. Wenn Marius diese Grösse = 15" setzt, so stimmt dieser Wert mit der Rechnung gut überein. 
Es wäre also auch möglich, dass Marius seinen Wert durch Berechnung gefunden habe. Da er 
nun im Mundus Jovialis alle seine Berechnungen, die er für die Theorie oder Tafeln braucht, genau 
auseinandersetzt, die Berechnung der Maximalabweichung jedoch nicht berührt, so ist obige Annahme 
wohl abzuweisen; es ist auch gar nicht wahrscheinlich, dass Marius die Theorie, wie sie Galilei im 
Saggiotore auseinandersetzt, damals wirklich kannte oder verstand. Er würde sie sonst wohl im Mund. 
Jovialis beschrieben haben; in der Tat aber bringt er gar keine Theorie oder Erklärung für 
_ jene Abweichungen. 


Abh. d. II. Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 62 


482 


eigentlich nur die Galileischen Zeichnungen, nicht die tatsächlichen Erschei- 
nungen. Für die Erscheinungen findet er selbst keine Erklärung und es 
existiert kein Anhaltspunkt dafür, dass ihm der Gedanke an die Neigung der 
Bahnebenen der Trabanten zur Ekliptik- und Jupiterbahnebene vorge- 
schwebt sei. 

Die Übereinstimmung zwischen Galilei und Marius ist für 1613 so vollständig, dass 
jeder Zweifel betreffs der Abhängigkeit des Marius von Galilei schwindet. Die Dar- 
stellung und Tafel der Abweichung, wie sie Marius gibt, stützt sich auf den 
Sid. Nuntius, in allen Einzelheiten-aber auf die Lettere Solari Galileis. 


y) Genauigkeit der Messungen des Marius. 


Wir kommen nun zu den eigentlichen Messungen mit Hilfe des Fernrohrs.. Noch 
einmal greifen wir auf das Prognost. zu 1613 zurück, wo Marius folgendes schreibt: „Also 
hab ich Veneris prope conjunctionem Solis, da sie corniculata oder falcata gewesen, mit 
dem ganzen Diameter nichts sonderliches über 3 Min. occupirn sehen....; da sie also in 
media elongatione 1 minutum primum cum 20 secundum (!) eirciter innen bat.“ — Nach 
neueren Resultaten ist der kleinste Wert des scheinbaren Äquators der Venus von der Erde 
gesehen 975 und der grösste 65.2. In der mittleren Entfernung der Venus von der Erde 
wird jene Grösse ca. 35“ sein. Marius gibt also den Venusdurchmesser für die untere 
Konjunktion!) ca. dreimal zu gross und die für die mittlere Entfernung ca. zweimal zu 
gross an. Das wäre ja für die damalige Zeit ein immerhin noch entschuldbarer Fehler. 
Dagegen hat Marius in diesen Zahlenangaben den strikten Beweis dafür geliefert, dass er 
Ende 1612 nicht im Stande war, Längen von 1 Minute oder von noch geringerer 
Grösse auch nur angenähert zu bestimmen. — Im Mund. Jov. erzählt er auch (auf 
Blatt A 1, Rückseite, sogar dreimal, und auf Blatt A 3 Rückseite), dass er „durch häufige, 
fleissige und tägliche Beobachtung“ den Jupiterdurchmesser für die mittlere Entfernung von 
der Erde zu ungefähr 1 Minute bestimmt habe. — Da nun der Jupiter in der mittleren 
Entfernung von der Erde 37—38" Durchmesser hat, so hat Marius auch dieses Objekt, dass 
er doch so oft beobachten musste, fast doppelt zu gross gemessen. Auffallend ist es, dass 
Marius keine direkte Massangabe für die Maximalgrösse des Jupiter macht, während 
er sie für die Venus bringt. Die Erklärung hiefür und für obige Masse finden wir wieder 
bei Galilei. Dieser gab nämlich in seinem Nunt. Sid. 1610 und im Discorso 1612 die 
Grösse des Jupiterdurchmessers auf l Minute an und diesen Wert Galileis nahm Marius 
offenbar in seine Schriften und Berechnungen auf. Tatsächlich war bei Galilei obige Grösse 
nur eine- Abkürzung für Jupiterdurchmesser; denn 1612 hatte Galilei schon ganz vorzüg- 


!) Marius hat die Venus nach seinem Progn. zu 1612 angeblich Ende Februar 1611 beobachtet; 
und die untere Konjunktion der Venus mit der Sonne fand ca. am 1. März 1611 statt. Damals hat 
Marius noch keine Diametermessungen gemacht, sonst würde er sie wohl im Prognosticum auf 1612 
gebracht haben. Die nächste untere Konjunktion war ca. am 6. Oktober 1612. :Marius musste also die 
im Progn. zu 1613 verzeichneten Diametermessungen um diese Zeit gemacht haben. — Dies wäre dann 
ein Beweis dafür, dass Marius sein Prognost. auf 1613 erst gegen Oktober 1612 fertiggestellt hätte, — 
ein Zeittermin, bis zu welchem es ihm leicht möglich gewesen sein musste, den Discorso sui Galleggianti 
Galileis mit den Perioden und Geschwindigkeiten der Trabanten zu erhalten. (Siehe p. 466—467.) 


483 


liche Werte für den Jupiterdurchmesser, die er allerdings nicht veröffentliche!). Über die 
Anderungen des Jupiterdurchmessers bei den Entfernungsänderungen veröffentlichte Galilei 
ebenfalls keine Notiz und dies scheint fast der Grund dafür zu sein, dass auch Marius nichts 
darüber und nichts über den Maximalwert des Jupiterdurchmessers schreibt. 

Über die Venus finden wir dagegen bei Galilei derartige Notizen. Er hatte am 
1. Januar 1611 an Giul. Medici geschrieben, dass der Venusdurchmesser zuerst (in Erdnähe) 
fünfmal so gross gewesen sei als später (in Erdferne). Daraus kann man also durch ein- 
fache Rechnung entnehmen, dass die Venus in der Erdnähe nicht ganz 21 mal so gross 
sein musste, als in der mittleren Entfernung von der Erde. Wenn nun Marius in seinem 
Progn. zu 1613 die Grösse der Venus in Erdferne über 3 Minuten und in mittlerer Erd- 
ferne zu 1°20“ notiert, so ist auch bei Marius erstere Grösse (nicht ganz) das 21 fache 
der letzteren, genau das Resultat wie es sich aus Galileis Brief ergeben hat. Also in jeder 
Beziehung völlige Übereinstimmung mit Galilei, die allerdings erklärlich ist, wenn man 
weiss, dass Marius jenen Brief Galileis aus Keplers Dioptrik genau kannte. Da jedoch 
Galilei die Grösse des Venusdurchmessers selbst nicht angibt, ist Marius wieder eigener 
Forschung überlassen und dabei findet er statt 65“ mehr als 1802). 


') In der von Alberi besorsten Ausgabe der Galileischen Werke finden sich Bd. V 1. Teil, in der 
Anmerkung zu 8.176 drei Bestimmungen des Jupiterdurchmessers. So berechnete Galilei aus Beob- 
achtungen am 21. März 1612 für die Erdnähe des Jupiter (10. Febr. 1612) dessen Durchmesser zu 50”, 
während man heute 50’7 annimmt. Ebenso findet er am 21. Jan. 1612 diese Grösse — 41'37'' und 
am 9. Juni 1612 = 39"24"'. Wenn auch die 2. Bestimmung, die zeitlich noch näher der Opposition des 
Jupiter (10. Febr. 1612) liest als die erste, um einige (ca. 8) Sekunden zu klein ist, so stimmt doch der 
3. Wert, der ca. 20 Tage nach der Quadratur des Jupiter gefunden wurde, mit 39°4 wiederum in aus- 
gezeichneter Weise mit den neuesten Messungen von See überein, der den Mittelwert des Jupiteräquators 
—= 38°404 + 0.038 angibt. Es sind dies jedoch nicht die einzigen Messungen Galileis aus jener Zeit, 
die unsere Bewunderung erregen; wir haben auch Messungen Galileis für Mars und Saturn, die als 
sehr anerkennenswerte Leistungen zu bezeichnen sind. Nach circa 7 monatlicher Saturnbeobachtung 
berichtet Galilei (12. Febr. 1611) über die Saturnbegleiter. (Galilei erkannte damals den Ring des Saturn 
noch nicht als solchen, sondern glaubte noch an zwei diametral sich gegenüberstehende, unbewegliche 
Saturnbegleiter und spricht demnach von der Dreikörpergestalt des Saturn; erst später, i. J. 1616, scheint 
er, nach einer Zeichnung in seinen Manuskripten zu schliessen, die Ringfigur gesehen zu haben. (Vergl. 
hiezu Alberi, opere dı Galilei, V, 1, p. 35 und Favaro, Atti d. R. Istit. Veneto, T. LX, P II., p. 428.) 
Galilei behauptet in jenem Briefe, dass der Durchmesser der Begleiter nicht 4" erreichten, und 
dass der eigentliche Saturndurchmesser viermal so gross sei als diese. Hiemit gibt also Galilei 
ein Mass für den Saturndurchmesser = 4°4 = 16". Wenn wir nun aus neueren exakten Messungen, 
je nach der Saturnentfernung dieselbe Grösse —= 15’5 bis 215 entnehmen, so haben wir auch hier eine 
staunenswerte Leistung Galilei. Über den Mars, dessen Lichtfülle eine genaue Untersuchung mit den 
damaligen Fernrohren sehr erschwerte, berichtet Galilei am 30. Juni 1612 an Cesi, dass Mars in seiner 
grössten Erdnähe 60 mal so gross erscheine als in seiner grössten Entfernung; damit meint Galilei das 
Flächenverhältnis. Daraus würde eine 7 bis 8fache Durchmesservergrösserung resultieren zwischen 
Erdferne und Erdnähe. Da nun nach neueren Bestimmungen der Marsdurchmesser zwischen 3°5 und 2576 
schwankt, also eine mehr als 7 fache Vergrösserung konstatiert ist, so stimmt auch hier Galileis Resultat 
mit den neueren Werten schön überein. Man sieht, wie hoch Galilei in der Messung kleiner Grössen 
über Marius steht. 

2) Hierzu möge bemerkt werden, dass Marius im Mund. Jov. (Blatt A 3 und 4) auch die Grössen 
der Trabantendurchmesser schätzungsweise gibt. Der 1., 2. und 4. Trabant sei = 's, der 3. aber 
— 4 Jupiterdurchmesser (1). Demnach wäre bei Marius der 1., 2. und 4. Trabant = 5’ und der 3. 


- =7°5 im Durchmesser. Diese Grössen sind jedoch nach neueren Messungen 1”V13; 0’911; 17488: 1.273 


A 


62* 


484 


Aus den vorausgehenden Darlegungen ergibt sich das sichere Resultat, dass Marius’ 
Fähigkeit, kleine Grössen zu messen, auf einer ziemlich niedrigen Stufe stand. Diese Fol- 
gerung wird noch weiter gestützt durch die Betrachtung der Mariusschen Angaben über 
den Bahnradius des 4. Trabanten. Die Bahnradien der 4 Trabanten gibt Marius zu 3‘, 5‘, 
8‘, 13° an und gesteht auch zu, dass er Galileis Beobachtungen aus dem Sid. Nunt. hiebei 
zu Rate gezogen habe. Eines allerdings hatte Galilei in seinen Schriften nicht verraten, 
nämlich die Methode seiner Periodenbestimmungen. Galilei beobachtete die Zeiten der 
Okkultation und der Verfinsterungen der Trabanten durch den Jupiterschatten und war 
dadurch unabhängig von den schwierigen Distanzmessungen!). — Einen anderen, die Mass- 
angabe vereinfachenden Gebrauch Galileis hatte Marius nicht verstanden. Galilei gab be- 
kanntlich die Distanzen der Trabanten im Sid. Nunt. etc. in Minuten an. Im Anfange 
seiner Beobachtungstätigkeit verstand Galilei auch tatsächlich die Bogenminute darunter 
und hielt dies für die Grösse des Jupiterdurchmessers, den er demnach als Einheit seinen 
Massen zu grunde legte („notai tali interstizi colle semplice relazioni al diametro del corpo 
di Giove“; Discorso). Dadurch konnten die Bahnradien der Trabanten für alle Entfernungen 
des Jupiter stets durch dieselben Zahlen ausgedrückt werden und bis heute hat man diesen 
Gebrauch beibehalten. Auch später (1612), als Galilei bereits sehr genaue Masse des Jupiter- 
durchmessers besass, bezeichnete Galilei denselben noch immer mit der abgekürzten Bezeich- 
nung 1‘, ohne damit die Bogenminute zu meinen. Marius jedoch kam nicht auf diesen 
glücklichen Gedanken, den Jupiterdurchmesser als Masseinheit zu benützen und daher musste 
er bestrebt sein, für jeden Bahnradius die der betreffenden Jupiterentfernung entsprechende 
Zahl in Bogenmass angeben zu können. Nun hatte Marius für die Grösse dieser Verände- 
rungen bei Galilei natürlich gar keine Anhaltspunkte und der Mangel an eigenen Beob- 
achtungen .hierüber, seine Ratlosigkeit und sein vergebliches Bestreben, einen Ausweg aus 
dieser Schwierigkeit zu finden, erhält beredten Ausdruck an einigen Stellen des Mundus 
Jovialis, wo Marius in ganz verwirrter. und widersprechender Weise über die Grösse des 
Bahnradius des 4. Trabanten sich hören lässt. So heisst es (Blatt A 1, Rückseite): „Per 
proprias et per Galilaei observationes deprehensum est, quartum Jovis erronem, id est, qui 
maxime elongatur a Jove, in media Jovis a terra distantia ad 13 quasi minuta, a Jove 
in utramque partem excurreret. Accipiam autem in praesenti 14 minuta, ut sane largus 
sim, et ne nimium hoc Joviale theatrum coaretem; Jupiter in tali a terra distantia oc- 
cupet minutum unum suo visibili diametro.“ 


und nach den neuesten von See = 0672 + 0'098; 0.624 + 0078; 1°361 # 0103; 1?277 + 02083. Die 
Mariusschen Schätzungswerte sind also 4 bis 8mal zu gross. Eine Folge dieser Werte des Marius hätte 
nun die sein müssen, dass z. B. der 1. und 2. Trabant, sobald sie mit gleichgerichteten Breiten zusammen- 
trafen, sich fast immer decken mussten im grössten Teil der Bahn des 1. Trabanten. Man sieht auch 
hieraus, wie sich Marius über die difiizilsten Messungsobjekte auslässt, ohne irgend eine experimentelle 
Unterlage für seine Angaben zu haben. 


I) Die Schwierigkeit einer genauen Del wurde noch dadurch gesteigert, dass die 
Messung wegen der Bewegung der Trabanten in kurzer Zeit erledigt sein musste. Auch Galileis Distanz- 
messungen waren 1610 und 1611 sehr fehlerhafte; doch waren sie für ihn nicht: von fundamentaler 
Bedeutung, wie für Marius. Er benutzte sie nur als ungefähre Kontrolle über seine vorausberechneten 
Ephemeriden. Während Galilei früher die Distanzen nach dem Augenmasse (a occhio) angab, benützte 
er vom 31. Januar 1612 ein Messungsinstrument, das ganz gute Resultate lieferte, dessen Einrichtung 
von Galilei jedoch nicht beschrieben wird. (Siehe Gal. op., ed. Alberi, V.1.) 


485 


Später (Blatt A 2) sagt Marius: „Observatum autem est, ut modo dixi, quartum Jovis 
eirculatorem in media Jovis a terra distantia ad 13 minuta utrimque a Jove recedere“, 
und auf Blatt Bl: „Quartum, qui distantiam 13 vel 14 minutorum terminum sui exeursus 
agnoscit“. Schliesslich liest man (B 4, Rückseite): „Atque hac ratione tandem deprehendi: 
Quartum a Jove 13 minutis utrinque excurrere.., Tertium octo, Secundum quinque, Pri- 
mum 3. Notandum tamen has maximas digressiones recte se habere, quando Jupiter est 
in quadrato solis et in media a terris elongatione. Nam circa oppositiones Jovis 
cum Sole, manifeste hae distantiae augentur. Praecipue autem Quarti, quem 14 minut. 
non saltem adaequare, sed etiam aliquantulum excedere deprehendi. Ita appropia- 
quante sole ad Jovem, vel quando 9 erat extra radios solares, ita ut observari et videri 
haee sidera potuerint, inveni has distantias manifeste imminui et coarctari. Verum per 
instrumentum meum hanc augmentationem et diminutionem dimetiri hactenus 
mihi non lieuerit: Nescio enim an tantam admittant observationes, quantam 
quidem diversa elongatio Jovis a terra requirit. Ideo in praesenti de ea nihil 
determinare volui, hanc exquisitioribus et diligentioribus observationibus reservaturus. 
Itaque has distantias, quas tabulis posui, pro mediocribus habendas esse censeo, usque dum 
de hac etiam differentia, vel ut rectius loquar, de hoc defectu et excessu certo constiterit, 
suffieiatque candido logistae, atque harum rerum novarum caelestium admiratori, theoriam 
et tabulas habere, ex quibus facili negotio seire licet, uti spero, quae ex his sideribus sint 
orientalia, quae occidentalia, et in qua cireiter a Jove distantia. Incepi quidem hoc anno 
1613 etiam de defectu et excessu subtilius cogitare. Accepi autem pro media 
elongatione Quarti a 9) 12 primi 30 secunda. . 

Zuerst sagt also Marius, dass der Bahnradius des vierten Trabanten in mittlerer Ent- 
fernung des Jupiter von der Erde 13° sei, dass er aber „gegenwärtig 14° erhalte,“ — mit der 
eigentümlichen Begründung, damit er nicht zu wenig angebe und das Jupitertheater nicht zu 
sehr einschränke; — in soleher Distanz, also ebenfalls in mittlerer, sei der Jupiterdurch- 
messer 1‘. — Später (B 1) sagt er, dass die Distanz des vierten Trabanten 13’ oder 14’ beträgt 
und auf Seite B 4, dass diese Distanz bei mittlerer Jupiterentfernung 13‘, bei der Opposition 
des 91 jedoch 14’ und ein wenig mehr betrage. — Endlich vernehmen wir auch noch 
das wertvolle Geständniss, dass Marius mit seinem Instrument diese Ab- und Zu- 
nahme der Maximalelongationen überhaupt nicht messen könne, und doch sagt 
er gleich darauf, dass er begonnen habe darüber genauer nachzudenken (— Marius sagt 
nicht „beobachten“) und die mittlere Elongation des vierten Trabanten zu 12’ 30° 
gefunden habe. 

Für diesen mittleren Bahnradius des vierten Trabanten gibt also Marius rasch hinter 
einander drei verschiedene Werte 13‘, 14° und 12!/,‘, für den Maximalwert nimmt er 
14‘ und etwas darüber, obgleich er dabei versicherte, er wisse gar nicht, ob die 
Beobachtungen eine so grosse Veränderung bestätigen, wie sie die verschiedene 
Stellung des Jupiter zur Erde erfordern. 

Man bemerkt also hier bei Marius eine ganz auffallende Unsicherheit, ein Winden 
und Drehen um die einfache Tatsache, dass er selbst unvermögend war, ein positives Resultat 
zu finden, und schliesslich kommt zwischen hinein das Geständnis, dass diese Zahlenangaben 
gar nicht auf Beobachtungen beruhten oder nicht durch die Beobachtung geprüft waren. — 
Also wiederum Massangaben ohne jede experimentelle Unterlage! 


486 


Wenn nun Galilei sonst gewöhnlich der Mann war, von dem Marius sein sicheres 
Wissen nahm, so war er diesmal an der Unsicherheit des Marius schuld. Warum hat auch 
Galilei bei seinen Beobachtungen am 2. Februar 9% im Sid. Nunt. die Distanz des 
4. Trabanten zu 14° und am 19. Februar zu 13° angegeben. Letzteres Datum lag 
in der Nähe der Quadratur (Mitte März 1610), ersteres mehr gegen die Opposition des 
Jupiter (7. Dez. 1610) hin. Marius nahm also im Einklange mit dem Sid. Nunt. 
für die Zeit der Quadratur 13‘ oder 14°!) und für die Opposition 14° und etwas 
darüber als Elongation des 4. Trabanten. 

Woher kommt aber dann der dritte Mittelwert 124‘, nachdem Marius doch erklärt, 
er könne die Ab- und Zunahme nicht messen? Auch hier war Galilei sein Führer: In der 
ersten Konstellation der Lettere Soları, für den 1. März 1613, verzeichnete Galilei den 
vierten Trabanten in der Maximalelongation und wenn man diese und den Jupiter- 
durchmesser mit dem Massstab misst und die Längen vergleicht, dann erhält man bei 
Galilei das Resultat, dass die Maximalelongation = 12} Jupiterdurchmesser, 
welches Marius dann in die gebräuchliche Form 12°30“ bringt. 

Damit ist der Grund für die Verwirrung und die widersprechende Massangabe des 
Marius aufgeklärt. 

Nun ist noch zweierlei zu beachten. Wenn man nämlich die Grösse des Bahnradius 
des vierten Trabanten für die Zeit der Opposition und für die Zeit der Konjunktion des 
Jupiter mit der Sonne bei mittlerer Entfernung des Jupiter von der Sonne berechnet, so 
findet man 10‘ resp. 7‘; der Bahnradius nimmt also von der Konjunktion bis zur Opposition 
fast genau um 3° zu. Demnach ergibt sich also zunächst, dass Marius nach seinem 
eigenen Geständnis eine @rösse von 3° nicht mehr messen konnte. Zweitens bemerken 
wir aber noch folgendes: Marius gibt den Wert des Bahnradius für mittlere Entfernung 
und Quadratur des Jupiter zu 13‘ (oder 14‘) an, während diese Grösse in Wahrheit 
nur 8° beträgt. Er macht also bei dieser Fundamentalgrösse einen Fehler von 5‘.2) 


!) Herr Oudemans und Bosscha sagen auf Seite 159 ihrer Abhandlung: „Wir wissen nicht, aus 
welchem Werke Galileis Marius die Zahl 14' genommen haben könnte.“ In der erwähnten zweiten 
Beobachtung Galileis vom 2. Februar 1610 liegt die Antwort auf jene Frage. 


2) Für die anderen Trabanten könnte man ähnliche Berechnung anstellen. Wir wollen diese 
übergehen, dagegen eine andere Notiz des Marius beleuchten. Auf Blatt C 1 heisst es: „Quantus interdum 
per integrum fere triduum in eadem a Jove distantia a me deprehensus est, ita ut nulla 
perceptibilis differentia animadverti potuerit.“ Nun nimmt in drei Tagen, wenn die Maximal- 
elongation in die Mitte dieses Intervalls fällt, die Distanz fast genau um einen Jupiterdurchmesser 
zu und ab’ Also ist auch hier der Beweis erbracht, dass Marius Minutengrössen oder gar Teile davon 
nicht mehr messen konnte. 

Was die Bahnradien der Trabanten bei Galilei. betrifft, so erwähnen wir nochmals, dass 
Galilei bei Bestimmung der Perioden sich von jenen Grössen unabhängig gemacht hatte und diese nur 
eine sekundäre Rolle bei Galilei spielen. Doch muss man sich wundern, wenn die Herrn Oudemans und 
Bosscha in ihrer Abhandlung: Galil&e et Marius, pag. 160 ‘sagen, Galilei habe den Bahnradius in den 
Lettere Solari = 15 Jupiterdurchmesser angenommen, welche Grösse, den Durchmesser = 1’ gesetzt, 
nach Galilei = 6015 = 900" ergebe, statt des richtigen Wertes 480.” — Demgegenüber ist zu betonen, 
dass Galilei in allen seinen übrigen Beobachtungenund Berechnungen von Ende Januar 1612 
anals Bahnradius des vierten Trabanten nicht 15 sondern 12 Durchmesser — 24 Jupiterhalbmesser 
verwendet. Ausserdem hat Galilei den Jupiterdurchmesser seit anfang 1612 nicht mehr zu 1'= 60" 


487 


Damit ist der endgültige Beweis erbracht, dass Marius Grössen bis zu mehreren 
Minuten überhaupt nicht mehr zu messen imstande war, Wir ziehen aus vor- 
stehender Betrachtung folgenden Schluss: Marius war, da er in der Nähe des Jupiter die 
Trabanten wegen der Schwäche seines Instruments nicht beobachten konnte, bei der Be- 
stimmung der Trabantenperioden hauptsächlich auf die genaue zeitliche Bestimmung des 
Eintritts der Maximaldigressionen angewiesen. Hiezu aber waren Distanzmessungen 
nötig, die bis auf wenige Sekunden genau sein mussten, da, wie wir früher sahen, 
ein Fehler der Maximaldistanz von nur 5“ die Umlaufszeiten der Trabanten schon 
um 2 bis 9 Stunden fehlerhaft machte. Da aber Marius solche Grössen auch nicht 
einmal annähernd messen konnte, wie eben bewiesen wurde, so konnte es ihm durch 
seine Beobachtungen allein unmöglich gelingen, für die Perioden der Trabanten brauchbare 
Werte zu finden. Bei der Schwierigkeit seiner Bestimmungsmethode und der Unzulänglich- 
keit seiner Beobachtungsgenauigkeit, die ihm nicht einmal Minuten zu messen erlaubte, 
konnte auch ein Vergleichen weit auseinanderliegender Beobachtungen nicht zum gewünschten 
Ziele führen. 

Wir schliessen mit dem sicheren Resultat, dass Marius wegen der groben Un- 
genauigkeit seiner Messungen durch die von ihm angewendete Methode die 
ziemlich genauen Perioden der vier Trabanten, wie er sie im Mundus Jovialis 
tatsächlich verzeichnet, aus eigenen Beobachtungen niemals finden konnte.!) 


3. Die Umlaufszeiten der Trabanten. 


Nachdem Galilei die regelmässigen Bewegungen der Trabanten um Jupiter erkannt 
hatte, entstand ihm die Aufgabe, die Zeiten dieser periodischen Bewegungen zu bestimmen. 
Die diesbezüglichen Bestrebungen Galileis beginnen mit dem Abschluss des Sidereus Nuntius, 
in welchem er schon die aus den Maximalelongationen sich von selbst ergebende Periode 
des vierten Trabanten in grober Annäherung = + Monat ungefähr angab. 


angenommen, sondern fast in genauer Übereinstimmung mit unsern heutigen Werten zu 39" bis 50", 
so dass der Bahnradius für mittlere Jupiterentfernung nach Galilei sich nicht zu 900”, sondern = 468" 
berechnet. 

1) Es verdient erwähnt zu werden, dass Marius die notwendige Genauigkeit der Messungen nicht 
nur nicht erreichen konnte, sondern nicht einmal anstrebte. Er sagt im Mundus Jovialis (Blatt C 2): 
„Non absolutam certitudinem promitto, fundamenta jeci... dilisenti observatori, quibus facilime (!) 
defectus addi, excessus vero rescindi in posterum, si quis erit, potuerit.“ Marius hält also das für sehr 
leicht, was in der Tat sehr schwierig war. Ferner (Blatt C4, Rückseite): „Ego vero me secundorum 
observatorem non profitear.“ Ein ähnliches Geständnis macht Marius bei Besprechung der jähr- 
lichen Parallaxe des Jupiter, der „Aequatio‘ des Mar. (Blatt E3). Copernicus hatte den Erdbahnradius 
zu = des Jupiterbahnradius gefunden; daraus berechnet sich die Aequatio bei der Quadratur des Jupiter 
zu 1103‘. Marius benützt nun bei Berechnung der Aequatio nicht den genauen Wert, sondern den 
abgekürzten nämlich 44 und berechnet hiemit die Maximalaequatio des Jupiter zu 10”34‘, also um 29‘ 
zu klein. Diese Nachlässigkeit bewirkt beim vierten Trabanten für die mittlere Bewegung zwischen 
den beiden Jupiterquadraturen einen Fehler von fast 1°, dem ein Fehler der Umlaufszeit von mehr als Ih 
entspricht. Marius entschuldigt die Abkürzung mit den Worten (Blatt E3): „Verum enimvero, quia in 
toto hoc libello praecisionem summam neglexi.... malui undecim saltem retinere, ob faciliorem 
operationem, quin etiam 29 illa minuta nullum perceptibilem inducunt errorem. 

Es war also dem Marius gar nicht darum zu tun, ein exaktes Resultat zu liefern, und man erkennt 
darin ein naives Ausserachtlassen der zu seinem Erfolg absolut notwendigen fundamentalen Bedingungen. 


488 


Es ist sicher, dass Galilei im Anfang seiner Trabantenstudien wie alle Astronomen 
damaliger Zeit die Perioden aus den Maximaldistanzen zu erhalten suchte. Ebenso sicher 
ist aber auch, dass Galilei aus der Unsicherheit der Distanzbestimmungen die Untauglichkeit 
dieser Methode bald erkannte und sich einer anderen zuwandte. Offenbar in Beziehung 
auf jene Methode hatte Kepler die Periodenbestimmung für eine sehr schwierige und gleich- 
sam unlösbare Aufgabe erklärt. Wenn nun Galilei Ende 1610 an Giul. Mediei und 
12. Februar 1611 an Sarpi schreibt, dass er die Methode, wie man die Periode der Trabanten 
bestimmen könne, gefunden zu haben glaube, so verrät er jedoch nichts davon, wie er dabei 
verfahren werde. Auch in dem Brief an Vinta (1. April 1611) erwähnt er, dass er grosse 
Hoffnung habe, die Aufgabe bald zu lösen und dass er vielleicht schon nach seiner Rück- 
kehr aus Rom, wo er vom 29. März bis 4. Juni 1611 im Palast des toskanischen Gesandten 
weilte, imstande sein werde, die Lagen und Stellungen der neuen Planeten vorauszusagen 
und auch für jeden vergangenen Zeitpunkt anzugeben. Es scheint, dass Galilei die richtige 
Methode, die Perioden aus den Zeitintervallen zwischen den oberen resp. unteren Kon- 
junktionen der Trabanten mit Jupiter zu ermitteln, schon damals also Ende 1610 oder 
anfangs 1611 gefunden hat. 

Tatsächlich erlangte Galilei bis April 1611 ziemlich brauchbare Perioden, die er durch 
fortgesetzte Korrekturen noch bis 1617 verbesserte. Er benützt sie zur Aufstellung von 
Ephemeriden, die er auch vom 10. März 1611 bis 15. November 1610 zurück errechnete. 

Seine Freunde drängten ihn, seine Berechnungen und Beobachtungen an die Öffentlich- 
keit zu bringen (Cigoli-Galilei, 23. August 1611), da ihm sonst Andere (z. B. Magini) zu- 
vorkommen könnten, aber Galilei setzte diesen Wünschen harten Widerstand entgegen, da 
er durch fortgesetztes Prüfen und strenge Kritik die Ungenauigkeit seiner Perioden kannte 
und auch noch eine andere Schwierigkeit, der Einfluss der Jupiterparallaxe zu überwinden 
war. Dies gelang ihm erst Ende 1611. 

In seinem Discorso sui Galleggianti veröffentlichte er endlich anfangs Juni 1612 die 
Umlaufszeiten, allerdings nur mit ihren ungefähren Werten. Später, 23. Juni 1611, schrieb 
Galilei mit Beziehung auf die fortwährenden Verbesserungen an Giul. Medici, er glaube 
die Perioden gefunden zu haben, so dass er die Stellungen der Trabanten vorausberechnen 
könne ohne einen Fehler von einer Sekunde. Er berechnete auch Trabantenephemeriden 
vom 17. März bis 16. Juli 1612, sandte Teile davon an Sagredo in Venedig und Aouechi 
in Rom (Sagredo-Galilei, 16. Juni 1612; Agucchi-Galilei, 30. Juni 1612). Auch an 
Pignoria in Padua und Benedetto Castelli in Florenz scheint er solche Berechnungen ge- 
schickt zu haben (Pignoria-Galilei, 28. Dezember 1612); denn Castelli schreibt (2. Februar 
1613) an Galilei: „Mit grösstem Vergnügen habe er die Konstitutionen durch Beobachtung 
geprüft und das eine von beiden müsse der Fall sein: entweder wären die Trabanten dem 
Galilei äusserst gehorsam und bequemten sich dessen Gedanken und Befehlen an, oder 
Galilei hätte die genaueste Kenntnis ihrer Bewegungen und auf ganz wunderbare Weise 
die äusserste Genauigkeit der Stellungen derselben erhalten, eine Sache, die noch niemals 
einem Menschen allein geglückt sei, sondern stets nur durch das Zusammenwirken der Be- 
mühungen vieler erleuchteter Geister im Laufe vieler Jahrhunderte.“ Galilei berechnete 
auch die Konstitutionen für 1. Februar bis 8. Mai 1613, von welchen der Teil vom 1. März 
an als Anhang in die Lettere Solari Aufnahme fand. Diese sandte Galilei auch an den 
Kardinal Maffeo Barberini in Bologna (14. April 1613) mit der Bitte um Prüfung durch 


489 


die Beobachtung, bis jetzt hätten sie ganz genau (puntualissimamente) entsprochen. Er 
werde die Konstitutionen bis Ende August 1613 noch berechnen und dem Kardinal zusenden. 

Die Lettere Solari waren die letzte Veröffentlichung Galileis über die Jupitertrabanten. 
Wir wissen, dass Galilei noch jahrelang viel Mühe und Zeit aufwendete zur Erledigung 
der Aufgabe. Seine fortgesetzten Beobachtungen und Berechnungen sind uns erhalten bis 
zum Jahre 1619; sie führten ihn nicht zum gewünschten Ziel. Die damaligen theoretischen 
und optischen Hilfsmittel genügten nicht zur vollständigen Lösung. Welchem nerven- 
erregenden Wechsel zwischen Hoffnung und Enttäuschung Galilei bei diesen seinen Arbeiten 
unterworfen war, lesen wir zwischen den Zeilen, da wo Galilei die vorausberechneten 
Trabantenstellungen durch die Beobachtungen prüft. Man begreift, wenn er schliesslich an 
seinem Erfolg verzweifelt, als er am 19. November 1619 die Ephemeride des ersten und 
dritten Trabanten mit der Beobachtung gar nicht in Übereinstimmung fand (allerdings nur 
infolge eines einfachen vorausgehenden Rechenfehlers). Es berührt uns ganz eigentümlich, 
dass nach all den ungeheuren Anstrengungen und Opfern an Gesundheit und Zeit bei 
Galilei die Verzweiflung durchbricht und die Hoffnungslosigkeit den Sieg erringt, und dass 
Galilei schliesslich mit dem Ausruf „Maximae exorbitantiae!“ seine fast zehnjährige Arbeit 
an der Erforschung der Jupitertrabanten für immer einstellt. Gegen Ende seines Lebens 
gab er seinem Schüler Renieri sein Beobachtungsmaterial und die Berechnungen mit dem 
Auftrage, die Aufgabe zu Ende zu führen; aber Renieri wurde durch baldigen Tod (1645) 
an der Ausführung gehindert. Erst ca. 20 Jahre später konnte Joh. Domin. Cassini die 
ersten brauchbaren Tafeln der Trabanten aufstellen und fast 100 Jahre nach Galileis Tod lieferte 
Jacques Cassini verbesserte Tafeln. Von den späteren Tafeln sind die von Delambre hervor- 
zuheben und erst 1835 kamen die definitiven Tafeln von Damoiseau heraus, die auch heute 
noch als die einzigen in Gebrauch sind._ Es wäre bereits nötig, auch diese zu verbessern; 
aber diese Arbeit, die alle vorhandenen Beobachtungen in Betracht ziehen müsste, wäre 
wohl eine so riesig grosse, dass Niemand, der sie begänne, die Hoffnung hegen könnte sie 
auch selbst noch zu beendigen. 

Während also Galilei schon im Frühjahr 1611 im Besitze der angenäherten Um- 
laufszeiten war, hatte noch niemand eine Kenntnis von denselben, wenn wir vom vierten 
Trabanten absehen, dessen Periode sich aus dem Sidereus Nuntius von selbst darbot. Speziell 
unser Marius wusste Mitte 1611 nur, dass der vierte Trabant ca. 16 Tage zum Umlauf 
brauche; vom dritten Trabanten aber glaubte er damals, dass er 10 bis 11 Tage nötig 
habe; vom zweiten und ersten Trabanten wie vom dritten wusste er gar nichts. Erst 
nachdem Galilei 1612 in seinem Discorso die Perioden veröffentlicht hatte, finden wir auch 
bei Marius Umlaufszeiten im Prognostikum zu 1613 und nach Galileis Veröffentlichung der 
Trabantenkonstitutionen in den Lettere Solari (1613) erscheinen (1614) im Mundus Jovialis 
des Marius Trabantentafeln. 

Zur Beurteilung der Mariusschen Periodenwerte stellen wir sie mit den Galileischen?) 
und neueren (mittleren) Umlaufszeiten zusammen: 


!) Diese Umlaufszeiten sind aus Galileis Tafel E (Alberi, opere Galilei, Bd. V 1, p. 16) berechnet. 
Die Tafel E wurde von Galilei für die vier Trabanten Ende Januar 1613 aufgestellt und dann bis 
16. Juli 1616 benützt. Durch Verbesserungen vom Juli, ferner vom 15. Oktober und 17. November 1616, 
schliesslich vom 11. Januar 1617 entstanden dann der Reihe nach neue Tafeln (Tafel F, G, H, Alberi: 
lee. p- 2227). 


Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 63 


490 


L——————————LLL—————————————————————————————— 


| 


Marius’ 1 Marius’ 
R Galileis Progn. 1613 BaıEı Mund. Jov. Neuzeit 
| Discorso (1612) (1612) anfangs 1613 (1614) 
1. Trabant 14 186 30m | 1418418m30s| 141828m26:| 1418h28m30:| 1418 283m36* 
2; e 3 or a) san lesre 37 137 13 Rail 18 3 zus 
3 5 ||. „AZ 15 3557 2,7023 58127887 237562 134 07003259356 
4. > Ielis: Ing = 16 1823 — 16 18 — — 16 18 9 13516 18 5 6 


Die Zahlen des Marius stimmen also mit den mittleren Perioden der Neuzeit auf- 
fallend gut überein; und jedenfalls, wenn wir vom dritten Trabanten absehen, besser als 
die Galileischen Zahlen. Man müsste also mit Herrn Oudemans zum Schlusse kommen, 
dass überhaupt die Mariusschen Perioden genauer sind als die des Galilei; trotzdem ist 
dies, wie wir später nachweisen werden, nicht der Fall. — Es bleibt jedoch zu recht 
bestehen, dass die Genauigkeit der Mariusschen Perioden, besonders für den ersten und auch 
noch für den zweiten Trabanten, eine recht beträchtliche ist. 

Diese Genauigkeit der Perioden steht mit der vorher festgestellten groben Ungenauig- 
keit seiner Beobachtungen in direktem Widerspruch. Marius konnte die Zeiten der 
Maximalelongationen nicht einmal auf Stunden genau angeben und es ist nicht 
denkbar, dass er durch solche Beobachtungen die Umlaufszeiten bis auf wenige Minuten 
oder Sekunden genau erhalten konnte, auch wenn die verglichenen Beobachtungen zeitlich 
weit auseinanderlagen. Es ist daran zu erinnern, dass Marius bis Mitte 1611, trotz an- 
geblich 14 jähriger Beobachtung der Trabanten, an Forschungsresultaten nichts aufzuweisen 
hatte. Ein Jahr später (1612) jedoch brachte er, nach Veröffentlichung des Galileischen 
Discorso, im Prognostikum auf 1613 angenäherte Perioden und wieder 14 Jahre später, 
(1814) nach Veröffentlichung der Galileischen Lettere Solari, im Mundus Jovialis noch 
genauere Werte. Schon der zeitliche Zusammenhang dieser Publikationen bringt uns auf 
die Vermutung, dass die Mariusschen Zahlen sich auf Galileische Schriften stützen und es 
sollen im folgenden die Wege angegeben werden, auf denen Marius möglicherweise zu seinen 
Trabantenperioden gelangen konnte. 

1. Die erste Möglichkeit hiezu boten die Beobachtungen des Sidereus Nuntius von 
Galilei. Fast zu gleicher Zeit wie in Deutschland machte man auch in Italien die ersten 
Versuche, die Umlaufszeiten aus den Daten des Sidereus Nuntius zu bestimmen. Ein solcher 


Aus diesen Tafeln ergeben sich folgende Umlaufszeiten: 


| 1. Trabant 2. Trabant 3. Trabant 4. Trabant 
zen 
Tafel F || 
| 14 gh d 15h rd sh :d 18h —_ 
(Juli 1616) = 18h 285m 315 | 3d 13h ]7m 28: | 74 3h 58m 495 [16418 m (2)s 
Tafel G | 
(November 1616) 1 is 28 "31 Bl a m 358 AA 16 183 — (2) 
Tafel H | 
a re 


(Januar 1617) We 18 28 30 


.., 


491 


Versuch ist uns erhalten von einem Manne, der noch kurz vorher als Gegner der Galileischen 
Entdeckung der Trabanten mit seiner Aıavoıa aufgetreten war, Francesco Sizzi, Aus einem 
Briefe desselben an Magini in Bologna (26. März 1611, Gal. op. XI.) geht hervor, dass Magini 
zugleich mit Sizzi die Perioden des vierten Trabanten auf Grund des Sidereus Nuntius aufzu- 
stellen suchte. Sizzi benützte hiezu die auffallenden Maximalelongationen des vierten Trabanten 
am 2. Februar 1610 7% ab occasu und am 19. Februar 0b 40m ab occasu solis, Er be- 
rechnete die Zeitdifferenz, ohne die zeitliche Verschiebung des Sonnenuntergangs in Rechnung 
zu ziehen, zu 174, weniger 6" 20”, also die Periode des vierten Trabanten zu 164 17% 40m, 
(Sizzi hatte auch bemerkt, dass der Galileische Periodenwert (4 Monat) den Beobachtungen 
nicht genüge und die Distanzen Galileis nicht immer zuverlässige seien.) — Trotzdem hätte 
Sizzi durch ein merkwürdiges Spiel des Zufalls zu der fast ganz genauen mittleren Periode 
des vierten Trabanten kommen müssen, wenn er die zeitliche Verschiebung des Sonnen- 
untergangs um 25% zwischen 2. und 19. Februar beachtet hätte; denn dann hätte er 
als Periode 164 18% 5= gefunden, ein Wert der die mittlere Periode des vierten Trabanten 
(164 184 5m 6°) bis auf 6 Sekunden genau repräsentiert. Konnte nicht auch Marius 
auf solche Weise zu der Periode 164 184 9m 15° gekommen sein? 

Aus den Briefen (Galilei opere, Bd. XI, ed. Favaro) ergibt sich noch ein zweiter 
Fall, der zeigt, wie man schon im Jahre 1611 auf Grund des Sidereus Nuntius zu ange- 
näherten Perioden kam. Giov. Batt. Agucchi in Rom hatte, wahrscheinlich als Galilei im 
Frühjahr 1611 (29. März bis 4. Juni) sich in Rom aufhielt, von diesem Genaueres über 
die Trabanten erfahren (Agucchi-Galilei, 9. September 1611). Als er nun infolge der Auf- 
forderung eines hochstehenden Herren eine Schrift über einen astronomischen Gegenstand 
zur Vorlage an eine auswärtige Akademie verfassen wollte, wählte er sich als Thema die 
Jupitertrabanten. Da er aber die nötigen Zahlen über die Bahnen und Perioden nicht oder 
nicht mehr besass, bat er Galilei um diese. Galilei antwortete ihm sehr zurückhaltend 
(Agucchi-Galilei, 7. Oktober 1611) und verwies ihn auf die Beobachtungen des Sidereus 
Nuntius, aus denen man die Perioden etc. erhalten könne. Agucchi folgte diesem Hinweise 
und schon am 14. Oktober 1611 meldete er seine Resultate an Galilei. Er hatte aus 
dem Sidereus Nuntius gefunden, dass der erste Trabant die Maximalelongation 2°40° und 
die Periode von 14181 „und ein klein wenig mehr“ besitze, da er in 7% ]1% viermal 
um den Jupiter laufe; der zweite Trabant brauche 34 15% zu einem Umlauf, da er in 7144 
(oder etwas mehr) zwei Umläufe mache; der dritte Trabant entferne sich nicht mehr 
als 8° vom Jupiter und habe eine Periode von 744%, so dass er gleichsam die doppelte 
Zeit benötige wie der zweite und beide Trabanten sich alle 744% begegnen müssen; der 
vierte Trabant vollende seinen Umlauf in 16420% und Agucchi glaubt, dass dieser 
Trabant wahrscheinlich wegen einer epizyklischen Bewegung seine Maximalentfernung ver- 
ändere, da er in 34 Tagen zweimal von 10° auf 8° Distanz zurückgekehrt sei. Galilei 
antwortete auf diesen Brief; ob er Aguechi die genauen Perioden dann angab, wissen wir 
nicht; jedenfalls erkannte er Agucechis Werte als angenäherte an und korrigierte die Periode 
des vierten auf 164 18%, Darüber schreibt dann Agucchi an Galilei (29. Oktober 1611), 
dass er beim vierten Trabanten im Zweifel gewesen sei, ob er 164 18% oder 164 20% setzen 
sollte, doch habe er sich damals zu 164 20% entschlossen, da der Trabant seinen Umlauf 
dreimal gemacht habe (in den Beobachtungen des Sidereus Nuntius), einmal in.16@ 18% und 
zweimal in 164 20h. — 

63* 


492 


Wenn wir ersteren Wert Aguechis festhalten, so haben wir bei den Forschungen 
Agucchis, die nur wenige Tage in Anspruch nahmen, das merkwürdige Resultat, dass 
Agucchi aus dem Sidereus Nuntius allein die Periode des dritten und vierten 
Trabanten bis auf wenige Sekunden und die des ersten Trabanten bis auf 
ca. 84 Minuten genau gefunden hatte, während er allerdings beim zweiten Trabanten 
einen Fehler von 12 Stunden beging. 

Agucechi hatte also schon 1611 für den ersten, dritten, vierten Trabanten 
genauere Perioden, als sie Marius ein Jahr später (1612) im Prognostikum zu 
1613 aufstellte; beim dritten (und vierten) Trabanten war der Wert sogar 
besser als die betr. Angabe im Mundus Jovialis (1614). 

Man wird natürlich nicht zur Meinung kommen, als ob diese Werte die Resultate 
sicherer Forschung seien; sie können im Gegenteil wegen der Art und Weise, wie sie ge- 
wonnen wurden, vor der Kritik nicht bestehen, und es ist infolge der Unsicherheit der 
Grundlagen — der Beobachtungen des Sidereus Nuntius — nur ein Spiel des Zufalls, 
wenn die daraus gezogenen Perioden auf Minuten stimmen. 

Es genügt hier gezeigt zu haben, dass es möglich war, aus dem Sidereus Nuntius 
allein recht angenäherte Umlaufszeiten der Trabanten zu erhalten. 

2. Die zweite Möglichkeit für Marius, die Perioden zu finden, bot der Discorso 
sui Galleggianti Galileis. Derselbe erschien in den ersten Tagen des Juni 1612. Wir 
haben früher nachgewiesen, dass es leicht möglich war, dass Marius den Discorso bei Ab- 
schluss seines Prognostikums auf 1613 gekannt und die Umlaufszeiten aus dem Discorso in 
sein Prognostikum aufgenommen hat. — Vergleicht man jedoch die Perioden des Discorso 
mit denen des Mundus Jovialis, so findet man, dass der letztere im allgemeinen genauere 
Zahlen gibt als der Discorso. Es liegt also der Schluss nahe, dass Marius seine genaueren 
Werte unmöglich aus den ungenaueren des Discorso geschöpft haben könne. Dieser Schluss 
ist auch richtig, aber nur solange, als man nur die Perioden beider Publikationen ver- 
gleicht; er verliert jedoch seine Stichhaltigkeit, wenn man, was bisher nicht gewürdigt 
wurde, beachtet, dass Galilei in seinem Discorso neben den Perioden auch die Ge- 
schwindigkeiten der Trabanten notiert. Er macht also zwei Angaben für jeden 
Trabanten und wir wollen im folgenden dartun, wie bei Berücksichtigung beider An- 
gaben die Rechnung Resultate ergeben konnte, die genauer sind als die 
Perioden des Discorso für sich allein betrachtet. 

Über den ersten Trabanten sagt Galilei im Discorso folgendes: „Der erste durch- 
läuft von seinem Kreise 8°29' ungefähr pro Stunde, während er seinen Umlauf in 14 18% 4h 
(quasi).“‘ Folgende Tabelle gibt die zusammengehörigen Stundenwege und Umlaufszeiten: 


Periode Stundenweg 
INS Emo et 80 28° 14" 
I M1er729 8 28 26 
1 18 28 8 28 38 
1 1827 8 28 50 
1 18 26 8 29 — 


Die erste Periode und, der letzte Stundenweg sind die beiden von Galilei gegebenen 
Grenzwerte. Die ersten Zahlenpaare stimmen nicht für den Galileischen Stundenweg; will 


) 


i 


493 


man jedoch der Galileischen Periode 1% 18% 30% möglichst nahe bleiben, so hat man den 
richtigen Wert wohl zwischen 14 18% 28m und 14184 29% zu suchen. In der Tat genügt 
die Periode 14 18% 28= 30° einem Stundenweg von 8% 28‘ 32“, welcher Wert in der ab- 
gekürzten Zahl Galileis nämlich in 8° 29' noch ausgedrückt wird. 

Im Discorso heisst es weiter: „Der zweite macht in einer Stunde sehr nahe 4° 13, 
und zum ganzen Umlauf braucht er 34 134% ungefähr.* Die Mariussche Periode ist 
34 13% 18= und dieser entspricht der Stundenweg von 4° 13° 12”, Beide Werte genügen 
der Galileischen Angabe. 

Vom dritten Trabanten sagt Galilei dann: „Der dritte macht in der Stunde 
ungefähr 2° 6° und durchläuft den ganzen Kreis nahezu in 744% (prossimamente).*“ Die 
Abhängigkeit der Geschwindigkeit von der Periode ist in folgender Tabelle ersichtlich: 


Umlaufszeit Stundenweg 
7a 4b —m 20 5° 34" 
13057 2.8 37 
73 56 A 
7359 2 5 38,4 
73 25,7 26 — 


Galilei bietet also auch hier die zwei Grenzwerte, welchen die Mariusschen Periode von 
74 3b 56m 345 und der zugehörige Stundenweg von 2° 5' 37,4” gut entspricht. 

Vom vierten Trabanten erwähnt Galilei: „Der vierte macht in jeder Stunde 
0° 544’ (54' e quasi mezza) und beendigt einen Umlauf sehr nahe in 164 18%”, Zusammen- 
gehörige Werte sind nun: 


Periode Stundenweg 
164 20h —ım —s 053280 
16 18 14 — 0 53 42 
Iowa 577 40 0 53 45 
16 16 — — 0 54 — 
16 12 — — 0 54 30 


Daraus ersieht man, dass Galileis Angabe „0° 544'“ ein offenkundiger Fehler sein muss, 
da sie zu der Periode 164 18% gar nicht stimmt. Ferner erkennt man, dass der zu dieser 
Periode passende Stundenweg zwischen 53’ 42" und 5345” liegen muss. Marius ver- 
zeichnet die Periode 164 18% 9m 158, welcher die Geschwindigkeit 0° 53‘ 42,6" zugehört, — 
Werte, welche den Galileischen Angaben gut genügen. — 

So konnte also der Discorso durch seine doppelten Angaben wohl zur Erlangung 
genauerer Umlaufszeiten verwertet werden. 

3. Eine sehr wichtige Publikation Galileis waren für Marius die Lettere Solari, 
denen in graphischer Darstellung die Lage der Trabanten zum Jupiter und ihre genaue 
Entfernung, wie sie sich für jeden Tag vom 1. März bis 8. Mai zu einer bestimmten Stunde 
nach Galileischer Vorausberechnung zeigen sollten, beigegeben war. Diese dritte Galileische 
Veröffentlichung über die Trabanten gestattete in verschiedener Beziehung eine Ausbeute 
und war für die Aufstellung von Trabantentafeln, besonders in Verbindung mit dem 
drei Jahre älteren Sidereus Nuntius, von grosser Wichtigkeit. Schon die zeichnerisch 


494 


exakte Anordnung der Konstitutionen, genau unter einander, gab auf den ersten Blick das 
Bild zweier Kurven, welche durch die aufeinanderfolgenden Lagen des dritten und die des 
vierten Trabanten punktweise dargestellt wurden. Für beide Kurven kann man ziemlich 
genau den Zeitpunkt ihres Durchgangs durch die Nullage, d. h. die Punkte der oberen und 
unteren Konjunktionen bestimmen und daraus, ebenso wie aus den Zeitpunkten der Maximal- 
elongationen, die Epochen des dritten und vierten Trabanten finden. 

Hatte man früher aus den recht fehlerhaften Beobachtungen des Sidereus Nuntius 
schon angenäherte Umlaufszeiten gewinnen können, so ermöglichten die genauen Masse 
der Trabantendistanzen in den Lettere Solari die Bestimmung der Perioden noch leichter. 

Aus den Konstitutionen liessen sich also für alle vier Trabanten die Perioden ziemlich 
genau erhalten; ebenso die Bahnradien und die Epochen. Die Konstitutionen boten 
also alle damals zur Aufstellung von Tafeln der mittleren Bewegungen notwendigen Daten. 

Da Marius selbst die Distanzen der Trabanten nicht genau bestimmen konnte (in der 
Nähe des Jupiter aber sein Instrument versagte) so bestand für ihn bei Aufstellung der 
Tafeln eine Schwierigkeit darin, dass er die Epoche, d. h. den Zeitpunkt, für welchen ein 
Trabant eine bestimmte Stellung oder Distanz einnahm, aus den Beobachtungen nicht genau 
bestimmen konnte; Fehler von vielen Stunden waren bei ihm unvermeidlich und eine Über- 
einstimmung seiner Tafeln mit der Wirklichkeit für ihn unerreichbar. Aus dieser Schwierigkeit 
halfen ihm teilweise die Konstitutionen Galileis. 

Wir wollen nur an zwei Beispielen zeigen, wie eng die Mariusschen Tafeln für 
den dritten und vierten Trabanten mit den Konstitutionen zusammenhängen: Ver- 
gleicht man die Stellung des dritten Trabanten am 13. März 1613 und der am 17. März, 
ferner die des 14. mit der des 16. März, so findet man bei Galilei jedesmal um 7% 50” p. m. 
den Trabanten in gleichem Abstand vom Jupiter, am 13. und 14. westlich, am 17. und 16. 
östlich. Der Symmetrie wegen musste. also am 15. März abends 7%50 der dritte 
Trabant durch den scheinbaren Nullpunkt gegangen, d.h. in oberer Konjunktion bei 
0° oder 360° seiner mittleren Bewegung gestanden sein. — Tatsächlich ergeben die Marius- 
schen Tafeln, wenn wir die Meridiandifferenz zwischen Florenz und Ansbach und die Daten 
für die Berechnung der Äquatio aus den Ephemeridentafeln des Magini entnehmen, 3590 54°, 
ein Wert, der in Anbetracht der Ungewissheit, aus welchen Tafeln Marius obige Daten 
entnahm, als genau mit dem Galileischen Wert von 360° übereinstimmend angesehen 
werden kann. — So konnte also Marıus eine Epoche des dritten Trabanten aus 
den Lettere Solari gefunden haben. 

Beim vierten Trabanten ist die Benützung der Lettere Solari ganz evident. Es wurde 
schon erwähnt (p. 485—486), dass Marius, trotzdem er selbst zugestanden, die Änderungen 
der Maximalelongationen nicht messen zu können, die mittlere Elongation beim vierten 
Trabanten zu 13‘ oder 14‘ und schliesslich zu 12‘ 30“ und dass diese letztere Angabe 
das genaue Mass der Galileischen Zeichnung in der Konstitution vom 1, März 
1613 war. — Nun hat aber diese Konstitution für den vierten Trabanten die grösste 
westliche Amplitude von 121 Jupiterdurchmessern und genau gemessen, kommt ein 
Ausschlag von dieser Länge bis 8. Mai nie wieder vor. Es ist daher naheliegend, dem 
vierten Trabanten für jenen Zeitpnnkt den Ort bei 270° seiner mittlern Bewegung 
zuzuweisen. Suchen wir den Ort des Trabanten aus den Tafeln des Marius, so finden 


Tre Arien 


= 


495 


wir 270038’; davon hat man noch den Winkel, welcher der Zeitdifferenz der mittleren 
Mittage zwischen Florenz und Ansbach entspricht, abzuziehen; wir haben ferner in obigem 
Werte die Äquatio nach den Jupiter und Sonnentafeln des Magini zu —2° 16° berechnet. 
Je nachdem nun Marius andere geographische und astronomische Tafeln benützte, mag der 
Wert 270° 38° den scheinbaren Galileischen Wert 270° völlig erreicht haben. 

(Nach der tatsächlichen Berechnung Galileis stand der Trabant bei ca. 274°, hatte 
also seine Maximalelongation schon um 4° überschritten; diese Differenz konnte natürlich 
bei der Kleinheit des Distanzmasstabes zeichnerisch nicht mehr ausgedrückt werden, obwohl 
sie einer Zeitdifferenz von 4® 40% entspricht.) Jedenfalls ist die Annahme berechtigt, dass 
Marius die Epoche des vierten Trabanten aus der Konstallation für 1. März 
1613 der Lettere Solari abgeleitet hat. 

Mit Hilfe der Konstitutionen dieser Schrift konnten vielleicht auch aus den Zeiten 
gleicher Distanzen die Perioden aller vier Trabanten ermittelt werden. Für den ersten 
und zweiten Trabanten musste allerdings, wegen der Kleinheit der Amplituden und 
des Masstabes dafür, die Benützung der Galileischen Zeichnungen zur Perioden- und Epochen- 
bestimmung von einiger Unsicherheit begleitet sein.!) 


1) In dem Nachwort, das Marius einigen Exemplaren des Mundus Jovialis nach dessen Erscheinen 
noch nachträglich (wahrscheinlich Ende 1614) beifügte, behauptet er, ausser dem Sidereus Nuntius habe 
er kein Werk von Galilei weder im Besitze noch gelesen, auch das des „Apelles“ nicht. — Wenn nun 
auch, wie wir vielfach nachgewiesen haben, die Behauptungen des Marius nicht ohne weiteres als glaub- 
würdig zu betrachten sind, so mag doch obige Angabe, wörtlich genommen, richtig sein, ohne dass 
daraus die Folgerung gezogen werden kann, Marius Trabantenforschungen seien unabhängig von den 
späteren Veröffentlichungen Galileis hierüber, d. h. von Galileis „Discorso sui Galleggianti* und den 
„Lettere Solari“. Denn der Discorso enthielt auf ungefähr einer Druckseite das, was Galilei über 
die Trabantenperioden sagte und diese kurze Notiz konnte dem Marius auch brieflich übermittelt werden 
und zur Kenntnis kommen, ohne dass er das Werk selbst las oder in Besitz hatte. — Marius sagt aber 
auch, dass er „auch das Buch des Apelles bisher nicht erhalten konnte, obgleich er in Nürnberg sehr 
eifrig nach demselben suchte.“ Damit sind die Briefe Scheiners (Apelles) über die Sonnenflecken gemeint, 
die Galilei 1613 in seinem Lettere Solari veröffentlichte. Es mag sein, dass Marius weder die Briefe 
des Apelles, die schon 1612 von M. Welser in Augsburg veröffentlicht wurden, noch die Lettere Solari 
Galileis besass.. Doch waren diese schon Mitte 1613 in Deutschland, wie nachgewiesen wurde, weit ver- 
breitet; in Bamberg waren sie schon im März in vielen Exemplaren und in Prag nachweisbar schon im 
Maı 1613 in den Händen des toskanischen Gesandten Giul. Medici und des kaiserlichen Rates Wackher, 
beide intime Freunde Keplers.. Von diesen wird Kepler auch baldige Mitteilung über die neue Schrift 
Galileis gehabt haben und am 18. Juli 1613 hatte Kepler dieselbe durch die Vermittlung Welsers im 
Besitz. Den Lettere Soları Galileis war ein Anhang beigegeben, der die zeichnerische Darstellung der 
Trabantenkonstitutionen vom 1. März — 8. Mei 1613, wie sie Galilei vorausberechnet hatte, enthielt; 
diesen waren angefüst Bemerkungen über die Ursache des plötzlichen Verschwindens der Trabanten, 
über das Eintauchen derselben in den Jupiterschatten. Von diesem Anhang machte Kepler (im Juli 
oder August 1613) dem Marius brieflich Mitteilung, wie Marius selbst im Mundus Jovialis 
sagt. Bald darauf aber, im Oktober 1613, kam Marius mit Kepler und Wackher, die also beide 
Galileis Schrift besassen, auf dem Reichstage in Regensburg zusammen und es ist sicher, dass Marius 
hiebei genaue Kenntnis über die Schrift Galileis erhielt. Wenn er diese auch nicht selbst hatte, so 
ist doch wahrscheinlich, dass er den Anhang dazu, der ja in vielen Exemplaren ohne die Haupt- 
schrift als Separatabzug verbreitet worden war, sich verschaffte. Dass er tatsächlich den Inhalt des An- 
hangs genau kannte und in seiner Weise verwertete, ergibt sich aus mehreren Anzeichen: Galilei hatte 


_ indem Anhang die wichtige Beobachtung, dass die Trabanten, obgleich sie noch einige Jupiterdurch- 


f 


messer westlich vom Jupiter entfernt seien, plötzlich verschwinden und andrerseits öfters in solchen 


496 


Es muss hier noch konstatiert werden, dass Marius, wohl Ende 1614, einigen unver- 
kauften Exemplaren des Mundus Jovialis zum Zwecke der Verteidigung gegen einen Angriff 
Scheiners, der ihn des Plagiats an Galilei beschuldigte, ein Nachwort und zugleich einige 
neue Tafeln beigefügt hatte, in denen er neue Jahresepochen und für die Monate, Tage 
und Stunden neue Werte der mittleren Bewegungen angab. Aus diesen neuen Tafeln be- 
rechnen sich für die vier Trabanten folgende Umlaufszeiten: 

14.186,28 3355,34 13,18 ST 15h H 79, BD 

Der Vergleich dieser Zahlen mit den entsprechenden Galileis und der Neuzeit (p. 490) 
bringt das auffallende Resultat, dass die Werte des Marius für den ersten, zweiten und 
vierten T'rabanten sich mehr den neueren, mittleren Werten nähern als die des Galilei; 
nur beim .dritten Trabanten ist Galilei scheinbar genauer. Daraus hat man nun, scheinbar 
mit vollem Recht, den Schluss gezogen, dass Marius der bessere Beobachter und 
offenbar unabhängig von Galilei sein musste. Die Grundlagen dieser Behauptung 
sind aber nur scheinbar sichere und in Wirklichkeit nicht brauchbar. Man liess 
nämlich ausser acht, dass die mittleren Werte der Perioden von den wahren 
bedeutend abweichen können und dass man die säkularen mittleren Werte 
nicht als den Masstab für die Genauigkeit der Beobachtungen von 1610— 1614 
ohne weiteres benützen darf. Es ist hier vielmehr notwendig die mittleren Perioden 
für diese Jahre (1610—1614) aufzusuchen, um an ihnen die Genauigkeit der Beobach- 
tungen oder der Perioden des Galilei und des Marius zu prüfen. Mit Hilfe der von Herrn 
Prof. Berberich berechneten Konjunktionszeiten der 'Trabanten (s. Anhang dieser Abhdlg.) 
ergeben sich zwischen anfang 1610 und 1614 folgende mittlere Umlaufszeiten: 


Entfernungen östlich vom Jupiter plötzlich auftauchen, zum erstenmale verzeichnet und durch die 
Wirkung des Jupiterschattens richtig erklärt. — In seinem Mundus Jovialis (Blatt D3) schildert nun 
Marius diese Erscheinungen in derselben Weise und fast mit denselben Worten wie Galilei. 
Diese Beobachtungen will nun Marius gemacht haben, obgleich er wiederholt erklärt hatte, dass sein 
Instrument bei Beobachtungen in der Nühe des Jupiter versage. Ausserdem ist noch bemerkenswert, 
dass Marius weder in seinem Prognosticon auf 1613, noch in seinem Prognosticon auf 1614, dessen Ab- 
fassung doch in die Mitte des Jahres 1613 fiel, noch in seinem Briefe an Kepler, der am 26. August 
1613 geschrieben wurde, von solehen Beobachtungen der Verfinsterung etwas zu sagen wusste. Erst der 
Mundus Jovialis, dessen Abfassung dem Ende 1613 angehört, bringt die Meldung von der Theorie und 
der Beobachtung der Verfinsterung der Jupitertrabanten. Wenn Marius also vorher nichts darüber 
wusste und ihm sein Instrument solche Beobachtungen nicht ermöglichte, so gibt es nur die eine Er- 
klärung, dass eben Marius in der Zwischenzeit, vielleicht bis Oktober oder November 1613 genaue 
Kenntnis von dem Anhang zu Galileis Lettere Solari oder diesen selbst erhalten hatte. 

Dieses Resultat wird noch gestützt durch folgende Tatsache: Den Verlauf der Abweichungen 
der Trabanten hatte Marius ebenfalls erst im Mundus Jovialis zum erstenmal berührt und ihn durch 
Tafeln dargestellt, welche den tatsächlichen Erscheinungen zum grössten Teil direkt widersprachen. 
Man fragt sich vergebens, wie Marius zu solchen Ergebnissen kommen konnte. Das Rätsel löst sich 
sofort, wenn man weiss, dass Galilei jene Abweichungenin seinen Konstitutionen der Lettere 
Solari für jeden Tag vom 1. März bis 8. Mai 1613 und für jeden Trabanten zeichnerisch 
genau darstellte und dass diese Zeichnungen mit den Angaben und der Theorie des 
Marius im Mundus Jovialis vollständig übereinstimmen. Marius machte in seiner Hast nur 
den einen Fehler, dass er das, was Galilei nur für einige Wochen darstellte, als bleibende Erscheinung 
der Jahre 1608 bis 1630 sofort fixierte. — Ferner ist der schon besprochene Bahnradius des vierten 
Trabanten (12' 30“) offensichtlich aus den Lettere Solari entnommen. 

Damit ist wohl bewiesen,. dass Marius den Anhang der Lettere Solari genau kannte und für sich 
verwertete. 


A, 


ren 


naeh 


a 


FF 


” 


end, © 


497 


Trabant: IL, IL. I. IVoIR 
NachBerberich (1610-14): 14 18% 28m 348 34 ]3h 17m 4]js 74 3b 58m 49e 164 Eh —m —s 
Galilei anfangs 1613: 1 18 2826 313 1731 7358 8 1613 — — 
nen, Ian 1612er 28:30 rl le 7 arte 1618! 9:15 
EndeHi6il4:e.1k 18, 283330 8, 1318 u Ka 57 16 


Schon durch diese Zusammenstellung allein wird die obige Schluss- 
folgerung von der grösseren Genauigkeit der Mariusschen Werte hinfällig. 
Denn die Differenzen zwischen den wahren mittleren Werten (1610—1614) und den 
Galileischen Zahlen sind für die einzelnen Trabanten: 


Galilei: —& —18  —41 n 
19 N A le 
Marius: E 1 12,94 —140 +2 51 


Die Werte des Marius sind also beim zweiten, dritten, vierten Trabanten 
ganz bedeutend schlechter als die des Galilei; nur beim ersten Trabanten 
verdient Marius den Vorzug. Doch auch hier ändert sich die Sachlage völlig zu 
Gunsten Galileis, wenn wir beachten, dass er obige Periode des ersten Trabanten aus der 
Zeit zwischen der Konjunktionsbeobachtung vom 29./30. April 1611 und 17. Eebruar 1612 
berechnete. Das zwischenliegende Zeitintervall Galileis stimmt wunderbarer Weise 
bis auf Zehntelzeitminuten mit dem aus H. Berberichs Tabelle berechneten 
überein und man findet bei Galilei und aus letzterer Tabelle genau denselben 
Wert für die Perioden des ersten Trabanten, nämlich 


1181282 265, 
so dass der entsprechende Fehler 
bei Galilei 08 
und „ Marius + 4 resp. 7° beträgt. 


Es ist also auch nicht gestattet zu sagen, dass wenigstens für den ersten 
Trabanten der Mariussche Wert dem Galileischen überlegen ist. Im Gegenteil 
sind die Beobachtungsresultate Galileis von einer staunenswerten Genauigkeit. — Bei den 
grossen Schwankungen der wirklichen Perioden, ist es allerdings nur ein Spiel des Zu- 
falls, wenn der damalige Beobachter auf Grund seiner Beobachtungen Umlaufszeiten fand, 
die den wahren mittleren Werten für einige Jahre mehr oder weniger nahe kommen. 

Durch obige Untersuchung ist nunmehr der Beweis geliefert, dass die Werte der 
Umlaufszeiten, die Marius gab, den damaligen Erscheinungen weit weniger 
entsprechen als die Galileischen Perioden und uur für den ersten Trabanten 
sind die Werte bei beiden Männer ungefähr gleich gut. Doch werden wir auch für 
diesen Trabanten, ebenso wie für die anderen, noch den Nachweis liefern, dass die hypo- 
thetischen Beobachtungen des Marius, trotz der merkwürdigen Güte der Perioden, auch 
nicht annähernd jene Genauigkeit haben, wie sie bei Galilei stattfindet, und wie sie zur 
Erreichung jener Perioden wohl notwendig gewesen wäre. 


Abh.d. II. Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 64 


4. Vergleich der Mariusschen Trabantentafeln mit den modernen Tafeln. 


Wollte man aus dem Grunde, weil die Perioden, die Marius zuerst im Prognostikum 
auf 1613, später im Mundus Jovialis (anfangs 1614 und dann Ende 1614) niederlegte, den 
wahren Werten der Reihe nach (abgesehen vom zweiten Trabanten) immer näher kommen, 
annehmen, dass des Marius’ selbständige Beobachtungstätigkeit doch wohl auch Teil habe an 
diesem Erfolg, so kann man diese Annahme nicht völlig zurückweisen. Wenn man aber auch 
vielleicht zugeben könnte, dass Marius die Jupitertrabanten Ende 1610 gesehen und von 
Ende 1611 an wohl auch wiederholt beobachtet habe, so kann andererseits die regel- 
mässige Beobachtungstätigkeit des Marius durch nichts bewiesen werden. — Wir besitzen 
von ihm nur die Trabantentafeln und die Perioden und, wenn man will, auch 2—3 angebliche 
Beobachtungen. Doch können diese Dinge die Sache des Marius nicht über allen Zweifel 
erheben. Wir haben die Berechtigung dieser Zweifel bereits begründet und werden im 
folgenden noch wesentliche Beiträge hiezu liefern. 

Die frühere Untersuchung hat ganz evident gezeigt, dass Marius Grössen bis zu einigen 
Minuten nicht mehr messen konnte. Daraus folgte dann mit voller Sicherheit der Schluss, 
dass Marius seine genauen Trabantenperioden unmöglich aus eigenen Beobachtungen ge- 
wonnen haben konnte. Denn dazu wäre bei seiner Beobachtungsmethode nötig gewesen, 
dass er die Distanzen der Trabanten vom Jupiter bis auf Sekunden genau bestimmte. Dies 
war ihm unmöglich, daher konnte Marius auch nie mit Bestimmtheit sagen, wenn ein 
Trabant im Vergleich mit einer früheren Beobachtung gerade einen Umlauf vollendet hatte. 
Demnach konnten ihn seine angeblichen Beobachtungen und rohen Messungen nie zu so 
genauen Perioden führen, wie sie der Mundus Jovialis angibt. 

Im letzten Kapitel haben wir die Wege angegeben, wie Marius auch ohne Beobachtungen 
zu jenem Resultat kommen konnte, und gezeigt, dass die Perioden bei Marius im Allgemeinen 
ungenauer sind als bei Galilei. Nunmehr wollen wir dartun, dass auch die Epochen und 
Tafeln des Marius den Anforderungen, die man stellen müsste, wenn er die genauen 
Perioden wirklich durch eigene Beobachtungen gewonnen hätte, durchaus nicht genügen. 

Die Tafeln des Marius wurden in doppelter Weise auf ihre Richtigkeit geprüft. 
Zunächst wurden sie mit dem @Galileischen Beobachtungsmaterial verglichen.!) Benützt 
wurden hiebei, da die Distanzen. und Bahnradien bei Galilei bis anfangs 1612 ungenau 
und schwankend verzeichnet sind, hauptsächlich die Beachtungen der Trabantenkonjunktionen 
mit Jupiter und später, vom 31. Januar 1612 ab, auch die Distanzangaben Galileis. 

Dann wurden die Trabantenkonjunktionen für 1610 bis 1614 durch Herrn Professor 
A. Berberich aus den Tafeln von Damoiseau berechnet und dem Verfasser dieser Ab- 
handlung ‚zur Verfügung gestellt. Diese Berechnungen boten die Möglichkeit einer ge- 
nauen Prüfung der Mariusschen Tafeln. 

Die doppelten Differenzen zwischen diesen Tafeln einerseits und den Galileischen Be- 
obachtungen resp. den Tafeln des Herrn Berberich ändrerseits stimmten.der Richtung nach 


I) Dieses Beobachtungsmaterial ist in der von Alb£ri veröffentlichten Ausgabe der Galilei opere, 
Bd. V, 1 niedergelegt. Doch ist es in dieser Ausgabe manchesmal ungenau und ‘unvollständig; es war 
daher für den Verfasser dieser Abhandlung von grossem Wert, dass ihm der autographische Abdruck 
des Galileischen Beobachtungsjournals (7. Januar 1810 bis 13. Februar 1613), welches in dem noch nicht 
erschienenen III. Bd., 2. Teil der von H. Favaro besorgten Nationalausgabe veröffentlicht werden soll, 
durch die Güte des H. Favaro übermittelt wurde. 


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Fe ae 4 Ka 


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+99 


und auch der Grösse nach aufs Beste überein. Die vielen Hunderte von Konstellationen, 
die zum Zwecke des Vergleichs mit den Mariusschen Tafeln aus den Galileischen Beob- 
achtungen berechnet wurden, hätten nun, weil kritische Bemerkungen hätten beigefügt 
werden müssen, einen grossen Raum beansprucht. Da sie aber, wie gesagt, mit den nach 
Damoiseau von Herrn Berberich berechneten Tafeln gut übereinstimmten !), konnten sie bei- 
seite gelassen werden, und es genügte zur Charakterisierung der Genauigkeit und Richtigkeit 
der Tafeln des Marius, diese mit den Berechnungen des Herrn Berberich allein zu ver- 
gleichen und den Differenzengang zwischen beiden für 1610 bis 1614 darzustellen. 

Als einfachstes Mittel zum Vergleich wurden die von Herrn Berberich angegebenen 
(Pariser) Zeiten der oberen heliozentrischen Konjunktionen der Trabanten mit Jupiter be- 
nützt; mit deren Hilfe konnte der mittlere Ort eines Trabanten in seiner Kreisbahn aus 
der Tafel des Marius gefunden werden; deren + oder — Exzess über 360° gab dann die 
— oder — Differenz zwischen Marius und Berberich-Damoiseau. In nachstehender Tabelle 
ist unter t das Datum der Trabantenkonjunktion, unter öı und öz die Differenz, um welche 
die Tafeln des Marius zu gross (4) oder zu klein (—) sind, angegeben und zwar bezeichnen di 
die Differenzen, wie sie sich aus den ursprünglichen Tafeln des Mundus Jovialis errechnen, 
während öz die Differenzen darstellen, weil sie die später (Ende 1614) abgeänderten 
Tafeln des Mundus Jovialis ergeben. 


I. Trabant. 
t öl 62 t Öl ö2 


1610, 1. Januar —+ 1194 + 12° 1612, 30. April + 2097 —+- 1597 
2213. März —+ 13.3 + 13.5 1 + 20.9 + 15.4 
or yunı + 17 + 16.5 „ 19. September + 22.7 + 16.8 
„ 12. Oktober —+ 16.5 — 152 „ 28. November 22.9 + 16.5 
„ .21. Dezember —+- 15.8 = 14.1 1613, 3. Januar + 21.4 —+ 14.7 

1611, 26. Januar —- 16.8 — 14.8 END —- 20.8 —- 13.5 
e 7. April el —+ 15.4 „. 29. Juni + 23.6 15.7 
alle + 20.7 —+ 17.6 „ 13. Oktober —-'24.7 -+ 16.2 
x 1. Oktober —+ 20 + 16.5 „ 23. Dezember + 23.2 142 
„ 10. Dezember + 20.2 —+ 16.2 1614, 1. Januar + 23.5 —+ 14.4 

1612, 15. Januar 195 —- 15:2 At er i. —+ 23.5 + 14.1 

I. Trabant: 
t ö1 62 t 1 02 

1610, 6. Januar -r 1729 + 18.7 1612, 2. April + 16°%5 -- 15°5 
„ 18. März — 17.9 —+ 18.6 ul —+ 14.9 + 13.6 
„2 Juli Eee a „ 97. September 145 +131 
„ 12. September + 18.7 +19 A 7. Dezember + 13.7 + 12.1 
„ 27. Dezember + 18.8 — 18.8 1613, 12. Januar —+ 13.3 + 11,7 

1611, 1. Februar 8 + 18 „ 24. März ee 109 
„ 13. April a eL,17 Selle 2190° 1.109 
OST Se -F 16.9 „ 17. September + 121 —+ 10 
3 8. Oktober + 16.9 + 16.3 „ 27. November —+ 10.5 + 81 
„ 18. Dezember + 17.3 —+ 16.6 1614, 2. Januar + 9.7 + 72 

1612, 22. Januar 17 + 16.1 


1) Nur für den ersten Trabanten ergaben sich 1610 nach den Beobachtungen Galileis die Differenzen 
um mehrere Grad höher als nach den Tafeln Berberichs. 
64* 


500 


II. Trabant. 


t öl ö2 t ö1 62 
1610, 9. Januar — 1193 — 1278 1612, 12. April — = =300 
„ 22. März eilt „29. Juli a 
De Ta Een »„ 9 Oktober +19 um 
„ 17. September —6:7 8 „ 19. Dezember + 1.8 — 2 
„ 28. November — — 13 1613, 24. Januar + 2.2 — 2.4 
1611, 3. Januar — 5.8 — 82 » 6. Apnil + 2.3 — 24 
„ 15. März — 45 —. 71 um + 3.3 — 17 
a 1. Juli — 2.8 — 8 »„ 27. August 43 —1 
„ 10. September = % — 52 » 7. November +46 10:8 
„ 27. Dezember — 15 — 5 1614, 17. Januar + 48 — 0.8 
1612, 1. Februar len! — 49 
IV. Trabant. 
t ö1 62 t ö1 62 
1610, 4. Januar + 6°3 —+ 8%4 1612, 18. März + 1°%4 + 8° 
„ 12. März 63 EST „ 24. Mai +09 u: 
„18 Man + 6.2 +9 „» 2. September — 70:0 + 7.5 
»„ 26. August + 5.7 +91 »„ 8 November — 0.7 + 7.6 
»„ 2% November + 5.4 + 9.1 1613, 14. Januar — 16 + 6.7 
1611, 8. Januar —+ 49 +9 722.2 Marz — 2.5 —+ 6.2 
„ 16. März +45 +9 „ 28. Mai 2 al +59 
„ =, Mai +41 +9 „ 5. September — 41 7308 
„ 30. August +35 9 » 11. November — 4.9 +92 
»„ . 5. November + 3.1 +87 1614, 17. Januar — 5,8 -+ 4.6 
1612, 11. Januar +2 —+ 8.2 


In dieser Differenztabelle können infolge der abgekürzten Form der Tafeln des Herrn 
Berberich beim ersten, zweiten, dritten und vierten Trabanten die ö beziehungsweise um 
+ 166; + 0°8: +0°4; + 0°2 fehlerhaft werden. Diese möglichen Fehler vermindern er- 
sichtlich den Wert der Zusammenstellung nicht und irritieren die daraus gezogenen Schluss- 
folgerungen ebensowenig. 

1. Beim ersten Trabanten sind die Mariusschen Tafelwerte stets bedeutend zu 
hoch; öı wächst von + 11°4 bis + 24° und öa von + 12° über + 17°%6 auf + 14°. 
Nehmen wir zunächst die Differenzen ö, vor, so sehen wir die auffallende Erscheinung, 
dass dieselben beständig wachsen, und es ergibt sich das merkwürdige Resultat, dass die 
Fehler um so grösser werden, je länger Marius beobachtet hatte; schliesslich be- 
tragen sie gerade um die Zeit (1613/14), da Marius die Tafeln verfasste, 24° d.h. genau 1, 
des ganzen Umlaufs von 360°; dieser Fehler von 24° aber lässt rückwärts schliessen auf 
einen solchen von drei Stunden in der Beobachtungszeit und auf einen Fehler 
in der Distanzmessung, der in dem grössten Teil der Bahn weit über einen Jupiter- 
durchmesser betrug. Dieser Fehler dokumentiert die Unzuverlässigkeit Mariusscher Be- 
obachtungen deshalb besonders deutlich, weil die Maximalamplitude des ersten Trabanten 
überhaupt nur ca. drei Jupiterdurchmesser erreicht. Bei dieser ganz erheblichen Unsicher- 
heit der Beobachtungen ist es ganz unbegreiflich, wie Marius zur Periode von 14 18h 28m 30 
kommen konnte, die gegenüber der wirklichen mittleren Periode zwischen 1610 und 1614 
um kaum 4° zu klein war. 


501 


Es besteht aber auch noch folgender unlösbarer Widerspruch: Im Jahre 1612 (Pro- 
gnostikum auf 1613) besass Marius noch die um 10% fehlerhafte Periode 14 18% 18m 308, 
also erhielt er die obige angenäherte (14 18% 23m 30°) erst 1613. Er bestimmte demnach 
diese recht genaue Periode zu einer Zeit, da seine Beobachtungen um 24° 
falsch waren, während zu der Zeit (1612), als seine Periode noch unbrauchbar war, die 
Beobachtungsfehler weniger bedeutend waren. — Wenn wir nun daraus den Schluss ziehen, 
dass Marius die Umlaufszeit, wie sie im Mundus Jovialis für den ersten Tra- 
banten angegeben ist, nicht aus eigenen Beobachtungen bestimmt hat, so wird 
man uns die Berechtigung dazu nicht absprechen können. 

Ahnliches gilt für die Differenzen do. Wenn auch der Fehlerausschlag nicht mehr 
so bedeutend ist, so ist trotzdem eine durchschnittliche Fehlerzunahme zwischen 1610 
bis 1614 zu konstatieren. Der Fehler für 1612/13 ist + 15° bis 16° also = „L, des Um- 
laufs von 360° = einem Fehler von zwei Stunden in der Beobachtungszeit = einem 
Fehler in der Distanzmessung, der im grössten Teil der Bahn 0,5 bis über 0,75 
Jupiterdurchmesser beträgt. Es besteht also der Widerspruch fort zwischen diesen 
groben Beobachtungsfehlern, — die zwei Zeitstunden entsprechen —, und der sehr 
senauen Periode, die bei Marius (Ende 1614) 14 18% 28m 33% ergab und nur um ca. 1° 
falsch war. Berechnen wir nämlich den Einfluss, den eine um zwei Stunden fehler- 
hafte Zeitbestimmung zwischen zwei Beobachtungen, die z.B. ca. ein Jahr aus- 
einanderliesen, auf die daraus bestimmte Periode hat, so finden wir für diese Periode einen 
Fehler von ca. 35°. 

2. Auch für den zweiten Trabanten sind die Werte der Mariusschen Tafeln durch- 
weg bedeutend zu gross. Die Differenzen ö, bewegen sich in abnehmenden Sinne von 
ca. + 18° und + 19° nach ca. + 10°, und die öy von + 19° nach + 7°. Die starke 
Änderung der Differenzen zeigt, dass die Mariussche Periode von der wirklichen zwischen 
1610/14 stark abwich und zwar war die „verbesserte“ Periode schlechter als die frühere des 
Mundus Jovialis. 

Die Differenzen ergeben, dass der durchschnittliche Fehler in der Distanzbeobachtung 
im grössten Teil der Bahn für 1610/11 stets zwischen 1 und 1,75 Jupiterdurchmesser 
war, während die Maximalamplitude selbst nur ca. fünf Durchmesser beträgt; für 1612 lag 
dieser Beobachtungsfehler im grössten Teil der Bahn noch zwischen 1 und 1,3 und 1613 
immer noch zwischen 0,6 und 1 Jupiterdurchmesser, 1614 sank er auf ca. 0,5 herab. 
Diese fortwährend auftretenden Fehler sind so erheblich, dass man auch hier unmög- 
lich zur Annahme kommen kann, Marius habe durch selbständige, fortgesetzte Be- 
obachtungen die genauen Perioden gefunden, die nur um 19° resp. 24° zu gross waren; 
man muss im Gegenteil die Meinung für wohlbegründet halten, dass Marius bis 1614 
messende Beobachtungen sehr wenige gemacht und sich kaum ernstlich mit 
solchen beschäftigt haben konnte. Dies bezieht sich nicht nur auf den zweiten, 
sondern ebenso auf den ersten Trabanten. 

Man bedenke noch, dass jene ö für den zweiten Trabanten sich in zeitliche Be- 
obachtungsfehler von ca. 2 bis 44 Stunden umsetzen. Die Bedeutung die Fehler 
für die Periodenbestimmung aber kann man erst recht bemessen, wenn man z. B. berechnet, 
- dass ein Fehler von nur zwei Stunden bei der Bestimmung der Zeitdifferenz zwischen 
zwei Konjunktionen, die ein Jahr auseinanderliegen, die Periode schon um 1" 108 fehler- 


502 


haft macht. Daraus kann man am besten beurteilen, ob es Marius möglich gewesen sein 
kann, in der kurzen Zeit, die ihm 1613 und 1614 zur Bestimmung der genauen Perioden 
des Mundus Jovialis zur Verfügung war, jene Perioden zu erhalten, die bis auf 19° resp. 24° 
richtig sind. 

3. Beim dritten Trabanten ergeben die Tafeln des Marius für 1610 ganz be- 
deutend (um 11—13°) zu kleine Werte. Doch nehmen die Differenzen dı infolge der 
zu kurzen Periode von — 11°23 an rasch ab, gehen gegen die Mitte von 1612 durch 0° 
hindurch, wechseln ihr Zeichen und wachsen dann, so dass sie anfangs 1614 ca. + 5° be- 
tragen. Die ö3 nehmen ohne Zeichenwechsel von — 1278 bis — 0°8 beständig ab. Die 
ö, nähern sich Ende 1614, zu welcher Zeit Marius die verbesserten Tafeln verfasste, der Null. 

Die ö des Jahres 1610 ergeben im grösseren Teil der Trabantenbahn Fehler der 
Distanzmessungen, die 0,75 bis über 1,5 Jupiterdurchmesser ausmachen und die 
entsprechenden Zeitfehler sind 3 bis 6 Stunden. Diese Fehler sind in den übrigen 
Jahren geringer und verschwinden für die dı im April 1612, für die öa Ende 1614. Daraus 
könnte man folgern, dass Marius schon im April 1612 sehr genaue selbständige Trabanten- 
beobachtungen gehabt habe. Dem steht jedoch entgegen, dass die Tafelwerte für die 
späteren Zeiten (1613/14) immer fehlerhafter werden, und besonders jene, die in die 
Zeit der Abfassung des Mundus Jovialis (anfangs 1614) fallen, obwohl sie die genauesten 
hätten sein sollen, gerade die schlechtesten Werte von Mitte 1611 bis 1614 sind. Man 
darf doch nicht annehmen, dass die Tafeln um so geringwertiger werden konnten, auf je 
mehr Beobachtungen Marius sich stützte. 

Wir wissen ferner, dass zur Zeit der Abfassung des Mundus Jovialis der Discorso sui 
Galleggianti (1612) und die Lettere Solari (1613) überall bekannt waren und aus diesen 
die Periode resp. die Epoche der Trabanten zu entnehmen war. Wir haben auch nach- 
gewiesen, dass die Zeit der oberen Konjunktion des dritten Trabanten vom 15. März 1613, 
wie sie aus den Lettere Solari Galileis gefunden werden konnte, genau übereinstimmt mit 
der Zeit, wie sie den Tafeln des Marius für dieselbe Konjunktion entspricht. Marius macht 
in seiner Epoche genau den Fehler (ca. 2°), wie er den Zeichnungen Galileis in den Lettere 
Solari entspricht; Marius hat also wohl seine Epoche für den dritten Trabanten aus den 
Lettere Solari genommen. Da nun Marius eine zu kleine Umlaufszeit benützt, so deckt 
sich vorher, zufällig im April 1612, der Tafelort mit dem wirklichen Ort des Trabanten. 
Man darf jedenfalls nicht den Schluss ziehen, dass Marius schon im April 1612 über exakte 
Beobachtungen verfügte, um so weniger als Marius noch Mitte 1611 die Periode des 
dritten Trabanten nicht einmal in grober Annäherung besass, und auf 10—11 Tage, 
also um die Hälfte zu gross annahm. Jenem Schluss widerspricht auch die Betrachtung 
der Differenzen ö2. Bei der Abfassung der verbesserten Tafeln hätte Marius doch sicher 
auch jene hypothetischen Beobachtungen aus 1612 in Betracht gezogen und aus ihnen im 
Vergleich mit jenen vom Ende 1614 eine Periode ‘ziehen müssen, die. der wahren Periode 
genau gleich sein musste. Statt dessen geben die verbesserten Tafeln gegenüber den älteren 
für jene Zeit der „exakten Beobachtungen“ (1612) einen Unterschied von ca. 4°, der 
dann bis 1614 auf über 5°5 wächst. Dieser Unterschied aber entspricht einer Zeit- 
differenz von 2 bis 32 Stunden und einer Distanzdifferenz von 0,5 bis 0,7 Jupiter- 
durchmesser im grösseren Teil der Bahn. Es scheint daher fast, als hätten die beiden 
Tafeln des Mundus Jovialis, die ältere und die verbesserte, ausser der sehr 


503 


fehlerhaften Epoche vom 1. Januar 1610, überhaupt keine gemeinsame Be- 
obachtungsgrundlage. Sie mussten doch wenigstens die Beobachtungen von Ende 1613 
gemeinsam darstellen; statt dessen aber divergierten sie damals immer mehr. Es ist also 
nötig, anzunehmen, dass die neueren Tafeln des Mundus Jovialis auf ganz anderen 
Beobachtungen als die früheren Tafeln beruhen, und daher mussten die neueren 
Tafeln nur aus Beobachtungen des Jahres 1614 (und jenen des Sidereus Nuntius 
von Anfang 1610) gewonnen worden sein. Die Tatsächlichkeit früherer Beobach- 
tungen des Marius jedoch ist damit in Frage gestellt, da zu solchen Beobachtungen die 
verbesserten Tafeln keine Beziehung mehr haben. 

4. Sehr bedeutend sind auch die Fehler der Mariusschen Tafeln für den vierten 
Trabanten. Die älteren Tafelwerte sind anfangs 1610 um 6°3 zu hoch, nehmen infolge 
der zu grossen Mariusschen Periode (164 18% 9% 15°) rasch ab, sind Ende August 1612 
den wahren Werten gleich und bleiben dann weiter zurück, so dass sie anfangs 1614, zur 
Zeit der Abfassung der Tafeln, um 5°8 zu klein sind. — Die neueren Tafeln dagegen er- 
geben stets zu hohe Werte, die da gehen zwischen 1610 und 1614 von ca. 99 auf 4e6 und 
bis Ende 1614 auf ca. 2°5 herab. 

Was zunächst die Differenzen dı betrifft, so sind sie Ende August 1612 =0, d.h. 
die Mariusschen Tafelörter des vierten Trabanten stimmen zu dieser Zeit mit den wahren 
überein. Aber dies ist nicht das Resultat der Beobachtung; denn Ende August 1612 
stand Jupiter in Konjunktion mit der Sonne, war also mitsamt seinen Trabanten nicht zu 
beobachten. — Die Grundlagen für die Tafelepoche des vierten Trabanten bei Marius lagen 
wahrscheinlich in den Lettere Solari Galiles. Wir fanden früher (p. 494—495), dass die 
Konstitution am 1. März 1613 den vierten Trabanten in der Maximaldistanz (124 Jupiter- 
durchmesser) zeichnerisch darstellt, dass in keiner der folgenden Zeichnungen Galileis eine 
Elongation von jener Länge mehr vorkommt, dass der Leser der Lettere Solari auf die 
tatsächlich falsche Meinung geführt werden musste, als sei der vierte Trabant zu jener 
Zeit genau in seiner westlichen Maximalelongation. Wir haben diese Ansicht auch bei 
Marius festgestellt, da seine Tafeln für diesen Zeitpunkt fast genau 270° ergeben. Tat- 
sächlich war der Trabant damals schon 2°5 weiter. Infolge der damals um mehr als 12m 
zu grossen Umlaufszeit, die Marius zugrunde legte, musste also ca. + Jahr vorher, Ende 
August 1612, öı = 0 werden. Dies ist also kein Beobachtungsresultat, sondern eine Folgerung 
aus Galileischen Publikationen. 

Wenn nun die Differenzen dı im Laufe des Jahres 1613 immer grösser werden 
und anfangs 1614, als Marius den Mundus Jovialis abschloss, bis auf ca. 6° gewachsen 
sind, so kann man sich keinen rechten Begriff von der Beobachtungstätigkeit des Marius 
machen, um so weniger, wenn diesem die wachsende Unrichtigkeit der Tafeln entgeht und 
die Tafeldistanzen gegenüber den Erscheinungen Ende 1613 im grössten Teil der Trabanten- 
bahn fortgesetzt um 0,8 bis 1,1 Jupiterdurchmesser fehlerhaft waren. 

Die Differenzen ö, vollends beweisen, dass aus den Jahren 1610, 1611, 1612 
und 1613 dem Marius kein brauchbares, eigenes Beobachtungsmaterial für 
den vierten Trabanten zu Gebote gestanden haben kann. Die ö, betragen nämlich 
von 1610 bis Ende 1611 ca. 9’ = 10 Stunden Zeitfehler = 1,5 bis 2 Jupiterdurch - 
messer Distanzfehler im grössten Teil der Bahn. 1612 it & = 8% bis 7° = 8 bis 
9,3 Stunden Zeitfehler = 1,2’ bis 1,9° Distanzfehler; 1613 ist & = 7° bis 48 = 


504 


5.4 bis 8 Stunden Zeitfehler = 0,75 bis 1,6‘ Distanzfehler im grössten Teil der Bahn. 
Erst gegen Ende 1614, zu welcher Zeit Marius die verbesserte Tafel verfasste, sank der 
Fehler 62 auf ca. 3° herab, der Zeitfehler auf ca. 4 Stunden und der Distanzfehler 
auf 0,6 bis 1‘ im grössten Teil der Bahn. Die verbesserten Tafeln des Mundus 
Jovialis stimmen also mit den Erscheinungen von 1610 bis 1614 gar nicht 
überein. Die Fehler der Distanzbeobachtungen steigen bis za dem hohen Betrag von 
„wei Jupiterdurchmessern; dieser Maximalfehler (= 10 Stunden Zeitfehler) erhält sich zwei 
Jahre 1610—1611. Dabei ist zu berücksichtigen, dass, wenn das Zeitintervall zwischen 
zwei um ein Jahr auseinanderliegender Konjunktionen des vierten Trabanten nur um vier 
Stunden fehlerhaft bestimmt wird, die daraus berechnete Periode genau um 11 Zeit- 
minuten fehlerhaft wird. Wenn einerseits die „verbesserte“ Tafel mit den Beobach- 
tungen noch weniger übereinstimmt als die frühere Tafel, andererseits jedoch jener fehler- 
hafteren, „verbesserten“ Tafel eine genauere Umlaufszeit zugrunde liest, so steht 
ınan vor einem Rätsel. Bevor wir jedoch dasselbe zu lösen versuchen, wollen wir noch 
folgende Überlegung einflechten. 

Es ist nämlich noch hervorzuheben, dass die Differenzen di und dy unter sich sehr 
beträchtlich und zwar mit der Zeit immer mehr divergieren. Wenn der Unterschied 
zwischen 6ı und 6, anfangs nur 2° beträgt, so steigt er Ende 1610 auf 4°, um bis Ende 
1613 auf mehr als 10° anzuwachsen; die Unterschiede der beiden Tafeln des Mundus 
Jovialis gehen in Bezug auf die Distanzen bis 2,3 Jupiterdurchmesser und die 
Zeitunterschiede ‚bis 11—12 Stunden. Daraus ergibt sich, dass Marius, wie auch beim 
ersten und dritten Trabanten, so ganz besonders beim vierten die hypothetischen Be- 
obachtungen, auf welchen die älteren Tafeln beruhten, in seinen neueren 
Tafeln ausser acht liess, also hauptsächlieh die aus 1612/13. Demnach dürfte 
die „Verbesserung“ der Tafeln und Umlaufszeiten sich hauptsächlich auf neue 
Beobachtungen stützen, die dem Jahre 1614 angehören. — Also auch für den 
vierten Trabanten kommen wir zu dem Resultat, dass die neueren Tafeln des Mundus 
Jovialis keinen Anhaltspunkt für die Annahme geben, dass Marius 1610—1613 
die Trabanten messend beobachtet habe. 


Wir kehren nunmehr zur Frage zurück, wie es komme, dass Marius, obwohl seine 
Beobachtungen sehr ungenaue waren, trotzdem so genaue Perioden erhielt? Wir haben 
früher drei Quellen erwähnt, durch deren Benützung Marius zu den Perioden gekommen 
sein konnte: Durch den Sidereus Nuntius (1610), durch den Discorso sui Galleggianti (1612) 
und durch die Lettere Solari (1613). Die Benützung einer vierten Quelle, die eigene, 
ganz selbständige Beobachtungstätigkeit, scheint Marius nach dem, was wir soeben 
durch die Untersuchung seiner Tafeln festgestellt haben, gar nicht oder doch erst sehr 
spät — im Laufe des Jahres 1614 — möglich gewesen zu sein. Es wurde gezeigt, dass 
des Marius Beobachtungsfehler bei allen vier Trabanten sehr bedeutend sind, dass sie bis 
zu mehreren Jupiterdurchmessern wachsen; genau dasselbe Resultat wurde früher dargetan 
aus verschiedenen Angaben des Mundus Jovialis und des Prognostikums auf 1613. Es 
wurde auch erwähnt, dass Marius, da er in: der Nähe des Jupiter die Trabanten nicht 


505 


beobachten konnte, zur Bestimmung der Perioden auf die Messung der Distanzen, haupt- 
sächlich der Maximalamplituden angewiesen war. Es fand sich auch, dass die Exaktheit 
der Distanzmessungen zu diesem Zweck bis auf Sekunden genau hätte sein müssen. 
Wenn nun des Marius Messungen nicht einmal auf Minuten zuverlässig waren, so 
entfällt für Marius jede Möglichkeit, die Periode mit der erwähnten Genauig- 
keit aus eigenen Beobachtungen gewinnen zu können. 

Im folgenden möge nun versucht werden klarzulegen, welches die wahrschein- 
lichen Grundlagen für. die Epochen und Umlanfszeiten sind, auf denen die Marius- 
schen Tafeln sich aufbauen. 

Das auffallendste Resultat der Vergleichung der älteren und neueren Tafeln des 
Mundus Jovialis war, dass für alle vier Trabanten beide Tafeln wider alles Erwarten nicht 
1613 oder 1614, also am Ende der Beobachtungstätigkeit des Marius, sondern 1610, 
also bei Beginn derselben am besten übereinstimmen. Anfangs 1610 unterscheiden 
sich beide Tafeln um höchstens 2°. Die gemeinsame Grundlage für beide Tafeln 
des Mundus Jovialis liegt also im Anfang des Jahres 1610. Nun wurde aber 
früher sicher gestellt, dass Marius die Trabanten 1610 nicht nur nicht entdeckt und erst 
am: 30. Dezember 1610 vielleicht gesehen habe. Jene Grundlagen der Tafeln können 
also nicht von Marius stammen. Woher sie genommen sind, ist leicht zu sagen, nämlich 
aus Galileis Sidereus Nuntius. Da diese Schrift die ersten Beobachtungen Galileis 
vom 7. Januar bis 2. März 1610 enthält und dem Marius dieselbe frühzeitig zu handen 
war, so müssen wir aus ihr jene Beobachtungen aufzufinden suchen, welche dem Marius 
die Ausgangsepochen für seine Tafeln lieferten. 

Zu dem Zwecke ist eine genaue Vergleichung der Tafeln des Marius und der Be- 
obachtungen Galileis nötig. Man erreicht dies am übersichtlichsten dadurch, dass man die 
Mariusschen und Galileischen Werte durch übereinanderliegende Kurven darstellt. Als 
Abszisse dient die Zeit (in Stunden), als Ordinaten werden für die Beobachtungszeiten 
Galileis die entsprechenden Distanzen eingetragen, wie sie Galilei angibt und wie sie sich 
korrespondierend aus den Tafeln des Marius errechnen. 

Es ist oft sehr schwer, bei den Beobachtungen Galileis mit Sicherheit anzugeben, 
welche von den vier Monden zu den angegebenen Distanzen gehören; besonders aber dann, 
wenn die verzeichneten Monde keine sehr bedeutenden Distanzdifferenzen haben. — Diese 
Schwierigkeit bestand natürlich auch für Marius, als er in den Beobachtungen Galileis ge- 
sicherte Anhaltspunkte für die Epochen der einzelnen Trabanten aufsuchtee Nachdem nun 
aus dem Sidereus Nuntius leicht ersichtlich ist, dass die Amplituden der vier Trabanten 
ca. 3, 9, 8, 13 Jupiterdurchmesser betragen, so ist, wenn z. B. alle vier in diesen Distanzen 
vom Jupiter sichtbar sind, die Frage, welches der 1., 2., 3., 4. Trabant ist, sofort gelöst. 

Für den ersten Trabanten, dessen Beobachtung bei Galilei bedeutende Lücken auf- 
weist, bot sich nun trotzdem ein solcher ganz sicherer Anhaltspunkt in der Beobachtung 
vom 1. und noch besser in der vom 2. Februar 1610: Am 1. Februar waren drei Monde 
sichtbar; der dritte östlich, der vierte westlich in der Nähe der Maximalelongation und ein 
weiterer östlich nur 20” vom Jupiterand = 50“ vom Jupiterzentrum entfernt. Dieser war 
nun wahrscheinlich der erste, mit dem zweiten in Konjunktion. Marius hielt ihn ebenfalls 
für den ersten während er offenbar den zweiten als unsichtbaren, hinter dem Jupiter ver- 
borgenen Trabanten annahm. Diese Konstellation war also, mit jener Annahme, ziemlich 

Abh. d. IT. Kl.d.K.Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 66 


506 


deutlich. Die nächste Konstellation, die vom 2. Februar war aber noch günstiger: Der 
2., 3., 4. Mond ungefähr in Maximaldistanz, der erste Trabant jedoch um 648m p, m. 
noch unsichtbar, dann aber um 11®48® p.m. in der Distanz 1‘40“ vom Jupiterrand 
(= 2' 10” vom Jupiterzentrum) sichtbar. Es boten sich also hier für den ersten Trabanten 
drei ziemlich sichere Daten, zwei Distanzangaben und eine Konjunktion mit Jupiter. Diese 
Daten hat nun Marius sehr wahrscheinlich verwertet; denn für diese zwei Tage deckt 
sich die Mariussche Kurve genau mit der Galileischen und die Tafeln des Mundus 
Jovialis ergeben für die betreffenden Zeiten Distanzen, die mit den Galileischen bis 
auf wenige Sekunden genau übereinstimmen; eine noch genauere Übereinstimmung 
ist wegen der nicht ganz sicheren Bahnradien des Nuntius Sidereus nicht leicht möglich 
und die Abweichungen sind innerhalb der eventuellen Beobachtungsfehler. — Eine solch 
genaue und vollständige Anschmiegung der beiden Kurven für längere Zeit kommt nicht 
mehr vor und nur einmal noch auf kurze Zeit für die drei Beobachtungen des 8. Februar. 
Hier waren der dritte und vierte Mond in der Nähe ihrer östlichen Maximalamplitude, 
ausserdem ist östlich ein Trabant in 120° (= 1'50“ vom Jupiterzentrum) Distanz, der 
nach zwei Stunden nur noch 10“ vom Jupiter entfernt und nach einer weiteren Stunde in 
der Jupiterscheibe verschwunden war. Galilei sah 10“ östlich von letzterem sehr undeutlich 
zuerst noch einen vierten Trabanten 1’ 30“ (= 2‘) vom Jupiter entfernt, nachher nicht 
mehr; derselbe war mit dem anderen in die Jupiterscheibe eingetaucht. Diese beiden: 
letzteren konjungierten Trabanten waren also der erste und zweite und zwar war der un- 
deutlich sichtbare der erste Trabant. Die dreifache Beobachtung gab die Garantie, dass 
die daraus gewonnenen Epochen für den ersten (resp. zweiten) Trabanten ziemlich gute 
Werte seien. Da nun die Mariusschen Tafeln auch mit diesen Beobachtungen überein- 
stimmen, so hatte Marius eine Bestätigung für die Richtigkeit seiner aus den Beobachtungen 
vom 1./2. Februar entlehnten rechnerischen Grundlagen. 


Derartig günstige, scheinbar unzweifelhafte und leicht verwertbare Stellungen des 
ersten Trabanten, wie die vom 1., 2. und 8. Februar, kommen in den Beobachtungen 
Galileis nicht mehr vor. Marius hat dies mit Scharfblick herausgefunden und offenbar 
auf jene Beobachtungen des Nuntius Sidereus die Epoche desersten Trabanten 
gegründet; leider basierte sie gerade auf fehlerhaften Beobachtungen Galileis, daher auch 
die Mariussche Epoche für. den ersten Trabant vom richtigen Wert um ca. 12° abweicht. 


Für den zweiten Trabanten war die Beobachtung vom 1. Februar insofern von 
Wichtigkeit, als derselbe, scheinbar der einzige unsichtbare Trabant, mit Jupiter in Kon- 
junktion sein musste. So scheint wenigstens Marius angenommen zu haben, während der 
zweite in. Wirklichkeit mit dem ersten damals in Konjunktion stand. Die zweite und dritte 
Beobachtung des 8. Februar, nach denen der zweite Mond ganz in der Nähe des Jupiter 
resp. in der Jupiterscheibe war, ist in der Mariusschen Tafel ebenfalls verwertet. Ausser- 
dem stimmen diese mit den zwei Beobachtungen Galileis des 4. Februar, an welchem Tage 
der zweite als solcher leicht zu konstatieren war, bis auf 2” resp. 4“ in der Distanz überein; 
auch in der Beobachtung am 1. März war aus den gleichzeitigen und vortägigen Stellungen 
der Trabanten wohl zu erkennen, welches der zweite Trabant sein müsse. Mit der ent- 
sprechenden Distanzangabe Galileis stimmt die Mariussche Distanztafel sogar ganz genau, 
bis auf 1”, überein. 


en 


507 


Für den dritten Trabanten finden sich nicht so günstige Anhaltspunkte im Sidereus 
Nuntius. Doch ist aus den Distanzen des 19. Januar zu erkennen, dass der östliche Trabant 
der dritte sein muss. Es stimmen die Mariusschen Tafeln mit der Beobachtung vom 
19. Januar auf 7° = 1°4 überein und für die Beobachtung am 18. Februar, welche als 
Doppelbeobachtung ebenfalls den dritten Trabanten rasch erkennen lässt, bis auf 3" = 
0°4 überein. 

Beim vierten Trabanten ist schon aus dem sprunghaften Verlauf der Kurve zu 
sehen, dass die Galileische Distanzen teilweise sehr fehlerhaft sind und nur an einer 
Stelle, am 11., 12., 13. Februar verläuft die Kurve ganz regelmässig. Es liegt also 
nahe, hier die zuverlässigsten Werte der Beobachtung zu suchen. Diese Werte hat offenbar 
auch Marius in seinen Tafeln benützt; denn am 11. Februar stimmen diese bis auf 5“ (= 1°2) 
und am 13. Februar sogar bis auf die Sekunde genau mit der Galileischen Distanz- 
beobachtung überein. 

In den Beobachtungen, wie sie Galilei uns im Sidereus Nuntius mitteilt, gibt es also 
für jeden einzelnen Trabanten besonders ausgezeichnete Konstellationen, die 
durch regelmässigen Verlauf der Erscheinung oder durch günstige Stellung zu Jupiter und 
den anderen Trabanten zur rechnerischen Verwertung besonders geeignet sind; und gerade 
solche Beobachtungen stimmen mit den entsprechenden Werten der Mariusschen Tafeln 
überein. (Wenn nun gerade an solchen Stellen die Galileischen Distanzen fehlerhaft sind, 
so folgen daraus notwendig jene äusserst fehlerhaften Epochen bei Marius, wie sie vorher 
schon gekennzeichnet wurden. Die Zeitdifferenz Padua-Ansbach = 5” 10° blieb hiebei 
ausser Rechnung.) 

Es ist demnach der Schluss nicht unberechtigt, dass eben jene Beobachtungen 
Galileis die Grundlagen und Anfangsepochen für die Tafeln des Marius ge- 
wesen sind. 

Während nun auf diese Weise die Herkunft der Anfangsepochen verhältnismässig 
leicht festzustellen war, scheint es dagegen ein schweres Unternehmen zu sein, weiterhin 
die Beobachtungen aufzufinden, welche dem Marius auf Grund jener Anfangsepoche die ge- 
nauen Umlaufszeiten lieferten. 

Es ist bereits ausgeführt worden, wie es Agucchi schon 1611 gelang, aus dem Sidereus 
Nuntius allein die Umlaufszeiten der vier Trabanten zu 14 181%, 34 15k, 74 4b, 164 18% ab- 
zuleiten und es ist auch hier zu betonen, dass die Perioden für den dritten und vierten 
Trabanten richtiger waren als die Perioden, die Marius im Mundus Jovialis bringt. Wenn 
dies Agucechi schon 1611 möglich war, warum sollte es dem Marius nicht bis 1614 möglich 
sein, da damals neben dem Sidereus Nuntius der Discorso sui Galleggianti mit der 
doppelten Angabe für Periode und Stundenweg und auch die Lettere Solari mit den 
Trabantenkonstitutionen veröffentlicht waren. Der Zusammenhang der Tafeln des Marius mit 
den Lettere Solari konnte für den dritten und vierten Trabanten nachgewiesen werden: 
Marius benützte offenbar für den vierten Trabanten die Konstellation am 1. März 1613 
für seine Tafeln und beim dritten Trabanten vielleicht die Konjunktion am 15. März 1613. 
Dadurch waren für den dritten und vierten Trabanten jene Elemente gegeben, welche zu- 
sammen mit den aus dem Sidereus Nuntius gewonnenen Epochen zur genaueren Bestimmung 
der Perioden ausreichten. Marius konnte nunmehr seine Tafeln für den dritten und vierten 


Trabanten berechnen. 
65* 


508 


Für die Berechnung der Tafeln des ersten und zweiten Trabanten boten wegen der 
Kleinheit des Distanzmasstabes die Konstellationen der Lettere Solari weniger sichere An- 
haltspunkte, andererseits aber scheinen wegen der kolossalen Fehlerhaftigkeit (+ 24°) der 
Mariusschen Tafeln in den Jahren 1612 und 1613 keine Beobachtungen aus dieser Zeit 
zur Verfügung gestanden zu sein. Man muss wohl annehmen, dass Marius für den ersten 
und zweiten Trabanten aus dem Sidereus Nuntius die Epochen und aus ihm oder 
dem Discorso, vielleicht auch unabhängig von jener Epoche aus den Lettere 
Solari die Perioden abgeleitet und dann auf Grundlage beider Elemente seine Tafeln 
konstruiert hat. 

Bei den späteren Tafeln, die Marius Ende 1614 nachträglich seinem Mundus 
Jovialis beifügte, haben wir konstatiert, dass sie mit den ursprünglichen Tafeln nur durch 
die um 4° bis 2° variierten Epochen von 1610 zusammenhängen und dass sie mit der 
Zeit immer mehr und mehr divergieren bis zu sehr beträchtlichen Differenzen. Die 
späteren Tafeln sind demnach auch auf denselben Ausgangspunkt, d.h. auf 
den Sidereus Nuntius gegründet. Die übrigen Bestimmungsstücke für die 
Tafeln sind hier andere als vorher; jedenfalls lässt sich eine Abhängigkeit 
von den Lettere Solari nicht leicht auffinden. Es ist vielmehr mit Nachdruck 
darauf hinzuweisen, dass die neueren Tafeln des Marius zum erstenmale mit einiger 
Sicherheit, wenigstens bei den drei äusseren Trabanten, auf eine selbständige Be- 
obachtungstätigkeit des Marius im Jahre 1614 schliessen lassen. Denn in diesem 
Jahre geben die neueren Tafeln für alle Trabanten fortgesetzt bessere Werte, die 
sich den Werten der wahren Trabantenörter immer mehr nähern. Sie stützen sich 
offenbar auf die im Jahre 1614 neu bestimmten Perioden, die den wirklichen 
damaligen Perioden näher kommen als die früheren Umlaufszeiten des Mundus 
Jovialis und nur beim zweiten Trabanten zeigt sich eine Verschlechterung. Marius hat 
also wohl im Jahre 1614 selbständig neue Elemente aufgefunden, die mit den 
ursprünglichen Epochen (des Sidereus Nuntius) zusammen, besonders für den 
dritten und vierten Trabanten Ende 1614 recht gute Resultate ergaben. Für 
den zweiten und besonders für den ersten Trabanten waren die neuen Tafeln allerdings 
auch damals noch erheblich falsch. 


5. Die uns erhaltenen Trabantenbeobachtungen des Marius. 


Wir wollen in folgendem die wenigen von Marius überlieferten Trabantenbeobachtungen 
näher betrachten und zwar zunächst die des 29. Dezember 1609, des Mariusschen Ent- 
deckungstäges der Trabanten. 

a) Im Mundus Jovialis (B 4 Rückseite) sagt Marius: „Als er auch bei der rückläufigen 
Bewegung des Jupiter die Begleitschaft dieser Sterne gesehen habe, sei er sehr verwundert 
gewesen und habe die Beobachtungen notiert und zwar die erste am 29. Dezember 
1609 abends 5 Uhr, zu welcher Zeit drei Sternchen in gerader Linie westlich 
vom Jupiter gesehen wurden‘. Diese ersteangebliche Beobachtung des Marius 
deckt sich mit der zweiten Galileis (8. Januar 1610). Letzterer sagt hiezu: „Erant 
tres stellulae oceidentales omnes, a Jove atque inter se paribus interstitiis mutuo disseparatae.* 
Die Aussagen Galileis und des Marius decken. sich hinsichtlich der Anzahl und der ge- 


u 


509 


meinschaftlichen westlichen Lage der Sterne. Suchen wir nun die Konstellation durch 
Rechnung mit Hilfe der Berberichschen Tafel, so ergibt sich für die vier Trabanten am 
8. Januar 1610 abends 5 Uhr in Ansbach der heliozentrische Ort: 


298%, 238%, 297°, 80°5. 


In der Tat ersieht man daraus, dass die drei ersten Trabanten westlich vom Jupiter 
standen; auffallend aber ist es, dass der vierte Trabant, der einzige östliche, sich 
gerade in der Nähe der Maximalelongation befindet, aber weder von Galilei noch 
von Marius gesehen und erwähnt wird. Wir kommen daher zur Vermutung, dass 
Marius den Angaben Galileis wie auch sonst sklavisch gefolgt ist und daher auch dessen 
fehlerhafte Beobachtung als eigene übernommen hat. Dass beide denselben Beob- 
achtungsfehler machen, ist nicht wahrscheinlich, wenn man die näheren Umstände erwägt: 


Bei Galilei war es die zweite Beobachtung der Trabanten überhaupt und 
zwar war er sich damals über die Natur der Sternchen noch nicht klar; er beobachtete 
auch am 8. Januar nicht absichtlich, sondern er kam nur zufällig wieder auf den 
Jupiter. Da mag nun sein Hauptaugenmerk auf die merkwürdige Lagenveränderung, die 
seit gestern nach Westen hin eingetreten war, also nur auf die westlichen Trabanten 
gerichtet gewesen sein, die auch wegen ihrer regelmässigen auffallenden Lage besondere 
Aufmerksamkeit erregten, so dass er den östlichen Himmelsraum nicht weiter beachtete, 
und dies um so weniger, als der vierte Trabant in seiner östlichen Maximalelongation soweit 
vom Jupiter abstand im Verhältnis zu den Distanzen der drei anderen, dass Galilei kaum 
au dessen Zugehörigkeit zum Jupitersystem dachte. Bei Galilei ist also die mangelhafte 
Beobachtung um so mehr erklärlich, als Galilei damals glaubte, es seien nur drei Tra- 
banten. Anders steht es bei Marius. Nach seiner Aussage beobachtete er die 
Sternchen schon längere Zeit und am 29. Dezember hatte er die wahre Natur 
derselben ja schon erkannt, musste also damals schon eine gewisse Übersicht über die 
Verhältnisse haben und mit viel mehr Objektivität an die Beobachtungen herantreten, da 
ihm die Lagenveränderung und die sonderbare Lage an und für sich als nichts besonderes 
mehr erscheinen konnte. Es durfte ihm also auch der vierte Trabant, wenn dieser auch 
weit östlich stand, schwerlich entgehen, um so weniger als die gerade Linie der drei anderen 
Trabanten durch den vierten hindurch ging und auf ihn hindeutete. Wir dürfen also wohl 
annehmen, dass Marius die Galileische Beobachtung ohne weitere Prüfung adoptierte. 
Oder soll man an eine Absichtlichkeit von Seite des Marius glauben? Der vierte Trabant 
ist bekanntlich der lichtschwächste von allen; auch Galilei verzeichnet einige Male im 
Nuntius Sidereus den vierten Trabanten als klein, z. B. am 9. Februar (satis exigua), 
10. Februar (admodum exigua), 26. Februar (minor occidentali) etc. Der vierte war zwar 
hiebei zufälligerweise in der Maximalentfernung. Auf diese Angaben Galileis müssen wir 
folgende Bemerkung des Marius beziehen (Mundus Jovialis © 4 Rückseite): „Dies Phänomen 
hat nicht nur mir, sondern auch, wie aus dem Nuntius Sidereus erhellt, dem Galilei viel 
Mühe gemacht. Ich gestehe, dass ich besonders bei meinen ersten Beobachtungen den 
vierten Trabanten zuweilen, besonders in seiner Maximalelongation, nicht gesehen habe.“ 

Prüfen wir diese Bemerkung an der Hand des Nuntius Sidereus, so finden wir den 
vierten nur einmal, am 10. Februar, in der Nähe der Maximaldigression so klein, dass er 
kaum gesehen werden konnte. 


510 


Niemals hat Galilei angegeben, dass er den vierten in der Maximalelongation 
überhaupt nicht gesehen habe. Des Marius Behauptung ist offenbar Phantasie. Der 
vierte Trabant, der zweitgrösste überhaupt, hat allerdings die kleinste Albedo und 
erleidet auch starke Lichtschwankungen, die nicht auf Rechnung der Finsternisse ge- 
setzt werden können. Nach neueren Untersuchungen (Engelmann, „Die Helliskeitsverhält- 
nisse der Jupitertrabanten“ Leipzig 1871, pag. 31), bleiben diese Schwankungen beim 
vierten Trabanten in engeren Grenzen als bei den anderen, und er besitzt eine 
gleichmässigere Lichtstärke als diese; ferner hat Engelmann gefunden, dass die 
stärkeren Lichtschwankungen des vierten hauptsächlich in der unteren Konjunktion 
eintreten. — Es ist absolut kein Grund einzusehen, warum Marius den vierten Trabanten 
gerade in der Maximalelongation nicht gesehen haben sollte. 

Ausserdem sah Galilei tags zuvor den vierten 'Trabanten mit dem dritten in grossem 
Glanze, während die anderen (der erste und zweite) kleiner erschienen. Man kann also 
auch aus der Beobachtung des 7. Januar nicht schliessen, dass am nächsten Tage eine so 
starke Lichtverminderung des IV. eingetreten sei, dass man ihn nicht sehen konnte. 


Auch die damalige Lage der Sonne zum Jupitersystem war eine günstige. 
Der Jupiter näherte sich damals vom Perihel her seiner mittleren Sonnenentfernung; ausser- 
dem war er am 7. Dezember 1609 in Opposition mit der Sonne gewesen und am 
8. Januar 1610 ungefähr 215° von ihr entfernt; die damalige Jupiter-Sonnen- 
entfernung war also kleiner als die mittlere, ein Umstand, welcher die Sichtbarkeit 
der Trabanten begünstigt. Ferner war der vierte Trabant weit entfernt vom 
Schatten des Jupiter und der anderen Trabanten, so dass auch keine Finsternis 
eintreten konnte. 


All die erwähnten Verhältnisse trugen zur Sichtbarkeit des vierten Trabanten bei 
und mit grösster Wahrscheinlichkeit können wir sagen, dass derselbe am 8. Januar 1610 
dem Beobachter bei einiger Aufmerksamkeit nicht entgehen konnte. 


Wenn Marius nun den vierten Trabanten nicht verzeichnet, so können wir glauben, 
dass er dies absichtlich gethan hat, jedenfalls aber, dass Marius in voller Abhängigkeit 
von Galilei handelt. Die Ausnützung jener Galileischen Angabe wird noch offenbarer, 
wenn wir im Mundus Jovialis lesen, dass jene erste Beobachtung vom 29. Dezember 
1609 zugleich die einzige in diesem Jahre noch war. Marius beobachtete also am 
30. Dezember (= 9. Januar) nicht; und bei Galilei lesen wir: „Maximo cum 
desiderio exspectavi sequentem noctem (9. Januar); verum a spe frustratus fu, nubibus 
enim undiquaque obductum fuit caelum.“ Also auch Galilei hatte am 9. Januar 
nicht beobachtet. 


Infolge der auffallenden Übereinstimmung auch in Kleinigkeiten und Fehlern kommen 
wir zu dem Schluss: Auch die Entdeckungskonstellation hat Marius aus Galilei 
genommen. 


ß) In seinem Briefe an Odontius erzählt Marius von der Beobachtung der Monds- 
finsternis (29.30. Dezember 1610), bei welcher er morgens 5" die vier Trabanten sehr 
schön gesehen habe, zwei westlich und zwei östlich von Jupiter diese im Abstand von 
23° und 4‘, jene im Abstand 34‘ und 5° vom Jupiter. Diese Beobachtung nun ist die 


511 


einzige, die wir von Marius haben und die mit einer Distanzangabe versehen ist. Allerdings 
hat auch Galilei in derselben Nacht Beobachtungen am Mond und den Trabanten gemacht 
und seine Resultate hieraus vielfach brieflich mitgeteilt; wir besitzen jetzt noch (in Gal. op. 
Bd. X u. XI.) drei solche Briefe: 1. an Clavius in Rom (30. Dezember 1610), 2. an Bened. 
Castelli in Brescia (30. Dezember 1610), 3. an einen Anonymus (Februar 1611). 


y) Marius erwähnt (Mundus Jovialis, D4) noch eine Beobachtung, allerdings ohne 
Distanzangaben. Er sagt, dass am 7./17. Februar 1613 abends 10% alle vier Trabanten 
sichtbar gewesen seien, einer westlich (I.), drei östlich (II., IIL., IV.). Alle seien sehr hell 
gewesen, mit Ausnahme des vierten, in dessen Nähe der zweite und auch der dritte ge- 
standen sei. Wahrscheinlich hätten diese zwei, besonders aber der zweite Trabant, die freie 
Lichtstrahlung auf den vierten gehindert und so dessen Lichtschwäche verursacht. Tat- 
sächlich jedoch konnte damals von einer Art Schattenwirkung gar keine Rede sein; denn 
auch nach den Tafeln des Marius stand der zweite und dritte vom vierten Trabanten 0,8 resp. 
3,1 Jupiterdurchmesser entfernt. — Wir besitzen nun eine fast gleichzeitige Beobachtung 
Galiles vom 17. Februar 1613, 6% 40m ab occasu Solis = 1140 abends. Nach dieser 
ist der dritte vom vierten Trabanten um drei Jupiterhalbmesser entfernt, während der zweite 
und vierte genau in Konjunktion mit einander stehen; jedoch kann der zweite auf den 
vierten keine Schattenwirkung ausüben, da diese beiden Trabanten nach dem handschrift- 
lichen Beobachtungsjournal Galileis (s. Gal. op. ed. Favaro, Bd. III, 2. Teil) damals eine 
bedeutende Breitendifferenz aufweisen, was allerdings in der Galileiausgabe von Alberi 
(V 1, pag. 97) nicht verzeichnet ist. Es ist demnach nicht ganz unwahrscheinlich, dass 
Marius jene Beobachtung aus seinen Tafeln rekonstruiert hat. 

Diese vorstehenden drei Beobachtungen enthalten alles, was Marius uns an Beobachtungs- 
material betreffs der Trabanten hinterlassen hat. Davon ist die erste aus dem Sidereus 
Nuntius entnommen, und die beiden anderen enthalten keinen sicheren Beweis für eine 
frühzeitige und selbstständige exakte Beobachtungstätigkeit des Marius. 


6. Schluss. 


Die Anhänger des Marius haben die Überzeugung, dass Marius die Trabanten entdeckt 
und selbständig sehr gute Tafeln von deren mittlerer Bewegung gefunden habe, einzig und 
allein aus dem Mundus Jovialis geschöpft. Das einzige Bedenken, das sich allenfalls gegen 
Marius geltend machte, ging aus dem Umstande hervor, dass Marius erst spät, eigentlich 
vier Jahre nach der Entdeckung der Jupitermonde mit seinen Ansprüchen an die weitere 
Öffentlichkeit trat; schon dadurch allein wurde des Marius Behauptung zweifelhaft. 

Es bot sich uns nun die Gelegenheit, die Wahrhaftigkeit des Marius zu prüfen: Es 
ergab sich, als man die Angaben des Mundus Jovialis über die allmähliche Auffindung der 
Umlaufszeiten mit den diesbezüglichen Notizen des Briefes an Odontius verglich, die völlige 
Unwahrheit der betreffenden Erzählung im Mundus Jovialis. 

Als ferner Marius im Prognostikum zu 1612 zum ersten Male seine, angeblich Ende 
Dezember 1609 gemachten Trabantenbeobachtungen erwähnte, sprach er davon, dass er 
diese seine Beobachtungen an einige Freunde (Vieke, Odontius, D. Fabricius) gemeldet habe; 
er wählte hiebei eine Ausdrucksweise, die den unbefangenen Leser des Prognostikums auf 
die Meinung bringen musste, dass Marius seine Entdeckungen schon vor dem Erscheinen 


512 


des Sidereus Nuntius Galileis an jene Freunde berichtet habe. Da wir nun streng nach- 
weisen konnten, dass diese Meldungen nicht vor dem Sidereus Nuntius (März 1610), sondern 
erst kurz vor dem Erscheinen des Prognostikums auf 1612, also Mitte 1611, gemacht worden 
waren, so war damit ein zweiter Versuch des Marius, das Publikum zu täuschen, konstatiert. 
Ein dritter Betrugsversuch wurde ebenfalls im Prognostikum auf 1612 bemerkt, da wo 
Marius die Entdeckung der Venusphasen behauptete; den Vorwurf des Plagiats nahm Marius 
hin und dadurch, dass er nie mehr auf jene Entdeckung zu sprechen kommt, gesteht er 
selbst stillschweigend zu, dass er zu Unrecht jene Entdeckung erwähnt hatte. Auch durch die 
Verschleierung des Datums der angeblichen Entdeckung der Trabanten offenbart sich eine 
dolose Absicht des Marius. Schon frühzeitig konnten wir ferner die Gewohnheit des Marius 
kennzeichnen, Errungenschaften von anderen Gelehrten als Resultate eigener Forschungen 
hinzustellen; auch in der Capraaffäre offenbart sich eine bedenkliche Charakterschwäche 
des Marius. 

Durch obige Fälschungen der Tatsachen allein hat Marius den Anspruch auf Glaub- 
würdigkeit verwirkt; daher können Behauptungen und Erzählungen, die er in seinen 
Schriften vorbringt, nicht ohne weiteres als Beweis für die Wahrheit des Erzählten ange- 
sehen werden. 

Was zunächst seine angebliche Entdeckung der Jupitermonde betrifft, so ist der Um- 
stand bemerkenswert, dass Marius nicht einen einzigen Zeugen hiefür beibringen kann; 
direkt erweisbar aber ist die Unwahrheit dieser Behauptung aus den gleichzeitigen Schriften 


von 1609 und 1610 und den Briefen von 1611; Marius hatte die Trabanten im Laufe des 


Jahres 1610 (bis Ende Dezember) überhaupt nicht gesehen; und wenn er sie Ende De- 
zember 1610 und 1611 wirklich gesehen haben sollte, so hatte er damals sicherlich die 
Trabanten nicht planmässig beobachtet. Denn Mitte des Jahres 1611 weiss Marius noch 
gar nichts von den Trabanten ausser der damals schon vielfach bekannten, aus dem Sidereus 
Nuntius sich ergebenden, circa 16 tägigen Periode des vierten Trabanten. Wenn daher 
Marius wirklich ein Fernrohr besessen haben sollte, das ihm unter günstigen Bedingungen 
die Trabanten zeigte, so war dies höchstens erst Ende 1610 der Fall. Es ist gar nicht unwahr- 
scheinlich, dass Marius im Mundus Jovialis und Prognostikum zu 1612 durch das gleichlautende 
Datum „29.(30.) Dezember“ dazu verleitet wurde, aus dieser angeblichen Trabanten- (und 
Mond-) Beobachtung am „29. Dezember 1610“ das Datum „29. Dezember 1609° zu machen 
und dadurch die Trabantenentdeckung auf einfachste Weise für sich in Anspruch zu nehmen. 

Auch im weiteren Verlauf der Jahre kann Marius nicht einen einzigen Zeugen dafür 
bringen, dass er die Trabanten überhaupt gesehen oder beobachtet habe; und wenn wir 
dann sehen, wie schlecht seine Tafeln untereinander und mit den tatsächlichen Erscheinungen 
übereinstimmen, so wird der Verdacht rege, dass Marius nicht im stande war, regelmässig 
oder messend zu beobachten, oder überhaupt nicht beobachtet hat. Wir haben ja auch 
gesehen, wie schwer es damals in Deutschland war ein zu solchen Beobachtungen taug- 
liches Fernrohr zu bekommen; gelang es doch nicht einmal dem Kaiser Rudolf, trotz der 
Bemühungen seines Gesandten in Venedig. 

Alle diese Gründe gegen Marius werden nun auf einmal scheinbar: durch die Tatsache 
umgestossen, dass Marius Ende 1612 angenäherte Umlaufszeiten der Trabanten in seinem 
Prognostikum zu 1613 brachte; nachdem jedoch vorher, Juni 1612, Galilei in seinem Dis- 
corso schon die Perioden veröffentlicht hatte, kann der Erfolg des Marius noch auf Galilei 


Ze Ad A 


513 


zurückgeführt werden. Als aber Marius 1614 im Mundus Jovialis Perioden verzeichnete, 
die genauer als die des Discorso waren, konnte jene Erklärung der Mariusschen Resultate 
scheinbar keine Geltung mehr haben. Daher musste die Sachlage genauer untersucht werden. 

Der historische Zusammenhang der Ereignisse hatte gezeigt, dass eine Veröffentlichung 
und ein Erfolg Galileis mit absoluter Sicherheit jedesmal eine Publikation und einen Fort- 
schritt des Marius in der gleichen Materie nach sich zog: Auf die Entdeckung der Trabanten 
und den Sidereus Nuntius Galileis (1610) folgte (1611) das Prognostikum zu 1612 mit der- 
selben angeblichen Entdeckung des Marius; der Entdeckung der Venusphasen durch Galilei (1610) 
und der brieflichen Ausserung hierüber (1. Januar 1611) folgte auf dem Fusse Mitte 1611 
die entsprechende Behauptung des Marius im Prognostikum zu 1612; auf die Ermittelung 
der Planeten- und Fixsterngrössen durch Galilei (1611) folgten ähnliche Messungen im 
Prognostikon zu 1613; auf die Veröffentlichung der Perioden im Discorso sui Galleggiant 
Galileis (Juni 1612) folgten bei Marius Ende 1612 die Angaben der Umlaufszeiten im 
Prognostikum zu 1613; auf die Lettere Solari Galileis endlich, welche die zeichnerischen 
Darstellungen der Trabantenkonstellationen vom 1. März bis 8. Mai 1613 enthielten, kam 
endlich 1614 die Krone der Werke des Marius, der Mundus Jovialiıs, mit den Trabanten- 
tafeln heraus. 

Dieses Verzeichnis nötigt von selbst den Gedanken an die Abhängigkeit des Marius 
von Galilei auf. Dazu kommt noch folgende Konstatierung: Die Perioden, wie sie der 
Mundus Jovialis bringt, überraschen durch ihre Genauigkeit; ebenso überraschen die Tafeln 
und Beobachtungen des Marius — aber durch ihre Ungenauigkeit. Man erinnert sich 
hiebei, auf welche Weise Marius, nach seiner Angabe, zu den Perioden gekommen ist, 
dass er nämlich die Umlaufszeiten aus dem Zeitintervall zwischen den stationären Punkten 
bestimmt hat. Man berechnet dann, wie gross die Beobachtungsgenauigkeit sein musste, 
um durch jene Methode die Perioden auch nur annähernd zu erhalten. Wenn nun die 
Beobachtungsgenauigkeit nachgewiesenermassen eine ungeheuere sein und bis auf Bogen- 
sekunden gehen musste, und wenn andererseits ganz sicher gezeigt werden konnte, dass 
Marius diese Genauigkeitsforderung nicht einmal bis auf Bogenminuten erfüllen konnte, so 
gibt es daraus nur eine Folgerung, nämlich die, dass Marius seine Perioden nicht der eigenen 
Beobachtungstätigkeit verdankte. Wenn also Marius nicht aus eigenen Beobachtungen 
schöpfte, so bleiben als einzige Quelle für die Resultate des Marius die Schriften des 
Galilei übrig. 

Durch diese Folgerung kommen wir jetzt von selbst wieder auf die Untersuchung der 
Abhängigkeit des Marius von Galilei. Diese Abhängigkeit nun konnte Schritt für Schritt 
zum grössten Teil nachgewiesen und es konnte auch gezeigt werden, in welcher Weise 
Marius sich die Publikationen des Galilei zu nutzen gemacht hat und zur Gewinnung der 
Elemente für seine Tafeln verwerten konnte. Nebenbei wurde auch die Ansicht widerlegt, 
dass Marius genauere Werte der Perioden besessen habe als Galilei. 

Bei der Untersuchung der Tafeln des Marius zeigte sich, dass die älteren und neueren 
Tafeln des Mundus Jovialis!) unter sich nur durch die Epochen des Jahres 1610 zusammen- 
hängen, und dass beide Tafeln mit der Zeit immer mehr divergieren, während man doch 


1) Ein Exemplar des Mundus Jovialis, das die neueren Trabantentafeln und das Nachwort mit der 
Verteidigung des Marius gegen den Vorwurf Christoph Scheiners, die Perioden aus Galileis Schriften 
entnommen zu haben, enthält, findet sich in der Herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel. 


Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. II. Abt. 66 


5l4 


das gerade Gegenteil erwarten musste. Daraus ergab sich das merkwürdige Resultat, dass 
die „Beobachtungen“ des Marius, hauptsächlich die von 1612 bis 1614, auf die Marius 
seine älteren Tafeln doch gegründet haben musste, bei den neueren Tafeln (Ende 1614) 
nicht mehr in Berücksichtigung gezogen worden sind. — Die Diskutierung dieser Tatsache 
führte dann zu dem Ergebnis, dass Marius beiden Tafeln gemeinschaftliche Epochen zu- 
grunde legte, die er wohl aus dem Sidereus Nuntius Galileis genommen hatte. Die übrigen 
Elemente hatte er aus den übrigen Schriften Galileis gezogen. Für die späteren Tafeln des 
Mundus Jovialis scheint dagegen die Annahme berechtigt, dass Marius in diesen zum ersten 
Male Elemente verwendet hat, die auf selbständigen Beobachtungen des Jahres 1614 beruhen. 
Dies würde seinen Grund wohl darin haben, dass Marius, wie es scheint, Ende 1613 endlich 
ein Fernrohr erhalten hatte, das, wie aus einzelnen Angaben ersichtlich ist, recht gut und 
zu exakteren Beobachtungen der Trabanten vielleicht geeignet war. Darin läge auch viel- 
leicht der einzige Beweis für eine zwar späte (1614), aber endlich selbständig messende Be- 
obachtungstätigkeit des Marius. 

Das Endresultat dieser Abhandlung ist demnach: Marius hat die Trabanten des Jupiter 
nicht entdeckt; er hat frühestens Ende 1610 diese Monde gesehen. Brauchbare messende Be- 
obachtungen über die Trabanten scheinen ihm bis Ende 1613 nicht gelungen zu sein; erst 
im Jahre 1614 hat er wahrscheinlich brauchbare Messungen erhalten. Die Elemente zu 
seinen älteren und die Anfangsepochen der neueren Tafeln hat er den Schriften Galileis ent- 
lehnt, während er die übrigen Elemente der neueren Tafeln vielleicht grossenteils aus eigenen 
Beobachtungen und zwar aus solchen des Jahres 1614 abgeleitet hat. 


Br: 


I. Anhang. 


Abgekürzte Tafel der heliozentrischen Konjunktionszeiten der Trabanten 


Tr. I (jede 20. Konjunktion) 


1610 Jan. 
Febr. 


Dez. 
1611 Jan. 
März 


April 7 


Mai 


Juni 
Juli 


Aug. & 


Okt. 
Nov. 


Dez. 
1612 Jan. 


Febr. 


März 


1613 Jan. 


1614 Jan. 
Kontrolle 1614 Jan. 


(berechnet von Herrn A. Berberich). 


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Febr. 


März 


April 


Mai 


Juli 
Aug. 
Sept. 
Okt. 


Nov. 2 


Dez. 


1611 Febr. 


März 


April 


Mai 


Juni 
Juli 


Sept. 


Okt. 
Nov. 


Dez. 
1612 Jan. 


Dez. 
1613 Jan. 


Febr. 


März 


April 2 


Juni 
Juli 
Aug. 
Sept. 
Okt. 


Nov. 


1614 Jan. 
1614 Jan. 


Zeiten der heliozentrischen Konjunktionen mit Jupiter. 
(Mittlere bürgerliche Zeit von Paris.) 


Tr. II (jede 10. Konjunktion) 


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516 


Tr. III (jede 5. Konjunktion) | Tr. IV (jede 2. Konjunktion) 
Korr.1 Korr.3| Korr.1 Korr.2 Korr.6 
h h h h h h h 
1610 Jan. 9 18.57 25.1 0.0 1610 Jan. 4 10.7 +119 0.0: +11 
Febr. 14 14.5 5.1 +01 Febr. 6 22.8 12.0 +0. 1.1 
März 22 10.5 92 0.2 März 12 11.0 12-1 0.1 pl 
April 27 6.4 52 0.2 April 14 23.2 12.2 0.2 1.0 
Juni 2 2.4 5.5 0.3 Mai 18 11.3 12.2 0.3 1.0 
Wi 23 +53 +03 Juni 0 235 +123 +03 +09 
Aug. 12 18.3 5.3 0.3 Jule 247, 12.3 0.3 0.9 
Sept. 17 14.3 5.3 0.2 Aus. 26 23.9 12.3 0.2 0.8 
Okt: 23 10.3 5.3 0.1 Sept. 29 12.0 12.3 0.2 0.8 
Nov. 28 6.2 5.3 0.0 Novo 0.2 12.3 0.1 0.8 
1611 Jan. 3 22 +52 0.0 Dez. 57° 12.472123 0.0 —- 0.7 
Bebr. 7 222 5.2 0.0 1611 Jan. 78 0.5 12.3 0.0 0.7 
März 15 18.1 92, 221051 Febr. 10 12.7 122 0.0 0.6 
April 20 14.1 52 0.2 März 16 0.9 121 +01 0.6 
Mai 26 10.1 5.1 0.2 April 18 13.1 12.1 0.2 0.5 
Ai ı 60 +51 +03 Mai 22° 12 #120 +02 205 
Aug. 6 2.0 5.0 0.3 Juni 24 7734 11.9 0.3 0.5 
Sept. 10 22.0 4.9 0.3 Juli 28 125 11.8 0.3 0.4 
Okt. 16 17.9 4.9 0.2 Aug. 30 ar 157 0.3 0.4 
Nov. 21 13.9 4.8 0.1 Okt 1.9 11.5 0.2 0.4 
Dez 374 NIE ND:O Nova! 57 aa AN org 
1612 Febr. 1 5.8 4.6 0.0 Dez. 9 2.2 11.2 0.1 0.3 
März 8 1.8 4.5 0.0 1612 Jan. 11 14.4 11.0 0.0 0.2 
April 12 21.8 45 +01 Febr. 14 2.6 10.8 0.0 0.2 
Mai 18 ilrtarl 4.4 0.1 März 18 14.8 10.6 0.0 0.2 
Juni 23 13.7. +43 +02 April 21 29 +104 +01 +02 
Juli 29 9.7 4.2 0.3 Mai 24 15.1 10.2 0.1 0.2 
Sept. 3 5.6 4.1 0.3 Juni 27 38 10.0 0.2 0.2 
Okt. 9 1.6 3.9 0.3 Jul 250 155 9.8 0.3 0.1 
Nov. 13 21.6 3.8 0.2. Sept. 2 3.6 9,5 0.3 0.i 
Dez. 9 175 #37 +01 Okt. 5 15.8 — 93 03 201 
1613 Jan. 2427185 3.6 0.1 Nov. 8 4.0 9.1 0.2 0.1 
März 1 9.5 3.5 0.0 Dez. 11 16.1 8.8 0.2 0.1 
Apnil 6 5.4 3.3 0.0 1613 Jan. 14 43 8.6 0.1 0.0 
Mai 12 1.4 32 +01 Febr. 16 16.5 8.3 0.0 0.0 
Juni 16 214-3] +01 März 22 46 + 8.0 0.0 
Jultmmoo 3.0 0.2 April 24 16.8 ET 0.0 
Aue 27,,18:3 2.9 0.3 Mai 28 5.0 74 +01 0) 
Ola. 9.3 2.7 0.3 Juni 30 17.2 1.2 0.1 
Nov. 7 5.2 2.6 0.3 Aug. 3 5.3 6.9 0.2 
Dez. 13 12 +25 +02 Sept: 5 175 + 66 +03 
1614 Jan. 17. 21. 2.3 0.1 Okt. 9 5.7 6.3 0.3 
Kontrolle 1614 Jan. 10 17.1 2.4 0.2 Non. Iee17R8 6.0 0.3 (0 
Dez. 15 6.0 5.7 0.2 
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Kontrolle 1614 Jan. 17 18.2 5.4 0.1 


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Korrektionen 
DS Ar: 
1610 1611 1612 1613 
h h h h 
Ia)an: —28 +03 +34 +50 
1. Febr. —46 —26 +06 +39 
Bear ns AA — 92110 -41.0 
1, Admllı ei ee) 
1. Mai — 3.0 4.6 5.1 4.2 
1. Juni = —33 —48 —51 
1. Juli _ = —35 —4)9 
1. Aug. +28 — — — 3.5 
Bere 697, = 
1. Okt. +51 +42 +24 = 
1.Nov. +48 +51 +41 +22 
1. Dez. +32 +49 +50 +39 


Für Tr. I ist die Korr. nahezu der 4. 


Korrektion. 


IV. Tr. 
1611 1612 
h h 
rer 80 
a es 
7 5 
Bois ge 
0) 
ng, el. 
— ra 
+ 62 Z 
a 
ED ua 97 
a 


517 


zu erhalten. 


1613 


Teil, und für Tr. II die Hälfte der für Tr. III gegebenen 


518 


II. Anhang. 
1. Auszug aus dem Prognosticon Astrologieum auf 1612 von Simon Marius.!) 


(Widmung, Blatt A 2, Rückseite, A 3 und 4) ... Ich will nicht die Constellationes, 
nicht die Finsternis, Aspekten, Cometen etc. hier berühren, so inzerhalb 38 Jahren ge- 
schehen sein; Sondern ich will diss Orts nur solche Sachen erzehlen, so sich inn bemeldtem 
Termin am Himmel begeben, dergleichen niemals zu keinem seculo, von Anfang der Welt 
seyn gesehen und vermerckt worden. Solches aber seynd die vier Newe Stern, so inn 
diesen wenig Jaren am höchsten Himmel unter und bey den Fixsternen sich haben 
sehen lassen. 

Unter denselbigen ist nun der Erste, so Anno MDLXXII zu Anfang des Novembers 

. ist erstmals gesehen worden, inn der Constellation Cassiopeiae... Es ist solcher Stern 
16 Monat am Himmel an einer stelle unbeweglich gesehen und observiert worden, ... als 
ist ein gross disputiren davon entstanden, zwischen den Astronomis und Aristotelicis de 
generatione Coelesti, unnd hat gewehret biss auff gegenwärtige zeit, ... Da denn vermittelst 
dess Niderländischen new erfundenen Instrumentes, ich von dem Ende dess December an 
dess MDCIX biss dato?), so viel gesehen, dass galaxia oder via lactea, nichts anderst ist, als 
ein Concursus radiorum stellarum ‘'numero incomprehensibilium und also die Mainung 
Aristotelis de via lactea gantz unnd gar fället, und auffgehoben wird. Also praesepe, unnd 
andere vermeinte nebulosae stellae nur ein congeries plurimarum fixarum, quae ob concursum 
radiorum, ohne diss Instrument ‚nicht können gesehen werden, will geschweigen, was ich 
sonsten im Mond, und in den vier Newen Planeten circa Jovem vermercket, Auch dass die 
Venus warhafftig von der Sonnen erleuchtet werde, wie der Mond: Wie ich sie nicht allein 
diesen Winter über in parte aversa a Sole fewerrot gesehen, sonderlich aber den 5. oder 
15. Hornung, Abendts vor der Sonnenuntergang, Sole tamen sub nube latente, zwischen 
4 und 5 Uhr zum offtermalen Corniculatam Venerem gesehen, als das nicht über den 
vierdten Theil Venus ist von der Sonnen erleuchtet gewesen. Gleicher weiss da Venus 
Örientalis worden, den 25., 26., 27. Hornung zu früe kurtz vor unnd mit der Sonnen Auff- 
gang, habe ich Venerem wider ausstrücklich Cornieulatam gesehen, Also dass das erleuchte 
theil wider gegen der Sonnen gestanden, das ander theil habe ich nicht Rot wie zuvor, 
sondern allezeit grünlecht zu viel malen gesehen, wie beygesetzte Figur aussweiset. Das A 


1) Dieses Prognostikon wurde erst 1902 bei einer teilweisen Neuordnung der Nürnberger Stadt- 
bibliothek aufgefunden. 
2) pag. 451 dieser Abhdle: 


519 


bedeutet die Venerem, wie sie den 5. Februarij abendts vor der Sonnenuntergang gestanden 
und gesehen worden. B aber, wie sie den 25., 26 und 27. Februarij Morgends ist observirt 
worden.) CD Bedeut den Horizontem 

© occidentalem, D orientalem. Dass also OA \_B: 
gar kein Zweiffel mehr ist, denn das Venus 
von der Sonne erleuchtet wird, wie der 
Mond; Welcher Mainung wol etliche auss 
den Alten gewesen, aber nie von keinem 
mit Augen gesehen worden. Haec obiter 
ut aliquid etiam novi annotare volui. 

Der Ander Newe Stern, nicht so gross 
als der Erste ist gesehen und mit Fleiss 
observirt worden, von dem vortrefflichen 
Astronomo Herrn Davide Fabricio, in Ost- 
Frisslandt, Anno MDXCVI von dem 
5. August an, biss in Oktober, in der Constellation Ceti oder Walfisches, in longitudinem 
25°47 Min. Arietis et latitudine 15°54 Min.: australi, Secundae magnitudinis, hat sich im 
October wieder verloren. 

Ebensolcher Stern hat sich nach 12 Jahren, als Anno MDCIX wider gefunden, unnd 
ist von vorbemeldten Herrn Fabricio, den 5. Februar wider gesehen unnd observirt worden. 
Hat ihn auch so lange gesehen, biss er Heliace untergangen ist, da nämlich ihme die Sonne 
so nahe kommen, dass er nicht mehr hat können gesehen werden, wie er selbsten Herr 
Fabrieius mir Schrifftlich* solches vermeldet, auch die distantias a certis fixis mit über- 
schicket; Und ist dieser Stern eben an dem Ort unnd inn der Grösse wider erschienen, 
wie er vor 12 Jahren ist gesehen worden. Welches denn in höchster Warheit ein grosses 
Wunder ist, und von Anfang der Welt nie dergleichen gehört oder gesehen worden. 

Anno MDC wurde in der Constellation Cygni der dritte neue Stern gesehen und der 
noch steht. 

Anno MDCIV, 10. Oktober oder 30. September der vierte neue Stern in der Con- 
stellation Serpentarii zur Zeit der magna und prima Coniunctio Saturni und Jovis im 
Schützen und fewrigen trigono, wie hievon ich in der Dedication des MDCVI. Jars Praktika 
kurtze Erinnerung gethan. . 

Diss alles geschah innerhalb 38 Jaren, die vielen Cometen nicht gerechnet. (Wegen 
dieser vielen, in so kurtzer Zeit erschienenen neuen Sterne prognosticiert nun Marius „eine 
grosse und gewaltige Veränderung in der Welt, vel potius reformationem mundi*....): 
Denn einmal gewiss, dass solche Newe Wundersterne, einer solchen ungläublichen Grösse, 
nicht an den Himmel geordnet werden, dem Himmel, oder andern Gestirn damit etwas 
anzuzeigen, sondern uns vernünftigen und nach Gottes Ebenbildt erschaffenen Menschen, 
sonderlich zu diesem gewiss nunmehr letzten Zeiten der Welt, davon dann der Herr Christus 
selbst Prophezeyet, dass alssdann nicht allein an Sonne und Mond, sondern auch an Sternen 
Zeichen geschehen werden, zum Zeichen seiner letzten, und von allen Christen von hertzen 
erwarteten, und erwünschten Zukunfft, da denn zuvor auch grose Enderung hergehen müssen. 


I) pag. 422, 445 und 454 dieser Abhandlung. 


520 


Zu solchem Ende werden von mir und anderen rechten Astronomis, nach Aussweisung 
unsers Beruffs, solche neue Wunder, so sich am Himmel begeben, mit fleiss observiert, und 
alen Menschen zur Nachrichtung offentlich vermeldet. Man hetzt darumb nicht die Obrig- 
keit, an einander, noch die Unterthanen wider die Obrigkeit, sondern weil Gott solche ge- 
waltige Zeichen an Himmel stellet, werden Obrigkeit und Unterthanen, neben dem ge- 
predigten Wort Gottes, zu wahrer Gottseligkeit und vorsichtigem Leben ermahnet und auff- 
gemundert ... 

... Datum Onoltzbach, den 1. Martij, Anno 1611. 

.... Simon Marius Guntzenhusanus 
Mathematieus und Medieinae Studiosus. 


Blatt (Bl, Rückseite und B2) ... „Ich lasse dise beyde (gemeint sind die Tabulae 
Prutenicae und Everhards Verbesserungen) fahren und bleib bey Tychonis restitution, zu 
welcher Zeit und stund (gemeint ist der 12./22. Dezember 3% 36=in) befindet sich im auff- 
gang der 10. grad Scorpij, meridianum, durchstreicht der 22. grad dess Löwen, darauff folget 
der Planet 9} mit seinen Planeten, die ihren lauff umb ihn haben, doch gar klein seyn, dass 
sie ohn das Niderländische Instrument nit können gesehen werden, wie ich sie dann mit solchem 
Instrument, von dem end dess Decembers dess 1609 biss im (der Monat fehlt hier!) dess 
1610) vielmals observirt und gesehen hab, desswegen ich auch hernach Herrn Davidi Fabricio, 
in Östfriessland und Herrn M. Odontio zu Altorff zugeschrieben hab. Auch Galilaeus 
Galilaei unterdessen ein Tractelein (soll heisen Tractätlein!) davon hat aussgehen lassen.) 
Bey und inn dem andern Hauss befindet sich der 9... (Blatt B7)....Q@ ist im 12. Hauss 
nahe bey der nebulosa cancri, so doch in warheit kein nüb- 
licher Stern ist, sondern ein trippel oder Hauff viler kleiner 
Fixstern, die mit iren stralen ein nüblicht Klarheit machen, 
gleich einem Stern, so wie ein Nebel anzusehen, wie man denn 
durch das newe Niderländisch Instrument augenscheinlich sihet, 
also hab ich auch mit solchem Instrument, so von dem Edlen 
und @. Herrn Hanz Philip Fuchsen von Bimbach, Obrist etc. 
mir zugestellet, vor dem End des Decemb. des 1609 Jars an, 
biss inn das Mittel des Aprilln dises 1610 Jars,?) und nun widerumb 
zu frü die vier newe Planeten, so ire Bewegung umb den Cörper 
Jovis haben, vielmals gesehen, da ich erstlich vermeinet es weren 
kleine subtile fixstern, so sonsten nit gesehen werden. Als 
aber solche mit dem I fortgangen, und bald vor, bald nach 
dem Jove von mir observirt worden, hab ich anderst nit urtheilen 
können, denn dass sie jre Bewegung circulariter umb den 
haben, wie 39 und h ire Bewegung umb die Sonnen 
haben, wie auch beygesetzte Figur aussweiset, da solche Planeten 
sampt jrer circulari rotatione circa 2}, vorgestellet sey. 

Ich hab auch seythero durch viel calculirn der eussern zween ‚JJovialischen Planeten 
Periodos auff das eygentlichst, so müglich erfunden, auch allbereit tabulas gerechnet, darauss 
man auff jede zeit rechnen kan, wie viel minuten sie von Jovo stehen, zur rechten oder 


1) pag. 451. 2) pag. 445—449. 


I KA ne 


3 


521 


linken hand, wie zu seinerzeit sol publieirt werden.!) Dergleichen ist von anfang der 
Welt nie observirt worden. Von diesen neuen Planeten hat Galilaeus Galilaei Patavinus 
Mathematicus, allbereit ein Tractätlein aussgehen lassen, wie auch zu anfang der Practica 
angezeigt worden, und ich es allhier als ein grossen wunder mit fleiss widerholen wollen. 
Es werden auch wunderding im Mon gesehen. Ich kom wider zu meinem vorhaben . 


2. Auszug aus dem Prognosticon Astrologieum auf 1613 von Simon Marius.?) 


(Widmung, Blatt A2 u. ff.) ... Vor einem Jahre habe ich in der Dedication selbigen 
Kalenders und Praktiken die vornehmsten und wichtigsten‘ Ursachen meines nun etliche 
Jahr hero wolmeinenden beschehenen Prognosticierens von einer grossen unnd gewaltigen 
Veränderung inn der Welt umbständlieh angezeiget. 

Was aber unter dessen im Reich biss dato vorgelauffen, dasselbige halte ich, neben 
etlicher wenig hero Geschichten, vor einen guten Anfang solcher Reformation; Gott gebe, 
dass, wie dieses noch in gutem Frieden abgelauffen, also auch das hinterstellige folgends 
inn gutem Wolstandt, Friede unnd Ruhe möge vollbracht werden, damit Gottes Ehre unnd 
sein allein Seeligmachendes Wort weit aussgebreitet, Alle Unordnung und Ungerechtigkeit 
abgeschafft, auch in allen Ständen und Ländern ein guter Christlicher und friedlicher Wol- 
stand möge geschaffet und erhalten werde. 

Dieweil ich aber in solcher dedieation etlicher Newer, durch das Niderländische In- 
strument von mir beschehener observation gedacht, als vornemlich der Veneris, dass sie von 
der Sonnen erleuchtet werde, an dem Liecht ab und zuneme, wie der Monn, aussgenommen, 
dass sie der Sonne nicht sein opponirt werde, dieweil die Erde von ihrer sphaera nicht 
eingeschlossen wird, anstatt dessselben aber von uns auff Erden prope occasum matutinum 
et exortum vespertinum gleichsam in vollem Licht gesehen wird. Habe auch im Prognostico 
zu unterschiedlichen malen der 4. Newen Jovialischen Planeten sampt jrer generali 
Hypothesi erinnerung gethan und dass von mir allbereidt der periodus des vierdten oder 
eussersten erforschet und Tabulae gerechnet worden. Wie denn solches zuvor ich auch 
etlichen guten Freunden Schrifftlich vermeldet hab.?) Ich hab aber wider alles verhoffen 
erfahren, dass ich bey etlichen übel damit angelauffen, einig und allein wegen einer Con- 
troversia, so noch zur zeit die Mathematicos uneinig machet: Nemlich, dass etliche seyn 
(wie auch noch zur zeit ich selbsten) so die Erden unbeweglich, hergegen die Sonnen be- 
weglich halten. Etliche aber gantz das Widerspiel assevirn, unter welchen vor anderen 
ist, der vortreffliche gewesene Kaiserliche Mathematieus Johann Kepler,*) deme ich billig 
und willig das Lob gebe, dass noch zur zeit solche Mainung von keinem so scheinbarlich 
und umbständlich ist vorgeben worden, als eben von jhme beschehen. Dieweil aber vor- 
nehmlich der gantze Streit daherrürt, dass sie keineswegs ein solche pernieitatem oder 
schnellen Lauff der Himmlischen Cörper ihnen gläublich einbilden können, welcher geschieht, 
wo die Erde unbeweglich statuirt wird. 

Nun ich aber nicht gerne von den klaren Sprüchen H. Schrifft abweiche, die doch 
zum theil sich etlicher massen ziehen lassen, sonderlich aber in I. Cap. Genes. ein nodus, 


1) pag. 445, 450 Anm. u. 451. 
2) Dieses Prognosticon befindet sich in der K. Universitätsbibliothek zu Tübingen. 
3) pag. 450 Anm. u. 451. *) pag. 423. 


Abh. d. II.Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. II. Abt. 67 


522 


wie mich bedunckt, indissolubilis stehet, welcher mit der mobilitate terrae, keineswegs kann 
vereinigt werden, Ich auch nach vielem nachsinnen ein Mittel erfunden, wie solche perni- 
citas corporum coelestium könne solvirt werden, also dass wir auff Erden etlicher Cörper 
noch eine schnellere bewegung finden (scilicet in proportione quantitatis) als eben der 
himmlischen Cörper ist. Wie ich dann solche Mainung etlichen verständigen Leuten com- 
munieirt habe, dieweil ich mir in solchen sachen nicht zuviel trawe, die lassen jhnen solches 
nicht übel gefallen, wie mit der Zeit soll Publizirt werden, doch nicht der Mainung, als 
wenn es ein Artikul dess Glaubens were. 

Also bin und bleib ich dieser Mainung solang biss mir glaubwürdigere rationes vor- 
gelegt und aller zweiffel gäntzlich benommen wird: zörne darumb mit keinem im geringsten 
nicht, sondern lob und gönne wahrhafftig einem jeden, Er sey Deutscher oder Welscher, 
seine jhm von Gott gegebene Gaben, will auch nicht, dass einigem Menschen solchergestalt 
durch meine, oder meine Schrifften soll ein Nachteil an Ehr und Reputation soll zugefügt 
werden, begere auch anderst nichts, als dass mir gleiches von jhnen widerfahre. Zu ver- 
halten aber fernere Ungelegenheit und das nicht etwa mit der zeit meine Arbeit pro furto 
(wie man gern getan hette) möchte gehalten werden, Wie wir armseligen Menschen denn 
nicht einerley gesinnet seyn, so hab ich mir vorgenommen inn dieser dedication mit gar 
wenigem und nur Summarischer weise anzeigen, was seythero von mir in caelo durch solch 
neuerfundenes Niderländisches Instrument ist observirt worden.?) 

Das erste nun, dass ich auch vermercket, dass Mercurius gleicher weise von der Sonnen 
erleuchtet werde, wie die Venus unnd der Monn.?) Dieweil ich jhn nun etlichmal in occasu 
matutino und exortu vespertino viel heller und schöner gesehen hab, als in occasu vespertino 
und exortu matutino, da doch sonsten gantz das Widerspiel ratione elongationis a terra ge- 
schehen solt. 

Item, dass die corpora coelestia, sonderlich aber die Planeten keineswegs so gross seyn, 
wie bissher geglaubt worden. Solches aber ist daher entstanden, dieweil sie die Astronomi 
die Corpora coelestia bey der Nacht -observiert haben, da sie denn in aöre nocturno viel 
grösser scheinen, als bey tag.) Wie ich denn Jovem vielmals bey Tag rundt wie einen 
Schusser gesehen hab, sonderlich aber den 16. Nov. An. 1611?). Zwischen 10 und 11 Uhr 
zu Mittag, habe ich Jovem zu vielmalen durch das Instrument gar schön rundt ohn einige 
radios gesehen, und hat entweder nichts oder wenig über 1 min. primum in coelo oceupirt: 
Aber circa oppositionem cum Sole, ist er umb ein merckliches grösser. Also hab ich 
Venerem prope conjunctionem Solis, da sie corniculata oder falcata gewesen, mit dem ganzen 
diametro nichts sonderliches über 3 min. occupirn sehen, da sie doch secundum T'ychonem 
bald 10 Min. gross hette scheinen sollen. Das sie also in media elongatione ein minutum 
primum cum 20 secundum eireiter jnnen hat.*) Gleicher weiss hab ich auch ein halbe 
stund oder länger, nach der Sonnen Auffgang Jovem und cor Leonis gar ausstrücklich bey 
schönen hellem Himmel gesehen, den 30. Octob. An. 1611.?) Derowegen unnötige weit- 
läufftigkeit zn vermeiden, halte ich dafür, dass Saturnus dreymal grösser sey, beyläufftig 
als der Erdboden. Tycho hält jhn 22 mal grösser, die Alten aber 90mal. Den Jovem 
halte ich pro quinta parte terrenae molis, das ist, die Erde ist fünffmal grösser als Jupiter.°) 
Tycho helt ihn viertzehenmal grösser als die Erden, die alten Astronomi 80 mal. 


i) pag. 423. 2) pag. 463. 3) pag. 464. 4) pag. 482, 5) pag. 477. 


523 


Der JS ist nach meiner Mainung 145mal kleiner als die Erden. Tycho helt jhn 
dreyzehenmal kleiner. Die Alten haben ihn anderthalbmal grösser als die Erden geschätzet. 

Die 2 halte ich 91mal kleiner als den Erdboden. Tycho helt sie nur 6mal, die 
Alten aber 36 mal kleiner als den Erdboden. 

Den 8 halte ich 506 mal kleiner als den Erdboden. Tycho helt jhn 19 mal, die Alten 
aber etlich tausentmal kleiner als den Erdboden.!) 

Das cor Leonis belanget, so ich bey tag nahe bei 2 gesehen habe, ohne stralen, 
gleich einem liechten Punct, so ist sein Diameter kaum der vierdte theil des Diameters 
Jovis gewesen, so gut ich es per conjecturam hab assequirn können, were demnach umb 
ein geraumes als ungefehr viermal kleiner als der Erdboden.?) 

Dies ist beyläufftig meine Maynung von der grösse der Planeten und cordis Leonis. 
Es soll aber niemand gedenken, dass ich, oder ein anderer Mathematicus sanior dafür 
halten, als wenn gar nichts fehlen könte. Nein, durchaus nicht: Denn in diesem fall ex 
minimis maxima dedueirt werden. So will ich auch mit Galilaeo nicht hart streiten, wenn er 
durch sein Instrument, welches denn viel besser sein muss, als das meine (denn er die gute 
gelegenheit der Gläser halben zu Muran bey Venedig hat, welches wir dieser ort nicht 
haben können) etwas anderes befunden hat. Doch weiss ich gewiss, wo je ein merklicher 
differentz zwischen uns Seyn solte, dass er näher meiner observation wird beistimmen, als 
Tyehonis, oder der alten Astronomen,?) die ursach ist zuvor angezeigt worden. 

Die 4 Jovialischen Planeten belangt, so hab ich seythero durch fleissiges observirn 
und ungläubliches viel experimentirn und calculirn, aller 4 periodica tempora erfunden, 
welche ich auch hiemit allen gutherzigten und Liebhabern der Astronomey freywillig com- 
munieire, Ich halte aber die Ordnung also: Nemlich, dass ich den ersten Jovialischen 
Planeten denjenigen nenne, welcher nur 3 Minuten von Jove in utramque partem abweicht, 
den andern, welcher nur 5 Min., den 3., welcher nur 8 Min., den 4., welcher nur 13 Min. 
abweicht. Diese maximae elongationes, sonderlich aber dess vierdten wird etwas geändert, 
nach dem 9), nah oder fern von der Erden stehet, aber solche differentiam hab ich meinem 
Instrument nicht abmessen können.t) Überdiess hab ich ein andere inaequalitatem ver- 
mercket, sonderlich aber des 4., wenn er prope Jovem versirt, und ist die grösste Differentz, 
wenn 9 in [] © stehet: Das also die Epoche auf die 2 9 © gerichtet, eirca quadraturam 
Solis cum Jove nicht recht haben wollen zutreffen. Daher ich viel rechenens und nach- 
denckens gehabt, biss ich endlich die ursach ergründet: Nemlich, dass solche newe Planeten 
mit jhrer aequalitate, sampt jhrem Centro 9 nicht terram, sondern solem respieirn, also 
das linea apogaei ist diejenige, so ex Sole per Jovem gezogen wird, welche mit der Lini 
ex terra per 9| in oppositione Jovis et Solis übereinkompt. Aber ausser diesem ort alle- 
zeit discrepirt, und die gröste diserepantia ist circa quadraturas, wie beygesetzte Figur auss- 
weiset, da ich nur die spheram des vierdten depingirt hab. .... 

Die periodica restitutio dess vierten Jovial. Planeten geschicht in 16 tagen 18 stund 
23 min. fere. Dess 3. in 7 tagen 3 stund 57 min., dess 2. in 3 tagen 13 stund 18 min., 
dess 1 in 1 tag 18 stund 18 min. 30 secunden.’) Auss diesem Fundament unnd Hypothesi 
hab ich Tabulas gemacht, welche zu seinerzeit auch sollen Publicirt werden. Wo ich auch 
unter dessen noch ein Mangel vermercke, (wie denn nicht müglich, dass alles in so kurtzer 


I) page. 476, 2) pag. 464 u. 477. 3) pag. 464 u. 477. 4) pag. 465. 5) pag. 490. 


524 


zeit solte perfect ergründet seyn), soll solches auch nach vermögen Oorrigirt werden. Ich 
habe gethan, was ich gekondt; ich will mit meiner Arbeit andern gern die Hand bieten.?) 

Die maculas in Sole belangt, welche von Joh. Fabricio und seinem Vattern Herrn 
Davide Fabrieio erstlich observirt worden, die hab ich voriges Jahr 1611 im Augusto zum 
erstenmal gesehen,?) monstrante Ahasvero Schmidnero Regiomontano Borusso, der damals 
mich visitiert hat. Als mir aber solcher modus nicht genug gethan, nemlich durch den 
radium obscura camera acceptum, adhibito instrumento belgico, als hab ich den 11. October 
einen anderen Weg erdacht, dass ich die Sonnen durch das benannte Instrument ohn alle 
verletzung dess Gesichts bey hellem Himmel sehen, unnd die maculas gar distincte, sampt 
jhrem täglichen motu observirn kan. Aber hiervon zu anderer zeit mehr. Den 30. May 
diss Jahrs hab ich 14 solcher auff einmal gesehen. Es sein aber nicht in ipso corpore 
solari, sondern seyn corpora, quae circa solem feruntur. 

Diess hab ich nun wahrhafftig auss keinem pralen oder einiger hoffart allhie Sum- 
marischer weis setzen wöllen, wie ich gar newlich unverschulder weise von einem an- 
fangenden Practicanten bin beschuldiget worden, deme ich bald nach Notturfft, geliebts 
Gott, antworten will. Sondern aus gutem aufrichtigem Hertzen, damit ich die Mathesin 
nach vermögen verbessern und Illustrirn helffe. Und diejenige so etwa wider mich gewesen, 
und meine labores in verdacht gezogen und mit mir in guter Freundschaft erhalten möge. 

. Datum Onoltzbach, den 30. Junij Anno 1612. 


Simon Marius Guntzenhusanus Mathematicus 
et Medicinae Studiosus.°) 


1) pag. 465. 2) pag. 464. 
3) Von den Werken des Simon Marius sind vorhanden: 
Das Prognosticon auf 1601 in der K. Bibliothek in Berlin, 
Das auf 1607 in der Grossherzoglichen Hofbibliothek in Darmstadt, 
„ 1609 „ -„ Stadtbibliothek in Nürnberg, 
ne ur 10122 n n n 
»  » 1613 „ „ ÜUniversitätsbibliothek Tübingen, 
» » 1616 „ „ Stadtbibliothek und im Germanischen Museum in Nürnberg, 
M „ 1619 „ „ Stadtbibliothek in Nürnberg, 
E „ 1623 „ „ Herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel, 
ei „ 1627 „ „ Stadtbibliothek in Nürnberg, 
a „ 1628 „ dem Germanischen Museum in Nürnberg, 
1629 „ der Stadtbibliothek in Nürnberg; 

Tabulae ee: (1599) in der Stadtbibliothek von Augsburg, Hamburg und Leipzig, Universitäts- 
bibliothek Königsberg i. Pr., K. Regierungsbibliothek Ansbach, K. Kreisbibliothek Regensburg, 
K. Hof- und Staatsbibliothek in München, Bibliothek der Lateinschule in Rottenburg o. T.; 

Mundus Jovialis (1614) in der Stadtbibliothek von Augsburg und Hamburg, Universitätsbibliothek in 
Breslau, Kiel und Königsberg, K. Regierungsbibliothek Ansbach, K. Hof- und Staatsbibliothek in 
München, Herzogliche Bibliothek in Wolfenbüttel, im British Museum in London; 

Astronomische und Astrologische Beschreibung dess Cometen ...1618... (1619) in der Stadtbibliothek 
Ulm, Universitätsbibliothek Giessen, im British Museum in London; 

Gründliche Widerlegung der Position Circkel Claudij Ptolemaei ... (postum 1625 von Daniel Mögling 
herausgegeben) in der Stadtbibliothek von Breslau, Herzoglichen Bibliothek in Gotha. 
Handschriftliches von $8. Marius konnte nicht aufgefunden werden trotz der Umfrage in sehr vielen 

Bibliotheken, in Ansbach und anderen mittelfränkischen Städten, in dem Familienarchiv der Frhr. von 

Fuchs in Burgpreppach, dem K. Kreisarchiv von Bamberg und Nürnberg, K. B. Reichsarchiv in München, 

K. Hausarchiv in Charlottenburg, Fürstl. Thurn- und Taxissches Zentralarchiv in Regensburg ete. 


Inhaltsverzeichnis. 


I, lau 


Die Entstehung der Streitfrage und deren Beurteilung im Laufe der Jahrhunderte. 
1. Die Entdeckung der Jupitertrabanten durch Galilei 

. Simon Marius und seine Schriften . : 

. Beiträge zur Charakterzeichnung des Marius; Capra 

. Der Mundus Jovialis von S. Marius 

. Galileis Saggiatore . 

. Kepler und Marius 


SO Gt Pe, @ DD 


. Ansichten verschiedener Gelehrten über die Streitfrage 
a) 17. Jahrhundert 3 
ß) 18. Jahrhundert & ; : 
y) 19. Jahrhundert und Neuzeit 


II. Teil. 


Die von Marius behauptete Entdeckung der Jupitertrabanten, ihrer Perioden und der Venusphasen; 
Vergleich der Schriften des Marius von 1611 bis 1614 mit den gleichzeitigen Publikationen 
Galileis 

1. Die Schriften des Marius aus 1609 und 1610 
2. Die Schriften des Marius aus 1611 


a) Die Briefe an Odontius, Vicke und David Fabrieius und das Prognostikum 
auf 1612 . 


ß) Falsche Berichterstattung des Mundus Jovialis 
3. Die Entdeckung der Venusphasen (Prognostikum 1612) 
4, Die Fernrohre zur Zeit der Entdeckungen Galileis 
5. Prognostikum auf 1613 
a) Abhängigkeit dieses Prognostikums von Galilei : 
ß) Trabantenperioden im Prognostikum auf 1613 und im Discorso sui Galleggianti 


6. Galileis Lettere Solari und der Mundus Jovialis des Marius 


525 


Seite 


387 
395 
402 
408 
414 
418 


425 
429 
430 


443 


445 
449 
452 
455 


462 
464 
467 


III. Teil. 


Die Beobachtungen des Marius, seine Tafeln und Perioden der Trabantenbewegungen 
1. Die Beobachtungsmethode des Marius bei der Bestimmung der Trabantenperioden . 
2. Die Beobachtungen und Messungen des Marius 
a) Zuverlässigkeit Mariusscher Beobachtungen, seine Fixstern- und Planetengrössen 
ß) Die Breitenabweichungen der Trabanten bei Marius und Galilei 
y) Genauigkeit der Messungen des Marius 
. Die Umlaufszeiten der Trabanten _ 2 ‘ : ? 
. Vergleich der Mariusschen mit den modernen Trabantentafeln 
. Die uns erhaltenen Trabantenbeobachtungen des Marius 


a a Pe ww 


. Schluss 


Anhang. 


I. Abgekürzte Tafel der heliozentrischen Konjunktionszeiten der Trabanten (ber. von A. Berberich) 
I. 1. Auszug aus dem Prognostikum auf 1612 von Simon Marius . 


2. Auszug aus dem Prognostikum auf 1613 von Simon Marius . 


Te Ve 
« 


Seite 


472 


475 
477 
482 
487 
498 
508 
511 


515 
518 
521 


Ernhadle 


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Eine Grundaufgabe der Photogrammetrie und ihre Anwendung auf Ballonaufnabmen. Sa 
Von 8. Finsterwalder. (Mit 2 Tafeln) . . 2 ; an > 


Beiträge zur Petrographie der östlichen Zentralalpen, no des Gross -Venedige rm 
ee Von Ernst Weinschenk. III. Die kontaktmetamorphische Schieferhül 
und ihre Bedeutung für die Lehre vom allgemeinen Metamorphismus. (Mi 
5 Lichtdrucktafeln und einer farbigen Kartenskizze) ee OR DONE en 


Ueber Reptilien und Batrachier aus Guatemala und China in der zoologischen Staats- S- 
Sammlung in München, nebst einem Anhang über seltene Formen aus an 
Gegenden. Von Dr. Franz Werner. (Mit einer farbigen Tafel) N 


Simon Marius aus Gunzenhausen und: Galileo Galilei. Ein Versuch zur Entscheidung 2 
der Frage über den wahren Entdecker des Pe Er ihrer % Me 
Von Josef Klug . ; 3 ! i 5 : i Bl. Ro 


Akademische Buchdruckerei von F. Straub. 


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Über die Verdampfungswärme 
des flüssigen Sauerstoffs und flüssigen Stickstoffs 


und deren Änderung mit der Temperatur. 


Von 


Heinrich Alt. 


(Mit 4 Tafeln.) 


Abh.d.11.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 68 


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$ 1. Einleitung. 


Die Bestimmung der latenten Verdampfungswärme der flüssigen Luft 
und ihrer Bestandteile ist in der letzten Zeit mehrfach Gegenstand experi- 
menteller Arbeiten gewesen. Behn') bestimmte die Verdampfungswärme stark 
sauerstoffhaltiger Luft und erhielt aus 2 Versuchen im Mittel 50.8 =; nach 
Shearer?) beträgt sie für Luft von 

21.8%0 22.5 % 56 °% 72% 02 
44.02 45.4 50.57 51.7 =; 


Der Verfasser?) fand für reinen Sauerstoff eine ve ung von 52.09 = 
bei — 183° (710 mm Druck) bis 59.10 bei — 201.5° (65 mm), für Stickstoff 
eine solche von 48.78 -— bei — 196.5° (685 mm) bis 52.06 bei — 210.0° 
(96 mm). In einer zweiten Arbeit gibt Shearer) für reinen Sauerstoff als Mittel 
aus 6 Beobachtungen 61.0 & an, für reinen Stickstoff als Mittel 49.83 7 (die 
Anzahl der Versuche ist nicht angegeben). Estreicher’) maß die Ver- 
dampfungswärme des reinen Sauerstoffs zu 58.0 — Endlich untersuchten 
kürzlich Fenner und Richtmyer‘) flüssige Luft und erhielten für solche 
von 19.6°%/0 bis 97.6°%/0 Sauerstoffgehalt Werte, die zwischen 48.65 “" und 
54.10 - schwanken, wobei sich die ausgeglichene Kurve fast im ganzen 
all in der Nähe des Mittelwertes von 50.966 “! hält, und erst von 
95°%% an rasch anzusteigen scheint. Bei allen diesen Untersuchungen mit 
Ausnahme der des Verfassers kam die volumenometrische Methode zur Be- 
stimmung der verdampften Menge in Anwendung; der Druck, auf den sich 
die Bestimmungen beziehen, ist der atmosphärische. 


U. Behn, Ann. d. Phys. 1, 270-274, 1900. 
J. S. Shearer, Phys. Rev. 14, 188—191, 1900. 
H. Alt, Ann. d. Phys. 13, 1010-1027, 1904. 
J. S. Shearer, Phys. Rev. 17, 469—475, 1903. 
T. Estreicher, Bulletin de l’Academie des Sciences de Cracovie S. 183—196, 1904. 
R. C. Fenner und F. K. Richtmyer, Phys. Rev. 20, 77—85, 1905. 
68* 


530 


Verschiedene Unzulänglichkeiten an der vom Verfasser in der erwähnten 
Untersuchung benützten Versuchsanordnung ließen eine Weiterführung der Ver- 
suche mit größeren Hilfsmitteln erwünscht erscheinen; über diese soll im fol- 
genden berichtet werden.!) Die technischen Einzelheiten der Gesamtanordnung 
sind, insbesondere für Gasbereitung und -verflüssigung, vielfach gleich oder 
identisch mit Anordnungen, die von K. T. Fischer bei anderen, noch nicht 
veröffentlichten Arbeiten auf dem gleichen Gebiet verwandt wurden; sie sind 
meist aus gemeinsamer Arbeit entstanden und sollen, soweit nötig, schon hier 
ausführlich angegeben werden. 

Das Prinzip der angewandten Untersuchungsmethode ist dasselbe wie 
früher, nämlich Wägung der durch elektrische Heizung verdampften Flüssig- 
keitsmenge. Die volumenometrische Methode hat zwar den Vorteil, daß sich 
die Bestimmung des Volumens mit einer Genauigkeit durchführen läßt, die 
der an der Wage möglichen Gewichtsbestimmung überlegen ist; es entspricht 
l mg Flüssigkeit 1 ccm Gas, oder 1 g verdrängten Wassers; die Unsicher- 
heit in der Messung der Temperatur des aufgefangenen Gases dürfte aber 
diesen Vorteil aufheben. Die Bestimmung der Verdampfungswärme unter ver- 
mindertem Druck nach dieser Methode würde außerdem wohl einen sehr kom- 
plizierten Apparat erfordern. 

Um diese bei dem Wägeverfahren möglichst einwandfrei durchführen 
zu können, war der ganze eigentliche Meßapparat unter einen Metallrezipienten 
gebracht, in dem der gewünschte Druck hergestellt und erhalten wurde. Gleich- 
zeitig sicherte dieses Verfahren einen vollkommenen Abschluß des verflüssigten 
Gases gegen die atmosphärische Luft und schützte die abgekühlten Apparat- 
teile vor Berührung mit Feuchtigkeit, störendem Beschlag und Bereifung. 


S 9, Versuchsanordnung. 


A. Verdampfungsapparat. 


Die Einzelheiten des Apparates, in dem die Flüssigkeit verdampft und 
ihr Gewicht bestimmt wurde, sind aus Figur 1 ersichtlich. Der auf voll- 
kommenes Vakuum geprüfte Rezipient von 35cm Durchmesser und 60cm Höhe 
war aus 2 Teilen zusammengesetzt, einem aus gezogenem Messingrohr be- 
stehenden Zylinder und einer aus Kupfer getriebenen halbkugelig abgeschlos- 
senen Kuppel. Zwei Fenster in letzterer erlaubten die Beobachtung des im 


!) Eine vorläufige Beschreibung der Anordnung und Mitteilung der Versuchsresultate wurde 
gegeben in Physik. ZS. 6, 346—349, 1905. 


531 


Innern mit zwei Glühlampen erleuchtbaren Apparates; ein größeres Fenster 
im unteren Zylinder diente vorzüglich dazu, nach Zusammensetzung des Ganzen 
noch Änderungen im Innern vorzunehmen, da ein Abheben der mit Luft- 
pumpenfett aufgesetzten Kuppel, nachdem das Fett angetrocknet, nicht mehr 
ohne Gefährdung des ganzen Apparates angängig erschien. Die nötigen Gas- 
und elektrischen Zuführungen geschahen von oben durch Tuben mit Hilfe 
von Gummistopfen. In den messingenen Tuben wurde der Gummi bald an- 
gegriffen; der luftdichte Schluß litt darunter, so daß ein Dichtungsmittel ange- 
wandt werden mußte. Da Öle den Gummi ebenfalls angreifen, kam nur 
Glyzerin in Betracht; dasselbe dringt jedoch bald tropfenweise durch und 
verunreinigt den Apparat; auch erschwert es infolge seiner nicht unbeträcht- 
lichen Dampfspannung die Dichtigkeitsprüfungen. Fette verschiedener Zu- 
sammensetzung sprangen bald ab. Endlich wurde ein vorzügliches Dichtungs- 
mittel in einer Lösung von 5 bis 6 Teilen weißer Gelatine in 50 Teilen auf 
dem Wasserbad erwärmten Glyzerins gefunden. Die Lösung wurde in Röhren 
aus Pergamentpapier, die die Messingtuben mit weitem Zwischenraum um- 
gaben, warm eingegossen. Erstarrt schließt sie sich ebensogut an Glas wie 
an Metall an und bietet monatelang einen guten Schluß. Nach Abreißen der 
Papierröhren läßt sie sich leicht erneuern. Ringe aus demselben Material waren 
auch um die Stoßfuge der beiden Rezipiententeile, sowie des unteren Teiles 
mit dem Teller gegossen. Da die Lösung ein ziemlich guter Leiter der Elek- 
trizität ist, dürfen Starkstromdrähte, oder Drähte, die zu Meßapparaten führen, 
nicht blank durchgeleitet werden. Als Dichtungsmittel für die Fenster hat 
sich Luftpumpenfett gewöhnlicher Zusammensetzung, von Zeit zu Zeit erneuert, 
am besten bewährt. Nach der ersten völligen Zusammensetzung des Apparates 
betrug bei 1 bis 5mm Innendruck die Druckänderung 0.01 =_; später wurde 


Stunde ? 
dieselbe größer, doch überschritt sie während der Versuchsreihen 0.5 „"" 


nicht. Der ganze Apparat stand, um Stöße von der Wage fernzuhalten, a 
3x 4 Filzplatten von 11cm Durchmesser und 1cm Dicke. Dieser Schutz erwies 
sich als ausreichend. 

Die Wage W war eine eisenfreie, mit unverstellbaren Achatschneiden bei 
10 cm Balkenlänge versehene Mohrsche Wage von Reimann. An dem einen 
Ende hing, unter Zwischenschaltung eines verstellbaren Gehänges an drei, 
in der Figur nicht gezeichneten Seidenfäden das Verdampfungsgefäß V, ein 
versilbertes Vakuumfläschehen von 3lccm innerem, 70 ccm äußerem Volumen. 
Nahezu äquilibriert wurde dasselbe durch die an der anderen Endschneide 
angehängte Kupferscheibe € und die Wagschale Das Verdampfungsgefäß 
schwebte mit wenig Spielraum in dem innersten Rohr des dreiwandigen 


532 


Vakuumgefäßes F,!) welches, oben durch das Rohr R gehalten, zur Justie- 
rung hinreichende Beweglichkeit besaß und in richtiger Stellung durch die 
Schrauben f, f gehalten werden konnte War der Zwischenraum zwischen 
dem eigentlichen Vakuumgefäß und dem angeschmolzenen dritten Rohr mit 
flüssiger Luft gefüllt, so erhielt man im Innern dieses Rohres eine Temperatur, 
die auch nach der oberen Öffnung zu nur wenige Grade von der der Kühl- 
flüssigkeit abwich. Das Rohr R erlaubte die Füllung des Gefäßes und leitete 
den Abdampf ins Freie. Flüssige Luft konnte bei Sauerstoff nur bei tiefen 
Drucken verwendet werden. Bei hohen Drucken wurde mit ca. 300 ccm flüssigen 
Sauerstoffs gekühlt, der aus einem besonderen Kondensationsapparat durch R 
eingepreßt wurde. Da dieser nur als Kühlmittel dienende Sauerstoff mäßig 
verunreinigt sein durfte, wurde er nach der Verdampfung stets wieder in 
einen 300 Liter fassenden Gasometer zurückgeleitet. Der Verbrauch an flüssiger 
Luft für diese Kühlung betrug pro Tag 4 bis 5 Liter. Bei den unter nie- 
drigem Drucke durchgeführten Stickstoffversuchen wurde, um die Temperatur- 
differenz zwischen Kühlflasche und Verdampfungsgefäß herabzusetzen, die küh- 
lende Luft durch Ansetzen eines zur Wasserluftpumpe führenden Schlauches 
an R unter vermindertem Druck verdampft. Die Temperatur in der Kühl- 
flasche konnte durch die drei Thermoelemente 77, Tyr, Zyr aus 0.15 mm bis 
0.20 mm dicken Konstantan- und Kupferdraht gemessen werden. 7, und 77, 
waren fest, Tyr konnte durch Führung an $ mit Hilfe des Fadens X bis 
ca. 2cm unter den Rand von V gesenkt bezw. Icm darüber gehoben werden. 
Die Thermoelemente waren durch dünne Glasröhrchen, die dann mit Wachs- 
kolophonium ausgegossen wurden, ins Freie geführt; ihre zweiten Lötstellen 
befanden sich in Petroleum auf Eis. An den Rand des Verdampfungsgefäßes 
reichte auch das Rohr des Fülltrichters $. Derselbe wurde durch den Hahn 4 
mit dem verflüssigten Gas beschickt. Zum Durchlaß flüssiger Luft zeigte sich 
keines der käuflichen Glashahnsysteme geeignet, alle zersprangen. Dennoch 
schien es wünschenswert, das flüssige Gas unter sicherem Abschluß gegen die $ 
Atmosphäre, und dabei in jederzeit regulierbarem Strome in den Verdampfungs- 
apparat ‘einzuführen. Diese Bedingungen erfüllte der in Figur 2 abgebildete 
Hahn. Der in die Verjüngung des Glasrohres R eingeschliffene Konus X 
konnte durch Drehung der Schraubenspindel P in der mit Siegellack in das 
Glasrohr eingekitteten Messingmutter M beliebig gestellt werden. Die Drehung 
wurde von dem Schliff $ aus durch Vermittlung des Vierkantrohres V, das 


!) Von R. Burger in Berlin vorzüglich geblasen; die eine Flasche hielt während der gesamten, 
mehr als einjährigen Dauer der Versuche, obwohl die flüssige Luft häufig den Rand des eigentlichen 
Vakuumgefäßes bespülte. 


5933 


den etwas abgerundeten, vierkantigen Kopf F umfaßte, bewerkstelligt. Die 
Verbindung des Schliffes mit der nicht leicht vollkommen zentrierbaren 
Schraubenspindel war dadurch hinreichend locker, um bei Drehung einen den 
dichten Schluß des Schliffes beeinträchtigenden seitlichen Druck auf denselben 
zu verhindern.!) Die möglichst dünnwandig gehaltenen Glasteile können ohne 
weitere Vorsichtsmaßregeln mit flüssiger Luft beschickt werden. Die Flüssig- 
keit bewegt sich nur in den untersten Teilen, so daß die Kittstellen %k, die 
übrigens völlig gegen außen abgeschlossen sind, keinen Schaden leiden. Mit 
Hilfe dieser Vorrichtung gelang es, flüssiges Gas ohne Gefahr selbst noch 
bei einem Druckunterschied von einer vollen Atmosphäre aus 
dem Kondensgefäß in das Verdampfungsgefäß zu bringen, was neben anderen 
Vorteilen eine erhebliche Ersparnis an Flüssigkeit ermöglicht; der Flüssigkeits- 
strom ist jederzeit zu regulieren oder abzustellen. Obwohl infolge 
der etwas unsicheren Führung des Konus X der Schluß desselben nicht völlig 
dicht erhalten werden konnte, dürfte sich doch der Hahn in vielen Fällen 
auch zur Feinregulierung von Gasströmen eignen. Bei einer Druckdifferenz 
von einer Atmosphäre ließ der völlig geschlossene Hahn nur ca. 10 ccm Luft 
von atmosphärischem Druck pro Stunde passieren. 

Das zu verarbeitende Gas kam aus dem Herstellungsapparate zunächst 
in einen aus Glas geblasenen Verteiler, durch den es entweder durch das 
Rohr r dem Kondensgefäß A, oder direkt dem Rezipienten zugeleitet werden 
konnte, und der ferner ein Manometer enthielt zur Messung der Druckdifferenz 
zwischen Kondensgefäß und Rezipienten, ein zweites für den Druckunterschied 
des Rezipienten gegen die Atmosphäre, — bei dem großen Querschnitt des 
Rezipienten verursachte ein Überdruck von wenigen Millimetern ein Aufheben 
desselben vom Teller und damit meist eine Zerstörung der Justierung — 
endlich eine nur einseitig offene Gummibirne. Mit dieser konnte durch Ventile, 
die nur in Quecksilberabschlüssen bestanden, das betreffende Gas in das Kondens- 
gefäß eingepreßt werden, wenn die Druckdifferenz Kondensgefäß — Rezipient 
zur Überführung der Flüssigkeit nicht genügte. Von den Gaserzeugungsappa- 
raten an bis zum Rezipienten waren alle Leitungen aus Glas zusammengeblasen, 
mit Ausnahme der Ansatzstelle der Gummibirne und der Einführung der Rohre 
in das Kondensgefäß, die ebenfalls durch Gummi führte; diese Stelle wurde 
durch Glyzerin-Gelatine abgedichtet. Da sonach das Kondensgefäß an den 
Träger T’r fest montiert werden mußte, war die Dewarflasche D, welche die zur 


1) Vollkommener ließe sich dieser Zweck durch Einschaltung zweier Universalgelenke, die mit 
zwei ineinander verschiebbaren Stücken von Vierkantrohren verbunden sind, zwischen den Schliff und 
die Schraube erreichen. 


534 


Verflüssigung dienende Luft enthielt, durch den Schlitten N beweglich gemacht. 
Mußte bei Kondensation des Stickstoffs die flüssige Luft unter niederen Druck 
— durch zwei gekoppelte Wasserstrahlpumpen — gesetzt werden, so bildete 
der Gummistopfen G, in der aus der Figur erkennbaren Form geschnitten, 
einen vollkommenen luftdichten Schluß, der sich bei sinkendem Druck im 
Innern der Dewarflasche von selbst erhielt. Durch das Steigrohr ss und den 
Hahn H gelangte die Flüssigkeit zunächst in das hutförmige sogenannte 
„Soxlethfilter“ des Fülltrichters $, durch das sie in vollkommen klarem 
Strom abfloß. 

Zum Verdampfen konnte die Flüssigkeit durch die Heizspirale J aus 
0.Imm starkem Manganindraht gebracht werden. Kupferschienen von 5 mm? 
Querschnitt führten den Strom zu; von ihrem oberen, horizontal gebogenen 
Ende gingen 4 Drähte, anfangs aus 0.53 mm starkem Kupfer, später aus 
0.14 mm dickem Silber, zu dem Glasstäbchen B; von hier führten 4 Silber- 
lamettastreifen t, 0.35 mm breit, 0.02 mm dick, zu den auf einer Hartgummi- 
platte aufgeschraubten Kabelschuhen F, von wo Kabel durch einen Tubus 
nach außen leiteten; die Durchführungen durch den Gummistopfen geschahen 
in Glasröhren, die weit über den Gummi hinausragten, durch einen am Ende 
eingeschmolzenen Platindraht, um die Isolierung der Drähte gegeneinander 
und von dem Rezipienten zu sichern. Die Vorgänge im Innern der Kühl- 
flasche und im Verdampfungsgefäß konnten durch den Spiegel 8p deutlich 
beobachtet werden. 

Zur Bedienung der Wage diente der Stahldraht E. Ein durch Ver- 
mittlung des eingelöteten Messingstückes M, an einem seitlichen Tubus be- 
festigter weiter Gummischlauch G,, welcher seinerseits durch das Messing- 
stück M, mit dem Druckgummischlauch G, zusammenhing, gestattete die seit- 
liche Bewegung des Drahtes innerhalb eines durch M, vorgeschriebenen Kegels 
von ca. 90° Öffnung. Innerhalb dieses Schlauches ging der Draht durch ein 
eng anschließendes Messingrohr, damit der durch den äußeren Luftdruck breit 
gedrückte Schlauch das Gleiten des Drahtes nicht verhindere. Durch Pressen 
und Ziehen des 36cm langen Schlauches G, konnte dann der Draht um 
ca. 7cm in seiner eigenen Richtung verschoben werden. Hiedurch hatte das 
Ende des Drahtes beträchtlichen Spielraum. Die ganze Vorrichtung hielt sehr 
gut dicht. Um jedes Eindringen von Luft durch die Verbindungsstellen von 
G, mit M, und M, zu verhindern, war über @, noch der weitere Schlauch G, 
gezogen; der Zwischenraum zwischen G, und G, stand durch 9 mit einem 
Glyzerinbehälter in Verbindung, so daß alle Fugen ständig unter Glyzerin 
standen. Die Zange Z diente zum Bewegen der Gewichte, die, wenn nicht 


WERE rc ee a 


535 


gebraucht, neben der Wagschale auf nicht gezeichneten Tischen standen. Ferner 
konnte durch Angreifen von E an dem Speichenrädchen Z die Arretierung Y 
der Wage betätigt werden, die so eingerichtet war, daß sie gleichzeitig als 
verstellbarer Anschlag für die Wagbalken dienen konnte. Endlich wurde durch 
ein ähnliches nicht gezeichnetes Triebwerk der um eine Welle gewundene, mit 
einem Gegengewicht gespannte Faden X des Thermoelementes 7',, angezogen 
oder nachgelassen. Durch Übung wurde eine ziemliche Sicherheit im Bedienen 
der Wage erlangt; war freilich, was von Zeit zu Zeit vorkam, ein Gewicht 
herabgefallen, so konnte es nur durch Öffnen eines Fensters wieder an seinen 
Platz gebracht werden. Als Gewichte dienten außer einem gewöhnlichen ver- 
goldeten Messing-Gewichtssatz für die Gramme selbst gefertigte Gewichte aus 
Aluminiumdraht mit Ösen zu 500, 400, 300, 200, 100 mg, sowie Draht- 
stücke in Tetraederform für 50 mg und 20 mg in größerer Anzahl; letztere 
Form ermöglicht ein sicheres Aufheben des Gewichtes, wie es auch immer fällt. 


Die Bewegung der Wage war durch den mit ca. 5 Amp. beschickten 
Elektromagneten X, dessen Polschuhe die Kupferscheibe C eng umgaben, 
aperiodisch gedämpft; ihre Bewegung wurde an einem über die Gabel Q ge- 
spannten Spinnfaden durch das Mikroskop beobachtet. Die Thermometer aa 
dienten zur Beobachtung der Temperatur der Wagbalken. 


Das ganze Innere des Rezipienten wurde nach jeder nötigen Öffnung 
durch Phosphorpentoxyd, das in flachen Glaströgen auf eine Fläche von 
ca. 600 cm? verteilt war, unter geringem Drucke scharf getrocknet. 


B. Druckmessung und Regulierung. 


Aus dem Rezipienten entführte das Rohr U, das verdampfte Gas. Damit 
die hiedurch verursachte Strömung weder die Wage noch das an U, ange- 
schlossene Barometer beeinflusse, war U, bis in die Mitte des Rezipienten 
herabgeführt. Zur Erhaltung konstanten Druckes im Rezipienten mußte eine 
automatisch wirkende Vorrichtung in Anwendung kommen, da die große Zalıl 
der übrigen Beobachtungen eine ständige Beaufsichtigung des Barometers und 
Regulierung des Druckes nicht zuließ. Die Einrichtung dieses auf dem Prinzip 
der Mariotteschen Flasche beruhenden Druckregulators zeigt Figur 3. An das 
Rohr a war der Rezipient angeschlossen; er stand durch das 2cm weite 
Rohr d mit dem Ausströmungsrohr ce von 7mm Weite in Verbindung. Anderer- 
seits war durch d der obere Teil des 3.2 cm weiten Rohres A mit einem 
großen, 370 Liter fassenden eisernen Behälter R, verbunden. Dieses Rohr A 
kommunizierte unten durch das mit dem Hahn H, versehene Rohr f mit der 

Abh. d. II.Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 69 


536 


Kugel B, die ihrerseits an einem zweiten, ebenfalls 370 Liter haltenden Be- 
hälter R, angeschlossen war. B und ein Teil von A sind mit konzentrierter 
Schwefelsäure gefüllt. Besteht zwischen R, und AR, eine Druckdifferenz, so 
nimmt die Schwefelsäure in A einen gewissen Stand ein; das Gas, das durch e 
ausströmt, hat aber bekanntlich nur den Druck zu überwinden, der in B und £, 
herrscht, vermehrt oder vermindert um den Druck der Flüssigkeitssäule m n, 
die aus praktischen Gründen hier ungefähr —= 0 genommen wurde. Für 
Konstanz des Druckes in B sorgt R,, denn wenn auch im Betrieb Säure in B 
eintritt, so ruft diese Volumänderung bei 370 Liter Gesamtvolum nur eine kaum 
merkliche Druckänderung hervor. Um das Niveau in DB konstant zu halten, 
durfte f nicht unten in B einmünden, sondern es mußte der Überlauf m an- 
gebracht werden; hiedurch wurde zur Einstellung des Apparates der Hahn H, 
nötig. Diese erfolgte so, daß bei geschlossenen Hähnen 4, und AH, zuerst in 
R,-—B ungefähr der gewünschte Druck hergestellt wurde; sodann wurde bei 
geöffnetem 7, R, eventuell mitsamt dem damit verbundenen Versuchsapparate 
evakuiert, bis in A eine Flüssigkeitssäule von ausreichender Höhe erreicht war. 
Wurde dann H, geschlossen, H, geöffnet und der Druck in B—R, vorsichtig 
etwas erniedrigt, bis die Säure den Überlauf erreichte, so war die Einstellung 
für den Versuch fertig. Durch die Leitung 9 mit dem Hahn H, konnte in 
R, und dem Versuchsapparat gleicher Druck hergestellt, oder der Regulator 
ganz ausgeschaltet werden. Die Wulffschen Flaschen C, D, E dienten dazu, 
bei etwaigen Störungen, die nicht ausblieben, das Übersteigen von Schwefel- 
säure in andere Apparate zu verhindern. 


Der Apparat funktionierte mit einer für den gewünschten Zweck völlig 
ausreichenden Genauigkeit von ca. 0.2 mm. Allerdings war der Druck im 
Rezipienten infolge des 7 mm weiten Rohres und anderer Verengungen in der 
Leitung nicht ganz von der Geschwindigkeit des Gasstromes unabhängig; bei 
konstanter Verdampfungsgeschwindigkeit blieb er jedoch konstant. Die Weite 
von 7 mm hatte sich bei Vorversuchen als die beste erwiesen; weitere und 
engere Rohre, sowie andere Düsenformen ergaben größere Druckschwankungen 
hei Abstoßung der gebildeten Blasen. Der Apparat war für eine durch- 
strömende Gasmenge von 30 Liter — 30 g verarbeitete Flüssigkeit bei jeder 
Einstellung berechnet. Bei den von mir verdampften 5 bis 8g genügte eine 
Flüssigkeitssäule in A von 15 bis 20 cm Höhe. 

Gemessen wurde der Druck an einem an ®,, Figur 1 angeschlossenen 


Heberbarometer von 12 mm Schenkelweite (von Johannes Greiner in München) 
mit Spiegelskala. 


C. Elektrischer Messapparat. 


Die in Figur 1 mit I, IH, IH, IV bezeichneten Drähte führten zum 
elektrischen Meßapparat; es wurde die Spannung an den Enden II und III 
der Heizspirale und die Spannung an den Kleminen eines Normalwiderstandes R 
gemessen, indem diesen abwechselnd ein Widerstand W von 75.000 bis 100 000.2 
(vergl. Taf. I Fig. 4.), parallel geschaltet und mit Hilfe eines Weston-Normal- 
elementes N die Spannung an den Enden dieses Widerstandes einkompensiert 
wurde. Ferner ließ der Meßapparat die E.M.K. der drei Thermoelemente 
durch Kompensation bestimmen, endlich erlaubte er eine Messung des Wider- 
standes nach einer Brückenschaltung. 


In Zusammenhang mit dieser Schaltung stand eine Vorrichtung zum 
Schließen des Stromes. Es zeigte sich, daß bei tiefen Drucken das einfache 
Anschließen der Betriebsspannung von 6 Volt an die Heizspirale nicht genügte, 
um die Flüssigkeit zum Sieden zu bringen; die hiedurch zugeführte Energie 
verursachte nämlich häufig nur eine Überhitzung der Flüssigkeit, bis plötzlich 
explosiv die ganze Flüssigkeitsmenge aus dem Verdampfungsgefäß geschleudert 
wurde. Dagegen konnte mit einer Spannung von 12 bis 24 Volt das Sieden 
sofort eingeleitet werden, doch war die durch diese Spannung bedingte Strom- 
stärke für die Durchführung eines Versuches zu groß. Es wurde deshalb ein 
Pendelkontakt benützt, bei dem eine durch einen Quecksilbertropfen schnei- 
dende Platinspitze einen Stromstoß mit hoher Spannung in die Heizspirale 
schickte. Unmittelbar nachdem die Spitze das Quecksilber verlassen hatte, 
schloß das Pendel automatisch den von 6 Volt gespeisten Betriebsstrom; 
gleichzeitig wurde durch das Pendel der Beginn des Stromschlusses auf dem 
elektrischen Chronographen markiert. Dieselbe Vorrichtung diente dazu, bei 
der Füllung des Verdampfungsgefäßes unter tiefem Drucke Siedeverzüge zu 
vermeiden, indem während des Absaugens bis zu dem gewünschten Drucke 
durch kontinuierlich unterhaltene Schwingungen des Pendels und dadurch her- 
vorgerufene Stromstöße ein periodisch und ruhig eintretendes Sieden erreicht 
wurde; in den meisten Fällen konnte dann nach Erreichung des gewünschten 
Druckes die Heizung zum Versuch ohne Gefahr eingeleitet werden. 


$ 3. Gasbereitung. 


Die verwendeten Gase Sauerstoff und Stickstoff wurden nach den ge- 
bräuchlichen Methoden mit Modifikationen, wie sie die Herstellung großer 


Mengen erforderte, bereitet. Der Stickstoffapparat war im wesentlichen dem 
69* 


von K. T. Fischer und mir schon früher!) benutzten ähnlich. Die Darstel- 
lungsweise war nach den Angaben von Knorre?) verändert. Hiedurch konnte 
die lästige Bedienung des Tropftrichters wegfallen. Ferner stand ein großer, 
300 Liter fassender Glockengasometer aus Zinkblech mit Wasserfüllung zur 
Verfügung; da eine Füllung der Entwicklungsflasche 130 Liter G as .lieferte 
konnte so die Entwicklung fast unbeaufsichtigt vor sich gehen. Die Reini- 
gungsflaschen wurden vermehrt; als wirksamstes Reinigungsmittel erwiesen 
sich aber die Ausfriergefäße nach Fischer,°) von denen eines in den Gasweg 
zwischen Entwicklungskolben und Gasometer, ein zweites zwischen die auf den 
Gasometer folgenden Wasch- und Trockengefäße und die Verbrennungsöfen 
geschaltet wurde. Messungen der Siedeteinperatur und des Erstarrungsdruckes 
ließen auf einen außerordentlich hohen Grad von Reinheit schließen. K.T.Fischer 
hat sich eingehender mit der Analyse des verarbeiteten Stickstoffis beschäftigt, 
worüber an anderem Orte berichtet werden wird. Nach Privatitteilung darf 
die Verunreinigung des Stickstoffs mit Sauerstoff und Sauerstoff enthaltenden 
Gasen bei Eintritt in die Verbrennungsröhren bei sorgfältiger Arbeit zu 0.05%, 
beim. Austritt aus denselben noch kleiner angenommen werden. 

Bei der Herstellung von Sauerstoff begegnet man vor allem der Schwierig- 
keit, daß im Gegensatz zu Stickstoff das Gas von den Beimengungen, mit 
Ausnahme der Kohlensäure, sehr schwer zu reinigen ist, und daß bei Auf- 
bewahrung in Metallgasometern durch chemische Prozesse zwischen Metall- 
wand, Sperrflüssigkeit und dem eingeschlossenen Gas, eventuell auch der 
atmosphärischen Luft die Verunreinigung fortwährend zunimmt. Für die 
Massenherstellung des Sauerstoffs konnten nur die Erzeugung aus chlorsaurem 
Kali oder Kaliumpermanganat in Betracht kommen. Letztere eignet sich 
nicht gut, wenn sie auch. reinen Sauerstoff und leicht die theoretisch mög- 
liche Ausbeute von 10 %o liefert, da im Verhältnis zum erzielten Sauerstoff zu 
große Mengen Substanz erhitzt werden müssen. Reines chlorsaures Kali ist 
nur in der Eisenretorte zweckmäßig, von der aber aus Reinlichkeitsgründen 
und wegen des umständlichen Verschlusses Abstand genommen werden mußte. 
Bei Verwendung von Glas pflegt selbst in der Hartglasretorte, wie frühere 
Erfahrungen lehrten, die letzte stürmische Entwicklung ein Durchtreiben des 
Kolbens hervorzurufen. So kam nur mehr: chlorsaures Kali mit Zusatz in 
Betracht, da durch diesen bekanntlich die Temperatur der Entwicklung so weit 
herabgesetzt wird, daß selbst für Glaskolben aus weichem Glas oder Jenenser 


') K. T. Fischer und H. Alt, Ann. d. Phys. 9, p. 1150 f£., 1902. 
?) Knorre, Die chem. Industrie, 25, p. 531—536, 550-555, 1903. 
3) Beschrieben in H. Ebert, Anleitung zum ‘Glasblasen, 3. Aufl., 1904, S. 66. 


Br ra a a 


939 


Glas keine Gefahr der Deformation besteht, um so weniger, als die nötige ge- 
ringe Temperatur die Verwendung des Sandbades erlaubt. Braunstein als 
Zusatz scheint wegen seiner mangelhaften Reinheit von vornherein verdächtig. 
Zeigt doch schon das häufige Aufblitzen von Funken in einer Mischung aus 
chlorsaurem Kali und Braunstein die Anwesenheit organischer Substanz an. 
Spätere Analysen zeigten allerdings, daß der auf diese Weise erzielte Sauer- 
stoff nicht weit von der Grenze der erreichten Reinheit entfernt ist. Da nun 
Kaliumpermanganat beim Erhitzen reinen Sauerstoff abgibt und dabei in 
Braunstein und das Manganat zerfällt, lag es nahe, eine Mischung aus chlor- 
saurem und übermangansaurem Kali zu verwenden, da letzteres als kristalli- 
sierter Körper mehr Garantie für Reinheit bietet. Besondere systematisch 
angestellte Versuche des Verfassers ergaben schließlich ein außerordentlich 
bequemes Herstellungsverfahren, bei dem lediglich das Mischungsverhältnis 
sorgfältige Beobachtung erfordert. Zu wenig Permanganat verursacht explosive 
Entwicklung, zu viel verhindert die volle Ausbeute, denn es bleiben in der 
Masse, die nicht gleichmäßig durchschmilzt, unverbrauchte Reste übrig. Eine 
Mischung von 5 Teilen KCIO, und 1 Teil KMnO, ergab einerseits eine voll- 
kommen stetige Entwicklung, andrerseits eine vollständige Ausbeute, die gleich 
ist der Summe der Ausbeute aus den einzelnen Komponenten und bekanntlich 
für reines chlorsaures Kali 39/0 beträgt. 

Der Schwierigkeit des Aufbewahrens wurde soweit möglich durch die 
Wahl der Sperrflüssigkeit im Gasometer begegnet. Vorversuche mit käuflichem, 
möglichst reinem Paraffinöl, das zunächst als das am wenigsten aktive erscheinen 
könnte, sowie mit Glyzerin ergaben eine Überlegenheit des letzteren. Blankes 
Kupfer und blankes Zink zeigten in Paraffinöl schon nach kurzer Zeit Be- 
schläge, während sie in Glyzerin wochenlang unverändert blieben, und selbst 
nach Monaten nur Spuren eines Angriffs zeigten. Es wurden zwei Probe- 
gasometer, der eine mit Paraffinöl, der andere mit Glyzerin gefüllt. Analysen 
auf den Sauerstoffgehalt zeigten folgende Verunreinigungen: 

Paraffinöl Glyzerin 

Unmittelbar nach dem Auffangen 0.50°%0') 0.20 %/0 
nach 120" 0.85% = 
mach 1737 1.00% 0.20 %0 
nach 198" = 0.25 %/o 


Aus diesen Vorversuchen ergab sich die aus Fig. 5 ersichtliche Ein- 
richtung, die wenig Erklärung bedarf. A ist der gewöhnlich mit 600g der 


- 


1) Verunreinigung so stark, weil die Entwicklungsgefäße noch nicht mit Sauerstoff durch- 


gespült waren. 


540 


beschriebenen Mischung beschickte Entwicklungskolben, ein möglichst lang- 
halsiger, 2 Liter fassender Rundkolben, meist aus Jenenser Glas. Die Mischung 
ist in der Reibschale gut zerrieben, die Erwärmung erfolgt auf dem Sandbad. 
Die Glaswollestopfen W, W, W, halten den sich bildenden Staub von Kalium- 
manganat zurück; das mit Natronkalk gefüllte Gefäß X dient zur teilweisen 
Entfernung der Kohlensäure, das Phosphorpentoxyd P, P, zum Trocknen des 
Gases. Sämtliche Querschnitte sind, des lebhaften Gasstromes wegen, mög- 
lichst groß gewählt. Von dem den Kolben abschließenden Gummistopfen ist 
der heiße Gasstrom durch tiefes Einschieben von a fernzuhalten, da der Gummi 
sonst leicht im heißen Sauerstoffstrom zu brennen beginnt. Während der 
Entwicklung ist der Gasometer @ ungefähr äquilibriert. Vor Beginn der Ent- 
wicklung strömt bei geschlossenem H, aus H, die vertriebene Luft aus. Sie 
bläst in den mit nur einer Öffnung versehenen kleinen, unter einem Glas- 
zylinder brennenden Bunsenbrenner 5. Mit zunehmendem Gehalt an Sauer- 
stoff wächst die Hitze der Flamme, so daß der (Natron-) Glaszylinder die 
Flamme gelb färbt; nach einiger Zeit schlägt die Flamme mit lautem Knall 
durch; kurze Zeit darauf beginnt eine lebhafte Entwicklung, die nun reinen 
Sauerstoff liefert, der durch Schließen von H, und Öffnen von H, aufgefangen 
wird. Die Entwicklung selbst geht vollkommen stetig und bedarf keiner 
Überwachung. 


Zur Verwendung wird der Sauerstoff in E durch Chlorkalzium getrocknet, 
in einem Ausfriergefäß, das in ganz geringem Abstand über der Flüssigkeits- 
oberfläche in der mit flüssiger Luft gefüllten Flasche D durch ein Stativ 
gehalten wird, von dem Rest der Kohlensäure befreit und der Verwendungs- 
stelle durch % zugeleitet. 


Der nach dieser Methode erhaltene Sauerstoff wurde zunächst auf Chlor 
untersucht. Durchleiten durch eine 20°%oige Jodkalilösung zeigte keine Gelb- 
färbung, auch die Reaktion mit Stärkelösung blieb aus. Dann wurde das Gas 
nach Entfernung der Kohlensäure im Ausfriergefäß durch Absorption des 
Sauerstoffs auf den nicht aus Sauerstoff bestehenden Gasrest untersucht. Ver- 
wendet wurde sowohl die Analyse mit pyrogallussaurem Kali!) und Kupfer 
in Ammoniak, wobei das Gas in der einfachen mit Wasser gefüllten Bürette 
aufgefangen wurde. Diese Analysen zeigten folgendes: 


') Die Absorption erfolgte in der zusammengesetzten Hempelschen Pipette durch anhaltendes 
Schütteln. Die Beendigung der Absorption läßt sich bei Tageslicht deutlich an der Farbe der Flüssig- 
keitsoberfläche erkennen. Die Lösung, in Gegenwart von Sauerstoff geschüttelt, zeigt eine mattbraune 
Oberfläche; ist aller Sauerstoff absorbiert, so nimmt sie einen grünlichen, metallischen Glanz an, der 
auch bei erneutem Schütteln nicht mehr verschwindet. 


541 


Kupfer Pyrogallol 

Ken og 
0.31 | 0.311°% | 029%, 
0.31 0.26 
| N 

0.28%, 0.26 1 0.28%, 
0.25 | 0.29 

0.30%, 0.29%, 

0.50%, 


Zum Vergleich wurde mit demselben Apparat Sauerstoff aus 60 Teilen 
KCI10, und 9 Teilen Braunstein in Körnern von höchstens Imm Durchmesser 
hergestellt. Es ergab sich: 


Kupfer Pyrogallol 
0.43] 0.45% 
) 0 
0.45 J 0.44 Ms 
OEL] ago 0.41 
Sn 0.37 1.0.39°%, 
MAEL 0.40 
0.38%, 0.42% 
0,40% 


Hiernach ist der mit Kaliumpermanganat als Zusatz hergestellte Sauer- 
stoff um ungefähr 0.1°, reiner. Die ganze Analyse scheint aber nicht durch- 
aus zuverlässig. Diese Absorptionsmethoden sind zunächst für die Analyse von 
Gasen ausgebildet, die nur Bruchteile von Sauerstoff enthalten (Luft). Die 
Abgabe anderer Gase (Kohlenoxyd, Ammoniak) bei der Absorption scheint 
nicht ausgeschlossen, und wird der Menge des absorbierten Sauerstoffs pro- 
portional zu setzen sein, bei reinem Sauerstoff also fünfmal so groß, als bei 
der Luftanalyse. Hempel!) führt eine Vergleichung der Absorption des Luft- 
sauerstoffs durch pyrogallussaures Kali mit Luftanalysen durch das Kupfer- 
eudiometer und durch Wasserstoffverbrennung an. Dabei stimmen die mit 
Pyrogallussäure erhaltenen Werte bis auf Tausendtel Prozent mit den anderen 
überein, er erwähnt aber besonders, daß diese Angabe sich auf den Gehalt 
der Luft an Sauerstoff und Kohlensäure bezieht. Sonach müssen die unge- 
fähr 0.04°, Kohlensäure, die in der Lösung verschwunden sind, durch eben- 


!) Hempel, Gasanalytische Methoden, 3. Aufl., 1900, 8. 134. 


542 


soviel anderes Gas ersetzt worden sein. Multipliziert man diese Zahl mit 5, 
so kommt man auf 0.2°), abgegebenen Gases. Jedenfalls darf man den obigen 
Gehalt an Fremdgas als die obere Grenze der Verunreinigung betrachten. 
Eine Kontrolle der Absorptionsanalyse durch Verbrennung mit Phosphor oder 
Kupfer im Eudiometer scheiterte an technischen Schwierigkeiten, zu deren 
Überwindung mir die Zeit nicht blieb. 


$ 4, Ausführung der Versuche. 


Vor Beginn eines Versuches wurde die Kühlflasche so hoch als möglich 
mit flüssiger Luft gefüllt, sodann Flüssigkeit in das Verdampfungsgefäß ein- 
gebracht. Nach Herstellung des gewünschten Druckes und Inbetriebsetzung 
des Druckregulators erfolgte eine Temperaturmessung aller drei Thermo- 
elemente, Ablesen der Thermometer an den Wagbalken, dann Einschalten der 
Dämpfungsmagnete, Äquilibrierung der Wage und Beobachtung eines Marken- 
durchgangs. Derselbe wurde auf einem elektrischen Chronographen, dessen 
zweite Feder von der Sekundenuhr des Institutes angetrieben wurde, markiert 
und zwar immer drei Durchgänge durch drei äquidistante Marken. Hierauf 
wurden 20 mg (50. mg) von der Wage abgehoben, und die Zeiten zwischen je zwei 
Durchgängen am Chronographen aufgezeichnet. Diese Beobachtungen lieferten 
die Verdampfungsgeschwindigkeit ohne Stromgang: „äußere Verdampfung‘“. 
In den Pausen zwischen zwei Durchgängen wurde der Druck abgelesen, eventuell 
die Temperatur von 7',, bestimmt. Nach mehreren Markendurchgängen er- 
folgte Stromschluß; während des Stromganges wurde Spannung und Strom- 
stärke wiederholt beobachtet, dazwischen der Druck und die Temperatur von 
Tr meist einige Male bestimmt. Nachdem 5 bis 8g verdampft waren, wurde 
der Strom geöffnet, die Verdampfung nach dem Versuch verfolgt und wieder 
Druck und Temperatur von 77,, gemessen. 

Eine Bestimmung der Temperatur von 7, und T7‘;,, sowie des Wider- 
standes der Heizspirale bildete den Schluß des Versuches. 

Die Versuche wurden in 2 Reihen ausgeführt. Bei der 2. Reihe unter- 
schied sich der Apparat von dem der 1. Reihe dadurch, daß an Stelle der 
Kupferzuleitungsdrähte zur Heizspirale Silberdrähte eingezogen waren, und 
daß das bewegliche Thermoelement, das bei den ersten Reihen fehlte, neu 
hinzukam. Erstere Änderung war von wesentlichem Einfluß auf die Genauig- 
keit der Versuchsergebnisse, denn sie hatte zur Folge, daß die Wärmezufuhr 
zur Flüssigkeit durch die Drähte bei der 2. Reihe durchschnittlich nur den 
4. Teil derjenigen bei der 1. Reihe betrug. Die Versuche erstrecken sich bei 


543 


Stickstoff über das Gebiet von 713 mm bis 95 mm (Erstarrungsdruck 94 mm), 
bei Sauerstoff von 715 mm bis 35 mm. Die Sauerstoffversuche bei tiefen 
Drucken waren sehr zeitraubend, da trotz des auf S. 537 beschriebenen Absauge- 
und Stromschließverfahrens die Verdampfung nicht immer ruhig eintrat, oder 
durch die Verluste beim Absaugen, wenn der gewünschte Druck erreicht war, 
die Flüssigkeitsmenge zur Durchführung eines Versuches nicht mehr genügte. 
Als deshalb ein Überschlag zeigte, daß sich unterhalb der erreichten Grenze 
nichts wesentlich Neues ergeben werde, wurde auf eine Erniedrigung des 
Druckes unter 35 mm verzichtet, wenn auch die technischen Hilfsmittel ein 
Herabgeben bis zu 20 mm vielleicht erlaubt hätten. Zur Verwertung liegen 
im ganzen 100 Versuche vor. Abgesehen von einer Anzahl einleitender Ver- 
suche, und solcher, die schon vor der Bearbeitung wegen unregelmäßigen 
Ganges der äußeren Verdampfung (meist verursacht durch eine Störung der 
Justierung der Wage durch die Erschütterungen des Fläschchens beim Sieden) 
auszuscheiden waren, wurde nur ein Versuch aus später zu erwähnendem 
Grunde nachträglich aus dem Diagramm entfernt. Die Versuche gruppieren 
sich folgendermassen: 
Anzahl Sauerstoff Anzahl Stickstoff 

I. Reihe 20 610 mm bis 47 mm 29 710mm bis 95 mm 

II. Reihe 30 713mm bis 35 mm 21 713mm bis 94.3 mm 

Aus der Gleichung 

0.259 et=mr, 
wo e,i,t Stromstärke, Spannung und Zeit, m und r verdampfte Masse und 
Verdampfungswärme bedeuten, ergibt sich: 
„_ 0239 eit, 


2 


Mm 
die in dieser Formel auftretenden Größen wurden im einzelnen, wie im fol- 
genden beschrieben, bestimmt, eventuell korrigiert. 


$5. Berechnung der Versuchsresultate. 


A. Masse. 


Die durch Stromzufuhr allein verdampfte Masse ergibt sich als Differenz 
der Verdampfung überhaupt und der Verdampfung durch äußere Wärme- 
zufuhr. Bei der Wägung dieser Mengen kann man von dem Auftrieb der 
Gewichtsstücke absehen, da diese Korrektion mit ca. z9155 unwesentlich ist. 
Die Ungleicharmigkeit der Wage bedingt ebenfalls nur einen zu vernach- 

Abh. d. II. Kl.d. K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 70 


544 


lässigenden Fehler. Die Angaben der Thermometer neben den Wagbalken 
differierten, trotzdem das eine sich über der Kühlflasche, das andere über 
dem warmen Magneten befand, während eines Versuches von höchstens 1°; 
da zudem diese Differenz während eines Versuches konstant blieb, kommt eine 
Korrektion wegen einer Änderung des Wagbalkenverhältnisses nicht in Frage. 
Die Gewichte, sowohl der vergoldete Satz als auch die Aluminiumgewichte 
waren mit einem von der physikalisch -technischen Reichsanstalt geprüften 
Quarzgewichtssatz bezw. den Platinbruchgrammen desselben verglichen worden. 
Ein Einfluß von Stromschwankungen im Dämpfungsmagneten auf die Wage 
konnte 'nicht beobachtet werden, außer in einem Falle, als an die Starkstrom- 
leitung ein großes Induktorium mit Wehnelt-Unterbrecher angeschaltet war; 
dies rief ein Vibrieren des Kokonfadens im Mikroskop hervor. Durch die vier 
zur Stromzuleitung nötigen Silberstreifen wurde zwar die Schwingungsdauer 
der Wage, nicht aber ihre Einstellungsgenauigkeit beeinflußt, wie Versuche 
zeigten; man erinnere sich übrigens, daß bei den Drehspulengalvanometern 
eine ähnliche Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit vorhanden ist, gute 
Galvanometer aber trotzdem einen vollkommen konstanten Nullpunkt besitzen. 
Von beträchtlicher Größe ist bei der tiefen Temperatur der Auftrieb des Ver- 
dampfungsgefäßes. Hievon wird unten noch die Rede sein. Eine Fälschung 
des Gewichtes durch Bereifung der kalten Teile war bei der vollkommenen 
Trockenheit des Rezipienten ausgeschlossen, wie auch ein direkter Augen- 
schein zeigte. Die Reflexe an dem versilberten Verdampfungsgefäß zeigten 
niemals die geringste Trübung. 

Zur Ermittelung der durch Wärmezufuhr von außen während des Ver- 
suches verdampften Menge dienen die Beobachtungen der Verdampfung vor 
und nach der Heizung. Behn, Estreicher, Shearer und Fenner und 
Richtmyer scheinen diese Größe während der Heizung gleich dem Mittel- 
werte aus den Werten vorher und nachher gesetzt zu haben. Diese Annahme 
ist nach meinen Erfahrungen bei solchen Versuchsanordnungen, bei denen 
Metalldrähte, deren eine Enden sich auf Zimmertemperatur befinden, in die 
verdampfende Flüssigkeit geführt werden, nicht erlaubt. Ich erhielt vielmehr 
stets, sobald nach Öffnung des Stromes die Durchgänge wieder beobachtet 
werden konnten, einen beträchtlich geringeren Wert der Verdampfung; dem- 
nach verursacht also obige Annahme zu große Werte der Verdampfungswärme. 
Die Art der Berechnung der äußeren Verdampfung hat bei weitem den größten 
Einfluß auf das Endresultat; die Fehler aller anderen gemessenen Größen 
verschwinden dagegen. Es muß deshalb auf die von mir angewandte Be- 
rechnungsart ausführlicher eingegangen. werden. 


Ace „1, 5 ee ae PR EIFERE 


545 


Der größte Teil der Wärmezufuhr kommt auf Rechnung der elek- 
trischen Leitungsdrähte; die Wände des Verdampfungsgefäßes sind bei allen 
benützten Anordnungen so stark abgekühlt, daß sie nur eine geringe Wärme- 
menge der verdampfenden Flüssigkeit zuführen können. Es lassen sich übrigens 
beide Komponenten demselben Schema einordnen. Man hat sich den Lei- 
tungsvorgang etwa folgendermaßen vorzustellen (vgl. Figur 6): Ein leitender 
Stab c, — dessen unteren Teil man sich noch in einer der Dicke und Leit- 
fähigkeit der Gefäßwände entsprechenden Weise verdickt denken kann, — 
wird an einem Ende auf Zimmertemperatur, am anderen Ende auf der Tem- 
peratur der siedenden Flüssigkeit gehalten. Der Stab ist von einer Gasmasse 
umgeben, deren Temperaturverteilung hauptsächlich durch die Höhe und Tem- 
peratur der flüssigen Luft in der Kühlflasche bestimmt ist. Mit Hilfe des 
beweglichen Thermoelementes erhielt ich wenigstens für einen bestimmten Be- 
reich ein Bild der Verteilung der Temperatur. (Letztere ist in Figur 6 in hori- 
zontaler Richtung nach rechts hin abgetragen.) Demnach ändert sich in dem 
Verdampfungsgefäße bis in die Nähe des Niveaus des Thermoelementes 7, die 
Temperatur linear mit der Höhe. Von b bis c wurde dann ebenfalls eine 
solche Änderung angenommen, so daß die Temperaturverteilung im umgebenden 
Gas durch die ausgezogene Kurve A dargestellt ist; es zeigte sich, daß während 
der Heizung diese Temperaturverteilung nur ganz wenig geändert wird, da 
sie in der Hauptsache durch die Temperatur der Kühlflasche bestimmt ist. 
Im Stab wird diese Verteilung nicht herrschen. Das umgebende Gas, das, 
solange nicht geheizt wird, fast stagniert — es bewegt sich im Mittel mit 
einer Geschwindigkeit von 0.014 °” im Verdampfungsgefäß — wird teilweise 
als Wärmeisolator wirken, so daß sich im Stab und in der ihm unmittelbar 
anliegenden Gasschicht eine Temperaturverteilung einstellt, die sich mehr der 
linearen nähert, die eintreten müßte, wenn der Stab vollständig isoliert wäre. 
(Gestrichelte Kurve im Diagramm.) Beginnt nun nach Stromschluß das kalte 
verdampfende Gas mit großer Geschwindigkeit — 30 bis 100 mal so rasch 
wie vorhin — an der Oberfläche des Stabes vorbeizuströmen, so wird sich 
die Temperatur des Stabes mehr der des umgebenden Gases (ausgezogene 
Kurve) nähern. Die der verdampfenden Flüssigkeit durch den Stab zugeführte 
Wärmemenge ist aber von dem Temperaturgradienten im unteren Teil des 
Stabes abhängig; es wird also während des Heizens eine geringere, von außen 
zuströmende Wärmemenge die Oberfläche der Füssigkeit erreichen, dem ge- 
ringeren Temperaturgradienten entsprechend. Hört die durch die Heizung 
hervorgerufene starke Verdampfung auf, so stellt sich der vorige Zustand 
wieder her. Zu einer exakten rechnerischen Behandlung des Vorganges reicht 

70* 


546 


die Genauigkeit des Beobachtungsmaterials nicht aus; dasselbe ergibt lediglich, 
daß die ohne Strom der Flüssigkeit zugeführte Wärmemenge im allgemeinen 
um so größer ist, je größer der Temperaturgradient zwischen a und b ist. Doch 
wird man annehmen dürfen, daß der Übergang von dem Zustand vor der 
Heizung zu dem während des Stromganges, ebenso wie das Zurückkehren in 
den Anfangszustand nach Öffnung des Stromes nach Analogie ähnlicher Fälle 
einem Exponentialgesetz gehorcht. Ist also: 


V die Verdampfung pro sec nach der Stromöffnung 
PER > »  „» während des Stromganges 


so wurde angenommen: 


V=a—bx 107%; ae Sr 

Durch Integration erhält man für die während des Stromganges von 

der Dauer 7 verdampfte Menge = «dT-+ u el für die von Strom- 
b(10— 1) 


Ist also die 


öffnung bis zum Zeitpunkte ? verdampfte Q = at — Meldet 


an der Wage bestimmte Gewichtsabnahme vom Stromschluß bis zur Zeit 
t= M', so ergibt sich die durch den Strom allein zum Verdampfen gebrachte 
Masse u M=M— (0 —Q. 

Zur Berechnung der Konstanten «bc stehen beliebig viele Punkte der 
beobachteten Verdampfungskurve nach dem Versuch, die zunächst im beob- 
achteten Teil graphisch ausgeglichen wurde, zur Verfügung; für die Berech- 
nung von «bc hat man aber nur 2 Punkte, die Verdampfung im Momente 
des Stromschlusses und der Stromöffnung. Ich nahm deshalb an, daß die 
Konstante c für die Kurve während des Stromganges dieselbe sei, wie c für 
die Kurve nach Stromöffnung. Es ist diese Annahme nicht von großem Ein- 
fluß, da c in ziemlich engen Grenzen variiert und ferner das Ziehen eines 
Kurvenstückes zwischen den beobachteten 7° zu Beginn des Stromes, und dem 
extrapolierten V im Augenblick der Stromöffnung eine Interpolation dar- 
stellt. Viel unsicherer ist die Extrapolation eben auf das V bei Strom- 
öffnung; ich glaube aber, durch diese Berechnung immer noch sicherer zu 
gehen, als etwa durch graphische Extrapolation. Um festzustellen, ob die an- 
gewandte Berechnungsweise zu verlässigen Resultaten führt, versuchte ich, bei 
ungeänderten sonstigen Bedingungen und mit einer und derselben Füllung des 
Verdampfungsgefäßes aufeinander folgende Versuche bei verschiedener Wärme- 
zufuhr von außen zu machen. Es wurden je drei zusammenhängende Versuche 
durchgeführt, wobei das allmähliche Sinken des Flüssigkeitsspiegels in der 


547 


Kühlflasche eine wenn auch geringe Steigerung der äußeren Wärmezufuhr 
hervorrief. Diese Versuche ergaben: 


Sauerstoff, 647.4mm 


V vor der Heizung 0.1142 0.1152 0.1378 22 

Verdampfungswärme 51.18 51.36 129 = 
Stickstoff, 713.3 mm 

V vor der Heizung 0.2594 0.2394 0.3540 mE 

Verdampfungswärme 47.54 47.85 47.96 & 


Es scheint demnach bei Stickstoff eine systematische Änderung des Re- 
sultates mit der Größe der äußeren Verdampfung, in der Berechnung der- 
selben also ein Fehler vorzuliegen. Die Zunahme der Verdampfung ist aber 
zu gering, als daß sich daraus ein sicherer Schluß ziehen ließe; bei Sauer- 
stoff läßt sich überhaupt keine systematische Änderung erkennen. Daß das 
verwendete Verdampfungsdiagramm aber nicht sehr weit von dem wirklichen 
Vorgang sich entfernt, läßt sich sicherer daraus schließen, daß die Versuche 
der ersten und zweiten Reihen fast zusammenfallen, obwohl bei den ersten 
Reihen die Korrektion 3.5 bis 4.2 mal so groß ist, als bei den zweiten. Bei 
hohen Drucken ist die Übereinstimmung vollkommen; bei tiefen Drucken 
zeigt sich bei Sauerstoff allerdings eine größere, bei Stickstoff eine geringere 
systematische Abweichung. Es wird sich am Schluß der Arbeit Gelegenheit 
finden, auf diesen Punkt noch einmal zurückzukommen. 


Bei der Unsicherheit, die trotzdem der Berechnung der äußeren Ver- 
dampfung zukommt, suchte ich diese Größe soweit als möglich herabzudrücken. 
Durch die Verwendung der in der Beschreibung des Verdampfungs-Apparates 
angegebenen Kühlmittel erhielt ich die Verdampfungen 


Maximum Minimum 
I. Reihe 1.231 = 0.460 =® 
U. Reihe 0.325 ze 0.076 me 


das ist bei einer mittleren Verdampfung von 11 bis 12 ”® während des Strom- 
ganges bei den zweiten Versuchsreihen im Maximum wenig über 2°,, im 
Minimum 0.6°%,. Fast bei allen eingangs zitierten früheren Untersuchungen 
ist dieses Verhältnis für die Genauigkeit des Resultates wesentlich ungünstiger. 
Nur Behn, der bei seiner Methode der verdampfenden Flüssigkeit keine 
Wärme durch die Zuleitungsdrähte zuzuführen braucht, erreicht eine außer- 
ordentlich geringe äußere Verdampfung. Es hatten: 


548 


Behnrsilii ak urn ua 

Altern. Ir Senke arte 

Bätreicher +" Ir Tuzpemwtärgerai0 

Shearer Id on. a0 der Dier22B been 17a lbeuNe 
Fenner und Richtmyer . ....9.8% bis 21% 


Die äußersten Annahmen über die Größe der äußeren Verdampfung, 
die man machen kann, sind einerseits, daß sie während des Stromganges den- 
selben Wert hat, wie ohne Heizung, andrerseits, daß während der Heizung 
überhaupt kein Wärmestrom bis zur Flüssigkeitsoberfläche gelangt. Je nach 
der einen oder anderen Annahme ergibt sich bei einigen der nachfolgend 
mitgeteilten Versuche eine Schwankung von weniger als 1°%, im Endwert. 
Da die anderen Bestimmungsgrößen keine Fehler enthalten, die 1%, erreichen 
können, glaube ich behaupten zu können, daß die Absolutwerte meiner 
besten Versuche nur mit einem Fehler von weniger als + 1%, 
d. ı. 0.5 behaftet sein können. 

Von den Störungen, die das Gewicht der verdampften Menge außerdem 
beeinflussen könnten, ist die Gefahr des Verspritzens von Flüssigkeit durch 
das beim Heizen auftretende Aufschäumen die bedenklichstee Behn und 
Estreicher machen hierauf besonders aufmerksam. Es zeigt sich jedoch, 
daß, wenn die Wände des Verdampfungsgefäßes genügend abgekühlt sind, 
ein beträchtlicher Verlust durch Aufschäumen nicht eintritt. Die Menge der 
durch das Aufwallen bei Stromschluß verdampften Flüssiekeit läßt sich leicht 
messen. Es wurde der Gang der äußeren Verdampfung beobachtet, dann 
mit dem Pendel oder mit dem Stromschlüssel ein kurzer Stromstoß gegeben, 
hierauf die äußere Verdampfung wieder beobachtet u. s. w. Das Resultat 
solcher Versuche war: 


Sauerstoff, Druck 73 mm 


Durch Stromstoß verdampft 2.88 mg 2.18 mg 1.47 mg 3.I8 mg 


Quecksilbertropfen am Pendel 
Druck 40 mm sehr klein breit 


3.06 mg 3:19 0957. 521me 


2 Stöße, 
beim ersten Siedeverzug 


Stickstoff, Druck 710 mm a 
Durch Stromstoß verdampft 2.74 mg 2.99 mg 
„  Stromschluß „ 1 sec 2 sec 2 sec 1 sec 


18.8 mg 29.5mg 29.lmg 144mg 


!) Das Original der ersten Arbeit von Shearer (Phys. Rev. 14 188—191, 1900) ist mir nicht 
zugänglich. ö 


549 


Nach den Werten der Verdampfungswärme, der ungefähr berechenbaren 
Dauer des Stromstoßes und der ebenfalls annähernd bekannten elektrischen 
Energie müßten verdampfen: 


Durche den Stromstoß“ . SANBEn man 1.5 mg (Sauerstoff) 
Durch den Betriebsstrom in 1 sec 11.9 mg (Stickstoff) 


Hieraus ergibt sich, daß der Fehler, der durch das Aufschäumen ein- 
treten kann, höchstens 5 mg, d. i. ca. 1°/ betragen kann. 


Diese Versuche sind noch in anderer Hinsicht. wichtig. Wenn in der 
Flüssigkeit durch die Wärmezufuhr von außen Siedeverzüge entstehen, so ist 
in der Flüssigkeit Energie aufgespeichert, die bei Einleitung der Verdampfung 
plötzlich frei werden muß. Dies zeigt sich auch in dem einen Versuch der 
obigen Tabelle, bei dem die erst nach 2 Stößen. verdampfte Menge tatsächlich 
nahezu dem Doppelten der bei einem Stromstoß verdampften Masse entspricht. 
Der Betrag der durch Überhitzung in der Flüssigkeit angesammelten Energie 
würde bei beträchtlichem Siedeverzug den in die Schlußberechnung eintretenden 
Wert der zugeführten Gesamtenergie, sowie den oben diskutierten Gang der 
äußeren Wärmezufuhr nach Beendigung des Heizens in einer nur schwer fest- 
stellbaren Weise fälschen. Man kann obige Zahlen auch so deuten, daß die 
Differenz zwischen der tatsächlich durch den Stromstoß verdampften Menge 
und der berechneten durch eine solche Energieansammlung hervorgerufen wird. 
Nimmt man an, daß in dem Verdampfungsgefäß sich 10 bis 15 g Flüssigkeit 
befinden, daß die spezifische Wärme derselben 0.4 „_, ) beträgt, und daß 
die 5 mg Gewichtsverlust beim Anheizen der durch eine Überhitzung ange- 
sammelten und durch den Beginn der Heizung frei gewordenen Energie ent- 
sprechen, so erhält man 15 x 0.4x Jt—= 0.005 x 50 (Verdampfungswärme 
in @)) und hieraus 4t= 0.04° Überhitzung. Für eine Flüssigkeitsmasse von 
10g ergibt sich eine solche von 0.06°. Daraus ist zu folgern, daß, auch wenn 
nicht elektrisch geheizt wird, nur ein verschwindender Teil der zugeführten 
Wärme für Überhitzung verbraucht wird, so daß mit genügender Sicherheit 
aus der an der Wage gemessenen Verdampfung auf die Größe und den Gang 
der Wärmezufuhr geschlossen werden darf. 


Daß ein Herausschleudern größerer Mengen aus dem Verdampfungs- 
gefäß nicht eintritt, konnte bei der jedesmal durch den Spiegel Sp Figur 1 
erfolgten direkten Beobachtung bei Stromschluß festgestellt werden. Nur bei 
einem Versuch, bei dem das Fläschchen bis zum Rand gefüllt war, ergab die 


) H. Alt, 1. e. 8. 1027. 


550 


Berechnung ein um ca. 150 mg zu hohes Gewicht; dieser Versuch wurde des- 
halb nachträglich ausgeschieden. 

Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß die verdampfte Flüssigkeit in dem 
Fläschchen durch ein gleiches Volumen Gas ersetzt wird, dessen Gewicht zu 
der verdampften Menge addiert werden muß. Die Beobachtung der Thermo- 
elemente 7,, und Tr lieferten die Temperatur zur Berücksichtigung dieser 
Korrektur mit hinreichender Genauigkeit; als Temperatur der Gasmasse im 
Verdampfungsgefäß wurde das Mittel zwischen der Temperatur am Rande 
des Gefäßes und der Siedetemperatur der Flüssigkeit genommen. Der Tem- 
peraturabfall im Verdampfungsgefäß betrug meist unter 9°, in einigen Fällen 
stieg er auf 15°, 

Endlich ist eine etwaige Änderung des Auftriebes des Verdampfungs- 
gefäßes bei einer Änderung der Temperatur im Kühlrohr zu beachten! Wäre 
die Temperatur konstant, so würde der Auftrieb des Gefäßes bei der Bildung 
der Differenzen der Gewichte wegfallen. Auch bei einer Änderung der Tem- 
peratur und somit des Auftriebes, die linear mit der Zeit geht, fällt die 
Korrektion weg, da die sekundliche Auftriebsänderung schon bei der Bestim- 
mung der äußeren Verdampfung mit beobachtet wird. Die Multiplikation 
dieser Größe mit der Zeit des Versuches liefert dann auch die gesamte während 
derselben etwa eingetretene Auftriebsänderung, so daß eine gesonderte Be- 
rechnung derselben sich erübrigt. 


B. Elektrische Konstanten, Druck. 


Die Fehler, mit denen die S. 537 skizzierte Messung von Spannung und 
Stromstärke behaftet sein kann, sind gegen die Unsicherheit der äußeren Ver- 
dampfung gering. Der Widerstand W wurde einem Präzisionsstöpselkasten von 
Wolff u. Sohn entnommen; sein Fehler ist bekannt, hier aber zu vernachlässigen. 
Desgleichen haben die äußerst geringen Änderungen in der Spannung des 
Normalelementes keinen Einfluß auf das Resultat. Der Vergleichswiderstand R 
von ca. 2 (2 wurde zu drei je \/a Jahr auseinanderliegenden Zeitpunkten mit 
den Präzisionsnormalen der elektrotechnischen Abteilung der Hochschule ver- 
glichen. 


Stromstärke und Spannung an der Heizspirale sind verschieden, je nach- 
dem W als Nebenschluß zu R oder J geschaltet ist. Durch .Parallelschaltung 
von W zu J wird die Spannungsverteilung im Stromkreis nur soweit geändert, 
daß sich die Spannung an den Enden der Spirale, somit auch die Strom- 


stärke um höchstens „. 


; ! $ 
s4o0,; die elektrische Energie somit um -y44u Ver 


A rn 2 nn = 


55dl 


mindert. Durch Anlegen des Widerstandes W an R wird die Spannungs- 
verteilung noch bedeutend weniger geändert; die durch R fließende gemessene 
Stromstärke unterscheidet sich von der des Hauptstromkreises — also auch 
in J — nur um ca. „9400. Es konnte somit unbedenklich zwischen der Messung 
der Spannung an J und der Stromstärke in R während des Stromganges 
gewechselt werden. 

Die für die Enden des Widerstandes W berechnete Spannung ist nicht 
gleich der an den Klemmen von R und J; bei der Größe von W verursacht 
aber weder die nur wenige Hundertel (2 betragende Zuleitung zu R noch auch 
die ca. 0.6 (2 betragende Zuführung zur Heizspirale einen merklichen Fehler. 

Auf gute Isolation der einzelnen Leitungsteile wurde bei jedesmaligem 
Zusammensetzen des Apparates sorgfältig geachtet. Geprüft wurde die Isolation 
des Glimmerblattes zwischen den die Heizspirale tragenden Kupferstreifen im 
Freien und in flüssiger Luft, dann die Isolation des Glasstäbchens B, der Hart- 
gummiplatte, auf der die Polschuhe P saßen und der Glasröhren, durch die 
die Leitungen aus dem Rezipienten herausführten, gegeneinander. Es ergaben 
sich an allen diesen Stellen, wenn sie gut gereinigt waren, Widerstände min- 
destens von der Größenordnung 10° Q, 

Einen Fehler kann ferner die Wärmeentwicklung in den Zuleitungs- 
drähten innerhalb des Verdampfungsgefäßes verursachen. Um diesen zu ver- 
meiden, war der letzte innerhalb der Flüssigkeit sich befindende Teil der 
Zuleitung von solchem Querschnitt gewählt, daß die Wärmeentwicklung in 
ihm -9&00 der in der Heizspirale erzeugten Wärme betrug. 

Sonach ließe sich bei der elektrischen Messung ein außerordentlicher 
Genauigkeitsgrad erreichen, wenn nicht Spannung und Stromstärke Schwan- 
kungen und Stöße erleiden würden. Zunächst zeigte sich unmittelbar nach 
Stromschluß eine Abnahme der Spannung der Akkumulatoren — dieselben 
besaßen 90 Amperestunden Kapazität, die Entnahme betrug ca. 0.6 Ampere —; 
diese wurden deshalb mindestens 15 min vor Beginn eines Versuches durch 
einen, dem Betriebswiderstand ungefähr gleichen Widerstand geschlossen; hie- 
durch war meist völlige Konstanz erreicht. Da eine Änderung, wenn noch 
vorhanden, stetig ist, konnte durch wiederholte Beobachtung während des 
Stromganges leicht ein Mittelwert gefunden werden. Außer dieser Änderung 
trat auch eine bei tiefen Drucken oft heftige Schwankung des Galvanometers 
auf. Diese Stöße sind wohl durch lokale Überhitzungen der Heizspirale an 
Stellen, wo sich eben Dampfblasen bilden, und damit zusammenhängende 
Widerstandsänderungen zu erklären. Da der Widerstand der Heizspirale nur 
etwas über die Hälfte des Widerstandes der ganzen Leitung betrug, wurde 

Abh. d. II. Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 1 


552 


durch diese Änderungen die Stromstärke nicht in dem Mäße, wie die Span- 
nung an den Enden der Spirale beeinflußt. Mit einer am Anfang benutzten 
Platinspirale, die ursprünglich zugleich als Widerstandsthermometer dienen 
sollte, konnte überhaupt nicht gearbeitet werden. Der sodann verwendete 
Manganindraht erlaubte jedoch stets, Mittelwerte der Galvanometerstellung zu 
beobachten; häufig blieb längere Zeit das Galvanometer ganz ruhig. Bei der 
Spannungsbestimmung betrugen die Galvanometerstöße bei sehr tiefen Drucken 
bis zu 3 mm; dies entspricht einer Spannungsschwankung von „4, ihres 
Wertes; der Fehler des Mittelwertes ist natürlich bedeutend geringer. 

Hier sei bemerkt, daß die mittlere Überhitzung der Spirale während 
des Stromganges eine sehr deutlich ausgesprochene Funktion des Druckes ist. 
Der Widerstand der Spirale ohne Strom wurde jedesmal gemessen, der bei 
Stromgang aus Stromstärke und Spannung berechnet. Da sich mit Hilfe der 
bekannten Dampfspannungskurven die Spirale als Widerstandsthermometer eichen 
läßt, kann man hieraus die Temperaturerhöhung des Drahtes berechnen. Die- 
selbe steigt mit sinkendem Druck bei Stickstoff von 8° bis 15°, bei Sauerstoff 
von 6° bis 50°. Die durch diese Erwärmung des Drahtes bei Beginn der 
Heizung verloren gehende Wärmemenge ist der von. der Spirale nach Strom- 
öffnung noch abgegebenen gleich und nach dem oben beschriebenen Berech- 
nungsverfahren nicht einzeln zu berücksichtigen. Die Wärmeabgabe nach 
Schluß der Heizung hat eine geringe Nachperiode zur Folge, die bei hohem 
Drucke wegen ihres raschen Verlaufes nicht mehr beobachtet wurde, bei tiefem 
Drucke häufig noch erkennbar war. 

Der Widerstand der Spirale ohne Heizstrom wurde mit der Wheat- 
stonschen Brücke unter Beachtung der nötigen Vorsichtsmaßregeln gemessen. 

Die elektromotorische Kraft der Thermoelemente konnte mit einer für 
ihre Bestimmung hinreichenden Genauigkeit gemessen werden. Da die Auf- 
triebsänderung, wie oben erwähnt, einfach zu eliminieren ist, wird die Tem- 
peraturmessung des Dampfes nur mehr zur Bestimmung des Gewichtes des 
im Fläschchen zurückbleibenden Dampfes benötigt. Bei atmosphärischem 
Druck ‘verursacht eine Unsicherheit in der Temperatur des Dampfes von 10° 
bei Sauerstoff einen Fehler von 0.3%oo, bei Stickstoff von 0.7%o0. Die Tem- 
peratur der Lötstelle läßt sich an der Kompensationseinrichtung leicht auf 
0.1° bestimmen; sie ist aber nicht die Temperatur des Gases, sondern infolge 
der Wärmeleitung der Drähte des Elementes beträchtlich höher. Über den 
Betrag dieses Fehlers erhielt man ungefähren Aufschluß, indem man das 
Thermoelement 7',, in das Verdampfungsgefäß senkte. Solche Versuche ergaben 
zunächst eine Temperaturabnahme, die der Tiefe des Eintauchens proportional 


553 


ist. In dem Augenblick aber, in dem die Lötstelle die Flüssigkeit erreicht, 
ergibt sich ein Sprung. Da das Thermoelement, sobald es die Flüssigkeit 
berührt, sicher die Temperatur derselben angibt, und die Temperatur der 
Flüssigkeit und des Dampfes in der Grenzfläche gleich sein müssen, ist die 
Größe dieses Sprunges gleich der Abweichung der Temperatur der Lötstelle 
von der des Gases. Mehrere solche Versuche ergaben für die Lötstelle einen 
Temperaturüberschuß von 3° bis 4°; eine Unsicherheit in der Gastemperatur 
um diesen Betrag — sie ist mit Berücksichtigung dieser Korrektion sicher 
kleiner — ist aber für die Berechnung des Gewichtes des Dampfes nur von 
geringem Einfluß. 


Die Druckmessung erfolgte mit dem S. 535 erwähnten Barometer. _ Das- 
selbe, ein neu gefertigtes Intrument, wurde als richtig angenommen. Der 
Druck während der Heizung stieg bei tiefen Drucken bis zu 1.2 mm über den 
bei kleiner Verdampfung. Eine Berücksichtigung dieser Änderung bei Be- 
rechnung der äußeren Wärmezufuhr ist bei der geringen Änderung der Ver- 
dampfungswärme mit dem Druck nicht nötig. 


Eine Verunreinigung der Versuchssubstanz durch das Eindringen atmo- 
sphärischer Luft in den Rezipienten kann keinen störenden Betrag erreichen. 
Einer Druckzunahme von 0.5 = bei einer Atmosphäre Druckunterschied 
zwischen Rezipient und Außenluft entspricht ein Eindringen von ca. 50 mg 
Luft oder 40 mg Stickstoff während des eine halbe Stunde dauernden Ver- 
suches; macht man die sicher nicht zutreffende Annahme, daß aller einge- 
strömte Stickstoff von der meist über 15 g betragenden Sauerstoffmenge ab- 
sorbiert würde, so ergibt sich eine Verunreinigung derselben von 0.3°/0. Bei 
wachsendem Druck wird dieser mögliche Fehler kleiner, bei Stickstoffversuchen 
kann er überhaupt nur den vierten Teil dieses Wertes betragen. 


S 6. Versuchsresultate. 


In den folgenden Tabellen sind die Resultate der Versuche sowie die 
hauptsächlichsten Bestimmungsgrößen, die zur Gewinnung derselben dienten, 
zusammengestellt. Das Diagramm Figur 7 gibt eine graphische Zusammen- 
stellung der Drucke und der Verdampfungswärmen. In demselben sind die 
mit kleinen Kreischen bezeichneten Punkte Beobachtungsresultate der ersten 
Reihen, die großen Kreise entsprechen denjenigen der zweiten Reihen, während 
solche, bei denen die durch die äußere Wärmezufuhr verdampfte Menge weniger 
als 10/0 der gesamten verdampften Menge betrug, und die daher das meiste 


Zutrauen verdienen, mit @ bezeichnet sind. 
71* 


554 


Tabelle 1. Sauerstoff. 
Reihe I Reihe II 
Widerstand der Heizspirale Max. 6.615 2; 6.647 2; 
Min. 6.420 2; 6.320 9; 
Spannung an den Klemmen der Heizspirale Max. 4.390 Volt; 4.028 Volt; 
Min. 4.165 Volt: 3.785 Volt; 
Stromstärke Max. 0.633 Amp.; 0.612 Amp.: 
Min. 0.629 Amp.; 0.589 Amp.; 
Energie Max. 2.778 Watt = 0.668; 2.440 Watt = 0.583; 
Min. 2.620 Watt = 0.626; 2.230 Watt= 0.533; 
| Zeit des |Durch den] .. Verdamp- Temperatur 
Nr.| Strom- | Strom BI: RE £ a Se fungs- | Druck |Celsiusgrade 
"| ganges |verdampft| ’ rdampi es. -Verd.| wärme .  \ Wasserstoff- 
| sec mg mg °o valjg mm Hg v.00 skala 
1) 4612 5731 182 3.08 51.09 609.6 | — 184.95 | 0.42 
2| 568.3 6977 297 4.08 51.46 570.9 — 185.60 |+ 0.21 
3| 525.6 6435 240 3.59 51.56 5234 | — 186.34 |-+ 0.29 
4| 470,7 5723 258 4.32 51.93 4844 | — 187.00 |-+ 0.07 
5| 358.3 4331 195 4.50 52.27 447.4 70 |—0.09| 
6| 537.4 6461 312 4.61 52.37 383.8 | — 189.00 |-+ 0.11 
7| 485.5 5796 233 3.86 52.66 350.9 72 \— 0.0 
8| 4002 4754 224 4.50 53.01 317.1 — 19.50 | — 0.18 
9 551.8 6520 309 4.53 53.26 281.5 — 191.45 |— 0.21| 
10, 538.6 6339 337 5.05 53.51 250.3 — 192.32 | — 0.25 
11| .486,6 5739 296 4.90 53.52 221.5 | —193.25 |— 0.04 
12| 518.6 6044 331 5.19 53.98 201.9 | 89 |— 0.34 
13 | 488.3 5671 303 5.07 54.09 186.4 | — 194.50 |— 0.32 
14 | 490.5 5731. 333 5.49 53.59 1685 | — 195.11 |+ 0.33 
15| 408.3 4739 240 4.83 54.19 1522 | 37 |-0.08|* 6 215.110 Vol 
16 491.7 5692 314 5.24 55.03 1345 | — 196.76 \—0.70| ;— 0.843 Amp. 
17| 493.5 5665 315 5.25 54.78 115.4 — 197.83 |—0.22| Tnergie—4.306 
18| 705.9 8078 496 5.79 55.08 101.3 | — 198.66 |— 0.30 Watt 
19) 450.3 5155 306 5.60 55.18 73.5 | —200.66 |-0.07|, _.gog 
20| 410.4 8178 208 2.48 55.00 46.541, = 203.36 7|=H50.88 ||; 028 = 
21| 5511 5954 42 0.70 51.07 712.9 | — 183.52 |+ 0.04 
22| 584.2 6309 39 0.61 51.06 705.4 .6o | + 0.06 
23| 649.4 6980 43 0.61 51.21 698.9 ‚70 | — 0.08 
24| 556.4 5971 43 0.72 51.20 684.1 .90 | — 0.06 
25| 678.5 7291 60 0.82 51.18 6474 | — 184.41 |+o.11 
26, 307.6 3279 33 1.00 51.36 647.4 4122-007 
27| 504.3 5369 55 1.01 51.29 647.4 41 | 0.00 
28| 492.3 5291 54 1.01 51.34 631.9 .63 | # 0.00 Sauerstoff- 
29| 549.8 5909 57 0.95 51.43 589.7 — 185.27 | 0.04 kühlung 
30) 550.7 5933 58 0.97 51.63 546.8 90 \— 0.03 
31| 700.5 7577 72 0.94 51.52 505.1 — 186.64 |-+ 0.25 
32| 500.2 5362 68 1.25 52.41 466.4 | — 187.35 |— 0.49 
33| 515.6 5586 86 1.52 51.43 4234 | — 188.17 |+ 0.67 
34| 593.0 6323 79 1.23 52.32 402.9 57 014 
35| 5061 5401 72 1.32 52.39 3678 | —189.35 | — 0.05 
36| 722.5 7330 57 0.77 52.61 297.0 | — 191.02 |+ 0.10 
37| 727.7 7372 69 0.93 52.62 | . 266.9 87 |+ 0.27 
38| 495.7 4459 61 1.35 53.24 234.7 — 199.83 4,16,014 
39| 505.7 5296 67 1.25 53.34 190.3 — 194.35 |—+ 0.08 
40) 617.8 6462 74 1.13 53.43 180.7 ‚72 |-+ 0.07 
4l| 618.0 6391 100 1.54 54.02 140.7 — 196.44 | — 0.14 
42| 491.2 5021 83 1.63 54.81 107.0 | — 198.32 |— 0.52 
43) 477.3 4951 92 1.82 54.39 96.0 | — 199.02 |+0.04|| Luftkühlung 
44! 474.8 4964 60 1.20 54.35 91.4 33 |+0.15 
45| 477.6 4932 104 2.02 54.96 86.5 70147037 
46 518.2 | 5360 62 1.14 | 54.84 58 | 20Lal | oe 
47| 487.2 5002 53 ° 1.05 55.13 59.9 .s5 | — 0.08 Hei a De a 
48) 550.4 5516 64 1.15 55.23 48.9 | — 203.07 |-+ 0.08 ne ER 
49, 465.7 4794 54 11 55.48 38.3 — 204.45 |-+ 0.14 FORIE 
50) 588.0 5994 104 a 55.50 34.7 | — 205.05 |+0.24 


555 


Stickstoff. Tabelle II. 
Reihe I Reihe II 
Widerstand der Heizspirale Max. 6.561 2; 6.368 2; 
Min. 6.500 2; 6.308 2; 
Spannung an den Klemmen der Heizspirale Max. 4.166 Volt; 3.960 Volt; 
Min. 4.142 Volt; 3.838 Volt; 
Stromstärke Max. 0.636 Amp.; 0.621 Amp.; 
j Min. 0.630 Amp.; 0.599 Amp.; 
aeegie Max. 2.649 Watt = 0.635; 2459 Watt = 0.587. 
Min. 2.632 Watt= 0.629; 2.299 Watt = 0.549 %; 
ec sec 
Zeit des Durchden +; BERN  Verdamp- Temperatur 
Nr.| Strom- | Strom Kamare £ ee fungs- Druck |Celsiusgrade| | 
ganges verdampft 1 Ei: | wärme Wasserstoff- 
sec mg mg %/o | eal/g | mm Hg v.0° | skala 
5l| 589.3 7704 361 447 || 47.97 710.4 — 196.23 | 0.07 
52| 514.8 6798 248 3.52 |. 47.61 698.6 | 37 |+ 0.33 
53| 635.3 8333 473 5.37 || 47.87 661.2 | ‚89 |-+ 0.22 
54 403.9 5278 282 5.07 | 47.98 651.7 | — 197.02 |-+0.15 
55| 408.2 5292 290 5.20 | 48.40 ee .02 | — 0.27 
56 586.5 7571 293 3.73 || 48.72 636.8 23 | — 0.52 
57| 362.5 4751 243 4.87 || 48.12 601.8 .70 |-r 0.18 
58] 434.0 5593 387 6.47 | 48.50 555.9 — 198.39 | + 0.01 
59| 406.3 5219 265 4.83 | 48.73 465.1 eure a HS 
601 451.5 5736 313 5.17 || 49.20 465.4 18 | 0.29 
61| 501.3 6483 361 5.28 | 48.52 414.5 — 200.66 | -+ 0.63 
62) 484.1 6103 363 5.61 | 49.56 387.4 — 201.15 | — 0.25 
63| 521.2 6576 307 4.47 || 49.63 348.0 96 | 0.10 
64| 563.0 7169 366 4.85 || 49.44 325.6 — 202.44 |+0.21 
65) 605.6 7592 389 4.87 || 50.13 2992 | — 203.04 | — 0.30 
66 665.5 8296 441 5.05 || 50.40 258.1 | — 204.10 | — 0.27 
67| 380.7 4687 336 6.69 | 50.95 218.2 — 205.23 | — 0.50 
68] 502.9 6210 368 5.59 || 50.86 177.9 — 206.63 | — 0.01 
69] 340.2 4286 241 9:35 15300:83 177.5 .63 | 0.02 
70) 530.7 6552 480 6.83 || 51.05 158.0 — 207.30 | — 0.01 
71| 387.4 4753 272 5.41 | 51.26 139.5 — 208.12 |—+0.01 
72\ 350.1 4294 236 5.21 || 51.23 128.5 ED9na 2087 
73| 368.3 4581 246 5.09 || 50.90 118.5 — 209.07 |—+ 0.64 
74| 387.4 4715 312 6.20 |) 51.81 111.6 2 0316 
75) 382.1 4635 332 6.68 | 52.11 1041 | .83 |— 0.35 
76| 310.9 3748 261 6.50 | 52.11 98.1 — 210.21 | — 0.23 
77) 369.4 4491 234 495 || 51.25 97.7 25 | + 0.62 
78| 386.3 4728 289 5.76 | 51.71 95.7 .39,,.1-7.0.20 
79| 516.5 6250 367 5.55 | 52.12 952 | 40 | — 0.20 
80) 384.0 4540 60 1.30 47.54 |ı 713.4 — 196.19 |—+0.31 
81] 211.3 2465 44 1.75 47.85 713.4 .19 | # 0.00 
82] 259.2 2996 67 2.19 47.35 | 7132 .19 |— 0.11 
8) 591.4 6795 83 1.21 47.99 710.0 23 | — 0,14 
84| 586.4 6770 89 1.30 47.76 705.2 29 |-0.11|% Luftkühlung 
8| 418.3 4961 27 1.53 48.07 700.0 ‚36 | — 0.20 = 
86| 479.9 5482 80 1.44 48.16 684.4 .»7 | 0.21 
87| 538.9 6171 108 1.72 48.14 626.0 — 197.37 | 0.03 
88| 452.3 5266 129 2.39 48.60 575.2 — 1983107-0:23 
89| 410.3 4768 67 1.38 48.71 | 526.9 85 1 0N12 
90 395.8 4505 52 1.14 48.75 492.9 — 199.34 | — 0.05 
911 402.5 4667 41 0.87 48.65 429.0 — 200.39 [70.33 
92) 434.0 4940 36 0.72 49.24 371.3 — 201.47 | + 0.05 
93 431.2 4907 44 0.89 49.84 280.7 — 203.49 | + 0.01 Kühlung mit 
94 439.4 4967 55 1.10 50.00 242.4 — 204.54 | + 0.14 Luft unter 
95 552.0 6177 75 1.20 50.47 199.0 — 205.86 | + 0.06 |{niederem Druck 
961 440.8 4907 67 1.35 50.82 169.9 — 206.90 | — 0.01 siedend 
97) 445.1 4909 | 68 1.36 51.08 135.2 — 208.27 |+.0.09 
98 395.0 4511 63 1.38 51.44 zen — 209.14 |— 0.02 || Mit Stromstoß 
99) 433.4 4863 Zei 1.56 51.63 100.1 — 210.06 | 0.04 vor Beginn 
100 397.3 4452 64 1.41 51.67 94.3 — 210.48 |+0.12|) der Heizung 


556 


Will man von den beobachteten Drucken zu den entsprechenden Tem- 
peraturen übergehen, so ist die Kenntnis der Abhängigkeit der Temperatur 
von dem Drucke, also der Dampfspannung nötig. Dampfspannungskurven für 
die untersuchten Gase festzustellen erlaubte die Versuchsanordnung ohne weiteres. 
Es lassen sich aus dem Widerstand der Heizspirale, der nach jedem Versuche 
gemessen wurde, die Temperaturen bestimmen, deren Folge recht gut in sich 
übereinstimmende Kurven ergibt, obwohl zur Spirale Material mit möglichst 
geringem Temperaturkoeffizienten gewählt war, ein Beweis für die große 
Empfindlichkeit des Widerstandsthermometers. Die absoluten Werte der be- 
obachteten Temperaturen verdienen aber wenig Zutrauen, da die Widerstands- 
spirale niemals direkt geeicht wurde, und eine Kontrolle der Siedeverzüge 
fehlt, wenn dieselben auch nach den Ausführungen auf S. 549 klein zu 
sein scheinen. Da gleichzeitig mit der vorliegenden Untersuchung getrennt 
hievon im gleichen Institute durch K. T. Fischer eingehende Beobachtungen 
über das Sieden der verflüssigten Gase angestellt und die Dampfspannungs- 
kurven von Sauerstoff und Stickstoff bestimmt wurden, konnte auf eine Ver- 
wendung der eigenen Messungen verzichtet werden. Von dem bisher ver- 
öffentlichten Material über Dampfspannung der verflüssigten Gase schien nur 
die Sauerstoff- Dampfspannungskurve von M. W. Travers, G. Senter, 
A. Jaquerod!) zuverlässig. Aus dieser Kurve, die bis 150mm Druck reicht, 
sowie aus Privatmitteilungen, die mir Prof. K. T. Fischer machte, und für 
die ich ihm an dieser Stelle herzlichst danken möchte, wurde eine Dampf- 
spannungskurve für Sauerstoff, aus neueren Beobachtungen von K. T. Fischer 
allein eine solche für Stickstoff zusammengestellt, deren Temperaturwerte zur 
Berechnung der Änderung der Verdampfungswärme mit der Temperatur ver- 
wendet wurden. Ob es berechtigt ist, die Resultate dieser mit der Unter- 
suchung in keinerlei Zusammenhang stehenden Beobachtungen einfach zu 
übernehmen, ist nicht ohne weiteres klar. Es könnten bei meiner Versuchs- 
anordnung immerhin selbst beim Heizen noch Siedeverzüge vorhanden sein, 
so daß die Zuordnung der von mir bei bestimmtem Drucke gemessenen Ver- 
dampfungswärmen und der unter anderen Umständen bei gleichem Drucke 
bestimmten Temperaturen eine gegen die richtige verschobene Kurve ergäbe. 
Über die bei siedendem Sauerstoff auftretenden Siedeverzüge sind ausführ- 
liche Beobachtungen von Bestelmeyer?) angestellt worden. Dieselben er- 
gaben, daß der Siedeverzug um so geringer ist, je größer die innere (durch 
elektrische Heizung hervorgerufene) und je kleiner die äußere (durch die 


I) M. W. Travers, G. Senter, A. Jaquerod, Phil. Trans. A. 200, S. 105—180, 1902. 
2) A. Bestelmeyer, Ann. d. Phys. 14, 8. 91, 1904. 


557 


Gefäßwände verursachte) Wärmezufuhr ist. Die Bedingungen sind bei meiner 
Versuchsanordnung denen des genannten Verfassers prinzipiell ähnlich. Man 
wird also seine Resultate wohl auf meine Anordnung anwenden können. 
Bildet man in der genannten Arbeit aus den Werten für die Heizung, die 
ihrem absoluten Betrage nach der Wärmezufuhr bei meinem Apparat ver- 


gleichbar sind, die Quotienten ! —  - —-, und ordnet man dieselben nach 
innere Heizung 


ihrer Größe, so erhält man die folgende Reihe von Überhitzungen: 


Äußere Heizung 0 0 0 0 0 [0] 0.7 Watt 
Innere Heizung 9.7 0.9 0.9 9.0 0.6 [9.4] 0.9 Watt 
Quotient 0 0 0 0 0 0 0.8 
Überhitzung 0 0.03 7...0:03 0.04) —0.01,.,0,02 0.16 Cels.-Grade 


Äußere Heizung 0.5 0.9 04 74 7.4 [4.3] [3.8] Watt 
Innere Heizung 0.5 1.8 1.0 0.9 0.9 [0.4] [0.2] Watt 
Quotient 1.0 2 2.5 8 8 bl 19 
Überheizung 0.23 0.29 028 047 051 0.58 0.93 Cels.-Grade 


(Die mit [] bezeichneten Werte gehören einer anderen Versuchsreihe an, 
als die ohne Klammern.) 


Aus den auf S. 547 angegebenen Zahlen folgt für meine Anordnung eine 
äußere Wärmezufuhr von 0.26 Watt im Maximum, 0.016 Watt im Minimum; 
aus den Tabellen S. 554 und 555 ergibt sich für die innere Heizung ca. 2.5 Watt, 
es ist also der erwähnte Quotient 0.007 bis 0.1. Für diesen Quotienten folgt 
aus der obigen Reihe eine Überhitzung von 0.06° im Maximum während des 
Heizens. Die Verwendung der unter Vermeidung von Siedeverzügen erhaltenen 
Dampfspannungskurven erscheint sonach unbedenklich. 


In dem Diagramm Figur 8 bedeuten die Abszissen die in der beschrie- 
benen Art erhaltenen Temperaturen, die Ordinaten die Verdampfungswärmen. 
Für Sauerstoff sowohl wie für Stickstoff geht hieraus eine geradlinige Ab- 
hängigkeit der Verdampfungswärme von der Temperatur hervor. Auch in 
diesem Diagramm zeigt sich aber, daß die Werte bei tiefen Drucken in den 
ersten Beobachtungsreihen systematisch höher sind als in den zweiten Reihen. 
Die Beobachtungswerte der beiden Reihen wurden deshalb einzeln durch Gerade 
nach der Methode der kleinsten Quadrate ausgeglichen, wobei sich ergab: 


Sauerstoff r,= 17.246 — 0.2393 £ 
r, = 11.508 — 0.216411 


558 


Stickstoff r,— — 8.004 — 0.2848 t 
ry—= — 6.416 — 0.2765 1 
t Celsiusgrade. 


Da die Versuchsanordnung bei den beiden Reihen, abgesehen von der 
Einrichtung der Thermoelementes 77, das wohl in den Verlauf der Versuche 
keinerlei Änderung bringen kann, sich nur dadurch unterschied, daß an Stelle 
der Kupferzuleitungen solche aus Silber traten, und somit die Wärmezufuhr 
von außen auf den vierten Teil reduziert wurde, so muß auch die systematische 
Abweichung der beiden Reihen dieser Änderung zugeschrieben werden. 

Daß beide Reihen nicht vollkommen übereinstimmen, hat also wohl 
seinen Grund darin, daß die Berechnung der äußeren Verdampfung nach der 
S. 546 und 547 beschriebenen Art der Wirklichkeit nicht ganz entspricht. 
Nun wird man annehmen dürfen, daß der offenbar vorhandene Fehler dem 
Gesamtwerte der äußeren Verdampfung proportional ist, da ja die Interpolations- 
kurven der beiden Reihen gleicher Art sind. 

Es sei für zwei in den übrigen Größen gleiche Versuche der beiden Reihen 

a ne 

- Na 
wo A die zugeführte Energie, M’ und M” die (ungenau) berechneten ver- 
dampften. Mengen bedeuten; es sei ferner M die in Wahrheit verdampfte 
Menge, dann ist. 
M=M-+nd, M"=M-+J, 

wenn d der der zweiten Reihe .noch anhaftende Fehler und » das Verhältnis 
der äußeren Verdampfung im 1. und 2. Falle ist. Dieses Verhältnis ist zwar 
selbst nicht unabhängig vom Druck; es ändert sich vor allem auch sprung- 
weise deshalb, weil bei der ersten Reihe stets nur mit normal siedender Luft 
gekühlt wurde, bei den zweiten Reihen dagegen an bestimmten Punkten von 
der Sauerstoffkühlung zur Kühlung mit normal siedender Luft, oder von dieser 
zu einer solchen mit unter vermindertem Druck siedender Luft übergegangen 
wurde. Es kann aber mit vollständig ausreichender Genauigkeit n — konstant 
gesetzt werden, und zwar für 


Sauerstoff » (Mittel) — 3.79 
Stickstoff » (Mittel) — 3.82 


Unter diesen Voraussetzungen ist dann der wahre Wert der Verdamp- 


fungswärme 


a A 3 ae (1) 
Eu LTM PN mon Mes 


Durch Gleichsetzen von 
M—nd=M"—-0 
und Einsetzen von 


‚  €M'—-M” 
N ee (2) 


in eine der Gleichungen (1) gelangt man zu 


(n—1)rr” 
= re 
nr —r 


(3) 


Diese Formel endlich geht mit erlaubten Vernachlässigungen über in 


ae 
vg „er (4) 
Da für jede Abszisse die Werte für r und r" bekannt sind, ließen sich 
hieraus die einzelnen Werte für r berechnen. Man erhält aber sofort die 


ganze Kurve, auf der die r liegen, wenn man 
4 “ “ 
Mn = Y| = @ t r= r] =. ©t 


in Gleichung (4) einführt. 


Durch Ordnen kommt man dann zu der Schlußformel 


4 “ ’ „ 
„ Nızakı „ a3 
FR —- (« ) t. 


n—1 n—1 


Setzt man hier die auf S. 557 und 558 angegebenen Werte vr" und 
« «@ ein, so gelangt man zu den definitiven Gleichungen 
für Sauerstoff r—= 12.88 — 0.2080 t 
für Stickstoff r= — 5.85 — 0.2736 t 
(t Celsiusgrade) 
oder wenn man absolute, mit dem Wasserstoffthermometer gemessene Tem- 
peraturen einführt Ä 
Sauerstoff r —= 69.67 — 0.2080 T 
Stickstoff r —= 68.85 — 0.2736 T' 
(T=:+ 973.04) 

Unter Annahme des normalen Siedepunktes für Sauerstoff zu — 182.93° C,, 
für Stickstoff zu — 195.55°C. berechnet sich aus diesen Formeln für atmo- 
sphärischen Druck 

Sauerstoff 774 —= 50.92 = 
StickstoE 70° 41.65 = 
Abh.d. II. Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 72 


560 


Als Änderungsgröße der Verdampfungswärme mit der Temperatur ergibt 
sich hieraus für beide Komponenten der flüssigen Luft eine Konstante, und zwar 


” dr 

für Sauerstoff mc. 0.2080 
für Stiekstor: So BA oe 
ür N rm a 


Vergleicht man die erhaltenen Resultate mit denen der auf S. 529 aufge- 
zählten früheren Arbeiten, so findet man eine Übereinstimmung nur mit den 
Werten der ersten Arbeit von Shearer, die aber selbst in starkem Widerspruch 
mit den späteren Bestimmungen desselben Verfassers stehen, sowie mit den Re- 
sultaten von Behn. Alle anderen Werte liegen zum Teil ganz außerordentlich 
viel höher, als die von mir erhaltenen. Ein solches Verhalten war nach den 
Ausführungen auf 8. 544 auch zu erwarten. Die Übereinstimmung mit Behn 
scheint mir deshalb bemerkenswert, weil zwar die von ihm verwandte Methode 
des Verdampfens durch ein warmes Metallstück weniger zuverlässig sein dürfte, 
als die Verdampfung durch elektrische Heizung, andrerseits aber bei seiner 
Anordnung die äußere Verdampfung auf den sehr geringen Wert von „4, 
der gesamten Verdampfung herabgebracht wurde, und weil bei der Vermeidung 
von Zuleitungsdrähten die Annahme einer vor, während und nach dem Ver- 
such konstanten Wärmezufuhr durch die Glaswände des Verdampfungsgefäßes, 
die selbst auf niedere Temperatur gebracht sind, berechtigt erscheint. Berechnet 
man aus den oben mitgeteilten Werten und der von Behn angegebenen Zahl 
den Prozentgehalt der von ihm verarbeiteten Luft unter der Annahme, daß 
die Verdampfungswärme eine additive Größe ist, so erhält man 
50.8 — 47.65 
90.92 — 47.65 

Behn selbst schätzt den Gehalt der anscheinend sehr alten Luftprobe 
auf 93%, 0,5. — 

Herrn Professor Ebert, der mir in der bereitwilligsten Weise aus den 
Mitteln. des von ihm geleiteten Institutes die sehr beträchtlichen Hilfsmittel, 
die die Durchführung der vorliegenden Arbeit in großem Maßstabe erforderte, 
zur Verfügung stellte, sei an dieser Stelle. hiefür der ergebenste Dank aus- 
gesprochen. 


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München, physikalisches Institut d. techn. Hochschule, Mai 1905. 


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LZüh.Anst.v.Hubert Köhler, München. 


Revision der Spix’schen Typen 


brasilianischer Vögel. 


Von 


C, E. Hellmayr. 


Abh.d.1l.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXIl. Bd. III. Abt. 


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Im Jahre 1817 beschloß der damalige König von Bayern, Maximilian I. Joseph eine 
wissenschaftliche Expedition nach Brasilien auszusenden, deren Hauptaufgabe die Erforschung 
der Fauna und Flora dieses reichen Landes sein sollte. Mit der Ausführung des Unter- 
nehmens wurden der Zoologe J. B. von Spix und der Botaniker C. Ph. von Martius betraut. 

Am 6. Februar 1817 verließen die Reisenden München und landeten am 14. Juli 1817 
in Rio de Janeiro. Bis zum Dezember desselben Jahres wurde in der Umgebung der bra- 
silianischen Hauptstadt gesammelt, dann bis Januar 1818 bei Ypanema und S. Paulo. 
Darauf wandte sich die Expedition über Campanha nach Ouro Preto (= Villa Rica) in 
Minas Gera&s, wo sie vom 28. Februar bis Anfang Mai verweilte, sodann weiter über 
Diamantina nach Minas Novas. Von hier führte die Reise westwärts durch die Campos 
über Contendas an den Rio S. Franeisco. Diesem Strome folgten die Forscher flußabwärts 
bis nach Malhada und Carunhanha [an der Grenze der Staaten Minas und Bahia] und 
zogen hierauf quer durch den Staat Bahia über Caytete, Minas de Rio das Contas und 
Cachoeira nach 8. Salvador de Bahia. Die Zeit zwischen dem 13. Dezember 1818 und 
6. Januar 1819 war einem Ausfluge nach Ilheos gewidmet. Am 18. Februar erfolgte die 
Abreise von Bahia und führte in nordwestlicher Richtung über Cachoeira, Feira de S. Ana 
(1. März) und Villa Nova da Remha (25. März) nach Joazeiro am Rio $. Franeisco. Am 
21. April verließen die Reisenden Joazeiro und wandten sich nach Oeiras im Staate Piauhy, 
das sie am 12. Mai verließen, um über Caxias und Itapucurüm-mirim nach 8. Luiz 
de Maranhäo an der Küste im gleichnamigen Staate zu gelangen. Am 20. Juli segelte die 
Expediton von Maranhäo ab und erreichte am 25. desselben Monats Belem (Parä) an der Mün- 
dung des Amazonenstromes. Am 21. August begann die Flußreise auf dem Amazon. Fol- 
gende Stationen konnte ich feststellen: Gurupa (8.—10. September), Santarem (18.—21. Sep- 
tember), Obydos, Serpa (12. Oktober), Mündung des Rio Madeira (15. Oktober), Manäos 
(22. Oktober), Coari am Rio Solimöes (16. November) und Teffe (= Ega) (25. November). 
Hier trennten sich die beiden Reisenden Martius und Spix. Ersterer folgte dem Rio Japurä 
stromaufwärts bis zu den Arara Coara-Fällen in Ostecuador und kehrte über Ega nach 
Manäos zurück (11. März 1820). Spix dagegen fuhr den Amazon aufwärts, sammelte 
an der Mündung des Rio Ica und bei S. Paulo d’Olivenga (30. Dezember) und drang bis 
nach Tabatinga (9. Januar 1820) vor. Nach Manäos zurückgekehrt (3. Februar 1820) 
brach er von hier am 11. desselben Monats nach dem Rio Negro auf und gelangte bis 
nach Barcellos (21. Februar). Auf der Rückreise fuhr Spix den Rio Branco eine Strecke 
weit aufwärts und traf dann mit Martius in Manäos wieder zusammen. Hierauf trat er 
gemeinsam mit diesem die Heimfahrt an, die — mit Ausnahme eines Ausfluges in das 
Gebiet der Mauhe-Indianer am Unterlauf des Rio Madeira — ohne weitere Unterbrechung 
stattfand. Nach mehr als dreijähriger Abwesenheit — am 14. Juni 1820 — schifften sich 
die Reisenden in Parä nach Europa ein. 


7150 


564 


Bald nach seiner Rückkehr aus Brasilien begann Spix mit der Bearbeitung des ge- 
sammelten, zoologischen Materials. Wir haben es im nachstehenden nur mit dem die 
Vögel behandelnden Teile seiner Werke zu tun, der unter dem Titel: 


„Avium species novae, quas in itinere per Brasiliam annis 1817—1820 
jussu et auspiciis Maximiliani Josefi I. Bavariae regis succepto collegit et 
descripsit Dr. J. B. de Spix“ in zwei Bänden zu München erschien. Der erste Band 
wurde 1824, der zweite 1825 veröffentlicht. 


In diesem Werke sind etwa 220 Vogelarten als neu oder unter neuen Namen be- 
schrieben, allein nur wenig mehr als 100 bleiben bestehen, während einige wegen Fehlens 
der Typen von mir nicht klar gestellt werden konnten. Es ist nicht zu verwundern, daß 
die Expedition durch Entdeckung einer großen Anzahl auffallender Formen gekrönt wurde. 
Spix und Martius waren ja die ersten Forscher, die aus dem ungeheuren Amazonastale 
zoologische Sammlungen nach Hause brachten und ebenso betraten sie zum ersten Male die 
nordöstlichen Staaten Brasiliens (Piauhy, Maranhäo), über deren Fauna wir auch heute 
noch nicht mehr wissen als uns die spärlichen Mitteilungen Spix lehren. Manche der 
Entdeckungen im südöstlichen Brasilien wurden fast gleichzeitig vom Prinzen Wied in 
seiner „Reise nach Brasilien“ (1820, 1821), von Lichtenstein in dem bekannten „Ver- 
zeichnis der Dubletten des Berliner Museums“ (1823) und von Temminck in den „Planches 
colories* bekannt gemacht und deren Namen erlangten um wenige Jahre die Priorität 
über die Spix’schen Benennungen. Übrigens scheint Spix die bereits vorhandene Literatur 
nicht allzuviel zu Rate gezogen zu haben; denn er hat vieles als neu bekannt gemacht, 
das schon mehrfach beschrieben war. Allein sowohl dieser Mangel als die Ungenauigkeit 
und Flüchtigkeit vieler seiner Beschreibungen haben wohl zum Teil in der geschwächten 
Gesundheit des Verfassers ihren Grund. Spix hatte auf der Reise stark unter den Einflüssen 
des tropischen Klimas zu leiden und erlag schließlich den Folgen der strapazıösen Tour. 
Seine Verdienste um die Erforschung der brasilianischen Fauna sind trotz aller Mängel 
seiner Arbeit unbestreitbar. 


Eine kurze biographische Skizze dürfte für den Leser nicht ohne Interesse sein. 
Johann Baptist von Spix wurde am 9. Februar 1781 zu Höchstädt an der Aisch im Kreise 
Bamberg in Bayern als Sohn eines Chirurgen geboren. Seine Mutier war eine geborene 
Italienerin. Nach Absolvierung des Gymnasiums bezog er die damals noch bestehende 
Universität in Bamberg und erwarb sich den Grad eines Doktor phil. Hierauf widmete 
er sich nach dem Wunsche seiner Mutter dem Studium der Theologie in Würzburg, wandte 
sich aber bald medizinischen und physiologischen Arbeiten zu. Im Jahre 1807 unternahm 
er auf Kosten des Königs eine Reise nach Paris, wo er unter der Leitung Cuviers Ana- 
tomie hörte und sich besonders mit dem Zentralnervensystem beschäftigte. Nach München 
zurückgekehrt, wurde er Adjunkt an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. In 
diese Zeit fällt die Veröffentlichung seiner Arbeit über die Geschichte’ aller zoologischen 
Systeme von Aristoteles angefangen. Später verfaßte er ein umfangreiches Werk über die 
vergleichende Anatomie des Schädels der Wirbeltiere unter dem Titel „Cephalogenesis* 
und wurde bald hernach zum Mitgliede der Akademie in München ernannt. In den Jahren 
1817—1820 bereiste er im Auftrage des Königs Brasilien. Schwer leidend kehrte er von 
dieser Reise zurück, arbeitete aber nichtsdestoweniger fleißig an der Herausgabe der 


565 


gewonnenen Ergebnisse. Am 15. Mai 1826 verschied Spix plötzlich an einem schweren 
Nervenfieber. — 

Nach diesen einleitenden Worten wende ich mich zu dem Plane und Zwecke meiner 
Revision der Typen. Obwohl eine große Anzahl der von Spix beschriebenen Vogelarten 
kaum zweifelhaft war, so erschien eine kritische Nachprüfung des ganzen Werkes schon 
im Hinblick darauf geboten, daß bei den meisten Arten genaue Fundorte angegeben sind. 
Ihre richtige Determinierung war daher für die Verbreitung der Vögel in Brasilien von 
Wichtigkeit. In vielen Fällen ist hingegen die Kennzeichnung so mangelhaft, daß bis 
heute über die wahre Bedeutung mancher Spix’scher Art völlige Ungewißheit herrschte. 
Erschwert wurde die Auflösung mancher Spezies durch die geradezu unkenntlichen Abbil- 
dungen im Spix’schen Werke. Die Tafeln sind augenscheinlich mit der Hand koloriert 
und in verschiedenen Exemplaren des Buches total verschieden, was die In- 
tensität der Farbentöne betrifft.!) Ich habe vier Kopien benutzt und kam zur Über- 
zeugung, daß die Abbildungen wegen ihrer Ungleichmäßigkeit kaum in Betracht gezogen 
werden können. Dazu kommt eine im allgemeinen höchst ungenaue und flüchtige Wieder- 
gabe der Originale. Unter diesen Umständen konnte nur die Untersuchung der Typen 
Klarheit schaffen. 

Die Ausbeute der Spix-Martius’schen Reise wurde — dem Brauch der damaligen Zeit 
entsprechend — ausgestopft und so blieben die Vögel den schädlichen Einwirkungen des 
Lichtes mehr als sieben Jahrzehnte hindurch ausgesetzt. Alle von Spix’ Reise herrührenden 
Vögel wurden nun unter meiner Aufsicht abgenommen, sorgfältig etikettiert und der Balg- 
sammlung einverleibt. Nur die größeren Arten wie Hühner, Steißhühner, Rallen, Ibisse etc. 
wurden in einen besonderen Schranke der wissenschaftlichen Sammlung montiert aufbewahrt. 
Glücklicherweise fanden sich die Typen der meisten Arten in der Münchener Staatssammlung 
vor, freilich nicht immer im besten Erhaltungszustande. Bei manchen Exemplaren mußte 
ihre Provenienz von Spix’ Reise erst festgestellt werden, da die Originaletiketten iu den 
meisten Fällen nicht mehr vorhanden waren. In diesen Fällen gaben die älteren Kataloge 
der Vogelsammlung häufig den gewünschten Aufschluß und überdies gewährte die eigenartige 
Präparationsweise der Spix’schen Stücke einen verläßlichen Anhaltspunkt. Fast bei allen 
Exemplaren steckt in der aufgeschnittenen Bauchmitte ein Draht, dessen umgebogenes Ende 
eine Öse bildet, an welcher ein Bindfaden befestigt ist, der rings um den ganzen Körper 
läuft. Um die Flügelmaße nehmen zu können, ist man genötigt den Faden abzuschneiden. 
Ob die Vögel schon am Orte der Erlegung auf diese Weise präpariert wurden oder ob es die 
Methode des Taxidermisten am Museum war, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls steht 
fest, daß nur die Spix’schen Exemplare die angedeutete Präparationsweise zeigen. Andere 
Erwerbungen der Vogelsammlung des Münchener Museums aus dem ersten Drittel des neun- 
zehnten Jahrhunderts sind ganz anders präpariert. 

Die Typen einiger Arten konnten trotz gewissenhafter Nachforschungen nicht mehr 
zutage gefördert werden. Sie sind entweder durch Mottenfraß zerstört oder in sehr früher 


1) Als Beispiel sei Platyrhynchus paganus II, tab. 16 Fig. 1 erwähnt. In der Kopie des Mus 
Berlepsch sind Ober- und Unterseite hellbläulichgrau und der Kopf ringsum rotbraun gefärbt. In den 
drei anderen Kopien, die ich einsah, kommt das Kolorit der Figur der wirklichen Färbung der Elainea 
pagana viel näher. Die Oberseite ist trüb olivengrau, die Unterseite heller aschgrau dargestellt und 
von dem rotbraunen Kopf keine Spur! 


966 


Zeit abgegeben worden, da sie bereits in dem Kataloge der Sammlung von 1829 nicht 
mehr aufgeführt sind z. B. Thamnophilus stellaris, T. affinis, Platyrhynchus brevirostris, 
P. murinus u. s. w. 

Die Revision des Spixschen Materials beschäftigte mich nahezu zwei Jahre und ge- 
staltete sich viel mühevoller als ich voraussetzte. Allerdings hatte ich über einige Familien 
bereits umfangreiche Aufzeichnungen, wodurch meine Aufgabe einigermaßen erleichtert 
wurde. Aber in einzelnen Fällen war es zur Klarstellung der Spixschen Typen erforder- 
lich, ganze Genera monographisch auszuarbeiten, so z.B. bei Orax, Penelope, Ortalis u. s. w. 
Hand in Hand damit gingen sorgfältige Quellenstudien und die Untersuchung zahlreicher 
Typen in den Museen zu London, Parıs, Wien, Berlin, Leipzig und Frankfurt. Eine 
ansehnliche Serie Spixscher Originale verglich ich während meines Aufenthaltes auf Schloß 
Berlepsch, und einige begleiteten mich auf meiner Reise nach England im Januar 1904. 

Mit dem Material des Münchener Museums allein hätte ich meine Aufgabe niemals 
in befriedigender Weise zu lösen vermocht. Dank der bereitwilligen Unterstützung mehrerer 
ornithologischer Freunde lagen mir aber meist mehr als genügende Serien zum Ver- 
gleich vor, wodurch meine Untersuchungen wohl erheblich an Zuverlässigkeit gewannen. 
In der Regel wurde nur die Originalbeschreibung — als die Grundlage für unsere 
Kenntnis — zitiert und nicht bloß zitiert, sondern in jedem einzelnen Falle sorgfältig 
durchgearbeitet. Wenn es sich um Arten handelte, die schon vor Spix von anderen Autoren 
beschrieben waren, suchte ich stets Material von der terra typica zu vergleichen. Auf diese 
Weise dürfen wir hoffen in absehbarer Zeit zu einer stabilen Nomenklatur zu gelangen. 

Es ist mir eine angenehme Pflicht allen Freunden und Kollegen, die meine Arbeit 
unterstützten, meinen herzlichen Dank auszusprechen. In erster Linie ist es wieder mein 
hochverehrter Lehrer Graf Hans von Berlepsch, dessen ich zu gedenken habe. Mit seltener 
Liberalität öffnete er mir nicht nur seine prächtige Sammlung neotropischer Vögel, sondern 
stand mir auch mit seiner unerreichten Kenntnis zur Seite und bewahrte mich gar oftmals 
vor groben Fehlern, in die ich ohne seinen geschätzten Rat unfehlbar verfallen wäre. Ihm 
ist es zu danken, wenn in nachstehender Arbeit der Irrtümer nicht zu viele enthalten sind. 
Nicht minder verbunden bin ich meinem lieben Freunde Dr. v. Lorenz in Wien, der mir 
die Nattererschen Serien brasilianischer Vögel jederzeit bereitwilligst zur Verfügung stellte. 
Die Herren Dr. W. Rothschild, Dr. E. Hartert, Professor Reichenow, Dr. Schmidtlein (Leipzig) 
und Dr. F. Römer (Frankfurt) unterstützten mich gleichfalls durch Übersendung von Ver- 
gleichsmaterial. Auch ihnen mein bester Dank! 

Endlich habe ich noch den Verwaltern der Zoologischen Staatssammlung in München, 
den Herren Professor R. Hertwig und Dr. F. Doflein sowie dem Kustos am gleichnamigen 
Institut, Herrn Dr. W. Leisewitz für viele Beweise ihres Interesses an meiner Arbeit auf- 
richtig zu danken. Der Dank aller Ornithologen gebührt auch dem langjährigen Inspektor, 
Herrn Kreuzpointner, der mit seltener Hingebung während eines Menschenalters über die 
Sammlung des Münchener Museums wachte und sie ‘vor Schaden bewahrte. Sein Verdienst 


ist es, daß die schlechten — und doch so wertvollen — Präparate von Spix’ Reise der 
Nachwelt erhalten blieben und nicht der Zerstörung anheimfielen, als jener gefürchtete 
Sammlungsfeind — Mottenfraß — einstmals verheerend auftrat. 


Schloß Berlepsch, im Januar 1905. 


567 


Avium Species Novae. 


Band I]. 


Gypagus papa (Linn.) 
Vultur Papa Linnaeus, Syst. nat. X (1758) p. 86 (ex Edwards & Albin. — „India oceidentalis.“) 


Cathartes papa Spix, Av. Bras. I (1824) p. 1 tab. I (foem.) [kein Fundort.] 
Kein Spix’sches Stück in der Sammlung. 


Cathartes aura = Catharista atratus brasiliensis (Bonap.) 


[Vultur atratus Wilson, Amer. Orn. IX (1814) p. 104 tab. LXXV Fig. 2.] 
Cathartes brasiliensis Bonaparte, Consp. Av. I (1850) p. 9 [„ex Amer. merid. Antill.“] 
Cathartes aura (nee Linnaeus!) Spix, Av. Bras. I (1824) p- 2 [ohne Fundort.] 

Ein Exemplar von Spixscher Präparation mit der Bezeichnung: „Cathartes foetens Ill. Brasilien“. 

NB. Bartram kann nicht als Autor des Speziesnamens unserer Art gelten, da sein Vultur 
atratus ohne Beschreibung veröffentlicht wurde. In der mir vorliegenden Dubliner Ausgabe der 
Travels Carol. ete. (1793) heißt es auf p. 285 bloß: „Vultur atratus; black vulture, or carrion 
erow*, — also ein pures nomen nudum! Die südamerikanischen Vögel scheinen stets etwas 
kleiner zu sein als solche aus dem Norden des Kontinents und mögen daher subspezifisch 
getrennt werden. Unbegreiflicherweise stellt Sharpe (Cat. Birds Brit. Mus. I p. 24) Vultur 
urubu Vieill. [Hist. nat. Ois. Amer. sept. I (Sept. 1807) p. 23 tab. 2] als Synonym zu (. atratus. 
Die Abbildung stellt indessen einen Vogel mit rotem Kopf dar und auch in der Beschreibung 
heißt es: „Un rouge sanguin colore la peau de la tete et du cou“. Es ist klar, daß sich 
Text und Tafel nur auf Cathartes aura beziehen können. 


Cathartes ruficollis Spix = C. aura (L.)? 


Cathartes ruficollis Spix, Av. Bras. I (1824) p. 2 („Bahia et Piauhy.“) 

Spix’ Typus ist nicht mehr in der Sammlung, ich muß daher die schon von Sharpe (Cat. 
B. I p. 26 f.) aufgeworfene Frage, ob die Vögel des östlichen Brasiliens zu CO. aura oder 
©. pernigra gehören, unentschieden lassen. 

Spix beschreibt die Färbung von Kopf und Hals als rot und nennt die Schäfte der 
Schwingen „rufus“ bezw. „ferrugineus*. Dies spricht beides für die Identität mit 0. aura. 
Die Untersuchung einer Serie aus O. Brazil kann nur die Sache entscheiden. 

Sharpe (l. ce. p. 26) stellt als vermutliches Synonym zu C. pernigra mit ? auch C. aura 
Wied, Beitr. 3. I (1830) p. 64. Dies ist ein Irrtum; Wied beschreibt ganz deutlich ©. uru- 
butinga Pelz. „Kopf und Hals schön lebhaft orangefarben, Schwungfedern mit 
starken gelblichweißen Schäften.“ 


Polyborus vulgaris Spix = P. tharus (Molina) 


Falco tharus Molina, Saggio St. Nat. Chili (1790) p. 264 (Chili.) 
Polyborus vulgaris Spix, Av. Bras. I (1824) p. 3 („in campis Minas Geraös.) 
Polyborus caracara Spix, 1. ce. tab. I? (juv.) 


568 


Wir besitzen ein altes Exemplar mit der Bezeichnung: „Polyborus brasiliensis L. Bra- 
silien Spix“, das sehr gut mit der Spix’schen Beschreibung übereinstimmt, mithin eines der 
aus Minas Geraös mitgebrachten Exemplare ist. Es ist ein alter Vogel mit breiter schwarz- 
brauner und rahmgelber Querbänderung auf der Brust, schmutzigweiß und dunkelbraun gebän- 
dertem Hinterrücken und Oberschwanzdecken ete. etc. Die Tafel I® in Spix’ Werk scheint einen 
jungen Vogel dieser Art darzustellen, 

Außerdem besitzen wir ein Exemplar von P. cheriway (Jacqu.) mit der Aufschrift: 
„Polyborus brasiliensis L. Brasilien. Spix.“ Verglichen mit dem oben besprochenen Stücke 
unterscheidet es sich von ihm durch entschieden mehr schwarzbraune Grundfarbe des Rückens 
und der Flügel, schwarzbraunen Hinterrücken (ohne jede helle Querbänderung) und ein- 
farbig rahmgelbe Oberschwanzdecken. Obwohl Spix die beiden letzteren Abweichungen nicht 
erwähnt, scheint es doch eines der Exemplare „in capitania Piauhy occisa“ zu sein, auf welche 
sich der Autor mit den Worten: „alis magis fuscescentibus“ bezieht. Schon Chapman wies 
P. cheriway für Brasilien nach, indem er ein von Riker bei Santarem gesammeltes Exemplar 
erwähnt (Auk VIII 1891 p. 161.) 


Urubitinga urubitinga (Gm.) 
Falco urubitinga Gmelin, Syst. nat. 1 I (1788) p. 265 (ex Brisson. — ex Maregrave. p. 214. — 
Brasil. orient.) 
Agqwila urubitinga Spix, Av. Bras. I (1824) p. 4. tab. IP („in sylvis Bahiae, Parae.“) 


Ein ganz alter Vogel mit der Bezeichnung: „Morphnus Urubitinga L. adult. Brasilien. 
Spix“, sehr gut der Beschreibung bei Spix entsprechend. 


Aquila pieta Spix = Urubitinga urubitinga (Gm.) juv. 
Aquwila pieta Spix, Av. Bras. I (1824) p. 5 tab. IC („in insula Marajo.“) 

Ein Exemplar unter der Benennung: „Morphnus Urubitinga L. Aguwia picta Sp. juv. 
Brasilien. Spix“, das recht gut zur Beschreibung, weniger zur Abbildung paßt, welche auf 
Halsseiten und Flügeldecken zu viel von rötlicher Färbung aufweist. Die Oberschwanzdecken 
sind in der Mitte noch schwarzbraun, tragen aber bereits sehr breite, weiße Säume. Übrigens 
stimmt das Stück recht gut mit einem anderen jungen Vogel der Münchener Sammlung überein. 


Aquila milvoides Spix — Busarellus nigricollis (Lath.) 
Falco nigricollis Latham, Ind. orn. I (1790) p. 35 („Cayana.“) 
Agwila milvoides Spix, Av. Bras. I (1824) p. 5, tab. 14 („in sylvis fluminis Amazonum.“) 


Ein altes Exemplar mit der Bezeichnung: „Ichthyoborus Busarellus Daud. — milvoides Sp. 
Brasilien Spix.“ Es stimmt vollständig mit Beschreibung und Abbildung überein und unter- 
scheidet sich in nichts von einem angeblich aus Surinam stammenden Vogel. 


Aquila buson Spix — Heterospizias meridionalis (Lath.) 
Falco meridionalis Latham, Ind. orn. I (1790) p. 36 („Cayana.“) 
Aquila buson „Lath.“ Spix, Av. Bras. I (1824) p. 6 („ad flumen Amazonum.“) 


Der Typus ist leider nicht mehr in der Sammlung aufzufinden. Wie bereits Berlepsch 
und Hartert (Nov. Zool. X 1902 p. 113) bemerken, ist Lathams Beschreibung sehr undeutlich 
und verworren und keineswegs mit Sicherheit auf unsere Art anwendbar. Vielleicht wäre es 
besser, die Bezeichnung Circus rufulus Vieillot (ex Azara no. 11) anzunehmen, die sich sicher 
auf den jungen Vogel des Heterospizias meridionalis auet. bezieht. 


Rosthramus leucopygus (Spix) 


Cymindes leucopygus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 7, tab. II („ad flumen Amazonum.“) 


Kein Spixsches Exemplar in der Sammlung. Die Typen befinden sich im Leydener 
Museum (efr. Schlegel, Mus. Pays-Bas II. Polybori pag. 8). 


569 


Die Rosthramus-Arten sind noch sehr unklar und bedürfen eingehenden Studiums an der 
Hand großer Serien. Jedenfalls steht fest, daß es zwei gesonderte Arten gibt: 

1. eine mit ganz schiefergrauem Gefieder ohne Weiß an Schwanz und Schwanzdecken und 
wit sehr kurzem Schwanz; 

2. eine ’andere mit viel längerem Schwanze, der an der Basis stets in großer Ausdehnung 
weiß gefärbt ist und an der Spitze einen bräunlichen oder weißlichen Saum trägt. Ober- und 
Unterschwanzdecken weiß. Gefieder dunkler, schwärzlichgrau oder schwärzlich. 

Nr. 1 muß wohl sicher R. hamatus (Temm.) genannt werden. Denn, obgleich Temminck 
(im Text zu tab. 61) sagt: „les remiges sont noires, mais la base de la queue et les couvertures 
de dessous sont blanches* unterliegt es nach der Abbildung und den Bemerkungen Schlegels 
über den Typus (Mus. Pays-Bas II. Polybori p. 7 „plumage couleur de schiste uniforme*) keinem 
Zweifel, dass ihm ein einfarbig grauer Vogel mit kurzem Schwanz vorgelegen hatte. Das 
Münchener Museum besitzt aus der herzoglichen Leuchtenbergschen Sammlung ein 5 ad. aus 
Brasilien, das in der Tat so gefärbt ist. Das Gefieder zeigt nirgends eine Spur von Weiß und 
ist gleichfärbig hell Kerl nur der Schwanz und die Sußeren Handschwingen sind dunkler, 
schwärzlich. Der Schwanz mißt bloß 140 mm. Auch Sharpe (Cat. B. Ip. 327) gibt für einen 
Vogel des Leydener Museums (vermutlich Temmincks Typus) ganz übereinstimmende Schwanz- 
länge an, seine Beschreibung stimmt gleichfalls völlig auf das Münchener Stück. 

Ein mir vorliegender junger Vogel des R. leucopygus, bei dem die Ober- und Unter- 
schwanzdecken sowie die Basishälfte des Schwanzes weiß und ein endständiges Querband hell- 
bräunlich gefärbt sind, hat viel längeren Schwanz: 205 mm. Sharpe (l. e. p. 328) gibt für diese 
Form eine Schwanzlänge von 8 inches (etwa —= 205 mm) an. Die Beschreibung von C©. leuco- 
pygus Spix bezieht sich ohne jeglichen Zweifel auf die in Rede stehende Form, wie aus Schlegels 
Bemerkungen über die Typen (Mus. Pays-Bas II. Polybori p. 7) deutlich erhellt. Das von Spix 
abgebildete Stück scheint ein ganz alter Vogel zu sein, bei dem auch das endständige Band 
auf den Steuerfedern reinweiß ist. 

R. taeniurus Cab. steht wohl dem R. hamatus äußerst nahe und hat wie dieser kein Weiß 
im Gefieder, das „entschiedener grau“ gefärbt als bei AR. kamatus Cab. nec Temm. (= leuco- 
pygus), unterscheidet sich aber durch 3—4 weiße Querbinden auf dem Schwanze. Mir ist ein 
Vogel dieser Art bisher nicht vorgekommen und ich kann daher kein endgültiges Urteil abgeben. 

Herpetotheres sociabilis Vieill.. den Sharpe auf die graue Art mit kurzem Schwanze 
(R. hamatus Temm.), Salvin (Biol. III p. 99) auf R. leucopygus gedeutet hat, beruht auf Azaras 
ng. 16, der leider bloß den jungen Vogel beschreibt. Ehe nicht alte Vögel von Corrientes 
vorliegen, wird es daher nicht möglich sein zu entscheiden, für welche der beiden Arten 
Vieillots Bezeichnung zu gelten hat.!) 


Harpyia braccata Spix = Spizaetus tyrannus (Wied) 


Falco tyrannus Wied, Reise Brasil. I (1820) p. 360 (Quartel dos Arcos am Rio Belmonte, Bahia.) 
Harpyia braccata Spix, Av. Bras. I (1824) p. 7, tab. III („in St. Paolo.*) 

Das Spix’sche Original ist nicht mehr in der Sammlung; es wurde ohne Zweifel wegen 
schlechten Erhaltungszustandes vernichtet. Im Katalog der Vogelsammlung finde ich von Siebolds 
Hand die Notiz: „Das Exemplar von Spix ist zerfallen.“ Die Abbildung stellt einen ziemlich 
ausgefärbten Vogel dar. 

Spizaötus ornatus (Daud.) 
Falco ornatus Daudin, Trait& d’Orn. II (1800) p. 77 (ex Levaillant. — Cayenne.) 
Harpyia ornata Spix, Av. Bras. I (1824) p. 8 („ad flumen Amazonum.“) 

Kein Spix’sches Exemplar im Münchener Museum. Bereits Berlepsch und Hartert (Nov. 
Zool. IX 1902 p. 114) führten aus, daß der von Sharpe verwendete Name Mauduiti Daud. 
kaum auf unsere Art bezogen werden kann. 


1) Seither untersuchte ich im Pariser Museum einen alten Vogel aus Corrientes (coll. D’Orbigny), 
der zur langschwänzigen Art mit weißen Schwanzdecken gehört. Der oben gebrauchte Name KR. leuco- 
pygus (Spix) hat somit der älteren Bezeichnung Vieillot’s” zu weichen, und die richtige Benennung ist 
Rosthramus sociabilis (Vieill.) 


Abh.d.II.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXI. Bd. III. Abt. 74 


570 


Herpetotheres cachinnans (Linn.) 


Falco cachinnans Linnaeus, Syst. nat. X (1758) p. 90 („in America meridionali,.“ — Wir 
ergänzen als terra typica Cayenne.) 

Astur cachinnans Spix, Av. Bras. I (1824) p. 8 tab. III® („in sylvis campestribus Bahiae, Minas 
Geraös et Parae.“) 

Zwei Exemplare mit der Aufschrift: „Oircaötus cachinnans L. Brasilien. Spix.“ Nr. 1 ist 
ein alter Vogel und paßt recht gut zur Abbildung. Nr. 2 ist offenbar das angebliche Weibchen 
mit schmaleren, schwarzbraunen Kopfstreifen und rostfarbigen Säumen auf den Flügeldecken und 
Schwingen. 


Micrastur semitorquatus (Viell.) 


Sparvius semitorquatus Vieillot, Nouv. Diet. X (1817) p. 322 (ex Azara no. 29 — Paraguay) 
(av. juv.) 

Sparvius melanoleucus Viellot, 1. c. p. 327 (ex Azara no. 28) (ad.) (nec Sp. melanoleucus Vieillot, 
ze pslol) 

Falco u e. Temminck, Pl. col. livr. 39 (Oct. 1823) tab. 116. 

Astur brachypterus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 9 („in sylvis campestribus Bahiae.“) 

Ein alter Vogel mit der Aufschrift: Micrastur brachypterus Tem. Brasilien. Spix,“ der 
sehr gut zur Beschreibung von Azaras no. 28 paßt. 

Diese Art kann nicht M. melanoleucus Vieill. genannt werden, wie Ridgway und Sharpe 
(Biologia III p. 107) vorschlagen, da Sparvius melanoleucus Vieill p. 327 durch S. melanoleucus 
Vieill. p. 319 vorweggenommen ist! 

Paraguay-Vögel konnten nicht verglichen werden. 


Gymnops fasciatus Spix = Ibycter ater (Vieill.) juv. 


Gymnops fasciatus Spix, Av. Brasil. I (1824) p. 10, tab. IX („prope ripam flum. Jurud.“) 
Ibyeter faseiatus v. Ihering, Rev. Mus. Paul. VI (1905) p. 450 (Rio Juruä. — Ö jur.) 

Der Typus ist leider nicht mehr in der Sammlung des Münchener Museums aufzufinden. 
Die Art ist bisher nicht klar gestellt, auch Sharpe war zweifelhaft und sagt (Cat. Birds Brit. 
Mus. I p. 34): „Unrecognized since Spix’s time. If distinet, it must be closely allied to 7. ater, 
but has the base of the tail much more extensively white with broad black bars.“ 

Es scheint mir indessen nicht zweifehaft, daß es sich um Jugendstadium von 7. ater 
handelt. Spix’ Original war zweifellos ein junger Vogel; dies geht aus den Worten: „plumis 
abdominis femorumque apice fulvo marginatis“ hervor. Der einzige Unterschied besteht darin, 
daß die beiden basalen Drittel des Schwanzes breit weiß und schwarz gebändert sind, während 
I. ater nur ein schmales, einfarbig weißes Band an der Schwanzwurzel besitzt. Nun führt 
Ihering (l. e.) ein „ö juv.“* vom Rio Juruä unter der Benennung I. fasciatus auf und bemerkt, 
daß dieses Exemplar mit Spixens Beschreibung übereinstimme. Nur seien bloß vier dunkle 
Sehwanzbinden vorhanden, während Spix deren fünf angibt. Schlegel (Mus. Pays-Bas. Polybori 
p. 7) sagt: „Dans les jeunes, le blane oceupe les deux premiers tiers de la queue et il est 
interrompu par six bandes noires“ und zählt hierauf als no. 2 von Ibicter ater ein „Individu 
ayant le blanc de la queue avec des bandes noires: (ayenne“ auf. 

Nach dem Gesagten kann es wohl nicht ferner zweifelhaft sein, daß @. fasciatus die 
Jugendform von I. ater bezeichnet. 


Gymnops strigilatus Spix — Milvago chimachima (Vieill.) juv. 
Polyborus chimachima Vieillot, Nouv. Diet. V (1816) p. 259 (ex Azara no. 6. — Paraguay.) 
Gymnops strigilatus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 10, tab. IV® („in sylvis ripariis fluminis Xingu.*) 
Ein Exemplar mit der Bezettelung: „Milvago ochrocephalus Sp. G@ymnops strigilatus Sp. Q- 


Brasilien. Spix,“* das recht gut der Beschreibung und Abbildung bei Spix entspricht und mit 
einem von Herzog von Leuchtenberg bei Rio erlegten jungen Vogel nahezu völlig identisch ist. 


571 


Ibycter ater (Vieill.) 


Daptrius ater Vieillot, Analyse pp. 22, 68 (1816) („Bresil.“ — wir ersetzen diese Angabe durch 
Cayenne, efr. Nov. Zool. IX (1902) p. 111.) 


Gymmops aterrimus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 11 („ad ripas fl. Amazonum.“) 


Ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Ibycter aterrimus Tem. Brasilien. Spix.“ 


Ibycter americanus (Bodd.) 


Fulco americanus Boddaert, Tabl. P]. col. (1783) p. 25 (ex Daubenton, Pl. 417. — Cayenne.) 
Falco aquilinus Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788) p. 280 (begründet auf demselben.) 
Gymnops aquilinus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 11 („in provincia Piauhy.“) 

Drei Exemplare mit der Aufschrift: „Ibyeter aquilinus L. Brasilien. Spix.“ 


Milvago ochrocephalus Spix = Milvago chimachima (Vieill.) 


Polyborus chimachima Vieillot, Nouv. Diet. V (1816) p. 259 (ex Azara no. 6 — Paraguay.) 
Falco degener Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823) p. 61 („Parä, San Paulo.“) 
Milvago ochrocephalus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 12, tab. V („in capitania St. Pauli.“) 


Ein altes Exemplar mit der Bezeichnung: „Milvago ochrocephalus Sp. — Chimachima 
Vieil. 6 Brasilien. Spix,“ das sehr gut der Beschreibung und Abbildung bei Spix entspricht. 

Ein topotypisches © aus Bernaleue, Paraguay (Mus. Monac.) unterscheidet sich von ihm 
durch 1. tiefer schwärzlichbraune Färbung des Rückens und der Flügeldecken, 2. längeren 
und tieferschwarzen Brauenstreifen und 3. reinweiße Färbung von Stirnrand, Backen-, Wangen- 
und Ohrgegend und Kinn, welche von dem Öckergelb der Halsseiten und der Unterseite deutlich 
absticht, während beim Spix’schen Vogel alle diese Teile gleich der Unterseite und dem Kopfe 
lebhaft rahmgelb sind. Ich kann nicht mit Sicherheit angeben, ob diese kleinen Unterschiede 
konstant sind, um so mehr als der Paraguay-Vogel nicht ganz ausgefärbt ist und auf dem Ober- 
kopf und Nacken noch Reste des Jugendkleides in Form dunkelbrauner Längsstreifen aufweist. 
Sollte die brasilianische Form konstant verschieden sein, so müßte sie Lichtensteins Namen 
degener tragen, der sich auf Vögel von Parä und S. Paulo gründet. 

O fere ad. Paraguay: al. 287, c. 197 mm 

ö ex 8. Paulo, Typus 

von M. ochrocephalus Spix: al. 274, ec. 180 mm. 


Ictinia plumbea (Gm.) 


Falco plumbeus Gmelin, Syst. nat. 1. I (1758) p. 283 (ex Latham — Cayenne. — coll. Miß 
Blomefield.) 

Falco plumbeus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 12, tab. VIII® („in campis montosis provinciae Rio 
de Janeiro, Piauhy ete.“) 


Ein Exemplar mit der Bezeichnung: Ictinia plumbea L. Brasilien. Spix.“ 


Leptodon cayennensis (Gm.) 


Falco cayenmensis Gmelin, Syst. nat. 1. I (1758) p. 263 (ex Latham. — Cayenne. — coll. Mib 
Blomefield.) 

Falco cayennensis Spix, Av. Bras. I (1824) p. 13 (9) (in campis Bahiae.*) 

Astur cayennensis Spix, 1. c. tab. VIII® („foem.“) 

Wir besitzen noch zwei Exemplare mit der Aufschrift: „Cymindis cayanensis L. Brasilien. 
Spix.“ Nr. 1 ist ein alter Vogel und entspricht der Beschreibung und Abbildung des „Q*. 
Das angebliche „ö“ ist ein jüngerer Vogel mit weißlichem Nackenbande. 

74* 


or 
1 
[66} 


Bidens rufiventer Spix — ad. | ID. L 
; 3 th. 
Bilde rsalbiveonternäpi u en DD EnEu 


Falco bidentatus Latham, Ind. orn. I (1790) p. 38 („Cayana.‘) 
Bidens rufiventer Spix, Av. Bras. I (1824) p. 14, tab. VI („ad flumen Amazonum.“) 
Bidens albiventer 1. e. p. 14, tab. VII („ad A Amazonum.“) 

Die Münchener Sammlung besitzt nur mehr ein altes Männchen mit der Bezeichnung: 
„Harpagus bidentatus Lath. Bidens rufiventer Sp. 6 Brasilien. Spice“, das mit der Beschreibung 
und Abbildung von Bidens rufiventer Sp. vollkommen übereinstimmt und zweifellos eines der 
Originale darstellt. Topotypische Cayenne-Bälge liegen mir leider nicht zum Vergleich vor. 

Der von Spix als B. albiventer beschriebene und abgebildete Vogel, der sich leider nicht 
mehr im Museum vorfindet, stellt wohl zweifellos das Jugendkleid dar (vgl. Temminck, Pl. col. 
Text zu tab. 38 und Prinz Wied, Beitr. Natg. Brasil. 3. I p. 132 ff.) 

H. bidentatus dokumentiert as: durch die übereinstimmende Schnabelbildung und Tarsen- 
bekleidung auch durch das Vorhandensein der weißen Flecken auf Rücken, Flügeldecken ete. 
seine nahe Verwandtschaft zu H. diodon. 


Bidens cinerascens Spix —= Harpagus diodon (Temm.) 


Falco diodon Temminck, Pl. eol. livr. 33 (Apr. 1823) tab. 198 („Bresil, d’oü elle a et& rapportee 
par le prince de Neuwied ....“) 

Bidens cinerascens (femoralis) Spix, Av. Bras. I (1824) p. 15 („Minas Geraös et Rio de Janeiro.“) 

Bidens femoralis 1. e. tab. VIII. 

Ein alter Vogel mit der Aufschrift: Harpagus diodon Tem. Bidens femoralis Sp. 6 Bra- 
silien. Spix“, gut übereinstimmend mit Abbildung und Beschreibung. 

H. diodon zeigt in der Färbung auffallende Übereinstimmung mit Aceipiter pileatus (Temm.) 
und unterscheidet sich fast nur durch weiße, von einem schwärzlichen Medianstreifen geteilte 
Kehle (bei A. pileatus einfarbig aschgrau, kaum heller als die übrige Unterseite), die weißen 
Flecken auf den verdeekten Teilen der Rückenfedern, Flügeldecken und Tertiären (welche 
4A. pileatus völlig fehlen) und durch das Fehlen der sehwarzbraunen Schaftstriche auf Vorder- 
hals und Brust. In der Struktur sind die zwei Arten natürlich sofort zu unterscheiden: 
H. diodon hat am Öberschnabel vor der Spitze zwei deutliche zahnartige Ausbuchtungen, 
welche A. pileatus gänzlich mangeln, und. die Vorderseite der Tarsen mit scharf abgesetzten 
Tafeln bedeckt, welche bei der anderen Art kaum angedeutet sind. 


Tinnunculus sparverius australis (Ridgw.) 


[Falco sparverius Linnaeus Syst. nat. X (1758) p. 90 (ex Catesby. — Virginia, Carolina.)] 

Falco sparverius, var. australis Ridgway, Hist. N. Amer. Birds III(1875)p.166 (Paranä. — Capt. Page). 

Bidens sparverius + B. dominicensis Spix, Av. Bras. I (1824) p. 16 („in campis Minas Geraös.) 
Kein Spix’sches Exemplar mehr in der Sammlung. 


Hypotriorchis rufigularis (Daud.) 


Falco rufigularis Daudin, Traite d’Orn. II (1800) p. 131 (ex Latham. — Cayenne.) 
Bidens aurantius Spix, Av. Bras. I (1824) p. 17 („ad flumen Negro.“) 
Ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Aypotriorchis rufigularis Daud. Brasilien,“ das nach 
Präparationsweise von Spixens Reise stammt und mit seiner Beschreibung recht gut übereinstimmt. 
Über die Benennung dieser Art vgl. Nov. Zool. IX (1902) p. 115. 


Falco insectivorus Spix = Rupornis magnirostris magnirostris (Gm.) 


Falco magnirostris Gmelin, Syst. nat. 1.1(1788) p. 282 (ex Daubenton P!. col. 464. — „Ouyenna.“) 
Falco insectivorus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 17, tab. VIII? („in sylvis provinciae Rio de Janeiro 
(errore!) et Parae.“) 
I) Es läßt sich wohl nicht feststellen, ob Harpagus (Vigors, Zool. Journ. I (Okt. 1824) p. 338) oder 
Bidens (Spix, Av. Bras. I (1824) p. 14) zuerst publiziert worden ist. Ersterer Name wurde bisher allgemein 
angenommen, weshalb auch ich ik hier beibehalten habe. 


573 


Spix führt ausdrücklich nur ein Exemplar auf. Wir besitzen einen ziemlich alten Vogel 
mit der Bezeichnung: „Astur Nattereri Sel. — insectivorus Sp. Brasilien. Spix“, der sehr gut 
der Beschreibung und Abbildung entspricht. Er gehört aber nicht zu R. m. nattereri, wie 
v. Siebold glaubte, sondern zur typischen R. magnirostris, und unterscheidet sich von einem 
alten Vogel der ersteren Form aus Rio (coll. Sturm) in folgenden Punkten: Die Vorderbrust 
ist in der Hauptsache schmutziggrau mit nur ganz schwachem, hellrostbräunlichem Anfluge (anstatt 
lebhaft hell rostfarbig). Die Querbinden des Unterkörpers und der Hosen sind viel weniger rost- 
rötlich und von schmalen, braunen Rändern eingefaßt. Bei beiden sind die hellen Schwanz- 
binden rein bräunlichgrau; der Rücken erscheint bei dem Spix’schen Vogel entschieden heller und 
mehr graubraun als bei den mir vorliegenden Stücken von R. m. nattereri. 

Ein Q ad. und ein Ö jr. von Bernaleue, Paraguay (Mus. Monae.) unterscheiden sich von 
den eben besprochenen Vögeln durch wesentlich bedeutendere Größe und einfarbig dunkelbraune 
Oberseite (merklich dunkler als beim 5 R. m. nattereri aus Rio und einem ö jr. aus Ypanema, 
S. Paulo). Die Vorderbrust (beim 0) ist fast so lebhaft rostfarben wie beim Rio-Vogel und 
die Querbinden auf Bauch und Hosen sind ebenso lebhaft roströtlich wie bei diesem. Die hellen 
Schwanzbinden sind ferner beim © lebhaft hellrostrot, nur am Rande und auf dem mittelsten 
Paare etwas trübgraulich vermischt; das Rostrot an der Basis der Handscehwingen ist entschieden 
heller als bei den Rio- und 8. Paulo-Stücken. Das junge ö aus Paraguay, welches noch schwarz- 
braune Schaftflecken auf der Vorderbrust trägt, ist viel kleiner, aber ebenso dunkelbraun ober- 
seits, die Färbung an der Basis der Handschwingen noch heller, mehr ockerrostgelb, aber die 
die Schwanzbinden sind in der Hauptsache noch trübgraubraun, wenngleich an den Rändern 
schon stark rostfarbig überlaufen. (Vgl. Berlepschs wertvolle Bemerkungen im J. f. Ornith. 
1887 p. 28; Zeitschr. ges. Ornith. II (1885) p. 72.) Meine Paraguay-Vögel scheinen am besten 
zu R. m. pucherani (Verr.) zu passen. 

Um auf das Spix’sche Original von F. insectivorus zurückzukommen, so unterliegt es nach 
dem Gesagten keinem Zweifel, daß es zu AR. magnirostris gezogen werden muß. Von den 
Spix’schen Fundorten Rio de Janeiro und Pard kann nur der letztere in Frage kommen, wo 
sowohl Wallace (Mexiana Insel) als Natterer (bei Cajütuba) Stücke gesammelt haben. Bei Rio 
de Janeiro kommt R. m. nattereri vor. Was Spix F. magnirostris nennt, sind nichts anderes 
als junge Vögel von R. m. naltereri, wie weiter unten gezeigt wird. Jedenfalls bezieht sich 
die Angabe „Rio de Janeiro“ auf die folgende Form, vielleicht hat sie Spix zuerst hier beob- 
achtet und glaubte sie dann in dem bei Parä erlegten Vogel wieder zu erkennen. 

Typus von F. insectivorus Sp.: a. 208, c. 150, rostr. 27 mm. 

R. m. nattereri ad. Sturm coll. Rio: a. 236, ec. 165 mm. 


Rupornis magnirostris nattereri (Sel. und Salv.) 
Asturina nattereri Selater und Salvin, Proe. zool. Soe. 1869 p. 132 [Ost-Brazil: Typus nicht 
angegeben, wir ergänzen Bahia (Wucherer)]. 

Falco magnirostris Spix (nee Gmelin), Av. Bras. I (1824) p. 18 („in provincia Piauhy, Bahia ete.“) 

Ein junger Vogel mit der Aufschrift: „Astur Nattereri Sel. — insectivorus Sp. Brasilien. 
Spix“ in der Sammlung, der in jeder Hinsicht mit der Kennzeichnung von Falco magnirostris 
bei Spix übereinstimmt und ohne Zweifel eines der Originale ist. Der Vogel ist absolut identisch 
mit einem ö juv., von Natterer bei Ypanema, $. Paulo 7. März 1819, gesammelt. 


Hypotriorchis fusco-caerulescens (Vieill.) 


Falco fusco-caerulescens Vieillot, Nouv. Diet. XI (1817) p. 90 (ex Azara no. 40. — Paraguay.) 
Falco femoralis Spix, Av. Bras. I (1824) p. 18 („ad flumen Amazonum.*) 
Kein Spix’sches Stück in der Münchener Sammlung. 


Micrastur ruficollis (Vieill.) 


Sparvius ruficollis Vieillot, Nouv. Diet. X (1817) p. 322 („Amerique meridionale.* — „rapporte 
de Lisbonne par M. Geoffroy Saint-Hilaire pere, en 1808. — cfr. Pucheran, Rev. 
Zoo]. 1850 p. 91. — Wir ergänzen als terra typica Brazil.) 


974 


Falco xzanthothorax Temminck, Pl. col. livr. 16 (Nov. 1821) tab. 92 („Guyane et Bresil.*) 
Falco xanthothorax Spix, Av. Bras. I (1824) p. 19 („in provineia Rio de Janeiro.“) 
Ein Exemplar, anscheinend ein alter Vogel mit der Bezeichnung: Mierastur xanthothoraz 


Tem. Brasilien. Spix.* 
Asturina nitida (Lath.) 


Falco nitidus Latham, Ind. orn. I (1790) p. 41 („Cayana.“) 
Falco nitidus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 19 („in insula Marajo.“) 


Kein Spix’sches Exemplar in der Sammlung. 


Strix longirostris Spix = Otus clamator (Vieill.) 


Bubo clamator Vieillot, Ois. Amer. sept. I (1807) p. 52 tab. 20 („depuis Caienne jusqg’a la baie 
d’Hudson.* — Wir acceptieren Cayenne als terra typica.) 

Strix longirostris Spix, Av. Bras. I (1824) p. 20, tab. IX? („in campis interioris Bahiae.“) 

Asio mexicanus auct. 

Ein Exemplar mit der Aufschrift: Otus longirostris Sp. — mexicanus Gm. Brasilien. Spix*, 
das sehr gut mit Spixens Abbildung und Beschreibung übereinstimmt. Es paßt ferner sehr gut 
zu einem Vogel aus Rio in der Leuchtenbergschen Sammlung (Mus. Monae.), hat nur mehr 
Rostbraun unterhalb des Auges. 

Ob die Vögel von Paraguay (Strix maculata Vieillot, Nouv. Diet. VII (1817) p. 45 ex 
Azara Nr. 44) mit denen aus Brasilien oder der größeren Form 0. c. midas Schleg. (type ex 
Montevideo) übereinstimmen, kann ich nicht entscheiden. 

Strix mexicana Gm., allgemein für die Art angenommen, beruht in letzter Instanz auf 
Hernandez’ „Tecolotl“, der sich wohl eher auf Asio (olim Bubo) virginianus bezieht, und kann 
daher nicht acceptiert werden (vgl. auch P. Z. 8. 1892 p. 387). 


Speotyto cunicularia grallaria (Temm.) 


[Strix cunicularia Molina, Saggio St. Nat. Chili (1790) p. 343 (Chili.)] 
Strix grallaria Temminck, Pl. col. livr. 25 (Aug. 1822) tab. 146 („Bresil.“) 


Strix grallaria Spix, Av. Bras. I (1824) p. 21 („in campis .... Minas Geraös et Parae.“) 
Ein nach der Präparation zweifellos. von Spix’ Reise herrührender Vogel mit der Be- 
zeichnung: „Athene grallaria Tem. — cunicularia L. (!) Brasilien.“ Er stimmt in der Färbung 


am besten mit einem Vogel vom Rio Verde (coll. Natterer) überein, nur sind die weißen 
Flecken an den Brustseiten etwas schärfer markiert [dies möchte zum Teil durch die Präparation 
hervorgerufen sein, da das Stück sehr in die Länge gezogen ist]. Die hellen Flecken an der 
Basis der Außenfahne der ersten. Schwinge sind noch scharf getrennt, während sie bei dem 
Rio-Verde-Vogel zusammenfließen. ‘In dieser Hinsicht stimmt das Spix’sche Stück mit zwei 
Vögeln von Ypiranga, $S. Paulo (Mus. H. v. B.) überein. Die Oberseite ist ganz so gefärbt 
wie bei einem O von Ypiranga, nur der Scheitel weniger gefleckt, worin es mit dem ö vom 
Rio Verde übereinkommt. Die Binden der mittleren Schwanzfedern weiß ohne röstlichen Anflug, 
ziemlich schmal und regelmäßig, die Form wie beim ö& von Ypiranga; Tarsen sehr schwach 
befiedert, aber nicht so schwach wie bei einem O von Ypiranga. Das ö von demselben Fund- 
orte hat dagegen viel dichtere Tarsenbefiederung. 


al. cand. rostr. 
1. ad. Mus. Monac. Brazil (Spix leg.) 175112, 761, 181mm 
2. ©, Curytiba, Paranä (Natterer) . Be WB lu ie 
8:u0,,, Bio. Vierde,„barana ı gas SEAL. BAU Tl 
4.290, 2 Ypirauga,uS...Baulo 27°. 73% 174, 73, 184 =7 
5.0, Ypiranga,.S. Bauloiy\ zittseher 175, TA BAD 


Vögel von Chili ($. cunicularia) unterscheiden sich durch etwas dunkler braune Oberseite 
und entschieden dunklere, mehr schwärzlichbraune (weniger röstliche) Querbinden auf der 
Unterseite. 


875 


ale cand. rostr. 
om Benaflor,; Chiliz... 4. aA y.Mies ur: 186, 90, 19 mm 
2. ©, S. Alfonso, dept. Quillota . . 180, 87, 171/, mm 


Vögel aus Venezuela stimmen in der Färbung mit S$. c. grallaria aus Brazil überein, 
sind aber viel kleiner und müssen daher wohl auch getrennt werden. Nach Berlepsch und 
und Hartert (Nov. Zool. IX 1902 p. 116) gehören sie zur selben Form wie die auf der 
Margarita-Insel heimische Subspezies und ihr Name ist somit Speotyto cunicularia brachyptera 
Richm. (typus ex Margarita Island, Venezuela). 

1. Mus. H. v. B. ad. Maturin, 
N. O. Venezuela a. 161, e. 70, r. 18 mm. 


Strix crucigera Spix — Pisorhina choliba erucigera (Spix.) 


[Strix choliba Vieillot, Nouv. Diet. VII (1817) p. 39 (ex Azara no. 48. — Paraguay.)] 
Strie crucigera Spix, Av. Bras. I (1824) p. 22, tab. IX („juxta /lumen Amazonum.“) 
Pisorhina choliba (? subsp.) Berlepsch und Hartert, Nov. Zool. IX (1902) p. 116 (Orinoco.) 


Ein alter Vogel mit der Aufschrift: „Scops brasiliensis Gm. adult. Strie crucigera Spix. 
Brasilien. Spice“, stimmt mit zwei alten Stücken vom Orinoco (Quiribana de Caicara und 
Angostura) im Mus. H. v. B. in jeder Hinsicht vollständig überein, unterscheidet sich nur 
durch einfarbig rahmgelbe Unterflügeldecken, welche bei jenen feine, aber deutliche schwärz- 
liche Querlinien zeigen. Die Unterseite ist bei allen dreien sehr hell, graulichweiß, mit hier 
und da eingestreuten, hellrostgelben Federbüscheln, die schwarzbraunen Schaftstreifen sind, 
obwohl verhältnismäßig schmal, scharf markiert und von ihnen gehen schmale, regelmäßige 
schwärzliche Seitenäste aus. Die Oberseite ist beim Typus und dem Vogel aus Angostura ganz 
gleich gefärbt: hell röstlichgrau, das 5 aus Quiribana de Caicara (am Oberlauf des Orinoco) 
ist auf Scheitel und Vorderrücken etwas lebhafter röstlich überlaufen. Flügel und Schwanz 
sind bei allen drei Stücken nicht im geringsten verschieden, die seitlichen Schulterfedern tragen 
große weiße Flecken auf der Außenfahne. Der weiße Supereiliarstreif ist sehr breit. 

Die typische P. choliba aus Paraguay, Rio grande do Sul und 8. Paulo weicht durch 
wesentlich breitere, schwärzliche Zeichnung (besonders die Seitenäste!) der Unterseite und viel 
mehr röstliche Oberseite ab. 


P. choliba choliba (Vieill.) 


al. cand. rostr. 
1. ad. Bernaleue, Paraguay . NEBEN EIN 20756215: 92, 21! mm 
2. „ö“ Taquara, Rio grande do Sul. ehe a al 100, 22 „ 
3. ‚94 Tiete, 8. Paulo. . sr 169N Or, 
4.9 “ Franca, Nordöstl. 8. Banlo (Güekaroie Phase) 165, Io, a 2 

P. choliba crucigera (Spix.) 
MunAmdzonenstrom:® Spix’ Typus . u. zwingen 164, 95, 21! mm 
2. „ö“ ad. „Quiribana de Caicara,“ am oberen 
ORITOCON (CHerrieyun) ENTF EIERN INE E62 sauer 21, 

Bad. AngosturayiOrinoee 1m ER 158, 85, 211% 


Strix undulata Spix — Pisorhina choliba decussata (Licht.) 


Strix decussata Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823 p. 59 (Bahia.) 
Striv undulata Spix, Av. Bras. I (1824) p. 23, tab. X („in campis .... Minas Geraös“) (juv.) 
Ein Vogel mit der Aufschrift: „Athene undulata Sp. Scops brasiliensis Gm. jwv. Brasilien. 
Spix“, der sehr gut der Beschreibung und Abbildung bei Spix entspricht. Es ist ein ganz 
junger Vogel augenscheinlich von der in Bahia vorkommenden M. c. decussata (Leht.) 
Diese Form unterscheidet sich von P. c. crucigera (Spix) durch den Mangel der rahm- 
rostgelben Federbüschel auf der Unterseite und durch breitere, schwarze Zeichnungen daselbst. 


(eb 
I 
joy} 


Strix albomarginata Spix —= Ciccaba!) huhula (Daud.) 


Striv huhula Daudin, Trait& d’orn. II (1800) p. 190 (ex Levaillant, Ois d’Afr. I tab. 41. — 
Cayenne.) 

Strix albomarginata Spix, Av. Bras. I (1824) p. 23, tab. X? („in sylvis provineiae Rio de Janeiro.“) 
Ein alter Vogel mit der Aufschrift: „Athene lineata Sp. Oiccaba albomarginata Wol. Sp. 

Brasilien. Spix,“ sehr gut zur Beschreibung und Abbildung passend. Obwohl mir Cayenne- 

Vögel nicht vorliegen, dürfte die südbrasilianische Form kaum von ihnen verschieden sein; 

jedenfalls ist der Spixsche Vogel, der aus Rio stammt, mit einem von Natterer bei Borba am 

unteren R. Madeira gesammelten Vogel identisch. 


Anodorhynchus maximiliani Spix = Anodorhynchus hyacinthinus (Lath.) 


Psittacus hyacinthinus Latham, Ind. om. I (1790) p. 84 (Mus. Parkinson. — hab. ign. — wir 
ergänzen „Brazil“) 

Anodorhynchus maximiliani Spix, Av. Bras. I (1824) p. 47 (zwischen p. 24 und 25!) tab. XI. 
(„in sylvis campestribus Provineiae Goyatazes prope pagum St. Mariae.“) 

Das Spixsche Original, das die Bezeichnung: „Ara hyacinthina Lath., — Maximiliani 
Spix. Brasilien. Spix“ trägt, stimmt in jeder Hinsicht vollkommen mit einem „Q, Rio das 
Flechas, 17. July 1823* (Natterer leg.) überein, ist nur bedeutend größer: al. 435 (satt 405), 
ce. 575 (statt 520) mm. Vermutlich ist es ein Ö. 

Note. Salvadori (Cat. Birds XX p. 147) sagt, er könne auf pag. 47 des Spix’schen Werkes 
das Genus Anodorhynchus nieht finden. Hier liegt ein merkwürdiger Irrtum vor. Band I des 
Spixschen Vogelwerkes enthält pag. 47 zweimal, zunächst an der richtigen Stelle, wo Trogon 
pavoninus und T. aurantius beschrieben werden, und dann ein zweitesmal zwischen pag. 24 
und 25!?) Und auf dieser Seite ist sowohl das Genus Anodorhynchus als auch die Art 
A. mazximiliani ausführlich beschrieben. Vermutlich hatte Spix im Ms. die Art vergessen und 
schob sie später während des Druckes ein. 


Arara hyacinthinus Spix = Cyanopsitta spixii (Wagl.) 


Arara hyacinthinus (nee Latham!) Spix, Av. Bras. I (1824) p. 25, tab. XXIII („Ara hyaein- 
thinus“) („prope Joazeiro in campis ripariis flum. St. Franeisci“) unde: 
Sittace Spixii Wagler, Monogr. Psitt. (1832) p. 675. 

Wir besitzen noch den Typus dieser seltenen Art, welche seit Spix nicht mehr gesammelt 
worden zu sein scheint. Er trägt die Bezeichnung: „Ara Spixii Wagl. — hyacinthina Sp. 
Brasilien. Spice“ und im Kataloge findet sich die besondere Bemerkung „Type.* Wenn ich 
nicht irre, ist Joazeiro am Rio 8. Francisco der einzige bekannte Fundort. 

Der Typus ist folgendermaßen gefärbt: Gefieder blau, Flügel etwas dunkler als der 
Rücken, letzterer sowie kleinere und mittlere Flügeldecken bei auffallendem Lichte deutlich 
grünlichblau, Hinterkopf und Nacken entschieden blasser, graulichblau; Stirn, Wangen und 
Ohrgegend in einen noch heller graulichen Ton mit nur ganz schwachem bläulichen Anflug 
übergehend. Kehle und Vorderbrust graulichblau, Brust und Bauch hellblau mit einem deut- 
lichen, grünlichen Ton. Innensaum der Schwingen, größere Unterflügeldecken und Steuerfedern 
auf der Unterseite schwärzlich. ‘Achselfedern und kleinere Unterflügeldecken blau. Schnabel 
schwarz, Endhälfte beider Mandibeln hornweißlich. 

Al. 262, c. 263, culm. 33 mm. 


Arara purpureo-dorsalis Spix = Ara maracana (Vieill.) 


Macrocercus maracana Vieillot, Nouv. Diet. II (1816) p. 260 [ex Azara no. 274. — Paraguay.] 
Arara purpureo-dorsalis Spix, Av. Bras. I (1824) p. 26, tab. XXIV [,in campis Bahiae.“] 


!). Ciecaba Wagler, Isis 1832 p. 1222 Type: Levaillants „Huhule.“ 
. 2) In der Kopie des Spixschen Werkes im Mus. H. v. B. dagegen folgen die beiden Seiten 47 
unmittelbar aufeinander an der richtigen Stelle. 


577 


Ein Exemplar, etiqg.: „Ara Illigeri Kuhl. — purpureo-dorsalis .Sp. Brasilien. — Spigx.“ 

Es stimmt sehr gut zu Azaras Beschreibung von no. 274. Spix behauptet, daß sich seine 
A. purpureo-dorsalis von Azaras „Maracana farde* durch befiederte Wangen unterscheide. Dies 
beruht auf einer Täuschung. Allerdings scheinen bei dem vorliegenden Exemplare ex coll. Spix 
die Kopfseiten befiedert zu sein, allein eine nähere Untersuchung ergibt, daß auf Zügel, Wangen- 
und Augengegend falsche Federn aufgeklebt sind, was Spix nicht erkannt zu haben scheint. 
Abgesehen von dieser künstlichen Veränderung unterscheidet sich das Original in keiner Weise 
von einem ad. aus S. Brasil (coll. von Leuchtenberg). Paraguay-Vögel konnte ich leider nicht 
vergleichen. 


Arara macrognathos Spix = Ara nobilis (Linn.) 


Psittacus nobilis Linnaeus, Syst. nat. ed. X (1758) p. 97 („in America meridionali“ — wir 
ergänzen Brazil.) - 
Arara macrognathos Spix, Av. Bras. I (1824) p. 26, tab. XXV Fig. 1 (ö), 2 (9) („ad urbi- 
ceulum Cachoeira prope Bahiam et Maranhäo.“) 
Die Münchener Staatssammlung besitzt drei Exemplare von Spixens Reise, etigq.: 
no. 1 und 2 „Conurus nobilis Lin. — macrognathus Sp. 6 Brasilien. Spix.“ Diese 
stimmen mit Spixens Fig. 1 (ö) sehr gut überein und haben die Schulter, einen breiten Rand 
am Flügelbug sowie die kleine und mittlere Serie der Unterflügeldecken hochrot gefärbt, ganz 
wie es die Abbildung darstellt. Ein „ö Rio Paranä, 20. April 1823,“ Natterer leg. ist in der 
Färbung ganz identisch, hat nur etwas längere Flügel und Schwanz. 
no. 1. Mus. Monac. „Öö“ Typus von A. macrognathos Sp.: a. 175, ce. 164 nm 


DOT nn > Ole a mar sli78 er lol.n. 
n No: en (Natterer Tee): 2.082202 1S07, 
no. 3. „Conurus nobilis Lin. — macrognathus Sp. 9. Brasilien. Spix“ entspricht ganz 


Fig. 2 und era sich von den drei && durch grünen Schulter- und Flügelrand, auf 
welch letzterem nur einige blaßrote Federn eingestreut sind. Es ist augenscheinlich ein jüngerer, 
nicht ganz ausgefärbter Vogel. al. 181, c. 170 mm. 


Ara chloroptera (G. R. Gray) 


Ara chloropterus G. R. Gray, List Birds Brit. Mus. Ill. Psitt. (1859) p. 26 [ex Macrocercus 
macao Nieill., ete. ete. — typus ex Brü. Guiana (Sir Schomburgk.)] 
Arara Macao (nee Linne!) Spix, Av. Bras. I (1824) p. 27 (Goyatazes, Maranhao et Pard.“) 
Kein Spix’sches Exemplar in der Sammlung. Die Beschreibung der Flügeldecken läßt 
jedoch keinen Zweifel übrig, daß Spix die später von Gray A. chloroptera genannte Art vor 
sich hatte. 
Salvadori gibt als südliche Verbreitungsgrenze das Amazonas-Tal an (Cat. B. XX p. 156). 
Dies ist nicht riehtig. Natterer sammelte viele Exemplare am Rio Paranä, an verschiedenen 
Punkten Matogrossos und selbst in Marungaba bei Rio de Janeiro. 


Ara macao (Linn.) 
Psittacus Macao Linnaeus, Syst. nat. ed. X (1758) p. 96 („in America meridionali,“ wir nehmen 
als terra typica Pernambuco ex Marcgrave an.) 

Psittacus aracanga Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788) p. 313. 
Arara Aracanga Spix, Av. Bras. I (1824) p. 27 („ad flumen Solimoens.*) 

Kein Spix’sches Stück in der Sammlung; allein die Angabe: „tectrices alarum majores 
aureo-flavae“, die mit Linne’s Worten „tectricibus pluribus luteis* gut übereinstimmt, beweist, 
daß es sich um die in Rede stehende Art handelt. 


Ara ararauna (Linn.) 


Psittacus Ararauma Linnaeus, Syst. nat. ed. X (1758) p. 96 („in America meridionali*, wir 
ergänzen als terra typica Pernambuco ex Marcgrave.) 


Abh. d. II.Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 75 


578 


Arara ararauna Spix, Av. Bras. I (1824) p. 28 (in locis palmiferis interioris „Bahiae, Goya- 
tages et Parae*). 

Kein Spix’sches Exemplar in der Sammlung. Auch hier gibt Salvadori die Verbreitung 
nieht ganz vollständig an und erwähnt Brasilien südlich des Amazonenstromes nicht. Allein 
Natterer sammelte die Art in zahlreichen Exemplaren bei Rio de Janeiro, am R. Araguay und 
in Matogrosso, Spix im Inneren von Bahia und Goyatazes. 


Ara severa (Linn.) 


Psittacus severus Linnaeus, Syst. nat. ed. X (1758) p. 97 („in Indiis.* — errore! wir sub- 
stituieren Amazonenstrom.) 
Arara severus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 28 („in sylvis fum. Amazonum.“) 
Kein Spix’sches Exemplar in der Sammlung. 


Ara manilata (Bodd.) 


Psittacus manilatus Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783) p. 52 (ex Daubenton, Pl. enl. tab. 864 — 
Cayenne.) 

Psittacus Makawuanna Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788) p. 314 (ex Buffon et Daubenton.) 

Arara makawuana Spix, Av. Bras. I (1824) p. 28 („in locis palmiferis Goyatazes.*) 

Ein etwas schadhaftes Exemplar mit der Bezeichnung: „Ara Makavuana Gm. Brasilien. 
Spix“ in der Sammlung, das mit einem Cayenne-Balg in jeder Hinsicht übereinstimmt. A. manilata 
— dies ist der älteste und somit richtige Name — kommt nicht nur in Guiana und im Ama- 
zonasgebiete vor, wie Salvadori (Cat. B. XX p. 165) bemerkt, sondern auch im Inneren des 
östlichen Brasilien. Natterer sammelte sie am Araguay und bei Engenho do Gama in Matogrosso; 
deshalb ist auch keine Veranlassung vorhanden, Spixens Lokalität in Zweifel zu ziehen. 


Aratinga carolinae augustae Spix —= Conurus guarouba (Gm.) 


Psittacus Guarouba Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788) p. 320 [exel. Syn. Buffon.] (ex Brisson. — 
ex Maregrave „Quiiubatui,“ Hist. nat. Bras. p. 207. — N.O. Brazil.) 

Aratinga carolinae augustae Spix, Av. Bras. I (1824) p. 29 („in sylvis confinibus urbis Parae.“) 

Aratinga carolinae Spix, l. c. tab. XII. 

Zwei Exemplare in der Sammlung mit der Bezeichnung: „Oonurus luteus Bod. — Carolinae 
Sp. Brasilien. Spixe.*“ Eines davon stimmt in Haltung und Färbung völlig mit Beschreibung 
und Abbildung überein und ist sehr wahrscheinlich das Original derselben. Das zweite, in 
sehr schlechtem Zustande (der Kopf fast gänzlich von Federn entblößt), unterscheidet sich nicht 
von no. i in der Färbung. 

Maregrave (l. ec.) beschreibt die Art sehr gut und sagt ausdrücklich „cauda flava, longa, 
wodurch sich C. guarouba eben vorzugsweise von (Ü. solstitialis (L.) unterscheidet. Danach 
scheint es als ob die Art, die uns nur von Pard bekannt geworden ist, auch noch in einem 
der nordöstlichen Staaten Brasiliens vorkommt. 


Conurus haemorrhous (Spix) 

Aratinga hiaemorrhous Spix, Av. Bras. I (1824) p. 29, tab. XIII („in Campo Alegre Bahiae.“) 

Wir besitzen drei Exemplare mit der Bezeichnung: „Conurus acuticaudatus Vieil. — 
haemorrhous Sp. Brasilien. Spix.“ 

no. 1 hat den ganzen Vorderkopf hellblau überlaufen, gerade wie es auf Tab. 13 dar- 
gestellt ist, und ist wohl zweifellos das Original derselben. no. 2 hat nur eine breite Stirn- 
partie hellblam überlaufen und no. 3 zeigt nur schwache, hellbläuliche Spitzen oberhalb der 
Zügelgegend und am Stirnrand; das letztgenannte Stück trägt am Flügelrand und auf den 
Unterflügeldecken eine Anzahl roter Flecken, die bei no. 1 und 2 nicht vorhanden sind. Es 
scheint ein jüngerer Vogel zu sein und auf ihn bezieht sich wohl Siebolds Mitteilung an Finsch 
(Papag. I p. 453). 


579 


Von CO. acuticaudatus (Vieill.) [ex Azara no. 278. — Paraguay] unterscheidet sich 
©. haemorrhous nur durch grüne (statt hellblaue) Färbung von Backen-, Wangen- und Ohr- 
gegend; alle anderen von Salvadori (Cat. XX p. 173 ff.) angegebenen Unterschiede sind hin- 
fällig. Ein mir vorliegender alter Vogel von ©. acuticaudatus aus Salta (Tenkate coll.) hat am 
Unterschnabel kaum Spuren von dunkler Färbung und kommt dem ganz hellschnäbeligen 
©. haemorrhous hierin äußerst nahe. Es scheint mir überdies noch sehr zweifelhaft, ob sich 
Azara’s Beschreibung auf den Conurus acuticaudatus auct. aus Argentinien und Bolivia bezieht. 
Azara sagt (Sonnini’s französische Ausgabe): „tout le plumage est d’un vert plus clair en 
dessous qu’en dessus, & l’exception du haut de la töte, qui est d’un bleu faible.“ Letztere 
Angabe würde eher auf CO. haemorrhous passen, da bei C. acuticaudatus auet. auch die Kopf- 
seiten hellblau gefärbt sind. Bisher ist keine der beiden Arten aus Paraguay nachgewiesen, 
doch traf Natterer den C. haemorrhous noch bei Cuyabä und Rio das Frechas in Mattogrosso. 

no. 1. al. 198; caud. 187 mm 

no. 2. al. 188; caud. 170 mm 

no. 8. (juv.) al. 176; caud. 165 mm. 


Conurus jandaya (Gm.) 


Psittacus jandaya Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788) p. 319 („Brasilia.€ — ex Brisson. — ex 
Maregrave, Hist. nat. Bras. p. 206. „Jendaya.“ [Wir ergänzen als terra typica: Per- 
nambuco, N. O. Brazil.]) 

Aratinga chrysocephalus Spix, Av. Bras. II (1824) p. 30, tab. XIV („Piauhy.“) 

Conurus jendaya Pelzeln, Zur Orn. Bras. III (1869) p. 257 (Cearä), 


Die Sammlung besitzt drei ziemlich alte Vögel, alle als: „Oonurus auricapillus; Aratinga 
chrysocephalus Sp. & Brasilien. Spix“ bezeichnet. 

Ps. jandaya Gm. beruht in erster Linie auf Brisson, Ornith. IV (1760) p. 399, der die 
Beschreibung seiner „Psittacula brasiliensis lutea“ aus Marcgrave’s oben zitierter Stelle schöpfte. 
Letzterer sagt in seiner Kennzeichnung ausdrücklich: „totum caput, collum, et pectus flavi- 
eoloris sunt, eui luteus intermixtus.*“ Dies paßt sehr gut auf die Spix’schen Originale, bei 
denen der ganze Kopf und Nacken, die Kopf- und vorderen Halsseiten sowie die ganze Kehle 
hochgelb gefärbt sind. Nur ein schmaler Stirnrand erscheint rot, ebenso haben Zügel-, Augen- 
und Ohrgegend und das Kinn rote Federn eingemischt. Hintere Halsseiten und Rücken sind 
lebhaft grün, in der Mitte des Hinterrückens steht ein großer, von den Federspitzen gebil- 
deter roter Fleck, der bei no. 2 besonders stark entwickelt ist. Schulterfedern und Flügel- 
decken grün, die mittlere und große Serie auf der Innenfahne dunkelblau. Handdecken und 
Schwingen dunkelblau, Tertiären, Außenfahne der anliegenden Secundarien und Basis der 
Außenfahne der Handschwingen grün, Oberschwanzdecken grün; Schwanzfedern blau, Basis- 
hälfte olivgrün, die beiden mittelsten Paare mit Ausnahme einer kleinen blauen Spitze goldig- 
olivengelb, das äußerste Paar ganz blau. Brust und Bauch rot, kaum grünlich vermischt, 
Vorderhals hochgelb und rot gemischt und auf diese Weise den Übergang zur gelben Kehle 
vermittelnd.. Hosen und innerste Bauchseiten grün mit einzelnen, roten Federspitzen. Unter- 
schwanzdecken grün, Flügelrand grün, Achselfedern hochrot, Unterseite des Flügels schwarzgrau. 

Bei no. 2 ist der Vorderhals gleich Brust und Bauch einfarbig rot. 

Ein alter Vogel des Mus. Berlepsch aus Ceard!) ist in allen Teilen noch höher aus- 
gefärbt. Kopf, Nacken und Kehle sind prächtiger hochgelb, nur ums Auge zieht ein Kranz 
roter Federn, während der rote Stirnrand kaum angedeutet und das Rot in der Ohrgegend 
durch die gelben Endteile verdeckt wird; alle Federn des Hinterrückens tragen breite, hochrote 
Spitzen, der Vorderhals ist gelb und rot vermischt, Brust und Bauchmitte sind hochrot. Die 
Grundfarbe des Rückens ist viel heller grün als bei den Spix’schen Exemplaren. Diese kleinen 
Unterschiede sind gewiß nur durch das höhere Alter des Stückes bedingt. 


1) Vögel aus Cearä haben eine ganz eigenartige Präparation: die Beine sind parallel gerade nach 
hinten ausgestreckt, die Zehen nach innen gerichtet. 
15* 


580 


C. jandaya stimmt in der Größe mit dem weiter unten zu besprechenden C. auricapillus 
aurifrons (Spix) überein, während die in Bahia vorkommende Form C. a. auricapillus Kuhl 
in der Regel beträchtlich kleiner ist, sich besonders durch kürzeren Schwanz auszeichnet. 

Mus. H. v. B. ad. Cear& (ex Goeldi): a. 160, c. 150 mm 
Mus. Monac. „ö“ Piauhy (Spix) no. 1: a. 169, c. 163 „ 
5“ Piauhy (Spix) no. 2: a. 167, c. 176 „ 


” ” n (0) 


„ö* Piauhy (Spix) no. 3: a. 163, c. 157, 


Conurus solstitialis (L.) 


Psittacus solstitialis Linnaeus, Syst. nat. ed. 12. 1. I (1766) p. 141 (ex Albin. — Angola! 
err. — wir substituieren Cayenne.) 
Aratinga luteus sive Guarouba (nee Gmelin 1788!) Spix, Av. Bras. I (1824) p. 30, tab. XIV: 
(„in eampis Rio Branco, fluminis lateralis fluvii Negro.*) 
Die Sammlung besitzt kein Spix’sches Stück mehr, Beschreibung und Abbildung ent- 
sprechen jedoch völlig einem von Natterer am R. Mahü, Rio Branco gesammelten © im 
Münchener Museum. 


Aratinga xanthopterus (Spix) und Psittaculus xanthopterygius (Spix) ö 
— Brotogeris chiriri (Vieill.) 
Psittacus chiriri Vieillot, Nouv. Diet. XXV (1817) p. 359 (ex Azara no. 283 — Paraguay.) 
Aratinga zanthopterus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 31, tab. XV, Fig. 1 („ad flumen Amazonum.*) 
Psittaculus zanthopterygius Spix, 1. e. p. 38, tab.-XXXIV, Fig. 1 (ö) (part. ö, nee o!) 
(„Minas Geraes.“) 

Die Sammlung besitzt ein Stück mit der Aufschrift: „Conurus xanthopterus Sp. Brasilien. 
Spix.“, das in der Hauptsache mit Spixens Beschreibung übereinstimmt. Es paßt auch sehr 
gut zu einem & ad.. aus Mattogrosso (Natterer leg.) und unterscheidet sich nur durch weniger 
blaue, mehr blaugrüne Handdecken, wesentlich größere Dimensionen und etwas heller grüne 
Unterseite. Auch Salvadori bemerkt die geringe Größe der Stücke aus Mattogrosso; dagegen 
stimmen die Flügelmaße, welche Berlepsch (J. f. Ornith. 1887 p. 26) für zwei 56 aus Paraguay 
verzeichnet, fast auf Spixens Typus. Ob letzterer wirklich vom Amazonas stammt, wie Spix 
behauptet, erscheint sehr fraglich. 


Spixens Typus mißt,am0v 1.10, Br Wale ng 19mm 

ö ad Matogrosso (Natterer) . alias, 2c.2931, culm. 18 „ 

2 56 aus Paraguay (nach Berldprnt . = al. 125, ce. 88, 89 ceulm. 18°/4, 201), mm 
1’94aus" Paraguay. (Lach) muren eh. ; al. 118 „ie1875 eulm. 19!/ı mm. 


Außerdem besitzt das Münchener Museum Baal das Original von Psittaculus zanthopterygius 
Sp. ö unter der Bezeichnung: „Cönurus xzanthopterus Sp. Psittacus xanthopterygius Sp. Brasilien. 
Spix,“ Es entspricht völlig Spixens Beschreibung und Abbildung und ist ein ganz junger 
Vogel von B. chiriri (Vieill.)! mit unausgewachsenem Schwanz und im Wachsen begrif- 
fenen Schwingen, wie bereits Wagler (Mon. Psitt. 1832 p. 635) nachgewiesen hat. In der 
Färbung ist er fast ganz identisch mit dem Typus von A. xanthopterus, hat ebenso großen 
gelben Fleck auf den Flügeln u.s. w., die Handdecken sind reiner blau, mehr wie bei dem 
oben erwähnten 5 ad. aus Mulloers20. Der Schnabel ist viel schwächer und kleiner als bei 
alten Vögeln. 

al. 95, e. 60, culm. 141/, mm. 

Die Schwanzfedern haben ganz dieselbe Form wie bei B. chiriri ad., nur sind sie viel 
kürzer und schmäler. 


Aratinga acutirostris Spix — Brotogeris tirica (Gm.) 


Psittacus tirica Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788) p. 351 (ex Brisson, ete. — ex Maregrave, Hist. 
nat. p. 206 „Tuitirica.“ — N. O. Brazil.) 
Aratinga acutirostris Spix, Av. Bras. I (1824) p. 32, tab. XV, Fig. 1 („in sylvis Rio de Janeiro.“) 


1 (EN Aa se dh en 


581 


Ein Exemplar mit der Bezettelung: „Conurus Tiriacula Bod. — acutirostris Spix. 
Brasilien. Spix.* Es stimmt bis auf den etwas kürzeren und schwächeren Schnabel und etwas 
hellergrüne Oberseite mit mehreren Stücken aus Rio de Janeiro (coll. Leuchtenberg) überein. 
Gmelin’s Beschreibung basiert auf Brisson und Buffon, die beide aus Maregrave schöpften, es 
wäre deshalb wichtig, Vögel aus dem nordöstlichen Brasilien zu vergleichen. 


Aratinga aurifrons (Spix) 
Av. Bras. I (1824) p. 32, tab. XVI („Minas Geraös.“) 


Die Spix’schen Originale sind leider nicht mehr in der Sammlung; trotzdem hoffe ich, 
ist es mir gelungen, die Nomenklatur der ©. auricapillus-Gruppe endgültig klarzustellen. Ich 
hatte sehr umfangreiches Material zur Verfügung und kam infolgedessen zu etwas anderen 
Resultaten als Salvadori bei der Abfassung des XX. Bandes .des Brit. Cat. Es stellte sich 
heraus, daß wir zwei Formen zu unterscheiden haben, deren eine sich durch viel ausgesproche- 
neres Grün im ganzen Gefieder auszeichnet; diese Form hatte Salvadori für jüngere Vögel des 
CO. auricapillus angesehen. Ich konnte eine Serie von 27 Exemplaren in den Museen München, 
Berlepsch, Tring, Wien und Berlin (Kuhl’s Typen von C. auricapillus) untersuchen und war 
somit in der Lage die geographische und individuelle Variation festzustellen. Dabei ergab 
sich, daß die Vögel von Minas Gera&s, Rio de Janeiro und 8. Paulo in mehreren Punkten 
sehr wesentlich von einer Serie aus Bahia abweichen, welch letztere — wie die Untersuchung 
der Typen im Berliner Museum lehrte — den typischen (©. auricapillus darstellt. 

Sechs Vögel aus Bahia (no. 1—6 meiner unten stehenden Liste) haben gelbliehgrüne 
Kopfseiten mit starker gelber und roter Mischung, besonders auf Backen- und Ohrgegend. Kinn 
und Kehle sind gelbgrün, und die Federn der Mitte des Hinterrückens tragen breite, rote 
Spitzenflecken. Ein anderer Bahia-Balg des Tring-Museums (no. 7) zeigt bloß schwache Spuren 
der letzteren Zeichnung, ist aber im übrigen wie no. 1—6 gefärbt. Zwei Bahia-Vögel (no. 8, 9) 
des Münchener Museums und die Typen von ©. auricapillus (Sellow leg., Mus. Berol., ohne 
genaueren Fundort) gehören entschieden zu derselben Form wie die vorstehend besprochenen, 
weichen aber ab durch mehr grünliche, weniger gelblich vermischte Kopfseiten (die übrigens 
an der Ohrgegend [wie no. 1—7] stark rot überlaufen sind) und Kehle. Diese Teile sind 
aber doch nicht so tiefgrün wie bei den unten folgenden 8. Paulo-Exemplaren, da die 
Federspitzen noch immer einen gelbgrünen Ton aufweisen. Drei davon besitzen die erwähnten 
roten Schuppensäume auf dem Hinterrücken, nur no. 11 (meiner Liste) zeigt bloß eine schwache 
Andleutung. 

Zwei alte Vögel (ö 2) aus Minas Geraös (Rio Jordäo, Prov. Araguay, no. 12, 13) und eine 
Serie von verschiedenen Orten des Staates S. Paulo weichen von allen oben besprochenen 
Stücken durch tiefgrüne Färbung (ohne jeden gelblichen Anflug) von Kopfseiten, Kehle und 
Vorderbrust, dunkler grüne Oberseite, Beschränkung der roten Färbung unterseits auf die 
Hinterbrust und völligen Mangel der roten Flecken auf dem Hinterrücken ab. Die Stücke von 
Minas sind wesentlich kleiner als die von S. Paulo, doch bietet die Größe, wie untenstehende 
Tabelle zeigen möge, kein verläßliches Merkmal. Ein © aus Minas (no. 14) zeigt einen 
schwachen, gelben Anflug auf Wangen- und Ohrgegend und gelb gefleckten Hinterkopf. Es 
stimmt sehr gut mit Figur 1 auf Tafel XVI überein, deren Original auch aus Minas Gera&s 
stammen soll. Deshalb habe ich auch seine Bezeichnung aurifrons für die südliche, mehr 
grüne Form in Anwendung gebracht. Man könnte dagegen einwenden, daß Spix (l. e.) in 
erster Linie das Q kennzeichnete — welches allem Anscheine nach und der Angabe Waglers 
zufolge zur Bahia-Form gehörte (= C. auricapillus Kuhl), also kaum von Minas stammen 
konnte —, und irrtümlicherweise die Form von 8. Paulo und Rio als ö dazu stellte. Allein 
der Umstand, daß Spix als Kennzeichen seines Ö gerade die für letztere bezeichnenden Fär- 
bungscharaktere richtig angibt und ausdrücklich Minas Geraös als Fundort hinzufügt, scheint 
mir zu Gunsten des Namens (©. «a. aurifrons zu sprechen, um so mehr als die von mir unter- 
suchten Exemplare aus derselben Gegend unzweifelhaft zur grünen, südlichen Subspezies gehören. 
Andernfalls müßte Pelzeln’s Name meridionalis für diese in Anwendung kommen. 


Wagler (l. ec.) gibt die Unterschiede der drei nahe verwandten Formen: C. jandaya, 
C. auricapillus und CO. a. aurifrons ganz vortrefflich an, hält sie aber bloß für Altersstadien. Sein 
av. ad. ist O. jandaya, sein av. jr. ©. auricapillus und sein „av. hornot,“ endlich C. a. aurifrons. 
Bezeichnend ist es, daß auch er, dem vermutlich die Spix’schen Exemplare noch vorlagen, 
ö und O von (. aurifrons Spix auf verschiedene „Altersstadien* bezieht, nur hat er sie anscheinend 
verwechselt; denn das „Öö“ gehört, wie besonders aus dem Texte bei Spix ersichtlich ist, zur 
südlichen (= „av. hornot.“ bei: Wagler), das „OQ“ zur Bahia-Form (= ar. jr.). Wagler stellt 
auch Ps. pyrocephalus Hahn!) [Vögel ete. Lief. 14, tab. 1 (1823)] zur Bahia-Form, was zweifellos 
richtig ist, da die Abbildung an den Kopfseiten ete. die für dieselbe bezeichnende gelbe Mischung 
erkennen läßt. 


Wir haben demnach zu unterscheiden: 


1. Conurus auricapillus auricapillus (Kuhl) 
1820 Conurus auricapillus Kuhl (ex Licht. Ms.). Consp. Psitt. p. 20 („Brasilia.€ — specim. 
typica in Mus. Berolin. examinavi.) 
1823 Psittacus pyrocephalus Hahn, Vögel ete. Lief. 14, tab. 1 (Brasilien. — coll. Wagler). 
1824 Aratinga aurifrons Spix, Av. Bras. I (1824) p. 32 (part. 9), tab. XVI, Fig. 2 („oO“). 


1832 Psittacus auricapillus Wied, Beitr. 4. I p. 178 [part.; Arrayal da Conguista und Os Porcos 
in Bahia.] 


1891 Conurus auricapillus Salvadori, Cat. Birds XX p. 178 (part. „ad.“) 
Habitat. Bahia. 


Maße a. & 
L. Mus.;H, ‚v. Berlepsch. , Bahia-eoll 22. 2 r2. 752222516825 11367mm 
Di m a m 5 N a een Fra re A 
a . = ei 2: ein er 5 Ta 1:24.00: 
An Rring u 5 
Biuain, N si H ” u Bea ee Marien EKD DA 
6. „  .Monac. Val) ts 2er 5 Pellrz 1252; 
a ln n Salgtäckrie dan oe: —_— , 
Buy Monaes lex Praep N AO Een 
ges n u... (Kammerlacher) ;, -.. . 460,2 154 
10. „ Berolin. Brazil (Sellow leg.) . . . 152, Korse, 
ae „20: 10470 s ® 157, 1501), mm 


n 2 I . 
[no. 10 und 11 Typen von ©. auricapillus Kuhl.] 


2. Conurus auricapillus aurifrons (Spix) 
1824 Aratinga aurifrons Spix, Av. Bras. I p. 32, (part., ö), tab. XVI, Fig.1 („ö“) [„in campis 
Minas Geraös.“) 
1832 Sittace Jendaya (nee Gmelin!) Wagler, Monogr. Psitt. (1832) p. 658—654 (part.; „av. 
hornot.“) 
1832 Psittacus auricapillus Wied, Beitr. 4. I p. 178 (part.): [„Parahyba do Sul.“] 


1869 Conurus jendaya var. meridionalis Pelzeln, Zur Orn. Brasil. III p. 257 ($. Paulo) 
[nom. nud.!] 


1891 Conurus auricapillus Salvadori, Cat. B. XX p. 178 [part.; juv.] 
1898 Conurus auricapillus Ihering, Rev. Mus. Paulista III p. 314 (8. Paulo.) 


Habitat. Minas Geraös (Spix): Rio Jordäo, Araguay (A. Robert coll., Mus. Tring). Rio 


de Janeiro: Parahyba do Sul (Wied). $. Paulo: Tejuco und Ypanemä (Natterer), Franca 
(Dreher leg.; Mus. H. v. B.) 


i) Typus in coll. Wagler. 


ee nn 


an ae 


u 
Fe; 


585 


Maße a. 9% 

12. Mus. Tring. „ö, R. Jordäo, reteL, Minas He 

23. Juni 901« (Robert) . . 165, 141 mm 
13. Mus. Tring „oO“, ut supra: 1. & 01. & (Robert). . 165, 1481, mm 
1a,,J Hot »„ 20. 5..01.2 (Robert) . ”. 158, 130mm 
Aloe 0% Monae: Rio (coll. onohtenkerg)iD a U E 
198 105 3 „Ö“ ad. Ypanema (Natterer) . . 1200°.1600, 
Ta FW: Bönlepsch „Ö“ ad.Franca, S. Paulo (Dreher leg.) 197, OL 
18. „  Vindob. „ö“ ad. Tejuco, S. Paulo rn le er 
19. „ » os 0) )) » n 169, 164 n 
202, n „2“, Ypanema e fr 164, 144 „ 
Se ION Ba EN ; uns 164sh Lich 
DO 5 os RN 5 
23:uim, r ad. en (Wettstein leg.) . . .. 170, 159 „ 


Aratinga cyanogularis Spix = Pyrrhura cruentata (Wied) 


Psittacus eruentatus Wied, Reise Brasil. I (1820) p. 72 (Rio de Janeiro.) 
Aratinga cyamogularis Spix, Av. Bras. I (1824) p. 33, tab. XVII (Mas.) („in sylvis Rio 
de Janeiro.*) 

no. 1. „Conurus eruentatus Neuw. — cyamogaster Sp. 6. Brasilien. Spix.“ Dieses Stück 
ist offenbar das Original zur Abbildung, mit der es sehr gut übereinstimmt. 

no. 2. mit derselben Aufschrift, aber ohne Geschlechtsangabe, dürfte das von Spix erwähnte 
„Q* sein: es unterscheidet sich von no. 1 durch weiter ausgedehntes Rot auf der Bauchmitte, 
matter gelben Fleck auf den Halsseiten, nicht rein blauen, sondern bläulichgrünen Vorderhals 
und dunkler roten Backenstreifen. Flügel etwas länger. 

20.1.2 ,6%: a. 145. c. 143 mm 

no. 2. Ohne Geschlechtsangabe: a. 152, ce. 140 mm. 


Aratinga flaviventer Spix] _ Cor estornma(uhl) 
Aratinga caixana Spix | 


Psittacus cactorum Kuhl, Consp. Psitt. (1820) p. 82 [Brasilia. — in Mus. Prince. Maximiliani — 
se. Vareda am Rio Pardo, südl. Bahia; cfr. Wied, Reise Brasil. II (1821) p. 168.] 
Aratinga flaviventer Spix, Av. Bras. I (1824) p. 33, tab. XVII £. 1 („ö“), 2 („2“) [„prope 
Oontendas, ac Joazeiro et in Piauhy.“] 

Aratinga caixana Spix 1. e. p. 34, tab. XIX, f. 1 [kein Fundort.] 

Die Münchener Sammlung besitzt noch drei Exemplare, etig.: 

no. 1. „Oonurus aeruginosus Lin. — flaviventer Sp. Brasilien. Spix.“ 

n0. 2. „Conurus aeruginosus Lin. — flaviventer Sp. Brasilien. Spix.“ 

n0. 3. „Conurus aeruginosus L. var. Aratinga caisana Sp. Brasilien. Spix.* 

no. 1 und 2 repräsentieren Aratinga flaviventer Spix; no. 1 paßt in der Färbung der 
Unterseite recht gut zur Beschreibung des ö und zur Figur 1 auf Tafel XVII. Kehle und 
Vorderbrust sind fahlbraun mit mattrötlichbraunen Spitzen auf letzterer, die Bauchmitte orange- 
gelb. Ein von Reiser bei Solidade, 15. 3. 1903 gesammelter Vogel stimmt fast ganz mit 
no. 1 überein, entbehrt nur der rotbraunen Spitzensäume auf der Vorderbrust und hat etwas 
heller orangegelbe Bauchmitte. Auch ist der Flügel etwas länger als bei no. 1. 

No. 2 hat ebenfalls hell fahlbraune Kehle und Vorderbrust ohne braunrote Spitzenteile 
und die Bauchmitte ist ebenso hell orangegelb wie bei dem Vogel in Reisers Sammlung. 

Zwei andere von Reiser gesammelte Vögel (& Catinga bei Facenda de Serra am Rio 
grande, 11. 4. 03; © Sambaiba, 2. 4. 03), zeigen Kehle und Vorderhals nicht fahlbraun, 
sondern matt grünlicholiv und den Bauch noch heller orangegelb. Ebenso ist ein von Swainson 
bei Pernambuco gesammelter Vogel des Wiener Museums gefärbt. Der Typus von A. caixana, 
der sehr gut mit Spix’ Beschreibung und Abbildung übereinstimmt, kommt den drei eben 


984 


besprochenen Stücken recht nahe, ist nur noch heller und blaßer grünlicholiv auf Kehle und 
Vorderhals und reingelb (nieht orange) auf der Bauchmitte. In letzterer Hinsicht ist übrigens 
das © von Sambaiba kaum verschieden. Ein alter Vogel aus der Menagerie zu Schönbrunn 
(Mus. Wien) ist mit dem Original von A. caizana Sp. in jeder Hinsicht völlig identisch! 

Die untersuchte Serie zeigt also einen so vollständigen Übergang zwischen dem flaviventer- 
und caizana-Kleide, daß an er Identität wohl kein Zweifel herrschen kann. Das Spix’sche 
Stück no. 3 lebte offenbar auch in Gefangenschaft und hat ganz abgestossene Steuerfedern. 
Ob nun die Phase „caixana“ eine Ausartung gefangener Exemplare ist,oder auch im Zustande 
der Freiheit vorkommt, möge vorläufig dahingestellt bleiben; jedenfalls steht das oben besprochene 
o von Sambaiba, das ohne allen Zweifel in der Freiheit geschossen wurde, diesem Kleide 
schon recht nahe. 

Mus. Monae. Arat. anaunder no. 1: a. 156, ec. 123mm 

- n E: no. 2: a. 144, €. 126 „ 
he 4 An at. caixana no. 3: Flügel und Schwanz gestutzt, daher nicht zu messen. 


Übrigens passen die Spix’schen Stücke sehr gut zu Wied’s Beschreibung von P. cactorum. 
Das Original von A. caizana trägt auf jedem Flügel einige ganz gelbe Armschwingen, also 
Zeichen von Albinismus. 


Aratinga ninus Spix = Pyrrhura leucotis (Kuhl) 


Psittacus leucotis (Lichtenstein MS.) Kuhl, Consp, Psitt. (1820) p. 21 („Brasilia.“) 
Aratinga ninus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 34, tab. XIX, Fig. 2 („ad flumen Negro.“) 


Das Original befindet sich unter der Bezeichnung: „Conurus leucotis Licht. Aratinga 
Ninus Spix. Brasilien. Spie* in der Sammlung. Es stimmt fast vollständig mit einem von 
Natterer bei Sapitiba, Rio de Janeiro gesammelten 56 ad. von P. leucotis überein und weicht 
von ihm nur durch deutlichere, dunkle Randsäume auf den Federn der Gurgel und des Vorder- 
halses ab. Der Schwanz ist etwas länger. 

Mus. Vind. „ö“ ad. Sapitiba: a. 117, c. 111 mm 

Typus von Arat. ninus Spix: a. 119. c.120 „ 


P. picta (Müll.), von der mir drei Cayennebälge vorliegen, unterscheidet sich sofort durch 
die Zeichnung der vorderen Teile der Unterseite. Kehl- uud Gurgelfedern sind dunkelbraun 
mit einem ringsum laufenden, zusammenhängenden, hellen Saum; bei P. leucotis dagegen grün, 
dann folgt ein schmales, weißliches, gerades Subapical- und ein ebenso geformtes, undeutliches, 
dunkles Apicalband. Dadurch entstehen ganz verschiedene Zeichnungsmuster, bei P. picta eine 
regelrechte Schuppung, bei P. leucotis eine Querbänderung. Spixens Fundortsangabe Rio Negro, 
falls damit der große Seitenstrom des Amazonas gemeint ist, kann somit nicht richtig sein. 


Pyrrhura perlata (Spix) 
Aratinga perlata Spix, Av. Bras. I (1824) p. 35, tab. XX, Fig. 1 („ö“), 2 („Q“) [„in sylvis 
flum. Amazonum adjacentibus.“] 

Sittace lepida Wagler, Monogr. Psitt. (1832) p. 642 [ex Spix, tab. XX, Fig. 1.) 
Sittace chlorogenys Wagler, 1. e. p. 643 (ex Spix, tab. XX, Fig. 2.) 

Zwei Exemplare in der Sammlung mit der Bezeichnung: 

no. 1. „Conurus lepidus Il. — perlatus Sp. 6 Brasilien. — Spix“, gleichzeitig das 
Original von Sittace lepida Wagler (l. e.), welche Art sich auf das von Spix als „ö“ bezeichnete 
Exemplar gründet. 


no. 2. „Oonurus lepidus Il. — »perlatus Sp. 2 Brasilien. Spix,“ zugleich Typus von 
Sittace chlorogenys Wagl. no. 2 entspricht völlig der Kennzeichnung des 9 bei Spix und der 
Beschreibung von Wagler’s $. chlorogenys. 

Beide sind jüngere Vögel und gehören ohne Zweifel zu einer und derselben Art. Die 
geringfügigen Unterschiede, welche sie aufweisen, sind gewiß nur auf Alter oder Geschlecht 
zurückzuführen. 


- . 
WS N hc 


985 


no. 2 unterscheidet sich von no. 1 lediglich durch kleineren, schwächeren Schnabel, 
kürzeren Schwanz, stärkere helle Fleckung des Scheitels, etwas ausgedehnteres Rot auf dem 
Flügelbug, deutlichere dunkle Säume auf Kehle und Vorderhals, zahlreichere rote Flecken 
in der Bauchmitte und mehr gelblichgrüne Grundfarbe der Unterseite, 

Beide haben gestutzte Flügel und entstammen augenscheinlich der Gefangenschaft. 

Drei von Natterer gesammelte Vögel (Parä) weichen nur ab durch ein deutliches blaues 
Nackenband, hellgrüne (statt bläuliche) Oberschwanzdeeken und hellbläulich überlaufene Unter- 
seite. Ein anderes ö& von Ourem bei Parä (Mus. H.v.B., A. Schulz leg.) zeigt jedoch reingrüne 
Unterseite ohne bläulichen Ton. Diese vier Vögel haben bedeutend längeren Schwanz, doch 
ist hierauf kein Gewicht zu legen, da letzterer bei den Typen unvollständig, bezw. stark 
abgenutzt ist. 


Mus. Monac. no. 1. Type: al. — ce. 96; rostr. 17 mm 
a ” no. 2. Type: al. — c. 90; rostr. 16 „ 
Berlepsch „ö“ Ourem, Parä — Schulz leg.: al. 129; e. 117; rostr. 18 mm. 


Aratinga fasciatus Spix = Pyrrhura vittata vittata (Shaw) 


Psittacus vitlatus Shaw, Gen. Zool. 8 II (1811) p. 404 [ex Levaillant, Perrog. I tab. XVII. — 
„Bresil.“] 

Aratinga fasciatus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 35, tab. XXI, Fig. 1 Hör) 2 (z9°) [„in campis 
Minas Geraös sylviisque Rio de Janeiro adjaeentibus.“] 

Wir besitzen von den zwei Stücken, welche Spix in seinem Werke aufführt, nur mehr 
das angebliche ö, das die Bezeichnung: „Conurus vittatus Sh. — fasciatus Sp. Brasilien. Spix*“ 
trägt. Es gehört zur typischen P. vittata, bei der die Steuerfedern auf der Oberseite mit Aus- 
nahme der grünen Basis der Außenfahne dunkelbraunrot gefärbt sind. Die Mitte des Hinter- 
rückens zeigt bei dem Spix’schen Vogel starke dunkelrote Fleckung, auch auf der Bauchmitte 
findet sich ein ausgedehnter, dunkelroter Fleck. Wie Graf Salvadori [Boll. Mus. Torino IX 
no. 190 (Dec. 1894) p. 2] ausführte, unterscheidet sich die Paraguay-Form [P. ehiripepe (Vieill.)] 
durch einfarbig olivengrüne Oberseite der Steuerfedern ohne eine Spur von Rot. Ein ö ad. aus 
Bernaleue, Paraguay (Mus. Monac.) hat in der Tat diese Schwanzfärbung und weicht von dem 
Spix’schen Vogel überdies durch den völligen Mangel roter Flecken auf dem Hinterrücken ab. 
Ein ö ad. von Curitiba, Paranä und ein ö ad. von Ypanema, $. Paulo (Natterer coll.) stimmen 
in beiden Punkten mit dem Paraguay-Vogel überein. Sieben weitere 56 und QQ von Ypanema 
zeigen folgende Schwanzfärbung: das mittlere Steuerfedernpaar ist einfarbig olivengelbgrün, 
nur an der Spitze rot überlaufen, die übrigen sind olivengelb, stärker oder schwächer goldigrot 
überwaschen, ja bei einzelnen Exemplaren sind die äußeren Paare blutrot gefärbt, aber wesentlich 
heller als bei P. vittata. Ein Paar aus Ypanema hat ebenso stark blutrot gefleckten Hinter- 
rücken wie der Spix’sche Vogel, ein anderes zeigt dieses Merkmal weniger scharf ausgeprägt; 
bei einem ö und zwei OO finden sich daselbst nur einige olivgoldgelbe Flecken und ein oO 
endlich besitzt einfarbig grünen Hinterrücken ohne jegliche Fleckung. Die Vögel aus 8. Paulo 
stehen somit einigermaßen zwischen P. vittata und P. v. chiripepe und ich schlage vor, letztere 
bloß subspezifisch zu trennen. 


Pyrrhura melanura (Spix) 


Aratinga melanurus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 36, tab. XXII, Fig. 1 („mas“), 2 („foem®), 
(„ad Tabatinga prope flumen Solimoöns.*) 

Die Sammlung besitzt ein Exemplar mit der Aufschrift: „Conurus melanurus Spix. Brasilien. 
Spiv“, das besser mit der Beschreibung des angeblichen & übereinstimmt; denn die „teetrices 
maiores alarım“ sind gewiß nicht „coerulescentes“, wie Spix für sein „Q* angibt. Salvadoris 
Kennzeichnung im Cat. Birds XX p. 222 entspricht sehr gut unserem Typus, nur daß bei 
letzterem die Federn des Vorderhalses an der Spitze einen weißlichen Saum tragen, was dort 
nicht erwähnt wird. Die Steuerfedern sind sehr dunkel schwärzlich purpurfarben. 

Der Vogel mißt: al. 130, e. 121, culm. 19!/, mm. 


Abh.d.Il.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. IIT. Abt. 76 


586 


Conurus leucophthalmus (P. L. S. Müll.) 


Psittacus leucophthalmus P.L. S. Müller, Natursyst. Suppl. (1776) p. 75 („Guajana“ se. Cayenne. — 
Daubenton, Pl. enl. 407.) 

Aratinga mobilis sive guianensis Spix, Av. Bras. I (1824) p. 36 („in campis Minas Geraös 
prope Tijuco.“) 

Ein Vogel mit der Bezeichnung: „Oonurus guianensis Kuhl. — macrognathus Sp. Brasilien. 
Spix“ in der Sammlung. Er stimmt sehr gut mit der Spix’schen Beschreibung überein. 

Anfänglich erregte der Passus: „eauda supra /lavo-viridi, subtus flavicante, ad basin san- 
guinea* meine Bedenken, ob es sich wirklich um 0. leucophthalmus handle, bei dem die Unter- 
seite des Schwanzes einfarbig olivengelb gefärbt ist, jedoch eine genauere Untersuchung ergab, 
daß dem Exemplar der Schwanz eines (onurus haemorrhous eingesetzt ist! 

Sonst stimmt es in Größe und Färbung gut mit einem von Natterer in S. Brazil gesam- 
melten & überein. Drei Vögel aus Paraguay unterscheiden sich nur durch etwas längere Flügel; 
bei einem © stehen oberhalb jedes Auges und in der Wangengegend einige rote Federn, wo- 
durch ein Übergang zu (. I, callogenys Salvad. vermittelt wird, der sich aber genügend auch 
durch seine größeren Dimensionen unterscheidet (Flügel 188 mm und mehr.) Ein © aus Barra 
do Rio Negro (Natterer leg.), das wohl sicher zum richtigen ©. leucophthalmus gehört, stimmt 
in der Flügellänge mit dem Spix’schen Vogel überein, weicht aber von ihm wie von allen 
anderen Exemplaren aus S. Brazil und Paraguay, die ich gesehen habe, durch einen deutlichen 
Kranz roter Federn auf den Halsseiten ab, ganz wie es Daubentons Tafel 167 darstellt. Ob 
dieses Merkmal konstant ist, muß durch Untersuchung einer Serie von Cayenne-Vögeln fest- 
gestellt werden. 

Daubentons Tafeln 407 und 167, auf die Psittacus leucophthalmus und P. notatus Müll. 
sieh gründen, bezeichnen sicher ein und dieselbe Art, eine Ansicht, der auch im Texte des 
Buffon’schen Werkes Ausdruck gegeben wird. 


a. e. 

Mus. Monac. ad. Tijuco, Minas Geraes . . - 168, — mm 
RORRAUN „orad.S.r Brazil @Natterer) 2173, 1a, 
5 h os abernaleuen Balaeuay ri N Sale: 
h a Oi n h a BSR 
„ „ 298 n ’ 7 RAR Plz EN, 
o) e „2* Barra do R. Negro Ar AEMBRNOTE defekt. 


NB. 0. leucophthalmus zeigt in der Farbenverteilung eine interessante Ähnlichkeit mit 
Ara nobilis (L.), unterscheidet sich aber unschwer durch befiederte Zügelgegend, den Mangel von 
jeglichem Blau auf der Stirn, die hochgelbe Färbung der großen Unterflügeldeckfedern u. s. w. 


Conurus aureus (Gm.) 


Psittacus aureus Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788) p. 329 (ex Brisson. — ex Edwards, Glean. V. 
tab. 235. — „supposed to be a native of Brasil.“) 
Aratinga aureus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 37 („in sylvis fl. Amazonum.“) 


Ein. Exemplar: „Conurus aureus Gm. Brasilien. Spix“, völlig identisch mit einem von 
Natterer in Mattogrosso gesammelten &. 

[Als nächste Art führt Spix (p. 37) Aratinga pertinax auf, ohne aber Brasilien als Fundort 
anzugeben. Das Stück befindet sich unter der Benennung „Conurus pertinax Lin. Brasilien“ 
in der Münchener Sammlung und gehört in der Tat zu C. pertinax, der bisher mit Sicherheit 
nur von der Insel St. Thomas bekannt ist. Es unterscheidet sich von (©. aeruginosus durch 
gleichmäßig lebhaft gelbe Färbung von Stirn, Zügel, Wangen- und Ohrgegend. Wie Einsicht- 
nahme in die alten Museumskataloge ergab, befand sich das Stück bereits vor Spixens Reise 
in der Sammlung, über seine Herkunft ist darin nichts notiert. Die Angabe „Brasilien“ wurde 
offenbar erst nachträglich von Siebold hinzugefügt, vermutlich in der irrtümlichen Annahme, 
daß es von Spix mitgebracht ‘worden sei, da es in dessen Werk aufgezählt ward.] 


EEE 0°: EEE EEE EEE 


587 


Brotogeris versicolurus (P. L. $. Müll.) 


Psittacus versicolurus P. L. 8. Müller, Natursyst. Suppl. (1776) p. 75 (ex Daubenton Pl. 
enl. 359. — „Cajenne.“) 

Psittacus virescens Gmelin, Syst. nat. 1. 1 (1788) p. 326 (ex Brisson, erstes Zitat. — „Cayenna). 

Aratinga virescens Spix, Av. Bras. I (1824) p. 37 („ad flumen St. Francisci et Amuazonum*). 


Kein Spix’sches Stück in der Sammlung, seine Beschreibung läßt aber keinen Zweifel 
übrig, daß es sich um unsere Art handelt. Ob sie aber auch, wie Spix behauptet, am Rio 
S. Francisco vorkommt, bedarf noch der Bestätigung. 

Obwohl Müller (l. e.) die Färbung der Schwingen für die des Schwanzes angibt, unter- 
liegt es nicht dem geringsten Zweifel, daß sein Name auf Daubentons tab. 359 beruht, der 
als der älteste somit in Anwendung zu bringen ist. Brisson sowohl als Buffon beschreiben die 
Art aus Cayenne, woher sie in neuerer Zeit nicht mehr gesandt wurde. Es wäre sehr wesentlich 
eine Serie von der typischen Lokalität mit den Vögeln des Amazonenstromes zu vergleichen. 


Psittacula passerina vivida (Ridgw.) 


[ Psittacus passerinus Linnaeus, Syst. nat. X (1758) p. 103 (ex „America.“)] 

Psittaculus passerinus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 38, tab. XXXIII, Fig. 1 (5 ad.), 2 („o* 
— ö jr.) [„ad ripam fl. $. Francisei.“] 

Psittaculus zanthopterygius Spix, 1. ec. p. 38, part. ©, tab. XXXIV, Fig. 2 (0 ad.) [„Minas 
Geraös.“ 

Psittacula passerina vivida Ridgway, Proc. U. 8. Nat. Mus. X. 1887 (1888) p. 539 (Bahia.) 


Die Münchener Sammlung besitzt nur mehr ein © ad. mit der Bezeichnung: „Psittacula 
passerina Lin. ©. Brasilien“, das nach der Präparation von Spix stammt. Es stimmt in jeder 
Hinsieht mit der Kennzeichnung und Abbildung von Psittaculus xzanthopterygius 9 überein und 
ist wohl sicher eines der Originale. Auch Wagler (Monogr. Psitt. p. 636) stellte die Art als 
„QO* zu P. passerina. 

Das © entspricht in Größe und Färbung völlig mehreren 0 © aus Bahia-Kollektionen, 
vom Rio S. Francisco und von $. Antonio, R. Parana (Mus. Vindob.) und hat gleich diesen 
die Stirn, Zügel- und Wangengegend merklich heller und mehr gelb als die übrigen Teile des 
Kopfes. OO aus Ypanema und Santos, also aus dem Waldgebiete von S. Paulo zeigen diese 
Teile entschieden grünlicher gefärbt; ein © aus Paraguay stimmt jedoch mit denen aus Minas 
und Bahia überein. 

Psittaculus gregarius Spix 
Av. Bras. I (1824) p. 39, tab. XXXIV, Fig. 3, 4 („in campis Minas Geraös.“) 

Die Originale sind leider nicht mehr in der Münchener Sammlung, und ich bin nicht in 
der Lage obige Art mit Sicherheit zu deuten. Vielleicht handelt es sich bloß um junge Vögel 
von Psittacula passerina vivida Ridgw., ebensogut könnte man nach der Abbildung auch auf 
Brotogeris chiriri juv. schließen. 

Wagler (Monogr. Psittae. p. 616 ff.), dem vermutlich Spix’ Typen noch vorlagen, erklärte 
sie für das Jugendkleid von Psittacula passerina. 


Brotogeris st. thomae (P. L. S. Müll.) 


Psittacus St. Thomae P. L. S. Müller, Natursyst. Suppl. (1776) p. 81 (ex Daubenton, tab. 456, 
Fig. 1. — „Insel St. Thomä.“ errore! — wir ergänzen Brasilien, Amazonenstrom.) 

Psittaculus tuwi Spix, Av. Bras. I (1824) p. 39 („in sylvis flum. Amazonum*) 

Brotogerys tui auet. 

Ein Exemplar von Spix’scher Präparation mit der Bezeichnung: „Conurus Tui Gm. 
Brasilien.“ Es stimmt bis auf etwas schwächeren Schnabel mit einem von Natterer gesam- 
melten ö überein. 

‚ 76* 


Amazona xanthops (Spix) 


Psittacus xanthops Spix, Av. Bras. I (1824) p. 39, tab. XXVI („in interiore Minas Geraös.“) 


Die Münchener Sammlung besitzt noch das Original zu Spix’ Beschreibung und Abbildung 
unter der Bezeichnung: „Ohrysotis amazonieus Gm. var. zanthops Sp. Brasilien. Spix.* 

Obwohl diese Spezies außerordentlich großer, offenbar mit dem Alter zusammenhängender 
Variation in der Ausdehnung der gelben Farbe auf dem Kopfe und auf der Unterseite unter- 
worfen ist, unterscheidet sie sich von (. festiva juv., denen noch der hochrote Hinterrücken 
fehlt (siehe unten), doch jederzeit leicht durch das Vorhandensein von Gelb auf dem Kopfe, 
hellgrüne oder bläulichgrüne (statt tiefblaue) Handdecken und Handschwingen, den Mangel von 
jeglichem Blau auf dem Kopfe, viel geringere Größe etc. ete. Da die Art noch sehr wenig bekannt 
und in Sammlungen äußerst selten ist, gebe ich im nachfolgenden eine kurze Besprechung der 
Serie des Wiener Museums, welche ich mit dem Typus zu vergleichen Gelegenheit hatte. 

Der letztere ist ein jüngerer Vogel und stimmt völlig mit einem von Natterer gesammelten ö 
(no. 2 der untenstehenden Liste) überein. Beiden fehlt die gelbe und rote Farbe auf der Unter- 
seite noch gänzlich. Der Vorderkopf bis zum Hinterrande des Auges, die Umgebung des letz- 
teren und die Ohrgegend sind gelb, die Handdecken bläulichgrün, die Schwingen weisen gar 
keine gelben Spitzen auf, die Unterseite ist hellgrün mit bloß undeutlichen, dunkler grünen 
Säumen auf Kehle und Vorderhals.. Der Wiener Vogel unterscheidet sich nur durch etwas 
blasseres Rot an der Schwanzbasis und merklich kleineren Schnabel. 

Ein © von Facenda do Perereira (no. 1 der folgenden Liste) scheint etwas älter zu sein 
und weicht von den beiden eben besprochenen Stücken in folgenden Punkten ab: von der Ohr- 
gegend ist bloß die obere Hälfte gelb (aber der Vorderkopf auch bis zum Hinterrande des 
Auges von dieser Farbe), an den Seiten der Brust stehen einzelne, schmale, blaßrote Quer- 
binden, die großen Flügeldecken und die Schwingen tragen deutliche, gelbe Spitzensäume, 
welche beim Typus ‘nur auf den ersteren schwach angedeutet sind, Handdecken und Hand- 
schwingen sind rein hellgrün (statt bläulichgrün), die Unterseite einen Ton gelblicher, die 
dunklen Spitzensäume daselbst etwar stärker markiert. 

no. 3 ©, Cuyabä hat das Gelb auf dem Kopfe fast ebenso weit ausgedehnt wie Spix’ 
Typus, nur blasser und auf dem Scheitel mit hellgrünen Federn vermischt. Die innersten Seiten 
der Vorderbrust zeigen einen kleinen Fleck gelber und orangeroter Federn. Der Schnabel ist 
etwa so groß wie beim T'ypus. 

Bei no. 4, ö, Araguay ist die ganze Wangen- und Öhrgegend gelb, der Vorderkopf 
gelb und grünlich gemischt, die Handdecken sind bloß bläulichgrün, die Handschwingen rein- 
grün. Die Seiten der Vorderbrust weisen einen viel größeren Fleck von scharlachroten, gelb 
serandeten Federn auf. h 

Bei no. 5, © ohne näheren Fundort, sind der ganze Vorderkopf, Zügel, Ohrgegend und 
Backen reingelb, an den Seiten der Vorderbrust steht ein noch viel größerer scharlachroter 
Fleck, der gegen die Mitte der Brust in Orangerot übergeht und mit dem der anderen Seite 
fast zusammenfließt. Dieser Vogel ist zweifellos bedeutend älter als alle die vorher erwähnten, 
hat aber noch nicht den Grad von Ausfärbung erreicht wie ein 5 ad. von Sangrador. Dieses 
zeigt den Vorderkopf, die Backen- und Ohrgegend rein gelb, die hintere Partie der letzteren 
ınehr ins Orangegelbe ziehend; an den Seiten der Mittelbrust ist ein großer, orangeroter, unter 
den Flügeln mehr scharlachroter Fleck, der sich als (etwa 50 mm) breites, hochgelbes, mit 
orangeroten Rändern besetztes Band quer über den Unterkörper zieht. 

Ein weiteres, sehr altes & (no. 7) des Wiener Museums hat den ganzen Oberkopf und 
Nacken ebenso wie Kopfseiten und Kehle gelb (nur auf dem Hinterkopfe findet sich noch eine 
Anzahl grüner Federn), über die vorderste Brust zieht ein schmales grünes Querband, Brust 
und Bauch sind ganz orangegelb, die Weichen heller gelb, die Brustseiten in scharlachrot über- 
gehend; bloß die Hosen, Analgegend und Unterschwanzdecken sind noch hellgrün. Ich bin 
nicht ganz sicher, ob dieses Stück wirklich das vollendete Alterskleid oder nur eine abnorme 
Ausartung darstellt, weil es auf der rechten Schulter einige ganz gelbe Federn trägt! 


589 


Mus. Vind.no.1. “ jr. „Fazenda do Perereira, 14. März 1828“: a. 177, c.80!/,, culm. 27 mm 
% eEmos2i RT Brazil: a. 192, e. 98, ec. 27 mm 
y „ 20.3. „Q* jr. „Cuyabä, Nov. 1827*: a. 183, c. 85, culm. 27 mm 
A „ n0.4. „ö“ jr. „Araguay, 8. Nov. 1827“: a. 196, e. 95, ceulm. 281/, mm 
R „ n0.5. „Q“, fere ad. Brazil: a. 183, e. 85, eulm. 27 mm 
S »„ n0.6. „ö ad. Sangrador, 15. Juli 1825: a. 192, ce. 91, eulm. 28 mm 
Now. „o ad. Basenda S. Pereira, 14. Mai“: a. 187, e. 89, culm. 26!, mm 


Mus. MeRae, juv. Minas Geraös; Typus: a. 192, ec. 88, culm. 27 mm. 


Psittacus columbinus Spix — Amazona vinacea (Kuhl) 
Psittacus vinaceus (Prine. Maximil. Ms.) Kuhl, Consp. Psitt. (1820) p. 47 („Brasilia.* — Mus. 
Maximil. et Parisiensi. — sc. Vareda am R. Pardo, südl. Babia; efr. Wied, Reise II. 


PENI8H) 
Psittacus columbinus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 40, tab. XXVII („in sylvis St. Pauli.*“) 
Das Spix’sche Original ist nicht mehr in der Sammlung, übrigens passen Beschreibung 
und Abbildung recht gut zu einem von Natterer in $. Paulo gesammelten Paare. 


Psittacus malachitaceus Spix — Trielaria cyanogaster (Vieill.) 


Psittacus eyamogaster Vieillot, Nouv. Diet. XXV (1817) p. 328 („U Amerique meridionale*, wir 
ergänzen S. Brasil, Rio de Janeiro.) 
Psittacus malachitaceus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 40, tab. XXVIII („in sylvis Rio de Janeiro.“) 
Wir besitzen einen Vogel von Spix’scher Präparation, der sehr gut mit Beschreibung und 
Abbildung übereinstimmt. Es ist ein jüngeres Exemplar, dem noch der blaue Fleck in der 
Bauchmitte völlig fehlt. 


Psittacus pumilo Spix — Graydidascalus brachyurus (Kuhl) 


Psittacus brachyurus Kuhl, Consp. Psitt. (1820) p. 72 („Cajana.“ — Mus. Temminck.) 
Psittacus pumilo Spix, Av. Bras. I (1824) p. 41, tab. XXIX, Fig. 2 („ad flamen Solimoöns.“) 
Pachynus brachyurus auct. 

Das Spix’sche Original ist leider nicht mehr in der Sammlung, Beschreibung und Ab- 
bildung passen aber recht gut auf ein ö, von Natterer bei Barra do Rio Negro am 3. Juli 1833 
gesammelt. 


Psittacus maitaca Spix — Pinopsitta pileata (Scop.) 


Psittacus pileatus Seopoli, Ann. I. Hist. nat. (1769) p. 32 (Mus. Turriani. — loc. ign. wir 
ergänzen Rio.) 

Psittacus maitaca Spix, Av. Bras. I (1824) p. 41, tab. XXIX, Fig. 1 (ö), XXX (9) („in sylvis 
Rio de Janeiro prope pagum iudieum Prezidio de St. Joaö.“) 

Die Münchener Sammlung besitzt no. 1 ein ö mit der Aufschrift: „Psittacula pileata Scop. — 
maitaca Sp. Brasilien. Spix“, das in Färbung und Haltung ausgezeichnet der Figur auf tab. 29 
entspricht; bloß der Hinterkopf ist nicht einfarbig hochrot, sondern stark mit gelbgrünen und 
hellgrünen Federn vermischt und auch die Ohrgegend noch rot, was in der Figur nicht deut- 
lich erscheint. 

no. 2. „Psittacula pileata Scop. — maitaca Sp. 2. Brasilien. Spice“ entspricht in jeder 
Hinsicht völlig der Tafel XXX. Es unterscheidet sich vom & durch grüne Färbung von 
Oberkopf und Kopfseiten ohne jedes Rot, mattblaue Stirn und matter blauen Flügelbug und 
Flügelrand. 


Psittacus flavirostris Spix — Pionus maximiliani (Kuhl) 


Psittacus maximiliani Kuhl, Consp. Psitt. (1820) p. 72 („Brasilia.*) ' 
Psittacus flavirostris Spix, Av. Bras. I (1824) p. 42, tab. XXXI, Fig. 2 („in sylvis cam- 
pestribus Piauhy.*) 


>90 


Das Spix’sche Original mit der Bezeichnung: „Psittacus Maximiliani Kuhl. — flavirostris 
Spix. Brasilien. Spie* stimmt in der Färbung vollständig mit einem alten Vogel aus Bahia 
(eoll. Sturm) überein, ist nur etwas kleiner: al. 160 (statt 170), eauda 77 (statt 80) mm. Der 
Schnabel ist mit Ausnahme der Basis der oberen Mandibel gelb, die Stirn grün mit bläulichen 
Spitzensäumen, ohne jedes Rot. Kuhl scheint einen jüngeren Vogel mit rötlichem Stirnrand 
beschrieben zu haben. 

Pionus senilis (Spix) 
Psittacus senilis Spix, Av. Bras. I (1824) p. 42, tab. XXXI Fig. 1 (kein Fundort.) 

Das Original befindet sich mit der Bezeichnung: „Psittacus senilis Sp. Brasilien. Spix“ 
in der Staatssammlung. Es stimmt in jeder Hinsicht mit mehreren Bälgen aus Mexiko überein. 
Spix gibt nicht ausdrücklich an, daß er den Vogel in Brasilien gesammelt hat, es wäre aber 
immerhin möglich, daß derselbe irgendwo lebend gehalten und von den Reisenden angekauft 
wurde. Anderseits ist es bei der Unzuverlässigkeit der Spix’schen Angaben (vgl. oben bei 
Aratinga pertinax) keineswegs ausgeschlossen, daß er das Stück bei der Rückkehr von Brasilien 
im hiesigen Museum vorfand und in sein Werk mitaufnahm, vielleicht irregeleitet durch eine 
falsche Fundortsangabe. Jedenfalls ist der Typus absolut identisch mit der in Mexiko und 
Guatemala vorkommenden Form und die Art als Bewohner Brasiliens bis auf weiteres zu streichen. 


Amazona diadema (Spix) 
Psittacus diadema Spix, Av. Bras. I (1824) p. 43, tab. XXXU [„fl. Solimoöns.“] 


Den Typus konnte ich leider in der Münchener Staatssammlung nicht mehr auffinden, 
untersuchte jedoch eine Serie aus Barra do Rio Negro [am Einflusse dieses Stromes in den 
Solimoöns] im Wiener und Münchener Museum (coll. Natterer), die wohl zweifellos zu A. diadema 
gehört. Es sei übrigens bemerkt, daß keines der untersuchten Exemplare in der Freiheit 
geschossen zu sein scheint, da sie alle stark abgestoßenen Schwanz und mehr oder weniger 
gestutzte Flügel haben. Von A. autumnalis (L.) unterscheiden sie sich sofort durch grüne (statt 
reingelbe) Backen- und Wangengegend. 

Salvadori (Cat. Birds XX, p. 300) unterschied eine sehr nahe verwandte Form aus Zentral- 
Amerika und Colombia unter dem Namen A. salvini uud rechnet dazu auch eines der von 
Natterer heimgebrachten Exemplare vom Rio Negro. Als Kennzeichen dieser westlichen Form 
gibt der genannte Autor an: „very much like ©. diademata (sie!), from which it differs in having 

1. the frontal red band not turning to dark garnet on the lores; 

2. the feathers of the erown, oceiput, and hind neck green with lilac edges; 

3. the oceiput without yellow tinge; 

4. the cheeks and the under surface distinetly yellowish green.“ 

Auf Tafel VII Fig. 2 und 3 sind die Köpfe beider Formen abgebildet und zeigen die 
angegebenen Unterschiede recht deutlich. 

no. 1. „Q“ „zu Parä krepiert“ — Natterer coll. stimmt recht gut zu Spix’ Beschreibung 
und Abbildung. Stirnband und Zügel sind lebhaft rot, die vordere Partie des Scheitels hell- 
blau. die Basis der Federn blaßgelbgrünlich; der Hinterscheitel gelblich mit grünlichen Säumen; 
die Handdeeken grün mit mattblauen Spitzen; Brauengegend und Ohrdecken grün, Backen und 
Wangen etwas mehr gelblichgrün. Es fehlt bloß die gelbe Feder am Rande des roten Flügel- 
spiegels, die auf der Spix’schen Tafel dargestellt ist. Dies ist jedoch ohne Belang, da sich 
gelbe Federn bekanntlich bei Papageien bald hier, bald da finden. no. 1 entspricht in der 
Färbung des Kopfes völlig Salvadori’s Fig. 2, Chr. diademata, nur fehlt der schwarzrote Fleck 
vor dem Auge, welcher nach Salvadori’s Angabe für A. diadema charakteristisch sein soll. 
Demgegenüber sei hervorgehoben, daß weder in Spix’ Beschreibung, noch ‚auf der Abbildung 
(tab. 32) seiner erwähnt wird! 

no. 3. „Öö, Barra do Rio Negro, 26. Okt. 1832“ hat im wesentlichen dieselbe Färbung, 
nur ist das Hellblau über die Mitte des Scheitels ausgedehnt, so daß nur der Hinterkopf 
grünlichgelb erscheint. 


591 


no. 2. „Q, zu Barra eingegangen“ unterscheidet sich von no. 1 und 3 dadurch, daß der 
ganze Scheitel gleich dem Nacken gelbliehgrün gefärbt und mit hellblauen een besetzt 
ist [letzteres wie Cat. B. tab. VII, Fig. 3 0. en 


no. 5. „ö, Barra do Rio Negro* stimmt in der Färbung des Oberkopfes mit no. 3 über- 
ein, nur hat das Blau einen mehr lilafarbigen Ton. Wie bei no. 3 ist nur der Hinterkopf 
gelblichgrün. 

no. 6. np“ Barra do Rio Negro (Mus. Monac. — coll. Natterer) steht in der Färbung 
des Oberkopfes in der Mitte zwischen Figur 2 und 3 (Cat. Birds XX, tab. VII) Stirn ae 
Züsel sind gleichfarbig hochrot wie in Figur 3, der Hinterkopf zeigt einen schwachen, gelb- 
Beben Ton (wie Figur 2), allein die bläulichen Federsäume erstrecken sich viel weiter über 
den Scheitel als in Figur 2, freilich nieht über den Hinterkopf, wie es Figur 3 zeigt. no. 6 
zeigt eine Andeutung des gelben Saumes längs dem hochroten Flügelspiegel, kommt also hierin 
der Spix’schen Darstellung (tab. 32) sehr nahe. 


no. 4. „ö, Barra do Rio Negro, 16. November 1833“ stimmt in der Färbung des Pileums 
mit no. 5 überein, unterscheidet sich aber von allen anderen Stücken dadurch, daß die rote 
Färbung vor dem Auge einen viel dunkleren, braunroten Fleck bildet, ganz wie 
es Salvadori für seine A. diademata (coll. Massena) beschreibt (Cat. XX, tab. VII, Fig. 2.) 

Von sechs Exemplaren besitzt also nur ein einziges den braunroten Anteoeular- 
fleck, der somit nicht als diagnostisches Kennzeichen gelten kann. Dagegen zeigen alle Exem- 
plare einen ausgesprochenen gelblichen Ton auf dem Hinterkopf, der auch in Spixens Original- 
abbildung (tab. 32) sehr deutlich ausgeprägt ist. Es unterliegt demnach wohl keinem Zweifel, 
daß die von Natterer bei Barra do Rio Negro erworbenen Vögel zur richtigen A. diadema 
gehören. Specimen m. von Ü. salvini (Cat. Birds XX p. 300) dürfte somit wohl nur aus Ver- 
sehen zur westlichen Form gestellt worden sein. 

Schon aus geographischen Gründen ist es wehl ausgeschlossen, daß die von Zentral- 
amerika bis in das Cauca-Tal, W. Colombia verbreitete A. d. salvini am unteren Rio Negro 
wieder auftreten sollte, während am Ziio Solimoöns eine andere nahe verwandte Form vorkommt! 
Die nachstehende angegebene Verbreitung ist weit plausibler. 


Wir hätten demnach zu trennen: 

1. Amazona diadema diadema (Spix): Rio Solimoöns, östlich bis Barra do Rio Negro. 

2. Amazona diadema salvini (Salvad.): Nicaragua, Costa Rica, Panama und Cauca-Tal 
in W.-Colombia. 


Amazona farinosa (Bodd.) 


Psittacus farinosus Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783) p. 52 (ex Daubenton, Pl. enl. t. 861. — 
Cayenne.) 

Psittacus pulverulentus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 43 („ad flumen Solimoöns.“) 

Das von Spix gesammelte Exemplar befindet sich nicht mehr im Münchener Museum. 

Salvadori (Cat. Birds XX p. 281) trennte die Vögel von Panama, Üolombien bis Peru 
und Brazil als A. inornata von der Cayenne und Guiana bewohnenden A. farinosa und gibt 
als Merkmale ersterer an: „like A. farinosa, but larger and without any yellow spot on the 
vertex.“ Leider liegen mir keine topotypischen Stücke von A. farinosa vor, und ich kann daher 
über die Größenunterschiede nicht urteilen; was jedoch den anderen Charakter anlangt, so ist 
in Bezug darauf erhebliche Variation festzustellen. Ein ö ad. von Borba, 29. Nov. 1829 
(Mus. Vind.; Natterer coll.) zeigt auf dem Vorderscheitel einen wohl ausgeprägten, hochgelben 
Fleck, ein anderer alter Vogel, gleichfalls von Natterer gesammelt — leider ohne näheren 
Fundort — auf der Scheitelmitte nur 3—4 gelbe Federn, ein © von Para, 21. Dez. 1834 auf 
der Stirn gar bloß eine einzige solche Feder, während ein & von Borba, Mai, ein ö von 
Cocuy am oberen Rio Negro, 11. Februar 1831 und ein O von Parä, 15. Dez. 1834 ganz 
grünen Oberkopf ohne alle Spur von Gelb besitzen. Eine hübsche Suite von Bälgen aus 
N. Eeuador hat gleichfalls durchwegs grünen Scheitel und Stirn. In der Größe ist zwischen 
den Exemplaren aus Eeuador und Brasilien keine Differenz wahrnehmbar. Da sonach an einem 


592 


und demselben Orte Vögel mit und ohne gelben Scheitelfleck vorkommen, möchte ich auf dieses 
Kennzeichen nicht allzuviel Wert legen. Zu erwähnen ist ferner, daß Daubentons Tafel 861, 
worauf Boddaerts Psittacus farinosus beruht, auch einfarbig grünen Scheitel zeigt, während 
nach Salvadori gerade der Cayenne- und Guiana-Form der gelbe Scheitelfleck zukommen soll. 
A. inornata (Salvad.) scheint mir als besondere Form daher noch nicht gesichert zu sein. 


Deroptyus aceipitrinus fuscifrons Hellm. 


D. a. fuseifrons Hellmayr, Nov. Zool. XII (1905) p. 303 (Para). 

Psittacus aceipitrinus (nee Linnaeus!) Spix, Av. Bras. I (1824) p. 44 tab. XXXII? [„prope Villa 
Nova, pagum ad flumen Amazonum*]. 

Pionias aceipitrinus Pelzeln, Zur Orn. Bras. III (1869) p. 265 (part., „Parä). 

Deroptyus aceipitrinus Salvadori, Cat. B. Brit. Mus. XX (1891) p. 335 [part,; Maranhäo, 
‘N. ©. Brazil]. 


Similis D. a. accipitrino (L.) ex Cayenna, sed pileo fusco-brunneo (minime toto albido), 
maculis sordide albescentibus solummodo variegato; fundo in lateribus capitis multo saturatiore 
(fusco-brunneo) neenon reetrieibus externis absque macula basali cupreo-rosea primo visu 
distinguendus. 

habitat: ad ripas /huminis Amazonum inferioris | Villa Nova ad oram fl. Xingu (Spix coll.); 
Pard (Natterer und Robert coll.)] et in provineia Maranhäo (Wendenborn). 

Ein von Spix gesammeltes Exemplar und das von Natterer bei Parä erlegte Stück (jetzt 
in Mus. Monac.) unterscheiden sich von drei Vögeln aus Cayenne (Mus. Monac.), einem & ad. 
aus Surinam (Mus. Vindob.) und einer Serie aus Brit. Guiana (coll. Whitely; Mus. H. v. Ber- 
lepsch) sofort durch den dunkelbraunen, nur mit verloschenen, trübweißlichen Flecken gezeich- 
neten Oberkopf (statt gleichfarbig weiß). wesentlich dunkler braune Grundfarbe der Kopfseiten 
mit schmälerer, mehr streifiger, heller Zeichnung und völligem Mangel des kupferrötlichen Flecks 
an der Basis der drei äußeren Steuerfedernpaare. Ferner ist bei den Vögeln vom unteren 
Amazon die Grundfarbe des übrigen Unterkörpers entschieden dunkler braun und die subter- 
minalen Flecken daselbst ein wenig dunkler rot. Bereits Salvadori hat auf ähnliche Unter- 
schiede der Vögel von Maranhäo, N. O. Brazil aufmerksam gemacht, und ich trug daher kein 
Bedenken, die Bewohner des nordöstlichen Brasiliens subspezifisch zu trennen. 

Die neue Form scheint in ihrer Verbreitung auf das Mündungsgebiet des Amazon und 
den angrenzenden Staat Maranhäö beschränkt zu sein. 

Natterer sammelte einen alten Vogel bei Pard und Spix erbeutete seine Exemplare bei 
Villa Nova, gegenüber der Mündung des Xingü-Flusses in den Amazon. 

Die von Natterer bei Manäos, an der Mündung des Rio Negro und weiter oberhalb an 
diesem Flusse gesammelten Vögel’(2 09 1 ö in Mus. Vindob.), die ich kürzlich untersuchte, 
gehören jedoch bereits zur typischen Form mit weißem Scheitel und kupferrosenrotem Fleck 
an der Basis der äußeren Steuerfedern. 

Danach scheint es mir doch etwas zweifelhaft, ob Buckley’s Vogel aus Sarayacu, O. Beuador 
wirklich zu der hier beschriebenen Form gehört. 

Es sei schließlich betont, daß die obigen Färbungsunterschiede, die mich zur Aufstellung 
des D. a. 'fuseifrons bewogen, nicht etwa auf Geschlechtsverschiedenheiten zurückzuführen sind; 
denn die 66 und O9, deren Geschlecht von Natterer und Whitely festgestellt wurde, sind 
untereinander in keiner Weise verschieden. 


Amazona festiva (Linn.) 


Psittacus festivus Linnaeus, Syst. nat. ed. X (1758) p. 101 („in Indiis.* — errore! wir setzen 
als terra typica den brasilianischen Amazonenstrom fest). 
Psittacus festiwus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 44 („ad flumen Ica“). 


Von den durch Spix mitgebrachten vier Exemplaren ist keines mehr in der Sammlung 
zu finden. 


Pr 


593 


Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, daß A. chloronota Souance, eine Art über 
die Conte Salvadori (Cat. B. XX p. 308) im Zweifel war, nichts anderes ist als das Jugend- 
kleid von A. festiva (L.). Dies geht aus der von Natterer gesammelten Serie des Wiener 
Museums unzweifelhaft hervor. Fünf Vögel (1 ö, 10 Forte do Rio Braneo; 1 & Borba; 2 00 
Barra do Rio Negro) haben den ganzen Hinterrücken bedeckt mit dichten, blutroten, an der 
Basis blaßgelben Federn. Das Paar vom Rio Branco und die beiden © 9 von Barra haben 
ganz hellgrüne Steuerfedern, nur an der Basis der äußeren Paare einen undeutlichen gelben 
Schaftstrich; beim ö von Borba ist letzterer viel deutlicher und auf dem äußersten Paare 
blaßrot. Ein „Ö horn.“ aus Barra do Rio Negro zeigt den ganzen Hinterrücken gleich dem 
Mantel hellgrün gefärbt und die vier äußeren Steuerfedernpaare tragen einen deutlichen, blaß- 
roten Fleck an der Basis, der gegen die Spitze hin in Gelb übergeht und weiter ausgedehnt 
ist als bei dem Borba-Vogel. Ein anderes „ö jr.“ von Barra weist auch noch grünen Hinter- 
rücken auf, allein an seiner rechten Seite steht bereits ein Büschel frischer, blutroter 
Federn; alle Steuerfedern sind im basalen Drittel lebhaft rot gefärbt. Sonach unterliegt es 
keinem Zweifel, daß A. festiva und A. chloronota nur Stadien einer und derselben Art darstellen. 


Amazona aestiva (Linn.) 


Psittacus aestivus Linnaeus, Syst. nat. ed. X (1758) p. 101 (ex Aldrovandi, erstes Zitat. — 
„America“, wir ergänzen S. Brazil). 


Psittacus aestivus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 44 („in sylvis Amazonum“). 


Die Sammlung besitzt nur mehr ein Exemplar mit der Bezeichnung: „COhrysotis ochro- 
cephala Gm. Brasilien. Spiw.* Es hat jedoch mit A. ochrocephala nichts zu tun, sondern gehört 
zur richtigen A. aestiva, mit hellbläulichem Vorderkopf und hellgelber Färbung von Zügel-, 
Backen- und Wangengegend. Es stimmt in jeder Hinsicht mit einer Anzahl von 6 überein, 
die Natterer bei Marungaba und Escaramuza in S. Paulo, Südbrasilien gesammelt hat. Die 
Fundortsangabe „Amazonas“ dürfte also kaum richtig sein, vorausgesetzt, daß sie sich auf das 
in Rede stehende Exemplar bezieht. Nach den Bemerkungen Spix’ scheint es, als hätte er 
mehrere Arten unter A. aestiva zusammengeworfen. Der einzige noch vorhandene Vogel aus 
Spixens Sammlung ist offenbar derjenige, von dem der Autor unter Variet. Juv. 4 sagt: „specimen 
alterum parum robustius circa oculos subflavicans“. 


Im Anschlusse an vorstehende Notizen möchte ich einige Worte über zwei nahestehende 
Arten hinzufügen. A. aestiva und A. ochrocephala sind sehr nahe verwandt und bilden mit 
A. nattereri eine natürliche Gruppe, vielleicht sollten alle drei bloß subspezifisch gesondert werden. 


Sie stimmen untereinander in allen wesentlichen Kennzeichen überein und unterscheiden 
sich von A. amazonica durch einen großen, hochroten Fleck am Flügelbug und hochroten 
(statt orangegelbroten) Flügelspiegel. A. nattereri (Finsch) wurde von ihrem Beschreiber zu 
Unrecht mit A. farinosa (Bodd.) verglichen und gehört vielmehr in die nächste Verwandtschaft 
von A. aestiva und A. ochrocephala. Sie hat gleich diesen beiden Arten weit ausgedehnten 
hochroten Flügelbug und Flügelspiegel und rote Basis der Steuerfedern, unterscheidet sich aber 
von A. ochrocephala, mit der sie in dem Mangel von jeglichem Gelb an den Kopfseiten über- 
einstimmt, durch breites, bläuliches Stirnband (statt eines schmalen, grünen Randes), bläuliche 
Färbung von Augen- und Backengegend (statt rein hellgrün), bläulichgrüne (statt reingrüne) 
Kehle und grüne, leicht bläulich überlaufene (statt gelblichgrüne) Unterseite. 

A. farinosa und A. f. inornata (Salvad.) unterscheiden sich von all den drei oben- 
genannten Arten durch grünen, in der Endhälfte mehr gelbgrünen Schwanz ohne jedes Rot 
an der Basis, grünen (statt hochroten) Flügelbug und in großer Ausdehnung rosenroten (statt 
grünen) Flügelrand. 


Die folgende Übersicht möge die Unterscheidung der Arten erleichtern. 


. A. Basis der Steuerfedern und Flügelspiegel a er a oder gelb, Flügelrand 


Ru 2 ers ; . A. amazonica. 
Abh. d. II.Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. Li 


594 


B. Basis der Steuerfedern und Flügelspiegel hochrot; Flügelbug hochrot, Flügelrand grün. 
a) Kopfseiten mit mehr oder weniger Gelb . . 2.2.2... 4. aestiva. 
b) Kopfseiten ohne Gelb. 
a‘) Schmaler Stirnrand und Kopfseiten reingrün, Kehle grün, 


Unterseite gelblichgrün . . . A. ochrocephala. 
b‘) Breites Stirnband, Augen- und Backengegen bläulich, Kehle 
und Unterseite bläulichgrün . . As matterene 


C. Basis der Steuerfedern grün, Flügelspiegel hochrot, Mlügelbug grün, Flügelrand rosenrot. 
A. f. farinosa. A f. inornata. 


Amazona amazonica (Linn.) 


Psittacus amazonicus Linnaeus, Syst. nat. ed. 12 v. 1 (1766) p. 147 (ex Brisson, Frisch ete. — 
„Surinam“. errore! Wir substituieren „le pays des Amazones“ ex Brisson). 
Psittacus amazonieus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 45 („in sylvis flum. Amazonum‘). 
Kein Spix’sches Stück mehr in der Sammlung. Die Art kommt nicht nur im Amazonas- 
gebiete, sondern auch in 8.0. Brasilien vor. Ich studierte eine Serie von 15 Exemplaren 
(Natterer leg.) in den Museen Vindob. und Monac. von folgenden Fundorten: 


1 ö, 2 2 9 Barra do Rio Negro, Sept., Nov. 
1 ö, 2 © 9 Forte do Rio Branco, Nov., Jan. 
1 ö Borba, R. Madeira, 2. Juli 1830. 

1 ö Cachoeira da Bananeira, R. Madeira, Sept. 
1 ö Villa Maria, Matogrosso, 27. Juli 1825. 

1 & Cuyabä, 12. Jan. 

1 ö Estrella am Paranäa, 18. Sept. 1823. 

1 ö, 2 2 2 Rio de Janeiro, Nov. 


Die Vögel von Rio de Janeiro sind von denen aus Amazonien in keiner Weise ver- 
schieden. Bei beiden finde ich Stücke mit einfarbig hellblauem Vorderkopf und andere mit 
mehr oder minder ausgedehntem, gelben Fleck daselbst. Alle Stücke haben einfarbig grünen 
Flügelbug, gelben Flügelrand, orangeroten, gelb gesäumten Flügelspiegel und gelbe Backen-, 
Wangen- und vordere Bartgegend. Die Vögel von Cuyabä, Estrella und Rio scheinen stets 
hellblaue Spitzen auf den Kinnfedern zu tragen, welche bei den nördlichen Individuen schwächer 
sind, so daß die gelben Basen mehr hervortreten. Aber auch dies scheint nicht ganz konstant, 
wenigstens kann ich einzelne Exemplare hierin nicht unterscheiden. Die Innenfahne der Steuer- 
federn ist bei dieser Art an der Basis in großer Ausdehnung orangerot mit einem kleineren 
oder größeren grünen Fleck in der Mitte dieses roten Feldes; die Spitzen der Steuerfedern 
sind mit Ausnahme des mittelsten Paares gelbgrün. Ohne Rücksicht auf Lokalität tragen die 
Handschwingen bald weißliche Spitzenränder, bald fehlen diese; die Federn des Hinterkopfes 
und Nackens sind stets schwärzlich quergesäumt. Auch in der Größe besteht zwischen den 
Exemplaren von verschiedenem Fundort kein Unterschied. A. amazonica gehört offenbar einem 
ganz anderen Formerkreise an als A. aestiva und A. ochrocephala, da sie im Norden (so am 
Rio Branco) neben letzterer, und im Süden (bei Rio) neben ersterer vorkommt. 


Von den folgenden vier Arten: 
Pionopsitta barrabandi (Kuhl) = Psittacus barrabandi Spix, l. ec. p. 45 („ad flumen Ica“) 
Pionus menstruus (Linn.) — Psittacus menstruus Spix, l. e. p. 46 („flum. Solimoens“) 
Pionus fuscus (P. L. $. Müll.) = Psittacus purpureus Spix, 1. ec. p. 46 („ad urbem Parae*) 
Pionites melanocephalus (Linn.) = Psittacus melanocephalus Spix, l. e. p. 46 („ad flumen Negro“) 


befinden sich keine Spix’schen Exemplare mehr in der Sammlung. Übrigens sind sie alle ganz 
klar und bedürfen keines weiteren Kommentars. 


. 


595 


Pharomachrus pavoninus (Spix) 


Trogon pavoninus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 47, tab. XXXV („in sylvis Tabafingae et 
Marabitannas“). 


Die Sammlung besitzt zwei 6 ö ad. mit der Bezeichnung: no. 1: „Trogon pavoninus Sp. 
Calurus — Sw. Brasilien.“ no.2. „Trogon pavoninus Sp. Brasilien.“ Obwohl Spix nicht aus- 
drücklich als Sammler bezeichnet wird, stammen sie doch zweifellos von dessen Reise, denn 
ihre Präparation stimmt vollständig mit der anderer nachweislich von Spix heimgebrachter 
Stücke überein. Beide sind noch in ziemlich gutem Erhaltungszustand, bloß der Schnabel ist 
stark verbleicht und erscheint daher gelb und blaßrötlich gemischt, und der Unterkörper hat 
sich in ein helles Rosenrot (statt des leuchtenden Rot bei frischen Bälgen) verwandelt. Der 
Kopf ringsum weist starken goldigen Bronzeglanz auf, die Schwanzfedern sind einfarbig matt- 
schwarz. Einige von Natterer am Rio Negro gesammelte 5&& des Wiener Museums, die ich 
verglich, sind mit den Typen der Art identisch. 


P. auriceps unterscheidet sich auf den ersten Blick durch gelben (statt roten) Schnabel. 


Unter dem Namen P. auriceps hat Mr. Grant mindestens zwei verschiedene Formen zusammen- 
geworfen. Ich kann unterscheiden: 


1. P. a. auriceps: ©. Ecuador, Colombia und Merida, Venezuela. 
2. P. a. heliactin (Cab. und Heine) aus W. Ecuador, welcher viel kleiner und schwächer 
gebaut ist. 


P. xanthogaster Turati und Salvad. scheint nach den Ausführungen Oustalets auch ver- 
schieden zu sein. 


Trogon aurantius Spix 


Av. Bras. I (1824) p. 47, tab. XXXVI („in sylvis Rio de Janeiro“). 


Das Stück der Münchener Sammlung, das in jeder Hinsicht der Beschreibung und Ab- 
bildung entspricht, trägt eine Etikette mit der Aufschrift: „Zrogon aurantius Sp. 6 Spix. 
Brasilien.“ Es ist noch ziemlich gut erhalten, nur der Unterkörper stark verblaßt: die Brust- 
mitte allein erscheint noch orangerosa, die übrigen Teile gelblichweiß. Es stimmt in der Ver- 
teilung der Farben und in der Schwanzzeichnung völlig mit einem 5 ad. von T. surrucura 
Vieill.) aus Paraguay (Mus. Monac. 190+4/930) überein und unterscheidet sich nur durch 
orangegelben (statt hochroten) Unterkörper. Bei beiden Arten ist der Kopf ringsum (einschließl. 
Kopfseiten, Kehle und Vorderhals) schwarz mit lebhaft metallischem Glanze, der bei T. surru- 
cura stahlblau und blaugrün, bei T. aurantius”?) violett, nur an den Halsseiten und dem Vorder- 
hals grün vermischt ist, der Rücken schimmernd bronzegrün, die Oberschwanzdecken ein wenig 
reiner grün (bei T. aurantius mit leichtem, bläulichem Tone.) Flügeldecken fein schwarzgrau 
und weiß marmoriert, Handschwingen braunschwarz, die äußeren mit feinem, weißem Außen- 
rande, Afterflügel und Handdecken einfarbig schwarzbraun, Armschwingen schwarzbraun, die 
Außenfahne der Tertiären und ein breiter Saum an der der übrigen Armschwingen fein schwarz- 
grau und weiß marmoriert, Basisviertel beider Fahnen aller Armschwingen weiß. Drei äußere 
Schwanzfedernpaare an der Basis schwarz, im übrigen weiß; auf den beiden äußeren erstreckt 
sich die schwarze Färbung etwa über die Basishälfte, auf dem dritten Paare ist bloß ein etwa 
30 mm langer Spitzenfleck weiß. Die übrigen Steuerfedern schwarz, das ganze mittlere Paar 
und die Außenfahne der übrigen metallisch glänzend, bei 7. aurantius bläulichgrün, bei 
T. swrrucura bronzegrün. Schnabel bei beiden gelblichweiß. 


Mus. Monac. 5 ad. Typus von T. aurantius, Rio de Janeiro: a. 133, ce. 144 mm 
5 > 1904/930 „ö“ ad. „Bernalcue, Paraguay“, Lokalname: „Zurucud“: a. 137, 
e. 151 mm. 


l) Trogon surrucura Vieillot, Nouv. Diet. VIII (1817) p. 321 (ex Azara no. 270. — Paraguay). 


2) Ein ö von T. surrucura aus Mattodentro, S. Paulo (Natterer) stimmt in der Färbung von Kopf, 
Kehle und der mittleren Steuerfedern mit 7. aurantius überein. 
= 


596 


T. aurantius scheint der nördliche Vertreter des T. surrucura Vieill. zu sein. Spix sammelte 
ihn bei Rio de Janeiro, Burmeister in demselben Staate bei Neufreiburg, Natterer erhielt ihn 
aus Minas Geraös. Dies sind wohl die einzigen, sicheren Fundorte für unsere Art. Die Angabe 
Grants, daß sie auch in Gwiana vorkomme, entbehrt offenbar jeder Begründung. In S. Paulo, 
Santa Catharina und Rio grande do Sul kommt bereits _T. surrucura vor. 


Trogon castaneus Spix = T. curucui L. © 
Trogon Curucui!) Linnaeus, Syst. nat. XII (1766) v. 1 p. 167 (fexel. Zitat Hernandez] — ex 
Brisson, Maregrave. — Brasilien). 


Trogon collaris Vieillot, Nouv. Diet. VIII (1817) p. 320 [ex Levaillant, tab. 6. — Cayenne]. 
Trogon castaneus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 48, tab. XXX VII („in sylvis Tabatingae“). 


Ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Trogon collaris Lath. — castaneus Sp. Q Brasilien. 
Spix.*“ Es entsprieht in jeder Hinsicht, Be Beschreibung und Abbildung bei Spix, abgesehen 
davon, daß die Färbung des Unterkörpers in ein weißliches Rosa verblaßt ist, und stimmt mit 
einem © aus Villa Maria, Matogrosso (coll. Natterer) sehr gut überein. 

Das © des T. curucui unterscheidet sich von dem des T. personatus sofort durch oliv- 
braune (statt schwärzliche) Kopfseiten. 


Trogon sulphureus Spix ö — Trogon atricollis Vieill. 


Trogon atricollis Vieillot, Nouv. Diet. VIII (1817) p. 318 (ex Levaillant, Couroucous tab. 8. — 
„Guyane, Surinam et & la Trinite“). 

Trogon sulphureus Spix (part. 6), Av. Bras. I (1824) p. 48, tab. XXXVII, Fig. 1 (5) („in 
sylvis Tabatingae ad flumen Solimoens*). 

Die Sammlung besitzt ein Exemplar mit der Aufschrift: „Trogon sulphureus Sp. 6 Bra- 
silien. Spix“, das in Färbung und Haltung mit der Figur des ö& im Spix’schen Werke sehr 
gut übereinstimmt; nur ist der gelbe Unterkörper in Weiß ausgebleicht! 

Maße: a. 113, c. 118 mm. 

Ich verglich das Spix’sche Original mit einer großen Serie des T. atricollis im Tring 
Museum und fand es völlig identisch mit einem 5 ad. R. Carimang, Brit. Guiana, 17. Dez. 1885 
(H. Whitely jr. coll.). Bei beiden ist die dunkle und helle Querzeichnung der Flügeldecken, 
der leicht bronzegrün schimmernde Rücken und die bronzegrünen mittleren Schwanzfedern 
ganz gleich gefärbt. Ein anderes ö ad. vom selben Fundort, 6. Juli 1885, unterscheidet sich 
nur durch reiner grünes mittleres Steuerfedernpaar. T. atricollis chrysochlorus Pelz. ist von 
Mr. Grant irrtümlicherweise mit 7. atricollis vereinigt worden und unterscheidet sich von der 
nördlichen Form unschwer durch den Mangel jeglichen Bronzeschimmers auf der Oberseite, 
welche mehr bläulichgrün glänzt, und etwas längere Flügel. Die ansehnliche Serie von Exem- 
plaren aus S$. Paulo, Paranä ete. in S. Brazil verhält sich in diesen Punkten ganz konstant. 

T. sulphureus ist bisher noch nicht identifiziert worden, woran wohl zum Teil der Umstand 
Schuld trägt, daß Spix eine Art aus einer ganz anderen Gruppe als © dazu stellte. 


Trogon sulphureus Spix © = T. violaceus Gm. O 
Trogon violaceus Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788) p. 404 (ex Koelreuter, Nov. Act. Petrop. II 
p- 436 no. 7, tab. 16, Fig. 8. — Surinam. — Cfr. Nov. Zool. IX 1902 p. 106). 


Trogon sulphureus En (part. ©), Av. Bras. I (1824) P- 48, tab. XXXVIIL, Fig. 2 (9) („in 
sylvis Tabatingae“). 
Trogon meridionalis Swainson, Anim. in Menag. (1838) p. 332 („Bahama“ — errore!). 


1) Dies ist der älteste Name für unsere Art. Linne stützte sich in erster Linie auf Brisson und 
Marcgrave, die beide den T. collaris auct. ausgezeichnet beschreiben. Die unrichtige Übersetzung der 
Angaben über die Färbung der Unterseite durch Linne („subtus fulvus“) scheint die Veranlassung gewesen 
Ay; ne daß man die Art bisher nicht erkannt hat. Quellenstudien klären allerdings fast immer der- 
artige Irrtümer auf. 


597 


Die Sammlung besitzt noch das Original mit der Bezeichnung: „Trogon sulphureus Spix. 
© Brasilien. Spie“, welches in jeder Hinsicht mit Beschreibung und Abbildung übereinstimmt. 
Nur der Bauch ist etwas verblichen und erscheint blaßgelb, hier und da treten auch die weißen 
Federbasen hervor. 

Die ganze Oberseite, Kopf- und Halsseiten, Kehle und Brust sind sehr dunkel schiefer- 
grau, die Flügeldecken und Armschwingen mattschwarz mit feinen, aber sehr scharfen, weißen 
Querlinien, bloß die Handdecken und Afterflügelfedern einfarbig braunschwärzlich, die Hand- 
schwingen sind dunkelbraun mit kleinen, weißen Randzacken auf der Außenfahne, Schwanz- 
federn mattschwarz, die drei äußeren Paare haben den größten Teil der Länge der Außenfahne 
regelmäßig schwarz und weiß gebändert und an der Spitze beider Fahnen einen breiten, weißen 
Fleck. Bauch und Unterschwanzdecken wie oben erwähnt ausgebleicht, doch sagt Spix: „abdomine 
crissoque subaurantio-sulphureis“. al. 114, e. 121 mm. 

Es stimmt mit einem O ad. vom Essequibo River in Brit. Guiana (Mus. Tring) in jeder 
Beziehung völlig überein; ein © von Munduapo am oberen Orinoko (no. 12080 Cherrie coll.) 
weicht bloß ab durch etwas heller schiefergraue Färbung von Oberseite und Kehle. Ein © des 
T,v. ramonianus aus O. Ecuador (Coca, Rio Napo; Goodfellow leg.) ist ebenso dunkel schwärzlich- 
schiefergrau auf dem Rücken und auf der Kehle wie das Spix’sche Original, unterscheidet sich 
aber durch viel undeutlichere, weißliche Querwellen auf den Flügeldecken, die nur in Form 
kleiner Randzähne, besonders auf der Außenfahne der Armschwingen auftreten. 

Swainsons Typus von T. meridionalis im Mus. Cambridge: „Trogon meridionalis Sw. 
Bahama Trogon. Mr. Lees. Bahama Isls“, den ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, ist absolut 
identisch mit einem von Andre bei Nicare am Caurafluß in Venezuela gesammelten Ö ad. im 
Tring Museum, ich stimme aber mit Berlepsch und Hartert (Nov. Zool. IX 1902 p. 106) überein, 
daß kein Grund vorliegt, den Namen T. violaceus Gm. zu verwerfen. Die Beschreibung des 
letzteren Autors entsprieht sehr gut dem T. meridionalis Sw. et auct., und die widersprechende 
Angabe „supercilüs flavis* beruht wohl nur auf einem Mißverstehen des Passus „eyelids yellow* 
bei Latham. 


Trogon variegatus Spix 
Av. Bras. I (1824) p. 49, tab. XXX VIIl® („in Brasilia®). 


Das Original, ein 5 ad. trägt die Aufschrift: „Hapalophorus variegatus Sp. 6 Brasilien. 
Spix.“ Es entspricht sehr gut der Beschreibung bei Spix, nur ist der Unterkörper durch die 
jahrzehntelange Einwirkung des Sonnenlichtes in ein helles Rosenrot verbleicht. 

Die Art wurde ohne genauere Fundortsangabe beschrieben. Der Typus stimmt mit einem 
ö ad. aus Bahia in jeder Hinsicht überein. Beide haben lebhaft violettblauen Scheitel und 
Vorderhals, welch letzterer nach unten durch eine schmale, weißliche Zone von dem Rot der 
Brust getrennt wird; die Oberschwanzdecken und die mittleren Steuerfedernpaare sind lebhaft 
blaugrün, die drei äußeren Paare etwa gleichbreit schwarz und weiß gebändert. Sie messen: 
al. 123, 121; caud. 128, 132 mm. 

Vögel aus Bolivia (Mus. H. v. B.) und Oran, Salta, N. Argentina (Mus. Monac.) unter- 
scheiden sich durch viel bedeutendere Größe, blaugrüne Färbung von Vorderhals und Scheitel, 
bronzegrüne Oberschwanzdecken und mittlere Steuerfedern und kürzere, weiße Spitzen auf den 
drei äußeren Schwanzfederpaaren. Sie müssen als 7. variegatus behmi Gould (type ex Bolivia) 
gesondert werden. Sie messen: al. 130—136, caud. 140—152 mm. 


Trogon melanurus $w. 


Anim. in Menag. (1838) p. 329 (Demerara, Mr. Schomburgh). 
„Trogon curucui vel strigilatus Lath.“ Spix, Av. Bras. I (1824) p. 49 („in sylvis fluminis 
Solimoens“). 
Die Sammlung besitzt nur noch ein männliches Exemplar von Spix’scher Präparation mit 
der Benennung: „Trogon melanurus Sw. & Brasilien.“ Es stimmt sehr gut mit Spixens Be- 
sehreibung überein und ist zweifellos eines der Originale. 


598 


Trogon viridis Linn. 


Trogon virıdis Linnaeus, Syst. nat. ed. 12. I (1766) p. 167 (ex Brisson. — Cayenne). 
Trogon violaceus (nee Gmelin!) Spix, Av. Bras. I (1824) p. 50 („in sylvis Rio de Janeiro“). 


Ein & ad. mit der Bezeichnung: „Zrogon melanopterus Sw. — viridis L. 6 Brasilien“ 
in der Sammlung. Es paßt sehr gut zur Spix’schen Beschreibung und ist sicher von der Spix- 
Martius’schen Expedition gesammelt worden. Die Präparation ist ganz charakteristisch und über- 
dies wird auch im Museumskatalog ein Exemplar als von Spix herrührend aufgeführt. Übrigens 


+ 


stimmt es in jeder Hinsicht mit einem von Natterer in 8. Brazil gesammelten ö ad. überein. 


Von den beiden folgenden Arten: 


„Trogon viridis Lath.“ und „Trogon collaris Vieillot“ befinden sich keine Exemplare mehr 
in der Sammlung. 

T. viridis apud Spix p. 50 („in sylvis fl. Solöimoens“). Das Ö ist sehr undeutlich beschrieben 
und ich vermag es mit Sicherheit nicht zu deuten. Vielleicht hat es auf T. violaceus Gm. 
(= meridionalis Sw.) Bezug, aber einige Punkte stimmen nicht recht. Das O scheint zu 
T. viridis Linn. zu gehören, vorausgesetzt, daß der Ausdruck: Zectrieibus exterioribus albo 
nigroque fasciolatis* eine ungenaue Beschreibung der Schwanzzeichnung ist. 

T. collaris apud Spix p. 50 („in sylvis fl. Amazonum“). Das ö gehört wohl zweifellos zu 
T. curueui Lion. (über diese Benennung siehe oben unter T. castaneus), auf den die Spix’sche 
Kennzeichnung recht gut paßt; das angebliche © jedoch vermag ich nicht aufzulösen. 


Bucco macrodactylus (Spix) 


Cyphos macrodactylus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 51, tab. XXXIX, Fig. 2 [,in sylvis flum. 
Amazonum*]. 


Ein alter Vogel mit der Bezeichnung: „Argicus macrodactylus Sp. Capito cyphos Wagl. 
Brasilien. Spix“, der Originalbeschreibung sehr gut entsprechend. 

al. 66; caud. 65; rostr. 231/y mm. 

Das Exemplar diente auch als Typus von Capito cyphos Wagler, Syst. Av. (1827), Gen. 
Capito spec. 4. 

Ein von Natterer am Rio Madeira gesammeltes 5 stimmt in Größe und Färbung durchaus 
mit Spix’ Original überein und ein fast völlig ausgefärbter Vogel aus Maynas, N.O. Peru 
(coll. Poeppig) unterscheidet sieh von ihnen nur durch merklich größere Dimensionen. Dagegen 
weicht ein Bogotä-Balg im Wiener Museum durch wesentlich dunklere, ockergelbe (statt rahm- 
gelbe) Färbung der vorderen Kehle und größeren, stärkeren Schnabel ab. Ich glaube aber kaum, 
daß diese Unterschiede konstant sind. 


Mus. Vindob. „ö“ ad. „S. Joäo do Crato“, 


Rio Madeira — Natterer leg.. . . . . al. 661; e. 63; r. 231, mm 
- 7 av..fere ad., Maynas,..N..O.. Peru... 2, = Ballade al Anz2enm 
5 n ad., Bogotä-coll,is =. .,1° anne) are KO © rear 


Nonnula rubecula (Spix) 


Bucco rubecula Spix, Av. Bras. I (1824) p. 51 tab. XXXIX, Fig. 1 („prope pagum Malhada, 
fluminis St. Franeisci proximum“). 


Monaca pheioleucos Temminck, Pl. col. livr. 54 (Dez. 1824), tab. 323, Fig. 2 (Bresil). 


Ein Vogel mit der Aufschrift: „Nonnula rubecula Sp. Monasa. — Les. Brasilien. Spin.“ — 
al. 64; c. 64; rostr. 21 mm. 

Der Spix’sche Typus stimmt in der Färbung der Oberseite am besten mit einem Ö aus 
Paraguay überein. Rücken und Flügeldecken sind warm hellbraun, Scheitel und Nacken dunkel- 
braungrau; bloß Kehle und Vorderhals sind etwas heller rostgelb. Ein ö ad. aus Goiaz (Natterer 
leg., Mus. Vind.) ist oberseits noch heller braun und auch der Oberkopf von dieser Färbung. 


599 


Drei Vögel aus S. Paulo (Ypanema) haben düstergraubraunen Oberkopf wie der Typus, 
aber der Rücken ist entschieden matter und düsterer braun. Ich glaube nicht, daß diese Unter- 
schiede von Bedeutung sind. 

N. r. cineracea Sel., von der mir ein © aus Borba, R. Madeira und ein ö von Marabitanas, 
R. Negro (Mus. Vindob.) vorliegen, unterscheidet sich durch wesentlich blasser und trüber rost- 
gelbliche Färbung auf Kehle und Vorderhals, sowie durch weniger bräunlichen, mehr grau- 
braunen Rücken, der kaum vom Scheitel absticht. 


Malacoptila rufa (Spix) 
Bucco rufus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 52, tab. XL, Fig. 1 („in sylvis fl. Amazonum“). 


Ein schönes, gut erhaltenes Exemplar mit der Bezeichnung: Malacoptila rufa Sp. Brasilien. 
Spixr“, in Stellung und Färbung gut zur Abbildung passend. Die Art ist sofort kennlich an 
dem aschgrauen, fein weiß gestrichelten Oberkopf. 

al. 90, e. 64, rostr. 26 mm. 


Bucco striatus Spix — Malacoptila torquata (Hahn) 


Bucco torquatus (Wagler Ms.), Hahn, Vögel etc. Lief. 13 (1822), Tafel 5 („Brasilien“). 
Bucco striatus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 52, tab. XL, Fig. 2 („in sylvis Rio de Janeiro, Bahiae*“). 


Der Spix’sche Typus ist zwar nicht mehr in der Sammlung, doch stimmen Beschreibung 
und Abbildung vollkommen mit dem im Münchener Museum befindlichen Typus von B. tor- 
quatus Hahn überein. 


Monasa nigrifrons (Spix) 
Bucco nigrifrons Spix, Av. Bras. I (1824) p. 53, tab. XLI, Fig. 2 („in sylvis flum. Solimoöns“). 


Die Sammlung besitzt zwei Exemplare: 


no. 1: „Monasa nigrifrons Sp. Brasilien. Spix“, zugleich der Typus (vermutlich des ö) 
von Lypornix unicolor Wagl. Syst. Av. 1827, Gen. Lypornix spec. 2. 

no. 2: „Monasa nigrifrons Sp. © Brasilien.“ Charakteristische Präparation der Spix’schen 
Vögel. Gleichzeitig Typus des © von Zypornix unicolor Wagl. ]. ce. 


Bucco alkifrons sive leucops Spix — Monasa morphoeus (Hahn) 


Bucco Morphoeus (Wagler Ms.), Hahn, Vögel etc. Lief. 14 (1823), tab. 2 („Brasilien“). 
Bucco leucops Lichtenstein, Verz. Dubl. (Sept. 1823) p. 8 (Brasil). 

Bucco albifrons sive leucops Spix, Av. Bras. I (1824) p. 53 („in campis provinciae Piauhy*). 
Bucco albifrons Spix, Av. Bras. I (1824), tab. XLI, Fig. 1. 


Ein Exemplar mit der Aufschrift: „Monasa leucops Licht. Bucco albifrons Sp. Bra- 
silien. Spix.* 

Dieses Stück, sowie ein Bahia-Balg, ein Paar vom Cabo Frio, Rio (Sellow leg.), ein ö von 
Rio de Janeiro und ein ö von Para stimmen in der Ausdehnung der weißlichen Färbung an 
Kinn und Stirn untereinander überein. Der Ton variiert übrigens von fast rein Weiß bis leb- 
haft Rahmgelb, dies scheint aber nicht von Lokalität abzuhängen. Bei einem Rio-Vogel sind 
die genannten Teile fast rein weiß, bei zwei anderen von derselben Gegend aber wie bei Spix’ 
Typus ex Piauhy rahmgelb. Beim Parä-Vogel sind die schwarzen Teile auf Kopf und Kehle 
matter und nicht so tief (er scheint nicht ganz ausgefärbt zu sein) und das Grau des Gefieders 
ist, besonders auf der Unterseite, entschieden heller, mehr aschgrau. In letzterem Punkte 
stimmt der Vogel mit einer Serie aus Borba (R. Madeira) und R. Icanna (R. Negro) überein, 
die sich indessen sofort durch etwas schmaleres Stirnband und die viel geringere Ausdehnung 
der weißlichen Färbung auf dem Kinn unterscheidet. Sie müssen M. m. peruana Sel. heißen. 
Vier mir vorliegende Stücke haben rahmgelbe Stirnbinde und Kinnfleck, nur bei einem Q von 
R. Icanna ist erstere weiß vermischt. 


600 


Dromococcyx phasianellus (Spix) 


Macropus phasianellus Spix, Av. Bras. I (1824) p. 58, tab. XLII („in sylvis Tonantins, fluvii 
lateralis fl. Solimoens“). 

Ein anscheinend alter Vogel mit der Bezeichnung: „Diplopterus phasianellus Sp. Brasilien. 
Spix.“ Er stimmt sehr gut zur Beschreibung und ist wohl ohne Zweifel das Original derselben. 

Ein Vogel aus Guatemala (Mus. H. v. B.) stimmt mit dem Typus in der Färbung fast 
völlig überein und differiert nur in folgenden Details. Die verlängerten Federn des Hinter- 
Kopfes sind dunkelbraun und tragen bloß mattrostrotbraune Ränder (beim Typus ist der ganze 
Schopf hellrostrotbraun gefärbt), is Oberschwanzdecken heller, mehr bronzebraun mit schmalen, 
hellaschgrauen Seitenrändern an der Basis, die jenem fast gänzlich fehlen, die Spitzensäume 
auf den kleinen und inneren Flügeldecken rahmgelblich (statt reinweiß), die Flügel mehr bronze- 
braun, die ganze Vorderkehle (nicht bloß das Kinn) ungestreift weiß u.s.w. Am auffallendsten 
ist aber die viel bedeutendere Größe des Guatemala-Vogels. 

Ein alter Vogel aus $. Esteban, N. Venezuela ist ebenso groß, obwohl nicht ganz aus- 
gefärbt, und stimmt auch in der Färbung zu dem Vogel aus Guatemala. Vielleicht sind die 
Vertreter aus Zentral- und dem nordwestlichen Südamerika als größere Form abzutrennen, in 
welchem Falle sie Bonapartes Namen mexicanus tragen müßten. 


Mus. Monac. ad. Tonantins, Type . . en ner An AT EC.„A00, 2. 2A usrderekt 
„  Berlepsch av. jr. S. Esteban, None al, er 2 30,0 7e26umm 
j 5 ad. Vera Paz, Guatemala . 2... 169, e. 230, r. 251/, mm. 
Macropus caixana Spix Ö = Piaya rutila (IIl.) 
Cuculus rutilus Dliger, Abhandl. Akad. Berlin (1812) p. 224 [ex Gmelin: ©. cayanus var. ß 
(et y — errore!) — ex Brisson: Cayenne]. 


Coccyzus minutus Vieillot, Nouv. Diet. VIII (1817) p. 275 [ex „Le petit Coucou de ee 
Brisson, Orn. IV, p. 124]. 

Macropus ine Spix, Kr Bras. I (1824) p. 54 (part., öl), tab. XLIII, Fig. 1 [,in sylvis 
fluvii Tonantins*]. 

Ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Piaya minuta Vieil. Südamerika — dürfte wohl 
das Original des Ö sein. Es zeigt die allen Vögeln von Spix’ Expedition eigentümliche Prä- 
parationsweise und entspricht sehr gut der Beschreibung l. ce. Dem Museumskatalog zufolge 
soll die Sammlung ein Exemplar der Art ex coll. Spix besitzen. Hiefür kann nur das in Rede 
stehende Stück in Betracht kommen. 

Es weicht übrigens in keiner Weise von einem im Wiener Museum befindlichen Vogel 
aus Cayenne ab. 

al. 106, e. 157, rostr. 22 mm. 


Macropus caixana Spix Q — Piaya melanogastra (Vieill.) 


Cueulus melanogaster Vieillot, Nouv. Diet. VIII (1817) p. 236 (Java. — errore! cfr. Pucheran, 
Rev. Zool. 1852 p. 561 — wir substituieren als terra typica: Cayenne). 

Macropus caixana Spix, Av. Bras. I (1824) p. 54 (part. O!), tab. XLIII, Fig. 2 („in sylvis 
fluvii Tonantins“). 

Ein Exemplar mit der Aufschrift: „Piaya brachyptera Les. Macropus caixana Sp. Ö 
Brasilien. Spix*, das sehr gut der Öriginalbeschreibung von M. caixana Sp. Q entspricht und 
mit einem Ö vom Rio Negro (Natterer leg.) im Wesentlichen übereinstimmt. 

al. 134, ce. 220, rostr. 29 mm. 


Brachygalba albogularis (Spix) 
Galbula albogularis Spix, Av. Bras. I (1824) p. 54, tab. LVII, Fig. 1 [,in sylvis ad urbem 
Param“]. 
Brachygalba albigularis Sclater, P. Z. 8. (1857) p. 262 [Rio Javarri. — Bates]. 


601 


Ein augenscheinlich alter Vogel mit der Bezeichnung: „Galbula albigularis Sp. an 
G. paradis. jwv. Brasilien. Spix.* Al. 70, caud. 54, rostr. defekt. Er stimmt sehr gut mit 
der Kennzeichnung von Spix und der Beschreibung Selaters überein. Mit Urogalba paradisaea 
hat er natürlich gar nichts zu tun. 

B. albogularis ist in den Sammlungen noch sehr selten und scheint außer Spix nur von 
Bates gesammelt worden zu sein. Taczanowski!) erwähnt eines Exemplares von Jaen (coll. 
Raimondi); mir ist es bisher nicht geglückt, die Lage dieses Ortes festzustellen. Spix’ Fund- 
ortsangabe Pard bedarf wohl noch der Bestätigung. Der einzige sichere Fundort ist Rio Javarri, 
der Grenzfluß zwischen Brazil und Peru [ecoll. Bates]. 

B. albogularis ist eine sehr kenntliche Art. Im nachstehenden gebe ich die Unterschiede 
an, die ich zwischen Spix’ Typus und zwei Exemplaren des nächsten Verwandten B. melano- 
sterna Sel. gefunden habe. 


B. albogularis (Spix) B. melanosterna Sel. 
Rücken lebhaft stahlgrün, hier und da bläulich | rauchbraun, nur einzelne Federn mit schwach 
schimmernd stahlgrünlich oder bläulich schillernden 
| Spitzen. 

ein sehr deutlicher, rahmweißer Brauenstreif | kein heller Brauenstreifen. 

Wangen- und Öhrgegend weiß Wangen- und Öhrgegend sepia- bis schwarz- 
braun, mit schmalen, heller braunen Schaft- 
strichen. 

ganze Kehle reinweiß Kinn und Vorderkehle trübweiß, hintere Kehle 
röstlich. 


ein kleiner Fleck in der vorderen Bauchmitte | ganze Bauchmitte in großer Ausdehnung rein- 
hell rostrot | weiß. 


Der Schnabel erscheint beim Spix’schen Original trübhornweißlich, es ist aber möglich, 
daß diese blasse Färbung — wenigstens beim Oberschnabel — durch die jahrzehntelange Ein- 
wirkung des Sonnenlichtes verursacht wurde. 


Galbula tombacea Spix 


Av. Bras. I (1824), p. 55, tab. LVIII [„in sylvis fl. Amazonum“]. 
Galbula fuscicapilla Selater, P. Z. S. 1855, p. 13 [Nova, Grenada, Bogotä]. 


Ein altes ö mit der Aufschrift: „Galbula tombacea Sp. Brasilien. Spix.“ 

Al. 72, ce. 89, culm. 45!/; mm. 

Der Vogel paßt sehr gut zu Spix’ Beschreibung und Abbildung und stimmt bis auf län- 
geren Schnabel mit einem 5 ad. aus Yquitos, N.O. Peru im Mus. H. v. B. überein. Beide 
zeigen insbesondere dieselbe Färbung des Oberkopfes: Stirn und Vorderscheitel rauchbraun, 
bloß die Federn des letzteren mit schmalen erzgrünen oder bläulichgrünen Spitzensäumen. 


‚Spix’ Typus unterscheidet sich nur durch weiße Flecken am Basisteil der Kehlfedern, welche 


dem Vogel aus Iquitos fehlen, und viel kleinere grüne Abzeichen an der Spitze des äußersten 
Steuerfedernpaares, in welch letzterem Punkt ihm ein © aus C. Peru (cyanescens) äußerst nahe 
kommt. Ersteres ist aber sicher nur ein individueller Charakter. 

Vögel aus Bogotä (G. fuscicapilla) zeigen dieselbe Scheitelfärbung wie die vorgenannten 
Stücke und stimmen auch sonst mit ihnen überein, scheinen aber durchschnittlich einen deut- 
licheren, weißlichen Kinnfleck zu besitzen. Die Untersuchung einer größeren Serie vom oberen 
Amazonenstrom muß entscheiden, ob das letztgenannte Merkmal nicht auch in gleicher Aus- 
bildung bei Vögeln dieses Gebietes vorkommt. 

Stücke aus Zentral- und Südost-Peru [Mus. H. v. B.] unterscheiden sich sehr wesentlich 
von denen aus Brazil, N.O. Peru und Bogotä durch lebhaft glänzend erzgrünen Oberkopf mit 


1) Orn. Perou III, p. 120. 
Abh. d. U. Kl.d. K. Ak.d. Wiss. XXIl. Bd. III. Abt. 78 


602 


bläulicher Mischung. Diese gut gekennzeichnete Form muß wohl @. tombacea cyanescens Deville 
[typ- in Mus. Paris] heißen. Eine dritte verwandte Art ist @. pastazae Taez. und Berl.t) aus 
Ost-Eeuador. Sie stimmt in der Scheitelfärbung mit @. t. cyanescens überein, unterscheidet 
sich aber leieht durch viel bedeutendere Größe, einfarbig zimtrote äußere Steuerfedern ohne 
alle grünen Abzeichen und die abweichende Färbung des 9. Während bei @. i. tombacea und 
@. t. cyanescens die 0 9 grüne Kehle (mit Ausnahme des weißlichen oder graulichen Kinn- 
flecks) besitzen und sich von den öÖ nur durch viel hellere, ockerröstliche (statt zimtrostrote) 
Färbung des Abdomen unterscheiden, ist das O von @. pastazae auf Brust und Bauch ebenso 
dunkel zimtrostrot wie das ö gefärbt, weicht aber durch zimtrostrote Kehle auf den ersten 
Blick ab, bloß ein breites Band quer über dem Vorderhals erscheint bronzegrün. 
Demnach sind zu unterscheiden: 
1. Galbula tombacea tombacea Spix. 
Hab. N.W. Brazil: Rio Javarri (Bates): „in sylvis flum. Amazonum“ (Spix). 
N. 0. Peru: Yquitos (Hahnel leg. — in Mus. H. v. B.) 
Colombia: Bogotä-coll. 
ö ad. Iquitos: al. 74, caud. — defekt mm 
3 66 ad. Bogotä: al. 77— 83, caud. 88—95 mm 
2 DO ad. Bogota: al. 77, 79, caud. 84, 91 mm. 
2. Galbula tombacea cyanescens Deville. 
Hab. Zentral- und Südost-Peru. 
ö ad. La Merced, C. Peru: al. 821/,, caud. 98 mm 
oO ad. La Gloria, C. Peru: al. 81, caud. 92 mm 
ö ad. Marcapata, 8.0. Peru: al. 80, caud. 96 mm. 
3. Galbula pastazae Tacz. und Berl. 
Hab. Ost-Ecuador: Mapoto und Machay (Stolzmann); Ambato [Hänsch leg. — 
Mus. Berolin.] 
ö ad. Eeuador [Mus. H. v. B.]: al. 91, caud. 108 mm 
„9“ ad. Mapoto, O. Ecuador [Mus. H. v. B.]: al. 87, caud. 101 mm, 


Jacamaralcyon tridactyla (Vieill.) 


Galbula tridactyla Vieillot, Nouv. Diet. XVI (1817), p. 444 („Bresil“. — coll. Delalande fls — 
wir ergänzen Rio). 
Galbula tridactyla Spix, Av. Bras. I (1824), p. 55, tab. LVII, Fig. 2 ei provineia St. Pauli). 
Ein Exemplar mit der Bezettelung: „Canax tridactylus Pall. Brasilien. Spix“, überein- 
stimmend mit Abbildung und Beschreibung, 


Campephilus robustus (Leht.) 


Picus robustus Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 10 (Bahia). 
Picus robustus Spix, Av. Bras. I (1324), p. 56, tab. XLIV („in sylvis provinciae Rio de Janeiro“). 
Die Sammlung besitzt zwei Öö mit der Bezeichnung: „Campephilus robustus Licht. & 
Brasilien. Spix.* 
Campephilus melanoleucos (Gm.) 
Picus melanoleucos Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788), p. 426 (ex Latham: Buff-crested Wood 
pecker, Gen. Syn. 1. II, p. 558. — Surinam. — Mus. Lever.). 
Picus albirostris Vieillot, Nouv. Diet. XXVI (1818), p. 69 (ex Azara no. 249. — Paraguay). 
Picus albirostris Spix, Av. Bras. I (1824), p. 56, tab. XLV (80) („in sylvis Rio de Janeiro 
fluminisque St. Francisei“). 
Ein ö mit der Bezeichnung: „Dryocopus albirostris Sp. 6 Brasilien. Spix“ in der Samm- 
lung. Vögel aus Surinam liegen nicht vor, doch stimmt das Spix’sche Stück mit Ausnahme 
etwas kürzeren Schnabels recht gut zu einem ö vom Rio Negro (leg. Natterer). 


1) P.Z. 8. 1885, p. 107. 


- 603 


Lathams Beschreibung ist nicht ganz klar, besonders störend die Bemerkung, wonach der 
Schopf „buff-coloured“ sein soll. Dies mag aber vielleicht ein Irrtum oder Schreibfehler sein, 
denn nach Pelzeln (Ibis 1873, p. 33), dem der vermutliche Typus ex Mus. Leveriano vorlag, 
gehört das Latham’sche Original zu der in Rede stehenden Art. 


Colaptes campestris (Vieill.) 


Picus campestris Vieillot, Nouv. Diet. XXVI (1818), p. 101 (ex Azara no. 253. — Paraguay). 


Picus campestris Spix, Av. Bras. I (1824), p. 57, tab. XLVI (‚in loeis ..... provineiarum Rio 
de Janeiro et Minas Geraös“). 


Ein weibliches Exemplar mit der Bezeichnung: „Ohrysoptilus campestris Licht. o Brasilien“ 
von typischer Spix-Präparation. Die Kehle ist schwarz und die ‚gleichfalls schwarze Bartgegend 
mit kleinen, weißen Fleckchen besetzt. Paraguay-Vögel liegen mir zum Vergleich nicht vor, 
vielmehr gehört ein © des Münchener Museums aus Bernaleue, Paraguay zu C. agricola Malh.., 
denn es hat weiße Kehle und schwarzen, weiß gesprenkelten Bartstreifen. Salvadori (Boll. 
Mus. Torino no. 208 (Juni 1895), p. 16) führt hingegen ein © und ein ö des C. campestris 
aus Villa Rica und Colonia Risso in Paraguay auf. Danach scheint es, als ob hier beide Arten 
vorkämen. 


Celeus jumana (Spix) 


Picus jumana Spix, Av. Bras. I (1824), p. 57, tab. XLVII, Fig. 1 (ö), 2 (0) („in sylvis fi. 
Amazonum“). 


Die Sammlung besitzt noch drei 66 und ein © mit der Bezeichnung: „Celeus Jumana Sp. 
Brasilien. Spix.“ Alle vier sowie ein Paar ex coll. Natterer (ö ex Marabitanas, Rio Negro; 
o© Parä) haben gebänderte Innenfahnen der Schwingen. 


Bei no. 1 sind Hinterrücken und Bürzel in der Hauptsache hell apfelgrün mit gelber 
Beimischung an den Seiten und auf den längsten Bürzelfedern, wie es in Spix Figur 1, tab. 47 
dargestellt ist. Es ist augenscheinlich das abgebildete ö. no. 2 und 3 haben lebhaft ocker- 
gelben Hinterrücken und dunklere, bell rostbraune Oberschwanzdecken und stimmen hierin mit 
dem 5 aus Marabitanas (coll. Natterer) überein. Beim Q ex Parä& ist der Hinterrücken ent- 
schieden heller und lebhafter, mehr schwefelgelb gefärbt und die Oberschwanzdecken sind nur 
hell rostbräunlich überlaufen. Das Spix’sche O hingegen stimmt in der Färbung des Hinter- 
rückens und Bürzels mit no. 2 und 3 überein. Diese Verschiedenheit scheint nach dem vor- 
liegenden Material und nach Pelzelns Bemerkungen (Zur Orn. Bras. p. 251) nicht lokal zu sein, 
denn letztgenannter Forscher erwähnt ein Q von Parä mit fast rotbraunem Unterrücken, während 
mir von derselben Lokalität ein solches mit gelber Färbung vorliegt, u. s. w. Die Maße unserer 
Stücke sind: 


no. 1. ö Amazonas Spix coll.: al. 158, e. 115, r. 33 mm 
no. 2. ö 5 = 5 al. 158, e. 113, r. 311/, mm 
N02 8376 5 = S al..155,.e.. 105, ,7..822/97 , 
no. 4. © „ $ al. 160, ce. 118, r. 321, „ 
„ö, Marabitanas, März“ (Natterer leg.): al. 158, e. 113, r. 31!/ „ 
„9, Para, 2. Nov. 1834“ (Natterer): al. 163, e. 113, r. 33 mm 


Ceophloeus lineatus (Linn.) 


Picus lineatus Linnaeus, Syst. nat. XII. 1 (1766), p. 174 (ex Brisson. — „Cayana*). 
Picus lineatus Spix, Av. Bras. 1 (1824), p. 58, tab. XLVII („in sylvis provineiae Rio de Janeiro“). 
Zwei 65 mit der Aufschrift: „Dryocopus lineatus L. ö Brasilien. Spix.* 


no..1 zeigt, wie Fig. 2 auf tab. 48 darstellt, zwischen dem roten Bart- und weißen 
Backenstreifen einen schmalen, schwärzlichen Strich, während bei no. 2 der rote Malarstreifen 


28, 


604 


viel breiter ist und unmittelbar an den weißen angrenzt. Ob diese Abweichung auf verschiedenes 
Alter zurückzuführen ist, vermag ich nicht zu sagen; jedenfalls aber ist auch no.2 ein ö. Ein 
alter (ö) Vogel aus Paraguay stimmt mit no. 2 völlig überein, Cayenne-Stücke konnten nicht 
verglichen werden. 


Celeus flavescens (Gm.) 


Picus flavescens Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788), p. 427 (ex Brown, tab. 12. — „Brazil“). 
Picus flavescens Spix, Av. Bras. I (1824), p. 58, tab. XLIX, Fig. 1 (ö), 2 (0) („in sylvis provinciae 
Rio de Janeiro“). 
Die Sammlung besitzt noch ein Paar mit der Bezeichnung: „Üeleus flavescens Gm. Ö 
(bezw. 0). Brasilien. Spix“, das in keiner Hinsicht von anderen Exemplaren aus Süd-Ost- 
Brasilien abweicht. 


Leuconerpes candidus (Otto) 


Picus candidus Otto, Naturg. Vögel Buffon XXIII (1796), p. 191 (ex Hollandre, Abrege 
d’hist. nat. III, p. 404a — Cayenne). 

Picus dominicanus Vieillot, Nouv. Diet. XXVI (1818), p. 72 (ex Azara no. 254. — Paraguay). 

Picus dominicanus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 59, tab. L, Fig. 1 (9), 2 (ö) („in campis 
Minas Geraes*). 

Ein Paar mit der Bezeichnung: „Leuconerpes dominicanus Vieill. Brasilien. Spie“ in 
sehr beschmutztem und verblichenem Zustande. Zwei 66 aus Paraguay scheinen nicht ver- 
schieden, bis auf den etwas kürzeren Schnabel und die geringeren Dimensionen, 

Spix coll. ö a. 162, c. 106; Q a. 162, c. 108 mm 
Paraguay 56 a. 152, 156; c. 97, 98 mm. 


Celeus ochraceus (Spix) 


Picus ochraceus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 59, tab. LI, Fig. 1 (ö) („in sylvis Amazonum“). 
Die Sammlung besitzt nur mehr ein männliches Exemplar mit der Aufschrift: „Oeleus 
ochraceus Sp. & Brasilien. Spiv“, das sehr gut mit der Abbildung übereinstimmt. Der von 
Natterer oberhalb Tapajoz am Amazonenstrom gesammelte Vogel im Wiener Museum (gleichfalls 
ein 6) unterscheidet sich nur durch viel schmaleren roten Bartstreifen, der bloß die Wangen- 
und Bartgegend umfaßt, rein ockergelben Vorderrücken ohne ockerbräunliche Beimischung, die 
beim Typus stark entwickelt ist. Beim Typus erstreckt sich die rote Färbung über die ganze 
Wangen-. Backen- und Bartgegend. Bei Natterers Vogel ist die schwarzbraune Zeichnung 
des Rückens breiter und mehr binden- bezw. herzförmig, während sie bei dem Spix’schen 
Original, besonders auf dem Mittelrücken, hie und da ovale subterminale Längsflecken bildet. 
Es wäre möglich, daß der ockerbräunliche Anflug auf dem Vorderrücken bei dem Vogel 
der Münchener Sammlung durch Verunreinigung (eisenhaltiges Wasser?) hervorgerufen wurde. 
1. Typus Mus. Monac. 5 a. 144, e. 88, r. 29 mm. 
2. Mus. Vind. „ö, oberhalb Tapajoz am Amazonas“ (Natterer) a. 148, c. 95, r. 29 mm. 
no. I zeigt auf der Brust und Bauchmitte schmale, rostbraune Spitzenränder, die ver- 
mutlich den letzten Rest des Jugendkleides andeuten. 


Crocomorphus flavus (P. L. S. Müll.) 


Picus flavus P.L. S. Müller, Natursyst. Suppl. (1776), p.91 (ex Daubenton, Pl. enl.509. — Cayenne). 
Picus flavicans Latham, Ind. orn. I (1790), p. 240 (ex Daubenton, etc.). 
Picus flavicans Spix, Av. Bras. I (1824), p.60, tab. LI, Fig. 2 (foem.) („in sylvis fl. Amazonum‘). 


Ein Oliches Exemplar mit der Aufschrift: „Celeus exalbiduss Gm. — flavicans Sp. © 
Brasilien. Spie*, das reeht gut zur Beschreibung und Abbildung paßt. Die Tertiären sind 


605 


blaßgelb und die Außensäume der Armscehwingen blaßbraun ohne jeden rötlichen Ton, wie es 
auch von Hargitt (Cat. B. XVIII, p. 440 f.) für einzelne Exemplare angegeben wird. Zwischen 
Vögeln aus Guiana, N.O. Peru und vom Orinoko besteht kein konstanter Unterschied. 


Melanerpes flavifrons (Vieill.) 


Picus flavifrons Vieillot, Nouv. Diet. XXVI (1818), p. 75 („Bresil“). 
Picus flavifrons Spix, Av. Bras. I (1824), p. 60, tab. LII, Fig. 1 (0), 2 (6) („in sylvis provineiae 
Rio de Janeiro“). 


Die Sammlung besitzt nur mehr zwei O9 unter der Aufschrift: „Centurus flavifrons Sw. © 
Brasilien. Spix.“ Spix hat auf der Tafel die Geschlechtsbezeiehnungen verwechselt, denn die 
als ö bezeichnete Fig. 1 stellt das © dar und Fig. 2 das &. 


Picus macrocephalus Spix — Chloronerpes chrysochloros braziliensis (Sws.) 


en 


[Pieus chrysochloros Vieillot, Nouv. Diet. XXVI (1818), p. 98 (ex Azara no. 256. — ö — 
Paraguay).] 

Picus Braziliensis Swainson, Zool. Illustr. I (1820—21), tab. 20 („in the province of Bahia“). 

Picus macrocephalus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 60, tab. LIII, Fig. 2 („in sylvis Ama- 
zonum*. —!). 


Ein ö ad. mit der Bezeichnung: „Chloronerpes aurulentus Ill. ö Brasilien. — Spix“, welches 
im Kataloge der Vogelsammlung als Typus von P. macrocephalus aufgeführt wird. Ich habe auch 
keinen Zweifel, daß der vorliegende Vogel Spix’ Original ist, da er mit der Beschreibung und 
Abbildung vollkommen übereinstimmt. Er stimmt auch in Größe und Färbung völlig mit einem 
ö ad. aus Bahia (Mus. II. v. Berlepsch) überein, woher auch Swainsons Typus kam. Einige von 
Reiser in N.O. Brazil gesammelte Vögel unterscheiden sich gleichfalls in keiner Weise. 

0. c. braziliensis scheint somit dem Camposgebiete des östlichen Brasiliens eigentümlich 
zu sein und die Richtigkeit von Spix’ Fundsortsangabe erscheint etwas zweifelhaft. Möglich 
wäre es immerhin, daß das Original aus den Campos von Parä stammt, wo sich manche Steppen- 
form des östlichen Brasilien noch findet. 

Ein Paar aus Cuyabä, Mattogrosso, das ich für den typischen (©. chrysochloros halte, 
unterscheidet sich von den eben besprochenen Vögeln nur durch kürzere Flügel, viel kürzeren 
und schwächeren Schnabel und helleres Gelb der Kehle. Der von Hargitt (Cat. Bird. XVII, 
p. 73) hervorgehobene Unterschied in der Färbung der Halsseiten ist durchaus nicht vorhanden. 


CO. aurulentus (Temm.) unterscheidet sich leicht durch einen sehr deutlichen, gelben 
Superceiliarstreifen, der bei ©. c. chrysochloros und 0. c. braziliensis gänzlich fehlt, schwarz gefleckte 
Innenfahne der Schwingen, trübweiße (statt goldgelbe) Binden auf der Hinterseite, schwärzlich 
gefleckte (statt einfarbig zimtrötliche) Unterflügeldecken u. s. w. 


Wir haben demnach zu unterscheiden: 


1. Chloronerpes chrysochloros chrysochloros (Vieill.) 


Hab. Paraguay; C. Brazil, Matogrosso: Cuyabä (Natterer), Corumbä (Borelli u. H. H. Smith) 
und das östlichste Bolivia: Piedra Blanca (H. H. Smith), S. Francisco (Borelli). 


a e. 2 
1. Mus. Vind. „ö“ ad., Cuyabä (Natterer).. . . 115, 74, 22mm 
2% Mus. Vind. „oO ad.,"Cuyaba (Natterer) 7 Hm 117, 77,21, 


2. Chloronerpes chrysochloros braziliensis (Sws.) 


Hab. Ost Brazil: Bahia (Swainson; et in Mus. Berlepsch); Piauhy (Reiser leg.; Mus. 
Vindob.). (Amazon? — Spix!) 


606 


1,7Mus,.H;::v. „B.o(Ö)..ad. Bahia id. nonmerlanuet ash A er r. 25mm 
De 15 wa (Ö)»Juv., Bahia incla.nit (210318 lAIy Te. arra2Ahlemm 
Serlnaratits sunlalO)s ad Bakia und. wie lan 22 mc. 119% r. 241, „ 
4. „  Monae. (ö) ad. Type von Picus macro- 

cephalus Spix . Alva: zogen 23; 679, r. 25 mm 
De e\ındob. „ornad. Pia ee Ei leer KOB Et A0R a A 
Gase: ‚o**ad: »Piauhyr AnASE) BR r. 251/} mm 
ZT, u „Q®)ad.yPiauhyi ar „0 I .(BBral 12 202 778 |» zien ZA 


Picus guttatus Spix — Chrysoptilus punctigula guttatus (Spix) 


[Pieus punctigula Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783) p. 37: ex Daubenton, tab. 613. — Cayenne (= 0)]. 
Picus guttatus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 61, tab. LIII, Fig. 1 („in sylvis flum. Amazonum“). 
Chrysoptilus punctigula Pelzeln, Zur Orn. Brasil. III (1869), p. 248 (Barra do Rio Negro). 
Ohrysoptilus guttatus Chapman und Riker, Auk. VIII (1891), p. 30 (Santarem). 

Picus guttulatus Wagler, Syst. Av. (1827), Gen. Picus sp. 87 (ex Spix). 

Die Münchener Sammlung besitzt ein männliches Exemplar mit rotem Bartstreifen, das 
bloß die Bezeiehnung: „Ohrysoptilus cayamensis @m. Brasilien“ trägt. Nach der eigenartigen 
Präparation des Stückes zu schließen, stammt es von Spix’ Reise und, da es völlig mit der 
Kennzeichnung seines Picus guttatus übereinstimmt, dürfen wir es mit größter Wahrscheinlich- 
keit als das Original desselben betrachten. 

Spixens Name war bisher nicht richtig gedeutet worden. Hargitt (Cat. B. XVII, p. 116) 
verwendete ihn für die am oberen Amazonas und in den Bogotä-coll. vorkommende Form, 
während Berlepsch und Hartert (Noy. Zool. IX, 1902, p. 92) ihn auf einen das Orinoko-Tal 
bewohnenden nahen Verwandten bezogen. Beides ist nicht richtig, wie das sorgfältige Studium 
einer ansehnlichen Serie lehrt. 

Der Spix’sche Typus ist zweifellos identisch mit zwei von Natterer bei Barra do Rio 
Negro (Manäos) gesammelten OO und die wenigen Abweichungen sind gewiß nur individueller 
Nr Alle drei zeigen folgende Kehlzeichnung: die Federn tragen einen breiten, zentralen, 
schwarzen Längsstreifen und auf jeder Seite einen weißen Randfeck. Dadurch entsteht ein 
streifiges Zeiehnungsmuster, während bei Vögeln aus Cayenne und Surinam (punctigula Bodd.) 
eine mehr runde Fleckung hervortritt, weil die weißen Flecken an der Spitze noch einen 
schmalen, schwarzen Saum haben. Sonst stimmen letztere mit dem Spix’schen Original 
und den Vögeln aus Manäos recht gut. überein, haben insbesondere auch goldbräunlich über- 
laufene Vorderbrust, grünlich goldiggelben oder bräunlich goldgelben Rücken, mattgelben Unter- 
körper u.s. w.. und unterscheiden sich nur noch durch etwas kürzeren Schnabel. 

Vögel aus N.O. Peru, worauf (©. speciosus basiert, liegen mir leider nicht vor; doch 
besitzt das Museum H. v. Berlepsch eine ganze Anzahl von Bogotä-Bälgen und ein Q von 
Baranquilla, welch erstere Hargitt (l. e.) zu C©. speciosus stellte. Diese unterscheiden sich von 
allen besprochenen Exemplaren durch mehr grünlich vermischten Rücken und heller goldgelben 
Hinterrücken mit gröberer, mehr fleckenartiger Zeichnung, lebhafter gelben Unterkörper und 
größere, schwarze Flecken auf demselben. Hinsichtlich der Zeichnung der Kehlfedern stimmen 
sie völlig mit dem Typus von Picus guttatus Spix überein. Die Vorderbrust ist bei ihnen auch 
stets stark goldbräunlich überlaufen. 

Sehr abweichend von allen vorigen sind drei Vögel vom Orinoko!). Diese zeigen keine 
Spur von braunem Anflug auf der Brust, die vielmehr rein olivgrünlich erscheint, viel reiner 
olivgrünen Rücken und viel heller gelben Bürzel und Oberschwanzdecken. ‚Die Kehlzeichnung 
ist ganz dieselbe wie bei typischem ©. punctigula aus Cayenne: also die Federn tragen einen 
schwarzen Spitzensaum! Auf diese Form bezieht sich wahrscheinlich ©. punctipectus Cab. & 
Heine (Mus. Heine IV, p. 163), der auf einen Vogel aus Venezuela (Mus. Berolin.) begründet wurde. 

sa der Größe scheinen die Stücke von er verschiedenen Fundorten. nicht zu differieren. 


1) wich konnte ich sechs weitere Exemplare vom Orinoko untersuchen, die das oben Gesagte 
völlig bestätigen. 


607 


Nach Vorstehendem hätten wir demnach folgende Formen zu unterscheiden: 
1. Chrysoptilus punctigula punctigula (Bodd.) 


Kehlfedern mit einem schwarzen Spitzensaume, so daß die Kehle auf schwarzem 
Grunde mit kleinen, weißen, runden Flecken bedeckt erscheint. Vorderbrust goldig- 
braun überlaufen, Unterkörper blaß trübgelb; die schwarzen Tropfenflecken auf der Unterseite 
verhältnismäßig klein. Rücken goldigoliv oder bräunlich goldigoliv, Hinterrücken und Ober- 
schwanzdecken lebhaft goldgelb. 

ö Surinam (Mus. Vindob.): a. 107. ce. 73, rostr. 24 mm 

Zwei 00 Paramaribo, Surinam (Tring): a. 102, 107; e. 68, 71; r. 21, 22 mm 

Zwei 00 Cayenne (Mus. Vindob. et Mus. Berlepsch): a. 102; ec. 69, 74; rostr. 23 mm. 


Hab. Cayenne und Surinam. 


2. Chrysoptilus punctigula guttatus (Spix) 

Ganz wie no. I, nur fehlt den Kehlfedern der schwarze Spitzensaum, so daß die Kehle 
schwarz und weiß längsgestreift erscheint. Schnabel etwas länger. 

ö Amazonas, Type von P. guttatus Spix (Mus. Monae.): a. 109, e. 72, r. 25 mm. 

Zwei 09 Barra do Rio Negro (Natterer coll.; Mus. Vindob.): a. 108; ce. 78, 79; 
r. 25, 251/, mm. 

Hab. Als sichere Fundorte bisher nur Barra do Rio Negro (Manäos) und Santarem am 

unteren Amazonenstrom festgestellt. 


3. Chrysoptilus punctigula speciosus (Malh.)? 


Kehlzeichnung wie bei no. 2, also schwarz und weiß längsgestreift, aber unterschieden 
durch hellgrün gemischten Rücken, erheblich heller gelben Bürzel, lebhafter und reiner gelben 
Unterkörper mit entschieden gröberer und größerer schwarzer Fleekung. 

Zwei 66 Bogotä-coll.: a. 110, 111; e. 76, 82; r. 26,25 mm 
Zwei 090 , aa ale ee OST 2 Ta 
© Baranquilla: a. 107; e. 76; r. 241), mm 
oO Cartagena: a. 1101/; C380; r. 23 mm (!) 
[alle in Mus. Berlepschl. 
Hab. Nordost-Peru: Nauta ete.; Colombia: Bogota-coll., Baranquilla und Carthagena. 
NB. Ob die Vögel von Nordost-Peru, auf welchen ©. speciosus beruht, mit denen aus 
Colombia wirklich identisch sind, bedarf noch der Bestätigung. 


4. Chrysoptilus punctigula punctipectus Cab. & Heine 


C. punctipectus Cab. & Heine, Mus. Hein. IV (1863). p. 163 [Venezuela. — Moritz leg. — 
Mus. Berol.]. 


Kehlzeichnung wie bei no. 1: die Federn mit schwarzen Spitzensäumchen, so daß die 
Kehle auf schwarzem Grunde runde, weiße Flecken zu tragen scheint. Rücken noch reiner 
olivgrün als bei no. 3, Bürzel und Oberschwanzdecken ebenso hell olivengelb und der Unter- 
körper noch heller olivengelb. Von no. 1—3 sofort zu unterscheiden durch völligen Mangel 
des goldbraunen Anfluges auf der Vorderbrust, welche rein olivgelbgrünlich gefärbt 
ist. Tropfenfleeken auf der Unterseite klein wie bei no. 1 und 2. 

ö Caicara, Orinoko (Mus. H.v.B.): a. 111, ce. 76, r. 241, mm 
ö Altagracia, „ (Mus. Monaec.): a. 108, c. 75!/a, r. 25mm 
Q Caicara, 7 (Must) BI: ar OR Font] 1124 
Habit. Am mittleren und oberen Orinoko, Venezuela (Cherrie coll.). 
NB.: Es sei bemerkt, daß bei no. 1—3 alte Vögel auf der goldbraun überlaufenen 
Vorderbrust blutrote Flecken bekommen, wovon ich an den Orinoko-Vögeln (no. 4) 
niemals eine Spur gefunden habe. 


608 


Melanerpes rubrifrons (Spix) 


Picus rubrifrons Spix, Av. Bras. I (1824), p. 61, tab. LV, Fig. 1 (ö), 2 (0) („in sylvis Parae“). 
Melampicus melanocephalus Malherbe, Mon. Picidae II (1862), p- 195 (= 9) [Rio Negro; coll. 
Natterer. — Mus. Vindob.]. 

Die Münchener Sammlung besitzt nur mehr ein Ö mit der Bezeichnung: Centurus rubri- 
frons Sp. & Brasilien. Spix“, das sehr gut zur Beschreibung und Abbildung bei Spix paßt. 

Das von Natterer bei Para gesammelte ö unterscheidet sich nur durch etwas längere 
Flügel, helleres und weiter ausgedehntes Rot auf dem Scheitel und schwächeren Glanz auf den 
schwarzen Teilen. 

Die Stirn, Kopfseiten, Hinterkopf, Halsseiten, Kehle und Vorderbrust und Vorderrücken 
schwarz mit blauem Metallglanz; Hinterrücken und Oberschwanzdecken rahmweiß. Flügeldecken 
glänzend blauschwarz, gegen die Basis hin matt dunkelbraun. Schwingen schwarzbraun, außen 
schwach glänzend. Steuerfedern mattschwarz, das mittelste Paar an der Innenfahne mit fünf 
weißen Randflecken. Federn des Scheitels mit breiten, hochroten Spitzen, die einen großen 
Fleck bilden. Mitte von Hinterbrust und Vorderbauch hochrot; Körperseiten, Analgegend und 
Unterschwanzdecken schwarz und rahmweiß gebändert. Flügelrand einfarbig schwarz; Unter- 
flügeldecken und Innenfahne der Schwingen auf der Unterseite schwarz und weiß gebändert. 
Schnabel dunkelhornfarbig. 

Spix Typus ö: a. 120, c. 68, r. 261/, mm. 

Mus. Vind. „Öö“ ad. „Para, 4. Dez. 1834*: a. 127, e. 71, r. 28mm. 

Das © unterscheidet sich durch den Mangel von Rot auf dem Scheitel, der einfarbig 
glänzend schwarz ist. 

Mus. Vind. „Barra, 2. Aug. 1833“ (Natterer) (als „ö“ bezeichnet!): a. 112, c. 61, r. 27 mm. 


Chloronerpes erythropis (Vieill.) 


Picus erythropis Vieillot, Nouv. Diet. XXVI (1818), p. 98 („Bresil“). 
Picus icterocephalus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 62 (part. „ö“), tab. LIV, Fig. 1 (= 2). 

Ein weibliches Stück mit der Angabe: „Chloronerpes erythrops Vieill. © Brasilien. Spix*, 
das sehr gut Spixens Kennzeichnung entspricht. Es ist ein © von C. erytkropis mit roter Kehle 
und ebensolchem Hinterkopf, aber olivengoldgelbem Vorderkopf und stimmt mit einem O aus 
Bahia (coll. Helmreichen; Mus. Vindob.) in jeder Hinsicht überein. Der Fundort „Amazonas“, 
den Spix angibt, kann sich natürlich nur auf die folgende Art beziehen. 


Chloronerpes flavigula (Bodd.) 


Picus flavigula Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783), p. 49 (ex Daubenton. Pl. enl. 784. — 
Cayenne Ö). 

Picus icterocephalus Spix, Av. En I (1824), p. 62 (part. 9), tab. LIV, Fig. 2 (= 09) („in 
sylvis fl. Amazonum*). 


Ein Exemplar mit der Aufschrift: „Chloronerpes icterocephalus Lath. Q@ Brasilien. Spix*, 
das sehr gut der Spix’schen Kennzeiehnung entspricht und auch mit einem © aus Cayenne 
(Mus. Vind.) übereinstimmt, bis auf etwas kürzere Flügel und Schwanz. Der von Spix ange- 
gebene Fundort: „in sylvis fl. Amazonum“ bezieht sich zweifellos auf vorstehende, von ihm 
für das 9 seines (©. icterocephalus gehaltene Art, die auch Natterer an verschiedenen Orten des 
brasilianischen Amazonas sammelte. 


 Veniliornis maculifrons (Spix) 


Picus maculifrons Spix, Av. Bras. I (1824), p. 62 (part. diagn. ö), tab. LVI, Fig. 1 („in sylvis 
Rio de Janeiro“). 


Wir besitzen ein männnliches Exemplar mit der Aufschrift von Siebolds Hand: „Dendro- 
bates passerinus L. maculifrons Sp. 6 juwv. Brasilien. Spix“. Da Spix ausdrücklich sagt, er hätte 
nur zwei Exemplare mitgebracht und das Münchener Museum auch noch das angebliche O von 


609 


P. maculifrons Sp. besitzt, ist es wohl mit größter Wahrscheinlichkeit als das Original zur 
Kennzeichnung des Ö und zur Abbildung anzusehen. Diese Bemerkung ist nicht ganz über- 
flüssig, denn die Abbildung zeigt nur ganz wenige blaßrote Striche am Hinterkopf, während 
der Vogel der Sammlung die Spitzenteile aller Federn dieser Partie hellrot gefärbt hat. Im 
übrigen paßt das Stück recht gut zur Figur, und zeigt besonders auch ebenso kleine, gelbe 
Flecken auf den Flügeldecken, wie dort dargestellt ist. Das angebliche O, über das ich weiter 
unten sprechen werde, hat ganz gelben Iinterkopf und Nacken, auch viel größere, gelbe Flecken 
auf den Flügeldecken und kann daher unmöglich als Vorlage zu tab. 56, Fig. 1 gedient haben. 

Auf das Ö beziehen sich vom Spix’schen Text bloß die unmittelbar unter der Überschrift 
stehende Diagnose und die Bemerkung: „mas oceipite purpurascente a foemina diversus* nach 
den Fundortsangaben. Von letzteren kann auch nur das habitat „Rio de Janeiro“ auf das Ö 
Bezug haben. 

Das Spix’sche Stück stimmt in jeder Hinsicht vollkommen mit zwei von Natterer bei Rio 
gesammelten „Ööö“ im Wiener Museum überein, weicht nur durch etwas deutlichere, helle 
Striche auf Vorderrücken und Flügeldecken ab. ; 


SpisieFypus'ojkio de, Janeiro] .%. EU. TER ANgENE.NET, 1.280, mm 
Mus. Vindob. „Ö“ ad. „Rio de Janeiro 1. Dez. 1817“ a. 93, ec. 59, r. 22 mm 
= ” „ö“ ad. „Registro do Sai. 22. April 1818“ a. 93, e. 58, r. 231/, mm. 


Picus maculifrons Spix „Oo“ = Veniliornis selysii (Malh.) ö juv. 


Mesopicus selysii Malherbe, Monogr. Picid. II (1862), p. 67, tab. 62 (Ö0) (Brazil). 
Picus maculifrons Spix, Av. Bras. I (1824), p. 62 (part.; 9; deser.). 


Die Sammlung besitzt ein Exemplar, bezeichnet als: „Dendrobates passerinus L. — 
maculifrons Sp. 2 Brasilien. Spix“, das recht gut zur Beschreibung des O paßt, welche auf 
die kurze Diagnose im Spix’schen Texte folgt. Leider ist es in sehr traurigem Erhaltungs- 
zustande. Immerhin läßt sich feststellen, daß es sich durchaus nicht um das O von V. maculi- 
frons handelt. Von vier 99 aus Rio de Janeiro (Natterer leg.; Mus. Vindob.) unterscheidet 
es sich in folgenden Punkten: die Unterseite ist viel breiter und dunkler, mehr schwärzlich 
quergebändert und die blaßgelben Spitzenflecken auf den Flügeldecken sind viel größer und rauten- 
förmig (statt schmaler Längsstreifen). Endlich tragen einzelne Federn des Vorderscheitels rote 
Spitzen und beweisen, daß der Vogel im Gefiederwechsel begriffen ist. Bei V. maculifrons ist 
der Vorderkopf niemals (weder beim ö noch beim ©) rot gefärbt. Dies allein schließt die 
Zugehörigkeit des Spix’schen Vogels zu V. maculifrons also aus. Auch zu V. cassini kann er 
nicht gezogen werden, denn bei dieser Art ist die Außenfahne der Handschwingen stets ein- 
farbig goldigoliv, während sie bei unserem Exemplare deutliche, weißliche Flecken trägt. In 
diesem Punkte sowohl als auch hinsichtlich der Flecken auf den Flügeldecken ete. stimmt das 
Spix’sche Stück jedoch vollständig mit einem © der Y. selysii aus Bahia überein. Die Fund- 
ortsangaben „Rio de Janeiro et Parä“ können daher auf das besprochene Exemplar keinen 
Bezug haben. 


Veniliornis ruficeps (Spix) 
Picus ruficeps Spix, Av. Bras. I (1824), p. 63, tab. LVI, Fig. 2 (ö), 3 (9) [„in sylvis Auminis 
Amazonum“]. 
Dendrobates ruficeps Hargitt, Cat. Birds Brit. Mus. XVIII, p. 361 (Parä, R. Tocantins). 

Die Münchener Sammlung besitzt drei Männchen mit der Bezeichnung: „Dendrobates 
passerimus L. — ruficeps Spie & Brasilien. Spix“ und ein Weibchen mit der Aufschrift: „Den- 
drobates passerinus L. — affinis Wagl. — ruficeps Sp. © Brasilien. Spix.* 

nor 1.2 orad.: a. 90: ec. 55, r. 23mm 
no, 9. © ad.: 8. Ya’, 0.94, u I 24 ., 
n0.3. 5 ad.: a. 961, ce. 581, r. 22 „ 
no. 4. Q ad.: a. 9012, c. 56, r. 221), mm. 


Abh.d. I. Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXIT. Bd. III. Abt. 79 


610 


Zum Vergleich lagen mir aus der V. ruficeps-haematostygma-Gruppe 20 Exemplare vor, 
einschließlich der Originale von V. haematostygma (Malh.). 

no. 3 ist ein altes, ausgefärbtes ö. Die Federn des Mittelrückens sind blutrot überlaufen 
wie bei einem 6 ad. aus Parä (coll. Natterer; Mus. Vindob.); das Gelb im Nacken ist durch 
eingeklebte, rote Federn fast verdeckt. Die großen und mittleren Oberflügeldeckfedern haben 
olivengelbe, zum Teil fleckig erweiterte, hellgelbe Striche; die kleinen Flügeldecken sind stark 
blutrot überlaufen und zeigen einen rötlichweißen Schaftstrich., Die dunklen Binden auf der 
Unterseite erscheinen sehr dunkelbraun; auf der Außenfahne der Handschwingen finden sich 
deutliche, helle Randflecken. 

no. 3 ist augenscheinlich das Original zur Abbildung des ö auf tab. 56, Fig. 2. 

no. 4, ein © ad., zeigt sehr große, keil- oder herzförmige, rötlichweiße, blutrot umrandete 
Flecken auf den Oberflügeldecken und stimmt hierin am besten mit einem © des V. r. haemato- 
stygma aus Engenho do Gama, Mattogrosso (Mus. Vindob.; coll. Natterer) überein. Es unter- 
scheidet ‚sich von letzterem: jedoch durch etwas dunkler olivgelbe Rückenfarbe, entschieden 
dunkler braune Binden auf der Unterseite, fast völligen Mangel der hellen Flecken auf der 
Außenfahne der Handschwingen, kürzere Flügel und Schwanz und längeren Schnabel. Das 
Stück entspricht recht gut der Beschreibung und Abbildung, die Spix von dem OQ seines 
P. ruficeps gibt, und ist zweifellos das Original derselben. 

Zwei 66 von Parä, eines alt, das andere jung (coll. Natterer,; Mus. Vindob.), ein & ad. 
Marabitanas am oberen Rio Negro (coll. Natterer; Mus. Monae.) und ein ö ad. von Borba am 
unteren Madeira-Fluß (Mus. Vindob.) stimmen in der Zeichnung der Flügeldecken mit dem 
Spix’schen ö no. 3 im wesentlichen überein, d. h. sie zeigen deutliche, blaßgelbe Schaftstriche, 
die von einem bald lebhafteren bald schwächeren roten Hofe umgeben sind (am schwächsten 
wohl bei dem Borba-Vogel). Die hellen Randflecken auf der Außenfahne der Handschwingen 
sind bald mehr bald weniger deutlich; die Rückenfarbe variiert ein wenig, ist aber bei alten 
Vögeln stets goldigoliv, bisweilen mit rötlichen Flecken hie und da. 

Ein © von Marabitanas, Rio Negro (Mus. Vindob.) unterscheidet sich vom © Spix coll. 
no. 4 durch völligen Mangel des roten Anfluges auf den Flügeldecken, von denen bloß die 
größeren schmale, blaßgelbe Schaftlinien besitzen. Wie bei dem Spix’schen Vogel zeigen die 
Handsehwingen kaum eine Andeutung von hellen Randflecken. 

Die beiden anderen 56 von Spix’ Reise, no. 1 und 2, weichen von allen oben besprochenen 
durch einfarbig goldigolivenfarbige Flügeldecken ab, nur die innersten mittleren Deckfedern 
haben einen schwachen, kaum bemerklichen, rötlichen Schimmer. Es sei betont, daß beide 
ganz alte ausgefärbte Vögel sind. Ich vermute, daß Mesopicus Kirtlandi Malh. auf ähn- 
liche Exemplare gegründet wurde, welche aber gewiß nicht spezifisch verschieden sind von den 
vorher besprochenen Stücken mit blaßgelben Schaftstrichen und rotem Anflug auf den Flügel- 
decken, da meine Serie deutliche Übergangsglieder zwischen beiden Extremen enthält. 

V. haematostygma, den man bisher als gute Art betrachtet hat, ist, wie die große Serie, 
die ich untersuchte, lehrt, nur eine schwache Subspezies von V. ruficeps. Junge Vögel vermag 
ich mit Sicherheit kaum zu unterscheiden, aber alte && unterscheiden sich von solchen des 
V. ruficeps dureh mattere und hellere (weniger goldige), olivengelbe Oberseite und bräunlichere, 
weniger schwärzliche Binden der Unterseite. Die blutroten Flecken an den Spitzen der Ober- 
flügeldecken sind wohl stets vorhanden (während sie bei V. ruficeps bisweilen ganz fehlen) und 
erscheinen stets größer und trüber, nicht so glänzend. Die weißlichgelben Schaftstriche inner- 
halb dieser roten Spitzenflecken sind meist schmäler und undeutlicher (nur ein © von Engenho 
do Gama macht eine Ausnahme /und stimmt hierin fast völlig mit einem YV. ruficeps aus Parä 
überein), auch stets mehr oder weniger rötlich überlaufen, während sie bei V. ruficeps viel 
schärfer markiert und weißlicher (oft herzförmig) erscheinen. Allerdings fehlen sie bei zweien 
der Typen (Spix coll. no. 1 und 2) gänzlich, dann ist aber auch kein roter Anflug vorhanden! 

Vögel aus Peru (Marcapata und Chanchamayo) und Bolivia im Mus. H. v. Berlepsch 
zeigen regelmäßig dunkelgebänderte Baeken- und Bartgegend, welche Teile bei V. ruficeps und 
V. r. haematostygma sonst einfarbig hellrahmbräunlich gefärbt sind und nur bei jungen Vögeln 
hie und da vereinzelte braungraue Sprenkeln tragen; allein das ö von Borba stimmt mit 


611 


ersteren in dieser Hinsicht vollständig überein, weshalb ich der Eigentümlichkeit keine Bedeu- 
tung zuerkennen kann. 


Die Verbreitung der beiden Formen wäre somit: 
1. V. ruficeps ruficeps (Spix) 

N. Brazil: Pard (Natterer, Layard); Rio Tocantins (Wallace); Borba am unteren 

R. Madeira (Natterer); Marabitanas am oberen Rio Negro (Natterer). 
2. V. ruficeps haematostygma (Malh.) 

Mesopicus haematostygma Malherbe (ex Natterer Ms.), Monogr. Pieid. IH (1862), p. 72, 
tab. 61, Fig. 2—5 (s. n. M. haematostigma) [ex Mus. Vindob. — wir fixieren als 
Typus ö ad. Engenho do Gama, Sept. 1827. Natterer coll. — Mus. Vindob.]. 

©. Brazil: Mattogrosso: Engenho do Gama und Villa Maria; Oberlauf des Rio Madeira: 
Salto Theotonio, Ribeiräo und Nas Pedras (Natterer). 

©. Peru: La Merced, Chanchamayo (Kalinowski leg.). 

N. 0. Peru: Iquitos (Whitely); Chamicuros, Xeberos und Sarayacu (Bartlett) [efr. Cat. 
Birds XVII, p. 364]. 

S. 0. Peru: Marcapata (O. Garlepp; Mus. Berlepsch). 

N. Bolivia: Simacu (Buckley); $. Mateo ete. (&. Garlepp; Mus. H. v. Berlepsch). 


no. 2 erreicht meist bedeutendere Größe als V. ruficeps, doch habe ich von Y. r. haemato- 
stygma auch Exemplare vor mir, die no. 1 durchaus in ihren Dimensionen nicht übertreffen. 

Graf Berlepsch hat die ganze Serie, die mir zur Untersuchung vorlag, gleichfalls unter- 
sucht und ist zu denselben Resultaten gekommen. Es ist mir eine angenehme Pflicht, ihm an 
dieser Stelle meinen besonderen Dank auszusprechen. Denn ohne seine freundliche Mithilfe 
wäre es mir wohl nicht gelungen, in der schwierigen Gruppe Klarheit zu finden. Obige Mit- 
teilungen — dies sei besonders betont — sind zum großen Teile unter Zugrundelegung seiner 
wertvollen Notizen verfaßt. 


Urospatha martii (Spix) 
Prionites martii Spix, Av. Bras. I (1824), p. 64, tab. LX („in sylvis Parae“). 


Die Sammlung besitzt ein Exemplar wit der Aufschrift: „Orybelus Marti Sp. Brasilien. 
Spix“, das sehr gut mit der Beschreibung und Abbildung übereinstimmt. 

Die Rücken- und Scapularfedern sind von einem matten, hellen Ölgrün, die Flügel- 
decken dunkler, mehr grasgrün, ebenso wie die Außenfahne der Armschwingen; die Tertiären 
tragen am Rande der Innenfahne einen bläulichen Anflug. Oberschwanzdecken matt ölgrün 
wie der Rücken. Schwanzfedern oberseits grün wie die Flügeldecken, die normalen äußeren 
Paare kaum mit bläulichem Schimmer, das verlängerte, mittlere Paar im Enddrittel lebhaft 
blau überlaufen. Beide Fahnen sind ganz bartig. Die Unterseite des Schwanzes erscheint 
dunkelgrau. 

Eine Serie von Ursopatha semirufa (Sel.) [type ex Santa Marta, N. Colombia] aus 
W. Eeuador unterscheidet sich durch lebhaft blaugrüne, äußere Steuerfedern, die nur an der 
Basis ganz schwache, grüne Außensäume tragen; ferner ist das mittlere Paar der ganzen 
Länge nach lebhaft blau, nur an der basalen Hälfte beiderseits schmal reingrün gerandet. 
Bei alten Vögeln fehlen auf demselben vor der raketförmig erweiterten Spitze in einer Aus- 
dehnung von etwa 25 mm die Fahnen und auf der Spitze der Feder steht ein deutlicher, 
schwärzlicher Fleck. Jüngere U. semirufa, welche noch bartige mittlere Steuerfedern besitzen, 
zeigen bereits lebhaft blaue Färbung mit dem schwärzlichen Apicalfleck am mittleren Paare. 
Die meisten Vögel aus W. Ecuador haben entschieden intensiver und dunkler grasgrüne Ober- 
seite als der Typus von U. martü, allein ein ö ad. (mit gespateltem Schwanz) von Carondelet, 
N. W. Ecuador stimmt in der Färbung des Rückens mit ihm überein. 

Der Typus hat folgende Dimensionen: al. 140, c. 258, culm. 46 mm. 

Ob U. martü wirklich bei Parä& vorkommt, beruht vorläufig nur auf Spixens Angabe. 
Natterer sammelte ein altes Stück bei Borba am unteren Rio Madeira; im übrigen wurde sie 
nur im Gebiete des Amazonenstromes in O. Ecuador und N.O. Peru gefunden. 

195 


612 


Gymnostinops bifasciatus (Spix) 


Cassieus bifasciatus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 65, tab. LXI („in sylvis prope Maranhaö 
et Param“). 

Die Sammlung besitzt ein sehr schönes Exemplar mit der Bezeichnung: „Cassicus bifasciatus 
Sp. Brasilien. Spixe.“ Es entspricht in jeder Hinsicht der Beschreibung und unterscheidet sich 
auf den ersten Blick von @. montezuma (Less.) durch kastanienbraune Hosen und Unterschwanz- 
deeken, sowie durch die rote (statt gelbe) Färbung der Schnabelspitze und des nackten Fleckes 
an der Basis der unteren Mandibel. 

Die obere Zügelgegend, Kopf ringsum und Nacken mattschwarz. Auf dem Scheitel steht 
eine Anzahl schmaler, verlängerter Federn, deren längste 75 mm lang ist, und die einen zopf- 
artigen Anhang bilden. Rücken, Flügeldecken und Außenfahne der Schwingen dunkelkastanien- 
rotbraun, die Innenfahne der letzteren gleichwie die Endhälfte der Außenfahne der fünf äußersten 
Handschwingen schwärzlich. Schwanz schön zitrongelb, das mittelste Steuerfedernpaar dunkel- 
braun. Kehle und Vorderhals schwarz, allmählich übergehend in das dunkle Kastanienrotbraun 
der übrigen Unterseite. Federn der Brustmitte mit undeutlichen, olivenfarbigen Rändern, welche 
wohl einen Rest des Jugendkleides darstellen. Achselfedern und Unterflügeldecken kastanien- 
rotbraun. Die Spitze des Schnabels ist in einer Ausdehnung von etwa 26 mm auf beiden Man- 
dibeln rot, der übrige Teil hornschwärzlich. Die untere Zügel-, die ganze Wangen- und untere 
Augengegend nackt, hellrot. 

al. 165, e. 202, culm. 691/, mm. 

Diese sehr seltene Art ist bisher nur von Parä (nach Spix auch von Maranhaö) bekannt 
geworden. Wohin die zwei anderen, von Spix gesammelten Stücke gekommen sind, läßt sich 
nicht feststellen. 

Ostinops angustifrons (Spix) 
Cassicus angustifrons. Spix, Av. Bras. I (1824), p. 66, tab. LXII („in confinibus fl. Amazonum“). 


Bloß ein schlechtes Exemplar mit ganz kahlem Hinterkopf in der Sammlung. Es trägt 
die Bezeichnung: „Cassicus angustifrons Sp. Brasilien. Spix“, und entspricht sehr gut der Ori- 
ginalbeschreibung. Spix führt drei Exemplare auf, eines derselben wurde an das Wiener 
Museum in Tausch abgegeben, wo das dritte hingelangt ist, vermochte ich nicht festzustellen. 

Verglichen mit O. atrocastaneus Cab.. aus W. Ecuador unterscheidet sich unsere Art sofort 
durch dunkelhornbraunen Schnabel, völligen Mangel des zimtbraunen Hinterrückens und der 
gelben Stirnfärbung ete. Wie schon Cabanis (J. f. Orn. 1873, p. 309) sehr richtig ausein- 
andersetzte, bietet die Schwanzfärbung sehr gute Anhaltspunkte zur Unterscheidung der Ostinops- 
Formen. 0. angustifrons, der von der O. alfredi-Gruppe sofort an seinem dunklen (statt weib- 
gelben) Schnabel zu erkennen ist, bietet folgende Zeichnung: das äußerste Paar ist auf der 
Außenfahne dunkeloliv, auf der Innenfahne bloß ein ganz kleiner Spitzenfleck; die folgenden 
Paare (II—IV) besitzen auf der Spitze beider Fahnen einen kleinen, olivgrünlichen Fleck, auf 
dem fünften ist die ganze Innenfahne und eine etwa 12mm lange Spitze der Außenfahne, 
das mittelste Paar endlich ist ganz dunkelolivbraun; der Rest der Steuerfedern ist zitrongelb. 

O. atrocastaneus Cab., der auf W. Ecuador beschränkt zu sein scheint, ist durchaus nicht 
mit OÖ. alfredi (von der Ostseite der Anden) zu verwechseln. Der Hauptunterschied liegt in 
der Schwanzfärbung und wurde von Taezanowski (Orn. Perou II, p. 497) in vortrefflicher Weise 
ausgeführt, so daß ich von einer Wiedergabe füglich absehen kann. 


Amblycercus nigerrimus (Spix) 


Cassicus nigerrimus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 66, tab. LXII, Fig. 1 („ad ripam fl. 
Amazonum“). 
Amblycercus solitarius auet. (nec Vieillot!). 
Ein Exemplar mit der Aufschrift: „Cassicus nigerrimus Sp. Brasilien.“ Die folgende 
Notiz „eoll. v. Leuchtenberg“ ist zweifellos irrtümlich, denn der Vogel trägt die nieht miß- 
zuverkennende Präparation aller Spix’schen Stücke zur Schau und im Museumskataloge wird 


613 


gleichfalls ein Exemplar von Spixens Reise aufgezählt. Es paßt recht gut zur Beschreibung 
und ist ein ganz alter, ausgefärbter Vogel. Die Abbildung scheint nach einem anderen gemacht 
zu sein, da auf den Flügeln noch Reste des Jugendkleides angedeutet sind. Freilich führt Spix 
nur ein Stück auf. Ein ö ad. von Cuyabä (Natterer) ist in keiner Weise verschieden. 

Der Typus mißt: a. 125, e. 124, eulm. 31 mm. 

Man hat diese Art allgemein mit Oassicus solitarius Vieillot, Nouv. Diet. V (1816), p. 364 
identifiziert, der sich auf Azaras no. 58 gründet. Jedoch in Azaras Beschreibung wird der 
auffallenden weißen Schnabelfärbung keine Erwähnung getan, es heißt vielmehr „tout le plu- 
mage est noir, l’iris roux, et le tarse de couleur de plomb“. Sollte der „Japı negro“ etwa 
zu Curaeus curaeus (Mol.) in Beziehung stehen, wie Cabanis (Mus. Hein. I, p. 190) vermutet? 
Auf jeden Fall ziehe ich den sicheren, wenn auch späteren Namen C. nigerrimus Sp. vor. 


Icterus minor Spix — Molothrus bonariensis sericeus (Lcht.) 


[Tanagra bonariensis Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 898 („Bonaria€ — ex Daubenton, 
Pl. enl. 710).] 
Icterus sericeus Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 19 (Bahia). 
Icterus minor (nee Oriolus minor Gmelin!)!) Spix, Av. Bras. I (1824), p. 67, tab. LXIV, 
Fig. 2 („in campis fl. 8. Francisci“) (part. ?). 
Molothrus murinus Pelzeln, Zur Orn. Bras. III (1869), p. 199 [Rio de Janeiro — spee. typ. vidi]. 
Zwei 6Ö in der Sammlung mit der Bezeichnung: „Molothrus sericeus Lcht. Icterus minor 
Sp. Brasilien. Spix.“ 
no. 1 stimmt in Größe und Färbung mit Exemplaren des M. b. sericeus aus Bahia überein. 
Seine Maße sind: al. 107, ce. 83, r. 19 mm. 
no. 2 ist viel kleiner und stimmt in den Maßen von Flügel und Schwanz mit einer großen 
Serie von M. b. atronitens Cab. aus „Orinoko“-coll. und von der Insel Trinidad (Andr& coll.) 
überein, hat aber ebenso langen und starken Schnabel wie M. b. bonariensis und M. b. sericeus. 
Maße: a. 100, ce. 75, r. 19 mm. 
Typus von M. atronitens, Brit. Guiana (Schomburgk) Ö ad.: a. 97, e. 71, r. 171/, mm?) 
Sieben 6 ad. Trinidad (Andre leg.): a. 941/,—101, ce. 71—78 mm 
ö ad. Rio Branco, N. Brazil (Natterer leg.): a. i00, e. 77, r. 13mm 
ö ad. Cajütuba bei Para (Natterer leg.): a. 99, c. 78, r. 17 mm. 
Dagegen weisen M. bonariensis und seine nördliche Form aus Bahia folgende Maße auf: 


M. b. bonariensis (Gm.) 


2 5Ö ad. Buenos Aires a. 114; e. 83,85; r. 19 mm 
ö ad. Santa Catharina . a. 1151/52; e. 83; nleh 
2 56 .ad. Rio grande do Sul a.108, 114; c. 78,80; r.20 „ 
ö ad. Curytiba, Parana . a. 114; Cl; EIER 
8 öÖ ad. 8. Paulo a. 108—112; ce. 78—82; r. 181/,—19!/, mm 
ö ad. Goiaz rer, Serarka. HR02)5} ce. 82; r. 19 mm 
& ar Cuyabazuh), „Io. ar; e..76; r. 19!/, mm. 
M. bonariensis sericeus (Lht.) 
8 66 ad. Bahia .n . 2 9110-1205 ec. 78—90; r. 181/, -191/, mm. 


Wie aus obiger Maßtabelle ersichtlich, besitzen die Vögel aus 8., C. und O. Brazil immer 
längere Flügel und Schwanz als no. 2 ex Spix, stimmen mit ihm aber in der Schnabelstärke 
überein. Spix gibt als Fundort seines I. minor den $. Francisco-Fluß (in Bahia) an und eines 
der von ihm mitgebrachten Stücke gehört tatsächlich zu der in Bahia vorkommenden Form 


1) Oriolus minor Gmelin, Syst. nat. 1. I (1788), p. 394 (ex Daubenton, Pl. enl. 606, Fig. 1, „Trou- 
piale, de la Caroline“) = Molothrus pecoris auct.! 

2) Die Maße verdanke ich Graf Berlepsch, der den Typus auf meine Bitte im Berliner Museum 
untersuchte. 


614 


Gi. e. M. b. sericeus). Ich wage deshalb nicht zu entscheiden, ob no. 2, der in Flügel- und 
Schwanzlänge mit M. b. atroniteus übereinstimmt, nur als ein auffallend starkschnäbeliges 
Exemplar dieser Art oder als ein abnorm kleines Stück der gewöhnlichen Bahia-Form anzusehen 
ist. Obwohl der Spix’sche Artname „minor“ eher dafür spricht, daß dem Autor der kurz- 
flügelige Vogel vorschwebte, so enthält anderseits die Beschreibung doch nicht den ausdrück- 
lichen Hinweis auf die geringe Größe, welche für M. atronitens eben bezeichnend ist. Spix’ 
Name kann übrigens auf keinen Fall in Anwendung kommen, da sich Gmelins Oriolus minor 
auf eine Molothrus-Art bezieht, mithin der Speziesname in der Gattung ein für allemal ver- 
geben ist. 

Es sei mir schließlich gestattet, noch einige Worte über die Formengruppe von Molothrus 
bonariensis zu sagen. 

Vögel aus Buenos Aires (topotypisch!), Rio grande do Sul, Paranä, Santa Catharina, 
Goiaz und Mattogrosso stimmen in Größe und Färbung völlig untereinander überein. Die 09 
sind überall gleichmäßig dunkelkaffeebraun gefärbt, die Federspitzen der Ober- und Unterseite 
zeigen nur einen schwachen, schwer zu beschreibenden Seidenglanz. 

Weibchen aus Bahia und Rio de Janeiro dagegen sind oberseits erdbraun mit undeut- 
licher, dunklerer Fleckung, die Kehle ist weißlich und die übrige Unterseite hellgraubräunlich 
mit deutlichen, dunkelbraunen Schaftstreifen; bloß auf dem Mittelrücken zeigen sich Spuren 
eines schwachen Seidenglanzes. Die beiden Stücke, welche Pelzeln (l. ec.) M. murinus nannte, 
gehören gleichfalls zu dieser Form. Das eine Stück stimmt in der Färbung der Unterseite 
völlig mit einigen 00 aus Bahia überein, ist nur auf dem Rücken entschieden dunkler braun, 
fast wie bei OO aus $. Paulo ete. Der zweite Vogel weicht auch durch etwas düsterer grau- 
braune Unterseite ab, welche indessen gleichfalls die für die Bahia-Form bezeiehnende dunkle 
Fleckung aufweist. 

Ich habe aus Bahia niemals ein einfarbig dunkelbraunes Q und anderseits aus 8. und 
C. Brazil kein graues Q mit dunkel gefleckter Unterseite gesehen. Auch die im nördlichen 
und westlichen Südamerika vorkommenden Formen: M. b. venezuelensis Stone, M. b. cabanisi 
(Cass.) und M. b. atronitens Cab. haben stets helle 09, wie sie in Bahia vorkommen. Daher 
scheint es mir geboten, die Vögel aus letzterer Gegend als besondere Subspezies M. bonariensis 
sericeus (Leht.) zu trennen. Die 66 aus Bahia vermag ich nicht mit Sicherheit von M. bona- 
riensis aus dem Süden zu unterscheiden, doch scheinen sie durchschnittlich etwas größer zu sein. 

M. b. venezuelensis Stone, der die Form am ÖOrinoko, im Gebirge von Merida und bei 
Puerto Cabello in N. Venezuela vertritt, unterscheidet sich in beiden Geschlechtern durch etwas 
längeren, gestreckteren und schlankeren Schnabel, das ö zeichnet sich ferner durch rein stahl- 
blaue Färbung des Hinterrückens und der ÖOberschwanzdecken aus, während diese Teile bei 
den südlichen Formen purpurviolett wie der Scheitel und Oberrücken schimmern. 

Es scheint, daß Graf Dalmas (Mem. Soc. Zool. France XIII 1900, p. 138) die Form 
des venezuelanischen Küstengebirges für M. atronitens genommen und letzteren als M. minimus 
von Tobago nochmals beschrieben hat. Ich vermag Vögel aus Tobago und solche aus Trinidad 
nicht zu unterscheiden. Ich werde darauf a. a. O. zurückkommen. 


Aaptus!) suleirostris (Spix) 
Icterus suleirostris Spix, Av. Bras. I (1824), p. 67, tab. LXIV, Fig. 2 [,in campis Minas Geraös“]. 


Ein alter Vogel, etik.: „Agelaius suleirostris Sp. Brasilien. Spie..* — A. 155, ce. 110, 
r. 25 mm. 

Er entspricht in jeder Hinsicht der Originalbeschreibung und Abbildung. Mr. Sclater 
stellte das obige Zitat unter die Synonymie von A. chopi (Vieill.), von dieser Art unterscheidet 
sich das Spix’sche Original aber auf den ersten Blick durch viel bedeutendere Größe, etwas 
längeren und stärkeren Schnabel und entschieden lebhafteren, stahlblauen (statt matt ölgrün- 
lichen) Glanz des Gefieders. Vögel aus Rio, 8. Paulo, Goiaz und Mattogrosso stimmen in Größe 


I) Aphobus ist für Coleopteren vergeben; cfr. Richmond, Proc. Biol. Soc. Wash. XV (1902), p. 85. 


615 


und Färbung mit zwei topotypischen Paraguay-Stücken überein. Auffallenderweise gehört ein 
alter Vogel aus Lagoa, Santa in Minas Geraös (coll. Burmeister) im Museum zu Halle, den ich 
unlängst untersuchte, gleichfalls zur kleinen Form. Auf diese bezieht sich auch Icterus unicolor 
Leht.,!) wie mich die von Prof. Reichenow freundlichst mitgeteilten Maße der Originale, von 
denen eines aus Minas Geraös stammt, lehren. 

Vögel aus Paraguay (typischer chopi) und Mattogrosso scheinen übrigens durchschnittlich 
noch kürzere Flügel zu besitzen als die aus dem südöstlichen Brasilien. 

Da somit aus Minas Geraös die kleine Form vorliegt, weiß ich nicht, ob Spixens Fund- 
ortsangabe Vertrauen verdient. Denn es wäre doch höchst auffallend, wenn beide Formen neben- 
einander vorkämen. Auf alle Fälle muß ich vorläufig A. suleirostris Speziesrang zuerkennen, 
solange nicht der Beweis erbracht ist, daß es sich hier nur um einen geographischen Vertreter 
des A. chopi handelt. 

A. suleirostris übertrifft in den Größenverhältnissen noch bedeutend den von Leverkühn 
beschriebenen A. megistus?) aus Bolivia, der eine weitere, kenntliche Form auszumachen scheint. 
Unsere Art wäre durch folgende Diagnose zu unterscheiden: 

4A. A. chopi et A. megisto affinis, sed multo major et nitore chalybeo (nee oleagineo) 
primo visu distinguendus. 

Zum Vergleich die Maße der drei Formen. 


1. A. chopi (Vieill.) 
Agelaius chopi Vieillot, Nouv. Diet. XXXIV (1819), p. 537 [ex Azara no. 62, part.: adult. — 
Paraguay]. 


Mus. Monac. „ö* Paraguay a.118, . ce. 91, culm. 241/, mm 
„ Tring „ö“ Paraguay . a. 120, c. 831, culm. 241, „ 
„ Berlin „ö“ Rio Manso, Mattognosse "[Behn] a. 1221],, c. 874,, culm. 231, „ 
oa = "54 Paranahyba, S. Paulo [Behn leg.] a..123,,.11e. 88, culm.-22!j.\ , 
% Mi „ö* Dvivadino, S. Paulo [Behn leg.] a. 125!/,, ec. 931,, culm. 221/, „ 
n „ö“ Monte ame. S. Paulo [Behn leg.] a. 124,  c. 931], culm. 231, „ 
n ja v. B. ad. Leopoldina, Araguay [v. d. Steinen “sl a..1120,, 70293mm 
BE. vB. (o)nad. 8. Brazil (n. Präp.) e : alas FeHg0L, 2 culm. 21er, 
„ H.v.B. ad. S. Brazil (n. Präp.) : a. 123, ce. 93!/,, culm. 2211|, „ 
» Monaec. „ö“ ad. Mattodentro, 8. Paulo alterer ee] 2.1280 .c2.90,  ceulmr25 = 
„ Berlin [Typen von let. unicolor Lichtenstein ] 

„Brasilien“ [Sellow leg.]. a. 122, c. 102mm 
# n Brasilien! [Sellow leg.]. . ala CHI, 
5 „8. Ioäo del Rey“, Minas Geraös - Olfers les.] a, 125, 72.100 
= Halle 1771 ad. Lagoa Santa, Minas Geraös RS 
meister leg]. . - - BE 7. 120, er 92, eulms2iEmm 
2. A. megistus (Lev.) 
Mus. Berlin „ö“ ad. Santa Cruz, Bolivia [Behn leg] . a.144, c.105, culm. 25!/, mm 
n = „2“ 8. Miguel, Bolivia [Behn leg] - - . a.136, c.100, culm. 261, „ 
Typen der Art. 
3. A. sulcirostris (Spix) 
Mus. Monac. ad. „Minas Geraös“ [Spix leg] . . . . 2.155, e.110, culm. 25 mm 


Lampropsar tanagrinus (Spix) 
Icterus tanagrinus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 67, tab. LXIV, Fig. I („in loeis sylvatieis Parae*). 


Zwei Exemplare in der Sammlung mit der Bezeiehnung: „Agelaius (!) tanagrinus Sp. 
Brasilien. Spix“, die in jeder Hinsicht der Beschreibung und Abbildung entsprechen. Ferner 


1) Verz. Dubl. 1823, p. 19, „Brasilien“. 
2) Journ. f. Ornith. 1889, p. 106. 


616 


untersuchte ich im Wiener Museum ein drittes, von Spixens Reise stammendes Stück, das von 
den beiden in der Münchener Sammlung aufbewahrten nur durch geringere Dimensionen, 
besonders viel kürzeren Schwanz abweicht. Die drei typischen Exemplare sowie ein ö ad. von 
Barra do Rio Negro, ein ö, zwei 09 von Borba (Natterer leg.; Mus. Vindob.) und ein Q von 
Samiria, N.O. Peru zeigen nur schwach glänzendes Gefieder. Sechs ö&ö von Munduapo am 
oberen Orinoko und zwei 5ö, Guanoko im Orinoko-Delta (Andre leg.; Mus. Tring.) unter- 
scheiden sich von obiger Serie durch viel lebhafteren und mehr grünblauen Stahlglanz und 
entsehieden dunklere, mehr schwärzliehbraune Unterseite der Schwingen. Sie müssen wohl als 
L. tanagrinus guianensis Cab. abgetrennt werden. Letzterer, ursprünglich aus Brit. Guiana 
beschrieben, wurde von Whitely dort nicht gesammelt, und daher liegt die Vermutung nahe, 
Schomburgk möchte ihn aus dem Mündungsgebiete des Orinoko gebracht haben, wohin er 
einmal einen Sammelausflug unternahm. Im letzten Jahre sandte Mr. Andre zwei öö von 
dieser Lokalität an das Tring-Museum. [Vgl. auch Allen, Bull. Amer. Mus. IV, 1892, p. 53.] 

Das Wiener Museum besitzt aus C. Brazil vom Rio Guapore (Natterer coll.) ein Ö ad., 
das in der Färbung so auffallend von obiger großer Serie abweicht, daß ich genötigt bin, es 
abzutrennen als 

Lampropsar tanagrinus violaceus subsp. nov, 


Similis L. t. tanagrino et eadem forma, sed nitore corporis totius violaceo seu purpura- 
scente facile distinguendus. 

Typus in Mus. Vindob. asservatur. „ö“ ad. „Rio Guapor&“ in Brasilia centrali, ad fines 
reipublicae Boliviae, 1. Aug. 1829, coll. Natterer. 

In der Größe scheinen die drei Formen nicht konstant verschieden. Nachstehend gebe 
ich kurz ihre Maße und Verbreitung. 


1. Lampropsar tanagrinus tanagrinus (Spix) 


N. Brazil: Parä (Spix); Barra do Rio Negro und Borba am Rio Madeira (Natterer). N. O. Peru: 
Samiria (Hauxwell). 


Mus. Monac. Typen von L. tanagrinus (Spix). Para. 


a ar E00, TS an 
a N 24108, 6. 100, 7.19 Se 

„ Vind. Parä (Spix coll.) a NER kn 
Me okBarra dee, EN aa 2 a ea 
ö oa BoTbare er LE, le : 
. h ,9« Borba a.u975 0 9A Toon 
OR Dorbaun 2.99, e.98, 1 Telsın 7 
H.v.B. „oO Samiria“, N. 0. Pi a gel e 


2. L. tanagrinus guianensis Cab. 


Brit. Guiana (Schomburgk); Venezuela: Munduapo am oberen Orinoko; Guanoko im Orinoko- 
Delta (Andre). 


Mus. Tring. 2 &5 Guanoko, Orinoko-Delta a. 971/, 101; c. 981%, 98; culm. 18, 191, mm 
6 5 ö Munduapo, Orinoko . a. 97—103, c. 92—98; culm. 17—20 „ 
: 3. L. tanagrinus violaceus Hellm. 
Central-Brazil: Rio Guapore, Quellflluß des Madeira an der bolivianischen Grenze (Natterer coll.). 
Typus in Mus. Vind. „ö, R. Guapore, 1. 8. 829“: a. 99, ce. 92, culm. 18 mm. 


Molothrus fringillarius (Spix) 
Ieterus fringillarius Spix, Av. Bras. I (1824), p. 68, tab. LXV („Minas Geraes“). 
Dolichonyz fuscipennis Cassin, Proc. Acad. Philad. 1866, p. 16 (Cearä, N.O. Brazil). 


Drei Exemplare in der Sammlung mit der Bezeichnung: „Molothrus fringillarius Sp. 
Brasilien. Spix.“ 


617 


no.1: 2.861, c. 68, r.17 mm; no.2: a. 86, ec. 67, r. 17mm; no. 3: a. 87, c.67, r. 17 mm. 


no. 1 stimmt am besten mit der Abbildung des ö (Fig. 1) überein und ist überall etwas 
dunkler gefärbt als die beiden anderen Vögel. Der Rücken erscheint düsterer braun, das 
Zimtrot auf den Schwingen und Flügeldecken lebhafter, der Schwanz dunkler braun und die 
Unterseite etwas mehr sandfarbig überlaufen; die dunkelbraunen Zentren der Flügeldecken 
heben sich von den roströtlichen Säumen schärfer ab, gerade wie es die Spix’sche Figur dar- 
stellt. Die beiden anderen Stücke sind unterseits entschieden blasser und das Zimtrot der 
Flügel lichter und weniger ausgedehnt. Mit ihnen identisch ist ein alter Vogel aus Cearä im 
Mus. H. v. Berlepsch, letzterer hat nur blasser braunen Scheitel, etwas mehr sandrötlichen Rücken 
und noch blasser braunen Schwanz. 

M. fringillarius unterscheidet sich von M. badius, von dem mir mehrere Bälge aus Para- 
guay, Buenos Aires und Rio grande do Sul vorliegen, durch hell sandgelbliche (statt trüb 
graubräunliche) Unterseite, sandrötlichen (statt graubraunen) Rücken, heller oder dunkler braunen, 
rötlich sandfarben gesäumten (statt einfarbig schwärzlichen) Schwanz und viel weniger aus- 
gedehnte und lichtere, zimtrote (statt rostrote) Färbung auf den Flügeldecken und Schwingen. 


Xanthornus chrysocephalus (Linn.) 


Oriolus chrysocephalus Linnaeus, Syst. nat. XII. 1 (1766), p. 164 (ex Brisson — „America — 
wir ergänzen Cayenne). 
Icterus chrysocephalus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 68, tab. LXVII, Fig. 1 („in sylvis ripariis 
fl. Negro“). 
Zwei Exemplare in der Sammlung mit der Bezeichnung: „Xanthornus chrysocephalus 
L. Brasilien. Spix“, in keiner Weise verschieden von einem Vogel aus Cayenne. 
no. 1 paßt besser zur Tafel 67, Fig. 1 und hat heller gelbe Färbung auf Scheitel, 
Schulter und Hosen als no. 2. 


Icterus eitrinus Spix = Gymnomystax mexicanus (Linn.) 


Oriolus mexicanus Linnaeus, Syst. nat. XH. 1 (1766), p. 162 (ex Brisson — Mexico errore! — 
wir substituieren Cayenne). 
Icterus eitrinus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 69, tab. LXVI („ad ripam flum. Solimoöns“). 
Wir besitzen ein schönes altes Exemplar mit der Bezeichnung: „Icterus mexicanus L. Bra- 
silien“, das nach der Präparation zweifellos von Spixens Reise stammt. Es entspricht durchaus 
der gegebenen Kennzeichnung. 
Außerdem enthält die Sammlung zwei jüngere Vögel mit der Bezeichnung: „Icterus 
mezxicanus L. citrinus Sp. Brasilien. Spix.* Spix hat aber bloß den alten Vogel beschrieben 
und abgebildet. 


Turdus flavipes Vieill. 
Turdus flavipes Vieillot, Nouv. Diet. XX (1818), p. 277 („Bresil€ — Delalande fili'— wir 


ergänzen Rio als terra typica). 
T. flavipes Spix, Av. Bras. I (1824), p. 69, tab. LXVII, Fig. 2 („in sylvis Rio de Janeiro“). 


Kein Spix’sches Stück in der Sammlung. Über die Formen dieser Art vergleiche meine 
Abhandlung im Journ. f. Ornith. 1902, p. 66 ff. Mr. Sharpe ist jetzt überzeugt, daß seine 
Merula polionota und M. melanopleura, welch letztere von Trinidad stammen soll, mit 7". flavipes 
venezuelensis Sharpe zusammenfallen. Auf Trinidad kommt überhaupt keine Form dieser Gruppe 
als Brutvogel vor! 


Turdus rufiventris Vieill. 


Turdus rufiventris Vieillot, Nouv. Diet. XX (1818), p. 226 („Bresil€ — wir ergänzen Rio). 
T. rufiventer Spix, Av. Bras. I (1824), p. 70, tab. LXVII. 


Ein Exemplar mit der Aufschrift: „Turdus rufiventris Sp. Brasilien. Spix* in der Sammlung. 
Abh.d.11.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 80 


Turdus albiventer Spix 


umfaßt zwei Arten, wie man bereits richtig angenommen hatte, Allein dadurch, daß Spix zu 
„ö“ und „Q“ seines T. albiventer falsche Abbildungen zitiert, ist die Deutung dieser Art und 
des T. albicollis apud Spix bisher nicht geglückt. 

Spix’ Beschreibungen und Abbildungen beziehen sich auf folgende Arten: 


a) Turdus albiventer Spix 
Turdus albiventer Spix, Av. Bras. I (1824), p. 70 (part., 6) (nec Tafel 69, Fig. 1!) („Para — 


vide infra!). 
T. albiventer ]. e. tab. LXIX, Fig. 2! 


b) Turdus amaurochalinus. Cab. 


Cabanis, Mus. Hein. I (1850), p. 5 (Brasilien). 

T. albiventer Spix, Av. Bras. I (1824), p. 70 (part., 9). 
T, albicollis (nee Spix, p. 71!) 1. e. tab. LXX (!). 

T. leucomelas auet. (nec Vieillot?!). 

Das Original zum „ö“, also zu 7. albiventer ist nicht mehr in der Sammlung, nichts- 
destoweniger kann über die Bedeutung der Beschreibung kein Zweifel sein. Spix nennt die 
Oberseite „olivaceo-brunnescens“, den ÖOhrfleck „brunneo-grisea* und setzt im späteren Texte 
hinzu „albo-striata“; die Worte „alis subtus rufis“ passen gleichfalls ausgezeichnet auf 7. albi- 
venter auct. Die Figur 2 auf 69, angeblich das „O“ (= amaurochalinus), stellt augenscheinlich 
das „ö“ (= albiventer) dar, denn es fehlt der für T. amaurochalinus charakteristische, rein- 
weiße Gurgelfleck, die Kehle zeigt bloß schwache, braune Striche ete. etc. 


Von b) besitzt die Münchener Staatssammlung noch ein Exemplar mit der Aufschrift: 
„Turdus crotopezus Ill. (!). Turdus albiventris Sp. Q Brasilien. Spix.* 

Das Stück stimmt mit der Beschreibung des „O“ des T. albiventer sehr gut überein. 
Verglichen mit T. albiventer passen auf diese Art die Worte in Spix’ Diagnose: „foemina 
magis olivaceo cinerea, subtus albidiore gaudet“ ausgezeichnet. Tafel 70 s. n. T. albicollis stellt 
unseren Vogel augenscheinlich dar! Ein © aus Paraguay ist nicht verschieden von dem Spix’- 
schen Stücke. 

Spix gibt als Fundorte „Minas Geraös et Para“ an, letzterer kann sich bloß auf T. albi- 
venter beziehen und wir mögen daher Para als terra typica betrachten. T. amaurochalinus 
kommt in Brasilien nicht nördlich von Bahia vor! 


Turdus albicollis Vieill. 


Turdus albicollis Vieillot, Nouv. Diet. XX (1818), p. 227 („Bresil“ — Delalande fils coll. — 
wir ergänzen Kio). 

T. albieollis Spix, Av. Bras. I (1824), p. 71 („in provineia Bahiae“). 

T. albiventer (nee Spix p. 70!) ]. ec. tab. LXIX, Fig. 1! 

Die Sammlung besitzt ein Exemplar mit der Aufschrift: „Turdus crotopezus Ill. — albi- 
ventris Sp. 6 Bahia. Spix.“ Es ist ohne Zweifel das Original zu Figur 1 auf Tafel 69 und 
zur Beschreibung des T. albicollis p. 71! Die Worte: „supra brunneo-rufus, subtus ad abdomen 
medium albescens, lateraliter rufescens, ... gula large fusco-striata“, und besonders „hypochondrüs 
abdomineque interfemorali rufis* können auf keine andere südamerikanische Drosselart bezogen 
werden. Übrigens weicht das Stück in keiner Weise von mehreren Rio-Bälgen ab. 


Turdus orpheus 


umfaßt gleichfalls zwei Arten. Obwohl die Münchener Staatssammlung von den durch Spix 
mitgebrachten sieben Exemplaren nur mehr zwei besitzt, welche beide zu M. sat. arenaceus 
gehören, so lassen die Bemerkungen des Autors im Text und Figur 1 auf Tafel 71 deutlich 
erkennen, daß der Vogel von Rio de Janeiro zu M. lividus (Leht.) gehörte. 


pr: 


619 


Demnach hätten wir: 
a) Mimus saturninus arenaceus Chapm. 


Mimus arenaceus Chapman, Auk VII (1890), p. 135 (Bahia). 

Turdus orpheus (non Linnaeus 1758!) Spix, Av. Bras. I (1824) p. 71 (part., „prope Joazeiro 
ad flumen $“ Francisci“), tab. LXXI, Fig, 1 (= juv.) (vgl. Hellmayr, Verhandl. zool. 
bot. Ges. Wien 1903, p. 220 f.). 


no. 1 ein alter ausgefärbter Vogel mit der Bezeichnung: „Mimus saturninus Licht. Turdus 
orpheus Sp. Brasilien. Spix.“ Auf der,Etikette ist irrtümlich bemerkt: „juv.*“ Außerdem trägt 
der Vogel eine Etikette mit der Bemerkung: „Turdus orpheus Spix. fem. adult. in frisch 
gemausertem Gefieder, nicht verschieden von saturninus Licht. und Pr. Max Neuw.* DieHand 
schrift ist mir unbekannt. Sollte diese Notiz von Prof. Cabanis herrühren? 

Der Vogel stimmt mit der Bahia-Form von M. saturninus überein, welche Chapman als 
M. arenaceus abgesondert hat, und mißt: a. 116, e. 139, r. 25 mm. 

no. 2 ein ganz junger Vogel, anscheinend von M. s. arenaceus. „Mimus saturninus Licht. 
Turdus orpheus Sp. Brasilien. Spix.* Ferner trägt er eine Etikette in derselben Handschrift 
wie no. 1: „Turdus orpheus Spix, 71 Fig. 1 mas pullus, ganz jung! Jugendkleid! fast noch 
Nestkleid zu nennen, was Spix übersehen hat.“ Dies ist vielleicht das Original von Tafel 71, 
Fig. 1, wenngleich die Oberseite nicht so lebhaft rotbraun gefärbt ist als dort dargestellt. 


b) Mimus lividus (Loeht.) 


Turdus lividus Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 39 (Bahia). 
Turdus orpheus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 71 (part., speeimen e provincia Rio de Janeiro), 
tab. LXXI, Fig. 2. 


Wir besitzen kein Exemplar von M. lividus ex Spix. Dennoch lassen die Abbildung und 
die Worte: „speecimen e provincia Rio de Janeiro allatum ... differt capite submaculato dorsoque 
canescenti-einereis, abdomine toto albo“ mit ziemlicher Sicherheit die in Rede stehende Art 
erkennen. 


Formicarius ruficeps (Spix) 


Myothera ruficeps Spix, Av. Bras. I (1824), p. 72, tab. LXXII, Fig. 1 [ohne Fundort]. 
Formicarius colma (nee Boddaert) Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV (1820), p. 302. 


Ein alter Vogel in der Münchener Sammlung, etik.: „Formicarius ruficeps Sp. Myiothera 
letema Vieill. Brasilien. Spix.* — A. 90, ec. 60, r. 20°/, mm. 

Die Stirn ist gleich dem Scheitel rostrot gefärbt, nur wenig heller; der Rücken erscheint 
olivenbräunlich mit grünlichem Tone, ist aber so beschmutzt. daß über die ursprüngliche Färbung 
kaum sicher geurteilt werden kann. Da jedoch Spix ausdrücklich sagt: „viridi olivacea supra*, 
so möchte ich seinen Namen auf die Form des südöstlichen Brasilien beschränken, wie ich dies 
in einer kleinen Notiz!) getan habe. Die bei Parä, am Rio Madeira und in Matogrosso heimische 
Form habe ich (l. e.) als F. r. amazonicus gesondert. 

Es sei hier nochmals betont, daß die allerdings schlechte Abbildung Daubentons (no. 821), 
die Grundlage von Formicarius cayanensis Bodd., zweifellos auf die schwarzstirnige Art bezogen 
werden muß. Das Wiener Museum besitzt 66 und 00 aus Cayenne und neuerdings sandte 
Cherrie von dort beide Geschlechter derselben Art an das Tring-Museum. Die bisher F. nigri- 
frons genannte Art muß fortan F. colma Bodd. heißen. Dieser Name gründet sich auf Dau- 
bentons Tafel 703, Fig. 1, wo das © der Cayenne-Form dargestellt ist. Auch das alte © von 
F. colma hat stets weiße Kehle. 

Dagegen kann Myrmothera fuseicapilla Vieill. Nouv. Diet. XII (1817), p. 112 (ohne 
Fundort), von Selater (Cat. XV, p. 302) als Synonym von F. ruficeps zitiert, unter keinen 
Umständen hieher gezogen werden, gehört vielmehr sicher zur Gruppe von F. analis, wie 


I) Orn. Monber. 1902, p. 34. 
so* 


620 


schon aus der Angabe: „le dessus de la tete brun“ hervorgeht. Auf welche Form der Name 
aber zu deuten ist, kann nur durch Untersuchung des Typus festgestellt werden. 
Die Synonymie der beiden rotköpfigen Arten ist somit: 


a) Formicarius colma Bodd. 


Formicarius Colma Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783), p. 44 [ex Daubenton, tab. 703, Fig. 1 
(= 9), Cayenne]. 
Formicarius cayanensis Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783), p. 50 (ex Daubenton, tab. 821, Cayenne). 
Myrmothera colma Vieillot, Tabl. ene. meth, II (1822), p. 681 (ex Daubenton, tab. 703, Fig. 1), 
Myrmothera tetema Vieillot, 1. c. p. 683 (ex Daubenton, tab. 821). 
Formicarius nigrifrons J. Gould, Ann. nat. Hist. ser. 2, XV (1855), p. 344 (Chamieurros. 
N.O. Peru). 
F. nigrifrons glaucopectus Ridgway, P. U. 8. Mus. XVI, 1893 (1894), p. 673 (Brit. Guiana). 
F. nigrifrons Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV, p. 303. 
NB. Zwischen Vögeln aus N.O.Peru und solchen aus Cayenne und Guiana findet kein 
Unterschied statt, F. nigrifrons wird daher zum Synonym von F. colma. 


b) Formicarius ruficeps (Spix) 


Formicarius colma Selater (nee Boddaert), Cat. Birds Brit. Mus. XV (1890), p. 302 et auct. 
F. ruficeps Pelz., Zur Orn. Bras. p. 90 (part.). 
Myrmornis ruficeps Cabanis, J. f. Orn. 1874, p. 75 [Cantagallo, Rio]. 


Pyriglena leuconota leuconota (Spix) 


Myothera leuconota Spix, Av. Bras. I (1824), p. 72, tab. 72, Fig. 2 (= ad.) („Para“). 

Thamnophilus leuconotus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 28, tab. XXXIX, Fig. 2 („in sylvis 
Parae“ (= Ö ad.) (vgl. bei dieser Art). 

Pyriglena atra (non Swainson!) Sclater & Salvin, Proc. zool. Soc. Lond. 1867, p. 576 (Pars; 
Wallace leg.). 

Pyriglena atra Layard, Ibis 1873, p. 387 (Para). 

Pyriglena maura (non Menetries) Pelzeln, Zur Orn. Bras. Il, 1868, p. 85 [part., Para (Natterer)]. 

Pyriglena atra Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV (1890), p. 270 (Para; Pernambuco?). 


Unsere Sammlung besitzt noch Jas Spix’sche Original unter der Bezeichnung: „Pyriglena 
maura Men. Thamnophilus leuconotus Sp. 9? Brasilien. Spix.* Schon beim Prüfen der Abbildung 
vermutete ich, daß es sich um das © einer Pyriglena-Form handeln müsse und fand diese 
Annahme völlig bestätigt. Spix’ Name ist seit seiner Veröffentlichung nie mehr in der Literatur 
erwähnt worden und fehlt auch im Cat. Birds. 

Mr. Selater (Cat. XV, p. 270) beschrieb die vorstehende Art sehr gut, nannte sie aber 
irrtümlich P. atra (Sws.), eine Form, die ihm — wie mich die Untersuchung der Serie im 
Brit. Mus. lehrte — gar nicht bekannt war, und vereinigte damit außerdem die ihm gleichfalls 
nur ganz ungenügend vertraute (bloß ein & ad. im Brit. Mus.) P. maura Menetr. P. atra (Sws.) 
ist aber, wie ich in folgenden Zeilen beweisen werde, absolut verschieden und P. maura muß 
wegen der auffallenden Abweichung des © subspezifisch von P. leuconota getrennt werden. Ich 
hatte Gelegenheit, prächtige Serien von allen Pyriglena-Formen zu untersuchen und gebe im Nach- 
stehenden eine kurze Übersicht, die nicht unwillkommen sein dürfte, da im Cat. Birds wegen 
Mangel an Material fast alles unrichtig dargestellt ist. Zunächst sei bemerkt, daß P. serva Sel., 
von der ich eine gute Serie einschließlich der Typen studierte, nicht zu Pyriglena gehört, 
sondern in das Genus Cercomacra in die Nähe von (. tyrannina und C. approximans gestellt 
werden muß. Darüber werde ich an anderem Orte berichten. 


Schlüssel. 


f Gefieder schwarz (56). — 2. 
\ Gefieder in der Hauptsache braun. (900) — 4. 


621 


0 Schulter und zwei Querbinden auf den Flügeldecken weiß; P. leucoptera (Vieill.) . 
Flügel einfarbig schwarz, ohne Weiß. — 3. 


Federn des Mittelrückens nur an der Basis weiß, Endhälfte schwarz; P. leuconota 
(Spix) und subsp. ö. 

Federn des Mittelrückens nicht nur an der Basis weiß, sondern der keilförmige, 
schwarze Subapicalfleck ist auch an der Spitze und an den Seitenrändern von 
einem weißen Saume eingefaßt; P. atra (Sw.) ©. 


4 


Oberseite lebhaft rotbraun; Zügel- und Brauengegend dunkelgrau; P. leuconota leu- 
conota 9 

Oberseite hellrötlichbraun; ein sehr deutlicher, weißlicher Supraloral- und Brauen- 
streifen. — 6. 


3 
5) 


Federn des Vorderrückens einfarbig braun, ohne jegliches Weiß. — 7. 


f Oberseite mehr rötlichbraun; Schwanz kürzer: 69—73 mm; P. atra 9. 
\ Oberseite mehr olivbraun; Schwanz länger: 77—78 mm; P. leucoptera oO. 


Oberseite mehr rötlichbraun; Oberschnabel und Tarsus hornbraun; P. leuconota maura Q. 
Oberseite mehr olivbraun; Oberschnabel und Tarsus schwarz; P. leuconota aterrima Q. 


er des Vorderrückens mit breiter, weißer Basis. — 5. 
| 


a) Pyriglena leueoptera (Vieill.) 


1818 Turdus leucopterus Vieillot, Nouv. Diet. XX, p. 272 („Bresil“, coll. Delalande fils; se. Rio). 
1823 Lanius domicella Lichtenstein, Verz. Dubl. p. 47 (Bahia). 

1825 Drymophila trıfasciata Swainson, Zool. Journ. II, p. 152 (8. Brazil). 

1855 Lanius notodelos (Cuvier Ms.) Pucheran, Arch. Mus. Paris VII, p. 326. 


ö ad. Glänzend tiefschwarz. Ein großer, verdeckter Fleck im Vorderrücken, Sehulter und 
breite Spitzen auf den mittleren und großen Flügeldecken weiß. Erste Feder der Handdecken 
und des Afterflügels außen weiß gerandet. 

a. 82—84, c. 79—80, culm. 181/,—191/, mm. 

oO ad. Oberseite rötlicholivbraun (ohne Spur eines weißen Rückenflecks), Hinterrücken 
und Oberschwanzdecken schwarzgrau, Flügeldecken und Außenfahne der Schwingen rötlicholiv- 
braun wie der Rücken, Innenfahne der letzteren dunkelbraun. Schwanz schwärzlich. Zügel 
dunkelgrau, Ohrgegend vorne schmutzig bräunlichweiß, hinten olivbraun. Kehle und Mitte des 
Vorderhalses rahmweißlich, übrige Unterseite dunkler, blaß olivbräunlich, Mitte des Unterkörpers 
wieder heller rahmweißlich. Hosen schwarzgrau, Unterschwanzdeckfedern schwärzlich, Schnabel 
schwärzlich, untere Mandibel weißlich, an der Basis hornbraun. 

a. 72—79, ec. 77—78 mm. 

Mus. Tring no. 129 Hempel coll. „O, Vietoria, 8. Paulo, 17. April 1901*: 

a. 78, c. 77 mm. 

5 „ no. 722 Hempel coll. „O, 8. Sebastiäo, S. Paulo, 2. Juli 1901*: 
a. 72, c. 77, eulm. 18 mm. 

n „ no. 212 A. Robert coll. (0) „Piquete, 8. Paulo, 900%, 25. Febr. 1901*: 
a. 74, e. 77, eulm. 21 (!) mm. 

= „.  n0.211 A. Robert coll. (0) „Piquete, 8. Paulo, 23. Febr. 1901*: 
a. 75, c. 78, ceulm. 20 mm. 

»„ Vind. no. 15399 „Q, Ypanema, 8. Paulo, 4. Okt. 1819*: 
a. 771, e. 77, r. 191/, mm. 

„ H.v. Berlepsch „OQ, Itatiba, S. Paulo, 13. Juni 1902“ (Lima leg.): 
a. 79, e. 78, eulm. 181/, mm. 

Not. Ich untersuchte eine sehr große Zahl von 5ö in den Mus. Vind., Tring und 
Berlepsch, meist aus Rio und $. Paulo; das Tring-Museum besitzt aber auch einen unzweifelhaften 
Bahia-Balg, der in jeder Hinsicht mit den südlichen Stücken übereinstimmt. ‘Obwohl bereits 


622 


Lichtenstein (l. e.) seinen L. domicella aus Bahia beschrieben hatte, war die Art in neuerer 
Zeit nicht mehr mit Sicherheit aus genanntem Staate nachgewiesen worden. 

Verbreitung. S.0. Brazil von Bahia südwärts bis Rio, S. Paulo und Santa Catharina. 
[Das angebliche Vorkommen in Rio grande do Sul (Cat. Birds XV, p. 269) bedarf noch der 
Bestätigung.] 

b) Pyriglena atra (Sw.) 

1825 Drymophila atra Swainson, Zool. Journ. H, p. 153 (Pitangua. Bahia). 
1856 Pyriglena atra Burmeister, Syst. Übers. 3. II, p. 60 (Bahia). 


ö ad. Einfarbig glänzend schwarz. Schulter und Flügeldecken ohne jedes Weiß. 
Federn des Mittelrückens an der Basishälfte weiß, dann folgt ein keilförmiger, 
schwarzer Fleck an der Spitze der Außenfahne, der aber wieder ringsum von einem 
weißen Saume eingefaßt ist. Oberschnabel schwärzlich hornbraun, untere Mandibel weiß- 
lich, an der Basis (einschließlich der Kieferäste) und an den Schneiden hornbräunlich. 

a. 78—83, ec. 73—78, r. 19 mm. 

[Ich untersuchte 8 ÖÖ ad. in den Mus. Vindob., v. Berlepsch, Tring und Monaec., welche 
durchweg die oben beschriebene Färbung des Mittelrückens aufweisen. Wie ich mich durch 
Untersuchung der Serie im Brit. Museum überzeugte, hat Mr. Selater die richtige P. atra gar 
nicht gekannt. Was er P. atra nennt, gehört zum Teil zu P. leuconota, zum Teil zu P. I. maura. 
M&netries und Burmeister beschrieben die Art aber ausgezeichnet und ganz übereinstimmend 
mit Swainson, um so merkwürdiger ist es, daß dessen Diagnose so lange Zeit hindurch falsch 
gedeutet wurde.] 

o ad. Im allgemeinen wie das O von P. leucoptera gefärbt (also ohne eine Spur von 
Weiß im Rücken), aber durch wesentlich kürzeren Schwanz und viel mehr rotbraune Ober- 
seite, besonders auf Scheitel und Außenseite der Flügel unterschieden. 

a. 72—76, c. 69—73, r. 19 mm. 


[Ich untersuchte 6 OO in den Museen v. Berlepsch, Tring und München, und alle unter- 
schieden sich in der angegebenen Weise von P. leucoptera 9.) 


Habit, Bisher nur aus Bahia-Kollektionen bekannt. 


ce) Pyriglena leuconota leuconota (Spix). 


Synonymie siehe oben p. 620. 

ö ad. Von P. atra, mit der sie in dem Mangel von Weiß auf den Flügeln überein- 
stimmt, dadurch unterschieden, daß die Federn des Mittelrückens nur an der Basis weiß sind, 
die ganze Endhälfte aber schwarz ist. Schnabel schwärzliehbraun, gegen die Spitze hin 
auf beiden Mandibeln in Hellhornbraun übergehend. 

a. 74—79, e. 68—72, culm. 181, —20 mm. 

[Mir liegen augenblieklich 4 56 ad. von Pard (Natterer und Steere leg.) vor, die unter- 
einander völlig identisch sind. Ein ö aus Cayenne (Beeoeur; Mus. Vindob.) hat auffallend langen 
und starken Schnabel. Es mißt: a. 75, ce. 71!/g, culm. 201/3 mm.] 

Q ad. Von den 09 der P. leucoptera und P. atra sofort durch die weiße Basis der 
Federn des Mittelrückens unterschieden. 

Typus :von Myothera leuconota Spix, Mus. Monac. Oberseite lebhaft rotbraun, Federn 
des Mittelrückens mit breiter, weißer Basis, diese Färbung von dem rotbraunen Endteil durch 
einen deutlichen, schwärzlichen Subapicalfleck getrennt. Flügeldecken rotbraun, ebenso die 
Außenfahne der Schwingen, deren Innenfahne dunkelbraun ist. Schwanz schwärzlich. Vorderste 
Stirnfedern, Nasenfedern, Wangengegend, Zügel und ein schmaler Kreis ums Auge schwärzlich- 
grau, Zügel am dunkelsten. Ohrgegend rotbraun. Unterseite und Halsseiten lebhaft rahmgelb, 
Körperseiten, Hosen und Analgegend rötlichbraun, Vorderkehle ins Weißliche ziehend. Ober- 
schwanzdecken dunkelgrau, an der Spitze matt düsterrotbraun. Unterschwanzdecken matt rötlich- 
braun mit undeutlicher, dunkelgrauer Basis. Oberschnabel schwärzlich hornbraun, Spitze heller 
braun, untere Mandibel weißlich. 


623 


Drei 99 von Parä (Natterer und Steere leg.) unterscheiden sich nur durch etwas heller 
graue Kopfseiten und reiner rotbraunen Rücken, was wohl mit dem frischeren Zustand des 
Gefieders zusammenhängt. 

Typus... . 78, ce. 68, culm. defekt. 
o Parä, no. 15409 Mus. der, 3 eulm. 17°, mm 
oO Parä, no. 15410 ,„ 4,0. 6lakeuhn. 19m 
oO Parä, Mus. Tring (Steere Tee) a. 76, c. 67, culm. 181, „ 


[Im Brit. Mus. untersuchte ich das von Forbes bei Pernambuco gesammelte Paar und 
fand es in der Färbung ganz übereinstimmend mit Vögeln von Parä. Beide haben aber viel 
längere und stärkere Schnäbel, deren obere Mandibel ganz schwärzlichbraun gefärbt ist ohne 
eine heller braune Spitze. 

& ad. Pernambuco: a. 79, e. 74, eulm. 21 mm 
Q ad. A a: 77,0e.'71t2, Jeulm.21 „]: 


Verbreitung. Pard (Spix, Layard, Wallace, Natterer, Steere); Cayenne (Becoeur in 
Mus. Vindob.); Pernambuco (Forbes). 


n m © 
-] 
or 
[<} 
[er] 
-] 


d) Pyriglena leuconata maura (Menetr.) 


Formicivora maura Menetries, Mem. Ac. St. Petersburg ser. 6 (I), p. 506, tab. 7, Fig. a (1835) 
(Minas Geraös). 

Pyriglena maura Burmeister, Syst. Übers. 3. II (1856), p- 60 

P. maura Pelzeln, Zur Orn. Bras. p. 85 (part., Rio das Flechas; Engenho do Gama). 

P. atra (nee Swainson!) Salvadori, Boll. Mus. Torino XV, no. 378 (1900), p. 9 (Urueum, 
Mattogrosso). 

P. atra Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV, p. 270 (part., spec. g. Engenho do Gama). 


ö ad. Unterscheidet sich von P. leuconota leuconota kaum durch etwas stärkere Beine 
und durchschnittlich längeren Schwanz. Schnabelfärbung wie bei P. I. leuconota. 

4 6Ö Engenho do Gama: a. 74, 75, 77, 81; c. 70, 73, 75, 77; eulm. 181, —19 mm 

1 ö Rio das Flechas: a. 78, ce. 77, culm. 18°/, mm. 

O unterschieden von dem © der P. I. leuconota durch viel helleren, lange nicht so rot- 
braunen, sondern mehr rötlich olivbraunen Rücken, Flügeldeeken und Außenseite der Schwingen. 
Der schwärzliche Subapicalfleck an den weißen Rückenfedern fehlt oder ist kaum angedeutet. 
Nur die Zügelgegend ist schwärzlich, darüber zieht ein breiter, weißlicher Streifen, 
der sich als schmaler Brauenstrich bis etwas über den Hinterrand des Auges 
fortsetzt. Gegend unter dem Auge weißlich (statt schwarzgrau).. Wangengegend und Vorder- 
hals wesentlich lebhafter und mehr ockergelb als bei P. l. leuconota ©, Körperseiten und Anal- 
gegend nicht so rötlich, sondern olivenbraun. 

2 09 Engenho do Gama (Mus. Vindob.): a. 73, 74; ce. 67, 71; culm. 171/,, 18 mm. 

Obersehnabel dunkel hornbraun, Spitze etwas heller, untere Mandibel weißlich, also wie 
bei P. 1. leuconota. Tarsus bei ö und O heller oder dunkler hornbraun. 


Verbreitung. Zentral-Brasilien: Minas Geraes (Langsdorff); Mattogrosso: Rio das 
Flechas, Engenho do Gama (Natterer); Urucum (Borelli). 


e) Pyriglena maura aterrima (Lafr. & D’Orb.)!) 


Tamnophilus aterrimus Lafresnaye & D’Orbigny, Mag. Zool. el. II (1837), Syn. Av. I, p. 11 
(Yungas, Chiquitos: O. Bolivia), 

Formicivora atra (nee Swainson!) D’Orbigny, Voy. Am. merid. Ois. p. 179, tab. 5, Fig. 2 
(„T. aterrimus“). 

Formicivora atra Tschudi, Arch. Naturg. 10. I (1844), p. 278 und Faun. peruan. Aves p. 175 
(Waldregion des mittleren Peru). 

Pyriglena picea Cabanis, Arch. Naturg. 13. I (1847), p. 212 (Peru — Tschudi coll.). 


!) Seither untersuchte ich die Typen (ö 9) im Pariser Museum. 


624 


Pyriglena picea Berlepsch & Taezanowski, P.Z.8. 1883, p. 566; 1884, p. 302 (W. Ecuador); 
Taezanowski, 1874, p.530 (Z. Peru); Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV, p. 270. 
Pyriglena maura picea Berlepsch & Stolzmann, P. Z. S. 1896, p. 383 (Z. Peru). 

ö. Von P. I. maura ö nur unterschieden durch etwas stärkere und dunklere, schwarz- 
braune oder schwarze (statt hornbraune) Tarsen und Füße, tiefschwarzen Schnabel, der nur an 
der Spitze der unteren Mandibel in ein helleres Hornbraun übergeht, und durchschnittlich 
größere Dimensionen. 

Vögel von ©. Peru, auf denen P. picea Cab. beruht, sind völlig identisch mit topotypischen 
Stücken aus Yungas, Bolivia. Ein ö ad. aus W. Ecuador ist gleichfalls in keiner Weise verschieden. 

Mus. H. v. Berlepsch „ö“ ad. Vitoe, La Gloria, Z. Peru a. 78, ce. 80, r. 191/, mm 


ar a „ö“ ad. Omeja, Yungas, Bolivia a. 84, c. 80, r. 191), „ 
EB a „ö* ad. Songo, N. Bolivia . . 2.85. &c.,81,, rl äulsze 
u 5 „ö* ad. 8. Antonio, Yungas, Boa 2.107,06: 7.0, “ 
N a „ö“ ad. Songo, Bolivia, 1000” a, 82,00. 7,0, 8, 191008 
Bet. ® „ö* ad. Chimbo, W. Ecuador Sie- 

miradzkincoll. ee org ” 


„ Tring (& ad.) Loreto, ‘N. Peru (Baer' coll.) . "2m. 2780, c. 88, r. 19 


9. In der Hauptsache ganz wie P. I. maura gefärbt (ohne schwärzlichen Subapicalfleck 
auf den weißen Rückenfedern, mit ebenso deutlichem weißlichen Brauenstreifen und weißlichem 
Fleck unterhalb des Auges ete.), aber unterschieden durch dunkleren, tiefschwarzen Oberschnabel, 
schwarzbraune (statt hornbraune) Füße und Tarsen, entschieden weniger rötlichen, mehr oliven- 
braunen Rücken, Flügeldecken und Schwingensäume. Das Ockergelb des Vorderhalses zieht 
sich auch über die Kehle herauf, während bei P. !. maura diese entschieden heller und blasser 
ist als die Gurgel. Die Dimensionen sind durchschnittlich etwas größer. 

Mus. H. v. Berlepsch „OQ s.“ ad. „Songo, N.Bolivia® . . a.76, _c. 73, r. defekt 

= > er „Q ad.“ „Chulumani, N. Bolivia“ (Kali- 
nowakiscoll.) „2.50 .. 24.068. 110,16 08, 2,619 mm. 

NB. 09 aus Peru und W. Eeuador konnte ich nicht vergleichen und sind diese dringend 
dem Studium empfohlen. 

Verbreitung. Bolivia: Chiquitos und Yungas (D’Orbigny), Songo, S. Antonio, Omeja 
(G. und O. Garlepp), Ohulumani (Kalinowski); Peru: Waldregion des mittleren Peru (Tschudi); 
La Gloria und Garita del Sol (Kalinowski); Paltaypampa und Ropaybamba (Jelski); Loreto: 
N. Peru (Baer); W. Ecuador: Chimbo (Siemiradzki); Cayandeled (Stolzmann). 

[Vielleieht gehören auch die von Fraser bei Bababoyo und Esmeraldas, von Buckley bei 
Intac, von Villagomez und Illingworth bei Santa Rita und Balzar gesammelten Stücke hieher, 
doch müssen sie erst genauer verglichen werden, da sie ebensogut auch zu Cercomacra_ ber- 
lepschi (Hart.) gehören könnten, die in der Allgemeinfärbung nicht unähnlich ist. Sonst ist 
sie allerdings ganz abweichend und ich stimme Hartert bei, daß sie in das Genus Üercomaera 
gestellt werden muß.] 

Wie aus obigem ersichtlich, sind die &6 der drei Pyriglena leuconota-Formen kaum zu 
unterscheiden, während die 09, namentlich die von n°*- 3 und 4 sehr auffallende Färbungsdiffe- 
renzen anfweigen. Ob no. 4 und 5 wirklich getrennt werden können, wird erst die Unter- 
suchung einer größeren Serie ergeben. Ich hoffe, daß die vorstehende Zusammenstellung die 
Bestimmung der so lange durcheinander geworfenen Formen erleichtern wird. 


Thryothorus genibarbis Sws. 


Thryothorus genibarbis Swainson, Anim. Menag. (1838), p. 322 („Brazil“). 
Myothera coraya (non Turdus coraya Gmelin!) Spix, Av. Bras. I (1824), p..73, tab. LXXII, 
Fig. 2 („in Provineia Bahiae*). 
Zwei Exemplare in der Münchener Sammlung mit der Bezeiehnung: „Thryothorus coraya 
Vieill. Myothera coraya Sp. Brasilien. Spix.“ Sie stimmen mit einer Serie aus Bahia und einem 
ö ad. von Borba am unteren R.. Madeira in Färbung und Größe völlig überein. 


625 


Philydor atricapillus (Wied) 
Anabates atricapillus Wied, Reise Bras, II (1821), p. 147 (Rio Catole im südlichen Bahia). 
Sphenura supereiliaris Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 41 (Bahia). 
Philydor superciliaris Spix, Av. Bras. I (1824), p. 73, tab. LXXII, Fig. 1 („in provineia 
Minas Geraös“). 

Ein Exemplar mit der Angabe: „Anabates atricapillus Neuw. Phylidor (sie!) supereiliaris Sp. 
Brasilien. Spix“, in jeder Hinsicht vollkommen mit Wieds Beschreibung und mehreren Stücken 
aus Rio und 8. Paulo übereinstimmend. Ein Vogel aus Bahia ist gleichfalls nicht verschieden. 


Philydor albogularis Spix = Automolus leucophthalmus (Wied) 


Anabates leucophthalmus Wied, Reise Bras. I (1820), p. 141 (Rio Ilheos, Nebenfluß des R. Pardo 
im südlichen Bahia). 

Philydor albogularis Spix, Av. Bras. I (1824), p. 74, tab. LXXIV („ad ripam fluminis Verde“). 
Ein alter Vogel mit der Aufschrift: „Ipoborus sulphwrascens Licht. Philydor albogularis 

Sp. Brasilien. Spix“, der sehr gut mit der Beschreibung und Abbildung des ö (tab. 74, Fig. 1) 

übereinstimmt. Die bei frischen Bälgen blaßgelbe Färbung von Kehle und Vorderhals ist zu 

Weiß verblaßt. Oberkopf gleich dem Rücken lebhaft rostbraun. Bürzel und Oberschwanzdecken 

entschieden heller, mehr roströtlich. a. 90, e. 85, r. 23 mm. 


Philydor ruficollis Spix = Philydor rufus (Vieill.) 


Dendrocopus rufus Vieillot, Nouv. Diet. XXVI (1818), p. 119 [„Bresil“]. 
Sphenura poliocephala Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823, p. 41 [„San Paulo*]. 
Philydor ruficollis Spix, Av. Bras. I (1824), p. 74, tab. LXXV [,in interiore Bahiae*]. 

Ein alter Vogel mit der Bezeichnung: „Anabates poliocephalus Leht. Phylidor (sie!) rufi- 
collis Sp. Brasilien. Spixe.“ Er entspricht vollkommen der Originalbeschreibung und stimmt in 
der Färbung mit einem Vogel aus Rio und einem „Ö“ ad. aus Ypanema, $. Paulo (coll. 
Natterer) überein, nur das Rostrot der Flügeldecken und Schwingen ist einen Ton heller. 
Hingegen zeigt der Spix’sche Vogel erheblich längere Flügel als die von mir gemessenen Stücke 
aus 8. Brazil. In neuerer Zeit ist P, rufus nicht wieder aus Bahia eingesendet worden. Die 
nördlichsten Fundorte sind meines Wissens Lagoa Santa und Paracatü in Minas Geraös, wo 
er von Dr. Lund gesammelt wurde (vgl. Reinhardt, Vid. Medd. Kjobenhavn 1870, p. 379). 
Möglicherweise bilden die Vögel aus Minas und dem angrenzenden Teile des inneren Bahia 
eine größere Subspezies. 


SP Hlypusfexer, Bahlace, Ems Km. 2 Ara 98; e. 90 mm 
Zwei alte Vögel aus Rio . . . a. 85, 88; c. 96, 93 mm 
Drei „Oö“ aus 8. Paulo, 8. Sebastiäo ud onen a. 89—91; c. 91—97 „ 
Eier adı Miete one Paulo, % 1.0. 0. 0 72. a. 87405, „0. Ibumm 


83; em 


8 


Ein „Q* Roca No Paranäa 4 


Alauda (Anthus)chii apud Spix, 1. ec. p. 75, tab. LXXVI—VIU, Fig. 1 („Rio St. Franeisci*) 
— Anthus lutescens Puch. 


Nicht mehr in der Sammlung. Graf Berlepsch (Zeitschr. Ges. Orn. II, 1885, p. 114) wies 
nach, daß der richtige Name für den kleinen, brasilianischen Pieper der oben angegebene ist. 


Alauda (Anthus) breviunguis Spix — Dendroica striata (Forst.)? 
Museicapa striata Forster, Phil. Trans. LXXII (1772), p. 406 (Severn River, Hudsons Bay). 
Alauda (Anthus) breviunguis Spix, Av. Bras. I (1824), p. 75, tab. LXXVI—VII, Fig. 2 („in 
prov. Pard*). 
Nicht mehr in der Sammlung! Soviel man nach Abbildung und Beschreibung urteilen 
kann, scheint es sich um ein © oder einen jungen Vogel von D. striata zu handeln. Im Cat. 
Birds Brit. Mus. vol. X, p. 325 fehlt das Zitat von Spix in der Synonymie der D. striata, 


Abh. d. II. Kl.d. K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 8l 


Figulus albogularis Spix = Furnarius rufus badius (Leht.) 


Turdus badius Liehtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 40 [S. Paulo — type in Mus. Berol.]. 
Figulus albogularis Spix, Av. Bras. I (1824), p. 76, tab. LXXVIII („in campis provineiae 
Minas Geraös ad flumen Verde“). 
Drei Exemplare mit der Bezeichnung: „Furnarius badius Licht. Figulus albogularis Sp. 
Brasilien. Spix.“ 
no. 1: a. 91, c. 66, r. 21!/, mm 
no. 2: a. 931, ec. 68, r. 23mm 
Dos ee eh R 

no. 1 ist in frischem, no. 2 und 3 in abgeriebenem Gefieder. Bei no. 1 sind Gurgel und 
Vorderbrust lebhaft zimtröstlich gefärbt, bei no. 2 und besonders no. 3 sind diese Teile viel 
blasser. no. 3 stimmt in jeder Hinsicht vollkommen mit dem Typus von T. badius aus 8. Paulo 
[Mus. Berolin.], den ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, überein. Daher muß die bisher 
F. albogularis genannte Form Lichtensteins Namen badius tragen. 

Liehtensteins Original und die Spix’schen Stücke zeigen kaum eine Spur röstlichen Anflugs 
auf der Stirn. Vögel aus Buenos Aires und dem südlichen Rio grande do Sul (8. Lourenco, 
Mus. H. v. B.) haben lebhaft rostfarbig überwaschene Stirn und unterscheiden sich ferner durch 
viel blauere, graulich isabellfarbige Unterseite und viel weniger röstlichen, fahlbräunlichen 
Rücken. Sie repräsentieren Jen typischen F\. rufus (Gm.) [type ex Buenos Aires]. 

Stücke aus Mattogrosso (F. commersoni Pelz.) stimmen in der Färbung der Unterseite 
völlig mit F\. r. badius (= albogularis) überein, haben aber die rostfarbige Stirn von F. rufus 
und entschieden röstliche Nackenfärbung. Sie sind wohl als F. v. commersoni Pelz. zu trennen. 


Wir hätten demnach zu unterscheiden: 


a) Furnarius rufus rufus (Gm.) 


[Type ex Buenos Aires.] 
Hab. Buenos Aires, Uruguay und das südliche Rio grande do Sul (8. Lourenco). 


b) Furnarius rufus badius (Leht.) 


F. albigularis Selater, Cat. Birds XV, p. 11. 
Hab. Minas Geraes, S. Paulo, Rio (Natterer). 


e) Furnariüıs rufus commersoni Pelz. 
Hab. Mattogrosso. 
Heleodytes turdinus (Wied) 


Opetiorynchos turdinus Wied, Reise Bras. II (1821), p. 148 (Rio Doce in Espiritu Santo; 
Rio Catole, Nebenfluß des R. Pardo im südlichen Bahia). 

Turdus scolopaceus Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 39 (Bahia). 

Campylorhynehus scolopaceus Spix, Av. Bras.I (1824), p. 77, tab. LXXIX, Fig. 1 („Rio de Janeiro“). 

Campylorhynchus variegatus auet. (nee Gmelin!). 

Wir besitzen ein Stück mit der Bezeichnung: „Campylorhymchus scolopaceus Sp. Brasilien. 
Spix.“ Die Fundortsangabe Rio de Janeiro beruht offenbar auf einer Verwechslung mit der 
Lokalität der nächstfolgenden Art, welche als von Bahia kommend beschrieben ist, während sie 
sicher von Rio stammt. H. turdinus ist bisher nur von Bahia (Kammerlacher leg. in Mus. 
Wien), R. Belmonte und R. CatolE im südlichen Bahia und von R. Doce in Espiritu Santo . 
(Wied, Beitr. 3. II (1831), p. 673) bekannt geworden. Im Cat. Birds VI ist der Name 0. tur- 
dinus nicht erwähnt. Turdus variegatus Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p..:817: ex Latham, 
„Variegated Thrush“, Gen. Syn. B. 2. I (1783), p. 29 (ex Fermin) kann unmöglich auf unsere 
Art bezogen werden. Erstens ist die Beschreibung: „the upper parts of the plumage brown, 
the under whitish; all intermixed with whitish and black feathers, chiefly towards Ihe head and 
tail“ auf sie absolut nicht anwendbar und dann kommt unsere Art gewiß nicht in Surinam vor. 


627 


Der älteste verwendbare Name ist der von Wied gegebene, der überdies von einer guten 
Beschreibung begleitet ist. 


Der Spix’sche Vogel mißt: a. 89, ce. 88, r. 23!/, mm. 

H. turdinus hypostietus (Gould) unterscheidet sich nur durch kleinere Dimensionen, besonders 
viel kürzeren Schwanz und etwas heller braunen Rücken mit entschieden deutlicherer, graulich- 
weißer Fleekung auf Nacken und Vorderrücken. Zwei 09 von Borba, R. Madeira (Natterer 


leg.), von Pelzeln als ©. variegatus (Orn. Brasil. p. 49) aufgeführt, stimmen recht gut mit einem 
Vogel aus Ost-Ecuador überein und messen: 


ESS er lol sculm. 23° 21mm: 


Campylorhynchus striolatus Spix = Thryophilus longirostris (Vieill.) 


Thryothorus longirostris Vieillot, Nouv. Diet. XXXIV (1819), p.56 („Bresil“ — wir ergänzen Rio). 
Campylorhynchus striolatus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 77, tab. LXXIX, Fig. 2 („in provineia 
Bahiae*) — errore! Rio). (Cfr. Hellmayr, J. f. Ornith. 1903, p. 535.) 

Ein Stück mit der Bezeichnung: „Campylorhynchus striolatus Sp. Brasilien. Spix“, völlig 
identisch mit Beschreibung und Abbildung und mit mehreren von Natterer in $. Paulo gesam- 
melten Stücken. Der Typus kann also nicht von Bahia stammen, wo eine viel blassere Form 
vorkommt, welche ich (J. f. Ornith. 1903, p. 535) als 7. l. bahiae bezeichnet habe. 

Vieillots Beschreibung paßt viel besser auf die dunkle Form des Südens, und da zu seiner 
Zeit Bahiavögel nicht nach Europa zu gelangen pflegten, mögen wir den Namen 7. longirostris 
für erstere beibehalten. Vgl. darüber |. ce. 


Der Typus mißt: a. 64, ce, 60, r. defekt. 


Phoethornis pygmaeus (Spix) 
Trochylus pygmaeus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 78, tab. LXXX, Fig. 1 [„Minas Geraes“]. 
Phaöthornis rufigaster (nec Vieillot!) Hartert, Tierreich, Lief. 9 (1900), p. 27. 


Der Typus ist nicht mehr in der Sammlung, doch bezieht sich Spix’ Beschreibung unzweifel- 
haft auf die kleine, in Ost-Brasilien heimische Phoethornis-Art. Es scheint, als ob Spix ein 
jüngerer Vogel mit rostfarbigen Schwanzspitzen vorgelegen hätte; darauf deuten wenigstens die 
Worte: „eauda....ad apicem rufescens“ hin. 

T. rufigaster Vieill bezieht sich höchstens zum Teil auf unsere Art, wie man aus den 
Fundortsangaben: „non seulement ä Cayenne, mais encore au Bresil et & V’ile de Trinite* 
schließen könnte, dagegen paßt die Beschreibung des Schwanzes durchaus nicht auf P. pygmaeus, 
sondern nur auf P. ruber (L.) [= episcopus Gould]: „la queue est d’un noir-violet & reflets 
vert-dores, et terminde de blane.“ 


Für die brasilianische Form muß somit der Name P. pygmaeus in Anwendung kommen. 
Trochilus brevicauda Spix, l. e. p. 79, tab. LXXX, Fig.2 — Calliphlox amethystina (Gm.) O 
Grypus ruficollis Spix, l. c. p. 79, tab. LXXX, Fig. 3 („in sylvis Rio de Janeiro“) 
= Ramphodon naevius (Dumont) 


Colibri erispus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 80, tab. LXXXI, Fig. 1 („in sylvis Rio de Janeiro*) 
— Colibri serrirostris (Vieill.) 


Colibri hirundinaceus Spix, 1. c. p. 80, tab. LXXXI, Fig. 2 — Popelairea langsdorffi (Temm.) 
Colibri leucopygus Spix, 1. ec. p. 81, tab. LXXXI, Fig. 3 = Melanotrochilus fuseus (Vieill.) 
Colibri albogularis Spix, 1. e. p. 81, tab. LXXXII, Fig. 1 („in campis Minas Geraös*) 
= Leucochloris albicollis (Vieill.) 


Von allen diesen Arten sind die Spix’schen Originale nicht mehr in der Münchener 
Staatssammlung! 


81* 


Colibri helios Spix = Lophornis magnificus (Audeb. & Vieill.) 


Trochilus magnificus Audebert & Vieillot, Ois. Dor. I (1802), tab. 8.1) 
Colibri helios Spix, Av. Bras. I (1824), p. 81, tab. LXXXII, Fig. 2 (ohne Fundort). 

Ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Mellisuga magnifica Vieill. — Helios Sp. Brasilien. 
Spice“, völlig identisch mit einigen ÖÖ ad. aus Rio. 


Colibri mystax Spix = Lophornis chalybeus (Temm.) 


Trochilus chalybeus (Vieillot Ms.) Temminck, Pl. col. livr. 11 (1821), tab. 66, Fig. 2 („Bresil“). 

Colibri mystax Spix, Av. Bras. I (1824), p. 82, tab. LXXXII, Fig. 3 („in campis sylvestribus 

St. Pauli“). 

Ein Stück mit der Aufschrift: „Mellisuga Audenetü Les. — Mystax Sp. 6 Brasilien. 
Spix“, identisch mit einem von Natterer bei Ypanema gesammelten 6 ad. 


Automolus subulatus (Spix) 


Sphenura subulata Spix, Av. Bras. I (1824), p. 82, tab. LXXXII, Fig. 1 („in sylvis flum. 
Amazonum*). 

Ein Exemplar mit der Aufschrift: „Sphenura subulata Sp. Brasilien. Spix“, das der Beschrei- 
bung und Abbildung sehr gut entspricht. Es stimmt mit einem 6 von Cuembi, R. Putumayo, 
S. O0. Colombia (Mus. H. v. B.) und einem anderen ö& von Coea, R. Napo, Ost-Ecuador (Good- 
fellow coll.; Mus. Tring) im wesentlichen überein, und unterscheidet sich nur durch weißlichen 
Schnabel und sehr verblaßte Unterseite, besonders schmutzig weißliche (statt trüb ockergelbliche) 
Kehle. Beides ist sicher nur auf die lange Einwirkung des Sonnenlichtes zurückzuführen. Bei 
den zwei 66 aus Colombia und Ecuador ist der Oberschnabel dunkelbraun, nur die untere Man- 
dibel bräunlichweiß, die Unterseite hellolivbräunlich, Kehle mehr ockergelblich, Vorderhals und 
Vorderbrust mit undeutlichen, großen weißlichen Flecken. Der Scheitel zeigt schmale, aber 
deutliche helle Striche. 

Mus. Monac. Typus „Amazonas“ . 2 a079, ch 65, urn 
H.v.B. „ö“ Cuembi, S.O. Colombia (Hopke la ._ : A: 18, 0,06, Rne2ie 
„ Tring „ö“ ad. „Coca, Napo, O. Ecuador“ (Goodfellow coll.) a. 81, ce. 651), r. 221, mm 


In W. Ecuador wird die Form vertreten durch A. sub. assimilis Berl. & Taez. (P. Z. 8. 
1883, p. 561), der sich durch völligen Mangel der hellen Striche auf dem Scheitel und noch 
viel undeutlichere Fleckung auf der Unterseite sofort unterscheidet. In Costa Rica ersetzt sie 
A, sub. virgalus (Lawr.).*) Diese gut kenntliche Form unterscheidet sich durch viel dunklere 
und lebhafter rostrotbraune Außenfahne der Schwingen und Tertiären, bedeutend breitere, schwärz- 
liche Randsäume auf den Scheitelfedern, so daß der Oberkopf viel schwärzlicher erscheint als 
der Rücken. Ferner sind die ockergelblichen Schaftstreifen auf dem Scheitel bedeutend breiter 
und verdrängen die olivbraune Grundfarbe fast ganz und der Vorderrücken trägt auch noch 
sehr deutliche, wenn auch schmale, helle Haarstriche. Die Kehle ist lebhafter rostgelb und 
scharf abgesetzt gegen den olivenbräunlichen Unterkörper, die Achselfedern sind dunkler zimt- 
rostgelb als bei A. sub. subulatus. Ich untersuchte ein Paar aus Carrillo, Costa Riea im Mus. 
Berlepsch und eine hübsche Serie. in Mr. Rothschilds Sammlung zu Tring. 


B)) 


Anabates striatus Spix —= Thripophaga macroura (Wied) 


Anabates macrourus Wied, Reise Bras. II (1821), p. 147 (Rio Catole, südliches Bahia). 
Sphenura striolata Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 42 (Bahia). 
Anabates (Sphenura) striatus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 83, tab. LXXXIII, Fig. 2°) („in 
sylvis campestribus Bahiae*). 
I) Dieses Zitat konnte ich nicht verifizieren. 
2) Philydor virgatus Lawrence, Ann. New York Lye. VIII (1867), p. 468 (Angostura, Costa Rica). 
9) S. nom. Sphenura striolata. 


629 


Ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Anabates striolatus Tem. Sphenura — Sp. Brasilien. 
Spix“, in Färbung und Stellung vollkommen der Spix’schen Abbildung entsprechend. Es paßt 
sehr gut zur Beschreibung des Prinzen Wied und mißt: 


a. 82, c. 85, culm. 18°, mm. 


Pseudoseisura!) cristata (Spix) 


Anabates eristatus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 83, tab. LXXXIV („prope pagum Malhada ad 
flumen St. Franecisei*). 


Zwei gut erhaltene Stücke mit der Bezeichnung: „Anabates cristatus Sp. Brasilien. Spix.“ 
Sie stimmen im wesentlichen recht gut mit einer Serie von Bahia-Bälgen im Mus. H. v. Ber- 
lepsch überein. 


Leverkühn hat (J. f. Ornith. 1889, p. 106) einen Homorus Galatheae aus Mattogrosso 
(Cuyabä) beschrieben und gibt als Unterschiede von H. cristatus die geringere Größe und 
kürzeren, graulich gemischten (statt zimtroten) Schopf an. Ich untersuchte ein ö und zwei 99 
von Cuyabä und ein ö von Villa Maria, Mattogrosso (Natterer coll.; Mus. Vindob.), die jedoch 
die angegebenen Differenzen nur zum Teil bestätigen. Zweifellos sind die Vögel von Matto- 
grosso durchschnittlich kleiner, besonders der Schnabel kleiner, niedriger und kürzer. Allein 
die Färbung des Schopfes scheint individuell, nicht lokal zu variieren. 

Von sechs Bahia-Bälgen, die mir vorlagen, haben fünf einfarbig zimtroten Schopf oder 
nur mit wenigen blaßgraubraunen Rändern, aber no. 5 Mus. Berlepsch ex Bahia zeigt die 
Haube ebenso stark hellgraubraun vermischt wie meine Serie von H. galatheae. Der angeblich 
ö Typus von A. eristatus Spix hat bloß die Federn des Vorderkopfes hellgraulich gerandet, 
beim „Q“ dagegen tragen die Federn des ganzen Oberkopfes hellgraubräunliche Spitzen und 
Randsäume, ganz wie bei einigen Mattogrosso-Vögeln. 

Der Schnabel der letzteren ist aber durchgängig schwächer und kürzer, obwohl das © 
von Spix’ Anabates cristatus einigen Bahia-Stücken in dieser Hinsicht nahezukommt, welche — 
nach den Dimensionen zu urteilen — männlichen Geschlechtes sein dürften. 

Bei meinem Aufenthalt in Paris im März 1904 untersuchte ich im Museum d’histoire 
naturelle den Typus von Anabates umirufus Lafr. & Orb., einen Balg mit der Bezeichnung: 
„380 ad. Mojos, D’Orbigny. Anabates unirufus.* Er stimmt in Färbung und Dimensionen voll- 
ständig mit den Exemplaren aus Mattogrosso überein. Der Scheitel ist hellzimtrot mit schmalen, 
graulichen Säumen. Die Form des inneren Brasiliens und ©. Bolivia muß also heißen: 


Pseudoseisura ceristata unirufa (Orb. & Lafr.) 


Anabates unirufus Lafresnaye & Orbigny, Mag. Zool. 1838, el. II, Syn. Av. II, p. 16 (Moxos, 
O0. Bolivia). 

A. unirufus D’Orbigny, Voy. Am. merid. Ois. p. 259, 370, tab. 55, Fig. 1. 

Homorus Galatheae Leverkühn, J. f. Ornith. 1889, p. 106 (Cuyabä, Mattogrosso). 

Anabates cristatus (nee Spix) Pelzeln, Orn. Bras. p. 39 (Mattogrosso). 

Homorus eristatus Allen, Bull. Amer. Mus. V (1893), p. 113 (Corumbä, Mattogrosso). 

H. eristatus Salvadori, Boll. Mus. Torino XV, no. 378 (1900), p. 7 (Carandasinho, Mattogrosso). 


P. eristatae similis, sed minor, imprimis rostro debiliore ac breviore, neenon erista oceipitali 
pro usu magis brunnescente-griseo mixta. 


Hab. O. Bolivia: Moxos (D’Orbigny); Z. Brazil, Mattogrosso: Cuyabä (Behn, Natterer), 
Corumbä (Smith), Carandasinho (Borelli), Villa Maria (Natterer). 


1) Olim Homorus. Cfr. Oberholser, Proc. Ac. Philad. 1899, p. 210. 


Zum Schlusse die Maße der untersuchten Serie. 


1. Pseudoseisura cristata cristata (Spix) 


1. Mus. H. v. Berlepsch 6320 ad. Bahia a. 106, c. 106, r. 231/, mm 
Pe a . 1 n as 208,60. 115,020 032/15 
Sr : 2 N a. 100,202100,72. 24 “ 
nem n 3 „ 2.109, 614.0, r2200 
>. ) )) ) 4 „ q 110, c 110, r. 26 ” 
6. 35 n 5 6) 5 oder, OT ir} 
7. „  Monac. Malhada, Bahia (Ö) Spix coll. Type! a. 104, c. 107, r. 23°|, „ 
gr n n ORType, Spix \coll 9a..992 7 0. 100,°7.28 e 


2. Pseudoseisura cristata unirufa (Lafr. & Orb.) 


1. Mus. Paris „350 ad. Moxos, O. Bolivia, D’Orbigny“, 
Type von Anabates unirufus Orb. & Lafr. a. 94, ce. 97, r.21 mm 


2. „  Vindob. 19549 „ö“ ad. Cuyaba, 28. April, 

Topotype von Homorus galatheae Lev. . . a. 103, ec. 108, r. 21 : 
3. „  Vindob. 19551 „ö“, Villa Maria, 18. Sept. 

(Natterer) . . er 99.97 AA 
4. „  Vindob. 19550 8; Bra 8. Mai« ri 9a, Verde TE 
De a 195527.,90% Guyaba, 15. Sept.2 72.251005 @296 rt & 


Phacellodomus rufifrons (Wied) 


Anabates rufifrons Wied, Reise Bras. II (1821), p. 177 (nahe Tamburil bei Vareda am Rio 
Pardo im Innern des südlichen Bahia). 


Anabates rufifrons Spix, Av. Bras. I (1824), p. 84, tab. 85, Fig. 1 („in campis Minas Geraes“). 

Drei Exemplare mit der Aufschrift: 

no. 1: „Anabates rufifrons Neuw. Sphenopyga frontalis Licht. Brasilien. Spix.“ 

no. 2 und 3: „Anabates rufifrons Sp. Brasilien. Spix.* 

Alle drei Exemplare ebenso wie zwei alte öö aus Bahia und fünf 5 und Q aus Cuyabä, 
Mattogrosso (Natterer) zeigen: die Stirn in großer Ausdehnung lebhaft rostrotbraun gefärbt. 
Die Färbung der äußeren Steuerfedern variiert von Graubraun bis Hellgelbbraun. Bei no. 3 
Spix coll. und einem der Bahia-Vögel sind sie rein graubraun wie das mittlere Paar, bei 
no. 1 und 2 Spix coll, dem anderen Bahia-Balg und den Vögeln aus Mattogrosso dagegen 
entschieden hellgelbbräunlich. 

Mr. Sclater (Cat. B. XV, p. 80) hat P. inornatus Ridgw. ganz irrtümlich mit P. rufifrons 
vereinigt. Diese Form unterscheidet sich leicht durch einfarbig graubraune Stirn (gleich dem 
Scheitel), die höchstens einen schwachen rötlichen Anflug aufweist. Ich untersuchte eine hübsche 
Suite derselben im Tring-Museum, welche aus der Umgebung von Cumand, N. ©. Venezuela 
(eoll. Caraceiolo) stammt, und das Pariser Museum besitzt zwei alte Vögel, die von Laglaize im 


September 1896 bei S. Fernando am Rio Apure, einem Seitenstrome des Rio Orinoko, gesammelt 
worden sind. 


Synallaxis cinnamomea russeola (Vieill.) 
[Certhia einnamomea Gmelin, Syst. nat. I (1788), p. za (ex Latham. — hab. ign. — wir 
ergänzen Cayenne.| : 
Sylvia russeola Vieillot, Nouv. Diet: XI (1817), p. 217 (ex Azara no. 233 — Paraguay). 
Synallazis ruficauda Vieillot, Nouv. Diet. XXXII (1819), p. 310 („apportee, du Bresil“). 
Synallaxis ruficauda Spix, Av. Bras. I (1824), p. 84, tab. LXXXV, Fig. 2 („in sylvis Rio 
de Janeiro“). 


Zwei Exemplare in der Sammlnng mit der Bezeichnung: „Synallaxis ruficauda Sp. 
Brasilien. Spix.*“ ; 


631 


no. 1 ist ein alter Vogel. Ich würde ihn zu $. mustelina Sel. gezogen haben, da er viel 
dunkler rostrote Oberseite als eine Serie von Bahia und Bogotä-coll. hat und ihm überdies der 
gelbe Kinnfleck fehlt, wenn nicht Spix in der Abbildung, zu der er in Stellung und sonstiger 
Färbung sehr gut paßt, letzteren deutlich dargestellt hätte. Es bleibt mir also nur die Annahme, 
daß an dem Spix’schen Stücke der gelbe Kehlfleck durch Ausbleichen verloren gegangen ist. 

Das von Spix erwähnte „O“: „dorso olivacea rufo“ ist ein jüngerer Vogel von S$. c. russeola. 

Wiewohl das allgemein herangezogene Kennzeichen der verschiedenen Rückenfärbung nicht 
besteht, kann man die Form 8.0. Brasiliens doch auf Grund der durchschnittlich geringeren 
Größe und der bloß schwach graulich überlaufenen Körperseiten, welche bei S. cinnamomea aus 
dem nördlichen Südamerika stets dunkler und stärker gelbbräunlich verwachsen sind, subspezifisch 
trennen. Paraguay-Vögel, worauf S. russeola gegründet ist, liegen mir nicht vor; nach Berlepsch 
(J. f. Ornith. 1887, p. 15) stimmen sie mit denen von Bahia überein, somit muß die Form 
von 8. Brazil und Paraguay $. cinnamomea russeola (Vieill.) heißen. 


Parulus ruficeps Spix 


Av. Bras. I (1824), p. 85 („in campis flum. St. Francisei“). 
„Ö*, tab. LXXXVI, Fig. 1 — Synallaxis spixi Sel. 
„Q*, tab. LXXXVI, Fig.2 — S, frontalis Pelz. 


Wir besitzen nur das Original des „Q“ unter der Bezeichnung: „Synallaxis cinereus Nw. 
Parulus ruficeps Sp. @ Brasilien. Spix.“ Es stimmt völlig mit einer Serie der $. frontalis aus Goiaz, 
Mattogrosso und Bahia überein. 8. frontalis elegantior Sel. (type ex Bogotä) unterseheidet sich 
leicht durch viel hellere, mehr rostgelbrote Färbung auf Scheitel, Flügeldecken und Schwingen, 
sowie durch breiteren und nicht rein aschgrauen, sondern bräunlichgrauen Stirnfleck. 


Xiphocolaptes albicollis (Vieill.) 


Dendrocopus albicollis Vieillot, Nouv. Diet. XXVI (1818), p. 117 („Bresil*). 

Dendrocolaptes decumanus Lichtenstein, Abhandl. Akad. Berlin aus den Jahren 1820—21 (1822), 
p. 256, tab. 1, Fig. 1 (ex „S. Paulo et in Paraguay“, efr. 1. ce. p. 263). 

Dendrocolaptes decumanus Spix, Av. Bras. I (1824), p. 86, tab. LXXXVII (ohne Fundort). 

Dendrocolaptes crassirostris Such, Zool. Journ. II (1825 April), p. 115 (Minas Geraös). 


Ein altes Exemplar mit der Angabe: „Dendrocolaptes decumanus Sp. Brasilien. Spix.“ 

D. crassirostris Such bezieht sich ohne Zweifel auf die in Rede stehende Art, die Beschrei- 
bung läßt keine Unsicherheit darüber bestehen. Auch „Le Grand Grimpar“ Levaillants (Hist. 
nat. Promerops et Gu£piers p. 66, tab. 25), auf den sich Dendrocolaptes cyanotis Lichtenstein, 
(Abhandl. Akad. Berlin aus den Jahren 1818—19, (1820), p. 201) gründet, scheint mir nur eine 
schlechte Darstellung von X. albicollis zu sein. Die Abbildung könnte ja auch X. major vor- 
stellen wollen; ich glaube aber kaum, daß zu Anfang des 19. Jahrhunderts „sept individus“ 
dieser nur im Innern Brasiliens heimischen Art nach Paris gekommen sein können! 


Xiphocolaptes faleirostris (Spix) 


Dendrocolaptes falcirostris Spix, Av. Bras. I (1824), p. 86, tab. LXXXVIII (kein Fundort). 
Xiphocolaptes cinnamomeus Ridgway, Proc. U. 8. Mus. XII (1890 Febr.), p. 15 (Cearä, 
N. ©. Brazil; Mus. Cambridge, Mass., U. S. America). 


Wir besitzen ein leidlich erhaltenes Exemplar mit der Bezeichnung: „Dendrocolaptes falei- 
rostris Spix. Brasilien. Spix“, welches ausgezeichnet zur Beschreibung und Abbildung paßt. 
Die Art ist bisher entweder übersehen (so in Ridgways Monographie des Genus |. e.) oder 
(von Sclater, Cat. Birds Brit. Mus. XV, p. 142) als fragliches Synonym zu X. albicollis gestellt 
worden. Mit letzterer Art hat sie aber gar nichts gemein, steht vielmehr dem X. major am 
nächsten, von dem sie sich jedoch auf den ersten Blick sehr wesentlich unterscheidet. X. albi- 
collis weicht sofort ab durch schwärzlichen Oberkopf und Nacken mit sehr scharfen, breiten, 
rahmgelblichen Schaftstreifen, olivbraune Flügeldecken und Schwingen ete. Von X. major unter- 


632 


scheidet sieh X, faleirostris durch hellbraune Färbung von Oberkopf und Mantel (statt hell- 
rostrot) [nur der Hinterrücken und die Oberschwanzdecken sind hellzimtrot], einen breiten, 
rahmgelblichen Bartstreifen (der bei X. major völlig fehlt), weiße (statt rostgelbbräunliche) 
Kehle und hellrahmbraune (statt hellroströtliche) ee mit breiten, weißen Schaftstreifen. 
Der Schnabel ist ferner schwächer, schlanker und blasser gefärbt. Mit Spix’ Typus stimmt 
die Beschreibung von X. cinnamomeus Ridgw. fast Wort für Wort bis auf kleine Farbendiffe- 
renzen, welche durch den ausgebleichten Zustand des ersteren erklärt werden können. Überdies 
ist das Original ein sehr abgeflogener Vogel. Darum erscheinen Oberkopf und Nacken nahezu 
einfarbig mattbraun und der Mantel zeigt nur schwache, zimtrötliche Ränder. 

Ich füge eine Beschreibung des Typus an. 

Oberkopf und Nacken matt hellbraun, einzelne Federn mit sehr undeutlichen, feinen, 
hellen Haarstrichen, die auf ersterem kaum wahrnehmbar, auf letzterem deutlicher sind; Vorder- 
rücken hellbraun mit hellzimtrötlichen Seitenrändern, Hinterrücken und Oberschwanzdecken hell- 
zimtrot. Flügeldeeken in der Hauptsache hellbraun, die mittlere und kleine Serie mit hellzimt- 
roten Randsäumen, besonders auf der Innenfahne; die große Serie und Handdecken hellzimtrot, 
nur an der Außenfahne hellbräunlich überlaufen. Schwingen licht zimtrostrot, dunkler als auf den 
Flügeldecken, auf der Außenfahne der äußersten Handschwingen in Hellbräunlich ziehend. Spitze 
der Innenfahne der Handschwingen dunkelbraun. Schwanz dunkler rostrot als die Schwingen, 
ein schmaler Brauenstrich, Zügel und ein breiter davon ausgehender Streifen, der sich bis 
über die untere Ohrgegend erstreckt, scharf abgesetzt, schön rahmgelblich. Backengegend und 
obere Ohrgegend matt dunkelbraun, sie schließen den rahmgelben Streifen nach oben und unten 
ab: Halsseiten mattbraun mit rahmgelblichen Schaftstreifen; Kehle weißlich, übrige Unterseite 
hell rahmgelbbraun mit breiten, weißlichen Schaftstreifen, welche auf der Bauchmitte jederseits 
von drei bis vier verloschenen, dunkelbraunen Randfleckehen begrenzt werden. Unterschwanz- 
decken rahmbräunlich mit hellen Schaftstrichen. Hosen hellrahmbraun. Achselfedern und Unter- 
flügeldecken rostgelb mit zahlreichen, schwärzlichen, kleinen Randflecken. Innenfahne der Schwingen 
lebhaft rostfarben. Schnabel blaß hornbraun, an der Basis dunkler. 

a. 133, e. 110,27:90:mm: 

Zu erwähnen ist, daß O. Reiser von seiner Reise in Brasilien aus Piauhy eine große Serie 
dieser Art mitgebracht hat, welche in jeder Hinsicht mit Spix’ Typus übereinstimmt. Spix gibt 
keinen Fundort an. 


Dendrocolaptes platyrostris Spix = D. picumnus Licht. 


Dendrocolaptes picummus Lichtenstein, Abhandl. Akad. Berlin aus den Jahren 1818—19 (1820), 
p. 202 (Brasilia). 

Dendrocolaptes platyrostris Spix, Av. Bras. I (1824), p. 87, tab. LXXXIX („in sylvis Rio 
de Janeiro“). 

Dendrocolaptes fortirostris Such, a Journ. lI (April 1825), p. 115 (südliches Minas Geraös). 


Wir besitzen ein Exemplar mit der Aufschrift: „Dendrocolaptes platyrostris Sp. Brasilien. 
Spix*, das völlig der Originalbeschreibung entspricht. Es stimmt mit einer Serie von Bälgen 
aus Rio, Santa Catharina und Rio grande do Sul überein. Alle diese Vögel haben vorherrschend 
weißliche Kopfstreifen und Längsstreifen auf der Unterseite sowie weißliche Kehle. Drei Vögel 
aus Bernalcue, Paraguay (Mus. H. v. Berlepsch und Monae.) unterscheiden sich durch intensiver 
schwarzen Oberkopf mit lebhaft rostgelben Längsstreifen, rostgelbliche Kehle und viel mehr 
gelbbraune (statt matt erdbraune) Unterseite, deren Längsstreifen gleichfalls gelblich überlaufen 
sind. Ob sie eine besondere Form darstellen, muß durch Untersuchung einer größeren Serie 
festgestellt werden. 

D. fortirostris Such gehört sicher als Synonym hieher, denn die Beschreibung läßt nicht 
den geringsten Zweifel übrig. 

D. intermedius Berl. (Ibis 1883, p. 141) steht dem D. picumnus gewiß am nächsten, 
unterscheidet sich aber durch viel hellere, dunkelbraune (statt schwärzliche) Grundfarbe des 
Öberkopfes, welcher RUN SIR LCHE (statt weißliche) Längsstreifen trägt, entschieden mehr rötlich- 
braunen Rücken ohne heile Striche (welche bei D. picumnus über den ganzen Mantel aus- 


633 


gedehnt sind), entschiedener und reiner kastanienroten Hinterrücken ete. ete. Außer dem Typus 
aus Bahia untersuchte ich ein zweites, gleichfalls aus Bahia stammendes Exemplar im Mus. 
Berlepsch, und ein ö vom Rio Paranaiva im südöstlichen Goiaz (Natterer coll.; Mus. Vindob.), 
von Pelzeln (Zur Orn. Bras. p. 43, s. n. D. picummus) bereits als abweichend erwähnt. Bei 
meinem Besuche in London verglich ich ferner spec. e von Selaters Liste des D. picumnus 
(Cat. Birds Brit. Mus. XV, p. 170) aus Chapada, Mattogrosso und konstatierte seine Zugehörig- 
keit zu D. intermedius. Die Synonymie dieser Art ist somit: 


D. intermedius Berlp. 


Ibis 1883, p. 141 (Bahia; Typus in Mus. Berlepsch). 

“D. picumnus (nee Lichtenstein!) Pelzeln, Zur Orn. Bras. I (1867), p. 43 (part., spec. ex 
R. Paranaiva). 

D. picumnus Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV, p. 170!) (part., spec. e ex Chapada). 

D. picumnus Allen, Bull. Amer. Mus. V, 1893, p. 114 (Chapada, Mattogrosso). 

? D. picummus Reinhardt, Vid. Meddel. Kjobenhavn (1870), p. 376 (Minas Geraös: Paracatı, 
Lagoa Santa und Sete Lagoas). 


Hab. Bahia (Mus. H. v. Berlepsch); G@oiaz: Rio Paranaiva (Natterer); Mattogrosso: Chapada 
(Smith); Minas Geraös: Paracatü (Lund). 
[Ob die Vögel aus dem südlichen Minas Geraös (i. e. Lagoa Santa und Sete Lagoas) zu 
D. intermedius oder zu D. picumnus gehören, kann nur durch Untersuchung festgestellt werden. 
Die von Paracatü gehören aber sicher hieher, denn der genannte Ort liegt ganz nahe beim 
R. Paranaiva.] 
Picolaptes bivittatus bahiae Hellm. 


Picolaptes bivittatus bahiae Hellmayr, Verhandl. zool. bot. Ges. Wien 1903, p. 219 (Bahia). 
Dendrocolaptes bivittatus (nee Lichtenstein) Spix, Av. Bras. I (1824), p. 87, tab. XC, Fig. 1 
(„in campis sylvestribus Piauhy*). 

Wir besitzen ein altes Exemplar mit der Bezeichnung: „Dendrocolaptes rufus Neuw. — 
bivittatus Sp. Brasilien. Spix.“ Es gehört zu der Form mit rostgelblicher Unterseite, welche ich 
a. a..0. als P. b. bahiae unterschieden habe, und stimmt mit einem Bahia-Balg überein. 

a. 100, e. in der Mauser, r. 391/, mm. 

Picolaptes wagleri (Spix) sp. opt.! 
Dendrocolaptes wagleri Spix, Av. Bras. I (1824), p. 88, tab. XC, Fig. 2 [ohne Fundort]. 

Av. jr., etik.: „Dendrocolaptes wagleri Sp. Brasilien. Spix.“ 

a. 89, c. 80, tars. 161/,, r. 28 mm. 

Der Vogel entspricht völlig der Kennzeichnung bei Spix und zeigt in der Tat das „caput 
castaneum, ferrugineo substrigilatum, fronte subfusca“, obwohl das Gefieder sehr beschmutzt ist. 
Man hat P. wagleri allgemein als Synonym von P. squamatus (Leht.) betrachtet. Die Ver- 
'anlassung zu dieser irrtümlichen Ansicht gab wohl Wagler, der im Berliner Museum auf der 
Etikette des Originales letzterer Art P. wagleri als Synonym notierte.?) Wie jedoch die Unter- 
suchung des Spix’schen Typus lehrt, sind beide Arten total verschieden. Auf Grund des schlecht- 
erhaltenen Originalexemplares hätte ich kaum gewagt, die Verschiedenheit von P. wagleri mit 
Bestimmtheit zu behaupten, um so mehr als Spix die Angabe eines speziellen Fundortes unterließ. 
Allein kürzlich erhielt ich von Freund Reiser ein von ihm in Piauhy gesammeltes 9, das ent- 
schieden zur selben Spezies gehört und alle meine noch vorhandenen Zweifel beseitigte. 

Dieser Vogel stimmt in der Färbung und Schnabelform: fast völlig mit Spix’ Original 
überein und weicht nur in wenigen untergeordneten Punkten ab, auf die weiter unten ein- 
gegangen werden soll. 


I) Spec. d des Brit. Cat. angeblich vom „Rio Claro, Goiaz (Joyner)“ ist typischer D. pieumnus. 

Joyners Sammlungen, die im Cat. Birds stets als von Goiaz stammend angegeben werden, kommen augen- 

scheinlich nicht vom Flusse „R. Claro“ in Goiaz, sondern von der Stadt Rio Claro im Staate S, Paulo!! 
2) Ofr. Cabanis und Heine, Mus. Heinean. II, p. 37. 


Abh.d. II.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 82 


634 


Nach Vergleichung der beiden Exemplare mit zwei Stücken von P. sguamatus aus 8. Brazil 
(Mus. H. v. Berlepsch und Monac.) ergeben sich folgende Unterschiede: 

Die ganze Oberseite ist bei P. wagleri einfarbig lebhaft zimtrostrot, nur die Stirn und 
der vorderste Scheitel zeigen schwache Spuren heller Schaftstriche und feiner schwärzlicher 
Spitzenränder. Bei P, squamatus dagegen ist der Oberkopf düster braun gefärbt und weist 
scharf markierte, von einem schwärzlichen Rande umgebene, rahmgelbliche Tropfenflecken. auf; 
der Rücken ist warm olivenbraun, nur der Bürzel und die Oberschwanzdecken ziehen in hell 
Zimtröstlich. Flügeldecken und Schwingen sind bei P. wagleri lebhaft zimtrostrot gefärbt, bei 
P. squamatus dagegen einfach olivenbraun. Der Schwanz bei P. wagleri ist viel tiefer, zimt- 
rostrot (statt hellzimtrötlich) und die schwärzlichen Säume auf der Unterseite sind entschieden 
schmaler. Endlich ist der Schnabel erheblich schmaler und schlanker, wenn auch nicht kürzer; 
Flügel und Schwanz wesentlich kürzer. 

Der von Reiser gesammelte Vogel weicht vom Typus nur durch etwas kürzeren Schnabel, 
heller und reiner zimtrostrote Oberseite, entschieden hellere, mehr zimtröstliche Färbung der 
Stirn (die bei jenem etwas bräunlich überlaufen ist) mit kaum angedeuteten, haarförmigen 
hellen Schaftlinien, noch lebhafter zimtrostrote Flügeldecken und entschieden schärfer aus- 
geprägte, schwärzliche Säume auf der Unterseite. Die Zeichnung der letzteren bei dem Spix’- 
schen Original macht den Eindruck des Unfertigen, wie der Vogel überhaupt nicht ganz aus- 
gefärbt zu sein scheint. Daraus dürften sich wohl zum Teil die übrigens sehr geringfügigen 
Unterschiede zwischen den beiden Exemplaren erklären. In der Größe stimmt das Q aus Piauhy 
völlig mit dem Typus überein. 

no. 683 Reiser leg. „Q“ ad. „Riacho Fresco, Piauhy“. Mus. Vindob. — a. 90, c. 80, 
r. 261/, mm. 

P. wagleri kann durch folgende Diagnose gekennzeichnet werden: 

P. P. squamato forsan affinis, sed colore supra laeta einnamomeo-rufo (nec dorso olivaceo- 
brunneo uropygio teetrieibusque supracaudalibus ecinnamomeo rufescentibus); pileo absque maculis 
fulvescentibus; alis einnamomeo-rufis nec olivaceo-brunneis; cauda laetiore; marginibus fuseis 
eorporis inferioris minus distinetis; rostro graciliore, albida; alis caudaque multo brevioribus 
facile distinguendus. . 

Habitat in provincia Piauhy dieta Brasiliae sept.-orientalis. 


Dendrornis ocellata (Spix) 


„Dendrocolaptes ocellatus (guttatus)“ Spix, Av. Bras. I (1824), p. 88, tab. XCI, Fig. 1 (s. n. 
„Dendrocolaptes guttatus“) („in sylvis eampestribus Piauhy“ — errore!) — [vgl. 
Hellmayr, J. f. Ornith. 1903, p. 538]. 


Ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Dendrocolaptes ocellatus Sp. — guttatus Sp. Licht. (!) 
Brasilien. Spix“, völlig übereinstimmend mit der Originalbeschreibung und mit der von Natterer 
bei Borba, R. Madeira und am Rio Negro gesammelten Serie. D. chunchotambo (Tsch.) ist 
ganz verschieden. Vgl. darüber Hellmayr, l. e. und meine demnächst erscheinende Arbeit über 
Dendrornis. Der Fundort „Piauhy“ ist ohne Zweifel irrtümlich. Reiser sammelte die Art in 
dem genannten Staate nieht und sie ist gewiß auf das eigentliche, waldige Amazonasgebiet 
beschränkt. 


Dendrocolaptes tenuirostris Spix — Dendrornis spixii (Less.) 


Dendrocolaptes tenuirostris (nee Liehtenstein 1820!) Spix, Av. Bras. I (1824), p. 88, tab. XCI, 
Fig. 2 (kein Fundort). 

Unde: Picolaptes spixii Lesson, Trait& d’Orn. (1831), p. 314. 

Dendrornis fraterculus Ridgway, Proc. U. S. Mus. X, 1887 (1888), p. 526, (Santarem). 

Nicht mehr in der Sammlung. Die von Natterer und Wallace bei Parä gesammelten Vögel 
stimmen sehr gut mit Spixens Beschreibung überein. D. spizi ähnelt in Färbung und Zeichnung 
sehr D, susurrans, ist aber viel kleiner und weicht erheblich in der Schnabelgestalt ab, worin 
sie mit D, ocellata, elegans und pardalotus übereinstimmt. Vgl. a. a. O. meine Dendrornis-Arbeit. 


635 
Die folgenden fünf Arten veranlassen mich zu keiner Bemerkung. 
Dendrocolaptes cuneatus apud Spix, p. 89, tab. XCI, Fig. 3 („Parae“) 
= Glyphorhynchus cuneatus (Licht.) 


Ein Spix’sches Stück in der Sammlung unter der Bezeichnung: „Glyphorhynchus rufi- 
caudus Nw. Dendrocolaptes cuneatus Sp. Brasilien. Spi«“, in jeder Hinsicht mit einem topo- 
typischen Bahia-Balg identisch. 

D. cayennensis, ]. c. p. 89 = D. certhia (Bodd.)?? 


Kein Spix’sches Exemplar in der Sammlung. Die Angabe: „castaneus“ paßt nicht recht 
auf D. certhia (Bodd.). Fundort nicht angegeben. 


D. guttatus, 1. c. p. 89 („in sylvis provineiae Rio de Janeiro“) — Dendrornis guttata (Lcht.) 


Nicht mehr in der Sammlung. Auch Natterer sammelte ein Exemplar bei Rio de Janeiro» 
das von Bahia-Bälgen in keiner Weise abweicht. 


D. turdinus, ].e. p. 90 = Dendrocincla turdina (Leht.) („Rio de Janeiro“) 


Nieht mehr in der Sammlung. Rio-Bälge weichen von topotypischen Stücken aus Bahia 
ein wenig ab und könnten vielleicht subspeeifisch getrennt werden, 


D. picus, 1. e. p. 90 („in sylvis campestribus Bahiae*) = Dendroplex picus (Gm.) 


Ein Stück von Spixens Reise, übereinstimmend mit einem Vogel aus Cayenne. 


Band I. 


Nyectibius longicaudatus (Spix) 

Caprimulgus longicaudatus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 1, tab. 1 („in sylvis fl. Japurae“). 

Die Sammlung besitzt noch das Original, ein sehr gut erhaltenes, schönes Stück mit der 
Aufschrift: „Nyctibius aethereus Neuw. Caprimulgus longicaudatus Sp. Brasilien. Spis.“ 

a. 306, c. 266, culm. 21!) mm. 

Die Art unterscheidet sich von mehreren Exemplaren des N. aethereus (Wied) aus 
S. O. Brazil durch die vorherrschende, lebhaft rostbraune Färbung des Gefieders: die Oberseite 
ist viel intensiver und dunkler rostbraun, der Scheitel etwas weniger grob schwarz gefleckt, 
die Flecken und Binden auf den Flügeln sind lebhafter rostgelbbraun. Am auffallendsten ver- 
schieden ist die Unterseite der beiden Arten: N. aethereus hat Kehle und Brust schmutzig- 
dunkelgrau, letztere Partie mit breiten, schwarzen Längsflecken, bei N. longicaudatus sind diese 
Teile lebhaft hellrostbraun, gleichfalls mit vereinzelten schwarzen Flecken, aber überdies ist 
die ganze Brust bedeckt mit schmalen, regelmäßigen, schwärzlichen Querwellen. Bauch und 
Unterschwanzdecken erscheinen blaßrostgelb. bei N. aethereus trübweib. 


Chordeiles rupestris (Spix) 


Caprimulgus rupestris Spix, Av. Bras. II (1825), p. 2, tab. II („in insulis petrosis fl. Nigri“). 

Das Münchener Museum besitzt zwei Exemplare dieser Art mit der Bezeichnung: „Chordeiles 
rupestris Sp. Brasilien. Spix“, die völlig mit Spixens Beschreibung übereinstimmen. no. 1 stimmt 
in der Stellung ganz genau auf die Figur und ist zweifellos das Original derselben. 


82* 


636 


no, 1. „Rio Negro“ Spix coll.e .„. . .. a. 164, c. 90, culm. 8 mm 
NO: - Bi 3 ” I Sleega 1171420. 90 Aeulm.-82, mm. 

Der zweite Vogel unterscheidet sich von no. 1, abgesehen von dem etwas längeren Flügel, 
dureh einen Schatten dunkler bräunliche Oberseite mit gröberen, schwarzen Flecken auf dem 
Scheitel, auch sind die lanzenspitzenförmigen Längszeichnungen des Rückens etwas größer. 
Beide Stücke zeigen die vier ersten Handschwingen einfarbig dunkelbraun, ohne weißen Fleck 
auf den Außenfahnen. 


Caprimulgus hirundinaceus Spix 


Av. Bras. II (1825), p. 2, tab. III, Fig. 1 („in sylvis flum. Solimoens“). 

Das Original befindet sich mit der Bezeichnung: „Caprimulgus hirundinaceus Sp. Amazon. 
Str. Spix“ in der Sammlung. 

Hartert (Cat. Birds Brit. Mus. XVI, p. 614 und Tierreich, Lief. 1, p. 20) zog die Art 
— augenscheinlich ohne den Typus gesehen zu haben — als Synonym zu Chordeiles acutipennis 
(Bodd.). Ohne Zweifel hat der hervorragende Kenner der Caprimulgiden dies lediglich auf die 
Autorität der früheren Autoren hin getan; denn ein Blick auf die gar nicht so schlechte Ab- 
bildung bei Spix müßte ihn überzeugt haben, daß es sich unmöglich um einen Chordeiles 
handeln kann, da der Schnabel von einem deutlichen Borstenbüschel umgeben ist und das 
äußerste Steuerfedernpaar einen weißen Spitzenfleck trägt. Der Typus beweist denn auch, 
daß C. hirundinaceus Sp. mit Ch. acutipennis — abgesehen von einer oberflächlichen Ähnlich- 
keit in der Färbung und Zeichnung des Rückens — absolut nichts zu tun hat, sondern eine 
typische Caprimulgus-Art darstellt, welche augenscheinlich bisher übersehen worden ist. Sie 
steht dem (©. parvulus Gould noch am nächsten, unterscheidet sich aber auf den ersten Blick 
in vielen, wesentlichen Punkten. Ohne Zweifel ist es eine ganz ausgezeichnete Spezies, was 
mir auch Graf Berlepsch, der den Typus untersuchte, bestätigt. 

Außer dem Spix’schen Original liegen mir drei Bälge des Wiener Museums!) vor, die von 
Natterer 1840 bei Naturalienhändlern in London und Liverpool gekauft wurden und als deren 
Heimat „Bahia“ angegeben ist. Einer derselben stimmt mit dem Typus in allen wesentlichen 
Kennzeichen, so auch in der Schwanzzeichnung überein [auf die geringen Abweichungen werde 
ich weiter unten eingehen]. Dieses Stück ist als „Ö“ bezeichnet. 

Die beiden anderen, als-O0Q bezeichneten Bälge, zeigen ähnliche Unterschiede wie die 09 
der verwandten Arten ihren ö6 gegenüber. Wir können daher die Geschlechtsangaben als 
zuverlässig betrachten. } 

Die 56 des ©. hirundinaceus Spix unterscheiden sich von denen des (©. parvulus 
folgendermaßen: 

1. Die ganze Oberseite ist auf grauem, kaum röstlich angehauchtem Grunde fein schwärz- 
lich gesprenkelt und gewellt, der Oberkopf zeigt nur schmale, schwarze Schaftstriehe. [Bei 
©. parvulus sind die Federn in der Mitte des Oberkopfes fast ganz schwarz, nur die Seiten des 
Scheitels hellgrau. ] 

2. Das für CO. parvulus bezeichnende, hellroströtliche Nackenband fehlt vollständig. 

3. Die Schulterfedern sind auf graulichem Grunde fein schwärzlich gesprenkelt und gewellt 
[bei C. parvulus dagegen tragen sie breite, zugespitzte, schwarze Flecken, einen auf jeder Feder, 
die fast die ganze Außen- und einen Teil der Innenfahne einnehmen, und einen breiten, rahm- 
gelben Außensaum, der bei CO. hirundinaceus völlig fehlt]. 

4. Die Flügeldecken sind auf graulichem Grunde -fein schwärzlich gesprenkelt und mar- 
moriert, kaum mit vereinzelten, kleinen, röstlichweißen Spitzenfleckehen. [Bei CO. parvulus 
dagegen graulich mit großen, schwarzen Subapical- und. rahmröstlichen Apicalflecken.] 


I) Seither untersuchte ich eine Serie obiger Art, die von Reiser in Bahia und Piauhy gesammelt 
wurde. Das Tring-Museum besitzt auch einen unzweifelhaften Bahia-Balg. Es kann somit keinem Zweifel 
unterliegen, daß CO. hirundinaceus ein Bewohner des östlichen Brasiliens ist. Spix’ Fundortsangabe ist 
also wohl unrichtig. 


637 


Flügel und Schwanz von (©. hirundinaceus Spix. Flügel und Schwanz von (©. parvulus Gould. 


638 


5. Der weiße Spitzenfleck auf den zwei äußeren Schwanzfedern-Paaren ist viel aus- 
gedehnter: 20—24 mm lang [bei C. parvulus 12—14 mm], fehlt aber auf allen übrigen. 

6. Die weißen Flecken auf den Handschwingen sind viel kürzer und auf den beiden 
äußersten auf die Innenfahne beschränkt, die dritte und vierte (bei einem Exemplar erst die 
vierte) zeigen eine über beide Fahnen ziehende, durchgehende Querbinde, die 5— 10 mm lang ist. 
[Bei C. parvulus hat die zweite. dritte und vierte Handschwinge eine über beide Fahnen reichende, 
weiße Querbinde, die eine Länge von 20—25 mm besitzt.] 

7. Die Füße sind viel kleiner, zarter und bis zu den Zehen herab dicht befiedert, 
[während bei C. parvulus der unterste Teil der Tarsenoberseite nackt ist]. 

Der Spix’sche Typus ist folgendermaßen gefärbt: 

Ganze Oberseite, Flügeldecken, Schulterfedern und Tertiären trübgrau, dicht und fein 
schwärzlich gesprenkelt und marmoriert. Die Federn des Oberkopfes mit schmalen, schwarzen 
Schaftstreifen (die 1a—1 mm breit sind). Flügeldecken und Nacken tragen nur hier und da 
kleine, unregelmäßige, röstliche Fleckchen; solche finden sich auch auf der Spitze der inneren 
Armschwingen. Schwingen dunkelbraun, die erste und zweite Handschwinge mit einem 
großen weißen Fleck auf der Innenfahne (etwa in der Mitte ihrer Länge), der auf der 
ersten etwa 6, auf der zweiten 9 mm lang ist; die dritte Handschwinge mit einem über 
beide Fahnen ziehenden, weißen Querbande (auf der Außenfahne ungefähr 5, auf der 
Innenfahne 10 mm lang); [die vierte Handschwinge ist noch nicht entwickelt, zeigt aber bei 
einem 6 Exemplare des Wiener Museums dieselbe Zeichnung wie die dritte beim Typus]; Arm- 
schwingen mit verwaschenen, röstlichgrauen Zacken und Sprenkeln auf der Außenfahne. Auf der 
Innenfahne der inneren Hand- und aller Armschwingen eine Anzahl hellrostfarbiger Flecken. 
Schwanz trübgrau mit schwärzlichen Querbinden und Sprenkeln, an der Innenfahne mit ver- 
loschenen, blaßröstlichen Randflecken; das äußerste Steuerfedernpaar blaßröstlich (von unten 
gesehen mehr weißlich) und schwärzlich quer gebändert und mit einem 24 mm langen, weißen 
Fleck auf der Spitze, der die ganze Breite der Innenfahne einnimmt; das folgende, erst im 
Wachsen begriffene Paar zeigt einen ebenso langen, weißen Spitzenfleck, der sich aber über 
beide Fahnen erstreckt. Kopfseiten und Halsseiten schwärzlich und röstlichgrau gesprenkelt. 
Kinn und Vorderkehle rahmröstlich mit schwärzlichen Spitzensäumen, über die hintere Kehle 
zieht ein weißes Querband, dessen Federn jedoch an der Spitzenhälfte auch blaßröstlich über- 
laufen sind und schwärzliche Randflecken tragen. Vorderhals und Vorderbrust rahmröstlich mit 
schwärzliehbraunen Querbinden und Zacken; übriger Unterkörper etwas mehr rostgelblich mit 
spärlichen, aber regelmäßigeren, schwärzlichbraunen Querbinden; nur die Unterschwanzdecken 
einfarbig blaßrostgelb (also nicht schwarzbraun gebändert wie bei C. parvulus). Achselfedern 
und Unterflügeldecken hellrostfarbig, dunkel gesprenkelt. Hosen blaßrostgelb mit verloschenen, 
dunklen Querwellen. Schnabel hornschwärzlich. a. 125, ce. 94, eulm. 11 mm. 

Ein Exemplar im Wiener Museum [„1844, Il, 387 mas. Brasilien: Bahia 1840 ex Liver- 
pool“] unterscheidet sich durch dunklere, mehr schwärzliche Grundfarbe der Oberseite und 
zahlreichere, rahmröstliche Flecken auf Nacken und Schulterfedern. Ferner ist bloß das Kinn 
röstlich mit schwärzlichen Zacken, die ganze Vorderkehle dagegen weiß; Achselfedern und 
Unterflügeldecken sind weit dunkler roströtlichgelb, der Schnabel etwas stärker. Die dritte 
Handschwinge zeigt auch bloß auf der Innenfahne einen weißen Fleck, erst die vierte eine 
über beide Fahnen ziehende Binde, die an ihrer breitesten Stelle auf der Innenfahne eine 
Länge von 10 mm hat. Das äußerste Steuerfedernpaar zeigt nur die Spitze der Innen-, das 
folgende die beider Fahnen in einer Ausdehnung von 20 mm weiß gefärbt: also wie beim 
Typus. Die Tarsen sind gleichfalls bis auf die Zehen herab dicht befiedert. 

Es mißt: a. 130, e. 93, eulm. 12 mm. 

Zwei Bälge des Wiener Museums, als „Q“ bezeichnet, unterscheiden sich von den ÖÖ 
durch das Fehlen des weißen Spitzenfleckens auf den äußeren Steuerfedern, welche 
gleichmäßig schwarzbraun und röstliebgrau gebändert sind, und durch schwarzbraun gebänderte 
Unterschwanzdecken. Die beiden äußersten Handschwingen tragen bloß auf der Innenfahne 
einen weißen Fleck, während die dritte und vierte eine über beide Fahnen ausgedehnte, weiße 
Querbinde besitzen: also wie beim ö! Dadurch allein — abgesehen von den anderen beim Ö ange- 


639 


gebenen Merkmalen — unterscheidet sich das © des (©. hirundinaceus vom 2 C. parvulus, welches 
auf beiden Fahnen der Handschwingen hellrostfarbige Flecken aufweist. Übrigens stimmen meine 
009 des C. hirundinaceus in der Befiederung der Tarsen und der Allgemeinfärbung durchaus 
mit dem oben besprochenen 5 aus „Bahia“ im Wiener Museum überein. Sie messen: 

1. Mus. Vindob. „II, 1844, 387%, fem. Brasil, 


Bahia 1840. — Verrean 5 . 2. 130, c. 92, culm. 10!/, mm 
2. Mus. Vindob. „II, 1844, 387b, kbihn Bahia 
1840. — Biiheise 4 ....2. 128, ec. 93, culm. 11; „ 


Nachstehende Diagnose möge die De des Gomsimillaus hirundinaceus Spix 
erleichtern: 

C. C. parvulo forsan proximus, sed mas a mari huius speciei pileo nigricante pallide rufes- 
centi-griseo punetulato et marmorato (nec griseo, medio maculis magnis nigris instructo) absque 
faseia nuchali rufescente, dorso pileo concolori (nee in fundo grisescente, nigro striato), tec- 
trieibus alarum superioribus eodem modo coloratis (nec maculis magnis rufescentibus instructis), 
remige primario secundo vexillo interno solummodo albo fasciato, vexillo externo concolore 
(41° ut in C. parvulo etiam vexillo externo albo fasciato, 3t° variante), his faseiis multo angusti- 
oribus; rectrieibus binis externis solummodo (nee quatuor externis) macula alba apicali praeditis 
(hac macula fere duplo longiore), abdomine intensius rufescente, faseiis nigris multo latioribus, 
necnon pedibus multo debilioribus usque ad digitos dense plumosis faeile distinguendus. 

o ao C. parvuli differt remigibus primariis sieut in mare albo fasciatis (nee maeulis 
rufescentibus vexillo interno instructis). 

Habitat: in sylvis fluminis Solimoöns (?) unde a dom. J. de Spix in Mus. Monac. allatus, 
et in provinciis Brasiliae orientalis Bahia et Piauhy. 

Nyctiprogne leucopyga (Spix) 
Caprimulgus leucopygus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 3, tab. III, Fig. 2 („ad litora sylvestria 
fl. Amazonum“). 

Der Typus ist nicht mehr in der Sammlung. Ein O Rio Negro, 2. Dez. 1830 (Natterer 
coll.) stimmt im allgemeinen recht gut zur Abbildung und Beschreibung, erstere ist übrigens 
nicht sehr gut und überall entschieden zu grau geraten. Die Art kommt nur am Orinoko und 
im Amazonasgebiete [am Rio Negro und im Flußsystem des Rio Madeira am R. Guapore, Matto- 
grosso (Natterer leg.)] vor. Das Wiener Museum besitzt auch einen unzweifelhaften Cayenne- 
Balg, der in jeder Hinsicht mit den Vögeln Natterers identisch ist. Von Cayenne war sie 
bisher nicht bekannt gewesen. Harterts Angabe im „Tierreich“ über ihr Vorkommen in Süd- 
Brasilien ist irrtümlich. 

Daß sich Spix’ Beschreibung nicht etwa auf Nannochordeiles pusillus (Gould) bezieht, der 
unserer Art nicht unähnlich ist, geht schon aus seinen Worten: „erissum nigricans, albo 
fasciatum“ hervor. Bei N. pusillus sind Analgegend und Unterschwanzdecken reinweiß, bloß 
letztere zeigen Spuren brauner Fleckung, während sie bei N. leucopyga tatsächlich breit 
schwärzlich und weiß gebändert sind. 

Casmarhynchus ecarunculatus Spix —= Casmarhinchos nudicollis (Vieill.) 
Ampelis nudicollis Vieillot, Nouv. Diet. VIII (1816), p. 164 („Le Bresil“). 
Casmarhynchus ecarunculatus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 3, tab. IV („Rio de Janeiro“). 

Ein & ad. in der Münchener Sammlung, in jeder Hinsicht mit mehreren Rio-Bälgen über- 
einstimmend. Außerdem besitzen wir noch ein ö juv. von Spix’ Reise, das in seinem Werke 
nicht erwähnt ist. 

Ampelis carnifex — Phoenieircus nigricollis Sw. 
Ampelis carnifex (nee Linne!) Spix, Av. Bras. II (1825), p. 4, tab. V („in sylvis fl. Nigri ad 
urbem Barcellonam“) unde 
Phoenicircus nigricollis Swainson, Fauna Bor.-Americ. II Birds, p. 491 (1831). 

Ein 5 ad. in der Münchener Sammlung, das als der Typus von Phoenieircus nigricollis Sw. 

anzusehen ist, da dieser Name ausschließlich auf Spix’ Abbildung beruht. 


640 


Ceratopipra cornuta (Spix) 


Pipra cornuta Spix, Av. Bras. II (1825), p. 5, tab. VII, Fig. 2 („in sylvis fl. Amazonum*). 
Der Typus dieser Art ist leider nicht mehr in der Sammlung aufzufinden. 


Pipra coronata Spix 


Av. Bras. II (1825), p. 5, tab. VII, Fig. 1 („ad pagum St. Pauli in sylvis fl. Solimoens*) (6). 
Pipra cyanocapilla Hahn, Vögel aus Asien ete. Lief. 15 (7826), tab. 3, Fig. 2 (ö). 


Zwei 56 ad. von Spix’ Reise in der Münchener Sammlung. Sie repräsentieren die matt- 
schwarze Form mit bläulichem Sehimmer auf den Obersehwanzdecken und auf dem Vorderhals 
und stimmen mit Exemplaren, von Natterer am Rio Negro gesammelt, überein. 

Allgemein (so auch im Cat. Birds Brit. Mus. XIV, p. 299) wird für diese Art der Name 
P. cyanocapilla Hahn angewendet. Als Erscheinungsjahr des betreffenden Heftes wird 1822 
angegeben! Mir liegt ein Exemplar des Hahn’schen Werkes mit den Originalumschlägen der 
einzelnen Lieferungen vor und auf dem Titelblatt von Lieferung 15 steht als Jahreszahl 18236 
gedruckt. Deshalb gebührt der Benennung Spix’ die Priorität. Als Autor wäre übrigens bloß 
Hahn zu zitieren, der sowohl den Text als die Abbildungen fertigte. Erst bei Lieferung X VIII 
heißt es auf dem Titelblatte: „Alle Abbildungen sind nach ÖOriginalzeichnungen des Herrn 
Dr. H. C. Küster ia Erlangen gegeben.“ 


Chiroxiphia caudata (Shaw) 


Pipra caudata Spix, Av. Bras. II (1825), p. 5, tab. VI, Fig. 1 (ö), Fig. 2 (ö jr.). 
Der Fundort „R. Solimoöns“ ist offenbar falsch. Das angebliche © ist ein Ö juv. 


Cirrhipipra filicauda (Spix) 
Pipra filicauda Spix, Av. Bras. Il (1825), p. 6, tab. VIII, Fig. 1 (ö), Fig. 2 (9) („ad pagum 
St. Pauli in sylvis fl. Solimoöns*). 
Zwei 66 ad. und ein sehr junges ö, das fast noch völlig das Kleid des © trägt, nur an 
den Kopfseiten stehen einzelne rote Federn und der Rücken ist mit schwarzen Flecken gemischt. 


Pipra herbacea Spix = Pipra coronata Spix © 


Pipra coronata Spix, Av. Bras. II (1825), p. 5 
Pipra herbacea idem, ]. e. p. 6. tab. VIII2, Fig. 1 [,in sylvis fl. Amazonum*]. 


Ein Vogel in sehr schlechter Beschaffenheit, etik.: „Pipra herbacea Spiez. Brasilien. Spix*, 
entspriebt völlig der Originalbeschreibung und stimmt mit einem Q vom Rio Negro — coll. 
Natterer — durchaus- überein. Cabanis und Heine (Mus. Heinean. II, p. 93) vermuteten, daß 
P. herbacea zu den Tangaren gehöre. Es unterliegt indessen nicht dem geringsten Zweifel, 
daß es sich um das 9 von P. coronata (= cyanocapilla Hahn) handelt. Die Abbildung im 
Spix’schen Werke ist allerdings ganz unkenntlich. 


Tyrannulus elatus (Lath.) 


Sylvia elata Latham, Ind. orn. II (1790), p. 549 (ex Daubenton, tab. 708, Fig. 2 — Cayenne). 
Pipra elata Spix, Av. Bras. II (1825), p. 7, tab. VIII®, Fig. 2 („in sylvis Parae*). 
Tyrannulus reguloides Ridgway, Proc. U. 8. Mus. X (1888), p. 521 (Santarem, Lower Amazons; 
Riker) [= © sive ö jr.!]. ; ß 

Ein ö ad. von Parä in der Sammlung. 

Ich untersuchte etwa 50 Bogotä-Bälge, 1 Q aus  EÄneHit (Hopke; Mus. H. v. Berlepsch), 
1 ö ad. Bartiea Grove, Brit. Auiana (Whitely; Mus. H. v. Berlepsch), ein Paar aus $. Laurent, 
Cayenne (Jelski leg.; Mus. Vindob.), 10 von Natterer bei Borba und am Rio Negro gesammelte 
ö und 9, mehrere Stücke vom Orinoko, ö&9 von Iquitos, N. O. Peru (Whitely; Mus. H. v. Ber- 
lepsch). Außerdem lagen mir vom unteren Amazonas das Stück von Spix’ aus Parä, ein alter 


641 


und junger Vogel von ebenda (Schulz leg.; Mus. H. v. Berlepsch), sowie ein Q von Santarem 
(E. Garbe leg.; Mus. H. v. Berlepsch ex Mus. Paulista) vor. Letzteres ist also topotypisch und 
müsste zu T. reguloides Ridgw. gehören. Es paßt sehr gut zu Ridgways Kennzeichnung, stimmt 
aber völlig mit 00 von Cayenne (typischem T'. elatus), Yquitos und einigen Bogotä-Bälgen 
überein. Die Charaktere „Similar to 7. elatus, but smaller, black border to erest much narrower 
and less distinet, and hind-neck and sides of head much more ashy“ sind eben die Kennzeichen 
des ©. Bei Ridgways Typus war kein Geschlecht angegeben. ©. Bangs (Auk XVIII 1901, 
p- 362) erwähnt ein O von Chiriqui das „agrees exactly with the type of 7. reguloides“! Danach 
kann kein Zweifel sein, daß letzterer Name sich bloß auf das Q von T. elatus bezieht. Auch 
Graf Berlepsch ist derselben Ansicht. 


Todus melanocephalus Spix — Todirostrum cinereum (Linn.) 


Todus cinereus Linnaeus, Syst. nat. 12 v. 1 (1766), p. 178 (ex Edwards, Glean. N. H. II, 
p- 110, tab. 262, Fig. inf. — Surinam). 
Todus melanocephalus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 8, tab. IX, Fig. 2 („ad litora fl. Amazonum“). 


Ein alter Vogel von Spix’ Reise in der Sammlung. Identisch mit Stücken vom Rio Branco 
in N. Brazil und Bogotä: Nacken und Rücken sind grau, nur der mittlere und hintere Teil des 
letzteren schwachgrün überlaufen. Vögel von Mattogrosso (Caicara, Cuyabä) und Paranä haben 
deutlich olivgrünen Rücken, allein ein ö von S. Vicente no. 17687 Mus. Vindob. stimmt in der 
Färbung mit nördlichen Vögeln überein und scheint zu beweisen, daß der genannte Unterschied 
nicht von Bedeutung ist. 


Todus cinereus Spix 
Av. Bras. II (1825), p. 8, tab. X. 


Fig. 1 „ö“ ist Todirostrum maculatum (Desm.). Die Sammlung besitzt noch ein Stück: 
„Todus cinereus Spix. Brasilien. Spix“, das sehr gut auf die Abbildung paßt und zweifellos 
das Original derselben darstellt. 

Das Original zu Fig. 2 „oO“ ist nicht mehr in der Sammlung, scheint aber, nach der 
Abbildung und Beschreibung zu schließen, ein junges Stück von Todirostrum cinereum (Linn.) 
gewesen zu sein. 


Platyrhynchus xanthopygus Spix = Myiobius barbatus mastacalis (Wied) 
Platyrhynchus xanthopygus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 9, tab. IX, Fig. 1 (hab. haud indicat.). 


In der Sammlung ein ad. mit der Bezeichnung: „Myiobius zanthopygus Spix. Janeiro. 
Spix.* Auf dem Postament stand in Spixens Handschrift „Janeiro“, womit wohl zweifellos 
Rio de Janeiro gemeint ist. In dem oben zitierten Werke selbst ist kein Fundort angegeben. 
Die Abbildung zeigt langen, schwärzlichen Schwanz: unser Exemplar trägt dagegen einen falschen, 
eingesetzten, kurzen Pipridenschwanz von hellolivbrauner Farbe! 

Selater zog P. zanthopygus als Synonym zu M. barbatus (Gm.) (Cat. Birds Brit. Mus. XIV, 
p- 199), aber bereits Graf Berlepsch (Auk V (1888), p. 457 f.) wies auf die Unrichtigkeit 
dieser Angabe hin. Ich konnte eine ziemlich große Serie dieser Formengruppe untersuchen 
und fand Folgendes: M. barbatus (Gm.) von Cayenne, Rio Negro und Borba ist oben düster- 
olivgrün, Bürzel und Unterseite hellzitrongelb, nur Crissum und Hosen ockerbrännlich, Schwanz 
schwarzbraun. Stücke von Panama (Hughes leg.; Mus. Vindob.) und N. W. Ecuador sind ebenso 
gefärbt, weichen aber durch tiefschwarzen Schwanz und etwas heller grünen Rücken ab. Sie 
sind als M. b. atricaudus Lawr. zu führen. 

Sechs Bahia-Bälge des Mus. Vindob (Kammerlacher leg.) und ein „Öö“ von Natterer am 
„21. April 1820“ im „Registre do Sai“ bei Rio de Janeiro gesammelt, unterscheiden sich von 
M. barbatus und M. b. atricaudus dadurch, daß Vorderbrust und Körperseiten stark ockerfarbig 
überwaschen sind. Größe, Rücken und Sehwanz wie bei M. barbatus. Mit diesen sieben Exem- 
plaren stimmt der Typus.von P. zanthopygus Spix in jeder Hinsicht überein. Berlepsch (l. c.) 
nannte die Form von Bahia M. xzanthopygus, ich fand jedoch einen älteren Namen in Muscicapa 


Abh.d.II.Kl.d. K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. Ill. Abt. 83 


642 


mastacalis Wied, Reise Bras. II (1821), p. 151 (ex AR. Catole, Zufluß des R. Pardo im südlichen 
Bahia), der offenbar dieselbe Form bezeichnet. Wied sagt (l. e.): „Seine Farbe ist oliven- 
grünlich und das Uropygium blaßlimonengelb; die Scheitelfedern sind an der Wurzel gelb, an 
den Spitzen aber graugrünlich gefärbt, so daß man bei ruhiger Lage derselben erstere Farbe 
nicht bemerkt; Schwarz und Flügel sind schwarzbraun; die ganze Länge des Vogels beträgt 
etwa 4°)ı Zoll.“ Die Färbung der Unterseite ist freilich nicht erwähnt, allein in seinen Bei- 
trägen zur Naturgeschichte Brasiliens 3. H (1831), p. 934, wo der Prinz diese Art als Muscipeta 
barbata aufführt, beschreibt er diese Teile folgendermaßen: „Kehle fahl graugelb; Unterhals 
und Oberbrust bräunlichgelbrot; Unterbrust, Bauch und Steiß limonengelb, in den Seiten grau- 
bräunlich überlaufen.“ Nach alledem unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß die Bahia-Form 
M. barbatus mastacalis (Wied) zu nennen ist. 

M. ridgwayi Berl. ex Petropolis, Rio unterscheidet sich von den vorigen Formen durch 
die gleichmäßig fahlockergelbe (statt limongelbe) Unterseite und Bürzel, nicht olivgrünliche 
(sondern entschieden olivbräunliche) Färbung von Scheitel und Rücken, viel schmäleren 
Schnabel und längeren Schwanz. M. ridgwayi und M. b. mastacalis kommen offenbar neben- 
einander vor. Berlepschs Typus ersterer Art stammt von Petropolis, Rio, und Natterers Stücke 
von Ypanema und Luiz d’Almeida in 5. Paulo, welche ich untersuchte, stimmen mit ihm völlig 
überein. Natterer sammelte aber auch M. b. mastacalis in Registo do Sai bei Rio de Janeiro, 
woher auch der Typus von P. xanthopygus Spix stammen soll, 


Die Synonymie und Verbreitung dieser Formen ist somit: 


a) Myiobius barbatus barbatus (Gm.) 


Museicapa barbata Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 933 (ex „Le Barbichon de Cayenne“, 
Daubenton, tab. 830, Fig. 1). 
Oberkopf und Rücken düster olivgrün, Schwanz dunkelbraun, ganze Unterseite gleich dem 
Bürzel hellzitrongelb, nur der Vorderhals etwas verdüstert. 
3 66 Marabitanas (Natterer) . . . a. 63—65, ce. 56—59 mm 
1 & Borba, Madeira (Natterer) ar ara: "Oz, ec. 64 mm! 
Verbreitung:. Cayenne, Brit. Guiana, Caura-Fluß in Venezuela; Marabitanas am oberen 
R. Negro und Borba am unteren R. Madeira (Natterer). 


b) Myiobius barbatus atricaudus Lawr. 


Myiobius atricaudus Lawrence, Ibis 1863, p. 183 (Panama). 
Unterscheidet sich von no. b) nur durch tiefschwarzen Schwanz. 
Mus. Vindob. (6) ad. Paraiso St., Panama (Hughes) . . a.59; c. 64mm 
{ „ö® ad. „8. Javier, N: Ecuador, 4. Juli. ı; 2.6045. .0..630, 
ex E Bosknbers 2 „Oö“ „S. Javier, N. Ecuador, V, VI®. a. 56, 62; c. 58, 61mm 
os Pambilar, N. Ecuador, 8. Sept. 1900« a. 60; c. 60 mm 
3 „99“ „S. Javier, N. Ecuador“, IV, V, VI a. 55,56; c. 56, 57 mm 


Verbreitung: Panama; Cauca-Tal; N. W. Ecuador. 


e) Myiobius barbatus mastacalis (Wied) 


Museicapa mastacalis Wied, Reise Bras. II (1821), p. 151 (R. Catole, Zufluß des R. Pardo, 
S. Bahia). 
Muscipeta barbata Wied, Beitr. Naturg. 3. II (1831), p. 934. 
Platyrhynchus wanthopygus Spix. Av. Bras. II (1825), p. 9, tab. 9, Fig. 1 [Rio de Janeiro]. 
Myiobius zanthopygius Pelzeln, Zur Ornith. Bras. II a, p- 113 [part., Registo do Sai, Rio 
[Bahia] (Kammerlacher) ] 
M. xanthopygius Pelzeln, Nung. otios. II (1874), p. 292 (Neu-Freiburg, Rio; Beske coll.). 
M. zanthopygus Cabanis, J. f. Ornith. 1874, p. 88 (Cantagallo, Rio; Euler coll.). 
Scheitel und Rücken düster olivgrün, Bürzel hellzitrongelb, Unterseite blaßzitrongelb, Vorder- 
hals, Seiten und Crissum stark ockerfarbig überwaschen, 


643 


Mus. Vindob. 19422 ad. Bahia (n. P.) a. 64, e. 56 mm 
e) 19423 juv. „ 099: a. 60, c.53 , 
\ 5 18210 „ö“ ad. Bahia (n. P.) 2.60, 0.54, 
& h 18208 „Q® ad. „ 4 ISIS ua aa 3er rer, 
n > LE 5 u Be Er ar leere 
2 : 18211 „ö“ ad. „Registo do Sai, Rio, 21. April 1902“ 

(Nakteren)uutb. has gandeillosslanl sonraleildien: Ham Bußdsmes 5 
»  Monac. Rio de Janeiro, Spix leg., Typus von Platyrhynchus sa ie a. 65 mm 
R „ av. jr. 8. Brazil (coll. Leuchtenberg) 3 idn: 23 63,055 I 


Habitat: Bahia (spee. in Mus. Vindob. und H. v. Böhlspichh) Rio Catols (Wied); Registo 

do Sai, Rio IV (Natterer), Rio de Janeiro (Spix). 
d) Myiobius ridgwayi Berl. 
Auk V (1888), p. 457 (Petropolis, Rio). 
M. xanthopygius Pelzeln, Zur Ornith. Bras. II (1868), p. 113 (part., Luiz d’Almeida und 
Ypanema; Natterer). 

Oberkopf und Rücken olivbräunlich, Bürzel und ganze Unterseite einfarbig gleichmäßig 

fahlockergelb. Schnabel schmäler als bei no. a—e. 


Mus. Vindob. 18212 „ö“ ad. „Ypanema, Aug. 1821* et a. 59, ec. 63 mm 
R e 18213 „OÖ“ ad. „Luiz d’Almeida, S. Paulo, 10. Nov. 1s1s« ar HI CO STE, 
a " 18214 „ö“ ad. „Ypanema, 20. Mai 1819« £ N 

Monae. ad. 8. Beazıl (ex ‚eoll. Leuchtenberg) „ - /.,, ,- a. 60, ec. 61 


Habitat: Petropolis, Rio (fide Rey); Ypanema, V, VIII, Luiz d Almeida, XL, S. Paulo (N Ka 

Vietoria (Hempel).!) 
- Ramphotrigon ruficauda (Spix) 

Platyrhynchus ruficauda Spix, Av. Bras.II (1825), p. 9, tab. XI, Fig. 1 („in sylvis fl. Amazonum“). 


Ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Platyrhynchus ruficauda Spix. Brasilien. Spix“ in 
der Sammlung. Vögel vom peruanischen Amazonas stimmen gut überein. 


Platyrhynchus chrysoceps Spix —= Myiobius fasciatus (Müll.) 


Museicapa fasciata Müller, Natursyst. Suppl. (1776), p. 172 (Cayenne — ex Buffon, sc. Daubenton, 
tab. 574, Fig. 3). 

Museicapa naevia Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783), p. 34 (ex Daubenton, Pl. 574, Fig. 3). 

Platyrhynchus chrysoceps Spix, Av. Bras. II (1825), p. 10, tab. XI, Fig. 2 (ohne Fundort). 


Myiobius naevius auct. 
Nicht mehr in der Sammlung, doch läßt die Abbildung mit Sicherheit ein Qliches oder 


jüngeres Stück unserer Art mit orangerotem Scheitelfleck erkennen. Brasilianische Vögel sind 
von topotypischen Cayenne-Bälgen nicht verschieden. 


Platyrhynchus sulphurescens: 
& —= Rbynchocyclus sulphurescens (Spix); © = Rhynchocyclus olivaceus (Temm.) 
Av. Bras. II (1825), p. 10, tab. XII [,„in sylvis Provineiae Rio de Janeiro, Piauhy et flum. 
Amazonum“]. 
Die Münchener Sammlung besitzt drei Exemplare, etik.: 
1. „Ahynchocyelus sulphurescens & Sp. Brasilien. Spix.* 
a. 65, e. 601%, tars. 17®/a, r. 14*/; mm. 
2. „Rhynchocyclus olivaceus Licht.; Platyrkymchus sulphurescens Sp. © Brasilien. Spix.* 
a. 71!/a, e. 651/., tars. 161/, mm, r. defekt. 
8. „Rhynchocyclus olivaceus Licht.,; Platyrhynchus sulphurescens Sp. Q Brasilien. Spix.“ 
a. 71, c. 66, tars. 16, r. 14 mm. 


1) Drei Exemplare im Tring Museum, die in jeder Hinsicht die oben angegebenen Charaktere zur 


Schau tragen. 
83* 


644 


no. 1 entspricht sehr gut der Kennzeichnung und Abbildung des Ö und gehört zu der 
Spezies, welche man allgemein als R. sulphurescens bezeichnet hat. Da Spix in erster Linie 
(vgl. Diagnose am Kopfe des Artikels) das „Ö“ beschreibt und dessen Unterschiede am Schlusse 
klar auseinandersetzt, ist es nur gerechtfertigt, seinen Namen in dem bisher üblichen Sinne 
zu gebrauchen. 

no. 1 stimmt im wesentlichen mit zwei Vögeln aus $. Paulo im Mus. H. v. Berlepsch 
überein, zeigt nur mehr gelblichgrüne Rückenfärbung und dunkleren Oberkopf. Unter Berück- 
sichtigung des beschmutzten Zustandes, in dem sich der Typus leider befindet, wage ich nicht 
zu entscheiden, inwieweit die dunkle Scheitelfärbung auf Verunreinigung zurückzuführen ist. 
Immerhin scheint das Original dunkleren Scheitel besessen zu haben als die meisten der mir 
vorliegenden Stücke des R. sulphurescens. Übrigens erscheint der Oberkopf vorwiegend oliv- 
grün gefärbt mit schwärzlichen Federspitzen. Der lebhaft gelbgrüne Rücken, zugleich mit der 
lebhaft hellgelben Unterseite, schließt die Zugehörigkeit zu R. s. assimilis Pelz. aus, auf welche 
Form man .durch Spix’ Fundortsangabe „flumen Amazonum“ gewiesen werden könnte. Die 
genannte, nur sehr wenig differenzierte Subspezies unterscheidet sich durch entschieden blasseren, 
mehr graugrünlichen Rücken und blasser gelbliche Unterseite. Die beiden Vögel von S. Paulo 
besitzen olivgrünen, wenig aschgrau vermischten Scheitel, bloß Stirn und Brauengegend er- 
scheinen rein aschgrau. Ein Vogel aus Bahia weicht von den drei besprochenen Stücken durch 
ausgesprochen hellolivgrünen Scheitel ohne jegliche grauliche Mischung auffallend ab. Der Schnabel 
von Spix’ no. 1 ist entschieden stärker als bei den Vögeln aus S. Paulo und Bahia, die blaß- 
gelben Spitzen auf den Flügeldecken sind klein wie bei einem alten Vogel aus Iguape, aber 
heller, blaßgelblich (statt gelbgrünlich), während sie bei einem © aus Itatiba, 8. Paulo ent- 
schieden größer und schärfer umschrieben sind. Die individuelle Variation des R. sulphurescens 
ist so groß, daß sich Lokalrassen kaum abtrennen lassen, doch erscheint die Identität des 
Spix’schen Originals mit den Stücken aus 8. Paulo kaum zweifelhaft. 

no. 2 und 3 repräsentieren das „Q“ von R. sulphurescens bei Spix und gehören, wie man 
auch richtig erkannt hat, zu R. olivaceus (Temm.). Sie weichen von drei Bahia-Bälgen im 
Mus. H. v. Berlepsch nur durch etwas düsterer olivgrüne (wohl beschmutzte und verblichene) 
Oberseite ab. Übrigens hat no. 3 viel dunkleren Rücken als no. 2. Alle beide zeigen die 
für R. olivaceus charakteristischen röstlichockergelben Säume auf den mittleren und großen 
Oberflügeldecken. 

Was Spix mit dem Passus „supra aures flavescens“ meint, ist mir unverständlich. Keines 
der drei vorhandenen Exemplare zeigt eine Spur gelber Färbung oberhalb der Ohrgegend. 
Burmeister!) ließ sich dadurch verleiten, R. sulphurescens mit R. nuchalis (Wied) zu identi- 
fizieren. Ob letztere Art wirklich nur einen „Albinismus“ von R. olivaceus darstellt, wie 
Allen?) behauptet, erscheint mir doch sehr fraglich. Worauf sich Burmeisters Beschreibung 
gründet, vermag ich auch nicht zu sagen. Das Museum zu Halle besitzt jedenfalls keinen 
Vogel, der ihr entspricht. 

Auf welche der beiden von Spix vermengten Arten — R. sulphurescens oder R. olivaceus — 
sich seine Lokalitäten beziehen, kann ich gleichfalls nicht entscheiden und die Angabe „flumen 
Amazonum“ erscheint überhaupt sehr fraglich. 


Die Synonymie der beiden Arten ist mithin: 
a) Ihynchocyclus sulphurescens (Spix) 
Platyrhynchus sulphurescens Spix, Av. Bras. II (1825), p. 10 (part. ö), tab. XII, Fig. 1. 


b) Rhynchocyclus olivaceus (Temm.) 


Platyrhynchos olivaceus Temminck, Pl. eol. livr. 2 (Sept. 1820), tab. 12, Fig. 1 [„Bresil“]. 
Platyrhynchus sulphurescens Spix, Av. Bras. II (1825), p. 10 (part. 9), tab. XII, Fig. 2. 


I) Syst. Übers. Th. Brasil. II, p. 503. 
?®) Bull. Amer. Mus. II (1889), p. 233. 


645 


Platyrhynchus hirundinaceus Spix —= Hirundinea bellicosa (Vieill,) 


Tyrannus bellicosus Vieillot, Nouv. Diet. XXXV (1819) p. 74, [ex Azara no. 189 — Paraguay]. 
Platyrhymchus hirundinaceus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 11, tab. XIII, Fig. 1 („in interiore 
Brasilia*®). 


Das Spix’sche Original ist nicht mehr in der Münchener Staatssammlung. 


Myiochanes cinereus (Spix) 


Platyrhynchus cinereus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 11, tab. XIII, Fig. 2 („in sylvis fl. 
Amazonum*). 

Der Typus ist leider nicht mehr in der Sammlung, was um so mehr zu bedauern, als die 
Beschreibung sehr undeutlich ist und nicht mit der Abbildung übereinstimmt. Letztere stellt 
unverkennbar den M. cinereus auct. dar, und ein alter Vogel aus 8. Brazil im Mus. Berlepsch 
entspricht ihr sehr gut. Die Kehle ist weißlich gemischt und Bauchmitte sowie Unterschwanz- 
decken blaßgelb gefärbt. Dieser Vogel besitzt jedoch ausgesprochen schwärzlich rußbraunen 
Scheitel, recht verschieden und viel dunkler als der olivengraue Rücken, während auf Spix’ 
Figur der Scheitel grau wie der letztere erscheint. Dies ist wohl auf unrichtige Ausführung 
des Koloristen zurückzuführen, da Spix im Text ausdrücklich sagt: „caput nigro-fuseum“. Die 
Worte: „supra brunneo vel fuliginoso-nigricans, subtus plumbescens“ im Verein mit der Fundorts- 
angabe: Amazonenstrom könnten eher auf M. nigrescens aus O. Ecuador bezogen werden. Allein 
diese Art zeigt einfarbig dunkel rußgraue Unterseite, ohne jede gelbliche Färbung in der 
Bauchmitte, und ist überdies bisher nur von der Ostseite der Anden in Ecuador (und aus 
Zentral-Peru?) bekannt. Wir mögen daher Spix’ Habitat als irrtümlich betrachten und seinen 
Namen für die Form des östlichen Brasilien verwenden. 


Platyrhynchus filicauda Spix = Copurus colonus (Vieill.) 


Muscicapa colonus Wieillot, Nouv. Diet. XXI (1818), p. 448 (ex Azara no. 180 — Paraguay). 
Platyrhynchus filicauda Spix, Av. Bras. II (1825), p. 12, tab. XIV („in provineia Rio de Janeiro 
ad pagum Maniocca“). 


Zwei alte Vögel von Spixens Reise, in jeder Hinsicht mit der Beschreibung und Abbildung 
übereinstimmend. Paraguay-Vögel lagen zum Vergleiche nicht vor. 


Platyrhynchus flaviventer Spix —= Capsiempis flaveola (Leht.) 


Museicapa flaveola Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823, p. 56 (Bahia). 
Platyrhynchus flaviventer Spix, Av. Bras. II (1825), p. 12, tab. XV, Fig. 1 (Rio de Janeiro). 


Ein ad. ımit der Bezeichnung „Platyrhynchus flaviventer Sp. Muscicapa minuta Wils 
Brasilien. Spice“ in der Sammlung. Es stimmt in jeder Hinsicht mit Bahia-Bälgen von 
©. flaveola überein, hat nur etwas breiteren Schnabel. Berlepsch und Hartert (Nov. Zool. IX, 
1902, p. 46) bezogen Spixens Beschreibung auf Rhynchocyelus flaviventris (Wied), der natürlich 
eine ganz andere Art darstellt: mit breiterem Schnabel, die Nasenlöcher mehr gegen die Basis 
gerückt, lebhafter, mehr gelbgrüner Oberseite und deutlich hellorangegelber Färbung von Zügel 
und Augenring. Auch ist der Schwanz gerade abgestutzt, nieht gestuft wie bei (©. flaveola. 
In manchen Kopien des Spix’schen Werkes gleicht die Abbildung allerdings mehr R. flaviventris, 
doch war letztere Art in der Münchener Sammlung bis vor kurzem nicht vertreten und kann 
unmöglich als Vorlage gedient haben. 

Da Mr. Scelater im Cat. Birds XIV alle ihm vorliegenden Exemplare unter C. flaveola 
vereinigte, ist es wohl nicht ohne Interesse, eine kurze Übersicht über die Formen der Art zu geben. 


a) C. flaveola flaveola (Leht.) 


Stirnfedern, Zügel und Augenbrauenstreifen hellgelb. Unterseite ganz gleichmäßig schön gelb. 


646 


Verbreitung: Brazil: Bahia (Mus. H. v. Berlepsch, Vindob. et coll. mea); Rio de Janeiro, 
XII (Natterer) (Spix); -S. Paulo: Ypanema, IX (Natterer); Victoria (Hempel, Mus. Tring); Goiaz 
(Natterer); R. Tocantins und Mexiana Insel bei Parä (Wallace); Lagoa Santa, Minas Gera&s 
(Reinhardt & Lund); O. Bolivia: Guarayos*) (D’Orbigny; Mus. Paris). 

Material: 7 Bahia-Bälge; 1 @ Ypanema; 2 Stücke Rio de Janeiro; 1 6 Goiaz; 1 9 
Vietoria; 1 ad. Guarayos, O. Bolivia (D’Orbigny). 


b) ©. flaveola semiflava (Lawr.) 


Elainea semiflava Lawrence, Ann. Lyc. New York VIII (1865), p. 177 (David, Chiriqui). 

Unterscheidet sich von C. flaveola flaveola durch längeren, gestreckteren, an der Basis 
schmäleren Schnabel, heller gelbe Kehle, die entschieden lichter ist als Brust und Bauch, bei 
jener mit ihnen gleichfarbig. Zügel und Brauenstreif etwas blasser gelb. 

Verbreitung: Ohiriqui und Costa Rica. 

Material: 10 Exemplare aus Costa Rica (Mus. H. v. Berlepsch und Tring). 


ce) ©. flaveola magnirosiris Hart. 


Nov. Zool. V (1898), p. 487 (Chimbo, W. Ecuador). 
Schnabel so lang wie bei no. b, aber noch breiter als bei no.a. Von beiden unterschieden 
durch wesentlich blassere, gelblichweiße (statt gelbe) Färbung von Zügel und Brauenstreifen. 
Verbreitung: W. Ecuador; Bogotd-Sammlungen. 
Vögel von Venezuela müssen noch genauer verglichen werden. 


Phyllomyias brevirostris (Spix) 


Platyrhynchus brevirostris Spix, Av. Bras. II (1825), p. 13, tab. XV, Fig. 2 („in Provineia 
Rio de Janeiro“). 

Leider ist Spixens Typus nicht in der Sammlung; er fehlte bereits 1829 und wird von 
A. Wagner in dem damals verfaßten Kataloge nicht mehr aufgeführt. 

Beschreibung und Abbildung lassen kaum den P. brevirostris auet. erkennen. Die weiß- 
liche Mischung unter dem Auge und in der Zügelgegend, sowie die schmalen, undeutlichen, 
hellen Säume auf den Flügeldecken weisen allerdings auf die genannte Art, andererseits 
sprechen der bräunliche Scheitel in der Spix’schen Abbildung, die Angabe „plumis vertieis 
fusco alboque terminatis“ im Texte, und der große, breite, Rhynchocyclus-ähnliche Schnabel 
dagegen. Letzterer mag ja verzeichnet und die Kopffärbung darauf zurückzuführen sein, dab 
ein junges Stück der Kennzeichnung zu Grunde lag. Ähnliche Zeichnung des Scheitels kommt 
bekanntlich bei verwandten Genera, z. B. Capsiempis, im Jugendkleide vor. Vielleicht sollte man 
der von einer ausgezeichneten, nicht mißzudeutenden Kennzeichnung begleiteten Benennung des 
Prinzen Wied, Muscipeta asilus, den Vorzug geben. 


Platyrhynchus paganus = Elaenea pagana (Lcht.) 
Museicapa pagana Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 54 (Bahia). 
Platyrhynchus paganus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 13, tab. XVI, Fig. 1 („Rio de Janeiro“), 
Ein ad. in der Münchener Sammlung, vollständig identisch mit einer Reihe von Bahia-Bälgen. 


Phaeomyias murina (Spix) 


Platyrhynchus murinus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 14, tab. XVI, Fig. 2 (kein Fundort). 


Myiopatis superciliaris Reinhardt, Vid. Meddel. Kjebenhavn (1870), p. 346, tab. VIII, Fig. 2 
(Lagoa Santa, Minas Geraös). 


‚..) Ich fand im Pariser Museum einen Balg dieser Art aus „@uarayos“ (coll. D’Orbigny), der mit 
Bahia-Stücken absolut identisch ist. 


647 


Myiopatis semifusca Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XIV (1888), p. 123 (part.) [vgl. Nov. Zool. 
IX (1902), p. 41] 

Der Typus findet sich leider nieht mehr in der Sammlung vor; dennoch scheint es mir 
zweifellos, daß sich Spix’ Beschreibung auf obige Art bezieht. Die allerdings schlechte Abbil- 
dung läßt sich auf keinen anderen brasilianischen Vogel deuten und stimmt recht gut auf ein 
mir vorliegendes „OÖ“ aus Campinas, 8. Paulo und einen Bahia-Balg. Der helle Zügel und 
Brauenstreif ist freilich in der Figur nicht zu sehen, doch sagt Spix im Text: „striga super 
oculos versus genas flavo-albae“, womit augenscheinlich diese Zeichnung gemeint ist. Auch Graf 
Berlepsch ist der Ansicht, daß über die Identifizierung der Spix’schen Art kaum ein Zweifel 
herrschen kann (vgl. Ornis VI (1890), p. 15). N 


Muscicapa longicauda Spix — Gubernetes yetapa (Vieill.) (an subsp.?) 
Muscicapa yetapa Vieillot, Nouv. Diet. XXI (1818), p. 460 (ex Azara no. 75 — Paraguay). 
Musecicapa longicauda Spix, Av. Bras. II (1825), p. 14, tab. XVII („in pratis paludosis Pro- 

vineiae St. Pauli“). 

Ein alter Vogel mit der Aufschrift: „Gubernetes yipera Lcht., Muscicapa longicauda Sp. 
Brasilien. Spix.“ 

Zwei Vögel aus Paraguay, worauf M. yetapa Vieill. beruht, unterscheiden sich von einer 
Serie aus 8. Brazil durch wesentlich längere Flügel und Schwanz, sind aber in der Färbung 
durchaus nicht konstant verschieden. Sollten sich die Größenverhältnisse als beständig erweisen, 
dann müsste für die kleine Form Süd-Brasiliens die Benennung Tyrannus ‚bellulus Vieillot, 
Nouv. Diet. XXXV (1819), p. 75 [,„au Bresil, d’oü elle a et& rapport6e par M. Delalande 
fils* — i. e. Rio] in Anwendung kommen. 

Die Maße der vorliegenden Stücke sind folgende: 


Mus. Monae. „ö“ ad. Bernaleue, Paraguay a.131, ce. 308mm 
»„ H.v. Berlepsch ad, „ ; a. 134,  c. 294 „ 
»  Monaec. ad. Type von M. ne ae S. Paulo . au 122 02072885, 
„ H.v. Berlepsch „Öö“ ad. Mugy das Oruzes, $. Paulo; coll. Naar a.l29,..37 0.260, 
laakka ” „Q* Franca, S. Paulo . u: EEE EI 
en ad. Süd-Brazil (ex praep.) a. 1231),, c. 260 „ 


Muscipipra vetula (Lcht.) 
Museicapa vetula „v. Olf.“, Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 53 („San Paulo“). 
Muscicapa vetula Spix, Av. Bras. II (1825), p. 15, tab. XVIII („in campis Provinciae St. Pauli“). 
Die Münchener Sammlung besitzt kein Spix’sches Stück mehr. 


Muscicapa furcata Spix — Tyrannus melancholicus Vieill. 


Tyrannus melancholicus Vieillot, Nouv. Diet. XXXV (1819), p. 84 (ex Azara no. 198 — 
Paraguay). 

Muscicapa furcata Spix, Av. Bras. II (1825), p. 15, tab. XIX („in locis campestribus Brasiliae*), 
no. 1 ad. „Tyrannus despotes Lcht. Muscicapa furcata Sp. Brasilien. Spix“ besitzt orange- 

roten Scheitelfleck mit nur spärlichen zitrongelben Rändern an den seitlichen Federn und diente 


offenbar als Vorlage zur Abbildung. 
no. 2 mit derselben Bezeichnung hat hellere, mehr orangegelbe Scheitelmitte, stimmt aber 


sonst mit no. 1 überein. 

Spix’ Abbildung ist recht schlecht, besonders Vorderhals und Rücken viel zu grün dargestellt. 

Die Typen unterscheiden sich in nichts von einem allerdings stark abgeriebenen Stück aus 
Paraguay. 

Myiozetetes sulphureus (Spix) 

Muscicapa sulphurea Spix, Av. Bras. II (1825), p. 16, tab. XX („in Drasilia*). 

Die Münchener Sammlung besitzt ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Myiobius sulphureus 
Gr. Muscicapa Sp. Brasilien. Spix“, das in Färbung und Stellung mit der Abbildung bezw. 


648 


Beschreibung bei Spix sehr gut übereinstimmt. $Spix gibt keinen näheren Fundort an. Der 
Typus stimmt bis auf den etwas blasser gelben Unterkörper, was durch Ausbleichen hervor- 
gerufen ist, mit den von Natterer am Araguay in Z. Brasilien und am Rio Muriä bei Parä 
gesammelten Vögeln überein. Besonders no. 18042 Mus. Vindob. „Q“ ad. „Rio Araguay, 
27. Okt. 1823“ hat auch ganz dieselbe hellgelbe Färbung der Scheitelmitte, welche bei den 
anderen vier Exemplaren dunkler, mehr goldgelb erscheint. 


Stirn, Oberkopf und Kopfseiten sind aschgrau, die erstgenannte mit feinen dunkelbraunen 
Schaftstriehen; die Scheitelmitte in großer Ausdehnung leuchtend gelb, aber die Spitzen der 
Federn schwärzlichgrau. Rücken hellgrünlicholivbraun, Flügeldecken, Schwingen und Steuerfedern 
dunkelbraun mit schmäleren, helleren Rändern von der Rückenfarbe. Kehle und Vorderhals 
weiß, Kinn und Bartgegend graulich gestrichelt; übriger Unterkörper schwefelgelb, innere 
Körperseiten schwach olivgrünlich überlaufen. Achselfedern und Unterflügeldecken hellschwefel- 
gelb. Schnabel schwärzlich hornbraun, untere Mandibel nur wenig heller. 


Die Art ist sofort gekennzeichnet durch den Mangel des weißen Brauenstreifens in Gemein- 
schaft mit der bedeutenden Größe. M. granadensis Lawr. ist viel kleiner und hat orangerote 
Scheitelmitte; M. luteiventris (Sel.) ist noch viel kleiner und unterscheidet sich ferner durch 
sehr dunkelbraunen Scheitel mit orangerotem Fleck und düster olivgrün geflammte Vorderbrust. 


1. Mus. Monac. ad. Brasilia, Spix coll. Typus . . . a.106, c.81, r. 19 mm 
2. „  Vindob. 18042 „Q Araguay, 27. Okt. 1823“ . a. 1081, ce. 80, r.20 „ 
Se n 18041 „ö Araguay, 1. Nov. 1823“ a. 114, ce..88, r. 201/, mm 
Ally . 18043 „oO Araguay, 1. Nov. 1823* a. 109,87 c. 86,317 195mm 
Da n 18044 „o Rio Muria bei Para“ a0, e.,79 er OR 
On » 18045 „o“ (Rio Muriä) 2: 106,.;, c..77,.r. 191, mm 


Die Serie ist sehr uniform, nur no. 4 und 5 haben etwas kürzere Schnäbel. 


Selater (Cat. XIV, p. 164) gibt als Verbreitung nur „Guiana and Upper Amazonia“ an 
und scheint übersehen zu haben, daß Natterer die Art am R. Araguay in Zentral-Brasilien 
und am Rio Muriä bei Parä gesammelt hat. 


Muscicapa cinerascens Spix — Lipangus simplex (Lecht.) 
Muscicapa simplex Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 53 („Bahia“). 
Museicapa cinerascens Spix, Av. Bras. II (1825), p. 16, tab. XXI („in locis aprieis Rio de Janeiro*). 


Nieht mehr in der Sammlung. Allein Kennzeichnung und Abbildung lassen wohl keinen 
Zweifel übrig, daß die Art mit Lipangus simplex (Leht.) identisch ist; überdies ist in einem 
der alten Museums-Kataloge bei „Musc. simplex Leht.“ der Spix’sche Name als Synonym notiert. 


Taenioptera velata (Lcht.) 
Museicapa velata Lichtenstein, Verz, Dubl. 1823, p. 54 („San Paulo“). 
M. velata Spix, Av. Bras. II (1825), p. 17, tab. XXII („in Provincia St. Pauli“). 


Ein ad. mit der Bezeichnung: „Taenioptera velata Bon. Sp. Brasilien. Spix“, identisch 
mit einer Anzahl von Stücken aus 8. Brazil. 


Muscicapa joazeiro Spix — Machetornis rixosa (Vieill.) 
Tyrannus rixosus WVieillet, Nouv. Diet. XXXV (1819), p. 85 (ex Azara no. 197° — 
Paraguay). 
Muscicapa joazeiro Spix, Av. Bras. II (1825), p. 17, tab. XXIII („prope pagum Joazeiro ad 
flumen . St. Franecisei*). 


Ein ad. mit der Bezeichnung: „Machetornis joazeiro Sp. Brasilien. Spix“, nicht ver- 
schieden von zwei „Öö“ aus Paraguay. 


649 


Taenioptera nengeta (Linn.) 


Lanius Nengeta Linnaeus, Syst. nat. ed. 12. I (1766), p. 135 (in „Brasilien — ex Brisson, 
Maregrave etec.). 
Muscicapa polyglotta Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823, p. 54 („San Paulo“). 
Musc. polyglotta Spix, Av. Bras. II (1825), p. 18, tab. XIV („in Provineia St. Pauli“). 
Nicht mehr in der Sammlung, über die Identifizierung kann aber kein Zweifel herrschen. 


Museicapa similis Spix: no. 1 = Myiozetetes cayanensis (Linn.), no. 2 = M. similis (Spix) 
Museicapa similis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 18, tab. XXV („ad flumen Amazonum“). 


Spix’ M. similis ist, wie die vorhandenen Originale ausweisen, ein mixtum compositum 
von M. cayanensis und M. similis auet. Die Sammlung besitzt zwei Exemplare mit der Bezeich- 
nung: „Myiobius similis Sp. Brasilien. Spix.*“ 

no. 1 gehört unzweifelhaft zu M. cayanensis (L.) und stimmt im wesentlichen mit einem 
topotypischen Cayenne-Vogel (Mus. Vindob. no. 18021) überein, hat nur etwas lebhaftere, mehr 
orangegelbe Haube. Beide zeigen schwärzliche Scheiteleinfassung, kaum hell gerandete Flügel- 
decken, dieselbe Rückenfärbung u.s.w. Zwei OO von Engenho do Gama, Mattogrosso (Natterer 
leg.) sind mit dem Spix’schen Vogel in jeder Hinsicht identisch. 

no. 2 gehört zur Formengruppe mit aschgrauer Haubeneinfassung und stimmt mit einer 
Serie des M. similis auct. aus Bahia, Rio, S. Paulo und Parä überein. Das Gefieder ist nur 
‚stark beschmutzt, wodurch die Färbung überall etwas dunkler erscheint als bei frischen Bälgen. 
Die Scheitelmitte ist orangerot, bloß an der äußersten Basis hellgelb; ein augenscheinlich jüngerer 
Vogel aus Bahia (Mus. H. v. Berlepsch no. 5687) und ein © vom R. Madeira (Natterer coll.; 
Mus. Vindob.) zeigen ganz dieselbe Scheitelfärbung. Die Innensäume der Schwingen sind schmal, 
blaßrostfahl — wie bei meiner Bahia-Serie, wogegen M. cayanensis breite, lebhaft rostfarbige 
Säume besitzt. 

Die Beschreibung bei Spix ist ein Gemisch von Kennzeichen beider Arten, scheint sich 
aber doch vorwiegend auf die ostbrasilianische Form mit grauer Scheiteleinfassung zu beziehen, 
auf welehe auch die Abbildung besser paßt. Daher behalte ich den Namen im Sinne Selaters bei. 

Im Cat. Birds XIV, p. 159 ff. sind die Unterschiede der Miyiozetetes-Arten nicht ganz 
richtig angegeben. Man kann sofort zwei getrennte Formenkreise unterscheiden. 


A. Einfassung der Haube und Kopfseiten schwarzbraun bis schwarz. Scheitelmitte im Alter 
prächtig orangerot mit hellgelber Randung. Innensaum der Schwingen scharf abgesetzt, lebhaft 
roströtlich. Hieher gehören M. c. cayanensis (Linn.), M. c. rufipennis Lawr. von der Nord- 
küste Venezuelas und M. c. erythroptera (Lafr.) aus 8. Brazil. 


a) M. cayanmensis cayanensis (Linn.) 


hat nur schmale, rostrote Ränder auf der Außenfahne der Handschwingen, die vom Schafte 
durch eine etwa 3 mm breite, dunkelbraune Partie getrennt sind. Steuerfedern ohne alle röst- 
liche Säume. a. 81—93, c. 69—79 mm. 

Mir liegen Vögel aus Cayenne, Brit. Guiana, Surinam, „Orinoko-Delta“ präp., Bogotä, 
Parä (Natterer), Engenho do Gama, Mattogrosso (Natterer) und W. Eeuador vor. Die Vögel 
von W. Ecuador haben heller und mehr grünlich überlaufenen Rücken als alle übrigen und die 
Steuerfedern olivgelblich gerandet. Vielleicht sollten sie getrennt werden. 


b) M. cayanensis rufipennis Lawr. 


Diese sehr gut charakterisierte Form unterscheidet sich durch röstliche Ränder auf den 
Flügeldecken und Armschwingen, viel breitere rostrote Säume auf den Primären, vom Schafte 
nur durch einen etwa 1 mm breiten Strich getrennt, und scharfe, rostrote Säume ringsum alle 
Steuerfedern. 

Nordküste von Venezuela: Valencia, Puerto Cabello ete.e Ein mir augenblicklich vor- 
liegender alter Vogel von Puerto Cabello mißt: a. 84, c. 70, r. 14! mm. 


Abh.d.Il.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXI. Bd. Ill. Abt. 34 


650 


e) M. cayanensis erythroptera (Lafr.) 


Die rostrote Färbung auf den. Handschwingen ist noch mehr entwickelt als bei no. 2 
und hat den dunkelbraunen Schaftstrich ganz verdrängt, so daß die beiden basalen Drittel des 
Flügels einfarbig rostrot erscheinen. Flügeldecken einfarbig dunkelbraun wie bei no. 1. Die 
Steuerfedern kaum an der Basis der Außenfahne röstlich gerandet. Wie bei no. 2 sind auch 
die Armschwingen rostrot gesäumt. Diese Form ist viel größer als no. 1 und 2. 

Ein mir vorliegender alter Vogel des Mus. Berlepsch no. 4117, S. Brasilien (Rio präp.) 
mißt: a. 102, ce. 87, r. 151/, mm. 

S. Brazil: Rio und Minas Geraäs. 

B. Einfassung der Haube aschgrau, Kopfseiten schwärzlichgrau. Scheitelmitte im Alter 
feuerrot ohne Orange. Innensaum der Schwingen undeutlich, blaßgelb oder blaß fahlrostfarben. 


a) M. similis superciliosus (Bp.) 


M. texensis Cat. Birds XIV, p. 162. 
Einfassung der Haube hell reinaschgrau, Rücken hell reinolivgrünlich, Innensaum der 
Schwingen blaßgelb; schmale Außenränder blaß olivgelblich., a. 91—96, e. 76—79 mm. 


Von Mexiko bis Panama. 


b) M. similis columbianus Cab. & Heine. 


M. columbianus Cabanis & Heine, Mus. Hein. II (1859), p. 62 (Puerto Cabello; Carthagena). 
In der Färbung nicht von no. | zu unterscheiden, aber wesentlich kleiner. a. 81—87, 
ec. 65— 71 mm. 
Venezuela: Küstenregion und am Orinoko; Colombia: Carthagena; Bogotä-coll. 


e) M. similis similis (Spix) 


Unterscheidet sich von no. 1 und 2 durch wesentlich dunkleren, nicht rein hellolivgrün- 
lichen, sondern entschieden bräunlicholivenfarbigen Rücken, etwas dunklere und weniger rein 
aschgraue Scheiteleinfassung, blaßröstliche oder hellroströtliche Außenränder (im frischen Gefieder) 
und fahlrostfarbige (nicht blaßgelbe) Innensäume der Schwingen. ( 


Im abgeriebenen Kleide fehlen die 'röstliehen Kanten der Schwungfedern oder erscheinen 
mehr gelblich, also ähnlich wie bei no. 1 und 2. 

Ich untersuchte 24 Exemplare in den Mus. Berlepsch, Vindob. und Monac. von Bahia, 
Rio de Janeiro, Ypanema und S$. Sebastiäo in $. Paulo, Rio Paranä (Natterer), Rio Madeira 
(Natterer), Parä (Schulz) und Iquitos, N. O. Peru (Whitely; Mus. H. v. Berlepsch), Chancha- 
mayo, Z. Peru (Hoffmanns). 

Der Vogel vom Rio Madeira stimmt recht gut mit Stücken aus Bahia und Rio überein, 
hat nur etwas klarer grauen Scheitel, die Innensäume der Schwingen sind aber entschieden 
fahlrostfarben wie bei ihnen, nicht blaßgelb wie bei no. 1. Ein & ad. von Iquitos, leider in 
sehr abgetragenem Kleide, hat etwas grünlicheren Rücken als die übrigen, aber noch immer 
bräunlicher als bei M. s. supereiliosus, der Scheitel ist so dunkelgrau wie bei Bahia-Bälgen, die 
Innensäume der Schwingen dagegen röstlichgelb, also ein Übergang zu den westlichen Formen. 


Ein jüngerer Vogel aus Chauchamayo, Zentral-Peru (coll. Hoffmanns) hat ebenfalls röstlich- 
gelbe Innensäume und ebensolche Rückenfärbung wie das ö ad. von Iquitos. Der Scheitel ist 
auch trübgrau und die Außenränder der Schwingen röstlichgelb wie bei manchen Bahia-Bälgen. 
Die Vögel aus Peru sind also entschieden etwas intermediär zwischen M. s. superciliosus und 
M. s. similis, scheinen mir aber doch besser bei letzterem zu stehen. Auch Graf Berlepsch 
rechnet sie zur östlichen Form (siehe P. Z. S. 1896, p. 365). 


651 


11 Bahia-Bälge messen . 
6 Vögel aus Rio . 
1 © Rio Parana. Brazil (Natterer) 


85—93, ce. 68!/,—76 mm 
87—88, ec. 73—77 mm 


esmpPpP 
je] 
{er} 


1 © Ypanema, 8. Paulo AI 
1 ö 8. Sebastiäo, 8. Paulo ShlE 0.74 „ 
1 Q R. Madeira, Brazil 831, ah, 
16 Iquitos, N. O. Peru a. 82, ei Tod, 
Av. jr. von Chanchamayo, 2. Penn a. 86, eh 7,1002, 
Spix’ Typus no. 2 „Amazonas“ a. 90, eo, 


Attila thamnophiloides (Spix) 


Museicapa thamnophiloides Spix, Av. Bras. II (1825), p. 19, tab. XXVI, Fig. 1 („in loeis 
sylvatieis fl. Amazonum“). i 


Lanius unirufus Pucheran, Arch. Mus. Paris VII (1855), p. 332 (Cayenne). 


Spixens Original befindet sich unter der Bezeichnung: „Dasycephala thamnmophiloides Sp. 
Brasilien. Spix“ noch in der Sammlung. 

Das Stück scheint nicht ganz alt und unterscheidet sich von einem alten Vogel aus Cayenne 
und den meisten Stücken der von Natterer bei Borba gesammelten Serie dadurch, daß nur die 
Kehle und Vorderbrust hellroströtlich, der übrige Unterkörper wesentlich heller und blasser fahl- 
rostgelb gefärbt ist, bei jenen dagegen ist die ganze Unterseite einfarbig hellrostrot, die Bauch- 
mitte nur wenig heller. In der Oberseite ist kaum ein Unterschied zu konstatieren. Der 
Cayenne-Vogel ist mit denen aus Borba absolut identisch und beweist die Unhaltbarkeit des 
L. unirufus. Den Typus letzterer Art habe ich im Pariser Museum untersucht. Im Cat. Birds 
(XIV, p. 364) ist Pucherans Name einfach vergessen. 


Attila cinereus (Gm.) 


Muscicapa cinerea Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 933 (ex „Le Gobe-mouche roux de 
Cayenne“ Brisson, Ornith. VI, suppl. 51, tab. 3, Fig. 2). 


Museicapa cinerea Spix, Av. Bras. II (1825), p. 19, tab. XXVI, Fig. 2 („in sylvis Brasiliae*). 


In der Sammlung steht ein anscheinend alter, ausgefärbter Vogel mit der Bezettelung: 
„Dasycephala cinerea Sw. Muscicapa Sp. Brasilien. Spix“, der mit Spixens Abbildung und 
Beschreibung völlig übereinstimmt. 


Es sei mir gestattet auf diese Art und ihre verwandten Formen etwas näher einzugehen. 
Mir lag eine stattliche Serie von 18 Exemplaren aus Ost-Brasilien vor und ich finde Folgendes. 

Vögel von Rio-„make“ (Mus. Monae.), Sapitiba, Registo do Sai, Rio de Janeiro 
(Natterer coll.; Mus. Vind.) und Ypanema (Natterer) haben die ganze Kehle sowohl als den 
Vorderhals hellaschgrau mit deutlicher, weißer Fleckung, der übrige Unterkörper ist lebhaft 
lichtrost-rot, die Bauchmitte kaum heller. Oben ist der ganze Scheitel und Nacken grau und 
zwar wesentlich dunkler als die Kehle, auch ohne jede weiße Mischung. Bei Bahia-Vögeln ist 
nur das Kinn, höchstens noch der vorderste Teil der Kehle grau und zwar etwas dunkler als 
bei Exemplaren von mehr südlichen Orten, während die übrige Kehle größtenteils hellroströtlich 
erscheint und nur hie und da die graulichen Basen durchschimmern läßt. Oben ist das Grau auf 
den Scheitel beschränkt. Vier Bahia-Bälge stimmen in den angegebenen Charakteren überein, ein 
fünfter von derselben Lokalität (Mus. H. v. Berlepsch) aber steht in der Kehlfärbung gerade in 
der Mitte zwischen denen aus Bahia und Süd-Brasilien: bei ihm ist das Grau bis über den 
Vorderhals ausgedehnt (wie bei letzteren), aber so dunkel und ohne weißliche Mischung wie 
bei ersteren. Ein Rio-Balg des Mus. H. v, Berlepsch (no. 7036) stimmt auffallenderweise 
mit der Bahia-Form überein! Nach diesem Befunde vermag ich die beiden Formen nicht zu 
trennen; sollten aber bei umfangreicherem Material Verschiedenheiten nachzuweisen sein, dann 
müßte der Name A. cinereus wohl für die südliche beibehalten werden. Denn Brisson sagt in 


84* 


652 


der Beschreibung seines „Gobe-mouche roux de Cayenne“: „Capite, gutture et collo saturate 
cinereis, pennis in gutture et collo inferiore albido marginatis; pectore, uropygio et 
reetrieibus splendide rufis“, was bloß auf die südbrasilianischen Vögel bezogen werden kann. 
Die Fundortsangabe rennt ist augenscheinlich irrtümlich. 

Graf Berlepsch sandte mir den Typus seines Attila griseigularis aus Santa Catharina 
(Ibis 1885, p. 290). Derselbe stimmt in der Ausdehnung des Grau auf Kehle und Vorderhals ete. 
vollständig mit den oben besprochenen Stücken aus Rio und 8. Paulo überein, unterscheidet 
sich aber sofort dadurch, daß die ganze Mitte des Unterkörpers zitronengelb, mithin sehr ver- 
schieden von Brust und Seiten erscheint, während bei beiden Phasen von A. cinereus der ganze 
Unterkörper (exel. Kehle und Vorderhals) einfarbig hellrostrot gefärbt ist. Ein „ö“ ad. von 
„Paranagua“ in der angrenzenden Provinz Paranä (9. Januar 1821; Natterer) zeigt fast die- 
selbe Färbung der Unterseite, nur ist die Mitte ein wenig rötlich überlaufen, wodurch der 
Übergang zu A. cinereus vermittelt wird. Die Bewohner von Paranä& und Santa Catharina 
mögen somit als eine südliche Form Attila cinereus griseigularis Berlp. abgetrennt werden. 
A. eitriniventris Sel. von Nordost-Peru, der gleichfalls zitrongelbe Mitte der Unterseite aufweist, 
unterscheidet sich durch geringere Größe, viel kürzeren Schnabel ete.; wie bei Bahia-Vögeln 
ist nur die vorderste Kehle grau (mit weißlicher Mischung). 


Knipolegus comatus (Lcht.) 


Museicapa comata Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823, p. 55 („San Paulo*). 


Muscicapa galeata (nee Licht. 1823!) Spix, Av. Bras. II (1825), p. 20 (part. ö), tab. XxvIn 
(„S. Pauli“). 


Knipolegus nigerrimus (Vieill.) 


Muscicapa nigerrima WVieillet, Nouv. Diet. XXI (1818), p. 453 (ohne Fundort; Musee 
d’hist. nat.). 
Museicapa galeata Spix, Av. Bras. II (1825), p. 20 (part. Q vel juv.), tab. XXVIII, Fig. 1 (foem.). 

Zwei Exemplare in der Münchener Sammlung. 

No. 1 unter der. Bezeichnung: „Fluvicola galeata Sw. Muscicapa Sp. Brasilien. Spin“ 
stellt das ö dar, einfarbig schwarz mit langer aufrechtstehender Holle. Es gehört zu Knipolegus 
comatus (Leht.). 

Das sogenannte „Q“ steht als „Fluvicola comata Sw. Leht. jwv. Brasilien. Spix“ in 
der Sammlung. Es stimmt recht gut auf Spixens Kennzeichnung und Abbildung und ist ein © 
von Knipolegus nigerrimus (Vieill.) mit rostrot längsgestreifter Kehle. 


Basileuterus fulvicauda (Spix) 


Muscicapa fulvicauda Spix, Av. Bras. II (1825), p. 20, tab. XXVIII, Fig. 2 (kein Fundort). 
Basileuterus uropygialis Selater, Proc. zool. Soe. 1861, p. 128 („Brazil“). 

Das Original steht in der Sammlung mit der Bezeichnung: „Muscicapa fulvicauda Sp. 
Brasilien. Spix“, und stimmt völlig mit einem Exemplar des Bas. uropygialis aus Sarayacu, 
Öst-Ecuador, (Buckley leg.; Mus. H. v. Berlepsch) überein bis auf einige Punkte, welche auf 
Ausbleichen und Beschmutzung des Gefieders zurückzuführen sind. Der Rücken erscheint beim 
Typus nicht so rein düster olivgrün, sondern zeigt einen mehr bräunlichgrünen Ton. Bürzel 
und Basis der Schwanzfedern sind ebenso hellgelb und die Unterseite ist in der Hauptsache 
weiblich, bloß die Vorderbrust, Seiten und Unterschwanzdecken ganz blaß rostgelb überlaufen, 
letztere wesentlich heller als bei Buckleys Vogel, was aber gewiß nur eine Folge der jahrelangen 
Einwirkung des Sonnenlichtes ist. Das endständige, dunkle Schwanzband ist bei beiden gleich 
breit, etwa 25 mm lang. Nach alledem unterliegt es keinem Zweifel, daß. die zwei Arten 
identisch sind, Spix’ Benennung gebührt die Priorität. 

Die Form von W. Ecuador, welche nunmehr als Basileuterus fulvicauda semicervinus $el. 
zu führen ist, unterscheidet sich konstant durch wesentlich dunklere, einfarbig fahlrostgelbe 


655 


Unterseite, die nur in der Bauchmitte in einen helleren Ton übergeht, dunklere Färbung von 
Bürzel und Schwanzbasis, endlich durch viel lebhafter und dunkler rostfarbigen Supraloralstreifen. 
Das endständige, dunkle Schwanzband ist meist, aber nicht immer, dunkler und kürzer (unter 
20 mm lang) und der Rücken schmutziger, mehr bräunlichgrün. Allein diese beiden Kenn- 
zeichen sind nicht beständig. 


Bas. fulvicauda poliothrix Berlp. und Stolzm. aus Zentral-Peru (P. Z. S. 1896, p. 331) ist wie 
die typische Form gefärbt, weicht nur durch schmäleren Schnabel sowie heller und reiner 
dunkelaschgrauen Scheitel und Nacken ab. 


1. Mus. Monac. Type M. fulvicauda Spix. a. 66, e. 54, r. 13 mm. 
2. Mus. H. v. Berlepsch 7220. ad. Sarayacu, Ost-Eeuador (Buckley leg.): a. 66, e. 54, 
r. 14 mm. 


Muscicapa nivea Spix — Taenioptera irupero (Vieill.) 


Tyrannus irupero!) Vieillot, Tabl. ene. meth. II (1823), p. 856 [ex Azara no. 204 — Paraguay]. 

Muscicapa moesta Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823, p. 54 (Montevideo). 

Muscicapa nivea Spix, Av. Bras. II (1825). p. 20, tab. XXIX, Fig. 1 („in campis fl. St. Franeisei 
prope pagum Joazeiro*). 

Ein altes 5 mit verengter Spitze der beiden ersten Handschwingen und breitem, schwärz- 
lichem Bande am Schwanzende unter der Bezeichnung: „Taenioptera nivea Sp. Brasilien. Spix*“ 
in der Sammlung. Es stimmt in Größe und Färbung mit einem „Öö“ ad. aus Oran in der 
Provinz Salta, Nordwest-Argentinien (Tenkate leg.) überein, scheint also zur typischen T'. irupero 
(Vieill.) zu gehören. Typische Paraguay-Vögel konnten seither auch verglichen werden. Soviel 
mir bekannt, ist Spix’ Angabe die einzige über das Vorkommen dieser Art in Brasilien. Burmeister 
(Syst. Übers. 2. I, 1856, p. 517) behauptet zwar, daß sie „in 8. Paulo und Santa Catharina“ 
vorkomme, da er selbst aber in diesen Provinzen nieht gesammelt hat, muß seine Angabe 
vorerst zweifelhaft bleiben. Weder Natterer noch Iherings Sammlern (vgl. Rev. Mus. Paul. III, 
1898, p. 178) gelang es, sie für die von ihnen bereisten Gegenden nachzuweisen. Die Identität 
des Spix’schen Vogels, der aus Joazeiro im nördlichen Teile des Staates Bahia stammt, mit 
dem argentinischen, ist daher um so auffallender. 


Die beiden oben erwähnten Vögel messen: 
Spix’ Typus ex „Joazeiro® (ö ad.): a. 110, ce. 76, culm. 151, mm 
„ö“ ad. Oran, Salta, 1896 (Tenkate leg.): a. 105, c. 76, culm. 161, „ 


Fluvicola albiventer (Spix) 


Muscicapa albiventer Spix, Av. Bras. II (1825), p. 21, tab. XXX, Fig. 1 („mas“) („in campis 
Brasiliae“). 

Ein Stück mit der Aufschrift „Fluvicola albiventer Sp. Brasilien. Spice“ in der Samm- 
lung. Es ist ein junger Vogel mit braunschwarzer Oberseite und teilweise flaumigem Rücken- 
gefieder von mattbrauner Farbe. Die Flügeldecken sind ebenfalls dunkelbraun. Es scheint 
somit nicht das Original von Spixens Abbildung zu sein, denn auch in der Diagnose heißt es: 
„supra nigrum“ und „caput nigrum“ —, sondern das erwähnte „Ö junior dorso teetrieibusque 
humeralibus magis fuliginosis“ darzustellen. — Al. 67; c. 53; rostr. 13 mm. 

Das angebliche 9, das auf Tafel XXX, Fig. 2 richtig als das von Muscicapa dominicana 
(id est Arundinicola leucocephala (L.)) bezeichnet, aber im Text (p. 21) zu M. albiventer gestellt 
ist, gehört natürlich zu ersterer Art. 


1) Im Cat. Birds XIV zitiert Mr. Selater 7. irupero Vieillot, Nouv. Diet. XXXV (1819), p. 92. An 
dieser Stelle gibt es aber keinen Namen wie Taenioptera irupero, vielmehr ist die Art bloß unter der 
französischen Benennung „Le Pepoaza irupero“ aufgeführt. 


654 


Muscicapa dominicana Spix = Arundinicola leucocephala (Linn.) 


Pipra leucocephala Linnaeus, Mus. Ad. Fridr. II. Prodr. (1764), p. 33 (exel. Syn. Seba; Surinam ; 
cfr. Syst. nat. ed. 12. I, 1766, p. 340). 


Muscicapa dominicana Spix, Av. Bras. II (1825), p. 21, tab. XXIX, Fig. 2 (= ö); XXX, Fig. 2 
(= 2) („in Provineia Parae*). 
Museicapa albiventer Spix, 1. e., p. 21 (part. „Q*). 
In der Sammlung befinden sich zwei alte ö mit der Bezeichnung: „Arundinicola dominicana 
Sp. & Brasilien. Spiw.“ 
Sie stimmen völlig auf die Beschreibung des sogenannten Ö. 


Ferner besitzt die Münchener Sammlung noch einen 9 Vogel, etik. als: „Arundinicola 
dominicana Sp. © Brasilien. Spix.“, der ohne Zweifel das Original von Tafel XXX, Fig. 2 ist. 


Zwischen typischen Vögeln aus Cayenne und solchen aus Bahia und Parä vermag ich 
keinen Unterschied zu entdecken. 


Muscicapa rufina Spix — Empidonomus varius (Vieill.) 


Museicapa varia Vieillot, Nouv. Diet. XXI (1818), p. 458 (ex Azara no. 187 — Paraguay). 
Museicapa rufina Spix, Av. Bras. II a Pr 22, tab RIREN Biztan5@) Pie. AS 
Provincia fl. Amazonum*). 

Museipeta ruficauda Wied, Beitr. 3. II (ss1), p- 920 (Bahia, Camamü und Jiquiricä-Fluß). 
Tyrannula tschudii Hartlaub, Rev. Zool. 1844, p. 369 (Bahia). 

Ein anscheinend alter Vogel mit der Bezettelung: „Zyrannus dux Ill, Muscicapa rufina 
Sp. Brasilien. Spiz“ in der Sammlung. Er stellt offenbar das „ö“ von Spixens Beschreibung 
dar und zeigt breiten, gelben Scheitelschopf, auch sehr stark rostrot gesäumte Oberschwanz- 
decken und Steuerfedern. Zweifellos ist er das Original zu tab. XXXI, Fig. 1. 


Das in Fig. 2 abgebildete angebliche @ ohne Gelb am Scheitel ist nicht mehr in der 
Sammlung, war aber zweifellos ein junger Vogel; denn alte Q haben fast ebenso lebhaft gelbe 
Scheitelmitte wie die &. 

Ich verglich vor einiger Zeit die von Natterer in verschiedenen Teilen Brasiliens gesammelte 
Serie mit mehreren Vögeln aus Paraguay, konnte aber keine Unterschiede feststellen. 


Muscicapa mystacea Spix — Fluvicola climazura (Vieill. & Oud.) 


Oenanthe climazura Vieillot & Oudart, Gal. Ois. 1. II (1825), p. 255, tab. 157 („Bresil*). 
Museicapa mystacea Spix, Av. Bras. u (1825), p- 22, tab. XXXI® („Muscicapa mystax“) („in 
Provineia Bahiae). 

Zwei Vögel mit der Bezeichnung: „Fluvicola mystax Sp. Brasilien. Spix.* Sie stimmen 
untereinander völlig überein und ich kann von den Unterschieden, die Spix für sein angeb- 
liches „Ö“ und „Q“ angibt, nichts bemerken. 

Welcher der beiden obigen Namen die Priorität hat, läßt sich wohl kaum mehr fest- 
stellen. Ich behalte daher die Vieillot’sche Bezeichnung bei, weil sie bisher allgemeine Annahme 
gefunden hat. 


Thamnophilus albiventer Spix — T. major Vieill. 


Thammophilus major Vieillot, Nouv. Diet. III (1816), p. 313 (ex Azara no. 211 — Paraguay). 
Thamnophilus albiventer Spix, Av. Bras. II (1825), p. 23, tab. XXXII („in sylvis fl. St. Franeisei*), 

Ein Paar mit der Bezettelung; „Thamnophilus albiventer Sp. & (bezw. 9) Brasilien. Spix“ 
in der Sammlung, völlig übereinstimmend mit der typischen Form aus Paraguay. Das Ö hat 
auf der Innenfahne der Schwanzfedern breite, ununterbrochene weiße Querbinden, wie alle 
untersuchten Stücke aus Paraguay, Mattogrosso, Goiaz, Bahia und Pernambuco. 


655 


Die Form, welche nördlich des Amazonenstromes vorkommt, unterscheidet sich durch die 
geringere Ausdehnung des Weiß im Schwanze: die weißen Binden sind unterbrochen oder bilden 
nur einzelne Flecken am Rande der Innenfahne, sind auch meist schmäler. Von dieser Sub- 
spezies untersuchte ich eine sehr große Serie von Trinidad, Cumanä, Orinoko und Caura R. in 
Venezuela, Cayenne, Brit.-Guiana, R. Branco, R. Negro und Parä in Nord-Brazil. Sie muß 
den Namen T. major semifasciatus!) (Cab.) tragen. 

T. m. borbae Pelz. (Borba, R. Madeira) hat im Schwanze noch weniger Weiß, welches 
auf wenige zerstreute Flecken an der Innenfahne und Spitze beschränkt ist. Eine der Typen 
hat bloß an der Spitze kleine weiße Fleckehen und kommt T. m. melanurus Gould aus Nordost- 
Peru und Öst-Ecuador recht nahe. Dieser hat überhaupt kein Weiß am Schwanze oder nur 
einen ganz feinen weißlichen Spitzenrand am äußersten Paare. Ich untersuchte mehrere topo- 
typische Stücke vom Ucayali und Chyavetas in Nordost-Peru (E. Bartlett coll.; Mus. Tring). 
Während bei T. major major, T. m. semifasciatus und T. m..borbae die Unterschwanzdecken 
reinweiß sind, ist bei 7. m. melanurus die Basis stets in größerer oder geringerer Ausdehnung 
dunkelgrau oder schwarz. 

Bogotä-Bälge, deren ich eine ganze Anzahl untersuchte, unterscheiden sich von allen 
vorigen Formen durch viel schwächeren und schmäleren Schnabel, und die Färbung der Unter- 
schwanzdecken, welche aschgrau sind mit einem breiten, weißen Spitzensaume und einem sub- 
terminalen, schwärzlichen Querbande. Bisweilen findet sich noch ein zweites schwärzliches Band, 
etwa in der Mitte der Länge der Federn. Diese Form muß den Namen T. m. granadensis (Cab.)?) 
tragen, der im Cat. Birds XV gänzlich übersehen worden ist. 

Auf der Westseite der Anden in Ecuador tritt eine weitere Form, T. m. transandeanus Sel. 
auf, die sich von T. m. melanurus nur durch weitere Ausdehnung der schwarzen Farbe auf den 
Unterschwanzdecken unterscheidet, so daß nur ein weißer Spitzensaum übrig bleibt. Sie geht 
allmählich über in 7. m. melanoerissus Sel., bei dem die Unterschwanzdecken ganz schwarz sind. 


Thamnophilus lineatus Spix = T. palliatus (Lcht.) 


Lanius palliatus Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823, p. 46 (Bahia). 
Thammophilus lineatus (nee Vieillot 1816!) Spix, Av. Bras. II (1825), p. 24, tab. XXXIII, 
Fig. 1 (ö), Fig. 2 (9). 

Die Sammlung besitzt nur mehr das ö unter der Bezeichnung: „Thamnophilus lineatus Sp. 
Brasilien. Spix“, das auf Abbildung und Beschreibung sehr gut paßt und ohne Zweifel das 
Original zu ersterer darstellt. Das Stück stimmt übrigens nahezu mit zwei Bahia-Bälgen überein, 
nur erscheint die Unterseite etwas schmäler und matter schwarz gebändert. 

Wir besitzen ferner ein junges ö von Spix’ Reise, das in seinem Vogelwerke nicht 
erwähnt ist. 


Thamnophilus capistratus Less. 


Thammnophilus capistratus Lesson, Rev. Zool. 1840, p. 226 („Bresil). 

Thamnophilus radiatus (non Vieillot!) Spix, Av. Bras. II (1825), p. 24, tab. XXXV, Fig. 2 (mas.); 
tab. XXXVIII, Fig. 1 (fem.) („in sylvis Brasiliae*). 

Th. doliatus (nec Linne) Wied, Beitr. 3. HT (1831), p. 995 („Campos Geraös*). 

Die Sammlung besitzt nur mehr das ö mit der Bezeichnung: „Thamnophilus doliatus L. — 
radiatus Sp. Brasilien. Spix“, das in jeder Hinsicht mit Spixens Kennzeichnung übereinkommt. 
Ich habe bereits a. a. ©. (Verhandl. zool. bot. Ges. 1903, p. 217) nachgewiesen, daß die in 
Bahia-coll. vorkommende Form der unterseits schwarz und weiß gebänderten Gruppe durchaus 
verschieden ist von T. radiatus. Auch das Spix’sche Stück zeigt nur an der Spitze der 


1) Diallactes semifasciatus Cabanis, J. f. Ornith. 1872, p. 234 (Syn. T. albierissus Ridgw.). 
2) Diallactes granadensis Cabanis, J. f. Ornith. 1872, p. 234 (Columbien). — Alle Stücke, die ich 
sah, haben auf den äußeren Steuerfedern schmale, weiße Spitzenränder. 


656 


beiden mittelsten und an der Außenfahne aller Steuerfedernpaare weiße Randflecken; 
der Scheitel ist einfarbig schwarz ohne jedes Weiß. 

Das Tring-Museum besitzt zwei männliche Vögel, von A. Robert bei Lamaräo, Bahia, 
(300 m über dem Meere) gesammelt: no. 1628 vom 14. Januar 1903 ein ganz ausgefärbtes 
„ö@ ad. und no. 1548 vom Mai 1903, „Ö“ fere ad. Diese stimmen in der Bänderung der 
Unterseite mit einem & ad. aus den Bahia-coll. überein, zeigen aber auf der Innenfahne der 
Steuerfedern bereits ganz kleine, weiße Randzacken (besonders no. 1548), welche freilich lange 
nieht so groß und bandförmig sind wie bei einem topotypischen T. radiatus aus Paraguay, aber 
immerhin die nahe Verwandtschaft mit dieser Art andeuten. Auf ein solches Exemplar bezieht 
sich wohl der Prinz Wied (l. e.), der auch die Schwanzfedern als „an jedem Rande mit kleinen, 
weißen Fleckchen“ gezeichnet beschreibt. Wie bei T. radiatus ist die Stirn des ö weiß gemischt. 

Wie erwähnt, ist das Q von der Spix’schen Reise nicht mehr in der Sammlung. Auch 
in Bahia-coll. ist mir dasselbe noch nicht untergekommen und so war ich denn sehr erfreut, 
bei meinem kürzlichen Aufenthalt in Tring im Rothschild-Museum zwei von A. Robert bei 
Lamaräo, Bahia (300 m über dem Meere), gesammelte 09 zu finden, die offenbar dazu gehören. 
Mr. Selater (Cat. Birds XV, p. 209) bemerkt bereits: „if Spix is correct, the female corresponds 
rather with that of T. albicans than with that of 7. doliatus“. Diese Vermutung erwies sich 
als ganz richtig. 

Die beiden 90 des Tring-Museums unterscheiden sich von einem O des T. radiatus aus 
Paraguay (und von den 00 des T. nigrieristatus, doliatus ete.) dadurch, daß die Kehle nicht wie 
bei diesen einfarbig rostgelblichweiß ist, sondern scharfe, breite, schwarze Längsstreifen und die 
Brust unterbrochene, schmale, aber recht deutliche, schwärzliche Querwellen trägt, welche jenen 
gänzlich fehlen. Bei no. 1688 zeigen die Flügeldecken verloschene, dunkle Anteapicalbinden, 
eine ähnliche Zeichnung findet sich auf den Armschwingen, besonders aber fallen die scharfen, 
schwärzlichen Subapicalbinden auf den Tertiären auf; die Unterflügeldecken sind schwärzlich 
gewelit, bei 7. radiatus einfarbig blaßrostgelb. Diese Zeiehnung auf den Öber- und Unter- 
flügeldecken und Tertiären, ist bei no. 1575 aber kaum angedeutet. 

Ein © des T. albicans aus Bogotä in meiner Sammlung zeigt ganz dieselbe Färbung der 
Unterseite, von den dunklen Querbinden auf den Flügeln ist aber keine Spur vorhanden.’ 


Mus. Tring. A. Robert coll. no. 1688 „oO“, Lamaräo, Bahia, 300 m; 5. Juli 1903: 
a. 77!lg, e. 64, eulm. 18 mm 
n „ A. Robert no. 1575 „O“, derselbe Fundort, 21. Mai 1903: 
a. 74,.c. 64, eulm. 13 mm. 


Diese Vögel stimmen recht gut zur Diagnose des Q bei Spix: „foemina supra, cauda 
eapiteque einnamomeis, teetrieibus alarum obseure nigro-undulatis, subtus fulvescens, nigro trans- 
versim lineata“. Die Abbildung (tab. XXX VIII, Fig. 1) ist aber recht schlecht: der Rücken viel zu 
braun und die dunkle Querwellung ‘der Unterseite und Flügeldecken übertrieben. 

Die Beschreibung, die der Prinz von Wied vom weiblichen Vogel gibt, paßt im wesent- 
lichen auf die von A. Robert gesammelten Exemplare. 


Thamnophilus guttatus Vieill. 


Thamnophilus guttatus Vieillot, Nouv. Diet. III (1816), p. 315 [„L’Amerique meridionale“]. 
Thamnophilus guttatus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 25, tab. XXXV, Fig. 1 [,in Provincia 
Si. Pauli“) (= O2). 

Zwei 99, etik.: „Thamnophilus guttatus Sp. Brasilien. Spix.“ Sie veranlassen mich zu 
keiner Bemerkung. 

[Thamnophilus agilis Spix, Av. Bras. II (1825), p.:25, tab. XXXIV, Fig. 2 ist nicht mehr 
in der Münchener Sammlung. Es kann übrigens kein Zweifel herrschen, daß er zur Gruppe 
von Vireo chivi (Vieill.) gehört. Ein genaues Studium dieses Formenkreises wäre sehr wünschens- 


wert, da die Zusammengehörigkeit aller zu letzterer Art gestellten Vögel noch nicht ganz 
erwiesen scheint.] 


657 


Thamnophilus affinis Spix 
Av. Bras. II (1825), p. 26, tab. XXXIV, Fig. 2 („in sylvis Parae*“). 

Der Typus dieser Art ist leider nicht mehr in der hiesigen Sammlung, was um so mehr 
zu bedauern ist, als niemals der Versuch gemacht worden war, sie zu deuten. Auch ich vermag 
keine wahrscheinliche Identifizierung zu geben. Vielleicht handelt es sich um eine Aylophilus- 
Art und nach dem Fundorte könnte man H. semicinereus Sel. & Salv. vermuten. Allein die 
Beschreibung paßt nicht recht und die Figur in P. Z. 8. 1867, tab. XXX, Fig. 1 ist total 
verschieden von Spixens Abbildung. Übrigens differiert die kurze Diagnose und die darauf 
folgende genauere Kennzeichnung bei Spix in einigen, nieht unwesentlichen Details. In ersterer 
heißt es: „viridis, subtus virescens, gula abdomineque einerascentibus“, in letzterer „gula 
jugulumque cinerea; peetus cinereum, medio viride; abdomen einereo-virescens.“ Die Angabe 
„pedes sanguinolenti* macht die Sache noch unklarer. 


Ancistrops strigilatus (Spix) 


Thamnophilus strigilatus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 26, tab. XXXVI, Fig. 1 (kein Fundort). 
Anabates lineaticeps Selater, Ann. Mag. N. H. ser. 2 XVII (1856), p. 468 („Eastern Peru“). 
Ancistrops lineaticeps Sclater, Cat. Amer. Birds (1862), p. 157. 

Der Typus befindet sich mit der Bezeichnung: „Thamnophilus sirigilatus Sp. Brasilien. 
Spix“ in der Sammlung. Bereits Graf Berlepsch (vgl. Cat. Birds XV, p. 104) hat die Identität 
des Vogels mit A. lineaticeps (Sel.) festgestellt. Der Spix’sche Typus stimmt im wesentlichen 
mit dem von Natterer bei Borba gesammelten Exemplar überein bis auf einige Färbungs- 
differenzen, welche durch den ausgebleichten Zustand des Gefieders zu erklären sind. Der 
Rücken erscheint matter und heller olivenbräunlich, die Unterseite mehr weißlich und der 
Schnabel schmutzig hornweißlich. a. 86, ce. 71, culm. 20 mm. 


Pygiptila stellaris (Spix) 

Thamnophilus stellaris Spix, Av. Bras. II (1825), p. 27, tab. XXXVI, Fig. 2 („in Pro- 

' vineia Parae*). 
Thamnophilus maculipennis Selater, Edinb. Phil. Journ. new ser. I (1855), p. 247. („Quixos in 

Cisandean Ecuador and Perwvian Amazons“.) 
Thamnophilus stellaris + Pygoptila maculipennis Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV (1890), 

Pa ROSE. 

Der Typus ist nicht mehr in der Sammlung, allein Spixens Beschreibung und Abbildung 
(der kräftige, kurze Schnabel und kurze Schwanz) lassen keinen Zweifel, daß es sich um 
Pygiptila maculipennis (Sel.) handelt. Beide passen sehr gut auf genannte Art mit Ausnahme 
des Passus „iectrices dorsi anterioris plumbeae, apice albo guttatac“; denn bei P. maculipennis 
sind diese Federn gerade an der Basis weiß. Allein bei der sonstigen Flüchtigkeit Spix’scher 
Kennzeiehnungen fällt dies ebenso wenig ins Gewicht als die Fundortsangabe „Para“, die 
übrigens keineswegs als absolut falsch anzusehen ist, weil eines der Exemplare im Brit. Mus., 
welche ich untersuchte, von Brown in Brit.-Guiana gesammelt sein soll. Mr. Sclater (im Cat. 
Birds 1. e.) hat die Art unter zwei verschiedenen Namen registriert, wie ich durch Unter- 
suchung der Stücke im Brit. Mus. feststellen konnte. Die zwei auf p. 195 (o. e.) unter Th. stel- 
laris aufgeführten Exemplare stimmen in jeder Hinsicht mit dem Typus von P. maculipennis 
(ex Peruvian Amazons) überein. 

Die Identifizierung (Cabanis, Arch. Naturg. 13. I (1847), p. 224) der Art mit Dysithammus 
plumbeus (Wied) ist ganz irrtümlich, denn letzterer zeigt keine Spur von Weiß im Rücken ete. ete. 


Thamnophilus ruficollis Spix = O T. amazonicus S$el. an oO T. cinereiceps Pelz.? 


Thamnophilus ruficollis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 27, tab. XXX VII, Fig. 1 (0) (kein Fundort). 


Der Typus ist leider nicht mehr in der Sammlung. Ich kann daher nicht entscheiden, 
ob es sich um das Q von T. amazonicus Sel. oder von T. cinereiceps Pelz. handelt. Die 99 


Abh.d. II.Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Ba. III. Abt. 85 


658 


dieser beiden Arten sind nur in der Größe konstant verschieden und stimmen in der Färbung 
völlig miteinander überein. 


T. amazonicus Sel. 


10 09 Borba; Rio Madeira; Engenho do Gama [Natterer]; Parä (Schulz): 
a. 72—75, e. 61—64 mm. 


T. cinereiceps Pelz, 


4 00 Marabitanas, Rio Negro; und Maipures, Orinoko: 

a. 64—65, e. 50—52 mm. 

Spix’ Maßangaben würden eher für letztere Art sprechen. Leider ist kein Fundort ange- 
geben, und so muß die Frage unentschieden bleiben. 


Thamnophilus albonotatus Spix 


Av. Bras. II (1825), p. 27, tab. XXXVII, Fig. 2 (mas.) (ohne Fundort). 

Thamnophilus tephrogaster Oberholser, Proc. U. S. Mus. XXV (1902), p. 59 (Bahia). 

Th. caerulescens (non Vieillot!) Berlepsch, Zeitschr. ges. Ornith. II, 1885, p. 148 (spec. vidi) 
(Rio de Janeiro). 

Th. naevius (non Gmelin!) Burmeister, Syst. Übers. 3. II (1856), p. 94 (Neu-Freiburg, Rio). 

Erionotus caerulescens (nee Vieillot) Cabanis, J. f. Ornith. 1874, p. 86 (Cantagallo, Rio; Euler). 


Ein öÖ ad. in der Sammlung mit der Aufschrift: „Thamnophilus albinotatus Sp. Brasilien. 
Spix“, vollständig übereinstimmend mit der Abbildung, besonders auch in Hinsicht auf die 
Schwanzzeichnung, welche bei dieser Formengruppe von großer Wichtigkeit ist. Bis vor kurzem 
hatte man diese Art mit 7. caerulescens Vieill. zusammengeworfen, erst Mr. Oberholser unter- 
schied sie von demselben. Ich hatte sie in meinem Ms. schon seit mehreren Jahren gesondert, 
war mir aber über die Bedeutung der Namen T. ventralis und T. albonotatus nicht im klaren, 
wollte auch vorerst eine gute Serie des topotypischen T. caerulescens ex Paraguay untersuchen 
und zögerte daher mit der Publikation. Nun liegt mir Spix’ Typus vor, und ebenso war ich 
unlängst in der Lage; mich bezüglich der beiden anderen fraglichen Punkte zu vergewissern. 

Obwohl ich eine prächtige Serie der im nachfolgenden behandelten Formen zu studieren 
vermochte, war das Material doch nicht genügend, um alles klar zu stellen. Wie bereits Ober- 
holser (l. e.) hervorhebt, unterscheidet sich T. albonotatus & (tephrogaster Oberh.) sofort von 
T. caerulescens Vieill. durch ganz schiefergraue Unterseite, ohne jedoch weißliche Mischung in 
der Bauchmitte, ferner, wie ich hinzusetze, durch dunkleren, mehr blaugrauen Rücken, viel 
kürzeren, weißen Randfleck auf dem äußersten Steuerfedernpaar und endlich dadurch, daß das 
Schwarz der Kappe weiter nach hinten ausgedehnt ist und mit der gleichfalls mehr entwickelten 
schwarzen Partie des Mittelrückens fast zusammenfließt. Außer dem Typus (coll. Spix) liegen 
mir ein ö ad. aus Petropolis, Rio de Janeiro, ein ö ad. aus $. Brazil (Rio-Präp.), beide im 
Mus. H. v. Berlepsch, ferner ein Ö ad. aus Petropolis, Rio, 18. Mai 1886 (J. Young leg.) im 
Mus. Tring vor. Überdies untersuchte ich die von Euler bei Cantagallo gesammelten Vögel 
des Berliner Museums und mehrere ö&ö6 im Brit. Mus. von typischer Rio-Präparation, die von 
Herrn Alex. Fry in Rio de Janeiro geschenkt worden waren. Alle diese unterscheiden sich in 
der angegebenen Weise von T“. caerulescens. 

Das © dieser Art, deren ich eine ganze Anzahl (1 © ex Cantagallo (Euler coll.?) 
Mus. Berlepsch, ein © ex Petropolis, Rio, 15. Mai 1886 (J. Young leg.) und ein © Rio-„make“, 
beide im Tring-Museum; ferner 4 09 und ein Ö juv., alle von typischer Rio-„make“ im Brit. 
Mus. (von Sclater als 7. caerulescens, gilvigaster und naevius im Catalogue verzeichnet) unter- 
suchte, unterscheidet sich von dem des T. caerulescens ‘ex Paraguay und $. Paulo, Brazil in 
folgender Weise: Der Scheitel ist viel lebhafter und dunkler rostbraun, der Rücken warm oliven- 
braun (statt grünlichgrau), der Bürzel dunkler ockerröstlich, die Unterseite viel dunkler: die 
ganze Brust und Bauch tiefockerrostgelb, nur die Kehle trübgraulichweiß (bei 7. caerulescens 
dagegen: Kehle und Brust blaßrahmbräunlich, erstere etwas weißlich vermischt, letztere in der 


659 


Mitte des hinteren Teiles in rein Rahmfarben übergehend, Bauchmitte und Unterschwanzdecken 
allein hellrostgelb). Die Außensäume der Schwingen sind viel dunkler rostbraun (statt oliven- 
bräunlich wie bei 7. caerulescens). 

Die südlichen Formen 7. albonotatus und 7. caerulescens unterscheiden sich im männlichen 
Geschlechte von dem Cayenne, Guiana ete. bewohnenden 7. naevius (Gm.) auf den ersten Blick 
durch den völligen Mangel der weißen Säume auf den Tertiärschwingen, welche 
bloß asch- oder schiefergraue Ränder tragen. 

T. naevius kommt überhaupt in dem Waldgebiete des südöstlichen Brasilien nicht vor, alle 
Angaben darüber beziehen sich auf 7. albonotatus oder T. caerulescens. Angeblich soll T. naevius 
bei Para vorkommen. Selater (New Edinburgh Philos. Journ. new ser. VI (1855), p. 243) sagt, 
er hätte viele Exemplare von dieser Lokalität gesehen, aber im Cat. Birds ist nicht ein Stück 
verzeichnet und weder Natterer noch Layard oder Wallace trafen die Art dort an. 

Im Anschlusse gebe ich eine kurze Übersicht der Arten dieser schwierigen Gruppe. 


A. Tertiären mit weißen Außensäumen in beiden Geschlechtern. 


a) T. naevius naevius (Gm.) 
1788 Lanius naevius Gmelin, Syst. nat. 1. I, p. 308 (ex Latham, „Spotted Shrike“, Gen. 

Syn. I, p. 190 — Cayenne). 

1826 Thammoplius (sie!) atrocapillus Hahn, Vög. Asien ete., Lief. 15, tab. 4. 

Hab. Cayenne, Brit.-Guiana und in der Orinoko-Region [Altagracia, Munduapo, Neri- 
cagua etc. am mittleren und oberen Orinoko, sowie am Caura, einem Nebenfluß des genannten 
Stromes; Guanoco im Orinoko-Delta (Andre coll.; Mus. Tring)]. 

Ich untersuchte eine schöne Serie von ö und 9 aus Oayenne; 1 ö ad. Roraima, 1 Ö ad. 
Aunai, 1 ö ad. Quonja: Brit.-Guiana (Whitely), 1 5 ad. Guanoco, Orinoko-Delta, 2 55 und 
viele 00 vom Caura und eine große Serie beider Geschlechter vom Orinoko im Mus. Tring. 

ö. Unterseite gleichfarbig aschgrau. Tertiären mit weißen Außensäumen. Das Schwarz 
des Mittelrückens fast ganz verdeckt. 

O0. Oberkopf lebhaft rostrotbraun, scharf abgesetzt gegen den olivbraunen Rücken. Unter- 
seite einfarbig rahmbräunlich ohne jedes Rostgelb. Flügeldecken rötlicholivbraun mit schwärz- 
liehen Subapical- und weißen Apicalsäumen. Schwanzfedern rostbraun mit ebensolcher Zeich- 
nung. Tertiären mit weißen oder rostgelben Säumen. 


b) T. naevius atrinucha Salv. & Godm. 
1892 Thammophilus atrinucha Salvin & Godman, Biol. ©. Amer. II, p. 200. 
Hab. Honduras, Costa Rica ete. südwärts bis Santa Marta, Bogota-coll. und West- Ecuador. 
ö. Nur durch weitere Ausdehnung der schwarzen Färbung im Mittelrücken von a) unter- 
schieden, 
oO. Scheitel viel heller und weniger lebhaft rostbraun als bei a). Flügeldecken schwarz- 
braun mit breiten, rahmgelben Spitzenflecken. 


e) T. cinereinucha Pelz. 

Ornith. Bras. II (1868), p. 145 [Barra do R. Negro; Serra Carauman am Rio Branco 
(Natterer)]. 

T. naevius (6) + T. ambiguus (9) Chapman & Riker, Auk. 1891, p. 23 (Santarem). 

Hab. Barra do Rio Negro und Serra Carauman am R. Branco (Natterer); Santarem am 
unteren Amazonas (Riker). 

ö. Hat wie a) und b) weiße Säume auf den Tertiären, unterscheidet sich aber durch 
kürzeren, schwächeren Schnabel, weißliche Bauchmitte und hellere, weißlichgraue Kehle. 

9. Scheitel lebhaft rostbraun, Rücken etwas mehr rötlichbraun als bei a). Von © 7. ambiguus 
meist nieht zu unterscheiden. 


d) T. albiventris Tacz. 
1884 T. naevius, albiventris Taez., Orn, P&rou II, p. 9 (Guajango, Nord-Peru). 
85 * 


660 


T. naevius Selater & Salvin, P. Z. 8. 1866, p. 185; 1873, p. 273 (Upper Ucayali, 
Nordost-Peru). i 

Hab. Nord-Peru: Guajango (Stolzmann); Upper Ucayali (Bartlett). Colombia: Bogotä-coll. 

Ich habe nun viele 6ö und O0 aus Bogotä-coll. untersucht, welche mit Taeczanowskis 
Beschreibung gut übereinstimmen. Vergleichung mit Stücken aus Nord-Peru ist aber sehr 
wünschenswert. 

ö. Unterscheidet sich von ce) mit dem er in der weißen Bauchmitte übereinstimmt, durch 
viel längeren und stärkeren Schnabel mit weißlicher Endhälfte der unteren Mandibel (statt ganz 
schwärzlich), weißliche Kehle, die undeutlich grau gespickt ist, rein weiße Unterschwanzdecken, 
die verwaschene, graue Querbinden zeigen u. s. w. 

oO. Von b) 9 durch viel hellere Unterseite verschieden. Kehle weißlich, Unterkörper blaß- 
rahmfarbig, nur die Vorderbrust mehr bräunlich, Scheitel blaßröstlichbraun wie bei b. 


e) T. ambiguus Sw. 


1826 T. naevius var. a? T. ambiguus Swainson, Zool. Journ, II, p. 91 (ö ad.) (Minas Geraös; 
Such coll.). 

1826 T. ferrugineus Swainson, l. ec. p. 92 (0) (Bahia). 

1826 T. naevius var. B? T. pileatus Swainson, 1. ce. p. 91 (Ö jr.). 

1855 Lanius alveolus Pucheran, Arch. Mus. Paris VII, p. 329 (& jr. — Typus in Paris 
untersucht). 


Hab. Waldiges Küstengebiet Ost-Brasiliens von Bahia bis $. Paulo (von letzterem Staate: 
Rincko ein 6 ad. im Mus. Berlepsch untersucht!). 

Die drei Swainson’schen Namen beziehen sich ohne jeden Zweifel auf diese Art. 7. pileatus 
ist offenbar auf ein ö juv. begründet (vgl. die Beschreibung der Schwanzfedern, die auf jedem 
Rande einen weißen Fleck tragen, ein Kennzeichen, das nur 7. ambiguus zukommt). 

ö. Von allen vorigen Formen dadurch unterschieden, daß alle Steuerfedern auf 
beiden Fahnen einen weißen Randfleck tragen, während bei jenen nur die Außen- 
fahne des äußersten Paares mit einem solchen versehen ist. 

©. Von a) nur durch etwas mehr rötlichbraunen Rücken verschieden. 


B. Tertiären beim 56 mit schiefergrauen Säumen. 


f) T.: caerulescens Vieill. 


Nouv. Diet. III (1816), p. 31i (6) (ex Azara no. 213 — Paraguay). 

T. auratus 1. c. p. 312 (9) (ex Azara no. 214). 

T. ventralis Selater, New Edinb. Philos. Journ. new ser. I (1855), p. 244 (South Brazil — 
Typus im Mus. Brit. vidi). 

T. ochrus Oberholser, Proc. biol. Soc. Wash. XIV (1901), p. 188 (Sapucay, Paraguay) (9). 

T. pileatus (nee Swainson) Burmeister, Syst. Übers. 3. II (1856), p. 95 (Lagoa Santa, 
Minas Gera6s). 

T. naevius (nee Gmelin) Pelzeln, Zur Ornith. Bras. II 1868, p. 76 (Ypanema, $. Paulo). 

T. caerulescens Ihering, Rev. Mus. Paul. III (1898), p. 237 (8. Paulo). 


Hab. Paraguay (Azara): Sapucay (Foster; Mus. Tring). Brazil, S. Paulo: Ypanema 
(Natterer; A. Robert in Mus. Tring), Victoria (Hempel; Mus. Tring). Minas Geraes: Lagoa 
Santa (Burmeister), S. Francisco, III (A. Robert leg.; Mus. Tring). 

Burmeisters Beschreibung stimmt sehr gut auf unsere Form, überdies lag mir ein von 
Robert in Minas gesammeltes ö ad. vor, das in jeder Hinsicht mit den Bälgen aus Paraguay 
und $. Paulo identisch ist. Oberholsers T. ochrus ist ohne jeden Zweifel das Q von T. caeru- 
leseens. Ich untersuchte im Tring-Museum eine Serie von 8 Vögeln aus Sapucay (Foster coll.) 
woher die Art beschrieben wurde. Mr. Oberholser hat wahrscheinlich ein © des T. albonotatus 
für T. caerulescens © gehalten und wurde auf diese Weise irregeführt, 


661 


Mir lagen vor: 
Mus. Tring Sapucay, Paraguay (Foster): 4 ö ad., 2 ö jr., 2 99 ad. 
n » 8. Franeisco, Minas (A. Robert): 1 ö ad. 
a » Ypanema, $. Paulo (A. Robert): 1 5 ad. 
e » Vietoria, 8. Paulo (Hempel): 2 ö, 2 0 
Vind. Ypanema, $. Paulo (Natterer): 6 ö ad., 3 o 
„ Brit. „Brazil“, Typus von T. ventralis Sel. ö ad. 

ö. Unterseite aschgrau, Bauchmitte weißlich, bisweilen mit graulicher Querwellung. Der 
weiße Fleck am Außenrande des äußersten Steuerfedernpaares länger als bei 7. albonotatus ete.: 
8—15 mm, der schwarze Zwischenraum gegen die Spitze: 5—8 mm. Tertiären schiefergrau 
gesäumt. 

Oo. Von den 00 aller vorigen Arten dadurch unterschieden, daß Bauch und Unter- 
schwanzdecken lebhaft hellrostgelb sind. Oberseite blaßgrünlicholivgrau, Oberkopf in 
ein helles, mattes Röstlich ziehend. Kehle und Brust blaßrahmbräunlich, erstere mehr weißlich. 
Flügeldecken tiefschwarz (nicht dunkelbraun) mit weißen Spitzensäumen. Tertiären ohne 
helle Säume. Schwanz schwärzlich. 

NB. Die 5ö von 8. Paulo unterscheiden sich nicht konstant von denen aus Paraguay, 
haben nur meist stärkeren Schnabel und entbehren der grauen Wellen in der weißlichen Bauch- 
mitte. Der Vogel aus Minas stimmt übrigens in diesen beiden Punkten mit letzteren überein. 

Der Typus von 7. ventralis Sel. gehört auch hieher. 

Die 00 aus $8. Paulo und Paraguay sind völlig gleich, erstere haben nur meist stärkeren 
Schnabel. 

g) T. gilvigaster Pelz. 
1868 T. naevius var. gilvigaster „Temm.“ Pelzeln, Ornith. Bras. p. 76 (Curitiba, Paranä). 
1882 T. caerulescens (nee Vieillot) White, P. Z. S., p. 614 (Corrientes, Misiones; speeim. in 

Mus. Tring und Brit. vidi). 

1837 T. maculatus (nee Such 1825) Lafr. & Orbigny, Mag. Zool. 1837, Syn. Av. p. 11 

(Corrientes; Mus. Paris spec. vidi.) 

1885 T. maculatus Berlepsch & Ihering, Zeitschr. ges. Ornith. II, p. 148 (Rio grande do Sul). 

ö. Von T. caerulescens durch rostgelbe Färbung von Bauch und Unterschwanzdecken, 
blaßrostgelbe (statt weiße) Unterflügeldecken und Innensäume der Schwingen, sowie kürzeren, 
weißen Randfleck auf dem äußersten Steuerfedernpaar (6— 9 mm, der darauffolgende schwarze 
Zwischenraum etwa so groß als bei jenem: 6—8 mm) unterschieden. 

9. Von T. caerulescens durch lebhaft rostbraunen Scheitel und die Ausdehnung der etwas 
dunkler ockerrostgelben Färbung von Bauch und Unterschwanzdecken über die Hinterbrust 
verschieden. Kehle trübgraugelblich, Vorderbrust blaßrahmbräunlich. Von 7. albonotatus 2 
unterschieden durch rahmbräunliche Vorderbrust und weniger braunen Rücken. 

Hab. Brazil, Parand: Curitiba (Natterer), Roca Nova, Serra do Mar, 930—1150 m 
(A. Robert, eine Serie in Tring). Santa Catharina: Laguna (Hjarup; Mus. Berlepsch). Rio 
grande do Sul: Taquara, Arroio Grande ete. (Ihering; Mus. Berlepsch). Uruguay: Santa Elena 
(Aplin leg.: Mus. Brit. vidi). Argentina: Corrientes (D’Orbigny), Santo Tome, (White; Mus. 
Tring vidi); Misiones: 8. Javier und Concepeion (White leg.; Mus. Tring et Brit. vidi). 

Die Vögel von Corrientes (D’Orbigny, Mus. Paris; und White leg. Mus. Tring), welche 
ich untersucht habe, stimmen mit denen von Paranä, $. Catharina und Misiones überein, haben 
nur etwas blasser rostgelben Bauch. Letztere hat Sclater (Cat. Birds XV, p. 200) fälschlich 
zu T. caerulescens gestellt. Ein ö von Santa Tome, Corrientes (White) hat fast kein Rostgelb 
am Bauch, aber den kurzen weißen Randfleck auf dem äußersten Steuerfedernpaar. 


h) Th. albonotatus Spix. 


Hab.: Hinterland von Rio de Janeiro: Petropolis (Young leg. Mus. Tring; ex Rey, Mus. 
H. v. Berlepsch), Cantagallo (Euler) u. s. w. Ob Oberholsers Angabe „Bahia“ richtig ist, 
seheint mir sehr zweifelhaft. Ich habe in Bahia-coll. stets nur 7’. ambiguus gefunden. 


662 


Für Unterschiede dieser Art siehe oben. 

Inwieweit die vorstehend behandelten Arten bloß subspezifisch zu trennen sind, vermag 
ich vorläufig nicht zu entscheiden. Größere Serien mit genauen Fundorten und Daten sind 
dazu erforderlich. 


Thamnophilus albonotatus Spix @ = T. ambiguus (Sw.) 9 Juv. 
Thamnophilus albonotatus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 27 (part. 0), tab. XXXVII, Fig. 2. 


Das Original, das sehr gut mit der Abbildung übereinstimmt — insbesondere auch die 
winzigen, kaum angedeuteten bräunlichrostgelben Spitzchen auf den Flügeldecken — befindet sich 
unter der Bezettelung: „Thamnophilus naevius O Brasilien. Spix“ in der Sammlung. Ohne Zweifel 
ist es ein junges Q von T. ambiguus und paßt sehr gut zu Bahia-Bälgen dieser Art. 


Myrmelastes melanoceps (Spix) 


Thamnophilüs melanoceps Spix, Av. Bras. II (1825), p. 28, tab. XXXIX, Fig. 1 (= 0 ad.) 
(„in sylvis Parae“). 

Thamnophilus corvinus J. Gould, P. Z. 8. 1855, p. 69 („River Ucayali in Peru“) (ö ad.). 

Myrmelastes nigerrimus Selater, P.Z.S. 1858, p. 275 („Upper Amazons — Bates) (= Ö ad.). 

Thamnophilus leuconotus (nee Spix!) Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV (1890), p. 188. 


Die Münchener Staatssammlung besitzt noch das Original, welches die Bezeichnung trägt: 
„Thamnophilus melanoceps Spix. Brasilien. Spix.“ Leider ist es in sehr schlechtem Zustande, 
der eine Flügel durch Mottenfraß fast vollständig zerstört. Nichtsdestoweniger unterliegt es 
keinem Zweifel, daß es sich um das Q jener Art handelt, deren ö von Sclater & Gould unter 
den oben angeführten Namen später bekannt gemacht wurde. Das Spix’sche Stück stimmt 
recht gut mit mehreren O0 vom peruanischen Amazonenstrom im Brit. Museum überein, mit 
denen ich es verglichen habe. 

Oberkopf, Nacken, Kopf- und Halsseiten sowie Kehle und Gurgel sind mattschwarz; 
Rücken, Flügel und Schwanz rostrotbraun, die Innenfahne der Schwingen dunkelbraun; Unter- 
seite heller, mehr rostgelbbraun, die Weichen und Unterschwanzdecken fast so dunkel wie der 
Rücken. — Zügel und Augengegend sind nackt und nur mit einzelnen, borstigen Federn 
bedeckt, ein charakteristisches Kennzeichen für alle Myrmelastes-Arten. 

a. 85, c. 72, tars. 291/,,.rostr. a basi :22!/, mm. 


M. melanoceps ist bisher nur vom oberen Amazonenstrom in Peru und Ecuador bekannt 
geworden und Spix’ Fundortsangabe „Pard“ erscheint darum sehr zweifelhaft. 


Thamnophilus leuconotus Spix — Pyriglena leuconota (Spix) 5 ad.! 


Myothera leuconota Spix, Av. Bras. II.(1824), p. 72, tab. LXXII, Fig. 2 (= O2 ad.) („Para“). 
Thamnophilus leuconotus Spix, 1. e. II (1825), p. 28, tab. XXXIX, Fig. 2 („in sylvis Parae“) 

Grozada)r 

Obwohl ich das Original von Th. leuconotus nicht mehr mit Sicherheit in der Münchener 
Sammlung festzustellen vermochte, ist es doch nicht im mindesten zweifelhaft, daß es sich 
um ein ö ad. der bei Parä vorkommenden Pyriglena-Art handelt, deren Q@ Spix im ersten 
Bande seines, Werkes (vgl. Seite 620 dieses Artikels) als Myothera leuconota beschrieben hat. 
Sclater und Salvin (P. Z. 8. 1873, p. 272) sprachen die Spix’sche Figur für das ö von 
Myrmelastes melanoceps an und seither ging letzterer unter der Bezeichnung M. leuconotus. 
Allein diese Deutung ist ganz und gar ausgeschlossen, wie ein Blick auf Abbildung und Be- 
schreibung lehrt. Spix sagt: „plumae frontis setosae, truncatae, usque ad nares ..... eXcUr- 
rentes“. Dies bezieht sich augenscheinlich auf die dichte, etwas steife Befiederung der Stirn 
und Zügelgegend bei Pyriglena, während diese Teile bei Myrmelastes melanoceps fast nackt 
erscheinen und nur einzelne, borstige Federn tragen. Das in der Abbildung dargestellte, weiße 
Nackenband kommt bei der Pyriglend, wenn man die Federn etwas aufhebt, tatsächlich zum 
Vorschein, während bei M. melanoceps & nur der Schulterrand weiß gefärbt ist, also von einem 


665 


Querband nie die Rede sein kann. Die Worte: „rostrum tenue, non altum“ endlich sind für 
Pyriglena entscheidend. Glücklicherweise wählte Spix für beide Geschlechter der Art dieselbe 
Speziesbezeichnung, was die Nomenklatur wesentlich vereinfacht. 


Thamnophilus griseus Spix 
Av. Bras. II (1825), p. 29. 
„ö“ tab. XLI, Fig. 1 = Formicivora grisea (Bodd.) ö. 
„Q“ tab. XL, Fig. 1 = Formicivora rufa (Wied) ö! 

Das erstere Stück unter der Bezeichnung: „Formicivora grisea Cab. Thamnophilus — 
Sp. ö Brasilien. Spix“ stimmt mit Cayenne- und R. Branco-Vögeln überein. 

Das letztere von Spix für das O seines 7%. griseus gehalten, unter der Bezeiehnung: „For- 
micivora rufatra D’Orb. Thamnophilus griseus Sp. © — & — Brasilien. Spix“ stimmt in der 
Färbung mit Bahia-Bälgen, also topotypischer F. rufa (Wied) überein, ist nur bedeutend größer. 
Der Flügel mißt 55 (statt 49—531/,), der Schwanz 67 (statt 53—58) mm! 


Thamnophilus striatus Spix = Hypocnemis cantator (Bodd.)? 


Formicarius cantatar (sie!) Boddaert, Tabl. Pl. en. (1783), p. 44 (ex Daubenton, tab. 700, Fig. 2 
„Le Carrilloneur, de Cayenne“). 
Thamnophilus striatus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 29, tab. XL, Fig. 2 (kein Fundort). 


Der Typus ist leider nicht mehr in der Sammlung; nichtsdestoweniger kann wohl kein 
Zweifel herrschen, daß es sich um Hypocnemis cantator Q und nicht um Formicivora striala 
auct. handelt. Dies geht aus folgenden Stellen der Beschreibung hervor: „tectrices alarum 
rufescentes, apice fulvo-guttatae*. (F. striata auet. © hat dagegen schwarze Flügeldecken 
mit scharf abgesetzten, weißen Spitzenflecken), „pectoris latera migricantia, fulvo 
maculata; subtus album, fulvo-nigroque subvariegatum (F. striata auct. © hat dagegen rostgelbe 
Kehle und Brust mit sehr deutlichen, schwärzlichen Schaftflecken); cauda breviuscula, brumneo- 
fusea, apice vix fulvo notata (!) (bei genannter Art ist der Schwanz dagegen sehr lang, schwarz, 
mit sehr breiten, weißen Enden, die weder in Spix’ Abbildung noch Beschreibung erwähnt 
sind!). Alle diese Punkte passen viel besser auf Hypocnemis cantator 9. Und in der Tat: bei 
einem Q© dieser Art im Münchener Museum (ex Natterer) ist auf der alten Museumsetikette als 
Synonym T. striatus Spix notiert. Vielleicht hatte der Schreiber derselben noch den Spix’schen 
Typus vergleichen können! 

Mr. Selater (Cat. Birds XV, p. 252, 285) führt Thamnophilus striatus unter der Syno- 
nymie von Hypocnemis cantator (p. 285) auf und verwendet ihn auch zur Benennung einer 
im südöstlichen Brasilien heimischen Formicivora-Spezies (p. 252)! 

Wie ich oben bewiesen, kann Spixens Beschreibung unmöglich auf letztere bezogen werden 
und schlage ich für dieselbe als neuen Namen vor 


Formicivora ochropyga n. nov. 


Formicivora striata (nee T’hamnophilus striatus Spix!) Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV (1890), 
p- 252. 
Als Typus lege ich Mus. Vindob. no. 15290 „ö“ ad. „Ypanema“, 8. Paulo — coll. 
Natterer — zu Grunde. 
Myrmotherula gularis (Spix) 
Thamnophilus gularis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 30, tab. XLI, Fig. 2 (ohne Fundort.) 


Nicht mehr in der Sammlung. Die Beschreibung ist aber hinlänglich gut, um M. gularis 
auct. darin erkennen zu lassen. 


664 


Hypocnemis myotherina (Spix) 
Thamnophilus myotherinus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 30 (part. „ö“), tab. XLII, Fig. 1 („ö“). 


Nicht mehr in der Sammlung, aber zweifellos die Art, auf welche die Beschreibung von 
späteren Autoren gedeutet worden ist. 

Das angebliche 9 (tab. XLII, Fig. 2) ist ein Ö ad. von Hypocnemis leucophrys (Tschudi). 
Leider befindet sich auch dieses Stück nicht mehr in der Sammlung. Auf das Genus Hypoc- 
nemis werde ich an anderer Stelle in einer größeren Arbeit, gemeinsam mit Graf Berlepsch 
verfaßt, ausführlich eingehen. 


Thamnophilus melanogaster Spix — Myrmotherula axillaris (Vieill.) 


Myrmothera axillaris Vieillot, Nouv. Diet. XII (1817), p. 113 („La Guyane“, sc. Cayenne). 
Thamnophilus melanogaster Spix, Av. Bras. II (1825), p. 31, tab. XLIII, Fig. 1 („in sylvis prope 
pagum Curupa, propugnaculum haud insigne ad flumen Amazonum“). 


Ein ö ad., das nach dem Museumskatalog von Spix gesammelt wurde, also zweifellos 
eines seiner Originale darstellt, befindet sich unter der Bezeichnung: „Formicivora azxillaris 
Men. Myiothera fuliginosa Ill. Brasilien 5“ in der Sammlung. Es stimmt sehr gut mit einem 
Vogel aus Cayenne, dem von Wallace am Capim-Fluß (Mus. Brit.) und einem von Steere in 
Bemfica bei Parä (Mus. Tring) gesammelten & ad. überein, hat nur, weil beschmutzt, etwas 
dunkler graue Oberseite. Die Weichen sind in großer Ausdehnung weiß, wie es Spix 
beschreibt: „hypochondria alaequae subtus albissima“. Bisher hatte man Spixens Namen für die 
ostbrasilianische Form (Bahia — S. Paulo) gebraucht, welche nunmehr eine andere Bezeichnung 
erhalten muß. Ich habe die Typen von M. luctuosa Pelz. im Wiener Museum untersucht 
und gefunden, daß die ö&ö5 zu M. melanogastra auet. (nee Spix), die sich von M. awillaris 
nur durch weniger ausgedehnte und mehr graulichweiße Weichen unterscheidet, die 00 hin- 
gegen zu M. urosticta. (Sel.) gehören. Da sich Pelzelns Name in erster Linie auf das männ- 
liche Geschlecht gründet, ist er ohne weiteres. anzunehmen. Vielleicht ist Formicivora brevi- 
cauda Sw. ex Bahia ein älterer Name. In Bahia kommen aber zwei ähnliche Myrmotherula- 
Arten vor: 1. M. wrostieta (Sel.) mit hellaschgrauem Gefieder und kurzem, auf der Gurgel 
endigenden, schwarzen Kehlfleck. Die Steuerfedern sind schwarz mit aschgrauen Außensäumen 
und langen, weißen Spitzen, die auf dem äußersten Paare 8—13 mm lang sind. 2. M. melano- 
gastra auct. (nee Spix) mit viel dunklerem, schiefergrauem Gefieder, weißlichen Bauchseiten 
und einem vom Kinn bis zur Bauchmitte reichenden, schwarzen Mittelstreifen, der an der Gurgel 
und Vorderbrust etwas verbreitert ist. Die Steuerfedern sind schwarz und tragen an der Spitze 
kleine weiße Flecken, die auf dem äußersten Paare etwa 3 mm lang sind. 

Swainsons Typus befindet sich, wie mir Herr Gadow mitteilte, nicht in der Sammlung 
des Museums in Cambridge. Auf welche der beiden obengenannten Arten sich nun seine Be- 
schreibung bezieht, ist bei der Unklarheit derselben nicht leieht zu sagen. Der Passus: „From 
the chin to the middle of the body runs a narrow stripe of black, which widens on the 
breast“ paßt nur auf M. melanogastra auct. (nee Spix), aber es ist merkwürdig, daß Swainson 
nicht der weißgrauen Bauchseiten erwähnt, die doch recht auffallend sind. Die Beschreibung 
des Schwanzes könnte mit gleichem Rechte auf jede der beiden gedeutet werden, und die Worte 
„tipt by white, particularly the outer pair“ sprechen für M. uwrosticta, auf welche auch die 
angegebene Schwanzlänge (1/10 inch.) eher paßt. Die Schnabellänge entspricht wieder besser 
der anderen Art. Nach alledem scheint es mir unmöglich, Swainson’s Name mit Sicherheit 
zu deuten, und ich ziehe die späteren, aber unzweifelhaften Bezeichnungen M. luctuosa Pelz., 
bezw. M. urosticta (Sel.) vor. 

Mr. Selater (Cat. Birds XV, p. 242) hat die Bezeichnung M. brevicauda für eine nur in 
8. 0. Brazil bei Rio vorkommende Art verwendet, was schon wegen des Fundortes (Swainson 
gibt Bahia an) ausgeschlossen ist. Übrigens entspricht Swainsons Kennzeichnung dieser Form 
absolut nicht: letztere hat kleinen, auf der Gurgel oval abgerundeten schwarzen Kehlfleck und 
ganz andere Schwanzzeichnung. Im Alter sind die Steuerfedern aschgrau mit schwarzen 


665 


Subapical- und weißen Apicalflecken, bei jüngeren Individuen sind sie einfarbig asch- 
grau oder bloß mit winzigen, schwärzlichen Pünktchen vor der Spitze versehen. Ein solches 
Stück hat Prof. Salvadori als M. minor beschrieben. Der liebenswürdige Autor sandte mir 
freundlichts den Typus, wofür ich ihm zu großem Danke verpflichtet bin. 


Die eben erwähnten Vögel mit einfarbigen Steuerfedern haben dieselben am Ende zuge- 
spitzt, während sie bei jenen mit schwarzem Subapical- und weißem Apicalbande deutlich 
abgerundet sind. Sonst fand ich zwischen ihnen keinen Unterschied. Das von mir in eng- 
lischen Museen untersuchte Material überzeugte mich von ihrer Identität. Mus. Cambridge 
(no. 1712a Strickland coll. ö Rio-präp.) besitzt graue, nur mit schmalen, weißen Spitzenrändern 
versehene Schwanzfedern, während das schwärzliche Subapicalband kaum angedeutet 
ist, bezw. auf einigen Federn ganz fehlt. Ein ö im Brit. Mus. (Selater coll. „Brazil.“ 
ex Verreaux — „Rio-make“) hat nur an dem äußersten Paare breiten, schwarzen 
Subapicalfleck und schmalen, weißen Spitzenrand, die übrigen Steuerfedern sind 
zugespitzt und einfarbig grau! 


Ich untersuchte eine schöne Serie von Öö dieser Art in den Mus. Turin, Berlepsch, 
Wien, Brüssel, Paris, London und Cambridge. Alle diese Stücke sind von typischer „Rio- 
Präparation“. 


Zum Schlusse gebe ich kurz die Synonymie dieser Arten. 


a) Myrmotherula awillaris axillaris (Vieill.) 


1817 Myrmothera axillaris Vieillot, Nouv. Diet. XII, p. 113 (Cayenne). 

1825 Thamnophilus melanogaster Spix, Av. Bras. II, p. 31, tab. XLIII, Fig. 1 („Curupa*). 

1837 Tamnophilus lafresnayanus D’Orbigny & Lafresnaye, Mag. Zool. el. II, Syn. Av. p. 13 
(Yuracares, Bolivia). 

1838 Formicivora lafresnayana D’Orbigny, Voy. Am. mer., Ois. p. 182, tab. 6, Fig. 1 (Cocha- 
bamba, Nord-Bolivia). 


Hab. Cayenne; Brit. Guiana; Venezuela: am Caura-Fluß; Trinidad; Amazonas inf.: Curupa 
(Spix), Capim-Fluß (Wallace), Santarem (Riker); Borba am Madeira (Natterer); Engenho do 
Gama, Villa Maria und $. Vicente in Mattogrosso (Natterer); Nord-Bolivia: Yuracares (D’Orbigny), 
S. Mateo (im Mus. H. v. Berlepsch). 


Ich untersuchte im Pariser Museum ein in der Galerie aufgestelltes Exemplar mit der 
Bezeichnung: „O, Yuracares, D’Orbigny, 1834, 112 bis. D. no. 420“, das mit der Beschreibung 
und Abbildung von T. lafresnayanus, der bisher nicht determiniert worden war, völlig über- 
einstimmt und zweifellos das Original der angezogenen Stelle ist. Es ist absolut identisch mit 
einer Anzahl von 09 der M. awillaris (Vieill.). 


Auf die geographische Variation der Art werde ich a. a. O. eingehen. 


b) Myrmotherula axillaris luctuosa Pelz. 


221826 Formicivora brevicauda Swainson, Zool. Journ. II, p. 148 („Catinga woods of Humildez, 
Interior of Bahia“). 

1831 Myiothera fuliginosa (nee Licht.) Wied, Beitr. 3. I, p. 1067. 

1835 Myrmothera awillaris Menetries, Mem. Ac. Petersb. (6). I, p. 478 (Rio de Janeiro). 

1856 Formicivora azxillaris Burmeister, Syst. Übers. 3. II, p. 76 (Rio de Janeiro). 

1868 Myrmotherula luctuosa Pelzeln, Zur Ornith. Bras. II, p. 82, 153 (part. 6) (Bahia) deser. orig. 

1868 M. melanogastra Pelzeln, 1. e. II, p. 81 (Rio de Janeiro). 

1873 Myrmotherula melanogastra (nee Spix) Selater & Salvin, Nomenel. Av. neotr. p. 72. 

1874 Myrmophila melanogastra Cabanis, Journ. f. Ornith. p. 86 (Cantagallo, Rio). 

1890 M. melanogastra Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV, p. 240. 

1902 M. melanogastra Ihering, Rev. Mus. Paul. V, p. 275 (S. Paulo). 


Hab.: Ost-Brazil von Pernambuco (Forbes) bis Rio de Janeiro und $. Paulo. 
Abh.d. II. Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. III. Abt. 86 


666 


ö von dem der M. axillaris axillaris nur durch die nicht reinweiße, sondern mehr graulich- 
weiße und weniger ausgedehnte helle Färbung der Weichen zu unterscheiden. 

o von M. awillaris axillaris Q sofort unterschieden durch olivgrauen (statt braunen) Rücken, 
fast reinaschgrauen Scheitel, viel blassere, mehr lehmgelbe Unterseite etc. etc. 


ce) Myrmotherula minor Salvad. 


1864 M. minor Salvadori, Atti Soe. ital. Sei. nat. VII, p. 157 („Brasile“). 
Myrmotherula brevicauda (non Swainson!) Selater, P. 2. 8. 1857, p. 131; 1858, p. 237; Selater, 
Cat. Amer. Birds 1862, p. 181; Sclater & Salvin, Nomenel. Av. neotr. 1873, p. 72; 
Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XV, 1890, p. 242. 
Myrmophila brevicauda Cabanis, J. f. Ornith. 1874, p. 86 (Cantagallo, Rio). 
Hab.: Südost-Brazil: Umgebung von Rio de Janeiro, Cantagallo (Euler); $S. Paulo (Mus. 
Tring etc.). 
d) Myrmotherula wrostieta (Sel.) 


??2 1826 Formicwora brevicauda Swainson, Zool. Journ. II, p. 148 (Bahia). 

1857 Formicivora wrostieta Selater, P. Z. 8. p. 150, tab. 126, Fig. 1 (E.-Brazil). 

1868 Myrmotherula luctuosa Pelzeln, Zur Ornith. Bras. II, p. 82, 153 (part.: 9) (Bahia). 
1891 M. urosticta Hartert, Cat. Senck. Mus. p. 111 (9: Bahia). 


Habitat: O. Brazil, bisher nur von Bahia bekannt. 


Das ö ist oben gekennzeichnet. 

Das O und Ö juv., bei Selater nicht beschrieben, wurden bereits von Hartert (l. c.) gekenn- 
zeichnet. Es unterscheidet sich von M. a. luctuosa Q durch kürzeren Schwanz (30—32 statt 
35—37 mm), reinaschgraue (statt olivgraue) Oberseite, das Vorhandensein weißlicher Spitzen- 
säume auf den Steuerfedern, die viel deutlicheren, weißlichen (statt olivgelbbräunlichen) Spitzen- 
fleeken auf den mittleren und großen Flügeldecken, kürzeren Schnabel und viel blassere Unter- 
seite: Kehle weißlich, Körperseiten aschgrau, Brust und Bauch rahmgelb (bei luctuosa die ganze 
Unterseite mit Ausnahme der weißlichen Kehle helllehmgelb). 


Pachyrhynchus variegatus Spix = Pachyrhynchus polychopterus (Vieill.)? 


Platyrhymchos polychopterus (sie!) Vieillot, Nouv. Diet. XXVII (1818), p. 10 („Nouvelle Hol- 
lande* — errore! wir substituieren Süd-Brasilien). 

Pachyrhynchus variegatus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 31, tab. XLIII, Fig. 2 (ohne Fund- 
ort) (& juv.). 

Spix’ Typus ist leider nicht mehr in der Sammlung; er scheint ein junges ö von P. poly- 
chropterus gewesen zu sein. Ebensogut könnte er aber auch auf das Jugendstadium von P. niger 
zurückzuführen sein. 

Pachyrhynchus cajanus 
Spix, Av. Bras. II (1825), p. 32, tab. XLIV, Fig. 1 („mas.“) [,in campis provineiae Piauhy“]. 

Die Münchener Sammlung besitzt von Spix’ Reise zwei männliche Exemplare. 

no. 1 mit der Aufschrift: „Tiyra semifasciata Vieill. — Pachyrkynchus — Sp. Brasilien. 
Spix.“ Es ist ein typisches Stück von Tityra cayana (Linn.) mit rötlicher Basishälfte des 
Schnabels und hat mit 7. semifasciata (Spix) auch gar’ nichts zu tun, stimmt vielmehr sehr 
gut zur Beschreibung und Abbildung des 5 von Pachyrhynchus cajanus bei Spix. 

no. 2 mit der Bezeichnung: „Tityra cayana Vieill. — Sp. 6 Brasilien. Spix*, gehört zu 
T. braziliensis (8w.) und besitzt nur sehr wenig dunkelrötliche Färbung an der Basis des Ober- 
schnabels. no. 2 scheint in Spix’ Werk keine Erwähnung gefunden zu haben. 


Ferner ist noch ein © mit der Bezeichnung: „Tityra cayana Sp. Brasilien. Spix“ erhalten, 
das der Kennzeichnung des © (p. 32): „eaput foeminae plumbescens, nigro-striatum“ sehr gut 


667 


entspricht. Es ist ein © von T. braziliensis (Sw.), wie sein schwarz und grau gestreifter 
Scheitel beweist.!) 

Der angegebene Fundort: „Piauhy“ bezieht sich wahrscheinlich auf das O, id est T. braziliensis. 

T. cayana (Linn.) und T. braziliensis (Sw.) scheinen an einzelnen Orten Brasiliens neben- 
einander vorzukommen, wie aus der von Natterer gesammelten Serie des Wiener Museums, die 
ich unlängst zu untersuchen Gelegenheit hatte, hervorgeht. Im Cat. Birds XIV, p. 328 ff. sind 
die Unterschiede der beiden Arten nur angedeutet, deshalb dürften nachstehende Bemerkungen 
nicht unerwünscht sein. 


a) Tityra cayana (Linn.) [ex Brisson — Cayenne]. 


ö. Die Basis beider Mandibeln ist in einer Ausdehnung von etwa 16—18 mm Länge 
rötlichgelb gefärbt, scharf abgesetzt gegen die (etwa 10—12 mm lange) schwarze Spitze. 
Das Wiener Museum besitzt sechs alte 66: 


1. Barcellos, Rio Negro, Aug. a 112, c. 70 mm 
2. Barcellos, „ „Sept. arl28,.c..78 „ 
3. Barra do Rio Negro, Juni . . .'a.150, ec 74 „ 
4. - Sept 3 2 27°. rate 
5. Bere, Bien Madeira, Jan. assalil2 0. Ze 
6. Retiro, Mattogrosso, 5. Okt. 1825 a 120,50.07401, 


no. 6 stimmt in jeder Hinsicht mit den Vögeln vom Rio Negro überein. 

o. Schnabelfärbung wie beim ö ad. 

Stirn, Scheitel und Kopfseiten einfarbig schwarz; Nacken, Mantel und Vorder- 
brust mit schmalen, schwarzen Längsstreifen; Kehle und Bauch einfarbig weiß, ohne Streifen. 

Das Wiener Museum besitzt fünf 99; 


1. Cayenne. 

2. Barra do Rio Negro, Aug. 

3. A ki » (ohne Datum). 
4. Para 


5. Forte de Rio Branco, Dez. 


no. 4 und 5 haben etwas schmäleren Schnabel, sind aber sonst durchaus nicht verschieden. 
Beim Parä-Vogel ist der schwarze Spitzenteil etwas kürzer, nur 10 mm lang. 


b) Tityra braziliensis (Sw.) 


Psaris braziliensis Swainson, Anim. Menag. 1838, p. 286 [„Northern Brazil“]. 
Tityra intermedia Cabanis & Heine, Mus. Hein. II (Okt. 1859), p. 81 [Para]. 

ö. Unterscheidet sich von T. cayana durch fast ganz schwarzen Schnabel, bloß die Kieferäste 
und die äußerste Basis der oberen Mandibel, etwa bis zu den Nasenlöchern, sind mattrötlich 
gefärbt. 

Das Wiener Museum besitzt 12 Öö von folgenden Orten: 


1—3. Bahia (coll. Helmreichen) . . . . ... a. 125—131, c. 76-82 mm 
4. 5. Ypanema, $. Paulo, Febr., Okt. . 2.1. 12:40 128, 280.7 49, 80,,,, 
6. Ytarare, S. Paulo, Febr. a. 129, e. 82 “ 

7. 8. Curytiba, Parana, Okt. . en a Anl ren .o. 7ö.1h = 
9. Irisanga, Nord-S. Paulo, März . el: eu ” 

10. Antonio Dias, Nord-S. Paulo, Nov. 1822 real. c. 80 B« 

11. 12. Engenho do Gama, Mattogrosso, Nu 826 2asılao, 120,  C. O0, SL 5 
13. Bernalcue, Paraguay (Mus. Monae.] a AO, E16 h 


no. 11 und 12 aus Mattogrosso stimmen völlig mit denen aus Bahia etc. überein, was 
um so bemerkenswerter ist, als auch ein ö T. cayana aus Mattogrosso vorliegt (siehe oben). 


1) Wir besitzen auch ein 2 von T. cayana ex coll. Spix, das indessen in Spix’ Werk nicht erwähnt ist. 
86* 


668 


9. Schnabelfärbung wie beim Ö, überdies von 7. cayana © verschieden durch folgende 
Abweichungen: 

1. der Oberkopf ist nicht einfärbig schwarz, sondern regelmäßig schwärzlich und 
trübweiß gestreift; 

2. der Rücken nicht rein aschgrau, sondern bräunlich überlaufen und mit breiten, 
schwarzbraunen Längsflecken bedeckt; 

3. Ohrgegend und übrige Kopfseiten schwärzlichbraun und weißlich längsgestreift ; 

4. Kehle und ganze Unterseite (mit Ausnahme der Analgegend und Unterschwanz- 
decken) schwarz längsgestreift. 

Das Wiener Museum besitzt folgende Exemplare: 


. Rio de Janeiro, Nov. 

. Ypanema, S. Paulo, Dez. 

. Curytiba, Parana, Okt. 

. 5. Engenho do Gama, Mattogrosso, Aug. 1826. 
. Barra do Rio Negro, 6. Juli 1833 (!). 

. Para (!). 

Cabanis & Heine (l. e.) beschrieben eine T. intermedia aus Parä nach einem einzigen O, 
das in der Scheitelfärbung mit dem © von T. braziliensis übereinstimmen, sich aber durch 
breiteren und etwas anders gefärbten Schnabel unterscheiden soll. Der schwarze Endteil der 
unteren Mandibel sei kürzer als bei 7. cayana, aber die Spitze selbst wieder hell 
gefärbt. 

no. 7 aus Parä sollte nun zu dieser Form gehören. Er stimmt in Scheitelfärbung und 
Schnabelbreite durchaus mit no. 1 ex Rio de Janeiro überein: bei beiden sind aber die 
beiden Enddrittel von Ober- und Unterschnabel schwärzlich, die Spitze also nicht 
hell gefärbt! 

Dagegen zeigen ein.o von Barra (no. 6) und ein o von Engenho do Gama (no. 5) eine 
der Angabe von Cabanis und Heine entsprechende Färbung des Unterschnabels, nämlich: die 
Kieferäste und das Spitzendrittel gelblichweiß, das mediane Drittel bloß schwärzlich. Von den- 
selben Fundorten liegen aber auch 00 mit normaler Schnabelfärbung vor. Somit kann ich 
darin kein Artkennzeichen erblieken und vereinige Tityra intermedia Cab. & Heine unbedenklich 
mit T. braziliensis. 


IOoPrPoD m 


Tityra semifasciata (Spix) 
Pachyrhynchus semifasciatus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 32, tab. XLIV, Fig. 2 [,in provineia 
Parä“]. 

Ein ö fere ad. mit der Aufschrift: „Tityra semifasciata Sp. & Brasilien. Spix“, das voll- 
kommen der Originalbeschreibung entspricht. 

Der Unterschnabel ist einfarbig gelb, an der Endhälfte nur unbedeutend mehr rötlichgelb, 
der Oberschnabel gelb, an der Spitze hornbraun. 

Zwei alte Öö von Parä und ein ö ad. von Manäos (coll. Natterer; Mus. Vindob.) haben 
gleichfalls gelben Unterschnabel (dessen Endhälfte bei dem Vogel aus Manäos gleichwie beim 
Spix’schen Typus dunkler, rötlichgelb erscheint) und schwärzliche Spitze der oberen Mandibel. 
Bei zwei Öö aus Mattogrosso erscheint die Endhälfte des Unterschnabels dunkelrot. 

Eine Serie von 15 Exemplaren aus Xalapa (Mexico), Managua (Nicaragua) und Nordwest- 
Eeuador unterscheidet sich konstant dadurch, daß die Endhälfte beider Mandibeln in einer Aus- 
dehnung von etwa 10 mm schwarz gefärbt und scharf abgesetzt ist gegen den blaßrötlichen 
Basisteil sowie durch entschieden helleren, weißlichgrauen (statt hellaschgrauen) Rücken. 


Diese Form muß T'. semifasciata personata Jard. & Selby 1827 (typus ex Real del Monte, 
Mexiko) heißen. 


Die Maße des Typus von T. semifasciata (Spix) sind: a. 116, c. 77, r. 27 mm. 


669 


Pachyrhynchus viridis cuvierii (Sw.) 


[Tityra viridis Vieillot, Nouv. Diet. III (1816), p. 348 (ex Azara no. 210 — Paraguay).] 
Psaris Cuvierü Swainson, Zool. Dlustr. I (1820/21), tab. XXXII („Brazil“). 
Pachyrhynchus cwvierii Spix, Av. Bras. II (1825), p. 33, tab. XLV, Fig. 2 („in Brasilia*). 


Zwei Öö ad. mit der Bezeichnung: „Tityra cuvieri Vieill. Pachyrhynchus — Sp. Brasilien. 
Spix“, welehe in Größe und Färbung mit Stücken aus Bahia übereinstimmen. Berlepsch (Zeitschr. 
ges. Ornith. II, 1885, p. 140) bemerkte bereits, daß Vögel von Blumenau und Rio grande do 
Sul bedeutend größere Dimensionen hätten als solche von Bahia und stellte auch einige Unter- 
schiede zwischen letzteren und einem ö aus Paraguay fest (J. f. Ornith. 1887, p. 14). Diese 
haben so lange Flügel wie die Bälge aus Rio grande do Sul und Santa Catharina. 

Ein ö ad. aus Paraguay, das ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, ist so viel größer 
als eine Serie aus Bahia, daß mir die Sonderung der letzteren als kleinere Subspezies vollauf 
berechtigt erscheint. 


ö ad. ex Paraguay mißt . re u. mm 
ö jr. ex Paraguay (Berlepsch . CU: 1,3422 10 0,65um 
@onausn Bahia .21..,- 2. 70—72, c. 55—57 mm. 


(Cf. Oberholser, Brael U. S. Mus. XXV (1902), p. 134.) 


Pachyrhynchus niger Spix 


Pachyrhynchus niger Spix, Av. Bras. II (1825), p. 33, tab. XLV, Fig. 1 (kein Fundort; wir 
ergänzen Rio Ica). 


Nicht mehr in der Sammlung. Spixens Beschreibung: „totum nigrum“ läßt es aber zweifellos 
erscheinen, daß es sich um die ober- und unterseits tiefschwarze Form handelt, welche ich 
bisher nur von Öst-Eeuador (Napo) und Nordost-Peru (Pebas, Nauta) gesehen habe. Vgl. meine 
Arbeit „On the birds of the island of Trinidad“ in Nov, Zool. 1906, p. 27. 


Pachyrhynchus cinerascens Spix —= Hadrostomus rufus (Vieill.) 


Tityra rufa Vieillot, Nouv. Diet. III (1816), p. 347 [ex Azara no. 208 — Paraguay — 0]. 
Tityra atricapilla id. l. ec. p. 347—348 (ex Azara no. 209 — © jr.). 
Pachyrhynchus cinerascens Spix, Av. Bras. I (1825), p. 34, tab. XLVI, Fig. 1 (obne Fundort) (ö jr.). 


Das Original zu Spixens Darstellung ist nicht mehr in der Sammlung. Nach Graf Berlepsch’s 
Bemerkung (J. f. Ornith. 1887, p. 13) scheint es, daß brasilianische Stücke von topotypischen 
Paraguay-Vögeln nicht verschieden sind. Da Tityra rufa Vieill. an erster Stelle steht, muß die 
bisher Hadrostomus atricapillus genannte Art H. rufus (Vieill.) heißen. 


Pachyrhynchus rufescens Spix — Pachyrhynchus rufus (Bodd.) 


Muscicapa rufa Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783), p. 27 (ex Daubenton, Pl. 453, Fig. 1: „Le Gobe- 
mouche roux, de Cayenne“ — O). 

Museicapa rufescens Brain) Syst. nat. 1. II (1788), p. 932 (basiert auf derselben Figur — Cayenne). 

Pipra cinerea Boddaert, 1. ec. (1783), p. 43 (ex Daubenton, tab. 687, Fig. 1: „Manakin cendre, 
de Cayenne* — Ö). 

Pipra atricapilla Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 1003 (basiert gleichfalls auf Daubenton, 
tab. 687, Fig. 1). 

Muscicapa eques Boddaert, 1. ec. p. 51 (ex Daubenton, Pl. enl. 831, Fig. 1: „Gobe-mouche roux 
& poitrine orangee* de Cayenne — = © sive Ö jr.). 

Muscicapa aurantia Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 932 (gleichfalls ex Daub. 831, Fig. 1). 

Pachyrhynchus rufescens Spix, Av. Bras. II (1825), p. 34, tab. XLVI, Fig. 2 (= 2) („in pro- 
vineia Parä“). 

Psaris parinus Kaup, P. Z. S. 1851, p. 48 (Parä). 

Pachyrhamphus cinereus Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XTV (1888), p. 341. 


670 


Das Spix’sche Original ist nicht mehr in der Sammlung; aller Wahrscheinlichkeit nach 
aber bezieht sich der Name P. rufescens auf das Q der bisher P. cinereus genannten Art. Dieses 
letztere hat in der Hauptsache weiße Unterseite, nur die Vorderbrust, die innersten Körperseiten 
sowie die Hosen sind hellzimtrötlich übertüncht; die Kehle ist mit einem leichten Anfluge der- 
selben Farbe überlaufen. Das © der ostbrasilianischen Art (P. aurantius apud Wied, rufus 
apud Sclater) ist auf der ganzen Unterseite gleichmäßig tief ockerrostgelb gefärbt; ferner ist die 
obere Schläfengegend und ein deutlicher Nackenring aschgrau, welche Teile bei P. cinereus 
auet. © stets zimtrot wie der Scheitel erscheinen. 

Ein Blick auf die Daubenton’schen Abbildungen (tab. 453, Fig. 1 und 831, Fig. 1) 
lehrt, daß die auf dieselben begründeten Namen nicht auf die südbrasilianische Art mit lebhaft 
ockerrostgelber Unterseite an werden können; denn beide Figuren zeigen deutlich die für 
das © von P. cinereus bezeichnenden Merkmale: weiße Unterseite und zimtroten Nacken ohne 
Grau. Tafel 453, Fig. 1 scheint ein altes, ausgefärbtes ©, Tafel 831, Fig. 1 ein jüngeres 5 
darzustellen. Auf alle Fälle muß für P. cinereus der in der Seitenzahl vorangehende Name 
M. rufa Bodd. in Anwendung kommen. 

Spix erwähnt weder in Abbildung noch Beschreibung eines grauen Nackenbandes und die 
Worte: „gula pectus femoraque rufescentia; abdomen, hypochondria erissumque ochraceo-alba“ 
passen auch besser auf die Cayenne-Form. Überdies sammelten Schulz, Natterer und Wallace 
bei Pard nur den P. cinereus auet., ein weiteres Faktum zu Gunsten meiner Deutung des 
Spix’schen Namens. 

Die bisher P. rufus genannte Art aus Öst-Brasilien muß heißen: 


Pachyrhynchus castaneus (Jard. & Selby) 


Tityra castaneus Jardine & Selby, Illustr. Orn. tab. 10, Fig. 2 (Febr. 1827)!) („America meridionali“). 
Museicapa aurantia (nee Gmelin) Wied, Beitr. 3. II (1831), p. 911 (Ost-Brazil). 
Pachyrhynchus ruficeps Swainson, Anim. Menag. (1838), p. 288 (Brazil). 

Pachyrhamphus rufus (errore!) Selater, Cat. Birds. XIV (1888), p. 343, et auct. 


INB. Die Jardine’sche Abbildung zeigt deutlich den grauen Nackenfleck und kann daher 
auf keine andere Art bezogen werden.] 


Ramphocelus nigrogularis (Spix) 


Tanagra nigrogularis Spix, Av. Bras, II (1825), p- 35, tab. XLVII (mas) („ad flumen Solimoens 
in sylvis pagi St. Pauli“). 


[Spix zitiert im Text auch eine Fig. 2 foem., die jedoch auf der Tafel XLVII nicht 
vorhanden ist. Es ist nur ein Vogel abgebildet — Ö adult] 

Ein Stück mit der Kafschrilhe .„Rhamphocelus nigrogularis. Sp. Brasilien. Spix“, stimmt 
mit der Beschreibung überein, unterscheidet sich aber von der Abbildung durch zusammengelegten 
Schwanz, während letztere einen Vogel mit ausgebreiteten Steuerfedern darstellt. Ein anderes 
Exemplar mit der Bezettelung: „Ahamphocelus nigrogularis Sp. 6 Brasilien“ paßt in der Haltung 
und dem ausgebreiteten Schwanz besser zu der bildlichen Darstellung Spixens und möchte viel- 
leicht das Original zu derselben sein. Jedenfalls ist über die Art kein Zweifel, denn die beiden 
Münchener Stücke sind mit einem von Natterer bei Borba gesammelten Exemplar völlig identisch. 


Piranga saira (Spix) 


Tanagra saira Spix, Av. Bras. II (1825), p. 35, tab. XLVIII, Fig. 1 („mas.“ — 9 ad.!) (ohne 
Fundort). 


no. 1. „Pyranga mississipensis L. Tanagra saira Sp. Q Brasilien. Spix.“ Dieses Stück paßt 
in Färbung und Stellung sehr gut zur Beschreibung bezw. Abbildung und ist zweifellos das Original 
derselben. Es ist ein Q ad. und stimmt im wesentlichen mit einem Q aus Süd-Brazil (Mus. 


ı) Cf. Sherborn, Ibis 1894, p. 326. 


671 


H. v. Berlepsch) überein, ist nur oberseits etwas mehr grünlich, der Oberkopf nicht hochgelb 
mit orangegelber Mischung auf Stirnrand und Brauengegend, sondern der Scheitel erscheint 
kaum verschieden von dem gelblichgrünen Rücken, bloß die Stirn ist reiner gelb; ferner ist 
beim Spix’schen Vogel die Unterseite etwas weniger lebhaft gelb. 

Spix’ Typus: a. 93, e. 80 mm. 

Mus. H. v. Berlepsch: © Süd-Brazil: a. 96, ec. 78 mm. 

Wir besitzen ferner ein nahezu ausgefärbtes & von P. saira, das die unverkennbare Prä- 
paration aller Spix’schen Vögel zur Schau trägt. Es ist fast ganz rot, nur auf der Bauchmitte 
und an der Hinterkehle stehen noch einzelne gelbe Federn; es trägt die Bezeichnung: „Pyranga 
mississipensis L. 6 Brasilien“. Spix scheint das Stück bei der Bearbeitung seiner Ausbeute 
übersehen zu haben; denn er beschreibt nur das 9, das er irrtümlich für das ö hält. Sein 
angebliches O0 wird wohl ein jüngeres Q gewesen sein, bei dem die Farben noch nicht so aus- 
gebildet waren. 

Orthogonys viridis (Spix) 


Tanagra viridis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 36, tab. XLVIII, Fig. 2 (mas.) („in Provineia Rio 
de Janeiro“). 


Die Sammlung besitzt noch das Spix’sche Original unter der Bezeichnung: „Tachyphonus 
viridis Sp. Orthogonys chlorictera Vieill. Brasilien. Spix“, von Siebolds Hand geschrieben. 

Selater stellte T. chloricterus Vieill. als Synonym zu Cyanicterus cyanicterus (Vieill.), was, 
wie ein Blick auf die Ursprungsbeschreibung zeigt, nicht richtig sein kann. Sie lautet: „Il est 
de la taille du tachyphone leucoptere. Tout son plumage est vert en-dessus, sur les ailes et la 
queue; d’un jaune safran fonc& sur toutes les parties inferieures, et sur le bord externe des 
pennes alaires et caudales; le bee est brun, et les tarse rougeätre. On le trouve au Bresil, 
d’ou il a et& apport@ par M. de Lalande fils.“ (Nouv. Diet. XXXII, 1819, p. 360.) Diese Be- 
schreibung kann sich nur auf Orthogonys viridis (Spix) oder auf Piranga saira (Spix) © beziehen, 
eine Frage, die durch Untersuchung des Typus im Pariser Museum entschieden werden muß. 
[Vgl. auch Pucheran, Arch. Mus. Paris VII, 1855, p. 378, der den Nachweis führt, daß das o 
von Lessons „Tachyphone & &paulettes bleues“ (Trait d’Orn. 1831, p. 463) auf Tachyphonus 
chlorycterus (sie!) Vieill. zurückzuführen sei.|!) 


Eucometis penicillata (Spix) 
Tanagra penicillata Spix, Av. Bras. II (1825), p. 36, tab. XLIX, Fig. 1 (ohne Fundort). 


Das Münchener Museum besitzt ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Tachyphonus penicillatus 
Sp. Brasilien. Spix, das sehr gut zu Beschreibung und Abbildung paßt. Es stimmt, wie schon 
Selater richtig erkannt hat, zu der Amazonasform, von der mir vier von Natterer bei Borba 
gesammelte alte Exemplare vorliegen. Bei allen sind die mittleren Scheitelfedern merklich ver- 
längert und an der Basis etwa zur Hälfte der Länge trübweiß gefärbt; Zügel und Kopfseiten 
sind reinaschgrau oder wenigstens nur ganz leicht bräunlich getrübt. Die Kehle ist weiß, kaum 
graulich getrübt. Sechs alte Vögel aus Mattogrosso, Goiaz und vom Rio Paranä (Natterer coll.) 
unterscheiden sich durch kürzere Scheitelfedern, welche keine Spur von Weiß zeigen und nicht 
so reingrau, sondern mehr oliv überwaschen sind; die Kopfseiten sind entschiedener hellbräunlich 
und die weiße Kehle hat einen leichten röstlichen Ton. Diese Form muß wohl E. p. albieollis 
(Lafr. & Orb.) heißen, vorausgesetzt, daß Bolivia-Stücke mit den Brasilianern identisch sind. 
Leider konnte ich aus Bolivia keine Exemplare untersuchen, doch paßt die Beschreibung im 
Mag. Zool. 1837, Syn. Av., p. 33 recht gut auf die von Natterer erbeuteten Vögel.?) 

Selbst junge Vögel (drei) von Borba unterscheiden sich bereits von einem Q juv. aus Sangrador, 
Mattogrosso durch die gelblichweißen Basen der Scheitelfedern, welche letzterem völlig fehlen. 


1) Seither habe ich den Typus von 7. chlorieterus Vieill. in Paris untersucht und seine Identität 
mit Orthogonys viridis konstatiert. Diese Art muß fortan somit Orthogonys chloricterus (Vieill.) heißen. 

2) Voriges Jahr untersuchte ich den im Pariser Museum aufbewahrten Typus von P. albicollis und 
fand ihn mit Stücken aus Mattogrosso völlig identisch. 


672 


Tachyphonus cristatus brunneus (Spix) 


[Tanagra eristata Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 898 (ex Brisson et Buffon — Cayenne)]. 

Tanagra brunnea Spix, Av. Bras. II (1825), p. 37, tab. XLIX, Fig. 2 „mas.“ (— Ö jurv.!) [,in 
provineia Rio de Janeiro*]. 

Tachyphonus cristatus brasiliensis Selater, Cat. Birds Brit. Mus. XI (1886), p. 211 (Brazil). 


Die Münchener Sammlung besitzt zwei Exemplare von Spix’ Reise: 


no. 1 ein junges ö im Übergang vom braunen Jugend- zum schwarzen Alterskleid, das 
ohne Zweifel das Original zu Abbildung und Beschreibung ist. Es ist in der Hauptsache noch 
hell olivenbraun gefärbt, nur auf der Stirn, den Seiten des Hinterkopfes, den Flügeldecken und 
im Mittelrücken zeigen sich bereits mattschwarze Federn und der Scheitel trägt einige, etwas 
verlängerte, orangerote Federn; der Flügelbug ist bereits weiß. 

no. 2 ein anscheinend altes O. 


Beide tragen die Bezeichnung von Siebolds Hand: „Tachyphonus cristatus Vieill.,, Tanagra 
brunnea Sp. Brasilien. Spix“, no. 2 noch den Vermerk: „o#. 

Vögel von Bahia und Rio de Janeiro unterscheiden sich im männlichen Geschlechte von 
solehen aus Bogotä-coll., Borba und Rio Negro durch blassere, rahmgelbliche (statt lebhaft 
ockergelbe) Färbung des Kehlflecks und des Hinterrückens und vollere, längere Schopffedern. 
Die Flügel sind bei Bahia-Vögeln durchschnittlich wohl ein wenig länger als beim typischen 
T. eristatus, während zwei 56 aus Rio viel kürzere Flügel besitzen. Ob aber die Größen- 
verhältnisse konstant sind, bleibe vorläufig dahingestellt, da die zwei Rio-Vögel nicht ganz 
ausgefärbt sind. Allerdings unterscheiden sich auch zwei 90 aus Rio durch erheblich kürzere 
Flügel von allen anderen aus Bahia, Bogotä, Borba ete. In der Färbung vermag ich zwischen 
den 9 9 aus verschiedenen Gegenden keinen Unterschied festzustellen. 


T. eristatus cristatus (Gm.)? 


86 ad. 

2 Borba . . a. 83, 86, ec. 74 mm 

1 Barcellos, Rio Negro a. 80, e. 73 mm 

3 Marabitanas ; RI ELBE ST: :e.6 9, 17Amm 

1 Engenho do Gama, Mattogrosso a. 83, c. 76 mm 

8 Bogotaä-coll. 5 . a. 78—85, c. 67—75 mm. 
2 

1 Borba Sm Telestar Asse.dolumm 

1 Engenho do Cams a Na re 0, mm: 


T. eristatus brumneus (Spix) 


9 öö ad. Bahia-coll. \ 76—83, e. 73—78 mm 
2 66 fere ad. Rio de Jaheıkt Dr e. 71—72 mm 
2 ao Bahia-coll. } 31/2, 75, e. 75, 77 mm 
3 009 Rio de Janeiro . : oe 70, e. 70—73 mm. 
Spix’ Name beruht auf einem Vogel aus Rio de Tanaiks und muß daher für die von 
Selater 1886. 7. c. brasiliensis genannte Form in Anwendung kommen. 


Sag; 


Tachyphonus rufiventer (Spix) 
Tanagra rufiventer Spix, Av. Bras. II (1825), p. 37, tab. L, Fig. 1 („in sylvis Parae“). 


Ein ö ad. in der Münchener Sammlung mit der Aufschrift: „Tachyphonus rufiventer Sp. 
Brasilien. Spix“, nicht verschieden von einem Vogel aus Nordost-Peru. Die Vaterlandsangabe 
Pard“ bedarf noch sehr der Bestätigung, da die Art nur vom oberen Amazonas bekannt 
ist und überhaupt seit Spix innerhalb der Grenzen Brasiliens nicht mehr festgestellt wurde. 
Vielleicht hat Spix diesen Vogel wie so manchen anderen (Myrmelastes melanoceps ete.) 


673 


in Pard erhalten, wohin sie durch Jäger vom oberen Amazonasgebiete gebracht worden sein 
mögen. Es ist eben auffallend, daß die Angabe Parä bei Arten, die nur vom oberen Amazonas 
bekannt sind, wiederkehrt. 


Myospiza aurifrons (Spix) 


Tanagra aurifrons Spix, Av. Bras. II (1825), p. 38, tab. 50, Fig. 2 („Habitat in provineia Bahia“). 
Coturniculus peruanus auct. (nec. Bonaparte!) !) 


Obwohl das Original zu T. aurifrons in der Münchener Sammlung nicht aufzufinden ist, 
kann es meines Erachtens keinem Zweifel unterliegen, daß es sich um ©, peruanus auet. handelt. 
Die freilich schlechte Abbildung läßt deutlich eine Myospiza erkennen. Nach dem Fundorte 
„Bahia“ denkt man zunächst an M. manimbe, allein ein genaueres Studium des Textes lehrt, 
daß nur M. peruana auct. gemeint sein kann. Es heißt dort nämlich: „striga a genis super 
oculos, maculaque infra oculos versus mentum aureis“. Dieser gelbe Fleck auf dem 
vorderen Teile der Backengegend ist eben eines der hauptsächliehsten Kennzeichen von M. peruana 
auct. Die Beschreibung der Oberseite: „caput dorsumque olivaceo-grisea, fusco strigilata* tut 
der bei M. manimbe vorhandenen rostbräunlichen Einfassung der dunklen Schaftstreifen keine 
Erwähnung, paßt also gleichfalls besser auf M. peruana auct. Man könnte, wie gesagt, die 
Fundortsangabe Bahia, woher wir bisher nur M. manimbe kennen, gegen meine Deutung ein- 
wenden, jedoch in Anbetracht der Unzuverlässigkeit des Autors in Bezug auf Lokalitäten und 
mit Rücksicht auf die nicht mißzudeutende Kennzeichnung liegt die Annahme einer irrtümlichen 
Heimatsangabe wohl recht nahe. Das angebliche © („in fronte, supra oculos et sub alis haud, 
vel vix aurea“) war augenscheinlich ein junger Vogel. 


Calospiza schrankii (Spix) 


Tanagra schrankü Spix, Av. Bras. Il (1825), p. 38, tab. LI, Fig. 1 (mas.), 2 (foem.) (ohne 
Fundort). 


Das ö ad., unter der Bezeichnung: „Tanagra schrankü Sp. Brasilien. Spix“, stimmt in der 
Färbung vollständig mit einem ö ad. von San Mateo. Nord-Bolivia (16. Juli 1891), G. Garlepp leg. 
no. 1087 überein, ist nur beträchtlich kleiner: Flügel 65 (statt 71!/2), Schwanz 46 (statt 483) mm. 
Der Schnabel dagegen ist etwas größer und stärker. 


Das O unter der Bezeichnung: „Tanagra schrankü, Sp. Callispiza — Sp. Brasilien. Spix“ 
unterscheidet sich vom ö durch den vollständigen Mangel des goldgelben Flecks auf dem Scheitel, 
welcher vielmehr gleich dem Hinterkopf schwärzlich gefärbt ist, mit breiten, grünlichgelben 
Spitzensäumen. Der Bürzel ist viel weniger goldgelb vermischt, und die Unterseite ist in der 
Hauptsache grün, bloß mit gelbem Anfluge auf Vorderhals und Brustmitte. Es mißt: a. 66, 
e. 40 mm. 

Trichothraupis melanops (Vieill.) 


Museicapa melanops \Vieillot, Nouv. Diet. XXI (1818), p. 452 [ex Azara no. 101 — Paraguay]. 

Tachyphonus quadricolor Vieillot, Nouv. Diet. XXXII (1819), p- 359 („Bresil“). 

Museicapa galeata Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823, p. 56 (S. Paulo). 

Tanagra auricapilla (nee Wied!) Spix, Av. Bras. II (1825), p. 39, tab. LII, Fig. 1 (ö), 2 (©) 
(„Rio de Janeiro“). 

Trichothraupis quadricolor auct. 


Die Sammlung besitzt nur noch das Original zu Fig. 1, ein ö ad. unter der Bezeichnung: 
„Tachyphonus 4-ceolor Vieill., Tanagra auricapilla Sp. Brasilien. Spie.“ 


!) Unlängst untersuchte ich im Pariser Museum den Typus von Coturmieulus peruanus Bonap., 
einen von Castelnau und Deville gesammelten alten Vogel, der die Nummer: 1846 no. 977 trägt. Es 
stellte sich heraus, daß das Exemplar aus Goiaz stammt und nicht aus Peru, wie Bonaparte anzunehmen 
schien (in der Originalbeschreibung ist als Fundort bloß: „ex Am. m. oce.“ angegeben), und völlig mit 
einer Serie von Myospiza manimbe übereinstimmt. Auch Bonaparte erwähnt “den gelben Backenstreif 
nicht in seiner Diagnose. CO. peruanus ist in Zukunft daher als Synonym von M. manimbe aufzuführen. 


Abh.d.IIl.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXI. Bd. III. Abt. 87 


674 


Der Spix’sche Typus aus Rio de Janeiro und ein Ö ad. aus Ypanema, 8. Paulo stimmen 
in Größe und Färbung völlig mit mehreren öÖ aus Bernaleue, Zentral-Paraguay überein. Da 
der auf Azaras Beschreibung begründete Name Vieillots um ein Jahr die Priorität hat, muß 
die Art in Zukunft T. melanops (Vieill.) heißen, wie bereits Berlepsch (J. f. Ornith. 1887, p. 115) 
ausgeführt hat. 

Mir liegen augenblicklich 13 öö ad. vor: 4 von Rio-Präparation; 1 ö ad. Petropolis, Rio 
(ex Mus. Young); 6 von verschiedenen Plätzen in 8. Paulo (Natterer, Hempel und Robert coll.); 
1 öad. Bernaleue, Paraguay stimmen untereinander gut überein. Der Scheitel ist glänzend gold- 
gelb, der Rücken düster olivgrün, die Unterseite lebhaft ocker rahmfarben, Kehle kaum blasser. 

Ein „ö“ ad. aus „Engenheiro Reeve, Espiritu Santo, 400 & 600 m, 18. Februar 1903“ 
(A. Robert leg.; Mus. Tring) weicht von obiger Serie ab durch entschieden hellere, zitronengelbe 
Scheitelmitte, wesentlich tiefer und ausgedehnteres Schwarz auf Stirn, Brauen, Zügel- und 
vorderer Ohrgegend (während bei jenen nur eine schmale Partie ums Auge und höchstens noch 
die Backengegend an den Kopfseiten mattschwarz ist), olivgrauen (kaum grünlich überlaufenen) 
Rücken und viel blasser rahmgelbliche Unterseite, nur die Unterschwanzdecken ein wenig dunkler. 
Falls die angegebenen Unterschiede konstant sind, was mir sehr wahrscheinlich scheint, muß diese 
Form T. m. auricapilla (Wied) heißen. Wied beschrieb sie aus Arrayal da Conquista im südlichen 
Bahia (Reise Bras. Il (1821), p. 212) sehr kenntlich. Wied war es also, der zuerst den Namen 
einführte, nicht Spix (1825!), wie im Cat. Birds XI, p. 220 unrichtig angegeben ist. 


Tanagra ruficollis Spix = Brachyspiza capensis (P. L. S. Müll.) 


Fringilla capensis P. L. 8. Müller, Natursyst. Suppl. (1776), p. 165 (ex Daubenton, tab. 386, 
Fig. 2 — „Cap de Bonne Esperance* — err., wir substituieren Cayenne). 

Emberiza pileata Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783), p. 23 (basiert auf derselben Abbildung). 

Fringilla matutina Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823, p. 25 („Brasil“). 

Tanagra ruficollis Spix, Av. Bras. Il (1825), p. 39, tab. LIII, Fig. 3 (mas.) („in confinibus 
urbis Rio de Janeiro*). 

Zonotrichia pileata auct. 


Die Sammlung besitzt ein altes Exemplar mit der Bezeichnung: „Zonotrichia matutina Lecht., 
Tanagra ruficollis Sp. Brasilien. Spix“, das in Färbung und Haltung durchaus mit Spixens 
Abbildung übereinstimmt. Es unterscheidet ‘sich in keiner Weise von einem ad. aus Cayenne 
und mehreren Stücken aus S. Paulo. 


Tanagra cristatella Spix = Corypbospingus pileatus (Wied) 


Fringilla pileata Wied, Reise Bras. IT (1821), p. 160 (bei Barra da Vareda am Rio Pardo, 
Süd-Bahia). 
Tanagra ceristatella Spix, Av. Bras. ir (1825), p. 40, tab. LI, Fig. 1 („in sylvis Rio de Janeiro“). 


Die Sammlung besitzt ein ö ad. mit der Bezeichnung: „Tachyphonus cristatellus Sp. Brasilien. 
Spix“, welches zur Beschreibung und Abbildung Spixens sehr gut paßt. Es stimmt mit einem 
ö ad. aus Bahia überein, hat nur wesentlich längere Flügel und weil in abgeriebenem Gefieder 
stehend, mehr bräunlichgraue, nicht so rein aschgraue Oberseite. 

ö ad. Bahia: a. 67, ce. 571/, mm. 

ö ad. ex Spix: a. 6915, c. 56 mm. 

-Ob die Fundortsangabe „Rio de Janeiro“ riehtig ist, erscheint höchst fraglich, Weder 
Euler noch Natterer trafen die Art dort an, welehe ein Bewohner der inneren Camposgebiete 
zu sein scheint. Soviel mir bekannt, ist sie in Brasilien nur bei Lagoa Santa und Curvelo, 
Minas Gera@s, von Lund und Reinhardt (Vid. Medd., Kjebenhavn 1870, p. 409) und bei ersterem 
Orte und dem nahen Oongonhas von Burmeister (Syst. Übers. 3. (1856), p. 214) angetroffen 
worden. Ferner kommt sie recht häufig in Bahia-Kollektionen in unsere Sammlungen. Azara 
beschreibt unter no. 114 einen anscheinend verwandten Vogel, der aber mit Rücksicht auf die 
Verbreitung wohl verschieden sein dürfte. 


675 


Bogotä-Stücke des C. pileatus weichen von denen aus Bahia durch etwas schlankeren und 
längeren Schnabel und in der Hauptsache weiße, nur an den Körperseiten trübgraulich über- 
laufene Unterseite ab, welche bei der typischen Form gleichmäßig hellaschgrau, nur in der 
Bauchmitte und auf den Unterschwanzdecken etwas heller, mehr weißlichgrau gefärbt ist. Sollten 
sich diese Unterschiede bei einer größeren Serie bestätigen, so müßten die nördlichen Vögel 
neu benannt werden. 

Tanagra graminea Spix 


Av. Bras. II (1825), p. 40, tab. LIII, Fig. 2 (ohne Fundort). 


Das Original befindet sich leider nicht mehr in der Münchener Sammlung. Ich vermag 
die Art nicht mit Sicherheit auszumachen. Mr. Selater hat sie auf das © der kleinen in Cayenne 
heimischen Calospiza (olim Oalliste)-Art zurückgeführt, welche er vordem (. virescens genannt 
hatte. Allein dies scheint mir unmöglich richtig zu sein. Schon die Größenangabe: „corpus 
Fringilla domestica paulo minus“ widerspricht dieser Deutung und die Abbildung stellt einen 
entschieden größeren Vogel mit viel stärkerem Schnabel dar, als ©. graminea besitzt. Auch die 
Färbung paßt durchaus nicht auf die genannte Art, welche stets bläulich überlaufenes Inter- 
seapulium und ebensolche Schwingensäume zeigt, wovon bei Spix keine Spur zu sehen ist; die 
Unterseite ist bei (©. virescens niemals gleichfarbig gelb, sondern grasgrün, höchstens auf der 
Bauchmitte in ein blasses Gelb ziehend. Endlich ist ©. virescens bisher noch nicht in Brasilien 
nachgewiesen; denn wenngleich Spix keinen Fundort angibt, darf man doch annehmen, daß der 
Vogel aus Brasilien stammte. Mir scheint es viel wahrscheinlicher, daß der Beschreibung ein 
junger Vogel von Calospiza schrankii zu Grunde lag. Diese zeigen wirklich ähnliche Färbung 
wie die Spix’sche Figur, unterscheiden sich aber doch durch gelb gemischten Bürzel, was dort 
nicht angedeutet ist. Auf alle Fälle ist der Name als ganz unsicher zu verwerfen und die 
kleine Calospiza-Art aus Cayenne als (©. virescens Sel. aufzuführen. 


Schistochlamys capistrata (Wied) 


Tanagra capistrata Wied, Reise Bras. Il (1821), p. 179 (Barra da Vareda, Süd-Bahia). 
T. capistrata Spix, Av. Bras. Il (1825), p. 41, tab. LIV, Fig. 1 („in sylvis Rio de Janeiro“ .) 
T. leucophaea Lichtenstein, Verz. Dubl.- 1823, p. 32 (Brasil). 

Ein alter Vogel mit der Bezettelung: „Tanagra leucophaea Leht. — capistrata Sp. Brasilien. 
Spie“, vollständig übereinstimmend mit einem Vogel aus Bahia, nur mit etwas kürzeren Flügeln 
und Schwanz; ferner erscheint die Oberseite etwas schmutziger grau. 

Saltator ruficapillus Vieillot (Nouv. Diet. XIV, p. 108 (1817)) [ex „L’Amerique meridionale“] 
kann unmöglich auf vorstehende Art bezogen werden trotz der Versicherung Pucherans (Arch. 
Mus. Paris VII, 1855, p. 355), wenn nicht die Beschreibung ganz fehlerhaft ist. Bei unserer 
Art ist „le ventre“ gewiß nicht „noir, un peu teinte de roussätre“, sondern graulichweiß. 
Übrigens widerspricht die Angabe Vieillots in Tabl. enc. meth., p. 793: „gutture, jugulo eaudaque 
caeruleseente griseis* der Kennzeichnung im Nouv. Diet., wo „les parties inf&rieures, depuis le 
bee jusqu’a la queue“ als „roussätres“ bezeichnet sind. Was ist nun das Richtige? Sollte statt 
„ventre“ vielleicht menton zu lesen sein? Ohne Untersuchung des Typus, der sich im Pariser 
Museum befinden soll, wird die Art nicht zu deuten sein. 


Tanagra axillaris Spix = Diucopis fasciata (Leht.) 
Tanagra fasciata Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823, p. 32 („San Paulo“). 
Tanagra azxillaris Spix, Av. Bras. II (1825), p. 41, tab. LIV, Fig. 2 (mas.) (kein Fundort). 


Spixens Abbildung und Beschreibung bezieht sich offenbar auf ein Ö jr. von Diucopis 
fasciata (Leht.). Das Original ist nicht mehr in der Münchener Sammlung. 


Tanagra coelestis Spix 


umfaßt zwei verschiedene Formen. Das angebliche ö gehört zu T. coelestis auct., das sogenannte © 
zu T. episcopus Linn. 


87* 


676 
Die Synonymie ist demnach folgendermaßen: 


Tanagra episcopus coelestis Spix 


Tanagra coelestis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 42 (part. ö), tab. LV, Fig. 2 („mas“) [,„ad flum. 
Solimoöns prope pagum Fonteboa“]. 


no. 1. Ein ziemlich ausgefärbter Vogel mit der Bezeichnung: „Tanagra coelestis Sp. Brasilien. 
Spix“, entspricht völlig der Beschreibung des Ö und der Abbildung bei Spix und ist wohl sicher 
das Original dazu. Es besitzt weit ausgedehnten, fast weißen Schulterfleck und weiße Spitzen- 
flecken auf den großen Flügeldecken, was beides in der angezogenen Figur deutlich erkennbar 
ist. Vögel aus Archidona und Nordost-Peru, die ich verglich, gehören entschieden zu derselben 
Form wie das Spix’sche Stück. Ohne Zweikel bezieht sich auf dieses Exemplar der Fundort 
„Fonteboa“, woher auch Graf Berlepsch einen Vogel durch den Sammler G. Garlepp erhielt. 

no. 1. Coll. Spix, Type von Tanagra coelestis Spix (6): a. 90, e. 68 mm. [Schnabel 
beschädigt. 


Tanagra coelestis Spix © = Tanagra episcopus episcopus Linn. 


Tanagra episcopus Linnaeus, Syst. nat. XII. 1 (1766), p. 316 [ex „L’evesque“ Brissons — „Bresil*]. 
Tanagra coelestis (nee Spix) Spix, Av. Bras. II (1825), p. 42 (part. 0) [„Para*]. 


no. 2. „Tanagra (Thraupis) coelestis Sp. Brasilien. Spix“ ist zweifellos das angebliche © 
der T. coelestis Spix und verglichen mit dem „ö“ zeigt es in der Tat die von Spix hervor- 
gehobenen Unterschiede: „minor, capite abdomineque magis canescentibus, teetrieibus humeri 
minus albis caerulescentique albicantibus.“ 

Der Schulterfleck ist einfarbig blaßbläulich, die Flügeldecken zeigen keine Spur der für 
T. coelestis bezeichnenden weißen Spitzen oder Säume. Zwei von Natterer und Steere bei Parä 
gesammelte Vögel stimmen mit no. 2 in der Färbung der Flügel etc. vollständig überein und 
wir können wohl daraus schließen, daß auch no. 2 von Parä stammt, da Spix diesen Fundort 
bei 7. coelestis an zweiter Stelle nennt. 

[Zwischen T. episcopus und T. coelestis findet ein solch allmählicher Übergang statt, daß 
man sie nur subspezifisch trennen kann. 

Vögel von Parä stimmen in der hellweißlichblauen Schulterfärbung und dem Mangel weiber 
Abzeichen auf den Flügeldecken völlig mit topotypischer T. episcopus aus Cayenne und Surinam 
überein. Die von Natterer bei Borba am Unterlauf des Rio Madeira und bei Barcellos und Mar- 
bitanas am oberen Rio Negro gesammelten Exemplare haben entschieden hellere, mehr weißliche 
Schulter mit nur ganz schwacher, bläulicher Beimischung; einzelne zeigen auf den großen Flügel- 
decken bereits Spuren weißer Außen- und Spitzensäume, vermitteln also den Übergang zu T. e. 
coelestis. Das Spix’sche Original von Fonteboa hat noch weiter ausgedehnten weißen Schulterfleck 
mit schwachem, bläulichen Tone und auf den großen Flügeldecken deutliche, weiße Außenränder. 
Alle die besprochenen Stücke sind unterseits bläulich überlaufen. Ein altes 5& aus Marcapata, 
Südost-Peru, im Wiener Museum unterscheidet sich von T. e. coelestis durch größere Dimensionen, 
noch weiter ausgedehnte, reinweiße Färbung auf den Schultern und breitere, weiße Säume auf 
den Flügeldecken, welche an der Spitze einen deutlichen Fleck bilden, so daß ein nettes, helles 
Querband entsteht; die Unterseite ist entschieden grünliehblau überlaufen. Dies ist 7. e. maior 
Berl. & Stolzm. 1896.] 


Tanagra ornata Sparrm. 


Tanagra ornata Sparrman, Mus. Carlson. (1789), tab. 95 ‘(„in India Orientali€ — wir ergänzen 
Süd-Brazil). 
Tanagra archiepiscopus Desmarest, Hist. nat. Tangaras ete. (1805), tab. 17, 18 („du Peron, par 
Dombey* — Mus. Paris). 
Tanagra archiepiscopus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 42, tab. LV, Fig. 1 (mas.) („io de Janeiro*). 
Das Spix’sche Stück befindet sich mit der Bezeichnung: „T. archiepiscopus Desm. Brasilien. 
Spiz“ in der Münchener Sammlung. | 


677 


Tanagra rubricollis Spix — Lamprotes loricatus (Leht.) 


„Jacapu“ Marcgrave, Hist. nat. Bras., p. 102 (ö jr.). 

Tanagra loricata Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 31 (part.: „ö* = 0) („Brasil“). 

Tanagra rubricollis Spix, Av. Bras. II (1825). p. 43 („in sylvis campestribus Bahiam inter et 
Rio de Janeiro“) (& jr.). 

Tanagra rubrigularis id., 1. e. tab. LVI, Fig. 1 („foem.* — ö jr.). 

Tanagra bonariensis ats Gmelin!) Nil Reise Bras. IT (1821), p. 178 und Beitr. Naturg. 3. I 
(1830), p. 530 („im Sertong der Provinz Bahia bei Ressaque an den Grenzen der 
Campos Geraös*). 

Ein ö jr., vollständig mit Beschreibung und Abbildung bei Spix übereinstimmend, in der 
Sammlung unter der Aufschrift: „Lamprotes loricatus Licht., Tanagra rubrigularis Sp. 5 juv. 
Brasilien. Spie.“ 

Die Tafel 381 Daubentons, welche Spix zu seinem Vogel zitiert, gehört natürlich nicht 
hieher, sondern stellt Querula purpurata (Müll.) (= eruenta auet.) dar. 


Saltator atricollis Vieill. 


Nouy. Diet. XIV (1817), p. 104 (ex Azara no. 82 — Paraguay). 

Saltator validus Vieillot, 1. c. p. 106 (ex Azara no. 84). 

Tamagra atricollis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 43, tab. LVI, Fig. 2 („foem.“) („Minas Geraös*). 
Tanagra jugularis Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 31 („San Paulo“). 


Das Spix’sche Original befindet sich noch in der Sammlung und trägt die Bezeichnung: 
„Saltator atricollis Sp. Brasilien. Spix.“ Dieses sowie ein anderes Stück aus Bahia-coll. stimmen 
in Größe und Färbung vollständig mit einer Serie topotypischer Paraguay-Vögel überein, haben 
nur ein wenig größeren und stärkeren Schnabel, und die helle Färbung in der Bauchmitte scheint 
nicht so scharf abgesetzt; diese Unterschiede sind aber gewiß nur individueller Natur. $. atricollis 
scheint ein ausschließlicher Camposbewohner zu sein. Natterer sammelte ihn in den Campos bei 
Irisanga und Goiaz im Staate Goiaz und bei Cuyabä in Matiogrosso; H. H. Smith bei Chapada 
in letzterem Staate; Burmeister bei Sete Lagoas, Reinhardt und Lund bei Lagoa Santa in Minas 
Geraös und im Innern von San Paulo. In dem eigentlichen (waldigen) Küstengebiet fehlt die 
Art offenbar gänzlich. 


Tanagra superciliaris Spix — Saltator caerulescens caerulescens Vieill. 


Saltator caerulescens Vieillot, Nouv. Diet. XIV (1817), p. 105 [ex Azara no. 831 — Paraguay]. 

Tanagra superciliaris Spix, Av. Bras. II (1825), p. 44, tab. LVII, Fig.1 („in campis fl. St. Franeisei 
prope pagum Joazeiro*). 

Saltator fulviventris Lawrence, Ann. Lye. N. Y. VIII (1864), p. 41 (Paraguay) [= juv.!]. 

Ein jüngerer Vogel mit der Bezeichnung: „Saltator superciliaris Sp. Brasilien. Spix“, der 
sehr gut der Originalbeschreibung entspricht. 

Zum Vergleich lagen mir drei Vögel aus Paraguay (—= topotypischer 8. caerulescens) und 
acht von Natterer in Mattogrosso gesammelte Bälge vor. Die Serie repräsentiert ohne Zweifel 
eine einzige Form und ich vermag keine Unterschiede zwischen den Exemplaren aus Paraguay 
und denen aus Brazil festzustellen. Das Spix’sche Stück ist noch nicht völlig ausgefärbt und 
zeigt als Reste des Jugendkleides auf der hellgraulichen Brust verloschene, wasserzeichenartige, 
dunkle Flecken und hell olivgelblichgrüne Säume auf einigen Armschwingen. Im übrigen stimmt 
es in jeder Hinsicht mit einem alten Vogel aus Paraguay (Bohls leg.) im Mus. H. v. Berlepsch 
überein. Bei beiden sind nur der Bauch und die Unterschwanzdecken hell rahmrostgelb gefärbt, 
während die Brust hell aschgraulich erscheint. Dies entspricht nicht der Angabe Mr. Selaters 
(Cat. Birds XI, p. 290) für S. caerulescens: „lower belly and erissum strongly suffused with fulvous.* 
Zwei andere Vögel aus Paraguay haben in der Tat viel lebhafter gefärbte Unterseite: die Kehle 
ist ockergelb (statt weiß wie bei den eben besprochenen Stücken), der ganze übrige Unterkörper 


678 


viel dunkler ockerrostgelb überlaufen, nur auf dem Vorderhalse kommt die schmutziggraue Unterlage 
etwas zum Vorschein. Diese Stücke, welehe der Beschreibung von $. caerulescens bei Selater 
sehr gut entsprechen, stellen gewiß nichts anderes als das frisch vermauserte Kleid der 
oben gekennzeichneten, blassen Färbungsphase dar. Ein solcher Vogel ist es augenscheinlich 
auch, in dem Salvadori (Bollet. Mus. Zool. Torino XII, no. 292 (1897), p. 7) den $. fulviventris 
Lawr. zu erkennen glaubte. Der Typus letzterer Art ist aber ohne jeden Zweifel ein sehr 
junger Vogel von S. c. caerulescens, wie mich die genauen Aufzeichnungen Graf Berlepschs über 
denselben lehren! 

Endlich sei noch bemerkt, daß mir auch von Cuyabä beide Färbungsphasen vorliegen, 
somit kann über ihre spezifische Identität kein Zweifel herrschen. 

S. caerulescens ist bisher nur aus dem nördlichen Argentinien, Paraguay und Mattogrosso 
|Natterer (Pelzeln, Orn. Bras., p. 219, s. n. $. azarae) und Borelli (Salvadori, Boll. Torino XV, 
no. 378 (1900), p. 4] bekannt. Spix’ Fundortsangabe „Joazeiro“ im nördlichen Teile des Staates 
Bahia erscheint daher etwas zweifelhaft und bedarf noch der Bestätigung. 

Vögel von Nordost- und Zentral-Peru weichen hingegen sehr bedeutend von obiger Serie 
ab und müssen als eine besondere Form betrachtet werden. Sie kennzeichnen sich sofort durch 
viel dunklere, schieferblaugraue Färbung der Oberseite, Flügeldecken, Außenfahne der Schwingen 
sowie der Schwanzfedern (bei $. c. caerulescens erscheinen alle diese Teile hell olivgrau), rein 
schiefergraue (nicht olivgraue) Kopfseiten, tiefer schwarzen Bartstreifen und viel dunklere, mehr 
schiefergrauliche Brust. Das Museum H. v. Berlepsch besitzt 60 vom peruanischen Amazonen- 
strom (Iquitos und Samiria) und ein Ö ad. von La Merced, Chanchamayo, in Zentral-Peru, welche 
in den oben angegebenen Charakteren übereinstimmen. Diese Form hat den Namen S$. caerulescens 
azarae D’Orb. (typus ex Bolivia) zu führen. Ich habe D’Orbignys Typen im Pariser Museum 
untersucht und fand sie mit Stücken aus Peru übereinstimmend. 

Bei Par& und auf der Insel Mexiana an der Mündung des Amazonenstromes kommt eine 
weitere, nahe verwandte Form vor, die ganz wie S. c. azarae gefärbt ist, sich aber unschwer 
durch viel blassere, rahmgelbe (statt ockerrostgelbe) Färbung von Analgegend und Unterschwanz- 
decken unterscheidet. Dies ist $. caerulescens mutus Sel. (Typen im Brit. Mus. untersucht). 

Nachstehende Maßtabelle zeigt, daß die behandelten Formen keine nennenswerten Unter- 
schiede in den Größenverhältnissen aufweisen. 


S. c. caerulescens Vieill. 


Mus. Monae. „ö“ jr. Joazeiro, Bahia, 

Typus von T. supereiliaris Spix 

„ 2 „QQ“ Paraguay, Bernaleue . 

„ HH. v. Berlepsch „ö“ Paraguay 
„  Vindob. 2 09 Cuyabäa 
n 366 Cuyaba 
» „ ö Mattogrosso 


. 1051%, c. 103 mm 

. 104, 106, e. 103, 102 mm 
104, e. 99 mm 

105, 1101, e. 102, 105 mm 
105—1091, ce. 98—100 mm 
113, ec. 104 mm. 


S 
BePPpe 


S. c. azarae D’Orb. 


Mus. H. v. Berlepsch „ö“ Iquitos, Nordost-Peru . a. 105, c. 95 mm 
er en „Q* Samiria 5 am 10S,1C. 92 En 
4 e „Ö* La Merced, Zentral, Em a..107,.,0:,.96 


Tanagra psittacina Spix = Pitylus fuliginosus (Daud.) - 
Loxia fuliginosa Daudin, Traite d’Orn. II (1800), p. 372 („Amerique“ — Mus. d’hist. nat. Paris). 
Tanagra psittacina Spix, Av. Bras. II. (1825),-p. 44, tab. LVII, Fig. 2 („in sylvis Rio de Janeiro 
proximis“). 
Nicht mehr in der Sammlung. Spixens Kennzeichnung läßt aber keinen Zweifel, daß es 
sich um obige Art handelt. 


Fe ur WERE 


679 


Loxia nasuta Spix = Oryzoborus angolensis (Linn.) 


Lozxia angolensis Linnaeus, Syst. nat. ed. 12 (1766), 1. I, p. 303 (ex Edwards — „Angola“ err., 
wir substituieren Surinam). 

Loxia torrida Seopoli, Ann. I, p. 140 (1769). 

Loxia nasuta Spix, Av. Bras. II (1825), p. 45, tab. LVIII, Fig. 1 (ö), 2 (0) („in confinibus Parae“). 


Die Sammlung besitzt nur mehr ein Q unter der Bezeichnung: „Oryzoborus torridus Gm., 
Loxia nasuta Sp. © Brasilien. Spixe.“ Vögel von Parä sind in keiner Weise verschieden von 
solchen aus Cayenne, Guiana und Bahia. 


Loxia leucopterygia Spix = Sporophila americana (Gm.) 


Lozxia americana Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 863 (ex „Black-breasted Grosbeak“, Latham, 
Gen. Syn. Birds 2. I, p. 148 — „Amerika“ — wir ergänzen Cayenne). 
Loxia leucopterygia Spix, Av. Bras. II (1825), p. 45, tab. LVIII, Fig. 3 („in vieinitate Parae“). 


Ein ö fere ad. in- der Sammlung mit der Bezettelung: „Spermophila leucopterygia Sp. 
Brasilien. Spiw.*“ Es stimmt im großen und ganzen mit einem & ad. aus Cayenne (Museum 
H. v. Berlepsch) überein, unterscheidet sich aber durch ganz gelben (statt schwarzen) Schnabel. 
Da es noch einige Reste des Jugendkleides zeigt (schmale, hellbräunliche Ränder auf den Flügel- 
decken und Schwingen und einen leichten, gelblichen Anflug auf dem Bürzel), mag die Schnabel- 
färbung auch darin ihren Grund haben. Ein ö aus Parä& im Mus. Vindob. hat dagegen schwarzen 
Schnabel gleich allen übrigen, von mir untersuchten Vögeln aus Cayenne, Britisch-Guiana und 
Tobago. Der weiße Flügelspiegel und das schwarze Kropfband sind beim Spix’schen Typus sehr 
gut entwickelt. 

Bezüglich des Namens dieser Art vgl. Verhandl. zool.-bot. Ges. Wien, 1904, p. 531. 


Sporophila albogularis (Spix) 


Lozxia albogularıs Spix, Av. Bras. II (1825), p. 46, tab. LX, Fig. 1 (6), 2 (9) (kein Fundort — 
wir ergänzen Bahia). 


Die Sammlung besitzt bloß zwei Ööö mit der Bezeichnung: „Spermophila albogularis Sp. 
Brasilien. Spix“, die sehr gut mit Spixens Darstellung in Wort und Bild übereinstimmen. 

Die Art ist bisher nur aus Bahia bekannt und scheint in Sammlungen noch ziemlich 
selten zu sein. Trotzdem konnte ich außer den beiden Spix’schen Originalen eine schöne Serie 
von 966 der Museen H. v. Berlepsch und Vindob. untersuchen, die alle in den bekannten 
Bahia-Kollektionen gefunden wurden und in keiner Hinsicht von den Typen abweichen. Letztere 
sind in abgeriebenem Kleide, daher erscheint die Oberseite trüber, braungrau (nicht rein hell- 
aschgrau), die grauen Flügel- und Schwanzsäume sind fast abgestoßen und der helle Supra- 
loralstreif ist kaum angedeutet. 

Das 9 scheint seit Spix nicht mehr beschrieben worden zu sein. Leider ist das Original 
nieht mehr in der Sammlung, Graf Berlepsch besitzt jedoch ein © ex Bahia, das unbedingt zur 
vorstehenden Spezies gehört. Es ist folgendermaßen gefärbt: die Oberseite ist blaß erdbraun, 
hie und da, besonders auf dem Scheitel und Rücken, mit frischen, hell olivbräunlichen Federn 
vermischt; Bürzel und Oberschwanzdecken blaß graubraun. Kleine Flügeldecken blaß erdbraun, 
die übrigen sowie die Schwingen dunkelbraun mit hell rahmbräunlichen Spitzen bezw. Außen- 
säumen. Steuerfedern dunkelbraun, außen schmal hellbräunlich gerandet. Zügel und Augen- 
gegend hell gelbbräunlich, Ohrgegend hellbraun. Unterseite weißlich, Bartgegend, Vorderhals und 
Körperseiten sehr blaßbräunlich überlaufen. Achselfedern weiß. Kein Flügelspiegel. Schwingen 
innen weißlich gerandet. Schnabel hornbraun mit leichtem, rötlichen Tone. A. 55, e. 431], 
eulm. 10!/; mm. 

Ein zweites Q des Mus. H. v. Berlepsch stimmt in der Schnabelgestalt völlig überein, ist 
aber, weil in sebr frischem Kleide, überall lebhafter gefärbt. Die Oberseite sowie die Spitzen 
und Säume von Flügeldecken und Schwingen sind warm hellbraun, Halsseiten, Bartgegend, 


680 


Vorderhals und Körperseiten hellbraun mit leichter, sandgelber Beimischung, Kehle und Mitte 
des Unterkörpers rahmweiß. Es mißt: a. 54, c. 45, culm. 9°/, mm. 

Das oO von S. albogularis ist am ähnlichsten dem von Sp. americana (Gm.) und unter- 
scheidet sich wie dieses durch den völligen Mangel des weißen Flügelspiegels von den 99 der 
Sp. melanocephala-Gruppe, ist aber unschwer an dem wesentlich kürzeren Schwanz und kleineren 
Schnabel zu erkennen. Auch von Sp. 1. leucoptera und Sp. l. hypoleuca unterscheidet es sich 
dureh geringere Größe und viel kleineren, schwächeren Schnabel. 

Oberholsers Angabe über Vorkommen der Art in Paraguay (Proe. U. 8. Mus. XXV, 1902, 
p. 146) ist gewiß irrtümlich. 


Sporophila gutturalis (Leht.) 


Fringilla gutturalis Lichtenstein, Verz. Dubl. 1823, p. 26 („San Paulo“). 

Loxia ignobilis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 46, tab. LIX, Fig. 3 (sub nom. Loxia plebeja!) 
(„in provineia Para“) (= 2). 

Loxia plebeja Spix, 1. e. p. 46, tab. LX, Fig. 3 (sub nom. Z. ignobilis!) = Ö). 

Nur mehr das Original zu L. plebeja (l. c. p. 46) in der Sammlung mit der Bezeichnung: 
„Sporophila gutturalis Leht., Loxia ignobilis Sp. 6 Brasilien. Spix.“ Es stimmt völlig mit Exemplaren 
aus San Paulo überein. 

In dem Spix’schen Werke sind auf der Tafel die Namen zu den Figuren verwechselt. 7. plebeja, 
im Text als „frons nigricans; gula, jugulum pectusque nigra“ beschrieben, ist mit einfarbig bräun- 
lichem Scheitel und Kehle dargestellt, was im Text als Charakter von L. ignobilis angegeben 
wird u. s. w. und umgekehrt hat letztere auf der Tafel schwärzliche Stirn und Kehle!! 


Loxia brevirostris Spix — Sporophila bouvreuil (P. L. S. Müll.) 


Loxia bowrewl P. L. S. Müller, Natursyst. Suppl. (1776), p. 154 (ex Daubenton, tab. 204, 
Fig. 1: „Bouvreuil de Visle de Bourbon‘). 

Loxia nigro-aurantia Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783), p. 12 (basiert auf Daubentons tab. 204, part.). 

Loxia aurantia Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 853 (ex Daubenton, tab. 204, part.). 

Loxia brevirostris Spix, :Av. Bras. II (1825), p. 47, tab. LIX, Fig. 1, 2 („in confinibus Parae*). 
In der Sammlung ist nur mehr ein nicht ganz ausgefärbtes ö, mit der Abbildung gut 

übereinstimmend, unter der Bezeichnung: „Spermophila brevirostris Sp. Brasilien. Spix.“ Dieses 

Stück stimmt gut mit gleich alten Vögeln aus Bahia überein. Der Schnabel ist noch größtenteils 

gelblich, nur an der Basis hornbraun, die Unterseite blaß isabellrötlich, mit alten, helleren Federn 

vermischt. Vögel aus 8. Paulo weichen etwas ab. Man vgl. darüber und über die Benennung 

der Art Verhandl. zool.-bot. Ges. Wien, 1904, p. 519. 


Sicalis flaveola (Linn.) 


Fringilla flaveola Linnaeus, Syst. nat. XII (1766), p. 321 (Hab. ign. — Museum de Geer, wir 
ergänzen Surinam). 

Emberiza brasiliensis Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 872 (ex Brisson ete. — Brasilia). 

Fringilla brasiliensis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 47, tab. LXI, Fig. 1 (mas), 2 (foem.) („in 
campis Minas Geraes“). 

Die Sammlung besitzt zwei ausgefärbte 66, die mit Fig. 1 übereinstimmen, unter der 
Bezeichnung: „Fringilla brasiliensis Sp. Brasilien. Spix.“ Sie sind durchaus nicht verschieden 
von Bahia-Bälgen. . 

Das Original zu Fig. 2 ist nicht mehr in der Sammlung. 


Spinus ictericus campestris (Spix) 
[|Fringilla icterica Lichtenstein, Verz. Dubl. (Sept. 1823), p. 26 (San Paulo).] 
Fringilla campestris Spix, Av. Bras. II (1825), p. 48, tab. LXI, Fig. 3 („mas“) („in campis 
distrieti adamantimi*). / 


681 


Fringilla magellanica (nec Vieillot!) Wied, Beitr. 3. I (1830), p. 620 („Bahia an den Grenzen 
von Minas Geraös“). 

Chrysomitris magellanica Burmeister, Syst. Übers. 3. (1856), p. 255 (Lagoa Santa und Congonhas, 
Minas Geraös). 

Chrysomitris icterica Reinhardt, Vid. Medd. Kjebenhavn (1870), p. 403 [Zagoa Santa; ? Ollaria 
und Cataläo, Goiaz (Lund)]. 


Die Münchener Sammlung besitzt noch das Original mit der Bezeichnung: „Fringilla 
magellanica L. — campestris Sp. Brasilien. Spix.*“ 

Es scheint ein Ö juv. zu sein und unterscheidet sich von einigen O0 des Sp. ictericus aus 
San Paulo, Rio und Rio grande do Sul durch etwas kürzere Flügel, viel lebhaftere und reiner 
gelbe Unterseite (nur Kehle und Vorderhals sind etwas getrübt) und wesentlich kleineren und 
schwächeren Schnabel. [Das O0 von $. yarrellii weicht ab durch heller gelbe Unterseite, viel 
hellere und reiner grüne Oberseite und viel geringere Dimensionen.] Leider liegen mir keine 56 
aus Bahia und Minas Geraös vor und es muß reichlicherem Material die Feststellung vorbehalten 
bleiben, ob die angedeuteten Unterschiede konstant sind. Es scheint mir sehr wahrscheinlich, 
daß es sich um eine kleinere, nördliche Form des Sp. ietericus mit lebhafter gelber Unterseite 
handelt. Auf dieselbe Form scheint sich Spinus alleni Ridgw. (Auk XVI, 1899, p. 37 — ex 
Chapada, Mattogrosso) zu beziehen, dessen Hauptunterschied von 8. icterieus in seiner geringeren 
Größe bestehen soll. Die von Ridgway angegebenen Maße entsprechen ungefähr denen des 
Spix’schen Typus. Vgl. die Bemerkungen in den Nachträgen am Schlusse der Arbeit. 


Mus. Monae.: Typusvon F. campestris Spix, Minas Gera&es, „Ö“ juv. a. 67 e. 44, culm. 10 mm 
yP pP ı» J 2 I 


Sp. i. ictericus (Leht.) 


Mus. Monac.: „OQ, Ypanema“, S. Paulo, 4. 3.819 . a.68, c.47, culm. 11!/, mm 
„ Berlepsch: „Q, Taquara, Rio grande do Sul, 12. Aug, 1882, 
Ihering coll. . . 3 tl er, Kann ” 
R = (9), Süd-Brazil (Rio- Ba) u 6m ee en Be 120168212,.0.:40, cnlm. 1112 22 


Crax fasciolata Spix 
Av. Bras. II (1325), p. 48, tab. LXIla („in sylvis Parae“). 


Unglücklicherweise ist der Typus nicht mehr in der Münchener Staatssammlung und ich 
vermag die Art nieht mit Sicherheit zu deuten. Grant identifizierte sie mit C. sclateri Gray, 
wogegen der Fundort — Parä — spricht. Ich dachte zunächst, daß sich CO. pinima Pelz., 
gleichfalls von Parä beschrieben, als gleichbedeutend herausstellen würde, allein ein sorgfältiger 
Vergleich des Typus im Wiener Museum mit der Originalbeschreibung und -abbildung bei Spix 
‘ überzeugte mich von der Unmöglichkeit dieser Auffassung. 

In der Allgemeinfärbung paßt ein © der C. sclateri vom Rio do Sipotubo, Mattogrosso, 
20. August 1825 (Natterer leg.) im Wiener Museum recht gut zur Tafel 62a des Spix’schen 
Werkes und stimmt mit ihr namentlich in folgenden Punkten überein: die Steuerfedern sind 
rahmgelb gebändert, die Vorderbrust allein zeigt breite, schwarze Querbinden; Rücken und Flügel 
sind breit rahm- bis rostgelb gebändert, der Unterkörper ist lebhaft ockerrostgelb. Es unter- 
scheidet sich aber von Spix’ Beschreibung und Figur durch breitere, helle Querbinden auf der 
Oberseite, den völligen Mangel der weißen Flecken auf der Kehle und die Zeichnung der Schopf- 
federn. Während bei C. sclateri Q das basale und apicale Viertel der letzteren schwarz und die 
dazwischen liegende Partie von einem breiten, weißen Bande eingenommen ist, sind sie in der 
Abbildung von C. fasciolata Spix ganz wie beim Typus von (©. pinima Pelz. gefärbt: nämlich 
jede Feder trägt zwei voneinander durch einen schwarzen Zwischenraum getrennte, weiße Flecken, 
einen nahe der Basis und einen anderen subapicalen. Allein ©. pinima unterscheidet sich sehr 
wesentlich von vier 90 der (©. sclateri aus Mattogrosso, die untereinander völlige Überein- 
stimmung zeigen, in folgenden Punkten: bloß der Hinterrücken und die Flügel tragen 
linienförmige (also viel schmälere), reinweiße Querwellen; der Schwanz ist einfarbig schwarz 


Abh.d. II. Kl.d. K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 88 


682 


mit einem endständigen, etwa 15 mm breiten, weißen Bande, das am mittleren Steuerfedernpaare 
fehlt; die ganze Brust (nicht bloß die Vorderbrust) und die Hosen haben breite, schwarze 
Querbinden; die hellen Querbinden dieser Teile sowie Bauch und Unterschwanzdecken sind viel 
heller als bei C. sclateri 0, rahmgelb (statt ockerrostgelb). 

C. fasciolata Spix, tab. 62a, stellt also einen Vogel dar von der Allgemeinfärbung der 
©. selateri, aber mit der Scheitelzeichnung von (©. pinima. Bei keinem der von mir untersuchten 99 
aus Mattogrosso (Natterer coll.) ist der Scheitel so gezeichnet, wie es die Spix’sche Tafel zeigt, 
und ich wage deshalb nicht O. fasciolata und C. sclateri ohne weiteres zu vereinigen. Dagegen 
spricht ja auch der Fundort Parä. (. sclateri ist bisher nur aus Mattogrosso, Paraguay und dem 
angrenzenden Bolivia bekannt, also aus einer weit entfernten Gegend! Solange kein Exemplar 
von (. sclateri bekannt ist, das auch hinsichtlich des besprochenen fraglichen Punktes mit Spix’ 
Darstellung übereinstimmt, muß C. fasciolata eine „species dubia“ bleiben. 

Jedenfalls steht aber fest, daß CO. pinima von C. sclateri sehr wohl verschieden ist und 
gewiß eine:besondere Form ausmacht. Obwohl das Geschlecht des Typus und einzigen bekannten 
Exemplares der ersteren Art nicht durch Sektion festgestellt wurde, ist es zweifellos ein ©, wie 
schon das Vorhandensein von weißen Flecken im Scheitelschopf beweist, ein Charakter, der 
ausschließlich den 09 der Orax-Formen zukommt. 

Goeldi hat kürzlich (Ibis 1903, p. 491 f.) ganz unbegründete Zweifel an der Verschiedenheit 
der beiden Arten ausgesprochen, stützt aber seine Ansicht über ihre Identität mit keinem 
positiven Faktum. Goeldi behauptet, er hätte Exemplare erhalten, die vollständig mit der 
genauen Beschreibung, die Pelzeln von 0. pinima gibt, übereinstimmten. Hier liegt ein 
merkwürdiger Irrtum vor. Eine Beschreibung von C. pinima existiert nicht; das einzige, 
was Pelzeln zu ihrer Charakterisierung vorbringt, besteht in der lateinischen Differential- 
diagnose unmittelbar unter der Überschrift! Die ausführliche deutsche Beschreibung, welche 
weiter unten folgt, bezieht sich nicht auf den von Natterer gesammelten Typus, sondern 
auf ein von Boissoneau acquiriertes Exemplar aus der Gefangenschaft, das sich noch 
im Wiener Museum befindet, wo ich es kürzlich untersuchte. Dieses Stück ist nun freilich ganz 
verschieden von dem Typus der C. pinima: und steht ©. sclateri viel näher! Dadurch ist wohl 
Goeldis und der anderen Autoren Irrtum über die Artcharaktere der CO. pinima entstanden; sie 
alle scheinen die Beschreibung des Käfigvogels für die des Typus gehalten zu haben! Vögel 
aus der Gefangenschaft haben natürlich gar keinen Wert und vermögen den Status einer Form 
nieht im mindesten zu beeinflussen. : 

Bevor ich zur Erläuterung der Unterschiede zwischen den @Q der beiden Arten über- 
gehe, möchte ich bemerken, daß die Münchener Sammlung ein & ad. von C. sclateri von Spixens 
Reise besitzt, das in jeder Hinsicht mit mehreren authentischen, von Natterer in Mattogrosso 
erlegten übereinstimmt. Es ist vielleicht das vom Amazonas stammende Exemplar, welches Spix 
als ©. rubrirostris aufführt (vgl. bei. dieser Art weiter unten). Da Spix nicht in Mattogrosso 
sammelte, liegt die Vermutung nahe, daß C. sclateri auch irgendwo am Amazonas vorkommt, 
und dann wäre es nicht unmöglich, daß auch das Original von C. fasciolata von dort herstammte 
und nur irrtümlich als von Parä kommend aufgeführt wurde. Vielleicht auch war es lebend 
dahin gebracht und von Spix erworben worden? In diesem Falle könnte sich O. fasciolata 
doch nur als ein aberrantes O von (. sclateri herausstellen! Dies zu entscheiden, muß weiteren 
Forschungen überlassen bleiben. 

Zum Schlusse gebe ich noch eine hoffentlich nieht unwillkommene Gegenüberstellung der 
Unterscheidungsmerkmale zwischen den 09 von (. sclateri und dem Typus von C. pinima. 

©. sclateri © ; ©. pinima (9) 

Schopffedern: etwa 10 mm langer Basal- Basis 10 mm lang, schwarz, dann folgt 
teil schwarz, dann folgt ein 25—30 mm langer, ein (3 mm langer) weißer Fleck, hierauf wieder 
weißer Fleck, hierauf der etwa 12 mm lange, eine (ungefähr 12 mm lange) schwarze Partie, 
schwarze Spitzenteil. dann abermals ein (etwa 5 mm langer) weißer 

Subapiealfleck und endlich der etwa 10—12 mm 
lange, schwarze Spitzenteil. 


De LU 


Flügeldecken, Schwingen und ganzer 
Rücken schwarz mit rahmgelblichen oder 
rahmrostgelben Querbinden von 2—4 mm Breite 
bedeckt. 

Steuerfedern mit (etwa 4 mm breiten) 
regelmäßigen, rahmgelben Querbinden und einem 
breiten (in Ausdehnung von 20—50 mm wech- 
selnden), endständigen Querbande von derselben 
Farbe. 

Vorderbrust mit gleichbreiten (5—12 mm) 
schwarzen und ockerrostgelben Querbinden; 
Hinterbrust, Bauch und Unterschwanzdecken 
einfarbig ockerrostgelb. 

Beide Fahnen der Schwingen auf der 
Unterseite mit breiten, weißen Querbinden. 


683 


Flügeldecken, Schwingen, Hinterrücken 
und Oberschwanzdecken mit feinen, linien- 
förmigen (etwa !/, mm breiten) weißen Quer- 
wellen bedeckt. 

Steuerfedern einfarbig schwarz mit einem 
endständigen, weißen Querbande von etwa 17 mm 
Länge. 


Ganze Brust und Hosen gleichbreit rahm- 
gelb und schwarz quergebändert, Bauch und 
Unterschwanzdecken einfarbig hellrahmgelblich. 


Bloß die Innenfahne der Schwingen auf 
der Unterseite fein weißlich gewellt. 


Maße: 
Typus O.hpinima Pelz,» Para . Min 2) mms@.y2 N Na 350, e. 3L0!mm 
©. sclateri Gray. 
1. „Q, Rio do Sipotuba, Mattogrosso, 20. Aug. 1825 . a. 360, ec. 380 „ 
2. „Q, Rio Guapore, . Juli“ an 50 ea 
3. „Q, Caicara, 5 21. Febr. 1826“ 29860, 0380, 


Bei C. sclateri ist also der Schwanz viel länger. 

NB. Bei dieser Gelegenheit möchte ich über die von Pelzeln beschriebene ©. mikani, die 
bisher auch noch nicht ganz klar gestellt war, einige Worte bemerken. Das angebliche 5 ist 
in Wirklichkeit ein Q ad. von (©. daubentoni Gray, das angebliche dazu gehörige O ein O ad. 
von (©. alberti Fraser. Ich verglich unlängst die Typen im Wiener Museum sorgfältig mit genauen 
Notizen, die ich nach topotypischen Exemplaren von O©. daubentoni und CO. alberti angefertigt 
hatte und fand sie damit völlig übereinstimmend. Auch die Maße differieren nicht im geringsten. 


Nothocrax urumutum (Spix) 
Crax urumutum Spix, Av. Bras. II (1825), p. 49, tab. LXII („in sylvis fl. Nigri“). 


Die Sammlung besitzt noch ein altes, anscheinend männliches Exemplar mit der Aufschrift: 
„Orax urumutum Sp. Brasilien. Spix“, welches in jeder Hinsicht mit Spix’ und Grants Beschrei- 
bung übereinstimmt. 

Es mißt: a. 300, e. 230, eulm. 33 mm. 


Mitu tomentosa (Spix) 
Crax tomentosa Spix, Av. Bras. II (1825), p. 49, tab. XLIII („in sylvis paludosis fl. Nigri prope 
pagum Barcellonam*“). 

Ein altes, offenbar männliches Exemplar unter der Bezeichnung: „Pauxi tomentosa Sp. 
Brasilien. Spix“ in der Sammlung. Es stimmt sehr gut mit der Originalbeschreibung überein. 
Der Schnabel zeigt keine Spur von Auftreibung an der oberen Mandibel, die Schopffedern sind 
kurz, weich und an der Spitze abgerundet. Das Gefieder der Oberseite zeigt einen purpurblauen 
Glanz, Bauch und Unterschwanzdecken sind kastanienrotbraun. Die Spitzen der Steuerfedern matt 
dunkelrostfarben, die Hosen kastanienrotbraun gesäumt. 


Crax blumenbachii vgl. nächste Seite. 


Crax globulosa Spix 
Av. Bras. II (1825), p. 50, tab. LXV (mas.), LXVI (foem.) [,in sylvis fluminis Solimoöns“]. 


Die Münchener Sammlung besitzt ein dad. mit der Bezeichnung: „Crax globulosa Sp. Brasilien. 
Spix.“ Außerdem untersuchte ich ein von Spixens Reise stammendes Ö ad. im Frankfurter Museum 
(no. 2704, Cat. Senck.). Dem freundlichen Entgegenkommen Dr. Römers verdanke ich die 


88* 


684 


Gelegenheit, das einzige von Spix mitgebrachte Q, das im Jahre 1828 an das Frankfurter 
Museum abgegeben worden war, zu untersuchen. Es trägt die Bezeichnung: „Crax globulosa 
Spix. © Brasilien. Aus München gegen Rüpp. Dubl.* 

Das & der Staatssammlung zeigt den Knopf auf dem Oberschnabel mattrot, an den Seiten 
mit einem gelben Überzug, die Wachshaut desselben ist gelb, die Basis und fleischigen Anhänge 
der unteren Mandibel gelbrot. Das ö im Frankfurter Museum hat alle diese Teile heller, dunkel- 
gelb. Wenn Spix den „globulus“ und die „earunculae“ gelb nennt, so hat er vielleicht letzteres 
Exemplar im Auge Be Grant unterscheidet zwei Arten mit Bekmabelauisntz; der bei der 
einen rot (carunculata), bei der anderen gelb (globulosa) sein soll. Letztere Art, welche nach 
seiner Angabe auf das Amazonasgebiet beschränkt sein soll, weist aber in dieser Hinsicht 
beträchtliche Variation auf und der Charakter. scheint mir noch weiterer Bestätigung zu bedürfen. 

Ein ö vom R. Guapore (Natterer coll.) im Wiener Museum hat die Schnabelbasis samt 
allen Anhängen blaßrötlich, ein anderes ö ad. von Barra do Rio Negro dagegen blaßgelb mit 
nur schwachem, rötlichen Schein. Das erstere wird als Balg aufbewahrt; das letztere steht seit 
vielen Jahren in der Schausammlung und scheint die ursprüngliche Färbung der genannten Teile 
durch die Einwirkung des Lichtes eingebüßt zu haben. Denselben Unterschied bemerkte ich 
zwischen einem © von Barra do Rio Negro (gestopft), das gleich dem jetzt im Frankfurter 
Museum befindlichen O von Spix’ Reise die Schnabelbasis sehr blaßgelb gefärbt zeigt, und einem 
als Balg aufbewahrten O0 vom Rio Guapore, Volta do Gentio, bei dem dieser Teil an einzelnen 
Stellen noch blaßrötlich überlaufen ist. Auf die Färbung der Schnabelbasis hin möchte ich auf 
das Vorhandensein zweier Formen nicht schließen. 

Wie bekannt, unterscheidet sich das Q vom Ö durch den völligen Mangel aller Schnabel- 
anhänge, ockerrostgelben (statt weißen) Bauch und .Unterschwanzdecken und feine, rostgelbliche 
Querwellung auf der Hinterbrust. 


Crax blumenbachii Spix 
Av. Bras. II (1825), p.50, tab. LXIV („in sylvis provineiae Rio de Janeiro“) (= 2). 
Crax rubrirostris Spix, ]. ec. p. 51, tab. LXVII („inter Rio de Janeiro et Bahiam“ ; die Angabe 
„in sylvis flum. An asohume ist irrtümlich, wie weiter unten p. 687 gezeigt mil = öl 


Die Art ist bisher gänzlich mißdeutet worden. Grant 
stellt O. blumenbachii als Synonym zu C. globicera unter 
der willkürlichen Annahme, daß die Fundortsangabe „Rio 
de Janeiro“ „no doubt erroneous“ ist, und ©. rubrirostris 
zu 0. carunculata. Letztere soll in der Schnabelbildung 
mit (©. globulosa übereinstimmen: also auf dem Ober- 
schnabel einen großen aufgetriebenen Knoten und an jeder 
Seite der unteren Mandibel einen herabhängenden Lappen 

“ besitzen. Ein Blick auf die Tafel 67 im Spix’schen Werke 
beweist aber die Unrichtigkeit dieser Annahme! Vgl. dar- 
über weiter unten bei O. rubrirostris. Dagegen unterliegt 
es nach den genauen Angaben Burmeisters und des Prinzen 
Wied, welche Grant entweder nicht gelesen oder mißver- 
standen hat, gar keinem Zweifel, daß in Südost-Brasilien 
eine mit (. alector und C. sclateri verwandte Art ohne alle 
Schnabelanhänge vorkommt. 0. blumenbachü Spix ist 
das ©, O. rubrirostris das & ad. derselben! 

Zunächst wenden wir uns zu Orax blumenbachü. 

Mir lagen folgende Stücke vor: 


1. Mus. Frankfurt no. 2703 a „Crax blumenbachii Spix, 
Av. Bras., Taf. 64, Brasilien. Von München getauscht 


% 
_ Schopffedern von ee . n 
Craz globicera 9. Crax blumenbachü 2. 2. Mus. Frankfurt no. 2703 mit derselben Aufschrift. 


u 


685 


Diese beiden Exemplare stimmen völlig mit Spixens Kennzeichnung überein und sind 
zweifellos die Typen zu seiner Beschreibung. 

3. Mus. Vindob. „1839, XIX, 3. Crax rubrirostris ©. Spix, tab. LXVII, mas., blumenbachii, 
Spix LXIV, foem. Vom Prinzen von Neuwied in Tausch. Brasilien“.!) 

Nachforschung im Museumskatalog ergab, daß no. 3 vom Prinzen Wied in Ostbrasilien 
gesammelt wurde, mithin eines der Originale zu seiner Beschreibung des Orax rubrirostris Q ist. 

Die drei Exemplare stimmen miteinander in allen Hauptzügen überein und unterscheiden 
sich sehr auffallend von mehreren 09 der C. globicera aus Zentral-Amerika durch wesentlich 
kürzere Flügel und Schwanz, viel schlankere und schwächere Füße, bedeutend kürzeren und 


schwächeren Schnabel und durch folgende Färbungsdetails: 


©. globicera © 
Schopffedern an der Basis etwa 35 mm 
lang, schwarz, dann folgt eine etwa 15 mm 
lange, weiße Binde, die Spitze ist wieder in 
einer Ausdehnung von 25 mm schwarz. 
Kopfseiten dicht schwarz und weiß ge- 
fleckt. 


Hinterhals, Halsseiten, Kehle und 
Vorderhals breit schwarz und weiß gebändert. 

Kleine und mittlere Flügeldecken 
kastanienrotbraun, die inneren undeutlich 
schwärzlich quergewellt. 

Armschwingen schwarz und kastanien- 
rotbraun quergebändert, die schwarzen Felder 
werden überdies meist noch geteilt durch 
ein schmales, weißliches Querband. Hand- 
sehwingen bloß verloschen schwärzlich gezackt. 

Oberschwanzdecken röstliehbronze- 
braun. 

Steuerfedern stahlgrünlichschwarz, die 
mittleren Paare an der Basis stets kastanienrot- 
braun und schwarz quergewellt oder gebändert. 

Bao. 222880, c. 840, tarsı 110, eulm. 
49 mm. 
no. 2. a. 370, c. 340, tars. 105, eulm. 

50 mm. 


©. blumenbachü 9 
Schwarz mit zwei oder drei voneinander 
weit getrennten, etwa 8 mm langen, weißen 
Querbinden. 


Einfarbig schwarz, höchstens vereinzelte, 
kleine weiße Fleckehen auf den vorderen Hals- 
seiten. 

Einfarbig schwarzgrün, nur auf der Kehle 
einige wenige weiße Fleckchen. 

Bronzegrün mit schmalen, matt kastanien- 
roten Ziekzacklinien. 


Große Flügeldecken, Hand- und Arm- 
schwingen regelmäßig, schwarz und kastanien- 
rot quergebändert. 


Oberschwanzdecken lebhaft bronzegrün. 
Schwärzlichgrün, höchstens das mittelste 


Paar an der Basis mit feinen rostroten Quer- 
wellen. 


no. 1. a. 350, c. 320, tars. 100, culm. 
40 mm. 

no. 2. 2.1380, ce. 320, tars.’ 105, culm. 
361/, mm. 

no. 8. a. 885, c. 820, tars. 70, "culm. 
35 mm. 


Von meinen drei C. blumenbachii ist no. 1 am höchsten ausgefärbt und anscheinend ein 


vollkommen erwachsenes ©. Die gekräuselten Schopffedern sind schwarz, mit drei weißen Quer- 
binden; Hinterhals, Mantel, Vorderhals und Kropfgegend glänzend schwarzgrün, Kopfseiten und 
Kehle etwas matter, in der Backengegend, auf den Halsseiten und der Vorderkehle finden sich 
verstreute, kleine weiße Fleckehen. Federn des Hinterrückens dunkelbraun mit bronzegrünen 
Spitzenteilen und mehreren feinen, rostroten Querwellen; Oberschwanzdecken bronzegrün, im 
Enddrittel mit mehreren feinen, rostroten Querlinien. Schwanzfedern einfarbig dunkelbronzegrün, 
nur das mittelste Paar trägt an der Basis beider Fahnen am Außenrande einige rostrote Quer- 
wellen. Flügeldecken bronzegrün mit feinen, rostroten Querwellen über und über bedeckt, die 
auf der großen Serie wie auf den Handdecken in eine breitere, regelmäßige Bänderung über- 


1) Seither untersuchte ich im Museum zu Halle a/S. ein von Burmeister aus Minas Geraös mit- 
gebrachtes ©, das vollständig mit den obigen Exemplaren übereinstimmt. 


686 


gehen. Alle Schwingen gleich breit dunkelbronzegrün und kastanienrot quergebändert, auf der 
Innenfahne schmäler und mehr marmoriert. Ganze Brust und Seiten bronzegrünschwärzlich und 
matt kastanienrot quergebändert, Bauchseiten und Unterschwanzdecken einfarbig rostrot, Bauch- 
mitte heller, mehr rostgelb. Schnabel dunkelhornbraun, Endhälfte blaßgelb. 


no. 2 unterscheidet sich nur durch etwas kürzere Flügel, kürzeren und schwächeren Schnabel 
und in einigen unwesentlichen Färbungsdetails. Die kleinen Flügeldeeken sind einfarbig bronze- 
grün, ebenso die Federn des Hinterrückens; nur die Brustmitte und der untere Teil der Hosen 
tragen dunkle Querwellen; Bauch- und Unterschwanzdecken sind entschieden heller, mehr rahmgelb. 

no. 3 ist ein anscheinend junger Vogel und alle bei no. 1 und 2 glänzend bronzegrünen 
Teile erscheinen matt dunkelbraun mit nur schwachem Bronzeschimmer, sonst besteht kein 
nennenswerter Unterschied. 

Bei allen drei Stücken ist nur ein schmaler Augenring nackt, der Zügel dagegen gleich 
den übrigen Kopfseiten befiedert. Der Schnabel ist normal und zeigt keine Spur von Anhängen. 

Nun wenden wir uns zu dem von Spix als besondere Art s. n. Orax rubrirostris beschriebenen 
ö ad.: Mus. Monac. no. 1 (Ö) ad. etig. „Crax alector Linn. Hokko. Brasilien“: — a. 365, c. 360, 
tars. 104, eulm. 431/, mm. 

Dieser Vogel zeigt die charakteristische Präparation der Spix’schen Stücke und entspricht 
in jeder Hinsicht der Beschreibung und Abbildung von C. rubrirostris. Nur ist die Schnabelbasis 
durch Jahrzehnte lange Einwirkung des Lichtes aus Rot in Dunkelgelb verblaßt; auch sind die 
Beine keineswegs schwarz wie in Spix’ Werk dargestellt, sondern dunkel bräunlichgrau; nur 
an jenen Stellen, wo sich die Laufbekleidung abgelöst hat, kommt die schwarzbraune Haut- 
schieht zum Vorschein. Die Färbung der Beine weicht also nicht wesentlich von der Angabe 
des Prinzen Wied (l. ec. p. 536) ab, und ist erheblich dunkler als bei O©. alector und C. sclateri, 
welch beide Arten trüb hornweißliche Beine besitzen. 

no.1 ist mithin zweifellos das Original von (©. rubrirostnis. 

Grant (Cat. Birds XXII, p. 481) setzte den Namen unter die Synonymie von C. carunculata, 
die er mit folgenden Worten kennzeichnet: „a large swollen process on the base of the culmen 
and a wattle on each side of the lower mandible scarlet“. Die Schnabelbildung ist demnach 
genau wie bei C. globulosa und der einzige Unterschied der beiden Arten besteht darin, daß 
die Schnabelanhänge bei ©. carunculata (apud Grant) rot, bei O. globulosa gelb gefärbt seien. 
Ich habe in dem Absatz über O. globulosa darauf hingewiesen, daß die Differenz in der Schnabel- 
färbung nieht konstant zu sein scheint, und C. carunculata apud Grant mit C. globulosa identisch 
sein dürfte. Aus Südost- Brasilien, wohin. Grant das Habitat der erstgenannten Art verlegt, 
kennen wir bisher keine Crax-Spezies mit Schnabelhöcker. 

Der Typus von C. rubrirostris dagegen zeigt keine Spur von lappigen Anhängen 
am Unterschnabel noch irgend eine Andeutung eines Höckers auf dem Culmen, 
sondern stimmt in der Schnabelbildung völlig mit Orax alector überein. Von dieser Art 
unterscheidet er sich indessen leicht durch stahlgrünen (statt purpurvioletten) Glanz des Gefieders 
(also wie bei (©. sclateri), wesentlich kleineren und schwächeren Schnabel sowie durch befiederte 
Zügel- und Augengend; nur ein ganz schmaler Ring ums Auge ist nackt. Wie C. alector hat 
auch C. rubrirostris keine weißen Schwanzspitzen, deren Vorhandensein Ü. sclateri mithin sofort 
kennzeichnet. 

Burmeister (Syst. Übers. 3. (1856), p. 345) gibt s. n. CO. blumenbachü & eine sehr gute 
Kennzeichnung des männlichen Geschlechtes, ebenso der Prinz von Wied (Beitr. Naturg. 4. II, 
p. 528) s. n. C. rubrirostris. Beide beschreiben, übereinstimmend mit Spıx’ Angabe, die Schnabel- 
basis als lebhaft rot. Wieds Beschreibung: „Ganzes Gefieder ohne Unterbrechung schön schwarz 
mit dunkelgrünem Metallglanze“ paßt vortrefflich auf das Original im Münchener Museum. 
Beide Autoren erwähnen nichts von weißen Sehwanzspitzen, vielmehr sagt Burmeister (l. c.) 
ausdrücklich: „der Schwanz ohne Spur eines weißen Saumes“, was wieder achr gut dem Spix’schen 
Typus entspricht. 

Es steht also fest, daß in Südost-Brazil eine mit CO alector und CO. sclateri verwandte, aber 
gut unterschiedene Art vorkommt. Der erste gültige Name ist C. blumenbachiü, denn nach den 


687 


Beobachtungen Burmeisters und des Prinzen Wied kann es wohl nicht zweifelhaft sein, daß 
O©. rubrirostris und CO. blumenbachii verschiedene Geschlechter einer Art darstellen. 


Synonymie und Verbreitung der Art sind somit: 


Crax blumenbachii Spix 


Crax blumenbachiü Spix, Av. Bras. II (1825), p. 50, tab. LXIV (= op) [,in sylvis provinciae 
Rio de Janeiro“). 

Crax blumenbachi Burmeister, Syst. Übers. 3. (1856), p. 345, deser. 60 [Rio da Pomba, Minas 
Geraös]. 

Orax alector (nee Linne) Wied, Reise Bras. I (1820), p. 360, 371 [Rio Belmonte, Bahia]; 
II (1821), p. 125 [Rio Ilheos, Bahia]. 

Crax rubrirostris Spix, Av. Bras. II (1825), p. 51, tab. LXVII (= ö) [„inter Rio de Janeiro et 
Bahiam]. 

Crax rubrirostris Wied, Beitr. Naturg. Bras. 4. II (1833), p. 528, deser. ö9 ad., © jr. [Ita- 
pemirim und Itabapuana; Rio Doce; Mueuri; Alcobaca; Belmonte]. 


Habitat: Rio de Janeiro (Spix): „zwischen Rio de Janeiro und Bahia“ (Spix). In den 
Staaten Espiritu Santo und Bahia: „weiter südlich als die Flüsse Itapemirim und Iabapuana 
[im südlichen Espiritu Santo] ist er mir an der Ostküste nicht vorgekommen, am Rio Doce, 
Mucuri [beide in Espiritu Santo], Alcobaga und Belmonte [beide im Staate Bahia] ist er häufig“ 
(Wied I. c.); Rio da Pomba, südliches Minas Geraös (Burmeister). 

ö ad. Crax niger aeneo-viridi nitens; abdomine subeaudalibusque albis; rostri basi scar- 
latina, nee carunculis nee globulo nasali instrueta, dimidio apicali corneo-fusco. 

Differt a 6 C. alectoris L. nitore eorporis aeneo-viridi (nee purpureo); loris et eireuitu 
oculorum plumosis (nee nudis); rostro breviore et minus altiore neenon dimidio basali ejusdem 
scarlatino (nec flavo), a O. sclateri Gray cauda uniformi absque margine apicali albo. 

9. Foeminae (. globicerae proxima, sed minor, imprimis rostro pedibusque multo brevioribus 
ac gracilioribus; plumis cristae duabus aut tribus vittis albis; lateribus capitis nigris (nee 
maculis albis dense variegatis); jugulo, gutture nuchaque bronzino-nigris (nee albo-nigro faseiatis); 
tectricum alarum superiorum minoribus ac mediis bronzino-viridibus, castaneo-rufo marmoratis 
(nee totis castaneo-rufis); rectrieibus viridescente-nigris, duabus mediis ad basin castaneo-rufo 
vix undulatis. 

Unter ©. rubrirostris gibt Spix als Fundort auch „in sylvis fl. Amazonum“* an. Dies bezieht 
sich möglicherweise auf ein in der Münchener Sammlung befindliches Exemplar (öÖ ad.) von 
C. sclateri Gray — ex coll. Spix. Freilich erwähnt Spix nirgends der weißen Schwanzspitzen. 
Das in Rede stehende Exemplar stimmt übrigens völlig mit einigen von Natterer aus Matto- 
grosso mitgebrachten Vögeln überein. Vielleicht reicht das Verbreitungsgebiet von (. sclateri 
also doch bis an den Amazonenstrom, in welchem Falle sieh C. fasciolata Spix als ein Jugend- 
stadium des O von (. sclateri herausstellen könnte. 

NB. Es bleibt noch festzustellen, was CO. carunculata Temm. ist. Nach Temmincks Be- 
schreibung und Abbildung [Hist. nat. Gall. III, tab. 4, Fig. 3] hat diese Art an der Basis des 
Unterschnabels zwei große, herabhängende Hautlappen, wovon unsere Exemplare von (©. blumen- 
bachii (6 und 9) keine Spur zeigen. Auch wird ihrer in den Beschreibungen Burmeisters und 
Wieds keine Erwähnung getan. «Sollte sich (©. carunculata etwa auf ein Stück von (. globulosa 
gründen, dem der knotige Culmenaufsatz fehlte? Ich habe allerdings unter den zahlreichen 
Exemplaren von (. globulosa, die ieh untersuchte, keines gefunden, das mit Temmincks Angabe 
übereinstimmte. Die Frage kann wohl nur durch Untersuchung des Typus, sofern dieser noch 
vorhanden ist, entschieden werden. Unterdessen muß C. carunculata als „Species dubia* 
figurieren. 

Grants Schlüssel (Cat. Birds XXII, p. 474) ist entsprechend dem Vorhergesagten folgender- 
maßen zu korrigieren. 


oz) 
[0 2) 
[00] 


A. No swollen knob on the base of the upper mandible, and no wattles on each side of 
the lower mandible. 
a) Plumage of the upper parts glossed with purple; tail not 


tipped with white; lores er en C. alector © 
b) Plumage glossed "with green; tail not hinped with Fe 

lores uherea Pfahl 0. blumenbachiü 
c) Plumage glossed with Ereen; tail Hapea wilh a oe 

Daked . 0. RSG TTErZEG 


(©. fasciolata apud Grant.) 


Crax tuberosa Spix — Mitu mitu (Linn.) 


Orax mitu Linnaeus, Syst. nat. 12.1 (1766), p. 270 [„Brasilia, Guiania® — ex Marcgrave, p. 194: 
„Mitu“ — als terra typiea Nordost-Brazil anzusehen]. 
Orax tuberosa Spix, Av. Bras. II (1825), p. 51, tab. LXVIla [,in sylvis flum. Solimoöns“]. 


no. 1 etig.: „Pauxis mitu Lin. — tuberosa Sp. Brasilien. Spie“, sehr gut der Abbildung 
und Beschreibung entsprechend. Der Oberschnabel trägt an der Basis einen hohen, gewölbten, 
seitlieh komprimierten Aufsatz. Das Gefieder besitzt stahlblauen Glanz, die Schwanzspitze 
ist weiß, Bauch und Unterschwanzdecken kastanienrotbraun. 

no. 2 etiq.: „Pauxis mitu Lin. — tuberosa Sp. Brasilien. Spix“, unterscheidet sich sehr 
auffallend durch die Form des Schnabelaufsatzes.. Dessen Oberrand ist nicht wie bei no. 1 in 
einen schmalen Kamm ausgezogen, sondern verbreitert und abgeflacht und zeigt der ganzen 
Mitte entlang eine seichte Rinne, die jederseits von dem erhabenen Rande überragt ist. Letzterer 
erscheint nur an der Basis etwas gewölbt. Ich vermag nicht zu sagen, ob dieser Vogel eine 
besondere Form repräsentiert. 

NB. Linnes Beschreibung beruht fast ausschließlich auf Maregraves „Mitu“. In des letzteren 
Kennzeichnung sind die weißen Schwanzspitzen nicht erwähnt. Bisher ist Mitu mitu nur aus 
der waldigen Amazonasniederung bekannt, und höchst wahrscheinlich sind die Vögel des nord- 
östlichen Brasilien, auf die sich Maregrave bezieht, verschieden. 


Penelope jacqluacu Spix 


Av. Bras. II (1825), p. 52, tab. LXVIII („P. jaeuacu“) („in sylvis fluminis Solimoöns“). 
Penelope boliviana Reichenbach, Columbariae (1862), p. 151, tab. 271, Fig. 2493/94 (Bolivia; 
Warscewiez leg.). 


Das Spix’sche Original steht unter der Bezeichnung: „Penelope cristata Lin. — Jacuacu Sp. 
Brasilien. Spix“ in der Münchener Sammlung. Wie bereits Graf Berlepsch (Journ. f. Ornith. 1889, 
p. 319) ausgeführt hat, ist sie mit der von Reichenbach P. boliviana genannten Art identisch. 
Diese Stelle ist Mr. Grant, wie es scheint, ganz unbekannt geblieben, wenigstens wird sie im 
Cat. of Birds XXII mit keinem Worte erwähnt. 

Der Spix’sche Vogel, weleher völlig der Beschreibung und Abbildung entspricht, stimmt 
recht gut mit einem „Q“ aus Chanchamayo, Zentral-Peru, 27. April 1902 (coll. W. Hoffmanns) 
überein und unterscheidet sich nur in folgenden Punkten: bloß die Federn des Vorderrückens 
tragen graulichweiße Seitenränder, während bei jenem aus Zentral-Peru der hintere Teil des 
Oberhalses, der Mantel und fast der ganze Rücken diese Zeichnung aufweisen. Die weißen Ränder 
auf Vorderhals und Vorderbrust sind schmäler, der Schnabel etwas länger und stärker, der Unter- 
körper einfarbig dunkelrostbraun, ohne die bei dem peruanischen Vogel auftretenden feinen dunklen 
Querwellen, die sich vielmehr nur auf den Hosen finden. Allein letzterer scheinbare Unterschied 
will wohl wenig besagen, da der Bauch beim Typus stark beschädigt und beschmutzt ist. 

Nachfolgende Beschreibung des Typus wird nicht unwillkommen sein. 

Oberseite bronzegrün, auf dem Oberkopf und Hinterhals düsterer und matter, auf dem 
Vorderrücken hier und da mit mehr bronzebräunlichem Tone, Federn des Vorderkopfes, des 
Vorderrückens und der Schulter einschließlich der kleinsten Flügeldecken mit schmalen, trüb 


689 


trüb weißlichen Seitenrändern. Mittel- und Hinterrücken rostbraun mit leichtem Bronzeschimmer. 
Oberschwanzdecken bronzebraun. Flügeldecken. Schwingen und Schwanz bronzegrün, Innen- 
fahne der Handschwingen dunkler. Zügel, breite Partie ums Auge und Ohrgegend nackt, nur 
von der Schnabelwurzel bis zur unteren Ohrgegend zieht in der Bartgegend ein dunkelbrauner 
Federstreif. Kehle, Vorderhals und Halsseiten nackt, ohne Kehlsack, mit spärlichen, einzeln 
stehenden Borsten besetzt. Unterhals und Vorderbrust bronzegrün, alle Federn mit schmalen, 
weißlichen Seitenrändern, übriger Unterkörper dunkelrostbraun, Hosen fein dunkel gewellt. — 
a. 293, c. 340, eulm. 39!1/, mm. 
„Ö, Chanchamayo, Zentral-Peru“ mißt: a. 296, ce. 335, culm. 341, mm. 


Penelope jacu-caca Spix 
Av. Bras. II (1825), p. 53, tab. LXIX (foem.) („prope Pocoens eneima in sylvis Bahiae*“). 


Ein Stück von der Spix’schen Reise unter der Bezeichnung: „Penelope Jacucaca Spix 
Brasilien. Spix* in der Sammlung. Es paßt sehr gut zur Beschreibung und Abbildung und 
veranlaßt mich zu keiner weiteren Bemerkung. Die Art wurde ganz richtig gedeutet. 


Pipile jacutinga (Spix) 
Penelope jacutinga Spix, Av. Bras. II (1825), p. 53, tab. LXX („inter Bahiam et Rio de Janeiro“). 


Die Sammlung besitzt noch das Original unter der Bezeichnung: „Penelope pipile Jacgq., 
P. jacutinga Sp. Brasilien. Spix“, welches mit der Beschreibung bei Spix sehr gut übereinstimmt. 
Die Abbildung ist ganz verfehlt, die blaue Färbung auf Oberseite, Schwanz und Unterkörper soll 
wohl das Purpurbraun ersetzen. Das Spix’sche Stück stimmt mit einem Vogel aus Süd-Brazil (coll. 
Sturm) überein. Beide besitzen breite, schwarze Stirn und einen langen, weißen Schopf, dessen 
Federn etwa 1!/y mm breite, schwarzbraune Schaftstreifen tragen. Der nackte Ring ums Auge 
wird von einem Kranze schwarzer Federn umgeben, Kinn und vordere Kehle sind nicht dicht, 
aber doch reichlich mit schwarzen Federn besetzt, die Federn des Unterhalses und der Vorder- 
brust tragen deutliche, weiße Seitenränder. Die kleinsten Flügeldecken sind purpurbraun mit 
weißem Basisfleck, die größeren Deckfedern erster Ordnung sowie die mittlere Serie weiß mit 
schwarzbraunem Schaft und höchstens 4 mm langem, ebensolchen Spitzenfleck, große Deckfedern 
auf der Außenfahne weiß, nur die äußerste Spitze derselben und die Innenfahne schwarzbraun. 

Das von Spix (p. 54) erwähnte Exemplar der P. cumanensis ist gleichfalls noch in der 
Sammlung und stimmt völlig mit einer von mir untersuchten Serie aus dem Orinoko-Gebiete. 
Brit.-Guiana, R. Napo und Nordost-Peru überein. Die Angabe: „ab Indis Parae Owjubi nominata* 
bezieht sich natürlich nicht auf P. cumanensis, sondern auf P. cujubi (Pelz.). 


Penelope jacupeba Spix 
Av. Bras. II (1825), p. 54, tab. LXXI („in sylvis Parae“). 


Die Sammlung besitzt ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Penelope eristata Lin. Brasilien.“ 
Als Quelle wird sodann „coll. Leuchtenberg“ angegeben, was aber zweifellos ein Schreibfehler 
ist; denn wie mich Einsichtnahme in den Kalalog der herzoglichen Sammlung lehrt, besaß dieselbe 
von der in Rede stehenden Art kein Exemplar und die darin verzeichneten Exemplare anderer 
Penelope-Arten befinden sich noch in unserem Museum. Dagegen soll nach dem Sammlungs- 
kataloge der Akademie von Spixens Reise ein Stück vorhanden sein. Der mir vorliegende Vogel 
zeigt die charakteristische Präparation aller von Spix heimgebrachten Stücke, ist also 
zweifellos das Original zu P. jacupeba. Es stimmt völlig zur Beschreibung und Abbildung in 
Spixens Werk, zeigt insonderheit die aschgrau gefleckte Bart- und Ohrgegend, die starken weißen 
Säume auf den Federn der Gurgel und der Vorderbrust und den hell röstlichbraunen, fein 
dunkelbraun quergewellten Bauch. Grant (Cat. Birds XXII, p. 494) hat die Art zuerst richtig 
erkannt; ob aber P. greeyi Gray von Santa Marta — vorausgesetzt, daß der Fundort richtig 
ist — mit P. jacupeba identisch ist, wie derselbe Autor behauptet, erscheint doch sehr zweifelhaft. 

Ich gebe eine Beschreibung des Typus. 


Abh.d. II.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 89 


690 


Mus. Monae. ad. Typus, Spix coll. a. 293, ce. 286, r. 32 mm. Oberseite dunkel bronzegrün, 
Scheitel und Oberhals düsterer und matter, die Federn des Vorderscheitels bis in die Höhe des 
Augenhinterrandes mit schmalen, deutlichen, graulichweißen Seitenrändern; einzelne der Nacken-, 
seitlichen Seapular- und der kleinsten Flügeldeeken mit ebensolchen schmalen, graulichweißen 
Rändern an den Seiten; übrige Flügedecken, Schwingen und Schwanz einfarbig bronzegrün, die 
Handschwingen dunkler, mehr bronzebraun; einzelne der äußeren mittleren und großen Flügel- 
decken in der Endhälfte der Außenfahne matt, düster rostbräunlich mit Bronzeglanz und feiner, 
dunkler Querwellung. Handdecken dunkel bronzegrün. Zügel und breite Umgebung des Auges 
nackt, darüber, von den graulichen Stirnfedersäumen ausgehend, verläuft ein Streifen dunkel- 
brauner Federn, die aschgrau gerandet sind, so daß ein Superciliarstreifen entsteht. Bartgegend, 
Ohrgegend und Seiten des Vorderhalses ebenfalls dunkelbraun mit aschgrauen Rändern. Keble 
und vordere Partie des Vorderhalses nackt, mit einzelnen steifen Borsten besetzt, keine Wamme. 
Hintere Partie des Vorderhalses und Gurgel dunkel bronzegrün mit sehr deutlichen weißen Rand- 
säumen (etwas breiter als am Nacken), diese Zeichnung setzt sich auch noch über die Brust 
fort, deren Grundfarbe in der vorderen Partie bronzebraun ist und allmählich in die mattröstlich- 
braune Färbung des übrigen Unterkörpers übergeht. Bauch, Hosen und Unterschwanzdecken 
mit feinen, verloschenen, schwärzlichbraunen Querwellen. Analgegend, Bauchseiten und Unter- 
schwanzdecken entbehren der weißen Federsäume gänzlich, letztere sind ein wenig bronzegrünlich 
überlaufen. 

Penelope superciliaris jacupemba Spix 


[Penelope supereciliaris (Illiger Ms.) Temminck, Hist. nat. Pig. et Gall. III (1815), p. 72 [„Bresil 
et plus particulierement dans le distriet de Para“ — coll. Hoffmannsegg].] 
Penelope jacupemba Spix, Av. Bras. .II (1825), p. 55 (part.). 


Die Sammlung enthält nur mehr ein Exemplar mit der Aufschrift: „Penelope superciliaris 
Ill. — Jaeu-peba (sie!) Sp. Brasilien. Spix.“ — A. 248, c. 290, eulm. 31?/, mm. 

Jacu-peba ist augenscheinlich ein Schreibfehler für den ähnlichen Namen „Jacupemba“ ; 
denn der Vogel hat mit P. jacupeba Spix nichts zu tun, gehört vielmehr, wie die roströtlichen 
Säume auf den Flügeln beweisen, in die nächste Verwandtschaft von P. supereiliaris Temm. 

In der Diagnose sagt Spix: „striga super oculos rufescente“, in der darauffolgenden 
Beschreibung: „striga a fronte super nares versus oceiput rufescens vel canescens“. 
Der Autor scheint also in erster Linie einen Vogel mit rostfarbigem Supereilium im Auge gehabt 
zu haben, wenngleich die Abbildung (tab. 72) ein Exemplar mit aschgrauem Brauenstreifen darstellt. 

Das einzige in der Sammlung befindliche Stück von Spix’ Reise besitzt in der Tat blaß 
röstlichen Superciliarstreifen und unterscheidet sich dadurch sehr wesentlich von einer Serie der 
echten Penelope superciliaris Temm.!) aus Ypanema, Rio, Mattogrosso und Borba, bei denen 
er stets graulichweiß gefärbt ist. Außerdem weicht das Spix’sche Exemplar von ihnen durch 
entschieden mattere, mehr graugrüne Färbung von Vorderhals und Brust mit breiteren, asch- 
grauen Säumen und matteres Bronzegrün von Oberkopf und Nacken ab. Drei von Reiser am 
See von Parnagua, Piauhy, gesammelte Vögel (6 und 9) stimmen mit dem Spix’schen Typus 
in jeder Hinsicht überein, letzterer hat nur etwas breitere, roströtliche Säume auf den Schwingen 
und Flügeldecken und auch auf den Oberschwanzdecken und Steuerfedern schmale, rostfarbige 
Ränder, die jenen gänzlich fehlen. 

Da somit vier gleiehgefärbte Individuen vorliegen, trage ich kein Bedenken, die Form 
mit rostfarbigem Supereilium abzutrennen und verwende für sie, entsprechend dem eben Gesagten, 
Spix’ Bezeichnung jacupemba. Freilich gibt Spix als Fundort: „in sylvis Rio de Janeiro ad 
pagum indieum Prezidio de St. Joäo“ an, wo die echte P. s. superciliaris Temm. vorkommt. Da er 
indessen auch einen Vogel mit graulichweißem Supereilium abbildet, der sich leider in der 
Sammlung nicht mehr vorfindet, kann uns diese widersprechende Angabe nicht weiter stören. 


!) Temminck sagt in der Originalbeschreibung ausdrücklich: „une autre bande composee de plumes 
blanches, part de la racine du bee, passe au dessus de la membrane nue des temps, et aboutit egalement 
ä l’oreille“ (1. c.). 


691 


Spix hat die beiden Formen nicht für verschieden gehalten und führte bloß die Lokalität an, 
wo er den abgebildeten Vogel mit aschgraulichem Brauenstreifen antraf. 
P. superciliaris jacupemba Spix könnte also durch folgende Diagnose gekennzeichnet werden: 
P. P. supereiliari similis, sed macula frontali et striga supereiliari pallide rufescentibus 
(nee canescentibus); jugulo pectoreque grisescente-viridibus (nee pure bronzino-viridibus) marginibus 
albescentibus latioribus; pileo dorsoque obscuriore bronzino-viridibus: facile distinguenda. 
Habitat: in provıneia Piauhy, Brasiliae sept. orientalis. 
Als teilweises Synonym zu 


Penelope s. superciliaris Temm. 
muß gestellt werden: 


Penelope jacupemba Spix, Av. Bras. II (1825), p. 55 (part.), tab. LXXII [,in sylvis Rio de 
Janeiro ad pagum indieum Prezidio de St. Joäo“]. 


Ortalis guttata (Spix) 
Penelope guttata Spix, Av. Bras. II (1825), p. 55, tab. LXXIII („ad,flumen Solimoens*). 


Die Sammlung besitzt ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Ortalida guttata Sp. Brasilien. 
Spice“, das in jeder Hinsicht mit Beschreibung und Abbildung übereinstimmt und zweifellos das 
Original derselben darstellt. 

Es ist folgendermaßen gefärbt: 


Oberseite dunkelbraun, Scheitel und Nacken dunkler und matter, die Stirnfedern heller 
bräunlich gerandet, einzelne der Scheitelfedern mit undeutlichen, graulichen Spitzenflecken. Hinter- 
rücken und Oberschwanzdecken dunkel rostbraun. Flügeldecken und Schwingen dunkelbraun, 
Armschwingen mit kaum wahrnehmbarem Bronzeschimmer. Schwanz: die drei äußersten Paare 
lebhaft kastanienrotbraun mit Ausnahme der äußersten Basis der Innenfahne, die gleich den 
übrigen Paaren dunkel bronzegrün ist. Zügel und eine ausgedehnte Partie ums Auge nackt, 
Bartstreif und Ohrgegend braun, heller als der Scheitel. Kehle nackt, rot, längs der Mitte 
zieht ein Streifen dunkelbrauner Federn, Vorderhals und Brust dunkelbraun, etwas dunkler als 
der Rücken, mit breiten, weißlichen Spitzensäumen, die auf den Seiten des Halses kürzer, daher 
mehr fleckig erscheinen; Hinterbrust und Bauch wesentlich heller, einfarbig lebhaft rahmbraun, 
Bauchseiten und Unterschwanzdecken dunkler, kastanienbraun. Handschwingen etwas heller 
braun als der Rücken. 

A. 200, c. 220, culm. 26 mm. 

Schnabel hornbraun, Spitzendrittel beider Mandibeln weißlich. 

Außer dem Typus untersuchte ich eine Serie von elf Exemplaren in den Museen Vindob. 
und H. v. Berlepsch und zwar von folgenden Fundorten: 


Mus. Vindob.: 2 66 Forte do Principe, Mattogrosso (Natterer) 

» n 2009 Borba, Rio Madeira (Natterer) 

5 H 1 0 8. Vicente, Mattogrosso (Natterer) 

8 n 1 © Mattogrosso (ohne näheren Fundort) (Natterer) 
Mus. H.v.Berlepsch: 1 ö& Samiria, Nordost-Peru (Hauxwell) 


n n 1 ö 19 Umgebung von Cuzeo, Südost-Peru (O. Garlepp) 
n B 10 8. Antonio, Yungas, Bolivia (G. Garlepp) 
5 e 1 ad. (ohne Geschlechtsangabe), S. Mateo, Nord-Bolivia (G. Garlepp). 


Diese Serie variiert in mancher Hinsicht nicht unbeträchtlich; ob sich auf Grund der ver- 
schiedenen Abweichungen aber Lokalrassen werden aufstellen lassen, kann nur durch viel größeres 
Material entschieden werden. Übrigens stimmt die Suite in den wesentlichsten Punkten mit 
Spix’ Typus überein, namentlich haben alle Exemplare den Scheitel und Nacken heller oder 
dunkler braun (niemals zimtrotbraun), den Unterkörper stets rahmbräunlich (niemals weiß), 
gehören also keineswegs zu O0. araucuam caracco (Wagl.), die gleichfalls aus Zentral-Ost-Peru 
beschrieben ist und über die man weiter unten vergleichen wolle. Die Vögel aus Mattogrosso, 

89 * 


692 


eines der 99 von Borba und das ö Samiria haben wie der Typus den vordersten Stirnrand 
und die Brauengegend nur schwach aschgraulich oder hellbräunlichweiß gerandet, bei einem 
anderen O0 von Borba und dem Paar von Üuzco ist diese Zeichnung viel deutlicher und weiter 
ausgedehnt und in noch höherem Grade bei den Stücken aus Bolivia entwickelt. Die Färbung 
von Scheitel und Nacken variiert von Olivbraun (gleich dem Rücken) bis zu einem viel dunkleren 
Schwärzlichbraun (das letztere ist bei ö Samiria und den beiden Bolivia-Bälgen der Fall), ebenso 
die des Hinterrückens, welcher bald wie beim Typus matt rostbraun, bald (bei dem Paare von 
Cuzeo) in der Mitte olivbraun und an den Seiten hell zimtrostrot gleich dem Typus von O. caracco 
und dem von Parreyß gekauften O. araucuan des Wiener Museums, bald ganz von der letzteren 
Farbe ist, also wie beim Typus von O. araucuan-albiventris Wagl. (dies ist beim O von Mattogrosso 
ohne näheren Fundort der Fall). Die Ausdehnung der kastanienroten Färbung auf den äußersten 
Steuerfedern ist gleichfalls etwas variabel. Das ö von Samiria und das ö von Cuzco stimmen 
hierin mit dem Typus überein, bei allen übrigen Bälgen ist die Basis der drei äußeren Paare 
immer in einiger Ausdehnung grünlichbronzebraun gefärbt. Während die Bolivianer ganz schwarzen 
Schnabel besitzen, bezw. das Stück von S. Mateo mit einem undeutlichen, hellbräunlichen Fleck 
an der Spitze der oberen Mandibel, erscheint bei allen übrigen der Spitzenteil beider Kiefer 
scharf abgesetzt gelbweiß. In der Größe läßt sich zwischen den Stücken von verschiedenen Fund- 
orten keine konstante Differenz nachweisen. 


Penelope araucuan Spix 


Die Sammlung besitzt die Typen von P. araucuan und P. albiventris, die als Synonyme 
zu betrachten sind, während die bisher O. araucuan genannte Art eine neue Bezeichnung erhalten 
muß. Wir haben folgende Exemplare: 

no. 1 mit der Bezeichnung (von, Siebolds Hand): 

„Ortalida albiventris Wagl. Brasilien.“ Die Präparation ist ganz von der Art und Weise, 
wie sie für die Spix’schen Stücke charakteristisch ist, und obwohl es nicht ausdrücklich ange- 
geben wird, stammt der Vogel zweifellos von der Spix-Martius-Expedition. Dies ist laut Museums- 
katalog der Typus von P. albiventris Wagl., welcher nach ausdrücklicher Angabe dieses Autors 
im Mus. Monac. sich befindet (Isis 1830, p.. 1111). 

no. 2. „Ortalida araucuan Sp. Brasilien. Spix.“ 

no. 3. „Ortalida araucuan. Sp. Brasilien.“ Bei diesem Exemplar ist im Kataloge der K. B. 
Staatssammlung ausdrücklich die Spix’sche Expedition als Quelle bezeichnet, eine Angabe, die 
auch durch die Präparation bestätigt wird. 

Spix hat in der Beschreibung P. araucuan auet. und P. albiventris auet. als Ööund Q einer 
Art angesehen, wie schon aus der Fundortsangabe: „in locis aquosis provineiae Maranhdo ad 
flumen Itapicuru et ad pagum St. Domingo distrietus Minas Novas“ hervorgeht. O, araucuan auct. 
ist bisher nur vom unteren Amazonas’ und Maranhäo, die andere Art (albiventris auct.) dagegen 
nur von Bahia, Minas Geraös und Pernambuco bekannt. Wagler (Isis 1830, p. 1111, 1112) 
stellte zuerst fest, daß Spix zwei Arten vermengt hat und benannte die weißbäuchige Form aus 
Bahia als P. albiventris. Dazu wurde er offenbar dadurch verleitet, weil Spixens tab. 74 deutlich 
einen braunbäuchigen Vogel (i. e. O. araucuan auct.) darstellt. Allein die Kennzeich- 
nung im Text (p. 56) bezieht sich ganz klar auf ?. albiventris Wagl. et auet. Spix beschreibt die 
Art folgendermaßen: „supra pallide brunnescens, tombaceo-virescenti relucens; caput rufescens ... 
(dies könnte auf beide Arten passen), fronte albicante, striga super oculos rufo-fulve- 
scente; . ... jugulum, peetus et in mare tectrices alarum einerascentibus, plumis basi 
fusco-brunneis, apice einereis; teetrices dorsi anterioris in mare apice aeque cinereo- 
fimbriatae (in foemina vix), dorsum infinum maris castaneum, foeminae rufescens“ 
(diese Gegenüberstellung trifft ausgezeichnet den Unterschied in der Färbung des Hinterrückens, 
der bei 0, albiventris auet. intensiv zimtrostrot, bei O, araucuan auet. kaum rötlicher als der 
Rücken erscheint). 

Der Typus von P. albiventris Wagl. hat in der Tat ausgedehnte, trüb rahmweißliche Stirn, 
wovon bei no. 2 und 3 keine Spur zu sehen ist, über dem Auge verläuft ein röstlicher Super- 


693 


eiliarstreifen, der bei jenen viel schwächer entwickelt ist, die Federn des Vorderrückens tragen 
schwache, grauliche Spitzenränder, der Hinterrücken ist lebhaft zimtrostrot (bei no. 2 und 3 
die ganze Oberseite fast gleichmäßig dunkelbraun) und die Federn des Unterhalses und der 
Vorderbrust weisen breite, scharf abgehobene, grauweißliche Spitzensäume auf, während diese 
Teile bei no. 2 und 3 kaum Spuren davon erkennen lassen. 

Aus dem Gesagten geht also hervor, daß Spixens Beschreibung von P. araucuan fast 
ausschließlich auf die später von Wagler P. albiventris genannte Form sich bezieht, letzterer 
Name somit als Synonym des ersteren zu betrachten ist, und daß die von Spix als O seiner 
P, araucuam betrachteten und auf tab. 74 abgebildeten Vögel einer anderen Art angehören, für 
welche ich die Bezeichnung Ortalis spixi in Vorschlag bringe. 


Die Synonymie dieser Arten ist somit: 


a) Ortalis araucuan (Spix) 


Penelope araucuan Spix, Av. Bras. II (1825), p. 56 (nee tabula!) (part.: „Ö“) („ad pagum 
St. Domingo distrietus Minus Novas“). 

Penelope albiventris Wagler, Isis 1830, p. 1111 („Brasilia versus flumen Amazonum“ — errore!). 

Ortalis albiventris Grant, Cat. Birds XXI, 1893, p. 508. 

Penelope araucuan Wied, Beitr. Naturg. 4. II (1833), p. 549 („nicht südlicher als am Rio Doce, 
von da an nördlich, am Mucuri, Alcobaca; im Sertong von Bahia, Minas Geraös... 
nicht selten“). 

Penelope araucuan Burmeister, Syst. Übers. 3. (1856), p. 340 (Bahia ete.). 

Ortalida araucuan Pelzeln, Zur Ornith. Bras. III (1869), p. 285 (Bahia). 


no. 1. „ö*(?) Brasilien. Spix leg. Typus zu Penelope araucuan Spix „ö“ und zu P. albi- 
ventris Wagl. 

A. 190, ce. 230, culm. 25 mm. 

Stirn trüb rahmweißlich mit feinen, schwärzlichen Schaftstriehen, Scheitel, Hinterkopf und die 
vorderste Nackenpartie hell zimtrotbraun, mit etwas blasseren Rändern, Brauengegend bis oberhalb 
der Ohrdecken wesentlich heller, rostgelb mit dunklen Schaftlinien, so daß ein undeutlicher 
Superciliarstreif entsteht. Zügel und breiter Ring ums Auge nackt, Bart- und Ohrgegend hell 
rostbraun mit helleren, mehr rostgelben Schaftstreifen. Kehle nackt, längs der Mitte ein Streifen 
borstenartiger, schwärzlicher Federn. Unterhals, Halsseiten und Vorderbrust braun mit breiten, 
grauweißen Spizensäumen. Hinterbrust und Bauch weiß, Hosen blaß rahmbräunlich, Bauchseiten 
rostgelb, Unterschwanzdecken graulichweiß mit roströtlichen Enden, einige der längsten dunkel 
olivbraun, an der Spitze röstlich überlaufen. Nacken-, Vorder- und Mittelrücken und Flügel- 
deeken olivbraun mit leichtem Bronzeschimmer, die Federn des Mantels und der Flügeldecken 
mit undeutlichen, schmalen, olivgrauen Spitzenrändern. Schwingen olivbraun. Hinterrücken lebhaft 
zimtrostrot, Oberschwanzdecken matt rostbraun. Schwanz: zwei äußerste Paare kastanienrotbraun 
mit der Basishälfte der Innenfahne matt bronzegrün; das nächste Paar bronzegrün, der Endteil 
beider Fahnen in einer Ausdehnung von etwa 60 mm kastanienrotbraun; die übrigen Paare 
bronzegrün. Achselfedern und kleine Unterflügeldecken lebhaft hellzimtrot. Schnabel dunkel 
horngrau mit weißlicher Spitze. 

Mus. Vindob. no. 1. „ö“ ad. Bahia (Kammerlacher leg.) stimmt mit dem Typus in der 
Färbung völlig überein, bloß das Rot auf den Steuerfedern ist etwas weniger weit gegen die 
Basis hin ausgedehnt und die Dimensionen sind bedeutend geringer. 

A. 172, e. 205, culm. 24 mm. 

Mus. Vindob. ad. Brasilien (ex Parreyß, 1845, III. 4) unterscheidet sich nur durch ver- 
loschene, grauliche Spitzenfleckchen auf dem rostrotbraunen Scheitel und Nacken, der Hinter- 
rücken ist längs der Mittellinie breit olivbronzebraun, nur an den Seiten lebhaft 
zimtrostrot und die weißen Spitzensäume auf Halsseiten und Vorderhals sind nieht so gerundet, 
sondern mehr lanzettlich. 

A. 190, ce. 240, eulm. 241) mm. 


694 


Diese Art steht ©. guttata (Spix) sehr nahe, wie bereits Grant bemerkt hat, unterscheidet 
sich aber leicht durch folgende Abweichungen: die Stirn ist in großer Ausdehnung rahmweiß; der 
Scheitel und Hinterkopf rotbraun (bei O. guttata dagegen der ganze Oberkopf von der Stirn an 
dunkelbraun gleich dem Rücken); der Mantel durchschnittlich heller olivbraun; die Grundfarbe 
von Vorderhals und Vorderbrust heller braun;, Hinterbrust und Bauch weiß (statt hell rahm- 
bräunlich) u. s. w. 

Der Fundort ${. Domingo in Minas Novas bezieht sich zweifellos auf das in Rede stehende 
Exemplar. 

Bemerkungen über Ortalis caracco (Wagl.) 


Penelope sp. Pöppig in: Frorieps Notiz. 1831, no. 681 (Okt. 1831), Beilage, p. 8 („Peruanis est 
Caraecco*) unde: 
Ortalida caracco Wagler, Isis 1832, p. 1227. 


Unbegreiflicherweise wurde OÖ. caracco (Wagl.) bisher immer auf eine in Colombia heimische, 
grauscheitelige Form bezogen, obwohl die Art auf einen von Pöppig aus Zentral-Peru heim- 
gebrachten Vogel begründet worden war. Durch die Güte Dr. Schmidtleins liegt mir Waglers 
Typus, der dem Leipziger Universitätsmuseum gehört, vor und es zeigt sich nun, daß die bis- 
herige Deutung ganz unrichtig war. OÖ. caracco ist außerordentlich nahe verwandt, ja 
wahrscheinlich sogar identisch mit O. araucuan (= albiventris) aus Ost-Brazil! Der Typus 
unterscheidet sieh von letzterer Art nur durch hell graubräunliche (statt weiße) Brustseiten ; 
der Hinterrücken ist in der Mitte bronzebraun, nur an den Seiten zimtrostrot vermischt (also 
ähnlich gefärbt wie bei dem unter OÖ. araucuan besprochenen Vogel des Wiener Museums (ex 
Parreyß), welcher freilich mehr lanzettliche, weniger gerundete Säume auf dem Vorderhals 
und der Vorderbrust trägt, wogegen das Pöppig’sche Stück hierin völlig mit dem Typus von 
OÖ. araucuan im Mus. Monae. übereinstimmt). Wie bei letzterem sind Scheitel und Nacken hell 
zimtrostbraun, die Stirn rahmweißlich mit dunklen Schaftstrichen, Mantel und Flügeldecken tragen 
olivgrauliche Spitzenränder, Unterhals und Vorderbrust sind braun (wesentlich heller als bei 
O. guttata), mit breiten, grauweißen Spitzensäumen und die Färbung der Steuerfedern ist bei 
beiden ganz gleich. 

Das Stück trägt‘ folgende Etikette: „Ortalida Merr., Ortalida caracco Pöpp. in Frorieps 
Notiz. 1831, p. 8, Peruvia, Pampayaco,!) 1829, Pöppig“ und mißt: a. 172, c. 207, culm. 231), mm. 

Jedenfalls ist der Vogel total verschieden von O0. guttata, die, wie oben bemerkt, auch in 
Peru vorkommt; doch glaube ich, wird eine größere Serie aus Zentral-Ost-Peru die Identität 
von O. caracco mit O. araucuan sicher ergeben. Dies hätte übrigens gar niehts so Wunderbares 
an sich, als es im ersten Augenblick scheinen möchte. Kalinowski hat in letzten Jahren aus 
den Steppen des östlichen Zentral-Peru einige Arten eingesendet, welche man bisher als den 
Campos des östlichen Brasilien eigentümlich betrachtet hatte, so Myiarchus pelzelni Berl., Synallaxis 
hypospodia u. s. w. Die peruanischen Bälge dieser Arten sind absolut identisch mit den typischen 
Vögeln aus Bahia ete. 

Die von Grant und anderen für O. caracco Wagl. genommene Art aus Columbien, von der 
ich zwei Exemplare im Wiener Museum untersuchte, muß somit einen neuen Namen erhalten 
und ich nenne sie 


Ortalis columbiana n. sp. 
0. caracco (nee Wagler) Grant, Cat. Birds Brit. Mus. XXII, p. 509 (Colombia). 


Sie unterscheidet sich von O. guttata (Spix) sofort dureh aschgrauen (statt dunkelbraunen) 
Oberkopf und Nacken, welche Färbung auf der Stirn in Weißlichgrau übergeht und überdies 
schwärzliche Schaftstriche trägt, aschgrau gefleekte Kehlseiten, dunklere, schwärzliche Grundfarbe 
von Vorderhals und Vorderbrust mit wesentlich schmäleren, aber schärferen, viel mehr gerundeten 


!) Pampayaco liegt, wie ich der Spezialkarte in Pöppigs Reisewerk (Reise in Chile, Peru und auf 
dem Amazonenstrom, Bd. Il, 1836) entnehme, nicht weit östlich von Huanuco, an den Quellen des Rio 
Huallaga in Zentral-Ost-Peru. 


695 


und rings um die ganze Feder ziehenden, weißlichen Säumen. Der Unterkörper ist hell rahmbraun 
wie bei O. guttata und geht auf Weichen und Hosen in Rostgelbbraun über; Unterschwanz- 
decken kastanienrot. Mantel grünlichbronzebraun, Hinterrücken kaum rötlich vermischt, ersterer 
zeigt gleich den kleinsten Flügeldeeken schwache, grauliche Ränder. Das Rot auf den Steuer- 
federn ist etwa so weit ausgedehnt wie beim Typus von 0. guttata, auf dem äußersten Paare 
reicht es nämlich fast bis an die Basis, auf den beiden folgenden bleibt etwa das basale Drittel 
grünlichbronzebraun. 

Typus in Mus. Vindob. Colombia (ex Jamrach), no. 1840, III. 20. A. 200, e. 270, culm. 26 mm. 

Ein zweites Exemplar hat nur die Kehlseiten etwas mehr aschgrau gefleckt, ist aber sonst 
ganz gleich. 

Mus. Vindob. mit derselben Auszeichnung: a. 226, e. 286, eulm. 28 mm. 

Der Schnabel ist bei beiden Exemplaren hornschwarz, die Spitze der oberen Mandibel gelbweiß. 


b) Ortalis spixi nom. nov. 


Penelope araucuan Spix, Av. Bras. II (1825), p. 56 (part.: 9), tab. LXXIV („P. araucuan“) 
(„provineiae Maranhäo ad Humen Kapicuru*“). 

Penelope Araucuan (nee Spix) Wagler, Isis 1830, p. 1112. 

Ortalida supereiliaris (nee Gray) Pelzeln, Zur Ornith. Bras. III, 1869, p. 285 (Parä, R. Muriä, 
Cajütuba). 

Ortalis araucuan (nee Spix) Grant, Cat. Birds XXII (1893), p. 506 (Parä). 


Die Sammlung besitzt, wie oben bemerkt, zwei Exemplare; welches davon als Vorlage 
zur Abbildung diente, läßt sich nicht mehr feststellen, da sie fast gleich gefärbt sind. 

no. 2. „Ortalida araucuan Sp. @ Brasilien. Spix.“ 

no. 8. „Ortalida araucuan Sp. Q Brasilien.“ Typus von Ortalis spixi Hell. 

Oberseite olivbraun, Scheitel etwas mehr röstliehbraun, Stirnfedern nur wenig blasser 
bräunlich mit dunklen Schaftstrichen; Hinterrücken und Oberschwanzdeeken etwas mehr röstlich- 
braun. Flügeldecken und Schwingen olivbraun; die inneren Flügeldecken etwas rostbräunlich 
überlaufen. Schwanzfedern matt bronzegrün; die beiden äußeren Paare an den beiden End- 
dritteln, das folgende in der Endhälfte und die Spitze der Außenfahne des folgenden (vierten) 
Paares in einer Ausdehnung von etwa 6 mm kastanienrotbraun. Deutlicher Superciliarstreifen 
rahmröstlich; Zügel und Augengegend nackt, Bart- und Ohrgegend matt rostbräunlich. Kehle 
nackt mit einem befiederten Medianstreifen. Unterhals und Vorderbrust blaßbraun mit olivgrauen 
Federenden, welche aber so undeutlich abgegrenzt sind, daß keine helle und dunkle Schuppung 
entsteht wie bei ©. gutiata und O. araucuan. Hinterbrust und Bauch rahmgelblich, Hosen und 
Analgegend etwas dunkler, mehr bräunlich; Unterschwanzdecken rostrot mit helleren Basen. 
Achselfedern und Unterflügeldecken olivbraun, letztere leicht röstlich überlaufen. Schnabel dunkel 
horngrau, Spitze der oberen Mandibel gelblich. 

Unsere Stücke sind fast ganz identisch, no. 3 hat nur die Flügeldecken und Schwingen 
etwas mehr röstlich-, weniger olivbraun. 

Fünf Vögel im Wiener Museum aus der Gegend von Parä (Natterer coll.) stimmen sehr 
gut mit den Typen überein. Alle haben auf dem viert-äußersten Steuerfedernpaar noch einen 
kastanienroten Spitzenfleck; letztere Färbung zieht auf der Innenfahne der zwei äußersten 
Paare bis nahe an die Basis, während das basale Drittel der Außenfahne bronzegrünlichbraun 
ist; das folgende Paar ist an beiden Fahnen im Basisdrittel grünlichbronzebraun. 

Ein O ad. vom Rio Muriä bei Parä, 1835, stimmt fast völlig zu no. 3 Mus. Monac., weicht 
nur ab durch etwas mehr röstlichen Scheitel und dunklere, mehr rahmbräunliche Färbung von 
Bauch und Hosen. Der Brauenstreif ist ebenso deutlich entwiekelt, aber auch die Stirn erscheint 
etwas graugelblich vermischt. Ein Q von Parä ist in der Färbung der Unterseite völlig identisch 
mit dem Typus von 0, spixi, hat aber undeutlicheren Brauenstreif, viel dunkler rostbraune Flügel 
und Rücken sowie matter rötlichbraunen Scheitel. Ein ö jr. Parä, 2. November 1831, stimmt 
mit dem ebengenannten Vogel von Cajütuba in der Färbung der Oberseite überein, aber der 
Scheitel ist noch matter, dunkelbraun (ohne jeden röstlichen Ton), die Stirnfedern sind in 


696 


größerer Ausdehnung bräunlichweiß gesäumt; ein breiter, scharf markierter, bis über die 
Olmldeken reichender, rahmröstlicher Brauenstreifen vorhanden, Vorderhals auffallend 
dunkelbraun (fast wie beim Typus von 0. guttata), aber ohne helle Säume. Ein ö ad. Rio 
Muriä, 1835, und ein 9 jr. Cajutuba, 1835, sind auf Vorderhals und Vorderbrust reiner grau 
als alle übrigen, ohne bräunlichen Ton und mit sehr undeutlichen, helleren Spitzenrändern. Die 
Stirn und ein breiter Brauenstreifen trübweiß mit dunklen Schaftlinien. In Bezug auf diesen 
Charakter scheinen die beiden Vögel O. superciliaris Gray recht nahe zu kommen, allein letztere 
Art soll breite, weiße Säume auf Vorderhals und Vorderbrust besitzen! Sollte diese nicht auf 
einen Bastard zwischen O. spixi und O. guttata zurückzuführen sein? Der Typus, das einzige 
bekannte Stück, stammt aus der Gefangenschaft und sein Fundort ist unbekannt! 


Bei allen sieben untersuchten Stücken von ©. spixi sind Hinterrücken und Oberschwanz- 
decken braun wie der Mantel, nieht zimtrostrot wie bei ©. araucuan (= albiventris), und die 
Spitze der oberen Mandibel hellgelb. 


Mus. Monac.: no. 2. Q Maranhäo, Spix leg. . . . a.170, ce. 200, culm. 21 mm 
no. 8. © 5 „© ,Eypus'von 
O. spiei Hellm. . . „2a. 170, e. 192, culm. 21!/, mm 
„ Vindob.: no. 1. „ö* ad. „Rio Muriä* 5 a. 180, e. 195, ceulm. 21! „ 
E ar 1002006 Juv. En 2. Nov. 18344 a. 174, e. 202, culm. 22 mm 
2 = no. 3. „Q“ juv. „Cajütuba“ ar 169,26.2192 7 eulmes > ar 
= ” no. 4. „oO“ ad. „Parä* DT 2a al Eeulumroze 
e re no. 5. „Q“ ad. „Rio Muriä . . a. 120, c2190, culm.12252, 


Von O. araucuan (= albiventris Wagl.) unterscheidet sich die Art also in folgenden Punkten: 
der Hinterrücken ist kaum verschieden vom Mantel (statt zimtrostrot), Unterhals und Vorderbrust 
erscheinen bräunlicholivgrau und entbehren völlig der auffallenden, weißgrauen Endsäume, der 
Unterkörper ist rahmgelblich (statt weiß), die Achselfedern olivbraun (statt zimtrostrot). Alle 
Dimensionen sind geringer. Das Kastanienrot der Schwanzfedern ist keineswegs weiter gegen 
die Basis ausgedehnt als bei O. araucuan, wie man nach Grants Bemerkung annehmen könnte, 
nur zeigt auch die vierte Feder von außen noch eine kastanienrotbraune Spitze, was bei O. araucuan 
nieht der Fall ist. O. guttata unterscheidet sich u. a. sofort durch die schwarzbraun und weißlich 
seschuppte Vorderbrust und Unterhals. 


O. motmot (Linn.) ist oben und besonders unterseits fast ebenso gefärbt wie O. spixi, weicht 
aber durch viel bedeutendere Größe, kastanienrotbraunen Oberkopf, Oberhals und Vorderhals 
und dadurch ab, daß die kastanienrote Färbung auf den beiden äußeren Steuerfedernpaaren fast 
bis an die Wurzel ausgedehnt ist. 


Columbina strepitans Spix = Columbula picui (Temm.) 


Columba picwi Temminek, Hist. nat. Pig. et Gall. I (1813). p. 435, 498 [ex Azara no. 324 — 
Paraguay]. 
Columbina strepitans Spix, Av. Bras. II (1825), p. 57, tab. LXXV, Fig. 1 [,in campis Piauhy“]. 


Ein Exemplar, etik.: „Columbina strepitans Sp. Brasilien. Spix.* — A. 88, c. 79, r. 14 mm. 


Der Vegel ist in sehr beschmutztem Gefieder, überdies augenscheinlich nicht ausgefärbt. 
Die Federn der Stirn und des Vorderscheitels sind weißlichrosa gefärbt mit blaßgraulicher Spitze, 
der Scheitel und die mittleren Steuerfedern sind noch hellbraun, nur am Nacken erscheinen 
bereits die blaßgrauen Federn des Alterskleides. Die Unterseite ist entschieden’ blasser und lange 
nicht so lebhaft rosa überlaufen wie bei einem alten & aus Bahia und einem Vogel aus Bolivia 
[Mus. H. v. Berlepsch]. Da auch Salvadori (Cat. Birds Brit. Mus. XXI, p. 471) auf die blasse 
Färbung eines Balges aus Cearä hinweist, wäre es immerhin möglich, daß die Vögel aus Nordost- 
Brasilien eine besondere Form darstellen. Zur Feststellung ihrer Kennzeichen ist jedoch eine 
Serie frischer Stücke erforderlich. Sollte sich meine Vermutung bestätigen, dann müßte für sie 
allerdings Spix’ Name in Anwendung kommen. 


Zi, 


697 


Uropelia campestris (Spix) 


Columbina campestris Spix, Av. Bras. II (1825), p. 57, tab. LXXV, Fig. 2 [,in campis Bahiae“]. 
Columba venusta Temminck, Pl. col. livr. 57 (April 1825), tab. 341, Fig. 1 [„Bresil, dans la 
province de Goyas“]. 


Die Sammlung besitzt zwei Exemplare, etik.: „Chamaepelia venusta Temm. Brasilien.“ 
Obwohl Spix als Sammler nicht bezeichnet ist, stammen sie doch sicher von seiner Reise, wie 
ein Blick auf ihre Präparation beweist. 

nos adult. re leRe28seulmellsemm 
n0: 2. av. jE.uW). Sr0ae700e284Fculmı 12, 

no. 1 entspricht völlig der Spix’schen Abbildung und zeigt besonders die auffallenden 
Flecken auf den Flügeln. Es ist ein alter, ausgefärbter Vogel. Bei no. 2 sind die dunklen 
Abzeichen auf den Flügeln noch nicht ganz entwickelt; auch das übrige Gefieder läßt erkennen, 
daß es ein jüngeres Exemplar ist. 

Die Art ist in Sammlungen noch recht selten und scheint nur von wenigen Reisenden ange- 
troffen worden zu sein. Allem Anscheine nach ist sie ein Steppenbewohner. Ganz charakteristisch 
für sie ist die Schwanzbildung. Das vierte, fünfte und sechste Paar sind ungefähr gleich lang, 
das dritte etwa um 20 mm kürzer, das zweite um etwa 13 mm kürzer als das dritte und das 
äußerste wieder um ebensoviel kürzer als das zweite, so daß es nur etwa zwei Drittel der 
längsten Steuerfeder bedeckt. 

Möglicherweise ist Temmincks Beschreibung früher publiziert worden; da ich indessen die 
Erscheinungszeit des Spix’schen Werkes nicht festzustellen vermag, folge ich dem allgemeinen 
Gebrauch in der Anwendung des Namens campestris. 


Columbina cabocolo Spix = Columbigallina talpacoti (Temm.) 


Columba talpacoti Temminck, Hist. nat. Pig., Colombi-Gall., p. 22, tab. XII, s. n. ©. minuta Lath. 
(1811) („L’Amerigue meridionale“). 
Columbina cabocolo Spix, Av. Bras. II (1825), p. 58, tab. LXXVa, Fig. 1 (mas.) (kein Fundort). 


Der Typus ist nicht mehr in der Sammlung; er wurde 1892 an das Luitpold-Gymnasium 
oder an das Gymnasium in Erlangen als Duplum abgegeben. Nach Spixens Kennzeichnung 
unterliegt es aber keinem Zweifel, daß es sich um oben stehende Art handelt. Die Tafel stimmt 
recht gut mit einem Bahia-Balg (no. 1903/2995, Mus. Monae.) überein, nur ist die Kehle wein- 
rosa und nicht aschgrau, wie dort dargestellt. Das ist aber sicher nur ein Fehler des Koloristen, 
denn in der Beschreibung ist nur das „mentum“ als „albicans“ bezeichnet. 


Columbina griseola Spix — Columbigallina passerina griseola (Spix) 
[Colımba passerina Linnaeus, Syst. nat. X (1758), p. 165 (part.: ex Sloane [erstes Zitat] — 
Jamaica).] 


Columbina griseola Spix, Av. Bras. Il (1825), p. 58, tab. LXXVa, Fig. 2 („in sylvis fl. Amazonum*). 
Chamaepelia granatina Bonaparte, Consp. Av. II (Dez. 1854), p. 77 (Bogotä). 


Ein © jr. mit der Bezeichnung: „Columbina griseola Spix, Chamaepelia minuta L. Brasilien. 
Spix“, das sehr gut der Spix’schen Beschreibung entspricht. 

Allgemein hatte man Spix’ Namen als Synonym zu (. minuta (L.) gestellt, bis Graf 
Berlepsch (Journ. f. Ornith. 1887, p. 34) richtig erkannte, daß er sich nur auf ©. passerina 
beziehen könne. Dies wird .durch die Untersuchung des Typus vollauf bestätigt. Leider beging 
Salvadori (Cat. Birds XXI) wieder den alten Fehler und führte O. griseola unter der Synonymie 
der ©. minuta auf. 

Das Original ist ein jüngerer Vogel, wie die mattschwarze (statt purpurschwarze) Färbung 
der Flecken auf einigen der inneren Flügeldecken und Tertiärschwingen und das Vorhandensein 
feiner, weißlicher Spitzensäume auf den Oberflügeldeckfedern beweisen. Von allen mir vor- 
liegenden 00 aus Bahia, Parä, Bogotä, Mexiko, Martinique ete. unterscheidet es sich durch 


Abh.d.Il.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXII. Ba. III. Abt. 90 


698 


die viel weitere Ausdehnung der zimtrostroten Färbung auf den Handdecken, welche nur etwa 
2 mm lange, schwärzliche Spitzenflecken übrig läßt, während bei jenen etwa die ganze Endhälfte 
der Handdecken schwarz gefärbt ist. Sonst stimmt das Stück in der Färbung recht gut mit 
Vögeln aus Bogotä, Parä und Bahia überein, welche von Exemplaren der westindischen Inseln 
durch blassere Allgemeinfärbung, hellere, mehr zimtrote (weniger kastanienrotbraune) Unterseite 
ddes Flügels und etwas breitere, dunkle Schuppenzeiehnung auf Kropf und Vorderbrust abweichen. 
Die kontinentale Form muß hiemit subspezifisch als CO. passerina griseola (Spix) getrennt werden. 


(Vgl. auch Berlepsch und Hartert, Nov. Zool. IX, p. 118, s. n. O. p. granatina.) 


Odontophorus capueira (Spix) 


Perdix capueira Spix, Av. Bras. II (1825), p. 59, tab. LXXVla („in sylvis Rio de Janeiro et 
Minas Geraös proximis“). 

Die Sammlung besitzt zwei Exemplare von Spixens Reise. no. 1 ein alter Vogel mit der 
Aufschrift: „Odontophorus dentatus Temm., Perdix capueira Sp. Brasilien. Spix“; dieses Stück 
paßt im wesentlichen zu der Abbildung, ist nur überall dunkler, besonders auf dem Scheitel 
und der Unterseite, was aber teilweise auf den beschmutzten Zustand des Gefieders zurückzu- 
führen ist. In der Hauptsache stimmt es mit einer Anzahl von Exemplaren aus San Paulo 
(Natterer und Sturm coll.) überein und hat gleich diesen die ganze Unterseite mit Ausnahme 
der olivbraun überlaufenen Bauchseiten und Unterschwanzdecken gleichmäßig dunkelgrau gefärbt, 
nur ist der Ton dieser Farbe etwas dunkler; die Außenfahne der Handschwingen trägt weiße 
Zackenflecken wie bei jenen. Es unterscheidet sich nur durch wesentlich dunkleren, schwarz- 
braunen (statt rostbraunen) Scheitel, bloß Zügel und Augenbrauenstreifen sind rostrot wie bei 
den erwähnten Vögeln, die schwärzlichen Schaftstriche auf dem Hinterrücken sind schmäler und 
die Grundfarbe des Rückens dunkler braun. Die breitere schwärzliche Fleeckung des Hinterrückens 
scheint ein Kennzeichen jüngerer Vögel zu sein und deshalb mögen auch die übrigen bemerkten 
Unterschiede darin ihren Grund haben, daß Spix’ Typus ein altes & ist. 

no. 2 mit derselben Bezeichnung wie no.1 trägt noch Spuren des Jugendkleides an sich; 
die graue Unterseite ist noch vielfach blaß rostbräunlich überlaufen und die Federn des Unter- 
rückens weisen verloschene, zackige, dunkle Querwellen auf. 


Perdix rufina Spix — Odontophorus gujanensis (Gm.) 


Tetrao gujanensis Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 767 (ex Buffon und Latham — „Cayenna 
et Gujana“). 

Perdix dentata Temminck, Hist. nat. Pig. et Gall. III (1815), p. 419 („Guwiane framcaise“ et 
„Bresil* (ex Hoffmannsegg), se. Pard4). 

Perdix rufina Spix, Av. Bras. II (1825), p. 60, tab. LXXVIb („in sylvis fl. Amazonum“). 


Ein alter Vogel mit der Bezettelung: „Odontophorus gujanensis Gm., Perdix rufina Sp. 
Brasilien. Spix“, der in Haltung und Färbung ausgezeichnet zur Beschreibung sowohl als zur 
Figur paßt. Er stimmt mit einem Stück von Barra do Rio Negro (Natterer) und einem anderen 
aus Brasilien (coll. Leuchtenberg) überein, unterscheidet sich nur dadurch, daß einzelne der 
inneren Oberflügeldecken auf der Außenfahne graulichweiß und schwärzlich quergewellt sind. 
Die Zackenflecken auf den Handschwingen sind rostgelblich, die Unterseite lebhaft zimtrostgelb, 
die Vorderbrust mit helleren, gelblichweißen Rändern, nur die Kehle grau gescheckt. 


Rhynchotus fasciatus Spix — R. rufescens (Temm.) 
Tinamus rufescens Temminck, Hist. nat. Pig. et Gall. II (1815), p. 552, 747 („Bresil@ — Mus. Paris). 
Ihynchotus fasciatus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 60, tab. LXXVIc („in campis St. Pauli et 
Minas Geraäs*). 
Die Münchener Sammmlung besitzt noch ein altes Exemplar mit der Bezeichnung: „Ahyn- 
chotus rufescens Temm. Brasilien. ‚Spix“, das in Färbung und Stellung zur Abbildung paßt und 


En 


699 


ebenso der Beschreibung völlig entsprieht. Es stimmt sehr gut mit einem O aus San Paulo 
(Natterer leg.) überein, hat insbesondere auch die Weichen und Unterschwanzdecken mit deut- 
lichen, schwarzbraunen Querbinden besetzt und unterscheidet sich hauptsächlich nur durch lebhaft 
rötlich überlaufenen Vorderhals und Kropfgegend, welehe Teile bei dem Natterer’schen Vogel 
blasser sind bezw. die Kropfgegend durch breite, trüb graue Federränder zum Teil verdüstert 
erscheint. Die Schwingen sind etwas dunkler rostrot und der Hinterhals ist stärker rötlich über- 
laufen. Das vorliegende Stück gehört also ohne Zweifel zur typischen Form, welche aus San 
Paulo beschrieben wurde. Ob die Vögel von Minas Geraös bereits zur „Bahia-Rasse“ Salvadoris 
(Cat. Birds XXVII, p. 549) gehören, kann ich nicht mehr entscheiden, doch läßt sich dies nach 
Spix’ Worten vermuten: „abdomen maris fulvescens, immaculatum“. Im übrigen aber 
geht die Beschreibung so deutlich auf die südliche Form mit stark rötlichem Nacken und 
Vorderhals („eollum supra subtusque et pectus castaneo-rufum“), daß die Bezeichnung 
fasciatus nicht für die Bahia-Form in Anwendung gebracht werden kann, sondern als Synonym 
von Temmincks Namen zu betrachten ist. 


Tinamus serratus (Spix) 


Pezus serratus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 61, tab. LXXVI („in sylvis campestribus fl. Nigri“). 
Tinamus brasiliensis (nee Latham!) Pelzeln, Zur Ornith. Bras. III, p. 291 (speeimina vidi). 
Tinamus major (nec Gmelin!) Salvadori, Cat. Birds Brit. Mus. XXVII, p. 502 (part.: Oo). 


Der Typus ist nicht mehr in der Sammlung, nichtsdestoweniger bleibt über die Bedeutung 
des Spix’schen Namens nicht der geringste Zweifel bestehen. Salvadori (Cat. Birds Brit. Mus. XXVIJ, 
p- 501) stellte den Namen als Synonym zu T. solitarius. Dies ist ganz irrtümlich. Spix beschrieb 
die Art vom Rio Negro und sagt ausdrücklich: „eaput fusco-sanguineum“, auch zeigt die Ab- 
bildung keine Spur von den rostgelben Streifen an den Seiten des Hinterhalses, die für 7". solitarius 
charakteristisch sind, bei dem überdies der Oberkopf olivbraun gleich dem Rücken gefärbt ist. 
Spix’ Beschreibung paßt also absolut nicht auf Vieillots Art, welche nur aus Paraguay und Südost- 
Brazil bekannt ist, und ich verstehe Salvadoris Bemerkung: „Spix’ plate agrees exactly with Rio 
Paranäa and Rio de Janeiro speeimens“ nicht. Wagler (Syst. Av., Crypturus spec. 2), dem Spixens 

_ Typus sicher noch vorlag (laut Katalog-Ausweis besaß das Münchener Museum zu der damaligen 
Zeit kein anderes Exemplar aus der Formengruppe), beschreibt C. serratus folgendermaßen: 
„fronte et toto capite supra saturate cupreo-castaneis, nuchae plumis, colli supremi 
lateralis, lororum, iis supra et infra oculos pallide ferrugineis“, was gleichfalls 
durchaus nicht auf T. solitarius anzuwenden ist, aber sehr gut auf 7. major Salvad. © paßt. 
Der folgende Passus: „regione parotica fusco-cinerea“ dagegen kann nur auf T'. suberistatus 
bezogen werden und mag vielleicht von dem erwähnten Exemplare des Pariser Museums aus 
Cayenne (wohl = suberistatus) genommen sein. Mir scheint es gar nicht zweifelhaft zu sein, 
daß Spixens Name sich auf die Art mit rostroter Stirn und Scheitel und hell rostroten Kopf- 
seiten bezieht, welche Salvadori als Q seines 7. major beschreibt. Und in der Tat paßt ein 
von Natterer am Rio Negro (also am gleichen Orte wie Spixens Vogel) gesammeltes Q ausge- 
zeichnet auf des letzteren Beschreibung und Abbildung. Bereits Pelzeln (Zur Ornith. Bras., 
p- 291) machte diese Identifizierung, nannte die Art aber irrtümlich 7. brasiliensis Lath., was 
nicht angängig ist, wie ich weiter unten beweisen werde. Salvadori (l. e.) hielt ein „Ö* von 
S. Joaquim, Rio Negro (Natterer coll. no. 1108) mit grauer Stirn und Brauengegend, deutlichem 
Scheitelschopf und dunkelbraunem Ohrfleck, welches Pelzeln (l. e.) als T. suberistatus Cab. 
bestimmt hatte, und ein „Oo“ vom Rio Negro, Dez. (Natterer coll. no. 774) mit rostroter Stirn, 
ebensolchem Scheitel und Kopfseiten und ohne Schopf, von Pelzeln als T. brasiliensis. Lath. auf- 
geführt, für verschiedene Geschlechter einer Art, die er 7. major (Gm.) nennt. Die angegebenen 
Unterschiede faßt er als „sexual“ auf. Diese Ansicht ist jedoch falsch, wie die Untersuchung 
der Serie im Wiener Museum lehrt. 

Die genannte Sammlung besitzt von der Form 

A. Stirn und Brauenstreif aschgrau, am Scheitel ein kurzer, herabhängender Schopf, Ohr- 
gegend dunkel- oder schwarzbraun, höchstens mit kleinen, tief rostrotbraunen Spitzen: 


90* 


700 


Zwei „ööf, ein „Oo“ und ein „Ö juv.“, alle von Barra do Rio Negro. Dies ist T. suberistatus 
apud Pelz.; major 5 apud Salvadori. 

Von der Form B. Stirn und Scheitel lebhaft rostrot, Zügel, Ohrgegend und Brauengegend 
nur etwas heller rostrot. Keine Spur eines Schopfes am Hinterkopf: 

Ein „ö“, Mattogrosso; ein „Q“, Rio Negro; ein „Ö“, ein „Q*“, Borba, Rio Madeira; ein 
„Q*, Marabitanas, Rio Negro, Febr. Das Münchener Museum besitzt ferner ein „ö“, Mattogrosso, 
Sept. 1828. 

Dies ist T. brasiliensis apud Pelzeln; 7. major Q@ apud Salvadori. 

Bei beiden Arten sind ö6 und 909 völlig gleich gefärbt; dies beweist, daß die oben 
erläuterten Unterschiede nicht Geschlechts-, sondern Spezieskennzeichen sind. 

Obwohl Spix’ Original nicht mehr vorhanden ist, läßt seine und besonders Waglers Be- 
schreibung („fronte et toto capite castaneis“) deutlich erkennen, dab Pezus serratus auf die 
rotstirnige Form sich bezieht. Der oben aufgeführte topotypische Vogel (9) vom Rio Negro 
paßt sehr gut zur Spix’schen Tafel 76, nur sind die Flügeldecken nicht so rostockerbraun wie 
dort dargestellt, sondern viel heller, blaß olivbraun. Dies fällt aber kaum viel ins Gewicht, da 
die Farben der Abbildungen in Spix’ Werk manches zu wünschen übrig lassen. 


Der ganze Oberkopf und Hinterhals sind tief rostrot, letzterer mit undeutlichen, schwärz- 
lichen Querwellen; Rücken warm olivbraun mit sparsamen, etwa 1 mm breiten, schwarzen, sub- 
terminalen Querbinden. Oberschwanzdecken einfarbig braun, Flügeldecken etwas heller oliv- 
braun, die große Serie mit einer Anzahl von etwa 1 mm breiten, scharfen, unregelmäßigen, 
schwarzen Querbinden. Handdeeken und Afterflügel hell rostbraun mit unregelmäßigen, zackigen, 
schwärzlichen Querlinien auf der Außenfahne; Armschwingen tief kastanienrotbraun mit reich- 
lichen, breiten, schwärzlichen Querbinden auf der Außen-, die Tertiären aueh auf der Innenfahne. 
Handschwingen einfarbig dunkelbraun. Schwanz braun. Zügel und Gegend unter dem Auge 
rostrot wie der Scheitel, Ohrgegend etwas dunkler. Kehle weiß, Halsseiten rostrotbräunlich mit 
dunklen Querwellen. Vorderhals graubraun, Brust und Seiten blaß graubräunlich mit feinen, 
dunklen Querwellen, die auf Hosen und Weichen breiter werden und eine schmale Bänderung 
bilden. Bauchmitte weißlich, Untersehwanzdecken ockerrostgelb mit breiter, schwarzer Quer-. 
bänderung. Oberschnabel dunkel hornbraun, untere Mandibel gelb. 

A. 226, c. 78, culm. 38 mm. 

Ein „o“, Marabitanas, Februar, ist oberseits ebenso warm olivbraun, aber bloß der Mittel- 
rücken weist Spuren dunkler Querbinden auf. Flügeldecken einfarbig olivbraun, bloß die große 
Serie mit Spuren schwärzlicher Querzeichnung auf einzelnen Federn. Kopfseiten heller rostrot, 
Körperseiten rahmgelblich überlaufen. 

Vier Vögel von Borba (am unteren Madeira) und von Mattogrosso. sind oberseits heller, 
blasser olivbraun und der ganze Rücken einschließlich der Oberschwanzdecken trägt breitere, 
scharfe, zackige (etwa 2—21l, mm breite), schwarze Subterminalbinden, auch alle Flügeldecken 
(nicht bloß die große Serie) haben solche Querbinden (meist drei auf jeder Feder); die Arm- 
schwingen sind weniger rotbraun, mehr rötlicholivbraun. Vorderhals, Brust und Seiten sind 
rein bräunlichgrau wie beim © ex Rio Negro, die dunkle Querwellung bei den beiden Vögeln 
aus Mattogrosso und dem ö aus Borba sehr deutlich, die Hosen und Weichen wie bei dem 
‘ oben beschriebenen Stück dunkel gebändert. Ob die oben angedeuteten Unterschiede bei 
Untersuchung einer größeren Serie sich als konstant herausstellen werden, scheint mir sehr 
zweifelhaft. 

Bei dieser Gelegenheit noch einige Worte über die Vögel mit grauer Stirn, welche Pelzeln 
als T. suberistatus aufführt. Es ist noeh nicht sicher, ob die brasilianischen Stücke mit der 
typischen Form ganz identisch sind. Ein alter Vogel aus Surinam (Kappler leg.; Mus. Monae.) 
und ein anderer aus Cayenne (Becoeur; Mus. Vindob.) stimmen in der Farbenverteilung mit 
denen von Manäos überein, doch ist die Stirn entschieden dunkler, mehr schwärzlichgrau (nicht 
aschgrau) und die Ohrgegend gleichfalls dunkler schwarzbraun. Wahrscheinlich müssen die 
brasilianischen Stücke subspezifisch von ZT. suberistatus abgetrennt werden. 


701 


Endlich noch einige nomenklatorische Bemerkungen. Salvadori verwendet für die Art mit 
ganz rostrotem Oberkopf, die ich 7. serratus nenne, die Bezeichnung T. major (Gm.), bemerkt 
aber, daß die Berechtigung dieses Namens sehr zweifelhaft sei. Meines Erachtens kommt er 
für unsere Art überhaupt nicht in Betracht. 

Tetrao major Gmelin (Syst. nat. 1. II (1788), p. 767) basiert in erster Linie auf: 1. Brisson, 
Perdix Brasiliensis I, p. 227, no. 4; 2. auf Maregraves Macucagua. Brisson stützt sich: 1. auf 
Barrere, der eine Cayenne-Form beschreibt, welche vermutlich mit T. suberistatus zusammen- 
fällt, und 2. auf Maregraves „Jambü“. Letzterer ist, wie schon aus der Größenangabe (so groß 
wie unser Rebhuhn) erhellt, überhaupt keiner der großen Tinamus-Arten, sondern ein kleiner 
Orypturus. Dies stellte schon Lichtenstein (Abhandl. Akad. Berlin, Jahre 1816/17, erschienen 
1819, p. 159) nach Vergleich der Maregrave’schen Originalabbildungen fest. Es dürfte sich 
aber kaum um (. variegatus handeln, wie der alte Forscher meint, sondern — nach der Lokalität 
Nordost-Brazil zu schließen — eher um CC. noctivagus, allenfalls um eine ©. adspersus-Form. 
Keine der beiden von Brisson benutzten Quellen kann also für 7. serratus in Betracht kommen. 

Maregraves Macucagua, den Gmelin an zweiter Stelle zitiert, scheint allerdings ein Tinamus 
zu sein, allein nach dem Vorkommen kann es sich unmöglich um den T! serratus aus dem 
Amazonasgebiete, sondern höchstens um T. solitarius Vieili. handeln, den der Prinz Wied noch 
bei San Pedro d’Alcantara im südlichen Bahia (ef. Wied, Reise II, p. 135) antraf. Die übrigen 
von Gmelin zitierten Stellen gehen alle entweder auf Maregrave zurück oder beziehen sich auf 
einen in Cayenne heimischen Vogel, wo nur T. suberistatus vorkommt! Gmelins Name kann also 
unter keinen Umständen für unsere Art verwendet werden. 

Tinamus brasiliensis Lath., Ind. ornith. II (1790), p. 633 stützt sich auf Gmelins oben 
behandelte Stelle, ist also gleichfalls unverwendbar. 

Oryptura magoua Vieillot., 1819, beruht in erster Linie auf Daubentons tab. 476,1) die in 
allen von mir benutzten Exemplaren der Planches enl. fehlt, und auf Buffons Beschreibung, 
die ein Gemisch von Marcgraves Schilderung und der in Cayenne vorkommenden Art darstellt. 
Also ist auch dieser Name nicht verwendbar, und so bleibt als der erste und einzige sichere 
Name für die brasilianische Art die Bezeichnung Pezus serratus Spix übrig. 

Gmelins, Lathams und Vieillots Bezeichnungen sind als undeutbare mixta composita ganz 
zu unterdrücken. 

NB. T. ruficeps apud Salvad. steht dem vorstehend besprochenen T. serratus so nahe, 
daß er wohl nur subspezifisch getrennt werden kann. Ein mir vorliegender alter Vogel aus 
Sarayacu, Ost-Eeuador (coll. Buckley; Mus. H. v. Berlepsch) unterscheidet sich von der Serie 
aus Marabitanas, Borba und Mattogrosso nur durch entschieden dunklere, mehr kastanienrote 
Färbung von Oberkopf und Nacken, desgleichen bedeutend dunklere, rötlicholivbraune Färbung 
von Rücken, Oberschwanzdecken und Tertiären und wesentlich intensiver gefärbte, rostbraune 
Außenfahnen der Armschwingen. In der übrigen Färbung und in der Größe sind die beiden 
Formen nicht verschieden. Diese geringen Unterschiede finden wohl besser in einer ternären 
Bezeichnung ihren Ausdruck. Über die Benennung dieser und der verwandten Formen vgl. die 
Bemerkungen am Schlusse der Arbeit. 


Pezus zabel& Spix — Crypturus noctivagus (Wied) 


Tinamus noctivagus Wied, Reise Bras. I (1820), p. 160 („Muribecca am Rio Itabapuana*, Grenzfluß 
von Rio de Janeiro und Espiritu Santo). 

Pezus zabeleE Spix, Av. Bras. II (1825), p. 62, tab. LXXVII („in limite sylvarım campestrium 
(Catingha)*). 


1) In der Bibliothek des Grafen Berlepsch konnte ich die Tafel einsehen, welche durchaus nicht 
den T. serratus darstellt, sondern am ehesten noch auf Orypturus strigulosus bezogen werden könnte. 
Allein der nackte rotgefärbte Fleck rings um das Auge paßt auf keine Orypturus-Art. Wahrscheinlich 
lag der Daubenton’schen Abbildung ein Artefakt zu Grunde und der darauf begründete Name Cryptura 
magoua Vieill. muß als ganz zweifelhaft beseitigt werden. 


702 


Ein Vogel in schadhaftem Zustande unter der Bezeichnung: „Tinamus noctivagus N. W., 
zabel& Sp. Brasilien. Spix“, der ausgezeichnet zur Beschreibung und Abbildung paßt. Das Stück 
stimmt im wesentlichen mit einem 6 ad. aus Minas Gera&s (Sturm coll.) überein, unterscheidet 
sich aber in jenen Punkten, welche Salvadori (Cat. Birds XXVIL, p. 540) als Kennzeichen des Q 
anführt: nämlich die Flügeldecken und Schwingen sind breit und regelmäßig schwarz und 
rostgelb bezw. nach innen zu mehr roströtlich quergebändert, Oberschwanzdecken und Hinter- 
rücken gleichfalls gleichmäßig kastanienrotbraun und schwarz gebändert und die Seiten der 
Be und des Bauches tragen schwarzbraune Bänderung. Ein breiter Brauenstreif, Wangen- 
gegend und Kehle rahmweiß, ra hie und da röstlich überlaufen. — A. 190, ce. 66, r. 22 mm. 


Crypturus adspersus yapura (Spix) 


Pezus yapura Spix, Av. Bras. II (1825), p. 62, tab. LXXVIII („in sylvis fl. Japurae et Solimoens*). 
Orypturus balstoni Bartlett, P. Z. 8. 1882, p. 374 (Elvira, Nordost-Peru). 

Die Münchener Sammlung besitzt zwei Exemplare von Spixens Reise mit der Aufschrift: 
„Tinamus adspersus Temm., Yapura Sp. Brasilien. Spixe.* 

no. 1 entspricht in der Färbung vollkommen der Kennzeiehnung von P. yapura und paßt 
auch in der Stellung so gut zu tab. 78, daß es ohne Zweifel als das Original derselben zu 
betrachten ist. Bereits Salvadori (Cat. Birds XXVII, p. 529) stellte mit Zögern Spix’ Namen als 
Synonym zu (. adspersus Temm. Genaues Studium einer großen Serie der in Frage kommenden 
Formengruppe ergab denn auch, daß C. yapura von der eben genannten Art wohl verschieden 
ist und gleiehbedeutend mit CO. balstoni Bartl. no. 1 stimmt mit der Beschreibung letzterer Art 
bei Salvadori und Taczanowski sowie mit der Abbildung des Typus auf Tafel XIII in Cat. Birds 
XXVIL vortrefflich überein, während no. 2, augenscheinlich das angebliche © zu einer anderen 
Form, höchst wahrscheinlich zu (©. a. vermiculatus gehört. Die Fundorte Japura und Solimoens 
beziehen sich natürlich nur auf no. 1. 

Am übersichtlichsten lassen sich die einzelnen Formen der (©. adspersus-Gruppe erläutern, 
wenn ich sie der Reihe nach kurz bespreche und ihre Kennzeichen zusammenfasse. 


a) Orypturus adspersus adspersus (Temm.) 


Tinamus adspersus Temwinck, Hist. nat. Gall. III (1815), p. 585 (Para; coll. Hoffmannsegg in 
Mus. Berlin). 

Crypturus simplex Salvadori, Cat. Birds Brit. Mus. XXVII (1895), p. 531 (Rio Rupununi, Brit. 
Guiana; coll. Whitely). 

Tinamus undulatus (nee Temminck!) Pelzeln, Zur Ornith. Bras. III, p. 292 (part.: Forte do Rio 
Branco und Borba am Rio ee Nord-Brazil; coll. Natterer). 

Mus. Berlin no. 11931 Pard (Sieber leg.; coll. Hoffmannsegg), Typus von Tinamus 
adspersus Temm. ; 

Vorderkopf schieferschwärzlich, Hinterkopf, Hinterhals und Rücken matt kastanienbraun 
mit deutlichen, schwärzlichen, ziekzackförmigen Querlinien; Hinterrücken heller, mehr olivbraun, 
Oberschwanzdecken entschieden graulich vermischt, beide mit etwas breiteren, schwärzlichen 
Querbinden als der Rücken. Flügeldecken hell olivbräunlichgrau mit scharfen, schwärzlichen 
Querwellen. Handschwingen einfarbig dunkel graubraun, Armschwingen gefärbt und gezeichnet 
wie die Flügeldecken. Kopfseiten matt kastanienrotbraun und schwärzlich gewellt. Kehle weiß, 
Vorderhals weinrötlichbraun mit deutlichen, dunklen Querwellen. Vorderbrust rahmgelblichgrau, 
Brust und Bauchmitte in großer Ausdehnung rahmgelblich, Brustseiten mit feinen, grauen Wellen. 
Weichen, Analgegend und Hosen lebhaft rostgelb mit breiten, schwarzen Querbinden, an der 
Basis (mehr als zur Hälfte) hell roströtlich. Unterschwanzdecken schwarz mit mehreren breiten, 
roströtlichen Querbinden und einer breiteren, rahmgelben Apicalbinde. Oberschnabel und End- 
hälfte der unteren Mandibel dunkelbraun, Basis und Kieferäste horngelb. 

A. 171, c. 58, culm 30, mm. 

Ein „ö* Brasilien: Parä; coll. Leuchtenberg (Mus. Monae.), stimmt mit dem Typus nahezu 
völlig überein und weicht nur in folgenden Details ab: der Hinterhals zeigt verloschene, dunkle 


703 


Querwellen, Hinterrücken und Oberschwanzdeckfedern sind nicht aschgraulich vermischt, 
sondern bloß etwas heller und mehr olivbräunlich als der kastanienbraune Mantel. Es mißt: 
a. 178, e. 60, eulm. 32 mm. 

Zwei 66 und ein © von Borba im Wiener Museum und ein oQ von derselben Lokalität 
in der Münchener Staatssammlung (Natterer coll.) stimmen mit dem vorgenannten Stücke in 
allen wesentlichen Punkten überein, haben insbesondere ebenso schwärzlichen Vorderkopf, lebhaft 
rotbraune Kopfseiten, dunkel gewellten Hinterhals, rahmgelblichgraue Vorderbrust u. s. w. Bei 
allen vier Vögeln sind die Weichen lebhaft rostgelb mit breiten, schwarzen Querbinden 
und nur ganz schwacher, hell rostroter Beimischung, die Bauchmitte und Analgegend 
rahmgelblich oder weißlich, der Vorderhals weinrötlichbraun mit dunklen Querwellen. 


122,085 Borba,.,6-: Aug.1830 1.0.4 .. 1851728, 0.53, culm.,31 mm 
26,0 Borba,, 9: Aug1830,... 0% 2043.2185%.0.560,, culm.82,, 
Sn omBorba,.3..Angt 1830: = 1. 9u78,2180,50.757, culm.ı31.., 


Ferner liegt mir aus dem Wiener Museum ein „Ö“ ad. vom Forte do Rio Branco in 
Nord-Brazil, hart an der Südgrenze von Britisch-Guiana, vor, der wohl als typischer C. simplex 
Salvad. anzusehen ist. Diese Form wurde nach drei Exemplaren vom Rio Rupununi im Süden 
der englischen Kolonie beschrieben. Mein Stück stimmt in der Hauptsache mit no. 3 ex Borba 
überein. Der Rücken ist ebenso matt kastanienbraun wie beim Typus von (. adspersus, nur 
sind die dunklen Querwellen auf dem Hinterhals etwas undeutlicher und der Vorderhals ist kaum 
weinrötlich überlaufen, sondern wie die Vorderbrust trüb gelblichgrau gefärbt; Bürzel und Ober- 
schwanzdecken sind olivbräunlich wie beim Parä-Vogel im Münchener Museum, die Weichen 
ganz so gefärbt wie beim ö aus Borba no. 1: rostgelb mit breiten, schwarzen Querbinden. Dieser 
Vogel gehört zweifellos zu derselben Form wie die von Parä und Borba, und ich vereinige 
C. simplex unbedenklich mit O©. adspersus. 

„ö“ ad. „Forte do Rio Branco, 3. April 1830*: a. 180. e. 62, eulm. 30 mm. 

Die Verbreitung von (. adspersus ist somit: 

Pard (Sieber eoll.; et in coll. Leuchtenberg); Borba am unteren Rio Madeira; Forte do 
Rio Branco, Nord-Brazil (Natterer); Rio Rupununi in Britisch-Guiana (Whitely). 


b) ©. adspersus vermiculatus (Temm.) 


Tinamus vermiculatus Temminck, Pl. col. livr. 62 (Sept. 1825), tab. 369 („Bresil* — coll. Aug. 
Saint Hilaire; Mus. Paris. — Typus untersucht). 

Tinamus adspersus (non Temminck) Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 68. (San Paulo). 

Orypturus vermiculatus Wagler, Syst. Av. Gen. Crypturus spec. 4 (deser. spec. no. 2 P. yapura Spix). 

Tinamus undulatus Pelzeln, Ornith. Bras. III, p. 293 (part.: Rio Araguay, Rio Paranä). 

Oryplurus adspersus Salvadori, Cat. Birds Brit. Mus. XXVII (1895), p. 529 (Rio Parana). 


Mir lagen die beiden von Lichtenstein (l. e.) s.n. T. adspersus aufgezählten Stücke aus 
San Paulo sowie ein von Natterer am Rio Araguay gesammeltes „O“ ad. vor. 

Sie unterscheiden sich von (©. a. adspersus: 1. durch entschieden heller schiefergrauen 
Vorderkopf und heller rötlichbraune Kopfseiten; 2. wesentlich matteren, nicht so lebhaft kastanien- 
braunen Rücken; 3. stärker und in größerer Ausdehnung graulich unterlegte, wenn auch noch 
immer rahmgelblich getrübte Brust; 4. durch dunklere, ockerrostrote Weichen mit schwarzer 
Querbänderung oder Fleckung. 

Die Unterschiede, obwohl nicht bedeutend, scheinen konstant zu sein und mit gesonderter 
Verbreitung Hand in Hand zu gehen. Die San Paulo-Stücke des Berliner Museums stimmen sehr 
gut mit Temmincks Tafel überein und stellen zweifellos den typischen T. vermiculatus dar. Die 
Typen des Pariser Museums stammen von M. Auguste Saint Hilaire und wurden wohl in San 
Paulo gesammelt. Ein © vom Rio Araguay ist mit den Berliner Stücken identisch, weicht nur 
durch entschieden olivgraubräunliche Färbung von Hinterrücken und Bürzel ab, welche bei jenen 
mehr olivbraun, weniger graulich erscheinen. 

no. 2 von P. yapura, dessen Spix am Schlusse der Beschreibung mit den Worten: „foemina 
femore ferrugineo nigroque faseiolato“ erwähnt, scheint auch hieher zu gehören. Das Stück 


704 


befindet sich leider in so schlechtem Zustande, daß man kaum mit Sicherheit zu urteilen 
vermag. Die Weichen sind lebhaft ockerrostrot und schwarz gebändert, aber in der schwärz- 
lichen Färbung des Vorderscheitels kommt es O. adspersus recht nahe. Ich wage nicht zu sagen, 
wie weit dies auf Beschmutzung zurückzuführen ist. Wie dem auch sei, Spix’ Beschreibung von 
P. yapura bezieht sich klar en deutlich auf die in den folgenden Zeilen besprochene no. 1, 
für welche der Name auch verwendet werden muß. 

Mus. Berlin 11929 Brasilien (Sellow und v. Olfers): a. 180, ce. 59, culm. 301/, mm 

A „ 11930 dieselbe Aufschrift: a. 177, c. 60, r. 25 mm 

Vindob. „Q* ad. „Rio Araguay, 17. Okt. 1823“ (Natterer): a. 168, c. 55, culm. 31 mm 

Monac. „Pezus yapura Sp. Q Brasilien. Spix“: a. 195, c. 55 mm, culm. defekt. 
Verbreitung: San Paulo (v. Olfers und Sellow in Mus. Berlin; A. de Saint Hilaire): 
Rio Araguay und Rio Parand (Natterer). 


n 


ce) Orypturus adspersus yapura (Spix) 


Pezus yapura Spix, Av. Bras. II (1825), p. 62, tab. LXXVIII (Japura und Rio Solimoens). 

Orypturus balstoni Bartlett, P. Z. 8. 1882, p. 374 (Elvira, Nordost-Peru). 

Tinamus undulatus (nee N !) Pelzeln, Ornith. Bras. III, p. 292 (part.: Manaqueri am Rio 
Solimoens). 

Q. adspersus Wagler, Syst. Av. Gen. Orypturus (1827), sp. 3 (deser. spec. typiei P. yapurae Sp.) 


Unterscheidet sich von ©. a. adspersus und C. a. vermiculatus durch: 1. viel feinere, dunkle 
Querwellen auf den Flügeldeceken; 2. hell olivbraune Weichen mit schmäleren, dunklen Wellen, 
ohne jede Spur rostgelber Beimischung und ohne schwarze Querbinden; 3. schmal 
und dieht rostgelb und schwarzbraun gebänderte Unterschwanzdecken; 4. einfarbig aschgraue 
Färbung von Brust und Vorderbauch mit feiner, wasserzeichenähnlicher Wellung, ohne jeden 
gelblichen Ton; bloß die Analgegend ist weiß. 

Das Spix’sche Stück no. 1 hat matt rötlichbraunen Hinterhals, Rücken und Oberschwanz- 
decken; die Flügeldecken und Außenseite der Schwingen erscheinen bräunlichgrau. 

Ein „ö“ von Manaqueri am Rio Solimoöns (Natterer coll. in Mus. Vindob.) und ein „O* von 
Samiria, Nordost-Peru, J. Hauxwell leg. (Mus. H. v. Berlepsch), letzteres topotypischer 0. balstomi 
Bartl., stimmen in den oben angegebenen Merkmalen mit dem Typus von 0. yapura überein, 
unterscheiden sich nur durch wesentlich lebhaftere, mehr rotbraune (fast kastanienbraune) Färbung 
von Oberhals, Rücken ete. und mehr rötlicholivbraune Flügeldecken. In der Zeichnung der Ober- 
und Unterseite sind alle drei ganz gleich, die beiden letzteren Exemplare haben nur etwas reiner 
graue Brust als der Typus. Da der Vogel von Manaqueri (im Osten von Spix’ terra typica) mit 
dem topotypischen C. balstoni aus Nordost-Peru absolut identisch ist, kann über die Zusammen- 
gehörigkeit der eben genannten Form. und des ©. yapura nicht der geringste Zweifel herrschen. 

Mus. Monae.: Typus von P. yapura Spix (Japura oder Rio Solimoens): a. 171, ce. 58, 
culm. 30 mm. 

Mus. Vindob.: „Öö“ ad. „Manaqueri“, Dez. 1832 (Rio Solimoens) (Natterer leg.): a. 171, 
ec. 58, eulm. 30 mm. 

Mus. H. v. Berlepsch: „O, Samiria“, Nordost-Peru (J. Hauxwell leg.): a. 168, c. 56, 
culm. 32 mm. 


Verbreitung: Nordwest-Brazil: Japura und R. Solimo@ns (Spix); Manaqueri, R. Solimoens 
(Natterer); Nordost-Peru: Elvira and Samiria (Hauxwell). 


NB. (©. radiatus!) G. R. Gray (typus ex Bolivia) unterscheidet sich von den vorstehend 
besprochenen Formen, wie Salvadori (l. c.) treffend ausgeführt hat, durch breite, schwarze Quer- 
bänderung (etwa 3 mm breit, statt schmaler Querwellen) auf der ganzen Oberseite vom Hinterhals 
bis zu den Oberschwanzdecken einschließlich der inneren Armschwingen. Ferner ist der ganze 


1 C. scopolax Bp. kann nicht als veröffentlicht betrachtet werden, da der Name nur in den Separat- 
abdrücken, aber nicht in den Comptes Rendus de l’Acad. des Sciences de Paris vorkommt. 


705 


Oberkopf lebhaft kastanienrotbraun und trägt sehr deutliche, schwarze Querlinien. Alle von 
Natterer bei. Engenho do Gama, Barra do Jaurü und Mattogrosso gesammelten Vögel, die ich 
(sechs an der Zahl) im Wiener Museum unlängst zu untersuchen Gelegenheit hatte, gehören 
zu dieser Form. 


Pezus niambu Spix = Crypturus tataupa (Temm.) 


Tinamus tataupa Temminck, Hist. nat. Pig. et Gall. III (1815), p. 590 (ex Azara no. 329 — 
Paraguay). 

Pezus niambu Spix, Av. Bras. II (1825), p. 63 (part.: ö), tab. LXXVIlla („in campis distrietus 
adamantini et Bahiae“). 


Nicht mehr in der Sammlung. Spixens Abbildung läßt aber keinen Zweifel, zu welcher 
Art sein Vogel gehört; die Beschreibung ist allerdings irreführend, denn bei (©. tataupa kann 
man die Färbung des Scheitels wohl kaum als „nigerrimum“ und die der Brust als „nigricante- 
plumbeum“ bezeichnen. Übrigens scheinen Unterschiede zwischen Stücken aus Paraguay und 
Ost-Brazil nieht vorhanden zu sein (cf. Berlepsch, J. f. Ornith. 1887, p. 37). 


Das von.Spix mit den Worten: „foemina paulo minor, capite einerascente, dorso minus 
fuseo“ beschriebene angebliche © befindet sich noch in unserem Museum und ist der Typus 
von ÜOrypturus parvirostris Wagl., Syst. Av. Gen. COrypturus sp. 13 (1827). Es steht unter der 
Bezeichnung: „Crypturus parvirostris Wagl. Brasilien. Spix“, Type, in der Sammlung. Salvadori 
hat die Unterschiede zwischen (©. tataupa und C. parvirostris trefflich auseinandergesetzt, so daß 
ich mir jedes weitere Wort sparen darf. 


Nothura boraquira (Spix) 


Tinamus boraquira Spix, Av. Bras. II (1825), p. 63, tab. LXXIX („in campis petrosis distrietus 
adamantini*). 
Nothura marmorata G. R. Gray, List Birds Brit. Mus. V, Gallinae (1867), p. 104 (Bolivia). 


Die Sammlung besitzt ein Exemplar mit der Aufschrift: „Nothura boraquira Sp. (Type). 
Brasilien. Spix“, das sowohl der Beschreibung sehr gut entspricht als auch in der Färbung und 
Stellung ausgezeichnet zur Abbildung paßt. N. boraquira ist die am besten charakterisierte Art 
der Gattung und von allen anderen sofort zu unterscheiden an der reinweißen Färbung von 
Brust und Bauch, an den breiten, rein aschgrauen Seitenrändern der Rückenfedern, die 
bei den anderen Spezies stets rahm- oder rostgelb gefärbt sind. Ferner sind die oberen Flügel- 
decken weiß, kaum rahmgelblich getrübt (bei jenen dagegen stets rostgelb oder ockerrostgelb). 
Achselfedern und Unterflügeldecken schwarzgrau und rahmgelb gebändert (statt 
einfarbig rostgelb); die Innenfahne der Schwingen einfarbig dunkelgrau ohne rost- 
farbige Querbinden. 


Ein 6 aus Lamaräo, Bahia (A. Robert coll.; Mus. Tring) stimmt in Größe und Färbung 
vollständig mit Spix’ Typus überein, und zwei Vögel (gleichfalls aus Bahia) im Wiener Museum 
sind auch in keiner Weise verschieden. 

Die Typen von N. marmorata Gray stimmen völlig mit dem ö ad. aus Bahia (Mus. Tring) 
überein, besonders auch hinsichtlich der Färbung der Unterseite, der Achselfedern, Unterflügel- 
deeken und Innenfahne der Schwingen, und weichen nur dadurch ab, daß die seitlichen Ränder 
der Rückenfedern nicht so rein aschgrau sind. Da sie indessen lange Zeit hindurch ausgestopft 
waren und etwas beschmutzt sind, möchte ich dieser Abweichung keine Bedeutung beilegen. 


Die von Salvadori (Cat. Birds Brit. Mus. XXVII, p. 561) N. boraguira genannte Form 
aus Mendoza, die das Tring-Museum auch aus Salta besitzt, ist dagegen ganz verschieden von 
N. boraguira (Spix) und gehört in die Gruppe von N. maculosa, mit der sie in der Färbung 
der Achselfedern, Innenfahne der Schwingen und Unterseite übereinstimmt. Wenn wirklich 
verchieden von N. darwini Gray, muß sie einen neuen Namen erhalten. 


Da die Art in Sammlungen noch sehr selten ist, gebe ich eine Beschreibung des Typus. 
Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 91 


706 


Mus. Monac. „Nothura boraquira Spix. Type. Brasilien. Spix.* Scheitelfedern schwarz, 
an der Spitze eM breites, hell rötlichbraunes Apicalband und an der Außenfahne ein schmaler, 
weißer Rand; Stirnfedern hell rötlichbraun mit einem runden, schwarzen Schaftfleck und kleinen, 
weißen Randfleckehen. Federn des Hinterhalses und Rückens in der Mitte schwarz, mit einer 
Anzahl feiner, hell rötlichbrauner Querwellen (die gewöhnlich in zwei Gruppen angeordnet sind: 
eine an der Spitze und eine andere etwa im zweiten Drittel. der Feder) und an jedem Rande 
mit einem breiten, aschgrauen Saume, der innen noch von einem schmalen, rahmweißen Streifen 
begleitet wird. Auf dem Hinterhals fehlen die aschgrauen Ränder ganz oder sind bloß ange- 
deutet und werden durch weiße Säume ersetzt. Die inneren Armschwingen sind ebenso gefärbt 
und gezeichnet wie die Rückenfedern. Fügeldecken rahmweiß mit breiteren oder schmäleren, 
schwärzliehbraunen Querbinden und Querwellen. Afterflügelfedern, Handdeeken und äußere 
Schwingen schwarzbraun mit einer Reihe rahmgelber Randflecken auf der Außenfahne. Kopf- 
seiten weiß und braun gefleckt. Kehle reinweiß, Unterhals, Kropfgegend und Halsseiten hell- 
braun mit einem leichten, weinrosa Tone, an den Seiten weiß gefleckt und mit einem breiten, 
schwarzen Schaftstreifen; übrige Unterseite reinweiß, vorderste Brust mit feinen, schwarzbraunen 
Querwellen, Brustseiten mit breiteren, ebensolehen Querbinden. Achselfedern und Unterflügel- 
decken rahmgelb und schwarzbraun gebändert, die große Serie der letzteren grau mit trüb 
weißlichen Querbinden. Innenfahne der Schwingen dunkelgrau, einfarbig, nur die der innersten 
Armscehwingen fein weißlich marmoriert. Schnabel gelb. — A. 143, r. 20 mm. 

Mus. Tring. A. Robert leg. no. 1669 „ö“ ad Lamaräo, Bahia, 300 m, 25. Juni 1903: 
a. 143, culm. 20!/, mm. 

Unterscheidet sich vom Typus nur durch etwas mehr rahmgelblich überlaufene Flügel- 
decken und dunkelhornbraunen Oberschnabel. Letzterer ist aber bei jenem sicher bloß ausgebleicht. 

Mus. Tring. ,„ö“ juv., derselbe Fundort, 12. Juni 1903, no. 1623, A. Robert leg., zeigt 
ganz dieselbe Färbung, ist nur viel kleiner. — A. 117, culm. 171/, mm. 


Tinamus major und Tinamus medius Spix = Nothura maculosa (Temm.) 


Tinamus maculosus Temminek, Hist. nat. Gall. III (1815), p. 557 (ex Azara no. 327 — Paraguay). 

Oryptura fasciata Vieillot, Nouv. Diet. XXXIV (1819), p. 109 [ex Azara no. 327). 

Tinamus major Spix, Av. Bras. II (1825), p. 64, tab. LXXX („in campis Minas Geraös prope 
pagos Tejuco et Contendas“). : 

Tinamus medius Spix, ]. e. p. 65, tab. LXXXI („in campis prope pagum Tejuco*). 


Die Untersuchung der Typen von T. major und T. medius beweist, daß die beiden Namen 
verschiedene Altersstadien von N. maculosa (Temm.)!) bezeiehnen. Wir besitzen zwei Exemplare 
mit folgender Bezeichnung: 

1. ad. „Nothura ma/or Sp. Brasilien. Spix. Type.“ 

2. av. jr. „Nothura maculosa Temm., Tinamus medius Sp. Brasilien. Spix. Type.“ ?) 

no. 1 entsprieht völlig der Beschreibung und Abbildung von T. major Sp. und ist zweifellos 
das Original derselben. Verglichen mit einem „O“ ad. aus Bernaleue, Zentral-Peru (Mus. Monac.) 
zeigt er ganz dieselbe Farbenverteilung und Zeichnung wie dieser, unterscheidet sich nur durch 
merklich geringere Größe, nicht so tief schwärzliche Fleekung auf der Unterseite, besonders 
schmälere Querbinden auf den Körperseiten und dadurch, daß die weißlichen Spitzensäume der 
Kropffedern leicht graulichrosa überlaufen sind. ‘Ein von Natterer bei Ypanema, Mai 1821, 
gesammeltes © hat ebenso matte, dunkle Fleekung auf Unterhals und Kropfgegend, ist aber 
gleichfalls merklich größer. Ein alter Vogel aus San Paulo (Sturm eoll. im Mus. Monac.) weicht 
in der Größe kaum vom Typus der T. major ab. 

no. 2, ohne Zweifel die Type zu T. medius, stimmt in der Färbung der Oberseite und 
Flügel völlig mit dem © aus Paraguay und der Natterer’schen Serie aus Süd-Brazil überein, 


!) Wie bereits Burmeister (Syst. Übers. Th. Bras. 3, p. 330) richtig auseinandergesetzt hatte. 
!) Die Angabe Schlegels (Mus. Pays-Bas VIII, Tinami, p. 45), daß sich der Typus von N, media 
nicht mehr in der Münchener Sammlung befinde, ist also irrtümlich. 


707 


weicht nur darin ab, daß die dunkle Zeichnung auf Vorderhals und Kropfgegend wenig entwickelt 
und bloß in Form kleiner schwarzbrauner Subapicalfleekchen und schmaler Schaftstreifen vor- 
handen ist. Auch die dunklen Querbinden auf den Körperseiten sind entschieden schmäler, hier 
und da unterbrochen und die schwarzbraunen Querbinden auf den kleinen Flügeldecken sind 
schmäler und mehr bindenartig, nicht so fleckig. Wie bei no. 1 ist der Vorderhals leicht graulich- 
rosa überlaufen. Ein ö von Ytarar& (Mus. Vindob.) steht in der Ausbildung der schwarzen 
Zeichnung auf der Unterseite zwischen dem Typus von 7. medius und den anderen Vögeln 
so ziemlich in der Mitte. Ohne Zweifel ist das Original von N. media ein jüngerer, noch nicht 
ausgefärbter Vogel von N. maculosa. Nach Spixens Beschreibung sollte man annehmen, daß 
N. „media* auch durch geringere Dimensionen von seiner N. major abwiche, allein gerade der 
Typus der ersteren hat wesentlich längere Flügel, am Körper ist er allerdings beträchtlich 
kleiner. Beide Stücke haben etwas heller braunen Oberschnabel als alle anderen untersuchten 
Exemplare von N. maculosa; dies ist sicherlich nur durch Verbleichen hervorgerufen. N. maculosa 
hat stets einfarbig rostgelbe Achselfedern und Unterflügeldecken (nur die große Serie der letzteren 
grau gebändert), die Innenfahne aller Schwingen ist breit dunkelgrau und rostfahl quergebändert. 
Mus. Monae. Type von T. major Sp. . » » 2 2 0 200 00.9 129, eulm. 191/g mm 
3 a Type von T. medius Sp. ie a. 140, culm. 21 
An y 1904/8385 „Q“ ad. Bernaleue, Bra a. 139, culm. 20 
5 a ad. San Paulo (coll. Sturm) le ea, enulm. Dill 
»„ Tring „9, Vietoria, San Paulo, 570m, 6. ni. 19024, Hempelleg. a. 128, enlm. 20 
„ Vindob. „ö, Ytarare, San Paulo, 13. Aug. 1820“ (Natterer) a. 136, culm. 20°]; 
h > „Ö“ ad. „Ytarare, 16. ar. KS20SHE EN a. 125, culm. 20 
5 r osad. Pe En 19. Juli 1820“ (Natterer) a. 128, eulm. 21 
> „o®uad. es San Paulo, Mai 1821“ (Natterer). a. 136, eulm. 19 
r Vögel (60) aus der argentinischen Provinz Entrerios: La Soledad (Britton leg.; Mus. 
Tring) unterscheiden sieh von obiger Serie der N. maculosa durch viel lichtere Oberseite, die 
dadurch hervorgerufen wird, daß die schmalen Querlinien auf dem Rücken nicht warm rötlich- 
braun, sondern blaß gelbbraun, ja an dem apicalen Teile sogar häufig weißlich, und die breiten 
Seitenränder nicht sand- oder rostgelb, sondern weiß, höchstens an der Basishälfte rahmgelb gefärbt 
sind. Auch die Grundfarbe der Flügeldeeken und Armschwingen ist wesentlich lichter, nicht 
ockerrostgelb, sondern hell sandgelb und die Unterseite durchschnittlich etwas blasser. Mit 
N. nigroguitata Salvad. scheint diese Form kaum identisch zu sein, obwohl die schwarzen Fleeken 
auf der Kropfgegend reiner schwarz und mehr gerundet sind als bei N. maculosa. 
Mus. Tring. La Soledad, Entrerios, Argentina (Britton coll.): 


Iyr0 928. dan. 18994 2, . 1.022.187, ,culm. 191, mm 
2. „Oo, ll. Febr. 1899% . . 2.138, culm. 191, „ 
Bu So abaebr., 1899 2 2.,02.2128, eulm. 19 F 
Zr Dez 139 9 Er Fre a2 eulm- 20 x 


Nothura minor (Spix) 


Tinamus minor Spix, Av. Bras. II (1825), p. 65, tab. LXXXII („in campis prope pagum Tejuco“). 
Nothura assimilis G. R. Gray, List Birds Brit. Mus. V, Gallinae (1867), p. 105 („South-America*). 
Nothura media (non Tinamus medius Spix!) Salvadori, Cat. Birds Brit. Mus. XXVII (1895), p. 563. 


Wir besitzen ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Nothura minor Sp. Brasilien. Spix“, 
und auf dem Postament ist bemerkt: „Type.“ Der Vogel stimmt vollkommen zur Beschreibung 
von T. minor und paßt, sowohl was Färbung als was Stellung anlangt, genau zur Figur auf 
Tafel 82. Es ist ein junger, bei weitem nicht ausgefärbter Vogel, aber immerhin soweit erwachsen, 
um erkennen zu lassen, daß es sich um die von Salvadori und anderen Autoren N. media genannte 
Art handelt. Salvadori fand ein © von Ytarare, San Paulo (Natterer leg.) augenscheinlich identisch 
mit dem Typus von N. assimilis Gray.!) Mir liegen vier OO und ein Ö von Natterers Serie aus 


I) Seither untersuchte ich den Typus und kann Salvadoris Identifizierung bestätigen. 
91* 


708 


dem Wiener Museum und ein & jr. von Itatinga, San Paulo (Hempel leg.) der Rothschild’schen 
Sammlung zu Tring vor. Alle diese Stücke sind entschieden älter als der Typus und überall 
lebhafter gefärbt, stimmen aber im Zeiehnungsmuster und in der Verteilung der Farben mit 
ihm überein. Er ist folgendermaßen gefärbt: Oberkopf hell zimtrötlichbraun, dicht bedeckt mit 
unregelmäßigen, zackigen, schwarzen Fleckehen; Federn des Hinterhalses lebhaft rahmgelb mit 
breiten, schwarzbraunen Schaftstreifen, bisweilen an der Spitze noch mit kleinen, zimtroten 
Fleekchen; Rückenfedern hell zimtrot mit reichlichen, schwärzlichen, zackigen Querbinden und 
Querwellen und meist mit einem breiten, lebhaft rahmgelben Randsaume auf jeder Seite. Flügel- 
decken rostgelb, hell zimtrötlich überlaufen mit schmalen, scharfen, schwärzlichen Querbinden. 
Handschwingen dunkelgrau, auf der Außenfahne rostgelb und dunkelbraun gezähnt; Armschwingen 
hell zimtrötlich mit schwärzlichbraunen Querwellen und Querbinden, Zügel und Kopfseiten rahm- 
gelb, Kehle weiß, Halsseiten und übrige Unterseite sandgelb, die Halsseiten, der Unterhals und 
Be Kropfgegend mit rötlichschwarzbraunen Längsstreifen, innere Körperseiten mit feinen, dunkel- 
braunen Querwellen. Achselfedern und Unterflügeldecken wie bei N. maculosa einfarbig lebhaft 
rostgelb, nur die große Serie der letzteren kaum merklich graulich gewellt. Innenfahne aller 
Schwingen mit breiten, lebhaft rostfarbigen Querbinden. Schnabel gelb. 

A. 112, eulm. 16!/, mm. 

Die fünf mir vorliegenden, von Natterer gesammelten alten Vögel unterscheiden sich in 
folgender Weise: die Grundfarbe von Scheitel und Rücken ist viel dunkler, kastanienrotbraun 
(„ehestnut“). Die Flügeldecken sind gleichfalls intensiver, mehr ockerrostgelb, die inneren oft 
rostrot und die schwarzen Querzeiehnungen entschieden breiter, schärfer markiert und tiefer 
schwarz. Die Unterseite ist wesentlich lebhafter sandgelb, die schwärzlichen Schaftflecken auf 
Unterhals, Kropfgegend ete. breiter und viel dunkler, überdies tragen die Federn dieser Teile 
große, kastanienrote Flecken, welche die eben genannten, dunklen Streifen umgeben. 

Die Serie weißt recht wenig Variation auf. Die seitlichen Säume der Rückenfedern sind 
schön rahmgelb, nur bei einem © von Ytarare (no. 4) heller, rahmweißlich. Ein anderes O von 
demselben Fundorte (September 1820) hat auch auf den Brustseiten große, kastanienrote Flecken 
wie auf der Kropfgegend, die schwarze Zeichnung tritt aber in Querbinden, nicht in Längs- 
fleecken auf. Bei den anderen alten Vögeln ist diese Zeichnung auf die Seiten der Vorderbrust 
beschränkt, während die übrigen Körperseiten schmälere, schwarzbraune Querbinden tragen. 
Der Scheitel ist meist so gezeichnet wie oben beim Typus angegeben wurde, aber ein O von 
Irisanga und das 9 von Ytarare, September, haben ganz schwarze Scheitelfedern, nur um die 
Spitze zieht ein breiter, kastanienroter Saum und die Seitenränder zeigen feine, weißliche Fransen. 

Ein öjr. von Itatinga, San Paulo (Mus. Tring) stimmt in der blassen Färbung der Flügel- 
decken und in der undeutlichen Fleckung auf der Unterseite mit dem Typus ziemlich überein, 
ist jedoch auf dem Rücken entschieden dunkler, aber noch immer wesentlich heller als die 
Natterer’schen Vögel. Die schwarze Querzeichnung des Rückens variiert gleichfalls einigermaßen. 
Bei dem 9 aus Irisanga ist sie zum größten Teile fein und und wellenförmig, und nur ganz 
wenige breitere Querbinden finden sich dazwischen, welch letztere bei den meisten anderen 
Exemplaren entschieden vorherrschen. 

Die sechs Vögel besitzen hornbraunen ÖOberschnabel, beim Typus ist er gewiß nur 
ausgebleicht. 


1. Mus. Vindob. „Öö“ ad. „Ytarare, San Paulo, 7. Sept. 1820* a. 114, eulm. 181, mm 
2.00 gi „Q* ad. „Ytarare, 9. Sept. 1820* 23116, Culm-aS ; 
Fabel} 5 „2“ ad. „Ytarare, 18. Febr. 1821“ a. 110, eulm. 18 e 
A, e „Q“ ad. „Ytarare, 7. März 1821% a. 111, eulm. 18 hs 
De a; „9° jr: „Irisanga 252Dez. 1822. 7 a. 115, eulm. 18 ” 
6... ring, 6% Ir. Itatinga,San,Baulo; 24, Ben 1902«, 

G. Hempel coll. . . : 5 a. 113, eulm 202 


Von N. maculosa unterscheidet sich unsere Id br geringere Größe und den kastanien- 
rotbraunen Rücken auf den ersten Blick. In der Färbung der Unterflügeldecken und Innenfahne 
der Schwingen stimmen beide Arten überein. 


709 


Psophia viridis Spix 


Av. Bras. II (1825), p. 66, tab. LXXXIII („in campis sylvestribus ad pagum Villa Nuova*) 
(ef. Selater, Ibis 1898, p. 520 ff.). 


Die Sammlung besitzt noch ein Exemplar mit der Aufschrift: „Psophia viridis Sp. Brasilien. 
Spix“, zweifellos das Original zur Beschreibung und Abbildung, womit es trefflieh übereinstimmt. 
Mr. Selater (l. e.) hat ausgeführt, daß P. viridis und P. obscura wohl verschieden und von 
Sharpe im Cat. XXII irrtümlich vereinigt worden sind. 

"Unser Stück ist folgendermaßen gefärbt: 

Kopf und Hals ringsum samtschwarz, Naeken und Kropfgegend schwarz mit prächtigem, 
purpurviolettem Glanz, der durch die Endhälfte der Federn bewirkt wird, basalwärts davon 
zeigt sich hier und da noch ein schmaler, grüner Querstreifen, übrige Unterseite schwarz. Rücken 
und Mantelfedern ölgrün, Mittelrücken stark vermischt mit Mattrostbraun. Hinterrücken und 
Schwanz samtschwarz. Flügeldecken dunkelbraun, die kleinen mit breitem, ölgrünen Spitzenteil, 
der auf einzelnen Federn von der dunklen Basis durch ein schmales, rostbraunes Band getrennt 
wird, die mittleren mit purpurviolettem Spitzenteil und goldgrünem Streifen basalwärts davon; 
die große Serie dunkelbraun mit bald purpurviolettem, bald ölgrünem Spitzenteil. Schwingen, 
Handdecken und Afterflügel schwarzbraun, innere Armschwingen mit breitem, ölgrünen Saume 
auf der Außenfahne. Unterflügeldecken schwarz. Füße hornbraun (Schnabel ganz ausgebleicht). 


A. 270, c. 120, culm. 35 mm. 


Psophia leucoptera Spix 
Av. Bras. II (1825), p. 67, tab. LXXXIV [,„in sylvis campestribus fl. Rio Negro“]. 


Wir besitzen noch zwei schöne, alte Exemplare mit der Bezeichnung: „Psophia leucoptera 
Sp. Brasilien. Spix.“ no. 1 stimmt in der Stellung besser zur Abbildung und ist vielleicht das 
Original derselben. Beide Stücke sind auf den weißen Partien der Flügel etwas beschmutzt, 
welche an den unbedeckten Stellen daher rahmgelb gefärbt erscheinen. 


no. 1 ist folgendermaßen gefärbt: 

Kopf und Hals ringsum matt samtschwarz, Vorderrücken und Mantel dunkel schokoladebraun, 
Hinterrücken und Schwanz schwarz. Flügeldecken schwarzbraun mit breiten, purpurvioletten 
Endteilen, die, besonders auf der großen Serie, mit Bronzegrün vermischt sind. Die innersten 
der großen Reihe und die inneren Armschwingen weiß, nur an der äußersten Basis fein schwärz- 
lich quergewellt. Rest der Schwingen, Handdecken und Afterflügel schwarzbraun. Unterseite 
mattschwarz, die unterste Partie des Vorderhalses und Kropfgegend mit mattem, purpurfarbigem 
Glanz. Schnabel gelb. — A. 285, ce. 120, eulm. 44 mm. 

no. 2 unterscheidet sich durch mehr schokoladebraunen, weniger schwärzlichen Mantel‘ 
der auf dem hinteren Teile einen deutlichen, purpurrötlichen Glanz aufweist, und durch das 
Vorhandensein kupferrötlicher Flecken in den bronzegrün und purpurblau gemischten Flügel- 
decken. Ferner finden sich auf der hinteren Partie des Oberhalses bronzegrüne Federspitzen, 
die bei no. 1 völlig fehlen. — A. 275, ec. 110, culm. 43 mm. 

Psophia ochroptera Pelz. unterscheidet sich durch rahmgelbe Schulterfedern und Arm- 
schwingen, welch letztere auf der Innenfahne überdies blaßbraun (statt weiß) gefärbt sind; die 
metallisch glänzenden Flecken auf den Flügeldecken sind kupferfarben, ohne oder bloß mit ganz 
schwachem, grünem Bronzeglanz vermischt. Es scheint, daß Mr. Sharpe (Cat. Birds XXIII, 
p- 281) die Angaben über die Färbung der Flügeldecken bei P. leucoptera und P. ochroptera 
verwechselt hat. 

Ob die Typen von P. leucoptera, wie Spix behauptet, vom Rio Negro stammen, erscheint 
mehr als zweifelhaft. Natterer sammelte die Art nur am oberen Rio Madeira (ein Exemplar 
kaufte er am Manaqueri-See, Rio Solimoöns), dagegen brachte er P. ochroptera, die gewiß nur 
ihr nördlicher Vertreter ist, von Barcellos am Rio Negro heim. 


710 


Tantalus plumicollis Spix —= Tantalus loculator Linn. 


Tantalus loculator Linnaeus, Syst. nat. X (1758), p. 140 („America — ex Catesby. Als terra 
typiea nehmen wir Carolina ex Catesby, erstes Zitat. — Das zweite Zitat „Tacab, 
Mise persis“ gehört nicht hieher). 

Tantalus plumicollis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 68, tab. LXXXV („in insula St. Joannis sive 
Marajo, nee non ad flumen St. Franeisci“). 


Das Spix’sche Original ist nicht mehr in der Sammlung. Die Abbildung auf Tafel 85 
stellt offenbar einen jüngeren Vogel dar, bei dem die nackten Hautstellen am Kopfe und der 
Sehnabel noch rötlich gefärbt sind und der ganze Hinterhals mit trübweißen, am Hinterkopf 
dunkelgrau überlaufenen Federn bedeckt ist. 


Phimosus nudifrons (Spix) 
Ibis nudifrons Spix, Av. Bras. II (1825), p. 69, tab. LXXXVI („ad litora lacuum St. Franeisei“). 


Ein altes Exemplar mit der Bezeichnung: „Geronticus infuscatus Licht., Ibis nudifrons Sp. 
Brasilien. Spix“, das in Haltung und Färbung vollständig mit der oben zitierten Kennzeichnung 
übereinstimmt. Sowohl der Typus und ein O ad. aus Brasilien (coll. Leuchtenberg) als auch 
eine Serie von 8 öQ im Wiener Museum (Rio Paranä und Caicara, Mattogrosso; Natterer leg.) 
zeigen den Schnabel und die nackte Haut an Stirn. Zügel, Wangen und Vorderkehle von einer 
hellgelben Farbe. Auch Spix nennt die Färbung dieser Teile „Iuteum“. Dagegen sind sie bei 
einer großen Serie von Bälgen von Merida und dem mittleren Orinokostrome in Venezuela stets 
blutrot gefärbt und ich habe daraufhin die nördliche Form als Phimosus berlepschi abgetrennt. 
(Verhandl. zool.-bot. Ges. Wien, 1903, Mai, p. 247.) Wir haben demnach folgende Arten zu 
unterscheiden: 

1. Phimosus nudifrons (Spix), Zentral-Brasilien: Sf. Francisco (Spix); Rio Parand und (aicara, 
Mattogrosso (Natterer); Rio de Janeiro (Burmeister, Wied) etc. 

2. Phimosus berlepschi Hellm., Venezuela: Caigara und Altagracia am mittleren Orinoko; 
Merida. 

3. Phimosus azarae Berl. und Hart., Paraguay (Rohde) und bei Buenos Aires (P. Neumann). 
[Vgl. Berl. und Hart., Nov. Zoo]. IX, 1902, p. 123.] 


Cereibis oxycerca (Spix) 
Ibis oxycercus Spix, Av. Bras. II (1325), p. 69, tab. LXXXVII („in provincia Pard*“). 


Ein alter Vogel mit der Bezeichnung: „@Geronticus oxycercus Sp. Brasilien. Spix“, sehr 
gut mit Spix’ Beschreibung und Abbildung übereinstimmend. Bei Para wurde die Art seit Spix 
nicht mehr gefunden. 


Ibis leucopygus Spix = Eudocimus ruber (Linn.) juv. 
Tantalus ruber Linnaeus, Syst. nat. XU. 1 (1766), p. 241 („America“, ex Catesby (Bahamas), 
Brisson (Cayenne) ete. — wir nehmen Cayenne ex Brisson als die typische Lokalität an). 


Ibis leucopygus Spix, Av. Bras. II (1825), p- 70, tab. LXXXVIII (ohne Fundort). 


Die Sammlung besitzt ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Ibis rubra L. juv., Ibis leuco- 
pygus Sp. Brasilien. Spixe“, das in jeder Hinsicht der Spix’schen Beschreibung und Abbildung 
entspricht. Wie man ganz richtig annahm, ist es ein junger Vogel von Kudocimus ruber, bei 
dem noch keine Spur der roten Färbung zur Ausbildung gelangt ist. 


Wir besitzen auch noch ein zweites, etwas älteres Exemplar, das die charakteristische 
Spix’sche Präparation aufweist. Es zeigt bereits hell rosenroten Unterkörper und auf den 
Schwingen gleichfalls an mehreren Stellen frische, rosenrote Federn. Dieses Stück hat im 
Spix’schen Werke keine Erwähnung gefunden. 


23 


Ciconia jaburu Spix — Ciconia maguari (Gm.) 


Ardea maguari Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 623 („in America, praesertim Brasilia“ — 
ex Brisson). 

Ciconia jaburu Spix, Av. Bras. II (1825), p. 71, tab. LXXXIX („in loeis..... insulae St. Joannis, 
Rio de Janeiro ete.“). 

Die Sammlung besitzt ein Stück mit der Aufschrift: „Oiconia pillus Mol. Brasilien.“ Es 
zeigt ganz die charakteristische Präparation der Spix’schen Stücke und stimmt sehr gut zu der 
Abbildung und Beschreibung von Ciconia jaburu. Ohne Zweifel ist es das Original derselben. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf eine unumgänglich nötige, sehr bedauerliche Änderung 
in der Benennung von Mycteria americana L. hinweisen. Bereits Graf Berlepsch (J. f. Ornith. 1887, 
p- 32) bemerkte dies, unterließ es aber, die Konsequenzen zu ziehen. 

Myecteria americana Linnaeus, Syst. nat. X (1758), p. 140 beruht ausschließlich auf dem 
„Jabiru-guaeu“ Maregraves, Hist. nat. Bras., p. 200. Der so benannte Vogel ist aber, wie das 
Studium der Originalbeschreibung lehrt, nicht Myeteria americana auct., sondern Tantalus loculator ! 
Dies geht unzweifelhaft aus den Stellen hervor: „in summitate capitis mitram osseam colori 
albi et einerei mixti gerit“, „oculi nigri et pone eos aurium foramina ampla“, „caudam habet 
brevem et nigram, cum qua alae desinunt“, „totum corpus et collum albis vestitur pennis et & 
collo longiusculae pennae propendent et eircum.“ „Alaealbae, remiges illarum pennae nigrae, 
rubini colore transsplendente in nigro.* 

M. americana auct. hat dagegen ganz weißen Schwanz und Flügel, kein Hornschild auf 
dem Vorderkopf u. s. w. Die irrtümliche Identifizierung des „Jabiru-guacu“ Maregraves mit dem 
„Jabiru® der Brasilianer ist wohl darauf zurückzuführen, daß im Marcgrave’schen Werke die 
Figuren des „Jabiru* und „Jabiru-guagu“ gerade an umgekehrter Stelle eingesetzt sind. Aber 
bereits Lichtenstein (Abhandl. Berl. Akademie in den Jahren 1816—1817, erschienen 1819, 
p- 163) stellte nach Vergleich der farbigen Originalabbildungen Maregraves fest, daß die Figur 
auf p. 201 zu der Beschreibung des „Jabiru“ (p. 200) und die Figur auf p. 200 zur Beschreibung 
des „Jabiru-guacu* (Tantalus loculator) gehört. 

Da somit Mycteria americana L. sich auf Tantalus loculator bezieht, muß für den Jabiru 
Lichtensteins Bezeichnung (iconia mycteria |Verz. Dubl. 1823, p. 76: ex Mycteria americana 
Latham (nee Linnaeus), Ind. Ornith. II, p. 670, wo die Art sehr gut beschrieben ist], in An- 
wendung kommen. Als Genustitel schlage ich 


Jabiru nom. nov. 
vor. Die Art hat somit als Jabiru mycteria (Leht.) zu stehen. 


Ardea maguari Spix — Ardea cocoi Linn. 


Ardea Cocoi Linnaeus, Syst. nat. XII. 1 (1766), p. 237 („Cayana* — ex Brisson). 
Ardea maguari Spix (nee Gmelin, 1788!), Av.Bras. II (1825), p.71,tab.XC („ad ripas fl. Amazonum‘). 
Die Münchener Sammlung besitzt zwei Exemplare mit der Bezeichnung: „Ardea cocoi L., 
Aguari Sp. Brasilien. Spix.“ Beide scheinen ÖÖ zu sein, denn sie haben stark entwickelte 
Schmuckfedern auf dem Unterhals. Cayenne-Vögel liegen nicht zur Vergleiehung vor; es wäre 
sehr wichtig, solche sorgfältig zu studieren, da Linnes Diagnose nicht recht auf die brasiliani- 
schen Vögel paßt, welche schwarzen Scheitel und Schopf besitzen, während es dort „occipite 
erista dependente dorsoque einereis“ heißt. Spixens Name könnte aber keinesfalls 
bestehen, weil präokkupiert durch Ardea maguari Gmelin (= Ciconia maguari). 


Rallus ardeoides Spix — Aramus scolopaceus (Gm.) 


Ardea scolopacea Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 647 (Cayenna — ex Daubenton, Pl. enl. 848). 

Aramus carau Vieillot, Nouv. Diet. VIII (1817), p. 300 (Paraguay — ex Azara no. 366). 

Rallus gigas Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823). p. 79 (San Paulo, Montevideo). 

Rallus ardeoides Spix, Av. Bras. II (1825), p. 72, tab. XCI („prope pagum Contendas vel Riachäo 
in provineia Minas Geraös“). 


712 


Ein altes Exemplar mit der Bezeichnung: „Aramus scolopaceus Gm., Rallus ardeoides Sp. 
Brasilien. Spix, das sehr gut der Figur im Spix’schen Werke entspricht. Es ist nicht verschieden 
von einem O aus Bernaleue, Paraguay und einem von Natterer in Mattogrosso gesammelten Ö ad. 
Topotypische Cayenne-Vögel konnten nicht verglichen werden. Die zentralamerikanische Form, 
welehe Sharpe A. piefus nannte, muß A. scolopaceus giganteus (Bp.), 1825,') heißen; denn Tantalus 
pietus (Bartram, Travels Florida ete., 1793, Dublin, p. 291) ist nicht gekennzeichnet,?) und 
überdies hat Bartram die binäre Nomenklatur nicht konsequent angewendet, z. B. p. 290 „Hirundo 
riparia vertice pupureo“ u.a. m. 


Gallinula caesia Spix — Limnopardalus nigricans (Vieill.) 


Rallus nigricans Vieillot, Nouv. Diet. XXVIII (1819), p. 560 (ex Azara no. 371 — Paraguay). 

Rallus immaculatus Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 79 (Bahia, San Paulo) (nom. nud.). 

Gallinula caesia Spix, Av. Bras. II (1825), p. 73, tab. XCV („in provincia Minas Geraes prope 
Contendas“). 


Ein Exemplar, das in Färbung und Haltung ausgezeichnet der Abbildung Spixens ent- 
spricht, steht unter der Bezeichnung: „Aramides nigricans Vieill., Gallinula caesia Sp. Brasilien. 
Spix“ in der Sammlung. 

Stücke aus Paraguay liegen mir leider nicht vor, doch passen brasilianische Vögel recht 
gut zu Azaras Kennzeichnung. Das Spix’sche Original stimmt mit einem von Herzog Leuchtenberg 
in der Umgebung von Rio de Janeiro gesammelten Ö ad. recht gut überein, weicht nur ab 
durch merklich kürzeren und schwächeren Schnabel, mehr grauliche, weniger weißliche Kehle 
und reiner schiefergraue Unterseite. Keines der untersuchten Exemplare aus Brasilien (gegen 
20 Stück) zeigt eine Spur des für Z. rytürhynchus (Vieill.) bezeichnenden roten Fleckes an der 
Basis des Unterschnabels. 


Spixulyvpussaese ne... enlmAbemm 
ö (jr.) Rio de an ae 2, 5 De nl, Da 7 


Vielleicht ist das Spix’sche Original ein Q, woraus sich die geringere Größe erklären liebe. 


Gallinula ruficeps Spix = Aramides cajanea (P. L. S. Müll.) 


Fulica cajanea P. L. S. Müller, Natursyst. Suppl. (1776), p. 119 (ex Daubenton, P]. enl. 352 — 
Cayenne). 

Fulica major Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783), p- 21 (beruht gleichfalls auf Daubenton). 

Gallinula ruficeps Spix, Av. Bras. II (1825), p. 74, tab. XCVI („in provincia Rio de Janeiro“). 


Die Sammlung besitzt ein Exemplar mit der Aufschrift: „Aramides cayennensis Gm., Rallus 
ruficeps Sp. Brasilien. Spix“, das vollkommen der Kennzeichnung und Figur entspricht. 


Das Spix’sche Stück, einige vom Herzog Leuchtenberg bei Rio gesammelte Vögel (Mus. 
Monac.), ferner zwei alte Exemplare aus Cayenne und ein Q von Barra do Rio Negro, coll. 
Natterer (alle drei im Wiener Museum) sind auf dem Mantel und den langen, die Flügeldecken 
verbergenden Schulternfedern hell grünlicholiv, auf der Brust schön hell zimtrot. Sie bieten 
‚ untereinander keine Verschiedenheiten dar bis auf die Färbung des Hinterkopfes, welche Sharpe 
zur Trennung von A. cajanea und A. c. chiricote (Cat. Birds XXIII) benützt hat. Bereits die l. ce. 
angegebene, unverständliche Verbreitung der beiden Formen wollte mir nicht recht einleuchten, 
und nun bin ich in der Lage zu beweisen, daß der rötlichbraune Fleck auf dem Hinterkopf 
absolut nicht von der Lokalität abhängt, sondern offenbar mit dem Alter des Vogels im Zu- 
sammenhang steht. 


I) Obwohl Bonaparte (Journ. Acad. Philad. V (Juni 1825), p. 31) sagt, daß eines der Originale aus 
Südamerika ‚stamme, bezieht sich seine Beschreibung nn sellaet auf die nördliche Form. 


2) Die Stelle bei Bartram lautet: „T. pietus; (Ephouskyka Indian) the erying bird, beautifully 
speckled‘, also keine Spur von Beschreibung. 


713 


Von den oben angeführten Stücken hat das Spix’sche Exemplar (aus Rio) und einer der 
Leuchtenberg’schen Vögel aus Rio dunkel rötlichbraunen Hinterkopf, wodurch das Grau des 
Vorderscheitels von dem des Oberhalses getrennt wird. Ein anderes, anscheinend älteres Individuum 
von Rio hat einfarbig grauen Oberkopf und Hinterhals. Einer der Cayenne-Bälge und das o 
von Barra zeigen einen ausgedehnten, matt rötlichbraunen Fleck am Hinterkopf, welch letzterer 
bei dem anderen Cayenne-Vogel gleich Stirn und Hinterhals einfarbig grau erscheint. 

Ein 6 von Cuyabä, Januar, und ein & Mattogrosso, November (Natterer col).; Mus. Wien) 
weichen von der vorstehend behandelten Serie durch etwas reiner grünlichen Mantel ab, sind 
aber unterseits ebenso lebhaft zimtrot. Bei dem zweitgenannten Stück ist der Hinterkopf rötlich- 
braun, bei dem Ö aus Cuyabä sind die Federn dieser Partie an der Basis dunkelgrau, nur an 
der Spitze matt rötlichbraun. 

Die Vögel aus Cayenne, Barra do Rio Negro, Mattogrosso und Rio gehören zweifellos zu 
einer und derselben Form, i. e. der typischen A. cajanea. 

Zwei Vögel (69) vom Rio Boraxudo im Staate Paranä, Süd-Brasilien, unterscheiden sich 
recht auffallend von ihnen durch wesentlich matteren und blasseren, fahlrostfarbigen (statt zimt- 
roten) Unterkörper und in der Hauptsache grauen Rücken mit nur leichtem, grünlichen Tone, 
so daß eine grüngraue Färbung entsteht. Bereits Sharpe (l. ce.) hat bei einem gleichfalls vom Rio 
Boraxudo stammenden Vogel auf diese Differenzen hingewiesen. Das ö hat ganz dunkelgrauen 
Oberkopf und Nacken, das O zeigt hingegen auf dem Hinterkopf einen leichten, bräunlichen Ton. 

Paraguay-Vögel, worauf Aramides chirieote!) (Vieill.) beruht, liegen mir leider nicht vor, 
weshalb ich auch nicht feststellen kann, ob die Paranä-Stücke auf diesen Namen Anspruch zu 
machen haben. Nach Berlepschs Bemerkungen (J. f. Ornith. 1887, p. 35) scheint aber ein ö 
vom Rio Pileomayo, Paraguay eher mit Stücken aus Bahia übereinzustimmen, welch letztere ver- 
mutlich denen aus Rio gleichen. Dagegen erwähnt derselbe Autor (Zeitschr. ges. Ornith. II, 1858, 
p. 181) bei einem alten Vogel aus Taquara, Rio grande do Sul mehr aschgraulich überlaufenen 
Rücken und bedeutendere Größe, was beides auf die Paranä-Stücke paßt. 

In der Größe ist auch einige Variation festzustellen. Vögel von Mattogrosso und das Paar 
vom Rio Boraxudo haben entschieden längeren Schwanz als die Stücke von mehr nördlichen 
Gegenden, wie die folgende Tabelle beweisen möge. 


Mus. Vindob. Cayenne a. 176, ce. 65, culm. 50 mm 
5 ir Cayenne ex Fichtl) . . a. 167, c. 65, culm. 51!/, mm 
= a4 @ Barra do Rio Negro (Natterer) . a. 181, e. 69, eulm. 54 5 
S 4 ö Mattogrosso (Natterer) ME air185) ,09R7 Heu 52A la, 
= an ö Cuyabä (Natterer) a. 191, c. 73, culm. 521/, 
Aramides cajanea subsp.? 
Mus. Vindob. ö& Rio Boraxudo, Paranä (Natterer) . . . a. 189, c. 80, eulm. 53 mm 
„ n oO Rio Eordeudo, Parana (Natterer) . . a. 145, 0..13, culmer237 


n = ad. Taquara, Rio Bande do Sul (nach Berlepsch) a. 205, ec. 80, culm. 561/, mm. 


Aramides mangle (Spix) 


Gallinula mangle Spix, Av. Bras. II (1825), p. 74, tab. XCVII („ad litora maris in locis 
paludosis, arbustis mangliferis obsitis*). ; 
Aramides mangle Pelzeln, Zur Ornith. Bras. III (1869), p. 316 (Sapitiba bei Rio de Janeiro). 


Die Münchener Sammlung besitzt noch zwei Exemplare von Spix’ Reise mit der Bezettelung: 
„Aramides chiricote Vieill., Gallinula mangle Sp. Brasilien. Spixe.* Welches davon als Original 
zur Abbildung diente, kann nicht mehr festgestellt werden, da eines so gut wie das andere dazu paßt. 

Mit A. chiricote (Vieill.) haben die Vögel natürlich nichts zu tun, stimmen vielmehr in 
jeder Hinsicht auf die Beschreibung, welche Sharpe (Cat. XXIII, p. 54) von A. mangle gibt. 


1) Rallus chiricote Vieillot, Nouv. Diet. XXVIIL (1819), p. 551 (ex Azara no. 368 — Paraguay). 
Abh.d. II.Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 92 


714 


Oberkopf, Oberhals und Nacken sind blaß bräunlichaschgrau, Vorderrücken und Mantel 
blaß fahloliv. Hinterrücken sehr dunkelbraun, Oberschwanzdeecken und Schwanz mattschwarz. 
Flügeldecken und innere Armschwingen blaßoliv, etwas lebhafter als der Rücken, Handdecken 
und Afterflügeldecken braun, außen rötlich überwaschen. Hand- und äußere Armschwingen hell 
zimtrot, letztere mit matteren, mehr dunkelbraunen Spitzen. Zügel und Kopfseiten sehr blaß 
aschbräunlich, Kinn und Kehle trübweiß; übriger Unterkörper matt blaßziegelrot, Bauch und 
Hosen graubräunlich. Unterschwanzdeeken grauschwarz. Unterflügeldecken schwärzlich mit 
schmaler, weißlicher Querbänderung. Schnabel gelb, obere Mandibel vor den Nasenlöchern 
dunkler, mehr braun. 

no. 1: a. 171, ce. 61, eulm. 44, tars. 54 mm. 

. 2 unterscheidet sich nur durch blaß röstliche statt weiße Querbänderung der Unterflügel- 
decken. — A. 170, c. 58, culm. 39, tars. 45 mm. 

A. wolfi Berl. und Taez., wovon ich eine hübsche Serie untersuchen konnte, unterscheidet 
sieh sofort durch viel längeren Schnabel (55—59 mm), tief rötlicholivbraunen (statt blaß graulich- 
olivfarbigen) Rücken, dessen Färbung auf dem Mantel in ein lebhaftes Rotbraun übergeht, 
schwarzen (statt graubräunlichen) Bauch und Hosen, dunkler und intensiver gefärbte Unterseite, 
endlich durch viel längere und stärkere Beine. 


- 
=) 
o 


Aramides saracura (Spix) 
Gallinula saracura Spix, Av. Bras. II (1825), p. 75, tab. XCVIII (ohne Fundort). 


Ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Aramides plumbeus Vieill., Gallinula saracura Sp. 
Brasilien. Spix“ in der Sammlung, das ohne Zweifel das Original zur Beschreibung und Abbil- 
dung darstellt. 

Die einfarbig schiefergraue Unterseite — abgesehen von der weißen Kehle — ohne jede 
rötliche Farbe unterscheidet die Art sofort von allen Verwandten. Der Spix’sche Typus stimmt 
recht gut mit einem ö ad. von Mattodentro, Dezember 1818 (Natterer coll.), überein, unterscheidet 
sich nur durch etwas längeren Schnabel, weitere Ausdehnung des Rostbraun über den Vorder- 
rücken sowie endlich dadurch, daß der Hinterkopf rostbraun überlaufen ist (wie der Nacken), 
während bei jenem der ganze Oberkopf von der Stirn bis zum Oceiput aschgrau erscheint. Dieser 
Unterschied mag darauf zurückzuführen sein, daß unser Typus nicht ganz ausgefärbt ist. 


Gallinula gigas Spix = Aramides ypecaha (Vieill.) 


Rallus ypecaha Wieillot, Nouv. Diet. XXVIII (1819), p. 568 (ex Azara no. 367 — Paraguay). 
Gallinula gigas Spix, Av. Bras. II (1825), p. 75, tab. XCIX („Minas Geraös, prope pagum 
Contendas“). 


Ein schönes Exemplar unter der Bezeichnung: „Aramides gigas Sp. Brasilien. Spie“ in 
der Sammlung, welches in Färbung und Haltung sehr gut zur Figur in Spixens Werk paßt 
und ohne Zweifel als Vorlage gedient hat. Paraguay-Vögel liegen mir nicht vor, doch stimmt 
unser Exemplar recht gut zu Azaras Beschreibung. Es mißt: a. 220, c. 100, culm. 76 mm. 

Ein Vogel aus Buenos Aires im Wiener Museum ist nicht verschieden. Er mißt: a. 218, 
e. 95, eulm. 70 mm. 


Tringa macroptera Spix —= Helodromas solitarius (Wils.) 


Tringa solitaria Wilson, Amer. Ornith. VII (1813), p. 53, tab. 58, Fig. 3 (Hudsons Bay). 
Tringa macroptera Spix, Av. Bras. II (1825), p. 76, tab. XCII (nicht XCIII, wie bei Spix 
zitiert ist!) („in provinciis Rio de Janeiro et Balhia*). 

Zwei Exemplare in der Sammlung mit der Aufschrift: „Totanus chloropygius Vieill., Tringa 
macroplera Sp. Brasilien. Spice“; eines davon irrtümlich als ex „Mus. Herzog von Leuchtenberg* 
etikettiert. Laut Katalog stammt es aber auch von Spixens Reise. Es stimmt besser zur Spix’- 
schen Abbildung, zeigt namentlich auf Rücken und Flügeldecken kleine, weißliche Flecken und 
die Körperseiten schwarzbraun gebändert oder gefleckt. Dies ist nach Sharpe (Cat. XXIV, p. 446) 


715 


das Sommerkleid, das demnach bereits in der Winterherberge zur Ausbildung zu gelangen 
scheint. Das zweite Exemplar (ex Spix) hat einfarbig braunen Kopf und Nacken, und keine 
hellen Spritzer auf Rücken und Flügeldecken; bloß Vorderhals und Kropfgegend sind blaß- 
braun längsgefleckt. 


Tringa brevirostris Spix — Ereunetes pusillus (Linn.) 


Tringa pusila Linnaeus, Syst. nat. XII. 1 (1766), p. 252 (ex Brisson — Domingo). 
Tringa brevirostris Spix, Av. Bras. II (1825), p. 76, tab. XCIII (nieht tab. XCII, wie Spix zitiert!) 
(ohne Fundort). 


Nicht mehr in der Sammlung, auch im Kataloge nicht verzeichnet. 


Charadrius crassirostris Spix —= Ochthodromus wilsonia wilsonia (Ord) 


Charadrius wilsonia Ord in: Wilson, Amer. Ornith. IX (1814), p. 77, tab. 73, Fig. 5 [Cape 
Island, New Jersey]. 
Charadrius assirostr is Spix, Av. Bras. II (1825), p- 77, tab. XCIV (ohne Fundort). 


Ein Exemplar, etik.: „Charadrius Wilsonius Ord., crassirostris Sp. Brasilien. Spix.“ — 
A. 116, c. 48, r. 21 mm. 

Dieser Vogel stimmt mit Exemplaren aus den südöstlichen Vereinigten Staaten völlig 
überein und gehört keineswegs zu O. w. rufinucha (Ridgw.). Zügelstreif, Kopfseiten und Gurgel- 
band sind wie bei mehreren Stücken aus Florida dunkel graubraun gefärbt, nur hinter der Ohr- 
gegend zeigt sich ein kaum merklicher, röstlicher Anflug. Bei O. w. rufinucha, von welcher 
Form mir eine hübsche Suite aus Jamaica und Trinidad vorliegt, sind die Kopfseiten und der 
Nacken stets lebhaft ockerröstlich überwaschen. 

Spix’ Typus muß somit ein auf dem Zuge befindlicher Wanderer aus dem Norden gewesen sein. 


Podilymbus podiceps (Linn.) 


Colymbus podiceps Linnaeus, Syst. nat. X (1758), p. 136 („in America septentrionali“ — ex 
Catesby: Carolina als terra typica acceptiert). 

Podiceps carolinensis Latham, Ind. Ornith. II (1790), p. 785. 

Podiceps carolinensis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 78, tab. © („in locis paludosis Rio de Janeiro“). 


Ein altes Exemplar in der Sammlung: „Podilymbus carolinensis Lath. Brasilien. Spix*, das 
in jeder Hinsieht vollkommen der Beschreibung und Abbildung im Spix’schen Werke entspricht. 


Podiceps dominicus brachyrhynchus (Chapm.) 


[Colymbus dominicus Linnaeus, Syst. nat. XII. 1 (1766), p. 223 („S. Domingo“ — ex Brisson).] 

Podiceps dominicus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 78, tab. CI („in aquis... provinciae St. Pauli 
et Minas Geraes“). 

Colymbus dominicus brachyrhynchus Chapman, Bull. Amer. Mus. XII, 1899 (1900), p. 255 
(Mattogrosso). 


Ein Stück mit der Bezeichnung: „Podiceps dominiceus Linne. Brasilien. Spix* in der 
Sammlung. Es entsprieht sehr gut der Figur auf tab. CI und ist zweifellos das Original; denn 
eine alte Etikette trägt in Spix’ Handschrift die Bemerkung: „Podiceps dominieus, tab. CI.“ 
Der Vogel ist gerade im Übergang vom Winter- zum Hochzeitskleid, das Kinn ist noch weiß, 
aber die Kehlfedern sind bereits schwärzlich an der Basis. 


Rynchops nigra cinerascens Spix 


[Rynchops nigra Linnaeus, Syst. nat. X (1758), p. 138 (ex Catesby — Carolina).] 
Rhynchops cinerascens Spix, Av. Bras. II (1825), p. 80, tab. CII (juv.) („in loeis ripariis flum. 
Amazonum“). 
Rhynchops brevirostris Spix, 1. e. p. 81, tab. CIII (pull.) 
Rhynchops melanura Saunders, Cat. Birds Brit. Mus. XXV (1896), p. 156. 
92 * 


716 


Die Sammlung besitzt nur mehr das Original zu R. brevirostris unter der Bezeichnung: 
„Rhynchops nigra L., brevirostris Sp. Brasilien. Spix“, das in jeder Hinsicht der Beschreibung 
und Abbildung entspricht. Es ist ein ganz junger Vogel mit breiten und zahlreichen, rahm- 
gelben Federsäumen auf Oberkopf, Rücken und Flügeln. Ohne Zweifel gehen beide Spix’sche 
Namen auf die südamerikanische Form mit schmalen, weißlichen Säumen auf den Armschwingen, 
welche allein im Amazonasgebiete vorkommt. Obwohl die Kennzeichen, welche Spix zur Unter- 
scheidung gegenüber R. nigra heranzieht, nur die des jungen Vogels sind, liegt kein Grund vor, 
seinen Namen zu verwerfen, wie bereits Berlepsch und Hartert (Nov. Zool. IX, 1902, p. 132) 
ausgeführt haben. Überdies ist R. melanura Sws. von keiner Beschreibung begleitet und ohne 
Fundort publiziert. 


Phaetusa magnirostris (Licht.) 


Sterna magmirostris Lichtenstein, Verz. Dubl. (1823), p. 81 („Brasil“). 
Sterna magnirostris Spix, Av. Bras. II (1825), p. 81, tab. CIV („in lacubus fl. St. Franeisei“). 


Ein alter Vogel mit der Bezeichnung: „Phaetusa magnirostris Licht. Brasilien. Spix.* Er 
veranlaßt mich zu keinerlei Bemerkungen. 


Von Tachipetes aquila apud Spix, 1. ce. p. 82, tab. CV — Fregata aquila (Linon.) und 
Carbo brasilianus, ]. e. p. 83, tab. CVI = Carbo vigua (Vieill.) 


befinden sich keine Spix’schen Exemplare in der Münchener Staatssammlung. 


Sula brasiliensis Spix — Sula leucogastra (Bodd.) 


Pelecanus leucogaster Boddaert, Tabl. Pl. enl. (1783), p. 57 (ex Daubenton, tab. 973 — Cayenne). 

Pelecanus parvus Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 579 (basiert auf derselben Tafel). 

Sula brasiliensis Spix, Av. Bras. II (1825), p. 83, tab. CVII („in insulis maritimis urbis Rio 
de Janeiro“). 


Wir besitzen zwei Vögel mit der Aufschrift: „Sula fusca Vieill. — brasiliensis Sp. Brasilien. 
Spix.“ no. 1 ist ein nicht ganz alter Vogel und stimmt besser mit der Beschreibung und Ab- 
bildung bei Spix überein; die ganze Oberseite, Kehle und Vorderhals sind mattbraun, der übrige 
Unterkörper trübgraulich mit weißlichen Federn vermischt. no. 2 ist noch jünger und überall 
heller gefärbt, der Unterkörper erscheint noch hell graubraun. 

Die Kennzeichnung von Pelecanus sula Linn. (Syst. nat. XII. 1 (1766), p. 218) kann 
unmöglich auf vorstehende Art bezogen werden: „corpore albido, remigibus primoribus apice 
nigriecantibus“ paßt absolut nicht auf den brasilianischen Vogel. Cayenne-Stücke konnte ich 
nicht vergleichen. 


Alopochen jubata (Spix) 


Anser jubatus Spix, Av. Bras. II (1825), p. 84, tab. CVIII (‚ad ripam fl. Solimoens in insula 
„Praya das Oncas“*“). 


Das Münchener Museum besitzt noch zwei Exemplare mit der Bezeichnung: „Chenalopex 
jubatus Sp. Brasilien. Spix.“ Sie stimmen sehr gut mit der Originalbeschreibung überein. Von 
. A. aegyptiaca (L.), mit der die südamerikanische Art in der Struktur und Form große Über- 
einstimmung zeigt, ist sie in der Färbung sehr auffallend verschieden. Zunächst fehlt ihr völlig 
die zimtrote Färbung, welche beim afrikanischen Vogel einen breiten Ring ums Auge, den 
vorderen Stirnrand und ein Band rings um die Schnabelwurzel bedeckt; die Flügeldecken sind 
schwarz mit leuchtendem, stahlgrünen Glanze (statt weiß); der Hinterhals ist wie der ganze 
Oberkopf, die Halsseiten, Kehle und Brust trübweiß; die Schwingen tragen einen großen, weißen 
' Spiegel, der bei A. aegyptiaca gänzlich fehlt; Brustseiten und Bauch sind hell zimtrostrot (statt 
trübweiß mit feinen, dunklen Querwellen), die Analgegend ist schwarzbraun (statt weiß). Ferner 
ist der amerikanische Vogel kleiner und hat besonders auch viel kleineren, schwächeren Schnabel. 

no. 1. a. 298, c. 130, culm. 38 mm. 

no. 2. a. 315, c. 140, culm. 40 mm. 


DT 


Anas paturi Spix — Nettion brasiliense (Gm.) 


Anas brasiliensis Gmelin, Syst. nat. 1. II (1788), p. 517 [erstes Zitat: Brisson — ex Maregrave, 
Hist. nat. Bras., p. 214: „Mareca alia species“ — Nordost-Brazil]. 
Anas paturi Spix, Av. Bras. II (1825), p. 85, tab. CIX (= ö) [„prope flumen St. Francisci“]. 


no. 1. ö, etik.: „Querquedula Ipecuturi Vieill., Anas paturi Spix, 6. Brasilien. Spix.“ 

no. 2. ©, etik. mit denselben Namen und der irrtümlichen Geschlechtsangabe „ö“. 

no. 1. stimmt in jeder Hinsicht mit der Spix’schen Originalbeschreibung überein. Stirn, 
Zügel, Wangen und Vorderkehle sind hell zimtbräunlich, der Scheitel mattschwarz; längs der 
Mitte des Hinterkopfes und Oberhalses läuft ein glänzend schwarzer Streifen; die Federn der 
Unterseite zeigen undeutliche, dunkle Subterminalbinden. Ein von Natterer im südlichen Brasilien 
gesammeltes ö unterscheidet sich von no. 1 bloß durch gesättigtere Färbung auf Ober- und 
Unterseite und scheint höher ausgefärbt zu sein. Bei beiden sind die langen Achselfedern und 
die Spitzen der äußeren Armschwingen schneeweiß, wodurch sich N. brasiliense sofort von 
N. torguatum (Vieill.) unterscheidet. 

no. 2 ist augenscheinlich ein O und zeigt die für dieses Geschlecht charakteristischen weiß- 
liehen Flecken vorn am Öberrande des Auges und seitlich an der Basis des Oberschnabels. 
Zügel, Wangen, Stirn und Scheitel sind matt dunkelbraun, der glänzend schwarze Längsstreifen 
in der Mitte des Oberhalses fehlt gänzlich. Das O ist in Spix’ Werk nicht erwähnt. 


718 


Addenda und Corrigenda. 


Zeile 21 lies: Expedition statt: Expediton, 


p- 563 
p. 564 Zeile 15 lies: Mitteilungen von Spix statt: Mitteilungen Spix, 
p. 571. Zeile 31 lies: Syst. Nat. 1.1 (1788) statt: 1758! 


p. 574: Otus clamator (Vieill.) 


Vögel aus Südost-Brasilien scheinen durchweg größer zu sein als jene aus dem nördlichen 
Südamerika und müssen wohl subspezifisch getrennt werden. Über ihren wissenschaftlichen 
Namen bin ich mir indessen nicht ganz klar, da mir Paraguay-Stücke (Strix maculata Vieill.) 
und solehe aus Montevideo (Otus midas ‚Schl.) unbekannt sind. 

Die mir vorliegenden Exemplare weisen folgende Dimensionen auf: 


„ö“ ad. Surinam (Mus. Tring).. -  EE a2A0 er 1 la 
„ö“ ad. Volcan de Chiriqui (Mus. Tring) Ir a. 230, c.126 „ 
ad. Bahia. Typus von 8. longirostris Spix (Mus. Monac,) a. 265, 6. 158 .„ 
„ö“ ad. San Sebastiäo, San Paulo (Mus. Tring) . . 2.260, 0.4140 „ 
nl Santa Catharina (Mus. H. v. Berlepsch) . . a. 289, c. 160 , 
Schlegel (l. ec.) gibt für den Typus von O. midas ex Montevideo (Mus. Berlin) an: a. 290 


c. 140 mm (umgerechnet aus Zollmaß). 


p. 629: Pseudoseisura ceristata (Spix) 


Zeile 24—26 enthalten mehrere den Sinn völlig entstellende Druckfehler. Sie sollen 
lauten: Der Schnabel der letzteren ist aber durchgängig schwächer und kürzer, obwohl Spix’ 
angebliches 9 (no. 8) dem ö aus Villa Maria (no. 3) in dieser Hinsicht äußerst nahe kommt. 


p- 627: Phoethornis pygmaeus (Spix) muß P. ruber (Linn.) heißen! 


Ich hatte Trochilus ruber Linnaeus (ex Edwards: Surinam), dem Vorgange von Berlepsch 
und Hartert (Nov. Zool. IX, 1902, p. 82) folgend, auf P. episcopus Gould ex Britisch-Guiana 
bezogen. Seither erhielt das Tring-Museum eine Serie von Bälgen aus Surinam. Diese erwiesen 
sich als zu der brasilianischen Form gehörig, welche somit P. ruber (Linn.) genannt werden 
muß. P. episcopus Gould, der übrigens bloß subspezifisch zu trennen ist, beschränkt sich in 
seiner Verbreitung auf Britisch-Guiana und den Orinoko-Distrikt. Stücke vom Caura (P. caurensis 
Sim. und Dalm.) sind durchaus nicht verschieden von solchen aus Demerara, woher Goulds 
“ Typus stammt. 

p- 657: Pygiptila stellaris (Spix) 

Seit ich den Absatz über diese Art niederschrieb, erhielt das Tring-Museum ein in der 
Umgebung von Parä gesammeltes Paar, wodurch Spix’ Fundortsangabe nicht nur völlig bestätigt, 
sondern auch der etwa noch bestehende Zweifel über die Identifizierung seines T. stellaris 
beseitigt erscheint. 


p- 680: Spinus jetericus campestris (Spix) 
Die zahlreichen Exemplare von 8. i. ictericus und die Suite von S$.;. alleni Ridgw., die 


ich in letzter Zeit zu untersuchen Gelegenheit hatte, ließen mich wieder darüber zweifelhaft 
werden, auf welche der beiden Formen der Spix’sche Name zu beziehen sei. Sie stehen einander 


719 


übrigens außerordentlich nahe, und $. i. alleni unterscheidet sich nur durch etwas geringere Größe 
und helleres, reineres Gelb der Unterseite. Vögel aus Bahia (Wucherer), Goiaz (Castelnau) und 
Chiquitos, Ost-Bolivia (D’Orbigny) stimmen völlig mit einem topotypischen ö ad. aus Chapada 
überein. Dagegen gehört ein ö ad. aus Minas Geraös, ohne genaue Lokalitätsangabe (Mus. 
Tring), unzweifelhaft zum typischen $. i. icterieus. Es stammt vielleicht aus dem Waldgebiete im 
südlichen Teile des Staates, wo häufig die südbrasilianische Form vorkommt, während im Campos- 
gebiete des Westens die Form des zentralen Hochplateaus ihre Stelle vertritt. Alte 55 aus 
den Campos von Diamantina sind abzuwarten, ehe wir über die Bedeutung des Spix’schen 
Namens mit Sicherheit urteilen können. 

Maße von 8. i. ictericus (66 ex: Rio, San Paulo, Paranä, Paraguay, Mondevideo, Uruguay): 
a. 69— 73, ec. 43—47 mm. 

Maße von S. i. alleni Ridgw.: 


1 ö ad. Estiva bei Chapada, Mattogrosso . . a. 68, ec. 44!/, mm 
1 ö jr. Chapada, Mattogroso . Ra Eee, 
2 ö6 ad. Bahia (Wucherer), Mus. Brit. ...0a.'66, 67, e. 41, 421, mm 


ö ad. Goiaz (Castelnau coll.), Mus. Paris . 
ö ad. Chiquitos, Bolivia (D’Orbigny). Mus. Paris 


a. 63, e. 40!/, mm 
a. 63, ce. 40 mm. 
p- 699: Tinamus serratus (Spix) 


Seit der Absatz über diese Art gedruckt wurde, hatte ich Gelegenheit, die Serie von 
T. ruficeps im Brit. Museum zu untersuchen. Was ich 1. ec. über die nahen Beziehungen der 
beiden Formen sagte, wird durch dieses Material in ganzem Umfange bestätigt. 

Die Vögel von Sarayacu und vom Rio Napo (Ost-Eeuador), Remedios (Antioquia, Colombia) 
und Iquitos (Nordost-Peru) unterscheiden sich von einem O ad. vom Rio Negro, coll. Natterer 
(T. major 9 apud Salvadori) nur durch tiefer rostroten Oberkopf und Fehlen der weißen Bauch- 
mitte, die dunkel gewellt ist gleich der übrigen Unterseite. Die Unterschiede in der Färbung 
des Rückens und der Armschwingen, die ich (p. 701) erwähnte, sind hingegen durchaus nicht 
konstant. 

Eine Serie von Bälgen aus Pozuzo, Provinz Huänuco, Peru (Tring Museum) weicht von 
T. ruficeps aus Ost-Eeuador und Iquitos durch entschieden heller und reiner olivbraune Oberseite 
und durch hell olivbräunliche (statt olivgraue) Färbung von Vorderhals und Vorderbrust ab. 
Sie scheinen eine besondere Form auszumachen, und es bleibt der Untersuchung des Typus im 
Brüsseler Museum vorbehalten, festzustellen, ob der Name T. perwvianus Bonap. auf die Vögel 
aus Pozuzo oder Iquitos anzuwenden ist. Unterdessen behalte ich die sichere, wenn auch spätere 
Bezeichnung T. ruficeps für die dunkelköpfige Form von Ecuador und Nord-Peru bei. 

Nomenklatur und Verbreitung der in vorstehendem behandelten beiden Formen ist mithin 
wie folgt: 

a) Tinamus serratus serratus (Spix) 


Tinamus major (nee Gmelin!) Salvadori, Cat. Birds Brit. Mus. XXVII, p. 502 (part.: 0). 
West-Brazil: Tal des Rio Negro von Marabitanas bis an seine Mündung in den Amazonen- 
strom, und den Rio Madeira entlang bis nach Mattogrosso. 
b) Tinamus serratus ruficeps Sel. und Salv. 


Tinamus ruficeps Selater und Salvin, Nomenel. Av. Neotrop., 1873, p. 162 [part.: „Aequatoria 
oceid. (Boureier)‘ — errore! Der im Brit. Museum befindliche Typus (ex Boureier) 
stammt vom Rio Napo, Ost-Eeuador. Er ist im Cat. Birds Brit. Mus. als spec. a mit 
der Angabe: „Rio Napo (Verreaux)“ aufgeführt]. 

Ost-Ecuador: Sarayacu, Rio Napo; Colombia: Remedios im Cauca-Tal; Nordost- Peru: Iquitos. 


p. 701: Pezus zabel& Spix = Crypturus noctivagus (Wied) 


Der ganze Absatz ist durch die hier folgende ausführlichere Darstellung zu ersetzen: 


I] 
DD 
oO 


Pezus zabel& Spix — Crypturus noctivagus (Wied) 


Tinamus noctivagus Wied, Reise Bras. I (1820), p. 160 [Muribecca am Rio Itabapuana, Grenzfluß 
zwischen Rio und Espiritu Santo, Südost-Brazil]. 

Pezus zabelE Spix, Av. Bras. II (1825), p. 62, tab. LXXVII („in limite sylvarum campestrium_ 
(Catingha), ab incolis ZabelE nominatus“]. 


Ein Exemplar mit der Bezeichnung: „Tinamus noctivagus N. W. — Zabele Sp. Brasilien. 
Spix.* — A. 190, ec. 66, r. 32 mm. 

Es steht in der Färbung gerade in der Mitte zwischen Exemplaren aus San Paulo und 
Bahia. Bei denen aus San Paulo ist der Vorderhals einfarbig schiefergrau, die Kehle und Kopf- 
seiten sind lebhaft roströtlichh, Brust und Bauch noch intensiver ockerrostrot, letzterer überall 
mit breiten, schwarzen Querbinden; Hinterrücken und ÖOberschwanzdecken sind sehr dunkel 
kastanienrot und schwarz gebändert, die Flügeldecken und Außenfahne der Schwingen zeigen 
nur schmale, blaß ockerröstliehe Querwellen und unregelmäßige Fleckchen. 

Zwei Vögel aus Bahia unterscheiden sich sehr auffallend durch rahmweiße Kehle und 
Kopfseiten, einen ebenso gefärbten, breiten Supereiliarstreif, der den Stücken aus San Paulo 
völlig fehlt; ferner durch matt roströtlich und schwärzlich gebänderten Vorderhals, viel hellere, 
rahmgelbe, einfarbige Brust und Bauchmitte, breite, rahmgelblichweiße Querbinden auf den 
Flügeldecken und Schwingen, und breite, rahmgelbe Binden auf den Oberschwanzdecken. 

Der Spix’sche Typus hat einen breiten, rahmweißen Supereiliarstreif und auch die Kopf- 
seiten und Kehle gefärbt wie die Bahia-Vögel. Die Binden auf den Flügeln sind gleichfalls so 
breit, aber wohl ein wenig dunkler röstlichgelb, Hinterrücken und Oberschwanzdecken dagegen 
fast so dunkel kastanienrot wie bei denen aus San Paulo. Der Vorderhals ist trübgrau mit 
leichtem rötlichen Anflug, die Brust tief ockerrostrot (wie bei der San Paulo-Form), der Bauch 
einfarbig ohne dunkle Querbinden, also wie bei den Bahia-Stücken, aber entschieden lebhafter, 
mehr rostgelb als bei letzteren. 

Inwieweit die vorstehend ausgeführten Differenzen von Lokalität abhängig sind, vermag ich 
bei dem geringen untersuchten Material nicht zu entscheiden. Mir liegen von Bahia und San 
Paulo nur je zwei Exemplare vor, und nur bei zweien davon ist das Geschlecht festgestellt. 
Da einer der San Paulo-Vögel mit schiefergrauem Vorderhals als „ö“ und eines der unterseits 
viel heller gefärbten Bahia-Stücke als „O“ bezeichnet ist, wären die beiden Färbungsphasen 
vielleicht auf Geschlechtsverschiedenheiten zurückzuführen. Dies ist um so wahrscheinlicher, als 
der Spix’sche Vogel gerade in der Mitte steht. 

Eine große Serie mit zuverlässigen Geschlechtsangaben ist erforderlich, um die Frage zu 
entscheiden, ob es sich um geographische Formen oder bloß um Kleider einer Art handelt. 

Spix gibt für seinen Pezus zabelE keinen Fundort an. Wied sagt (Beitr. Naturg. Bras. IV 
(1832), p. 508), daß der Vogel in den Gegenden bei Rio und am Espiritu Santo von den Ein- 
geborenen „Juö*, weiter nördlich am Belmonte, Ilheos ete. dagegen „Sabele“ genannt werde. 
Daher liegt die Vermutung nahe, daß Spix’ Original auch aus dem Staate Bahia stammt. 


p- 702: Crypturus adspersus adspersus (Temm.) 


Seit vorstehende Ausführungen niedergeschrieben wurden, untersuchte ich in Brit. Museum 
. die Typen von, C. simplex Salvad. und fand die von mir vermutete Identität mit ©. a. adspersus 
völlig bestätigt. e 


Cathartes papa 
*Cathartes aura 

Cathartes ruficollis Sp. 
Polyborus vulgaris Sp. 
Aquila urubitinga 
Aquila pieta Sp. . 
Aquila milvoides Sp. 
Aquila buson Sp. : 
*Cymindes leucopygus Sp. 
*Harpyia braccata Sp. 
*Harpyia ornata 

Astur cachinnans 

Astur brachypterus . 
*Gymnops fasciatus . 
Gymnops strigilatus 
Gymnops aterrimus 
Gymnops aquilinus . 


Milvago ochrocephalus Sp: 


Falco plumbeus 

Falco cayennensis . 
Bidens rufiventer Sp. 
*Bidens albiventer Sp. 
Bidens cinerascens Sp. 
Bidens sparverius 

Bidens dominicensis 
Bidens aurantius 

Falco inveetivorus Sp. 
Falco magnirostris . 
Falco femoralis 

Falco xanthothorax 
Falco nitidus 

Strix longirostris Sp. 
Strix grallaria 

Strix crucigera Sp. . 
Strix undulata Sp. . 5 
Strix albomarginata Sp. . 


Anodorhynchus maximiliani 


Arara hyacinthinus 


Arara purpureo-dorsalis Sp. 


Arara Be senainas, SP- » 
Arara Macao 

Arara Aracanga 

Arara ararauna 

Arara severa 

Arara makawuana 


Aratinga carolinae augustae Sp. 


[2) 
Kr 
2] 


Index. 
‚Av. Bras. I 

pag. 

1 = Gypagus papa (Linn.) 

2 = _ (atharista atratus brasiliensis ( (Bp.) 

2 = ? Cathartes aura (Linn.). , 

3 = Polyborus tharus (Molina) 

4 = Urubitinga urubitinga (Gm.) . 

5 =  Trubitinga urubitinga (Gm.) . 

5 = _ Busarellus niericollis (Lath.) . 

6 = _ Heterospizias meridionalis (Lath.) . 

7 = _Rosthramus sociabilis (Vieill.) 

7 = _ Spizaetus tyrannus (Wied) 

8 = _ Spizaetus ornatus (Daud.) 

8 — Herpetotheres cachinnans (Linn.) 

9 = _ Micrastur semitorquatus (Vieill.) 

10 = Ibyceter ater (Vieill.) i 

10 = Milvago chimachima (Vieill.) . 

11 = Ibyceter ater (Vieill.) 

il =  Ibyeter americanus (Bodd.) 

12 = Milvago chimachima (Vieill.) . 

12 = _lIcetinia plumbea (Gm.) 

13 = Leptodon cayennensis (Gm. 

14 = _Harpagus bidentatus (Lath. 

14 = Harpagus bidentatus (Lath.) 

5 = Harpagus diodon (Temm.) 

ae Tinnunculus sparverius australis (Ridgw.) 
17° = _ Hpypotriorchis rufigularis (Daud.) 

17° = Rupornis m. magnirostris (Gm.) , 
18 = _ Rupornis m. nattereri (Sel. und Salv.) . 
18 = _ Hppotriorchis fusco-caerulescens (Vieill.) 
19 = Micrastur ruficollis (Vieill.) 5 
19 = Asturina nitida (Lath.) 
20 = 0Otus elamator (Vieill.) 
21 = Speotyto cunicularia grallaria (Temmy 
22 — Pisorhina choliba crucigera (Spix) . 
23 =  Pisorhina choliba decussata (Lcht.) 
23 = (iccaba huhula (Daud.) . 
47 = Anodorhynchus hyaeinthinus (Tath.) 
235 = (Cyanopsitta spixi (Wagl.) 
26 = Ara maracana (Vieill.) 
26 = Ara nobilis (Linn.) . 
277” = Ara chloroptera G. R. Gray 
27 = Ara macao (Linn.) 
2383 = Ara ararauna (Linn.) 
28 — Ara severa (Linn.) . 
28 = Ara manilata (Bodd.) 
29 = (Conurus guarouba (Gm.). 


Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 


Aratinga haemorrhous Sp. . 
Aratinga chrysocephalus Sp. . 
Aratinga luteus s. Guarouba . 
Aratinga xanthopterus Sp. 
Aratinga acutirostris Sp. 


*Aratinga aurifrons Sp. 


Aratinga eyanogularis Sp. 
Aratinga flaviventer Sp.. 
Aratinga caixana Sp. 
Aratinga ninus Sp. 
Aratinga perlata Sp. 
Aratinga fasciatus Sp. 
Aratinga melanurus Sp. . 
Aratinga nobilis sive guianensis 
Aratinga aureus 

Aratinga virescens . 
Psittaculus passerinus 


Psittaculus xanthopterygius Sp. 


*Psittaculus gregarius Sp. 
Psittaculus tui : 
Psittacus xanthops Sp. 

*Psittacus columbinus Sp. 
Psittacus malachitaceus Sp. 

*Psittacus pumilo Sp. 
Psittacus maitaca Sp. 
Psittacus flavirostris Sp. . 
Psittacus senilis Sp. 

“Psittacus diadema Sp. 

*Psittacus pulverulentus Sp. 
Psittacus aceipitrinus . 
Psittacus festivus 
Psittacus aestivus 
Psittacus amazonicus 
Trogon pavoninus Sp. 
Trogon aurantius Sp. 
Trogon castaneus Sp. 


Trogon sulphureus Sp. 


Trogon variegatus Sp, 

Trogon eurucui vel strigilatus 
Trogon violaceus 

Cyphos macrodactylus SP- 
Bucco rubecula Sp. 

Bucco rufus Sp. 

*Bucco striatus Sp. 

Bueco nigrifrons Sp. 

Bucco albifrons Sp: 

Macropus phasianellus Sp. 


Macropus caixana Sp. 


Galbula albogularis Sp. 
Galbula tombacea SP. 
Galbula tridactyla . 
Picus robustus 

Picus albirostris 
Picus campestris 
Picus jumana Sp. 
Picus lineatus . 
Picus flavescens 
Picus dominicanus . 
Picus ochraceus Sp. 
Piceus flavicans 

Picus flavifrons 


Spix, Av. Bras. I. 


+0 


N 


Immun 


Conurus haemorrhous (Spix) 

Conurus jandaya (Gm.) 

Conurus solstitialis (Linn.) 

Brotogeris chiriri (Vieill.) 

Brotogeris tirica (Gm.) . . : 
Conurus a. auricapillus (Kuhl) 5 \ 
Conurus a. aurifrons (Spix) 

Pyrrhura eruentata (Wied) 


Conurus cactorum (Kuhl) 


Pyrrhura leucotis (Kuhl) 

Pyrrhura perlata (Spix) . 

Pyrrhura v. vittata (Shaw) 

Pyrrhura melanura (Spix) 

Conurus leucophthalmus (Müll.) 
Conurus aureus (Gm.) . 5 
Brotogeris versicolurus (Müll.) 
Psittacula passerina vivida Ridgw. 
Brotogeris chiriri (Vieill.) 

Psittacula passerina vivida Ba 

quid ? 5 

Brotogeris st. thomae (Mall). 

Amazona xanthops (Spix) 

Amazona vinacea (Kuhl) 

Triclaria eyanogaster (Vieill.) { 
Graydidascalus brachyurus (Kuhl) . 
Pionopsitta pileata (Scop.) 

Pionus maximiliani (Kuhl) 

Pionus senilis (Spix) 

Amazona diadema (Spix) 

Amazona farinosa (Bodd.) k 
Deroptyus accipitrinus fuseifrons Hellm. 
Amazona festiva (Linn.) . 

Amazona aestiva (Linn.). 

Amazona amazonica (Linn.) 
Pharomachrus pavoninus (Spix) 

Trogon aurantius Spix 

Trogon eurucui Linn. . 5 - - 
Trogon a. atricollis Vieill. . : \ 
Trogon violaceus (Gm.) a 
Trogon variegatus Spix . 
Trogon melanurus Sw. 

Trogon viridis Linn. 

Bucco macrodaetylus (Spix) 
Nonnula rubecula (Spix) 
Malacoptila rufa (Spix) 
Malacoptila torquata (Hahn) . 
Monasa nigrifrons (Spix) 
Monasa morphoeus (Hahn) 
Dromococcyx phasianellus (Spix) 
Piaya rutila (I1l.) 5 
Piaya melanosastra (Vieill.) 
Brachygalba albogularis (Spix) 
Galbula tombacea Spix . 
Jacamaraleyon tridactyla (Vieill) . 
Campephilus robustus (Lcht.) . 
Campephilus melanoleucos (Gm.) 
Colaptes campestris (Vieill.) 
Celeus jumana (Spix) 
Ceophloeus lineatus (Linn.) 
Celeus flavescens (Gm.) . 
Leuconerpes candidus (Otto) 
Celeus ochraceus (Spix) . 
Crocomorphus flavus (Müll.) 
Melanerpes flavifrons (Vieill.) . 


En _V_ Per wer 


Picus macrocephalus Sp. 


Picus guttatus Sp. . 
Picus rubrifrons Sp. 


Piceus ieterocephalus 


Picus maculifrons Sp. 


Picus ruficeps Sp. 
Prionites martii Sp. : 
Cassicus bifaseiatus Sp. . 
Cassieus angustifrons Sp. 
Cassicus nigerrimus Sp. . 
Ieterus minor Sp. 

Icterus sulcirostris Sp. 
Ieterus tanagrinus Sp. - 
Icterus fringillarius Sp. - 
Ieterus chrysocephalus 
Ieterus eitrinus Sp. . 
Turdus flavipes 

Turdus rufiventer 


Turdus albiventer Sp. 
T. albicollis 
T. orpheus 


Myothera ruficeps Sp. 
Myothera leuconota Sp. . 
Myothera coraya 
Philydor superciliaris 
Philydor albogularis Sp. 
Philydor ruficollis Sp. 
Anthus chi . 

*Alauda (Anthus) breviunguis Sp: 
Figulus albogularis Sp. 
Campylorhynchus scolopaceus 
Campylorhynchus striolatus Sp. 

*Trochylus pygmaeus Sp. i 

*Trochilus brevicauda Sp. 

*Grypus ruficollis Sp. 

*Colibri erispus Sp. . 

*C. hirundinaceus Sp. 

*C, leucopygus Sp. 

*C. albogularis Sp. 

C. helios Sp. 
C. mystax Sp. 
Sphenura sub Sp 


Anabates (Sphenura) tlatuehe = 


Anabates eristatus Sp. 
Anabates rufifrons 
Synallaxis ruficauda 


Parulus ruficeps 


Dendrocolaptes decumanus 
Dendrocolaptes faleirostris Sp. 
Dendrocolaptes platyrostris Sp. 
Dendrocolaptes bivittatus 
Dendrocolaptes wagleri Sp. . 
Dendrocolaptes ocellatus Sp. . 
*Dendrocolaptes tenuirostris 
Dendrocolaptes euneatus . 
Dendrocolaptes cayennensis 
Dendrocolaptes guttatus 
Dendrocolaptes turdinus . 
Dendrocolaptes picus . 


Spix, Av. Bras. I 


es 


x 
+40 Or 


NUN 


I 


ala a a el a a a a 


Chloronerpes chrysochloros 
(Sws.) 


723 


braziliensis 


Chrysoptilus punetigula guttatus (Spix) 


Melanerpes rubrifrons (Spix) . 
Chloronerpes erythropis (Vieill.) eR 
C. flavigula (Bodd.) © 

Veniliornis maculifrons (Spix) "6 
V. selysii (Malh.) Ö juv. 

V. ruficeps ruficeps (Spix) 
Urospatha martii (Spix) } 
Gymnostinops bifasciatus (Spix) 
Ostinops angustifrons (Spix) . 
Amblycercus nigerrimus (Spix) 


Molothrus. bonariensis sericeus (Lcht.) 


Aaptus suleirostris (Spix) 
Lampropsar tanagrinus (Spix) 
Molothrus fringillarius (Spix) . 
Xanthornus chrysocephalus (Linn.) 
Gymnomystax mexicanus (Linn.) 
Turdus flavipes Vieill. 

Turdus rufiventris Vieill. 

Turdus albiventer Spix . 5 
Turdus amaurochalinus Cab. . 
Turdus albicollis Vieill. 


Mimus saturninus arenaceus Chapm. 


Mimus lividus (Leht.) 
Formicarius ruficeps (Spix) 


Pyrielena leuconota leuconota (Spix) 


Thryothorus genibarbis Sw. 
Philydor atricapillus (Wied) 


Automolus leucophthalmus (Wied). 


Philydor rufus (Vieill.) 
Anthus lutescens Puch 
Dendroica striata (Forst.) 
Furnarius rufus badius (Lcht.) 
Heleodytes turdinus (Wied) 


Thryophilus 1. longirostris (Vieill.) 


Phoethornis ruber "(Linn)) i 
Calliphlox amethystina (Gm.) 
Ramphodon naevius (Dum.) 
Colibri serrirostris (Vieill.) 
Popelairea langsdorffi (Temm.) 
Melanotrochilus fuseus (Vieill.) 
Leucochloris albieollis (Vieill.) 


\ 
j 


DV GP 2 


627, 


Lophornis magnifieus (Audeb. und Vieill. ) 


Lophornis chalybeus (Temm.) 
Automolus subulatus (Spix) 
Thripophaga macroura (Wied) 
Pseudoseisura eristata (Spix) . 
Phacellodomus rufifrons (Wied) 
S. einnamomea russeola (Vieill.) 
Synallaxis spixi Sel. 

S. frontalis Pelz. . ; 
Xiphocolaptes albicollis (V jeill.) 
Xiphoeolaptes faleirostris (Spix) 
Dendrocolaptes picumnus Lcht. 


Pieolaptes bivittatus bahiae Hellm. 


Picolaptes wagleri (Spix) 
Dendrornis ocellata (Spix) 
Dendrornis spixi (Less.) . 
Glyphorhynchus euneatus (Leht.) 
? Dendrocolaptes certhia (Bodd.) 
Dendrornis guttata (Leht.) 


629, 


Dendrocinela turdina enlincia Oberholser 


Dendroplex picus (Gm.) . 


Pag. 


605 
606 
608 
608 
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617 


618 


618 
619 


625 


Caprimulgus longieaudatus Sp. 
Caprimulgus rupestris Sp. 
Caprimulgus hirundinaceus Sp. 
*Caprimulgus leucopygus Sp. 


Casmarhynchus ecarunculatus Sp. » 


Ampelis carnifex 
*Pipra cornuta Sp. 

Pipra coronata Sp. . 
Pipra caudata . 

Pipra filiecauda 

Pipra herbacea Sp... 

Pipra elata . 

Todus melanocephalus Sp. 


Todus einereus 


Platyrhynchus Me us Sp. 
Platyrhynchus ruficauda Sp. 
*Platyrhynchus chrysoceps Sp. 


Platyrhynchus sulphurescens Sp. 


*Platyrhynchus hirundinaceus Sp. 
*Platyrhynchus ceinereus Sp. 
Platyrhynchus filicauda Sp. 
Platyrhynchus flaviventer Sp. 
*Platyrhynchus brevirostris Sp- 
Platyrhynchus paganus Sp. 
*Platyrhynchus murinus Sp. 
Muscicapa longicauda Sp. 

M. vetula ; i 


. furcata Sp. 

. sulphurea Sp. 

. ecinerascens Sp. . 
. velata 

. Joazeiro Spix 

. polyglotta . 


. similis Sp. . 


. thamnophiloides m 
. eineren 


. galeata Sp. 


. fulvicauda Sp. 

. nivea Sp. . 

. albiventer Sp. 

. dominicana Sp. . 
. rufina Sp. 

. mystacea Sp. 


non) li albiventer Sp. 


dl 


lineatus Sp. 
radiatus 


. guttatus 

. affınis Spix 

. strigilatus Spix . 
. stellaris Spix 

. ruficollis Sp. 

. albonotatus Sp. . 


. melanoceps Spix 
. leuconotus Sp. 


. griseus 


. striatus Spix 
. gularis Spix 


Spix, Av. Bras. II. 


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BEEEE EEE EEE EEE Eee 


Nyctibius longicaudatus (Spix) 
Chordeiles rupestris (Spix) 


Caprimulgus hirundinaceus Spix 


Nyctiprogne leucopyga (Spix) 


Casmarhinchos nudieollis (Vieill.) R 


Phoenieireus nigricollis Sw. 
Ceratopipra cornuta (Spix) 
Pipra coronata (Spix) . 
Chiroxiphia caudata (Shaw) 
Cirrhipipra filicauda (Spix) 
Pipra eoronata (Spix) Q. 
Tyrannulus elatus (Lath.) 
Todirostrum ceinereum (Linn.) 


Todirostrum maculatum (Desm.) 


2 Todirostrum cinereum (Linn.) 


Myiobius barbatus mastacalis (Wied) 


Ramphotrigon ruficauda (Spix) 
Myiobius fasceiatus (Müll.) 


Rhynchocyclus sulphurescens (Spix) 
Rhynchocyelus olivaceus (Temm.) 


Hirundinea bellicosa (Vieill.) . 
Myiochanes cinereus (Spix) 
Copurus colonus (Vieill.) 
Capsiempis flaveola (Lcht.) 
Phyllomyias brevirostris Yan 
Elaenea pagana (Lcht.) 
Phaeomyias murina (Spix) 
Gubernetes yetapa (Vieill.) 
Muscipipra vetula (Lcht.) 


Tyrannus melancholieus (Vieill.) 


Myiozetetes sulphureus (Spix) 
Lipangus simplex (Leht.) 
Taenioptera velata (Leht.) 
Machetornis rixosa (Vieill.) 
Taenioptera nengeta (Linn.) 


1. Myiozetetes cayanensis (Linn.) 


2. Myiozetetes similis (Spix) 
Attila thamnophiloides (Spix) 
Attila einerea (Gm.) ; 
Knipolegus comatus (Lcht.) 
Knipolegus nigerrimus (Vieill.) 
Basileuterus fulvicauda (Spix) 
Taenioptera irupero (Vieill.) 
Fluvicola albiventer (Spix) 


Arundinicola leucocephala (Linn.) 


Empidonomus varius (Vieill.) 


Fluvicola elimazura (Vieill. und Oud.).. 


Thamnophilus major Vieill. 

T. palliatus (Lceht.) . 

T. capistratus Less. 

T. guttatus Vieill. 

quid? 

Ancistrops strieilatus (Spix) 
Pysiptila stellaris aa 
quid? : 

T. albonotatus 'Spix 

T. ambiguus Sw. . 
Myrmelastes melanoceps (Spix) 
Pyriglena 1. leuconota (Spix) . 
Formiecivora grisea (Bodd.) 
Formicivora rufa (Wied) 

? Hypocnemis cantator (Bodd.) 
Myrmotherula gularis (Spix) 


u, 


a Mei 


*T. myotherinus Spix 


T. melanogaster Spix 
*Pachyrhynchus variegatus Spix 


P. cajanus 


P. semifaseiatus Spix 

P. cuvierii 

*P. niger Spix . 

*P. cinerascens Spix 

*P. rufescens Spix 5 
Tanagra nigrogularis Spix 
Tanagra saira Spix 
Tanagra viridis Spix 
Tanagra penicillata Spix 
Tanagra brunnea Spix 
Tanagra rufiventer Spix . 
*Tanagra aurifrons Spix 
Tanagra schrankii Spix . 
Tanagra auricapilla 
Tanagra ruficollis Spix 
Tanagra cristatella Spix 
*Tanagra graminea Spix . 
Tanagra capistrata . 
*Tanagra axillaris Spix 


Tanagra coelestis Spix 


Tanagra archiepiscopus . 
Tanagra rubricollis Spix 
Tanagra atricollis 
Tanagra superciliaris .Spix 
*Tanagra psittacina Spix 
Loxia nasuta Spix . ; 
Loxia leucopterygia Spix 
Loxia albogularis Spix 
*Loxia ignobilis Spix 
Loxia plebeja Spix . 
Loxia brevirostris Spix 
Fringilla brasiliensis 
Fringilla campestris Spix 
*Crax fasciolata Spix 
Crax urumutum Spix 
Crax tomentosa Spix 
Crax globulosa Spix 
Crax blumenbachüi Spix . 
Crax rubrirostris Spix 
Crax tuberosa ‚Spix 
Penelope jacqüacu Spix . 
* Penelope jacu-caca Spix . 
Penelope jacutinga Sp. 
Penelope jacupeba Sp. 


Penelope jacupemba Sp. 
Penelope guttata Sp. 
Penelope araucuan Sp. 


Columbina strepitans Sp. 
Columbina campestris Spix 
Columbina cabocolo Sp. . 
Columbina griseola Sp. . 
Perdix capueira Sp. 

Perdix rufina Sp. : 
Rhynchotus fasciatus Sp. 
*Pezus serratus Sp. 

Pezus zabele Sp. 


Spix, Av. Bras. 


II. 


Bea Tas a I a T TI Tai a 1 a | a BD 


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II 


I NN N 


Hypocnemis myotherina (Spix) 
Hypocnemis leucophrys (Tsch.) 


Myrmotherula a. axillaris (Vieill.) . 
? Pachyrhynchus Ban nat (Vieill. ) 


Tityra cayana (Linn.) 
Tityra braziliensis (Sw.) . 
Tityra semifasciata (Spix) 


Pachyrhynchus viridis euvierü (Sw. ) 


Pachyryhnchus niger Spix 
Hadrostomus ug (Vieill.) 
Pachyrhynchus rufus (Bodd.) . 
Ramphocelus nigrogularis (Spix) 
Piranga saira (Spix) 

Orthogonys ehlorieterus (Vieill.) 
Eucometis penicillata (Spix) 


Tachyphonus eristatus brunneus (Spix) . 


Tachyphonus rufiventer (Spix) 
Myospiza aurifrons (Spix) 
Calospiza schrankii (Spix) 


Triehotbraupis m. melanops (V jeill.) 


Brachyspiza ec. ecapensis (Müll.) 
Coryphospingus pileatus (Wied) 
? Calospiza schrankii (Spix) juv. 


Schistochlamys capistrata (Wied) 


Diucopis fasciata (Leht). 
Tanagra e. coelestis Spix 

T. e. episcopus Linn. 
Tanagra ornata Sparrm. 
Lamprotes loricatus (Lcht.) 
Saltator atricollis Vieill. 
Saltator ce. caerulescens Vieill. 
Pitylus fuliginosus (Daud.) 
Oryzoborus angolensis (Linn.) 
Sporophila americana (Gm.) 
Sporophila albogularis (Spix) 


Sporophila gutturalis (Lcht.) . 


Sporophila bouvreuil (Müll.) 
Sicalis flaveola (Linn.) 


Spinus ietericus campestris (Spix) . 


Species dubia . 

Nothocrax urumutum (Spix) 
Mitu tomentosa (Spix) 
Crax globulosa Spix 


Crax blumenbachü Spix . 


Mitu mitu (Linn.) 
Penelope jacquagu Spix . 
P. jacu-caca Spix . 
Pipile jacutinga (Spix) 
Penelope jacupeba Spix . 


f*P. s. supereiliaris Temm. 
\ P. s. jacupemba Spix 


Ortalis guttata (Spix) 
Ortalis araucuan (Spix) 
Ortalis spixi Hellm. 
Columbula pieui (Temm.) 
Uropelia campestris (Spix) 


Columbigallina talpacoti (Temm.) : 


1725 


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FE y 20rs 


680, 


Sm . 


— , 


Columbigallina passerina griseola (Spix) 


Odontophorus capueira (Spix) 
Odontophorus gujanensis (Gm.) 
Rhynchotus rufescens (Temm.) 
Tinamus serratus (Spix) . 
Crypturus noctivagus (Wied) . 


699, 
701, 


Pag. 
664 
664 
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6753 
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680 
680 
718 
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683 
683 
684 


688 
688 
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696 
697 
697 
697 
693 
698 
698 
719 
719 


Pezus yapura Sp. 
*Pezus niambu Sp. 


Tinamus boraquira Sp- 
Tinamus major Sp.. 
Tinamus medius Sp. 
Tinamus minor Sp. 
Psophia viridis Sp. 
Psophia leucoptera Sp- 
*Tantalus plumicollis Sp. 
Ibis nudifrons Sp. 

Ibis oxycercus Sp. 

Ibis leucopygus Sp. 
Ciconia jaburu Sp. 
Ardea maguari Sp. . 
Rallus ardeoides Sp. 
Gallinula caesia Sp. 
Gallinula ruficeps Sp- 
Gallinula mangle Sp. 
Gallinula saracura Sp. 
Gallinula gigas Sp. 
Tringa macroptera Sp. 
*Tringa brevirostris Sp. 


Charadrius erassirostris Sp. 


Podiceps carolinensis 
Podiceps dominicus ; 
*Rhynchops cinerascens Sp. 


Rhynchops brevirostris Sp. 


Sterna magnirostris 
Tachipetes aquila 
Carbo brasilianus 
Sula brasiliensis Spix 
Anser jubatus Sp. 
Anas paturi Sp. 


Spix, Av. Bras. II. 


pag. 
62 
Jö 
63 19 


I 


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I 


ua 


Crypturus adspersus yapura (Spix) 
Crypturus tataupa (Temm.) 

C. parvivrostris Wael. . 
Nothura boraquira (Spix) 


Nothura maculosa (Temm.) 


Nothura minor (Spix) 

Psophia viridis Spix 

Psophia leucoptera Spix 
Tantalus loculator Linn. 
Phimosus nudifrons (Spix) 
Cereibis oxycerea (Spix) 
Eudocimus ruber (Linn.) 
Ciconia maguarı (Gm.) 

Ardea cocoi Linn. . ; 
Aramus scolopaceus (Gm.) 
Limnopardalus nigricans (Vieill) 
Aramides cajanea "(Miill.) 
Aramides mangle (Spix) 
Aramides saracura (Spix) 
Aramides ypecaha (Vieill.) 
Helodromas solitarius (Wils.) . 
Ereunetes pusillus (Linn.) 
Ochthodromus w. wilsonia (Ord) 
Podilymbus podiceps (Linn.) 


P. dominieus brachyrhynchus (Chapın.) 


Rynchops nigra cinerascens (Spix) 


Phaetusa magnirostris (Lcht.) 
Fregata aquila (Linn.) 

Carbo vigua (Vieill.) k 
Sula leucogastra (Bodd.). R 
Alopochen jubata (Spix) . 
Nettion brasiliense (Gm.) 


DV ER | 


pag. 


02, 720 


705 
705 
706 


707 
709 


bh. d. II. Klasse d.k.b. Ak.d.W. XXII. Bd. III. Abtlg. Taf. ı 


Caprimulgus hirundinaceus Spix 


>h. d. II. Klasse d.k.b. Ak.d. W. XXII. Bd. III. Abtlg. Taf. 2 


BER. 


.— 


| Caprimulgus parvulus Gould 


Über Mineralbestand und Struktur 


der kristallinischen Schiefer. 


Von 


EB. Weinschenk. 


Abh.d. II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXIT. Bd. III. Abt. 94 


Durch zahlreiche Einzelarbeiten des letzten Jahrzehnts, vor allem aber 
durch die Verhandlungen des 9. internationalen Geologenkongresses 
in Wien ist einer der ältesten und am heißesten umkämpften Streitpunkte 
der petrographischen Geologie, die Frage nach der Entstehung 
der kristallinischen Schiefer, wiederum in den Vordergrund der wissen- 
schaftlichen Diskussion getreten. Wenn auch infolge der eingehenden petro- 
graphischen Detailstudien zweifellos ihre Grundzüge heute viel klarer zu 
übersehen sind, als dies noch 15 Jahre früher der Fall war, als der 4. inter- 
nationale Geologenkongreß zu London dieselbe Frage zur Erörte- 
rung gestellt hatte, so ist es doch ungemein lehrreich, die in den Sitzungs- 
berichten des Wiener Kongresses niedergelegten Anschauungen der verschiedenen 
Redner miteinander zu vergleichen, schon deshalb, weil dadurch die außer- 
ordentliche Vielseitigkeit deutlich hervortritt, welche dem Thema an sich zu- 
kommt. Von der rein stratigraphischen Behandlung der Frage ange- 
fangen, welche in einigen der Vorträge des 9. Geologenkongresses vorherrscht, 
und die in anderen wenigstens neben der petrographischen Betrachtungsweise 
bestehen bleibt, bis zu den rein theoretischen Abstraktionen, die in Beckes 
Darstellung hervortreten, findet man eine Reihe mehr oder minder vermittelnder 
Hypothesen. _ 

Trotzdem nun gerade diese Verhandlungen des 9. internationalen Geologen- 
kongresses zur Evidenz gezeigt haben, wie wenig im Augenblick noch die An- 
sichten über die kristallinischen Schiefer geklärt sind, so liegt es doch auf 
der Hand, daß jedes Lehrbuch der Gesteinskunde zu dieser Frage Stellung 
nehmen muß. Ja selbst ein, speziell die kristallinischen Schiefer behandelndes, 
kleines Lehrbuch !) ist in seinem ersten Teile auf dem vom Kongreß vorbe- 
‚reiteten Boden erschienen, in welchem Grubenmann unter Grundlage der- 
selben theoretischen Erörterungen, wie sie Becke in seinem Vortrag auf dem 
Kongresse gab, die rein praktische Frage zu lösen versucht. 


I) M. Grubenmann, Die kristallinischen Schiefer I, 1904. 
94* 


I 
os 
> 


Auch ich war gezwungen, in meinem Lehrbuch der Gesteinskunde!) 
meinen scharf umgrenzten Standpunkt dieser Frage gegenüber zu präzisieren, 
ohne daß ich ihn dort, mit Rücksicht auf den Lehrzweck und den Umfang 
des Buches, hinlänglich verteidigen konnte. Auch die Möglichkeit, diese Ver- 
teidigung dem Kongreß selbst vorzulegen, war mir genommen, da mich die 
Arbeiten an diesem Buche von der Teilnahme am Kongreß abhielten und 
anderenteils das Komitee Arbeiten von Nichtteilnehmern zum Abdruck nicht 
annahm. 

Es mag also hier versucht werden, die Ergebnisse mehr als fünfzehn- 
jähriger Reisen und Studien in den allerverschiedensten Gebieten, vor allem in 
den Zentralalpen, für die in Betracht kommende Frage eingehender darzulegen. 
Die zahlreichen und völlig übereinstimmenden geologischen Beobachtungen 
lassen dann vielleicht meinen Standunkt nicht mehr so ganz als „einseitige, 
durch nichts bewiesene Hypothese“ erscheinen, als welche er von der 
Kritik in bemerkenswertem Gegensatz zu den so empfehlenden Äußerungen 
über die rein theoretischen Ableitungen von Becke und Grubenmann ver- 
rufen wird. 

Daß ich in meinem oben angeführten Buche gerade den letzteren Deduk- 
tionen besonders scharf gegenübertreten mußte, findet seine Erklärung in dem 
absoluten Gegensatz, welcher zwischen diesen und meiner Anschauung 
vorhanden ist. Wenn aber Milch in einem sonst durchaus sachlichen Referat 
über mein Buch glaubt, eine beleidigende Tendenz für meine Gegner heraus- 
lesen zu sollen, so dürfte doch wohl der Wortlaut meiner Ausführungen exakt 
genug sein, um derartige Unterstellungen auszuschließen. Ich habe dort gesagt, 
daß es „eine Verschleierung der Tatsachen ist, wenn man versucht, durch ein 
großes Aufgebot von neuen Namen das früher an anderen Bildungen Erkannte 
zu etwas durchaus Neuem zu stempeln.“ Ich kann von diesem Satz auch 
heute kein Wort abschwächen, denn daß diese neuen Bezeichnungen nur neue 
Namen für Erscheinungen darstellen, welche seit langem bekannt und ein- 
gehend studiert sind, kann doch wohl niemand zweifelhaft sein. Eine solche 
‘auf rein theoretischen Erwägungen aufgebaute Doppelnomenklatur kann somit 
doch wohl nur den einen Zweck haben, die früher erkannte Tatsache dem 
Sinne der neuen Hypothese dienstbar zu machen; es liegt ihr eine bestimmte 
Absicht zu Grunde, die sonst in den „exakten“ Wissenschaften nicht hervor- 
. zutreten pflegt, und die auch keineswegs in irgend einer Weise zur Klärung 
der Fragen beiträgt. 


!) E. Weinschenk, Grundzüge der Gesteinskunde II. Spezielle Gesteinskunde, 1905. 


731 


Bevor wir aber in die Einzelheiten der Sache eingehen, scheint es zweck- 
mäßig, das Thema selbst zu betrachten, welches uns hier beschäftigen soll, 
und vor allem eine Definition dafür zu suchen, was man eigentlich heute als 
kristallinische Schiefer bezeichnet. Wenn man von der rein geologi- 
schen Umschreibung des Begriffes absieht, welche die kristallinischen Schiefer 
ohne weitere Überlegung als die ältesten Bildungen unseres Planeten auffaßt, 
bei welchen der äußerlich mehr oder minder kristallinische und mehr oder 
minder schiefrige Habitus genügt, um sofort ein mindestens präkambrisches 
Alter des betreffenden Gesteins festzustellen, so haben wir recht wenige, exakte 
Definitionen des in Frage stehenden Begriffes. 

Diejenige, welche heutzutage der petrographischen Behandlung im allge- 
meinen ohne weiteres zu Grunde gelegt wird, ist von Rosenbusch formuliert: 
„Die kristallinischen Schiefer sind unter wesentlicher Mitwir- 
kung geodynamischer Phänomene zu geologischer Umgestaltung 
gelangte Eruptivgesteine oder Sedimente.“ Diese Definition wird, 
wie es scheint, auch von Becke wie von Grubenmann akzeptiert, und 
dieselbe ist für die Anhänger des Dynamometamorphismus so recht 
eigentlich das Fundament geworden, mit welchem auch das ganze Lehrgebäude 
dieser Schule steht und fällt. 

Betrachten wir diesen Lehrsatz also etwas genauer, so tritt in erster Linie 
das wichtigste und nicht hoch genug zu schätzende Verdienst der Arbeiten 
von Rosenbusch hervor, welcher von den Grundgedanken Lossens, des 
Schöpfers des Dynamometamorphismus, ausgehend, zuerst in systematischer 
und überzeugender Weise dargelegt hat, daß dasjenige, was man mit dem 
Namen der kristallinischen Schiefer bezeichnet hat, ein aus den beiden anderen 
Gesteinstypen, den Sedimenten und den Eruptivgesteinen, zusammen- 
gesetztes Zwittergebilde ist, das also schon aus diesem Grunde nicht als geo- 
logische Einheit angesehen werden kann. Wenn wir aber ferner die Gesamtheit 
dessen, was im allgemeinen mit dem Namen kristallinische Schiefer bezeichnet 
wird, auf das Charakteristikum einer „Umgestaltung durch geodynamische 
Phänomene“ genauer untersuchen, so erscheint die Definition Rosenbuschs 
schon in einem etwas weniger klaren Lichte. 

Es ist dabei vor allem festzustellen, welche Erscheinungen uns in gewissem 
Maße berechtigen, die „Umgestaltung eines Gesteins durch geodynamische Pro- 
zesse“ anzunehmen. Solche Anhaltspunkte können zweifellos in verschiedenen 
Richtungen gefunden werden, einmal in der geologischen Beschaffenheit der 
betreffenden Gebiete, zweitens in der petrographischen Zusamensetzung und 
Struktur der Gesteine selbst. Was das erste Kriterium betrifft, so bin ich der 


732 


Meinung, daß in dieser Beziehung eine weitgehende Vorsicht angebracht ist. 
Wenn wir aus den Dislokationen, welche ein bestimmtes Gebiet betroffen haben, 
aus den Faltungen und Zertrümmerungen der Gesteine, aus den mannigfachen 
Verwerfungen und Überschiebungen einen Schluß auf das einstmalige Wirken 
dynamischer Prozesse ziehen, so erbringt eben diese geologische Beschaffenheit 
einen Beweis dafür, welcher in keiner Richtung angezweifelt werden kann. 
Sobald wir aber weiter gehen wollen und aus der Tatsache, daß solche Pro- 
zesse tätig waren, den Schluß abzuleiten versuchen, daß die als kristallinische 
Schiefer vorliegenden Gesteine ihre Umgestaltung eben diesen Prozessen - ver- 
danken, so kann ich diesem Schluß keineswegs ohne eingehende Untersuchung 
aller etwa in Betracht kommenden Faktoren zustimmen. Zahlreiche Beobach- 
tungen beweisen, daß selbst die gewaltigsten geodynamischen Phänomene 
Sedimente und Eruptivgesteine in ihrem petrographischen Habitus völlig un- 
berührt gelassen haben, oder daß sie dieselben in einer Richtung umgebildet 
haben, welche jener, in der sich die Bildung der kristallinischen Schiefer bewegt, 
direkt entgegengesetzt ist. 

Betrachten wir die Faltungserscheinungen im rheinischen Schiefer- 
gebirge oder in den Ardennen, welche stellenweise ganz außerordentlich 
bedeutend sind, betrachten wir die in engsten Falten zusammengeschobene 
tertiäre Unterlage der Glarner Überschiebung oder die den verschiedenen 
paläozoischen und mesozoischen Formationsgliedern angehörigen, durcheinander- 
gepreßten Sedimente der Pyrenäen, so ist das einzige, was nach der uns 
angelernten Schulmeinung von der „Umgestaltung der Sedimente durch geo- 
dynamische Phänomene“ bemerkenswert erscheint, die Beobachtung, daß eben 
all diese Gesteinsserien ihre ursprüngliche Beschaffenheit vollständig oder doch 
nahezu vollständig bewahrt haben. 

Der hervortretende Unterschied gegenüber von den Sedimenten, welche 
sich aus den heutigen Meeren absetzen, ist wohl ausschließlich der, daß die 
rezenten Sedimente lockere, schlammartige Massen sind, während diese stark 
dislozierten Bildungen eine große Verbandsfestigkeit angenommen haben, ohne 
. aber dabei — und dies muß besonders betont werden — irgendwie weder in 
Bezug auf den Charakter noch auch, auf die Größe der einzelnen, klastischen 
Bestandteile, welche an ihrer Zusammensetzung .teilnehmen, verändert zu sein. 
Wenn sich auf den Schieferungsflächen transversal geschieferter Tafelschiefer 
. ein serizitischer Belag findet, so darf dieser wohl ebensowenig direkt als Er- 
gebnis der geotektonischen Prozesse selbst angesehen werden, wie die Quarz- 
linsen und Quarzadern, welche sich in denselben Gesteinen oft in überraschen- 
der Fülle einstellen, und die. ebenso wie die unter gleichen Verhältnissen weit- 


733 


verbreiteten Erzgänge keineswegs ein unter der hohen Belastung gebildetes 
„Exsudat“ des dynamisch beeinflußten Schiefers darstellen müssen. 

Dort, wo durch geodynamische Prozesse das Gefüge der Gesteine zerrüttet 
ist, wo durch transversale Schieferung, durch Zertrümmerung und Zerreißung 
der Gesteine allen Agentien Tausende von Wegen eröffnet sind, geht jede 
Sicherheit in der Deutung der Einzelprozesse verloren. Dafür sind die Erschei- 
nungen der sogenannten Pfahlschiefer und der diesen parallel verlaufenden 
Zerrüttungszonen des Donaurandes am Bayerischen und Oberpfälzer Wald die 
bezeichnendsten Beispiele. Die gewaltigen, bis 100 m im Durchmesser auf- 
weisenden Quarzmassen des Pfahls können unmöglich aus den verhältnismäßig 
schmalen Zonen der veränderten, völlig zertrümmerten Nebengesteine stammen, 
denn diese haben, trotz ihres oft geradezu tonschieferähnlichen Aussehens die 
chemische Zusammensetzung des ursprünglichen Granites gewöhnlich völlig 
gewahrt. 

U. d. M. besteht ein solches Gestein oft ausschließlich aus dem feinsten 
Zerreibungsmaterial der einzelnen Bestandteile des Granites, unter welchen nur 
die Biotitblättchen fehlen, welche ausgebleicht und zersetzt sind. In anderen 
Fällen sieht man im Dünnschliff alle durch die Gesteinszermalmung ent- 
standenen feinen Klüftchen ausgekittet mit Quarz oder mit Aggregaten von 
- serizitischer Zusammensetzung, an deren Stelle, namentlich in den sogenannten 
Winzergraniten der Umgebung von Regensburg; gern Biotit und Nontronit 
treten, mit deren Bildung die Kaolinisierung und Nontronitisierung des ganzen 
Gesteins Hand in Hand geht. Solche Erscheinungen aber deuten zweifellos 
auf eine Begleitung der mechanischen Gesteinszertrümmerung durch kräftige, 
chemische Reagentien, die fremde Substanzen in größerer Menge den Gesteinen 
solcher Zerrüttungszonen zuführten, und die auf offenbar juvenile Thermen 
als Ursprung hinweisen. Wo aber solche chemische Prozesse mitwirken, kann 
von einer rein mechanischen Umformung und einer „Umgestaltung 
durch geodynamische Phänomene“ nicht die Rede sein. 

Es gibt somit einesteils ausgedehnte Gebiete, in welchen Sedimente der 
verschiedensten Formationen aufs intensivste disloziert und durch gewaltige, 
geodynamische Phänomene erschüttert worden sind, wo die verschiedensten 
Gesteine wie in den Myloniten geradezu durcheinandergeknetet wurden, ohne 
in ihrer klastischen Beschaffenheit irgendwelche Änderung zu erleiden. Und 
_ wenn wir schließlich in solchen Bildungen eine scheinbar kristallinische Be- 
schaffenheit gegenüber dem nicht dislozierten Sediment finden, so ist diese 
meist nicht sehr tiefgehend und in zahlreichen Fällen sicher nachweisbar 
chemischen Prozessen zuzuschreiben, die man nicht als das Ergebnis, sondern 


754 


nur als Gefolge der dynamischen Umgestaltung ansehen darf, indem durch 
die Erschütterung der Gesteine eben allen Lösungen der Weg in deren 
innersten Kern gebahnt wurde. Wo sich aber der Übergang aus solchen nur 
ganz äußerlich influenzierten Gesteinen in Bildungen vollzieht, welche mehr 
und mehr zum Habitus kristallinischer Schiefer neigen, da erkennt der auf- 
merksame Beobachter wohl stets bei mikroskopischer Untersuchung die Gegen- 
wart winziger, aber authigener Turmaline, welche ebenfalls wieder auf 
andere als rein dynamische Prozesse hinweisen. 

Die eigentlich petrographischen Anhaltspunkte, welche man heutzutage 
für die einstens erfolgte mechanische Umgestaltung eines Gesteins gefunden 
zu haben glaubt, sind wiederum von zweierlei Art: erstens solche, welche in 
der Verbiegung und Zertrümmerung der einzelnen Gesteinsbestandteile die 
Gewalt gebirgsbildender Prozesse deutlich vor Augen treten lassen, und zweitens 
diejenigen, welche man auf Grund rein theoretischer Ableitungen annehmen zu 
dürfen sich für berechtigt hält. Es ist die Folgerung aus einem chemisch- 
physikalischen Grundgesetz, wonach unter hohem Druck die Materie die Tendenz 
hat, das kleinste Molekularvolumen einzunehmen, das sogenannte Volum- 
gesetz, aus welchem sich die hauptsächlichsten modernen Hypothesen über 
die Bildung der kristallinischen Schiefer ergeben und auf welches weiter unten 
näher einzugehen ist. 

Möge einmal zugegeben werden, daß diese beiden Erscheinungen keinen 
Zweifel an einer „wesentlichen Mitwirkung geodynamischer Phänomene“ übrig 
lassen und betrachten wir- von diesem Standpunkt aus die Gesamtheit des- 
jenigen, was Geologen und Petrographen von jeher als kristallinische Schiefer 
bezeichnet haben, und was Rosenbusch selbst in seinen „Grundzügen der 
Gesteinslehre“ als kristallinische Schiefer zusammenfaßt. 

In den Gebieten kristallinischer Schiefer der Zentralalpen trifft man 
in weitester Verbreitung Vorkommnisse, welche bei der mikroskopischen Beob- 
achtung die ausgesprochensten mechanischen Strukturen aufweisen, in welchen 
die einzelnen Komponenten in jeder denkbaren Weise deformiert sind, so daß 
schon auf den ersten Blick dem Mikroskopiker klar wird, daß hier gewaltige 
Kräfte auf das Gestein eingewirkt und dasselbe zertrümmert haben. Es gibt 
aber in denselben Gebieten, so z.B. am Groß-Venediger, ausgedehnte Ab- 
lagerungen kristallinischer Schiefer, denen jede Spur einer solchen Beeinflussung 
fehlt; aber auch in diesen sehen wir die Gruppierung der Moleküle nach dem 
Volumgesetz deutlich in dem hohen Gehalt an spezifisch schweren Mineralien 
hervortreten, und wir können somit unter Zugrundelegung obiger Prämissen 
sagen, daß diese Gesteine vermutlich unter „wesentlicher Mitwirkung geo- 


735 


dynamischer Phänomene“ kristallisiert sind und somit unter die Definition von 
Rosenbusch subsumiert werden können. 

Betrachten wir aber im Gegensatz dazu z. B. die Kordieritgneise des 
Bayerischen Waldes, die Gneise, Glimmerschiefer und Amphibolite des 
Oberpfälzer Waldes und ähnliche Vorkommnisse unserer deutschen Mittel- 
gebirge, so ändert sich das Gesamtbild in wesentlichen Teilen. Es gibt wenige 
Gesteine von kristallinischer Beschaffenheit, welche so geringe Anzeichen einer 
Pressung in ihrer Struktur erkennen lassen, wie diese kristallinischen Schiefer, 
in welchen selbst bei intensivster Faltung und Fältelung der Gesteine weder 
der Quarz noch der Kordierit auch nur Spuren einer undulösen Auslöschung 
zeigen, in denen niemals im normalen Gestein irgendwelche Zerreibungsprodukte, 
Mörtelstruktur etc. zu finden ist. Das eine der Kennzeichen einer „wesent- 
lichen Mitwirkung geodynamischer Phänomene“, die mechanische Struktur, 
fehlt also vollständig; aber ebenso vollständig vermißt man auch das andere, 
nämlich die Gruppierung der Moleküle nach dem Volumgesetz: es sind nicht 
die spezifisch schweren Mineralien der alpinen kristallinischen Schiefer mit 
ihrem kleinen Molekularvolumen, sondern im Gegensatz dazu gerade solche 
mit recht großem Molekularvolumen, wie der Kordierit in den Gneisen 
des Bayerischen Waldes, der Andalusit und basische Plagioklase in jenen der 
Oberpfalz, der Wollastonit und Forsterit in den Kalkeinlagerungen beider Gebiete. 

Wenn wir die Sache ohne Voreingenommenheit betrachten, müssen wir 
in Abwägung aller Verhältnisse zu dem Ergebnis kommen, daß diese kristal- 
linischen Schiefer in ihrer petrographischen Beschaffenheit überhaupt keinen 
Anhaltspunkt dafür geben, daß sie unter wesentlicher Mitwirkung geodynamischer 
Phänomene entstanden sind, ja daß alle petrographischen Eigenschaften der- 
selben mit Sicherheit darauf hinweisen, daß bei ihrer Umkristallisation diese 
Mitwirkung vollständig fehlte. Diese zweite Weltgruppe der kri- 
stallinischen Schiefer fällt also nicht unter die Definition von 
Rosenbusch, sie dürfen bei Zugrundelegung derselben nicht mehr 
als kristallinische Schiefer bezeichnet werden. 

Darüber hilft auch die Aufstellung mehrerer Tiefenstufen der Um- 
kristallisation von Becke nicht hinweg, wobei die untere etwa den zuletzt 
besprochenen Gesteinen entspricht, während die obere in der Hauptsache die 
kristallinischen Schiefer der zentralen Alpen umfaßt. Selbst die Zuhilfenahme 
der alten latenten Plastizität von Heim, deren geringe Berechtigung die 
petrographischen Untersuchungen während 25 Jahren zur Evidenz bewiesen 
haben, oder die Inanspruchnahme hoher Temperaturen in großen „Rinden- 
tiefen“ kann diese rein theoretischen Annahmen nicht beweiskräftig stützen. 

Abh.d. II. Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 95 


736 


Wir wissen im allgemeinen gar nichts über die Tiefe, aus welcher diese Gebiete 
kristallinischer Schiefer stammen und haben ebensowenig einen Anhaltspunkt 
dafür, daß jene, welche die Charaktere der alpinen Gesteine zeigen, etwa in 
geringerer, jene von der Beschaffenheit der Vorkommnisse des Bayerischen 
Waldes in größerer Tiefe entstanden wären. Alles, was darüber gesagt worden 
ist, hat kaum die Bedeutung einer rein subjektiven Annahme, weil eben 
jeder Anhaltspunkt für die Wirkung irgend einer besonderen Kraft während 
der Kristallisation dieser Gesteine sowohl in ihrer Struktur als auch in ihrer 
Molekularkombination vermißt wird. Dadurch erledigt sich aber auch die 
Anfrage von Milch in seinem oben zitierten Referat über meine „spezielle 
Gesteinskunde“. Nach der klaren Definition von Rosenbusch haben diese 
Gesteine unter den kristallinischen Schiefern keinen Platz. Es handelt sich 
vielmehr um einen bei petrographischen Theorien leider so weit verbreiteten 
circulus vitiosus, daß die einzige Grundlage einer aufgestellten Theorie 
eben die Erscheinung ist, welche man durch die Theorie erklären will. 

So nimmt man an, daß z. B. die Kordieritgneise des Bayerischen Waldes 
aus großen Tiefen der Rinde unserer Erde stammen, weil man annimmt, daß 
deren mineralische und strukturelle Beschaffenheit auf die — nebenbei bemerkt 
wiederum rein hypothetischen — physikalischen Verhältnisse dieser Tiefen 
hinweist. Es ist in erster Linie die mehr oder minder vollkommene Über- 
einstimmung der petrographischen Eigenschaften dieser Gesteine mit echten 
Kontaktbildungen, die man sich im allgemeinen unter Mitwirkung erhöhter 
Temperatur in bedeutenden Erdtiefen entstanden denkt, welche zu dieser völlig 
in der Luft stehenden Hypothese geführt hat. Es bleibt unter allen 
Umständen feststehend, daß weder in der Struktur noch in der mineralischen 
Zusammensetzung der zweiten Gruppe der kristallinischen Schiefer irgend ein 
Anhaltspunkt für die wesentliche Mitwirkung geodynamischer Prozesse bei 
ihrer Umgestaltung vorhanden ist, und ebenso erscheint die Annahme einer 
Umkristallisation dieser Gesteine in größerer Rindentiefe durchaus will- 
kürlich. 

Der Unterschied in der Beschaffenheit der kristallinischen Schiefer der 
Zentralalpen gegenüber von jenen in den meisten unserer Mittelgebirge, 
welchen man durch die Bezeichnung alpine ünd normale Fazies präzi- 
sieren kann, wird besonders von F. E. Suess und R. Mrazec herorgehoben. 
' Aber auch ihre Auseinandersetzungen zeigen das Verhältnis derselben durchaus 
nicht in der Weise, wie man es von zwei Tiefenstufen erwarten sollte; es 
sind nicht etwa in einem und demselben geologischen Körper ineinander 
übergehende Bildungen, sondern die beiden Reihen sind mehr oder minder 


737 


scharf voneinander getrennt und jede für sich bildet ihre eigene petrograpische 
Provinz. 

Wenn F. E. Suess die erste Gruppe, die alpine Fazies, in den Alpen und 
der morawischen Zone als in jüngeren Kettengebirgen auftretend anführt 
gegenüber der normalen Fazies des Donau-Moldaugebietes, so ist diese terri- 
toriale Trennung doch wohl nicht als Beweis für zwei verschiedene Tiefen- 
stufen anzusehen. Es ist ja zweifellos richtig und liegt in der Natur der Sache, 
daß, je älter ein Gebirge ist, zu desto größerer Tiefe es aufgeschlossen zu sein 
pflegt, und die Grundlage des Ganzen, die intrusiven, meist granitischen Kerne 
treten daher in den alten Gebirgen, so in Fennoskandien, Kanada, im böhmi- 
schen Massiv etc. in viel kompakteren und ausgedehnteren Massen hervor als 
in den meisten der jüngeren Gebirge. Allerdings darf man diesen Unterschied 
nicht allzu bedeutend nehmen, denn einzelne unserer ransgalalpinen; Granit- 
massen sind sicher zu den gewaltigsten zu zählen. 

Aber man sollte nun denken, da zwei verschiedene Tiefenstufen vorliegen, 
man würde in der alpinen Fazies bei den so außerordentlich verschieden tiefen 
Aufschlüssen in den verschiedenen Teilen der Zentralalpen doch wenigstens 
. einmal zufällig auch einen Übergang in die tiefere normale Fazies beobachten. 
Doch davon ist nichts zu finden, wenn auch F. E. Suess!) sagt: „Kordierit 
und Sillimanit treten in den östlichen Zentralalpen als Kontaktgesteine nicht 
auf oder sind in ihrem Vorkommen auf schmälere Züge in der Nähe der 
Intrusivmassen beschränkt.“ Es würde mir sehr interessant sein, zu erfahren, 
wo in den Zentralalpen diese schmäleren Züge sich befinden, mir persönlich 
ist aus keinem Gebiet der Zentralalpen vom ligurischen Apennin angefangen 
bis in die Ausläufer in Rumänien der Kordierit als Kontaktmineral bekannt 
geworden; was außerhalb der Zentralzone selbst liegt, kommt hier nicht in 
Betracht. Wohl aber erscheint das Mineral und zwar vergesellschaftet mit 
seinem treuesten Begleiter, dem Andalusit, in gewissen zentralalpinen Pegmatiten, 
welche wiederum darauf hinweisen, daß in der Periode postvulkanischer Tätig- 
keit hier die Spannung mehr und mehr nachließ. 

Andernteils müßte, wenn man aus den tiefer aufgeschlossenen Teilen der 
alten Gebirge, der unteren Tiefenstufe, allmählich in höhere Horizonte über- 
geht, doch ein dem Unterschied der alpinen Fazies analoger Wechsel eintreten, 
da dieser der oberen Tiefenstufe entspricht. Nichts von alledem! Die beiden 


1) F. E. Suess, Kristallinische Schiefer Österreichs innerhalb und außerhalb der Alpen. ©. R. IX. 
congr. geol. intern. 1903, p. 603. Im Original fehlt das Wort „nicht“, das von mir ergänzt ist, da der 
Satz nach dem ganzen Zusammenhang nur so gedacht sein kann. Übrigens sind weder Kordierit noch 
Sillimanit als Gestein, sondern vielmehr als Mineralien zu bezeichnen. 

957 


738 


Fazies gehören stets verschiedenen Provinzen an und sind nicht durch Tiefen- 
unterschiede miteinander verbunden. 

Wenn also Rosenbusch seine am Anfang wiedergegebene Definition dem 
Kapitel über die kristallinischen Schiefer vorausstellt, so kann er unter diesem 
Begriff nur einen Teil der allgemein als kristallinische Schiefer bezeichneten 
Bildungen zusammenfassen; jenen, in welchen Struktur und Mineralbestand auf 
das Wirken geodynamischer Phänomene hinweisen, d. h. die alpine Fazies. 
Der Versuch, auch die andere, viel weiter verbreitete Gruppe durch die Kon- 
struktion einer besonderen Tiefenstufe unter dieselbe Definition zu zwingen, muß 
als völlig in der Luft stehend bezeichnet werden, da alle Voraussetzungen dieser 
Tiefenstufe rein hypothetisch sind. Ja wenn man die Erscheinungen ohne 
Voreingenommenheit betrachtet, so tritt in der Ausbildung wie in der Zu- 
sammensetzung der zweiten Gruppe der „kristallinischen Schiefer“ klar zutage, 
daß hier geodynamische Phänomene auch während der Umwandlung keine 
irgendwie geartete Rolle gespielt haben können. Ich halte mich daher für 
berechtigt zu dem Satz, daß die einzige Definition, welche heutzu- 
tageinKreisen der Petrographen für die kristallinischen Schiefer 
angenommen ist, die Hauptmasse derselben direkt ausschließt. 

Für die hier angeführten Erwägungen kommt nun aber noch eine weitere 
Erscheinung in Betracht: die beiden Extreme der Ausbildung der kristallini- 
schen Schiefer, welche oben als alpine und normale Fazies getrennt wurden, 
trifft man zwar nirgends in einem und demselben Gebiete beisammen im Ver- 
hältnis etwa von zwei verschiedenen Tiefenstufen, aber trotzdem gibt es Über- 
gänge zwischen denselben, die wiederum in selbständigen petrographischen 
Provinzen auftretend in erster Linie den Wert haben, uns die geologische 
Gleichwertigkeit der beiden Faziesbildungen vor Augen zu führen. Ein typi- 
sches derartiges Mittelglied zwischen alpiner und normaler Fazies sind z. B. 
die Glimmerschiefer und Phyllite der Umgebung von Wunsiedel im Fichtel- 
gebirge, in welchen sich die typischen Minerale beider Gruppen zusammen- 
finden, allerdings wiederum nicht als verschiedene Tiefenstufen, sondern in 
bunter, regelloser Mischung. 

Es handelt sich also bei beiden Gruppen kristallinischer Schiefer um 
geologisch völlig äquivalente Bildungen und man wird Becke Recht geben 
müssen, wenn dieser ihre Entstehung wohl definierbaren geologischen 
Prozessen zuschreibt, „die man ebenso gut als selbständige geo- 
logische Vorgänge auffassen kann wie die Bildung eines Sediments 
oder eines Eruptivgesteins“. Vom Standpunkt des Dynamometamorphis- 
mus kann dafür allerdings nur jener Teil in Betracht kommen, der oben als 


739 


alpine Fazies charakterisiert wurde, die Folge aber wird ergeben, daß sich 
tatsächlich Gesichtspunkte finden lassen, welche den Satz von Becke als für 
die Hauptmasse der kristallinischen Schiefer gültig erweisen. 


Was man heutzutage als kristallinische Schiefer zusammenfaßt, ist auf den 
ersten Blick ein recht kompliziertes Gebilde, in welchem, wie schon oben an- 
geführt, die Typen der Eruptivgesteine und der Sedimente sich als Extreme 
gegenüberstehen und deren verbreitetste und wichtigste Glieder eine Meta- 
morphose, d. h. eine innere molekulare Umlagerung erlitten haben, welche 
häufig, aber durchaus nicht immer mit der Entstehung einer Schieferstruktur 
Hand in Hand geht. Das Auftreten und der Grad der Ausbildung einer Schiefer- 
struktur ist in der alpinen Fazies viel ausgeprägter als in der normalen, und 
man darf in ihr ein Anzeichen der Wirksamkeit geodynamischer Phänomene sehen. 


Andernteils gibt es aber auch „kristallinische Schiefer“,!) welche ohne 
jeden Zweifel keine spätere molekulare Umwandlung mitgemacht haben, son- 
dern Eruptivgesteine von ursprünglicher Beschaffenheit sind, die nur wegen 
einer mehr oder weniger ausgeprägten Parallelstruktur als kristallinische Schiefer 
bezeichnet wurden. 


Wenn wir z. B. die Hornblendegneise der Oberpfalz und des Fichtel- 
gebirges betrachten, so sind das in ihrem ganzen Gefüge normale Granite, 
welche am Kontakt mit Scholien älterer, basischer Eruptivgesteine von deren 
Material aufgelöst und sich dann schlierig verfestigt haben. Und solche durch 
Resorption schlierig gewordene Granite, welche aber zweifellos das ursprüng- 
liche Resultat der Verfestigung darstellen, gibt es in weitester Verbreitung, 
bald mit mehr bald mit weniger vollkommener Parallelstruktur. Lokal ent- 
wickelt sich selbst in ganz normalen Graniten eine dem Phänomen der 
Fluidalstruktur analoge Parallelstruktur, ohne daß, abgesehen von der 
parallelen Lagerung der Glimmerblättchen oder Feldspattafeln, weder in der 
mineralischen Zusammensetzung noch in der Struktur irgend eine Abweichung 
von dem normalen Granit zu erkennen wäre. 

Und wenn wir vollends in die zentralalpine Fazies der kristallinischen 


Schiefer kommen, so tritt uns hier das granitische Zentralmassiv manchmal 
in gewaltigen Massen in schiefriger Ausbildung entgegen, wobei die mikro- 


1) Bei der Fassung des Begriffes „kristallinische Schiefer“ schließe ich mich in diesem Zusammen- 
hang an die wichtigsten Lehrbücher der Geologie und Petrographie an. Wenn diese unter dem in Frage 
stehenden Begriff die völlig richtungslos struierten Eklogite des Fichtelgebirges z. B. subsumieren, so ist 
das eine Lizenz an das Herkommen, jedenfalls aber müssen die „Gneise“ der schwedischen Literatur, 
welche meist absolut richtungslose Granite sind, ausscheiden. 


740 


skopische Untersuchung keinen Zweifel daran übrig läßt, daß diese Parallel- 
struktur ursprünglich bei der Verfestigung des Gesteins entstanden ist. 

Der ganz ungeheuerliche Mechanismus, welchen die Theoretiker des Dynamo- 
metamorphismus zur Erklärung dieser Erscheinung heranziehen, läßt sich etwa 
so darstellen, daß die betreffenden Gesteine ursprünglich normale 
Granite von richtungslos körniger Struktur gewesen sind, welche 
später in einem ganz beliebigen, von der Intrusion des Eruptiv- 
gesteins völlig unabhängigen Zeitpunkt unter hohen Druck 
gekommen sind, der aber nicht sowohl zermalmend auf die 
einzelnen, Gesteinsgemengteile einwirkte, sondern infolge der 
gewaltigen Belastung in großer Rindentiefe nur molekulare 
Bewegungen auslöste und so sekundär die Schieferung als sogenannte 
Kristallisationsschieferung oder vielleicht besser Umkristallisations- 
schieferung hervorbrachte. 

Es werden in dieser Richtung die chemisch-physikalischen Untersuchungen 
von Riecke herangezogen, welcher nachwies, daß durch longitudinalen Zug 
oder Druck der Schmelzpunkt aller Körper, gleichgültig, ob sie beim Schmelzen 
ihr Volumen vergrößern oder verkleinern, herabgesetzt und damit auch ihre 
Löslichkeit vermehrt wird; hat man also in einer konzentrierten Lösung zwei 
Prismen derselben Substanz, welche die Lösung enthält, und setzt eines der- 
selben einem longitudinalen Zug oder Druck aus, so wird es von der Lösung 
angegriffen. Dadurch vermehrt sich deren Konzentration, sie übersättigt sich 
für das zweite, nicht mechanisch beeinflußte Prisma, und das Gleichgewicht 
wird durch Weiterwachsen dieses zweiten Prismas auf Kosten des deformierten 
wiederhergestellt. 

Dieses Riecke'sche Prinzip wendet Becke nun auf die Bildung der 
kristallinischen Schiefer an: In einem gepreßten Gestein erleiden die verschie- 
denen Öberflächenelemente der einzelnen Körner ein verschiedenes Maß von 
Pressung, am stärksten werden jene gepreßt, welche quer zur Pressung liegen, 
am wenigsten solche, deren Verlauf der Pressungsrichtung parallel ist. Es 
werden also die stärkst gepreßten Stellen der Körner gelöst und die Substanz 
an den schwächst gepreßten wieder abgelagert, oder die einzelnen Körner 
werden in der Richtung der Pressung verkürzt, in jener senkrecht dazu durch 
Weiterwachsen ausgedehnt. Die in ihrem normalen Habitus tafligen oder 
stengligen Mineralien behalten diesen nur dann, wenn ihre Hauptzone zufällig 
senkrecht zur Richtung des Druckes liegt. In allen anderen Fällen verwischt 
sich ihre normale Erscheinungsform und sie bilden meist stark zerfetzte, mehr 
oder weniger isometrische Körner. 


741 


Voraussetzung für all diese Prozesse ist, wie Becke richtig hervorhebt, 
. daß „entweder das Gestein eine so hohe Temperatur besitze, daß die Ernie- 
drigung des Schmelzpunktes durch Pressung tatsächlich ein Abschmelzen an 
den Druckstellen bewirkt, oder daß das Gestein von einem Lösungsmittel 
durchzogen sei, welches auf den kapillaren Räumen zwischen den Gemeng- 
teilen zirkuliert, wohl auch diese selbst auf Klüften durchdringt, vielleicht 
sogar spurenweise intermolekular in ihnen vorhanden ist und sich als eine 
gesättigte Lösung der sämtlichen Gesteinsgemengteile für die herrschenden 
Temperatur- und Druckverhältnisse darstellt“. . Es ist zweifellos, daß eines 
dieser beiden Verhältnisse vorhanden sein muß, wenn man das Riecke’sche 
Prinzip für die Umwandlung der Gesteine überhaupt in Anspruch nehmen 
will. Die direkt auf obigen folgenden Sätze von Becke sind aber wiederum 
rein hypothetisch: „Diese Vorstellung dürfte um so weniger eine Schwierigkeit 
haben, als kleine Mengen von Wasser in dem Ausgangsmaterial der kristallinen 
Schiefer stets vorhanden sein müssen. Handelt es sich um ein Intrusivgestein 
und schließt sich die Phase der Kristallisationsmetamorphose unmittelbar 
an die magmatische Erstarrungsphase an, so sind ganz gewiß Reste des 
„juvenilen“ Wassers und andere Mineralisatoren von der Intrusion her vor- 
handen. Handelt es sich um ein ursprüngliches Sediment, so sind hinreichende 
Mengen gebundenen Wassers in den seinerzeit abgelagerten Sedimentmassen 
vorhanden. Tonschiefer, Mergel u. s. w. enthalten ja immer mehrere Prozent 
gebundenen Wassers, welches bei Erhöhung der Temperatur unter Druck durch 
Dissoziation ausgetrieben als imprägnierendes Lösungsmittel dienen kann. Be- 
kannt ist ferner, daß frisch gebrochene Gesteine aus irgend einem Teil der 
uns zugänglichen Erdrinde stets einen geringen Wassergehalt zeigen, welcher 
wenn er selbst nur einige Zehntel Prozent beträgt, hinreicht, um, auf den 
Grenzen der Körner zirkulierend, die Umsetzungen zu vermitteln.“ 

In diesen Überlegungen liegt eine für mich besonders bemerkenswerte 
Erscheinung, da sich Becke damit der von mir aufgestellten und stets ver- 
fochtenen Theorie der Piözokristallisation in hohem Maße nähert, ganz 
im Gegensatz zu dessen früher ausgesprochenen Erklärungen über die Auf- 
fassung dieser Prozesse. Wenn Becke in obigen Ausführungen die Periode 
der dynamometamorphen Umbildung sich direkt an die magma- 
tische Erstarrungsphase der zentralalpinen Granite anschließen läßt 
und als Agentien der Umwandlung selbst noch die juvenilen Wässer des 
Magmas mit ihrer erhöhten Temperatur etc. in Anspruch nimmt, so hat er 
meines Erachtens eine so eingreifende Revision seiner früheren Anschauungen 
über diesen Prozeß vollzogen, daß ihn nur noch eine kleine Phase der 


742 


Weiterentwicklung von der Annahme meiner Theorie der „Piezokristalli- 
sation“ trennt. 3 

Wenn ich also auch ziemlich sicher sein kann, daß der natürliche Prozeß 
der Entwicklung selbst unsere Einigung auf der Grundlage der von mir auf- 
gestellten Theorie ergeben wird, so kann ich es doch nicht unterlassen, schon 
hier darauf hinzuweisen, daß überhaupt kein irgend haltbarer Grund 
vorhanden ist, den Doppelprozeß der magmatischen Erstarrung und der 
Kristallisationsschieferung anzunehmen.‘ Es gibt in der petrographischen Be- 
schaffenheit der in Betracht kommenden Zentralgranite überhaupt keine Er- 
scheinung, welche diesen Doppelprozeß nahelegen würde; die petrographischen 
Eigenschaften derselben lassen sich vielmehr viel einfacher und ungezwungener 
aus einer einfachen Verfestigung des Magmas unter hohem Druck aus der 
Piözokristallisation ableiten. Der noch bleibende Rest eines Unterschiedes 
unserer Anschauungen ist vielmehr nur in den rein geologischen Erörterungen 
begründet, welche den Graniten der Zentralalpen ein verhältnismäßig hohes 
geologisches Alter vindizieren wollen. In den speziell den Arbeiten Beckes 
zu Grunde liegenden Gebieten des Zillertals und der Hohen Tauern sind aber 
selbst die geringsten Anzeichen, welche zur Aufstellung einer solchen Hypo- 
these verwendet werden könnten, nicht vorhanden und die Erscheinungen in 
anderen Teilen der Zentralkette weisen, wie weiter unten gezeigt wird, auf 
das gerade Gegenteil hin. 

Übrigens kann es sich bei der ganzen Frage überhaupt nicht um die 
Feststellung des Anfangs oder des Abschlusses der Verfestigung der granitischen 
Gesteine handeln, welche doch wohl nicht diese Stadien erst im Verlauf ganzer 
geologischer Formationsgruppen durchlaufen haben. Es handelt sich vielmehr 
darum, daß die Verfestigung der Granite und ihre Umwandlung zu 
dem „kristallinischen Schiefer“ je für sich selbständige und völlig 
abgeschlossene Prozesse darstellen, welche ja vielleicht zufällig ein- 
ander zeitlich naherücken können, im allgemeinen einander aber völlig fremd 
gegenüberstehen. Da nun meine Ableitungen über die Piözokristallisation 
keineswegs auf ein einzelnes Vorkommnis beschränkt sind, bei dem man ein 
solches zufälliges Zusammentreffen annehmen könnte, sondern sich auf eine 
sehr verbreitete Weltgruppe von Vorkommnissen beziehen, die man in fast 
allen Faltengebirgen wiederfindet, so kann wohl der Zufall als Faktor unbe- 
rücksichtigt bleiben. | 

Die älteste Behandlung der Frage nach der Entstehung der kristallinen 
Schiefer, welche aber trotz der ganz verschiedenartigen Gesichtspunkte, von 
welchen dieselbe heute betrachtet wird, noch allenthalben durchblickt, ist die 


743 


stratigraphische. Die geologische Formation der kristallinischen 
Schiefer ist von den Vätern ererbt und, wie die Referate des jüngsten 
Geologenkongresses zeigen, liegen auch heute noch viele im Banne dieser Hypo- 
these, und trotzdem sie eigentlich von ganz modernem Standpunkt ausgehen, 
vermögen sie sich nicht davon frei zu machen. Maßgebend für die Zuteilung 
eines bestimmten Gesteinskomplexes zu der ein bestimmtes Altersverhältnis 
bedingenden geologischen Formation wird hier der petrographische Habitus 
des Gesteins, obwohl der betreffende Autor selbst auf Grund seiner petro- 
graphischen Untersuchungen sich zu dem unzweifelhaft richtigen Satz durch- 
gearbeitet hat, daß der petrographische Habitus nie und nirgend 
der Ausdruck des geologischen Alters sein kann. 

Wer erkannt hat, daß das, was man unter dem Begriff „kristallinische 
Schiefer“ zusammenfaßt, nichts weiter ist als sozusagen eine pathologische 
Fazies irgend eines Gesteinstypus aus den beiden anderen Reihen, den 
Eruptivgesteinen und den Sedimenten, der kann doch wohl nicht in 
diesem Zustand ein historisches Einteilungsprinzip erblicken, es sei denn, 
er kehrt zu den allerältesten, in jeder Weise widerlesten Theorien zurück, 
daß diese Gesteinsveränderungen etwa dem Altern des menschlichen Körpers 
vergleichbar, ausschließlich in der hohen Zahl der Jahrmillionen begründet 
sind, welche über die Gesteine dahingegangen sind. 

Wenn somit Sederholm!) in seinem Vortrag auf dem Wiener Kongreß 
diese rein stratigraphische Behandlung der Frage in der Weise formuliert, 
daß bei Abwesenheit von Fossilien „die Alterseinteilung eine Reihe 
von stufenweise gesteigertem Metamorphismussein muß, so nimmt 
er diesem mit solcher Sicherheit ausgesprochenen Satz in demselben Vortrag 
viel von seiner Prägnanz, wenn er sagt: „Die Stärke der Umwandlung der 
Diabas- und Perodotitgesteine ist aber keineswegs immer proportional 
mit dem geologischen Alter, sondern zeigt in dieser Beziehung auffallende 
Unregelmäßigkeiten.*“ Obwohl der Autor vollkommen klar überblickt, daß 
die von mir so oft in den Vordergrund gestellte Erscheinung kontaktmeta- 
morpher Umwandlung und Injektion durch Intrusivmassen den petrographischen 
Habitus wenigstens bei einem nicht geringen Bruchteil der „kristallinischen 
Schiefer“ in erster Linie ergibt, steht er doch so weit in den Fesseln der 
älteren Anschauung, daß er selbst gewisse Strukturen von Eruptivgesteinen 
für historische Kennzeichen ansehen möchte. 


1) J. J. Sederholm, Über den gegenwärtigen Stand unserer Kentnis der kristallinischen Schiefer 
von Finnland. C. R. IX. congr. geol. intern., Wien 1903, 609. Die Sperrungen in den Zitaten sind 
größtenteils von mir eingeführt. 


Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 96 


Aber auch dagegen findet er selbst deutliche Beweise und das Vorkommen 
von Geröllen von Rapakiwi in einem „präkambrischen“* Bodenkonglomerat 
zwingt ihn zu der Bemerkung, „daß somit das Vorkommen ähnlicher Struktur- 
formen in paläozoischen Eruptivgesteinen als kein Beweis für das paläozoische 
Alter des Rapakiwi angesehen werden kann“. 

Mineralbestand und Struktur eines Gesteins sind der Ausdruck der chemisch- 
physikalischen Bedingungen während seines Werdeprozesses. Die Gesetze 
der Chemie und Physik aber, welche wir so in ihren Ergebnissen erkennen 
lernen, sind ewig und unabänderlich, und hier ist eine historische Entwick- 
lung einfach undenkbar. Man darf somit auch in Mineralbestand und Struktur 
irgend eines Gesteins kein historisches Einleitungsprinzip suchen und niemals 
den Begriff einer geologischen Formation auf rein petrographi- 
schen Erscheinungsformen begründen. Es muß ja anerkannt werden, 
daß es in höchstem Grade schwierig ist, dort, wo die Fossilien fehlen, eine 
den übrigen Formationen äquivalente Gliederung durchzuführen. Es kommt 
noch hinzu, daß wir nun einmal in der Anschauung aufgewachsen sind, als 
wäre die kristallinische Beschaffenheit einer Gesteinsserie eben der Ausdruck 
eines besonders hohen Alters. Demgegenüber erscheint es doch wonl viel nütz- 
licher, offen zuzugestehen, daß wir heutzutage noch nicht imstande sind, 
diese Gebilde geologisch zu gliedern, als dieselben in ein System zu zwängen, 
welches den Tatsachen nicht gerecht wird und doch mit der Anmaßung auf- 
tritt, den natürlichen Verhältnissen entsprechend zu sein. 

Das, was Gümbel seinerzeit als bojisch oder herzynisch bezeichnete, 
wird so neuerdings von Sederholm ladogisch oder kalevisch genannt. 
Wie im Bayerischen Wald, so trifft man in Finnland in den oberen „Etagen 
der Gneisformation* die Adergneise oder injizierten Schiefer, deren 
petrographische Bedeutung Sederholm völlig richtig auffaßt. Die Erschei- 
nungsform dieser Gesteine ist ja allerdings so auffallend und charakteristisch, 
daß jeder Petrograph, der in solchen Gebieten arbeitet, erkennen muß, daß 
hier zwei ganz verschiedene Gesteine in Vermischung miteinander getreten sind, 
und daß die lichten Adern des aplitartigen Granits den dunkeln Fetzen und 
Schollen des Hornfelses als diametral verschiedene Bildungen gegenüberstehen. 

Und wie mannigfach ist die Form dieser Aderung, von einfacher, dünn- 
schichtiger Wechsellagerung bis zu geradezu gekröseartiger Durchknetung der 
‘beiden Materialien, wobei aber immer der Charakter des einstigen Sediment- 
gesteins das vorher vorhandene, jener des Granits das später eingedrungene 
Gebilde kennzeichnet, bis bei mehr oder minder vollständiger Durchtränkung 
mit dem eruptiven Magma die Grenzen immer undeutlicher werden und 


745 


schließlich beide Bildungen zu einer schwierig deutbaren Einheit verschwimmen! 
Wer aber ausgedehntere Gebiete solcher Gesteine gesehen hat, dem kann die 
petrographische Einheitlichkeit all dieser Bildungen keineswegs zweifelhaft sein 
und wenn die lichten, dem Granitaplit in ihrer Zusammensetzung und 
Struktur völlig entsprechenden Bänder das durchtränkte Sediment auch in 
den mannigfachsten Windungen parallel und quer zur Schichtung durchziehen 
oder wenn schließlich beide Gesteinstypen nicht mehr auseinandergehalten 
werden können, so liegt doch an zahllosen Punkten der Übergang der nor- 
malen Apophysen des Granites in diesen zusammengesetzten Gesteinen klar 
und deutlich vor Augen. 


Die eruptive Durchaderung in solchen Gebilden hat ja oft manches Ab- 
weichende von der gewöhnlichen Gangbildung, welche wir im großen Maß- 
stab beobachten und namentlich die Unregelmäßigkeit und oft gekröseähnlichen 
Windungen der Injektionsadern sind häufig scharf hervortretende Erscheinungen. 
Wenn man aber bedenkt, unter welchen äußeren Verhältnissen diese Injektionen 
vor sich gegangen sind, wie die von der Intrusion erschütterten und zerrissenen 
Sedimente noch, nachdem sie die injizierenden Massen des Eruptivgesteins auf- 
genommen hatten, keineswegs ein Ruhestadium erreicht hatten, sondern von 
den vom Intrusivgestein abgegebenen Gasen und Dämpfen durchtränkt, bei der 
erhöhten Temperatur eine bedeutend größere Beweglichkeit und oft geradezu 
plastische Beschaffenheit angenommen hatten, so kann die Unregelmäßigkeit 
dieser Formen keineswegs überraschen. Erst mit dem Nachlassen der vulka- 
nischen Energie ließ auch diese Beweglichkeit der jetzt allmählich zu kristal- 
linischen Bildungen werdenden Sedimente nach und die injizierenden Aplite, 
welche all unseren Erfahrungen nach den allerletzten Phasen der magma- 
tischen Erstarrung angehören, erfüllen nun Räume, deren komplizierte Formen, 
zumal im Hinblick auf den fast ständigen Mangel mechanischer Strukturen 
in diesen Gesteinen, recht schwer verständlich erscheinen. 


Lest ja selbst Sauer!) auf den Gegensatz zwischen der gewundenen Form 
dieser Injektionen und ihrem Mangel an Kataklasen ein besonderes Gewicht, 
so daß er sie nicht für gefaltete Gänge ansehen möchte. In dem von ihm 
angenommenen Sinne sind sie ja das auch nicht, denn die Struktur der über- 
wiegenden Mehrheit der oft so intensiv gefalteten Gänge weist auch nicht 
die Spur einer mechanischen Einwirkung auf, wie sie vorhanden sein müßten, 
wenn das sie erfüllende Gestein in festem Zustand solche Bewegungen hätte 
durchmachen müssen. Diese Bildungen wurden eben gefaltet, als noch die 


) A. Sauer, Das alte Grundgebirge Deutschlands. ©. R. IX. congr. g&ol. intern., Wien, 1903, 587. 
96 * 


746 


ganze Masse, in der sie eingebettet sind, beweglich war und ihre Verfestigung 
ist wohl überhaupt die letzte Phase in der ganzen Reihe der in Betracht 
kommenden Erscheinungen. 

Die häufige Beobachtung, daß diese Injektionsadern bald Bestandteile aus 
dem Nebengestein auflösen und so z. B. Granat oder Kordierit führen oder 
daß massenhaft Turmalin in ihnen auftritt, ist für ihre Auffassung gleich- 
falls von grundlegender Bedeutung, zumal sie beim Hervortreten des letzteren 
Minerals gerne Struktur und Korngröße eines Pegmatits annehmen. Indes 
faßt Sauer gerade diese pegmatitisch ausgebildeten Adern, die am häufigsten 
zu Linsenform zusammengeschnürt in den Schichtflächen der kontaktmeta- 
morphen Gesteine liegen, als zweifellos integrierende Bestandteile der „Sedi- 
mentgneise“ auf. Bei dieser Anschauung über die Bedeutung der einzelnen 
Teile dieser Gneise kann es nur auffallen, daß derselbe Autor anerkennt, daß 
es sich bei den von mir beschriebenen „Kordieritgneisen“ des Silber- 
berges bei Bodenmais um wirklich injizierte Schiefer handelt. Wenn er aber 
versucht, um den Begriff des „archäischen Gneises“* zu retten, den von 
mir untersuchten Gesteinen die Schuppengneise des Arbers oder jene 
der Umgebung von Passau als Äquivalent der sogenannten Renchgneise 
des Schwarzwaldes entgegenzustellen, so kann ich ihm da unmöglich Recht 
geben, denn diese Vorkommnisse sind durchaus identisch mit jenen vom Silber- 
berg. Allerdings ist zu bemerken, daß solche Gebiete injizierter Schiefer sich 
gewöhnlich durch eine außerordentliche Abwechslung des Gesteinshabitus aus- 
zeichnen, und man so aus den verschiedenen Gebieten leicht einzelne Stücke 
bekommen kann, welche mit jenen’ aus den anderen wenig übereinzustimmen 
scheinen, trotzdem die ganzen Komplexe gleichen Grundzug zeigen. 

Bemerkenswert erscheint in den Ausführungen von Sauer ferner auf der 
einen Seite die Beobachtung, daß die Struktur seiner „Sedimentgneise* 
jener der Hornfelse ähnlich ist, auf der anderen Seite, daß er die Knoten- 
schiefer, deren Knoten Granat sind, als bezeichnende, genetisch übereinstimmende 
Bildungen seiner Gneisformation den gewöhnlich als Knotenschiefer bezeichneten 
Bildungen gegenüberstellt, deren Knoten Kordierit seien. Es braucht dem 
wohl nur entgegengestellt werden, daß in den von Sauer als kontaktmeta- 
morph anerkannten „Gneisen“ des Silberbergs Kordierit und Granat sich fort- 
gesetzt in wechselnden Mengen vertreten und echte Kordieritgneise mit echten 
'Granatgneisen in hundertmaliger Wiederholung abwechseln. 

Alle Versuche, auf Grund gewisser petrographischer Eigentümlichkeiten 
die „archäischen kristallinischen Schiefer“ als Formationsgruppe zu 
definieren und in einzelne Etagen zu gliedern, führen nur zu dem einen 


747 


Ergebnis, daß, je eingehender die petrographischen Untersuchungen solcher 
Gesteinskomplexe ausgeführt werden, um so klarer die Erscheinung vor Augen 
tritt, daß in Struktur und mineralischer Zusammensetzung eine Trennung 
derselben gegenüber von schiefrigen Eruptivgesteinen resp. umgewandelten 
Eruptivgesteinen und Sedimenten nicht festgehalten werden kann. Wenn wir 
aber z. B. in Struktur und Mineralbestand der sogenannten Sedimentgneise der 
supponierten archäischen Formation keinen Unterschied finden gegenüber von 
solchen Bildungen, welche nachweislich zu irgend einem von der Periode 
ihrer Sedimentierung selbst ganz beliebig entfernten Zeitpunkt eine innere 
Umkristallisation erfahren haben, so können wir in diesen petrographischen 
Grundzügen doch unmöglich ein Prinzip finden, aus welchem die Altersbezie- 
hungen dieser Gesteine sich ableiten lassen sollten. Es gibt also keine Möglich- 
keit, um den Satz herumzukommen, daß geologisches Alter und petro- 
graphische Beschaffenheit keine Beziehungen zueinander haben. 

Wenn eine derartige geologische Klassifikation auf rein petro- 
graphischen Grundsätzen begründet werden soll, so wird der Petrograph 
doch wohl stets im Rechte sein, wenn er verlangt, daß diejenigen petro- 
graphischen Gesichtspunkte genauer präzisiert werden, auf Grund deren 
es möglich wäre, „archäische“ kristallinische Schiefer von „Jüngeren“ 
kristallinischen Schiefern definitiv zu unterscheiden. Mir ist irgend ein Anhalts- 
punkt, welcher die petrographische Beschaffenheit der Gesteine selbst berück- 
sichtigen würde, — also nicht die Lagerungsverhältnisse oder zufällige Fossil- 
führung betrifft — bis jetzt nicht bekannt geworden, trotzdem aber wird in 
der Geologie auch heute noch ausschließlich in der petrographischen Beschaffen- 
heit das zusammenschließende Prinzip der archäischen Formation gesucht. 
Gerade als ob nicht vor schon hundert Jahren die Belemniten in den 
kristallinischen Schiefern der Schweiz aufgefunden worden wären, auf Grund 
deren diese speziellen Vorkommnisse ganz im Gegensatz zu ihrer petrographi- 
schen Beschaffenheit als verhältnismäßig junge Bildungen anerkannt werden 
mußten. 

Dieses geologische Einteilungsprinzip wird in etwas modifizierter Form 
auch von der französischen Schule aufrecht erhalten. P. Termier, der Sprecher 
der Franzosen auf dem jüngsten Geologenkongreß, sagt zwar, daß er Seite an 
Seite mit dem Autor kämpft, aber dies gilt nur insoweit, als es die Ablehnung 
des Dynamometamorphismus betrifft. Seine historische, geologische Einteilung 
der kristallinischen Schiefer der französischen Alpen steht wenigstens in aus- 
gesprochenem Gegensatz zu meinen ausgedehnten Erfahrungen, welche zwar 
in der Hauptsache die Ostalpen umfassen, sich aber auch in nicht allzu geringem 


748 


Maße auf die Westalpen und speziell die französischen Alpen erstrecken. 
Termier teilt die kristallinischen Schiefer der Westalpen in drei Teile, von 
welchen der erste, „die erste alpine Zone“, für älter als Karbon anzu- 
sehen sein würde, das „terrain primitiv“, dessen kristallinischer Habitus 
und injizierte Beschaffenheit als älter angesehen wird als die zahlreichen 
granitischen Massive des Pelvoux, des Aarmassivs, des Montblancs etc, 
die innerhalb derselben auftreten. Die schon früher vergneisten Zonen sind 
zwar nicht allenthalben am Granitkontakt vorhanden, aber auf diesen be- 
schränkt. Woher die Anhaltspunkte dafür genommen werden, daß diese 
Gesteine schon umgewandelt waren, als der Granit kam, konnte ich leider aus 
den Ausführungen von Termier, wie aus der übrigen französischen Literatur 
nicht entnehmen. 


Die zweite Zone, mit der ersten fast genau in petrographischer Be- 
ziehung übereinstimmend, soll permo-karbonisch sein, und bildet namentlich 
im Osten die mächtige kristallinische Basis der Trias, wobei in beiden die 
kristallinische Beschaffenheit von West nach Ost zunimmt. Endlich folgt die 
Zone der schistes lustres, welche jünger als obere Trias ist und viel- 
leicht bis zum Eozän reichen soll. Hier tritt insofern ein merklicher Unter- 
schied gegen die beiden älteren Zonen ein, als Kalkglimmerschiefer, manchmal 
mit fossilführenden Kalken, und Grünschiefer die Hauptrolle spielen und „por- 
phyrischer Gneis“ in den Hintergrund tritt, während Gneis und Glimmer- 
schiefer in den beiden ersten Zonen herrschend sind. Des ferneren lagern 
zwischen der zweiten und dritten Zone konkordante, nicht veränderte Kalke 
der mittleren und unteren Trias, welche aber gegen Norden zu auch kristal- 
linisch werden. 


Die maßgebenden geologischen Gesichtspunkte für diese Dreitei- 
lung kann ich leider zu wenig beurteilen, da meine Studien sich vorherrschend 
auf die Ostalpen beziehen, in denen dieselbe sicher nicht aufrecht erhalten 
werden kann. Indes glaube ich nicht allzu sehr zu irren, wenn ich behaupte, 
daß in den Östalpen sowohl als in den Westalpen der Grad der Umwandlung 
der Gesteine viel weniger mit ihrem geologischen Alter als mit ganz anderen 
Faktoren zusammenhängt. Sind doch z. B. am Groß-Venediger und in den 
Niederen Tauern Gesteine, welche im petrographischen Charakter ganz voll- 
kommen mit der dritten alpinen Zone Termiers übereinstimmen, zweifellos 
paläozoischen Alters, in letzterem Gebiete noch dazu durch prächtige Funde 
von karbonischen Pflanzen in ihrem Horizont als oberstes Karbon direkt fest- 
zustellen. Und die erste und zweite Zone der alpinen kristallinen Schiefer 


749 


lassen sich auch nach den Schilderungen von Termier petrographisch nicht 
unterscheiden. 

Wenn Termier dann erwähnt, daß im Flysch des Brianconnais schon 
Gerölle seiner dritten Zone sich finden, welche denselben Habitus wie die jetzt 
anstehenden Gesteine aufweisen und er daraus einen Beweis gegen den Dynamo- 
morphismus ableitet, so kann ich auch diesem Argument keineswegs zustimmen. 
Gibt es ja doch genug Beobachtungen, welche direkt beweisend sind, daß die 
Gebirgsbewegungen, deren schließliches Resultat die Tektonik unserer Alpen ist, 
keineswegs ausschließlich in der allerjüngsten Zeit vor sich gingen, bis zu 
welcher Termier das ganze Gebiet als ungefaltet betrachtet wissen möchte. 
Die Faltungen, welche die Alpen schon im Paläozoıkum und Mesozoikum 
betroffen haben, könnten aber ebenso gut eine Dynamometamorphose dieser 
Gesteine bewirkt haben wie die jüngeren und z. T. allerdings viel bedeutenderen 
Faltungen. Jedenfalls erscheinen so die Darlegungen von Termier nach mehr 
als einer Seite einer schärferen Definition bedürftig. 

Gegenüber von all diesen verschiedenartigen Versuchen, die kristallinischen 
Schiefer speziell in den Alpen dem Verständis näher zu rücken, habe ich schon 
vor Jahren auf Grund meiner Beobachtungen im Groß-Venedigerstocke die 
Theorie der Pi&zokristallisation aufgestellt. Es dürfte hier der geeignete 
Platz sein, die Grundlagen dieser Theorie noch einmal eingehender darzulegen, 
zumal dieselben im Laufe der Jahre von den verschiedensten Seiten eine irr- 
tümliche Deutung erfahren hat. Die Annahme, daß sich die Intrusion und 
Verfestigung der zentralalpinen Granitmassen unter orientiertem Druck während 
der Faltung des Gebirges vollzog, wurde hin und wieder als ein Zurückgreifen 
auf die längst überwundene vulkanistische Theorie der Gebirgsbildung 
aufgefaßt und diese vollkommen falsche Erklärung meiner Ansichten ist wohl 
auch in der Hauptsache der Grund, weshalb man in geologischen Kreisen sich 
dieser Theorie so ablehnend gegenüberstellt. 

Eine solche Annahme lag mir von vornherein völlig fern; nach meiner 
ursprünglichen Definition war die vulkanische Tätigkeit nicht die Ur- 
sache, sondern die direkte Folge der Gebirgsfaltung. Durch die 
Dislokationen, welche in so gewaltigem Maße besonders die Zentralzone der 
Alpen betroffen haben, wurde das Gefüge der Erdkruste erschüttert, und es 
boten sich dem vulkanischen Magma der Tiefe zahlreiche schwächere Stellen, 
welche dessen Emporsteigen ermöglichten. Daß dabei die von Gasen und 
Dämpfen erfüllten Schmelzflüsse sich aktiv an der Aufstauung der Schichten 
beteiligten, muß wohl angenommen werden, ist indes gegenüber den Kräften, 
welche der Zusammenschub der Erdrinde selbst lieferte, durchaus von sekundärer 


750 


Bedeutung. Daß die unter solchen Verhältnissen aus der Tiefe emporsteigenden 
Schmelzflüsse allenthalben echte Tiefengesteine geworden sind, kann nicht auf- 
fallend erscheinen, indem die Zusammenschiebung durch die Gebirgsfaltung 
naturgemäß in den oberflächlichsten Schichten der Erdkruste am bedeutendsten 
war und sich so gewaltige Massen emportürmten, welche nicht gerade als 
besonders günstig für das oberflächliche Hervortreten der vulkanischen Schmelz- 
flüsse angesehen werden können. 

Es dürfte nicht zweifelhaft sein, daß gewaltige Gebirgsstauungen 
gewöhnlich gewaltige vulkanische Intrusionen in ihrem Gefolge 
hatten, das.beweisen so gut wie die Zentralzone der Alpen die Pyrenäen 
oder der Himalaya und andere Kettengebirge, welche eben stets als zentrale 
Achse einen Kern von gneisartigem Granit umschließen. Ich möchte dies 
besonders hervorheben gegenüber den Ausführungen von Rothpletz, welcher 
in weiterer Verfolgung der von Stübel ausgesprochenen Ansichten dem schmelz- 
flüssigen Erdkern oder dem vulkanischen Magma physikalische Eigenschaften 
zuschreibt, welche physikalisch fast undenkbar sind. Es ist für den Physiker 
eine schwierige Vorstellung, wenn er annehmen soll, daß ein und derselbe 
Schmelzfluß bei einem und demselben kontinuierlichen Prozeß der Abküh- 
lung einen oszillierenden Wechsel von Zusammenziehung und Ausdehnung zeige. 
Wenn auch manche Substanzen bekannt sind, welche bei einer bestimmten 
Temperatur für jeden Druck ihr kleinstes Volumen erreichen — ich nenne 
als allgemein bekanntes Beispiel das Wasser —, so daß bei weiterer Abnahme 
der Temperatur wieder Zunahme des Volumens eintreten muß, so hat jede 
dieser Substanzen eben nur einen solchen Wendepunkt, von welchem aus bei 
Abnahme wie bei Zunahme der Temperatur die Volumvergrößerung eine kon- 
tinuierliche ist. 

Es liegt nun zwar kein Beweis dafür, aber auch kein Grund dagegen vor, 
auch bei einem vulkanischen Magma einen solchen kritischen Punkt anzu- 
nehmen, da wir das komplizierte Wesen solcher Schmelzflüsse viel zu wenig 
kennen, um uns überhaupt einigermaßen sichere Schlüsse auf die spezielleren 
Grundzüge ihres physikalischen Verhaltens zu gestatten. Die Annahme aber, 
daß eine größere Reihe solcher Wendepunkte vorhanden sein soll, was allein 
die oszillierende Kontraktion und Expansion bewirken könnte, steht jedenfalls 
im Gegensatz zu all unseren Erfahrungen. 

Auch in anderer Richtung kann ich mich den Ausführungen von Roth- 
pletz nicht anschließen, nämlich darin, daß unsere gegenwärtige Epoche zwar 
eine solche des Vulkanismus, nicht aber der Gebirgsbewegung sein soll. Die 
vulkanische Tätigkeit ist eine Erscheinung, welche mit ihren gewaltigen 


751 


Phänomenen so handgreiflich in die Erscheinung tritt, daß sie nicht über- 
sehen werden kann, die Gebirgsfaltung dagegen dürfte sich aller Wahrschein- 
lichkeit nach so langsam und allmählich vollziehen, daß die kurze Spanne 
Zeit, aus welcher einwandfreie Beohachtungen vorliegen, überhaupt nicht in 
Betracht kommt. 

Wenn nun auch die von Rothpletz in so umfassender Weise nach- 
gewiesene, der Gebirgsfaltung folgende, effusive Tätigkeit in der Umgebung 
der Alpen den Beweis liefert, daß hier, wenigstens zeitweilig, der Zusammen- 
schub der Erdrinde zum Abschluß gekommen war und an dessen Stelle Deh- 
nung trat, so braucht man die Ursache dafür nicht in so schwierig plausibel 
zu machenden physikalischen Eigenschaften des Magmas zu suchen, zumal die 
Erscheinungen speziell der zentralalpinen Granite sich nur dann einigermaßen 
erklären lassen, wenn man die Intrusion dieser gewaltigen Massen, gegenüber 
von welchen all die in Frage kommenden Effusivgesteine völlig verschwinden, 
eben mit der Gebirgsfaltung in Beziehungen bringt. 

Betrachten wir in diesem Zusammenhang die Erscheinungen des Zentral- 
granites, so läßt seine, wenigstens in den Randzonen stets schiefrige Ausbildung, 
die intensiven Kataklasen, die Gruppierung der Moleküle nach dem Volum- 
gesetz keinen Zweifel daran, daß diese Gesteine in irgend einem Stadium 
ihrer Existenz gewaltigen mechanischen Einwirkungen ausgesetzt waren. 
Anderseits aber sehen wir, am allerdeutlichsten am Groß-Venediger, daß 
sich die Erscheinungen der Kataklase in den Nebengesteinen der Granite nur 
noch lokal verfolgen lassen, der intensiv gefalteten Hauptmasse dieser Schiefer 
aber vollständig fehlen. Auch in den weit verbreiteten Nachschüben und 
Injektionen von aplitischer Zusammensetzung sind sie viel weniger, meist 
überhaupt nicht mehr nachzuweisen. Wenn wir nun für die Annahme der 
Einwirkung gebirgsbildender Faktoren auf die jetzt gneisartigen Zentralgranite 
in der ausgedehnten Verbreitung kataklastischer Strukturen einen so bezeich- 
nenden Beweis haben, so können wir aus dem Gegenteil, dem Mangel solcher 
Strukturen, mit ebensolchem Recht den Schluß ableiten, daß auf diese später 
kristallisierten Bildungen derartige Prozesse nicht wirksam gewesen sind. 

Wenn Rosenbusch diesen Mangel kataklastischer Strukturen in solchen, 
nach ihm dynamometamorphen Schiefergesteinen durch den von ihm aufge- 
stellten Satz zu erklären sucht, daß kein physikalischer Prozeß dasjenige 
wieder zerstört, was durch diesen selbst gebildet wurde, so fehlt diesem Satz 
jede physikalische Begründung. Aber selbst angenommen, der Satz wäre richtig, 
so fehlt immer noch die Erklärung dafür, daß im Gegensatz zum Zentral- 
granit die mit ihm genetisch übereinstimmenden Aplite, die also zweifellos 

Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. IIT. Abt. 97 


752 


nicht erst durch den Druck umkristallisiert d. h. dynamometamorph sind, doch 
in ihrer Struktur so häufig jede Einwirkung des Gebirgsdrucks vermissen lassen. 

Die Aplite des Zentralgranites spielen überhaupt in der ganzen Beweis- 
reihe der Piözokristallisation eine besondere Rolle, so daß es zweckmäßig 
erscheint, ihre petrographische Bedeutung hier eingehend festzustellen. 

Es wurde in diesen Ausführungen als a priori feststehende Tatsache 
angesehen, daß die Verbindung der Aplite mit den Graniten eine zeitlich 
außerordentlich innige sei, so daß die Prozesse der Bildung der beiden Ge- 
steinstypen sich direkt aneinander anschließen. Für den erfahrenen Petro- 
graphen braucht dies wohl auch keiner weiteren Bestätigung. Sehen wir doch 
allenthalben Granit und Aplit aufs innigste miteinander verschweißt, so daß 
häufig keine scharfe Grenze zwischen beiden Gesteinstypen festzustellen ist, 
Verhältnisse, wie sie nur denkbar sind, wenn der Kristallisationsprozeß des 
älteren Granites noch nicht völlig abgeschlossen war, als jene des jüngeren 
Aplites begann. Und wir haben ferner in der granulitischen oder mikro- 
pegmatitischen Struktur der Aplite, welche in den Vorkommnisen der Zentral- 
alpen ebenso weit verbreitet ist als anderswo, Formen vor uns, die der Petro- 
graph nur als echte Eruptivstrukturen ansehen kann. Wir kennen solche 
Strukturformen nirgends in Bildungen, bei welchen eine Entstehung aus wässriger, 
sei es juveniler oder vadoser, Lösung einigermaßen wahrscheinlich gemacht 
werden kann. 

Die mit diesen jüngeren Gängen in Zusammensetzung und Struktur so 
vollständig übereinstimmenden aplitischen Randzonen zahlreicher zentralalpiner 
Granitmassive weisen ebenso sehr auf diese nahen genetischen Beziehungen hin, 
wie sie andernteils auch wieder in der Verbindung der Aplite mit großartig 
entwickelten Pegmatiten, z. B. in den Tiroler Marmorlagern oder in den 
Vorkommnissen von Hüttenberg und anderen Orten in Kärnten, geboten 
sind. Dann tritt neben seltenen Mineralien von mancherlei Art vor allem der 
Turmalin in oft großartiger Entwicklung hervor, ein Mineral, dessen Bedeu- 
tung für die weiter unten folgenden Betrachtungen eine ganz besondere ist. 
‘Der Turmalin ist ein vulkanisches Mineral, das nur dort entsteht, wo 
im Zusammenhang mit Intrusionen saurer, in der Hauptsache granitischer 
Massen sich intensive postvulkanische Prozesse abgespielt haben, deren Mineral- 
bildner zum Teil von diesem Mineral aufgenommen worden sind. Und wie 
‘wir in allen möglichen Granitterritorien die Beobachtung machen, daß der 
Granit selbst völlig frei von diesem Mineral geblieben ist, welches dagegen in 
allen späteren Äußerungen derselben vulkanischen Tätigkeit eine mehr oder 
minder bedeutende Rolle spielt, und namentlich auch die Zonen der kontakt- 


753 


metamorphen Gesteine in ihrem weitesten Umkreis allenthalben imprägniert, 
ebenso treffen wir die Verhältnisse zwischen dem stets turmalinfreien Zentral- 
granit und seinen fast immer turmalinführenden Nachschüben und Kontaktzonen. 

All diese Erscheinungen weisen darauf hin, daß die Aplite magmatische 
Erstarrungsprodukte sind, hervorgegangen aus Schmelzflüssen, welche sich nur 
aus den Mutterlaugen des Zentralgranites selbst ableiten lassen. Wenn aber 
die ursprüngliche Forin, in welcher die Aplite in die Klüfte der Gesteine ein- 
gedrungen sind, die schmelzflüssige war, so ist nach allen Erfahrungen an 
derartigen übersauren Magmen mit ihrer verhältnismäßig geringen Kristalli- 
sationsfähigkeit die Annahme einer äußerst langsamen Abkühlung notwendig, 
um die holokristalline Entwicklung selbst der feinsten, kaum millimeterstarken 
Adern zu erklären. Wo derartige Schmelzflüsse sich in Klüfte ergossen haben, 
welche von dem Zentrum der vulkanischen Tätigkeit nachweisbar zeitlich oder 
räumlich größere Entfernungen aufweisen, da wird gesetzmäßig mit dieser 
Entfernung die kristallinische Beschaffenheit derselben geringer, die Aplite 
werden zu Quarzporphyren, diese gehen in noch ferneren Regionen in Pech- 
stein über. Dann haben wir, der Raschheit des Verfestigungsprozesses ent- 
sprechend, auch nicht mehr die zarten, schmalen Adern, in denen uns die 
Aplite so oft entgegentreten, sondern vielmehr kompakte, mächtige Gänge. 

Daß solche Aplite gebildet wurden, kann man daher nur verstehen, wenn 
man dieselben in jene Stadien der Gesteinswerdung verlegt, welche Becke in 
den S. 741 gegebenen Ausführungen für das Stadium der Kristallisations- 
schieferung der Granite annimmt, als die Kristallisation des Granites noch 
kaum oder gerade abgeschlossen war und die juvenilen Agentien des Magmas, 
vor allem aber dessen hohe Temperatur die Möglichkeit einer äußerst lang- 
samen Verfestigung der vulkanischen Nachschübe ergab. 

Diese Aplite lassen nun häufig ebenso wie zahlreiche Gesteine der „Schiefer- 
hülle“ des Zentralgranites jede Andeutung einer Kataklasstruktur vermissen. 
Die Prozesse, welche die fast nie fehlende Kataklasstruktur des Zentralgranites 
hervorbrachten, müssen also abgeschlossen gewesen sein, als die Aplite zur 
Verfestigung kamen. Wir beobachten nun ferner, wiederum am charakteristisch- 
sten am Groß-Venediger, daß die Züge der Aplitgänge in den schiefrigen 
Zonen des Zentralgranites gewöhnlich der Schieferung parallel liegen, daß 
also zur Zeit des Empordringens der Aplite diese bezeichnende Struktur schon 
vorhanden war, ja wir sehen, wie ich an einem Gerölle aus der Isar 
beschrieben habe, an dem die Schieferung quer durchsetzenden Aplit, der selbst 
jeder Kataklasse entbehrt, die deutliche Abformung der Wände der Kluft, 
welche durch den schon schiefrigen Zentralgranit durchgerissen war. Es war 

97* 


754 


also zur Zeit, als die Aplite emporgedrungen sind, auch die schiefrige Ausbildung 
des Zentralgranites in ihrer heutigen Form vollendet. 

Aber auch bei der Betrachtung des Zentralgranites für sich machen wir 
noch eine Beobachtung, welche für die Erklärung der Prozesse von nicht 
untergeordneter Bedeutung ist. Der Kern der Massen ist nämlich in zahl- 
reichen Fällen ganz abweichend von den Randzonen ausgebildet. Wenn man 
auch die kataklastische Beschaffenheit im inneren Kern kaum jemals vermißt 
und ebenso fast allenthalben die anomale mineralische Zusammensetzung beob- 
achtet, welche der Wirkung des Volumgesetzes zugeschrieben wird, so sieht 
man doch in einer ausgedehnten Reihe von Profilen, deren typischstes vielleicht 
jenes des St. Gotthards ist, daß die ausgesprochene Schieferstruktur der 
Randzone mehr und mehr einer richtungslosen Beschaffenheit Platz macht. 
Die dünnschiefrigen Gneise und die völlig richtungslosen Granite 
gehen vom Rande zum Kern des Massıvs ganz unmerklich inein- 
ander über. 

Ziehen wir die Schlußfolgerungen aus diesen Beobachtungen, so weist die 
erste Reihe zweifellos darauf hin, daß die Kräfte, welche die kataklastische 
Beschaffenheit des Granites hervorbrachten, nicht mehr in Aktion waren zu 
jener Zeit, als die Nebengesteine des Granites ihre kristallinische Beschaffenheit 
annahmen. Wenn es also dieselben Kräfte gewesen sein sollen, welche 
die „Kristallisationsschieferung“ des Granites bewirkten und ebenso auch die 
Umkristallisation seiner Nebengesteine hervorbrachten, so müßte man annehmen, 
daß in dem ersteren gleichzeitig mit der Schieferung eine intensive Zermalmung 
der Gemengteile eintrat, in den oft noch viel spröderen Schiefern, z. B. den 
quarzreichen Glimmerschiefern, aber keine Spur einer mechanischen Einwirkung 
zu sehen ist. Es müssen aber anderseits diese doch wohl unendlich langsamen 
Prozesse der Kristallisationsschieferung nach dem Riecke’schen Prinzip 
völlig abgeschlossen gewesen sein, als die massenhaften Aplitgänge sich in 
die Kontraktionsspalten des Granites eindrängten, welche ihre rein kristallinische 
Beschaffenheit in den schmalen und winzigen Adern nur in jenen Perioden 
annehmen konnten, in welchen eine ausreichende Durchwärmung des Neben- 
gesteins eine langsame Abkühlung der schmelzflüssigen Materialien gestattete. 
Sonst werden, wie unsere Erfahrungen in anderen Gebieten lehren, solche 
übersaure Schmelzflüsse in allen Fällen zu mehr oder minder reinem Glas, da 
ihre Kristallisation offenbar erst im Stadium sehr starker Unterkühlung beginnt. 

Es folgt daraus, daß der Prozeß der Erstarrung aus dem Schmelz- 
fluß und jener der Kristallisationsschieferung, wenn es sich überhaupt 
um zwei Prozesse handeln kann, einander zeitlich so naheliegen müssen, daß 


755 


der letztere sich zwischen die Phase der magmatischen Erstarrung und jene 
der postvulkanischen Tätigkeit einschiebt, welche der Intrusion direkt nach- 
folgend zeitlich mit dieser in direkter Verbindung steht. Der Prozeß einer 
solchen durchgreifenden molekularen Umlagerung des Gesteins, wie er nach 
Ansicht der Dynamometamorphiker sich abgespielt haben soll, und der auch 
unter der Zuhilfenahme der juvenilen Agentien der Intrusion selbst doch nur 
unendlich langsam vor sich gehen konnte, müßte also in einem kurzen 
Augenblick der geologischen Zeitrechnung zur Vollendung gelangt sein. 

Aber auch diese Annahme läßt sich nicht. aufrechterhalten, wenn man 
die richtungslose Struktur im Kern der Zentralgranitmassen bedenkt. Die 
kataklastische Struktur dieser Gesteine wie ihr Mineralbestand weisen auf die 
Wirkung gewaltiger Spannung hin, aber es fehlt ihnen gerade das Kennzeichen, 
das die nach dem Riecke’schen Prinzip umkristallisierten Bildungen in 
erster Linie aufweisen müssen, nämlich die Schieferung, welche ja in erster 
Linie die Ursache war, daß die Untersuchungen von Riecke auf das Problem 
der kristallinischen Schiefer überhaupt angewandt wurden. Wenn die Ver- 
hältnisse, wie sie Becke annimmt, vorhanden gewesen wären, d.h. ein wenn 
auch eben erst verfestigter granititischer Kern innerhalb der sich zusammen- 
faltenden Schieferhülle, so ist absolut kein Grund dafür einzusehen, daß im 
inneren Kern dieser Massen, welche doch wohl gleichmäßig kompakt waren, 
andere physikalische Gesetze hätten wirksam sein sollen als in den ebenso 
beschaffenen Randzonen. 

Daß hier wie dort gleichmäßig gewaltige Spannungen vorhanden waren, 
das beweist sowohl die kataklastische Struktur der ganzen Massive als die 
massenhafte Entwicklung besonders von mikrolithischen Mineralien, welche, 
durch hohes spezifisches Gewicht oder durch Gehalt an Hydroxyl ausgezeichnet, 
jedenfalls eine sehr gedrängte Molekulargruppierung aufweisen. 

Aber die Parallelstruktur der Gesteine in den Randzonen, die 
richtungslose im inneren Kern läßt darauf schließen, daß der orien- 
tierte Druck, welcher in den äußeren Zonen die parallele Anordnung der 
Mineralien bedingte, im Innern der Masse keine Orientierung mehr aufwies, 
oder daß an Stelle der Pressung in den Randzonen, welche in bestimmter 
Richtung wirkte, im Innern eine völlig richtungslose, allgemeine Spannung 
trat, welche zwar noch auf die Gruppierung der Moleküle zu Mineralien, nicht 
mehr aber auf die Anordnung dieser Kristallisationen einwirkte. 

In einem festen Körper pflanzt sich bei genügender Belastung und 
genügender Dauer, welche Faktoren doch wohl angenommen werden müssen, 
der orientierte Druck oder die Pressung gleichmäßig durch die ganze 


756 


Masse fort. Es müßte also das ganze granitische Zentralmassiv, soweit die 
Voraussetzungen des Dynamometamorphismus in der mineralischen Zusammen- 
setzung erkennbar sind, auch gleichzeitig eine schiefrige Beschaffenheit ange- 
nommen haben, wenn diese in den Randzonen durch dieses Agens bewirkt 
werden konnte. Im Gegensatz dazu stehen die Verhältnisse in einer Flüssig- 
keit, wie sie ein im Verfestigen begriffenes Eruptivmagma darstellt. Hier 
wirkt ganz in Übereinstimmung mit den natürlichen Erscheinungen der zentral- 
alpinen Massen der orientierte Seitendruck nur auf die äußersten Zonen ein, 
um so tiefer, je weniger flüssig, je viskoser das betreffende Magma war und 
nur in diesen Zonen ist er imstande, orientierend auf die sich ausscheidenden 
Bestandteile zu wirken und somit Schieferstruktur hervorzubringen. 

Gegen den Kern der Massen muß sich diese Erscheinung daher mehr 
und mehr verlieren, aber die allgemeine richtungslose Spannung und die durch 
die Gebirgsbewegung hervorgebrachte Verschiebung des sich im Innern des 
Schmelzflusses bildenden festen Mineralgerippes bedingt eine möglichst enge 
Gruppierung der Moleküle und eine, wenn auch immerhin beschränkte Ver- 
schiebung der einzelnen Teile des ausgeschiedenen Gerippes gegeneinander, 
deren Resultat die charakteristische Erscheinung der Kataklase oder nach dieser 
Art der Auffassung wohl besser Protoklase ist. 

Der Schluß all dieser Betrachtungen ist, daß die Annahme eines do 
Werdeprozesses der zentralalpinen Granite nicht nur keine Begründung 
in den tatsächlichen Verhältnissen findet, sondern daß auch die komplizierteste 
Verklausulierung des gegenseitigen Verhältnisses der beiden Vorgänge in 
direktem Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen steht, deren 
Gesamtheit nur dadurch zu deuten ist, daß man Gebirgsbildung und vulka- 
nische Intrusion als Ursache und Folge zusammen betrachtet. Die zentral- 
alpinen Granite sind unter wesentlicher Mitwirkung geodynami- 
scher Phänomene zu geologischer Gestaltung gelangt, ihre anomale 
Beschaffenheit ist aber nicht ein Ergebnis späterer molekularer Umlagerung 
durch irgend eine Form des Dynamometamorphismus, sondern vielmehr 
durch die anomalen Verhältnisse ihrer Verfestigung unter hohem Druck bedingt, 
also durch Piözokristallisation. 

Die Grundlage der ganzen bisherigen Auseinändersetzungen über die Ver- 
hältnisse der „kristallinischen Schiefer“ der Zentralalpen bildet die Voraus- 
setzung, daß der Zentralgranit eine echte Eruptivmasse darstellt, welche in 
schmelzflüssigem Zustand zwischen die Schichten eingedrungen ist, innerhalb 
deren wir sie heute finden. Es ist bezeichnend, daß diese Überzeugung erst 
seit recht kurzer Zeit in weitere Kreise gedrungen ist und es erscheint daher 


757 


angemessen, die Beobachtungen näher zu präzisieren, welche die intrusive 
Beschaffenheit des zentralgranitischen Kerns beweisen. Wird ja die ältere geo- 
logische Theorie über den Aufbau der Zentralalpen aus den drei Formationen 
der Gneise, Glimmerschiefer und Phyllite auch heute noch in ver- 
breiteten Lehrbüchern der Geologie!) aufrecht erhalten und man findet in 
diesen überhaupt nur Andeutungen?) darüber, daß hier vielleicht auch Eruptiv- 
gesteine mit in Betracht kommen. 


Es durchsetzt eben die Theorie von der archäischen Formationsgruppe 
in den Zentralalpen noch unsere ganzen Begriffe, zumal die Zentralzone der 
Alpen mit ihren interessanten Lagerungsverhältnissen so lange die Schulbeispiele 
für eine ganze Reihe typischer Lagerungsformen der kristallinischen Schiefer 
hergeben mußten, wie sie z. B. die Fächerstruktur u. dergl. darstellen. Man 
nahm die ganzen Komplexe als normale archäische Formationen in normaler 
Reihenfolge und es war erst notwendig, daß in verschiedenen dieser Vor- 
kommnisse deutlich erhaltene Fossilreste gefunden wurden, um zur Aufgabe 
dieser Hypothese wenigstens für einzelne der fossilführenden Glieder gezwungen 
zu sein. Nun konstruierte man, um die unbequemen Gäste aus dem scheinbar 
so schön gefügten System zu entfernen, die großartigsten Einfaltungen, wobei 
die zufällig fossilführenden und deshalb als jünger anerkannten Lagen 
in die zufällig fossilfreien, deren präkambrisches Alter immer noch nicht 
zweifelhaft erschien, hineingewalzt erschienen. Die übereinstimmende petro- 
graphische Beschaffenheit der beiden Teile wurde, wie bei den Untersuchungen 
von Vatek in den Niederen Tauern, überhaupt nicht berücksichtigt oder es 
wurden künstlich subtile Unterscheidungen gesucht wie in den Schweizer 
Vorkommnissen, wo die jurassischen Zoisitknotenschiefer, in denen Belemniten 
gefunden worden waren, den mit ihnen wechsellagernden „archäischen“ Granat- 
knotenschiefern gegenübergestellt wurden. 


Daß solche Leitmotive bei einer eingehenden petrographischen Unter- 
suchung nicht standhalten konnten, liegt auf der Hand und der größere Teil 
der Geologen kam auch bald zu der Überzeugung, daß es sich hier um unhalt- 
bare, künstliche Konstruktionen handelt, welche deshalb fallen gelassen werden 
mußten. Aber die Erkenntnis, daß die Schieferhülle des Zentralgranites mit 
ihrer in den verschiedenen Teilen der Alpen so stark wechselnden petrographi- 
schen Beschaffenheit verschiedenen, meist jüngeren geologischen Formationen 
angehört, welche ursprünglich zweifellos zum großen Teil normale Sediment- 


1) F. Toula, Lehrbuch der Geologie, 1900, 196. 
2) H. Credner, Elemente der Geologie. 9. Aufl. 1902, 374. 


758 


gesteine gewesen waren, forderte nun eine Erklärung für ihre jetzige kristal- 
linische Beschaffenheit. 

Dabei blieb an dem „Gneis“ der Begriff des hohen Alters haften und 
die ganzen Lagerungsverhältnisse der beiden so verschiedenaltrigen Bildungen 
konnte wiederum nur in gewaltigen Dislokationen, Verschiebungen und Fal- 
tungen gesucht werden, welche gleichzeitig als Agens für die Metamorphose 
der Gesteine angesehen werden mußten, da bei dieser Art der Auffassung eine 
andere Möglichkeit der Erklärung überhaupt abgeschnitten war. Für die 
Frage nach der Ursache der Umwandlung der Schieferhülle in den Zentral- 
alpen war dann selbst die mehr und mehr sich Eingang verschaffende Über- 
zeugung ohne Belang, daß der „Zentralgneis“ der älteren Geologen in 
allen Beziehungen ein vollkommen echter Granit ist, da man eben immer 
noch in der Hypothese befangen war, daß dieser Granit uralt und lange vor 
der Bildung der ihn umhüllenden Sedimente entstanden war. 

Auf dieser Grundlage entwickelte sich die Theorie der Dynamometa- 
morphose, welche, wie schon oben bemerkt, heute das ganze Feld beherrscht 
und auch von denjenigen noch festgehalten wird, welche durch ausgedehnte 
Beobachtungen die Lehre von dem besonders hohen Alter des Zentralgranites 
als irrig erkannt haben. 

Zweifellos ist, daß die Hauptmasse der Schieferhülle als metamorphe 
Schiefer angesehen werden muß, als Gesteine, welche ursprünglich normale 
Eruptivgesteine oder Sedimente gewesen sind und die ihren jetzigen Charakter 
durch intensive Prozesse der Umwandlung erhalten haben, wie wir sie in gleicher 
Ausdehnung sonst kaum irgendwo beobachten. Es handelt sich nun darum, 
die Berechtigung der Theorie der Dynamometamorphose für die Umwand- 
lung dieser Gesteine eingehender zu prüfen. Schon vorher wurde betont, daß 
überhaupt keine andere Erklärung der normalen Beschaffenheit der Gesteine 
der Schieferhülle möglich ist, wenn nicht der Zentralgranit sich als normales 
Intrusivgestein feststellen läßt, und es ist also unsere erste Aufgabe, die Er- 
scheinungsform des Zentralgranites genauer zu diskutieren, um daraus Anhalts- 
punkte für die Auffassung seiner Schieferhülle zu gewinnen. 

Das Verhältnis des Zentralgranites zu seinem Nebengestein ist nicht überall 
mit gleicher Deutlichkeit zu verfolgen. Manchmal liegen die einheitlichen 
Massen der gneisartigen Granite so völlig als abgeschlossene, konkordante 
Einlagerungen in den Schiefern, daß man selbst bei genauer Betrachtung 
aller Verhältnisse kaum ein Anzeichen ihrer mit der Umgebung nicht äqui- 
valenten Bildungsweise finden kann. Besonders, wo es recht vollkommen 
schiefrige Gesteine, Glimmerschiefer oder phyllitartige Bildungen sind, welche 


1759 


den Zentralgranit umhüllen, oder wo recht massige und kompakte Gesteine wie 
die Eklogite an denselben herantreten, ist es meist recht schwierig, irgend 
ein Anzeichen dafür zu entdecken, daß der Granit ein echtes Intrusivgestein 
ist. Die Anhaltspunkte für diese Annahme müssen zunächst in zwei Erschei- 
nungen gesucht werden, erstens in der Modifikation der mineralischen 
Zusammensetzung der Granite selbst gegen ihre Kontaktzonen zu, wie sie 
in einer in den Zentralalpen ganz besonders häufig entwickelten, oft recht 
breiten Randzone von aplitischer Beschaffenheit hervortritt, welche oft in 
großer Gleichmäßigkeit die ganzen Granitmassive rings umsäumt. Ein zweiter 
und zweifellos viel deutlicher in die Augen tretender Beweis ist in den Apo- 
physen zu finden, welche das Intrusivgestein in seine Umgebung ausstrahlt. 
Aber in zahlreichen Gebieten der Zentralalpen ist die Deutung dieser Bildungen 
als echte Apophysen erschwert teils durch die Form der betreffenden Vor- 
kommnisse, welche sich in schiefrigen Gesteinen fast ausschließlich den Schie- 
ferungsflächen parallel legen, teils durch die mineralische Zusammen- 
setzung, welche gewöhnlich von jener des Granites selbst abweichend ist. 

Der in den Zentralalpen arbeitende Geologe verlangt häufig von den 
Apophysen des Zentralgranites, welche seine Anerkennung finden sollen, daß 
sie in ihrem Habitus und ihrer Zusammensetzung völlig mit dem Zentralgranit 
übereinstimmen. Das ist eine Forderung, wie sie ein erfahrener Petrograph 
wohl kaum aufstellen würde, da man überall, wo Granitmassive Abzweigungen 
in das Nebengestein ausgesandt haben, unter diesen solche am seltensten trifft, 
welche die genaue Zusammensetzung des Massivgranites selbst haben. 

Zweifellos sehr viel weiter verbreitet unter den Apophysen normaler 
Granite, deren direkter Zusammenhang mit dem Granitmassiv z. B. am Hörte- 
kollen in Norwegen oder bei Gefrees im Fichtelgebirge handgreiflich ist, 
tritt eine Modifikation ein, welche diese Ganggesteine den Apliten nähert, 
oder es sind, wie dies namentlich in den sogenannten Injektionszonen das 
Gewöhnliche ist, echte Aplite, welche als leichtest bewegliche Bestand- 
teile des granitischen Magmas von diesem abgespalten in das Nebengestein 
ausstrahlen. 

Es kann nun keineswegs auffallen, daß die Zentralgranite mit ihrer ın 
normalem Zustand aplitischen Randzone auch vorherrschend Apophysen von 
aplitischer Zusammensetzung in das Nebengestein entsenden, und daß es geradezu 
eine Seltenheit ist, in den Zentralalpen einen granitischen Gang von normaler 
Zusammensetzung zu finden. Solche sind mir nur in dem von mir am 
eingehendsten studierten Gebiete, dem Groß-Venedigerstock, bekannt 
geworden, wo besonders in der sogenannten Gneis-Glimmerschieferzone, 

Abh.d. II.Kl.d.K. Ak.d. Wiss. XXI. Bd. III. Abt. 98 


760 


namentlich am Hohen Aderl, schmale, oft nur handbreite Gänge von normal- 
granitischer Zusammensetzung die Schiefer quer durchsetzen und eine deutliche, 
der Schichtung des Nebengesteins parallele Schieferung aufweisen, sowie ebenso 
häufig wieder beiderseits ein aplitisches Salband haben. 

Für den in der Petrographie wenig bewanderten Geologen mag die Vor- 
stellung wohl mit Schwierigkeiten verknüpft sein, daß die so weit verbreiteten 
aplitischen Abzweigungen trotz ihres recht abweichenden Aussehens die Apo- 
physen des Zentralgranites darstellen, zumal sich dieselben in einer Anzahl von 
Vorkommnissen fast ausschließlich parallel zu den Schichtflächen des Neben- 
gesteins eingelagert haben und ihren eruptiven Charakter nur dort deutlicher 
zu erkennen geben, wo sie in weniger schiefrige Gesteine, z. B. die Amphibolite 
oder die körnigen Kalke, hinübersetzen. Und dann tritt durch Aufnahme von 
Bestandteilen des Nebengesteins, welche zur Entstehung von Granat, Klino- 
zoisit etc. Anlaß geben, oft eine recht weitgehende Modifikation ein, welche 
die Erkennung noch mehr erschwert, oder die Aplite werden zu öfter recht 
mineralreichen, turmalinführenden Pegmatiten. Auf diese Schwierig- 
keiten, welche die petrographische Beschaffenheit der Apophysen des Zentral- 
granites und ihre Lagerungsform aufweist, ist es wohl zurückzuführen, daß 
selbst die erfahrensten Geologen, die große Teile der Zentralkette gesehen 
haben, das Vorhandensein von Apophysen des Granites direkt verneinen. 

Man braucht aber keineswegs die wirklich klassischen Punkte aufzusuchen, 
an welchen die Durchaderung des Nebengesteins durch den Granit selbst dem 
Laien auffällt, wie z. B. im obersten Hollersbachtal in Salzburg oder in 
den Marmorbrüchen bei Hüttenberg und im Fraßtal bei St. Gertraud in 
Kärnten, um sich von dem tatsächlichen Zusammenhang dieser Gangbildungen 
mit dem Zentralgranit zu überzeugen. Eine einigermaßen eingehende Unter- 
suchung fast eines jeden Teiles der Zentralalpen liefert bald mehr bald weniger 
charakteristische Beispiele derartiger „Gneis“-Einlagerungen in der Schiefer- 
hülle, welche, in ihrem äußeren Habitus äußerst wechselnd, von dem völlig 
dichten „Mikroturmalingneis“ dersteierischenGraphitlagerstätten 
bis zu den grobkörnigen Pegmatiten der Saualpe durch ungemein konstante 
mineralische Zusammensetzung sich auszeichnen. 

Diese aplitisch-pegmatitischen Abzweigungen des Zentralgranites 
gehören zu den allerbezeichnendsten Vorkommnissen der Schieferzone der Zentral- 
alpen überhaupt, und ich habe ihre Bedeutung für die Auffassung der Schiefer- 
hülle schon wiederholt und besonders in dem Schlußheft meiner Beschreibung 
des Groß-Venedigers eingehend dargelegt. Diese allverbreiteten Gänge sind 
jedenfalls ein unleugbarer Beweis dafür, daß der Zentralgranit jünger ist 


761 


als seine Schieferhülle und dieser gegenüber den Charakter eines echten 
Intrusivgesteins besitzt. 


Einen weiteren, wie mir scheint, ebenso sicheren, wenn auch weniger für 
den mikroskopisch nicht geschulten Forscher in die Augen springenden Beweis 
liefert die fast allgemeine Iımnprägnation der kristallinischen Schieferhülle der 
Zentralalpen mit Turmalin. Nur selten allerdings tritt dieses Mineral in 
den erwähnten Gesteinen schon bei makroskopischer Betrachtung hervor, 
wenn man nur die Gesteine selbst, nicht auch die meist linsenförmigen Ein- 
lagerungen von späterer Entstehung im Auge hät, so z.B. in den muskovit- 
reichen Glimmerschiefern oder in den Graphitschiefern des Groß-Venediger- 
stockes. Aber ebensowenig wird man die mikroskopischen Individuen des 
Minerals vermissen, wenn man irgend eine Serie von Gesteinen der Schiefer- 
hülle der Zentralalpen einigermaßen eingehend durchforscht. 


Man glaubt ja wohl gegen diese Beobachtungen einwenden zu können, 
daß auch ganz normale Tonschiefer, welche äußerlich keine Spur einer 
Metamorphose erkennen lassen, gelegentlich etwas Turmalin enthalten, und 
zwar ähnlich wie die Gesteine der Schieferhülle der Zentralalpen in kleinen, 
aber wohlausgebildeten Nadeln, welche durchaus den Charakter authigener 
Bildungen an sich tragen, also nicht aus präexistierenden Gesteinen herstammen, 
und auch, was besonders bezeichnend ist, häufig genug mit ihrer Längserstrek- 
kung gar nicht in der Strukturebene des Sedimentes liegen, was wohl in 
besonderem Maße als Beweis gegen ihre allothigene Entstehung anzusehen ist. 


Ich selbst kenne den Turmalin in weiter Verbreitung und in der geschilderten 
Ausbildung in Tonschiefern, aber alle derartigen Vorkommnisse stammen aus 
Gebieten, wo entweder die betreffenden Schiefer selbst schon einen phyllit- 
ähnlichen Charakter angenommen haben wie in der sogenannten Phyllitstufe 
der Tauern, oder mit untergeordneten Einlagerungen abwechseln, welche 
deutlich den Anfang einer kristallinischen Umbildung erkennen lassen, wie 
es z. B. für die kambrischen Schiefer der Ardennen oder gewisse Vor- 
kommnisse des Fichtelgebirges zutrifft. Gleichzeitig mit dem Auftreten 
des Turmalins sieht man dann allenthalben, daß die Tonschiefernädelchen deut- 
licher entwickelt sind, daß serizitartige Mineralien viel besser kristallinisch 
hervortreten als im gewöhnlichen Tonschiefer und daß endlich die feinen, 
scharfen Quarzsplitterchen normaler Tonschiefer einem mehr körnigen Quarz- 
mosaik Platz gemacht haben, welches diese Schiefer durchzieht. Und mit 
solchen, äußerlich oft ganz unveränderten Tonschiefern wechsellagern dann 
fast stets Knotenschiefer oder andere Bildungen von deutlicher kristallinischer 

98* 


762 


Beschaffenheit wie die Ottrelithschiefer der Ardennen oder körnige 
Kalke im Fichtelgebirge. 

Man mag ja vielleicht einwenden, daß die Agentien, welche bei der 
Umwandlung durch Dynamometamorphose vorausgesetzt werden, die spezielle 
Fähigkeit haben, neukristallisierend in erster Linie auf den Turmalin zu 
wirken, welcher dann als ursprünglicher Bestandteil des Sedimentes anzusehen 
wäre und unter der Wirkung der Agentien nur seine Form verändert hätte, 
noch bevor die anderen Bestandteile deutlich reagierten. Ganz abgesehen von 
der äußersten Unwahrscheinlichkeit eines solchen Prozesses, ist zu betonen, daß 
der Turmalin als klastischer Bestandteil von Tonschiefern entweder über- 
haupt nicht oder doch höchstens als äußerste Seltenheit nachgewiesen ist und 
daß außerdem auch solche Gesteine, welche primär sicher turmalinfrei sind 
wie die Diabase, in dem Verband der Schieferhülle umgewandelt lokal recht 
reichlich Turmalin führen, der hier überhaupt gar keinem Gestein fehlt. Wenn 
auch nicht gerade jeder Schliff das Mineral deutlich erkennen läßt, so kann 
man ebenso sicher auch nie eine Serie aus irgend einem Gebiete der Schiefer- 
hülle gründlich durcharbeiten, ohne fortgesetzt auf dieses, oft in winzigen Mikro- 
lithen auftretende Mineral aufmerksam zu werden. 

Es ist dabei gleichgültig, ob das betreffende Gestein direkt am Kontakt 
oder in weiter Entfernung davon gesammelt wurde. Ja, wie mir scheint, geht 
in den Kontaktzonen nicht nur der Zentralgranite, sondern der Granite im 
allgemeinen die Imprägnation mit Turmalin weiter als jede sonst sichtbare 
Veränderung, so daß die nachweisbare Einwirkung der kontaktmetamorpho- 
sierenden Agentien erst dort aufhören würde, wo der Turmalin nicht mehr 
aufzufinden ist. Jedenfalls ist unter allen Bestandteilen der Gesteine der 
Schieferhülle der Turmalin der konstanteste, wenn er auch meist in sehr 
geringen Mengen auftritt, und die Schwierigkeit, die Allverbreitung dieses 
Minerals zu erklären, scheint mir eine bemerkenswerte Schwäche der Theorie 
des Dynamometamorphismus zu sein. 

Der Turmalin wird so, im Zusammenhang mit den oft außerordentlich 
turmalinreichen Apliten und Pegmatiten betrachtet, trotz seiner untergeordneten 
Menge zu einem wichtigen Bestandteil der Gesteine, dessen Entstehung mit 
der Umbildung derselben zum kristallinischen Schiefer zusammenfällt und der 
daher auch seine Ursache in den metamorphischen Prozessen haben muß, 
welchen diese Gesteine ihre heutige Beschaffenheit verdanken. Jede Theorie, 
welche das aliverbreitete Auftreten dieses Minerals in den allerverschieden- 
artigsten Schiefern nicht erklären kann, kann auch unmöglich den Anspruch 
erheben, die richtige Deutung der in Betracht kommenden Prozesse zu liefern. 


763 


Es mag hier noch darauf hingewiesen werden, daß in gewissen Glimmer- 
schiefern, z. B. der Münchberger Gneisplatte oder des Tian-Schan, sich 
ein chlorhaltiger Skapolith zu dem Turmalin gesellt oder auch ganz an 
seine Stelle tritt, ein Mineral, das allerdings wegen seiner weniger prägnanten 
optischen Eigenschaften nur dort in die Augen fällt, wo es in nicht allzu 
kleinen Individuen vorhanden ist, und das außerdem umwandelnden Prozessen 
viel leichter erliegt als der so beständige Turmalin. 

Es wird in erster Linie gegenüber von meinen früheren „einseitigen und 
durch nichts bewiesenen“ Ausführungen über die Analogie der Kontaktgesteine 
mit diesen kristallinischen Schiefern darauf hingewiesen, daß erstere verhältnis- 
mäßig lokalisierte Vorkommnisse darstellen, während letztere eine eigentlich 
regionale Ausdehnung besitzen, daß man bei ersteren stets die Gegenwart eines 
umwandelnden, meist granitischen Eruptivgesteins in nächster Nähe beobachtet, 
während die letzteren auch ohne eine solche Nachbarschaft auftreten. Gegen 
den zuerst genannten Einwand, der sich zunächst auf die Beobachtungen in 
den Zentralalpen stützt, findet man, wie schon oben ausgeführt, in allen Ge- 
bieten bei einigermaßen sorgfältiger Beobachtung reichliches Material zur 
Widerlegung. 

Es muß allerdings zugegeben werden und auch darauf habe ich schon 
öfter aufmerksam gemacht, daß in den Zentralalpen die Zonen der Umwand- 
lung ausgedehnter zu sein scheinen als in sonstigen Gebieten, und daß ver- 
hältnismäßig bedeutende Komplexe von kristallinischen Schiefern vorhanden 
sind, ohne daß der Zentralgranit selbst in kompaktem Massiv aufgeschlossen 
wäre. Becke verweist in diesem Zusammenhang speziell auf die Verhältnisse 
im Grenzrücken zwischen dem Passeier- und Ridnauntal in Tirol, wo 
gewaltige Massen hochkristallinischer, granatführender Glimmerschiefer, Ampbhi- 
bolite und grobkörniger Kalke in weitester Entfernung von einem granitischen 
Massiv anstehen. 

Die Widerlegung dieser Annahme kann ich hier kurz fassen, sie wurde 
an anderer Stelle schon ausführlich gegeben. Erstens trifft man in diesen 
Glimmerschiefern zahlreiche, zum Teil mächtige Einlagerungen, die ihrer ganzen 
Beschaffenheit nach nur Abzweigungen des Zentralgranites sein können, lager- 
artige Masse von der Zusammensetzung der Granite und Aplite, die auf die 
nicht allzu bedeutende Entfernung des Zentralgranitmassivs hinweisen. Ja man 
sieht dieses selbst am Fuße des Schneebergs durch die neue Straße durchaus 
nicht in weitester Entfernung, sondern in nächster Nähe aufgeschlossen. Mag 
nun die Zone der umgewandelten Gesteine in den Zentralalpen für noch so 
gewaltig angesehen werden, so ist meines Erachtens das in den hochkristalli- 


764 


nischen Bildungen wenigstens stets zu beobachtende Auftreten der wenn auch 
stark modifizierten Apophysen des Granites sowie die Imprägnation der Gesteine 
mit Turmalin ein direkter Beweis dafür, daß die Wirkungen des Vulkanismus 
hier bedeutend genug gewesen sein müssen, um auch die Umwandlung der 
Gesteine zu kristallinischen Schiefern zu erklären. Dazu kommt, daß nicht 
etwa mit dem Maße der Zusammenfaltung der kristallinische Habitus der 
Gesteine zunimmt, sondern vielmehr mit der Annäherung an das granitische 
Zentralmassiv. 

Bei der kritischen Würdigung derartiger Beobachtungen sollte allerdings 
ein gewisses Maß von Erfahrung über den Prozeß der Kontaktmetamorphose 
überhaupt vorausgesetzt werden. Wer wie W. Hammer an eine kontaktmeta- 
morphe Umbildung von Kalksteinen nur dann glaubt, wenn er im Zusammen- 
hang mit solchen eigentlichen Granatfels etc. beobachtet, und die einfache 
Umkristallisation, die sogenannte Marmorisierung in Gegensatz dazu bringt, 
erscheint den hier zu stellenden Anforderungen nicht gewachsen. Die Kontakt- 
metamorphose bedingt in ihrer normalen Form in erster Linie eine einfache, 
molekulare Umlagerung der Gesteine: Sedimente werden zu kristallinischen 
Gesteinen, deren chemische Zusammensetzung mit jener des ursprünglichen 
Sedimentes auf das vollkommenste übereinstimmt. Für die Entstehung der 
Andalusithornfelse, der Knotenschiefer etc. ist dies wohl auch auf seiten der 
Geologen allgemein anerkannt, nur für den Kalkstein wird in der geologischen 
Literatur ein besonderes Verhalten angenommen. Die Beobachtung, daß öfter 
in kontaktmetamorphen Kalken Granat, Vesuvian etc. auftreten, hat die eigen- 
tümliche Anschauung bewirkt, als ob aus jedem Kalk bei der Kontaktmeta- 
morphose sich diese Mineralien, womöglich in reicher Fülle, entwickeln müßten. 
Hammer findet nun auch tatsächlich lokal direkt an der Grenze zwischen 
dem pegmatitischen „Martellgranit“ und dem Südtiroler Marmor die Entwick- 
lung von Granatfels und hält diese untergeordneten Vorkommnisse von Silikat- 
felsen für einen Beweis, daß dort die Kontaktmetamorphose nur in sehr 
engem Maße gewirkt hat gegenüber der allgemeinen, dynamometamorphen 
Marmorisierung. 

Es bedarf nicht recht weitgehender Erfahrung, um zu erkennen, um was 
es sich hier handelt, und schon eine aufmerksame Beobachtung der Verhältnisse 
im Monzonigebirge, die doch wohl auch Hammer für den reinen Typus der 
Kontaktmetamorphose halten dürfte, hätte ihn ausgedehnte Lager von recht 
reinem Marmor kennen gelehrt, welche manchmal ganz wie die von Hammer 
erwähnten Bildungen durch ein schmales Band von Kalksilikatfels vom Eruptiv- 
gestein geschieden sind. Bei ‘der Betrachtung dieser Erscheinungen, welche 


765 


übrigens überall bald mehr bald weniger deutlich hervortreten, wo reine Kalke 
in Kontakt mit Eruptivgesteinen gekommen sind, kann man doch wohl nur 
in der Marmorisierung die normale Erscheinung der Kontaktmetamorphose 
sehen, während die Kalksilikatfelse vielmehr anomale, sehr häufig auf die aller- 
nächsten Berührungsstellen der beiden Gesteine beschränkte Bildungen sind, 
deren chemische Zusammensetzung im Gegensatz zu den normalen Produkten 
der Kontaktmetamorphose von der ursprünglichen Zusammensetzung des Kalk- 
steins weit abweicht und welche ihren Gehalt an Kieselsäure, Tonerde etc. 
mindestens zum größten Teil den Agentien des Eruptivgesteins verdanken. Es 
sind die sogenannten Zwischenbildungen, in welchen sich die Bestandteile 
des Eruptivgesteins mit jenen des Sedimentes mischen, die wohl auch als 
eigentliche Gänge oder als Putzen wie bei Auerbach an der Bergstraße in 
sonst reinem körnigem Kalkstein weit verbreitet sind und die lokal, und dann 
stets im Zusammenhang mit Erzmassen eine nicht unbedeutende Entwicklung 
erhalten haben. 

Die ganze Erscheinung weist allerdings insofern eine gewisse Schwierigkeit 
auf, als im Monzonigebirge sowohl als an anderen Punkten einzelne Schichten 
Mineralien derselben Gruppen enthalten, wie sie diese Massen von Kalksilikat- 
felsen zeigen, und daß derartige Kalziphyre schließlich auch in eigentliche 
Kalksilikatfelse übergehen, wie ich sie z. B. aus den Kontaktzonen der 
zentralalpinen Serpentine beschrieben habe. Aber charakteristische Unterschiede 
beider Arten von Vorkommnissen lassen sich äußerlich wie innerlich feststellen. 

Die aus ursprünglich stark verunreinigten, tonige und kieselige Bestand- 
teile enthaltenden Kalken hervorgegangenen Kalksilikatfelse zeigen im allge- 
meinen deutlich die Form schichtiger Einlagerungen, welche von dem zufälligen 
Verlauf der Grenze gegen das Eruptivgestein völlig unabhängig sind, sie zeigen 
meist selbst im kleinen eine ausgesprochene Bänderung, welche der ursprüng- 
lichen Schichtung entspricht, und haben in ihrem häufig recht vielgemischten 
Mineralaggregate die chemische Zusammensetzung echter Sedimente, etwa der 
Mergel. Im Gegensatz dazu steht die Zusammensetzung der für die Ausfüh- 
rungen Hammers in Betracht kommenden Silikatfelse, welche in den ein- 
zelnen Vorkommnissen viel einheitlicher, in ihrer Gesamtheit aber insofern viel 
wechselnder sind als gewisse Bildungen, welche chemisch sich von der erst- 
genannten Gruppe vielleicht nicht weit entfernen, mit solchen vereinigt wurden, 
deren Bestandteil ausschließlich oder fast ausschließlich ein einzelnes Mineral, 
z. B. Wollastonit, Granat, Pyroxen, Vesuvian etc. ist, und die chemisch in den 
verschiedensten Richtungen von jedem denkbaren Sediment weit abweichen. 
Dazu kommt die Unregelmäßigkeit ihrer Form, der Mangel einer Schichtung, 


766 


ihr oft nachweisbar gangförmiges Auftreten und die Erscheinung, daß man 
solche Bildungen nicht in auch sonst silikatreichen Kalziphyren, sondern fast 
ausschließlich in mehr oder minder reinen Marmoren findet. 

Betrachten wir nun die Strukturverhältnisse der sogenannten kristal- 
linischen Schiefer etwas genauer, so sind diese für Rosenbusch „ein sicherer 
Beweis für die Mineralumbildung in starrer Gesteinsmasse und für die Gleich- 
zeitigkeit der verschiedenen Mineralbildungen“. Auch Becke hält diese Voraus- 
setzung wenigstens insofern für gegeben, daß die eine Umwandlung bewirkenden 
Lösungen in starrer Gesteinsmasse zirkulierten. Die Struktur der kristallinischen 
Schiefer, welche Becke wegen der unvollkommenen Ausbildung der einzelnen 
Kristallkörner als kristalloblastische bezeichnet, ist in erster Linie durch 
den Mangel einer Reihenfolge der Kristallisation gegeben, was zu der An- 
nahme führt, daß alle Bestandteile des Gesteins gleichzeitig kristallisiert sind. 
Zugegeben muß werden, daß dies bei einer großen Reihe von kristallinischen 
Schiefern der Fall ist, aber es werden durch diese Definition wieder eine 
andere Gruppe, in erster Linie die primär schiefrigen Eruptivgesteine, von dem 
Begriff ausgeschlossen. Daß überhaupt andere Gesetze der Kristallisation in 
den kristallinischen Schiefern maßgebend sind als in den normalen Eruptiv- 
gesteinen, daß selbst die seltenen Zonenstrukturen anderen Regeln folgen als 
bei diesen, kann doch wohl nicht als Beweis ihrer Umkristallisation in starrer 
Gesteinsmasse angesehen werden. 

Betrachten wir die normalen Produkte der Kontaktmetamorphose in irgend 
einem der am allgemeinsten anerkannten Kontakthöfe, so trifft man dort alle 
jene Erscheinungen, welche Becke als besonders unterscheidend und bezeichnend 
für die kristallinischen Schiefer aufstellt. Die durchschnittlich schlechte Be- 
grenzung und das gegenseitige Sichumhüllen der einzelnen Gemengteile, die 
Seltenheit von Skelettformen, der Mangel an Zonenstruktur sind für die Horn- 
felse ebenso bezeichnend, und ebenso fehlen ihnen auch alle charakteristischen 
Strukturformen der Eruptivgesteine. 

Ich habe schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß jede der von 
Becke und @Grubenmann so besonders hervorgehobenen Strukturformen der 
sogenannten kristallinen Schiefer längst bekannte Erscheinungen sind, welche 
für die unter den Verhältnissen der Kontaktmetamorphose umkristallisierten 
Gesteine mindestens ebenso charakteristisch sind wie für die kristallinischen 
Schiefer selbst. Wenn jetzt dieses Verhältnis mit einem großen Aufgebot neuer 
Namen als neue Errungenschaft hingestellt werden soll, so möchte ich meinen 
Standpunkt dahin präzisieren, daß mir ganz im Gegensatz zu Becke und 
Grubenmann eine Neubenennung nur dort notwendig erscheint, wo etwas 


767 


tatsächlich Neues gefunden wurde. Man darf aber doch wohl nicht eine und 
dieselbe Struktur mit verschiedenen Namen bezeichnen, je nachdem sie an 
einem oder an einem anderen Gestein auftritt. Eine Klinge bleibt eine Klinge, 
ganz gleichgültig, ob sie an einem Schwert oder an einer Sense angebracht ist 
und die Siebstruktur oder die helizitische Struktur haben kein Anrecht auf ver- 
schiedene Namen, wenn sie das eine Mal in einem nachweisbaren Kontaktgestein, 
das andere Mal in einem sogenannten kristallinischen Schiefer aufgefunden 
werden. Man möchte bei dieser von Becke inaugurierten Methode der Nomen- 
klatur, welche dieselben Erscheinungen, sobald sie an Gesteinen auftreten, die 
nach seiner rein hypothetischen Annahme verschiedener Entstehung sein sollen, 
mit verschiedenen Namen unterscheidet, die Worte Beckes anwenden, die er 
in der Kritik einer ähnlich exaltierten, von Amerikanern ausgehenden Syste- 
matisierung der Eruptivgesteine gebrauchte: „Es ist möglich, daß die Petro- 
graphie auch noch durch dieses Gebiet, welches mehr der sterilen Wüste 
gleicht, hindurch muß, um zur gesegneten Oase einer wirklichen Systematik 
zu gelangen.“ Jedenfalls kann ich es nicht für eine Förderung der Wissen- 
schaft ansehen, wenn man altbekannte Dinge mit einem neuen Namen markiert. 

Es ist absolut zweifellos, daß keine Strukturform normaler Kontaktgesteine 
dieser zuletzt charakterisierten Gruppe der kristallinischen Schiefer fehlt, und 
daß diese wiederum keine Formen aufweisen, die man nicht in gleicher Ver- 
breitung auch in den Kontaktgesteinen findet, oder mit anderen Worten: die 
Strukturformen beider sind absolut identisch. 

Wenn nun Becke die Struktur der Gesteine besonders deshalb hervor- 
hebt, weil er in derselben ein hervorragend wichtiges genetisches Kennzeichen 
sieht, so kann ich ihm in dieser Beziehung gewiß nur beipflichten. Wir 
haben keinen besseren Anhaltspunkt für die Bestimmung der Ent- 
stehungsbedingungen eines Gesteins als seine Struktur, und wie 
die granitische oder ophitische, die pegmatitische oder intersertale Struktur die 
chemisch-physikalischen Prozesse bei der Entstehung der Eruptivgesteine uns 
kennen lehren, ebenso geben uns die Siebstruktur, die helizitische und die 
Pflasterstruktur wichtige Hinweise dafür an die Hand, daß die Bedingungen 
der Kristallisation bei den Kontaktgesteinen und kristallinischen Schiefern andere 
gewesen sind als bei der Verfestigung der Schmelzflüsse selbst. 

Die Übereinstimmung der Strukturformen der Kontaktgesteine und der 
kristallinischen Schiefer aber muß uns dann folgerichtig auch zu der Über- 
zeugung führen, daß bei der Kristallisation beider übereinstinmende chemisch- 
physikalische Verhältnisse herrschten. Die Struktur beweist mit völliger Sicher- 
heit, daß die kristallinischen Schiefer keineswegs, wie dies aus allen Darstel- 

Abh. d. IL. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 99 


768 


lungen von Becke und Grubenmann etc. für den nicht in alle Details 
Eingeweihten hervorzugehen scheint, einer ganz selbständigen Reihe chemisch- 
physikalischer Prozesse ihre Entstehung verdanken, welche uns berechtigen 
würden, dieselben den beiden Hauptgruppen der Sedimente und Eruptivgesteine 
als systematisch gleichwertig gegenüberzustellen. Wenn eine derartige Abtren- 
nung, welcher in erster Linie die Gesteinsstruktur zu Grunde gelegt wird, 
überhaupt durchgeführt werden kann, so muß sie in gleicher Weise die kristal- 
linischen Schiefer und die Kontaktgesteine umfassen. 

Bevor ich nun zum letzten Punkt dieser Studie, der Besprechung des 
Mineralbestandes der kristallinischen Schiefer übergehe, möchte ich kurz die 
Ergebnisse der bisherigen Ableitungen zusammenstellen. Wenn wir nur die 
unter wesentlicher Mitwirkung geodynamischer Prozesse zur Gestaltung gelangten 
kristallinischen Schiefer betrachten, so haben wir unter denselben zwei Gruppen 
zu unterscheiden, von welchen die eine zweifellos ihre ursprüngliche, die 
andere ebenso sicher eine metamorphische Beschaffenheit aufweisen. 

Die ersteren sind, soweit sie bis jetzt genauer studiert wurden, weitaus 
vorherrschend leukokrate Intrusivgesteine vom chemischen Typus der Granite 
und Tonalite mit ihren zugehörigen Apliten, Lamprophyren und Pegmatiten, 
untergeordnet auch Peridotite vom Charakter der Stubachite, welche eine 
normale mineralische Zusammensetzung und häufig eine ausgesprochene Schiefer- 
struktur durch Piözokristallisation erhalten haben, die aber sonst, nament- 
lich auch in Beziehung auf die gegenseitigen Verhältnisse der einzelnen Mine- 
ralien nichts von der gewohnten Eruptivstruktur Abweichendes an sich tragen. 
Die zweite Gruppe von Gesteinen dagegen, welche zweifellos „metamorphische 
Schiefer“ darstellen, sind teils ursprüngliche Sedimente teils ursprüngliche 
Eruptivgesteine. Jene sind aus den verschiedenartigsten Gliedern der sedi- 
mentären Reihe, aus Tonschiefern, Sandsteinen und Konglomeraten, 
aus Mergeln, Kalksteinen und Dolomiten, aus Kohlen, Anhydrit 
und Gips, aus organogenen Kieselgesteinen etc. hervorgegangen, wobei 
nur die Typen des leicht löslichen Steinsalzes und seiner Abraumsalze fehlen. 
Auch in diesem charakteristischen Mangel der „kristallinischen Schiefer“ glaube 
ich einen gewissen Hinweis auf ihre Entstehungsbedingungen sehen zu dürfen, 
ebenso wie auch in den kontaktmetamorphen, Skapolith und Turmalin führenden 
Gipsen und Anhydriten der Pyrenäen die zugehörigen Steinsalzablagerungen 
völlig fehlen. Daß es sich bei einer gewaltigen Reihe dieser kristallinischen 
Schiefer um ursprünglich normale Sedimente handelt, beweist nicht nur ihre, 
mit diesen Sedimentgesteinen auf das vollständigste übereinstimmende chemische 
Zusammensetzung, sondern in weiter Verbreitung auch die Erhaltung von 


769 


sicheren Kennzeichen sedimentärer Entstehung, welche, abgesehen von der 
helizitischen Struktur, besonders in der Konservierung gröberer klastischer 
Bestandteile und in den zum Teil noch recht wohl erkennbaren Fossilresten 
gegeben sind, welche an nicht wenigen Punkten in solchen Gesteinen aufge- 
funden wurden. 


Die andere Hälfte dieser metamorphischen Schiefer umfaßt Eruptivgesteine 
und zwar zum Teil basische Tiefengesteine, in der Hauptsache aber Erguß- 
gesteine mit ihren zugehörigen Tuffen, Bildungen, welche in den erhaltenen 
korrodierten Quarzeinsprenglingen gewisser Serizitschiefer oder in den 
porphyrischen oder ophitischen Palimpseststrukturen der Amphibolite 
und Grünschiefer gleichfalls oft noch deutlich das ursprüngliche Material 
erkennen lassen, aus welchem sie hervorgegangen sind. 


In beiden Abteilungen dieser zweiten Gruppe, welche man am besten als 
metamorphische Schiefer zusammenfaßt, beobachten wir mikroskopisch 
Strukturformen, welche von jenen der primären Eruptivgesteine völlig 
abweichen, die aber in der Hauptsache wenigstens beiden gemeinsam sind. 
Die vollständige Übereinstimmung dieser Struktur mit solchen allgemein aner- 
kannter Kontaktgesteine weist auf analoge Entstehungsbedingungen dieser 
kristallinischen Schiefer mit letzteren hin und dieser Hinweis wird noch ver- 
stärkt durch eine ganze Anzahl von Erscheinungen, welche die metamorphi- 
schen Schiefer darbieten. Es muß in dieser Beziehung besonders das Auftreten 
authigener Turmalinindividuen in beiden Gesteinsgruppen hervorgehoben werden, 
ebenso die Erscheinung, daß die Korngröße wie die kristallinische Beschaffenheit 
in beiden Reihen mit der Entfernung von dem intrusiven Kern oder wo dieser 
nicht aufgeschlossen ist, mit dem Zurücktreten der meist aplitischen Injektionen 
abnimmt, und daß schließlich eben diese aplitischen resp. auch pegmatitischen 
Injektionen für die höher kristallinischen Schiefer ebenso charakteristisch sind 
wie für die normalen Typen der Kontaktgesteine. 


Wenn wir schließlich die mineralische Zusammensetzung der 
kristallinischen Schiefer betrachten, so treten auch hier wieder recht ver- 
schiedenartige Gruppen unter der Gesamtheit der Gesteine hervor, welche im 
allgemeinen als kristallinische Schiefer bezeichnet wurden. Es gibt fluidal 
entwickelte Granite etc., welche mit dem Namen Gneis bezeichnet wurden, es 
gibt Bänder- und Flasergabbro, welche von der normalen Zusammensetzung 
des Gabbro sich in keiner Weise entfernen, ebenso wie die dünnschiefrigen, 
von Gümbel als Hornblendeschiefer bezeichneten Bojite der Oberpfalz 
mineralogisch und strukturell mit dem normalen Typus des Bojits völlig über- 

99* 


770 


einstimmen. Es gibt andernteils Eruptivgesteine, welche unter wesentlicher 
Mitwirkung geodynamischer Prozesse zu primärer Gestaltung 
gekommen sind und in denen sich eine etwas anomale mineralische Zusammen- 
setzung einstellt, indem entsprechend dem Volumgesetz sich an Stelle der 
basischen Plagioklase spezifisch schwere Kalktonerdesilikate neben mehr sauren 
Plagioklasen ausgeschieden haben und besonders auch hydroxylreiche Mineralien 
wie Chlorit und Serpentin eine Rolle spielen. 

Doch sind bei all diesen Gesteinen die Verhältnisse, soweit sie wenigstens 
bisher studiert wurden, verhältnismäßig einfach. Die Schwierigkeiten beginnen 
erst bei der Betrachtung der sicher metamorphischen Gesteine, welche den 
kristallinischen Schiefern zugerechnet werden. Es muß hier in ausführlicherer 
Weise noch als bisher auf die Ausführungen von Becke, Grubenmann etc. 
eingegangen werden, wenn man jene Klarheit erreichen will, welche das eigent- 
liche Ziel wissenschaftlicher Forschung darstellen sollte Denn mit Namen, 
Formeln und Hypothesen kann ein exaktes, wissenschaftliches System nicht 
gestützt werden. 

Betrachten wir also die Verhältnisse dieser metamorphen Schiefer in der 
originalen Darstellung von Becke etwas genauer. Aus der Hypothese, daß 
die Umgestaltung der als kristallinische Schiefer bezeichneten Gesteine unter 
wesentlicher Mitwirkung geodynamischer Phänomene vor sich gegangen ist, 
ergibt sich die Annahme des wohl zuerst von Rosenbusch und Becke 
erkannten Volumgesetzes, d.h. des chemisch-physikalischen Gesetzes, daß 
unter hohem Druck die Moleküle die Tendenz haben, den denkbar 
kleinsten Raum einzunehmen und sich also zu Mineralien von besonders 
kleinem Volumen, d. h. im Verhältnis zu ihren Bestandteilen hohem spezi- 
fischem Gewicht zusammenzufinden. Daß unter besonders hohem Druck ein 
anderer Gleichgewichtszustand stabil ist als unter dem gewöhnlichen, kann man 
mit vollem Recht annehmen und wenn unter dem hohen Druck die Moleküle 
genügend Bewegungsfähigkeit haben, um sich zu neuen Gruppen zusammen- 
zufinden, so müssen diese sich durch ein gedrängteres Volumen auszeichnen, 
d. h. unter der Voraussetzung der Bewegungsfähigkeit der Moleküle bilden 
sich bei hohem Druck Mineralassoziationen von verhältnismäßig geringem 
Molekularvolumen, d. h. hohem spezifischem Gewicht. Ein unter hahem Druck 
kristallisiertes Gestein wird daher ein durchschnittlich höheres spezifisches 
Gewicht aufweisen als dasselbe Gestein haben würde, wenn es unter normalen 
Verhältnissen kristallisiert wäre. In besonders extremer Weise zeigen die Wir- 
kung des Volumgesetzes die berühmten Versuche von Moissan über die 
Nachbildung des Diamants. Der Kohlenstoff, der unter normalen Verhältnissen 


771 


als spezifisch leichter Graphit kristallisiert, wird unter hohem Druck zum 
spezifisch schweren Diamant. 

Dieser Satz erleidet allerdings bei den in Betracht kommenden meta- 
morphischen Schiefern eine gewisse Modifikation dadurch, daß bei diesen Um- 
kristallisationsprozessen stets Agentien angenommen werden müssen, welche 
unter normalen Kristallisationsverhältnissen einfach entweichen und so in dem 
Volumen des Gesteins nicht zum Ausdruck kommen, unter den erhöhten Druck- 
verhältnissen aber zurückbleiben und in die Konstitution der Mineralien ein- 
treten. In erster Linie sind dies das Wasser und lokal wenigstens die Kohlen- 
säure, und man wird daher von vornherein hydroxylhaltige Mineralien 
in weiter Ausdehnung erwarten dürfen, und auch die an sich nicht schweren 
Karbonate werden hier eine größere Rolle spielen, manchmal in so bedeu- 
tendem Maße, daß die unter hohem Druck gebildeten Gesteine spezifisch leichter 
werden als jene, die unter normalen Druckverhältnissen kristallisiert sind und 
aus denen eben jene an sich sehr leichten Bestandteile entweichen konnten. 
In einfachen Beispielen stellen sich diese Erscheinungen etwa folgendermaßen 
dar: Anhydrit + zwei Teile Wasser hat ein geringeres spez. Gewicht als 
die äquivalente Menge Gips, unter hohem Druck würde sich also leichter Gips 
bilden als Anhydrit; oder kohlensaurer Kalk + Quarz hat ein höheres 
spez. Gew. als Wollastonit + freie Kohlensäure, unter hohem Druck ist 
also die erste Kombination die stabilere etc. 

Betrachten wir die Gesamtheit der metamorphischen Schiefer zunächst 
ausschließlich vom rein mineralogischen Standpunkt, so können wir die beiden 
schon im Anfang dieser Studie getrennten Ausbildungsformen der normalen 
und der alpinen Fazies hier besonders deutlich auseinanderhalten, namentlich 
wenn wir uns mit den charakteristischen Endgliedern befassen. Die schon 
in der Einleitung auseinandergesetzten Gesichtspunkte kommen bei der Be- 
trachtung der mineralischen Zusammensetzung vollends zum Ausdruck, doch 
berühren sich diese Erscheinungen aufs innigste mit den beiden Tiefenstufen, 
welche Becke unterscheidet, so daß erst ein genaueres Eingehen auf diese 
erforderlich ist, da einesteils in den Gesteinen, welche die durch das Volum- 
gesetz bedingte, gedrängte Molekulargruppierung aufweisen, hydroxylhaltige 
Silikate eine nicht unbedeutende Rolle spielen, während dieselben Mineralien 
anderseits in der normalen Fazies der kristallinischen Schiefer meist nur eine 
geringe Entwicklung gewonnen haben. Es „muß also ein Moment geben, 
welches dem Volumgesetz entgegenwirkt, welches die Vollziehung jener raum- 
sparenden chemischen Prozesse verhindert. Dieses Widerspiel des Volumgesetzes 
ist die Temperatur“. 


„Steigerung der Temperatur kann in einem Gesteinskörper auf verschiedene 
Weise zustande kommen, vor allem durch größere Tiefe unter der Oberfläche, 
also Annäherung an die innere Erdwärme, ferner durch Eruptivkontakt . 
„Es ist noch der Fall denkbar, daß Wärme durch mechanische Arbeit oder 
durch chemische Prozesse erzeugt wird. Solche Vorgänge können nur lokal 
wirksam sein.“ 

„Sehen wir von diesen mehr lokalen Wärmequellen ab und ziehen zunächst 
nur das Erdinnere als allgemein wirksame Wärmequelle in Betracht, so werden 
wir zu der Vorstellung geführt, daß es innerhalb der Erdrinde zwei Tiefen- 
stufen geben muß: eine tiefere, in welcher die Temperatur so hoch ist, daß 
die Bildung hydroxylreicher Mineralien ausgeschlossen ist und eine obere, in 


welcher solche Minerale sich bilden können.“ 

Diesen Ausführungen Beckes folgt dann nach einigen Erläuterungen die 
Zusammenstellung der Mineralien, welche für die beiden Stufen charakteristisch 
sein sollen, geordnet nach ihren wichtigsten Bestandteilen: 


Untere Obere 
Tiefenstufe 
Al Disthen, Sillimanit Disthen 
Fe + Al Almandin Chloritoid, Granat 
Mg Rhombische Pyroxene, bei Si-Mangel Antigorit 
Olivin 
Mg + Al Pyrop, Kordierit Chlorit 
Mg + Ca Diopsid, Omphazit _ Hornblende 
Ca + Al Anorthitsubstanz im Plagioklas Zoisit, Epidot 
Na+ Al Albitsubstanz im Plagioklas bei Albit bei Si-Mangel 
Si-Mangel Na. Al-Silikat in Om- Glaukophan 
phazit 
Na + Fe Ägirinsilikat im Omphazit Na-Hornblenden 
Kr Al Kalifeldspat Muskowit 
K+Fe+ Mg _ Biotit Biotit 
Ti  — Rutil Titanit 


Außerdem Hornblende, Staurolith 


Häufig auch Magnetit. 


Es ergeben sich daraus als charakteristische Leitminerale: 


„Für die untere Stufe: 


Örthoklas, Sillimanit, Kordierit, Olivin.“ 
„Für die obere Stufe: Zoisit-Epidotgruppe, Muskowit, Chlorit, Albit, Anti- 
gorit, Chloritoid.“ 


Pyroxen, Granat, Biotit, kalkreiche Plagioklase, 


773 


„Beiden Zonen gemeinsam sind: Hornblenden, Quarz, Turmalin, Staurolith, 
Titanit, Rutil.“ 

Obwohl nun die Schlußsätze mit der vorhergehenden Tabelle eigentlich 
nicht recht übereinstimmen, muß der ganze hier angenommene chemisch- 
physikalische Prozeß doch etwas eingehender betrachtet werden. Daß ein 
gewisses Widerspiel zwischen Druck und Temperatur bei den metamorphen 
Schiefern vorhanden ist, kann bei einiger Erfahrung nicht übersehen werden. 
Wenn wir z. B. die Schieferhülle am Groß-Venediger betrachten, so sehen 
wir, daß in den dem Zentralgranit zunächst gelagerten Schiefern z.B. an 
Granat und zum Teil auch an Pyroxen reiche Eklogite genau von denselben 
Gesteinen abgeleitet werden müssen, welche in den äußeren Kontaktzonen zur 
Bildung von granat- und pyroxenfreien Chloritschiefern Anlaß gegeben haben. 
In der höheren Temperatur der inneren Kontaktzonen haben sich also hier 
ganz andere Mineralkombinationen gebildet und vorherrschend solche, welche 
arm an Hydroxyl sind. 

Im übrigen ist in dieser inneren Zone der Biotit spärlich und die sonstigen 
für die untere Tiefenstufe charakteristischen Mineralien sind hier gar nicht 
vertreten, während die Mineralien der oberen Tiefenstufe und die gemeinsamen 
den ferneren Bestand dieser Gesteine ausmachen. Der Unterschied zwischen 
diesen Eklogiten und den verwandten Chloritschiefern entspricht also noch 
nicht demjenigen, welchen Becke für seine beiden Tiefenstufen voraussetzt. 

Betrachten wir dagegen die Verhältnisse der Gneisformation des Baye- 
rischen Waldes und der Oberpfalz, so trifft man zumal in ersterer eine 
ganze Reihe von Erscheinungen, welche mit der unteren Tiefenstufe überein- 
stimmen. Kordierit und Almandin, Biotit, Sillimanit und zum Teil 
recht basische Plagioklase, lokal auch Orthoklas, mannigfache Pyroxene 
und endlich Rutil bilden neben Quarz den Hauptanteil dieser Gesteine, in 
welchen Mineralien der Epidotgruppe mindestens sehr spärlich sind und die 
übrigen Bestandteile der oberen Tiefenstufe außer dem lokal ziemlich reich- 
lichen Muskowit völlig vermißt werden. Es stimmen also diese kristallini- 
schen Schiefer des Bayerischen Waldes mit den von Becke beschriebenen und 
als typische Repräsentanten seiner unteren Tiefenstufe aufgeführten Schiefern 
des niederösterreichischen Waldviertels völlig überein, während aus 
den Zentralalpen z. B. ein wirklich ausgesprochener Typus dieser Art nicht 
bekannt geworden ist. Die kordieritreichen und glimmerarmen Varietäten der 
Gesteine des Bayerischen Waldes aber sind im äußeren Habitus wie in der 
inneren Struktur so zweifellose, echte Kontaktgesteine, daß irgend ein Zweifel 
an der Zugehörigkeit zu dieser Gesteinsgruppe gleichbedeutend ist mit einem 


1774 


Zweifel an der Möglichkeit des Kontaktmetamorphismus überhaupt. Sie gehen 
durch glimmerreichere Bildungen über in echte Granatglimmerschiefer, 
in den stark injizierten Bildungen über in normale Kordieritgneise und 
mit der Entfernung von den granitischen Massen entwickeln sich aus ihnen 
nicht etwa Gesteine vom Typus der oberen Tiefenstufe, sondern vielmehr 
weniger grobkristallinische, oft auch recht serizitreiche Knoten- und Fleck- 
schiefer, welche in ausgedehnteren Arealen mit sogenannten Phylliten 
wechsellagern, die aber ebenso wie die gröber kristallinischen Gesteine z. B. 
des Silberbergs bei Bodenmais durch Mineralneubildungen von Kordierit, 
Sillimanit, Granat und Biotit neben denselben Feldspatarten wie jene 
charakterisiert sind. Es ist unter allen Umständen bei der unteren Tiefenstufe 
Beckes die absolute Übereinstimmung in Charakter, Lagerungsform, Struktur 
und Mineralbestand mit den best entwickelten Kontaktgesteinen vorhanden 
und es entwickelt sich, worauf besonders aufmerksam gemacht werden muß, 
in einem und demselben Profil niemals die untere zur oberen Tiefenstufe, 
sondern die beiden sind ın typischer Ausbildung nur aus scharf getrennten 
Gebieten bekannt. 

Ich glaube keine allzu gewagte Behauptung aufzustellen, wenn ich annehme, 
daß die Temperaturen, bei welchen die Granite des Bayerischen Waldes und 
jene der Zentralalpen kristallisiert sind, nicht als extrem verschiedene ange- 
sehen werden können, oder sagen wir noch vorsichtiger, daß kein Grund als 
eben der durchaus hypothetische Dynamometamorphismus vor- 
liegt, um zwischen den Erstarrungstemperaturen dieser beiden Vorkommnisse 
überhaupt einen Unterschied zu ahnen. Ich glaube ferner keinem wissenschaft- 
lichen Einwand zu begegnen, wenn ich behaupte, daß alle Hypothesen über 
die Tiefe, in welcher sich die Granite des Bayerischen Waldes verfestigt haben, 
ebenso hinfällig sind wie jene, welche von der Tiefenstufe der Zentralalpen 
etwas lehren wollen. 

Die beiden Gesteinsgruppen, welche Becke in seinen Tiefenstufen unter- 
scheidet, sind also tatsächlich vorhanden; es müssen zwei in ihren Endgliedern 
wohl charakterisierte Typen des Metamorphismus unterschieden werden, aber 
der Unterschied derselben ist nicht in der größeren oder geringeren Tiefe 
und in den durch diese bewirkten chemisch-physikalischen Prozessen bedingt, 
sondern er hat seine Ursache in ganz anderen Faktoren. 

Die von Becke aufgestellte Tabelle der beiden Tiefenstufen gibt noch in 
anderer Richtung zu Ausstellungen Anlaß; ich will hier nur auf seine Magnesia- 
sılikate und den Pyrop hinweisen, elahe doch wohl zweckmäßiger dieser 
Zusammenstellung fern geblieben wären, da sie ganz ausschließlich als Bestandteile 


175 


der Perodotite und Pyroxenite auftreten, d. h. von Gesteinen, deren Zugehörig- 
keit zu den Eruptivgesteinen nicht fraglich sein kann. Überhaupt nimmt die 
wenig exakte mineralische Scheidung, die in der Natur vorhanden ist, durch 
die tabellarische Zusammenstellung viel zu sehr das Aussehen eines scharf 
definierten Gesetzes an. Schließlich ist die Unterscheidung dieser beiden Tiefen- 
stufen eigentlich nichts weiter als ein anderer Name für das, was J. H. L. 
Vogt als Unterschied zwischen Kontaktmetamorphismus und Regional- 
metamorphismus bezeichnet. Die herrschenden Mineralien des ersteren 
sind annähernd dieselben wie in Beckes unterer Tiefenstufe, wobei namentlich 
noch der Andalusit, ferner Wollastonit, Vesuvian, Gehlenit und sonstige 
Kalktonerdesilikate hinzukommen, ihnen gegenüber stehen die „regional- 
metamorphen“, in denen Glimmermineralien aller Art neben Hornblende 
herrschen, und besonders auch Quarz neben Kalkspat vorhanden ist. 

Doch lassen wir zunächst diese Verhältnisse auf sich beruhen und gehen 
zum Volumgesetz selbst über. Ich glaube hier gleich vorausschicken zu müssen, 
daß ich der Meinung bin, daß die meisten Mineralien, welche für diese Studien 
in Betracht kommen, eine sehr stabile Beschaffenheit haben, daß namentlich 
eine innere Entmischung in festem Zustand z. B. bei den Plagioklasen nicht 
angenommen werden darf, und daß schließlich der Gleichgewichtszustand, 
welchen die noch beweglichen Moleküle angenommen haben, beständig ist, 
sobald das Gestein erkaltet, solange nicht durch spätere chemische Ein- 
flüsse von außen her eine Beweglichkeit der Moleküle wiederum hervor- 
gebracht wird. Becke sagt im Gegensatz dazu: „Verfolgt man in Gedanken 
die Geschichte eines kristallinen Schiefers vom Moment seiner Ausprägung bis 
zu dem, wo wir eine Probe desselben an der derzeitigen Oberfläche sammeln 
können, so ergibt sich, daß das Gestein eine ganze Folge von Temperatur- 
und Druckzuständen durchlaufen muß. Wären die Silikate der Gesteine sehr 
empfindlich für solche Änderungen, so könnten wir gar kein Gestein der 
unteren Stufe jemals zu Gesicht bekommen; es müßte, während es durch 
geologische Veränderungen an die Erdoberfläche gebracht wird, die Folge von 
Gleichgewichtszuständen durchlaufen, die den verschiedenen Temperatur- und 
Druckstufen entsprechen.“ 

Das sind doch wohl nichts weiter als leere Spekulationen, welche 
weder vom physikalischen noch vom petrographischen Standpunkt irgend eine 
Grundlage haben und die nur dort entstehen können, wo der Theoretiker 
seiner Theorie zuliebe den Boden der exakten Wissenschaften verlassen hat. 
Wenn in den oben reproduzierten Sätzen auch nur ein kleines Körnchen 
Wahrheit vorhanden wäre, so würden doch wohl unsere ganzen Forschungen, 

Abh.d. II. Kl.d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 100 


776 


welche auf die Bildungsbedingungen der Gesteine gerichtet sind, völlig in der 
Luft hängen, da wir eigentlich niemals auch nur einige Sicherheit haben 
würden, ob ein Gestein in den seiner Kristallisation folgenden Epochen so und 
so vielmal sich neuen Temperatur- und Druckstüufen angepaßt hat, und viel- 
leicht schließlich noch während der Herstellung des Dünnschliffs 
molekulare Umlagerungen erlitt, welche das Bild seiner ursprünglichen Be- 
schaffenheit weitgehend modifizieren. 


Die Annahme einer solchen fortdauernden molekularen Beweglichkeit der 
Mineralien ist nun allerdings nichts weiter als eine Folge der Voraussetzungen, 
welche für die Annahme der Umkristallisation der Gesteine nach dem Riecke- 
schen Prinzip gemacht wurden. Denn wenn unter erhöhtem Druck die Ge- 
birgsfeuchtigkeit genügt, um eine volle Umkristallisation der Gesteine hervor- 
zubringen, so kann sie ja wohl beim Nachlassen des Druckes den Prozeß ın 
rücklaufender Richtung abermals einleiten. Die beobachteten Tatsachen weisen 
aber keineswegs auf derartige Erscheinungen hin und die molekulare Grup- 
pierung in den Gesteinen ist ein ungemein stabiler Gleichgewichts- 
zustand. 


Daran ändern auch die Bemerkungen von Becke nichts, daß man häufig 
Mineralien einer höheren Tiefenstufe als Neubildungen in Gesteinen der unteren 
findet, so z. B. die Uralitisierung des Pyroxens, die Saussuritisierung der Plagio- 
klase etc. Solche Erscheinungen sprechen ja wohl dafür, daß eine ganze Reihe 
verschiedenartiger chemisch-physikalischer Prozesse über die Gesteine hinge- 
gangen ist, aber ebenso beweist ein genaueres Studium solcher Gebiete, daß 
es nicht einfach das Heraufrücken aus einer tieferen in eine höhere Stufe war, 
welche eine Art von molekularem Zerfall hervorbrachte, sondern daß diese 
Umwandlungen viel intensiveren Agentien zugeschrieben werden müssen, welche 
sich häufig nicht auf eine einfache Umlagerung des schon Vorhandenen be- 
schränkten, sondern auch recht ausgiebige Neubildungen mancherlei Art, Erz- 
massen etc. mit sich brachten, welche zweifellos Ergebnisse postvulkanischer 
Prozesse, der thermalen Tätigkeit in erster Linie, darstellen. 


Wenn also z. B. ein basisches Eruptivgestein zunächst am Kontakt mit 
Granit oder gar in Schollen in diesen eingehüllt eine kontaktmetamorphe 
Umwandlung zu pyroxenreichem Eklogit erleidet, so kann in einer späteren, 
aber immer noch der granitischen Intrusion angehörigen Periode auf den 
Klüften dieses neu kristallisierten Gesteins überhitztes Wasser sich ergossen 
haben, wobei sich der in der hohen Hitze des Stadiums der Kontaktmeta- 
morphose stabilere Pyroxen .bei geringerer Temperatur und der starken 


7717 


Lösungsfähigkeit des überhitzten Wassers zu Uralit umlagert, !) der gewöhnlich 
eisen- und tonerdereicher als der ursprüngliche Pyroxen ist und sich von diesem 
auch durch seinen Hydroxylgehalt unterscheidet. Es ist nicht ausgeschlossen, 
daß diesem zweiten Umwandlungsprozeß ein dritter folgte, bei der weiteren 
Abnahme der chemischen Energie, welche mit der Temperaturveränderung 
des Wassers Hand in Hand geht, entstehen noch hydroxylreichere Mineralien, 
die uralitische Hornblende setzt sich nun vielleicht zu Chlorit, oft gemengt 
mit Epidotmineralien um und schließlich kann noch weiterhin ein Aggregat 
von Quarz mit Karbonaten den Schluß des Prozesses darstellen. 


Wenn ich oben die Stabilität der Moleküle in den Gesteinen betont habe, 
so stehen solche Beobachtungen damit scheinbar im Widerspruch. Aber bei 
den soeben geschilderten Verhältnissen handelt es sich doch gar nicht um 
einfache physikalische Umlagerungen, sondern vielmehr um ausgesprochen 
chemische Prozesse, welche von Änderungen in der Gesteinszusammensetzung 
begleitet sind und bei denen Auflösung und Wiederabsatz des Gelösten die 
Hauptrolle spielen. Die Wirksamkeit der verschiedenen Stadien der post- 
vulkanischen Tätigkeit ist bedingt durch die Aktionsfähigkeit chemischer 
Agentien, welche lokal die Gesteine beeinflußt haben und daher auch nur 
lokal ihre Wirkung entfalteten und der Unterschied, welcher hier festgestellt 
werden muß, beruht auf der Verschiedenheit der angenommenen Agentien; 
gegenüber von der chemischen Wirksamkeit, welche dem überhitzten 
Wasser, den mannigfachen Thermen und den sonstigen sogenannten Mineral- 
bildnern bei der Umsetzung der gesteinsbildenden Mineralien zukommt, sind 
die rein physikalischen Prozesse molekularer Umlagerung von sehr 
geringer Bedeutung. Die Verhältnisse von Temperatur und Druck beeinflussen 
die fertiggebildeten Mineralien nur in ganz extremen Fällen und auch die 
Einschiebung des alles durchdringenden Wassers, das man zur gesättigten 
Gesteinslösung werden läßt, kann an der Rechnung nur wenig ändern. 


!) Es muß hier auf einen Vorwurf eingangen werden, welchen Sauer in seinem Vortrag gegen 
eine Abhandlung von Düll über die Eklogite der „Münchberger Gneisplatte“ erhebt. Wenn 
dort der Eklogit lokal von Klüften aus zu grüner, blätteriger Hornblende mit Plagioklas umgewandelt 
ist, so ist dieses Aggregat doch wohl nicht schlechtweg als Gabbro zu bezeichnen, zumal da der Plagioklas 
in solehen Bildungen meist Albit ist. Daß aber in diesen Vorkommnissen ein Beweis dafür erbracht 
sein soll, daß die Eklogite nicht aus Gabbro hervorgegangen sind, weil sich ersterer von Klüften aus in 
letzteren umwandelt, ist völlig unverständlich. Wenn man jenes Stadium der Umwandlung betrachtet, 
in welchem die Schollen des basischen Eruptivgesteins im Granitbad schwammen, so muß doch wohl die 
erhöhte Temperatur und die mineralbildenden Agentien die neue Molekulargruppierung stark modifiziert 
haben. Deshalb braucht aber die nun erreichte Gleichgewichtslage keineswegs in allen späteren Perioden, 
so z.B. in jener der thermalen Tätigkeit, stabil gewesen zu sein. Über die „bekannten Eruptivkontakt- 
gesteine*, welche Sauer in dem erwähnten Gebiete vermißt, wird an anderer Stelle berichtet. 


100 * 


778 


Wenn Grubenmann in weiterer Ausführung dieses Gedankens von Becke 
(l. c., $. 31) davon spricht, daß Tone bis 10°o, Tonschiefer und Phyllite 3%, 
Eruptivgesteine bis 2°/o Gebirgsfeuchtigkeit enthalten, so wird diesen scheinbar 
exakten Bestimmungen gegenüber doch immerhin ein gewisses Maß von Zweifel 
angebracht sein. Ich selbst habe in dieser Richtung seit Jahren ausgedehnte 
Versuche gemacht, deren Resultate in absolutem Gegensatz zu den Angaben 
von Grubenmann stehen und erweisen, daß in einigermaßen verband- 
festen Gesteinen wenigstens das hygroskopische Wasser ganz bedeutungslos 
ist, zumal wenn diese aus bedeutender Tiefe unterhalb des Grundwasserspiegels 
stammen. 

Die Frage nach dem Vorhandensein der Gebirgsfeuchtigkeit in solchen 
Erdtiefen, welche für den Dynamometamorphismus in Betracht kommen, ist 
natürlich schwierig definitiv zu entscheiden. In zahlreichen tiefen Bergwerken 
aber wurde die Beobachtung gemacht, daß die Gesteine um so mehr stauben, 
je tiefer der Betrieb geht, und daß sie in gewissen Tiefen unter dem Grund- 
wasserspiegel als wasserfrei anzusehen sind. Es ist nun allerdings schwierig, 
diese Beobachtungen analytisch zu belegen, hauptsächlich deshalb, weil pulveri- 
sierte Materialien — und wir können zur chemischen Analyse doch nur feinste 
Pulver gebrauchen — zumal wenn sie vorherrschend aus feinschuppigen Teilen 
zusammengesetzt sind, ungemein stark hygroskopische Eigenschaften haben. 
Wenn man also das an sich trockene Gestein, welches aus der Tiefe gebracht 
wird, pulverisiert und für die Analyse vorbereitet, so genügt dieser Prozeß 
allein schon, um den Wassergehalt um einige Zehntel Prozent zu erhöhen. 
Ich selbst habe bei getrockneten, feinschuppigen Substanzen beim Stehen in 
der Luft des Laboratoriums in 24 Stunden Gewichtszunahme bis zu 15°%o 
beobachtet, welche im Exsikkator über Schwefelsäure nicht wieder zu entfernen 
waren, so daß mir auch die analytischen Belege der allgemein vorhandenen 
Gebirgsfeuchtigkeit als der Kritik nicht völlig unzugänglich erscheinen. 

Wenn man aber nun vollends annehmen soll, die Quantität Feuchtigkeit, 
welche durchschnittlich die Analysen kompakter Gesteine ergeben, und von 
welchem man den nachweisbaren Hydroxylgehalt der beteiligten Mineralien 
abziehen muß, zirkuliere als eine Art gesättigter Lösung in einem kompakten 
Granit oder Kalkstein, deren spezifisches Gewicht ziemlich genau gleich ist mit 
dem proportionalen seiner Komponenten, und deren Druckfestigkeit bis 2000 kg 
:pro qem geht, so scheint mir doch auch hier wieder einmal der Boden der 
realen Tatsachen verlassen worden zu sein der Theorie zuliebe, welche bewiesen 
werden muß. Es handelt sich auch hier um abstrakte Spekulationen, die mit 
der Wirklichkeit nichts zu tun haben. 


119 


Daß zwischen den hier anzunehmenden Prozessen und jenen der Kontakt- 
metamorphose resp. der postvulkanischen Tätigkeit ein gewaltiger Unterschied 
vorhanden ist, liegt auf der Hand. Hier in einem starren, kompakten Gestein, 
das durch die Gewalt der Zusammenpressung noch kompakter wird, bei einer 
in der oberen Tiefenstufe wenigstens doch wohl nicht allzu hoch anzunehmenden 
Temperatur eine vielleicht 0,5°/o oder wahrscheinlich noch weniger betragende 
Lösung der einzelnen Bestandteile, welche noch dazu so schwer in Wasser 
löslich sind, daß sich ihr gelöstes Quantum doch höchstens nach zehntausendstel 
Prozenten berechnet. Und nun diese an sich noch hypothetische Lösung zir- 
kulierend in dem Gestein und durch die verhältnismäßig wieder minimalen 
Löslichkeitsveränderungen durch Zug und Druck nach dem Riecke’schen 
Gesetz befähigt, innerhalb von Perioden, welche durchaus nicht als unendlich 
angesehen werden können, das ganze Gestein neu zu gestalten! 

Wir wissen nun allerdings herzlich wenig über die Zeitdauer, welche 
man eventuell solchen Prozessen beimessen kann, aber es ist doch zweifellos, 
daß lokal, z. B. in Attika, noch sehr junge Gesteine den Habitus der kristal- 
linischen Schiefer angenommen haben und ebenso sicher ist, daß die einzelnen 
Faltungsperioden, welche wir in den Alpen unterscheiden können, nicht durch 
ganze Formationen hindurch angedauert haben. Und wenn auch solche Fal- 
tungen im Gebiete der Alpen in mehrfacher Wiederholung nachweisbar sind, 
so sind dieselben doch ebenso sicher geschieden durch Perioden, in welchen 
der Druck wieder normal geworden war. Demgegenüber stehen die Äußerungen 
der vulkanischen Tätigkeit, deren intensives Eingreifen in den Mineralbestand 
präexistierender Gesteine keinem zweifelhaft sein kann, der die Umgebung der 
gewaltigen Granitstöcke des Fichtelgebirges oder Bayerischen Waldes, 
des Erzgebirges oder der Vogesen gesehen hat. Denn hier ist es nicht 
die untergeordnete, nur in Spuren vorhandene Lösung, welche die Gebirgs- 
feuchtigkeit darstellt, bier sind es zweifellos recht bedeutende Quantitäten einer 
mit zahlreichen, kräftigen Agentien versehenen, überhitzten Lösung, welche 
unter hohem Druck zum Teil als gasförmige Massen in die durch die Intrusion 
an sich schon erschütterten Gestein eingepreßt wurden, wobei die erhöhte 
Temperatur des Massengesteins mindestens eine partielle Erweichung und daher 
eine innige Mischung von Nebengestein und mineralbildenden Agentien bewirkte, 
welche doch wohl ganz andere Resultate ergeben mußte. 

Die weitere Betrachtung führt uns nun zu dem Volumgesetz, welches 
in der Deutung der kristallinischen Schiefer eine so bedeutende Rolle spielt. 
Seine physikalische Grundlage ist zweifellos richtig: daß eine unter 
hohem Druck kristallisierende Substanz die Tendenz hat, jenen Gleichgewichts- 


780 


zustand einzunehmen, in welchem sie das kleinste Volumen hat. Man wird 
daher von verschiedenen Modifikationen einer und derselben Substanz folge- 
richtig unter hohem Druck jene mit dem höchsten spezifischen Gewicht erwarten 
dürfen. Unter hohem Druck kristallisiert also die Titansäure als Rutil, das 
basische Tonerdesilikat als Disthen oder der Kohlenstoff als Diamant, wobei 
aber offenbar für die Erreichung der Gleichgewichtsbedingungen des letzteren 
Minerals ein sehr viel höherer Druck notwendig ist, als er bei den Prozessen 
des Dynamometamorphismus überhaupt angenommen werden kann. Oder aus 
einer gemischten Lösung kristallisieren jene Molekulargruppen, welche für die 
gegebene Modifikation das kleinste Volumen einnehmen, an Stelle von basi- 
schen Plagioklasen also z. B. Gemenge von saurem Plagioklas!) mit 
Klinozoisit. Endlich wird unter diesen Verhältnissen, welche auch das Ent- 
weichen gasförmiger Agentien erschweren, selbst bei sehr hoher Temperatur 
das Wasser in die Konstitution der neugebildeten Mineralien eintreten und bei 
der gegenseitigen Einwirkung von freier Kieselssäure und Kalkspat nicht etwa 
die voluminöse Kombination von Kohlensäure und Kalksilikat gebildet, welche 
unter normalem Druck entsteht, sondern es kristallisiert die viel gedrängtere 
Kombination von Quarz und Kalkspat. 


Es ist also zweifellos, daß das Volumgesetz unter Umständen eine ziem- 
liche Bedeutung für die Ausgestaltung der Gesteine erhalten kann und es muß 
daher auch in diesem Zusammenhang eingehender betrachtet werden. 


Becke gibt eine sehr instruktive Berechnung des Molekularvolumens aller 
in Betracht kommenden Mineralien, wobei allerdings wieder einige praktische 
Bedenken an den theoretischen Ableitungen sich einstellen. Wir wissen bekannt- 
lich gar nichts über die Konstitution der Mineralien, zumal nichts über die 
Größe ihrer Moleküle und während wir bei organischen Körpern das spezi- 
fische Molekularvolumen mit voller Sicherheit feststellen können, ist diese 
Feststellung bei anorganischen Körpern in sehr viel engerem Maße durch- 
führbar. In welcher Richtung sich die Fehler dieser Darstellung bewegen, geht 
z. B. daraus hervor, daß Becke für den Dolomit, den er wohl richtig als 
Doppelsalz auffaßt, die Summe der Molekularvolumina seiner Komponenten 


!) Aus diesen Verhältnissen ergibt sich eine einfache Erklärung der Differenzen zwischen meinen 
3eobachtungen im Gebiete der Alpen in Bezug auf die Umkristallisierung basischer Plagioklase 
durch Kontaktmetamorphose und jenen, welche Rrdmannsdörfer im Harz machte (0. H. Erdmanns- 

- dörfer, Über die Umwandlung von Diabasfeldspaten und Kontakthöfen von Tiefengesteinen. Monatsber. 

Deutsch. Geol. Ges., 1904, 56, Heft 4). Die Umkristallisation von basischem Plagioklas kann unter nor- 
malem Druck zu einem Mosaik ebenso zusammengesetzter Körner führen, unter erhöhtem Druck aber 
ist Saussurit beständiger. Übrigens dürfte l. ec. die Bestimmung eines Diabasfeldspats als Oligoklas 
doch eingehender belegt sein, das Gewöhnliche ist das zum mindesten nicht. 


781 


berechnet, so daß dieses annähernd doppelt so groß wird wie bei Kalkspat oder 
Magnesit. Ganz derselbe Einwand ist zu machen bei der Vergleichung der 
Pyroxen- und der Hornblendegruppen, von welchen erstere als R, Si, O,, 
letztere als R, Si, O,, angenommen werden, eine Hypothese, welche zwar von 
mancher Seite akzeptiert ist, aber in den Analysen und dem chemischen Ver- 
halten dieser Mineralien überhaupt nur sehr wenig Stütze findet. Gerade der 
letzte Fall ist besonders bemerkenswert, weil dadurch die Amphibole etwa das 
doppelte Molekularvolumen erhalten als die Pyroxene und doch sollen nach 
der Theorie der Dynamometamorphose die ersteren die typischen Mineralien 
der oberen Tiefenstufe sein, in welcher doch das Volumgesetz unbeschränkt 
wirkt. Daß die komplizierter zusammengesetzten Silikate, deren Analysen 
nicht durch einfache Formeln ausgedrückt werden können wie Skapolith, der 
Sodalith oder der Vesuvian ganz besonders hohe Zahlen für ihr spezifisches 
Molakularvolumen erhalten müssen, liegt auf der Hand. Für den Turmalin 
ist diese Berechnung leider nicht durchgeführt, er würde wohl, nach demselben 
Schema behandelt, das höchste Molekularvolumen erreichen. 

Um nun die hier gerügten Mißstände einigermaßen zu eliminieren, wird 
neben die so zusammergestellten „beobachteten“ Molekularvolumina, welche 
aber doch eigentlich nicht beobachtet, sondern unter Zuhilfenahme nicht ein- 
wandfreier Theorien berechnet sind, die sogenannten „berechneten“ gestellt, 
welche in der Hauptsache die Summe der spezifischen Molekularvolumina der 
Komponenten darstellen ; z.B. Forsterit „berechn.“ Mol.-V01.45,5 =2Mg0 + Si0, 
— 22,6 + 22,8 oder Spinell = 36,5 = MgO + ALO, = 11,3 + 25,2 etc. In- 
wieweit die chemisch-physikalische Erfahrung dieser Rechnungsart Recht gibt, 
entzieht sich meiner Kenntnis, ich glaube aber, daß die ganze Grundlage 
dieser Berechnungen verfehlt ist. Es ergibt sich dies zur Evidenz bei den 
Karbonaten, deren „berechnetes“ Mol.-Vol. durchschnittlich mehr als doppelt 
so hoch ist als ihr „beobachtetes“, es ergibt sich dies aber ebenso auch bei 
der Betrachtung der Silikate, deren „berechnetes“ Mol.-Vol. sehr lebhaft ver- 
ändert würde, wenn z. B. in der Rechnung an Stelle des Quarzes die Modi- 
fikation des Tridymits eingesetzt würde, also z. B. bei Sillimanit „berechn.“ 
Mol.-Vol. — 48,0, „berechn.“ aus Tridymit + Korund aber — 51,6, während 
das beobachtete nur 50,2 beträgt. Und diese Differenz hat nun für die folgenden 
Ableitungen von Becke grundlegende Bedeutung. 

Unter hohem Druck sollen sich nach den weiteren Ausführungen vor- 
herrschend jene Mineralien bilden, deren „beobachtetes“ Mol.-Vol. kleiner ist 
als das berechnete, die entgegengesetzten sollen als typische Kontaktmineralien 
auftreten. Betrachten wir — ohne damit gleichzeitig die Richtigkeit der 


782 


Grundlagen der Berechnung zuzugeben — die ausführliche Tabelle, welche 
Becke in dieser Richtung gibt, so sind, um nur einige Beispiele von Silikaten 
anzuführen, unter den Mineralien, welche ein größeres „berechnetes“ Mol.-Vol. 
haben, gerade die allertypischsten Kontaktmineralien vorhanden, z. B. Forsterit, 
Diopsid, Grossular etc., und der so oft betonte Unterschied in der Verteilung 
von Pyroxen und Amphibol verschwindet in der betreffenden Zusammenstellung 
völlig, da alle Glieder beider Gruppen ein höheres „berechnetes“ Mol.-Vol. 
erhalten. Es ist doch wohl eine etwas schwankende Grundlage für die ganze 
Theorie, welche in dieser Tabelle und den daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen 
geboten wird. 

An diese Tabelle schließen sich nun die sognannten „Volumgleichungen‘“ 
an, welche besonders eingehend besprochen werden müssen, da diese Berech- 
nungen sich namentlich für den Nichteingeweihten sehr überzeugend ausnehmen, 
in der Tat aber so viele Mängel aufweisen, daß sie nur mit schärfster Kritik 
betrachtet werden dürfen. Es mag ja gerne zugegeben werden, daß es bei 
der komplizierten Zusammensetzung zahlreicher, gesteinsbildender Silikate nicht 
gerade einfach ist, eine nicht allzu komplizierte Darstellung dieser Verhältnisse 
zu bringen. Indes ist, wie der Schluß zeigen wird, dieser ganze Apparat für 
die hier in Betracht kommenden Verhältnisse überhaupt nicht nötig, so daß 
er eigentlich mehr den Eindruck eines hübschen, aber keineswegs einwand- 
freien Dekorationsstückes macht. 

Wenn also z.B. Becke bei der Umwandlung von Diabas in Grünschiefer 
auf der einen Seite die Formel des Augits schlechtweg als Mg CaSı,0, aufführt 
so bedeutet das gewiß schon eine sehr bedeutende Vereinfachung gegenüber 
von den natürlichen Verhältnissen, doch mag das der gesuchten Einfachheit 
gegenüber noch angehen. 

Wenn er aber dem gesuchten Granat des Amphibolits die Formel Ca,Al, 
Si1,0,, zuschreibt, d. h. jene des nur in Kontaktkalken vorkommenden Grossulars, 
so hätte ihn eine kurze Übersicht der Granatanalysen aus Schiefern aller Art 
davon überzeugen müssen, daß diese sich stets durch sehr geringen Kalkgehalt 
auszeichnen und in der Hauptsache Eisenoxydulgranaten sind. Ebensowenig 
handelt es sich beim Eklogit um Magnesiagranaten, wie Becke berechnet, 
sondern wiederum weit vorherrschend um Eisenoxydulgranat, und wenn diese 
eingesetzt werden, dann stimmt, trotz der Vereinfachung der Formeln, die 
ganze Rechnung nicht mehr. Und derartige Inkonsequenzen setzen sich das 
ganze System hindurch fort, die aber bei den Ableitungen von Grubenmann 
so exaltiert werden, daß ich mich genötigt sah, einige von dessen Beispielen 
genauer umrechnen zu lassen. Beispiel: (Grubenmann, Krist. Schiefer, S. 35). 


Diorit kann übergehen in Pyroxengneis 
. |NaAlSı,0, it N: . 
Andesinl on, er Ar Albit NaAlSı,0, 100,3 
re | 
CaMg,Si, 0, | Augit? CaFeSi,0, 68,2 
Hornblendel u FE 
—rarso, 1 | Fe aı,sio, 
Hämatit 4F&,0, 129292 Magnetit 3 Fe,O, 139,2 
Quarz 3 SiO, 68,4 
463,02 | ae 


Das Molekularvolumen bei dieser dynamometamorphen Umwandlung ver- 
mindert sich also von 463 auf 576, also um 18,8 °%, was zu beweisen war. Die 
einzelnen Fehler der Zusammenstellung sollen kurz aufgeführt werden. Erstens 
wird für die isomorphe Mischung des Andesins das doppelte Molekularvolumen, 
d. h. jenes von Albit + Anorthit genommen, für die übrigen: Hornblende und 
Augit nur der Durchschnitt derselben, es entspricht die Aufstellung also zu- 
nächst zwei Teilen Andesin zu einem Teil Hornblende. Zweitens stehen die 
Formeln von Hornblende und Augit in verkehrtem Verhältnis: die Hornblende 
der Diorite ist stets tonerdereich und zwar so reich daran, daß die Tonerde 
auch „der Einfachheit halber“ nicht übergangen werden darf, dagegen sind die 
Pyroxene zumal der kristallinischen Schiefer stets viel tonerdeärmer, die Formel 
derselben könnte mit viel kleinerem Fehler ohne Tonerde geschrieben werden. 
Daß die Hornblende mit doppeltem Molekularvolumen gegenüber von Augit 
auftritt, ist von Becke übernommen und, wie schon oben gezeigt, eine be- 
sondere Schwierigkeit für die fast ständige Uralitisierung des Pyroxens in 
kristallinischen Schiefern. Des ferneren stimmt auch die Atomzahl auf beiden 


Seiten der Gleichung nicht miteinander überein. Rechts ergibt sich die Formel: 
Mi M 


NaCa,Mg;, Fe, Al, Fe,Si,, 0;, links: Na Ca, Mg, Fe, Al, F 881130; Durch einfachen 
Dynamometamorphismus ist diese Änderung nicht möglich. 

Berechnen nun wir aber die prozentische Zusammensetzung des Gebildes, 
welches Grubenmann Diorit nennt, so kommt man unter Annahme von 
2 Mol. Plagioklas entsprechend den Zahlen von Grubenmann zu dem Resultat: 


25,6°0 Plagioklas, 
44,1°/0 Hornblende, 
30,3°/o Hämatit. 


Es ist dies jedenfalls ein Mineralaggregat, welches eher als Eisenerz denn 
als Diorit bezeichnet werden kann, und das in der Natur nicht vorkommt, 
Abh. d. IT. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 101 


784 


und ebenso rein theoretisch zusammengestellt ist wie die Zusammensetzung 
der einzelnen Mineralien. Analog berechnet sich der Pyroxengneis zu: 

12,8%% Albit, 

44,6% Augit, 

33,80/o Magnetit, 

8,8%/0 Quarz. 
d. h. ein Gestein, das ebensowenig existiert wie das Ausgangsmaterial. Diese 
Formulierungen sind somit die allerunerfreulichsten Erscheinungen an den 
gesamten modernen Ausführungen über den Dynamometamorphismus, weil sie 
auf den ersten Blick den Eindruck exakter Formeln erwecken, bei genauerer 
Zergliederung in jeder Richtung verfehlt sind. 

Um etwa zu sehen, wie sich ein wirklicher Diorit unter solchen Um- 
ständen verhalten müßte, ließ ich unter möglichster Zugrundelegung natür- 
licher Verhältnisse eine Berechnung. durchführen: Als Zusammensetzung der 
Hornblende wurde die Analyse einer solchen aus Diorit von Schwarzen- 
berg bei Barr, Vogesen (Rosenbusch, Elemente der Gesteinslehre, 1. Aufl, 
S. 137, Nr. 4) benützt, welche sich unter der Annahme, daß die Kieselsäure- 
bestimmung, wie dies häufig der Fall ist, etwas zu niedrig ausgefallen ist, 
berechnet zu: 

(Na,0),K,0 (Al,0,), (SiO,), Glaukophan, 

(Mg0),(Ca0), (FeO), 
(Al, O,)..(F&; O,); 
(Mg0),(Ca0),,(Fe 0).(SiO,),;, Strahlstein. 


Es ist also eine ziemlich normale, dioritische Hornblende, in welcher 
vielleicht nur das Glaukophansilikat etwas zu stark vertreten ist. Berechnen 
wir nun unter Zugrundelegung dieser Hornblende einen Diorit, dessen Ver- 
hältnisse mit 74%, Andesin, 25° Hornblende und 1°/o Magneteisen wohl 
allgemein als typisch für diese Gesteine anzusehen sind. 


N 610), Gemeine Hornblende, 


740/o Andesin | 250/o Hornblende | 1°/o Magneteisen 
3:0, 42,59 10,76 = 
Fe,O, — 2,46 0,72 
AL,O, 19,98 3,39 ; _ 
FeO — 2,05 0,28 
MsO — 2,66 — 
CaO 6,59 2,54 E 
K,O — | 0,20 — 
Na, O 488 | 0,50 — 
H,O — 0,54 == 


785 


Daraus Gesamtzusammensetzung des berechneten Diorits I; daneben zum 
Vergleich Diorit vom Lichtenberg im Odenwald (Rosenbusch, Elemente 
der Gesteinslehre, 1. Aufl., S. 140, Nr. 14). 


I II 
SiO, 53,31 53,63 
Fe,0, 3,18 3,53 
A107 as 21,54 
FeO 9,33 3,87 
MeO 9,66 | 2,38 
CaO 9,13 928 
K,0 0,20 0,45 
Na,0 5,38 3,68 
H,0 0,54 1,18 


Soweit die chemische Zusammensetzung zweier Gesteine miteinander über- 
einstimmen kann, ist also die Übereinstimmung hier vollständig, der berechnete 
Diorit ist in der Natur möglich. 

Berechnen wir nun aus den erhaltenen Zahlen einen Pyroxengneis, so 
ergeben sich aus 5,38% Na,0 zunächst 45,7 °/0 Albit, der Rest läßt sich aber 
keineswegs in Augit, Quarz und Magneteisen zerlegen, sondern erfordert zu- 
nächst die Ausscheidung eines Kalktonerdesilikates, wie es an sich doch von 
vornherein klar sein sollte, wenn man ein Aggregat von basischem Plagioklas 
in ein solches von Albit überführt. Berechnen wir das auf Zoisit, so geht die 
Rechnung fast glatt auf in: 

Zoisit (H Ca, Al,S1,0i,),, + 
f (Ca 0), (Mg O0). (Fe0), SiO,)s (en 
\ (Mg O)is(FeO),o(Al, O,)1, (Fe; O,;)10 (Si O,)39 J 
Quarz (SiO;)3s 
oder die Gesamtzusammensetzung ist — 
45,7% Albit + 17,3% Zoisit + 32,5% Augit + 4,5°/o Quarz. 


Der ursprüngliche Diorit geht über n Pyroxengneis: 


Augit 


74°/ Andesin, 45,7%% Albit, 
25% Hornblende, 17,30/0 Zoisit, 
1°/ Magneteisen, 32,5% Augit, 


4,5% Quarz. 


Wir erhalten die einfachsten Vergleichsziffern für die Volumina der beiden 
Gesteine, indem wir einfach die betreffenden Prozentzahlen mit dem spezifischen 
101* 


786 


Gewicht des betreffenden Minerals dividieren und so das mittlere spezifische 
Gewicht des Gesteins bestimmen: 


Andesin Hornblende Magneteisen 
74 29 1 
5,67 äh 30 Ss 2435, —= 27,7 + 83 + 0,2 = 36,2. 
100 3 he 
Daraus folgt „,, = 2,76: spez. Gew. des Diorits. 
Albit Zoisit Augit Quarz 
45,7 17,3 32,5 ER ir... 
= ta + 3 16452495 LT = 3435, 
100 5 
Daraus — 2,92: spez. Gew. des Pyroxengneises. 


34,35 
Es ist also tatsächlich eine Volumverminderung vor sich gegangen, und 
diese Umwandlung würde daher unter den Verhältnissen der Dynamometa- 
morphose nach dem Volumgesetz möglich sein. Bekannt ist mir aber der 
Fall nicht, daß neben der Saussuritisierung des Plagioklases sich die Horn- 
blende zu Augit umsetzt, vielmehr ist das tatsächliche Verhältnis der beiden 
letzteren Mineralien das entgegengesetzte. Man wird also obige Zusammen- 
stellung modifizieren müssen und zwar zunächst in der Richtung, daß man 
auch in dem Umwandlungsprodukt an Stelle des Augits Hornblende einsetzt, 
was bei der überhaupt nur den Wert einer Skizze beanspruchenden Rechnung 
und der nahen Übereinstimmung in der chemischen Zusammensetzung zwischen 
Augit und Hornblende ohne weiteres statthaft ist. Dann verändert sich die 
Formel des spez. Gew. des sekundären Gesteins folgendermaßen: 
Albit Zoisit Hornblende Quarz 
45,7 17,3 32,9 774,9 
a 355 0 Bang: 
Hieraus 2,83: spez. Gew. des Amphibolits. 


—/17,6.259% 10,84 1,07 — 383 


Man sieht, daß durch diese in den natürlichen Verhältnissen durchaus 
gebotene Ersetzung des Augits durch Hornblende die Volumverminderung in 
letzterem Gestein um über 50° geringer wurde; der Unterschied ist recht 
klein geworden. Stellt man aber endlich an Stelle des ursprünglichen Horn- 
blendediorits einen Augitdiorit in Rechnung, so ergibt sich für diesen: . 

Andesin Augit Magneteisen 


74 25 1 


DT N Da 352, 


Hieraus 2,82: spez. Gew. des Augitdiorits. 


187 


Es erscheint jetzt die Volumverminderung bei der Saussuritisierung des 
Plagioklases mehr als ausgeglichen durch die Volumvermehrung bei der Uralı- 
tisierung des Augits. Bei dem den natürlichen Verhältnissen am meisten 
entsprechenden Vorgang der Umwandlung eines Augitdiorits in einen Amphi- 
bolit tritt somit eine Volummehrung um 0,01 ein. Der Prozeß, dessen Resultate 
wir in der Natur häufig genug im Bereich der kristallinen Schiefer beob- 
achten, ist somit unter der Wirkung des Volumgesetzes gar nicht möglich. 
Man sieht aber aus obiger Zusammenstellung von Gleichungen und deren 
gegenseitigem Verhältnis, daß den Volumgleichungen keineswegs jene Bedeu- 
tung zukommt, welche sie in den Ausführungen von Becke und Gruben- 
mann besitzen. Vor allem aber muß betont werden, daß die bedeutenden 
Volumunterschiede, welche berechnet wurden, in der Hauptsache nur in der 
Annahme von Verhältnissen begründet sind, welche von den natürlichen weit 
abweichen. 


Ganz ähnliche Erfahrungen machen wir, wenn wir z. B. die Grünschiefer- 
bildung aus Diabas berechnen. Als ursprüngliche Zusammensetzung habe ich 
für den Diabas angenommen: 55% Labrador (2?Ab + 3 An), 40° Augit 
(49,00 SiO,, 4,10 Al,O,, 2,39 Fe,0,, 15,55 FeO, 12,31MgO, 16,29 CaO, ent- 
sprechend der Analyse eines Diabasaugits in Rosenbusch, Elemente der Gesteins- 
lehre, 1. Aufl., S. 321, Nr. 4), und endlich 5% Titaneisen. Die nach dem 
oben gegebenen Schema vorgenommene Umrechnung ergibt einen Amphibolit 
von der ungefähren Zusammensetzung: 21,24°/o Albit, 12,26°,, Titanit, 62,97%, 
Grüne Hornblende, 3,53°/, Quarz. Es wird nun die Formel der spezifischen 
Gewichte beider Gesteine: 


Labrador Augit Titaneisen 
55 40 5 Ai ER, Nat VORAN 
arg a er 


Hieraus 2,97: spez. Gew. des Diabases und 
Albit Hornblende Titanit Quarz 


3 62,97 12:3 3,5 
er een ee 
2,6 3,0 ar 3 + 2,65 8, So + 3% e) 


Hieraus 2,95: spez. Gew. des Grünschiefers. 


Das Resultat dieser Umwandlung, welche doch wohl zu den am weitesten 
verbreiteten überhaupt gehören dürfte, weist also wiederum nicht auf eine 
besondere Wirkungsweise des Volumgesetzes. Eine ganz genaue und in das 
Detail des Prozesses eingehende Berechnung, welche vor allem den zweifellos 
stets vorhandenen Hydroxylgehalt der Hornblende berücksichtigte, würde zwar 


788 


eine kleine Veränderung der Zahlen bedingen und ihr gegenseitiges Verhältnis 
vielleicht umkehren, aber auch dann noch zeigt sich klar, daß die von Becke 
und Grubenmann so in den Vordergrund gestellten Veränderungen des 
Volumgesetzes beim Übergang von Eruptiv- oder Sediment- 
gesteinen in kristallinische Schiefer jedenfalls nicht die Bedeu- 
tung haben, welche ihnen dort, der Theorie der Dynamometamorphose zu- 
liebe, zugeschrieben wird. 

Das von mir als Maßstab für die Berechnung des Volumens eines Gesteins 
eingeführte mittlere spezifische Gewicht hat sich dabei als ein sehr viel 
einfacheres und mindestens ebenso gutes Hilfsmittel für die Berechnung der 
Volumveränderung erwiesen als das von Becke verwendete Molekularvolumen., 
Da das letztere stets mit den theoretischen Ableitungen über die Konstitution 
der Silikate belastet ist, welche absolut ohne Beweis bleiben, so ist die von 
mir vorgeschlagene Art der Berechnung viel exakter und einwandfreier und 
gibt bei aller Einfachheit der Verhältnisse ein absolut klares Bild. 

Als wichtigstes Ergebnis der von mir ausgeführten Berechnungen möchte 
ich nochmals betonen, daß diese exakte Rechnungsmethode im Gegensatz zu 
den mehr oder minder beliebigen Zahlen, wie sie namentlich Grubenmann 
zusammenstellt, bei vollständiger Anlehnung an die in der Natur beobachteten 
und genau studierten Verhältnisse Resultate ergibt, die äußerst ernüchternd 
wirken. Die gesamten Änderungen der Volumina, welche bei den beiden so 
sehr verschiedenen Beispielen der Umwandlung eines sauren und eines basischen 
Eruptivgesteins gefunden wurden, sind so minimal, daß sie völlig innerhalb 
der Fehlergrenze der Berechnungsmethoden fallen und weder in dieser noch 
in jener Richtung als Stützen irgend einer Theorie dienen können. 

Daß das Volumgesetz als solches richtig ist, scheint mir nicht zweifel- 
haft zu sein, aber die Berechnungen, welche aus den Volumgleichungen abge- 
leitet worden sind, beziehen sich zum großen Teil gar nicht auf Verhältnisse, 
welche in der Natur überhaupt möglich sind, und sie erscheinen außerdem 
noch unzuverlässiger infolge der Unmöglichkeit, das Molekularvolumen eines 
Silikates überhaupt festzustellen. 

Unter bestimmten Umständen kann die Zusammenpressung eines Gesteins 
zu molekularen Umlagerungen führen, welche sich in der durch das Volum- 
gesetz angedeuteten Richtung vollziehen, aber diese bestimmten und in den 
natürlichen Erscheinungen sehr wohl zu ermittelnden Umstände sind nicht 
diejenigen, welche die neuen Deduktionen des Dynamometamorphismus in den 
Vordergrund stellen wollen. Ich glaube, nachdem ich diese im einzelnen 
eingehend zergliedert habe, berechtigt zu sein, zu sagen, daß im ganzen 


789 


Bereich der exakten Wissenschaften sich nur selten eine Theorie 
nebst ihrer ganzen Beweisführung soweit von dem Boden der 
realen Tatsachen entfernt hat und so sehr zu subjektiver Speku- 
lation geworden ist als der Dynamometamorphismus in der neuen 
Ausgabe, wie er von Becke und Grubenmann dargestellt wird. 
Wenn auch kein Zweifel an der Richtigkeit der diesen Ableitungen zu Grunde 
liegenden physikalischen Gesetze möglich ist, so zeigen alle theoretischen wie 
praktischen Untersuchungen doch zur Genüge, daß die Art der Anwendung 
dieser Gesetze eine falsche ist. All die zahlreichen Voraussetzungen über das 
physikalische Verhalten der gesteinsbildenden Mineralien, welche schließlich 
nur einen im höchsten Grad labilen, von den äußeren Verhältnissen fortgesetzt 
abhängigen Gleichgewichtszustand darstellen sollen, die Annahme der auf den 
Poren der Gesteine in Form einer gesättigten Lösung zirkulierenden Gebirgs- 
feuchtigkeit, die Berechnungen der Volumveränderung unter der Wirkung des 
Volumgesetzes stehen in direktem Gegensatz zu den tatsächlichen Verhältnissen. 
Und daß auch schon Becke einen Teil dieser Schwierigkeiten lebhaft emp- 
fand, beweist der Schritt, den er in seinen letzten Ausführungen gemacht hat, 
in welchen er die juvenilen Wässer der granitischen Intrusion noch 
für seine „Kristallisationsschieferung“ in Betracht gezogen wünscht. Daß für 
solche durchgreifende Prozesse Gebirgsfeuchtigkeit und Rieckesches Prinzip 
zusammen nicht ausreichen, ist eben zu klar zutage liegend. 

Betrachten wir nun nochmals die einzelnen Gruppen der „kristallinischen 
Schiefer“, zunächst die zweite Gruppe, die ich als alpine Fazies bezeichnet 
habe, in zusammenfassender Weise, weil die hauptsächlichsten der hier kritisch 
behandelten Studien sich auf diese Gruppe beziehen, so kann man diese nach 
obigen Ausführungen wieder in zwei Unterabteilungen zerlegen, von welchen die 
eine, meist von granitischer bistonalitischer Zusammensetzung, in schmelz- 
flüssigem Zustand in die andere eingedrungen ist, welche ein beliebiges System 
sedimentärer und eruptiver Gesteine von beliebigem geologischen 
Alter darstellt. Soweit glaube ich völlig in Übereinstimmung mit Becke, 
Grubenmann etc. zu sein, denn wenn bei der Kristallisationsschieferung das 
juvenile Wasser des Granites mit in Rechnung gezogen wird, so ist dies doch 
nur unter der Voraussetzung möglich, daß dem Granit die Eigenschaft eines 
Intrusivgesteins zukommt. 

Die granitischen Kernmassive der Alpen unterscheiden sich nun von den 
Graniten anderer Gebiete durch eine ganze Reihe von Erscheinungen, welche 
im einzelnen aufgezählt werden sollen: 1. sie sind gewöhnlich durch und 
durch kataklastisch, 2. sie haben schiefrige Randzonen und schiefrige 


790 


Apophysen, 3. sie führen massenhaft Mineralien, welche sonstigen Graniten 
fremd sind und die teils durch hohes spezifisches Gewicht wie der Granat 
teils durch Hydroxylgehalt wie der Chlorit oder durch beide Erschei- 
nungen zusammen ausgezeichnet sind, wie der Klinozoisit. All diese ab- 
weichenden Eigenschaften faßt der Dynamometamorphismus als sekundär in 
dem ursprünglich innormalem Zustand verfestigten Gesteine entstanden auf, 
indem die strukturellen und mineralischen Veränderungen dem Rieckeschen 
Prinzip und dem Volumgesetz zugeschrieben werden und für den Druck 
als solchen oder für die unter dem erhöhten Druck eintretende Temperatur- 
steigerung die Eigenschaft in Anspruch genommen wird, eine allgemeine 
molekulare Beweglichkeit des Gesteins hervorzubringen. Alle Versuche einer 
Beweisführung, welche diese physikalischen Prozesse beweisen sollen, sind 
als mißlungen zu bezeichnen. Und wenn Becke, um die Trümmer seiner 
Theorie noch zu retten, das Stadium der dynamometamorphen Umkri- 
stallisation direkt anschließend an die magmatische Erstarrungs- 
periode eingetreten denkt, so ist doch wohl die Frage erlaubt, weshalb 
gerade ganz zufällig diese beiden einander völlig fremden Prozesse über- 
all in solch enge Beziehungen zueinander treten, während sie doch eigentlich 
in ihren physikalischen Grundlagen gar nichts miteinander gemeinsam haben. 

Becke kann aber für den ganzen komplizierten Apparat des Doppel- 
prozesses, den er freiwillig annimmt, in Bezug auf die Zeitdauer keine 
besonderen Ansprüche machen, denn in zahlreichen Gebieten der Alpen ist der 
zwingende Beweis zu führen, daß die ersten Äußerungen der postvulkanischen 
Prozesse, welche sich direkt an die Phase der magmatischen Erstarrung an- 
schlossen, die Zentralgranite schon in demselben anomalen Zustand vorfanden, 
welchen sie heute noch haben. Die Aplite, welche mit dem Granit auf das 
vollkommenste verschweißt, das Zentralmassiv des Groß-Venedigers durch- 
ziehen, zeigen fast nie eine Spur jener intensiven Kataklase, welche für den 
Zentralgranit charakteristisch sind. Sie waren also noch nicht verfestigt, als 
der Zentralgranit seine kataklastische Beschaffenheit annahm, d. h. die Prozesse 
der Gebirgsbewegung, welche diese hervorgebracht haben, müssen vor der 
Verfestigung der Aplite größtenteils abgeschlossen gewesen sein. 

Aber der Zentralgranit war auch schon völlig schiefrig, als die Aplite 
emporgedrungen sind, das beweist unwiderleglich das von mir früher beschriebene 
Gerölle aus der Isar, das beweist ebenso sicher der parallele Verlauf der 
Aplitgänge in den Randzonen der Massive des Groß-Venedigers oder des 
St. Gotthards, welche fast ausschließlich in der Strukturebene des Massen- 
gesteins eingeschaltet sind. Es ist somit die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, 


791 


daß es sich hier nicht um zwei selbständige, aber zufällig überall zeitlich eng 
aneinander gebundene Prozesse handelt, sondern um den einzigen der magmatischen 
Erstarrung unter hohem Druck, was ich als Piözokristallisation bezeichnet 
habe. Die so allgemein ohne jede Kritik angenommene Theorie des Dynamo- 
metamorphismus steht bei der Erklärung des Zentralgranites zweifellos auf 
einer viel schwächeren Basis als die Annahme einer Piözokristallisation, 
welche eben aus den tatsächlichen Verhältnissen abgeleitet wird. 

Betrachten wir die zweite Unterabteilung der alpinen Fazies 
der kristallinischen Schiefer, so sind es im eigentlichen Sinne des Wortes meta- 
morphe Gesteine, welche verhältnismäßig selten in einzelnen Fossilresten, 
in gröberen klastischen Elementen oder auch in einer Andeutung porphyrischer 
oder ophitischer Strukturen einen Hinweis auf ihre ursprüngliche Beschaffen- 
heit erkennen lassen. An Stelle der ursprünglichen klastischen oder eruptiven 
Struktur sind aber in der Hauptsache ganz neue Strukturformen getreten, 
deren charakteristische Erscheinung auf eine verhältnismäßig geringe mole- 
kulare Beweglichkeit während der Kristallisation der Gesteine hinweist, sowie 
durch den im allgemeinen vorhandenen Mangel einer bestimmten Ausscheidungs- 
reihenfolge der einzelnen Mineralien ein hervortretendes Kennzeichen gegenüber 
den Eruptivgesteinen besitzt. 

Aber diese Strukturformen sind, so scharf ihre Abgrenzung auch gegen- 
über von jenen der Eruptivgesteine erscheinen mag, keineswegs besondere, 
auf die „kristallinischen Schiefer“ als solche beschränkte Erscheinungen, und 
von ganz einwandfreier, auf entgegengesetztem Standpunkt stehender Seite, 
so von Rosenbusch selbst wurde schon lange auf die große Analogie hin- 
gewiesen, welche zwischen der Struktur dieser Abteilung der kristallinischen 
Schiefer und jener normaler Kontaktgesteine besteht. Die Eigentümlichkeiten 
in der Struktur dieser metamorphischen Schiefer sind in ausgesprochener Weise 
und häufig in besonders typischer Ausbildung jene der Hornfelse, so zwar, daß 
in Bezug auf die Struktur überhaupt kein Unterschied zwischen beiden Gruppen 
gefunden werden kann. Die Struktur eines Gesteins gibt aber zweifellos ein 
deutliches Bild von den chemisch-physikalischen Verhältnissen während der 
Herausformung desselben, und man ist daher berechtigt zu der Annahme, daß 
diese metamorphen Schiefer und die Kontaktgesteine unter einander sehr ähn- 
lichen chemisch-physikalischen Bedingungen umkristallisiert sind. Man darf 
daher aber auch nicht die Strukturformen der kristallinischen Schiefer durch 
besondere Namen von jenen der Kontaktgesteine trennen, weil dadurch das 
Gefühl für ihre absolute Identität verloren geht und zumal der weniger Ein- 
geweihte ein subjektiv gefärbtes Bild der Verhältnisse bekommt. 

Abh. d. II. Kl.d. K. Ak.d. Wiss. XXII. Bd. III. Abt. 102 


1792 


Die Prozesse der Umkristallisation durch Kontaktmetamorphose sind uns 
wenigstens in den Hauptzügen bekannt. Die Erscheinung, daß an Stelle der 
wasserhaltigen Tonmineralien eines Tonschiefers bei der Kontaktmetamorphose 
Andalusit und Kordierit treten, daß kohlige Substanz zu Graphit wird, daß 
in einem unreinen Kalkstein durch gegenseitige Reaktion von Kalkspat und 
den tonigen Verunreinigungen sich Kalktonsilikate bilden, beweist die Wirk- 
samkeit der erhöhten Temperatur. Daß diese aber nicht etwa eine Schmelzung 
der ganzen Gesteinskomplexe mit sich brachte, dafür haben wir den Beweis 
in den so massenhaften Einschlüssen in den Kontaktmineralien, der sogenannten 
Siebstruktur, ferner in der helizitischen Struktur, welche die 
ursprüngliche Schieferung des Gesteins auch in dem völlig kristallinischen 
Gebilde noch deutlich erkennen läßt, und endlich in der Erhaltung der ein- 
zelnen, verschieden zusammengesetzten Schichten eines umgewandelten Kom- 
plexes, welche im allgemeinen nicht oder nur wenig gegenseitig in chemische 
Reaktion getreten sind. Daß aber anderseits trotzdem die Umbildung durch 
Kontaktmetamorphose nicht in festem Aggregatzustand vor sich ging, wird 
bei der Betrachtung der Knotenschiefer klar, deren einzelne Knoten z. B. 
von Andalusit Konzentrationsprodukte des Tonerdesilikates aus einem weiteren 
Umkreis darstellen; noch deutlicher tritt diese einstige molekulare Beweglich- 
keit in die Erscheinung bei der Betrachtung der großen Vesuvian- oder Granat- 
kristalle körniger Kalke, welche nicht etwa aus ursprünglichen lokalen An- 
häufungen von Verunreinigungen erklärt werden können. Dazu kommt noch 
die allgemeine Imprägnation der Gesteine mit Turmalin und ähnlichen Mine- 
ralıen, deren Bestand nur aus den dampf- oder gasförmigen Exhalationen bei 
der Kristallisation des Massengesteins erklärt werden kann. Bei der Kontakt- 
metamorphose sind somit die Grundzüge der chemisch-physikalischen Bedin- 
gungen bei der Umkristallisation völlig deutlich zu überblicken und ein durch 
die allgemeine Durchtränkung mit den mineralbildenden Agentien bewirkter, 
durch die erhöhte Temperatur unterstützter, viskoser Aggregatzustand ist das 
Wahrscheinlichste, was wir für die Prozesse der Kontaktmetamorphose fest- 
stellen können. 

Betrachten wir die alpine Fazies der metamorphischen Schiefer 
in Bezug auf die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit der. einzelnen 
Faktoren, so finden wir, daß hier ebenfalls im Stadium der Umwandlung eine 
beschränkte molekulare Beweglichkeit vorhanden war wie im ersten Fall, die 
so verbreiteten größeren Einsprenglinge von Granat, Staurolith, Zoisit ete. 
können auch hier nur als Kristallisationszentren angesehen werden, welche 
beweisen, daß die Umbildung nieht im starren Aggregatzustand vor sich ging. 


793 


Wir beobachten ferner, daß auch hier die Kohle zu Graphit umgewandelt 
wurde, aber im allgemeinen treten nicht die wasserfreien Tonerdesilikate, nicht 
die gegenseitigen Reaktionen des Kalkspats mit seinen Verunreinigungen her- 
vor. Die Verhältnisse zeigen einen gewissen charakteristischen Unterschied. 

Auch die Ausdehnung der umgewandelten Zonen scheint bei den alpinen 
kristallinischen Schiefern um ein Vielfaches bedeutender zu sein als bei der 
normalen Kontaktmetamorphose, so daß man nicht ohne weiteres beide Er- 
scheinungen als äquivalent ansehen kann. 

Betrachten wir die geologischen Verhältnisse dieser Gesteinsgruppen, 
so sieht man sie im allgemeinen in breiten Zonen beiderseits die granitische 
Zentralkette begleiten, in um so höher kristallinischer Ausbildung, je mehr 
man sich dem massigen Kern nähert, um so mehr den normalen Habitus des 
ursprünglichen Gesteins annehmend, je mehr man sich von diesem entfernt. 
Man findet auch hier allenthalben die Durchsetzung der Gesteine mit winzigen 
Turmalinnädelchen, und daß selbst noch in großer Entfernung von dem Zentral- 
granit einstmals sehr bedeutende Temperaturen vorhanden gewesen waren, dafür 
liefert die holokristalline Entwicklung der so weit verbreiteten Aplite einen 
hervorragenden Beweis. 

Und wenn man auch hin und wieder selbst recht hochkristallinisch ent- 
wickelte Serien dieser Gesteine beobachtet, welche scheinbar von den granitischen 
Kernen völlig unabhängig sind, so ist doch wohl allenthalben in derartigen 
Komplexen, in einzelnen Adern wenigstens, Granit oder Aplit zur Ausbildung 
gekommen, welche sich als Abzweigungen eines nicht aufgeschlossenen Massivs 
in der Tiefe zu erkennen geben. 

Die Zusammenfassung der geologischen Beobachtungen in der zentralalpinen 
Schieferhülle beweist jedenfalls mit großer Sicherheit, daß überall, wo die 
kristallinische Entwicklung der Schiefer zu beobachten ist, diese von gewaltigen 
Intrusivmassen von granitischer oder tonalitischer Zusammensetzung durch- 
brochen worden sind, deren Abzweigungen man überall und noch in sehr 
weiter Entfernung vom intrusiven Kern in den Schiefern findet. Derartige 
massige Intrusionen müssen aber nach allen unseren Erfahrungen Tonschiefer 
oder Kalksteine oder Diabase verändern und zu Kontaktgesteinen umwandeln. 
Wir vermissen nun aber die normale Form der Kontaktgesteine in den Zentral- 
alpen völlig, hier sind Andalusit- oder Kordierithornfelse, granat- oder vesuvian- 
führende Kalziphyre in der normalen Reihe der Gesteine unbekannte Erschei- 
nungen und die Dynamometamorphiker suchen nun diesen Unterschied durch 
zwei verschiedene Hypothesen zu erklären. Die vom Zentralgranit durch- 
brochenen Schiefer waren entweder schon dynamometamorph zudem 

102* 


794 


kristallinischen Gebilde geworden, als welches sie sich heute dar- 
stellen und konnten in diesem kristallinischen Zustand die Periode der Kon- 
taktmetamorphose über sich ergehen lassen, ohne eine Änderung zu erleiden 
oder sie wurden zuerst durch die Kontaktmetamorphosein normaler 
Weise umgebildet und erlitten später unter der Wirkung der 
Gebirgsfaltung eine dynamometamorphe Umwandlung, welche ihre 
zuerst kontaktmetamorphe Beschaffenheit völlig zerstörte. 

Betrachten wir diese beiden Möglichkeiten, für welche übrigens keine 
irgendwie geartete Beobachtung spricht, wenn man nicht das lokale Auftreten 
kristallinischer Schiefer in solchen Gebieten hier in Rechnung ziehen will, in 
denen zufällig der zentralgranitische Kern nicht aufgeschlossen ist. Wenn die 
Schiefer schon dynamometamorph waren, bevor der Zentralgranit kam, so 
müssen mindestens zwei Perioden dynamometamorpher Umwandlung in den 
Alpen vorhanden gewesen sein, die erste, welche die Schiefer, die zweite, welche 
die erst später eingedrungenen Granite veränderte. Dabei haben z. B. vom 
Groß-Venediger die schon früher kristallinisch entwickelten Schiefer keine 
ausgedehnteren mechanischen Störungen erlitten, der in den späteren Perioden 
veränderte Granit aber ist ganz kataklastisch geworden. Schon das allein 
halte ich für einen absoluten Beweis für die Unhaltbarkeit dieser Theorie; 
es gibt aber noch einen zweiten, ebenso vollwichtigen. Die Annahme, daß die 
zentralalpinen, kristallinischen Schiefer durch normale Kontaktmetamorphose 
nicht wieder verändert werden, ist nämlich falsch. Die Granatfelse etec., 
welche lokal am Kontakt mit Perodotit und Serpentin aus den Kalk- 
glimmerschiefern hervorgingen, zeigen es mit großer Klarheit; das ist normale 
Kontaktmetamorphose, welche die Beschaffenheit der „kristallinischen Schiefer “ 
wieder deutlich verändert hat. Also waren die Schiefer nicht in ihrem heutigen 
„kristallinischen Schiefer“ -Stadium, als der Granit kam, und dieses Stadium 
hätte auch keinen Schutz gegen die Wirkung normaler Kontaktmetamorphose 
geboten. 

Die zweite Möglichkeit, welche die Dynamometamorphiker zugeben würden, 
ist die, daß auf eine vorhergehende Kontaktmetamorphose eine 
spätere Dynamometamorphose folgte, welche den durch ersteren Prozeß 
erreichten kristallinischen Gleichgewichtszustand wieder völlig vernichtete. Zur 
Widerlegung dieser Hypothese, deren Unwahrscheinlichkeit an sich schon in 
die Augen fallend ist, genügt wohl die Bemerkung, daß nach dem Empor- 
dringen der Aplite die Gebirgsbewegung zum Stillstand gekommen war und 
daß somit für die Beurteilung dieses Doppelprozesses dieselben Erwägungen 
gelten, welche bei der Besprechung des Zentralgranites angeführt wurden. 


795 


Die „alpine Fazies* der metamorphen Schiefer zeigt also in Bezug auf 
ihre Struktur volle Übereinstimmung mit den normalen Kontaktgesteinen, 
die Abnahme ihrer kristallinischen Struktur mit der Entfernung 
von dem Intrusivgestein ist dieselbe wie bei diesen, die allgemeine bis in die 
äußersten Zonen gehende Imprägnation mit Turmalin ist in beiden Fällen 
gleich, stark erhöhte Temperatur selbst in ziemlich weit vom Granit 
entfernten Zonen wird durch das Auftreten holokristalliner Adern von Granit 
und Aplit zur Sicherheit, d.h. alle, bei der Betrachtung der chemisch-physi- 
kalischen Verhältnisse der Kontaktmetamorphose in Frage kommenden Faktoren 
waren auch bei der Umkristallisation dieser Gesteine vorhanden und die ab- 
weichende mineralische Zusammensetzung kann nur durch eine Modifikation 
des normalen Prozesses der Kontaktmetamorphose erklärt werden. Nun ist 
es außerordentlich bezeichnend, daß die Ausbildung der Kontaktzonen, wie sie 
die alpine Fazies der metamorphen Schiefer darstellt, in welchen im allge- 
meinen die Wirkung des Volumgesetzes neben dem besonderen Hervortreten 
einer Schieferstruktur einen charakteristischen Unterschied gegenüber den nor- 
malen Kontaktgesteinen hervorbringt, sich nur in der Umgebung von Intrusiv- 
massen findet, deren schiefrige Randzonen und kataklastische Beschaffenheit 
die Wirkung der Piözokristallisation deutlich hervortreten lassen. Wo eine 
Intrusivmasse während der gebirgsfaltenden Prozesse der Verfestigung unter 
besonders hohem Druck anheimfiel, da war natürlich auch die kontaktmeta- 
morphe Umwandlung des Nebengesteins durch diese Spannung beeinflußt, die 
Pi&zokristallisation erfordert eine Pi&zokontaktmetamorphose. 
Die physikalischen Grundgesetze, unter denen diese Umwandlung vor sich ging, 
waren wohl diejenigen, welche der Dynamometamorphismus annimmt, das 
Volumgesetz und das Rieckesche Prinzip, welche zusammen das erhöhte 
spezifische Gewicht und die Schiefrigkeit der in Betracht kommenden Bildungen 
bedingte. Der fundamentale Unterschied aber, welcher zwischen den hier vor- 
getragenen Anschauungen und jenen des Dynamometamorphismus vorhanden 
ist, liegt darin, daß die Beweglichkeit der Moleküle, welche unter allen Um- 
ständen vorhanden gewesen sein muß, als die Umkristallisation vor sich ging, 
nach meiner Ansicht auf Agentien zurückgeführt werden muß, die recht wohl 
definierbar sind, auf die erhöhte Temperatur und die juvenilen Agentien der 
gewaltigen, zentralgranitischen Massive. An Stelle der in den Poren der Ge- 
steine als gesättigte Lösung zirkulierenden Gebirgsfeuchtigkeit, an Stelle 
der durch Versenkung in große Rindentiefe hervorgebrachten Temperatur- 
steigerung, beides Dinge, für die uns jeder Beweis mangelt, treten in ihrer 
gesamten Wirkungsweise vollkommen typisch die Agentien der Kontakt- 


796 


metamorphose, deren Wirkung in den durch gewaltige Dislokationen 
erschütterten Gesteinen der Zentralzone der Alpen und bei der großartigen 
Ausdehnung der granitischen Kerne hier intensiv wie extensiv in besonders 
eindrucksvoller Weise in die Erscheinung tritt. 

Wenn wir schließlich auch die Beobachtungen über die normale Fazies 
der kristallinischen Schiefer Revue passieren lassen, so müssen wir zunächst 
eine Erscheinungsform derselben genauer charakterisieren, welche zwar auch 
in dem Gebiet der alpinen Vorkommnisse eine nicht untergeordnete Bedeu- 
tung besitzt, in ihrer Individualität aber dort weniger äußerlich hervortritt: 
das sind die, Vermischungen zwischen eruptivem und sedimentärem Material. 
Daß Intrusivmassen Schollen des Nebengesteins losreißen und dieselben sich 
mehr oder minder assimilieren, ist eine Erscheinung, welche niemand zweifel- 
haft sein kann. Das gehobene und in Schollen zertrüämmerte Dach einer 
intrusiven Masse wird von diesen Prozessen besonders in Anspruch genommen 
und zumal, wenn dasselbe aus schiefrigen, durch die Gewalt der Intrusion in 
ihrem ganzen Gefüge erschütterten Gesteinen bestand, treten die Erscheinungen 
der Vermischung des zertrüämmerten Nebengesteins mit dem Eruptivgestein 
besonders deutlich in die Erscheinung. 

Der Schmelzfluß und zwar in erster Linie seine leichtest beweglichen Teile 
von der Zusammensetzung der Aplite drängte sich in jede Fuge des durch- 
brochenen Gesteins hinein, das nun zum Teil kontaktmetamorph umgebildet, 
zum Teil auch mehr oder minder vollständig resorbiert wird und die Ver- 
festigung solcher durch die Gewalt der Intrusion stark gestauchter und ge- 
gefalteter und später mit aplitischem Material wieder verheilter Schiefer liefert 
das von vielen Geologen nicht anerkannte Gebilde der sogenannten injizierten 
Schiefer, den Hauptteil der Gneisformation der normalen Fazies der 
kristallinischen Schiefer. Nur verhältnismäßig selten erscheint die Assimilie- 
rung des Nebengesteins durch die Intrusivmasse so vollständig, daß letztere 
in ihrer ganzen Zusammensetzung modifiziert ist, der Unterschied der beiden 
Komponenten aber nicht mehr hervortritt, ich nenne solche Gesteine Resorp- 
tionsgneise. Weitaus häufiger ist der Fall, daß trotz einer partiellen Auf- 
lösung des Nebengesteins dessen Individualität soweit gewahrt erscheint, daß 
man makroskopisch sowohl als mikroskopisch die beiden Komponenten des 
Gesteins auseinanderhalten kann. Makroskopisch erscheinen die lichten Adern 
des aplıtischen. Gesteins als unregelmäßiges, aber zusammenhängendes Netz- 
werk, in welchem die dunkeln Partien des umgewandelten Schiefers bald in 
kleinen Fetzen bald in ausgedehnten Schollen schwimmen, und der Aplit dringt 
auf Adern und Fugen ein in die aufgeblätterten Massen der einstigen Tonschiefer. 


197 


Mikroskopisch ist der Unterschied noch schärfer charakterisiert: die lichten 
Adern sind normaler Aplit, manchmal mit einigen aus der Auflösung des 
Nebengesteins stammenden Nebengemengteilen, die dunklen Schollen sind nor- 
males Kontaktgestein, manchmal mit etwas durch die Mineralbildner herein- 
getragenem Orthoklas. Die erstere Komponente hat meist sehr ausgesprochene 
aplitische oder mikropegmatitische Struktur, die letztere ist auch strukturell 
ein echter Hornfels. 

Daß in den Randzonen eines derartig entwickelten granitischen Massivs 
von dem normalen, nicht veränderten Granit angefangen durch die Aufnahme 
einzelner Schollen zunächst ein etwas „gneis“artiges Ansehen hervorgebracht 
wird, dann ein von Schollen durchsetzter aplitischer Granit folgt, worauf die 
Schollen an Menge und Ausdehnung mehr und mehr zunehmen und der Aplit 
nur noch in vereinzelten schmalen Adern sich findet, ist in dem Werdeprozeß 
der ganzen Bildung begründet. Mit der weiteren Entfernung von der Intrusion, 
örtlich oder zeitlich, aber werden die Abzweigungen immer saurer, der Feldspat 
der Apophysen tritt zurück und die Durchaderung wird schließlich reiner 
Quarz. Auch diese Quarzdurchaderung der „Glimmerschiefer“- und der „Phyllit“- 
Formation ist durchaus als juvenil zu deuten, als Äquivalent der aplitischen 
Durchaderung der „Gneis“-Formation, d. h. der Gruppe der injizierten Schiefer. 

Diese Erscheinung ist als Weltgruppe zu bezeichnen, ihre Form aber ist 
ausschließlich abhängig von der petrographischen Beschaffenheit des ursprüng- 
lichen Tonschiefers und somit ist irgend eine Beziehung des geologischen Alters 
zu dieser Gesteinsbeschaffenheit von vornherein von der Hand zu weisen. Es 
gehören hierher die mittleren und oberen „Niveaus“ der „Gneisformation“ der 
verschiedenen Länder, auf deren verschiedene Nomenklatur schon in der Ein- 
leitung hingewiesen wurde; in besonders charakterissticher Weise zeigen diese 
Ausbildung die „herzynische Gneisformation“ des Bayerischen und 
des Oberpfälzer Waldes, in welchen Kordierit-, Sillimanit- und Andalusit- 
hornfelse der normalsten Ausbildung von granitisch-aplitischem Material in- 
jiziert sind. Die so charakterisierte Gruppe stellt aber gleichzeitig die untere 
Tiefenstufe von Becke und Grubenmann dar, in welcher „infolge der Ver- 
senkung in große Rindentiefe das Volumgesetz nicht mehr zum Ausdruck 
kommt.“ Oder nach der hier festgehaltenen Auffassung: es ist normale Kon- 
taktmetamorphose im Gegensatz zur Piözokontaktmetamorphose, welche oben 
charakterisiert wurde. Denn die Hornfelsbestandteile dieser „Gneise“ sind in 
Bezug auf Struktur und mineralische Zusammensetzung absolut echte, normale 
Kontaktgesteine und die Gesteine gehen mit der Entfernung vom Intrusivkern 
und dem Nachlassen der Intrusion in normalste Knotenschiefer und andere 


Sur uhr & 


798 


zweifellose Kontaktgesteine über, so daß ein Zweifel an ihrem petrographischen 
Charakter noch viel weniger möglich ist als bei der alpinen Fazies. 

Die Gesamtreihe der „kristallinischen Schiefer“ zerlegt sich somit in zwei 
Gruppen: die alpine und die normale Fazies, welche in ihrer typischen Ausbildung 
voneinander getrennt, die erste in der Umgebung granitischer Massen mit schief- 
riger Randzone und etwas anomaler mineralischer Zusammensetzung, die andere 
an normalen Graniten auftritt. Bei beiden Gruppen können wir eine Reihe 
ursprünglicher Bildungen von schiefrig-kristallinischer Beschaffenheit abtrennen, 
das sind vorherrschend die intrusiven Granite selbst, in denen entweder durch 
Piözokristallisation oder durch Fluidalstruktur eine Schieferung entstanden ist. 
Bei beiden Gruppen läßt sich ferner eine zweite Reihe nicht ursprünglich 
kristallinisch-schiefriger Bildungen unterscheiden, welche daher als metamor- 
phische Schiefer zu bezeichnen sind. Sie sind in der normalen Fazies absolut 
identisch mit normalen Kontaktgesteinen und auch in Bezug auf Mächtigkeit 
der Entwicklung etc. ist hier kein Unterschied. In den alpinen Vorkommnissen 
ist, abgesehen von gewissen mineralischen Modifikationen, die oft recht bedeutende 
Mächtigkeit der Schieferhülle auffallend, die genaue petrographische Unter- 
suchung läßt aber auch hier keine Erklärung als jene durch Kontaktmetamor- 
phose zu. Zwischen den beiden mineralogisch und strukturell scharf getrennten 
Gegensätzen der ursprünglich kristallinischen und der metamorphi- 
schen Schiefer tritt dann in beiden Gruppen die Reihe der injizierten 
Schiefer ein, welche öfter einen bemerkenswerten Übergang darstellen. 

Dabei gilt das Gesetz, daß piözokristallinische Granitmassen eine Kontakt- 
zone in der alpinen Fazies der metamorphen Schiefer aufweisen, normale 
Granite dagegen von einer normalen Fazies umhüllt werden. Zweifellos ist 
ferner, daß die molekulare Umlagerung der metamorphen Gesteine nicht in 
fester Gesteinsmasse, sondern in einem erweichten Zustand vor sich ging, 
welche eine Beweglichkeit der Molelüle auf größere Entfernungen ermöglichte, 
und die Zusammenfassung aller Beobachtungen zeigt, schon in dem konstanten, 
gesetzmäßigen Zusammenhang der verschiedenen metamorphischen Schiefer- 
reihen mit granitischen Intrusivmassen wie in Struktur, Ausbildung und Mineral- 
bestand derselben, daß es sich nur um die Wirkungen der Kontaktmetamorphose 
bei diesen Bildungen handeln kann. Historisch-geologische Beziehungen zwischen 
den verschiedenen Typen sind ebensowenig zu erkennen, als man die ver- 
schiedenen Abarten des Dynamometamorphismus auf dieselben anwenden kann. 


München, Petrographisches Seminar, Januar 1906. 


3 Jul. 1906