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Full text of "Abhandlungen der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft"

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HARVARD UNIVERSITY 


MIR 


LIBRARY 


OF THE 


Museum of Comparative Zoology 


ABHANDLUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 


VON DER 


SENCKENBERGISCHEN NATURFORSCHENDEN 
GESELLSCHAFT. 


NEUNZEHNTER BAND 


MIT XXXVIII TAFELN. 


ERANKHURTTZERTNE 
IN KOMMISSION BEI MORITZ DIESTERWECG. 
1896. 


Bemerkungen: Die Verfasser sind für den Inhalt ihrer Abhandlungen verantwortlich. 


Druck von Aug. Weisbrod, Frankfurt a M. 


Ench are 


Seite. 

Engelhard, H., Über neue Tertiärpflanzen Südamerikas, Mit neun Tafeln. (dl. Heft) . .. . 1— 48 
Reis, Otto M., Illustrationen zur Kenntnis des Skeletts von Acanthodes Bronni Agassiz. Mit sechs 

Tafeln. (I, Heft.) 49— 64 


Weigert, Carl, Kenntnis der normalen menschlichen Neuroglia. Mit dreizehn Tafeln. (II. Heft) 65—216 


Leydig, F., Zur Kenntnis der Zirbel und Parietalorgane. Mit vier Tafeln. (III. Heft) . . . 217-280 
Simroth, Über bekannte und neue Urocyeliden. Mit zwei Tafeln. (IH. Heft) . . .» 2... 281-312 


Edingerf Ludwig, Untersuchungen über die vergleichende Anatomie des Gehirns. III. Neue 


Studien über das Vorderhirn der Reptilien, Mit vier Tafeln. (IV. Heft). . . . . 313-8383 


Schluss des XIX. Bandes. 


ABHANDLUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 
SENGKENBERGISCHEN NATURFORSCHENDEN 
GESELLSCHAFT. 


NEUNZEHNTER BAND. 


ERSTES HEFT. 


MIT XV TATELN. 


FRANKFURT aM. 


IN COMMISSION BEI MORITZ DIESTERWEG. 
1395. 


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YRAREN 
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EELIEDOIKELAD 


De ELLE 


Über neue Tertiärpflanzen Süd-Amerikas. 


H. Engelhardt, 


Oberlehrer am Realgymnasium zu Neustadt-Dresden. 


Mit neun Tafeln. 


Bis in die neueste Zeit war uns die Kenntnis von Tertiärpflanzen Südamerikas völlig 
verschlossen gewesen, während uns die von solchen der übrigen Erdteile längst nicht mehr 
fehlte. Es bleibt das Verdienst der Senckenbergischen Gesellschaft, durch Veröffentlichung 
der Abhandlung: „Über Tertiärpflanzen von Chile“ (16. Band der Abhandlungen, 1891) den 
Schleier, welcher über die gesamte tertiäre Pflanzenwelt des grolsen Südamerika ausgebreitet 
gelegen hatte, zuerst in etwas gelüftet zu haben. Beim Erscheinen dieser Arbeit war keine 
Hoffnung vorhanden, dals innerhalb kurzen Zeitraumes das Wissen auf diesem Gebiete 
erweitert werden könnte. Doch änderte sich die Sachlage bald. Der gründlichste Kenner 
Ecuadors, Herr Dr. Th. Wolf, hatte die Güte, mir bei seiner Rückkehr nach Europa das 
von ihm mitgebrachte Material, welches durch eine Herrn Kaufmann Witt in Loja zu 
dankende Sendung wesentlich vermehrt wurde, zur Bearbeitung zu übergeben. Dazu kam, 
dals auch die berühmten Reisenden Herr Dr. Stübel in Dresden und Herr Geheimrat 
Dr. Reiss auf Könitz ihr von Columbien herrührendes in freundlicher Weise zur Verfügung 
stellten und dals ein weiteres, an neuer Fundstätte von Herrn Konsul Lehmann in Popayan 


gesammeltes hinzugefügt werden konnte.! 


ı Weiteres ist unter dem Titel: „Über neue fossile Pflanzenreste vom Cerro de Potosi“ in den 
Abhandlungen der naturw. Gesellschaft „Isis“ in Dresden (Jahrgang 1894) veröffentlicht worden. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. ıt 


Die so in meine Hände gelangten fossilen Pflanzenreste entstammen den Ländern 
seuador und Columbien. 

In ersterem sind es zwei Fundstätten, Loja und Tablayacu, welche solche geliefert 
haben, und sei hier der Ort, über sie nach mir freundlichst gewordenen mündlichen Mit- 


teilungen des Herrn Dr. Wolf in Plauen bei Dresden zu berichten. 


Von dem Gebirgsknoten von Cajanuma! aus erstrecken sich, parallel von Süd nach 
Nord laufend, zwei hauptsächlich aus Gneis und Glimmerschiefer zusammengesetzte Kordilleren, 
zwischen denen sich das Hochthal von Loja in einer ungefähren Länge von 3/2 deutschen 
Meilen bei einer Breite von durchschnittlich 1Ye Meile in der Höhe von 2200 m ü. d. M. 
dahinzieht. Der östliche der beiden Gebirgszüge erhebt sich bis zu einer Höhe von 4000 m, 
während der westliche nur die von 3000 m erreicht. Die Thalung wird von tertiären Schichten 
bedeckt, welche in ihrer Mitte flache Lagerung zeigen, während sie da, wo sie sich an die 
Östkordillere anschlielsen, so steil aufgerichtet sind, dals man sie als beinahe auf dem Kopfe 
stehend bezeichnen könnte. Nach der Westkordillere hin erweisen sie sich bald horizontal, 
bald geneigt, ja weiterhin durcheinander geworfen, an derselben aber ebenso wie an der 
entgegengesetzten steil aufgerichtet. Unsere fossilen Pflanzenreste wurden in denen gefunden, 
welche sich an der rechten Seite des das Thal entwässernden Rio Zamora bei Loja, also an 
der Ostkordillere befinden. Hier wechseln Braunkohlen- und Thonschichten mit einander ab.’ 
Ihre Ablagerung muls in einem vormals das heutige Gebiet bedeckenden See stattgefunden 
haben, darauf deuten die in den Schieferthonen ungemein häufig erhalten gebliebenen Gehäuse 
einer Pyrgula neben seltener auftretenden einer nicht gekielten Hydrobie hin, denen sich an 


Tierresten noch ein Fischwirbel und einige Gräten anschliefsen. Nach ihrer Entstehung, die 


auf Grund ihrer tierischen Einschlüsse — unter der Bedingung, dals die Entwicklung des 
Tertiär in alter und neuer Welt gleichen Schritt gehalten hat — wahrscheinlich in das 


Pliocän zu setzen ist, wurden sie durch eine letzte Erhebung des dortigen Andengebietes in 


die Stellung gebracht, in der wir sie heutigen Tages finden. 


Was die zweite Fundstätte anbetrifit, so sei Folgendes bemerkt: Nördlich von dem 


Hochthale von Loja befindet sich das Becken von Jubones.” Im Osten von einem aus 


! Siehe Dr. Wolfs Karte, „die Gliederung der ecuadorianischen Anden“ darstellend, in Verhandl. d. 
Gesellsch. f. Erdk. zu Berlin 1891, Heft 9. 10 und Carta geologiea del Ecuador por Dr. T. Wolf in dessen: 
„Geografia y Geologia del Ecuador. Leipzig 1892“, 

> 8. Zeitschrift d. deutsch. geol. Gesellschaft 1876, S. 392 £. 

® Ich bediene mich der von Herrn Dr. Th. Wolf eingeführten Namen, 


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krystallinischen Urgesteinen bestehenden Zuge der Ostkordillere, im Westen von einem solchen 
aus Porphyren und Grünsteinen zusammengesetzten der Westkordillere, im Süden von dem 
wesentlich aus Porphyrgesteinen gebildeten Querjoch oder Knoten von Acayana und Guagra- 
uma, im Norden von dem analog gebauten von Portete und Tinajillas eingeschlossen, nimmt 
es ein bedeutendes Areal ein. Viele Gewässer entspringen den Höhen und sammeln sich in 
dem etwas südlich von der Mitte in ziemlich westlicher Richtung dahinflielsenden Rio Jubones, 
der sie dem Golf von Guayaquil zuführt. Unter ihnen befindet sich auch der in der Richtung 
der Ostkordillere verlaufende Rio Leon, an dessen Ostseite sich ein von Dr. Wolf entdecktes 
vulkanisches Gebiet zeigt, das südlichste von Ecuador, welches in schüchterner Weise auf 
seine gewaltigen Genossen im Norden vorbereitet. Tertiäre vulkanische Gesteine wurden 
hier von vulkanischen Tuffen überlagert und diese von dem Rio Leon zuflielsenden Gewässern 
tief durchfurcht. Wo es der Tablayacu thut, finden sich zwischen Nabon und Udushapa unter 
ihnen rote Thone, welche fossile Pflanzenreste in sich bergen. 

Das zweite Land, Columbien, hat uns auch aus zwei Lokalitäten herstammende Fos- 
silien geliefert. Über die eine kann ich nach gütigen Mitteilungen des Herın Dr. Stübel 
Folgendes berichten: 

Von der am Rio Magdalena gelegenen Stadt Honda führt der Weg über Caiba nach 
den eine starke Tagereise entfernten Minen von Santa Ana (970 m ü.d. M.). Bei Garrapata 
(363 m) passiert man den Rio Guama und steigt dann bergauf. Hier steht Hornblende- 
schiefer, der weiter oben in Glimmer- und Thonschiefer übergeht, an. Auf dem mit vielen 
Quarzstücken bestreuten Wege gelangt man zu dem Dorfe San Juan (500-600 m), woselbst 
eine mächtige Ablagerung vulkanischen Tuffes, welcher reich an fossilen Pflanzen ist und 


viele lose Stücke, auch grölsere Blöcke Andesits enthält, durchschnitten wird. 


Über die andere schreibt Herr Konsul Lehmann: 


Die Stücke stammen „aus dem Caäucathale und finden sich in Schichten östlich der 
Stadt Buga ca. 1100—1200 m ü. d. M. und zwar in einem ziemlich gebrochenen Bergland, 
welches sich am Fulse der aus Glimmerschiefer bestehenden Central-Kordillere längs der 
Thalebene hinzieht.“ 


Die von diesen Örtlichkeiten mir zugekommenen Fossilien sind folgende: 


1* 


ur 


A. Von Ecuador 


Fossile Art. 


Ähnliche jetztwelt- 
liche Art. 


Verbreitung der jetztweltlichen Art. 


Sphaerites punctiformis 
Sph. sparsus 

Sph. consoeiatus 
Xylomites immersus 
Hysterites ellipticus 
Poacites magnus 


Scleria Wolfi 
Arthante geniculatoides 


Hieronymia Lehmanni 
Camphoromoea speciosa 
Endlichera rhamnoides 
Phoradendron fossile 
Myristica fossilis 


Bombax retusifolium 


Lühea tertiaria 


Hiraea eyelosperma 
Banisteria aceroides 
Tapiria lanceolata 
Vochysia Witti 
Vochysia ferruginoides 


Eugenia ovalifolia 


Myrecia antediluviana 
Myreiaria tenuifolia 
Couratari tertiaria 
Lonchocarpus obtusifolius 
Stenolobium rhomboidale 


Caesalpinia subdimidiata 
Cassia dimidiato-linearis 


Cassia longifolia 
Cassia linearifolia 


Macrolobium tenuifolium 


Panicum zizanoidesH.B.K. 


Seleria pratensis Lindl. 
A. genieulata Migq. 


H. alchorneoides Allem. 
C. subtriplinervia Nees. 
E. umbellata Spgl. 

Ph. undulatum Pohl. 

M. surinamensis Roland. 
B. trifoliatum Cav, 

P. pubescens Mart. et Zuce 
L. speciosa Willd. 


. elegans Gr. 

. adamantium Mart. 
. guianensis Aubl. 
. elliptica Mart 
ferruginea Mart., 
. lueida Camb. 

. subulosa Camb, 

. saneta DC. 

. lanceolata Camb, 
. lanceolata Berg. 
. lineata Berg. 

. spieiflorus Mart. 

. eoeruleum Benth. 


ZT SEE BE dd H 


C. obliqua Vog. 
C. chamaecrista L. 


C. excelsa Schrad. 
C. multijuga Rich. 


M. multijugum Benth. 


Brasilien, Guiana, Columbien, Panama, Süd-Mexico, 
Jamaica. 

Brasilien, Guiana, Jamaica, Martinique. 

Brasilien, Guiana, Trinidad, Jamaica u. a. Westind. 
Inseln. 

Brasilien. 

Brasilien. 

Brasilien, Peru, Columbien. 

Brasilien, 

Brasilien, Guiana, St. Vincent. 


| Brasilien. 


Brasilien, Ost-Peru, Englisch-Guiana, Panama, Costa- 
Rica, Süd-Mexico, Nicaragua, Cuba. 

Brasilien. 

Brasilien, 

Durch das ganze tropische Südamerika verbreitet. 

Brasilien. 

Brasilien, Ost-Peru, Columbien, Panama. 


| Brasilien. 


Brasilien, Guiana, Peru. 

Brasilien. 

Brasilien, 

Nord-Brasilien. 

Brasilien, Guiana, Peru, Panama, Costa-Rica, Nica- 
ragua, Süd-Mexico, Westindien. 

Brasilien, 

Brasilien, Peru, Bolivia, Columbien, Guatemala, 
Mexico, 

Brasilien. 

Brasilien, Guiana, Columbien, Central-Amerika, Süd- 
Mexico. 

Nord-Brasilien, Guiana, 


Fossile Art. 


Ähnliche jetztwelt- 
liche Art. 


Verbreitung der jetztweltlichen Art. 


Pterogyne oblongifolia 
Inga ovalifolia 

Inga latifolia 
Phyllites colubrinoides 


Phyllites styracioides 


Phyllites celastrinoides 
Phyllites gouareoides 
Leguminosites grandis 


machae- 
rioides 


Leguminosites 


Leguminosites cassioides 
acaciae- 


formis 


Leguminosites 


Menisecium Wolfi 


Salvinia Lehmanni 

Bambusium Stübeli 

Rhizoma graminis 

Musophyllum elegans 

Palmaeites sp, 

Stenospermatium colum- 
biense 

Fieus laqueata 

Persea coriacea 

Persea macrophylloides 


Persea elliptica 
Persea elongata 
Nectandra curvatifolia 


Nectandra Reissi 
Nectandra areolata 
Goeppertia subherbacea 
Acrodielidium chartaceum 
Laurophyllum rigidum 


P. nitens Tul. 

I. insignis Kunth, 

I. marginata Willd. 
Colubrina cordifol. Reiss. (?) 
St. Martii Seub, 

St. longiflorum A. DC. 

St. punetatum A. DC. 


Machaerium ? 


Cassia ? 
Acacia ? 


| 


Brasilien, 

Ecuador, Brasilien, Costa-Rica. 

Im heifsen Amerika weit verbreitet. 
Brasilien. 


Brasilien, Peru, Columbien, Panama. 


B. Von Columbien. 


M. reticulatum Swartz. 


S. oblongifolia Mart. 


Heliconia sp. 


St. Pompayanense Schott. 


F. americana Aubl. 
P. rigida Nees. 
P. gratissima Gärtn. 


P. densiflora Meissn. 
P. rigida Nees. 
N. Amazonum Nees, 


. Japurensis. Nees, 
. Gardneri Meissn. 
. polyantha Meissn. 
. Sprucei Meissn, 


Ampelodaphne aruneiflora 
Meissn. 


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Brasilien, Peru, Ecuador, Venezuela, Holländisch- 
und Französisch-Guiana, Guatemala, Panama, 
Süd-Mexico, Martinique, Cuba. 

Brasilien, 


Columbien, 


Tropisches Amerika. 
Brasilien, 


Peru, Columbien, Britisch-Guiana, Mexico, Trinidad, 
S. Vincent, Antigua, Jamaica, Cuba. 

Brasilien, 

Brasilien. 

Amazonenstrom-Ufer, Anden Perus, Columbien, Pa- 
nama, Süd-Mexico. 

Brasilien, Columbien, 

Brasilien, 

Brasilien, Britisch-Guiana, 

Brasilien, 

Brasilien, 


_—— — — — —— z—— — — 
Fossile Art. zrnlighe intzeprelt- Verbreitung der jetztweltlichen Art. 
liche Art. 
Posoqueria eolumbiana | P. latifolia Röm. et Schult. Brasilien, Guiana, Columbien, Panama. 
Sabicea asperifolia S. aspera Aubl. \ Guiana, Brasilien, Ost-Peru, Central-Amerika. 
Citharexylon retiformis , €. retieulatum Kth, | Peru, Columbien, Mexico, Vera-Cruz. 
Tecoma grandidentata | T. serratifolia Don. Trinidad. 
Ohrysophyllum rufoides | Ch. rufum Mart, Brasilien. 
Styrax lanceolata St. floridum Pohl. Brasilien, 
Büttneria einnamomifolia | B. melastomifolia St. Hil. | Brasilien, 
Moschoxylon tenuinerve M. hirtum Sow. Columbien, S. Thomas, Gouadeloupe, Jamaica. 
Ilex arcinervis ı I. Macoucoua Pers. | Guiana, Brasilien. 
(ouiana membranacea | G. urtieaefolia Reiss. Brasilien. 
Gouiana firma | &. virgata Reiss. | Brasilien, Nicaragua, Britisch-Guiana. 
Bothriospora Witti | B. corymbosa Hook. fil Guiana, Nord-Brasilien. 
Uondaminea grandifolia ©. eorymbosa DC. Bolivia, Peru, Ecuador, Columbien, Panama. 
Vochysia retusifolia | V. einnamomea Pohl. Brasilien, 
Trigonia varians | Tr. mollis Warm. 
Jambosa lanceolata | J. vulgaris DC. Brasilien, Guiana, Venezuela, Guatemala, Antillen. 
Moquilea Stübeli , M. utilis Hook. fil. Brasilien, Guiana. 
Inga Reissi I. alba Willd, Nord-Brasilien, Französisch-Guiana. 
Pithecolobium tenuifolium | P. glomeratum Benth. Columbien, Brasilien, Guiana. 
Phyllites abutoides Abuta ? 
Strychnos triplinervia 
 : \ | Mart.? 
Biyllites stzychneiede Str. subeordata Spruce ? 
Str. guianense Aubl.? 
Vochysia oppugnata 
Phyllites vochysioides Warm. ? 


V. obseura Warm. ? 


Die Hauptmasse unserer Fossilien besteht, wie bei den meisten Tertiärfloren aller 
Erdteile, aus Blättern; nur wenige Früchte gesellen sich ihnen zu. Und gerade diese, wären 
sie mit den zu ihnen gehörigen Blättern zusammen gefunder worden, hätten für uns von 
srölster Wichtigkeit werden müssen. Doch ist dies nicht der Fall — und so bleiben leider 


die Blätter ohne die Früchte und die Früchte ohne die Blätter zu behandeln. 


Trotz alledem kommen wir dabei zu dem Ergebnis, welches schon bei den Tertiär- 
pflanzen Chiles hervorzuheben war, dafs die Ähnlichkeit derselben mit solchen recenter 
Pflanzen des heilsen Amerika eine höchst auffällige ist, die nicht vereinzelt auftritt und sich 
öfter soweit steigert, dals man von völliger Übereinstimmung reden kann. Dies deutet unbe- 


dingt darauf hin, dals wenigstens die Hauptmasse der Pflanzenwelt des heutigen heifsen. 


Südamerika als in Zusammenhang mit der tertiären Flora Südamerikas gedacht werden müsse, 
mit anderen Worten, dals wir sie als deren Nachkommenschaft zu betrachten haben. Bis 
jetzt wenigstens haben sich alle tertiären Pflanzenreste, welche sowohl in Chile, als in Bolivia, 
Ecuador und Columbien aufgefunden wurden und zu unserer Kenntnis gelangten, als den 
gleichen Teilen von im jetzigen heilsen Amerika wachsenden Pflanzen analog bezeichnen lassen. 
Es würde an obigem Satze auch wenig ändern, wenn sich in Zukunft einige fänden, die auf 
ein anderes Ursprungsgebiet hinwiesen. 

Ist dies aber Thatsache, so ist damit zugleich ausgedrückt, dafs die Entwicklung der 
Floren des heilsen Südamerika eine eigenartige, von aulsen im ganzen fast gar nicht beein- 
flulste gewesen sein müsse. Von höchstem Interesse mülste es sein, seine Kreidefloren mit 
denen der Tertiärzeit vergleichen zu können; doch müssen wir wegen mangelnder Kenntnis 
der ersteren darauf verzichten. Soviel scheint aber aus dem Gesagten hervorzugehen, dals 
sie sich schon lange vor unserer Zeit ihren Lebensbedingungen, die sich bis heute wesentlich 


gleichblieben, angepalst hatten. 


Wanderungen der einzelnen Arten von ihrem Strahlungspunkte aus werden vor sich 
gegangen sein; den Verhältnissen besser angepalste werden für Unterdrückung der minder 
befähigten an manchem Orte gesorgt haben, bis endlich ein Gleichgewicht in der Vegetation 
der verschiedenen Gebiete hergestellt wurde. Aber all diese Vorgänge werden nicht imstande 
gewesen sein, wesentliche Umformungen hervorzurufen. Dazu bedarf es, wie uns die Erl- 
geschichte nachweist, gewaltigerer Faktoren. Von einer Umwandelung des Klimas vom 
heilsen zum gemälsigten und endlich zum kalten, wie sie die Polarländer erfuhren, war hier 
nicht die Rede; es blieb das heilse bis zum heutigen Tage bestehen. Das gewaltige Rück- 
grat der Anden hatte sich bereits in der Tertiärzeit beinahe zu seiner heutigen Höhe erhoben 
und ein ähnliches geologisches Ereignis fand in späteren Formationen nicht mehr statt. Es 
konnte nur noch eine Ausbreitung der vorhandenen Pflanzenweit von den während des 
Tertiärs bestehenden Inseln (Gebiete der heutigen Anden, der derzeitigen Hochländer von 
Guiana und Brasilien) auf unterdessen trocken gelegtes Land stattfinden, und dies war nicht 
imstande, durchschlagende Transformationen hervorzurufen. Dazu kam die geographische 
Abgeschiedenheit wenigstens während des mittleren und jüngeren Tertiärs, welche nennens- 
werte Einwanderungen verhinderte. Der alte pacifische Ozean sorgte im Westen dafür, im 
Osten der atlantische und im Norden entstand erst die beide Amerikahälften verbindende 
Brücke von Central-Amerika, die imstande war, Aus- und Einwanderungen zu begünstigen, 


am Ende des Tertiärs und nach diesem. 


ge 


Vergleichen wir die aufgeführten fossilen Pflanzen beider aneinander grenzenden: 
Länder mit einander, so fällt uns auf, dals sie in den Arten gänzlich verschieden sind und 
in den Gattungen nur wenig Übereinstimmung zeigen. Hieraus darf durchaus nicht geschlossen 
werden, dafs die Vegetation beider Gebiete eine grundverschiedene gewesen sein müsse, haben 
wir es doch nicht mit deren gesamten Pflanzenwelt, sondern nur mit einem sicher geringen 
Prozentsatze einiger Lokalitäten, die geeignet waren, Pflanzenreste der Nachwelt zu über- 
liefern, zu thun. Wie gegenwärtig in der heilsen Zone, sowie in den übrigen die Zusammen- 
setzung der Pflanzendecke oft schon in nicht allzu grolser Entfernung wechselt, so wird es 
auch während des Tertiärs gewesen sein; eine grolse Zahl der Fundstätten weist darauf hin, 
Dauernde Änderungen in der Zusammensetzung der Lokalfloren werden wohl innerhalb der 


Anden nur durch geologische Ereignisse bedingt gewesen sein. 


Bemerkenswert ist die Übereinstimmung der Tertiärfloren von Columbien und Chile 
in der reichlichen Vertretung von Gattungen der Laurineen, während die von Ecuador und 
dem Cerro de Potosi sich durch die der Leguminosen hervorheben, Ein Schlufs auf gleich- 
zeitiges Bestehen der beiden Abteilungen jeder einzelnen Gruppe darf jedoch daraus nicht 
gezogen werden, kämen wir doch auf solche Weise dahin, gleichgeartete jetztweltliche Lokal- 
floren mit ihnen zu parallelisieren. 

Das Alter der einzelnen tertiären Floren genauer zu bestimmen, ist zur Zeit überhaupt 
nicht möglich. Die geringe Veränderung, welche die Pflanzenbevölkerung des heilsen Süd- 
amerika infolge der geringen Abänderungen der im Laufe ganzer Perioden auf sie einwirken- 
den Faktoren erlitten zu haben scheint, hindert daran. Erst wenn es den Geologen gelungen 
sein wird, die an den einzelnen Lokalitäten auftretenden Gesteine nach ihrem zeitlichen 
Auftreten genau zu fixieren, wird es geschehen können. Man könnte uns freilich vorschlagen, 
die Höhen, in welchen heute die Pflanzen erscheinen und in denen ihnen analoge versteinerte 
Reste aufgefunden werden, mit einander zu vergleichen, um daraus Schlüsse zu ziehen, ob 
die in früheren Zeiten eingebetteten in ihnen gelebt haben können, oder ob sie erst durch 
Hebung in dieselben gebracht sind. Das daraus gewonnene Resultat dürfte freilich so allge- 
mein gehalten sein, dals es als befriedigendes nicht bezeichnet werden könnte. Weiter könnte 
man uns aufmuntern, aus der Grölse des Gebietes, das von den Pflanzen zur Zeit einge- 
nommen wird, einen Schluls auf die relative Zeit ihrer Wanderung zu machen. Doch wäre 
diese Methode eine undurchführbare, weil uns dabei in Betracht zu ziehende Faktoren 
vielfach nicht zur Verfügung stehen würden. In erster Linie fehlte uns die Kenntnis des. 
Abstammungsortes jeder einzelnen Pflanzenart. Wäre uns auch der Grad ihrer Wanderungs- 


Fe 


fähigkeit und die Art ihrer Wanderung bekannt, so wären es doch nicht die Hindernisse, 
welche sich bei ihrer Verbreitung entgegengestellt und sie gezwungen, auf Umwegen ihr Ziel 
zu erreichen. Selbst wenn wir dabei das Maximum und Minimum der Temperatur, unter 
denen die Pflanzen in der Jetztzeit zu leben vermögen, mit in Betracht zögen und voraus- 
setzten, dals eine wesentliche Änderung der Temperatur nicht stattgefunden, würden wir 
doch nicht imstande sein, die Aufgabe richtig zu lösen, da uns ihre Akkomodationsfähigkeit 
durch Perioden hindurch unbekannt bliebe. Wir wären dabei auf unsere Phantasie allein 
angewiesen und die darf hierbei keine Rolle spielen. Dazu kommt, dals die Kenntnis 
von Lokalitäten, welche uns bisher Material für diesen Zweck geliefert, eine ungemein 
geringe ist. 

So bleibt uns nichts anderes übrig, als uns betreffs der genaueren Altersbestimmungen 


auf die Zukunft zu getrösten. 


Beschreibung der Pflanzenarten. 


A. Ecuador. 


a. Aus dem Gebiete von Loja. 


I. Kryptogamen. 
Balizie. 


Gattung Sphaerites Hall. 


Sphaerites punctiformis. Taf. I, Fig. 1. 


Die Perithecien sind klein, rund, gehäuft, hellbräunlich. 

Auf dem Fetzen eines Grasblattes sieht man eine Menge Pilze, die bei Vergrölserung 
meist in ihrer Mitte eine kleine Vertiefung zeigen, sonst aber fleckenförmig erscheinen und 
der Stelle, an welcher sie stehen, eine hellbräunliche Färbung erteilen. 


Sie erinnern sehr an Physoderma. 


Sphaerites sparsus. Taf. I, Fig. 2, 2a (vergrölsert) 
Die Perithecien sind kreisrund, eingesenkt, braun, stehen zerstreut. 


Auf einem unbestimmbaren Blattfetzen. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 


15) 


sie 


Sphaerites consociatus. Taf. I, Fig. 4, 4a (vergrölsert). 
Die Perithecien sind zahlreich, wenig voneinander getrennt, rostbraun, klein, länglich, 
stehen zwischen den Nerven, treten etwas über die Oberfläche hervor und zeigen eine läng- 
liche Mündung. 


Auf einem monokotyledonen Blattfetzen. 


Gattung Aylomites Pers. 
Xylomites immersus. Taf. I, Fig. 3. 


Die Perithecien sind etwas eingesenkt, länglich-rund, in der Mitte erhaben. 


Auf einem nicht bestimmbaren Blattfetzen befinden sich die schorfähnlichen Pilze. 


Gattung Hysterites Ung. 
Hysterites elliptieus. Taf. I, Fig. 5. 

Die Perithecien sind elliptisch und stehen erhaben über der Blattmasse, die Ränder 
sind dagegen eingesenkt. 

Sie sind von verschiedener Grölse und stehen bald dicht, bald entfernt von einander 
auf einem jedenfalls von einer monokotylen Pflanze herrührenden Fetzen. Nur ihrer Gestalt 
wegen konnte ich sie zu dieser Gattung stellen, denn eine genauere Untersuchung war 
nicht möglich, weshalb der von Geyler eingeführte Name Hysteropsis mehr am Platze 


sein dürfte. 


II. Phanerogamen. 


Familie der Cyperaceen L. 
Gattung Scleria Berg. 
Seleria Wolfi. Taf. I, Fig. 11. 

Die Blattspreite ist lang, linealisch, nach Spitze und Grund verschmälert, von einem 
hervortretenden Nerven in der Mitte und mit diesem parallellaufenden feinen seitlichen Nerven 
durchzogen. 

Das Blattstück ist, dank dem feinen Versteinerungsmateriale, ausgezeichnet erhalten. 
Es zeigt sich so übereinstimmend mit den Blättern von Scleria pratensis Lindl., dafs ich nicht 
zögere, es in diese Gattung einzureihen. 

Ich benannte diese Art nach Herrn Dr. Th. Wolf in Plauen bei Dresden. 


le 


Familie der Piperaceen Rich. 
Gattung Arthante Mia. 


Arthante geniculatoides Egh. Taf. I, Fig. 18. 
1891. Engelhardt, Tertiärpfl. v. Chile, S. 648, Taf. 2, Fig. 20. 

Das Blatt ist ein wenig lederig, länglich, ganzrandig, spitz, am Grunde ungleich und 
gerundet; der Mittelnerv ist stark, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, ver- 
laufen wenig gebogen und verbinden sich vor dem Rande in Bogen, die Randfelder sind mit 
Schlingen besetzt. 

Das von Eeuador stammende Blatt ist besser erhalten, als das, welches mir von Chile 
zukam. Es ist vollständig, zeigt den ungleichen Grund sehr schön und die Nervation recht 
wohl erhalten. Übereinstimmt es mit Blättern von der Spitze der Zweige von Arthante 
genieulata Mig. = Piper nitidum Weigelt. Manches Ähnliche besitzt es auch von denen der 
Hymenaea stilbocarpa Hayne, doch kann es mit diesen nicht in Verbindung gebracht werden, 


da sie starr-lederig sind. 


Familie der Antidesmeen Sweet. 


Gattung Hieronymia Fr. Allem. 


Hieronymia Lehmanni. Taf. II, Fig. 1, 2. 

Das Blatt ist breit-elliptisch, am Grunde gerundet, kurz-zugespitzt, ganzrandig und 
flach; der Mittelnerv ist stark, die Seitennerven gehen unter spitzen Winkeln aus, verlaufen 
sebogen und verbinden sich entfernt vom Rande in Bogen, die Nervillen sind geknickt und fein. 

Leider ist das schöne Blatt nicht ganz erhalten geblieben, auch lielsen sich dazu 
gehörige abgebrochene Stücke nicht auffinden, um es möglichst zu ergänzen. Trotz alledem 
ist die überraschende Ähnlichkeit mit Blättern von Hieronymia alchorneoides Allem. nicht zu 
verkennen. Es zeigt uns die untere Seite, auf welcher sowohl der Mittel- als die Seiten- 
nerven hervortreten. Ersterer erscheint halbstielrund und nur am Grunde breitgedrückt. 
Die von letzteren gebildeten Felder sind grols und werden von feinen gebrochenen Nervillen 
durchzogen, zwischen welchen noch feinere, nur mit Hilfe der Loupe erkennbare sich 
befinden, die aber trotzdem in die Zeichnung aufgenommen wurden. Diese werden durch 
noch zartere Quernervillen verbunden, wodurch ein vierseitiges Maschenwerk entsteht, das 
von kleineren Maschen ausgefüllt sich zeigt. 


Ich habe diese Art zu Ehren des Herrn Botaniker Konsul Lehmann in Popayan benannt. 
9* 


Familie der Laurineen Juss. 


Gattung Camphoromoea Nees. 


Camphoromoea speciosa Egh. Taf. I, Fig. 17. 
1891. Engelhardt, Tertiärpfl. v. Chile, S. 652, Taf. 3, Fig. 1. 

Die Blätter sind ein wenig lederig, kurzgestielt, länglich-eiförmig, zugespitzt, am 
Grunde spitz, beinahe dreifachnervig, ganzrandig; der Mittelnerv ist stark, die unteren Seiten- 
nerven sind aufgerichtet, wenig gebogen, entspringen gegenständig und entsenden in die 
Randfelder bogig sich untereinander verbindende Nerven, die Nervillen sind zart, meist 


gebrochen. 


Familie der Rubiaceen Juss. 
Gattung Endlichera Spgl. 


Endlichera rhamnoides. Taf. I, Fig. 17, 19, 20. 

Die Blätter sind etwas lederig, elliptisch, ganzrandig, kurzgestielt; der Mittelnerv ver- 
jüngt sich allmählich vom Grunde zur Spitze hin, die Seitennerven entspringen unter spitzen 
Winkeln und verlaufen steil aufgerichtet in Bogen. 

Die Textur der Blätter ist nicht sehr stark, woher wohl auch die Verletzungen an 
der Spitze zu erklären sind. Auf der oberen Seite erscheinen die Nerven ein wenig vertieft, 
auf der unteren treten sie deutlich hervor. Am Grunde des einen Blattes ist deutlich die 
Verschmälerung der Fläche in den Stiel zu erkennen. 

Ich vermutete ursprünglich, dals sie Pflanzen aus der Familie der Rhamneen angehören 
möchten, doch überzeugte ich mich sehr bald, dafs dies nicht der Fall sei. Bei weiterem Studium 
der Pflanzen anderer Familien bekam ich Blätter der Eindlichera (Borreria) umbellata Spel., 


mit dem sie gröfste Ähnlichkeit besitzen, zu Gesicht, weshalb ich sie zu dieser Gattung stelle. 


Familie der Loranthaceen Lindl. 


Gattung Phoradendron. 


Phoradendron fossile. Taf. I, Fig. 16. 
Das Blatt ist dick-lederig, länglich-lanzettförmig, etwas sichelförmig gekrümmt, an der 
Spitze gerundet, am Grunde zum Blattstiel verschmälert, ganzrandig, feinrunzelig, der Stiel 


kurz und breit; der Mittelnerv stark, allmählich nach oben verjüngt, Seitennerven fehlen. 


a 


Auf den ersten Blick erkennt man, dals man es mit dem Blatte einer Loranthacee zu 
thun hat. Es stimmt mit solchen des jetztlebenden Phoradendron undulatum Pohl überein. 
Diese zeigen sich zwar meist am vorderen Ende spitz, doch kommen auch solche vor, welche 
daselbst gerundet erscheinen. Die auf der Oberfläche deutlich erkennbaren, nahe bei einander 
befindlichen linienförmigen Vertiefungen dürfen nicht als Nerven gedeutet werden, da sie 
der Regelmälsigkeit entbehren, sondern als Schrumpfungsfurchen; nur das Eine ist ihnen 
gemeinsam, dafs sie sämtlich von dem Mittelnerv ausgehen und nach dem Rande zu spitz- 


laufend gerichtet sind. 


Familie der Myristiceen R. Br. 
Gattung Myristica L. 


Myristica fossilis. Taf. I, Fig. 21. 
1891. Engelhardt, Tertiärpfi. v. Chile, S. 663, Taf. 6, Fig. 9; Taf. 7, Fig. 12. 
Das Blatt ist länglich-lanzettförmig, spitz (?), am Grunde stumpf, am Rande etwas 
bogig-ganzrandig; der Mittelnerv ist gerade, die Seitennerven entspringen unter wenig spitzen 
Winkeln, verlaufen gerade und verbinden sich vor dem Rande in Bogen. 
Unser Exemplar ist zwar nur ein Bruchstück, doch stellt sich das Erhaltengebliebene 
so gut dar, dafs es leicht ist, das Fehlende zu ergänzen. Die Seitennerven sind in srolser 
Anzahl vorbanden gewesen. Es bietet eine jugendliche Form dar. 


Überein stimmt es mit den kleinen Blättern der Myristica surinamensis Roland. 


Familie der Malvaceen Vent. 


Gattung BDombax L. 


Bombax retusifolium. Taf. I, Fig. 13. 


Das Blättchen ist lederig, umgekehrt-eiförmig, an der Spitze stumpf und eingedrückt, 
nach dem Grunde verschmälert, ganzrandig; der Mittelnerv ist stark, gegen die Spitze hin 
nur wenig verschmälert, daher ziemlich breit an derselben endigend, die Seitennerven alter- 
nieren, entspringen unter wenig spitzen Winkeln, verlaufen wenig gebogen und verbinden 
sich in der Nähe des Randes untereinander; das in den Hauptfeldern befindliche Netz 
besteht aus äulserst zarten, mit den Seitennerven parallel verlaufenden und unter sich durch 


schräge Queräste verbundenen Nerven. 


ee 


Obgleich von der Spitze nur die eine Hälfte geblieben ist, so ist doch deutlich zu 
erkennen, dafs dieselbe etwas ausgerandet war. Der an der Spitze abgebrochen endende 
Mittelnerv fällt infolge seiner auffallenden Dicke in der gesamten Nervatur besonders auf; 
die Seitennerven treten durch ihre geringe Stärke gegen ihn bedeutend zurück, besonders 
in der Nähe des Blattrandes, wo Aulsenschlingen nicht beobachtet werden können. 

In all den genannten Beziehungen kommt unser Blättchen mit solchen von Bombax 


trifoliatum Cav. und B. pubescens Mart. et Zuce. überein. 


Familie der Tiliaceen Juss. 


Gattung Lühea Willd. 
Lühea tertiaria. Taf. I, Fig. 12. 

Das Blatt ist lederig, länglich-umgekehrt-eiförmig, etwas ungleichseitig, am Grunde 
schwach herzförmig, ungleich gezähnt, dreinervig, gestielt; der Mittelnerv ist kräftig, nach 
der Spitze hin verdünnt, die seitlichen Nerven gehen unter spitzen Winkeln aus und ver- 
laufen etwas gebogen in Zähne des Randes. 

Unser einziges Exemplar zeigt die ganze Nervatur vertieft. Es entspricht kleineren 
Blättern der Lühea speeiosa Willd. = I. platypetala Rich. = L. rufescens Benth. in allen 


Einzelheiten. 


Familie der Malpighiaceen Juss. 
Gattung Hiraea Juss. 
Hiraea eyclosperma. Taf. II, Fig. 9, 10. 


Die Flügelfrucht ist nackt, der seitliche Flügel kreisrund, ganzrandig, von zarten, 
radial gestellten Adern durchzogen. 

Leider sind beide Stücke am Rande nicht gut erhalten. Dals sie aber zu Hiraea im 
Sinne Jussieus gehören, dürfte wohl zweifellos sein. Grolse Ähnlichkeit waltet ob mit den 


Früchten von Hiraea (Mascagnia) elegans Gr. 


Gattung Banisteria L. 


Banisteria aceroides. Taf. II, Fig. 18, 19. 
Die Flügelfrucht ist klein, schwach gerippt; der Flügel halb-umgekehrt-eiförmig, am 


vorderen Rande verdickt, von zarten, im Verlaufe sich spaltenden Nerven durchzogen. 


— DD — 


Die Früchte von Banisteria adamantium Mart. dürften zur Vergleichung heranzuziehen 
sein; doch glaube ich, dafs eine andere Art, die ich wegen Mangel an Material nicht zu 


bezeichnen vermag, ihr wohl noch näher stehe. 


Familie der Anacardiaceen Lindl. 
Gattung Tapiria Juss. 
Tapiria lanceolata. Taf. IX, Fig. 4. 


Das Blättchen ist häutig, länglich, zugespitzt, ganzrandig; der Mittelnerv verjüngt sich 
nach der Spitze zu allmählich, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen 
beinahe gerade und verbinden sich am Rande in Bogen, die Nervillen sind zart. 

Die ganze Nervation tritt nur wenig hervor. 

Übereinstimmend finde ich die in Form und Grölse sehr variierenden Blättchen von 


Tapiria guianensis Aubl. 


Familie der Vochysiaceen Mart. et Zuce. 
Gattung Vochysia Juss. 


Vochysia Witti. Taf. I, Fig. 6. 


Das Blatt ist lederig, oval, an der Spitze gerundet, am Grunde spitz und etwas ver- 
schmälert, ganzrandig, beinahe sitzend; der Mittelnerv ist stark, nach der Spitze zu allmäh- 
lich verdünnt, die Seitennerven sind äulserst zart, daher meist verwischt, entspringen unter 
wenig spitzen Winkeln, verlaufen gerade und verbinden sich vor dem Rande in flachen Bogen. 

Der sich zur Spitze allmählich verjüngende Mittelnerv endigt nicht ganz fein. Die 
Seitennerven sind fast alle verwischt, nur einzelne sichtbar, welche zwischen sich noch feinere, 
kaum sichtbare erkennen lassen. 

Das fossile Blatt kommt mit den kleineren Formen von Vochysia elliptica Mart. ganz 
überein. 


Ich habe es zu Ehren des Herrn Kaufmann Witt in Loja benannt. 


Vochysia ferruginoides. Taf. I, Fig. 22. 


Das Blatt ist etwas lederig, länglich, ganzrandig; der Mittelnerv ist kräftig, nach der 


Spitze hin allmählich verdünnt, die Seitennerven entspringen unter wenig spitzen Winkeln, 


— 1b — 


verlaufen in parallelen Bogen und verbinden sich in der Nähe des Randes untereinander, die 
zahlreichen Nervillen sind durchgehend oder gebrochen, meist querläufig. 

Wir haben die Oberseite des Blattes vor uns. Die Nervatur zeigt sich ein wenig in 
der Blattmasse vertieft. Die von dem Mittelnerven ausgehenden Nervillen verlaufen ein 
Stück parallel mit den Seitennerven, um dann in einer Knickung sich dem unteren derselben 
zuzuwenden; die übrigen, und das sind die meisten, verlaufen gerade oder gebrochen von 
einem Sekundärnerven zum anderen. In der Nähe des Randes bilden sie einige Schlingen. 
Die Feinheit des Versteinerungsmateriales lies auch die vollständige Erhaltung der kleinen 
Maschen des Gewebes, welche sich fast durchgängig rund oder viereckig erweisen, zu. 

Grolse Ähnlichkeit besitzt dieses Blatt mit Blättern von Vochysia ferruginea Matt., 
V. pyramidalis Mart. und V. tomentosa DC, doch tritt die mit denen der erstgenannten Art 


am meisten hervor. 


Familie der Myrtaceen R. Br. 
Gattung Kugenia Mich. 


Eugenia ovalifolia. Taf. I, Fig. 14. 

Das Blatt ist oval, ganzrandig, am Rande ein wenig zurückgekrümmt, Kurzgestielt; 
der Mittelnerv ist kräftig, die unter spitzen Winkeln ausgehenden zarten, aber deutlichen 
Seitennerven verlaufen parallel, fast gerade und verbinden sich vor dem Rande in Bogen zu 
einem mit demselben gleichlaufenden Saumnerven. 

Das Blatt macht den Eindruck des Starren. Der Mittelnerv zeigt sich — es liegt 
die Oberseite vor — wenig vertieft und bleibt bis kurz vor der Spitze stark; in den Feldern 
zwischen den Seitennerven ist stellenweise ein zartes, aus länglichen Schlingen bestehendes 
Netzwerk sichtbar geblieben. 

Eine ganze Reihe Arten von Zugenia des tropischen Südamerika, deren Blätter mehr 
oder minder grofse Ähnlichkeit mit dem fossilen zeigen, habe ich zur Vergleichung herzu- 
ziehen können. Dahin gehören z. B. die von Eugenia Schüchiana Berg, bei denen aber die 
Seitennerven weiter voneinander entfernt sind; die von E. leptoclada Berg, die sich dadurch 
unterscheiden, dals der Mittelnerv hervortritt. Die von E. lucida Camb., E. subulosa Camb. 
und E. sancta DC. sind sehr ähnlich; doch betone ich, dafs mir eine vollständige Sammlung 
dieser artenreichen Gattung nicht zur Hand war, weshalb sehr leicht eine andere Art noch 
näher stehen könnte. Auch Marliera sessiliflora Berg ist zur Vergleichung heranzuziehen, 
doch sind deren Blätter häutig. 


Re 


Gattung Myreia DC. 
Myreia antediluviana. Taf. I, Fig. 15. 

Das Blatt ist häutig, ei-lanzettförmig, ganzrandig, kurzgestielt; der Mittelnerv ist am 
Grunde stark und verjüngt sich nach der Spitze zu allmählich; die Seitennerven entspringen 
unter spitzen Winkeln, verlaufen gerade und parallel und verbinden sich vor dem Rande zu 
einem Saumnerven; das Blattnetz ist zart, aus vierseitigen Maschen zusammengesetzt. 

Dem fossilen Blatte kommen die Blätter der Myreia rostrata DC. und einiger anderen Arten 
sehr nahe, völlig übereinstimmend fand ich aber nur die Form angustifolia der sehr variierenden 
M. lanceolata Camb. 

Gattung Myreiaria Be. 
Myreiaria tenuifolia. Taf. I, Fig. 24. 

Das Blatt ist lanzettförmig, lang-zugespitzt, ganzrandig, kurzgestielt, fast häutig, der 
Mittelnerv ist am Grunde stark und verjüngt sich von der Mitte an sehr schnell, die Seiten- 
nerven entspringen unter spitzen Winkeln, sind äufserst zart, kaum sichtbar. 

Der Mittelnerv tritt — wir haben die Unterseite vor uns — am Grunde nur wenig 
hervor, weiterhin fast gar nicht. Die Seitennerven vermögen blols mit Hilfe der Loupe 
erkannt zu werden. 

Als übereinstimmend mit dem fossilen Blatte bezeichne ich Blätter von Myreiaria 


lanceolata Berg. 


Familie der Papilionaceen Endl. 
Gattung Lonchocarpus H. B.K. 


Lonchocarpus obtusifolius. Taf. III, Fig. 1. 


Das Blättchen ist länglich, breit, an der Spitze sehr stumpf, am Grunde spitz, ein 
wenig lederig; der Mittelnerv ist stark, die Seitennerven entspringen unter wenig spitzen 
Winkeln oder beinahe rechtem, verlaufen bogenförmig und verbinden sich, Schlingen bildend, 
untereinander. 

Die je zwei Seitennerven verbindenden Nervillen sind zum geringeren Teile durch- 
gehend, meist gebrochen. Das feinere Maschengewebe vermag nicht erkannt zu werden. 
Mittel- und Seitennerven stellen sich als in die Blattmasse vertieft dar. 

Lonchocarpus spieiflorus Mart. zeigt neben grolsen, weiten Blättern auch solche, die 
in jeglicher Beziehung mit dem unserigen übereinstimmen. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 3 


=. 


Gattung Stenolobium Benth. 


Stenolobium rhomboidalis. Taf. II, Fig. 13. 

Das Blättchen ist eiförmig-rhombisch, etwas ungleichseitig, langgestielt, ganzrandig; 
der Mittelnerv ist stark, allmählich nach der Spitze zu verdünnt, die Seitennerven entspringen 
unter spitzen Winkeln, verlaufen in flachen Bogen und verbinden sich vor dem Rande in Bogen. 

Das Blättchen hat das Aussehen, als müsse es vor der Einhüllung weich gewesen sein; 
alle Teile der Nervatur zeigen sich vertieft und die zwischen derselben befindliche Blattmasse 
ist von den Nerven nach der Mitte hin allmählich aufwärts gerichtet, so dafs es den Charakter 
des Krausen wenigstens in etwas an sich trägt. 

Es kommt mit seitlichen Blättchen von Stenolobium coeruleum Benth. = Calopogonium 


caeruleum Desv. überein. 


Familie der Mimoseen R. Br. 
Gattung Cuesalpinia Bl. 


Caesalpinia subdimidiata. Taf. II, Fig. 5, 6. 

Die Blättchen sind häutig, fast sitzend, ungleichhälftig, ganzrandig, länglich-rhombisch, 
an der Spitze stumpf, am Grunde ungleichseitig; der Mittelnerv ist am Grunde stark, ver- 
schmälert sich nach der Mitte zu allmählich und zeigt sich gegen die Spitze sehr fein, die 
äulserst zarten Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln und verzweigen sich unterwegs. 

Zwei Blättchen sind überliefert, die etwas in der Gestalt abweichen. Dem einen 
(Fig. 6) ist ein Stück Spitze abgebrochen, das andere (Fig. 5) ist vollständig. An letzterem 
sind aulser dem Mittelnerven keine Nerven sichtbar, während solche bei dem ersteren zum 
Teil und zwar äulfserst fein erhalten geblieben sind. Vom feinen Netzwerk ist nichts zu 
erblicken. 

Blättchen von Caesalpinia obliqua .Vog. — (. echinata Lam. sind in Grölse, Gestalt 


und Nervatur oft so übereinstimmend mit unserem, dals wir beide nicht zu trennen vermögen. 


Gattung Cassia L. 


Cassia dimidiato-linearis. Taf. I, Fig. 25. 
Das Blättchen ist häutig, halbseitig-linealisch-länglich, am Grunde schief, ganzrandig; 
der Mittelnerv ist kräftig und verfeinert sich gegen die Spitze hin allmählich, die Seiten- 


nerven sind sehr zart und entspringen unter wenig spitzen Winkeln. 


0 


Das Blättchen zeigt uns die Unterseite, auf welcher der Mittelnerv nur wenig hervor 
tritt. Es stimmt in jeglicher Beziehung mit solchen von Cassia chamaeerista L. überein und 
kommt denen von (©. glandulosa L. ganz nahe, von welchen es sich nur durch das Fehlen 


von Drüsen unterscheidet. 


Cassia linearifolia. Taf. II, Fig. 7, 8. 


Die Blättchen sind häutig, kurzgestielt, länglich-linealisch, ganzrandig, am Grunde 
ungleich; der Mittelnerv ist am Grunde verhältnismälsig stark und nach der Spitze hin 
allmählich verdünnt, die Seitennerven sind fein, gehen unter wenig spitzen Winkeln aus und 
verbinden sich vor dem Rande in Bogen. 

Das gröfsere Blättchen stimmt mit solchen von Cassia multijuga Rich. überein. Leider 
fand ich kein vollständiges Exemplar vor. In jedes von den Seitennerven gebildete Feld 
dringt vom Mittelnery aus ein noch zarterer Nerv ein, welcher dasselbe in zwei Hälften teilt, 
unter der Loupe einen mehrmals geknickten Verlauf zeigt und bis zum Schlingenbogen vor- 
dringt. Nur selten sind zwei solche, welche sich vor dem Bogen miteinander verbinden, 
beobachtbar. Das Netzwerk zeigt unter Vergrölserung meist viereckige Maschen, die von 
sehr kleinen anderen ausgefüllt werden. Unser Blattstück wendet uns die Unterseite zu, auf 
welcher der Mittelnerv etwas hervortritt. — Das kleinere Blättchen entspricht denen, die 
Martius als zu einer besonderen Art gehörig als Cassia magnifica beschrieben hat. 

Nervatur und Gestalt sind bei beiden gleich, nur in der Grölse weichen sie von- 


einander ab. 


Cassia longifolia. Taf. II, Fig. 15, 16. 


Die Blättchen sind häutig, kurzgestielt, länglich-elliptisch, am Grunde gerundet und 
ein wenig ungleich; der Mittelnerv verdünnt sich vom Grunde zur Spitze allmählich ; die 
Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen parallel und flach bogenförmig und 
verbinden sich am Rande miteinander. 

Das Maschenwerk zeigt sich unter der Loupe als sehr zart; die die Felder erfüllenden 
Maschen sind auffallend klein und gerundet-vierseitig. 

Viel Ähnliches haben die fossilen Blättehen mit denen der jetztweltlichen Sweetia 
lentiscifolia Sprgl., doch sind die Stielchen länger als bei diesen und finden sich deren charak- 
teristische Schlingen in den Aufsenfeldern nicht vor. Cassia spectabilis DC. besitzt ebenfalls 


ähnliche, aber spitzere. Übereinstimmend dagegen erscheinen die von Cassia excelsa Schrad. 
3*+ 


= 750 


Gattung Macrolobium Schrb. 


Macrolobium tenuifolium. Taf. II, Fig. 17. 


Das Blättchen ist häutig, länglich, ganzrandig, fast sitzend, ein wenig ungleichseitig ; 
der Mittelnerv ist kräftig, nach der Spitze zu verdünnt, die parallelen Seitennerven sind zart, 
verlaufen gerade und verbinden sich vor dem Rande in Bogen untereinander. 


Ich vergleiche es mit den Blättchen von Macrolobium multijugum Benth. 


Gattung Pterogyne Tul. 


Pterogyne oblongifolia. Taf. II, Fig. 21, 22. 


Die Blättchen sind häutig, länglich, ein wenig ungleichseitig, stumpf; der Mittelnerv 
ist kräftig, die Seitennerven entspringen unter wenig spitzen Winkeln, verlaufen gerade und 
verbinden sich am Rande in Bogen. 

Die Seitennerven sind sehr zart, das Netzwerk erweist sich unter der Loupe als 
sehr fein. 

Ich vergleiche die fossilen Blättchen, denen leider beiden der Grund fehlt, mit denen 


der jetztlebenden Pierogyne nitens Tul. 


Gattung Inga Plum. 
Inga ovalifolia. Taf. I, Fig. 23. 

Das Blättchen ist lederig, länglich-elliptisch, kurz-zugespitzt, ganzrandig; der Mittel- 
nerv ist stark, gegen die Spitze hin schnell verdünnt, die Seitennerven sind zart, entspringen 
unter spitzen Winkeln und verlaufen bogenförmig. 

Der Mittelnerv zeigt sich vertieft; die Nervillen sind sehr zart, gebrochen oder durch- 
gehend. Die eine Hälfte weist einige niedere Falten auf, an deren Stelle sich feine Risse 
befinden, die auf eine gewisse Starrheit des Blättchens hindeuten. 

Das fossile Blättehen entspricht den Blättchen der heutzutage in Ecuador häufig vor- 


kommenden Inga insignis Kunth, auch die von I. spuria Kunth haben Ähnlichkeit. 


Inga latifolia. Taf. II, Fig. 11, 12. 


Die Blättchen sind zart-lederig, beinahe häutig, länglich, kurz-zugespitzt, ganzrandig; 


der Mittelnerv ist am Grunde kräftig und verdünnt sich schnell nach der Spitze zu, die 


Or 


Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, stehen etwas entfernt, sind sehr zart und 
verbinden sich vor dem Rande untereinander, 

Die Blättchen sind grols und zeigen eine matte Oberfläche. Der Mittelnerv findet 
sich auf der Oberseite fast gar nicht vertieft und tritt auf der unteren so gut wie nicht 
hervor, bis etwa zur Mitte verdünnt er sich allmählich, von da an sehr schnell. Einzelne 
Seitennerven bilden vor ihrer Mündung bisweilen Schlingen. 

Ganz übereinstimmend finde ich die Blättchen mit denen der im heifsen Amerika weit 
verbreiteten Inga marginata Willd. Manches Übereinstimmende zeigen auch die der brasi- 


lianischen I. speciosa Spruce. 


Pflanzenreste mit unsicherer Stellung. 


Phyllites colubrinoides. Taf. III, Fig. 3, 4. 


Das Blatt ist gestielt, herz-eiförmig, ganzrandig, dreinervig; Haupt- und Seitennerven 
sind kräftig; die äulseren Hauptnerven senden Seitennerven aus, die vor dem Rande sich in 
flachen Bogen verbinden, die Nervillen sind fein. 

Unsere Bruchstücke zeigen die Unterseite, auf welcher die Nervatur etwas hervortritt. 

Als Pflanze mit zu vergleichenden Blättern bezeichne ich Colubrina cordifolia Reiss. 
Die von Cissampelos unterscheiden sich durch die Nervatur; Coccoloba wifera L. hat eine 
breite Spitze, mehr Seitennerven, einen Mittelnerven, welcher am Grunde viel stärker ist, 


und greifbare Unterschiede in der feineren Nervatur. 


Phyllites styracioides. Taf. III, Fig. 6. 


Das Blatt, von dem nur ein Stück, welches weder Spitze noch Grund, noch vollstän- 
digen Rand zeigt, uns überliefert ist, hat viel Ähnlichkeit mit Blättern einiger Styrax-Arten. 

Es scheint länglich-eiförmig gewesen zu sein; der Mittelnerv ist stark und verjüngt 
sich sehr nach der Spitze zu, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, sind etwas 
gebogen und gabeln sich vor dem Rande unter Bildung von Schlingen; die Tertiärnerven 
sind gebrochen. 

Zur Vergleichung verweise ich auf die Blätter von Styra® Martii Seub., St. longi- 
florum A. DC. und St. punctatum A. DC. 


a 


Phyllites celastrinoides. Taf. III, Fig. 5. 

Das vorhandene Blattstück zeigt sich an der Spitze gerundet, am Rande mit einigen 
winzigen Zähnen besetzt; der Mittelnerv ist kräftig, verdünnt sich aber bedeutend nach der 
Spitze hin, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen gerade und ver- 
binden sich vor dem Rande in Bogen, vor denen in den Randfeldern Schlingen Platz nehmen, 
die Nervillen sind zart. 

Es darf wohl angenommen werden, dafs das Fragment einem Blatte zugehört, das einer 
Art der Familie der Celastrineen zuzuweisen ist. In der Gattung Üleaedendron fand ich 
Blätter, die in der Nervatur mit dem fossilen Stück wohl übereinstimmen dürften, doch ist 
es zu unvollständig, als dals man eine bestimmte Deutung wagen könnte. Auch unter den 


Celastrineen Südafrikas zeigen sich Arten mit ähnlichen Blättern. 


Phyllites gouareoides. Taf. III, Fig. 2. 


Das Blatt ist lanzettförmig, zugespitzt, am Grunde spitz, ganzrandig; der Mittelnerv 
stark, die Seitennerven sind zart, entspringen unter wenig spitzen Winkeln und verlaufen 
gebogen zum Rande. R 

Das Blatt zeigt uns die Rückseite, auf welcher der Mittelnerv ein wenig hervortritt. 
Die Seitennerven lassen nicht erkennen, ob sie anastomosieren. Bei einem zweiten Exemplare 
waren sie verwischt. Es war nicht möglich, ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung 
oder Art festzustellen. Sehr ähnlich sind sie denen von Gouarea pubiflora Juss.; aber es 
kann nicht geleugnet werden, dals sie auch Blättern einiger Trichilia- und Blättchen von 
Paullinia-Arten nahe stehen, z. B. von P. affinis St. Hil. (doch haben diese weniger Seiten- 
nerven) und P. carpopoda St. Hil. (doch haben diese einen umgebogenen Rand, der bei dem 


fossilen Blatte nicht bemerkt werden kann). 


Leguminosites grandis. Taf. III, Fig. 8, 9a. 


Die Hülse ist grols, flach zusammengedrückt, in der Mitte eingeschnürt, am Grunde 
in einen Stiel verschmälert, vorn mit kurzer, dem oberen Rande genäherter Spitze versehen. 
Von der Hülse Fig. 8 ist nur ein Fruchtblatt vorhanden; von Samen oder Samenein- 


drücken ist nichts zu bemerken. 


Leguminosites machaerioides. Taf. III, Fig. 7. 


Die Hülse ist länglich, einsamig. hinter dem Samen nach dem Grunde zu allmählich 


a 


in den Stiel verschmälert, vorn spitz, von zarten, von oben nach unten sich erstreckenden 
und untereinander verbundenen Adern durchzogen. 


Wahrscheinlich gehört diese Hülse der Gattung Machaerium zu. Der Same er- 
scheint flach. 


Leguminosites cassioides. Taf. III, Fig. 9b. 


Das Hülsenfragment erscheint länglich mit parallelen Nähten, ist vorn spitz und zeigt 


mehrere Samen von verschiedener Grölse. 


Leguminosites acaciaeformis. Taf. III, Fig. 10, 11. 


Die Hülsenstücke sind länglich, ihre Ränder gleichlaufend, die zahlreichen Samen 
erscheinen flach, von der Rückennaht erstrecken sich zahlreiche parallele Äderchen eine 


Strecke nach unten. 


Anmerkung. Die Fossilien befinden sich sämtlich in einem meist grauen, zuweilen 


gelblich gefärbten Schieferthone eingebettet. 


b. Aus dem Gebiete des Tablayacu. 


Familie der Gramineen L. 


Gattung Poaeites Brongn. 


Poacites magnus. Taf. I, Fig. 8—10, 


Der Halm ist lang und ziemlich breit, die Stengelstücke sind grols, gestreift, die fein- 
gestreiften Blattspreiten 3—5 mm breit. 

Fs liegen nur die Abdrücke vor, die Versteinerungen selbst sind beim Spalten heraus- 
gebrochen. Nach ihnen zu urteilen, müssen die Halme zusammengeprelst eingebettet worden 
sein; die Blattspreiten liegen nur stückweise vor und sind teilweise vom Halme getrennt zu 
erblicken; von dem Blatthäutchen ist nichts zu sehen. Es ist nicht möglich, sie mit Be- 
stimmtheit einer Gattung zuzuweisen, doch liegt die Möglichkeit vor, dals sie der Gattung 
Panicum L. zuzurechnen seien, wenigstens zeigen sie grolse Ähnlichkeit mit P. zizanoides 
ZIabERe 


a e 


Familie der Myrtaceen R. Br. 


Gattung Couratari Aublet. 


Couratari tertiaria. Taf. II, Fig. 3, 4, 4a. 

Das Blatt ist länglich-lanzettförmig, lang-zugespitzt, ganzrandig; der Mittelnerv ist 
gerade und kräftig, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen gerade 
und verbinden sich am Rande in flachen Bogen, die feinen Nervillen stehen dicht. 

Es lagen nur Bruchstücke vor. Diese zeigen die Oberseite und lassen die gesamte 
Nervatur etwas vertieft erscheinen. 

Die Blätter der jetztlebenden Cowratari lineata Berg erscheinen mir mit den fossilen 
Resten so übereinstimmend, dafs ich nicht zögere, letztere zu dieser Gattung zu ziehen. 


Sehr nahe stehen sie auch denen von Couratari gwianensis Aubl. 


Familie der Mimoseen R. Br. 
Gattung Cassia L. 
Cassia longifolia. Taf. II, Fig. 14. 
S. unter a. Aus dem Gebiete von Loja (S. 19). 


Bemerkung. Das Gestein, dem diese Versteinerungen entnommen sind, ist. ein 


roter Schieferthon. 


B. Columbien. 
a. Aus dem Gebiete von Santa Ana. 


Familie der Gramineen R. Br. 


Gattung Bambusium Ung. 


Bambusium Stübeli. Taf. V, Fig. 4, 5. 
Der Stengel ist hohl, dick, fein gerillt. 
Zwei Stücke, die ich nicht auseinander zu halten vermag, liegen vor. Das eine, 
gespaltene (Fig. 4) ist nicht in seiner ganzen Breite erhalten, sondern zeigt sich an einer 
Seite zum Teil abgebrochen; nur die unterste Partie läfst sie erkennen. Die Halmdicke 


beträgt 1,5 mm. 


Es wurde von Herrn Dr. Stübel, dem zu Ehren diese Art benannt wurde, gefunden 
und befindet sich in der Sammlung desselben. 

Das zweite (Fig. 5) zeigt an seinem Grunde beide Hälften aneinander gedrückt, über 
demselben die eine abgebrochen. Die feine Rillung ist gleich der des ersten Stückes. Ich 


erhielt es aus der Sammlung des Herrn Geheimrat Dr. Reiss. 


Rhizoma graminis. Taf. III, Fig. 20. 


Das Rhizom ist schmal, gestreift, die Knoten stehen weit voneinander und sind mit 
wirtelständigen Wurzelnarben versehen, 

Dals das Rhizom an Stärke sich nicht gleich blieb, zeigen die im Knie zusammen- 
lagernden Stücke. Ob der daneben liegende Blattrest dazu gehört, läfst sich nicht entscheiden. 
Er zeigt zwischen sechs Nerven feine Zwischennerven. 


Sammlung des Herrn Dr. Stübel. 


Familie der Musaceen As. 


Gattung Musophyllum Ung. 


Musophyllum elegans. Taf. IV, Fig. 1—3; Taf. V, Fig. 1. 


Das Blatt ist sehr grols und ganzrandig; der Mittelnerv ist sehr stark, die parallelen 
Seitennerven entspringen unter beinahe rechtem Winkel, verlaufen gerade und sind nur in 
der Randgegend gebogen, die Zwischennerven sind sehr zart, bisweilen tritt einer etwas 
stärker hervor, verlaufen parallel und stehen dichtgedrängt. 

Zwei grölsere Bruchstücke sind erhalten geblieben. Das eine (Taf. IV, Fig. 1) ent- 
stammt der mittleren Partie eines Blattes, von dem der Rand ein Stück hin wohlerhalten 
blieb, während er sowohl ober- als unterhalb desselben abgebrochen wurde. Es zeigt sich 
umgerollt, weshalb ich es in Fig. 2 auf die Ebene projiziert wiedergebe. Sein in der Stärke 
fast gleichbleibender Mittelnerv (3—4 mm) ist ausgebrochen und finden wir an seiner Stelle 
eine vertiefte Rille vor. Das zweite (Taf. V, Fig. 1) entstammt, wie die geringere Stärke 
und schnellere Stärkeabnahme beweisen, der oberen Partie eines Blattes, von dem in der 
Mitte die eine Hälfte zum Teil noch auf der anderen liegend erhalten blieb. Hier ist der 
Hauptnerv vorhanden geblieben, 

Die Stücke entstammen jedenfalls einer Art der Gattung Heliconia L., welche Süd- 


Abhandl, d, Senckenb. naturf, Ges. Bd. XIX. 4 


ee 


amerika eigentümlich ist, wenigstens liels sich aus der Nervatur trotz vieler Vergleichungen 
nicht nachweisen, ob sie zu dieser oder zu Musa L. zu rechnen sei, weshalb ich mich der 


provisorischen Bezeichnung bediente. ! 


Familie der Aroideen Juss. 


Gattung Stenospermatium Schott. 


Stenospermatium columbiense. Taf. V, Fig. 2. 
Das Blatt ist lederig, länglich-elliptisch, ganzrandig, am Grunde mit einer Scheide 
versehen; die Seitennerven sind zahlreich, steigen auf und umschlielsen feine Zwischennerven. 
Unser Blatt kommt in der Nervatur Blättern der asiatischen Aspidistra Ker. sehr nahe, 
doch fehlt diesen die Scheide. Näher stehen die von Stenospermatium Mathewsii Schott Perus, 
jedoch sind sie kleiner und ihre Seitennerven nicht so steil aufsteigend. Die von St. Pom- 


payense Schott dürften kaum einen Unterschied zeigen. 


Familie der Moreen Endl. 


Gattung Ficus L. 


Ficus laqueata. Taf. III, Fig. 22. 

Das Blatt ist lederig, länglich, ganzrandig; der Mittelnerv gerade, kräftig, in der Stärke 
bis gegen die Spitze hin fast gleichbleibend, die Seitennerven sind fein, gehen unter wenig 
spitzen Winkeln aus, verlaufen gerade und verbinden sich in etwas schlängeligen Bogen weit 
von dem Rande unter einander, die Randfelder sind mit Schlingen ausgefüllt. 

Wir haben die Oberseite des Blattes vor uns. Der Mittelnerv zeigt sich auf derselben 
vertieft, die Seitennerven sind es kaum merklich. Das Maschenwerk ist sehr zart und klein. 

Die kleineren Blätter von Ficus americana Aubl. stimmen mit dem unserigen ganz 
überein. 

Familie der Laurineen Endl. 
Gattung Persea Gärtn. 
Persea coriacea. Taf. VI, Fig. 3, 4. 


Die Blätter sind lederig, gestielt, gestreckt-länglich, spitzlich, ganzrandig, am 


Rande deutlich zurückgekrümmt; der Mittelnerv ist stark, die Seitennerven entspringen 


ı Alle Stücke ohne Angabe der Sammlung befinden sich im Besitze des Herrn Dr. Reiss. 


es On I 


unter spitzen Winkeln, sind bogenläufig und verbinden sich mittels Schlingen unter 
einander. 

Ein Blatt (Fig. 3) zeigt die Ober-, eins (Fig. 4) die Unterseite. Bei letzterem treten 
sowohl der Mittelnerv als die Seitennerven wenig hervor, die Nervillen fast gar nicht, 
dagegen ist die Zurückkrümmung des Randes sehr deutlich ausgeprägt. Bei ersterem finden 
wir den Mittelnerv sehr sichtlich vertieft, ebenso ist es bei den Seitennerven der Fall, 
während die Einsenkung der Nervillen eine sehr geringe ist. Bei beiden ist der Stiel, an 
welchem die Blattfläche etwas herabläuft, dick. Es sind dies alles Merkmale, wie sie sich 


bei den Blättern der Persea rigida Nees ausgeprägt vorfinden. 


Persea macrophylloides Esh. Taf. V, Fig. 3. 
1891. Engelhardt, Tertiärpfl. v. Chile, S. 650, Taf. 5, Fig. 3. 


Das Blatt ist grols, lederig, gestielt, breit-länglich, ganzrandig; der Mittelnerv ist 
kräftig und gerade, die Seitennerven sind zahlreich und stark, entspringen unter wenig spitzen 
Winkeln, verlaufen wenig gekrümmt und verbinden sich untereinander, Schlingen bildend, 
in Bogen, die Nervillen sind teils durchgehend, teils gebrochen. 

Das fossile Blatt zeigt die Oberseite, auf welcher der nach der Spitze hin allmählich 
sich verdünnende Mittelnerv und die Seitennerven vertieft erscheinen. Die feinere Nervatur 
ist stellenweise ausgezeichnet erhalten. Es gleicht Blättern der Persea gratissima Gärtn. und 
ist von bedeutenderer Grölse, als das in Tertärpfl. v. Chile abgebildete. 


Persea elliptica. Taf. IX, Fig. 5. 


Das Blatt ist lederig, länglich-elliptisch, ganzrandig; der Mittelnerv ist stark, 
die kräftigen Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen in schwachen 
Bogen und verbinden sich, Schlingen bildend, untereinander, die Nervillen sind meist 
gebrochen. 

Wir sehen die Rückseite des Blattes, auf welcher die Nervatur stark erhaben 
hervortritt. Das Maschennetz ist nur an einer kleinen Stelle erhalten geblieben und 
stellt sich daselbst als ein lockeres dar. Das Blatt gehört zu den wenigen nicht sehr gut 
erhaltenen. 

Soweit der Erhaltungszustand es erlaubt, darf es auf Persea densiflora Meissn. 


bezogen werden. 
4* 


=. 


Persea elongata. Taf. VI, Fig. 8. 


Das Blatt ist lederig, gestreckt-länglich, am Rande zurückgekrümmt, ganzrandig; der 
Mittelnerv ist stark, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen bogen- 
förmig und verbinden sich, gegen den Rand hin sehr verfeinert, untereinander, das Maschen- 
werk ist locker. 

Die gesamte Nervatur tritt auf der Unterseite hervor. 

Ein zweites noch vorhandenes Blatt ist beim Zerschlagen zu sehr verletzt worden, als 
dals es hier abgebildet zu werden verdient. 


Als entsprechende Art nenne ich Persea rigida Nees. 


Gattung Nectandra Rottb. 


Nectandra curvatifolia. Taf. IX, Fig. 3. 


Das Blatt ist lederig, gestreckt-länglich, spitz, ganzrandig, am Rande sehr wenig um- 
gebogen; der Mittelnerv ist kräftig, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, 
verlaufen bogig und verbinden sich vor dem Rande in Bogen, die Nervillen sind zart. 

Die bogig gekrümmte Blattfläche zeigt die Oberseite mit deutlich vertieftem Mittel- 
nerven, wenig eingesenkten Seitennerven und fast unmerklich vertieften Nervillen. Dafs man 
es nicht mit /einem in seiner Nervatur übereinstimmenden Blatte von Styrax coriacea Egh. 
(vgl. Über Tertiärpfl. v. Chile, Taf. 5, Fig. 12), welches mit solchen der jetztlebenden Styrax 
camporum Pohl übereinstimmt, zu thun hat, zeigt schon seine bedeutende Gröfse. Es ist 


vielmehr Blättern von Nectandra Amazonum Nees gleich. 


Nectandra Reissi. Taf. VI, Fig. 7. 


Das Blatt ist grofs, lederig, gestreckt-länglich, ganzrandig, am Grunde spitz, kurz- 
gestielt; der Mittelnerv ist stark, nach der Spitze zu ganz allmählich verdünnt, die Seiten- 
nerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen wenig gebogen und verbinden sich unter- 
einander, die Nervillen sind zart, querläufig, parallel und stehen wenig entfernt. 

Letztere zeigen sich der Blattfläche, welche daher glatt erscheint, nur in ganz ge- 
ringem Grade eingesenkt, mehr die Seitennerven, bedeutend der Mittelnerv, besonders am 
Grunde. Die Sekundärnerven sind aufgerichtet und werden an ihrem Ende fast verschwindend fein. 

Man vergleiche unser Blatt mit Blättern der Nectandra Japurensis Nees. Sehr ähnlich 


sind auch solche der im tropischen Amerika in vielen ineinander übergehenden Formen vor- 


2.00) Ze 


kommenden und weit verbreiteten Nectandra mollis Nees; entferntere Ähnlichkeit zeigt sich 
noch bei anderen Arten. 
Ich benannte diese Art zu Ehren des Herrn Dr. Reiss. 


Nectandra areolata. Taf. VI, Fig. 1, 2. 


Das Blatt ist grols, lederig, oval, ganzrandig; der Mittelnerv ist stark, die Seitennerven 
sind kräftig, gebogen, entspringen unter spitzen Winkeln, sind durch Schlingen untereinander 
verbunden, die Nervillen stehen dicht und schliefsen ein kleines unregelmälsiges Netz- 
werk ein. 

Das Blatt, obgleich ohne Spitze und am Rande verletzt, zeigt sich in seiner Nervatur 
ganz vortrefilich erhalten. Der Raum zwischen Rand und untersten Seitennerven ist mit 
dichtstehenden Schlingen ausgefüllt, die Nervillen sind durchgehend, meist gebrochen oder 
gegabelt; das von ihnen eingeschlossene Netzwerk zerfällt zunächst in Maschen von ver- 
schiedener Gestalt und diese werden von kleineren vierseitigen ausgefüllt. Die mittleren 
Seitennerven stehen am weitesten voneinander. 


Zur Vergleichung ziehe ich Nectandra Gardneri Meissn. heran. 


Gattung Göppertia Nees. 


Göppertia subherbacea. Taf. V, Fig. 8; Taf. VI, Fig. 5. 


Das Blatt ist wenig-lederig, länglich-elliptisch, etwas ungleichhälftig, ganzrandig; der 
Mittelnerv ist stark, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen bogen- 
förmig und im späteren Verlaufe aufwärts gerichtet, sich durch Schlingen untereinander ver- 
bindend, die Nervillen sind teils durchgehend, teils gebrochen, das Netzwerk ist sehr fein 
und klein. 

Man kann unser Blatt mit den Blättern der Göppertia polyantha Meissn. vergleichen, 


auch die von @. sericea Nees stehen nahe, sind aber entschieden lederig. 


Gattung Aerodielidium Nees. 


Acrodiclidium chartaceum. Taf. IV, Fig. 12. 
Das Blatt ist ein wenig lederig, länglich, ganzrandig; Mittelnerv und Seitennerven sind 
nicht stark, letztere entspringen unter spitzen Winkeln und verlaufen in Bogen, die Nervillen 


sind zart und umschlielsen ein feines Netzwerk. 


= a 


Es präsentiert sich von der Unterseite, auf welcher die Nervatur nur wenig hervor- 
tritt, und zeigt sich umgebogen, ohne dafs dabei ein Zerbrechen desselben stattgefunden 
hat, was auf wenig Starrheit hindeutet. Seine kleinen Maschen erweisen sich als vier- und 
fünfseitig. 

Es ist den Blättern von Arcodiclidium Sprucei Meissn. zu vergleichen. Auch die von 


Oreodaphne Schotti Meissn. können herangezogen werden. 


Gattung Laurophyllum. 


Laurophyllum rigidum. Taf. VIII, Fig. 5. 


Das Blatt ist starr, länglich-lanzettförmig, ganzrandig, am Rande etwas zurückgekrümmt; 
die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, laufen gebogen weit aufwärts und stehen 
voneinander entfernt. 

Nur ein Bruchstück ist vorhanden. Dieses zeigt sich umgebogen. Auf seiner Unter- 
seite, welche es uns darbietet, treten Mittel- und Seitennerven merklich hervor, während dies 
von den querlaufenden Nervillen nicht gesagt werden kann. 

Die Blätter von Ampelodaphne aruneiflora Meissn. und A. macrophylla Meissn. er- 


scheinen mir als sehr ähnlich. 


Familie der Rubiaceen Juss, 


Gattung Bothriospora Hook. til. 


Bothriospora Witti. Taf. VI, Fig. 6. 


Das Blatt ist eiförmig, am Grunde spitz, ganzrandig; die Seitennerven entspringen aus 
dem Mittelnerven unter wenig spitzen Winkeln, verlaufen wenig gebogen und verbinden sich 
ziemlich entfernt vom Rande in Bogen. 

Es giebt eine Anzahl von Blättern anderer Gattungen, denen das fossile mehr oder 
weniger nahe kommt; aber es ist bei ihnen die feinere Nervatur abweichend. Ich vergleiche 
es mit Blättern von Bothriospora corymbosa Hook. fil., mit denen es auch in dieser Hinsicht 
übereinstimmt. 


Ich benannte diese Art zu Ehren des Herrn Kaufmann Witt in Loja. 


Na 


Familie der Verbenaceen Juss. 


Gattung Citharexylon L. 


Citharexylon retiforme. Taf. V, Fig. 10. 


Das Blatt ist lederig, elliptisch, ein wenig zugespitzt, ganzrandig; der Mittelnerv ist 
kräftig, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln und verlaufen bogig, das Netz- 
werk ist von grölseren zarten Maschen gebildet. 

Das Blattfragment zeigt die auf der einen Hälfte umgebogene Unterseite, die bei der 
Zeichnung auf die Ebene projiziert wurde. Die Nervillen erweisen sich weder als eingesenkt, 
noch als hervortretend. 

Es hat viel Übereinstimmendes mit den gröfseren Blättern von Citharexylon quadran- 
gulare Jaeq., auch mit solchen von ©. cinereum L., wie ich sie, allerdings mit ? bezeichnet, 
im Dresdener Herbar vorfand, doch erscheinen mir die von ©. reticulatum Kth. am nächsten 


zu stehen. 


Familie der Bignoniaceen R. Br. 


Gattung Tecoma L. 


Tecoma grandidentata. Taf. IV, Fig. 9, 10. 

Die Blättchen sind eiförmig, am Grunde verschmälert, in der oberen Hälfte sägezähnig, 
in der unteren ungleich-gesägt; der Mittelnerv ist am Grunde kräftig und verschmälert sich 
von der Mitte bis zur Spitze sehr schnell, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, 
sind wenig gebogen und münden in die Spitzen der Zähne aus. 

Ich vergleiche unsere Blättchen mit denen von Tecoma serratifolia Don. Ähnlich sind 
auch die von T. radicans Juss., welche Pflanze jedoch aulserhalb der Tropen, in Nordamerika, 


ihren Wohnsitz hat. 


Familie der Sapotaceen Endl. 
Gattung Ohrysophyllum L. 
Chrysophyllum rufoides. Taf. V, Fig. 7. 


Das Blatt ist etwas lederig, lanzettförmig, kurz-zugespitzt, am Grunde spitz, ganz- 
randig; der Mittelnerv ist stark, gegen die Spitze sehr fein, die Seitennerven entspringen 


unter spitzen Winkeln, die untersten und obersten unter sehr spitzen. 


oe 


Die feinere Nervatur ist bei unserem Blatte nicht sichtbar. 
Es ist Blättern der Varietät «cutifolium von Chrysophyllum rufum Mart.- zu ver- 


gleichen. 
Familie der Styraceen Rich. 


Gattung Styrax Tournef. 


Styrax lanceolata. Taf. V, Fig. 9. 


Das Blatt ist lederig, länglich-elliptisch, ganzrandig; der Mittelnerv kräftig, die Seiten- 
nerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen etwas gebogen und verbinden sich vor 
dem Rande in Bogen, die Nervillen sind zart. 

Es stellt sich uns von der Rückseite dar, auf welcher der Mittelnerv hervortritt, 
während von den Seitennerven gesagt werden muls, dafs dies so gut wie gar nicht geschieht. 
Die Nervillen sind querläufig, durchgehend oder gebrochen und bilden in Verbindung mit- 
einander ein sehr zartes Netzwerk. 

Das fossile Blatt hat viel Ähnlichkeit mit den Blättern der jetztlebenden Styraz parvi- 
folium Pohl, doch besitzen diese weniger Seitennerven; vielmehr stimmt es in dieser Be- 
ziehung mit denen von St. floridum Pohl überein. Auch Licania zeigt ähnliche Blätter, aber 
es verbinden sich bei diesen die Seitennerven nicht in flachen Bogen, überdies stimmt die 
Anordnung der Nervillen nicht überein. Cephaelis-Blätter dürfen ihrer grolsen Zartheit wegen 


nicht zur Vergleichung herangezogen werden. 


Familie der Stereuliaceen Vent. 


Gattung Bittneria Löftl. 


Büttneria einnamomifolia. Taf. VII, Fig. 9. 


Das Blatt ist gestielt, elliptisch, spitz, am Grunde verschmälert, ganzrandig, dreifach- 
nervig; der Mittelnerv und die seitlichen Hauptnerven sind kräftig, die Seitennerven befinden 
sich über der Mitte des Blattes, entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen gerade bis in 
die seitlichen Hauptnerven, die Nervillen verlaufen quer und schliefsen ein aus Vierecken 
gebildetes Maschennetz ein. 

Das Blatt stimmt genau mit einer Form von der polymorphen Büttneria melastomifoli« 
St. Hil. = B. elliptiea Pohl und B. affinis Pohl überein. Ferner stehen die Blätter von B. Gayana 
St. Hil. = B. laevigata Schott durch ihre lange Zuspitzung, ‚sowie ihren gerundeten Grund. 


Pe 


Familie der Meliaceen Juss. 


Gattung Moschoxwylon Juss. 


Moschoxylon tenuinerve. Taf. IX, Fig. 10. 
1891. Engelhardt, Tertiärpfl. v. Chile, S. 670, Taf. 8, Fig. 10; Taf. 9, Fig. 9. 
Das Blättchen ist länglich-lanzettförmig, ganzrandig, ungleichhälftig, dünn; der Mittel- 


nerv verhältnismälsig kräftig, die Seitennerven sind zart, entspringen unter wenig spitzen 


Winkeln, verlaufen ziemlich parallel und verbinden sich vor dem Rande in Bogen. 


Familie der Ilieineen Brongn. 


Gattung Ilex L. 
Ilex areinervis. Taf. VII, Fig. 1; Taf. IX, Fig. 2. 

Die Blätter sind lederig, elliptisch, zugespitzt, ganzrandig, am Rande etwas zurück- 
gebogen; der Mittelnerv verdünnt sich von der Mitte an sehr schnell, die Seitennerven sind 
dünn, entspringen unter spitzen Winkeln und verbinden sich vor dem Rande in Bogen. 

Eine ähnliche Nervatur der Blätter findet sich bei einer gröfseren Anzahl von Ilieineen- 
Arten vor, was die Vergleichung sehr erschweren würde, wenn wir uns nicht an Abweich- 
ungen in der Gestalt der Blätter, an die Entfernung der Seitennerven voneinander und an 
den Ausgangswinkel derselben halten könnten. Sehr nahe kommen unsere Blätter solchen 
der jetztlebenden Ilex inundata Pöpp; doch stehen sie näher den ziemlich formenreichen von 
J. Macoucou Pers. Auch bei Maytenus finden wir in vieler Beziehung übereinstimmende, 
z. B. bei der Art obtusifolia Mart. 


Familie der Rhamneen R. Br. 
Gattung Gouiana Jacq. 


Gouiana membranacea. Taf. IV, Fig. 4, 5. 


Das Blatt ist häutig, gestielt, zugespitzt-eiförmig, am Grunde etwas herzförmig, 
gezähnt; der Mittelnerv ist kräftig, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, 
verlaufen anfangs gerade, später gebogen, die unteren senden Äste nach dem Rande ab, in 
dessen Zähnen sie endigen, die Nervillen stehen dicht gedrängt. 

Das Blatt kommt mit Blättern der lebenden Gowiana urticaefolia Reiss überein. Es 


unterscheidet sich von anderen Species durch seine Nervatur, weshalb ich es als einer besonderen 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 5 


Art zugehörig ansehen und von diesen trennen muls. Bei keiner lebenden Art senden 
nämlich die unteren drei Seitennervenpaare so viel Äste ab, als bei dieser; überdies sind die 
Zähne klein. Es zeigt sich von seiner oberen Seite, auf welcher die gesamte Nervatur 


vertieft erscheint. 


Gouiana firma. Taf. IV, Fig. 6, 7. 

Das Blatt ist derb, grols, eiförmig-elliptisch, gekerbt; der Mittelnerv ist kräftig, die 
Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, sind wenig gebogen, nur der unterste sendet 
viele Äste ab, die Nervillen stehen weiter voneinander ab, als bei voriger Art. 

Ich vergleiche unsere Stücke mit den Blättern der Gouwiana virgata Reiss. Die Blatt- 
masse ist derber als bei der vorigen Art, daher wohl auch Verletzungen innerhalb derselben 


nicht zu bemerken sind. 


Familie der Rutaceen Battl. 


Gattung Condaminea DC. 


Condaminea grandifolia. Taf. VII, Fig. 2; Taf. IX, Fig. 1. 

Die Blätter sind grols, lederig, breit-länglich, ganzrandig; der Mittelnerv ist stark, 
verläuft gerade; die kräftigen Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen 
wenig gebogen und verbinden sich vor dem Rande in Bogen, die Nervillen erscheinen teils 
durchgehend, teils gebrochen, stets ausgeprägt. 

Man könnte versucht sein, unsere Bruchstücke mit den Blättern von Styrax macro- 
phyllum Schott in Verbindung zu setzen, wenn uns nicht ein Stück vom Rande erhalten 
geblieben wäre, dessen Anblick sofort davon überzeugt, dals wir hierin irre gehen würden, 
da sich in den Randfeldern eine grolse Anzahl Schlingen zeigen, die bei den Blättern dieser 


Art nicht vorhanden sind, wohl aber bei denen von Condaminea corymbosa DC. 


Familie der Vochysiaceen Mart. et Zuce. 
Gattung Vochysia Juss. 
Vochysia retusifolia. Taf. VII, Fig. 3. 


Das Blatt ist lederig, länglich, an der Spitze gerundet und eingedrückt-ausgerandet, 


nach dem Grunde zu verschmälert, ganzrandig; der Mittelnerv tritt nicht hervor, ist stark, 


— 5 — 


die Seitennerven sind fein, ungleich stark, entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen ziem- 
lich parallel und verbinden sich ziemlich weit vom Rande unter langen Bogen. 

Unser Blattstück steht den Blättern mehrerer Arten nahe, z. B. der Form elongat« 
von Vochysia Tucanorum Mart. und denen von V. thyrsoide« Pohl, am meisten Überein- 


stimmung zeigt es jedoch mit denen von V. ceinnamomea Pohl. 


Familie der Trigoniaceen Enlül. 
Gattung Trigonia Aubl. 


Trigonia varians. Taf. VII, Fig. 4—6; Taf. IX, Fig. 9. 


Die Blätter sind elliptisch oder umgekehrt-eiförmig-elliptisch, zugespitzt, am Grunde 
zuweilen schief, ganzrandig; der Mittelnerv ist kräftig, nach der Spitze hin verschmälert, die 
Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen anfangs ziemlich gerade, erst gegen 
die Spitze hin gebogen, beinahe parallel dem Rande zu, Mittel- und Seitennerven erscheinen 
auf der oberen Seite vertieft und treten auf der unteren scharf hervor. 

Die Blätter haben Ähnlichkeit mit solchen von Arten des Rhamnidium Reiss, doch 
stehen die Nervillen nicht so dicht aneinander; auch die Blättchen von Helietta multiflora 
Engl. und andere Pflanzen sind von mir in Betracht gezogen, doch nicht als mit den fossilen 
übereinstimmend gefunden worden. In der Gattung Trigonia dagegen finden wir eine Anzahl 
Arten, welche die verschiedenen Formen, welche uns die versteinerten Blätter zeigen, in sich 
vereinigen, auch Eigentümlichkeiten der Nervation. Bei der Beziehung auf diese müssen 
sofort alle die ausgeschieden werden, welche geringere Zahl der Seitennerven aufweisen, wie 
z. B. Trigonia pubescens Camb., Tr. Glazioviana Warm., Tr. boliviana Warm. Tr. mollis Mart. 


erscheint mir übereinstimmend nach jeder Richtung hin. 


Familie der Myrtaceen R. Br. 


Gattung Jambosa Rumph. 


Jambosa lanceolata. Taf. IX, Fig. 6, 7. 


Das Blatt ist lederig, lanzettförmig, zugespitzt, ganzrandig; der Mittelnerv ist kräftig, 
die Seitennerven sind schwach, gehen unter spitzen Winkeln aus, verlanfen etwas bogig und 
verbinden sich vor dem Rande zu einem Saumnerven untereinander. 


D* 


Be 


Nur Bruchstücke liegen vor, welche weniger gut als die Exemplare der meisten übrigen 
Arten erhalten geblieben sind, weshalb die feinere Nervatur nicht zu erblicken ist. Nur die 
für diese Blätter charakteristischen, durch die Mitte der Hauptfelder laufenden und vor ihrem 
Ende sich abwärts zu den unteren Seitennerven neigenden Nerven sind zu erblicken. 

Ich vergleiche die fossilen Stücke mit kleineren Blättern der Jambosa vulgaris DC., 
bei welchen sich auf der Oberseite die Nervatur ebenfalls wenig ausgeprägt zeigt. Bei Avi- 
cennia tomentosa Jacgq., an die man ebenfalls denken könnte, besitzen die Blätter eine viel 
ausgeprägtere Nervation. Rührten unsere Stücke von dieser her, so wäre es unverständlich, 


wenn nicht einmal stückweise das feinere Geäder erhalten geblieben wäre. 


Familie der Rosaceen Juss. 


Gattung Moguillea Aubl. 


Moquillea Stübeli. Taf. IV, Fig. 11. 

Das Blatt ist derb-lederig, elliptisch, am Grunde gerundet, ganzrandig; der Mittelnerv 
ist kräftig, die Seitennerven gehen unter spitzen Winkeln aus, sind gebogen und verbinden 
sich durch Schlingen untereinander, die von ihnen gebildeten Felder sind von einem feinen 
Nervillennetz erfüllt. 

Es stimmt überein mit Blättern der Mogqwillea utilis Hook fil. 

Ich benannte es zu Ehren des Herrn Dr. Stübel. 


Sammlung des genannten Herrn. 


Familie der Mimoseen R. Br. 


Gattung Inga Plum. 
Inga Reissi. Taf. VIII, Fig. 1, 2; Taf. IX, Fig. 8. 

Die Blättchen sind wenig-lederig, eiförmig-länglich, spitz, ganzrandig, glatt, gestielt; 
der Mittelnerv ist kräftig, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln und verlaufen 
in Bogen, die Felder sind von einem netzaderigen Gewebe erfüllt. 

Eine Menge Blättchen von verschiedener Grölse, meist in Gruppen zusammenliegend, 
finden sich in sehr wohlerhaltenem Zustande vor und zwar von Vorder- wie Rückseite. Auf 
ersterer zeigt sich die Nervatur wenig vertieft, auf letzterer wenig erhaben. Sie stimmen 


mit denen von Inga alba Willd. überein, wohl auch mit denen von 1. fagifolia Willd.; doch 


ET 


sind diese ausgeprägt lederig. Im Dresdener Herbar fand ich eine Art vor, die als I. fastuosa 
Willd. bezeichnet war, von Guiana stammt und bis ins kleinste übereinstimmende Blättchen 
zeigte, wohl aber hier nicht mit richtigem Namen bezeichnet sein dürfte. 


Ich habe diese Art zu Ehren des Herrn Dr. Reiss benannt. 


Gattung Pithecolobium Mart. 


Pithecolobium tenuifolium. Taf. III, Fig. 21. 


Das Blättchen ist elliptisch, ungleichhälftig, ganzrandig; der Mittelnerv ist am Grunde 
kräftig und verfeinert sich stark nach der Spitze hin, die Seitennerven entspringen unter 
spitzen Winkeln, verlaufen gerade, gabeln sich am Ende und vereinigen darauf die Äste 
in Bogen. 

Das fossile Blättchen stimmt mit solchen des jetztweltlichen Pithecolobium glomeratum 
Benth. völlig überein. Die von den Seitennerven gebildeten Felder umschliefsen ein feines 
Netzwerk, das aus zarten in der Richtung der Seitennerven verlaufenden Äderchen besteht, 


die durch schräg gestellte Ästchen miteinander verbunden sind. 


Pflanzenreste mit unsicherer Stellung. 


Phyllites abutoides. Taf. VII, Fig. 7. 


Es liegt leider nur die Spitzenhälfte eines Blattes vor, das einer Pflanze aus der 
Familie der Melastomeen nicht angehören kann, weil die Nervatur dagegen spricht, obgleich 
sie manches bietet, das auf sie hinweist. Dagegen möchte ich auf die Gattung Abuta auf- 
merksam machen, in welcher sich uns ganz naheliegende Nervationsverhältnisse darbieten, 
und in ihr speziell auf die Art Candollei Tri. et Pl. 

Das Blattstück ist lederig, ganzrandig, lang-zugespitzt, scheint dreifach-nervig gewesen 
zu sein und zeigt mehrere starke Seitennerven, parallele, ziemlich weit voneinander befind- 


liche querlaufende Nervillen; die Randfelder sind von Schlingen erfüllt. 


Phyllites strychnoides. Taf. VII, Fig. 10. 


Das Blatt ist etwas häutig, kurzgestielt, beinahe rund (?), ganzrandig, dreinervig; 
die Hauptnerven sind kräftig, die Seitennerven sehr zart und netzläufig, die Randfelder von 


zarten Schlingen besetzt. 


—. ae 


Die meiste Ähnlichkeit scheint das Blattstück mit Blättern von einigen Strychmos-Arten 
zu haben. Ich verweise auf die von Str. triplinervia Mart., Str. subcordata Spruce und Str. 
guianense Aubl. Jedoch mache ich auch auf Zizyphus (Paliurus) retieulata aufmerksam, die 
ich nur aus Vahls „Ecloge americana“ (Taf. 23) kenne und über die ich in der mir sonst 


zugänglichen Litteratur nicht das geringste aufzufinden vermochte. 


Phyllites vochysioides. Taf. VIII, Fig. 3, 4. 


Die Blattstücke deuten auf ein lederiges, grölseres, längliches, ganzrandiges Blatt hin. 
das an der Spitze ausgerandet war. Der Mittelnerv ist gerade und kräftig, die Seitennerven 
sind zahlreich, einander genähert, entspringen unter wenig spitzen Winkeln, verlaufen stark 
gebogen und verbinden sich am Rande untereinander, die Hauptfelder zeigen sich durch feine 
Netzadern ausgefüllt. 

Als sehr ähnlich bezeichne ich die Blätter von Vochysia oppugnata Warm. und 
V. obscura« Warm. Bei ihnen sind jedoch die Seitennerven nicht so stark gerundet und ist 
es deshalb immer noch möglich, dafs sie einer anderen Gattung einzureihen sind. Ähnlichkeit 


ist auch bei Blättern von Zafoensia-Arten zu finden. 


Bemerkung. Das Gestein, in welchem sich die fossilen Pflanzen von Santa Ana ein- 
gebettet finden, ist ein äulserst feiner, dichter und weicher grauer Tuff, der in seinem Aussehen 
dem lithographischen Schiefer ähnelt. Bisweilen, besonders wenn er winzige Bimssteinbröckchen 
in Menge enthält, wird er rauh. In Gröfse und Form ungemein wechselnde bedeutendere Bims- 
steinstücke finden sich in vielen Stücken eingeschlossen. Sie zeigen sich mattweils, schaumig- 
faserig und enthalten aulser schwarzer Hornblende durch den Glanz hervortretenden Plagioklas, 


äulserst selten Glimmerblättchen, so dals sie ihren Zusammenhang mit Andesiten nicht verleugnen. 


b. Aus dem Gebiete des Cäucathales. 


I. Kryptogamen. 
Farne. 
Gattung Meniscium Schreb. 


Meniseium Wolfi. Taf. III, Fig. 12—17. 


Die Fieder sind lederig, häutig, nahe bei einander stehend, länglich-lanzettförmig, 


ganzrandig; der Primärnerv ist kräftig, die Sekundärnerven entspringen unter spitzen Winkeln 


=) Sg. 


und verlaufen schräg und wenig gebogen, aufwärts steigend, in stets gleicher Entfernung 
voneinander, die Tertiärnerven in einfachem Zickzack. 

Eine Menge Stücke dieses Farns lagen in verschiedener Grölse vor. Die die Sekundär- 
nerven verbindenden gebrochenen feinen Tertiärnerven heben ihn sofort aus den übrigen 
Gattungen der Polypodiaceen heraus. An den grölseren Blattmassen sieht man mehrfach an 
der Stelle, wo die Schenkel derselben in einer Spitze zusammentreten, einen mit den 
Sekundärnerven parallellaufenden Fortsatz, der jedoeh die nächste Spitze nicht ganz erreicht, 
während dies bei den kleineren der Fall ist, so dafs inmitten des von Sekundärnerven 
gebildeten Feldes ein feinerer, durch alle Spitzen sich hinziehender Nerv zum Ausdruck 
kommt. Alle Stücke erweisen sich als steril. 

Die fossilen Reste stimmen in jeglicher Beziehung mit solchen des vorzugsweise an 
sumpfigen Lokalitäten fast des ganzen tropischen Amerikas vorkommenden Meniscium reti- 
culatum Swartz sp. = Polypodium reticulatum L. überein. 


Diese Art benannte ich zu Ehren des Herrn Dr. Wolf. 


Rhizocarpeen. 


Gattung Salvinia Micheli. 


Salvinia Lehmanni. Taf. III, Fig. 18, 19. 


Das Schwimmblatt ist gestreckt-länglich, ganzrandig; der Mittelnerv verhältnismälsig 
stark, die unter spitzen Winkeln ausgehenden, etwas bogig bis zum Rande verlaufenden 
Seitennerven sind zahlreich, die von ihnen gebildeten vierseitigen Felder zeigen regelmäfsige 


weihen von Vertiefungen. 


Unser Stück stellt den Gegenabdruck dar und zeigt daher Vertiefungen, wo beim 
Blatte selbst kegelförmige Erhebungen sich vorfanden. Diese müssen dicht nebeneinander 
gestanden haben. Spitze und Grund fehlen, daher nicht zu erkennen ist, ob erstere wie bei 
den Schwimmblättern der in Brasilien in stehenden Gewässern vorkommenden Salvinia 
oblongifolia Mart. leicht zweilappig und ob letztere etwas herzförmig ausgeschnitten gewesen 
sei. Jedenfalls haben wir es mit dem grölsten bisher fossil aufgefundenen Luftblatte 


zu thun. 


Ich habe diese Art zu Ehren des Herrn Konsul Lehmann in Popayan benannt. 


=—_.,,40. 


II. Phanerogamen. 


Familie der Palmen L. 
Gattung Palmacites Brongn. 


Palmaecites sp. Taf. IV, Fig. 8. 
Es sind nur einige nicht genauer zu bestimmende Fetzen eines Fächerpalmenblattes 
vorhanden, welche aus dessen Mitte herausgebrochen sind. 
Die Blattstrahlen sind schmal, gefaltet und von einer gröfseren Zahl paralleler Nerven 


durchzogen, die Kanten scharf. 


Familie der Rubiaceen Juss. 


Gattung Posoqueria Aubl. 


Posoqueria columbiana. Taf. VII, Fig. 8. 

Das Blatt ist lederig, länglich-eiförmig, ganzrandig; der Mittelnerv ist kräftig, die 
Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, verlaufen flachbogig und verbinden sich vor 
dem Rande untereinander, die Nervillen sind äulserst zart. 

Unser Blatt stimmt mit den Blättern der jetztweltlichen Posoqueria latifolia Röm. et 
Schult. gar wohl überein. Die unteren Seitennerven stehen nahe bei einander, während die 
obersten weit voneinander gerückt sind und somit bedeutend grölsere Felder einschliefsen, 
als jene. Die Nervillen sind sehr zart. Viel Ähnlichkeit besitzen auch die Blätter von 
Cortaria speciosa Aubl., aber bei ihnen sind die Seitennerven mehr gebogen und bilden am 
Rande Schlingen, überdies sind sie papierartig dünn. Ebenso verhält es sich mit denen 


einiger Psychotria-Arten, die aber nicht lederig sind. 


Gattung Sabicea Aubl. 


Sabicea asperifolia. Taf. V, Fig. 6; Taf. VIII, Fig. 6. 


Die Blätter sind kurzgestielt, lanzettförmig, elliptisch oder linealisch-lanzettförmig, 
ganzrandig, am Grunde spitz; der Mittelnerv ist kräftig und verschmälert sich von der Mitte 
an schnell, die Seitennerven entspringen unter spitzen Winkeln, sind gebogen und verbinden 


sich am Rande untereinander, 


=, 


Die Blätter zeichnen sich durch ihre rauhe Oberfläche aus, welche daher rührt, 
dals die Neryatur auf der Unterseite hervortritt, während sie sich auf der oberen vertieft 
zeigt. Sie kommen mit denen von Sabicew aspera Aubl. auch in ihrer Mehrgestaltiskeit 


überein. 


Zusätze. 


Ein in den Abbildungen nicht wiedergegebener linealischer Blattrest ist breit, von 
zarten, dichtstehenden, parallelen Nerven durchzogen. Er dürfte höchstwahrscheinlich als 
Grasfetzen zu deuten sein. 

Eine Anzahl bald schmaler, bald breiterer Blattreste, welche sich gekielt zeigen, 
linealisch sind und von parallelen, gleichen Nerven durchzogen werden, dürften wohl der 


Gattung Cyperites zuzuweisen sein. 


Bemerkung. Diese fossilen Reste fanden sich in einem weilsen, trockenen, etwas 


abfärbenden tuffartigen Gesteine vor. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 6 


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Alphabetisches Verzeichnis der beschriebenen Pflanzenreste, 


A 


Acrodielidium chartaceum . 


Arthante genieulatoides 


Bambusium Stübeli 
Banisteria aceroides . 
Bombax retusifolium 
Bothriospora Witti 
Büttneria einnamomifolia 


C 


Caesalpinia subdimitiata 
Camphoromoea speciosa . 
Cassia dimidiato-linearis 

„  linearifolia . 

»  longifolia 
Chrysophyllum rufoides . 
Citharexylon retiforme . 
Condaminea grandifolia . 
Couratari tertiaria 


E 
Endlichera rhamnoides 
Eugenia ovalifolia 

FE 
Fieus laqueata . 

G 
Göppertia subherbacea 
Gouiana firma 

R membranacea 
H 


Hieronymia Lehmanni 
Hiraea eyelosperma 
Hysterites elliptieus . 


26 


29 
34 
33 


11 
14 
10 


3 
Jambosa lanceolata 
Ilex areinervis . 
Inga latifolia 
„ ovalitolia . 
„ Reissi 
L 


Laurophyllum rigidum 
Leguminosites acaciaeformis 


5 cassioides 
" grandis 
= machaerioides . 


Lonchocarpus obtusifolius . 
Lühea tertiaria . 


Ki 


Maecrolobium tenuifolium 
Meniseium Wolfi 
Moquillea Stübeli . 
Moschoxylon tenuinerve 
Musophyllum elegans 
Myreia antediluviana 
Myreiaria tenuifolia . 
Myristica fossilis 


N 
Nectandra areolata 
5 eurvatifolia . 
- Reissi 
pP 


Palmaeites sp. 
Persea coriacea 

„  .elliptica 

„ elongata 

„ macrophylloides . 
Phoradendron fossile . 


6*+ 


Seite 


Phyllites abutoides 


N celastrinoides . 

5 colubrinoides 

» gouareoides 

5 strychnoides 

= styracioides 
vochysioides 


n 
Pithecolobium tenuifolium . 


Poacites magnus 
Posoqueria columbiana 
Pterogyne oblongifolia 


Rhizoma graminis . 


Sabicea asperifolia 
Salvinia Lehmanni 
Seleria Wolfi 


25 


40 
39 
10 


44 


Sphaerites consociatus 

" punctiformis . 

n sparsus 
Stenolobium rhomboidalis 
Stenospermatium columbiense 
Styrax lanceolata . 


T 
Tapiria lanceolata 
Tecoma. grandidentata 
Trigonia varians 
Vv 
Vochysia ferruginoides 
"N retusifolia . 
> Witti 
x 


Xylomites immersus 


10 


DIROISIERTI EI ED 


map 


Tafelerklärungen. 


Tafel 1. 


Sphaerites punctiformis auf dem Fetzen eines Grasblattes. 

Sphaerites sparsus auf einem Blattfetzen, 2a ein Pilz (vergröfsert). 

Xylomites immersus auf dem Fetzen eines dikotyledonen Blattes. 

Sphaerites consociatus auf dem Fetzen eines monokotyledonen Blattes. 4a einige Pilze (vergrölsert). 
Hysterites ellipticus auf dem Blattfetzen einer monokotyledonen Pflanze. 

Vochysia Witti. Blatt, 

. 19. 20. Endlichera rhamnoides. Blätter und Blattstück, 

. 10. Poacites magnus. Halmstücke mit Blattstücken, 

Poaeites magnus. Blattstück. 


. 11. Seleria Wolf. Blatt. 

g. 12. Lühea tertiaria. Blatt. 

. 13. Bombax retusifolium. Blatt. 

. 14. Eugenia ovalıfolia. Blatt. 

. 15. Myreia antediluviana. Blatt. 

. 16. Phoradendron fossile. Blatt. 

. 17. Camphoromoea speciosa. Blatt. 
. 18. Arthante geniculatoides. Blatt. 
. 21. Myristica fossilis. Blatthälfte, 
. 22. Vochysia ferruginoides. Blatt. 
. 23. Inga ovalifolia. Blatt. 

. 24. Myreiaria tenuifolia. Blatt. 

. 25. Cassia dimidiato-linearis. Blättchen. 


Tafel 11. 
2. Hieronymia Lehmanni. Blattstücke. 
4. Couratari tertiaria. Blattstücke. 4a ein Stück mit vollständig erhaltener Nervatur. 
6. Caesalpinia subdimidiata. Blättchen. 
. 8. Cassia linearifolia. Blättchen. 
- 9. 10. Hiraea cyclosperma. Flügelfrüchte. 


. 11. 12. Inga latifolia. Blättchen. 

. 13. Stenolobium rhomboidalis. Blättchen. 

. 14—16. Cassia longifolia. Blättchen, 

. 17. Macrolobium tenuifolium. Blättchen: 

. 18. 19. Banisteria aceroides. Flügelfrüchte. 
. 20. Zu Banisteria gehörig ? 

. 21. 22. Pterogyne oblongifolia. Blättchen. 


ee 


Tafel Ill. 


1.  Lonchocarpus obtusifolius. Blättchen. 

2.  Phyllites gouareoides. 

Fig. 3. 4. Phyllites colubrinoides. Stücke. 

5.  Phyllites celastrinoides. 

Fig. 6. Phyllites styracioides. 

Fig. 7.  Leguminosites machaerioides. Hülse. 

Fig. 8. 9a. Leguminosites grandis. Hülsenstücke. 

Fig. 9b. Leguminosites cassioides. Hülsenhälfte, 

Fig. 10. 11. Leguminosites acaciaeformis. Hülsenstücke, 
Fig. 12—17. Meniscium Wolfi. Wedelstücke. 

Fig. 18. 19. Salvinia Lehmanni. Stücke von Schwimmblättern, 
Fig. 20. Rhizoma graminis. 

Fig. 21. Pithecolobium tenuifolium. Blättchen. 

Fig. 22. Ficus laqueata. Blatt. 


Tafel IV. 
Fig. 1—3. Musophyllum elegans. Blattstücke. Fig. 2 ist Fig. 1 auf die Ebene projiziert. 
Fig. 4. 5. Gowiana membranacea. Blätter, 
Fig. 6. 7. Gowiana firma. Blatt und Blattbruchstück. 
Fig. 8. Palmaeites sp. Blattstücke, 
Fig. 9. 10. Tecoma grandidentata. Blättchen. 


Fig. 11. Moquillea Stübel. Halbes Blatt. 
Fig, 12. Acrodielidium chartaceum. Blatt. 


Tafel V. 
Fig. 1. Musophyllum elegans. Blattstück, 
Fig 2. Stenospermatium columbiense. Blatt. 
Fig. 3. Persea macrophylloides. Blatt. 
Fig. 4. 5. Bambusium Stübeli. Halmstücke. 
Fig. 6. Sabicea asperifolia. Blatt. 
Fig. 7. COhrysophyllum rufoides. Blatt. 
Fig. 8. Goeppertia subherbacea. Blattstück. 
Fig 9. Styrax lanceolata. Blatt, 
Fig. 10. Citharewylon retiforme. Blatt. 
Tafel VI. 


Fig. 1.2. Nectandra areolata. Blatt und Blattstück. 
Fig. 3. 4. Persea coriacea. Blatt und Blattfragment. 
Fig. 5. Goeppertia subherbacea. Blatt. 

Fig. 6. Bothriospora Witti. Blatt. 

Fig 7. Nectandra Reissi. Blatt. 

Fig. 8. Persea elongata. Blatt. 


Tafel VI. 
Fig. 1. Ilex arcinervis. Blatt. 
Fig. 2. Condaminea grandifolia. Blattstücke. 
Fig. 3. Vochysia retusifolia. Blatt. 
Fig. 4—6. Trigonia varians. Blätter. 
Fig. 7. Phyllites abutoides. 
Fig. 8. Posoqueria columbiana. Blatt. 
Fig. 9. Büttneria cinnamomifolia. Blatt. 
Fig. 10. Phyllites strychnoides. 
Tafel VII. 
Fig. 1. 2. Inga Reissi. Blätter. 
Fig. 3. 4. Phyllites vochysioides. 
Fig. 5 Laurophyllum rigidum. DBlattstück. 
Fig. 6. Sabicea asperifolia. Blätter und Blattstücke 
Tafel IX. 
Fig. 1. Condaminea grandifolia. Randbruchstück. 
Fig. 2. Ilex arcinervis. Blatt. 
Fig. 3, Nectandra curvatifolia. Blatt. 
Fig. 4. Tapiria lanceolata. Blättchen. 
Fig. 5. Persea elliptica. Blattfragment. 
Fig. 6. 7. Jambosa lanceolata. Blattfragmente. 
Fig. 8. Inga Reissi. Blattstück. 
Fig. 9. Trigonia varians. Blattstück. 
Fig. 10. Moschoxylon tenuinerve. Blattstück. 


Br 


ig. 11—14, Bruchstücke zweifelhafter Blätter. 


Fig. 11 gehört vielleicht einer Art der Bignoniaceen, Fig. 12 einer von Bauhinia, Fig. 13 einer 
von Hiraea, Fig. 14 einer von Guatteria an. Diese, wie noch andere, können nur durch vollständigere 
Funde ihre Lösung erhalten. 


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Nlustrationen zur Kenntnis des Skeletts von 
Acanthodes Bronni Agassiz 


Von 


Dr. Otto M. Reis in München. 


Mit sechs Tafeln. 


Die ebenso wichtige wie fremdartige Morphologie des Kopfskeletts von Acantho- 
des konnte bis jetzt nicht als abgeschlossen gelten; die grofsen Schwierigkeiten, die sich der 
Deutung der einzelnen Skelettteile entgegensetzen, habe ich an anderer Stelle (Geognostische 
Jahreshefte 1890, S. 1 u. 9 und Jahresberichte der Pollichia 1894, S. 331) auseinandergesetzt. 
In letzterem Schriftchen habe ich zum erstenmal darzustellen Gelegenheit gehabt, wie man 
mit einigen der althergebrachten Deutungen jedenfalls vollständig brechen müsse, um zu einer 
befriedigenden Auflösung des morphologischen Rätsels, welches die Lebacher Acanthodesgeoden 
enthalten, zu gelangen. 

Die ganze Sache dreht sich zuvörderst um das von den Autoren sog. „Hyoid“, welches 
ich aber als ein Dentingebilde erkannte, wonach es (wenn man an einer engen Beziehung 
zum Zungenbein festhält) doch nur als ein Hyoidzahn bezeichnet werden kann. Iü den Jahres- 
berichten der Pollichia 1894 habe ich nun ein Exemplar beschrieben, an welchem dies „Hyoid“ 
seiner ganzen Länge nach auf beiden Seiten der nach aulsen umgelesten Kiefer auf der 
unteren Aulsenfläche des Unterkiefers zunächst und längs dessen Unterrand liegt, weiter ein 
wirklicher Hyoidbogen scheinbar zwischen beiden Mandibeln in normaler Lagerung und in 
der Gliederung der Mandibel vorhanden sei; es würden darnach auch eine ganze Anzahl 
anderer Korrekturen in den früher aufgestellten Deutungen zu folgern sein, soweit dieselben 


einzig und allein auf der alten Hyoidannahme fulsen. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX, 


Bi, 


Ein einzelnes Exemplar beweist nun nichts oder nicht viel, und da meine früheren 
Resultate, welche hierin noch im Bann der hergebrachten Anschauungen erfolgten, zum 
Teil Unglauben (vgl. Traquair, Geol. Magazine 1393, S. 174) begegneten, zum Teil mit 
Nichtachtung und gar vereinzelter Entstellung (vgl. Prof. A. Fritsch, Fauna der Gaskohle 
Heft 2, Bd. III) belohnt!, zum Teil vollständig sekretiert wurden (vgl. die paläontolog. 
Referate des Neuen Jahrbuches für Mineralogie 1891—95), so habe ich in den folgenden 
Tafeln, für deren Ausstattung ich der verehrl. Redaktionskommission der Senckenbergischen 
Naturforschenden Gesellschaft (Taf. 1, 2, 3, 4 u. 6) und Herrn Prof. Felix (Taf. 4 u. 5) zu 
srolsem Danke verpflichtet bin, eine gröfsere Anzahl neuer Belege zum Teil für meine älteren 
Deutungen, zum Teil für meine jüngeren Verbesserungen beigebracht, so dals von allen 
früheren Versionen der Autoren über die Skelettteile von Acanthodes eigentlich keine einzige 
in irgend wesentlichen Punkten aufrecht zu halten ist. 

Ich darf nicht versäumen, die grolse Liebeuswürdigkeit dankend zu rühmen, mit welcher 
mir die Herren Prof. Dr. Benecke in Strassburg, Direktor Danneberg in Saarbrücken, 
Prof. Dr. Felix in Leipzig, Prof. Dr. Kinkelin in Frankfurt und Rektor Dr. Roth in 


Dürkheim a. d. H. die hier veröffentlichten Materialien zum Studium überlielsen. 


In den folgenden Blättern ist das Material des Senckenbergianums in erster Linie, 
dann das der Kgl. Bergschule in Saarbrücken, der geolog. Landesanstalt in Strassburg und 
endlich mehrere Stücke der Sammlung Prof. Dr. Felix in Leipzig berücksichtigt und zum 
grölseren Teile abgebildet; auch das Exemplar der Pollichia in Dürkheim a. d. H. ist noch- 
mals abgebildet, da die Autotypie in der obenerwähnten Schrift zu dunkel und undeutlich 
geworden ist. 

Besprechen wir zuerst das Material der Senckenbergischen Sammlung und 
sehen zuerst, wie sich dieses zu der Hyoidfrage verhält. In Fig. 4, Taf. I sehen wir 
rechts unten Palatoquadrat und Mandibel der rechten Kopfflanke von der Innenfläche (Gaumen- 
fläche der Innenwand, s. Anh. 1), welche ohne Muskelgrube bzw. Kiel sind. Die der letzteren 
zugehörige Prämandibel sehen wir daher zum Teil unter der Prämandibel des nach oben 
verlagerten Unterkiefers der linken Kopfflanke. Das sog. „Hyoid“ liegt nun erstens eng an 
der Unterkante der Prämandibel der linken Seite und verschwindet auf der rechten Flanke 


in sonst normaler Lagerung unter dem Unterrand der Mandibel, liegt also auf der Aulsen- 


ı Ich habe inzwischen in Geogn. Jahreshefte 1893 eine Kritik dieses Tafelwerks veröffentlicht, um 
vorliegende Abhandlung nicht mit eristischen Erörterungen zu belasten; ich habe dabei auf die hier folgenden 
neuen Anschauungen und Resultate noch nicht Bezug nehmen können. 


nee 


seite der letzteren. In ganz genau der gleichen Weise zeigt es sich in Fig. 5, Taf. I, wo 
wir die Mandibel von der Innenfläche (Knorpelfläche) der Muskelwand erkennen (die Innen- 
fläche der Gaumenwand liegt auf der Gegenplatte Fig. 6, Taf. ID); das sog. „Hyoid“ ver- 
schwindet wiederum genau an derselben Stelle unter der Mandibel, liegt also auf deren 
Aulsenfläche. In der Skizze Taf. I, Fig. 3 ist das Verhalten nicht so deutlich, das Gegenteil 
ist aber auch nicht der Fall; in Skizze Taf. I, Fig. 1 dagegen sehen wir auf beide Kiefer 
von der Innenfläche der (externen) Muskelwand und sehen im Unterkiefer das „Dentohyoid“ 
unter derselben ohne jedes Anzeichen gestörter Lagerung auf beiden Seiten zunächst ihrem 
Unterrand, wie schon in drei Fällen betont, verschwinden; es liegt also auch hier auf der 
Aufsenfläche der Mandibel und lagert sich eng an den Unterrand der Prämandibel an. 
Es ist daher an der Zeit, diesem aus Dentin bestehenden fälschlichen „Hyoid“ einen anderen 
Namen zu geben, ich nenne es den „extramandibularen Stachelzahn“ und vergleiche es im 
Ungefähr dem prämandibularen Stachelzahn der prognathodonten Holocephalen. Darnach muls 
aber ein anderer Vertreter für das Hyoid gesucht werden und wir sehen in Skizze Taf. I, 
Fig. 1, dafs ganz ähnlich, wie ich dies für das Exemplar der Pollichia beschrieben habe, der 
Mandibel und Prämandibel gleich gegliederte und ziemlich ähnlich gebildete Skelettteile, 
zwischen den beiden Unterkieferästen liegen (s. Taf. I, Fig. 5) und korrespondierend als 
Hyoid und Prähyoid zu deuten sind. Da sie dem Kiemenbogengerüst nicht angehören können 
und bei dem ersten von mir veröffentlichten Exemplar im Mundwinkel zwischen Ober- und 


Unterkiefer lagern (vgl. Taf. IV, Fig. 1—3), so habe ich sie zuerst als Labialia ansehen müssen. 


Bei dem letzterwähnten Exemplar der Sammlung Dr. Felix (Taf. IV, Fig. 1 u. 2) 
sind die Kiefer weit auseinander gespreizt; bei dieser Art der Überlieferung mülsten, so 
sollte man annehmen, die sog. Hyoidea zwischen den Kieferästen verbleiben, statt dessen 
liegt dieses Gebilde rechts ganz von der Mandibel nach auswärts verlagert und links schiebt 
es sich hinten in der That noch etwas auf die Aufsenfläche der Mandibel herauf als extra- 
mandibulares Gebilde. Die wahren Hyoidglieder erscheinen nun nur auf der rechten Seite in 
der Lippenknorpellage; wenn es wahre Labialia wären, so sollten sie auch in gleicher Lage 
links zu finden sein, was beides nun in der That hier und nie der Fall ist. 

In Taf. IV, Fig. 1 und 2 und Fig. 2, Taf. V (Kollektion Dr. Felix) zeigen sich die 
Mandibeln ebenfalls von der Innenfläche der Externwand (Knorpelfläche der Muskelwand), 
aber den Teil unterhalb des rinnenartigen Bodens der Muskelgrube abgebrochen. Hierdurch 
wird der auf der Aufsenseite liegende Stachelzahn fast in ganzer Ausdehnung sichtbar. Dies 


ist der am häufigsten vorkommende Erhaltungszustand, nach welchem scheinbar das in Rede 
7* 


Ber 


stehende Gebilde längs des Unterrands der Mandibel liegt, welcher Rand aber nur der Bruch- 
linie nach dem Boden der externen Muskelgrube entspricht. In Fig. 1, Taf. IV ist auf der 
oberen Seite, aber noch an dem vorderen Ende der Mandibel ein Stück der Muskel- (Extern-) 
wand erhalten und es zeigt sich auch hier die Anlagerung des Stachels auf der Aulsenseite 
der Mandibel. Das gleiche zeigt Fig. 4, Taf. IV wieder in anderer Lagerung der Kieferteile; 
in Abbrüchen der Mandibel zunächst der Unterkante der von der Knorpelfläche zu sehenden 
Muskelwand erscheint der unter derselben gelegene Dentinstachel, also „extramandibular“. 
Die Gleichheit der Lagerung desselben in so verschiedener Verlagerung der Mandibel und 
der übrigen Skelettteile sprechen für eine aulsergewöhnliche Festigkeit der Verbindung. 
Taf. IV, Fig. 5 und Taf. VI, Fig. 3, desgleichen Taf. VI, Fig. 6 und 7 zeigen nun den extra- 
mandibularen Stachel, Mandibel und Prämandibel, echtes Hyoid und Prähyoid zum Teil mit 
Rechenzähnen (vgl. unten) in normaler Nebeneinanderlagerung von aulsen nach innen und 
dies in einem langen Querbruch zunächst dem ventralen Unterrand der rechten Kieferflanke. 
In Fig. 6 ist die Aufsenfläche der Mandibel noch durch den in die Unterkieferhöhlung sack- 
artig hereinhängende Muskelgrube gekennzeichnet. In Fig. 7, Taf. VI tritt der extramandi- 
bulare Stachel im Durchbruch wie in Taf. II, Fig. 5 und Taf. IV, Fig. 4 zum Vorschein. Die 
Verlagerung in Taf. VI, Fig. 1 und 2 spricht auch nicht für eine ursprüngliche Lage im 
inneren ventralen Kiefer-Kiemengerüst (Samml. der geol. Landesanstalt Strassburg). 

Die Exemplare der kgl. Bergschule in Saarbrücken (vgl. Taf. II—IV) liefern 
noch eine weitere Bestätigung dieser Deutungen: in Fig. 1, Taf. III kommt an dem oberen 
(rechten) Unterkiefer, gerade an der Angliederungsstelle von Mandibel und Prämandibel, der 
Extramandibularstachel im Durchbruch in einer seinem Namen entsprechenden Lage zum 
Vorschein; in Fig. 1, Taf. II verschwindet das Fragment des unteren (linken) Stachels unter 
der Muskel-Externwand der Mandibel, welche von ihrer Innenfläche (der Knorpelanlagerung) 
zu sehen ist. In Fig. 3, Taf. II ist der Erhaltungszustaud der bezüglichen Skelettteile der 
oberen (linken) Seite genau gerade so, wie bei dem Exemplar der Pollichia, an welchem ich 
zuerst mit einiger Sicherheit beobachten konnte, dafs das sog. Hyoid auf der Aufsenseite der 
Mandibel liege. In ähnlicher Weise zeigt es Fig. 3, Taf. IV an dem Kiefer der rechten Seite, 
der im Abdruck der Aulsenfläche der Externwand zu sehen ist. 

Wenn nun keine der genannten Figuren etwaige Labialia in der Mundwinkellage auf 
beiden Kiefern zugleich zeigt, so zeigt Fig. 6, Taf. III, wo das ventrale Kiemenkiefer- 
skelett entblölst ist, nicht den extramandibularen Stachelzahn, dagegen die früher fälschlich 


„Labiale“ und „Prälabiale“ genannten Stücke mit ihrem kopularen Element (Zi) in der Hyoid- 


en ange 


lage, also in der Lage, wie sie das Exemplar der Pollichia Taf. II, Fig. 5 und oben Taf. I, 
Fig. 1 zeigen. Das hintere Gliederungsstück zeigt nun an dem Hyoid der rechten Seite 
„Rechenzähne“ und der Abdruck des Prähyoids der linken Seite lälst ebenso die Reihe basaler 
Teile von Rechenzähnen zum Vorschein kommen. Die gleiche Erscheinung ist in Hyoid und 
Prähyoid der Taf. I, Fig. 4; Taf. II, Fig. 3; Taf. IV, Fig. 5; Taf. VI, Fig. 3, 6 und 7 
zu bemerken. Auch hierdurch reihen sich diese Gebilde naturgemäls in das Kiemen- 
Zungenbeingerüst ein. In Fig. 3, Taf. IV und Fig. 5, Taf. II sind, wie in Fig. 1 u. 2, Taf. IV 
(Kollektion Dr. Felix), die beiden Stücke in der Mundwinkellage, aber nicht auf beiden 
Seiten, was für die endgültige Deutung als Labialia notwendig wäre. 

Es kann somit als erwiesen gelten, dals bei Acanthodes auf der Aulsenseite jedes 
Unterkiefers zunächst dessen Unterkante ein stachelartiger Zahn?, das früher sog. „Hyoid“, 
sich befindet, dafs das eigentliche Hyoid ebenso in zwei Teile gegliedert wie der eigentliche 
Unterkiefer, nır Rechenzähne wie die Hyomandibel und die Kiemenbogen und keine weiteren 
Radii trägt. Darnach folgert selbstverständlich, dafs die früher als Radii branchiostegi 
betrachteten, mit dem extramandibularen Stachel stets mehr weniger eng (vgl. Taf. IV, Fig. 1 
u. 2; Fig. 3—6, Taf. I, Senckenb. Koll.) verbundenen, diekfadenartigen Dentingebilde nichts 
mit Radii branchiostegi zu thun haben, da sie gar nicht am Hyoid sitzen, sondern der Man- 
dibel angehören, wahrscheinlich eine Reihe von freien Extramandibularradien darstellen, von 
welchem der Extramandibularstachel ursprünglich den primus inter pares darstellte. Die 
Gesamtheit dieser dermalen Gebilde kann man im Ungefähr dem ventralen Scaphaspisschild 


der Pteraspiden vergleichen. 


Wir kommen jetzt zu einem zweiten wichtigen Punkt: der durch das vorliegende 
Material zu erläuternden und teilweise zu verbessernden früheren Auseinandersetzungen über 
die Schädelbildung von Acanthodes. Wir unterscheiden an demselben (nach Abzug des 
Rostrum — Linguale) ein Trabeculare und Parachordale, welche Fritsch einfach ins ventrale 
Kiemengerüst verlegen möchte. Zuerst möchte ich hier die in den Berichten der Pollichia 
schon dargestellte Thatsache von neuem stützen, dals nämlich das von mir so genannte 
Spiraeulare und Parachordale einem einzigen, winkelig dorso-lateral umgeknickten Gebilde 
angehören, dessen Hälften an der Knickungsstelle voneinander öfters durch Bruch getrennt 
sind, aber auch, wie Fig. 6, Taf. II; Taf. I, Fig. 5; Taf. IV, Fig. 1—3, pch u. pce beweisen, 


ı Auch Taf. II, Fig. 1 und 2 zeigen-an den beiden Hyoidea teilweise erhaltenen Besatz von Rechen- 
zähnen (über den der Hyomandibel vgl. unten). 
2 Vgl. die Bemerkungen über dessen Lagerung in Erklärung zu Fig. 5, Taf. III, 


BEER vr 


zusammenhängen und zusammenhängend verlagert werden können (vgl. Fig. 6, Taf. III). Ich 
habe ferner dargestellt, dals die Bezeichnung „Parachordale“ vor der als Spiraculare für das 
Gesamtgebilde den Vorzug habe, weil bei der gewöhnlichen Lage des Spiraculare dasselbe 
nie zwischen Hyomandibel und Palatoquadratum zu beobachten sei. Nun habe ich noch die 
Pflicht, darzustellen, warum ich zu der Bezeichnung „Parachordale“* und „Trabeculare“ griff, 
obwohl in diesen Teilen, wie ich ausdrücklich betonte, nur Regionen eines dorsal geschlossenen 
Craniums angedeutet sind. Wir besprechen zuerst das letztere der beiden Gebilde. 

Das Trabeculare kann nicht dem ventralen Kiemenbogenskelett angehören. Wir haben 
1. die Kopula für das Hyoid in dem Linguale, welches bei Acanthodes, wie bei allen Klasmo- 
branchiern (vgl. Fig. 1, Taf. I; Taf. II, Fig. 3-6; Taf. III, Fig. 6; Taf. IV, Fig. 5; Taf. VI, 
Fig. 1—3) in seiner Haupterstreckung von der Angliederungsstelle mit dem Prähyoid frei 
nach hinten gerichtet ist; das gleiche gilt für Pharyngealia und Hypobranchialia (Taf. II, Fig. 1 
u.2 und Taf. V, Fig. 1 u. 2), welche ebenso wie bei Zlasmobranchiern nach hinten umbiegen, 
statt wie bei Ganoiden in der Fortsetzung der Bogenkrümmung nach vorne zu liegen; 
da dies ein Beweis der funktionellen Selbständigkeit der branchialen Segmente ist, so kann 
es nicht wundern, dals bei den Zlasmobranchiern auch die Kopula jedes Bogens ihre Haupt- 
entwickelung nach hinten hat und die letzte Kopula nach hinten zu ganz frei endet. Das 
Trabeculare ist demnach ein für das mediane Kopulargerüst überzähliges, meist zwischen das 
Linguale und die Kopula des ersten Kiemenbogens bei der Fossilisationszusammenpressung 
von oben hereingedrücktes (vgl. Taf. II, Fig. 5 u. 6; Taf. IV, Fig. 1 u. 2; Taf. VI, Fig. 1 u. 2) 
und daher das Linguale meist etwas von der Gaumenseite her überdeckendes, medianes 
Gebilde, welches nur der Cranialbasis angehören kann. Bei stark seitlicher Zusammen- 
drückung des Kopfes liegt es daher immer mit dem gleich zu besprechenden Parachordale 
und Präpalatoquadratum dorsal vor und über dem Palatoquadratum (s. Taf. I, Fig. 3; Taf. IV, 
Fig. 3; Taf. VI, Fig. 3). Häufiger liegt es einseitig vom ventralen Kiemengerüst gelagert 
(Taf. I, Fig. 3; Taf. II, Fig. 1 u. 2; Taf. IV, Fig. 3 u. 4) und in Taf. III, Fig. 6 ist es weit 
von dem ziemlich normal gelagerten Lingual-Kopularsystem mit den Parachordalien und beiden 
Augenringen nach hinten verworfen. 

In den Berichten der Pollichia habe ich nun weiter auseinandergesetzt, dals bei der 
eigentümlichen Röhren- oder Kastenform der fossil überlieferten Skelettteile das Wachstum 
derselben natürlicherweise nur da stattfinden könne, wo sie offen sind, d. h. wo im Leben 
der weiche Knorpel den Raud bildete. Dies ist beim Palatoquadratum von Acanthodes haupt- 


sächlich am dorsalen Ende des Quadratkiels, weniger stark an dem ganzen davorliegenden 


Oberrand, dagegen wieder stärker daselbst an dem vorderen Ausläufer der dickeren oralen 
Kante der Fall. Auf das distale (dorsale) Ende des Quadratkiels stölst nun, wie Fig. 1, Taf. III 
(linke Kopfseite) und Taf. V, Fig. 1 und 2 auf beiden Seiten in auffälliger Weise zeigen, der 
hinterste Teil des Parachordale in gleicher Stärke der Röhrenbildung so an, dals dies ohne 
Zögern als ein Anzeichen innigster (offenbar gelenkiger) „epiphysealer‘ Angliederung gedeutet 
werden muls. Der davorliegende mehr lamellöse Teil des Parachordale entspricht etwa dem 
gleichen Teil am Palatoquadratum bis zu der Umbiegungsstelle nach der oben erwähnten 
stärkeren Höhlenöffnung am distalen Vorderende der oralen Kante des Palatoquadratum. 
An dieser Stelle sollte man, ähnlich wie bei dem proximalen (dorsalen) Ende des Quadratkieles, 
eine besondere Anheftungs- oder Angliederungserscheinung an craniale Elemente annehmen. 
Letzteres wird noch dadurch verlangt, dals, nachdem das alte „Hyoid“ einen ganz anderen 
Platz, als früher angenommen wurde, aulserhalb der Mandibel hat und die „Labialia® zu 
wirklichen Hyoidea geworden sind, nun auch im Oberkiefer eine Parallelerscheinung zu der 
Hyoid- und Mandibulargliederung nachgewiesen werden sollte. Dies wird durch ein Gebilde 
ermöglicht, welches ich noch im Bann der alten Hyoidannahme nur als ein Augenträgergebilde 
halten konnte, und daher als Styloorbitale bezeichnete. Trotzdem ich auch jetzt noch der 
Ansicht bin, dafs es hauptsächlich als Augenboden funktionierte, so halte ich es nun in der 
That als ein „Präpalatoquadratum“, d. h. als ein der Prämandibel und dem Prähyoid 
entsprechendes Gliederungsstück des Palatoquadratums selbst. Ich spreche — ganz abgesehen 
von der Frage der An- oder Abgliederung — einfach von einem „Gliederungsstück“, weil an 
ihren breiten Enden die an diesen Stellen zusammenstolsenden Skelettteile zum Teil ihr ein- 
ziges Längen- und Dickenwachstum je nach hinten wnd nach vorne haben, und dies nur 
entsprechend einer scharfen inneren gewebigen Unterbrechung (gleichviel welcher Art) der 
die Axe der Skelettteile bildenden Knorpelsubstanz stattfinden kann (vgl. Poll. 1894, S. 320). 

Das Präpalatoquadratum hat nun zwei solcher Angliederungsstellen; die beiden Ränder, 
welche auf seine vordere Spitze auslaufen, sind geschlossen; der nach dem Trabeculare zu 
liegende Längsrand ist konkav, der freie, einem Kieferrand entsprechende ist konvex und 
schneidend. Die dritte hintere dreieckige Kante des dreieckigen Gebildes ist zwar nicht 
geschlossen, zeigt aber zwei besondere Angliederungsstellen: eine äuflsere, die dem Vorder- 
ende des Kaurands des Palatoquadrats entspricht, und eine innere, welche nach der vorderen 
Endigung der inneren Hälfte des Trabeculare und Parachordale gerichtet ist. Durch diese 
Beziehung schien mir letzteres dem Gaumendach des Craniums zugeteilt. Das Trabeculare 


liegt nun stets zwischen diesen beiderseitigen Gebilden in fester gleichbleibender Lagerung, 


wie alle die besprochenen Teile mit einer vorherrschenden ventralen Einwölbung (nach der 
Gaumenhöhle zu); die Gröfse, Form- und Lagerungsbeziehungen von Präpalatoquadratum und 
Trabeculare sind aulserdem derart korrespondierende, dals sie nur aus einem sehr innigen 
Akkomodationsverhältnis zweier in einem Wirkungsniveau befindlichen und gewissermalsen 
gleicherweise wirkenden Gebilde zu erklären sind. Aufserdem hat das hinten gabelige Tra- 
beculare starke epiphyseale Angliederungsendigungen, welche ebenso auf die vordere Endigung 
des Parachordale bezogen werden konnten. 

Trabeculare und Parachordale schienen also zwei dem Schädel und zwar seinem 
Gaumenboden angehörige Teile. Durch das in Taf. V, Fig. 1 und 2 dargestellte Exemplar 
(Koll. Dr. Felix) bin ich nun in der glücklichen Lage, diese Angaben in einem wesentlichen 
Punkt zu verbessern und zu ergänzen. Dies gröfste aller von mir untersuchten Exemplare 
zeigt nun, dals das Gebilde, welches ich Parachordale genannt habe, einer grölseren, beide 
lateralen „parachordalen“ Hälften medial verbindenden Knochenplatte angehört. Dieselbe 
bedeckt in ihrer Erstreckung nach vorne das Trabeculare ganz und gar. Wir können dies 
nur dadurch erklären, dals ersteres dem Schädeldach und nur letzteres dem Gaumenboden 
angehört. Die stark verdickten lateralen Kanten dieses Schädeldaches werden von dem 
inneren Abschnitt des „Parachordale“ gebildet, als dessen äulserer Abschnitt das frei hervor- 
ragende Stück erscheint, welches ich zuerst Spiraculare genannt habe und der eigentliche 
Träger des Palatoquadrats ist. Wenn daher der Name „Parachordale“ nun weniger berechtigt 
erscheint, als früher, so könnten wir ihn ganz fallen lassen, wenn man nicht das Trabeculare 
ebenso als ein selbständiges Stück anzusehen berechtigt ist, wie z. B. das infraorbitale Prä- 
palatoquadratum. Die Befestigungsepiphyse des letzteren würde direkt hinter dem Trabecu- 
lare am Knorpeleranium ansetzen; da dieselbe ursprünglich der Palatobasalspitze entsprechen 
dürfte, so läge die vordere Endigung der Chorda bei Acanthodes unmittelbar hinter dem 
„Lrabeculare* und man hätte in der That ein Recht, hier von einer „parachordalen“ und 
„trabecularen“ Verkalkungsregion zu sprechen, wovon die trabeculare durch besondere Um- 
stände eine hohe Selbständigkeit erreicht hätte; eine andere Deutung bringe ich anderwärts. 

Bezüglich der übrigen bis jetzt noch nicht besprochenen Skelettteile habe ich zuerst 
zu bemerken, dafs die Hyomandibel in Taf, II, Fig. 6; Taf. III, Fig. 6; Taf. IV, Fig. 4 u. 5; 
Taf. V, Fig. 1; Taf. VI, Fig. 1 u. 6 einen deutlichen Besatz von Rechenzähnen aufweist (vgl. 
auch Fig. 2, Taf. III unten), wie ich dies in den Berichten der Pollichia Bd. 1394 dargestellt 
habe, wo leider die Rechenzähne bei der autotypischen Reproduktion stark verschwanden; 


es wurden daher die Figuren in Taf. II, Fig. 5 u. 6 nochmals lithographiert. Taf. IV, Fig. 1 


— Nr 


u.2 und Taf. V, Fig. 1 u. 2 zeigen das Dorsalende der Hyomandibel mit einem separaten Ver- 
kalkungsstück (he) in Verbindung, wie das Palatoquadratum mit dem Parachordalepiphyseale; 
Bildungen, welche wohl bei den auseinander gespreizten Kiefern der Erhaltung der cranialen 
Befestigung dienten. 

In Fig. 5, Taf. II zähle ich 6, in Taf. V, Fig. 1 nur 5 Kiemenbogen. Die Pharyngealia sitzen 
nicht an deren Enden, sondern etwas abwärts davon; sie sind nach hinten gerichtet. Fig. 1, 
Taf. V zeigt die Pharyngealia an den beiden ersten Bogen als breite dreieckig-plattige Gebilde. 
Wir sehen an den Bogen ein oberes und ein unteres Gliederungsstück (vgl. besonders Fig. 1, 
Taf. V); der Querschnitt des Bogens zeigt auf der Hinterseite eine einseitig gelegene starke 
Hohlrinne, welche mehr nach der vorderen Seite zu gelegen ist (vgl. Erklärung zu Fig. 4, 
Taf. IV). Die dem Gaumen und dem inneren Eingang der Kiementaschen zugewandten 
Seitenflächen sind mit kantigen Erhebungen der Hülle versehen, welche selbst von der Innen- 
fläche der letzteren deutlich sind (vgl. besonders Taf. II, Fig. 3; Fig. 6, Taf. III und Fig. 4, 
Taf. IV); jeder Erhebung entspricht der Ansatz eines Rechenzahnes aulsen (vgl. Taf. III, 
Fig. 6 div). Bezüglich der Radii dentohyoidei habe ich noch zu bemerken, dals sie 
mit den eigentlichen Hyoidgliedern gar nie zusammen vorkommen, also keine Radii branchio- 
stegi sein können. Ich hatte dies schon von dem allgemeinen Standpunkt aus entschiedenst 
in Abrede gestellt (vgl. Geogn. Jahreshefte 1890, Kap. XII), dass nämlich eine Verbindung 
von Dentinskelettteilen mit der Muskulatur nicht stattfinde und daher auch keine dermalen 
Kiemenhautstrahlen im plakoiden Skelett sein könnten. In Fig. 1, Taf. IV sind nun Hyoid 
und Prähyoid (ersteres im Querbruch unter der Mandibel in normaler Lagerung festgestellt) 
deutlich weit vom Unterkieferunterrand entfernt nach innen (oben) zu gelegen, während sich 
die Dentinradien, in nahezu ungestörter Lagerung nach aulsen und hinten gerichtet an den 
Extramandibularstachel anreihen; es sind also „Extramandibularradien“ und haben mit 
Radii branchiostegi nichts zu thun; viel mehr, wie oben erwähnt, mit dem Scaphaspisschild der 
Pteraspiden. Bemerkenswert ist, dals in den zwei Fällen, wo man die Extramandibularradien 
ihrer Lagerung nach etwa auf den Hyoidbogen beziehen könnte (Taf. IV, Fig. 3 unterer 
Unterkiefer und Taf. II, Fig. 3, ebenfalls unterer Unterkiefer), der mehr aulsergewöhnliche 
Erhaltungszustand der seitlichen Kompression mit parallelepipedischer Verschiebung der beider- 


seitigen Teile vorliegt, so dals die Radien des nach unten verschobenen Unterkiefers „ge- 


»O 
schleppt“ erscheinen und daher nach innen umgebogen sich den in der Mundwinkel- (Labial-) 
Lage verlagerten Hyoidgliedern nähern (vgl. auch Geogn. Jahreshefte 1890, Fig. 3, S. 6) 


Bei auseinander gespreizten Kiefern liegen nun die Dentinradien häufiger nach aulsen diver- 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX, 8 


fe 


gierend, eine Lage, die unerklärlich wäre, wenn irgendwelche Beziehungen zum Hyoid walteten, 
welche aber für „extramandibulare“ Radien ebensowenig erstaunlich ist, wie die häufige Lage 
des Stachels aufserhalb des Unterrandes der Mandibeln. Die im Zusammenhang erfolgte 
Verlagerung der Radien in Taf. III, Fig. 1 und 2 beweist, dafs die Radien wenigstens basal 
in einer freien Hautfalte befestigt waren, welche sich leicht loslösen konnte; der ganzen 
Länge nach konnten sie wenigstens nicht in der äufseren Haut gesteckt haben, weil die 


Kehlseite mit Schuppen bedeckt war (vgl. Geogn. Jahreshefte, VI. Jahrg., S. 56). 


Auch über das „Claviculoid“ liefert das neue Material kleinere Ergänzungen; die 
obere spitz-kegelförmige Höhle ist vollständig von der unteren getrennt, ist inwendig cylin- 
drisch, glatt und im Querschnitt kreisrund; die untere Höhle dagegen ist etwas zweiseitig 
komprimiert und inwendig mit nach innen hervorspringenden welligen Längswülsten versehen 
(vgl. Taf. I, Fig. 7; Taf. Il, Fig. 4; Taf. III, Fig. 6; Taf. IV, Fig. 4, el); es ist dies eine Höhle, 
welche man mit einigem Recht als eine pulpale Höhle bezeichnen kann; sie ist auch zu 
einem grolsen Teil von unten durch einen sattelförmigen Boden verschlossen (Fig. 2, Taf. I; 
Fig. 4, Taf. II; Taf. II, Fig. 7; Taf. IV, Fig. 4); die Sattelaxe verläuft in der Längsrichtung 
der Kompression des basalen Teils des Claviculoids (d. h. sie bildet die lange Axe des ellip- 
tischen Querschnittes) und bezeichnet die eigentliche Auflagerungsstelle des Clavieuloids auf 
einem hypothetischen Knorpelgebilde; in der darauf senkrechten Richtung ist eine einseitige 
Entwickelung des Sattels bemerkbar, er hängt auf der einen Seite über. Das Claviculoid selbst 
zeigt, wenn es auf der breiteren, platteren Fläche liegt, eine zweiseitige Verschiedenheit der 
beiden Ränder; ein Aufsenrand (Hinterrand?) ist kürzer und stärker konkav; der Innenrand 
(Vorderrand’?) ist steiler und länger; nach dem Aufsenrand zu öffnet sich auch der den Sattel 
bildende Boden der unteren Pulpalhöhle. In der überwiegenden Mehrzahl der beobachteten 
und erwähnten Fälle liegt nun der konkave Aufsenrand des mit der oberen Höhle meist 
etwas nach hinten umgelegten Claviculoids der konkaven Seite des nach hinten und aufsen 
umgeklappten Stachels, d. h. nach dem eigentlichen Flossenskelett zu; in Fig. 2 u. 7, Taf. I 
wäre der Stachel mit seinem vorderen Rand nach oben gelegen und daher das zugehörige 
Flossenskelett nach unten umgeklappt. Das Flossenskelett zeigt aulser den verkalkten Horn- 
strahlen meist drei Knorpel im distalen Skelett (vgl. Taf. I, Fig. 2 u. 7; Taf. II, Fig. 4; 
Taf. III, Fig. 3; Taf. V, Fig. 1; Taf. VI, Fig. 5), welche in derselben Weise hüllenartig kon- 
tinuierlich verkalkt sind, wie die Knorpelskelettteile des Kopfes; von dem eigentlichen Stachel- 


knorpel ist ebensowenig wie vom eigentlichen Schultergürtelknorpel etwas verkalkt. 


Au ng 


Einen ganz aulsergewöhnlichen Erhaltungszustand zeigt Fig. 4, Taf. VI, nämlich den 
Trageknorpel des Stachels der Analis. Das Exemplar liegt in der Sammlung der geolog. 
Landesanstalt in Strassburg und zeigt desgleichen den Trageknorpel an dem Stachel der 
Dorsalis und aufserordentlich starke Verkalkungen im Schwanzflossenskelett, genau wie sie 
in Fig. 4, Taf. III abgebildet und unten beschrieben sind. Bemerkenswert ist die zu gleicher 
Zeit auftretende Verkalkung der Hornstrahlen, da wo sonst keine Faserstrahlen beobachtet 
wurden (Dorsalis, Analis und Caudalis). 

Das in Fig. 4, Taf. III dargestellte Schwanzskelett zeigt die unteren Bogen und die 
Schwanzflossenträger;; die letzteren treten hier wie stets nur mit zwei oder drei am stärksten 
entwickelten Stäben mit ersteren (also mit der Schwanzaxe) in annähernde Verbindung; da 
das wirkliche Flossenskelett unabhängig vom Axenskelett entsteht, schlols ich hieraus auf die 
wahre Flossenträgernatur dieser caudalen Stäbe. Dies wird noch durch eine weitere That- 
sache bewiesen, es zeigen sich nämlich in der Caudalis (Fig. 4) kurze Hornstrahlen, welche 
ganz vom Schuppenkleid bedeckt sind; und zwar liegen sie so, dals die Caudalträger noch 
über sie hinweg weit in den Schwanzlappen hinausragen; die Träger r, haben also offenbar 
ganz zwischen der Flossenmuskulatur gelegen, welche an den proximalen Enden der kurzen 
Hornstrahlen inseriert haben muls; es sind darnach in der That Flossenträger, welche hier 
von den unteren Bogen getrennt bleiben; auch die kleinen proximalen Glieder r, sprechen 
für diese Auffassung, wobei allerdings zu bedenken bleibt, ob sie nicht noch zum System der 
unteren Bogen gehören. Ein Exemplar der Strassburger Sammlung zeigt nämlich statt ihrer 
vor den, wie hier, sieben stärksten Trägern (und unteren Bogen) noch drei schwächere Ver- 


kalkungen, aber in ganz normaler Folge der unteren Bogen. 


Nachtrag. 


1. Über die Bedeutung der Ausdrücke: Knorpelfläche, Muskelfläche der Intern- und 
Externwand der sclerochondralen Hüllen vgl. Berichte der Pollichia in Dürkheim a. d. H. 1894. 

2. Über Lage und Form der stabförmigen Hypobranchialien geben Taf. II, Fig. 3 u. 5 
und Taf. IV, Fig. 1 u. 2 Aufschluls. 

3. Über das Trabeculare möchte ich bemerken, dafs noch die Möglichkeit vorhanden 
ist, dals es der Schädelbasis nur von unten angelagert, ein schwer zu deutendes „Subtrabecu- 


lare‘‘ sein kann. 


8+ 


an 


Buchstabenerklärung. 


Stachel der Analflosse. 


bı-sd dorsale Kiemenbogensegmente. 
bı-sv ventrale Kiemenbogensegmente. 


o  Orbitalia (Plakosklerotikalia), 
ob obere Bogen der Schwanzaxe. 
pch parachordaler Abschnitt des lateralen Craniums. 


cl  Clavieuloid. pce parachordales Epiphyseale für das Palatoquadr. 
c  Cranialdecke. \ ph. Pharyngealia. 
co Copularia. phy vorderes Hyoidsegment (Prähyoid). 


pmd vorderes Mandibularsegment (Prämandibel). 
ppq vorderes Palatoquadratsegment (Präpalatoqua- 


cs Cranialschuppen. | 
d _extramandibularer Stachel. 


dr Extramandibularradien. dratum). 

fs verkalkte Hornstrahlen. \  pq eigentliches Palatoguadratum. 

hy hinteres Hyoidsegment (Hyoid). | pt  Pectoralstachel. 

hm Hyomandibel. \  r  Konorpelradien des Flossenskeletts. 

he Epiphyseale der Hyomandibel. rs  Rostralschuppen. 

hb Hypobranchiale. I Ki = rloderi= ub. 4 

l  Linguale. tr trabeculare Region (?) der Schädelbasis. 
md Mandibel oder hinteres Mandibularsegment. ub untere Bogen. 


Figurenerklärung. 


Tafel 1. 


Fig. 1. Skizze nach einem Exemplar der Senckenbergischen Sammlung. Kiefer nach aulsen umge- 
klappt, von der Innenfläche sichtbar; der Dentinstachel legt sich hinten an den Unterrand der im Gestein ver- 
borgenen Aufsenfläche der Mandibel; Hyoidbogen nahezu in allen Teilen zwischen den Unterkiefern entblöfst. 

Fig. 2 u. 7. Platte und Gegenplatte der beiden Claviculoidea; Flossenstachel, Flossenknorpel und 
Hornstrahlen; der gerade Rand des Claviculoids, der nach sonstigem Vorkommen der vordere ist, ist hier 
dem gesamten Flossenskelett abgewandt; das Flossenskelett selbst aber ist nach unten vorne umgeklappt. 
Die Claviceuloidea sind nach der größseren Axe des elliptischen Querschnitts der unteren Clavieuloidhälfte 
halbiert; in Fig. 2 sind in der unteren pulpalen Höhlung noch gröfsere Reste des sattelförmigen Bodens 
derselben erhalten (vgl. Fig. 7, Taf. III und Taf. IV, Fig. 4, wo der Längsbruch durchs Clavieuloid nach der 
kurzen Axe seines elliptischen Querschnittes stattfand). (Senekenb. Samml.) 

Fig. 3 Ähnliche Verhältnisse wie in Fig. 1, jedoch sind hier die ventralen Kieferteile etwas ver- 
worfen und es befinden sich dorsal zwischen beiden Augenringen und dem Palatoquadratum die cranialen 
(oder suberanialen: Trabeculare?) Bestandteile in vollständigerer Zahl vor. (Senekenb. Samml.) 


! In diesem Abschnitte, der als „beschreibende* Ergänzung des Textteiles zu betrachten ist, finden 
sich auch noch einige Angaben und Beobachtungen zum „vergleichenden“ Texte. 


en 


Fig. 4. Senckenbergische Sammlung. Kopfschuppenbedeckung sehr gut erhalten, kein Übergang zu 
den Körperschuppen bemerkbar, wie es scheint vier Reihen gröfserer Schuppen; Orbitalia in feinem Abdruck; 
von dem parachordalen Schädelteil die epiphysealen Träger des Palatoquadratums zu sehen; Kiefer oben von 
der Knorpelfläche der Innenwand, unten von der Gaumenfläche derselben. Der extramandibulare Stachel ver- 
birgt sich an letzterem in normaler Lage unterhalb, d. h. auf der Aufsenfläche der Mandibel zunächst deren 
Unterrand; die extramandibularen Radien sind hier in normalem Kontakt mit dem Stachel der Mandibel; 
die hintersten freien gehören, wie es scheint, noch zu den verlagerten der oberen Mandibel. Ein vorderes 
Hyoidglied mit Rechenzähnen. Das Clavieuloid beider Seiten’in normaler Lagerung zum Flossenskelett (hier 
blofs Hornstrahlen und Stachel); der konkave Hinterrand des Claviculoids ist nach der Stachelkriämmung und 
den Hornstrahlen zu gelegen. 


Fig. 5. Senckenb. Samml.; Trabeculare, Präpalatoquadratum und Parachordale (Cranialteil mit an- 
geschlossenem Epiphyseale) in annähernd normaler Lage; Kiefer von der Knorpelfläche der äufseren Muskel- 
wand. Die hintere Hälfte des extramandibularen Stachels verbirgt sich unter, d. h. auf der Aufsenseite der 
Mandibel, Die Dentinradien hier sowie auf der anderen Seite in innigem Zusammenhang mit dem Stachel 
und der Mandibel und ohne Beziehung zu den unregelmäfsig verlagerten Hyoidgliedern, 


Fig. 6. Gegenplatte von Fig.5; Kiefer von der Knorpelfläche der Gaumenwand gesehen; der Stachel 
schiebt sich hier natürlich nicht unter die Mandibel, sondern bricht in höherem Niveau liegend vor derselben 
ab. Ob das hintere mediane Stück einer Kopula entspricht oder etwa der hinteren Schädeldecke angehört 
(vgl. Taf. IV, Fig. 1 u. 2 und Taf. V, Fig.1 u. 2), liefs sich nicht feststellen, 


Tafel II. 


Fig. 1. Oberkiefer von der Internfläche der Gaumenwand, Coronoidgrube durchgebrochen. Para- 
chordalia zu beiden Palatoquadraten weit voneinander verlagert. Linguale durch die überlagerten vorderen 
Enden der Prähyoidea undeutlich. Untere Kiefer (pg u. md) von der Internseite der äufseren Muskelwand; 
der Gegenplatte nach verbirgt sich die vordere Endigung des Hyoids unter der Gaumenfläche der Mandibel selbst, 
also trotz halber Mundwinkellage doch mehr nach dem Gaumeninneren zu gelegen; die Rechenzähne von ihm 
und dem Prähyoid etwas im Zusammenhang abgelöst und zu denen des ventralen Segments des 1. Kiemen- 
bogens in Gegenstellung. „Dentohyoid“-Fragment verbirgt sich unter der unteren Mandibel, also auf der 
Aufsenfläche derselben als extramandibularer Stachel. 


Fig. 2. Gegenplatte von Fig. 1. Oben beide Kiefer von der Knorpelfläche der Mtiskelwand gesehen; 
der Muskelkiel des Palatoquadrats erscheint als Röhre; die äulsere Muskelgrube der Mandibel sackartig nach innen 
hängend; unten beide Kiefer von der Knorpelfläche der Innenwand; die Coronoidgrube des Palatoquadrats 
von der gewölbten Fläche aus sichtbar; der vollständigere Extramandibularstachel in normalem Kontakt mit 
dem Unterrand der Prämandibel, 

Fig. 3. Die in der rostralen Region am stärksten entwickelten Kopfschuppen liegen mit ihrer 
basalen Seite im Gestein. Im oberen Kiefer (linke Kopfflanke) zeigt die Mandibel die Internfläche (Knorpel- 
fläche) der Muskelwand, ist also nach aufsen umgeklappt; Palatoquadratum oben links mit Coronoidgrube 
rein von der Gaumenfläche aus gesehen, Die unteren Kiefer zeigen die Internfläche der Gaumenwand und 
sind nach innen eingeklappt; hierbei wie in Taf. IV, Fig. 1, 2 u. 4 die Hyoidea sekundär in der „Labiallage*, 
jedoch beide mit Rechenzähnen besetzt, also keine Labialia, sondern Hyoidea. Die gewölbte Seite des Tra- 
beculare nach unten, da Ansicht von der Dorsalseite. Der extramandibulare Stachel erscheint hier selbst- 
verständlich nur in Durchbrüchen und Abbrüchen des Unterkieferrands (in Mandibel und Prämandibel) der 
oberen umgeklappten, mit der Aufsenfläche im Gestein liegenden Kieferflanke. Da keine Gegenplatte vorhanden, 
so können auch hier Angaben über den extramandibularen Stachel der rechten Kopfflanke nicht erwartet 
werden. Vom Kiemenbogenskelett sind teils die ventralen, teils die dorsalen Segmente und die kurzen stab- 
förmigen Verknöcherungsteile der Hypobranchialia zu sehen. An zwei Segmenten erkennt man auf der Intern- 


re 


fläche die innere Kehrseite der äufseren Erhebungen, welche dem Ansatz der verdickten Enden der Rechen- 
zähne entsprechen (vgl. Taf. III, Fig. 6). Beide Parachordalia ungefähr in korrespondierender Lage zum Tra- 
beculare, Kiemenzähne der letzten Bogen unten in Gegenstellung. 


Fig. 4. Oberes Claviculoid in normaler Lage des stärker gekrümmten Hinterrandes, gegen die kon- 
kave Stachelseite und das Flossenskelett zu gewandt; letzteres am oberen Stachel nach unten umgeklappt; 
die gröfseren Hornstrahlen liegen noch zunächst dem oberen Stachel. Unteres Flossenskelett ist normal 
gelagert. Lage des vorderen Stachelendes zum geraden Vorderrand des Olavieuloids vgl. Taf. I, Fig. 4; 
Taf. III, Fig. 3 u. 7; Taf. VI, Fig. 5. 

Fig. 5. Sammlung der Pollichia (Dürkheim a. d.H.) (vgl. Berichte der Pollichia Bd. 1894, S. 316). 
Kiefer von der Knorpelfläche der Muskelwand; im Unterkiefer kommt der extramandibulare Stachel auf 
beiden Seiten im Durchbruch von der Aufsenseite der Skelettteile her zum Vorschein; echte Hyoidea in 
normaler Lagerung; Rechenzähne des 5. und 6. Bogens in Gegenstellung; Copularia und ein Hypobranchiale. 


Fig. 6. Sammlung der Pollichia in Dürkheim a.d.H. Hyomandibel mit Rechenzähnen kommt im 
Durchbruch des Palatoquadrats zum Vorschein; Teil der Gegenplatte der vorigen Figur, der dem unteren 
Abschnitt derselben entspricht. 


Tafel III. 


Fig. 1. Hier liegt die Aufsenfläche der Muskelwand der Kiefer und die nicht skulpturierte Seite 
der Schuppen im Gestein; der Oberkiefer der rechten Kopfflanke (unten) ist noch mit dem Epiphysealteil des 
Parachordale in Verbindung; der der linken Seite von diesen gelöst nach vorne verlagert, zeigt noch eine 
lamellöse Knochenfortsetzung, welche der Cranialdecke angehört (vgl. Taf. V, Fig. 1 u. 2). Hier ist der 
extramandibulare Stachel nur an einer Durchbruchsstelle zwischen Mandibel und Prämandibel, also aufserhalb 
des Unterkiefers, zu erkennen. Der hintere, verdickte Schenkel des epiphysealen Teiles des Parachordale 
liegt deutlich in der Angliederungsrichtung zum Quadratkiel des Palatoquadrats; äufsere Muskelhöhle der 
Mandibel und des Quadratkiels vom unteren Palatoquadrat von der Knorpelanlagerungsfläche aus gesehen, 

Bei den Kopfschuppen ein kleines Stachelchen zu sehen. Radii extramandibulares im Zusammenhang 
von der Mandibel weg verlagert. Gegenplatte von Fig. 2. 


Fig. 2. Palatoquadrat und Mandibel; oben und unten Ansicht von der Externseite (Knorpelseite) 
der Gaumenwand; da die Kopfschuppen mit der skulpturierten Basalfläche auf dem Gestein aufliegen, so ist 
zu folgern, dafs hier der Kopf von der Dorsalseite gesehen ist. Die Kiefer sind nach aufsen umgeklappt. 
Parachordale oben mit Cranialdeckplatte über das Trabeculare verschoben; unten Hyomandibularzähne. 


Fig. 3. Clavieuloid, Flossenstachel, Knorpelradien und Hornstrahlen zu Fig. 2, Taf. IV, obere Seite. 


Fig. 4. Der gezeichnete Umrifs ist der der Geode, nicht der des Schwanzes überhaupt; untere 
Bogen je in zwei Teilstücken vorliegend; zwei Reihen Flossenträger: a) ganz kurze, nur vorne, b) lange 
distale; sie liegen zwischen den verkalkten Hornstrahlen; diese zwischen dem beiderseitigen weit überragen- 
den Schuppenkleid. Hinten nochmal längere untere Bogen; ob a) nicht verlagerte untere Bogen? 


Fig. 5. Extramandibularia von der Anlagerungsfläche an die Mandibel; vordere Hälfte (ventrale 
Anlagerungsfläche an die Prämandibel) und hintere Hälfte (laterale Anlagerungsfläche an die Mandibel), bei 
nach aufsen umgeklappten Kiefern in eine Ebene geprefst. Vergröfsert, (Samml. der Strassb. Landesanstalt.) 


Fig. 6. Cranium mit Trabeculare und Parachordale und den Augenringen ganz vom Kieferskelett, 
dem ventralen Kiemenbogen- und Hyoidskelett getrennt; Linguale im Fragment; beide Prähyoidea und Hyoid 
(unten) mit Rechenzähnen; Copulae hintereinander folgend in schmalen Querbrüchen; Hyomandibularia nach 
aufsen hinten umgeklappt; das obere mit Rechenzahnfragmenten; Claviculoid in seiner typischen Lagerung 
zum Stachel; die breitere untere Endigung von der gefalteten pulpalen Innenfläche gesehen. „Dentohyoid* = 
extramandibularer Stachel ist nirgends zu sehen, was unerklärlich wäre, wenn er dem Innenskelett des Kopfes 


N 


angehörte und hier doch alle Teile zwischen den Mandibeln entblöfst vorliegen. Er liegt auch nicht unter 
den Mandibeln, da diese ihre Innenfläche dem Gestein zukehren und zum gröfsten Teil nur im Abdruck ihrer 
Gaumenfläche erhalten sind, wodurch z. B. unten die Rechenzähne des Hyoids sichtbar werden. Der extra- 
mandibulare Stachel kann daher nur über den Gegenhälften der auseinandergebrochenen Mandibeln der Gegen- 
platte liegen, welche leider fehlte. Die Kiemenbogen zeigen innen eine einseitig verschobene Entwickelung 
und auf der Externseite eine ebenso einseitig gelegene tiefe höhlenartige Rinne, Die ventralen Segmente der 
1. Kiemenbogen zeigen die innere Kehrseite der äulseren Erhebungen für den Ansatz der Rechenzähne. 


Fig. 7. Clavieuloid der rechten Seite von Fig 2, Taf. V; zeigt den sattelförmigen Boden der unteren 
pulpalen Höhle, in Beziehung gesetzt zu einem Längsschnitt des Gebildes und in den restaurierten Umrifs 
desselben eingezeichnet. 


Tafel IV. 


Fig. 1. Kiefer von der Knorpelfläche der Gaumenwand; an der oberen Seite ist noch ein Fragment 
der Muskelwand am Vorderende der Mandibel erhalten, auf welchem (also auf der Aufsenfläche derselben) 
ein Fragment des extramandibularen Stachels liegt. Auf der unteren Seite ist die Lage des Hyoids durch 
einen Bruch festgestellt und in seinem Verhältnis zur Innenfläche der Mandibel daneben gezeichnet, Die 
Dentinradien erweisen sich so ohne Beziehung zum echten Hyoidbogen. Von der Cranialdecke sind auch hier 
(hinten) einige Partien stärker verkalkt erhalten. (Koll. Prof. Felix in Leipzig.) 


Fig. 2. Gegenplatte zur vorigen Figur; der obere Unterkiefer ist von der Knorpelfläche der Muskel- 
wand zu sehen und schief von aulsen nach innen ins Gestein gekehrt; man bemerkt, wie das stabförmige 
Dentingebilde sich unter dem Unterrand der Mandibel verbirgt und zwischen Gestein und Mandibel geklemmt 
ist, also auf deren Aufsenfläche zunächst dem Unterrande liegt; ein Hyobranchiale sichtbar. 


Fig. 3. Kiefer der oberen Hälfte im Abdruck der Aufsenseite der Muskelwand; Kiefer der linken 
Kopfflanke im Abdruck der Internseite der Gaumenwand. Der extramandibulare Stachel kann daher nur 
oben sichtbar sein und erscheint unter dem Abbruch des Unterrandes der Mandibel. Er verschwindet unter 
dem verlagerten Trabeeulare. Der obere Kiefer, der der rechten Kopfflanke angehört, ist nach aufsen um- 
geklappt und hat das Parachordale aus seinem Schädelzusammenhang gerissen. Das Epiphyseale desselben 
erscheint auf die Aulsenseite des Palatoquadrats verschoben, und ist daher unterm Abdruck der Aufsenfläche 
des Palatoquadrats deutlich. Die Hyoidea liegen auf der unteren Hälfte der Figur in der Mundwinkel- 
(Labial-)T,age. Die Extramandibularradien unten bei der seitlichen Kompression verschleppt und erscheinen 
unterhalb der Mandibel Nur eine Platte vorhanden. 


Fig. 4. Kiefer von der Knorpelfläche der Muskelwand; oben sieht man in die Höhle des Quadrat- 
kiels, unten das sackartige Hereinhängen der äufseren Muskelgrube des Adduktors. Unterhalb der Mandibel 
kommt im Durchbruche der extramandibulare Stachel zum Vorschein. Zwischen den Kiefern das Trabeeulare 
im Umrifs nach der Gegenplatte ergänzt. Prämandibularia verlagert; zu dem unteren der extramandibulare 
Stachel schwach nach aulsen unten verlagert. Hyomandibularia: vorne ein Fragment der Hyomandibel der 
einen Seite mit Rechenzähnen, dahinter das andere vollkommen (mit Epiphyseale?). Dahinter drei Kiemen- 
bogen: der erste, von der Knorpelfläche der Innenwand aus gesehen, zeigt die Kehrseite der äulseren Bran- 
chialrinne (vgl. auch Taf. V, Fig. 1 u. 2), die beiden folgenden zeigen Muskelskulpturen der Aufsenwand. 
Das Clavieuloid zeigt im langen Querbruch einen Durchschnitt des sattelförmigen Bodens der unteren 
pulpalen Höhle (vgl. Taf. I, Fig. 2 u. 7). 

Fig. 5. Skizze eines Exemplars der Sammlung der Strassburger Landesanstalt. Kiefer oben zum 
Teil von der Muskelwand, zum Teil von der Knorpelfläche der Gaumenwand zu sehen. Parachordale und 
trabeculare Teile deutlich dem Cranium angehörig gelagert. Mandibel, Prämandibel, Hyoid und Prähyoid 
unten in enger Anlagerung im langen Querbruch zu erkennen; auf der Aufsenseite (ganz unten) die Reste 
des aulsen angelagerten Dentinstachels, Hyoid, Prähyoid und Hyomandibulare mit Rechenzähnen; beide 


SEN Me 


Prähyoidea deutlich durch ein Linguale verbunden. Rechenzähne des oben unter Palatoquadratum und 
Mandibel liegenden 1. Kiemenbogens scheinbar an diesen Gebilden selbst ansitzend, aber dennoch unter den- 
selben hervortretend. 


Tafel V. 


Fig. 1. Koll. Prof. Dr. Felix, Leipzig. Kiefer von der Knorpelfläche der Gaumenwand; auf den 
Quadratkiel läuft die hintere Röhre des epiphysealen Abschnitts der Parachordale aus; letztere sonst isolierte 
Verkalkungsteile zeigen sich hier als Bestandteile einer kontinuierlichen Cranialdecke, welche bis zum Vorder- 
ende des Trabeculare reicht und dasselbe dorsal überdeckt; die hintere Mitte dieser Decke zeigt eine 
Erhebung. Auch die Hyomandibel scheint durch ein eigenes Knorpelglied getragen zu werden, wie das 
Palatoquadratum durch das eigentümliche Epiphyseale. Das Präpalatoquadratum auf der linken Seite in der 
Fortsetzung des Palatoquadratums gelegen. Hyoidea von dem Kieferskelett beiderseits teilweise verdeckt. Hyo- 
mandibel mit Rechenzähnen; vier Kiemenbogen stark verkalkt; die beiden ersten mit ventralen Segmenten sichtbar. 

Fig. 2. Gegenplatte von Fig. 1; Cranialdecke im Abdruck; am ersten Kiemenbogen ist am unteren 
Ende des dorsalen Segments die Muskelgrube des Adduktors zu erkennen; Hyomandibel "mit Rechenzähnen. 
Der 1. Bogen der rechten Seite zeigt oben innerlich die Kehrseite der äufseren Branchialrinne (vgl. Taf. IV, Fig. 4). 


Tatel VI. 


Fig. 1. Kiefer oben von der Knorpelfläche der Gaumenwand, unten teilweise von der Aufsenfläche 
der Muskelwand; Prämandibel und extramandibularer Stachel beiderseits schwach verlagert; Hyoid und Prä- 
hyoid mit Linguale nahezu normal; auf dem hinteren Prähyoid und Linguale ein Rest des Trabeculare von 
der Dorsalseite aufgelagert. Dahinter das System der ventralen Copularia. Präpalatoquadratum und Para- 
chordalepiphyseale in annähernd normalem Lagerungsverhältnis zu dem Trabeculare. Hyomandibel oben normal 
das Palatoquadratum unterschiebend; unten nach hinten umgekehrt, mit Rechenzähnen; desgleichen das Hyoid 
mit solchen. Rostrale Kopfschuppenbegrenzung rs sehr deutlich (vgl. Taf. II, Fig. 3 und Fig. 2, Taf. III). 
(Samml. der geol. Landesanstalt in Strassburg.) 

Fig. 2. Gegenplatte von Fig, 1. 

Fig. 3. Gegenplatte von Fig. 5, Taf. IV. (Samml. der geol. Landesanstalt in Strassburg.) 

Fig. 4. Stachel der Analis mit verkalkten Hornstrahlen und dem verkalkten Trageknorpel des 
Stachels. Dasselbe Exemplar zeigt auch an der Dorsalis den 'Trageknorpel sehr deutlich. (Samml. der geol. 
Landesanstalt in Strassburg.) 

Fig. 5. Pectoralstachel von Fig. 1, Clavieuloid, Radialia und Hornstrahlen. 

Fig. 6. Kiefer oben von der Knorpelfläche der Gaumenwand; Hyomandibel dahinter mit Rechen- 
zähnen, nur Basalteile sichtbar; Parachordale und Trabeculare deutlich als eraniale Bestandteile erkennbar, 
d. h. dorsal über und zwischen Augenring und Palatoquadrat gelegen. Unterer Kiefer im langen Querbruch 
sichtbar; extramandibularer Stachel der Mandibel an der Seite der (äulseren) Muskelhöhle angelagert, welche 
sackartig in die Höhe der Mandibel hereinhängend erkennbar ist. Auf der Innenseite das Hyoid mit Rechen- 
zähnen deutlich sichtbar; korrespondierend dazu liegen davor Prämandibel und Prähyoid, deren Vorderende 
abgebrochen ist (vgl. den Erhaltungszustand von Fig. 3, Taf. VI). (Samm]. der geol. Landesanstalt in Strassburg.) 

Fig. 7. Kiefer oben von der Knorpelfläche der (externen) Muskelwand zu sehen; im oberen Unter- 
kiefer erscheint in einem Durchbruch der Mandibel unterhalb der Muskelrinne der Stachel der Aufsenfläche 
(vergl. den Erhaltungszustand der Fig. 3, 5, 6, Taf. II; Fig. 3 u. 4, Taf. IV). Gegenplatte von Fig. 6 ohne 
das Kiemenskelett gezeichnet. 


Die Originalien von allen Exemplaren, zu welchen keine nähere Angabe gemacht ist, befinden sich 
in der Sammlung der kgl. Bergschule in Saarbrücken (Taf. II—IV). 


FEB 11 1296 


ABHANDLUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 
SENUCKENBERGISCHEN NATURFORSCHENDEN 
GESELLSCHAFT, 


NEUNZEHNTER BAND. 


ZWEITES HERT. 


MIT XIII TAFELN. 


ERANKEURT x M. 


IN COMMISSION BEI MORITZ DIESTERWEG. 


"1895, 


Erscheint gleichzeitig als Festschrift zum fünfzigjährigen Jubiläum des ärztlichen Vereins 


zu Frankfurt a. M. (3. November 1895). 


Vorrede. 


Det gik mig som En, der vandrer i en Labyrinth. Gang 
for Gang havde jeg fundet, og jeg stod nu lige ved det Sted, 
hvor den endte. Men her fandtes en Muur, hvis Dör ingen 
Nögle formaatte at aabne, og som jeg med mine Kräfter var for 
syag til at spränge. Hvergang jeg tog et nyt Udgangspunkt, 
kom jeg dog tilbage til den samme uoverstigelige Muur. Indenfor 
den laa Skatten, men jeg syntes ikke at väre den, der skulde 
häve den. 

Vilhelm Bergsöe: Fra den gamle Fabrik. 


Anden Deel S. 82. 


Die folgende Arbeit beruht auf Resultaten, die durch eine neue Methode gewonnen 
worden sind. Um die Methode auch nur auf den jetzigen Standpunkt zu bringen, dazu habe 
ich vom 5. Dezember 1883 bis heute gearbeitet, und zwar habe ich alle meine von Amts- 
geschäften freie Zeit so gut wie ausschlielslich dieser Methode gewidmet. 


Es war noch in den ersten Jahren dieser Arbeitsperiode, da besuchte ich einen als 
Lehrer, Forscher und Mensch gleich hochstehenden Gelehrten und erzählte ihm, dals ich mit 
meiner Arbeit gar nicht zu Ende kommen könnte. Im Laufe des Gesprächs sagte der ver- 
ehrte Gelehrte ungefähr folgendes zu mir: „Haben Sie wohl einmal darüber nachgedacht, 
warum wir Theoretiker eigentlich wissenschaftlich arbeiten? Gewinn haben wir ja nicht davon; 
denn für die grölsten Entdeckungen auf unsern Gebieten wird kein Pfennig bezahlt, und dals 
das wissenschaftliche Arbeiten für die Carriere nichts nützt, haben Sie ja selbst erfahren. 
Also warum arbeiten wir? Wegen des Ruhms? Der Ruhm ist fadenscheiniger und vergäng- 
licher, als Spinnengewebe, und man könnte in unserer schnelllebigen Zeit das Wort des 


IV 


Baccalaureus im Faust getrost dahin abändern, dals man sagte: Bist du auch kurze Zeit be- 
rühmt gewesen, bald weils kein Mensch mehr was von dir zu sagen. Warum arbeiten wir 
nun aber doch? Einfach deshalb, weil uns das wissenschaftliche Forschen eine 
hohe und reine Freude bereitet.“ 


Wenn dies Motiv mein langes Arbeiten veranlalst hätte, dann hätte ich jetzt fast sieben 
recht glückliche Jahre hinter mir, — aber leider war es ganz anders. Wenn ich die aller- 
erste Zeit abrechne, in der ich ein neuentdecktes fruchtbares Gebiet vor mir zu sehen 
glaubte, und in der ich meinte, nur die Hand ausstrecken zu brauchen, um dies Gebiet zu 
besitzen, — wenn ich diese kurze Spanne Zeit abrechne, so war das Arbeiten an der neuen 
Methode gerade das Gegenteil von Vergnügen und von Freude. Es war eine Kette von immer 
neuen Hoffnungen und immer neuen Enttäuschungen, eine Kette von immerwährenden quälenden 
Geduldsproben. Mulste ich doch zu Zeiten Wochen lang, immer aber viele Tage lang warten, 
ehe ich wissen konnte, ob ein neuer Versuch geglückt wäre, oder nicht. 

Wie einem in solcher Zeit zu Mute ist, das hat ein dänischer Naturforscher, der zu- 
gleich ein ganz hervorragender Poet ist, ausgezeichnet geschildert. Ich meine Vilhelm 
Bergsöe. Dieser erzählt in seinem Romane „Fra den gamle Fabrik“ (Aus der alten Fabrik) 
die Leiden eines Chemikers, der einer Entdeckung auf der Spur ist, aber über das „nästen“, 
das „beinahe“, nicht herauskommt. Für meine hochgeschätzten skandinavischen Freunde habe 
ich einen hierauf bezüglichen Passus in der Ursprache an die Spitze dieser Vorrede ge- 
stellt, hier mag dessen deutsche Übersetzung folgen: 


„Es ging mir“, sagt Olsen, der Chemiker in jenem Roman, „wie einem, der in 
einem Labyrinthe wandelt. Gang für Gang hatte ich gefunden, und ich stand nun an 
der Stelle, wo es zu Ende war. Aber hier befand sich eine Mauer, deren Thür kein 
Sehlüssel zu öffnen vermochte, und die zu sprengen meine Kräfte zu schwach waren. 
Jedesmal. wenn ich wieder einen neuen Ausgangspunkt nahm, kam ich doch zu derselben 
unübersteiglichen Mauer zurück. Innerhalb derselben lag der Schatz, aber ich schien 
nicht der zu sein, der ihn heben sollte.“ 


Ich habe mir in dem dänischen Citate, wie in der Übersetzung, erlaubt, die Praesentia 
der Verba des Originals in die Praeterita zu verwandeln. Ob ich ein Recht dazu habe, das 
müssen die entscheiden, die die neue Methode versuchen werden. 


Warum habe ich aber dann doch weiter gearbeitet, wenn das Arbeiten an der Methode 
so unerquicklich war? Warum habe ich dem Rate meiner Freunde nicht gefolgt und etwas 
„lohnenderes“ vorgenommen? Nun, ich konnte einfach nicht loskommen. Die Arbeit 
hatte noch etwas besonders tückisches an sich. Immer stand ich zwar vor dem abscheulichen 
„beinahe“, aber immer glaubte ich, der nächste Versuch müsse gelingen, — wieder ganz so, 
wie es Bergsöe bei seinem Chemiker (Bd. II S. 146) schildert. Nur Tage oder Wochen 
schien es, und die lange Arbeit ist belohnt! Aber aus Tagen und Wochen wurden Monate, 
aus Monaten viele Jahre, die Zeit verging, ohne dals ich es merkte, bis schlielslich ein 
einigermalsen annehmbarer Erfolg doch noch erreicht war. 


Tantae molis erat, aber nicht, Romanam condere gentem, sondern eine simple histo- 
logische Methode zu finden. Habe ich da nicht Öl und Zeit verschwendet, habe ich da nicht 
meine Arbeitskräfte vergeudet, oder um mit dem Chemiker bei Bergsöe zu reden, „die Gold- 
körner des Lebens wie Sand verstreut,“ („Livets Guldkorn jeg spredte som Sand“)? 


Das wird sich zeigen. Eine neue Methode ist eben ein Schlüssel, um die Thür in der 
unübersteiglichen Mauer zu öffnen, die die wissenschaftlichen Schätze umschliefst. Der Schlüssel, 
den ich der wissenschaftlichen Welt übergebe, schlielst zwar nicht ganz leicht, er muls erst 
noch sorgfältig abgefeilt werden, aber er schlielst doch, und jedermann kann sich daran 
machen, die Schätze zu verwerten, von denen ich in diesem Buche nur einige Proben dar- 
bringe. Wenn dann (von meinem bescheidenen Anteil abgesehen) recht viel von jenen 
Schätzen durch diejenigen gehoben wird, welche sich der neuen Methode 
bedienen werden, dann bin ich vollständig befriedigt, dann sage ich getrost: Oleum et 
tempus non perdidi. 


Freilich weils ich sehr wohl, dals es Leute giebt, die die Erfindung einer neuen 
Methode als eine minderwertige wissenschaftliche Leistung betrachten, und die die Erfinder 
selbst, so zu sagen, über die Achsel ansehen. Schaut man aber genauer zu, so nehmen diese 
selben Leute die Methoden der von ihnen so gering geschätzten Erfinder mit dem aller- 
grölsten Eifer zu Hilfe, um ihre eignen wissenschaftlichen Bauten so recht handwerks- 
mälsig ausführen zu können. Mancher Maurergeselle mag ja auch den Architekten, nach 
dessen Plänen er arbeitet, deshalb gering achten, weil dieser die Ziegeln nicht selbst über- 
einander schichtet. Es muls eben auch solche Käuze geben ! 


Mit der neuen Methode veröftentliche ich auch eine Reihe von Beobachtungen. Für 
eine fast siebenjährige Arbeit werden diese manchem vielleicht etwas mager, jedenfalls aber 
sehr lückenhaft erscheinen. Ich bitte aber zu bedenken, dals ich bis in die letzte Zeit immer 
noch mit den Unvollkommenheiten der Methode zu kämpfen hatte, und so lange das der 
Fall ist, ist der Geist nicht frei genug für eine intensive Thatsachenforschung. So recht 
konnte ich mich erst seit kurzem der Ernte hingeben, für die ich vor so langer Zeit die 
Saat ausgeworfen hatte. Unter diesen Umständen wäre es vielleicht besser gewesen, wenn 
ich das „nonum prematur in annum“ buchstäblich befolgt hätte, aber das ging nicht an. 
Ich hatte mich dazu verpflichtet, diese Arbeit als Jubiläumsschrift für den ärztlichen Verein 
zu Frankfurt a. M. am 3. November 1895 gedruckt vorzulegen, und da war denn ein weiteres 
Hinausschieben der Veröffentlichung nicht mehr möglich. So mögen denn die Leser das 
unfertige und unvollkommene in diesem Buche entschuldigen. 


Die Verpflichtung, die ich übernommen hatte, war eine etwas voreilige, aber der 
Wunsch in dieser Schrift den Frankfurter Kollegen ein Zeichen meiner Dankbarkeit zu über- 
reichen, liels mich die Schwierigkeiten, die meiner noch harrten, übersehen. Es sind jetzt 
zehn und ein halbes Jahr her, dals mir durch die Berufung an das Senckenbergische medi- 


VI 


zinische Institut nicht nur eine Zufluchtsstätte gewährt, sondern ein geradezu beneidens- 
wertes Feld der Wirksamkeit eröffnet wurde. In dieser ganzen Zeit haben mir die hiesigen 
Kollegen so viel liebenswürdige Freundlichkeit erwiesen, habe ich durch den Verkehr mit 
ihnen lernend und lehrend so viel geistige Anregung gehabt, dals man den Wunsch, zu der 
Feier des JJubelfestes ihres Vereins etwas beizutragen. wohl verstehen wird. Möge der Geist 
der Kollegialität und des ernsten wissenschaftlichen Strebens, der vor 50 Jahren eine Anzahl 
Ärzte zu einem engeren Aneinanderschlielsen zusammen geführt hat, dem ärztlichen Vereine 
immer treu bleiben, möge er bis in die fernste Zukunft blühen und gedeihen! 


Frankfurt am Main. 


Dr. Senckenbergisches pathologisch-anatomisches Institut. 


Der Verfasser. 


EN, 
N 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

1. Abschnitt: Historische Übersicht . . . . ne ee 6 

2. Abschnitt: Die Neurogliafasern in ihrem Verhältnis zu den Zeilen Hp: 192 

3. Absehnitt: Über die Neuroglianatur der durch die neue Methode gefärbten an 107 
4. Abschnitt: Verhältnis der Neurogliafasern zu etwaigen andern Neurogliasubstanzen 

und zum Bindegewebe. Chemisches . . . . li: 

5. Abschnitt: Besprechung der histogenetischen Stellung der Neuzbelis ee 122 

6. Abschnitt: Anderweitige histologische Eigenschaften der Neurogliafasern . . . 131 

7. Abschnitt: Allgemeine Topographie der Neurogliafaseın. . . » 2 .2.2..2....1386 

8. Abschnitt: Spezielle Topographie der Neurogliafasen . ». . 2 2 2.2.2... 14 

I) Hückenmarks er ee A, 145 

2) Medulla oblongata A et ai a es ee 162 

SI) AE ran N ee eo, 

4) Peduneulus cere hei a Sr ee a 1 Re CH IT, 

D)EVILEchUSelE we ee il 

FAR ee a EN ee, ee le) 

FÜRS EIN IT ee een re rd 

S)EGLOSSHIRTE SE lt 

Er Inigneniuun, (Comm Anmas. 6 2 8 0 0 Bo Al 

(O)EBallkkenwundS Horn se A te) 

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IS)ECoLporaRm am ara 0 ak 

Tajasehhügele er 72 I PB Sr ee ELLI 

14) Streifenhügel und Rorsalı re er! 

9. Abschnitt: Die physiologische Bedeutung der Nee: ee LED 

0 Apschnitb-PMethodewss cur Vo ee ad ar er > 

HSurenerklArunD ka 20 

we 


WER In dem folgenden Texte finden sich öfters Hinweise auf 
andere Stellen dieser Abhandlung. Diese Hinweise entsprechen in 
den Seitenzahlen der Paginirung der „Festschrift für den ärztlichen 
Verein zu Frankfurt a. M.“ und sind durch ein Versehen 
nicht in der diesen „Abhandlungen“ zukommenden Weise korrigiert 
worden. Um die richtigen Seitenzahlen in den Citaten zu erhalten, 


ist es nöthig, zu jeder der Zahlen 64 hinzuzuaddiren. IE 


Beiträge 


zur 


Kenntnis der normalen menschliehen Neuroglia. 
Von 


Prof. Dr. C. Weigert. 


1. Abschnitt: 
Historische Übersicht. 


Es giebt eine ganze Menge von Leuten, welche meinen, dals man in den Naturwissen- 
schaften noch „garnichts“ weils. In der That sind ja der ungelösten Fragen noch sehr viele, 
und noch viel mehr Fragen sind noch garnicht aufgeworfen; denn es ist eine Eigentümlichkeit 
der naturwissenschaftlichen Forschung, dafs sich an die Beantwortung jeder Frage die 
Aufstellung neuer, vorher ungeahnter Fragen anschliefst, dafs jedes „darum“ gar viele 
„warum ?“ gebiert, die erst wieder ihr „darum“ erfordern, und dafs dies in unendlicher Kette 
weiter geht. Die Kette ist in der That unendlich, im kleinen und im grolsen, im Raume 
und in der Zeit, und wenn wir bedenken, dals wir nur über endliches verfügen, so verstehen 
wir, warum ein Faust darüber verzweifelt, dals er die Kräfte der Natur rings um sich her 
nicht enthüllen kann. Diesem unendlichen gegenüber, was wir wissen mülsten, ist das 
endliche, was wir wissen können, unter allen Umständen gleich null, und von diesem 
Gesichtspunkte aus haben jene Leute, die da glauben, in den Naturwissenschaften wisse man 
noch „garnichts,“ ja ohne Frage recht. Aber es giebt noch einen anderen Gesichtspunkt, 
als den dieser Leute, die unmögliches verlangen, und als den des Faust, der unmögliches 
erstrebt, den Gesichtspunkt nämlich, von dem aus man das, was wir jetzt wissen, nicht mit dem 
vergleicht, was wir wissen mül[sten, sondern mit dem, was man früher gewulst hat. Diesem 
„nichts“ gegenüber ist das, was wir jetzt wissen, sehr grol[s, und darum sollte Goethe 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX, 9 


— 66 — 


nicht so sehr über die Leute spotten, die ein grolses Ergetzen darin finden, sich in den Geist 
der Zeiten zu versetzen, um sich dann darüber zu freuen, „dals wir’s zuletzt so herrlich weit 
gebracht“. Wir können uns als Naturforscher in der That diese Freude gönnen, — denn 
trotz derselben werden wir ja immer vor Überhebung geschützt, wenn wir uns daran erinnern, 
wie viel noch zu forschen ist, selbst wenn wir nicht das unmögliche, unendliche verlangen. 

Diese Freude können wir uns auch mit Bezug auf das Centralnervensystem gönnen, 
so sehr wir gerade da durch die Fülle der noch zu lösenden Fragen zur Bescheidenheit 
gemahnt werden. Wir brauchen gar nicht in die Zeiten des Hippocrates, des Rhazes oder 
anderer ganz alter Namen zurückzugehen, noch im Anfang dieses Jahrhunderts waren die 
Vorstellungen über den feinern Bau des Hirns und Rückenmarks, über die Funktionen ihrer 
verschiedenen Teile noch ungemein mangelhafte. Die alten Fragen, ob das Hirn aus dem 
Rückenmarke käme oder umgekehrt, ob das Rückenmark ein Nerv wäre oder nicht, wurden 
noch eifrig diskutiert, und gerade die letzterwähnte Frage gab die Veranlassung zu jener 
berühmten Untersuchung, welche pflichtgemäls an die Spitze jeder geschichtlichen Erörterung 
über die Neuroglia gestellt wird, zu der von Keuffel „Über das Rückenmark“.! 

Freilich glaubte Keuffel nicht, dals das Rückenmark als ganzes ein Nerv wäre. Man 
kannte ja damals schon die graue Substanz, die in den peripherischen Nerven nicht existiert, 
und man sprach von einem „hydrogenen und oxygenen (regensatz“ im Centralnervensystem, ? 
wobei dem hydrogenen die graue, dem oxygenen die weilse Substanz entsprach, aber die letztere 
war doch in ihrem Aussehen den Nerven so ähnlich, dals Keuffel nachsah, ob denn nicht 
in dieser Substanz auch jener Bestandteil ein Analogon hätte, den sein Lehrer Reil in den 
peripherischen Nerven gefunden hatte, nämlich das Neurilemm. 

Keuffel war freilich nicht der erste, der am Rückenmark „dieselbe strangförmige 
Struktur beobachtete, welche Reil an den Nervenbündeln entdeckt hatte“, sondern Villars 
in Strassburg, wie Keuffel selbst berichtet. Villars hat auch zum ersten Male „kleine 
Scheibchen“ aus dem Rückenmark geschnitten, während man vorher nur die üblichen groben 
Präparationsmethoden auch zum Studium des Rückenmarks benutzte. Aber die blolse An- 
fertigung von Schnitten genügte nicht, um Klarheit über die etwaige Anwesenheit eines 
„Neurilemms“ zu schaffen, so dals Villars nicht recht vorwärts gekommen zu sein scheint, 
und Keuffel wandte daher auch chemische Agentien bei seinen Forschungen an. Er benutzte 


schon Sublimatlösungen und verdünnte Salpetersäure zur Härtung des Rückenmarks, aber 


ı Reils und Authenrieds Archiv. Band X, S. 161 ff. 
2 Reils und Authenrieds Archiv, Band IX, S, 485. 


ee 


gerade zum Nachweis eines neurilemmähnlichen Bestandteiles verwandte er eine andere 
Methode. Er that kleine Stückchen von Rückenmark auf eine Woche oder länger in Kali- 
lauge (!/„—1 Drachme auf eine Unze Wassers, d. h. 2—4 Gramm Kali causticum auf 30 Gramm 
Wasser). Dann machte er feine Schnitte von den Stückchen, brachte sie in Wasser, pinselte 
sie aus und untersuchte sie teils mit blolsem Auge, teils mit einem „sehr scharfen“ Mikroscope. 

Freilich entspricht das, was er gesehen hat, nicht dem, was wir jetzt 
„Neuroglia“ nennen, sondern das, was er vor sich hatte, war wohl das Gefälsnetz des 
Rückenmarks; denn wie schon Henle und Merkel angegeben haben, verschwindet bei der 
von Keuffel benutzten Methode die echte Neuroglia, während die Gefälse und das eigent- 
liche Bindegewebe erhalten bleiben. Man kann sich davon leicht überzeugen, wenn man 
Gefrierschnitte vom Rückenmark mit der obigen Kalilauge behandelt und dann in viel Wasser 
bringt. Keuffel giebt denn auch in der That an, dals die Fasern aus kleinen Kugeln zu- 
sammengesetzt gewesen seien, die bei den geringen Vergrölserungen, welche damals den Forschern 
zu Gebote standen, wohl nur die roten Blutkörperchen in den Gefälsen gewesen sein können. 
Auch aus seinen Zeichnungen geht hervor, dals er die eigentliche Neuroglia nicht 
vor sich hatte, denn gerade die Stelle der dichtesten Anhäufung derselben, die Umgebung 
des Centralkanals, erscheint in seinen Zeichnungen ganz hell. 

Wenn man daher Keuffel als Entdecker der Neuroglia hinstellt, so 
geschieht das durchaus mit Unrecht, aber es war doch schon ein grolser Fort- 
schritt, dafs er über die Lagerung der Nervenfasern in den von dem „Neurilemm“, dem 
„verdichteten Zellstoff“ umschlossenen Räumen eine Vorstellung bekam. Er verglich die 
weilse Substanz mit einem spanischen Rohre, bei dem die längsgestellten Höhlen von Nerven- 
fasern ausgefüllt waren. Wenn man bedenkt, dals noch 14 Jahre später Rolando (Sulla 
struttura del midollo spinale, Torino 1324) der Meinung war, die weilse Substanz bestände 
„aus einer gefalteten Markhaut, deren umgeschlagene Ränder abwechselnd im Centrum und 
in der Peripherie lägen“, so wird man wohl zugeben müssen, dals Keuffel seiner Zeit weit 
vorausgeeilt war. Zur Erkenntnis des wahren Sachverhalts waren damals, abgesehen von 
allem andern, die Mikroscope noch zu mangelhaft. 

Friedrich Arnold,! aus dessen Buche das Citat über Rolando entnommen ist, 
schlo(s sich den Ausführungen von Keuffel an, ohne wesentlich neue Thatsachen zu finden, 
und so ist denn seit der Arbeit Keuffels bis zum Auftreten des nächsten selbständigen 


Forschers eine Pause von 36 Jahren. Erst 1546 kam Virchow mit neuen Beobachtungen, 


! Bemerkungen über den Bau des Hirns und Rückenmarks. Zürich 1839. 


9% 


welche die Anwesenheit einer spezifischen nicht nervösen Substanz im Centralnervensystem 
wirklich nachwiesen. ‚Jetzt erst war die Neuroglia entdeckt. 

Virchow ging beim Nachweis desjenigen Gewebes, welches er später (1853) „Neu- 
roglia“ nannte, nicht vom Rückenmark, sondern vom Ependym der Hirnventrikel aus. Schon 
1846! erwähnt er unterhalb der Epithelzellen der Ventrikel „eine ganz strukturlose Membran, 
die häufig aus ziemlich regelmälsigen, parallel neben einander liegenden sehr feinen und 
blassen Fibrillen (Faltungen?) zusammengestellt erscheint“. Zuweilen sah er in dieser 
Membran nach Essigsäurezusatz Kerne, meist aber fehlten sie. Durch „Reizung“ des Ependym 
kämen die bekannten perlartigen Granulationen auf demselben zustande, die er den Pac- 
chionischen Granulationen, den knötenförmigen Verdickungen der serösen Häute als „ähn- 
liche Bildungen“ an die Seite stell. Das Ependym sei also eine selbständige 
Bildung und nicht, worüber man sich damals stritt, eine Fortsetzung der 
Pia mater oder der Arachnoidea oder beider. 

Vier Jahre nachher glaubt Virchow sogar diese Ependymmembran mit dem Scalpell 
isolieren zu können und auch später” behauptet er noch Henle gegenüber, dals die Existenz 
dieser Haut schon makroscopisch nicht zweifelhaft sein kann — Annahmen, die sich 
natürlich sehr bald als nicht mehr haltbar erwiesen. 

Im folgenden Jahre giebt er denn auch selbst schon an, dals das Ependym sich ohne 
bestimmte Grenze zwischen die nervösen Elemente des Centralnervensystems einschlielslich 
der höheren Sinnesnerven fortsetzt, dals überall hier eine „weiche, der Bindesubstanz zu- 
gehörige Grundmasse“ die Nervenelemente durchsetzt und zusammenhält, so dafs das Ependym 
nur der an der Oberfläche frei hervortretende Teil dieser Bindemasse ist. 

Zwei Jahre später? erwähnt er zum ersten Male eine pathologische Wucherung 
der Bindesubstanz des Centralnervensystems bei einem Falle von Tabes. In diesen gewucherten 
Massen sah er nach Härtung in Chromsäure an Stelle der sonst feinkörnigen Substanz ganz 
dicht gelagerte vielfach verfilzte äulserst feine aber derbe Fibrillen zum Vorschein kommen. 
Virchow legt jedoch auf die Fibrillen als notwendige Bestandteile der Neuroglia kein 


Gewicht, so dals er sogar in der Oellularpathologie (2. Auflage 1359, S. 252 fi.) noch besonders 


: Über das granulierte Ansehen der Wandungen der Gehirnventrikel. Zeitschrift für Psychiatrie, 
1846. Ges. Abh. 8. 885 ff. 

®2 Virchows Archiv. Band 3, S. 246, 

3 Virchows Archiv. Band 5, S. 592. 

* Virchows Archiv. Band 6, 138. 

5 Virchows Archiv. Band 8, S. 540. 


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= ( 


erwähnt, dafs allerdings an manchen Stellen die „Neuroglia“ wie Bindegewebe aussieht, an 
anderen Stellen aber „eine sehr weiche Beschaffenheit besitzt, so dals es überaus schwierig 
ist, eine Beschreibung von ihrem Aussehen zu geben“. Auch die Zellen schildert er als 
nur hier und da sternförmige oder spindlige wie im echten Bindegewebe, sonst aber als sehr 
weiche und zerbrechliche rundliche Gebilde. 

Virchow war sich schon ganz klar darüber, dals diese Bindesubstanz von dem 
gewöhnlichen Bindegewebe zu unterscheiden wäre und aus diesem Grunde hat er ihr ja eben 
auch einen besonderen Namen „Nervenkitt“ gegeben. Dieser Name sollte besonders auf das 
mehr homogene Wesen dieser Substanz hinweisen, im Gegensatz zu der typisch faserigen 
Beschaffenheit des gewöhnlichen Bindegewebes. Es ist auch bemerkenswert, dals Virchow 
schon beobachtet hatte, wie leicht die Neuroglia kadaverösen Veränderungen ausgesetzt ist, 
und ferner, dals er das Fehlen des typischen Nervenkitts in den peripherischen Nerven kon- 
statiert hat. 

Er erwähnt auch schon, „dals die Gefälse innerhalb der Neuroglia verlaufen, welche 
daher von der Nervenmasse fast überall noch durch ein leichtes Zwischenlager getrennt sind 
und nicht im unmittelbaren Kontakt mit derselben sich befinden“ (Cellularpathologie, 3. Aufl., 
S. 255), er hebt die Zugehörigkeit des Centralkanals zum „centralen Ependymfaden“ hervor, 
— mit einem Worte, es ist erstaunlich, was er damals alles schon richtig 
erkannt hatte, wenn ihm auch die typisch faserige Beschaffenheit der Neuroglia nur 
in den krankhaften Wucherungen deutlich zur Erkenntnis gekommen ist. Trotz alledem aber 
wird man nicht umhin können, Deiters! Recht zu geben, welcher sagt, dals bei allen diesen 
ersten Arbeiten über die Neuroglia es sich „mehr um eine geistreiche Divination, als um 
eine durch stringente Beweise gestützte Behauptung“ gehandelt habe. Einen „stringenten 
Beweis“ dafür, dals die Grundmasse des Ependyms die Natur einer Bindesubstanz habe, oder 
dals die Zellen, die er als Neurogliazellen anspricht, nicht nervöser Natur seien, hat Virchow 
nicht gebracht, ja einen solchen Beweis konnte in der damaligen Zeit überhaupt kein Mensch 
bringen, dazu waren die Methoden und die Kenntnisse noch zu mangelhaft. Wenn man 
auch schon die grolsen Nervenzellen kannte und grobe markhaltige Fasern nachzuweisen 
vermochte, so wulste man doch weder die kleinen Nervenzellen, noch die feineren mark- 
haltigen oder gar die vielen marklosen Nervenfibrillen im Centralnervensystem zu erkennen. 
Daher konnte denn auch Henle mit demselben Rechte, soweit es sich um „stringente 


Beweise“ handelt, behaupten, dals die Epithelzellen in den Hirnventrikeln nicht auf einer 


! Untersuchungen über Hirn und Rückenmark des Menschen und der Säugetiere. Braunschweig 1865. 


Er we 


Bindesubstanz, sondern direkt auf Nervengewebe aufsälsen. Virchow war aber Henle in 
„geistreicher“, oder sagen wir lieber „genialer“ Divination in diesem Punkte über. 

Bei der Unvollkommenheit der damaligen Methoden ist es erklärlich, dafs in der 
nächsten Zeit keine rechten Fortschritte in Bezug auf die Neuroglia gemacht wurden. Zwar 
bemühten sich Bidder und Kupffer wenigstens (in dem richtigen Bewulstsein, dals dies 
durchaus nötig wäre), Kennzeichen aufzufinden, durch welche man das, was man für Binde- 
gewebe halten sollte, auch in der That vom Nervengewebe unterscheiden könnte — Kenn- 
zeichen, nach denen zu suchen Virchow noch gar nicht für nötig gefunden hatte, — aber 
die technischen Hilfsmittel waren zur Entscheidung dieser Frage noch nicht genügend. 
Bidder und Kupffer'! nahmen zunächst an, dals man die Neurogliazellen von den Nerven- 
zellen dadurch unterscheiden könnte, dals sich die letzteren in Ohromsäure gelb bis rötlich. 
färbten, während die bindegewebigen Zellen ungefärbt blieben — ein Unterschied, der schon 
damals als nicht stichhaltig erkannt wurde (z. B. von Kölliker). Die bindegewebige Inter- 
cellularsubstanz ferner suchten sie dadurch als solche zu erkennen, dals sie einen Zusammen- 
hang ihrer Fasern mit anderen sicher nicht nervösen Elementen nachwiesen. 

Für Bindegewebsfasern hielten sie von dieser Überlegung ausgehend einmal die von 
Hanover (1844) entdeckten fadenförmigen Fortsätze der Epithelzellen des Centralkanals, 
die Hanover noch als Nervenfasern angesprochen hatte. Diese Fasern hängen mit anderen 
zusammen, die von eckigen in Chromsäure ungefärbten Zellen ausgehen, deren Ausläufer auch 
untereinander kommunizieren, so dals Bilder entstehen, „welche an die anastomosierenden 
Fortsätze der Knochenkörperchen in dünnen Schliffen erinnern“ (S. 45). (Ein Zusammen- 
hang von Epithel- und Bindegewebszellen galt damals für gar nicht so merkwürdig. Auch an 
den Zottenepithelien des Darms z. B. glaubten andere Forscher, dasselbe statuieren zu können.) 

Als zweite Art des Zusammenhangs von Neuroglia mit sicher nicht nervösen Teilen 
betrachteten sie den Übergang von Fasern der Pia mater ins Centralnervensystem. Solche 
Fasern treten nach ihnen einmal an der ganzen freien Oberfläche, sodann aber durch den 
Piafortsatz der hinteren und vorderen Spalte ins Rückenmark. Diese letzteren Fasern gehen 
ohne bestimmte Grenze in die graue Substanz über und von dieser namentlich durch die 
Processus reticulares in die weilse (S. 48). Die graue Substanz erscheint ihnen daher mit 
Ausnahme der Nervenzellen ganz aus Bindegewebe zu bestehen. Das Bindegewebe wird von 
ihnen teils als formlose, hyaline oder gekörnte Masse beschrieben, teils lassen sie in ihm 


spiralige und elastische Fasern, wie im gewöhnlichen Bindegewebe, verlaufen (S. 93). 


° Untersuchungen über die Textur des Rückenmarks und die Entwicklung seiner Formelemente. 1857. 


il 


Wie man sieht, war das Bestreben dieser Autoren, Klarheit in die Unterschiede der 
bindegewebigen und nervösen Elemente des Rückenmarks zu bringen, sehr lobenswert, aber 
bei der mangelhaften Technik wurden sie zu Irrtümern geführt: Eine Fortsetzung der Pia- 
fasern in die Neurogliafasern existiert ja garnicht und in der grauen Substanz sind aufser 
den „Nervenzellen“, d. h. den damals bekannten Leibern derselben, noch grolse Massen 
nervösen Gewebes vorhanden. 

Diese graue Substanz war überhaupt in der Neurogliafrage die Crux autorum bis in 
-die neueste Zeit herein und sie veranlalste höchst unfruchtbare Streitigkeiten, einmal über 
die Natur der kleineren in ihr enthaltenen Zellen, sodann aber auch über die „moleculare“, 
schwammige Zwischenmasse. Es kam zur Verwirrung dieser Angelegenheit noch hinzu, dals 
man die Rindenschicht des Rückenmarks auch zur „grauen“ Substanz rechnete, ja dals man 
die Zwischenmasse zwischen den Nervenfasern der weilsen Substanz der grauen an die Seite 
stellte. Als daher Max Schultze in den molecularen Retinaschichten etc. ein Netzwerk 
analog dem der Lymphdrüsen (auch mit eingelagerten Kernen) entdeckt haben wollte, das 
für die graue „moleculare“ Masse (selbst des Gehirns) typisch sein sollte, so konnte es sich 
ereignen, dafs man diese Auffassung der Struktur auf alle Neurogliamassen, auch die der 
weilsen Substanz übertrug. Namentlich führte Kölliker! diese Anschauung konsequent 
durch. Er gab an, dafs sowohl in den weilsen, als auch, und zwar ganz besonders, in den 
grauen Massen ein dichtes Netzwerk mit eingelagerten Kernen vorhanden sei. Die Kerne 
entsprechen, ähnlich wie in den Lymphdrüsen, Zellen mit zahlreichen verästelten Ausläufern. 
Besonders eng ist das Netzwerk in der grauen Substanz des Grolshirns. Das Reticulum 
hängt sowohl, wie dies ja auch Bidder und Kupffer für ihre Zwischensubstanz angenommen 
hatten, mit den Ausläufern der Ependymzellen, als mit dem Bindegewebe der Pia mater zu- 
sammen. Besonders kernreich ist es in der Körnerschicht des Kleinhirns und der des 
Ammonshorns. Kölliker spricht sich auch entschieden dafür aus, dals dieses Reticulum, 
wenn es auch mit der Pia in Beziehung tritt, doch kein gewöhnliches Bindegewebe sei, und 
dals überhaupt, mit Ausnahme der Adventitia der grölseren Gefälse ete., kein gewöhnliches 
Bindegewebe im Innern des Centralnervensystems vorkommt, Auch er hebt, wie schon 
Virchow, die Beziehungen des Netzwerks zu den Gefälsen hervor, bei denen, wenn diese 
nicht gerade sehr grols sind, die Adventitia nur aus diesem Netzwerk besteht „und nur 
selten auch fibrilläres Bindgewebe enthält“. 


So richtige Ansichten auch in dieser Köllikerschen Darstellung enthalten sind, so 


ı Gewebelehre des Menschen, eitiert nach der vierten Auflage (1863), S. 303 ff. 


hat er augenscheinlich bei der von ihm angewendeten Methode die eigentliche Structur der 
Neuroglia nicht gesehen und sicherlich auch allerlei künstliche Netzwerke besonders in der 
molecularen Masse mit Neuroglia verwechselt. Das folgt nicht etwa daraus, dals er die 
Neuroglia ein Reticulum bilden, d.h. aus anastomosierenden Fäden bestehen lälst, 
denn wenn er die richtige Structur gesehen hätte, so wäre die Annahme einer Anastomo- 
sierung der Fäden etwas sehr nebensächliches gewesen, aber seine Abbildungen beweisen 
deutlich, dals er, wie gesagt, garnicht die Neuroglia in ihrer Reinheit vor sich gehabt hat. 
Fig. 166 und 167 sind Bilder, wie sie nicht in der weilsen Substanz vorkommen, denn die 
Zwischenräume zwischen den Nervenfasern sind mit einer ganz diffusen Masse erfüllt. Fig. 168 
ist ebenfalls eine Abbildung, wie sie nie für die Neurogliastruktur gegeben werden könnte, 
sondern wohl die irgend eines Kunstproduktes. Als letzteres sind jedenfalls auch die 
Netzwerke aufzufassen, die er in den grauen Substanzen wahrnahm, denn gerade an den 
Orten, wo er die Reticula besonders eng und besonders reichlich fand (Grofshirnrinde, 
Körnerschicht des Kleinhirns) ist die Neuroglia aufserordentlich spärlich. 

Überhaupt hatte damals (in Deutschland wenigstens) noch keiner die richtige Neuroglia- 
struktur gesehen, ja Stilling leugnete überhaupt die Anwesenheit einer „bindegewebigen“ 
Substanz im Centralnervensystem. 

Hingegen hatte schon 1859 in England J. L. Clarke! wenigstens annähernd das 
richtige im Rückenmarke wahrgenommen. Jedenfalls ist dies für die Rindenschicht dieses 
Organs zuzugeben, die er ganz richtig als ein Lager in einander verwebter hauptsächlich der 
Oberfläche paralleler Fasern beschreibt (S. 441). Die Fasern lälst er auch in die weilse Sub- 
stanz abbiegen, welche sie durchsetzen, um sich einem ähnlichen Netzwerk in der grauen 
Substanz anzuschliefsen. Die Bindegewebszellen haben nach ihm verschieden geformte Kerne 
und in deren Umgebung ist teils eine körnige Substanz vorhanden, teils sind die Kerne 
direkt an die Bindegewebefasern angelegt (S. 442): „bei Erwachsenen sind die Zell- 
leiber verschwunden und es bleiben nur die Kerne zurück“. 

Aber Clarke war sich klar genug darüber, dals die Zeit noch nicht gekommen war, 
um zwischen nervösen und bindegewebigen Elementen scharf zu unterscheiden und so schlielst 
er denn seine Betrachtung (S. 442) mit den Worten: „These observations render it appa- 
rently impossible, to print out the exact distinetion between the connectif and the nerve 


tissue, and might suggest the question, whether there is any actual and essential difference 


ı Philosophical transaetions, 1859. S. 437 ff. 


between them or whether the connectif tissue of the cord be intermediate in its nature passing 
on the one hand into nerve-tissue and on the other into the pia mater.“ ! — 

Richtige Bilder der Neuroglia des Rückenmarks, wenigstens in der weilsen Substanz 
und um den Centralkanal herum, hat dann ein Forscher gesehen, mit dem (und mit Clarke) 
eine neue Epoche in der Geschichte der Neuroglia beginnt, nämlich Frommann’, dessen 
Arbeiten in fast allen geschichtlichen Darstellungen ganz en bagatelle behandelt werden. 
Der Grund dafür liegt wohl darin, dals es geradezu eine Qual ist, sich durch die entsetzlich 
weitschweifigen Schilderungen der minimalsten Details, durch die ungemein unklaren lang- 
ausgedehnten Erörterungen des Autors, — man mufs wohl sagen — hindurchzuwürgen, 
so dals es wohl nur wenige fertig gebracht haben, überhaupt die Arbeiten Frommanns 
zu lesen oder gar dabei die Spreu vom Weizen zu sondern. Hat man das aber einmal 
gethan, so findet man, dals dieser augenscheinlich vortreffliche Beobachter, der freilich nur 
das Rückenmark bearbeitet hat, eigentlich alles gesehen hat, was man mit der so unsicheren 
Carminmethode sehen kann. Seine Beschreibungen und Abbildungen der Neu- 
roglia in der weilsen Substanz und um den Centralkanal herum sind 
geradezu für die damalige Zeit musterhaft. 

Für die Frage, um die es sich hier handelt, ist es zunächst gleichgültig, ob er die 
Fasern für hohl oder solid, verästelt oder nicht verästelt, für anastomosierend oder nicht 
anastomosierend, für selbständige Gebilde oder für Zellausläufer hält: die richtigen 
Fasern hät er jedenfalls gesehen und zwar (höchstens mit Ausnahme von Clarke) 
zuerst gesehen, und in möglichster Vollständigkeit vor sich gehabt. 

Bei der von Frommann benutzten Carminmethode erscheinen die Fasern ja als 
Zellfortsätze und Frommann spricht sich ganz klar in Bezug hierauf aus. Er sagt (S. 45f., 
Teil I): „Dals die Ausläufer der Zellen sich in die Fasern fortsetzen, ist direkt nicht nach- 
zuweisen; man kann zwar einzelne derselben ungeteilt und mit nicht abnehmender Stärke 
über grölsere Strecken verfolgen, indessen über ihre weiteren Schicksale lälst sich nichts 
ermitteln. Da aber beide ein gleiches Aussehen besitzen, ein gleiches Verhalten gegen 
Carmin zeigen, indem die stärkeren sich färben und zwischen den feineren und gröberen 


Fasern dieselben Grölsendifferenzen bestehen, wie zwischen den Ausläufern und ihren Ver- 


ı Auf einige interessante und richtige Beobachtungen Clarkes über das Epithel des Centralkanals 
kommen wir in der speziellen Topographie zu sprechen, 
® Untersuchungen über die normale und pathologische Anatomie des Rückenmarks. Teil I, Jena 1864. 
Teil II, Jena 1877. 
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 10 


ästelungen, so glaube ich, dafs die Fasern alle aus den Ausläufern der Zellen 
hervorgegangen und wie diese hohl sind, und dals somit die ganze Bindesubstanz 
der weilsen Substanz aus einem zusammenhängenden Netzwerk von Kanäl- 
chen von wechselnder Grölse besteht, für welche die zahlreich einge- 
schalteten Zellen Sammel- und Mittelpunkte bilden.“ 

Noch schärfer führt es der Teil II, S. 9 aus. 

Wenn wir die noch wenig klaren Auseinandersetzungen Clarkes abrechnen, so ist 
also Frommann der erste gewesen, der die richtigen Neurogliafasern, nicht 
Kunstprodukte, wie Kölliker, als Zellausläufer betrachtete. 

Die Unabhängigkeit der Neuroglia von der Pia mater, selbst an den Piafortsätzen, 
urgiert er ganz sachgemäls. 

Auch die Gegend um den Centralkanal beschreibt er nicht nur so richtig, wie es da- 
mals möglich war, sondern er ist auch der erste gewesen, der die Einstrahlung der 
Neurogliafasern zwischen die Zellen des Centralkanals schildert. 

Er ist fernerhin der erste gewesen, welcher den kadaverösen Zerfall der Neuroglia- 
fasern in Körnchen durchaus klar beobachtet hat (I, S. 49). 

Freilich in Bezug auf die graue Substanz ist er nicht glücklich gewesen. Er klagt 
auch selbst darüber, dals man in dieser die feinen Axencylinder von den Fasern der Binde- 
substanz nicht unterscheiden könne. Das schmälert sein grolses Verdienst, zum ersten Male 
viel richtiges gesehen zu haben, aber nicht, denn das ist die Schuld seiner unvollkommenen 
Methodik. Wir werden bei unserer Beschreibung der Neuroglia Frommanns Ergebnisse 
noch öfters zum Vergleich heranziehen. — 

Ein weiterer wesentlicher Fortschritt in der Lehre von der Neuroglia wurde nun durch 
die berühmten Untersuchungen von Deiters gemacht, die an ihrem Werte selbst dadurch 
nichts verlieren, dals sie nur im Fragment (nach dem Tode des Verfassers) herausgegeben 
werden konnten. 

Auch Deiters! ging, wie Bidder und Kupffer, zunächst an die Beantwortung 
der so wichtigen Vorfrage, was man denn im Centralnervensystem als nervöse Bestandteile 
und was man als nicht nervöse Zwischen- oder Bindemasse betrachten solle. 

Er sagte sich mit Recht, dafs man bei der Beurteilung dieser Verhältnisse nicht von 
einem schematischen Bindegewebsbegriff ausgehen müsse. „Wer z. B.,“ schreibt er, „im 


Bindegewebe unter allen Umständen eine faserige Masse sieht, zwischen deren Fasern aus- 


' Untersuchungen über Gehirn und Rückenmark des Menschen und der Säugetiere. Braunschweig 1865 


ee, 


gebildete sternförmige Zellkörper liegen sollen, der wird einer doppelten Gefahr ausgesetzt 
sein, entweder die ausgebreitete Anwesenheit von Bindegewebe überhaupt in Frage zu stellen, 
oder dasselbe in seinem Charakter überall wiederfinden zu wollen, z. B. jede sternförmige 
Ganglienzelle leicht zu einer Bindegewebezelle zu stempeln.“ (S. 28) Man wird vielmehr, 
meint er ganz richtig, nicht verlangen können, dals die im nervösen Centralorgan vor- 
kommenden Stützsubstanzen gleich dem gewöhnlichen (wie wir jetzt sagen, collagenen) Binde- 
gewebe beschaffen seien, sondern wird sich unter Umständen damit begnügen können, dals 
man nachweist, gewisse Bestandteile könnten nicht nervös sein, sondern mülsten als eine 
Zwischensubstanz angesehen werden, die ihrerseits aber von gewöhnlichem Bindegewebe 
verschieden sein könnte. 

Zunächst freilich nimmt er wie Bidder und Kupffer an, dals auch echtes Binde- 
gewebe in die Centralorgane eintreten könne, d. h. solches, welches sicher mit der Pia mater 
zusammenhängt. Diese Art Zwischensubstanz kommt nach ihm nicht überall vor, sondern 
nur an bestimmten Stellen. Hier ist sie den Müllerschen Fasern in der Retina zu ver- 
gleichen. „In gröfster Ausdehnung und in zweifellosester Form kommt sie da vor, 
wo die weilse Substanz die äulsere Peripherie bildet, also am Rückenmark. Hier zieht ein 
den Nervenfasern fremdes Gewebe bekanntlich in dichten Massen durch die Bündel derselben 
und schliefst zuletzt fast jede Nervenprimitivfaser mehr oder weniger ab.“ 
(S. 36.) Auch in die graue Substanz lälst er Fasern der Pia eintreten, einmal wie Bidder 
und Kupffer, im Rückenmark, wo .die Piafortsätze der vorderen nnd hinteren Fissur in 
die graue Substanz ausstrahlen sollen, sodann aber an der Oberfläche des Kleinhirns. Hier 
finden sich jene radiären Fasern, die auch Bergmann in Greifswald entdeckt hat, und die 
daher „Bergmannsche Fasern“ genannt werden." Es muss aber bemerkt werden, dals der 
Bergmannsche Aufsatz zwar schon erschienen war, als die Deiterssche Arbeit heraus- 
kam, dals aber Deiters keine Kenntnis davon haben konnte und daher als Mitentdecker 
dieser Fasern zu betrachten ist, die er nur fälschlich für Fortsätze der Pia ansieht. Endlich 
rechnet Deiters in diese Kategorie noch die mehrfach erwähnten Fortsätze der Epithel- 
zellen des Centralkanals und des Ependyms. 


In Beziehung zu dem bis jetzt erwähnten steht die Arbeit von Frommann, die 


ı Deiters hat augenscheinlich die richtigen Bilder vor sich gehabt, ob aber Bergmann wirklich 
die wahren „Bergmannschen Fasern“ gesehen hat, ist mir noch zweifelhaft, Vgl. „Kleinhirn“ in unserem 
Abschnitt über spezielle Topographie der Neuroglia. Bergmanns Arbeit steht in der Zeitschrift für rationelle 
Medizin, Neue Folge, Band 8, S. 360. 


10* 


= on 


Deiters ebenfalls noch nicht kennen konnte, wesentlich höher, als die des letzteren. Hat 
doch Frommann die ‚Unabhängigkeit der Neurogliafasern in der weilsen Substanz des 
Rückenmarks von den Fasern der Pia mater ganz richtig erkannt, und hat er doch bereits 
die Ansicht ausgesprochen, dals auch diese Fasern mit den sogenannten Zellausläufern 
identisch sind, was Deiters ganz entgangen ist. 

In Bezug auf die mit dem Bindegewebe der Pia zusammenhängenden Fasern glaubte 
also Deiters jeden Zweifel ausgeschlossen, — wie wir jetzt wissen, irrtümlicher Weise. 
Schwerer schien ihm die Frage nach der Beurteilung anderer etwaiger Zwischensubstanzen, 
doch wulste er sich auch hierbei zu helfen. Alle diejenigen modifizierten Protoplasma- 
massen, die sich von den Zellen emanzipiert hatten, und nicht mehr als zu ihnen gehörig 
betrachtet werden konnten, mulsten nach der Lehre von Max Schultze als Zwischen- 
substanzen angesehen werden. An und für sich ist die Ansicht von Max Schultze 
durchaus zutreffend, aber die Anwendung auf den vorliegenden Fall war verfrüht, — auch 
hier waren die Methoden nicht ausreichend, um vor Irrtümern zu schützen. In solche 
Irrtümer ist denn auch Deiters verfallen, indem er als eine zweite Form der Zwischen- 
substanz jene früher und später so viel besprochene „schwammig-poröse“ (moleculäre) 
Substanz (S. 39) anführt. Sie soll in der grauen Substanz die „Hauptmasse“ darstellen, in 
welcher die Nervenzellen und vereinzelte Nervenfasern eingebettet liegen, aber auch in der 
weissen soll sie vorkommen. Die Masse könne ja garnicht nervöser Natur sein, meint 
Deiters, denn von einer Leitungsisolation könne hier nicht die Rede sein, sie sei vielmehr 
nach der obenerwähnten Definition, welche Max Schultze gegeben hat, als Zwischen- 
substanz zu betrachten, da sie im ausgebildeten Zustande von den Zellleibern ganz 
unabhängig ist. An ihrer Erzeugung können sich freilich sowohl Nervenzellen als die 
gleich zu erwähnenden freien Kerne beteiligen, so dals sie vom rein entwicklungs- 
geschichtlichen Standpunkte aus etwas neutrales, zwischen Nerven- und Bindegewebe 
stehendes darstelle. Indem sie sich aber allmählich von beiden Zellarten emanzipiere, stelle 


sie schlielslich eine echte Intercellularsubstanz, ein eigenartiges Bindesubstrat, dar. 


Wir wissen jetzt, dank der Resultate der Golgischen Methode, dafs diese Annahme 
ganz irrig war. Die „schwammig-poröse Masse“ ist eben garnicht schwammig-porös, sie ist 
garnicht von den Zellen emanzipiert, sondern stellt ein ungeheures Gewirr von Zelldendriten 
und Axencylindern dar, in dem isolierte Leitungen sehr wohl möglich sind. 

Als drittes bindegewebiges Element (aufser den echten „Bindegewebs“-Fasern und der 


porösen Grundmasse) betrachtete nun Deiters auch noch Zellen. Auch in dieser Frage 


hielt er sich an die Lehren von Max Schultze, und er benutzte auch die von diesem 
erfundene Isolierungsmethode. Diese besteht bekanntlich darin, dals man Stückchen des 
Centralnervensystems in dünnen Lösungen von Chrompräparaten gleichzeitig etwas härtet 
und maceriert. 

Max Schultze hatte damals seine mit Recht so berühmten Arbeiten über die Zelle 
schon publiziert und hatte in Bezug auf das Bindegewebe festgestellt, dals hier die Zellen 
einen rudimentären, d. h. protoplasmaarmen Charakter hätten. Das können wir auch heut- 
zutage für das gewöhnliche und zwar wohlgemerkt normale, pathologisch nicht veränderte 
Bindegewebe zugeben, aber Deiters ging nun noch einen Schritt weiter. Er nahm nicht 
nur an, dals im Bindegewebe die Zellen protoplasmaarm wären, sondern meinte nun auch, 
dals alle Zellen, die er für protoplasmaarm hielt, bindegewebig wären. Er nannte diese 
Zellen, die wenig oder anscheinend gar kein Protoplasma, d. h. keinen „ausgesprochenen 
Zellcharakter“ hatten: „Zellaequivalente“, und wo er solche fand, hielt er sie für binde- 
gewebige Zellen, zumal er konstatiert zu haben glaubte (S. 48), dafs alle Zellen im Central- 
nervensystem, bei welchen eine Zusammengehörigkeit mit nervösen Elementen bestimmt nach- 
zuweisen war, ein entwickelteres, mehr solides Protoplasma hätten. Von diesem Grundsatze 
ausgehend, verfiel er wieder in den Irrtum, die sogenannten „Körner“ im Kleinhirn und im 
Ammonshorn, sowie alle übrigen damals so genannten „freien Kerne“ des Centralnerven- 
systems für bindegewebig zu erklären. Andererseits hat er aber doch eine Art von Zellen 
richtig als „bindegewebig“ erkannt, das sind diejenigen Gebilde, die wir jetzt 
noch Deiterssche Zellen nennen. 

Deiters schildert sie als Zellaequivalente, bei denen um den Kern herum nur ein 
sparsames Protoplasma (d. h. echtes gekörntes Protoplasma) vorhanden ist, das sich in lange 
mehr oder weniger veränderte glatte Fortsätze auszieht und dadurch je nach Um- 
ständen den Anschein faseriger Bildungen erzeugt (S. 38). Die Fortsätze haben von Anfang 
an ein festes, wenn auch zartes Aussehen, einen ganz scharfen, glatten Contour und einen 
beträchtlichen Glanz. Sie strahlen in grofser Masse nach allen Seiten aus und verästeln sich 
auf das mannigfaltigste unter immer gabelförmiger Spaltung (S. 45). Er fand diese Zell- 
aequivalente sowohl in der grauen wie in der weilsen Substanz, und das meiste, was man 
von anscheinenden Fasern im Centralnervensystem sieht (mit Ausnahme der oben erwähnten 
Einstrahlungen), falst er als solche „Zellausläufer“ auf. Besonders reichlich (irrtümlicher- 
weise) fand er sie auch in der Substantia gelatinosa Rolando. 


Der Schreiber dieses kann ja nicht zugeben, dafs jene sonderbaren strahligen Gebilde, 


ee 


die Deitersschen Zellen, von ihrem Entdecker ganz richtig gedeutet wurden, aber trotzdem 
muls er konstatieren, dafs mit der Entdeckung jener „Zellen“ ein grolser Fort- 
schritt gemacht war. Denn, wie man sie auch auffalst, sie sind einigermalsen charak- 
teristisch geformte Elemente und durch ihren Nachweis war, wenn man die nötige Vorsicht 
dabei nicht aulser Acht liels, die Möglichkeit gegeben, wenigstens die Anwesenheit der 
Neuroglia auch an solchen Orten festzustellen, wo die Verhältnisse nicht gar so einfach lagen, 
wie das z. B. in der weilsen Substanz des Rückenmarks der Fall ist. Über die wahre topo- 
graphische Verteilung konnte man sich freilich an Zerzupfungspräparaten kein Urteil bilden. 
Ob ihr Nachweis allein, selbst mit besseren Methoden und an Schnittpräparaten hierfür genügt, 
wird sich erst später besprechen lassen. — 

Wir wollen hier auch gleich die Ansichten von Henle anfügen. In der Arbeit mit 
Merkel! wird die Darstellung so durch eine heute zum Teil schwer kontrollierbare Polemik 
durchsetzt, dals die Meinungen der Autoren nicht recht klar zu Tage treten. Aus dieser 
Arbeit werden wir aber später einige wichtige chemische Notizen entnehmen. Wir halten 
uns hier an die Darstellung, die Henle in der ersten Auflage seines berühmten Handbuchs 
der systematischen Anatomie, Abschnitt Nervenlehre, ? giebt. 

Henle unterscheidet als Zwischensubstanz zunächst eine diffuse feinkörnige Masse. 
Diese bildet die äufsere Schicht der Rinde des Grolshirns und Kleinhirns, so wie eine dünne 
Rindenschicht des Rückenmarks, umgiebt in geringer Mächtigkeit den Centralkanal und stellt 
den peripherischen Teil der hinteren grauen Säulen des Rückenmarks dar (Substantia gela- 
tinosa Rolando). Sie erscheint nirgends ganz rein, namentlich enthält sie aulser Nerven- 
zellen auch Iymphkörperchenähnliche „Körner“. Am reinsten ist sie in der Sub- 
stantia gelatinosa Rolando. Bindegewebefasern sind auch vorhanden, aber schwer 
von nackten Axencylindern zu unterscheiden, da sie sich wie diese in Kalilauge lösen. Einen 
überwiegenden Teil bilden diese Bindegewebefasern in den äulsersten Lagen der Hirn- und 
Rückenmarksrinde. Sie gehören aber einer anderen Varietät an, als z. B. das Bindegewebe 
der Pia mater, mit der sie nur in Berührung stehen. Diese Varietät ist die verfilzte, 
deren steife Fibrillen in mannigfaltigsten Richtungen von kleinen multipolaren 
Zellen ausgehen. 


Henle hat also augenscheinlich die richtigen Fasern nur an wenigen Orten gesehen, 


ı Über die sogenannte Bindesubstanz der Centralorgane des Nervensystems. Zeitschrift für rationelle 
Medizin. 3. Reihe, Band 34. 
?2 Braunschweig 1871. 


u, TO 


an vielen Stellen, wie um den Centralkanal herum etc., sind ihm die Fasern als eine diffuse 
feinkörnige Masse erschienen, wie sie an diesen Stellen garnicht vorhanden ist. — 

Der nächste Forscher, der die Angaben von Deiters im wesentlichen bestätigte und 
dessen ja nur fragmentarisch aufgefundene Mitteilungen erweiterte, ist Golgi.' 

In Bezug auf die thatsächlichen Verhältnisse der Zellen, weicht er nur in einigen, 
nicht gerade wesentlichen Punkten von Deiters ab. Er hat mehr Fortsätze als dieser an 
den Zellen konstatiert, hat statt der vielen von Deiters angenommenen Teilungen nur sehr 
spärliche und auch diese nur in geringer Entfernung vom Abgangspunkte beobachtet (8. 3), 
er bestreitet die Anastomosen, die übrigens auch schon Fromman.n zweifelhaft erschienen, etc. 

In der Hauptsache aber, dafs solche mit langen Fortsätzen versehene isolierbare Zellen 
charakteristisch für die Neuroglia sind, stimmt er mit Deiters überein. Er erwähnt freilich 
Deiters nur in einer Anmerkung (S. 31), wo er von nicht genau präcisierten Abweichungen 
seiner Ansicht spricht. 

In anderer Hinsicht hat er aber mehr gesehen, als Deiters. Vor allem ist es ihm 
gelungen, auch an Schnittpräparaten die charakteristischen „Deitersschen Zellen“ wahrzu- 
nehmen, nicht blofs an Isolationspräparaten. Er betrachtet diese Gebilde, die Deiters als 
„Zellaequivalente“ auffafste, als richtige Zellen, ähnlich wie Frommann, der aber noch nicht 
so typisch „verzweigte“ Bilder vor Augen hatte. 

Er hat ferner die Beziehungen dieser „Zellen“ zu den Gefälsen genauer studiert. 
Zwar wulste man schon seit Virchow, dals die Gefälse einen Neurogliamantel haben, 
Golgi zeigte dies aber in sehr charakteristischer Weise und hat namentlich auch bemerkt, 
dals entfernter liegende Zellen ihre „Fortsätze“ an die Gefälse heranschicken. Ferner hebt 
Golgi sehr richtig hervor, dals bei älteren Leuten die Neuroglia der Hirnrinde 
viel stärker ausgebildet ist, als bei jüngeren. 

Doch genügten die von ihm damals angewandten Methoden noch nicht, um Irrtümer 
über die Verteilung der Neuroglia auszuschliefsen. Selbst seine Abbildungen der weilsen 
Substanz des Rückenmarks bleiben, was die Fasern („Zellausläufer“) anbetrifft, doch sehr 


hinter denen von Frommann zurück. Unzureichend ist auch seine Schilderung der grauen 


2 Beitrag zur feineren Anatomie des Centralnervensystems. Bologna 1871, eitiert aus den „Unter- 
suchungen über den feineren Bau des centralen und peripherischen Nervensystems. Jena 1894, S. 1ff. Wir 
werden der Kürze wegen diese „Untersuchungen“ im folgenden immer unter dem Titel 


„Gesammelte Abhandlungen“ eitieren, 


— 


Substanz des Rückenmarks, in der er die Substantia gelatinosa Rolando fast ausschliefslich 
aus Neuroglia bestehen lälst (S. 34). 

An der Grolshirnrinde hat er ganz richtig und zwar als erster gesehen, dals von den 
mehr tangentialen Neurogliafasern der oberflächlichen Schicht eine Reihe mehr senkrechter 
Fasern herabsteigt. Er hatte auch an Osmiumpräparaten ganz richtig erkannt, dals an der 
Oberfläche sehr viele, in der Tiefe immer weniger Neurogliazellen vorhanden seien (S. 7), 
nichtsdestoweniger spricht er schon auf der folgenden Seite sub 2 den Satz aus, „dals Zellen 
von gleicher Beschaffenheit in beträchtlicher Zahl über alle Schichten! der 
Hirnrinde zerstreut sind, wo sie ein zusammenhängendes Stützgewebe bilden“. 
Noch schärfer betont er dies (S. 9f.) bei Beschreibung von Schnitten, die er nach einer 
von ihm modifizierten Bichromatbehandlung bekommen hat. Er sagt: „... an den Rändern 
der Schnitte und an deren dünnsten Stellen zeigt sich das interstitielle Stroma auch in den 
tiefsten Schichten der Hirnrinde als deutlich gefasert, nicht netzförmig im 
Sinne Schultzes und Köllikers. Damit will ich jedoch nicht das gleichzeitige Vor- 
handensein einer amorphen, feinkörnigen Intercellularsubstanz in allen Präparaten, die ich 
beschreiben werde, leugnen, denn ich habe immer Spuren davon gefunden, auch mülste ein 
Teil derselben bei den Präparaten entfernt worden sein. Aber es scheint mir zweifellos 
dals die sogenannte feinkörnige, oder netzförmige, oder schwammige, oder punktförmig 
moleeulare, amorphe oder gelatinöse Substanz diese verschiedenen Benennungen in Folge von 
Veränderungen in der Leiche oder durch die Präparationsmethode erhalten hat... . Dies 
alles scheint mir dafür zu sprechen, dals das interstitielle Stroma der Hirnrinde 
zum grölsten Teile aus Bindegewebszellen und ihren Fortsätzen besteht.“ 

Die Bindegewebszellenfortsätze sollen dann ebenso wie die feinsten protoplasmatischen 
Fortsätze der Nervenzellen zerfallen können und die Zerfallsprodukte beider die moleculare 
Substanz erzeugen. 

Anch bei ihm spukt also noch das Gespenst von der interstitiellen Natur, wenigstens 
eines grofsen Teils der „schwammigen“ Substanz in der Grolshirnrinde, ein Gespenst, 
das gerade durch die von Golgi später erfundene Methode verscheucht worden ist, obgleich 
Golgi selbst noch 1885 daran festhielt, dals auch in den tiefsten Schichten des Grolshirns 
die Verhältnisse so liegen, wie er sie 1371 geschildert hat. 


Auch Golgis Angaben über die Molecularschicht des Kleinhirns waren z. T. 


ı d. h. nicht blofs über die oberflächliche, von denen er sub 1 gesprochen hat. 
?2 Gesammelte Abhandlungen. S. 162, 


ar, 


irrtümlich, wenn er auch natürlich die sogenannten Bergmannschen Fasern bestätigt hat, 
und sie richtig (im Gegensatz zu Bergmann) ebenso beschreibt, wie Deiters etc. Er 
glaubt aber auch für die Molecularschicht des Kleinhirns, dals sich hier ein zusammenhängendes 
Stroma findet, welches aus an Fortsätzen reichen Bindegewebszellen besteht. Alle Kerne, 
welche in der Moleeularschicht zerstreut sind, gehören, wie er glaubt, Bindegewebszellen 
an (S. 17). 

Auch die Körnerschicht des Kleinhirns lälst er, wie alle andern Teile des Central- 
nervensystems ein zusammenhängendes Stroma, bestehend aus Bindegewebszellen mit 
zahlreichen langen Fortsätzen, haben, welche sich nie oder selten verzweigen, ja er glaubt 
sogar, dafs die Körner selbst bindegewebige Elemente seien, welche zu den echten 
mit Ausläufern versehenen Bindegewebszellen häufige Übergänge zeigten. (8. 21.) 

Einige der Irrtümer, die das Kleinhirn betreffen, sind später von Golgi selbst unter 
Anwendung seiner neuen Methode berichtigt worden, die Schilderung des reichen Nenroglia- 


gerüsts in der Körnerschicht ete. hält er aber auch 1885 aufrecht. ! 


Am einflulsreichsten oder, wie wir sagen müssen, am verhängnisvollsten waren aber 
die Ansichten Golgis über das Verhältnis der Fasern zu den Zellen. Zwar hatte schon 
Frommann ähnliche Meinungen ausgesprochen, aber diese wurden sehr wenig beachtet 
(auch Golgi erwähnt Frommann nur ganz nebenbei), die Angaben von Deiters waren 
zu unbestimmt, weil er vorsichtiger Weise nicht von Zellen, sondern von „Zellaequivalenten“ 
sprach, und so war es denn gerade Golgi, durch dessen hier erwähnte und vor allem durch 
dessen spätere Arbeiten sich die Ansicht mehr und mehr Geltung verschafft hat, dals die 
Deitersschen Zellen mit samt ihren Ausläufern echte Zellen seien, und dals das ganze 
Neurogliagerüst nichts als das Ausläufergeflecht dieser Zellen darstellte, dals 
abgesonderte Fasern überhaupt nicht vorkämen. Wie sehr hierbei gerade die gewaltige 
Autorität Golgis in den Vordergrund getreten ist, das geht auch daraus hervor, dals man 
in neuster Zeit sogar so weit gegangen ist, die sonst „Deiterssche Zellen“ genannten Ge- 
bilde als „Golgische Zellen“ zu bezeichnen. — 

Eine ähnliche Beschreibung der Deitersschen Zellen wie Golgi, giebt übrigens (und 


zwar unabhängig von dem letztern) Jastrowitz,? der aber auch Deiters nicht erwähnt. 


! Gesammelte Abhandlungen. S. 167. 
2 Über Encephalitis und Myelitis im ersten Kindesalter. Archiv für Psychiatrie (Band 2, S. 389 ff. und 
Band 3, S. 162 ff.) 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 11 


Von Jastrowitz rührt der Name „Spinnenzellen“ zur Bezeichnung der Deitersschen 
Zellen her, doch nimmt er neben diesen noch quadratische und rechteckige, in 
teihen liegende Zellen als zur Neuroglia gehörig an. Solche sollen sich nach ihm 
in der weilsen Substanz des Gehirns finden (er hat nur das Gehirn bearbeitet), und er 
glaubt, dass diese Zellen rudimentäre Spinnenzellen darstellen. Die „moleculäre“ Substanz 
der Grolshirnrinde hält er nicht für Neuroglia, sondern glaubt, dals sie „dem nervösen 
Gewebe viel näher steht, als dem Bindegewebe“. Er trennt sie daher auch ganz 
richtig von der Belegschicht. des Rückenmarks. Sehr merkwürdig und nach unserer jetzigen 
Auffassung ausserordentlich paradox ist seine Schilderung der Beziehung des Ependyms zur 


Neuroglia. Der betreffende Passus sei hier wörtlich angeführt : 


„Je weiter gegen die Ventrikelhöhle, desto gehäufter werden diese Zellen (sc. die 
Spinnenzellen) angetroffen, sie folgen diehtgedrängt auf einander, indem die Fortsätze meist 
rückwärts und seitlich ausweichen und schliefslich setzen sie, eins bei eins an 
einander liegend, dasEpendym-Epithel zusammen. Hierbei erleiden 
sie nur insofern eine Modifikation, als am freien Ende die Fortsätze wegfallen und durch 
einen doppelt contourirten, oft ziemlich breiten und meist ungefärbten Saum ersetzt werden. 
Die spärlichen seitlichen und die hinteren in der Richtung gegen die dritte Schicht (se. 
des Balkens) ziehenden Ausläufer sind namentlich sehr zart und brechen leicht ab, von den 
letzteren zeichnet sich jedoch einer durch seine Stärke aus, und an ihm, 
dem oft einzig erhaltenen, hängt die kelchähnliche (eylindrische) 


Epithelzelle wiean einem Stiele.“ 


„Wir sehen demnach hier bis in alle Einzelheiten die Identität der Gliazellen mit 
dem sogenannten Fpithel der Ventrikel, dessen gleichfalls bindegewebige Natur 
somit zweifellos erscheint. Es wird daher mit vollemRecht als 


ein Epithelium spurium, s. Endothel bezeichnet.“ 


Jastrowitz deutet demnach die Beziehungen des Ependymepithels zur Neuroglia 
gerade umgekehrt, wie das jetzt üblich ist. Während man jetzt wegen der engen, nament- 
lich entwickelungsgeschichtlichen Beziehung der Neuroglia zum Ependymepithel die Neuroglia 
als etwas epitheliales ansieht, sieht Jastrowitz im Gegenteil das Ependym für etwas 
bindegewebiges, für ein Endothel an: eine Frage, die bis dahin niemals aufgeworfen war, 
da der Gegensatz zwischen Epithel und Bindegewebe früher garnicht so klar in das Be- 


wulstsein der Histologen eingedrungen war. — 


2 er 


Die jetzt zu erwähnende Arbeit von Boll! ist schon mit Berücksichtigung nicht nur 
der Deitersschen, sondern auch der Golgischen Veröffentlichungen geschrieben. Boll 
spricht sich noch entschiedener wie Deiters für die „differenzierte Natur“ der Fasern aus. 
Er sagt beim Vergleich der Deitersschen Zellen mit denen des (embryonalen) Binde- 
gewebes (S. 8): 

„Hier wie dort ist die Zelle, der histiologische Centralteil, nichts anderes als ein 
Centrum für eine grofse Menge differenzierter Fasern, die nach allen, nach zwei 
oder nach einer Seite hin ausstrahlen. Hier wie dort liegt in dem Centrum dieser Zelle 
ein Kern, umgeben von einer grölseren oder — wie in den weitaus meisten Fällen — 
geringeren Menge körniger Substanz. Hier wie dort muls sich die Untersuchung bescheiden, 
ob in dieser Menge körniger Granulationen, die das Centrum dieses Faserconvoluts ein- 
nehmend den Kern umgiebt, lebendiges, leistungsfähiges Protoplasma oder amorphe Eiweils- 
substanz zu sehen ist.“ \ 

Wie wir später sehen werden, ist diese Auffassung schon ein wesentlicher 
Fortschritt gegen Golgi, der die ganzen Gebilde als richtige Zellen ansah und noch 
in späteren Arbeiten Deiters deshalb tadelt, weil er den vorsichtigen Ausdruck „Zell- 
aequivalente“ für seine Gebilde gebraucht hat. Den entscheidenden Schritt in dieser Frage 
that freilich, wie wir sehen werden, erst Ranvier. 

Boll setzt aber übrigens mit Recht trotz dieser Ähnlichkeiten aus entwicklungs- 
geschichtlichen (und chemischen) Gründen die Neuroglia in einen Gegensatz zum gewöhn- 
lichen Bindegewebe. 

Auch Boll nimmt, wie Jastrowitz, an, dafs neben den hier zum ersten Male 
als „Deiterssche“ bezeichneten Zellen reihenförmig angeordnete rechteckige vorkämen. 
Zwischen beiden Arten von Neurogliazellen findet er „Übergänge“. — Seine Schilderung der 
weilsen Substanzen ist unzureichend.= Er läfst in der weilsen Hirnsubstanz 50—60, in der 
des Rückenmarks 5—6 Nervenfasern gemeinschaftlich in einer Neurogliaumhüllung liegen, 
er glaubt auch nicht sicher, dafs die queren Fasern in der weilsen Substanz des 
Rückenmarks wirklich Neurogliafasern sind ete. Von seinem Standpunkte aus hatte er mit 
seiner Vorsicht ganz recht, denn er fürchtete Verwechslungen mit freien Axencylindern, die 


ja in der That (als Collateralen) hier vorkommen. 


ı Die Histiologie und Histiogenese der nervösen Centralorgane. Archiv für Psychiatrie ete. Bd. 4. 
1874. S. 1ff. 
11% 


Seine Beschreibung der Neuroglia inder Grofshirnrinde ist richtiger, als 
die Golgische. Er hebt ganz richtig hervor, dafs nur an der Oberfläche eine grolse 
Menge Deiterssche Zellen vorkommen, in der Tiefe aber sind sie nach ihm um vieles 
seltner und erscheinen meist nur in Begleitung der Gefälse. Er kennt also nicht das „zu- 
sammenhängende“ Neurogliageflecht in den tiefen Hirnrindenschichten, das Golgi annahm. 
Auch über die Körnerschicht des Kleinhirns urteilt er richtiger als letzterer und sagt 
darüber das einzige, was damals zu sagen möglich war, nämlich, dals man über die Natur 
der „Körner“ nichts wisse. — 

Als letzte Arbeit in dieser Gruppe muss die von Gierke! erwähnt werden. Von 
dieser Arbeit könnten wir eigentlich in unserer historischen Übersicht ganz absehen, denn 
irgend etwas wesentlich neues, was richtig wäre, findet sich in ihr nicht. Im Gegen- 
teil sie enthält neben den wenigen richtigen Angaben, die noch dazu sämtlich schon 
bekannte Dinge betreffen, fast lauter ganz falsche Behauptungen, so dafs es 
geradezu unbegreiflich ist, dass diese Arbeit von den hervorragendsten Autoren immer mit 
besonders lobenden Zusätzen „gründlich“, „vortrefflich“ ete. bedacht zu werden pflegt. Es 
gehört in der That zu den Ironien der geschichtlichen Darstellungen, dafs die Arbeit von 
Frommann stets nur so nebenbei erwähnt wird, und die von Gierke als etwas aus- 
gezeichnetes immer wieder hervorgehoben wird. Hier sei nur einiges aus seiner Arbeit 
mitgeteilt. 

Die Deitersschen Zellen schildert Gierke ähnlich wie Golgi, Jastrowitz 
und Boll mit dem kleinen Unterschied, dals er die „Zellfortsätze“ verzweigt sein lässt, 
und mit der Abweichung, dals er sie für „verhornt“ hält (nach Kühne und Ewald). 
Neben diesen Zellen, deren Körper und deren Kerne nach ihm im Alter atrophiren können, 
nimmt er noch eine „Grundsubstanz“ als Bestandteil der Neuroglia an, die aber nicht, wie 
bei den älteren Forschern als körnig, sondern als glashell geschildert wird. Diese glashelle 
Grundsubstanz bildet nach ihm die Grundlage der grauen Substanz. Eine besonders grosse 
quantitative Entwicklung besitzt sie in den äussern Hüllen des Centralnervensystems, in der 
Grosshirnrinde und in der Substantia gelatinosa centralis. In der weissen Substanz ist sie 
sparsam (S. 459) — alles ganz willkürliche, unbegründete Behauptungen. Die „Grundsub- 
stanz“ besitzt nach Gierke eine nicht ganz unbedeutende Elastieität (S. 464), aber nur 


im frischen Zustande. Einige Stunden schon nach dem Tode wird sie weicher und dadurch 


° Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. Archiv für mikroscopische Anatomie. Bd. 25. S. 441 ff. 


— 8 — 


wird nach ihm die Erweichung des Uentralnervensystems bedingt — sonst nimmt man ja 
an, dals diese cadaveröse Erweichung in der Erweichung des Myelins ihren Grund hat. 

Die Stützsubstanz im allgemeinen (d. h. „Grundsubstanz“ und Neuroglia) ist nach 
Gierke so verbreitet, dass sie überall im Centralnervensystem vorkommt und „kein 
noch so kleines Fleckchen zu finden ist, was derselben entbehrt“ — auch das ist eine un- 
bewiesene Behauptung. Einigermafsen, wenn auch nicht ganz richtig ist seine Schilderung 
der weilsen Substanz des Rückenmarkes, doch enthält sie nichts, was nicht Frommann 
schon besser geschildert hätte. Die Schilderung der grauen Substanz hat dieselben Fehler, 
wie die der früheren Autoren. Ganz unklar und schief dargestellt sind die Verhältnisse an 
der Medulla oblongata, bei der er kein Wort von den so auffallenden Verhältnissen an den 
Oliven sagt; nur die Ependymschicht schildert er besser als seine Vorgänger. 

Was nun gar das Hirn anbelangt, so sind da alle Beschreibungen, so weit sie neu 
sind, ganz irrig, am Kleinhirn so falsch, dass man selbst aus der Abbildung 
(Fig. 21) garnicht herausbekommt, was er eigentlich gesehen hat. Auch in der Grofshirnrinde 
hat er die richtige Neuroglia garnicht gesehen. Was er als solche abbildet 
(Fig. 19a), ist die zu einem Maschenwerk geschrumpfte „Molecularsubstanz“. Das geht 
nicht nur aus seiner eignen Abbildung hervor, sondern auch daraus, dals er sich auf eine 


ähnliche von Stricker als auf eine „sehr zutreffende“ beruft. — 


Diese letzterwähnte Abbildung ist zwei Arbeiten beigegeben, einmal der von Stricker 
und Unger „Untersuchungen über den Bau der Grosshirnrinde“ * und sodann noch einmal 
der von Unger allein (Histologische Untersuchungen der traumatischen Hirnentzündung). 
In Betreff dieser Arbeiten genügt es wohl, die Schlulssätze der Arbeit von Stricker und 
Unger zu citieren (S. 156): 

I. Die GanglienzellenundihreAxencylinderfortsätze (!) tragen 
Ausläufer, welche continuirlich in ein Netzwerk von Bindesub- 
stanz übergehen. 

I. Es giebt Übergangsformen von den Zellen der Bindesub- 
Stanz zu den Ganslienzellen. 

Wer an diesen Sätzen noch nicht genug hat, mag die genannten zwei Arbeiten sowie 
die 32. Vorlesung in Striekers „Vorlesungen über allgemeine und experimentelle Pa- 


thologie“ selbst nachlesen. — 


ı Wiener Sitzungsberichte. Band 80. 1879. 


— 86 — 


Die von Boll bereits ausgesprochenen Ideen bekamen nun aber eine viel bessere 
thatsächliche Grundlage in der wichtigen, geradezu epochemachenden Arbeit von Ranvier.! 
Das, was dieser Autor mitteilte, war viel wichtiger, als die Fragen nach der etwas mehr 
oder weniger reichlichen Zahl der Ausläufer, nach deren Verzweigung oder Nichtverzweigung etc. 

Für die Aufklärung der wahren Natur der Deitersschen Zellen war Ranvier 
so zu sagen praedestiniert, da er nach seinen Arbeiten über das gewöhnliche Bindegewebe fast 
notgedrungen ein ähnliches Verhältnis der Zellen und Fasern auch im Stützgewebe des 
Centralnervensystems annehmen mulste. Er begnügte sich aber nicht mit einer blolsen An- 
nahme, sondern brachte den thatsächlichen Nachweis dafür, dals die sogenannte 
Deiterssche Zelle ein Kunstprodukt ist, bei welchem die von der Zelle unabhängigen, 
aber von ihr wie von einem Centrum ausstrahlenden Fasern nur anscheinend vom Proto- 
plasma ausgehen, in Wirklichkeit aber an dasselbe nur angelehnt sind. 

Auch hier wieder war es eine besondere Methode und, wie wir gleich hinzusetzen 
wollen, eine besonders günstig wirkende Carminlösung, der er seine Erfolge verdankte. 

Diese Methode bestand darin, dass er Rückenmarkstückchen auf 24 Stunden in 
Drittelalkohol brachte, dann zerteilte und die Bröckel in einem Reagenzgläschen mit destil- 
liertem Wasser schüttelte, mit Pierocarmin färbte und dann absetzen liels. Den Bodensatz 
nahm er mit einer Pipette auf und brachte ihn in ein neues Reagenzglas mit sehr ver- 
dünnter Überosmiumsäure. Wenn sich die Massen dann zu Boden gesetzt hatten, nahm er 
sie wieder heraus und untersuchte sie mikroskopisch. Auf diese Weise hatte er zuerst eine 
Dissociation und Färbung und dann eine definitive Fixierung der dissociierten Elemente erlangt. 

An Praeparaten aus ausgebildeten Rückenmarken, die auf diese Weise hergestellt 
waren, fand er nun, dals die „Zellfortsätze“ keine wirklichen Verlängerungen des Protoplasma- 
leibes seien, wie seit Frommann alle Autoren glaubten (aulser Boll), sondern von 
diesem differenzierte, wirkliche Fasern darstellten, welche den Zellleib durchsetzen, oder an 
ihn angelehnt sind. Sie strahlen von dem Zellleibe als Mittelpunkt nach allen Seiten (un- 
geteilt) aus, aber dieser Zellleib selbst setzt sich nicht einfach in sie fort, sondern stellt 
einen chemisch und morphologisch abgesetzten Körper dar. 

Das gilt aber wohlgemerkt nur für die Neurogliazellen des fertigen Rücken- 


marks. Im embryonalen Zustande sind die Zellen wirklich sternförmig, und die Fortsätze 


ı 1) De la nevroglie. Comptes rendus. 5. Juni 1892. 2) De la nevroglie. Archives de physiologie 
normale et pathologique. 15. Februar 1883. Im Texte ist die letztere Arbeit zu Citaten benutzt, die erste 


war nur eine vorläufige Mitteilung, 


EN un 


sind einfache Verlängerungen des Zellleibes. Die Differenzierung der Fasern von letzterem 
erfolgt erst später, ganz wie beim gewöhnlichen Bindegewebe. — 

So war denn eine ganz neue Auffassung des Neurogliagerüstes gegeben. Dieses be- 
steht nach Ranvier also nicht aus Zellen allein, sondern aus Zellen und aus Fasern. 
Er weist auch ganz richtig darauf hin, dafs. die bisherigen Resultate zu der Täuschung 
führen mussten, dass Zellen und Fasern eins seien, weil in Praeparaten aus Müllerscher 
Flüssigkeit die Refractionsindices der Fasern und des Zellleibes so ähnlich sind, dals eine 
Abtrennung der erstern von dem letztern nicht möglich war. 

Freilich war diese Zerzupfungsmethode nicht ausreichend, um über die Topographie 
der Neuroglia ins Klare zu kommen, ja sie hat sogar Ranvier an andern Stellen des Cen- 
tralnervensystems im Stich gelassen, so dals er die ganz irrige Meinung ausspricht, die 
Neurogliafasern des Gehirns von Erwachsenen schienen nicht aus dem embryonalen Stadium, 
d. h. dem der undifferenzierten Zellfortsätze herauszukommen. (S. 182.) 

Die Ansicht von Ranvier hat sich absolut keiner Anerkennung zu erfreuen gehabt. 
Vollkommen für seine Auffassung ausgesprochen hat sich, abgesehen von einigen Ranvier 
nahe stehenden Gelehrten, eigentlich nur der Schreiber dieser Arbeit. Das Verdienst 


Ranviers wird in seinem ganzen Werthe erst später hervortreten. 


Eine besondere Stellung in der Neurogliafrage nimmt, oder nahm wenigstens früher 
Schwalbe! ein, dessen Arbeit wir hier anschlielsen wollen. Er unterscheidet (S. 393) 
einen mesodermalen und ectodermalen Bestandteil der Stützsubstanz im Centralnervensystem. 
Als mesodermalen Bestandteil betrachtet er aufser hier und da vorhandenen elastischen 
(oder diesen nahe stehenden) Fasern vor allem die Neurogliazellen, die er den Wander- 
zellen an die Seite setzt. Sie haben nach ihm keine Ausläufer, aber auch keine Beziehung 
zur eliösen Intercellularsubstanz, so dals seine Ansicht sowohl von der von Frommann, 
Deiters, Golegi etc. vertretenen, als von der Ranvierschen durchaus abweicht. Das, 
was er als Intercellularsubstanz bezeichnet, ist für ihn ectodermatischen Ursprungs, ebenso 
wie die Epithelzellen des Centralkanals. Sie ist in zweierlei Abarten vorhanden. Einmal 
als Nervenkitt (echte Neuroglia). Dieser ist eine durchaus homogene, weiche 
Substanz und enthält im natürlichen Zustande keinerlei Fasern. Die von anderen 


Autoren beobachteten Fasern sind Kunstprodukte, die durch cadaveröse Gerinnung oder 


ı 1) Handbuch der Augenheilkunde von Gräfe und Sämisch. I. S. 342. Leipzig 1874, 2) Lehr- 
buch der Neurologie. Erlangen 1881. S. 393 ff. 


{e 
( 


durch coagulierende Agentien, z. B. durch Alcohol, hervorgebracht werden. Diese Substanz 
ist durchaus einer epithelialen Kittsubstanz zu vergleichen. Sie bräunt sich auch wie 
diese mit Silbernitrat. Als fernere ectodermatische Stützsubstanz ist eine in der That aus 
sehr feinen, eng verwebten Fäden bestehende, daher eine Granulierung vortäuschende 
Substanz anzusehen, die er auch als „granulierte Substanz“ bezeichnet. Sie findet 
sich in besonderen Schichten, an verschiedenen Stellen des Rückenmarks, an der 
Oberfläche des Grofs- und Kleinhirns und in der Retina. Diese Substanz ist als Horn- 
spongiosa aufzufassen, entsprechend den Angaben von Ewald und Kühne. 

Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, und wird sich im speziellen Teile noch 
weiter erweisen, dals diese Ansichten nicht aufrecht zu halten sind. Schwalbe dürfte 
wohl selbst auch jetzt von ihnen zurückgekommen sein. Immerhin ist es bemerkenswert, 
dafs er gleich Ranvier, die Neurogliazellen als solche fortsatzlos sein läfst. Die auch 
von Ranvier dargestellten Fäden aber hat er nicht zu Gesichte bekommen. 

Von neuern Schriftstellern, die mit andern Methoden, als den bisherigen (abgesehen 
von der Golgischen) gearbeitet haben, sei zunächst Luigi Maria Petrone erwähnt. 
Er ist der erste gewesen, welcher Säurefuchsin und Pierinsäure zur Neurogliafärbung be- 
nutzt hat, eine Färbung, die dann später (1889) von van Gieson! weiter ausgebildet 
wurde. Die Methode des letzteren ist dann von Kultschitzky” ganz wenig modifiziert 


x 


worden. Petrone® hat auch mit der Golgischen Imprägnation und mit Carmin- 


! Laboratory notes of technical methodes for the nervous system. New-York medical Journ. 1889. 

2 Über eine Färbungsmethode der Neuroglia. Anatomischer Anzeiger. 8. Bd. 1893, 

® Gazzetta degli Ospidali 1886—1886, Gazzetta Lombarda 1886—1837. (Vorläufige Mitteilungen, mir 
nicht zugänglich). Sulla struttura della nevroglia dei centri nervosi cerebro-spinali, Gazzetta degli Ospidali 
1888. Diese leztere Arbeit trägt die Überschrift: Dal Senckenbergschen Pathologischen Institut von Frank- 
furt a. M., Prof. Weigert, und ist aus Breslau datiert, wo sich Petrone damals aufhielt. Man könnte 
daraus schliefsen, dafs ich irgend ein Verdienst bei dieser Arbeit hätte, zumal Petrone am Schlusse 
bemerkt, dafs er die Structuren der Medulla oblongata, des Isthmus des Gehirns und aller Hirnteile für sich 
in Anspruch nehme, so dafs mancher glauben könnte, ich hätte wenigstens an den Resultaten, die er vom 
Rückenmark ete, schildert, Anteil. Aber auch das ist nicht richtig, Ich bin an der Arbeit nicht nur unbeteiligt, 
sondern habe auch die betreffenden Präparate garnicht gesehen. Ja, ich muls 
sogar ausdrücklich hervorheben, dafs ich von dem Petroneschen Aufsatz erst vor ganz kurzem 
Kenntnis genommen habe, sonst hätte ich in meinem Artikel „Technik* der Merkel-Bonnetschen 
„Ergebnisse“ gewiss ihm die Priorität in Betreff der Säurefuchsin-Pikrinsäure-Färbung gewahrt. Die Gründe 
für diese höchst sonderbar erscheinenden Dinge sind recht trauriger Art gewesen, entziehen sich aber der 
Öffentlichkeit. 


m 


Pikrinsäure gearbeitet. Für die eigentlichen Färbungen benutzte er Präparate, die ebenso 
vorbereitet waren, als wenn sie zu meiner Kupfer-Haematoxylinmethode benutzt werden sollten. 
Petrone unterscheidet zwei Arten von Neurogliazellen, die eigentlichen Deitersschen 
Zellen und die „Lamellen“, platte rechteckige Zellen ohne Ausläufer, die besonders an den 
Kreuzungsstellen der Nervenfasern vorkommen. Für erstere nimmt er gegen Ranvier 
Partei, und glaubt, was ganz irrtümlich ist, dafs Ranvier durch platte Zellen, die mit 
Neurogliafasern zufällig in Verbindung standen, getäuscht worden sei. Für die weilse Sub- 
stanz bestreitet er die Anastomosierung der Neurogliafasern, hingegen glaubt er, dals in 
der grauen das „Schultze-Köllikersche Netz“ vorkäme. Freilich ist er sich klar darüber, 
dals für die graue Substanz seine Methode, die ja durchaus nicht electiv färbt, unzureichend 
sei „wegen der Unmöglichkeit, in der wir uns infolge der gegenwärtigen Beobachtungsmittel 
befinden, die Neuroglia von den andern, sie umgebenden Substanzen zu unterscheiden.“ 

In der That ist auch für ihn die Substantia gelatinosa Rolando reicher an Neuroglia- 
zellen, als die übrige graue Substanz, was ganz irrig ist, am Klein- und Grofshirn findet 
er an der Rinde in der oberflächlichsten Schicht keine eigentliche Neuroglia, wohl aber 
„Lamellen“ und Bindegewebe, das von der Pia mater herabsteigt. Die dichte An- 
häufung der Neuroglia am Ependym ist ihm entgangen ete. 

Hingegen hat er merkwürdiger Weise etwas gesehen, was vor meiner Veröffentlichung 
1590 niemand anders gesehen hatte, nämlich die so diehte Neurogliamasse 


in den Oliven, und ich bedauere, dass ich 1890 noch nicht seine Arbeit kannte (vel 


gl. 
die Anmerkung S. 24), sonst hätte ich das damals schon konstatiert. 
Die weilsen Substanzen hat er möglicherweise ziemlich richtig geschildert, doch ist 


das nicht sicher, zumal da gar keine Abbildungen beigegeben sind. 


Im Jahre 1890 habe ich selbst ' dann eine vorläufige Mitteilung über die Resultate 
meiner neuen Färbung gegeben, die sich damals noch im Stadium des „beinah fertig“ be- 
fand, in einem Stadium, aus dem sie absolut nicht herauszubringen war. Ich konnte aber 
doch schon einiges von Thatsachen mitteilen. Einmal konnte ich mich durchaus der oben 
besprochenen Ansicht von Ranvier anschliefsen, dafs die Neurogliafasern keine „Zellfort- 


sätze“ sind. Als ganz neu müssen sodann die Mitteilungen über die topographische Verteilung 


! Bemerkungen über das Neurogliagerüst des menschlichen Centralnervensystems, Anatomischer 
Anzeiger 1890, 8. 543 ff,; und: Zur pathologischen Histologie des Neurogliafasergerüsts, Centralblatt für 
allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie 1890, S. 729 ff, 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 12 


—/ DN — 


in der grauen Substanz des Rückenmarks bezeichnet werden, namentlich die Thatsache der 
geringen Neurogliamenge in der Substantia gelatinosa Rolando. Auch die Körnungen 
am freien Rande der Epithelien waren bis dahin unbekannt. Ebenso (bis auf die, mir noch 
nicht bekannte Notiz bei Petrone) der aulserordentliche Reichtum der Oliven an Neuro- 
gliafasern. Ich schilderte kurz die Verhältnisse der Rindenschichten, der Substantia grisea 
centralis, des obliterierenden Uentralkanals im Rückenmark, hob ebenfalls, wie schon frühere 
Autoren hervor, dass die einstrahlenden „Piafortsätze“ kein Bindegewebe, sondern Neuroglia 
wären. und brachte zu den bisher bekannten Unterschieden des Bindegewebes und der 
Neuroglia noch einen nenen tinctoriellen hinzu. Auch die „Körbe“ um die Purkinjeschen 
Zellen und um die Vorderhorn-Zellen, sowie die Verhältnisse am Opticus skizzierte ich etc. 

Lavdowsky,! dessen Arbeit im Jahre darauf erschien, hat eine grosse Anzahl Me- 
thoden (auch die Golgische) benutzt, Methoden, die hauptsächlich auf der Anwendung 
„saurer Anilimfarben beruhen. An Schnittpräparaten ist er augenscheinlich nicht glücklich 
gewesen, denn die topographischen Verhältnisse kommen in den Abbildungen nur lücken- 
haft heraus. Er hält die Neurogliafasern für hohl, und ist der Meinung, dals sie echte 
Zellaustäufer (gegen Ranviers Auffassung) sind. In der grauen Substanz bildet die Neuro- 
glia ein richtiges „Netz“, in der weilsen nicht, so dass er hier eine ähnliche Anschauung 
wie Pstrone vertritt. Die Unterschiede der topographischen Ausbreitung der Neuroglia 
in den verschiedenen Teilen der grauen Substanz sind ihm entgangen. Auch er klagt 
(S. 23.) darüber, dals man die Neurogliafasern da, wo sie mit Fortsätzen der Nervenzellen 


und Nevvenfasern untermischt sind, nicht von diesen unterscheiden kann. 


»ie hier noch zu erwähnende Arbeit von Popoff,” der mit der durch Kultschitzky 
modifizierten allbekannten van Giesonschen Methode gearbeitet zu haben scheint, ist mir 
nur au: dem sehr kurzen Referat der Revue neurologique, Band 1, 1893, S. 557, bekannt. 
Er nimmt corpuseules ramifies et non ramifi6s in der Neuroglia an. Die Ramificationen 
teilen s’ch nieht und anastomosieren nicht, sie sind „divisions protoplasmatiques ordi- 
naives des cellules* (also abweichend von Ranviers Ansicht) und nicht hohl, wie Lavdowsky 


meint. Ausserdem kommen auch freie Fasern vor. In der grauen Substanz sind die 


: Vom Aufbau des Rückenmarks. Archiv für mikroscopische Anatomie. Bd. 38 (1891). 8. 263 ff. 
: De la növroglie et de sa distribution dans les r6gions du bulbe et de la protuberance chez !’homme 


adulte. Arch. de psych., de neurologie et de medecine legale. 1893. 11. Bd., p. 1. 


— 1 — 


Maschen der Neuroglia zwischen den nervösen Elementen weiter als in der weissen, (was 
nicht so allgemein richtig ist), doch variiert die Dichte der Neuroglia. Am dichtesten 
ist sie in der Olive (Bestätigung meimer Angabe) der „gelatinösen“ Substanz, im Hypoglossus- 
Vagus- und Facialis-Kern, geringer im Kern des Acustieus, des Abducens und den zer- 
streuten grauen Massen im Pons, im Trigeminuskern ete. Einige der Bemerkungen dieses 


teferats kommen später noch zur Erwähnung. 


Schlussbemerkungen. 


Hiermit wollen wir unsere historische Übersicht schliessen. Sie macht durchaus keinen 
Anspruch auf Vollständigkeit. Einmal sind mir gewils eine Anzahl Veröffentlichungen ent- 
gangen, andere konnte ich nicht nachsehen, noch andere waren schon gar zu „historisch“ 
geworden, wie die von Jacubowitsch u. a. Wir haben ferner alles weggelassen, was 
sich auf die chemischen und entwieklungsgeschichtlichen Verhältnisse bezieht, da diese Ar- 
beiten, so weit nötig, später an geeigneterer Stelle besprochen werden sollen. 

Auch die mit Hilfe der Golgischen Methode gewonnenen Resultate werden besser 
im Verein mit unsern eignen Untersuchungsergebnissen später im einzelnen besprochen, 
aber einige allgemeine Betrachtungen über das Verhältnis dieser Methode zur Neuroglia- 
forschung wollen wir als Schlussbemerkung hier anschlielsen. 

Die Erfolge der Golgischen Methode gerade in ihrer Anwendung auf die Neuroglia 
sind ungemein überschätzt worden. In Wirklichkeit sind sie auch nicht im entferntesten 
mit den immensen Fortschritten zu vergleichen, die wir derselben Methode in Bezug auf 
die nervösen Elemente verdanken. Was die letzteren anbelangt, so ist die Golgische 
Methode im wahren Sinne epochemachend gewesen, aber wenn manche (re- 
lehrte auch in der Geschichte der Neuroglia eine neue Epoche seit Anwendung der Golgischen 
Imprägnation datieren, der gegenüber die Zeit vorher wie eine praehistorische Periode er- 
scheinen soll, — so ist das ungemein übertrieben. 

Von wirklichen Erfolgen hat die Golgische Methode nur solche auf dem Gebiete 
der Entwicklungsgeschichte aufzuweisen. Für die Lehre von der Anordnung der Neuroglia 
im ausgebildeten Körper hingegen sind die Resultate äufserst dürftige, ja vielfach geradezu 
falsche gewesen, und die weitgehende Überschätzung dieser Resultate ist nur dadurch zu 
erklären, dafs man sich der Grenzen, welche diese, wie jede Methode hat, nicht bewulst war. 
Erst ganz neuerdings fangen die Mängel der Methode an, hier und da erkannt zu werden, 


12* 


so von Lenhossek, Greeff und Retzius, aber die Bedeutung der Silberbilder wird 
immer noch wesentlich überschätzt. 

Die Gründe dafür, warum mit der Golgischen Methode für die wichtigste Frage, 
die Topographie der Neuroglia, nur dürftige Resultate zu erlangen waren, liegen auf der 
Hand. Vor allem konnte sie der Hauptanforderung, die man für die Lehre von einer Stütz- 
substanz stellen muls, nicht entsprechen: sie konnte das Gerüst nicht im Zusammenhange, 
d. h. vollständig, darstellen. Dieser für die Ergründung einer Stützsubstanz fundamentale 
Fehler kommt bei den nervösen Elementen, bei denen es wesentlich auf die Beziehung 
der einzelnen Elemente zu einander ankommt, nicht nur nicht in Betracht, sondern 
er hört hier auch auf, ein Fehler zu sein und wird ein Vorteil, da man bei einer voll- 
ständigen Darstellung des Nervengewebes sich garnicht mehr in dem Gewirr desselben 
„auskennen“ würde. Bei einer Stützsubstanz aber muls man eine wenigstens 
stellenweise Vollständigkeit der Elemente durch eine brauchbare Methode erreichen 
können. Das kann aber die Golgische Methode nicht leisten. Abgesehen davon, dafs sie 
immer nur unvollkommen, hier und da einen Bestandteil der Neuroglia imprägniert, sind die 
imprägnierten Bestandteile nur die Zellen und die unmittelbar von ihnen ausstrahlenden 
Fasern („Fortsätze der Zellen“). Alle von den Zellen getrennten Fasern sind garnicht mehr 
als Neurogliaelemente zu diagnostizieren. 

Auf einem einigermalsen vollständig gefärbten Präparat kann man sich aber davon 
überzeugen, dals dadurch die Mehrzahl der Neurogliafasern sich der Kenntnis entzieht, 
selbst wenn man die grolse Dieke, welche nach Golgi imprägnierte Schnitte haben dürfen, 
in denen also möglichst viele Fasern bis zu den Zellen verfolgt werden können, in 
Betracht zieht. 

Die Golgische Methode hat aber noch einen andern Nachteil für die Forschung 
gehabt. Sie stellt, wie erwähnt, nur die Zellen und die ihnen anliegenden Fasern dar. 
Ganz abgesehen nun davon, dals bei der entstehenden Silhouette die chemisch-physikalischen 
Unterschiede der Fasern von den Zellen verschwinden, und so Trugbilder von Zellen mit 
„Fortsätzen“ entstehen, die uns später ausführlicher beschäftigen werden, so wurde durch 
die Einseitigkeit der Methode die Aufmerksamkeit ganz von den Fasern („Zellfortsätzen“ ) 
abgelenkt und auf die „Zellen“ konzentriert. Es hat nun sicherlich auch ein Interesse, die 
Formen der (Schein-) Zellen der Neuroglia nach der Golgischen Methode zu studieren, 
aber für die Funktion wesentlicher sind doch auch hier, wie beim Knochen, bei den 


elastischen und Bindewebsmassen, die gerüstbildenden Elemente, die Neuroglia- 


ON 


fasern, („Zellfortsätze“ nach den meisten Autoren), ihre Massenhaftigkeit, ihr Verlauf 
und die Form ihrer Verflechtungen, und für diese hatte man unter Anwendung der 
Golgischen Methode kaum noch Interesse, oder höchstens ein Interesse, das sich ganz 
gleichgiltigen Fragen fast allein zuwandte, und die eigentlich wichtige Topographie, wenn 
auch nicht vollkommen ignorierte, so doch sehr vernachlässigte. — 

Unter diesen Umständen musste es sehr erwünscht sein, eine Methode zu finden, 
welche gerade die Topographie der Neuroglia zu ergründen ermöglichte. Eine solche Me- 
thode musste gar viele Anforderungen erfüllen, wenn sie ihren Zweck nicht verfehlen sollte. 
Sie musste das Stützgerüst deutlich und isoliert, d. h. ohne Färbung der nervösen 
Elemente, vor allem ohne eine solche der Axeneylinder, tingieren. Sie mufste das Gerüst 
vollständig darstellen und sollte eigentlich an richtig behandelten Praeparaten nie versagen. 

Das war eine schwierige Aufgabe, die lange, lange Jahre unausgesetzter Arbeit er- 
forderte, und die vielleicht noch nicht ganz erfüllt ist. Ob die von uns benutzte neue 
Methode gegenüber den früheren Vorteile bietet, die die lange Arbeit lohnen, das mögen 
die Leser nach Kenntnisnahme der folgenden Abschnitte entscheiden. Hier seien vorerst die 
Mängel der Methode gleich von vornherein erwähnt. 

Die Methode ist unfähig, die Entwickelungsgeschichte der Neu- 
roglia weit zurückzuverfolgen. Die Methode stellt ferner, abgesehen von den 
Kernen der Neurogliazellen, nur die, wie wir sehen werden, in besonderer Weise differenzier- 
ten Fasern dar. Wenn daher, was a priori durchaus nicht bestritten 
werden kann, Zwischensubstanzen im Centralnervensystem existieren, 
welche solcher differenzierter Fasern entbehren, so entgehen diese 
beiAnwendung der Methode vollkommen der Kenntnisnahme. 

Aber so sehr diese Mängel für den Embryologen und den normalen Histologen von 
Bedeutung sein mögen, für den pathologischen Anatomen kommen sie kaum in Be- 
tracht. Die Methode ist aber gerade für die pathologische Anatomie gesucht worden. Ehe 
sie jedoch für diese zur Anwendung kommen konnte, mulste erst nachgeforscht werden, wie 
sich denn die normale Topographie der Neuroglia mit der neuen Methode darstellte. 
Das war eigentlich nur eine Vorarbeit, ein Nebenzweck der Arbeit, aber der Verfasser will 
es gern gestehen, dals ihm die Verfolgung dieses Nebenzweckes von ganz besonderem In- 


teresse gewesen ist. 


2. Abschnitt: 
Die Neurogliafasern in ihrem Verhältnis zu den Zellen. 


Färbt man Präparate nach der neuen, am Schlusse dieser Abhandlung mitgeteilten 
Methode, so sieht man eine grolse Menge blau gefärbter Fasern. Aulser diesen Fasern sind 


(eventuell die roten Blutkörperchen in den Gefälsen und) die Kerne aller Zellen gefärbt. 


Von den Zellleibern sind die der grölseren Ganglienzellen gelb gefärbt, und 
man erkennt an ihnen sehr schön die von Nissl so genau studierten Zeichnungen, die sich 
in dunklerer, mehr bräunlicher Färbung in dem übrigen, helleren Protoplasma deutlich ab- 
heben (Taf. Il, Fig. 1a). Auch die gröberen Zellausläufer und Axencylinder sind gelblich gefärbt, 
die feineren sind unsichtbar. Ebenso sind die Zellleiber der kleinen Ganglienzellen nur 
schwach gelblich oder garnicht tingiert; die Leiber derjenigen Zellen, die man als Neu- 
rogliazellen auffalst, sind ebenfalls ungefärbt, also unsichtbar. 

Uns interessiert vorläufig nur das Verhältnis jener blauen Fasern zu den gleichfalls 
blau gefärbten Kernen ; andere untergeordnetere histologische Eigentümlichkeiten der ersteren 
werden wir in einem besonderen Kapitel besprechen. Unter den Kernen sind solche, die 
man nach den geltenden Auffassungen nur als Kerne von Gliazellen auffassen kann, weil sie 
an Stellen liegen, wo Ganglienzellen, so vielman weils, nicht vorkommen, z. B. in der 
weilsen Substanz des Rückenmarks. Diese Kerne präsentieren sich in zweierlei Haupt- 
typen: grölsere bläschenförmige Kerne mit körnig aussehendem Chromatin und kleinere, in 


denen das Chromatin eine homogene dunkele Masse darstellt. 


So verschieden diese beiden Kernarten auch aussehen, so giebt es doch Fälle, in 
denen man nicht weils, zu welcher der beiden Unterabteilungen man ein bestimmtes Kern- 
exemplar rechnen soll, so dafs man, wenn man Lust hat, „Übergänge“ zwischen beiden 
Kernformen statuieren kann. 

Von diesen beiden Kernformen sind es nun viele der helleren, bläschenförmigen, 


punktierten Gebilde, welche zu den Fasern in charakteristischer räumlicher Beziehung stehen. 


= on 
Nur ausnahmsweise, vielleicht auch gar nieht, thun dies die kleineren Kerne mit dunklerer 
Färbung. 

Die Fasern gehen nämlich vielfach bis dieht an den (hellen) Kern heran oder sind 
von ihm nur durch einen kleinen Zwischenraum getrennt, den man durch (ungefärbtes, da- 
her unsichtbares !) Protoplasma sich ausgefüllt zu denken hat. Sie gehen dabei teils neben 
dem Kern vorbei nach der anderen Seite in ziemlich gerader Linie gleichmäfsig fort, teils 
biegen sie am Kern mit mehr. oder weniger scharfem Bogen ab, um ebenfalls jenseits des 
Kerns weiter zu verlaufen (vgl. Taf. I, Fig. 1 A—E). Ein Teil der Fasern, der im Schnitt- 
präparat oberhalb oder unterhalb des Kernes verläuft (nicht wie die bisher erwähnten seitlich 
von diesem), (z. B. Taf. I, Fig. 1 A, D, E) verhält sich im übrigen ebenso, nur muls man 
natürlich, um die scharfe Absetzung zwischen Faser und Kern zu bemerken, die Schraube 
des Mikroskops spielen lassen. Wieder andere Fasern kann man nur bis in die Nähe des 
Kerns verfolgen (vgl. Taf. I, Fig. 1 B), wo sie scharf enden, ohne sich über den Kern hin- 
aus fortzusetzen; doch sind diese seltener als die, die sich jenseits des Kerns weiter ins 
Gewebe verfolgen lassen. Ob diese nur bis in die Gegend des Kerns reichenden Fasern 
wirklich hier enden, oder ob man es nur mit solchen zu thun hat, deren (abgebogene) Fort- 
setzung durch die Schnittführung unterbrochen wurde, muls dahingestellt bleiben. 

Sehr charakteristische Bilder entstehen nun dann, wenn, wie sehr häufig, die Fasern 
in ganzen Büscheln um den Kern gelagert sind, so dass eine spinnen-, pinsel- oder stern- 
förmige Figur entsteht, in deren Mitte der Kern mit seinem zu supponierenden, unsichtbaren 
Protoplasma liegt (vgl. Tafel I, Fig. 1°). Uebergänge der Fasern in dies un- 
sichtbare Protoplasma sind nicht zubemerken. Sie müssten sich in der 
Weise geltend machen, dals die Fasern allmählich in der Nähe des Kerns blasser würden 
und sich dann in dessen Umgebung verlören. Das ist aber niemals der Fall. 

Es gehört sehr wenig Phantasie dazu, um in diesen Kerncentren mit den strahlen- 
förmig an sie angelagerten Fasern jene Gebilde wieder zu erkennen, die man als Deiterssche 
Zellen, Neurogliazellen, Spinnenzellen, Pinselzellen, Astroeyten, Gliaecyten ete. beschrieben 


hat. Ganz besonders macht sich dieser Eindruck dann geltend, wenn der Zwischenraum 


ı Das Protoplasma ist durch andere Methoden, z. B. durch neutrales Karmin, in unseren Präparaten 
sichtbar zu machen: es fehlt also nicht etwa. 

2 Ähnliche Bilder finden sich vielfach andeutungsweise in unseren Abbildungen, Da diese letzteren 
sonst aber möglichst ohne Anwendung der Schraube gezeichnet sind, so ist die Spinnenform ete, nicht so 
deutlich, wie in diesen mit Schraubendrehung gezeichneten Figuren. 


= Our 


zwischen den Faserbüscheln und dem Kern verschwindend klein ist, so dass man schon 
genauer zusehen muss, um die scharfe Absetzung der Fasern wahrzunehmen. Stellt man 
unter solchen Verhältnissen die Mikroskoplinse nicht scharf ein, so glaubt man ohne 
weiteres einen „Astrocyten“ vor sich zu haben. Auch an Photographien solcher Prä- 
parate, wenn sie nicht aufserordentlich scharf ausfallen, sehen die Kerne mit ihren an- 


gelegten Fasern genau wie Deiterssche Zellen aus. — 


An vielen andern Stellen tritt jedoch die Beziehung der Fasern zu den Kernen nicht 
in so charakteristischer Form auf. Teils liegen die Kerne in einem solchen Gewirr von 
Fasern, dafs man über eine Gruppierung der letzteren nicht ins klare kommen kann, teils 
tritt eine nachweisbare Beziehung von Fasern zu Kernen auch an solchen Stellen nicht 
hervor, an denen das Gewirr gar nicht so grols ist. In letzterm Falle kann man sich doch 
aber manchmal noch überzeugen, dafs auch hier verlarvte „Astrocytenbilder“ vorliegen, z.B. 
durch Änderung der Schnittrichtung, indem die Ausstrahlung der Fasern in einer andern 
Ebene, als man gerade vor sich hat, erfolgt. So sieht man im Rückenmark, wie schon 


Golgi' erwähnt, diese Bilder auf Vertikalschnitten reichlicher, als auf Horizontalschnitten 


Endlich gelingt es auch, diese „Astrocytenbilder“ noch manchmal herauszubekommen, 
wenn man die Leiber der Neurogliazellen z. B. durch neutrales Karmin färbt — eine 
Doppelfärbung, die freilich für die feineren Fasern nicht günstig ist. Dieses Mittel hilft 
dann, wenn der Raum zwischen Kern und Fasern zu gross ist, um die Beziehungen beider 
hervortreten zu lassen, d. h. wenn der Zellleib, der ohne Doppelfärbung unsichtbar bleibt, 
zu umfangreich ist. 

Aber trotz alledem kann man wohl sagen, dals sehr viele Kerne zwischen den 
Fasern (namentlich vielleicht sämmtliche kleine, dunkelgefärbte) sich in keiner Weise als Centra 
von Strahlensystemen erkennen lassen. Dals umgekehrt bei weitem nicht alle Fasern 
sich bis zu Kerncentren verfolgen lassen, ist bei der grolsen Länge derselben und bei dem 
Umstande, dafs sie nicht in ihrer ganzen Ausdehnung in einer Schnittebene liegen können, 
nicht zu verwundern, denn die Berührungsstelle mit den Kernen ‚ist doch immer nur ein 
ganz kleiner Abschnitt ihres Verlaufs. 

Trotzdem so viele Kerne ohne charakteristische Beziehung zu den Fasern sind, trotz- 
dem die meisten Fasern keine Beziehung zu den Kernen erkennen lassen, wird man doch 


nicht umhin können, alle die nach unserer Methode gefärbten Fasern für identisch 


! Gesammelte Abhandlungen. S. 158. 


mit den Gebilden zu halten, die man seit Frommann für Ausläufer 
der Neurogliazellen hält.! 

Für diejenigen Fasern, welche strahlen-, spinnen- oder 
pinselförmig um Kerne gruppiert sind, ist die Ähnlichkeit des Gesammt- 
bildes mit den typischen Astroeyten, wie wir schon erwähnten, eine so in die Augen 
springende, dafs an der Identität der „Ausläufer“ und der „Fasern“ nicht gezweifelt werden 
kann. Namentlich, wenn man sich den kleinen Zwischenraum zwischen Kern und Fasern 
ausgefüllt denkt, so gleicht das Bild ganz einer durch Isolation gewonnenen Deitersschen 
Zelle oder einer Golgischen Silhouette. 

Kürrdie übrigen Easern, die man nicht zu einem Kerne in 
strahlenförmige Anlagerung treten sieht, wird man aber schon von den 
Überlegungen ausgehend, die Frommann vor mehr als dreifsig Jahren angestellt hat, 
(vergl. die historische Uebersicht), das Urteil dahin abgeben, dals sie mit den eben er- 
wähnten, in so charakteristischer Weise um die Kerne gruppierten Fasern identisch sind. Sie 
sind diesen in ihrem ganzen Aussehen, in ihrer Färbbarkeit ete. so ähnlich, dals sie schwer- 
lich verschiedener Art sein können. Aber für die Gleichheit der freien Fasern mit den 
Astrocytenfasern spricht auch noch ein anderer Umstand. 

Die neue Methode weist nämlich überall da, wo nach den alten Methoden „Aus- 
läufer von Neurogliazellen“ in bestimmter Anordnung dargestellt wurden, die 
„Fasern“, wenn auch reichlicher, so doch in derselben Anordnung nach. Das eilt zunächst 
für die Rindenschicht, die weisse Substanz und die Umgebung des Centralkanals im 
Rückenmark. Es sei ferner an de Bergmannschen Fasern im Kleinhirn, an die 
oberflächliche Rindenschicht im Grolshirn und an den Optikus erinnert. Auch die 
Golgische Methode, die freilich überall nur Bruchstücke des reichen „Zellausläufer- 
geflechts“ zu Tage fördert, lälst an der Gleichheit der Anordnung nicht zweifeln, über die 
Reichlichkeit des Geflechtes freilich gestattet sie kein sicheres Urteil. 

Wir können demnach, wenn wir aus dem Vorstehenden das Faeit ziehen, eins wohl 
mit Sicherheit sagen: 

Die von uns dargestellten Fasern sind kein Novum, kein bis- 


herunbekanntes Strukturelement, sondern sie sind identisch mit 


ı Ob man wirklich ein Recht hat, die Zellen und ihre Ausläufer, also unsere „Fasern‘, für Neu- 
rogliazellen zu halten, das werden wir später ausführlich erörtern. Vorläufig bezeichnen wir diese Zellen 
nur den geltenden Anschauungen folgend als Neurogliazellen. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 13 


ee 


dem, was man bisher als Ausläufer der Deitersschen Zellen be- 


schrieben hat. 


Wir hätten sonach von den bei unserer Methode gefärbten Elementen zunächst die 
Fasern mit Gebilden identifiziert, die durch die bisherigen Untersuchungsmethoden längst 
bekannt waren. Von den Kernen aber, oder was dasselbe besagt, von den Zellen, 
denen diese Kerne ja zugehören müssen, entsprechen nur diejenigen sicher den Kernen und 
Zellleibern der „Deitersschen Zellen“, welche in typischer Weise mit strahlen- 
förmig angeordneten Fasern in Beziehung stehen. Wir haben aber gesehen, dafs (auch ab- 
gesehen von den als Kerne von Ganglienzellen zu diagnostizierenden) eine grosse Menge von 
Kernen zwischen unseren Fasern darinliegt, in deren Umgebung die Fasern ganz regellos 
verlaufen; und doch müssen wir nach den geltenden Anschauungen diese Kerne an vielen 
Stellen sicher für Neurogliakerne halten, denn sie liegen, wie schon erwähnt, zum 
grolsen Teil an Orten, wo nach den bisherigen Erfahrungen Nervenzellen nicht 
vorkommen. 

Wie soll man solche Nenrogliakerne resp. -Zellen auffassen ? 

Hierbei sind zwei Möglichkeiten vorhanden. Die eine wäre die, dals beim ausgebildeten 
Menschen eben viele der Neurogliazellen ihren Charakter als Astrocyten verloren haben. 
Eine ähnliche Auffassung findet sich schon bei Jastrowitz und Boll, in neuerer Zeit 
z. B. bei Petrone und Popoff. Auch K’ölliker sagt ausdrücklich ': „Ferner muls ich 
sagen, dals solche freie Zellkörper doch zu häufig und mit zu bestimmten Formen 
sich finden, als dals man sie nur für zufällig abgelöste Bestandteile der Golgischen Zellen“ 
(d. h. der Astrocyten) „halten könnte.“ 

Die meisten anderen Forscher freilich, die mit der Golgischen Methode gearbeitet 
haben, glauben nicht an diese „fortsatzlosen* Zellen, — aber die Golgische Methode 
macht diese eben nicht kenntlich, und so entgehen sie der Beobachtung. 

Wenn wir diese Möglichkeit zugeben, so mülsten wir sogar sehr reichliche 
Neurogliazellen als nieht zum Typus der Astrocyten gehörig betrachten, genau wie dies 
Jastrowitz und namentlich Boll schon geschildert haben. 

Es wäre aber noch eine zweite Möglichkeit vorhanden, nämlich die, dals viele dieser 


Zellen Astrocyten im alten Sinne des Wortes wären, d. h. dals sie nicht mit 


' Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 6. Auflage, Leipzig 1893. 2, Band, S. 150. 


— 99 — 


differenzierten, an sie nur angelehnten Fasern im Verhältnis eines Strahleneentrums 
stünden, sondern dals sie nichtfaserige, d. h. protoplasmatische Ausläufer 
besässen. Solche protoplasmatische, also echte Ausläufer sind aber, wie wir sehen werden, 
durch unsere Methode nicht sichtbar zu machen, wir können daher über ihre An- oder Ab- 
wesenheit kein Urteil abgeben und müssen die Entscheidung über diese zweite Möglichkeit 


often lassan. 


Wir haben soeben einen Gegensatz zwischen „Astrocyten im alten Sinne“ 
und unseren astroeytenähnlichen Gruppierungen der Fasern um die Kerne statuiert und 
haben im ersteren Falle von echten, d. h. protoplasmatischen Ausläufern, im letzteren von 
differenzierten, nur angelehnten Fasern gesprochen. 

Wie wir in der historischen Übersicht gesehen haben, haben so ziemlich alle Autoren 
die Anschauung, dafs ein solcher Gegensatz garnicht existiert, sondern dals auch im aus- 
gebildeten Körper, von dem hier allein die Rede ist (abgesehen von den fortsatzlosen Zellen), 
nur Astroeyten mit echten Ausläufern vorkommen. Nur Ranvier hat (freilich blofs 
für das Rückenmark) die Ansicht ausgesprochen, dals solche Neurogliazellen mit echten 
Fortsätzen zwar im Embryo vorkommen, dafs aber sonst die „Astrocyten* Gebilde mit nur 
angelehnten, differenzierten Fasern darstellen. ! 

Wer hatnun Recht? Ranvier (für das Rückenmark) und der Schreiber dieses 
(für das ganze Centralnervensystem) auf der einen, oder alle anderen Autoren seit From- 
mann auf der anderen Seite? ° 

Gegen Ranviers Lehre sind mancherlei Einwände erhoben worden, namentlich 


bestritt Golgi°® sogar die Thatsächlichkeit von Ranviers Befunden. 


ı Boll ist zwar in gewisser Beziehung ähnlicher Ansicht wie Ranvier gewesen, aber war sich 
doch nicht so klar, wie dieser, über den prinzipiellen Gegensatz der Fasern und Zellausläufer. In seinem 
Aufsatze nennt er die Fasern doch immer „Zellfortsätze*. 

2 Wegen Lloyd Andriezen vgl.8.38, Anm. Es muls ganz besonders darauf hingewiesen werden, 
dals sowohl bei Ranvier, als bei uns, der Kern dieser im Centrum von strahlig angelehnten Fasern 
liegenden Zellen ausgezeichnet sichtbar ist. Dieser Hinweis ist deshalb notwendig, weil vor kurzem 
Paladino gesagt hat (Bolletino della R. Academia mediea di Roma, 18%1. Fase. II, S. 8 des Sep.-Abdr.), 
Ranvier und ich hätten alternde Zellen vor uns gehabt, bei denen der Kern fehlte. Diese 
Meinung von Paladino ist um so merkwürdiger, als ja ein Bliek auf die Ranvierschen Zeichnungen, 
in denen die Kerne grofs und deutlich abgebildet sind, die Irrtümlichkeit einer solchen Annahme aufs 
klarste beweist. 

® Über die feinere Anatomie des Centralnervensystems (1885) in den gesammelten Abhandlungen. 
Jena 1894. S. 157. 


13* 


— 100° — 


Golgi giebt an, dafs er genau nach Ranviers Vorschrift sich Präparate hergestellt 
und doch niemals etwas anderes an den „Astroeyten“ gefunden habe, als dieselben Zell- 
ausläufer, die er auch in seinen eigenen, nach anderen Methoden hergestellten Präparaten 
gesehen hatte. 

Durch unsere Methode ist aber ganz sicher nachzuweisen, dals Ranvier doch richtig 
gesehen hat, so dals diesen positiven Resultaten gegenüber das negative, das Golgi erhalten 
hat, nicht in Betracht zu kommen brauchte. Aber bei einem so hervorragenden Forscher 
muls man sich doch wohl fragen, warum es ihm wohl nicht geglückt sein mag, die doch 
sicher richtigen Bilder von Ranvier zu Gesichte zu bekommen? Jedenfalls muls Golgi 
bei seiner Nachprüfung irgend etwas anderes gemacht haben, als Ranvier. Da sonst 
eine Abweichung kaum möglich war, so darf man wohl die Vermutung aussprechen, 
dafs die Verschiedenheit im Golgischen und im Ranvierschen Verfahren in der Piero- 
carminfärbung zu suchen sein dürfte. „Pierocarmin“ und „Pierocarmin* ist eben etwas ganz 
verschiedenes. Wenn man von der Kernfärbung absieht, die man mit einiger Sicherheit 
erreichen kann, so färbt das eine Picrocarmin so, das andere anders, je nach dem Präparate, 
das man gerade besitzt, und das ist der Grund, warum dieser Farbstoff jetzt schon so 
ziemlich aulser Gebrauch gesetzt ist, zumal man ja auch für die Kernfärbungen viel bessere 
andere Carmine hat. Wahrscheinlich war nun das von Ranvier benutzte Carmin so ab- 
gestimmt, dals es die Fasern, aber nicht, oder wenig, die Zellleiber färbte, während Golgis 
Pierocarmin beide in gleichem Tone tingierte und daher ununterscheidbar machte. 

Auch Ranviers Methode war übrigens eine noch unzureichende. Das geht daraus 
hervor, dafs er behauptet, im Grolshirn wären die Deitersschen „Zellen“ von anderer 
Beschaffenheit, wie im Rückenmark. Hier wären keine abgesetzten Fasern vorhanden, son- 
dern nur Protoplasmaausläufer der Zellen, ganz wie sie die früheren Autoren für sämtliche 
Deiterssche Zellen angenommen hatten, und wie er es selbst für de embryonalen 
Gebilde festgestellt hat. Kölliker hatte daher vollkommen Recht, wenn er diese An- 
gabe von Ranvier gegen dessen Auffassung der entsprechenden Zellen im Rückenmark 
verwertete, denn es ist gar kein Grund vorhanden, warum im Gehirn die Deitersschen 
Zellen auch beim Erwachsenen „embryonal“ geblieben sein sollten, während sie im Rücken- 
mark einen anderen Charakter bekommen hätten. Nun, dieser Einwand von Kölliker 
fällt jetzt einfach deshalb fort, weil auch im Grofshirn genau solche dem Zellleib nur an- 
gelehnte differenzierte Fasern nachzuweisen sind, wie im Rückenmark und wie über- 


hauptim ganzen Centralnervensystem des ausgebildeten Körpers. — 


— 101 — 


Man begnügte sich aber nicht damit, die Thatsächlichkeit von Ranviers Befunden 
zu bestreiten, sondern versuchte nach den herrschenden Anschauungen die anscheinenden 
Irrtümer von Ranvier zu erklären. So hat namentlich Golgi' und ihm folgend 
Kölliker? darauf hingewiesen, dafs das, was Ranvier für Fortsetzungen der Fasern im 
Innern und am Rande des Protoplasmaleibes angesehen hatte, einfach Faltungen waren, 
welche Fasern nur vortäuschten. Durch unsere Methode springt das Irrtümliche 
dieser Meinung sofort in die Augen. Es wäre geradezu wunderbar, wenn diese Faltungen 
so überwiegend häufig m den Verbindungslinien der präsumptiven Zellausläufer nicht 
nur, sondern auch in der Riehtung, die der jeweiligen Krümmung dieser Ausläufer ent- 
spricht, verlaufen sollten, so dals das Bild einer einheitlichen aus den zwei Ausläufern und 
der „Falte“ gebildeten Faser entsteht, und die beiden Ausläufer einerseits, die Falte anderer- 
seits nicht gesondert erscheinen. Ferner gelingt es niemals durch wirkliche Faltenbildungen, 
die zufällig da sind oder künstlich erzeugt werden, die entsprechende bei uns dunkel ge- 
färbte Faser vorzutäuschen. Wenn ferner die Fasern senkrecht zur Schnittfläche an der 


Zelle hinlaufen, so erscheinen sie als Punkte, — und ein Punkt kann doch keine Falte sein. 


Aber es wäre immerhin noch möglich, dafs durch Ranvier und unsere Methode 
zwar abgesetzte Fäden statt der Ausläufer dargestellt würden, dafs aber diese Dar- 
stellung auf irgend ein Kunstprodukt hinausliefe. Da die Ranviersche Methode noch 
eine sehr unsichere war, die ihren Erfinder für das Grolshirn, andere hervorragende 
Forscher, wie Golgi, überhaupt im Stiche lies, so lag diese Vermutung gewils nahe, und 
man kann es den Untersuchern nicht übel nehmen, wenn sie trotz der Veröffentlichungen 
von Ranvier an ihren altgewohnten Auffassungen festhielten. Aber unsere Methode 
mag sonst gar manches zu wünschen übrig lassen, in der uns hier beschäftigenden Frage 
ist sie ganz sicher, und da müssen wir denn sagen, nicht die Bilder von 
Ranvier, sondern dienach den alten Methoden erhaltenen Bilder 


waren Trugbilder. 


ı Gesammelte Abhandlungen. S 158. 


?2 Handbuch der Gewebelehre. 6. Auflage. 2. Bd. S. 149 f. 


— 192 — 


Die nach den alten Methoden und nach der Golgischen! erhaltenen Bilder be- 
deuten nämlich nur, dals bei diesen die Fasern und Zellleiber wegen ihrer gleichen Licht- 
brechung (Ranvier) oder gleichen Färbbarkeit nicht differenziert werden, so 
dals beide in chemischer (und morphologischer) Beziehung eins zu sein scheinen. Dals 
dies aber in der That nur Schein ist, das beweisen eben unsere Präparate, welche ganz 
sicher zeigen, dals Fasern und Zellleib im chemischen Sinne von einander durch- 
aus verschieden sind. Das ist aber der Kernpunkt der ganzen Frage, und 
die Wichtigkeit derselben mag es entschuldigen, wenn wir hier etwas genauer auf die in 
Betracht kommenden Verhältnisse eingehen. 

Die Sachlage ist hier genau dieselbe, wie bei allen chemischen und physikalischen 
Reaktionen. Zwei Körper, sagen wir z. B. Kalium- und Natriumverbindungen mögen noch 
so viele Reaktionen gemeinschaftlich haben, eine oder mehrere Reaktionen, die bei beiden 
verschieden ausfallen, entscheiden trotzdem auf das bestimmteste, dals beide Körper von 
einander verschieden sind. Diese lteaktionen brauchen garnicht im eigentlichen Sinne che- 
misch zu sein. In der organischen Chemie unterscheidet man zwei Stoffe, die sonst wer 
weils wie viele gemeinschaftliche chemische Eigenschaften haben, schon durch die Ver- 
schiedenheit des Siedepunktes oder durch die verschiedene Einwirkung auf das polari- 
sierte Licht. 

Nun sind die mikroskopischen Färbungen auch Reactionen, die wir immer als che- 
mische bezeichnen, obgleich sie möglicherweise physikalische, wenigstens unter Umständen, 
sind. Aber für uns Histologen ist diese Unterscheidung bedeutungslos. An diesen Grenz- 
gebieten verwischen sich ja die Gegensätze chemisch und physikalisch, und aulserdem würde 
ja auch die physikalische Reaktion immer von der Stofflichkeit der zu färbenden Gewebs- 
teile abhängen, — und um die handelt es sich ja nur. Sind die Färbungen, die Imprägna- 
tionen etc. Reaktionen, so folgt aus der gleichen Färbung zweier Grewebsteile die Gleich- 


heit der Stoftlichkeit beider nur sehr bedingt, gerade wie bei chemischen und physi- 


ı Mit der Golgischen Methode hat nur ein einziger Forscher den unsern entsprechende Bilder, 
wenigstens unter besonders günstigen Umständen erhalten. Das ist Lloyd Andriezen (The Neuroglia 
elements of the human Brain. British medical Journal 1893, 29. Juli). Er sagt S. 4 des Sep.-Abdr.: „With 
a wide angle of light perfeetly focussed and free from chromatic aberration and with equally good lenses 
the best preparations will show a very small quantity of protoplasm in the cell body, which, however, is 
mainly constituted of the meeting and intererossing fibres, Many of these neuroglia fibres 
pass right through the cell body.“ Wer Golgibilder kennt, wird allen Respekt vor einem 
Forscher haben, der diese feine Beobachtung machen konnte. 


ee — 


kalischen Reaktionen im engeren Sinne. Zwei Strukturelemente, die eine oder mehrere 
Farbenreaktionen gemeinsam haben, können eben doch chemisch (oder physikalisch s. 0.) 
verschieden sein, und man muss sie als verschieden auffassen, wenn irgend eine andere 
Färbung oder dergl. an den beiden Strukturelementen verschieden ausfällt (vorausgesetzt, 
dals die Färbungen sichere und konstante sind). So färben sich in unseren 
Präparaten Kerne und Neurogliafasern gleich, nichtsdestoweniger wird es keinem Menschen 
einfallen, in den Neurogliafasern Kernchromatin zu vermuten, denn irgend eine andere 
Kernfärbung lälst die Neurogliafasern ungefärbt. 

So färben sich aber auch die Fasern der Neuroglia und die Zellleiber gleich, wenn 
man Carmin, Nigrosin oder die Golgische Imprägnation benutzt. Beide sind aber trotz- 
dem als chemisch (s. 0.) verschieden zu betrachten, wenn auch nur eine einzige andere 
Methode sie als verschieden darstellt. Hier sind es aber sogar zwei Methoden, die 
Ranviersche und die unserige, die diese Verschiedenheit aufdecken. Bei der unserigen 
ist nicht blols eine Abstufung von hell und dunkel vorhanden, sondern man sieht den Zell- 
leib überhaupt nieht und kann ihn nur in der Umgebung des Kerns supponieren und das 
um so eher, als man ihn in denselben Präparaten mit anderen Methoden auch färben 
kann. Wenn daher Lenhossek! an meiner Methode tadelt, dafs man den Zellleib nicht 
sieht, so ist dies Moment für die vorliegende wichtige Frage nicht nur nichts 
Nachteiliges, sondern im Gegenteil aulserordentlich vorteilhaft, denn gerade das absolute 
Ausbleiben der Färbung (in Präparaten aus normalen Organen) lälst die chemische Ver- 
schiedenheit von Zellleib und Faser erst recht scharf hervortreten. 

Wir wollen uns aber die Methoden, durch welche Zellleib und Faser gleich erscheinen, 
etwas genauer auf ihre Leistungsfähigkeit in dieser Frage betrachten. 

Ueber die Unzuverlässigkeit des Lichtbrechungsvermögens ” bei der Beurteilung 
feinerer Strukturverhältnisse braucht man heutzutage nichts mehr zu sagen, hingegen muls 
in Bezug auf die hier in Betracht kommenden Tinktionen doch ausdrücklich darauf hinge- 
wiesen werden, dafs alle die Färbungen, welche einen Zusammenhang der 
Fasern mit demZellleib vortäuschen, nicht blofs mit Rücksicht auf Proto- 


plasma und Fasern, sondern ganz im allgemeinen aufserordentlich wenig 


? Der feinere Ban des Nervensystems, 2. Auflage. Berlin 1895, S. 186 f. 
> Es sei aber wieder daran erinnert, dafs Boll trotz der Schwierigkeit der Unterscheidung die 
Differenzierung der Fasern vom Protoplasma schon bemerkt hat. (Vgl. die historische Übersicht ) 


— 0 —- 


eleetiv sind. Neutrales Carmin, Nigrosin ete. färben ja im Centralnervensystem eigent- 
lich alles mit Ausnahme der Markscheiden. Es sind freilich geringfügige Unterschiede in 
der Intensität der Färbung in sofern vorhanden, als die gröberen Axencylinder dunkler 


tingiert erscheinen und dergl. Doch sind das keine prinzipiellen Färbungsauslesen. 


Noch weniger elektiv, als das heutzutage recht geringschätzig behandelte Carmin ete., 
ist nun aber die @olgische Imprägnation. Hier finden sich nicht einmal konstante Unter- 
schiede in der Intensität der Färbung, sondern alles kann wenigstens gleichmälsig dunkel 
oder hell imprägniert sein. Alle Elemente des Centralnervensystems mit Ausnahme der 
Markscheiden werden ja von der Golgi-Methode imprägniert: Nervenzellen mit ihren 
Dendriten und Axencylinderfortsätzen, Neurogliazellen und -Fasern, Ependymzellen, ja sogar 
Gefälse, freilich je nach der Laune der Tinktion jeder Bestandteil bald einzeln, bald in den 
verschiedensten, ganz unberechenbaren Kombinationen mit einem oder mehreren der anderen. 
Unelektiver, wenn man das Wort gebrauchen darf, kann schliefslich eine Methode kaum 
noch sein. Aber gegenüber dem Carmin ete. hat diese Methode noch einen sehr grofsen 
Nachteil. Bei den Färbungen im engern Sinne ist doch das eigentliche Strukturbild der 
Zellen noch so weit erkennbar, als es überhaupt durch Unterschiede der Lichtbrechung und 
geringfügiger Ditferenzen in der Färbungsintensität erkennbar sein kann. Bei der Golgi- 
Methode fallen aber die Strukturbilder wegen der Undurchsichtigkeit der Silberverbindung 
ganz oder so gut wie ganz fort, das gesamte imprägnierte System einer Zelle erscheint 
einfach als Silhouette. Selbst der Kern ist nur hier und da als hellerer Fleck angedeutet, 


ja sogar die Gefälse erscheinen oft nicht als hohle Röhren, sondern als solide Stränge. ! 


Was würde man aber sagen, wenn jemand auf den Resultaten der 
Golgi-Methode fulsend einem grofsen Teile der Zellen im Centralnerven- 
system die Kerne absprechen wollte? Jederman würde eine solche Behauptung 
energisch zurückweisen, denn man kann ja durch andere Methoden mit Leichtigkeit in allen 
Zellen den Kern sichtbar machen. Was aber den Kernen recht ist, ist den Neurogliafasern 


billig. Wenn anch die hier in Betracht kommenden neuen Methoden nicht so einfache sind, 


! Ähnlich ist das auch bei den Gallencapillaren ete. Während diese bei unserer Färbung als hohle 
Röhren mit einer verblüffend deutlichen Membran erscheinen, stellt sie die Golgifärbung als solide Bälk- 
chen dar. Ich konnte schon Anfang 1889, also ehe noch die anderen Färbungen der Gallencapillaren bekannt 
gegeben waren, Herrn Geheimrat Heidenhain in Breslau die nach meiner Methode gefärbten Präparate 
übersenden. 


— 105  — 


wie die Kernfärbungen, so sind sie doch eben so sichere, und mit Hilfe derselben gelingt 
es aufs klarste, Fasern und Protoplasma zu differenzieren. 

Wer sich also nieht genau desselben Fehlers schuldig machen will, 
wie einer, der die Kerne in den meisten Zellen des Centralnervensystems 
leugnet, der muls notgedrungen auch die gesonderte Existenz der Neuro- 
gliafasern gegenüber den Zellleibern zugeben. In keinem Falle ist aber gegen- 
über der Auffassung von Ranvier und von mir die Berufung auf die Resultate der 
Golgi-Methode irgendwie noch statthaft, so hervorragende Forscher auch bis 
jetzt noch immer mit dem Einwande kommen, dals Golgi-Bilder gegen unsere doch 
geradezu mit den Händen zu greifenden Befunde sprächen, um so weniger, als selbst mit 
der Golgischen Methode, freilich nur unter besonders glücklichen Umständen, unsere An- 


sicht bestätigt wurde (Lloyd Andriezen, vgl. oben S. 33 Anmerkung !). 


Wir können nach alledem mit der grölsten Sicherheit folgende Sätze aufstellen: 


1. Die Neurogliafasern, die man bisher als Fortsätze der 
Meivengselnen Zellem Aunacnalse Ina, Sana nee 
dem Protoplasma chemisch identische Gebilde, sondern 


sind von diesem stofflich durchaus verschieden. 


2. Die chemische Verschiedenheit tritt nicht etwa all- 
mählich in mehr oder weniger weiter Entfernung vom 
Zellen Ha Glan „RoruwReezene erbır, BOomol@nın. Glie Mihnrez 
renzierung besteht von Anfang an, schon in unmittel- 


barer Nähe des Zellkerns. 


3. Die meisten der sogenannten Fortsätze der Zellen sind 


überhaupt schon aus dem Grunde keine Fortsätze, weil 


! Ganz unverständlich ist mir eine Bemerkung Golgis geblieben, der als Grund gegen die Ran- 
viersche Auffassung anführt, dals die „Zellausläufer“ sich in inniger, komplizierter Weise mit den Gefäls- 
wänden in Verbindung setzen (Ges. Abh. S. 158). Warum sollten „Fasern“ sich nieht in ebenso inniger und 
komplizierter Weise an die Gefälse ansetzen resp. zu ihnen hinstreben? Sehen wir doch ähnliches an den 
elastischen Fasern gerade gegenüber den Gefälsen, aber auch gegenüber anderen Gewebsteilen., Im Übrigen 
ist der Ansatz der Neuroglia an die Gefälse garnicht etwas so spezifisches, sondern nur die Teilerscheinung 
eines allgemeinen topographischen Gesetzes, das wir später kennen lernen werden, 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 14 


— 106 


bei ihnen je zwei anscheinende Ausläufer einen an der 
Zelle vorbeilaufenden gemeinschaftlichen Faden bilden. 
Dieser wird durch den Zellleib in keiner Weise unter- 
brochen, wie das doch bei „Ausläufern“ der Fall sein 
mülste, die ja jeder einzeln von dem Zellleibe ihren 
Ursprung nehmen würden. Mit einem Worte: Es handelt sich 
hier garnicht um Fortsätze oder Ausläufer von Zellen, sondern um 


Fasern, die vom Protoplasma vollkommen differenziert sind. 


Wenn daher Frommann, später Golgi und letzterem folgend 
so ziemlich alle neueren Autoren gesagt haben, dafs die Neu- 
roglia nur aus Zellen und deren Fortsätzen besteht, So trifft 
dies beim Menschen nur für die Embryonalzeit zu. Im ausge- 
bildeten normalen Zustande besteht die Neuroglia aus Zellen 
und au[lserdem aus Fasern, von denen die letzteren in räumlicher 
Ausbreitung so kolossal überwiegen, dals man sie als den wesent- 


licheren Bestandteil der Neuroglia ansehen muls. 


— li 


3. Abschnitt: 


Über die Neuroglianatur der durch die neue Methode 
gefärbten Fasern. 


Im vorigen Abschnitt haben wir nachzuweisen gesucht, dals die von uns differenziell 
gefärbten Fasern dem entsprechen, was man bisher irrtümlicherweise als Ausläufer der 
Deitersschen Zellen angesehen hat. Demzufolge haben wir die Fasern in Überein- 
stimmung mit sämtlichen Autoren als „Neuroglia*-Fasern, zunächst vorläufig, bezeichnet. 
Wenn diese Bezeichnung eine definitive werden soll, dann müsfte aber der Beweis, 
dafs man es hier mit Neuroglia, d. h. mit einer nichtnervösen Zwischensubstanz zu thun hat, 
entweder schon früher erbracht sein, oder jetzt erst geliefert werden. 

Wir werden zunächst zeigen, dals bisher wirkliche Beweise für die Neuroglianatur 
der Fasern resp. der zu ihnen gehörigen Zellen in der normalen Histologie nicht vorliegen. 

Von denjenigen älteren Beweisen, die sich auf einen unmittelbaren Zusammenhang 
von gewissen Fasern des Centralnervensystems mit denen der Pia mater, d. h. mit echten 
Bindegewebsfasern stützten, können wir ohne weiteres absehen, denn die seitherigen Unter- 
suchungen von Frommann an haben ergeben, dafs ein solcher Zusammenhang garnicht 
existiert. Wir können auch die Deitersschen Beweise nicht als stringente anerkennen, so 
hoch man auch seine Bestrebungen schätzen muls, die ihn als fast einzigen veranlalsten, 
nach neuen Kriterien für die Bindesubstanznatur gewisser Bestandteile im Centralnerven- 


system zu suchen. 


Über seine Annahme, dafs die „schwammig-poröse“ Masse in den grauen Substanzen 
Neuroglia wäre, weil sie einen von den Zellen emanzipierten Bestandteil darstellte, 
brauchen wir garnicht zu reden, denn wir wissen jetzt, dals diese Masse weder von den 
Zellen emanzipiert, noch Neuroglia ist. — Die nach ihm benannten Gebilde ferner hielt er 
deshalb für Bindegewebszellen, weil sie keine typischen Protoplasmaleiber hätten und daher 
nicht eigentliche Zellen, sondern Zellaequivalente darstellten. Abgesehen davon, dals diese 

14 


— 108 — 


Ansicht keine Anerkennung gefunden hat, indem alle Autoren die Deitersschen Zellen 
auch wirklich für echte Zellen halten, geht die Unbrauchbarkeit dieses Beweises für 
unsere Frage schon daraus hervor, dals Deiters von demselben Gesichtspunkte aus- 
gehend, echt nervöse Gebilde für bindegewebige Elemente erklärt hat (die Körner im Klein- 
und Grolshirn). 

Sieht man von pathologisch-anatomischen Gesichtspunkten ab, so bleibt nunmehr als 
Beweis für die Neuroglianatur gewisser Formbestandteile des Centralnervensystems nur der 
(schon von Virchow benutzte) Beweis per exelusionem übrig, den man z. T. unbewulst 
nach dieser oder jener Richtung hin gemacht hat, d.h.man betrachtete das als Neu- 
roglia, was man aus irgend einem Grunde nicht für nervös ansehen konnte. 
Ein solcher Beweis kann unter günstigen Umständen durchaus genügend sein. Gerade aber 
beim Centralnervensystem sind der Fallstricke so viele, dafs man mit einem Schlusse 
per exelusionem aulserordentlich vorsichtig sein mufs. 

So haben es die älteren Autoren für ganz selbstverständlich gehalten, dals zwischen 
den markhaltigen Fasern in der weilsen Substanz des Rückenmarks keine nervösen Elemente 
vorhanden wären, und dals demnach alles, was zwischen diesen Fasern läge, einer Binde- 
substanz entsprechen müsse. Jetzt wissen wir, dafs dort massenhafte Collateralen von 
Axencylindern verlaufen, dals also durchaus nicht alle Fasern, die man da sieht, notwen- 
diger Weise Neuroglia sein müssen, wie die älteren Forscher ohne weiteres glaubten. 
Auch in der Umgebung des Centralkanals im Rückenmark enthält die von den älteren 
Autoren für ganz nervenfrei gehaltene hintere Commissur reichliche Nervenfasern. Die 
„moleculare Masse“ in den grauen Substanzen nun gar, die man auch für nicht nervös, 
also für etwas „bindegewebiges“ hielt, hat sich als so reich an nervösen Elementen erwiesen, 
dals für eine „moleceulare Masse“ bei den höheren Geschöpfen eigentlich kaum Platz 
zu sein scheint. 

Nicht anders, wie bei Beurteilung der Fasern und granulierten Massen, ging man bei 
Beurteilung der Deitersschen Zellen vor, nachdem man darauf verzichtet hatte, die von 
dem Entdecker derselben vorgebrachten allgemeinen Gesichtspunkte zu verwerten. Man 
findet bei keinem der Autoren jener Zeit auch nur den Versuch gemacht, die nichtnervöse 
Natur der Deitersschen Zellen zu beweisen, für so selbstverständlich hielt man es, 
dals sie ihrem ganzen Aussehen nach nicht nervös sein könnten. Dieser Schluls per 
exclusionem gründete sich aber nur darauf, dals sie nicht so aussahen, wie die damals 


allein bekannten grofsen Nervenzellen. Wie ungerechtfertigt ein solcher Schluls war, 


— 109° — 


geht schon daraus hervor, dals man von demselben Gesichtspunkte ausgehend wieder, wie 
schon Deiters, sicher nervöse Teile für Neuroglia erklärte. So hielt z. B. auch Golgi 


noch 1871 die Körner des Kleinhirns für nicht nervöse Gebilde. 


Seit den aufserordentlichen Erfolgen der Golgischen Methode hat man freilich in 
ihrer wahren Natur auch solche Ganglienzellen erkannt, von deren Existenz man früher 
garnichts wulste, und man hat es fertig gebracht, diese Ganglienzellen mit allen ihren Aus- 
läufern darzustellen. Aber gerade jetzt, nachdem man so vieles, was man früher der Neu- 
roglia zurechnete, als nervös erkannt hat, gerade jetzt glaubt man erst recht, dals die 
Deitersschen Zellen nach der Gestalt, die sie bei Chromsilberimprägnation zeigen, 
absolut nicht Ganglienzellen sein können, d. h. dals sie per exelusionem der Neuroglia 


entsprechen mülsten. 


Dieser Schluls wäre zutreffend, wenn die Kriterien, nach denen man die nervöse 
Natur der Deitersschen Zelle blofs nach der Form ihrer Silhouette bei Anwendung 
der Golgischen Methode ausschliefsen zu können glaubt, wirklich sichere wären und 


keine Ausnahme gestatteten. 


Da sowohl Ganglienzellen als Astroeyten bei der Chromsilbermethode aus einem Zell- 
körper und aus Ausläufern zu bestehen scheinen, so könnten die Momente, die für einen 
fundamentalen Unterschied beider Zellarten sprechen sollten, entweder an den Ausläufern 


oder am Zellkörper, oder an beiden gefunden werden. 


1. Betrachten wir zuerst die Ausläufer der Deitersschen Zellen, so könnte ein- 
mal der Unterschied gegenüber denen der Ganglienzellen in einem wesentlichen Cha- 


rakteristikum oder in der einfachen Form der Fortsätze zu finden sein. 


a) Was den Charakter der Ausläufer betrifft, so wissen wir, dals die Nerven- 
zellen zweierlei wohleharakterisierte Arten von Ausläufern haben sollten, 
Dendriten und Axencylinderfortsätze. Die Deitersschen Zellen zeigen eine 
solche Differenzierung ihrer Fortsätze nicht, und wenn in der That die 
Ganglienzellen diese beiden Arten Ausläufer stets scharf differenziert auf- 
wiesen, so wäre hiermit ein fundamentaler Unterschied beider Zellarten schon 
aus der Form der Silhouette zu entnehmen. Aber dieser scharfe Unterschied 
zwischen Dendriten und Axencylinderfortsätzen findet sich wohl bei dem ver- 


breitetsten Typus der Ganglienzellen, aber durchaus nicht bei allen. 


' — 10 — 


«) Es giebt Nervenzellen, welche gar keine Dendriten besitzen, z. B. die 
Zellen der Spinalganglien ' und solche in den peripherischen Geflechten 
des Sympathieus. Diese haben nur Axencylinderfortsätze. 

£ß) Umgekehrt giebt es vielleicht Nervenzellen ohne Axencylinderfortsatz, 
die dann also nur Dendriten besälsen, z. B. in der Körnerschicht des 
Bulbus olfactorins und in den peripherischen Sinnesapparaten. ° 

y) Es giebt Nervenzellen, bei denen die gewiegtesten Kenner noch nicht 
einig darüber sind, wie man ihre Fortsätze deuten soll. Zu diesen 
gehören eventuell die sub 3 angeführten, dann aber auch z. B. die 
tamon y Cajalschen Zellen der Grofshirnrinde, deren Fortsätze so 
unbestimmt charakterisiert sind, dals Retzius diese Zellen zuerst ? gar- 
nicht als Nervenzellen anerkennen wollte, und dafs er auch dann, als 
er ihre wahre Natur erkannt hatte, sagte:* „Unter den Fortsätzen der 
fraglichen Zellelemente ist es nun aber schwer, charakteristische Unter- 
schiede aufzufinden; man trifit zwar diekere und dünnere Fortsätze an, 
doch zeigen dieselben keine Eigenschaften, durch die sich Axeneylinder 
und Protoplasmafortsätze bestimmt unterscheiden.“ Die Unsicherheit 
der Beurteilung dieser Fortsätze geht auch daraus hervor, dals von 
zwei andern Antoritäten, die eine, Ramön y Cajal, den betreffenden 
Zellen viele Axencylinderfortsätze, die andere, van sehuchten, aber 
nur einen einzigen zuschreibt. 

Mit einem Worte, wenn auch die grolse Mehrzahl der anerkannten 
Ganglienzellen zwei wohlcharakterisierte Arten von Fortsätzen besitzt, so giebt 


es doch Ausnahmen, welche beweisen, dals echte Nervenzellen diese typischen 


ı Ramön y Cajal betrachtet zwar den einen Axencylinderfortsatz, den cellulipetalen, als Dendriten, 
doch kann sich das nur auf die funktionelle Natur desselben beziehen, denn im histologischen Sinne, 
auf den es uns hier allein ankommt, ist doch ein Fortsatz, der zum Axeneylinder eines markhaltigen Nerven 
wird, unter allen Umständen ein Axencylinderfortsatz. 

2 Vgl. Kölliker, Gewebelehre, 6. Auflage, 2. Bd, S. 43. Bei diesen Zellen steht freilich die Deu- 
tung der Ausläufer noch nieht ganz fest. Man kann sie daher eventuell in die Kategorie y rechnen. 
Vgl. Golgi, Gesammelte Abhandlungen, S. 51, und Ramön y Cajal, Notas preventivas sobre la retina y 
gran simpätico. Barcelona 1891. S. 4f. 

3 Über den Bau der Oberflächenschicht der Grofshirnrinde beim Menschen und bei den Säugetieren. 
Verhandlung des Biologischen Vereins in Stockholm. Bd. 1. 1891, 15. März, 

* Biologische Untersuchungen, Neue Folge. V. Bd. No, 1 und 2. Stockholm 1893. 8. 7. 


— 11 — 


Formen der Fortsätze nicht zu besitzen brauchen. Ist das aber einmal 
festgestellt, so liegt a priori nicht der geringste Grund dagegen 
vor, dafs die Deitersschen Zellen nicht eine weitere Ausnahme 
unter den Nervenzellen darstellen sollten. Man brauchte sich auch darüber 
garnicht aufzuregen, dals die Fortsätze der Deitersschen Zellen so wenig 
typisch sind, dafs sie der eine sämtlich für (sehr zahlreiche) Axeneylinder- 
fortsätze, der andere vielleicht sämtlich für Dendriten, der dritte vielleicht 
für beides erklären würde, denn solche unbestimmten Ausläufer kommen ja 


auch bei echten Ganglienzellen vor. 


b) Wenn aber auch in dem Charakter der Fortsätze (Axeneylinderfortsatz und 
Dendriten) kein fundamentaler Unterschied zwischen beiden Zellarten zu finden 
ist, so wäre es doch möglich, dals trotzdem die blolse Form der 
(unbestimmten) Ausläufer der Deitersschen Zellen genügte, um 
diese unter allen Umständen von den Nervenzellen abzutrennen. Da die Aus- 
läufer der letzteren sich verzweigen, so wäre ein sicherer Unterschied dann 
vorhanden, wenn alles das, was an den Astrocyten bei der Golgischen 
Färbung als Fortsatz erscheint u. zw. an allen sogenannten Neurogliazellen 
absolut unverzweigt wäre. 

Wäre aber auch nur die Möglichkeit einer Verzweigung der Ausläufer 
von Zellen zugegeben, die man der Neuroglia zurechnet, so würde das nicht 
mehr genügen, um eine unüberbrückbare Kluft zwischen Nervenzellen und 
Astrocyten zu statuieren. Nun sind aber alle Autoren ' darüber einig, dals 
bei Anwendung der Golgischen Methode die „Neurogliazellen“ spärlichere 


oder reichlichere Verzweigungen zeigen. Besonders reichliche werden an den 


ı Lenhossek scheint zu meinen, dals Golgi noch immer an der Annahme einer fast absoluten Un- 
geteiltheit der Fortsätze festhalte. Dem ist aber nicht so. Anfangs (1871) hatte er zwar angenommen, dafs 
nur beim Beginne der Fortsätze solche Teilungen (und da auch nur selten) vorkommen. Später hat er aber 
seine Meinung etwas geändert. An Isolationspräparaten, die er zur Kontrolle von Ranvier anfertigte, hat 
er gefunden (Ges. Abhandl. S. 157f.), dafs man ihre Teilungen in der Nähe ihres Ursprungs zwar häufiger 
sieht, „aber oft verzweigen sie sich auch in grolser Entfernung davon.“ Colella nun gar hat in neuerer 
Zeit aus Golgis Laboratorium eine Arbeit veröffentlicht, in der er au embryonalen Zellen sogar sehr 
reichliche Verzweigungen beschreibt (de nombreux ramuscules secondaires longs et courts naissent sur 
le trajet.....ils se terminent librement par une riche arborisation en patte d’oie). Archives ital. de 
Biologie. Bd. 20. S. 214. 


— m. — 


„Kurzstrahlern“ beschrieben, die noch dazu als mit den Langstrahlern durch 
vielerlei „Übergänge“ verbunden geschildert werden !, — und das genügt, um 
zu konstatieren, dals das Vorhandensein der Verzweigungen oder das 
Fehlen derselben keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Nervenzellen 


und Neurogliazellen ergiebt. 


Auch die Art der Verzweigungen ist bei der grolsen Mannigfaltigkeit, 
mit der sich die Nervenzellen verzweigen, zur Unterscheidung nicht zu ver- 
wenden: man wird zwischen den Verzweigungen der „Neurogliazellen* und 
denen der Nervenzellen stets Analogieen finden können. 

2. Die Körper beider Zellarten zeigen keine prinzipiellen Diffe- 
renzen. Bei den Neurogliazellen ist er ja im allgemeinen recht klein, aber wenn man 
z. B. die Doppelpyramiden am Lobus piriformis? betrachtet, so findet man hier gerade so 
kleine Zellkörper, und umgekehrt bildet z. B. van Gehuchten Neurogliazellen ab, die 
einen so mächtigen Protoplasmaleib besitzen, dals sie jede Ganglienzelle darum 


beneiden könnte. ° 


3. Noch weniger sind gewisse secundäre Hilfsmittel geeignet, fundamentale 
Unterschiede zwischen Neurogliazellen und Nervenzellen aufzustellen. Manche geben an, 
dals sich die ersteren bei der Golgischen Methode mehr rostbraun, statt schwarz, färben, 
dals sie sich schneller als letztere imprägnieren und dergl. Aber man kann sich leicht 
überzeugen, dals diese Unterschiede sehr schwankende sind. Auch Nenurogliazellen färben 
sich oft schwarz, die Ganglienzellen auch rostbraun, und neben den anfangs hauptsächlich 
gefärbten Astroeyten finden sich doch immer einige Nervenzellen mitgefärbt. Damit ist 


also auch nichts anzufangen. 


4. Das ausschlaggebende Moment aber, welches aufs deutlichste be- 
weist, dals absolute, d. h. sichere Differenzen zwischen den beiden Zell- 
arten nicht bestehen, ist das, dals die ersten Autoritäten unter Umständen zweifel- 


haft sein können, ob bestimmte Klassen von Zellen Neurogliazellen oder Nervenzellen 


ı Vgl. darüber Kölliker, Gewebelehre, 6. Auflage. 2. Band. 8. 144 ff. 


2 Kölliker, Über den Fornix longus von Forel und die Riechstrahlungen im Gehirn des Kanin- 
chens. Anatomische Gesellschaft. 1894. Figur 1. 


° La melle €piniere et le cervelet. La Cellule. Bd. 7. 1891. Fig. 38 und 42. 


— 13 —= 


sind, und dafs sie sich in der Diagnose irren können. Wir haben das bereits 
von den Ramön y Cajalschen Zellen der Grolshirnrinde erwähnt; es sei auch noch an 
die Korbzellen in der Schicht der Purkinjeschen Zellen erinnert. Und so kam denn 
sogar Kölliker'! bei Besprechung dieser Korbzellen zu der resignierten Bemerkung: „Da 
durch Silber nach Golgis Methode Neurogliaelemente und Nervenzellen 
sich färben, so ist eine Entscheidung nicht leicht und bleibt eine solche 


in erster Linie dem Takte und der Erfahrung des Einzelnen überlassen.“ 


5. Auch die Histogenese läfst uns bei dem Suchen nach scharfen Unterschieden im 


Stich, denn beide Zellarten haben eben denselben Ursprung. 


Nehmen wir alles zusammen, so können wir demnach sagen: Die Kriterien, 
nach welchen man die nervöse Natur der Deitersschen Zellen ausschlielsen 
zu können glaubt, sind keine sicheren, d. h. eine Ausnahme nicht ge- 
stattenden. Der Schlufs per exelusionem auf ihre Neuroglianatur kann daher richtig 
ausgefallen sein, aber wenn er richtig war, so war das nur „die Folge einer glücklichen 
Divination, aber nicht die einer stringenten Beweisführung,“ um einen Deitersschen Satz 


zu wiederholen. 


Wir haben bisher die Möglichkeit, dafs jemand den Deitersschen Zellen eine nervöse 
Natur zuschreiben könnte, nur als „problema“ behandelt. Es wird daher von Interesse 
sein, dals in der That im neuerer Zeit eine Arbeit Colellas erschienen ist, die dieses 
Problema zur Wirklichkeit zu machen sucht, und zwar stammt die Arbeit aus keinem ge- 
ringeren Laboratorium, als aus dem von Golgi. Da die Arbeit aus diesem Laboratorium 
kommt, verdient sie wohl Beachtung. Es sei ganz speziell darauf hingewiesen, dafs es sich 
in den nachfolgenden Sätzen Colellas? um die Natur der embryonalen Neuroglia handelt, 
nicht etwa um ihre Abstammung aus nervösem Material. Das beweisen die Anfangs- 


worte deutlich genug. Colella sagt wörtlich: 


„Leur“ (d.h. der Deitersschen Zellen) „mode d’origine n’est pas 
un argument de&cisif pour juger de leur nature et le champ reste 


ouvert & de nouvelles recherches pour savoir, si les elements 


ı Das Kleinhirn, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. 49. 1890. S. 675. 
* Sur l’histogen?se de la nevroglie dans la moelle Epiniere. Archives ital. de biologie. Bd. 20, S. 212 ff. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 15 


_— 114 — 


de la nevroglie de la moelle £&piniere sont de nature nerveuse, &pi- 
theliale ou connective. Pourtant les recherches de Magini sur les systemes de 
filaments epitheliaux se colorant comme les fibres nerveuses a myeline et celles de 
Caporaso et Sgotto sur la propriete de l’epithelium du canal central chez les tritons et 
les larves des grenouilles tendrent a assigner aA la nevroglie embryonnaire 
une nature nerveuse.” 

Welche nervöse Rolle die Neuroglia spielen soll, wird allerdings in dem sehr kurzen 
Aufsatze nicht gesagt; man mülste ihr wohl eine ganz besondere Aufgabe zuschreiben, 
vielleicht irgend eine sympathische. Aber man braucht sich darüber nicht den Kopf zu 
zerbrechen. Die „nouvelles recherches“, die Colella mit Recht verlangt, sind von uns 
angestellt, und von jetzt an kann nicht mehr der geringste Zweifel darüber 
existieren, dals wenigstens die Neuroglia, die den sogenannten Fortsätzen der 
Deitersschen Zellen, in specie der „Langstrahler“ entspricht, eine echte Intercellular- 


substanz ist, d. h. im morphologischen Sinne eine „nature connective“ besitzt. 


Wenn wir uns nämlich auf den Standpunkt stellen, zu welchem die Ranviersschen 
und unsere Untersuchungen die Basis abgeben, so ist der Boden, den wir unter den Fülsen 


haben. doch nicht mehr ein so schwankender, wie das bisher der Fall war. 


1. Durch unsere Untersuchungen ist zunächst auch ein Schluls per exclusionem 
möglich: Unsere Färbung tingiert, wenn wir von den hier nicht in Betracht kommen- 
den Zellkernen absehen, überhaupt nichts, was nach allen geltenden An- 
schauungen als nervös betrachtet werden kann, d. h. weder Ganglienzellen, 
noch ihre Protoplasmafortsätze, noch Axencylinder. Dieser Schluls per exelusionem ist viel 
sicherer, als die bisherigen, denn er stützt sich nicht, wie diese, auf die immerhin 
schwankenden Formen, sondern auf eine chemische Reaktion, u. zw. auch wieder 
nicht von dem so unsicheren Gesichtspunkte einer Gleichheit der Reaktion, sondern von 
dem einer Verschiedenheit derselben aus. Wir haben ja S.38f. gesehen (und auch die 
von Colella erwähnten Untersuchungen von Magini'! dürften wieder zur Warnung dienen), 


dafs man eine gleiche histochemische Reaktion nur sehr bedingt als Kriterium benutzen 


ı Die Arbeit von Magini ist mir unbekannt. Das obige Urteil ist durch die Bemerkung bei 
Colella veranlafst, 


— ll) — 


kann. Um so sicherer ist aber ein Schlufs, der sich auf die Verschiedenheit der 
chemischen Reaktion stützt, die unter allen Umständen einer stofflichen Ver- 


schiedenheit entspricht. — 


2, Aber wir brauchen uns mit diesem Schlusse per exelusionem nicht zu begnügen, 
wir haben noch andere, positiv beweisende Gründe, dals wir es hier mit einer echten 


Intercellularsubstanz zu thun haben. 
Was ist denn eine echte Intercellularsubstanz? 


Wie wir in der historischen Übersicht gesehen haben, hat sich auch Deiters diese 
Frage vorgelegt. Seine Antwort gab er mit einer von Max Schultze herrührenden 
Definition. Nach dieser sind Intercellularsubstanzen „modifizierte Zellsubstanzen, die sich 
von den Zellleibern emanzipieren und dann nicht mehr als unmittelbar damit zusammen- 


gehörig betrachtet werden können.“ 


Man wird sich weiter erinnern, dafs Deiters auf dieser Definition fulsend die mole- 
eulare, von ihm schwammig-porös genannte Masse der grauen Substanzen für Intercellular- 
substanz erklärt hat. Da nun diese seine Annahme sich seitdem als irrig herausgestellt hat, 
so muls in der Schultzeschen Definition oder in der Deitersschen Verwendung derselben 
ein Fehler liegen, den wir natürlich vermeiden müssen. 

In der That hat Deiters nachzuweisen unterlassen, dals die schwammig-poröse Masse 
modifizierte Zellsubstanz ist. Er hat sich damit begnügt, dafs diese Massen mit den 
Zellleibern anscheinend nicht mehr unmittelbar zusammenhängen, — eine Ansicht, die der 
Wirklichkeit nicht entsprach und nur durch die damals übliche Methodik vorgetäuscht 
wurde. Wäre aber der Zusammenhang auch mit unseren jetzigen Methoden nicht 
nachweisbar, so folgte daraus noch lange nicht, dals die schwammig-poröse Masse Inter- 
cellularsubstanz ist, denn zu dieser gehört auch der Nachweis einer Modifikation der 
„emanzipierten“ Zellsubstanz, 

Wir können aber ferner auch die Schultzeschen Anforderungen an eine echte Inter- 
cellularsubstanz noch strenger formulieren. Wir brauchen uns nicht mit dem unbestimmten 
Worte „Modifikation“ zu begnügen, sondern können fordern, dals die modifizierten Massen 


kein echtes Protoplasma mehr sind. 


Sind nun bei unseren Fasern die beiden Erfordernisse Modifikation 
zu nichtprotoplasmatischen Substanzen und Emanzipation vom Zellleibe 
erfüllt? Diese Frage kann man wohl mit der gröfsten Bestimmtheit bejahen. 


15* 


— 16 — 


a) Die Modifikation der Zellsubstanz, aus der diese Fasern ja doch nach den 
embryologischen Untersuchungen herstammen, ! ist ganz auffallend. Die Fasern 
reagieren auf die neue Farbe, das Protoplasma garnicht, Ja, nicht nur das 
Protoplasma der Deitersschen Zellen färbt sich durch unsere Tinktion nicht, 
sondern alle normalen Protoplasmen färben sich entweder nicht, oder sogar in 
der Kontrastfarbe. Hier ist demnach ein fundamentaler Gegensatz vorhanden, 
auf der einen Seite das Zellprotoplasma, auf der anderen Seite ein typischer 


Faden, an dem man gewils nichts protoplasmatisches bemerken kann. 


b) Dieses Moment allein würde aber nicht genügen. Das geht daraus hervor, 
dafs auch der Axencylinder modifiziertes Zellprotoplasma ist, das sich 
färberisch vom Protoplasma des Zellleibes, wenigstens graduell, unterscheiden 
lälst. Aber dieser Axencylinder ist nirgends vom Zellprotoplasma „emanzipiert*, 
er geht sicher in dieses hinein, seine Eigenheiten ganz allmählich verlierend. 

Zum Nachweis einer Intercellularsubstanz gehört eben noch die Emanzi- 
pation vom Zellleibe, und, wie wir gesehen haben, ist diese bei den in 
tede stehenden Fasern, im Gegensatz z. B. zu den Axencylindern, eine ganz 
vollkommene. Die Fasern stehen nur in Contiguität mit dem Zell- 
leibe, sie sind mit ihm nicht, wie gerade die Axencylinder, als Ausläufer 
verbunden, sondern die zu- und abführenden Teile des Fadens, wenn man 
diese Ausdrücke brauchen darf, sind miteinander so innig vereinigt, dals sie 
eben etwas zusammenhängendes, eine gemeinschaftliche Fibrille darstellen, 
die glatt über die anliegende Zelle hinwegläuft. 

Auf diese Weise tritt die Neuroglia endlich wieder durch- 
aus in die Reihe der Bindesubstanzen, aber wohlgemerkt nur 
vom morphologischen Standpunkte aus. 

Gerade wie bei den typischen mesodermatischen (mesenchymatischen, para- 
blastischen) Bindegewebsarten ist diese eigenartige Bindesubstanz des 
Centralnervensystems aus Zellen und aus davon unabhängiger, hier sogar, wie 


beim collagenen Bindegewebe, faseriger Zwischensubstanz zusammengesetzt. 


! Sollte jemand der Meinung sein, dafs die Fasern garnicht aus der Zelle, sondern von vornherein inter- 
cellular entstünden, so bedürfte es gar keines Nachweises einer Modifikation der Zellsubstanz, dann wären 
die Fasern selbstverständlich „Intercellularsubstanz“. Aber soviel ich sehe, ist es weder für die Neuroglias 
noch für das Bindegewebe möglich, einen solchen Standpunkt einzunehmen. 


— zT — 


3. Ja noch mehr. Sie verhält sich nicht nur morphologisch absolut wie eine echte, 
wenn auch besonders geartete Bindesubstanz, sondern auch pathologischer Weise 
reagiert sie genau in derselben Weise, wie das typische Bindegewebe. Wie 
dieses immer da wuchert, wo das spezifische Parenchym zu Grunde geht, so wuchert auch 
die Neuroglia, wie allbekannt, und wie sich mit unserer Methode erst recht nachweisen 
läfst, immer dann, wenn das spezifische Gewebe seines Organs, d. h. das Nervengewebe, zu 


Grunde gegangen ist. 


Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergiebt sich folgendes: 


Dievon uns gefärbten Fasern sind als nicht nervöse Inter- 


cellularsubstanz aufzufassen, 


1. weilbeiunserer Färbungalles nervöse ungefärbt bleibt, 
die Fasern sich aber dunkelblau tingieren (Schlufs per 


exelusionem), 


2. weil die Fasern eine modifizierte, nicht mehr proto- 
plasmatische, und vom Zellleib emanzipierte Substanz 


biessutzien® 


3. weil sich die Fasern (und die dazu gehörigen Zellen) 
pathologischer Weise ganz wie eine Bindesubstanz ver- 
halten, d. h. wuchern, wenn das spezifische, nervöse Ge- 


webe zu Grunde geht. 


— 118 — 


4. Abschnitt: 


Verhältnis der Neurogliafasern zu etwaigen anderen Neuroglia- 
substanzen und zum Bindegewebe. Chemisches. 


Durch unsern Nachweis, dafs die Neurogliafasern als echte faserige Intercellular- 
substanz zu betrachten sind, ist auch gleichzeitig der bisher noch ausstehende Beweis 
geliefert, dafs wenigstens die typischen Deitersschen Zellen nicht nervöse, sondern 
gliöse Zellen sind. Diese vermeintlichen Zellen sind ja nichts anderes, als wirkliche Zellen 
mit dicht anliegenden, von ihnen als von einem Centrum ausstrahlenden Neurogliafasern. 
Sie sind die Bruchstücke des Neurogliagerüstes, in denen die Fasern mit den Zellen in 
Contiguität getroffen werden. 

Desgleichen gilt dieser Nachweis auch für diejenigen embryonalen Zellen, von denen 
wir wissen, dafs sie später jene fädige Intercellularsubstanz erzeugen, also für die 
typischen Langstrahler, so weit sie mit Sicherheit als solche zu erkennen 
sind. Ebenso würde dieser Beweis unter derselben Voraussetzung des sicheren Erkennens 
für diejenigen Langstrahler gelten, welche etwa auch im späteren Leben ihre embryonale 
Natur noch beibehalten haben, eine Möglichkeit, deren wir S.34f. gedacht haben. Auch bei 
diesen könnte man annehmen, dafs sie gelegentlich noch einmal in die Lage kämen, fädige 
Intercellularsubstanz entstehen zu lassen. 

Aber damit ist auch alles erschöpft, wofür unsere Beweisführung in Betreff der 
Neuroglianatur gilt. Schon die sogenannten Kurzstrahler und alle anderen ähnlichen 
Formen gehören nieht zu den Gewebsbestandteilen, von denen man mit irgend welcher 
Sicherheit annehmen könnte, dals sie eine vom Zellleib differenzierte Zwischensubstanz 
erzeugen. Ebenso wenig gilt das für diejenigen Gebilde, welche Ranvier und Lloyd 
Andriezen als „protoplasmatische Gliazellen der Grolshirnrinde“ beschrieben 
haben. Alle diese Zellen entziehen sich nicht nur dem Nachweis durch unsere Methode, 


sondern auch all den Kriterien, die wir zur stringenten Beweisführung für ihre Neuroglia- 


— 119 — 


natur als notwendig erkannt haben. Die Kurzstrahler ete. und die protoplasmatischen 
Zellen können Neurogliaelemente sein, sie können es auch nicht sein, es fehlt 
jeder Beweis nach der einen oder andern Richtung, und wir müssen daher eine Beur- 
teilung derselben durchaus ablehnen. 

Wir müssen uns ferner jedes Urteils über alle anderen Arten Zwischensubstanzen im 
Sinne der Autoren durchaus enthalten. Wir sehen ja in unseren Präparaten nichts von 
einer molekularen, netzförmigen oder glasigen „Grundsubstanz“, nichts von der 
spongioblastischen Neuroglia imHis schen Sinne, nichts von einer Hornspongiosa. 
Diese letztere hat, um dies besonders zu betonen, mit unseren „Neurogliafasern“ nichts zu 
thun. Abgesehen davon, dals die äufsere Erscheinung des Gerüstes dieser Hornspongiosa 
von unseren Bildern ganz abweicht, so hat sie auch schon aus dem Grunde mit unseren Neu- 
rogliafasern nichts gemein, weil sie sich auch innerhalb der Markscheiden (selbst der 
peripherischen Nerven) vorfindet, welche bei unserer Methode ganz leer erscheinen. Aus 
demselben Grunde hat unsere Neurogliafaserung nichts gemein mit dem von Paladino 


geschilderten „Nevroglio mielinico“, ! worüber wir ebenfalls jedes Urteil ablehnen. 


Im Anschluls an die Frage, ob die Neurogliafasern Hornsubstanz darstellen, sei auch 
noch die nach etwaigen anderen chemischen Beziehungen dieser Fasern hier gleich 
mit abgemacht. 

Zunächst muls konstatiert werden, dals unsere Fasern mit denen des leimgebenden 
Bindegewebes chemisch absolut nicht übereinstimmen. 

Schon Henle und Merkel haben solche chemische Unterschiede zwischen dem 
echten Bindegewebe und zwischen dem, was sie molekulare Massen nennen, aufgestellt. ? 
Die molekularen Massen im Sinne von Henle und Merkel entsprechen aber so 
ziemlich dem, was wir jetzt als faserige Neuroglia auflassen. 

Kochendes Wasser löst leimgebendes Bindegewebe, die „molekulare Masse“ aber 
nicht, umgekehrt wird diese, aber nicht das Bindegewebe, durch successive Einwirkung von 


Kalilauge und Wasser zerstört. Auf eine weitere Differenz hat Boll aufmerksam gemacht.” 


! Dei limiti preeisi tra il nevroglio e gli elementi nervosi del midollo spinale. R. acad. di Roma. 
XIX. Fasc. 2, 189, 

® Über die sogenannte Bindesubstanz der Centralorgane des Nervensystems, Zeitschrift für rationelle 
Medizin. 3. Reihe. Band 34 (1869). S. 59. 

3 Archiv für Psychiatrie. Bd. 4, S, 20. 


— 120 — 


Essigsäure macht die Fasern zwar etwas erblassen, läfst sie aber nicht zu unsichtbaren 
Massen verquellen, wie das bei Bindegewebsfasern der Fall ist. Auch bei unserer Färbung 
verhält sich Bindegewebe und Neuroglia verschieden. 

Wir können ferner sagen, dals die Gerlachsche vielfach acceptierte Annahme, die 
Neurogliafasern wären elastische, durchaus irrig ist, so verführerisch für diese Auf- 
fassung das starrgeschwungene Aussehen der Neurogliafasern auch sein mag. Einmal 
färben sich elastische Fasern nach unserer Färbung absolut nicht, sodann aber kann man 
umgekehrt nachweisen, dals sich unsere Fibrillen nicht mit den für elastische Fasern 
geeigneten Methoden tingieren, und endlich spricht die geringe Widerstandsfähigkeit der 
Neurogliafasern gegen postmortale Einflüsse und gegen Kalilauge ohne weiteres gegen die 
Identifizierung derselben mit elastischeu Fasern. — 

Weiterhin mufs noch der Beziehung zum fädigen Fibrin gedacht werden. Arndt! 
sagt darüber: 

Bi . Allein, dafs alles Bindegewebe sei, was sich in dieser Weise“ (sc. wie es 
Jastrowitz beschreibt) „präsentiert, und das in Sonderheit die Kerne, welche im 
Marklager zwischen den Nervenfasern liegen, das wage ich auch heute 
noch zu bestreiten ...... Die Balken und Fasern, in und an denen sich jene Kerne, 
unter denen sicherlich auch manches weilse Blutkörperchen ist, vorfinden, halte ich dem- 
nach für Gerinnsel von Lymphe, der sich nach dem Tode und während der Präpa- 
ration eine nicht unerhebliche Menge von Mark, das sich aus den Scheiden ablöste, bei- 
gemischt hat.“ 

Bei unserer Methode färbt sich in der That auch Fibrin, wenn solches z. B. in den 
Gefälsen vorhanden ist, mit. Wollte man aber aus dieser gleichen Reaktion einen Schluls 
auf eine chemische Gleichheit machen, so würde man wieder in den von uns so oft ge- 
rügten Fehler verfallen. Dann mülste man auch die Membranen der Gallenkapillaren, die 
doppeltlichtbrechende Substanz der Muskeln, die Zellkerne ete. für Fibrin erklären. Man 
kann sich gerade tinetoriell von der Verschiedenheit der Neurogliafasern und des Fibrins 
überzeugen. 

Macht man nämlich an einem gewöhnlichen Alkoholpräparat die richtige, von uns 
angegebene Fibrinfärbung, so färbt sich zwar das Fibrin, aber nicht die Neuroglia. Aber 
man braucht diese färberische Reaktion garnicht, denn dals unsere Fasern resp. die 


‘ Zur Histiologie des Gehirns, Archiv für Psychiatrie. Band III. S. 470f. 


— BI — 


sogenannten Deitersschen Zellen ein einfaches Gerinnungsprodukt sein könnten, ist schon 
aus dem Grunde absolut ausgeschlossen, weil die grolse Regelmälsigkeit in der Beschaftenheit 
der Geflechte, die für jede bestimmte Stelle des Centralnervensystems feststeht, von 
vornherein einer Gerinnung im Sinne Arndts und auch, wie wir gleich hinzufügen 
wollen, im Sinne Schwalbes widerspricht. Gerinnungen vorher flüssiger Massen haben 
stets etwas wechselndes, zufälliges an sich, was sich mit jener Regelmälsigkeit durchaus 
nicht verträgt. 

Schwalbe war zu seiner Meinung durch Injektionsresultate gekommen. Injektions- 
massen dringen nach ihm anstandslos zwischen die Nervenfasern ein, so dals also nach 
seiner Meinung kein fester Kitt die Fasern veremigen kann. Das ist gewils ganz richtig, 
aber die Neurogliafasern sind eben gar kein fester Kitt, sondern isolierte Fasern, zwischen 
denen Injektionsmasse noch genug Platz hat, und zwischen die sie daher leicht ein- 
dringen kann. — 

Auch unverändertes Protoplasma können die Neurogliafasern nicht sein, wie wir 
mehrfach hervorgehoben haben — aber positiv können wir über ihre Natur noch nichts 
aussagen. Von den negativen Resultaten ist das wichtigste, dals sie von allen 


Fasern des gewöhnlichen Bindegewebes ganz verschieden sind 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 16 


5. Abschnitt: 


Besprechung der histogenetischen Stellung der Neuroglia. 


Wir haben gesehen, dals die Neuroglia, soweit sie überhaupt in sicher nachweisbarer 
Gestalt auftritt, durchaus dem Typus des gewöhnlichen Bindegewebes entspricht, d. h. aus 
Fasern und aus Zellen besteht, die mit diesen Fasern im ausgebildeten Zustande sich nur 
in Contiguität befinden. Trotz dieser Übereinstimmung des Typus im Bau, weicht die 
Neuroglia aber morphologisch und chemisch so bedeutend von dem gewöhnlichen Binde- 
gewebe ab, dals sie schon dadurch eine ganz eigenartige Sonderstellung gewinnt. Diese 
Sonderstellung behält sie bei, ja zeigt sie noch deutlicher unter pathologischen Verhältnissen: 
niemals wird aus Neuroglia „Bindegewebe“ oder umgekehrt. 

Wohl kann es vorkommen, dals Neurogliafasern ins Bindegewebe (die Pia mater) 
hineinwachsen, aber dann verwandelt sich nicht das Bindegewebe in Neuroglia, sondern die 
Fasern der letzteren stehen in unmittelbarem Zusammenhange mit denen im angrenzenden 
nervösen (rewebe, sie sind also nur über ihre natürliche Grenze hinaus gewachsen, das 
3indegewebe verhält sich ihnen gegenüber aber ganz passiv. 

Zu diesen chemischen, morphologischen und allgemein-biologischen Unterschieden 
zwischen Neuroglia und Bindegewebe kommt nun aber noch der histogenetische. Seit 
Vignal' die Ansicht, dals die Neuroglia eetodermatischen Ursprungs sei, zuerst bestimmt 
ausgesprochen hat, hat sich dieselbe immer mehr und mehr die Anerkennung der Autoren 
errungen, und namentlich seitdem durch die Golgische Methode gerade die Untersuchung 
der embryonalen Verhältnisse aufserordentlich gefördert worden ist, sind fast alle Autoren 


zu Vignals Anschauungen übergetreten. 


Man hat die Entwicklung der Neuroglia sowohl im phylogenetischen, als im onto- 


genetischen Sinne mit der Golgischen Methode erforscht und ist dabei ziemlich allgemein 


* Archives de physiologie. 1884. 


— 23 — 


zu der Ansicht gekommen, dals die Deitersschen Zellen nichts sind, als ausgewanderte 
Zellen der in epithelialer Form angeordneten Eetodermzellen der Medullarplatte. 

Die unterste Stufe in dieser Entwickelungsreihe, die aber bis hoch in die Säugetier- 
reihe hinein, andeutungsweise noch bis in den ausgebildeten, erwachsenen Zustand hin sich 
erhält, ist die, dals die Epithelzellen des Centralkanals resp. die der Ventrikelwände lange 
Fortsätze peripheriewärts aussenden, die das ganze (Gebiet des betreffenden nervösen 
Centralorgans durchsetzend bis an die Pia mater reichen. Kürzere Fortsätze der Epithel- 
zellen im Centralnervensystem sind schon lange bekannt. Schon Hannover hat sie ge- 
sehen, aber ihre Deutung als Stützsubstanz, die sich namentlich auf den Nachweis der Ver- 
längerung der Fortsätze bis zur Pia mater stützt, ist neueren Ursprungs. Für gewöhnlich 
wird diese Entdeckung Golgi zugeschrieben, doch macht schon Lenhossek! darauf 
aufmerksam, dals bereits Hensen 1876 die Fortsätze der Epithelzellen bis zur Pia hin 
verfolgt hätte. Aber auch Hensen ist nicht der Entdecker dieser Thatsache, ist auch 
nicht derjenige, welcher zuerst aus ihr den Rückschluls gemacht hat, dals man es hier mit 
einer Stützsubstanz zu thun hat. Beide Verdienste kommen einzig und allen Mauthner 
zu, der schon 1861 (Wiener acad. Sitzungsber.) mit kurzen, aber absolut klaren Worten die 
Sachlage festgestellt hat. Um dem verstorbenen Gelehrten wieder zu seinem Rechte zu 
verhelfen, sei die betreffende Stelle hier wörtlich wiedergegeben: 

„Die den Centralkanal auskleidenden Epithelzellen mit den 
von ihnen ausgehenden Fortsätzen, von welchen einzelne Forscher, wie 
Stilling, zu glauben geneigt sind, dals sie nervöse Gebilde seien, sind unbedingt 
Samıtz dien Horvsärtzen der Pia matter dem Stütze webe des Rücken- 
marks beizuzählen Ich war namentlich so glücklich, im obersten 
Teil des Hechtrückenmarks von den nach rückwärts gelegenen 
Epithelzellen des Centralkanals kolossale Fortsätze abgehen zu 
sehen, welche ohne mit irgend welchen anderen zelligen Elementen 
in Zusammenhang zu treten, bisan die Peripherie des Rückenmarks 
gelangten und inden Fasern der Pia mater untergingen.“ 

Durch Anwendung der Golgischen Methode war es nun ein leichtes, die Existenz 
solcher bis zur Pia reichender Epithelfortsätze als etwas ganz regelmälsiges in den früheren 


Stadien der Ontogenese und Phylogenese nachzuweisen, und die Reste der mit solchen Aus- 


ı Der feinere Bau des Nervensystems, 2. Auflage, 1395. S. 210, 


16* 


— 


läufern versehenen Epithelien selbst im ausgebildeten Säugetiere aufzufinden. Jetzt konnte 
man auch durch den Nachweis von Zellgebilden, die man als Übergangsformen zu den 
eigentlichen Deitersschen Zellen auffassen konnte, die Ansicht aufstellen, dafs ontogenetisch, 
wie phylogenetisch die letzteren Zellen sich aus den Epithelzellen der Medullarplatte, d. h. 
aus denen der Ventrikel und des Centralkanals entwickeln. 

Den meisten Lesern dieser Arbeit werden die Thatsachen, um welche es sich hier 
handelt, bekannt sein. Für diejenigen, welche in dieser Frage aber nicht orientiert sind, 
wird es vielleicht wünschenswert sein, ein Referat über den Stand der Angelegenheit zu 
bekommen. Wir benutzen für ein solches die Arbeit von Sala y Pons: La Nenroglia de los 
Vertebrados (Madrid 1894). Wir wählen diese, einmal weil die Darstellung eine sehr gute 
ist, und dann, weil für manche Leser ein Bericht gerade über die Arbeit von Sala y Pons 
erwünscht sein dürfte, da dieselbe nur spanisch erschienen ist und daher nicht jedermann 
zugänglich sein dürfte. Der Bericht ist in Petitschrift gedruckt, so dals ihn diejenigen, 
die mit den Fragen vertraut sind, überschlagen können. 

Sala y Pons sagt, dafs die Nervenzellen, die ja vom Eetoderm abstammen, eigent- 
lich den alten Familientraditionen folgen und wie ihre Brüder, die Epithelien, in unmittel- 
barer Beziehung mit einander hätten stehen müssen, oder höchstens durch eine spärliche 
Kittsubstanz hätten getrennt sein dürfen. Aber unter diesen Verhältnissen hätten sie ihre 
Bestimmung nicht erfüllen können, da dann jede isolierte Übertragung von nervösen Strömen 
unmöglich gewesen wäre. Die mesodermatischen Elemente zu Hilfe zu rufen, war unmög- 
lich; durch diese konnten sie also die für sie so nötige Isolierung nicht bekommen, und so 
verwandelten sich denn von Anfang an, während ein Teil der Zellen aus der Anlage des 
Centralnervensystems zu dem höheren Range der Nervenzellen sich entwickelte, andere 
Zellen zu Neurogliazellen um. Diese opferten freilich ihren Ehrgeiz, wurden aber doch zu 
einem zwar bescheidenen, aber immerhin sehr nützlichen Gewebsbestandteil, ohne den das 
richtige Funktionieren der Nervenmaschine nicht möglich gewesen wäre. (8. 6.) 

Sala y Pons giebt dann weiter eine Zusammenfassung der von ihm, Lenhossck, Ramön y 
Uayalete. gewonnenen Resultate. Zunächst (S. 36) stellt er vom ontogenetischen Standpunkte aus fest, 
dals die primitiven Zellen, welche sich als Stützsubstanz zwischen die nervösen Elemente einschieben, die 
epithelialen Zellen sind. Ihre Körper bilden einen Wall, der die inneren Höhlen der nervösen Centralorgane 
begrenzt (Ependym). Sie sind mit Wimpern versehen und schicken einen feinen Fortsatz nach aulsen hin, 
der das ganze Organ durchsetzt und „mit dem charakteristischen Conus“ unter der Pia mater ansetzt (S. 37). 
Nach einiger Zeit vollzieht sich bereits der Übergang dieser Körper, indem der radiale, peripherwärts 


laufende Fortsatz sich teilt und an bestimmten Stellen dornige Anhänge erhält. Durch die Verzweigungen 


Een: = 


im peripherischen Teile des Fortsatzes wird der Ansatz an die Pia mater fester als vorher, und die Fortsätze 
ziehen nun gewissermalsen mit amöboiden Bewegungen den Zellkörper mehr nach aufsen, so dals immer 
weniger Elemente die innere Oberfläche begrenzen, und diese daher bei fortschreitender Entwicklung kleiner 


wird, so zwar, dafs schlielslich beim Erwachsenen die Höhlen sehr reduziert sind. ! 


Je weiter die Entwicklung fortschreitet, desto mehr nähert sich der Zellkörper der äulseren Ober- 
tläche, wobei er unregelmälsiger und zottiger wird und nur die Fixierung an der Pia mater und die noch 
vorhandene radiäre Orientierung zeigt noch an, dafs man es mit einem Abkömmling der Epithelzellen zu 
thun hat, Ein Sehritt weiter und die Verbindung mit der Pia hört auf, der Zellkörper liegt frei mitten in 
der nervösen Substanz, nach allen Richtungen seine Fortsätze aussendend, die zart und gebogen (flexuosos) 
sind und so den Charakter der wahren Spinnenzellen aufweisen. Es handelt sich also bei der Bildung der 
letzteren weder um eingewanderte Mesodermzellen, noch um indifferente Abkömmlinge des 


Eetoderms, sondern die Epithelien wandeln sich Schritt für Schritt in Spinnenzellen um, 


(S. 35.) Diese ontogenetische Stufenfolge macht sich auch phylogenetisch geltend, ja auch unter den 
verschiedenen Abteilungen des Centralnervensystems einer und derselben Tierart haben diejenigen, welche 
eine ältere Abstammung haben, differenziertere Formen, als die, die auf einer kleineren phylogenetischen 
Ahnenreihe beruhen. So finden wir bei den Vögeln im Rückenmark und Kleinhirn richtige Spinnenzellen, im 
Grofshirn aber Übergangsformen. Bei Amphibien und Reptilien finden wir Übergangsformen im Rückenmark; 
in der Hirnrinde und im Lobus optieus aber als Stützsubstanz nur epitheliale Zellen. Ja, in denselben 
Organen finden wir Unterschiede. So bei den Fischen. Hier sind im eigentlichen Kleinhirn Neurogliazellen 
vorhanden, die denen der Säugetiere ähneln, in der Valvula cerebelli aber primitive Formen, durchaus ent- 
sprechend dem Umstande, dafs die Valvula cerebelli der Fische auch sonst einen mehr embryonalen 
Charakter besitzt. 


Man kann nach Sala y Pons ferner zeigen, dals beiderlei Formen, die epithelialen und die Dei- 
tersschen Zellen, sich inder Verriehtung derselben Funktion ersetzen können. So sind 
einzig und allein epitheliale Zellen als Stützsubstanz bei geringerer ontogenetischer oder phylogenetischer 
Entwicklung vorhanden (Rückenmark der Fische. Hirnrinde der Amphibien und Reptilien, nervöse Central- 
organe der Säugetiere am Anfang der Entwicklung), während umgekehrt die Spinnenzellen bei höheren Ent- 
wieklungsstufen das Feld beherrschen (Rückenmark der Vögel und Säugetiere, Hirnrinde und Kleinhirn der 
letzteren), in den Zwischenstufen (Hirnrinde, Lobus opticus der Vögel) finden sich sowohl epitheliale Zellen, 
als solehe Elemente, welche sich genügend der Spinnenzellenform nähern. Dem entspricht es auch, dafs mit 
der Zunahme der Dieke der Organe die epithelialen mit ihren Fortsätzen bis zur Peripherie reichenden 


Stützzellen mehr und mehr abnehmen. — 


ı Sala übersieht dabei, dafs die Verengerung nur eine relative ist, Absolut genommen ist ja die 
Oberfläche der Ventrikelhöhlen eines erwachsenen Menschen z. B. ungeheuer viel gröfser, als die eines mensch- 
lichen Embryo. Es findet also keine Verminderung, sondern eine erhebliche Vermehrung der 
Ependymzellen statt. 


Bee 


So weit die Salasche Darstellung. Ganz so einfach ist freilich die Sache nach 
Ansicht anderer Autoren nicht. Selbst diejenigen, welche durchaus auf dem Standpunkt 
stehen, dals die Neuroglia ectodermatischen Ursprungs ist, weichen in mancher Hinsicht von 
den Meinungen ab, die bei Sala vorgetragen werden. 

So ist z. B. schon Lenhossek,! dem wir sehr sorgfältige Arbeiten über die Em- 
bryologie der Neuroglia verdanken, nicht ganz mit Sala y Pons in Uebereinstimmung. 
Auch nach seiner Meinung entstehen zwar Astrocyten in der Weise, dals die mit langen 
Fortsätzen versehenen Ependymzellen nach aufsen rücken, u. zw. Ependymzellen, die ganz 
denen entsprechen, welche bei ganz jungen Embryonen die allemige Stützsubstanz darsellen, 
also Flimmern („ein Härchen“) tragen und einen peripherischen, bis zur Pia reichenden 
radiären Fortsatz besitzen. Aber, und hierin liegt eine wesentliche Differenz gegenüber 
Sala y Pons, nur ein Teil der Deitersschen Zellen, wenigstens der höheren Säuge- 
tiere, entsteht auf diese Art, für einen anderen Teil kann man dies nicht nachweisen, 
sondern dieser entsteht in einer von den Ependymzellen nicht so direkt abhängigen Weise. 
„/iemlich unvermittelt tauchen, wenn der Embryo (sc. der menschliche) ungefähr 20 Cm. 
lang ist, die Spinnenzellen schon in ihrer charakteristischen Form ... .. auf, und bei vielen 
fehlt jeder Hinweis darauf, dafs sie sich aus den Radiärzellen entwickelt haben. Dann ist 
die Zahl der späteren Spinnenzellen im menschlichen Rückenmark auch viel zu grols, als 
dals man sie alle auf frühere Radiärzellen, die eine viel beschränktere Zahl aufweisen, 
zurückführen könnte.“ (S. 234.) Er meint daher, dals diese Zellen durch einen caenogenetisch 
abgekürzten Entwickelungsmodus entstehen, indem sie nicht durch jenes radiär -faserige 
Stadium hindurchgehen, sondern aus Keimzellen entstehen, die anfangs fortsatzlos 
sind, sich aber bald mit allseitig sie umgebenden Fortsätzen versehen. 

Noch weiter gehen Vignal und Kölliker. Sie lassen alle Neurogliazellen aus 
indifferenten Zellen entstehen, von denen einige Neuroblasten, andere Ependymfaser- 
zellen, noch andere Spinnenzellen erzeugen. 

Nach der Ansicht der bisher genannten Autoren, die gegenwärtig von den meisten, 
auch von Retzius, geteilt wird, gehen aber diese (auch die nach der Meinung einiger 
Forscher indifferenten) Anlagen der Spinnenzellen aus dem Ectoderm der Medullaranlage 


hervor, nicht aus mesoblastischen Einwanderern. Dieser Ansicht schliefst sich auch 


! Der feinere Bau des Nervensystems, 2. Auflage, 1895. 


Schrader an, dessen Auffassung der einschlägigen Verhältnisse uns weiter unten 
besonders beschäftigen wird. 

Aber so verbreitet gegenwärtig diese Ansicht auch ist, ganz ohne Gegner ist sie 
nicht. Nicht nur, dals einige, Laechi und Valentiz. B., einen gemischten Ursprung 
der Deitersschen Zellen annehmen, d. h. sie teils aus dem Eetoderm entstehen, teils 
aus dem Mesoderm einwandern lassen, so hat vor allem kein geringerer, als His, eime 
absolut andere Auffassung der Entstehung der Spinnenzellen, wie Vignal, Kölliker, 
Ramön y Cajal, Lenhossek, Retzius etc. Auch er nimmt zwar an, dafs aus 
dem Eetoderm der Medullarplatte ein Teil der Zellen nicht zu Nervenzellen (Neuroblasten) 
wird, sondern eine Gerüstsubstanz erzeugt, aber gerade diese letzteren Zellen, die 
„Spongioblasten“, haben mit den Deitersschen Zellen garnichts zu thun. Die 
Deitersschen Zellen sind vielmehr nach His sämtlich eingewanderte mesoblastische 
Gebilde, die also gar keine Beziehung zu der ecetodermatischen Anlage des Centralnerven- 
systems besitzen, d. h. diejenige Neuroglia, die wir nunseren Präparaten allein 
nachweisen können, ist echte Bindesubstanz auch im histogenetischen Sinne, wenn wir uns 
der Ansicht von His anschlielsen: — — 

Wir haben in Kürze den gegenwärtigen Stand der Frage nach der histogenetischen 
Stellung der Neuroglia im vorstehenden besprochen, und wir müssen nun untersuchen, wie 
unsere eigenen Anschauungen mit den embryologischen Erfahrungen in Einklang zu bringen 
sind. Zunächst kann man wohl das eine sagen, dafs en doppelter Ursprung der von 
uns dargestellten Neuroglia im höchsten Grade unwahrschemlich ist." Die Neuro- 
eliafasern in unseren Präparaten sind morphologisch und chemisch so einheitlich und so 
charakteristisch beschaffen, dals man nicht glauben kann, ein Teil derselben entstamme dem 
Mesoderm, ein anderer dem Eetoderm, also zwei sehr verschiedenen Ursprungsstellen. Es 
bliebe also nur die Möglichkeit übrig, dals unsere Neuroglia insgesamt entweder mesoder- 
matischen oder ectodermatischen Ursprungs wäre. 

Leider ist unsere Methode für embryologische Untersuchungen nicht geeignet, da ja 
in den früheren, hier allein in Betracht kommenden Entwickelungsstufen noch keine abge- 
setzten Fasern bestehen. Wir können daher nur theoretisch untersuchen, in welcher 
Weise unsere Resultate mit den von anderen Autoren gewonnenen Anschauungen in Ein- 
klang zu bringen sind.] 


ı Wenn im folgenden von Neuroglia kurzweg gesprochen wird, so ist darunter nur die in unseren 


Präparaten in Form blauer Fasern hervortretende gemeint, 


En 


Nach der Ansicht von His würden unsere Erfahrungen ja ohne weiteres verständlich 
sein, wie wir oben schon andeuteten. Wäre der mesodermatische Ursprung der 
Deitersschen Zellen anzunehmen, so wären diese eben Bindegewebszellen, und die von 
ihnen erzeugten Fasern wären Bindegewebsfasern, die sich den Zellen gegenüber immer 
selbständig verhalten, d. h. im fertigen Zustande keine Protoplasmafortsätze derselben 
repräsentieren. 

Der Annahme dieser Ansicht würde auch der Umstand nicht widersprechen, dals 
die Neuroglia (in unserem Sinne) so vielfach vom echten collagenen Bindegewebe abweicht, 
denn auch andere Gewebe derselben Gruppe zeigen solche Abweichungen, z. B. das 
elastische. Man mülste sich ja so wie so vorstellen, dals die Einwanderung jener Elemente 
in sehr früher Zeit erfolgt ist, in der die Ursprungszellen der Bindesubstanzen noch nicht 
definitive Bildungen darstellen und daher sehr wohl eine besondere von den übrigen Binde- 
substanzen abweichende, nur für das Centralnervensystem bestimmte Abart erzeugen könnten. 

Leider aber muls man auf diesen bequemen Ausweg verzichten. Die Beweise für 
den eetodermatischen Ursprung der Neuroglia sind, zumal sie mit verschiedenen Methoden 
gewonnen wurden, so zwingende, und andererseits sind die positiven Beläge für einen 
mesodermatischen Ursprung der Deitersschen Zellen so wenig stichhaltige,' dals uns mit 
der Hisschen Annahme gar nicht gedient ist. 

Dasselbe gilt für die Ansicht von Jastrowitz. Der Leser erinnert sich vielleicht 
(vgl. die historische Übersicht), dals Jastrowitz den Knoten dieser verwickelten Frage 
einfach durchgehauen hat, indem er das Ependymepithel für ein Endothel erklärte. Auf 
diese Weise konnte er ganz gut einen genetischen Zusammenhang zwischen „Spinnenzellen“ 
und Ependymzellen annehmen, nur hielt er nicht letztere für die Matrix der ersteren, 
sondern umgekehrt die Spinnenzellen für die Matrix der ebenfallsbindegewebigen 
Ependymendothelien. Aber (abgesehen davon, dals flimmernde Endothelien denn doch 
etwas unerhörtes wären) sind seitdem die Beweise für die ectodermatische, also epitheliale 
Natur der Ependymzellen so zwingende geworden, dals Jastrowitz wohl selbst seine 
alte Auffassung längst verlassen haben wird. 

Es bleibt uns also nichtsübrig, als einen einheitlichen ectoder- 
matischen Ursprung der Deitersschen Zellen, d.h. der Neuroglia in 


unserem Sinne anzunehmen. 


ı Vgl. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 6. Auflage. 2. Bd. S. 141. 


u) 


Auch jetzt wäre noch eine Möglichkeit denkbar, um zwar den eetodermatischen 


Ursprung der Neuroglia zuzugeben, aber die Paradoxie ihrer epithelialen Natur zu 


vermeiden. Schrader! hat nämlich am Kleinhirn der Teleostier gefunden, dafs das 
epitheliale Stützgerüst etwas vorübergehendes, embryonales ist, während das definitive 
Neurogliagerüst aus indifferenten heterologen Zellen vom Eetoderm her entsteht. 
Diese Zellen brauchten also (worüber Schrader sich aber nicht ausspricht) garnicht 
epithelial im Sinne des ausgebildeten Körpers zu sein, sondern könnten schlielslich gerade 
so gut bindegewebig sein, wie die aus der epithelartigen Entodermanlage hervor- 
gehenden Mesodermzellen. Die Ectodermzellen der Medullarplatte mülsten demnach 


„bindegewebige Determinanten*“ mitbekommen haben, wie die Zeugungszellen das Keimplasma. 


Aber wenn man auch zugeben kann, dafs gerade am Kleinhirn die „caenogenetische“ 
Abart der Neurogliabildung im Sinne von Lenhossek das dominierende ist, so kann von 
einer Verallgemeinerung der Schraderschen Befunde nicht die Rede sein. Es liegen 
eben doch zu viele Beobachtungen vor, aus denen hervorgeht, dafs die mannigfaltigsten 
directen Übergänge von Epithelien zu Neurogliazellen vorkommen, ohne dals ein hetero- 
loges Zellmaterial sich dazwischen schiebt. 

Ja, diese Übergänge bleiben bei manchen Tieren sicher, bei den höchsten, selbst 
beim Menschen, vielleicht durch das ganze Leben erhalten, wenigstens in Gestalt der 
sogenannten Ependymfasern. Mit einem Worte, die Neuroglia hat nicht nur 
eine genetische Beziehung zum Ectoderm im allgemeinen, sondern 
ganz speciell zu einem richtigen Epithel auch im eigentlichen, 


postembryonalen Sinne. 


Da nun die Neuroglia den Typus einer Bindesubstanz hat, so ist die Annahme einer 
wirklich epithelialen Natur derselben gewils eine sehr paradoxe. Weil aber die Thatsachen 
eine andere Auffassung nicht gestatten, so hilft alle Angst vor dem paradoxen nichts, man 
muls sich eben darein fügen. 

Man wird sich um so eher mit dem paradoxen dieser Verhältnisse abfinden, als das 
Epithel der Medullarplatte noch ganz andere ebenfalls sehr paradoxe, von dem Ver- 
halten aller übrigen Epithelien abweichende Eigenschaften besitzt. Ganz abgesehen davon, 
dafs diese Epithelien in einer Weise, die man bei anderen Epithelmassen garnicht kennt, 


ı Die morphologische und histologische Entwicklung des Kleinhirns der Teleostier. Morpholog. Jahr- 
bücher. Bd. 21. S. 625 ff. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 17 


=. 130,7 


im höheren Alter von interstitiellen Fasern durchwachsen werden, so ist vor allem das 
histogone Verhalten der Medullarplatte ein ganz eigenartiges, paradoxes. Sie erzeugt ja 
aus ihren Epithelzellen die so reich verzweigten Nervenzellen, also (ganz abgesehen von 
deren physiologischem Charakter) in ihrer Form durchaus von anderen Epithelabkömmlingen 
abweichende Elemente. Die nervösen Zellen haben ferner in früher Embryonalperiode ein 
ebenfalls bei epithelialen Gebilden sonst ganz unerhörtes Wanderungsvermögen. Auch die 
Formen der embryonalen Neurogliazellen weichen ihrer zahlreichen langen Ausläufer 
wegen von allen sonstigen Epithelien ab. Unter diesen Verhältnissen kommt es schlielslich 
garnicht darauf an, ob zu den übrigen paradoxen Eigenschaften der Abkömmlinge der 
Medullarplatte noch eine weitere dazu kommt: die Erzeugung differenzierter Fasern, für die 
wir an den übrigen Epithelien nur eine ganz entfernte Analogie in der Erzeugung 
von Cutieularsubstanzen finden. Es ist aber mit Beziehung auf diese letzteren vielleicht 
doch nicht so ganz zufällig, dals unsere Methode auch diese differenziert zu färben gestattet. 

Man wird sich demnach vorzustellen haben, dals die Natur auf zwei ganz ver- 
schiedenen Wegen denselben morphologischen und biologischen Effekt erreicht: sie erzeugt 
Bindegewebe als Stützsubstanz vom Mesoderm aus, Neuroglia als Bindesubstanz 
vom Ecetoderm aus. Wenn man sich jüber die von fanderen Epithelien so abweichende 
Form der Neurogliazellen in ihrem Embryonalzustande nicht gewundert hat, so mag man 
sich auch mit der Modifizierung und Emanzipierung der faserigen Bestandteile im ausge- 
bildeten Körper abfinden. — — 

Alle die Auseinandersetzungen in diesem Abschnitte sind nur, so zu sagen, vom 
grünen Tische aus gemacht. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit 
haben die Embryologen zu sprechen. Aber, wie auch ihre Ent- 
scheidung ausfällt, um die Thatsache, dafs die Neuroglia morpho- 
logisch und biologisch sich wie eine Bindesubstanz verhält, kann 


man jetzt nicht mehr herumkommen. 


— 131 — 


6. Abschnitt: 


Anderweitige histologische Eigenschaften der Neurogliafasern. 


Wir hatten bis jetzt von histologischen Eigentümlichkeiten der, wie wir also jetzt 
bestimmt sagen können, „Neuroglia“-Fasern nur das Verhältnis dieser Fasern zu den 
Zellen besprochen. Wir mulsten dann die weitere Schilderung des mikroscopischen Ver- 
haltens der Fasern aussetzen, weil zuerst einmal die Natur derselben aufgeklärt werden 
mulste. Nunmehr können wir die anderweitigen Eigenschaften dieser Gebilde besprechen, 
zumal wir jetzt auch in die Lage versetzt sind, die nötigen Vergleiche mit den Angaben 
früherer Autoren zu machen, Vergleiche, welche so lange nicht angestellt werden konnten, 
als nicht die Identität unserer Fasern mit dem, was bisher als „Ausläufer der Deiters- 
schen Zellen“ ete. beschrieben wurde, definitiv festgestellt war. 

Genau so, wie die bereits erörterten Verhältnisse der Neu- 
rogliafasern zu den Neurogliazellen, gelten auch die folgenden 
Eigenschaften der Fasern für das gesamte Gentralnervensystem, 
für die grauen, wie die weilsen Massen, für Groflshirn, Kleinhirn, 
Rückenmark etc. Unterschiede sind nur in Bezug auf die Menge und Anordnung der 
Neuroglia vorhanden, aber diese Unterschiede sind grols genug, um sehr wesentliche Ditfe- 
renzen an den verschiedenen Örtlichkeiten im Centralnervensystem statuieren zu können. 
Diese Differenzen werden uns in den der Topographie gewidmeten Abschnitten beschäftigen. 
Jetzt wollen wir die gemeinschaftlichen Eigentümlichkeiten der Fasern durch- 
sprechen. 

1. Die Fasern sind mehr oder weniger gerade (natürlich nicht im 
mathematischen Sinne), oder sie verlaufen in starr geschwungenen Bie- 
gungen. Niemals sind sie eng geschlängelt. Findet man sie doch in einem Präparate in 
engen vielfachen Krümmungen verlaufend, so kann man sicher sein, dals die Präparate 
geschrumpft sind. Man kann sogar die Schlängelung der Fasern künstlich erzeugen, wenn 


IE 


— 132 — 


man z. B. Stücke aus dem Uentralnervensystem einer energischen Oxalsäurebehandlung unter- 
zieht. Kann man schon makroscopisch die Schrumpfung der Stücke erkennen, so kann man 
auch sicher sein, je nach dem Grade der Schrumpfung mehr oder weniger enge Schlänge- 
lungen der Fasern mikroscopisch wahrzunehmen. 

2. Die Fasern sind durchaus solide, eine Höhlung ist an keiner zu 
entdecken. Auf dem Querschnitt erscheinen sie alle als blaue Punkte, nicht als Kreise, 
wie es der Fall sein mülste, wenn die Fasern hohl wären, so dals wir uns in diesem Punkte 
der Ansicht von Frommann und aus neuerer Zeit der von Lavdowsky nicht an- 
schliefsen können. 

3. Die Fasern sind ganz glatt, ohne „körnige Beschaffenheit“, ohne um- 
schriebene Auftreibungen und Verdickungen. Doch gilt dies nur für frisch eingelegte und 
sorgfältig gehärtete Präparate. Hat man hingegen z. B. ein Rückenmark, das beim Durch- 
schneiden im ungehärteten Zustande auf seiner Schnittfläche die weilse Substanz vor- 
quellen lälst, das also schon die kadaveröse Quellung der Markmassen zeigt, so kann man 
ganz sicher sein, dafs man dann einen körnigen Zerfall der Fasern findet (oder dafs man die 
Fasern überhaupt nicht mehr färben kann, s. u.). Diesen kadaverösen Zerfall der Fasern 
hat Frommann zuerst beschrieben, Virchow hatte aber schon im allgemeinen bemerkt, 
dals die „Neuroglia® durch postmortale Einflüsse zerstört wird. 

Die kadaverösen Zerfallskörnchen sind anfangs klein, in der Richtung der Fasern 
liegend, bei stärkerer postmortaler Schädigung werden sie gröfser, die kleinen Tröpfehen 
tliefsen förmlich zusammen, und die so entstandenen gröfseren Tropfen liegen weiter aus- 
einander und unregelmälsig verteilt. Schliefslich scheinen sie sich aufzulösen, jedenfalls kann 
man an ganz schlechten Stücken keine Färbung mehr erzielen. Auch die Körnchen der 
früheren Zerfallsstadien färben sich schon schwerer, als die normalen Fasern. 

Die varikösen Neurogliafasern (Zellausläufer), die manche Autoren (bei Anwendung 
der Golgischen Methode) abbilden resp. beschreiben, sind wohl auch nichts anderes als 
kadaverös bereits veränderte gewesen. 

Wie der körnige Zerfall zu Stande kommt, ist fraglich. In meiner vorläufigen Mit- 
teilung vom Jahre 1890 habe ich bereits darauf aufmerksam gemacht, dals die kadaveröse 
Quellung des Myelins hierbei eine Rolle zu spielen scheint. Wenigstens sind, wie ich damals 
schon anführte, die weilsen Substanzen diejenigen, die den Zerfall zuerst zeigen. Es wäre 
ja auch nicht undenkbar, dals die kadaverös erweichten Neurogliafasern durch die quellenden 


Markscheiden zersprengt würden. — 


— 483 .— 


4. Ebensowenig wie Varicositäten zeigen die Neurogliafasern in un- 
seren Präparaten irgend welche moosartigen oder sonst wie beschaffenen 
Ansätze. Ramon y Cajal beschreibt derartige Strukturen an embryonalen Neuroglia- 
zellen und bei niederen Tieren. Bei diesen ist es z. T. sogar so, dals ein und der- 
selbe Zellausläufer je nach den Schichten, die er passiert, glatt oder mit moosartigen 
Rauhigkeiten besetzt erscheint. Wenn man hier nicht etwa Kunstprodukte annehmen will, 
so wird man daher diese Ansätze als ein vorübergehendes phylogenetisches oder onto- 
genetisches Entwicklungsstadium der Zellausläufer ansehen können, das im ausgebildeten 


Centralnervensystem des Menschen keine Spuren zurückgelassen hat. 


5. Endlich zeigen unsere Fasern niemals etwas von jenen konischen 
oder flaschenförmigen Erweiterungen, wie sie von Golgipräparaten so vielfach 
geschildert werden. Der Ansatz der „Zellausläufer“ an Gefälsumgrenzungen, an freie Ober- 
flächen überhaupt, soll nach diesen Schilderungen immer mit einer solchen Verbreiterung 
enden. An unseren Präparaten sind diese Ansätze in keiner Weise verdickt, die Faser ist 
bis zu ihrem Ende so schlank und gleichmälsig, wie in ihrem früheren Verlaufe. Da nun 
unsere Färbung eine elektive ist, so sind die mit ihr gewonnenen Resultate jedenfalls die 
malsgebenden. Man muls demnach annehmen, dals sich bei der Golgischen Methode 
irgend etwas mitfärbt, was nicht zur Faser gehört, resp. was eine andere chemische Be- 
schaftenheit, wie diese, besitzt. 

Was dieses „etwas“ ist, ist schwer zu sagen. Vielleicht handelt es sich um eine (bei 
unserer elektiven Färbung natürlich unsichtbare) Kittsubstanz. Es könnte aber auch sein, 
dals sich der Silberniederschlag einfach zwischen die Oberfläche des Organs und die letzten 
(sehr oft schief umgebogenen) Enden der Fasern absetzt, so dals also ein reines Kunst- 
produkt vorläge. 

6. Die Fasern sind von verschiedener Dicke, von den allerfeinsten, nur bei 
guter Färbung sichtbar zu machenden bis zu 15 « Dicke. Die ganz dicken Fasern 
kommen nur unter pathologischen Verhältnissen vor, namentlich bei der progressiven Paralyse 
in der Grolshirnrinde, doch sieht man etwas dünnere, aber immer noch recht dicke Fasern 
manchmal auch unter anscheinend normalen Verhältnissen beim Menschen, ganz besonders 
im Hinterhorn des Rückenmarks und den entsprechenden Stellen der Medulla oblongata. 
Diese Fasern strahlen auch von Centren aus, in denen Kerne liegen, so dafs man solche 
Gebilde, wenn man sie nach der alten Ausdrucksweise als „Zellen“ bezeichnen will, „Monstre- 


zellen“ nennen kann, wie ich das in meiner vorläufigen Mitteilung vom Jahre 1890 gethan 


— 14 — 


habe. Diese sehr auffallenden Gebilde in anscheinend normalen Teilen scheinen bis dahin 
der Aufmerksamkeit ganz entgangen zu sein. Die dicken Fasern bei progressiver Paralyse 


hingegen sind schon mehrfach gesehen und abgebildet worden (natürlich als „Zellausläufer“). 


Wir kommen jetzt zu zwei die Neurogliafasern betreffenden Fragen, die eine ganz 
nebensächliche Bedeutung haben, aber von den Histologen in der neueren Zeit als wer 
weils wie wichtige Dinge behandelt wurden. 

7. Das eineist dieFrage,ob die Neurogliafasern sich teilen, 
oder nicht. Diese Frage hätte ein grölseres Interesse für sich zu fordern gehabt, 
wenn sie diagnostisch für den Unterschied gegenüber den Ausläufern von Ganglien- 
zellen, also auch für den Unterschied der Ganglienzellen und Neurogliazellen selbst 
verwendet werden konnte (n. b. bei Betrachtung von Golgipräparaten). Wir 
haben aber im Abschnitt III gesehen, dals die Angaben der Autoren eine solche diagnostische 
Verwertung der Teilungen nieht zulassen, so dals in dieser Beziehung jedes Interesse 
an denselben fortfällt. 

Man darf auch die Wichtigkeit dieser Frage nicht im entferntesten vergleichen mit 
der der gleichen Frage bei den Ganglienzellausläufern. Bei den Nervenelementen ist die 
Verzweigung der Zellausläufer von höchstem physiologischem Interesse, da dadurch die 
Möglichkeit ungeheuer vieler Verbindungen der Neurone gegeben wird, — ein Moment, das 
bei einer Intercellularsubstanz garnicht in Frage kommt. 

So wollen wir denn auch nur kurz erwähnen, dals wir an unseren Präpa- 
raten Teilungen der Fasern nicht bemerkt haben. Die Teilungen, welche 
man an Golgi-Präparaten beobachtet hat, können (so weit nicht embryonale Verhältnisse 
in Betracht kommen) vielleicht dadurch erklärt werden, dafs bei der Silberimprägnation 
zwei sehr nahe an einander liegende Faserteile zu einer gemeinschaftlichen Silhouette ver- 
schmelzen, etwa, wie es Ranvier annahm, durch Mitfärbung einer verkittenden Sub- 
stanz, doch ist die Frage zu gleichgültig, um etwa eingehendere Untersuchungen darüber 
anzustellen. 

S. Eine zweite ebenso untergeordnete Frage ist die, ob die Neurogliafasern 
mit einander anastomosieren oder nicht. Auch hier hat man die Wichtig- 
keit einer solchen Frage bei den nervösen Elementen ganz falscher Weise auf die bei den 
interstitiellen übertragen. Bei den nervösen Elementen ist der Nachweis des Fehlens von 


Anastomosen deshalb physiologisch vom höchsten Interesse, weil nur bei fehlenden Ana- 


— 1) — 


stomosen eine Isolierung der Neurone denkbar ist. Bei einer Zwischensubstanz ist das 
Fehlen oder Vorhandensein von Anastomosen aber etwas absolut gleichgültiges, — und doch 
sind die Histologen sogar so weit gegangen, Golgi ein besonderes Verdienst daraus zu 
machen, dals er die Nichtanastomosierung der Fasern zuerst konstatiert hat, dals er gezeigt 
hat, die Fasern bildeten ein „Geflecht“ und kein „Netz“ !! 

Lesern, denen die Sprechweise der modernen Neurohistologen unbekannt ist, wird es 
auffallend erscheinen, dals man die Worte „Netz“ und „Geflecht“ in einen Gegensatz bringt, 
da doch ein Netz auch ein Geflecht ist. Ein Drahtnetz ist doch auch ein Drahtgeflecht. 
Aber man nennt nun einmal ein „Netz“ eine solche Durchflechtung von Fäden, Zellaus- 
läufern und dergl., bei denen diese an den Berührungsstellen mit einander verschmelzen, 
anastomosieren, „Geflecht“ eine solche, bei der Anastomosen nicht vorhanden sind. 

Bei der minimalen Wichtigkeit dieser Frage genügt es auch wieder, wenn wir 
erwähnen, dafs auch wir, soweitesdas Fasergewirr gestattete, nichts 
von Anastomosen bemerkt haben. 

Um Irrtümer zu vermeiden, sei aber darauf hingewiesen, dals sowohl das Fehlen der 
Teilungen, wie das der Anastomosen, häufig nur durch Heben oder Senken des Tubus zu 
entschleiern war, und dafs daher in unseren Zeichnungen, in denen die 
Niveaudifferenzen nicht wiedergegeben werden konnten, Tei- 
lungen oder Anastomosen vorgetäuscht werden, die in Wirklich- 


keit nicht vorhanden waren. 


— 16 — 


7. Abschnitt: 


Alleemeine Topographie der Neurogliafasern. 


Die topographische Anordnung der Neurogliafasern ist eine sehr mannigfaltige, wenn 
auch für jede Stelle des Centralnervensystems durchaus charakteristische. In dieser Mannig- 
faltigkeit treten aber gewisse Gesetzmälsigkeiten auf, die es uns ermöglichen, wenigstens 
einige allgemeine Regeln über die Verteilung der Neuroglia aufzustellen. 

1. Geradezu als Gesetz, das keine wirkliche Ausnahme besitzt, kann zunächst der 
Satz aufgestellt werden, dafs unter dem Epithel der Ventrikel und des 
CGentralkanals stets eine dicke Schicht sehr eng verwebter Neu- 
rogliatasern liegt, und dals diese Geflechte: die: dichtesten, süntd,, 
die im Centralnervensystem normaler Weise vorkommen (vgl. z. B. 
Taf. III, Fig. 2. und 3, Taf. X, Fie. 1, Taf. XI, Fig. 1 u. a.). 

Eine scheinbare Ausnahme von dieser Regel stellt sich nur am Plexus chorioideus 
ein. Auch dieser ist ja mit Ventrikelepithel bekleidet, aber unter diesem Epithel findet sich 
eine ependymäre Neurogliamasse nur an denjenigen Stellen, an welchen der Plexus sich mit 
nervösen Massen verbindet (z. B. an der Fimbria). Von hier aus geht die Neuroglia noch 
eine Strecke weit in den Ansatz des Plexus chorioideus hinein. Alle übrigen Teile des Plexus 
chorioideus haben aber unter dem Epithel keine Neuroglia, sondern Bindegewebe; 
es ist aber auch in den tieferen Schichten im Plexus weiter keine Neuroglia nachzu- 
weisen (mit Ausnahme eben der Ansatzstellen an nervöse Teile). 

Die Dichtigkeit der ependymären Neurogliamassen ist ja bis zu einem gewissen Grade 
schon lange bekannt. Hat doch schon Virchow vor 50 Jahren diese Stellen besonders her- 
vorgehoben. 

Bei unserer Färbung tritt die Massenhaftigkeit der Neuroglia aber besonders deutlich 
hervor, da ja jede einzelne Faser distinet gefärbt erscheint. Das Geflecht ist so dicht, dals 


man sich fragt, ob denn aulser der Lymphe (oder was sonst die Maschen ausfüll*) noch 


—. 137 — 


etwas anderes Platz hat, und doch wissen wir, dals z. B. in der hinteren Commissur des 
Rückenmarks massenhafte Nervenfasern eingebettet sind. Wenn man genauer zusieht, so 
bemerkt man aber doch, dals noch Raum genug für die feinen Nervenfasern vorhanden ist. 
Der erste Eindruck, den man bei Betrachtung dieser dichten Neurogliamassen hat, ist viel- 
mehr durch einen rein psychologischen Vorgang bedingt. Jede vollständige Färbung hat 
eben etwas aufdringliches an sich. Sie erweckt, wenn die gefärbten Elemente sehr dicht 


liegen, gar zu leicht die Idee, dafs diese ganz allein den Platz beherrschen. 


2. Ein weiteres, aber doch nicht ganz ausnahmsloses Gesetz ist das, dals die 
äufseren Oberflächen im Centralnervensystem ebenfalls eine Verdichtung der Neuroglia 
aufweisen, die aber im allgemeinen nicht so eng gewebt und so dick ist, wie die 
ependymären Anhäufungen (vgl. Taf. I, Fig. 2 und 3, Taf. VII, Fig. 4, Taf. IX, Fig. 1, 
Tai. X, Fig. 2, Taf. XI, Fig. 2). 

Seit sehr langer Zeit bekannt ist dies Gesetz für das Rückenmark, dessen Rinden- 
schicht schon längst als eine besonders dichte, wie man früher glaubte, von Nerven- 
elementen ganz freie Nenrogliaanhäufung betrachtet wurde. Genauer beschrieben haben sie 
zuerst Clarke und Frommann. Die Rindenschicht am Grolshirn hat Golgi zuerst 
geschildert, und mit unserer Färbung kann man sich leicht überzeugen, dals so ziemlich 
alle Teile des Centralnervensystems solche verdichteten Rindenschichten aufweisen, aber 
doch mit einer, ebenfalls zuerst (1571) von Golgi erkannten Ausnahme: der Oberfläche 
des Kleinhirns, wie ich das auch 1890 hervorgehoben habe (Taf. IX, Fig. 5). Unter krank- 
haften Verhältnissen freilich ändert sich hier das Bild, und bei progressiver Paralyse z. B. 


findet sich an der Kleinhirnoberfläche oft eine typische dichte „Rindenschicht“. 


3. Diese beiden ersten Gesetze gelten aber nicht nur für die beim ausgebildeten 
menschlichen Centralnervensystem gegenwärtigen, sondern auch bis zu einem gewissen 
Grade für die früher vorhandenen, aber bei der fortschreitenden Entwickelung 
wieder verschwundenen inneren und äulseren Oberflächen. Wie die vom Kiel 
eines Schiffes gestörte Meeresoberfläche noch lange und weithin durch eine Furche den 
früheren Gang des Schiffes erkennen lälst, so lassen die verschwundenen inneren und 
äufseren Oberflächen nach ihrer Verwachsung als Spuren noch mehr oder weniger breite, 


mehr oder weniger lange, mehr oder weniger dichte Neurogliaanhäufungen zurück. Wir 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 18 


— la) — 


werden derartige Neurogliaverdichtungen in der Darstellung der speziellen Topographie 
mehrfach (z. B. beim Ammonshorn) erwähnen müssen, und wollen sie, da man für diesen 
neuen Begriff doch ein neues Wort braucht, mit Rücksicht auf das obige Gleichnis als 
„Kielstreifen“ bezeichnen: als „Streifen“ deshalb, weil sie wohl meist streifenförmig 
sich darstellen. Vielleicht können diese Kielstreifen gelegentlich auch einmal zur Ent- 
scheidung entwickelungsgeschichtlicher Fragen verwendet werden. Diese Kielstreifen 
stehen an einem Ende immer noch mit einer inneren oder äufseren Oberfläche in Ver- 


bindung, das andere liegt in der Tiefe der betreffenden Teile des Centralnervensystems. 


4. Aber nicht nur die äufseren Oberflächen und die subepithelialen Partieen weisen 
eine Verdichtung der Neuroglia auf, sondern auch andere Stellen, bei denen sich im 
Innern, d.h. inder Tiefe dernervösen Teile oberflächenartige Ab- 


grenzungen finden. Solche Fälle treten z. B. ein: 


a) wenn sich die Nervenfasern der weilsen Substanz in abgesetzte Bündel 
formieren. Unter diesen Umständen bildet sich an der Oberfläche der Bündel 
häufig eine verdichtete Randschicht aus, aber diese Verdichtungen sind nicht nur 
geringfügiger, als die eigentlichen Rindenschichten der freien Oberflächen, oder 
gar als die ependymären Massen, sondern sie treten überhaupt nur an gröberen 
Bündeln und auch da nicht immer deutlich erkennbar auf. Als Beispiele für diese 
Randverdickungen seien die an der Pyramidenkreuzung (Taf. V, Fig. 3) und an den 


Optieusbündeln (Taf. VII, Fig. 4a) erwähnt. 


b) Ebenfalls geringfügig und durchaus nicht regelmälsig sind die Neuroglia- 
verdichtungen um grofse Ganglienzellen herum (z. B. Taf. II, Fig. 
2 u.a.) die „Neurogliakörbe* um dieselben. Besonders häufig sind sie um 
die grofsen Zellen der Vorderhörner des Rückenmarks, sowie um die entsprechen- 
den der Medulla oblongata und des Pons. Ganz regelmälsig finden sie sich um 
die zerstreuten einzelliegenden Ganglienzellen in letzteren Organen. Hingegen 
vermilst man sie ganz oder findet sie nur in Form vereinzelter Fädchen angedeutet 
dann, wenn in der weiteren Umgebung der Ganglienzellen Neurogliafasern über- 
haupt sehr spärlich oder gar nicht vorhanden sind. So ist es z. B. in den tieferen 
Schichten der Grofshirnrinde. Im übrigen lassen sich bestimmte Regeln nicht 


aufstellen. 


— 139 — 


ce) Sehr mächtig können aber die Neurogliamassen an den Grenzen der die 
Gefälse bergenden Räume werden, sogar mächtiger, als an der äulseren 
Oberfläche. 

Auch das ist schon lange bekannt und z. B. schon von Virchow hervorge- 
hoben worden. Die besonders starken Verdickungen der Neuroglia sind freilich 
nur in der Umgebung grölserer Gefälse zu bemerken, an kleineren pflegen sie viel 
geringfügiger, aber immerhin doch meist angedeutet zu sein (vgl. Taf. IX, Fig. 2 
und 3). Nur da, wo in der weiteren Umgebung der Gefälse Neurogliafasern ganz 
oder fast ganz fehlen, habe ich auch um die Gefälse herum eine Neuroglia- 
anhäufung entweder ganz vermilst, oder nur durch feine spärliche Fäserchen ange- 
deutet gefunden. So ist es wieder in der Tiefe der Grolshirnrinde. 

Was die Riehtung der Neurogliafasern, die die Gefälse umscheiden, anbelangt, so 
ist dieselbe anscheinend eine der Gefälsaxe überwiegend parallele (intrinsie fibres von 
Lloyd Andriezen!). Doch macht Lloyd Andriezen mit Recht darauf aufmerksam, 
dals diese anscheinend parallele Richtung eigentlich eine spiralige ist. Man sieht daher 
nicht blofs auf reinen Längsschnitten, sondern auch auf Schiefschnitten die Neuroglia in der 
Umgebung der Gefälse als Fasern und nicht als Pünktchen. Als Pünktehen müssen sie ja 
dann erscheinen, wenn der Schnitt die Fasern senkrecht zu ihrem Verlaufe trifft (vgl. Tat. 
IX, Fig. 3. Unten sind die Fasern als Pünktchen zu sehen). Ja die Spiralwindungen 
können so enge sein, dals auch auf reinen Querschnitten durch die Gefälse die Neuroglia 
in Form langer Fasern erscheint. 

Aber der spiralige, der Axe mehr parallele, resp. der concentrische Verlauf der 
Neurogliafasern ist nicht der einzige, den sie in der Umrandung der Blutgefälse zeigen. 
Es kommen vielmehr auch Fasern genug vor, die in radiärer Richtung, oft von weither, 
dem Gefälse zustreben und sich dann schief umbiegend den übrigen Fasern beigesellen 
(extrinsie fibres von Lloyd Andriezen). Sehr charakteristische Bilder entstehen dann, 
wenn sich diese extrinsie fibres bis zu einem Kerncentrum hin verfolgen lassen. Solche 
Fasern wurden in nicht ganz zutrefiender Weise zuerst von Roth? beschrieben. Er hatte 
Paraffinpräparate benutzt, für die die Technik damals noch nicht ausgebildet war, und be- 


kam daher eigentümliche Schrumpfungen. Durch diese wurde die Täuschung veranlalst, 


ı On a system of fibre-eells surrounding the blood-vessels of the brain of man and mammals. Inter- 
nationale Monatsschrift für Anatomie 1893. 
2 Virchows Archiv. Band 46 (1869), S. 243. Zur Frage der Bindesubstanz in der Grolshirnrinde, 


18* 


— 140 — 


dafs die radiären Fasern, ehe sie an das Gefäls herantreten, einen leeren (Lymph-) Raum 
durchzögen. Golgi' hat dann diesen Irrtum berichtigt, und er war so der erste, der in 
sachgemäfserer Weise die extrinsie fibres (natürlich als „Zellausläufer“) schilderte. In 
unseren Präparaten sind solehe Fasern oft genug zu sehen (z. B. auch Taf. IX Fig. 2 
oben). Sehr reichlich sind sie an etwas gröfseren Gefälsen oft zu finden, und ich habe zur 
Illustration dieser Verhältnisse eine besondere Abbildung Taf. VIII, Fig. 2 von einer Ge- 
fälsumgrenzung im Pedunculus cerebri gegeben. Nach rechts hin ist der Gefälsraum, 
dessen Inhalt in der Zeichnung weggelassen worden ist. Von links her strahlen sehr reich- 
liche extrinsie fibres, die zu Kerncentren zu verfolgen.sind, an die Gliahülle des Gefälses 
heran und verlieren sich in dieser. Es sei noch einmal darauf hingewiesen (vgl. S. 69), 
dafs in unseren Präparaten niemals die konischen Verdiekungen der Ansatzstellen zu 
sehen sind, wie sie an Golgi-Präparaten als etwas ganz regelmälsiges beschrieben werden. 

Ganz besonders schön und ganz regelmälsig sieht man diese radiär der Gefälsum- 
gebung zustrebenden Fasern bei progressiver Paralyse in der Grolshirnrinde, also 
an einer Stelle, an welcher sie normalerweise durch unsere Methode sonst nur selten zu 
finden sind. Bei progressiver Paralyse finden sich nämlich in der Grofshirnrinde sehr 
zahlreiche, neugebildete „Astrocyten“, die teils von der ‘gewöhnlichen Beschaffenheit sind, 
teils aber (und zwar sehr oft) sogenannte „Monstrezellen“ darstellen (vgl. S. 69). Die 
von diesen ausstrahlenden, oft sehr dicken Fasern haben nun die ausgesprochene Tendenz, 
nach den Gefälsen in mehr oder weniger senkrecht-radiärer Richtung hinzustreben und sich 
hier (immer ohne Conus) zu inserieren. — 

Wie sich der Leser vielleicht erinnert, hatte Golgi (vgl. S. 41 Anm.) in dieser 
innigen und verwickelten Verbindung der Neuroglia mit den Gefälsen etwas so merk- 
würdiges zu sehen geglaubt, dals er diesen Befund gegen Ranviers Ansicht von der 
Fasernatur der „Zellfortsätze* verwerten zu können meinte. Wir haben 1. c. bereits 
darauf hingewiesen, dals die Verhältnisse der Neuroglia zu den Gefälsen garnicht inniger 
und komplizierter sind, als die der elastischen Fasern z. B., und wir haben schon daraus 
entnommen, dafs der Einwand Golgis nicht berechtigt war. Dazu kommt aber, was wir 
l. e. nur erst andeuten konnten, dafs die ganze Art der Neurogliaverdiehtung fum die Ge- 
fälse herum nichts ist, als eine Teilerscheinung der so verbreiteten „Rindenschicht- 


bildungen*“. 


ı Gesammelte Abhandlungen. S. 6 f,, Taf. I, Fig. 4. 


— 141 — 


Die Gefälse sind ja für das Centralnervensystem etwas genau so fremdes, wie die 
eigentliche Pia mater, und so ist denn die Grenze des Nervengewebes gegen ein Gefäls 
nichts anderes, als eine innere Oberfläche, die den äufseren Oberflächen des Hirns und 
Rückenmarks durchaus entspricht. — Wenn wir ferner bedenken, dafs die Neurogliafasern 
doch wohl eine Stützsubstanz darstellen, und dafs solche Stützsubstanzen an vielen 
Stellen nachweislich nach mechanischen Prinzipien angeordnet sind, so werden wir uns auch 
über den verwickelten Bau der Nenrogliahüllen um die Gefälse herum nicht wundern. 
Wir werden dies um so weniger thun, als die äufseren Rindenschichten oft ganz 
analoge Verhältnisse aufweisen, wenn diese auch der abweichenden mechanischen An- 
forderungen wegen nicht absolut mit denen an den inneren Rindenschichten, d.h. 
an den Gefälsgrenzen, übereinstimmen. 

Auch an den äulseren Begrenzungen haben wir eine eigentliche Rindenschicht, d.h. 
eine dichte Neurogliamasse zu constatieren, die den intrinsie fibres der Gefälse entspricht, 
und von dieser ausstrahlende, resp. in sie eintretende, zur Oberfläche senkrechte, mehr zer- 
streute Fasern, die also den extrinsie fibres analog sein würden. Welche mechanische 
Bedeutung die Neurogliahülle gerade der Gefälse hat, werden wir gegen den Schlufs dieser 
Abhandlung besprechen, wo wir uns überhaupt mit der physiologischen Rolle der Neuroglia 


zu beschäftigen haben werden. 


5. Was die allgemein-topographischen Verhältnisse der weilsen Substanzen im 
Centralnervensystem anbelangt, so lälst sich als allgemeine Regel aufstellen, dafs so ziemlich 
jede markhaltige Nervenfaser in den weilsen Substanzen von der benachbarten durch Neu- 
rogliafasern getrennt ist (vgl. Taf. I, Fig. 2, Taf. VI, Fig. 1, Taf. VII, Fig. 3 und 4, Taf. IX, 
Fig. 2 und 3 u. a). So entsteht ein im ganzen weitmaschiges Geflecht in den Markmassen. 

Doch gilt dies Gesetz nur für die eigentlichen weilsen Massen. Da, wo 
zwischen die einzelnen markhaltigen Fibrillen graue Substanz eingefügt ist, kann wohl (und 
zwar sehr reichliche) Neuroglia ebenfalls dazwischen geschoben sein, sie braucht aber nicht 
vorhanden zu sein. Letzteres ist z. B. an den so mächtigen radiären Einstrahlungen in den 
tiefen Schichten der Grofshirnrinde der Fall. Hier ist eben keine eigentlich weilse‘ Substanz, 
sondern graue, vorhanden, und für diese können wir, wie sich sub 6 zeigen wird, allgemeine 
Regeln nicht aufstellen. 

Auch in den weilsen Substanzen ist aber das Neurogliageflecht durchaus nicht uni- 


form zu nennen. 


_ 12° — 


Wenn auch im allgemeinen jede Nervenfibrille von der anderen durch Neuroglia ab- 
gegrenzt ist, so ist die Anzahl der Neurogliafasern zwischen je zwei Nervenfasern doch 
eine sehr verschiedene. In den inneren Teilen der Medulla oblongata, im Grols- und Klein- 
hirn ete. sieht man zwischen je zwei Nervenfasern anscheinend oft nur eine einzelne Neu- 
rogliafaser oder doch sehr spärlich nebeneinanderliegende. In anderen Fällen, z. B. in den 
nach der Aulsenperipherie zu liegenden Teilen der Medulla oblongata oder des Rückenmarks 
(besonders in seinem oberen Teile) sind zwischen je zwei Nervenfibrillen ganze Bündel von 
Neurogliafasern eingefügt. Das gleiche gilt für die letztgenannten Stellen in der Nähe der- 
jenigen grauen Massen, welche ihrerseits sehr reichliche Neurogliafasern aufweisen, z. B. in 
der Nähe der Vorderhörner. 

Überhaupt ist die Lage der weilsen Stränge von gröfstem Einflufs auf die 
Reichlichkeit ihrer Neuroglia. Namentlich da, wo weilse Massen dicht unter dem Ventrikel- 
epithel oder auch nur in der Nähe des Ependyms verlaufen, zeigen sich oft ganz aulser- 
ordentlich dichte Neurogliamassen. 

Solche Fälle sind z. B. die Striae acusticae, die direkt vom Epithel bedeckt sind 
(vgl. Taf. VII, Fig. 2), die Fasern der vorderen Rückenmarks-Commissur, die Marksubstanz 
des Kleinhirns und Grolshirns, da wo sie an das Ependym anstölst ete. 

Ebenso sind die weilsen Massen, die an eine äufsere Oberfläche resp. an die unmittel- 
bar an dieser liegende Rindenschicht angrenzen, reicher an Neuroglia, als die davon ent- 
fernteren. Daher sind auch die äulseren Teile der weilsen Substanz des Rückenmarks ete. 
reicher an Neuroglia, als die in der Tiefe liegenden Teile. — Kielstreifen verhalten sich 
in ihrem Einflusse wie die entsprechenden Oberflächen, von denen sie 
ausgehen. — Über die Bedeutung der Bündelbildung ist S. 74 gesprochen worden. — 

Die Riehtung der Fasern in den weilsen Massen ist niemals eine ganz einheitliche, 
fast stets aber überwiegt die eine in ganz auffallender Weise. Im Grols- und Kleinhirn ist 
das die Richtung der Nervenfasern, im Rückenmark die dazu quere Richtung. Bemerkens- 
wert ist ferner auch hier ein Einflufs der äufseren und inneren Rindenschichten. Liegen in 
deren Nähe weilse Massen, so treten in diese aus der Rindenschicht sehr häufig reich- 
liche radiäre, d.h. zur Oberfläche, event. zum Verlauf der Nervenfasern, senkrechte Faser- 
züge ein (vgl. Taf. XI Fig. 2). An den inneren Rindenschichten, d. h. an den Ependym- 
massen, könnte man dabei an den Eintluls von Ependymfasern denken, die ja so verlaufen 
mülsten. Da sich aber dieselbe Erscheinung auch an den äufseren Rindenschichten findet, 


so kann man eine solche Annahme nicht machen, sondern muls an irgend welche noch 


— ua 


unbekannte, andere Ursachen, wohl mechanischer Art, denken (wie bei den extrinsie fibres 
der Gefälse). 

6. Für die grauen Substanzen, natürlich abgesehen von den Ependymmassen, 
lassen sich allgemeine Regeln nicht aufstellen, und es spricht für die Unzulänglichkeit der 
bisherigen Untersuchungsmethoden, dals man die vielen Verschiedenheiten nicht oder nur 
unvollkommen finden konnte. So ist es garnicht richtig, dals, wie Popoff (vel. oben 
S. 27) angiebt (wenn das Referat korrekt gemacht ist) in den grauen Substanzen die 
Maschen der Neuroglia allgemein weiter wären, als in den weilsen. Es ist auch keine 
allgemeine Regel darüber aufzustellen, dals in den grauen Substanzen die Neuroglia 
reichlicher, oder dals sie spärlicher wäre, als in den weilsen: in manchen ist sie viel reich- 
licher, in anderen viel spärlicher. Auch der von Sala y Pons gemachte Versuch, diese 
Verschiedenheiten der Neurogliamengen in den grauen Substanzen zu erklären, ist nicht 
als gelungen zu betrachten. Sala y Pons glaubt nämlich, dafs diejenigen grauen Massen, 
in denen reichliche markhaltige Nervenfasern verlaufen, reicher an Neuroglia sind, als 
die, in denen das nicht der Fall ist. Das ist aber nicht richtig, wie sich in der speziellen 
Topographie erweisen wird. Die Körnerschicht des Kleinhirns, die tiefsten Schichten der 
Grolshirnrinde sind, um nur diese Beispiele anzuführen, doch gewils reich an markhaltigen 


Nervenfasern und doch sehr arm an Neuroglia. 


In der grolsen Mannigfaltigkeit der Neurogliageflechte der grauen Substanzen lassen 
sich höchstens gewisse Typen aufstellen, die aber unter einander sehr abweichend sind: 
so der Typus der Stillingschen Nervenkerne, der der Grofshirnrinde ete. Doch ist es 


wohl noch verfrüht, diese Typen genauer zu spezialisieren. 


7. Zwischen Neurogliafasern und nervösen Gebilden Jläfst sich 
niemals auch nur der geringste Uebergang nachweisen. Von nervösen Ele- 
menten sind in unseren Präparaten die Ganglienzellenkörper und deren gröbere Protoplasma- 
fortsätze sowie die dickeren markhaltigen Nervenfasern deutlich zu erkennen u. zw. in der 
Kontrastfarbe tingiert. An diesen erkennbaren nervösen Elementen schneidet die Neuroglia 
stets scharf ab. Die von Rohde bei niederen Tieren! konstatierten intracellulären Neu- 
rogliaelemente der Ganglienzellen fehlen vollkommen beim Menschen. Die Neurogliafasern 


treten wohl oft dieht an den Körper der Ganglienzellen heran, ja bilden an manchen 


ı Ganglienzelle und Neuroglia. Archiv für mikroscopische Anıtomie. Bd. 42, S. 423 ff. 


— 14 — 


Stellen die bereits erwähnten dichteren Geflechte, aber in den Körper oder in einen sicht- 
baren Fortsatz der Zelle hinein tritt niemals auch nur eine einzige Neurogliafaser. ! 

Was die markhaltigen Fasern betrifft, so hat Paladino (und ihm schliefst sich 
Colella an) die Behauptung aufgestellt, dafs auch innerhalb der Markscheide ein Neu- 
rogliagerüst nachzuweisen wäre. Auch davon ist in unseren Präparaten nicht die Spur 
zu bemerken. Welche Bedeutung freilich die von Paladino gefundenen Gerüstsubstanzen 
haben, ist eine andere Frage. Neuroglia in unserem Sinne sind sie aber jedenfalls nicht. 
Möglicherweise handelt es sich dabei, wie Kölliker meint, um Kunstprodukte, doch liegt 
die Entscheidung dieser Frage aufserhalb unserer Aufgabe. — 

Bekanntlich hat ferner Golgi eine besondere, anderweitige Beziehung der Neuroglia 
zu den Nervenzellen angenommen. Nach seiner Meinung sollen die Protoplasmafortsätze 
sich mit der Neuroglia in Verbindung setzen. Die feineren Ausläufer der Dendriten sind 
zwar an unseren Präparaten nicht als solche zu erkennen. Man sieht nur die gröberen, 
in der Kontrastfarbe tingierten, während die feineren als die vielbesprochene „moleculare 
Masse“ erscheinen. Irgend welche „Übergänge“ von diesen Gebilden zu Neurogliafasern 
sieht man nie, in allen grauen Massen, in denen überhaupt Neurogliafasern zu erkennen 
sind, sind diese absolut scharf an den Seiten und an den Enden gegen die Umgebung ab- 
gesetzt. Aus unseren Präparaten kann man also nur schliefsen, dafs Dendriten dicht neben 
der Neuroglia liegen können. Das hat gewils noch niemand bestritten. Eine 
innigere Verbindung im Sinne von Golgi lälst sich an unseren mit der neuen Färbung 
erhaltenen Präparaten nicht erkennen. Ob auf andere Weise eine solche Verbindung nach- 


zuweisen ist, müssen wir aber natürlich dahingestellt sein lassen. 


' Um Irrtümer zu vermeiden, sei speziell darauf hingewiesen, dafs Bilder in unseren Zeichnungen, 
wie in Taf, IX, Fig. 4, nicht etwa gegen die obige Anschauung zu verwerten sind. Auch an solchen Bildern 
kann man sich durch Drehung der Schraube am Mikroscop sehr leicht überzeugen, dals die Neuroglia- 
fasern den Zellen nur aufliegen, nicht in sie hineingehen. In der Zeichnung konnte ich das nicht. 


wiedergeben. 


— 145 — 


8. Abschnitt: 


Spezielle Topographie der Neurogliafasern. 


Vorbemerkung. 

Die folgende Schilderung der speziellen Topographie der Neurogliafasern ist nur eine 
Skizze. Es wird noch eines sehr, sehr langen Studiums bedürfen, um diese Skizze zu ver- 
vollständigen. Für den Verfasser war, wie der Leser aus der Vorrede entnommen haben 
wird, die Zeit zu kurz bemessen, um mehr als das folgende zu geben. 

Die reichen Verflechtungen der Neurogliafasern gewähren alle einen geradezu ästhe- 
tischen Anblick, „che l’oechio contempla sempre con sommo incanto“, wie Petrone sich aus- 
drückt, und es hatte etwas für sich, wenn der verstorbene Hermann v. Meyer, dem ich 
die Präparate öfters zeigte, zu sagen pflegte: „Das sind sehr gefährliche Präparate. Man 
verliebt sich in die schönen Figuren und vergilst dabei, sie zu studieren.“ So schlimm ist 
es nun nicht — man studiert die Präparate doch, aber sehr schwer ist es, eine gute 


Beschreibung der Geflechte zu geben. Abbildungen geben ja noch die beste Vor- 
stellung der mannigfaltigen Faserverschlingungen, aber die meinigen liefern doch nur eine 
schwache Vorstellung von der Wirklichkeit. Ich bm ein sehr ungeübter Zeichner und 
konnte daher nur Bilder wiedergeben, wie ich sie mit möglichst geringer Schrauben- 
benutzung sah. Wir sind aber gewöhnt, mit Hilfe der Schraube mehrere hinter einander 
liegende Ebnen des Präparats geistig zu einem gemeinschaftlichen Bilde zusammenzufassen. 
So hat man denn fast überall bei Betrachtung der Schnitte unter dem Mikroskop den 


Eindruck, dafs die Fasern viel reichlicher, als in unseren Zeichnungen, vorhanden sind. 


I. Rückenmark. 
A. Rindenschicht. 


Von Alters her bekannt ist die das Rückenmark aufsen in wechselnder Breite um- 
gebende „Rindenschicht“. Diese ist zwar nicht so ganz frei von Nerven, wie man früher 
geglaubt hat, aber sie besteht doch zum überwiegenden Teile aus Neurogliafasern. Die 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 19 


— 146 — 


beste Beschreibung dieser Schicht hat Frommann gegeben, und wenn wir in dieser die Ab- 
weichungen der allgemeinen Anschauungen von unseren Auffassungen nicht berücksichtigen, 
resp. in Gedanken berichtigen, so können wir seine Schilderung ohne weiteres folgen lassen. 
Frommann sagt (I, S. 28): 

„Die Rindenschicht besteht aus einem dichten, engmaschigen Netzwerk von Fasern 
und verästelten Zellen und bildet für die ganze Oberfläche des Marks einen abwechselnd 
dieken Überzug. Der Durchmesser der Rindenschicht schwankt zwischen 0,01 und 0,06 mm., 
meist beträgt er, wie auch Goll angiebt, 0,02—0,03 mm. Am dichtesten ist er in der 
Nachbarschaft der hinteren und der stärkeren der vorderen Wurzeln, am Eingange in die 
hintere Fissur und häufig in der Nähe der Stellen, wo eine Einziehung der Oberfläche 
sich findet, und die Rindenschicht in ihrer ganzen Dicke sich in die weilse Substanz ein- 
senkt.“ „Die Maschen sind häufig zwischen den Fasern so schmal, dals sie den Durch- 
messer der letzteren kaum übertreffen. Eine überall wiederkehrende Anordnung derselben 
zu bestimmten von einander geschiedenen Lagen konnte ich nieht wahrnehmen und nur im 
allgemeinen an den stärkeren zwei Hauptrichtungen, eine longitudinale und eine quere, 
verfolgen. Die gleich gerichteten Fasern kreuzen sich teils unter spitzen Winkeln, teils 
laufen sie parallel, und die zwischen ihnen bleibenden Lücken werden ausgefüllt von einem 
Netzwerk äufserst zarter Fasern.“ „Die stärkeren Fasern sind 0,001—0,002—0,003 1 mm. 
dick, hell glänzend, von scharfem Contour und durch Karmin blals rot gefärbt, die 
schwächeren sind um die Hälfte, oder den dritten Teil schwächer und erscheinen durch 
Karmin nicht gefärbt.“ 

Wir haben dem nur hinzuzufügen, dals in unseren Präparaten alle Fasern, die 
schwächeren, wie die stärkeren, dunkelblau gefärbt erscheinen, so dals man die Richtung der 
Fasern, so weit es das Gewirr derselben zuläfst, viel besser verfolgen kann, als dies 
Frommann an seinen Karminpräparaten zu thun vermochte. Die Hauptmasse der Fasern 
pflegt meist mehr oder weniger schief tangential zu verlaufen, es kommen aber noch aulser 
vertikalen auch radiäre Fasern vielfach vor, und da, wo stärkere Fortsätze der Rinden- 
schicht in die Tiefe der weilsen Substanz eindringen, bilden sie oft nach innen konvergierende 
Büschel, die sich in bald zu erwähnender Weise weiterhin wieder auflösen. (Taf. I, Fig. 2 u. 3.) 

Gegen die Pia mater zu ist normaler Weise die Rindenschicht scharf abgesetzt, 


doch kommt es oft genug vor (Taf. I, Fig. 3), dals Faserbüschel wie die Haare einer 
! So dicke Fasern, wie Frommann angiebt, habe ich unter normalen Verhältnissen nie gesehen. 
Vgl. S. 69. — Anmerkung des Verfassers, 


Bürste über die sonst glatte Oberfläche der Rindenschicht heraus ragen, wie dies auch 
Frommann bemerkt hat. — In die stärkeren Nervenwurzeln giebt die Rindenschicht 
dicke, meist ziemlich parallel mit den Nervenfasern verlaufende Bündel ab, die dieselben 
aber nur eine kurze Strecke weit begleiten, — auch das hat Frommann bereits gesehen 


(I, S. 30). (Vergl. auch meine Mitteilung 1890.) 


In die Rindenschicht findet man auch Kerne eingestreut, um die herum man aber 
kaum jemals spinnenförmige Faseranlagerungen aus dem dichten Netze herausheben kann. 
Meist sind die Kerne auch von jener kleineren, mit dichten Chromatinmassen versehenen 
Art, die auch sonst astroeytenartige Faserbildungen um sich herum nicht aufzuweisen 
pfiegen. Es ist ferner bemerkenswert, worauf schon Golgi (Ges. Abh., S. 159) hingewiesen 
hat, dafs in der Rindenschicht die Kerne im Vergleich zu dem dichten Fasergewirr recht 
spärlich sind, — ein Beweis, dals es sehr verfehlt wäre, aus der Anzahl der Kerne, d.h. 


der Zellen, einen Schluls auf die Menge der Neurogliafasern zu machen. 


B. Weisse Substanz. 

Mit der Rindenschicht hängen Fasern und Faserzüge zusammen, die von jener aus- 
zustrahlen scheinen. Sie bilden bald dickere Massen, gewissermalsen eine direkte Fort- 
setzung der gesammten Rindenschicht in mehr oder weniger verjüngter Form, bald sind es 
nur einzelne Fasern und Fasergruppen, welche in das Innere hineinstrahlen (Taf. I, Fig. 
2 u. 3). Die dichteren Neurogliamassen, die von der Rindenschicht her in die Tiefe 
dringen, hat Frommann als „Stammfortsätze“ bezeichnet. Sie umscheiden die von 
der Pia her die Rindenschicht durchsetzenden und in die weilse Substanz, hauptsächlich in 
halbwegs radiärer Richtung eindringenden Gefälse. Aulser den meist geringfügigen 
adventitiellen Bindegewebsmassen um die Gefälse herum (nur neben dem Centralkanal 
sind oft die Adventitien der, hier vertikalen, Gefälse auffallend mächtig) dringt kein Binde- 
gewebe in die weilse Substanz ein, wie schon Frommann wulste, und wie es jetzt wohl 
allgemein anerkannt ist. Die Gefälse teilen die weilse Substanz in sehr unvollkommen ge- 
schiedene gröbere Bündel, die in ihrer Form etwa Kreissektoren entsprechen. 

Ein ganz besonders grolses und langes Gefäls pflegt im Suleus longitudinalis 
posterior in das Rückenmark einzustrahlen, und mit diesem Gefäls eine bindegewebige 
Adventitia. Diese Einstrahlung erfolgt in eng aufeinander liegenden Etagen immer wieder, 
und so kann es denn kommen, dals man auf vielen Querschnitten vom Suleus longitudinalis 


19* 


use 


posterior bis an die hintere Commissur reichend einen „Piafortsatz“ (Gefäls mit Adventitia) 
zu sehen bekommt. Man glaubt dann eine typische, natürlich von reichlicher Neuroglia be- 
grenzte Fissur vor sich zu haben. An anderen Stellen aber wird diese Fissur gewisser- 
malsen lückenhaft. Das Gefäls und seine bindegewebige Adventitia fehlt auf dem Quer- 
schnitt an verschiedenen Stellen. In der Mittellinie pflegt aber auch dann eine mehr oder 
weniger verdichtete Neurogliaschicht vorhanden zu sein, welche die Hinterstränge bilateral 
symmetrisch teilt. 

Frommann schildert die Verhältnisse des „Septum posterius“ folgendermalsen 
(L, S. 31): „Die Dicke des Septum schwankt zwischen 0,004 bis 0,024 mm. Im Hals- und 
Lendenteil ist es breiter, als im Rückenteil, wo es oft nur ein paar Fäserchen enthält.“ 
„Hier und dafehlt es, obschon selten, stellenweise ganz, und die 
beiden Hinterstränge gehen ununterbrochen in einander über. 
Mitunter spaltet es sich in zwei Septa, welche sich wieder vereinigen.“ „In seinem 
hintern Teile ist es in der Regel breiter, als nach der Commissur zu, und erst kurz vor 
dem Übergange in letztere gewinnt es wieder an Breite.“ 

In neuerer Zeit hat besonders Lenhossck! sich mit den Verhältnissen des fälsch- 
lich sogenannten Septum posterius beschäftigt. Mit seinen Angaben muls ich mich, wie das 
vorstehende zeigt, durchaus einverstanden erklären. Lenhossek sagt weiterhin 
($. 222): „Diese Spaltbildung ist eine sekundäre Erschemung, sie ist, wie ich glaube, 
überall an den Eintritt von Blutgefälsen in der hinteren Mittellinie geknüpft, und wenn 
man auch auf dem Querschnitt kein Blutgefäls findet, so erklärt sich das wohl daraus, dals 
sich die Spalte in der Längsrichtung noch etwas über die Eintrittsstelle des Gefälses 
ausdehnt.“ 

Über die gefässfreie Gliaverdichtung in der Mittellinie der Hinterstränge kann 
man aber doch verschiedener Meinung sein. Es könnte einmal so sein, wie sich das Lenhossek 
zu denken scheint, d. h. die Gefälseinstrahlungen könnten so dicht aufeinander etagenweise 
folgen, dals die gliösen Hüllen der Gefälse in vertikaler Riehtung immer, miteinander ver- 
schmölzen. Es könnte ferner sein, dals die Hinterstränge als zwei grolse „Bündel“ zu 
betrachten wären, die dann analog anderen solchen strangförmig zusammengefalsten Massen 


eine Randschicht zwischen sich hätten (vgl. S. 74 suba). 


! Auch Schaffer in Wien (Archiv für mikroscopische Anatomie, Band 44) hat über die Rinden 
schicht und die Stammfortsätze geschrieben, ohne aber etwas wesentlich neues an Thatsachen vorzubringen. 


ag 


Es scheint mir aber am wahrscheinlichsten, dals wir es hier mit einer „Kielstreifen- 
bildung“ zu thun haben. Das Rückenmark stellt ja in der frühesten Embryonalperiode eine 
flächenhaft ausgebreitete Gewebsmasse dar, die sich dadurch zu einer Röhre schlielst, das 
die beiden Seitenteile dorsal (hinten) zusammenwachsen. Man könnte sich daher sehr wohl 
denken, dals diese Nahtstelle in der Mittellinie des ausgebildeten Rückenmarks sich noch 


als Kielstreifen (S. 73 f.) kenntlich macht. 


Abgesehen von den dichteren Neurogliamassen, welche die einstrahlenden Gefälse 
begleiten, ist nun die weilse Substanz von einem lockeren Gerüst von Neuroglia durchsetzt, 
welche, dem allgemeinen topographischen Gesetze entsprechend, zwischen jede einzelne 
Nervenfaser und ihre Nachbarfaser eindringt. So sind denn alle einzelnen Nervenfasern 
durch Neurogliafasern von einander geschieden. 

Was die Richtung dieser Fasern anbelangt, so hat man, wenn man die Fasern 
auf dem Querschnitt eines Rückenmarks betrachtet, zunächst ganz den Eindruck, als wenn, 
wenigstens in den Vorder- und Seitensträngen, fast nur ziemlich horizontal verlaufende 
Fasern als Gerüst vorhanden wären. Es sind aber auch vertikale resp. schiefe Fasern da, 
die nur, weil sie spärlicher sind und als Punkte resp. kurze Abschnitte erscheinen, 
nicht so ins Auge fallen. Auf Längsschnitten überzeugt man sich besser (Taf. I, Fig 3), 
dals auch solche Fasern zugegen sind. In den Hintersträngen kommen, wenigstens bei 
älteren Leuten, auch auf dem Querschnitt die nicht horizontalen Fasern reichlicher und 
demnach deutlicher zu Gesichte. Charakteristisch ist es, dals unter pathologischen Ver- 
hältnissen gerade die vertikalen Fasern ungemein überwiegen. Bei kleinen Kindern hin- 
gegen ist das Netz der Neurogliafasern in der weilsen Substanz ein ungemein regelmälsiges 
radiäres System mit sehr wenig anders gerichteten Fasern. Das Bild erinnert dann 
ganz auffallend an das primäre Neurogliagerüst, welches die Ependymfasern im Em- 
bryo bilden. 

Bei Erwachsenen hört diese Regelmälsigkeit auf, d. h. zu den radiären Horizontal- 
fasern gesellen sich hier viele in mehr oder weniger schiefer Richtung zu diesen verlaufende, 
aber ebenfalls ziemlich horizontale Fasern, ganz abgesehen von den schon erwähnten Verti- 
kalfasern (vgl. Taf. I, Fig. 2). In den der Rindenschicht nahe gelegenen Teilen und denen 
in der Nähe der Vorderhörner sind die zwischen den Nervenfasern liegenden Neuroglia- 


massen reichlicher, als in den dazwischen liegenden Partien (S. 78). — 


— 150° — 


Eine besondere Untersuchung verdient noch das Gebiet der Hinterstränge. Es ist 
nämlich auffallend, wie ungemein häufig bei Erwachsenen in diesen, besonders im Halsmark, 
(aber auch in den anderen Abteilungen des Rückenmarkes) nicht nur, wie wir oben hervor- 
hoben, Vertikalfasern überhaupt vorkommen, sondern stärkere, geruppenweise 
liegende Anhäufungen senkrechter Fasern sich finden, so dals man degenerative Prozesse 
vor sich zu haben meint. Am reichlichsten pflegen diese Heerde dichter Neurogliamassen 
in den Gollschen Strängen zu sein. Bei kleinen Kindern fehlen sie. Ob das nun normale 
Verhältnisse bei Erwachsenen sind, ist mir nicht ganz sicher. Liehtheim hat zuerst 
darauf hingewiesen, dals bei pernieiöser Anämie Neurogliawucherungen in den Hintersträngen 
zu beobachten sind. Es wäre daher sehr leicht möglich, dals auch bei anderen langdauern- 
den Krankheiten, Phthisen, Nephritiden, Careinosen ete. derartige „Neurogliawucherungen“ 
aufträten, die nur mit den Methoden, die Liehtheim noch brauchen mulste, nicht nach- 
zuweisen waren. Es könnte aber auch sein, dals die geringeren Grade dieser „Neuroglia- 
wucherungen“ etwas ganz normales wären, was nur bisher nicht zu konstatieren war. 
Leider war es mir nicht möglich, in der letzten Zeit Rückenmarke in genügender Frische 
von plötzlich gestorbenen Leuten zu bekommen, so dals ich diese Frage noch offen 
lassen muls. 

Zum Schlufs sei noch darauf hingewiesen, dals die vorderen Wurzeln, die ja als ge- 
sonderte Bündel eine Strecke weit in die weilse Substanz einstrahlen, diesem Bündel- 
charakter entsprechend eine, wenn auch zarte Randschicht besitzen (Taf. I, Fig, 4a). 

Die Neurogliakerne in der eigentlichen weilsen Substanz sind z. T. grolse bläschen- 
töormige Gebilde mit körnig erscheinendem Chromatin, z. T. die kleineren kompakten Kerne. 
„Astroeyten“ sieht man auf Längsschnitten mehr, als auf Querschnitten, aber nicht so reich- 
lich, wie an anderen Stellen des Centralnervensystems. 

C. Graue Substanz. 

Während die Verhältnisse der Neuroglia in der weilsen Substanz so leicht zu er- 
kennen sind, dafs sie eigentlich schon Frommann im ganzen richtig geschildert hat, liegt 
die Sache bei der grauen Substanz ganz anders. Mit Ausnahme der Gegend des Central- 
kanals und der Spitze des Hinterhorns, von denen ebenfalls Frommann eine ziemlich gute 
Schilderung gegeben hat, die von keiner neueren übertroffen wurde, sind die topographischen 
Verhältnisse in der grauen Substanz ganz mangelhaft, zum grolsen Teil geradezu falsch 


dargestellt worden. Auch in den Arbeiten, welche mit der Golgischen Methode gemacht 


— 151 — 


wurden, sind nicht nur die alten Irrtümer beibehalten, sondern auch diesen noch neue hin- 
zugefügt worden. Nur Lenhossck hat in der neuen Auflage seines Lehrbuches die von 
mir schon 1590 mitgeteilten Anschauungen bestätigt. 

Ganz allgemein, aber auch ganz fundamental ist der Irrtum, der durch 
die Golgische Methode hervorgerufen resp. bestätigt wurde, dals die topogra- 
phischen Verhältnisse der Neuroglia in der grauen Substanz ganz 
gleiehmälsige wären, und dafs in der grauen Substanz weniger 
Neuroglia vorhanden sei, als in der weifsen. Beides ist falsch. Wir 
müssen vielmehr die einzelnen Abschnitte der grauen Substanz gesondert betrachten, da 
in jedem einzelnen andere Nenrogliageflechte vorliegen, und dabei wird es sich zeigen, dals 
in den meisten Abteilungen die Neuroglia reichlicher ist, als in der weilsen Sub- 
stanz. Gerade für die grauen Substanzen ist es aber sehr schwer, den eigenartigen Cha- 
rakter der Neurogliafaserung in Worten zu schildern, und auch die von uns beigefügten 
Tafeln geben von der Reichlichkeit und Eleganz der Netze nur eine mangelhafte 
Vorstellung. 

a) Vorderhorn. 

Das Neurogliageflecht des Vorderhorns hat bei Neugeborenen ein viel regelmälsigeres 
Gepräge, als bei Erwachsenen. Die Fasern verlaufen hauptsächlich horizontal und bilden 
fächerförmige Bündel, deren Spitzen in die Ausläufer der Vorderhörner hineinstrahlen, 
während der breite Teil des Fächers nach innen zu gekehrt ist. Das Bild wird noch da- 
durch besonders elegant, dafs sich die Basen der Pyramiden vielfach decken (Taf. II, Fig. 1). 
Bei Erwachsenen findet man noch Andeutungen dieses Verhaltens an den Spitzen der Aus- 
läufer des Vorderhorns. Schon ganz in der Nähe derselben aber und im ganzen inneren 
Teile ist von solch regelmälsigen Zügen nichts mehr zu sehen (Taf. II, Fig. 3). Vielmehr 
ist hier die ganze Substanz von reichlichen Fasernetzen durchzogen, welche in so verschie- 
dener Richtung laufen, dafs Quer- und Längsschnitte des Vorderhorns kaum Unterschiede 
erkennen lassen, wenn man von den Eintrittsstellen der Wurzeln absieht. — Die hier ver- 
laufenden Gefälse entsprechen dem allgemein topographischen Gesetze und zeigen eine 
Verdichtung der Neuroglia, — ihrer geringeren Gröfse entsprechend aber nicht in solcher 
Mächtigkeit, wie die Gefäfse der „Stammfortsätze“. Auch über das Verhalten der grolsen 
motorischen Ganglienzellen ist bereits in der allgemein-topographischen Übersicht gesprochen 
worden. Die leichten Verdichtungen (Taf. II, Fig. 3) setzen sich auch auf die dickeren 


Fortsätze der Ganglienzellen in Form von Begleitfasern fort, deren Verlauf der Richtung 


der Fortsätze im allgemeinen parallel ist. (Taf. II, Fig. 3 rechts. Hier sind die Begleit- 
fasern senkrecht durchschnitten, daher als Punkte erscheinend.) 

Die Masse der Nenrogliafasern des Vorderhorns ist recht grofs, grölser als in der 
eigentlichen weilsen Substanz (also abgesehen von der Rindenschicht und den Stamm- 
fortsätzen). Namentlich grols ist sie an den vorderen und seitlichen Rändern, die man oft 
schon mit dem blofsen Auge als etwas dunklere, schleierartig aussehende Massen hervor- 
gehoben findet. Andererseits ist die Dichtigkeit des Neurogliageflechts auch nicht entfernt 
mit der in der Substantia grisea centralis oder der an der Spitze des Hinterhorns zu ver- 
gleichen. Neurogliakerne jfindet man zwischen die Fasern eingestreut, teils mit, meist aber 
ohne Strahlenkranz von Fasern. 

Die Fasern unterscheiden sich im übrigen in keiner Weise von denen der weilsen 
Substanz. Wenn daher in den mit der Golgischen Methode ausgeführten Arbeiten immer 
davon die Rede ist, dals im Vorderhorn besonders viel „Kurzstrahler“ wären, die sich von 
den Langstrahlern, d. h. den echten Deitersschen Zellen unterscheiden sollen, so finde 
ich in den Vorderhörnern absolut nichts, was auf die Anwesenheit anderweitiger Neuroglia- 
elemente, als der typischen (Langstrahler-) Fasern hindeutete. Ja, wenn man die Reichlich- 
keit dieser Fasern einerseits, das sehr entwickelte nervöse Material der Vorderhörner anderer- 
seits in Betracht zieht, so begreift man nicht recht, wie hier noch ein zweites, bei unserer 
Methode nicht nachweisbares, Neurogliageflecht von andersgearteten „Ausläufern“ Platz haben 
soll. Wir haben freilich oben (S. 73) gesehen, dals dieses „Nichtplatzhaben“ etwas sehr 
zweifelhaftes ist, aber hier liegt die Sache doch wesentlich anders. 

Man muls eben bedenken, dals nach Angabe der Autoren diese „Kurzstrahler“ an 
Zahl mindestens so reichlich sein sollen, wie die Langstrahler, und dals die Zahl der 
Ausläufer an den ersteren aulserdem noch viel bedeutender sein soll, als an den letzteren. 

b) Hinterhorn. 

«. Die Spitze des Hinterhorns, die Lissauersche Randzone, ist in ihren Neu- 
rogliaverhältnissen von Frommann bereits beschrieben worden, doch klagt er gerade für 
diese Stelle mit Recht darüber, dafs die von ihm benutzte Carminfärbung sehr unsichere 
Resultate liefert, weil sie ja eine Unterscheidung der Neurogliafasern von den hier speziell 
sehr zahlreichen Axeneylindern nicht gestattet. Bei der (olgischen Methode ist das erst 
recht der Fall. Die Lissanersche Zone ist bei unserer Färbung mit einem ungemein 


dichten Neurogliageflecht versehen, das freilich doch nicht so eng gewebt ist, wie das der 


Substantia grisea centralis im Rückenmark. Die Fasern verlaufen teils in horizontalen Ver- 
tlechtungen (Taf. II, Fig. 4b), teils vertikal, manchmal in letzterer Richtung überwiegend. — 

3. Substantia spongiosa. Ziemlich scharf setzt sich die Lissauersche Rand- 
zone nach vorn zu gegen die Substantia spongiosa (Taf. II, Fig. 4a) ab. In dieser ist das 
Neurogliageflecht lange nicht so dicht. Dieses lockere Nenurogliageflecht ist bald breiter, 
bald schmaler, bald länger, bald kürzer, manchmal nur angedeutet, wie das dem aulser- 
ordentlich wechselnden Verhalten der Substantia spongiosa nach Form und Ausdehnung ent- 
spricht.! Das gleiche gilt für die Faserrichtung. Wohl stets finden sich radiäre Bündel, 
aber diese brauchen nicht ausschlielslich vorhanden zu sein, sondern sie können Maschen- 
räume mit andersgerichteten Fasern umschlielsen (Taf. II, Fig. 4a). Weiter nach vorm 
aber, nach der Substantia gelatinosa zu, treten gewöhnlich die radiären Fasern als Haupt- 
masse (neben spärlich anders verlaufenden) auf (Taf. II, Fig. 3). Diese setzen sich dann, 
öfters mit einer geringfügigen Verdichtung ziemlich scharf gegen die folgende Zone des 
Hinterhorns, die Substantia gelatinosa Rolando, ab. 

y. Substantia gelatinosa Rolando. Alle bis zum Jahre 1890 erfolgten 
Beschreibungen des Neurogliagerüsts in der Substantia gelatinosa Rolando kommen darin 
überein, dals hier ein sehr reiches Neuroglianetz vorliege, ja die meisten Autoren be- 
haupteten, dals die genannte Substanz so ziemlich reine Neuroglia darstellte, wenn man von 
den durchziehenden wenigen Nervenfasern absah und von den Ganglienzellen. die sich hier 
vorfanden. Im Jahre 1890 habe ich zum ersten Male die Behauptung aufgestellt, dafs 
gerade umgekehrt, wie man bisher angenommen hat, die Substantia gelatinosa Ro- 
lando aufserordentliech arm an Neurogliafasern ist, so arn, dafs kein einziger 
Teil des Rückenmarks mit ihr in dieser Beziehung verglichen werden kann. Es ist mir 
eine ganz besondere Freude, dals Lenhossek im Gegensatz freilich zu allen anderen, 
die mit der Golgischen Methode gearbeitet haben, in der zweiten Auflage seines Buches 
sich meiner Ansicht durchaus angeschlossen hat. 

Freilich fehlen hier die Fasern nicht, sie sind nur spärlich. Die Fasern verlaufen 
hauptsächlich radiär, doch finden sich überall auch in anderer Richtung verlaufende 
Fäserchen. Zwischen den Fasern bleiben aber verhältnismälsig grolse leere Stellen, die für 


diese Substanz ganz charakteristisch sind. Die radiären Fasern sind z. T. Fortsetzungen 


! Lissauer, Beitrag zum Faserverlauf im Hinterhorn des menschlichen Rückenmarks und zum 
Verhalten desselben bei Tabes dorsalis, Arch. für Psych. 17. Bd. Heft 2. S. 12 des Sep.-Abdr. 


Abhandl. d. Senckenb naturf. Ges. Bd. XIX. 20 


— 154 — 


der ebenso gerichteten Fasern aus der Substantia spongiosa, deren oben erwähnte ziemlich 
scharfe Absetzung gegen die Substantia gelatinosa Rolando in der Weise erfolgt, dals die 
Fasern schnell spärlicher werden und schlielslich aus dem grölsten Teile des Areals ver- 
schwinden. Weiter nach vorn zu geht die an Neuroglia so arme Zone ganz allmählich in 
eine viel dichter gewebte Neurogliamasse über, welche den Übergang zu den Clarkeschen 
Säulen resp. zum Vorderhorn und zur Substantia grisea centralis bildet. 

d. Die Clarkeschen Säulen (Taf. III, Fig. 1). Die Clarkeschen Säulen 
enthalten ein in verschiedenen Richtungen verlaufendes Maschenwerk von Neurogliafasern, 
die aber, wenigstens in den hinteren Teilen, etwas spärlicher sind, als in den Vorderhörnern, 
aber doch bei weitem reichlicher, als in der Rolandoschen Substanz, wie ich schon 1890 


mitgeteilt habe. 


ec) Die Gegend des Gentralkanals. 

«. Substantia grisea centralis. Schon in der allgemein - topographischen 
Übersicht haben wir darauf hingewiesen, dafs die Umgebung des Centralkanals im Rücken- 
marke, wie alle ependymären Schichten, ungemein reich an Neuroglia ist. Der Reichtum 
an Neurogliafasern gerade dieser Gegend ist so kolossal, dals an jedem nach unserer 
Methode gefärbten Querschnitte des Rückenmarks die Umgebung des Centralkanals als 
dunkelblauer Fleck schon für das blofse Auge kenntlich ist. 

Dieser Reichtum an Neurogliafasern betrifft die ganze Umgebung des Centralkanals. 
Es besteht weder eine zwischen vordere und hintere Commissur eingeschobene, scharf abge- 
setzte „Ringeommissur“, wie die älteren Forscher annahmen, noch ist es allein die hintere 
Commissur (Taf. III, Fig. 3, vom Kinde), welche diesen Faserreichtum zeigt, wenn auch 
natürlich innerhalb der dichten Neurogliamassen in der vorderen Commissur die 
Räume für die groben markhaltigen Nervenfasern ausgespart sind (Taf. UI, Fig. 2, vom 
Kinde). Aber zwischen diesen einzelnen Nervenfasern liegt ein ebenso dichtes Neuroglianetz, 
wie sonst auch um den Centralkanal, also ein Netz, das in seiner Dichtigkeit garnicht mit 
dem der sonstigen weilsen Substanzen zu vergleichen ist. An den Seiten geht die 
mächtige centrale Gliaanhäufung ganz allmählich in die weniger dichte der Vorderhörner 
über, so allmählich, dafs sich der grölsere Faserreichtum noch weithin seitlich zu erkennen 
giebt. Nach hinten zu ist die Absetzung gegen die dorsalen Stränge im Gegensatz dazu 
eine recht scharfe. 

Bei neugeborenen Kindern überwiegen in dieser Fasermasse horizontale sich schief 


durchkreuzende Fasern, doch sind sie nicht ausschliefslich vorhanden (Taf. IIL., Fig. 3). 


Bei älteren Individuen treten immer mehr und mehr vertikale Fasern auf. Wenn auch 
immer noch anders gerichtete dazwischen zu sehen sind, so wird jedenfalls das Querschnitts- 
bild immer mehr von den (punkt- und strichförmig erscheinenden) vertikalen Fasern 


beherrscht. 


Dieser aufserordentliche, von mir bereits 1890 geschilderte Neuroglia-Reichtum der 
Substantia grisea centralis ist in neuester Zeit ebenso bestritten worden, wie meine Angaben 
über die verschiedene Reichlichkeit der Neuroglia in den verschiedenen Partieen der grauen 
Substanz überhaupt. und zwar von keinem geringeren, als von Kölliker, auf Grund 
seiner Erfahrungen an G olgipräparaten. Er sagt nämlich (Bd. 2, S. 153), dafs die Menge 
der Neuroeliazellen in allen Teilen der grauen Substanz ziemlich gleich sei, in der Sub- 
stantia gelatinosa centralis ebenso gut, als in den ventralen und dorsalen Säulen und in der 
grauen Commissur, und fährt dann fort: „Ich betone das absichtlich, weil Weigert aus 
seinen neuen Färbungen der Gliafasern andere Schlüsse zieht. Er fand blau sich färbende 
Fasern in ungemeiner Menge in der Substantia gelatinosa centralis. ... . Ich erkläre mir 
dieses Ergebnis daraus, dals m der grauen Commissur nicht nur Fortsätze der Golgischen 
Zellen, sondern auch die sehr zahlreichen Ausläufer der Ependymzellen mitgefärbt werden.“ 

Darauf habe ich folgendes zu erwidern: Bei meinen früheren und jetzigen Angaben 
handelt es sich einzig und allein um die Neurogliafasern. Über deren reichliche oder 
nicht reichliche Anwesenheit kann man aber nach der G.ol gischen Methode garnicht sicher 
urteilen. Nicht nur, dafs diese überhaupt nur die Zellen und die mit ihnen verbundenen 
Faserstümpfe, also nur einen kleinen Teil der Fasern überhaupt, zu diagnosticieren 
gestattet, färbt sie auch diese „Astrocyten“ in so wechselnder Menge, je nach ihrer unbe- 
rechenbaren Laune, dals man aus einer geringen Menge der nachgewiesenen 
Astrocyten nicht auf eine geringe Menge der vorhandenen schlielsen kann. Ferner 
steht, wie wir schon oben nach einer Bemerkung von Golgi konstatiert haben, die Menge 
der Zellen durchaus nicht in einem konstanten geraden Verhältnis zur Menge der 
Fasern. Auch an unseren Präparaten kann man das erkennen. Man sieht in denselben 
zwar nur die Kerne der Zellen, aber da ja jeder Kern einer Zelle entspricht. so zeigt die 
Menge der Kerne die Menge der Zellen direkt an. Da kann man denn sehen, dals die Menge 


der Fasern in gar keinem konstanten Verhältnis zur Menge der Zellen steht. 


‘ Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 6. Auflage 189%. 


20* 


— 156 — 


Was ferner die Annahme Köllikers betrifft, dafs an dem Fasergewirr der Sub- 
stantia grisea centralis (wohlgemerkt nicht blo!s der grauen Commissur, wie Kölliker. 
erwähnt) auch Ependymfasern Teil nehmen können, so ist dagegen von unserem Standpunkt 
aus a priori nicht das geringste einzuwenden. Man mülste da nur mehrere Voraus- 
setzungen machen: einmal die, dafs die Ependymfasern selbst im spätesten Alter beim 
Menschen nicht verkümmern, wie öfters angenommen wird, denn gerade in der frühesten 
Kindheit sind um den Centralkanal lange nicht so viel Fasern da, wie im höheren und 
höchsten Alter. 

Sodann mülste man voraussetzen, dals wenigstens im höheren Alter des 
Menschen die Bildung der Neurogliafasern genau mit derselben Differen- 
zierung und Emanzipation vom Zellleibe einhergeht, wie bei den eigent- 
lichen Neurogliazellen, denn im höheren Alter sieht man die abgestolsenen Epithelzellen 
ganz frei zwischen den neugebildeten Neurogliafasern darin liegen, ohne organische 
Verbindung (vgl. sub cß, S. 9 f.). 

Endlich mülste man annehmen. dals die Ependymfasern nicht nur in ihrer 
Entstehung, sondern auch als fertige Fasern inihrem ganzen Verhalten, 
in ihrem Aussehen, ihrem Verlauf und ihrer Färbbarkeit ganz mit den echten Neuroglia- 
fasern übereinstimmen: mit einem Worte, man mülste annehmen, dafs 
Ependymfasern und Astrocytenfasern (Neurogliafasern)in jeder 
3eziehung identisch wären. An unserer Darstellung und Auf- 
fassung würde demnach selbst unter Annahme der Köllikerschen 
Vermutung auch nicht das allergeringste zu ändern sein. 

Freilich gestattet unsere Methode nicht, die Beteiligung der Ependymfasern an der 
Bildung des Neurogliageflechts beim Menschen zu eruieren, wir müssen daher den 
positiven Nachweis einer Beteiligung der Epithelzellen an der Erzeugung von Neuroglia- 
fasern anderen Autoren überlassen, aber eins können wir sicher sagen: wenn die 
Epithelzellen an der Faserbildung um den Centralkanal einen 


Anteil haben, so erzeugen Sie typische Neurogliafasern. 


Die Unkenntnis der Gliaverdichtung um den Centralkanal herum hat in der patho- 
logischen Anatomie des Rückenmarks grofse Verwirrung angerichtet. Sie hat zu der Fabel 
von der „erweichten centralen Gliose“ in der Lehre von der Syringomyelie 


geführt. Die Verwirrung wurde noch dadurch vergröfsert, dals man „Gliose“, d.h. krank- 


hafte Vermehrung der Neurogliafasern mit „Gliom“ verwechselte. Bei den Gliomen 
sind die Gliafasern nicht vermehrt, sondern die Gliazellen. „Ja nicht nur das, sondern 
diese letzteren verlieren zum egrolsen Teile die Fähigkeit, abgesetzte Fasern zu erzeugen 
und bleibeninihrem ursprünglichen protoplasmatischenZustande. 
Man darf sieh daher nicht wundern, wenn man gerade in Gliomen 
echte Deiterssche Zellen findet, wie im Embryo. Das Verhältnis der 
Gliome zur Gliose ist also, wie das des Sarkoms zur entzündlichen Bindegewebswucherung, 
oder wie zum Fibrom. Bei der Lehre von der „erweichten centralen Gliose* (fälschlich 
„erweichtes centrales Gliom“ genannt) soll es sich nun um eine Vermehrung von typischer 
faseriger Neuroglia mit Erweichung handeln. Aber die Neuroglia ist normalerweise 
um den Centralkanal sehr vermehrt, und der normalen Massenhaftigkeit gegenüber kann sie 
sogar (in manchen Fällen wenigstens) bei Syringomyelie resp. Hydromyelie 
vermindert sein. Umgekehrt findet man in der That garnicht selten wirklich krank- 
hafte über die Grenzen des eentralen Ependymfadens hinausgehende „Gliosen“ u. zw. bei 
der multiplen Sklerose. Diese erweichen aber nie, wie es überhaupt noch nie- 
mals nachgewiesen ist, dals echte Gliosen erweichen — mit einem Worte die Auf- 
fassung der Syringomyelie als erweichte centrale Gliose hat nicht den Schatten einer Wahr- 
scheinlichkeit für sich. Wieso es eventuell sekundär zu einer Vermehrung der Glia bei 
der Syringomyelie kommen kann, das habe ich an einem anderen Orte bereits kurz 


besprochen. 


3. Centralkanal. Bei jugendlichen Individuen liegt das Epithel glatt auf der 
diehten Neurogliamasse. Die Fortsätze der Epithelzellen in diese Masse hinein sind bei 
unserer Methode nicht zu erkennen. 

Die Epithelien selbst liegen als gleichmälsige, durch nichts unterbrochene Reihe mit 
ihren grofsen Kernen und ihrem bei unserer Methode gelblich gefärbten Protoplasma da. 
(Vel. Taf. III, Fig. 2 und 3. Die Kerne sind in diesen Figuren nicht mitgezeichnet.) An 
ihrer Innenwand sieht man auf jeder Epithelzelle Gruppen kleiner, blau gefärbter Körnchen, 
die von mir zuerst gesehen und schon 1890 beschrieben wurden. Auch die Existenz dieser 
Körnchen ist nunmehr von Lenhossek bestätigt worden. Ich machte damals die Bemerkung, 


dals es sich hier um eutieulare Abscheidungen handeln dürfte, dafs man es namentlich nicht 


ı Zur pathologischen Histologie des Neurogliafasergerüsts. Centralblatt für allg. Path. und path, 
Anat. 1890. S. 736f. 


— 18 — 


mit deformierten Flimmerhaaren zu thun habe. Diese Vermutung kann ich jetzt 
auf das bestimmteste beweisen. 

Bei einem Embryo von 15 cm Scheitel-Steifslänge fanden sich im dritten Ventrikel 
die Flimmerhaare wundervoll erhalten. Sie salsen auf jeder Zelle in mehrfacher Anzahl auf, 
und mehrere der Flimmerhaare waren immer zu einer Pyramide mit nach innen gekehrter 
Spitze verbunden (wie eine Gewehrpyramide aussehend), doch so, dafs man jedes einzelne 
Flimmerhaar genau von dem benachbarten abgrenzen konnte. Da die Existenz des Flimmer- 
besatzes am (embryonalen) Ependymepithel immer noch Zweifeln begegnet, so habe ich das 
Präparat abgezeichnet (Taf. IV, Fig. 1). Unter diesem Flimmerbesatz fanden 
sich nun die Körnehen gefärbt. Sonst war von Neurogliafärbung nicht viel 
zu sehen, im Rückenmark waren nur im peripherischen Teile radiäre Faserabschnitte tingiert. 

An Neugeborenen habe ich keine deutlichen Flimmerhaare mehr wahrgenommen, bei 
älteren Kindern etc. natürlich erst recht nicht, aber sonst bleibt das Epithel zunächst noch 
einige Jahrzehnte ganz intakt, das Lumen des Centralkanals weit. Aber allmählich ändert 
sich das Bild, obgleich sich nicht genau angeben läfst, von welchem Alter ab, — die Ver- 
änderung mag wohl, wie so viele Alterserscheinungen, bald früher, bald später eintreten. 

Als den geringsten Grad der Veränderungen, die im Fortschreiten des menschlichen 
Lebens am Centralkanal erfolgen, kann man den bezeichnen, dafs die Epithelzellen stellen- 
weise etwas von eimander weichen, und dals in die so entstehenden Zwischenräume zwischen 
die einzelnen Epithelzellen vereinzelte Neurogliafasern meist von radiärer Richtung ein- 
gelagert sind. Bei höheren Graden der Veränderung lösen sich an einigen Stellen die Epi- 
thelzellen nicht nur von einander, sondern auch von ihrer Unterlage ab, und so werden 
denn breitere oder schmälere Räume von Epithel entblöfst. In diese Räume dringen num 
förmliche Büschel ziemlich paralleler Neurogliafasern herein, die direkt mit denen der Sub- 
stantia grisea centralis in Verbindung stehen. Die abgelösten Epithelzellen gehen aber 
nieht verloren, sondern liegen unregelmälsig zerstreut in den Neurogliamassen darin. Einen 
solchen Fall hat schon Frommann abgebildet. 

Bei weiterem Fortschreiten des Prozesses sind verschiedene Fälle möglich: 

1. Aus den abgestofsenen Epithelien bilden sich ein oder mehrere unregelmälsig 

durcheinander geworfene Haufen, die mit den gewucherten Neurogliamassen den 


nunmehr lumenlosen Centralkanal einnehmen. (Taf. IV, Fig. 4.) 


189) 


Ein Teil der abgelösten Epithelzellen ist zur Bildung eines richtigen, am Innen- 


rande punktierten, einfachen Lumenringes zusammengetreten. Bei oberflächlicher 


89 


— 159 — 


Ansicht scheint ein solcher Centralkanal ganz normal zu sein (Taf. IV, Fig.5 u. 5), 
aber das hier vorhandene Lumen ist wesentlich kleiner, als ein entsprechendes bei 
einem jugendlichen Individuum, ganz abgesehen davon, dals sich hier stets die 
sub 4 zu erwähnenden anderweitigen Veränderungen finden. 
Eine dritte Möglichkeit ist die, dals nicht ein einfaches Lumen entsteht, sondern 
zwei oder mehrere entsprechend kleinere Lumina, die sämt- 
lich von einem (am Innenrande punktierten) Epithelkranze umgeben sind (Taf. IV 
Fig. 2). Alle die kleinen Lumina sind durch mächtige Neurogliamassen geschieden. 

Das sub 2 und 3 geschilderte Zusammenhalten der Epithelien zu lumen- 
umkränzenden Reihen könnte einmal auf einem Zusammenbleiben derselben be- 
ruhen, d. h. die Epithelzellen könnten als zusammenhängende Fetzen abge- 
stolsen werden, die sich nur mit ihren Enden zusammenzuschliefsen brauchten, um 
ein Lumen oder mehrere Lumina zu erzeugen. Der Vorgang könnte aber auch so 
gedeutet werden, dafs die Epithelien zwar einzeln abgestolsen werden, aber, wenn 
der nötige Platz dazu da ist, sich gewissermalsen biotaetisch wieder an- 
einanderlegen, wie dies Roux für die künstlich getrennten ersten Embryonalzellen 
gezeigt hat. 
Neben allen diesen Abarten der Epithelzusammenlagerung finden sich immer 
auch mehr vereinzelte Epithelzellen mitten in der gewucherten Neurogliamasse 
darin. Bald liegen sie ganz einzeln und sind bei unserer Methode nur dann 
einigermalsen sicher zu erkennen, wenn ihr Protoplasmaleib grols ist (und gelb- 
lich gefärbt erscheint (Taf. IV, Fig. 2, 3 u. 4). In manchen Fällen sieht man 
auch Reste der Punktierung (von der Fläche eventuell). Andere Male liegen sie 
in Häufehen oder in Reihen (Taf. IV, Fig. 2). Diese schlielsen sich öfters kiel- 
streifenartig an die Enden der (centralen) grölseren Haufen oder der (sekundären) 
Lumina an, liegen aber von ihnen durch Neurogliafaserzüge getrennt, oder werden 
wenigstens von solchen allseitig umsponnen und durchsetzt (Taf. IV, Fig. 3). In 
anderen Fällen liegen sie den grölseren centralen Ansammlungen mehr parallel, 
so dals gewissermalsen concentrische Epithellager gebildet werden. 

Es muls jedoch besonders darauf aufmerksam gemacht werden, dals es, wenn 
nicht die oben erwähnten Kennzeichen vorliegen, bei unserer Färbung oft schwer 
ist, vereinzelt liegende, so zu sagen atrophische Epithelzellen von Gliazellen zu 


unterscheiden. (Vgl. Tafel IV, Fig. 3 u. 4.) 


— 160 — 


Nach alledem fassen wir den primären Vorgang bei der sogenannten Obliteration 
des Centralkanals als einen passiven auf, in einer Lockerung und späteren Abstolsung 
der Epithelien bestehend, nicht, wie Brissaud! als eine primäre Wucherung der 
letzteren. Für unsere Ansicht spricht schon das, dals diese Veränderungen gerade im 
vorgeschritteneren Alter auftreten, wo die idioplastische Kraft der Zellen überhaupt ab- 
nimmt, jedenfalls nicht so zunimmt, dafs sie activ zu grölseren Leistungen, d. h. zu 
Wucherungen geneigt sein sollten. Dafür spricht ferner der Umstand, dals man schon in 
verhältnismäfsig normalen Centralkanälen das Hineinwachsen der Gliafasern in die Zwischen- 
räume zwischen die, doch also auseinanderweichenden, Epithelzellen sieht. Weiter spricht 
dafür der Umstand, dafs mit dieser Veränderung stets eine Verkleinerung des Raumes ver- 
bunden ist, der dem Centralkanal zukommt, nicht eine Vergrölserung, wie es bei aectiver 
Wucherung sein mülste. 

Dals neben diesen passiven Vorgängen und in Folge derselben auch active Pro- 
zesse einhergehen, beruht auf dem von mir schon so oft seit mehr als zwanzig Jahren ent- 
wickelten biologischen Prinzip, dals nach Aufhebung des Gewebswiderstandes (durch passive 
Momente) Wucherungsvorgänge eintreten. Diese Aufhebung des Gewebswiderstandes wird 
hier durch die Loslösung der Epithelien (und die Resorption der Spinalflüssigkeit ?) bedingt. 
Die Wucherungsprozesse bestehen einmal sicher in einer Wucherung der Neurogliafasern 
über ihre sonst durch die Epithelien gebildete Schranke hinaus, möglicherweise auch 
in einer sekundären Wucherung der losgelösten, von ihrem gegenseitigen Gewebsdruck (und 
dem Druck der Spinaltlüssigkeit?) befreiten Epithelzellen. 

Ob sich an der Nenbildung der Neurogliafasern nur die typischen Neurogliazellen 
oder auch die Epithelien des Centralkanals beteiligen, das müssen wir, nach dem, was wir 


S. 92 gesagt haben, als offene Frage behandeln. 


Wenn auch das Einstrahlen der Neuroglia in den Raum des ursprünglichen Central- 
kanals erst von Frommann (und zwar bis jetzt von ihm ganz allein!) beobachtet 
wurde, so ist doch die Thatsache der „Obliteration* des Centralkanals, wie man alle die 
Vorgänge zusammen genannt hat, längst bekannt. Speziell die Zersprengung der Epithel- 


masse auf der einen Seite und die Bildung mehrerer Lumina auf der anderen Seite hat 


ı Revue neurologique. Bd. 2, S. 545 ff. 


lin 


schon Clarke 1859 sehr gut geschildert. Er sagt:! „In the human spinal cord the 
canal is often completely filled up, what would appear to be the debris of the epi- 
thelium; for nothing is to be seen but a confused heap of nuclei, which are here mostly 
large and round: but sometimes in the midst of this heap there remains a small opening or 
canal, which strange to say is still lined or surrounded at its margin by the usual 
regular layer of columnar cells, and what is still more eurious I occasionally find parti- 


eularly in the cervical region two such secondary canals, each lined in the ordinary way.“ 


Diese Schilderung der Vorgänge scheint ganz vergessen worden zu sein. Auch 
Brissaud, der im allgemeinen eine Bestätigung der Clarkeschen Angaben liefert, scheint 


sie nicht gekannt zu haben. 


Die Golgische Methode dürfte auch zur Auffindung dieser schon den Alten bekannten, 
wenn auch erst von Frommann richtig dargestellten Thatsache insuffizient sein. Wenigstens 
schlielse ich das daraus, dals ein so genauer Kenner der durch diese Methode zu er- 
schlielsenden Thatsachen, wie Lenhossek, auch nur an die Möglichkeit denken konnte, 
dals die Obliteration des Centralkanals durch Milshandlung des Rückenmarks bei der Heraus- 
nahme zu Stande gekommen sein könnte, also in ähnlicher Weise, wie dies van Gieson 
in seiner berühmten Arbeit für so vieles andere nachgewiesen hat. Daran ist aber garnicht 
zu denken. Ganz abgesehen von dem aulserordentlich typischen der Neurogliawucherung, 
das mit einer zufälligen Verletzung bei der Herausnahme des Rückenmarks garnicht in 
Einklang zu bringen wäre, ganz abgesehen davon, dals diese Veränderung sich in sonst ganz 
wohl erhaltenen, mit grölster Behutsamkeit herausgenommenen Rückenmarken findet, wäre 
es doch gar zu wunderbar, wenn die mechanische Schädigung des Rückenmarkes niemals bei 
jugendlichen, immer aber bei alten Individuen eintreten sollte, während die übrigen von 
van Gieson geschilderten Kunstprodukte in allen möglichen Altersstufen zu Stande 


kommen. 


Wir können also getrost die Obliteration des Centralkanals zu den natürlichen Alters- 
veränderungen des menschlichen Körpers rechnen. Auch Brissaud protestiert dagegen, 


hier Kunstprodukte sehen zu wollen. 


! Philosophical transaetions. 1859. S. 455. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. But 


2. Medulla oblongata. 


Wenn wir einen Querschnitt der Medulla oblongata, der nach der neuen Methode be- 
handelt ist, makroscopisch betrachten, so finden wir an ihm folgendes. So lange der 
Uentralkanal noch geschlossen ist, ist dessen Umgebung, ganz wie im Rückenmark, als 
dunkelblauer Fleck erkennbar. Mit dem Auftreten der Oliven aber kommt ein neues Element 
hinzu, das schon für das blolse Auge dem Querschnitt der Medulla oblongata bei unserer 
Färbung ein sehr charakteristisches Gepräge verleiht. Die Oliven sind nämlich als dunkel- 
blaue Flecke deutlich gegen die ganze übrige Umgebung abgehoben. Ferner sieht man an 
den höher gelegenen Partieen der Medulla oblongata, d. h. da, wo der Centralkanal dem 
Ventrikel Platz gemacht hat, den Saum des letzteren als dunkelblauen, an seinem unteren 
Ende verwaschenen Sreifen, und aulserdem einen dunkleren Strich, der der Raphe entspricht. 


Oben seitlich sind verwaschene bläuliche Zeichnungen zu bemerken. 


Bei der mikroscopischen Betrachtung beginnen wir wieder mit der Rindenschicht. 


A. Rindenschicht. 


Sie ist ähnlich beschaffen, wie am Rückenmark, aber doch mit einer Ausnahme. Da 
nämlich, wo an der Oberfläche Nervenbündel parallel mit dieser, d. h. tangential, verlaufen, 
pflegt die Rindenschieht als besondere Lage nur wenig angedeutet zu sein. 

Nichtsdestoweniger fehlt sie hier eigentlich nicht, sondern sie ist gewissermalsen in 
das Innere der tangentialen Nervenmassen verlegt, die besonders in ihren oberflächlichen 
Zügen - ein sehr reiches Neurogliagellecht aufweisen, in welchem namentlich auch 


radiäre Faserungen zu bemerken sind. (Taf. VI, Fig. 2. Fibrae arciformes externae.) 


B. Weisse Substanz. 


In der weilsen Substanz ist, wie überall, jede Nervenfibrille von der anderen durch 
Neuroglia getrennt. 

Beim Vergleich mit einem Rückenmarksquerschnitt fällt einem aber auf, dafs die 
Anordnung der Neurogliafasern eine viel kompliziertere ist. Das kommt daher, weil in der 
Medulla oblongata die Nervenfasern nicht mehr so gleichmälsig in vertikaler Richtung ver- 
laufen, wie das für die Hauptmasse der markhaltigen Fibrillen im Rückenmark gilt. 

Die Nervenfasern der Medulla oblongata sind vielmehr zu vielfach durchflochtenen 
Bündeln angeordnet, und da in diesen Bündeln die Neurogliafasern hauptsächlich den 


Nervenfibrillen parallel verlaufen, so durchkreuzen sich auch die Richtungen der Neuroglia- 


— 163 — 


fasern. An den gröberen Bündeln sieht man hier und da auch verdichtete Randschichten. 
Ganz besonders gilt das für die sich kreuzenden Pyramidenbündel (Taf. V, Fig. 3). Es sei 
noch daran erinnert, dals die Zusammenlagerung der Pyramidenfasern zu Bündeln schon im 
oberen Teile des Rückenmarks, vor der Kreuzung also, beginnt. 

Dals die der Peripherie benachbart gelegenen Teile der weilsen Substanz in der Me- 
dulla oblongata besonders reich an Neuroglia sind, wurde schon S. 78 konstatiert. 

In der Gegend der Raphe lösen sich die Bündel mehr und mehr in einzelne Nerven- 
fibrillen auf. Diese durchkreuzen sich und sind durch reichliche, verschieden gerichtete 
Neurogliafasern von einander getrennt (Taf. VI, Fig. 1). Schon durch diese zahlreichen 
sich durchflechtenden Neurogliafasern erscheint die Raphe dem blofsen Auge dunkler ge- 
färbt, als die Umgebung. Dazu kommt aber noch etwas anderes. 

Von der Ventrikelseite her sowohl, wie von der pialen Oberfläche dringen noch zwei 
stärkere Verdichtungen in die Raphe ein. Die vom Boden des Ventrikels herkommende 
Verdichtung der Neuroglia nimmt etwa das obere Drittel der Raphe für sich in Anspruch. 
Sie hängt mit dem Ependym nicht nur direkt zusammen, sondern stimmt mit diesem zu- 
nächst auch im Gefüge vollständig überein. Allmählich freilich wird dieses lockerer und 
lockerer und klingt gegen den Beginn des mittleren Drittels der Raphe ganz ab. 

Die zweite (ventrale) Verdichtung nimmt ungefähr das untere Drittel der Raphe für 
sich in Anspruch. Sie hängt mit der äulseren Rindenschicht direkt zusammen, ist dieser 
entsprechend konstruiert und besitzt also nicht so dichte Massen, wie der dorsale (ventri- 
kuläre) Verdichtungsstreifen. Auch sie verliert sich gegen das mittlere Drittel hin. 

3eide eben erwähnten Verdichtungen des oberen und unteren Drittels der Raphe sind 


ohne Zweifel als „Kielstreifen“ (S. 74) zu betrachten. 


C. Graue Massen. 

Die Substantia gelatinosa Rolando und die Reste der Vorderhörner verhalten sich 
wie im Rückenmark. Die Kerne der zarten (Taf. VI, Fig. 4) und Keilstränge zeigen ein 
sehr unregelmälsiges Maschenwerk, oft mit leichten Verdichtungen um die Ganglienzellen. 
Die Masse der Neuroglia ist geringer, als die der ventrikulären Kerne. 

Bei den letzteren macht sich der Einflufs des Ependyms und des dorsalen Kiel- 
streifens in sofern geltend, als deren mächtige Neurogliamassen sehr allmählich in der Tiefe 
der Nervenkerne abklingen. Aber auch die vom Ependym entfernteren Teile der ventriku- 
lären (dorsalen) Kerne sind noch reich an Neurogliafasern (Taf. V, Fig. 4: Vom Ependym 


21* 


ee 


entfernterer Teil des Hypoglossuskerns). Zwischen den Geflechten der verschiedenen 
dorsalen Nervenkerne scheinen Unterschiede in der Anordnung zu bestehen, doch bedürfen 
diese zum Verständnis ihres Wesens noch weiterer Studien. 

Die Pyramidenkerne (Taf. VI, Fig. 2), der Nucleus ambiguus (Taf. VII, Fig. 1) 
sowie sonstige eingestreute Ganglienzellhaufen zeigen sehr unregelmälsige Neurogliageflechte, 
die recht dicht gewebt sind, wenn auch lange nicht so dicht wie die in den Oliven. Die 
Ganglienzellen dieser Gruppen haben meist Körbe um ihre Körper und entlang ihrer 
gröberen Fortsätze (Taf. VII, Fig. 1). Ganz regelmälsig finden sich diese Körbe um 
die in der Medulla oblongata zerstreuten einzelliegenden Ganglienzellen, wie wir schon 
S. 74 sub b erwähnten. — 

Das dichteste Neurogliagefüge (immer mit Ausnahme des Ependyms) hat aber in der 
Medulla oblongata die Olive, wie schon der oben beschriebene makroskopische Anblick be- 
weist. Die Olive gehört überhaupt zu denjenigen Teilen des Centralnervensystems, die ein 
hervorragend dichtes Neuroglianetz besitzen. Freilich eine so eximierte Stellung, wie 
Petrone der Olive in Bezug auf die Dichtigkeit ihres Neurogliageflechtes zuschreibt, hat 
diese nicht. Er glaubt, sie hätte das dichteste Netz im ganzen Centralnervensystem 
und ruft bewundernd aus: „Chi non lo vede, non lo erede!“ Er konnte eben mit seinen 
so wenig elektiven Methoden die dichteren ependymären Netze nicht entwirren, obgleich 
es immerhin auffallend ist, dals er die Dichtigkeit des Neurogliageflechts in der Olive, die 
vorher allen entgangen war, doch entdeckt hat. 

Die Golgische Methode hat sich auch hier wieder als so unzureichend für die Er- 
kennung der topographischen Verhältnisse erwiesen, dals die schon mit blofsem Auge 
erkennbare Dichtigkeit des Neurogliageflechts in den Oliven mit Hilfe dieser Methode 
weder vor meiner (und Petrones) Mitteilung erkannt wurde, noch nach dieser eine Be- 
stätigung erfahren hat, obgleich die Medulla oblongata mehrfach auf ihre Neuroglia hin 
untersucht worden ist. 

Die Neurogliaverdichtung macht sich vor allem auch in den weilsen (markhaltigen) 
Fasermassen geltend (Taf. VI, Fig. 3), die die Oliven umschlingen und durchziehn. Inner- 
halb der eigentlichen grauen Massen ist das Gefüge ein wenig lockerer, aber immer noch 
sehr dicht. Die Fasern durchkreuzen sich in den verschiedensten, aber hauptsächlich in 
der frontalen Ebene verlaufenden Richtungen, so dals sie sehr kleine (0,002—9,005 mm 
im Durchmesser haltende) Maschenräume umschliefsen. Im allgemeinen sind die Fasern 


sehr fein, doch durchziehen auch gröbere das Feld. Selbst in diesem Gewirr kann man, 


> 


wenn man die Schraube spielen lälst, oft genug mit reichlichen Strahlen versehene 
„Astroeyten“ wahrnehmen. In unserer Figur, die mit möglichst geringer Schrauben- 
benutzung gezeichnet ist, treten solche aber nicht deutlich hervor. Aufser den hellen, 
eröfseren, oft mit strahlig angelehnten Fasern versehenen Kernen giebt es aber auch viele 


dunklere, kleinere, die keine gruppierten Fasern um sich zeigen. 


D. Ependym. 


Das Ependym zeigt im allgemeinen die ihm gebührende Neurogliaverdichtung in 
reichem Malse, doch sind hier gewisse Eigentümlichkeiten zu erwähnen. Einmal verlaufen 
dicht unter dem Epithel ja an einigen Stellen mächtige markhaltige Faserbündel, die Striae 
acusticae. Hier findet sich keine besondere gliöse Ependymschicht, das Epithel sitzt 
vielmehr direkt den markhaltigen Nervenfasern auf. Dafür sind diese (analog den Fibrae 
arciformes externae) von einer dichten Nenrogliamasse durchsetzt, ganz anders 
wie sonst die weilsen Massen (Taf. VII, Fig. 2: rechts sind die Fasern längs getroffen, 
links schief). Die Faserrichtung ist hauptsächlich parallel dem Verlaufe der Nervenfasern, 
doch treten auch genug senkrecht dazu verlaufende ein. Bemerkenswert ist auch, dafs 
die Bündel Lücken frei lassen, d. h. auf kurze Strecken gewissermalsen überhängen. In 
diese Lücken setzt sich das Epithel fort, und so werden auf den Schnitten eystenähnliche 
Räume vorgetäuscht (Taf. VII, Fig. 2a). 

Eine fernere Eigentümlichheit wird durch den Plexus chorioideus hervorgerufen. 
Nicht nur, dafs zu ihm kegelige Fortsätze vom Ependym her kommen, in welche die Neu- 
roglia (vgl. oben 8. 72) sich eine kleine Strecke weit fortsetzt, er liegt vielmehr an den 
Seitenteilen des vierten Ventrikels auch flach auf, so dals der Ventrikelboden hier nicht 
mehr direkt von Epithel, sondern von Bindegewebe bedeckt ist. Ein eigentliches Hinein- 
wachsen des Bindegewebes in die Substanz der Medulla oblongata, von dem Gierke 
spricht, habe ich nie bemerkt. — 

Eine weitere Eigentümlichkeit wird hier (und überhaupt am Ependym) durch 
die von Virchow entdeckten „Ependymwucherungen“ bedingt, die man wohl als noch an 
der Grenze des normalen stehend ansehen kann, insofern als Altersveränderungen noch an 
dieser Grenze stehen. Freilich kommen sie in ganz besonderer Mächtigkeit auch unter 
direkt pathologischen Verhältnissen vor. In letzter Zeit ist mir nur ein solcher Fall von 
„glasigen Körnchen“ im Ependym frisch genug zur Sektion gekommen, der der folgenden 


Erörterung zu Grunde gelegt ist. 


— 166 — 


Während sich das Epithel in der Mednulla oblongata, so lange der Centralkanal noch 
geschlossen ist, ganz wie das des Rückenmarks verhält und im Alter die Ablösungen, 
Durchwachsungen mit Neuroglia etc. zeigt, gerade wie dieses (Taf. IV, Fig. 5), so ändert 
sich das in dem offenen Ventrikel. Hier bleibt das Epithel im allgemeinen wohlerhalten 
(auch mit Körnchensaum versehen) in zusammenhängender Schicht liegen, nur hier und da 
weichen die Zellen etwas auseinander und lassen einen Neurogliafaden zwischen 
sich treten. 

In dem erwähnten Falle von „Ependymwucherungen“ zeigten aber die Exerescenzen, 
die buckelförmig über das Niveau der Ventrikeloberfläche hervorragten, auf der Kuppe des 
Buckels einen Epitheldefekt (vgl. Taf. V, Fig. 1). Erst an den unteren Teilen der Abhänge 
trat das Epithel wieder auf. Anfangs waren die Zellen etwas niedriger, sehr bald nahmen 
sie aber ihre gewöhnliche Gestalt an. Lagen zwei solcher Knötchen dicht neben einander, 
so verschmolzen die epithelentblölsten oberen Teile, während die basalen Abhangsteile, die 
ja von Epithel bedeckt waren, das nicht zu thun vermochten. Dadurch wurden epithelum- 
grenzte Hohlräume abgeschnitten, die wie geschlossene Cysten erschienen, iu Wirklichkeit 
aber vielleicht tunnelförmig waren (Taf. V, Fig. 2). 

Sollte sich auch in anderen derartigen Fällen der ebenerwähnte Epithelverlust finden, 
so wäre die Pathogenese dieser Wucherungen eine sehr einfache. Man brauchte nur den 
Epithelverlust als das primäre anzusehen. Durch den Wegfall des Epithels wäre ja dann 
der Gewebswiderstand für die unterliegende Neurogliamasse beseitigt, und es würde die 
schlummernde, d. h. bisher in ihren natürlichen Schranken gehaltene idioplastische Kraft 
der Neurogliazellen wieder in thätige, im wahren Sinne des Wortes lebendige Kraft über- 
geführt, und so eine die physiologischen Grenzen überschreitende Neurogliawucherung hervor- 
gerufen werden. 

Prinzipiellwürden diese Verhältnisse also den früher für den 
Centralkanal des Rückenmarks geschilderten durchaus ähnlich 
sein. Auch in letzterem findet elne Abstolsung des Epithels und eine durch sie bedingte 
Neurogliawucherung statt, aber bei aller Übereinstimmung im Prinzip finden sich doch 
Unterschiede zwischen unserem Falle von Ependymwucherungen und denjenigen Erscheinungen, 
welche zur Obliteration des Centralkanals führen. 

Einmal sind die Ependymwucherungen durchaus nicht so regelmälsige Erscheinungen, 
wie die analogen Prozesse am Uentralkanal des Rückenmarks. Dann aber sind noch Unter- 


schiede vorhanden, die aus der Verschiedenheit der Lokalitäten unschwer zu erklären sind. 


a 


In den Ventrikeln begrenzt ja das Epithel nicht einen sehr langen und sehr engen 
Hohlraum, sondern eine weite Höhle. In dem engen Centrailkanalznun bleiben die 
abgestolsenen Epithelzellen liegen und werden nur von der Neuroglia durchwachsen. 
Fallen aber an der Umgrenzung des Ventrikels Zellen ab, so werden sie nicht durch 
die Engigkeit des Raumes an Ort und Stelle festgehalten, sondern sie fallen in den weiten 
Hohlraum und verschwinden in unbekannter Weise, 

Wenn sich die in unserem Einzelfalle gefundenen Thatsachen regelmälsig vorfinden 
sollten, so würden sie uns noch über etwas anderes aufklären. 

Die Ependymwucherungen sehen bekanntlich oft nicht einfach grau aus, sondern sie 
haben ein tautropfenähnliches, durchscheinendes Aussehen. Ein solcher Fall lag hier vor, 
und dem entsprechend sehen wir denn, dafs im Gipfel der Wucherung (Taf. V, Fig. 1) die 
Neurogliafasern sehr sparsam sind im Gegensatz zu den Teilen in der Tiefe des Buckels und 
an seiner Basis. Diese „hyaline“ Umwandlung (das Wort „Hyalin“ aber nur im morphologischen, 
nicht im Sinne von Recklinghausens gebraucht) dürfte sich ähnlich erklären, wie die hyaline 
Umwandlung, die bei der Syringomyelie des Rückenmarks beobachtet! wird, nämlich durch 
den Druck des Liquor cerebrospinalis, dessen Wirkung nicht durch das schützende, dem 
Druck angepalste Epithel paralysiert wird. In ähnlicher Weise habe ich die „Hyalinbildung“ 


vor Jahren bereits für andere Fälle auf Druckwirkung zurückführen können. ? 


3. Pons. 


Die weilsen Substanzen und die ventrikulären Kerne verhalten sich denen der Medulla 
oblongata entsprechend. Die überall sonst eingestreuten Nervenkerne sind sehr reich an sich 
mannigfach durchflechtenden Neurogliafasern. Ihr Typus ist der des Nucleus ambiguus 
(Taf. VII, Fig. 1). Die von Popoff angegebenen Abstufungen in der Dichtigkeit der 


Netze, welche die verschiedenen Nervenkerne durchziehen (S. 27), kann ich nicht bestätigen. 


4. Pedunculus cerebri. 


Von besonderen Bestandteilen sind hier zu erwähnen die Substantia nigra und der 


Nucleus ruber. Die erstere (Taf. VIII, Fig. 1) zeigt ein reiches Neurogliageflecht etwa von 


ı Vgl. Weigert, Centralblatt für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 1890. S. 737. 
?2 Deutsche medizinische Wochenschrift. 1885. S. 814 


— 08 


dem Charakter des Vorderhorngeflechts, aber doch eigenartig. Die Ganglienzellen sind 
darin oft mit zarten Körben versehen. 

Ganz anders ist die Neuroglia des roten Kerns beschaffen. Sie stellt ein äufserst 
zierliches Geflecht dar, mit ungemein zahlreichen grolsen Astrocytenformen, die lange feine 
Fasern in das Gewebe absenden. Hier treten sie zwischen je zwei markhaltige Fasern als 
Zwischenmasse hinein, geben an die Ganglienzellen zarte Körbe ab und umscheiden natürlich 
auch die Gefälse. Im ganzen hat das Geflecht den Typus der weilsen Substanz des Grols- 
hirns, nur sind die Astrocytenformen viel zahlreicher und ausgebildeter. Auch die eingestreuten 


Ganglienzellen machen natürlich einen Unterschied aus. 


5. Vierhügel. 


Die Vierhügel haben ein reiches Neuroglianetz von einem geradezu ästhetischen 
Charakter. Schon für das blolse Auge tritt die Bläuung des Organs stärker hervor, als 
bei sonstigen so grolsen Abschnitten im Centralnervensystem, und die makroskopische Be- 
trachtung giebt schon ein Bild von der Grundanlage des Neurogliageflechtes. 

Betrachtet man einen Frontalschnitt mit blofsem Auge (Taf. XIII, Fig. 4) oder mit 
der Lupe, so sieht man in der Mittellinie einen dunkelblauen Verbindungsstreifen die Ober- 
tläche mit dem Aquaeductus Sylvii verbinden. Oben ist. dieser Verbindungsstreifen ca. 2 mm 
breit, nach unten zu verschmälert er sich etwas, wobei er an den oberen Rand des Aquae- 
duetus Sylvii herantritt. An den Seitenrändern des letzteren sind die oberen Hälften für 
das blofse Auge nicht durch eine starke Bläuung der angrenzenden Teile ausgezeichnet, 
‚hingegen zeigt die untere Hälfte beiderseits einen sehr dunklen Ansatz. Der obere Rand 
dieses dunklen Ansatzes fällt etwas schief nach aufsen und unten ab und reicht beiderseits 
etwa einen Millimeter weit, um dann mit Bildung einer verhältnismälsig scharfen Spitze zu 
enden. Von dieser Spitze ab gehen die äufsern Ränder des blauen medialen Feldes mit 
leichter lateralwärts gekehrter Convexität nach unten, und unterhalb des Aquaeductus 
Sylvii findet sich so ein einheitlicher im allgemeinen dunkelblauer Streif, der immer 
mehr sich verschmälernd die ganze Substanz der Vierhügel in eine rechte und linke Hälfte 
teilt. Wenn wir den Streifen nur im allgemeinen als dunkelblau bezeichneten, so ge- 
schah dies deshalb, weil unmittelbar am unteren Rande des Aquaeducts in dem hier schon 


gemeinsamen Streifen ein klemes, etwas helleres Feld zu sehen ist. Die centralen Teile 


169 — 


der beiden Vierhügel, d. h. die vom lateralen Rande und der Mittellinie entfernten, er- 
scheinen dem blolsen Auge ein ganz klein wenig heller blau, als das übrige Areal. 

Die mikroseopische Untersuchung bestätigt den kolossalen Neurogliareichtum der 
dunkelblauen Stellen. Nur sind diese Partieen bei mikroscopischer Betrachtung nicht so 
scharf begrenzt, wie man nach dem Anblicke mit dem blofsen Auge glauben könnte. Viel- 
mehr löst sich das in der Mittellinie resp. am Rande des Aquaeductus Sylvii ungemein 
dichte Fasernetz ganz allmählich in die weitere Umgebung auf. Auch der obere Rand des 
Aquaeducts, der in seinen Seitenteilen sich für das blofse Auge nicht so dunkel ausnimmt, 
hat eine ependymäre, nur nicht so weit in die Tiefe reichende Verdickung, die zu schmal 
ist, um sich makroscopisch bemerkbar zu machen. 

Die übrigen Partieen der Corpora quadrigemina zeigen ein im allgemeinen ziemlich 
gleichförmiges (Taf. VIII, Fig. 4), dichtmaschiges Neurogliageflecht ohne Vorherrschen einer 
bestimmten Richtung. Die Maschen sind unregelmälsig dreieckig, viereckig, polyedrisch 
oder rundlich. Nur wo Bündel von Nervenfasern eingelagert sind, zeigen diese den aus- 
gesprochenen Typus der weilsen Substanz mit den Nervenfasern mehr parallel gerichteten 
Zügen. Einzelne Nervenfasern machen sich nicht besonders störend geltend. Die zahl- 
reichen Ganglienzellen haben Andentungen einer Korbbildung im ihrer Umgebung. „Astro- 
evten“ sind sehr reichlich zu sehen. — 

Der Oeulomotoriuskern liegt der Mittellinie sehr nahe, und sein medialer Teil liegt 
in dem sehr dichten Neurogliagetlecht des Mittelteils eingebettet, aber auch die lateralen 
Abschnitte sind noch ungemein reich an Neurogliafasern (Taf. VIII. Fig. 5). — 

Die obere Fläche der Vierhügel, die nicht, wie der Aquaeduetus Sylvii mit Epithel 
bekleidet ist, besitzt ebenfalls eine verdichtete Rindenschicht von 0,075 mm ungefährer 
Dicke, die sich nach innen zu ziemlich rasch in ein lockeres Geflecht auflöst. Die erwähnte 
Verbindung der Mitte der Oberfläche mit dem oberen Rande des Aquaeductus Sylvii ist 
als Kielstreifen aufzufassen, ebenso die nach unten gehende Verlängerung der epen- 


dymären dichten Neurogliaanhäufung. 


6. Zirbeldrüse, 


Die Zirbeldrüse besitzt in ihrem inneren unteren Abschnitt ein ganz ungemein 
mächtiges Neuroglialager. Es ist so mächtig, dals es für das blolse Auge als grolser 
blauer Fleck erscheint (Taf. XII, Fig. 5). Oberhalb dieses Flecks ist eine kleine Höhle. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd, XIX. 29 


Die mikroscopische Untersuchung zeigt diese Stelle aus einem dichten Geflecht kräftigeı 
Neurogliafasern bestehend, so eigenartig, wie sonst nirgends im Centralnervensystem. Von 
dieser dichten Masse gehen ähnlich beschaffene dünnere, dichte Züge zwischen die Zell 
anhäufungen der Zirbeldrüse hinein (Taf. XIII, Fig. 5). Die Zellen selbst sind von einem 


reichlichen aber lockeren Geflechte von kräftigen Neurogliafasern durchzogen (Taf. XII, Fig. 3). 


7. Kleinhirn. 


Das Kleinhirn entbehrt, wie wir schon S. 73 sub 2 erwähnten, einer dichteren 
Rindenschicht. In dieser Beziehung nimmt es ja im ganzen Centralnervensystem eine 
isolierte Stellung ein, gerade wie in der anderen, mit der ersten vielleicht zusammen- 
hängenden Eigenschaft, dals es der einzige Ort ist, an dem sich markhaltige Fasern nicht 
in grölserer Menge (z. B. als Tangentialfasern) in der Nähe der Oberfläche befinden. 

In der Molekularschicht sieht man nun in Abständen von etwa 0,01 mm, manchmal 
aber enger, manchmal weiter stehend, radiäre Fasern von der Oberfläche her in die Tiefe 
strahlen und sich in der Gegend der Purkinjeschen Zellen verlieren (Taf. IX, Fig. 5). Hier 
und da sind dieselben an der Oberfläche umgebogen und legen sich dann flach an diese an. 
Geschieht dies vielfach, so entsteht eine freilich nur aus einer Faserlage bestehende rudi- 
mentäre Rindenschicht. Vielleicht ist aber auch das schon eine Alterserscheinung. ! 

Das sind die altberühmten „Bergmannschen Fasern“. Es ist mir aber mehr als 
zweifelhaft, ob gerade Bergmann die Fasern richtig gesehen hat. Er beschreibt sie 
nämlich” als „netzförmig“ mit einander verbunden, während sie doch radiäre Fasern ohne 
Netz- (oder, wie man jetzt sagt, Geflechts-) Bildung darstellen. Ja, in einem späteren Auf- 


satze ? protestiert er sogar ausdrücklich gegen Kupffer,* „der die nach innen dringenden 


° Umgekehrt findet sich hier bei Embryonen, und sogar noch deutlich bei neugeborenen Kindern, eine 
mehrschichtige Lage von Zellen. Diese hat nach den allgemeinen Angaben zuerst Hess (De cerebelli textura. 
Dorpater Dissertation) 1858 beschrieben, doch ist mir dessen Schrift nicht zugänglich. Die Schicht ist in 
neuerer Zeit vielfach als „äulsere Körnerschicht“, von Retzius als „Vignalsche Schicht“ geschil- 
dert worden. 

2 Zeitschrift für rationelle Medizin. Neue Folge. Bd. 8. 

® Dieselbe Zeitschrift, 3. Reihe, Bd. 11. S 264. 

* In Stephanys Beiträgen zur Histologie der Rinde des grolsen Gehirns. Dorpat 1860. Mir 
nicht zugänglich. 


— 11 — 


Fasern vorwiegend gerade nach innen laufen und so mit den Radialfasern der Netzhaut 
mehr Ähnlichkeit darbieten läfst.“ Demnach kann Bergmann die Fasern 
garnicht rein gesehen haben, wenn er nicht überhaupt etwas anderes gesehen 
hat, als was wir jetzt mit seinem Namen belegen. Kupffer dürfte sie eher richtig wahr- 
genommen haben, doch hielt er sie, wie Bergmann angiebt, für Nervenfasern. Sicher 
hat sie aber Deiters ganz sachgemäls beschrieben, u. zw. unabhängig von Bergmann 
u. a. (vel. S. 11), so dafs er als der eigentliche Entdeckerder Fasern 


anzusprechen ist. 


Der von ziemlich allen Autoren gemachte Vergleich der Bergmannschen Fasern 
mit den Müllerschen Fasern der Retina scheint mir aber doch nicht zutreffend zu sein. 
Zunächst möchte ich, freilich mit aller Reserve, die Meinung aussprechen, dals die Müller- 
schen Fasern chemisch nicht mit der Neuroglia übereinstimmen (meine Untersuehungen über 
die Retina sind noch nicht abgeschlossen), sodann aber sind die Müllerschen Fasern viel 
dieker und an beiden Enden büschelförmig gespalten, so dals die ganze Ähnlichkeit sich 
eigentlich nur auf den radiären Verlauf beziehen kann. 

Die Bergmannschen Fasern sind bei jugendlichen Individuen spärlicher, als bei 
älteren Leuten. Sehr reichlich werden sie stellenweise bei progressiver Paralyse, noch reich- 
licher bei multipler Sklerose. Über die krankhafte Bildung einer Rindenschicht dabei haben 
wir S. 73 sub 2 schon gesprochen. 

Aufser den eigentlich radiären Fasern sieht man in der Molecularschicht in den ober- 
tlächlichen Teilen sehr spärliche, nach unten zu reichlichere, aber doch immer sehr zer- 
streute quere Fasern, besonders in der Nähe der Purkinjeschen Zellen (Taf. IX, Fig. +). 
Um die Purkinje schen Zellen selbst sind bei jugendlichen Menschen spärliche Fasern, bei alten 
Leuten reichlichere korbartige Faseranhäufungen zu finden (Taf. IX, Fig. 4 von einer alten 
Frau entnommen). Bei progressiver Paralyse und multipler Sklerose nehmen diese Fasern 
aulserordentlich zu. — 

Sehr zweifelhaft ist es mir, ob alles das, was am Kleinhirn aus G olgipräparaten 
als Neuroglia beschrieben worden ist, auch wirklich dieser zugerechnet werden kann, doch 
ist der Vergleich der „Zellsilhouetten*“ mit meinen Bildern nicht so leicht sicher aus- 
zuführen. — 

In der Körnerschicht habe ich so gut wie gar keine Neurogliafasern unter normalen 
Verhältnissen, wohl aber reichlich bei progressiver Paralyse etc. gefunden. Selbst um die 


22+ 


Gefälse herum war nur selten einmal eine zu entdecken, ganz im Gegensatz zu den Angaben 
von Golgi (vgl. S. 17). — 

Hingegen zeigt die Marksubstanz, wie alle Autoren konstatieren, ein sehr schönes 
Neurogliagellecht, ganz dem Typus der weilsen Substanzen entsprechend: die Fasern haupt- 
sächlich, aber nicht ausschlielslich, parallel den Nervenfasern verlaufend, mit reichlich ein- 
gelagerten schönen „Astrocyten“. (Taf. IX Fig. 3.) 

Da, wo das Kleinhirn die Decke des vierten Ventrikels bildet, ist es natürlich mit 
Ependym bedeckt. Der Einfluls desselben macht sich den allgemein-topographischen Regeln 
entsprechend auch in der angrenzenden Markmasse des Kleinhirns geltend. Sie ist hier von 
einem viel diehteren Neurogliageflecht durchsetzt, als an den vom Ependym entfernt lie- 


genden Stellen. 


8. Grosshirn. 


Die Rindenschicht am Grolshirn ist von verschiedenen Autoren mit der des Kleinhirns 
zusammengestellt worden, was durchaus unzutreffend ist. Am Grolshirn ist vielmehr eine 
typische, dieht unter der Pia mater gelegene, aus eng verwebten Fasern bestehende echte 
tindenschicht vorhanden (Taf. IX, Fig. la), die am Kleinhirn fehlt. Ihre Dieke ist sehr 
wechselnd und dürfte zwischen 0,003 bis 0,03 variieren, je nach der Stelle des Grofshirns 
und je nach dem Alter des Individuums. Im höheren Alter wird sie, wie auch schon 
(Golgi angegeben hat, dicker und ihre Fasern werden gröber. Die Richtung der Fasern 
in dieser eigentlichen Rindenschicht ist eine sehr wechselnde, im allgemeinen aber schief 
tangentiale. 

Auch für die Erkenntnis dieser und der folgenden Schicht reicht die Golgische 
Methode nicht aus. Sie giebt nur sehr unvollkommene Bilder, wie die zahlreichen Ab- 
bildungen lehren, die sich in den Veröftentlichungen vorfinden. Namentlich versagt sie für 
das höhere Alter, wie das Retzius konstatiert hat.' 

Von der diehteren, eigentlichen Rindenschicht strahlen dann lockere hauptsächlich 
(aber wieder nicht ausschlielslich) schief radiär gerichtete Fasermassen in die 
Tiefe. Zunächst sind sie, wenn auch diskret stehend, doch noch recht zahlreich (Taf. IX, 


Fig. 1b), allmählich aber werden sie immer spärlicher und verlieren sich schlieflslich ganz. 


! Die Neuroglia des Gehirns beim Menschen und bei Säugetieren. ‚Jena 1894. S. 11, 


2 Wa 


Diese zweite Schicht reicht auch an verschiedenen Stellen mehr oder weniger weit hinab, 
bei alten Leuten tiefer. Bis zur unteren Grenze der kleinen Pyramidenzellen lassen sie 
sich sehr oft verfolgen. Lloyd Andriezen! giebt an, dafs sie „bis in die Mitte der 
Pyramidenzellen reichen“. Die in der Zone der radiären Neurogliafasern liegenden Gefälse 
zeigen je nach ihrer Grölse geringere oder stärkere Gliahüllen. 

Indentieferen Schichten der Grofshirnrinde, auchinderder 
radiären markhaltigen Fasern habe ich Neuroglia nur in ganz 
zerstreuten Fäserchen gesehen, auf weite Strecken sogar ganz 
vermilst, sodalsich das zusammenhängende Geflecht von Binde- 
substanz, welches Golgi noch 1885 annimmt, absolut nicht be- 
stätigen kann. 

In der Marksubstanz hingegen ist wieder ein reiches Neurogliageflecht vor- 
handen vom Typus der weilsen Substanzen überhaupt, in specie sehr ähnlich dem ent- 
sprechenden im Kleinhirn. Nur sind die Fasern im Grolshirn etwas feiner und die Maschen 
etwas enger (vgl. Taf. IX, Fig. 2). — 

Es sei noch einmal besonders darauf hingewiesen, dals die von Golgi, Ranvier, 
Lloyd Andriezen und Retzius geschilderten, als Neurogliazellen angesprochenen 
protoplasmatischen Zellen mit der neuen Methode nicht wahrgenommen werden können. 
Für den Fall, dafs es wirklich zutreffen sollte, wie dies Lloyd Andriezen meint, dals 
diese „protoplasmatie elements" mesoplastischen Ursprungs wären, im Gegensatz zu den 
epiplastischen „fibre-elements“, so wäre damit ein so prinzipieller Gegensatz gegen die eigent- 
lichen Astrocyten geschaffen, dals sches aus diesem Grunde die „protoplasmatischen Ele- 
mente“ von der eigentlichen Neuroglia abzutrennen wären. Die Berechtigung einer solchen 
Annahme können wir freilich weder anerkennen noch ablehnen. 

Hingegen irrt Lloyd Andriezen ganz sicher, wenn er (British medical 
Journal 1593, 29. Juli) meint, dafs „the protoplasmatiec glia elements are really the 
elements, which exhibit a morbid hypertrophy in pathologieal conditions (aleoholism, G. P.) 
and which may show further morbid activities, in the last stage of which their protoplasma 
will deposit numerous organised fibrillae, in the act of doing which the proto- 
plasma proper is used up except a scanty remnant, which may persiste, ghost-like, 


to marke the position of what was once a protoplasmatie cell body.“ Gerade in patho- 


! Internationale Monatsschrift für Anatomie. 1893. S 537. 


— 114 — 


logischen Fällen, ganz besonders bei G.P. (general paralysis), sieht man 
nieht nur ungeheure Mengen von typischen „Astrocyten“, also 
nicht von protoplasmatie cells, neu auftauchen, mit echten, nur sehr 
dicken Neurogliafasern, sondern es trifft gerade hier nicht zu, dafs das 
Protoplasma verbraucht wird, und nur ein „Gespenstdes Zell- 
leibs“ zurückbleibt. Gerade bei der progressiven Paralyse sind die Zellleiber un - 
gewöhnlich grofs, man kann sogar dicke protoplasmatische Fortsätze sehen, an die 


die Fasern (freilich scharf von ihnen abgesetzt) sich eine Strecke weit anlehnen. 


9. Gyrus hippocampi. Cornu Ammonis. 


Das Ammonshorn ist ein so kompliziertes Organ, dals man sich nicht wundern kann, 
wenn in ihm auch die Neurogliaverhältnisse sehr verwickelt sind. Entsprechend dem Um- 
stande, dals bei der Entstehung des Ammonshorns allerlei Einstülpungen und Umbiegungen 
stattgefunden haben, tritt hier auch die Kielstreifenbildung mehrfach hervor. 

Zur Erleichterung des Verständnisses haben wir eine Zeichnung in Lupenvergrölse- 
rung auf Taf. XIII, Fig. 2 beigefügt (1:3'/e). Auf dieser sind aber nur diejenigen Neuro- 
gliazüge angegeben, welche man bei dieser Vergrölserung nachweisen kann. Einige Details 
sind auf Taf. X, Fig. 1 bis 3 und Taf. XIII, Fig. 1 bei starker Vergrölserung abgezeichnet. 


Die folgende Beschreibung geht in der Richtung der Pfeile in Fig. 2, Taf. XI. 


A. Gyrus hippocampi. 

Wir beginnen mit der Umbiegungsstelle des Gyrus hippocampi zum Ammonshorn 
(Taf. XII, Fig. 2a). Am Gyrus hippocampi liegen bekanntlich markhaltige Fasern frei an 
der Oberfläche. Diese entsprechen ja den gewöhnlichen Transversalfasern, sind aber mäch- 
tiger, als diese, und liegen nicht in graue Substanz eingebettet. Die weilse Schicht ist 
keine kontinuierliche, sondern besteht aus netzförmigen Zügen, in deren Maschen die Rinden- 
obertläche grau erscheint. (Substantia retieularis alba Arnoldi.) 

Entsprechend dem Umstande, dals hier markhaltige Züge frei an der Oberfläche 
liegen, finden wir die Neurogliaverhältnisse etwas abweichend von denen der übrigen Grols- 
hirnrinde. Zwar liegt auch hier eine Rindenschicht von dicht verftlochtenen Fasern in einer 


Dicke von etwa 0,02 mm oben auf, aber dann folgen nicht direkt die (hauptsächlich) 


En 


radıär verlaufenden, in die Rinde einstrahlenden Neurogliafasern, sondern es kommt zu- 
nächst eine ca. 0,2 mm breite Lage, die aus einem recht dichten Geflechte von Nenroglia- 
fasern besteht, welche nach allen Richtungen hin verlaufen. Innerhalb dieses Fasergeflechts 
sind „Astroeyten“ zu sehen. Die Fasern fassen Maschen ein, die grols genug sind, 
um je eine markhaltige Faser in sich aufzunehmen. Erst aus dieser oben und unten 
einigermalsen scharf begrenzten Schicht entwickeln sich dann die in die Tiefe gehenden 
hauptsächlich radiär gestellten Fasern, die zum Typus der Neuroglia in der Grofshirnrinde 
gehören. Sie verlaufen auch mit immer abnehmender Dichtigkeit (ca. 0,4 mm weit) in die 
darunter liegende Hirnrinde, deren tiefste Schichten auch hier wieder die für diese Stellen 
charakteristische aufserordentliche Spärlichkeit der Neuroglia aufweisen. Abgesehen von 
der Abweichung, die durch das Auftreten der oberflächlich liegenden mächtigen Tangential- 
faserzone und die dadurch veranlalste Einschiebung einer besonderen Neurogliaschicht 
gegeben ist, entspricht also die Rinde des Gyrus hippocampi durchaus den übrigen Rinden- 
teilen. Ja, an denjenigen Stellen dieses Gyrus, die der freiliegenden Tangentialfasern ent- 
behren, und die demnach schon dem blofsen Auge grau erscheinen, ist die Neuroglia genau 
so, wie an den übrigen Rindenteilen beschaften. 

Auf einem Schnitte durch den Gyrus hippocampi wechseln die beiden Arten der 
Neurogliaverteilung mehrfach ab. In der Nähe der Fissura hippocampi (Taf. XIII, Fig. 2b), 
wo das eigentliche Ammonshorn beginnt, scheint aber stets die weilse oberflächliche Schicht 


und die ihr entsprechende Neurogliaanordnung vorhanden zu sein. 


B. Fissura hippocampi. 

Von der Fissura hippocampi aus erstreckt sich eine Fortsetzung resp. Verschmelzung 
der Oberflächen des Gyrus hippocampi und des Ammonshorns weit in die Tiefe. Wir 
werden uns daher nieht wundern, hier einen langen 0,15—0,25 m. m. breiten Kielstreifen der 
Neuroglia zu finden. Derselbe ist schon mit dem blofsen Auge oder der Lupe zu erkennen 
(Taf. XIII, Fig. 2c). Er besteht aus einem diehten Geflecht von Fasern, die den hier ver- 
laufenden markhaltigen Nervenfasern hauptsächlich parallel ziehen, aber doch so, dals 
immer noch Nebenfasern in den beiden anderen Richtungen zu beobachten sind. Die Weite 
der Maschen variiert von 0,002 bis 0,006 mm. Da wir es hier mit den verschmolzenen 
Tangentialfasern des Gyrus hippocampi und der Ammonshornoberfläche zu thun haben, 
so finden wir auch, dem KRindentypus entsprechend, von dem Neurogliageflecht dieser 


Tangentialfasern nach beiden Seiten hin Neurogliafasern ausstrahlend, die zum Verlauf der 


Nerven hauptsächlich schief oder senkrecht stehen (Radiärfasern), und die sich allmählich 
in der Tiefe der anliegenden Rindenschichten verlieren. Die den Tangentialfasern ent- 
sprechende und so weit wie diese ins Innere reichende Neuroglia ist hier von demselben 
dichten Gefüge, wie an der Oberfläche des Gyrus hippocampi, also anders, wie das sonst bei 
den Tangentialfasern der Grofshirnrinde der Fall ist. — 

Die nun folgende rundliche Vorwölbung des Gyrus dentatus (Taf. XIII, Fig. 2d) hat 


noch kein Ependym. Sie ist mit einer gewöhnlichen Oberflächenrindenschicht überzogen. — 


C. Ammonshorn und Fimbria. 


Jetzt kommen wir wieder an eine Einkniekung, der unteren Grenze der sich hier 
ansetzenden Fimbria entsprechend (Taf. XIII, Fig. 2e). An dieser Einknickung ist die 
Rindenschicht ungemein entwickelt (Taf. X, Fig. 3), und von ihr aus gehen mehrere für 
das blofse Auge oder die Lupe ganz gut kenntliche Züge aus (Taf. XII, Fig. 2f, fı u. fıı). 
Diese Neurogliazüge sind je nach der Art, wie sie vom Schnitt getroffen werden, 0,2—0,5 
mm breit und bestehen aus einem sehr zierlichen, dichten und verhältnismälsig regel- 
mälsigen Netzwerk mit polyedrischen Maschen. Dies Netzwerk ist eins der dichtesten und 
dabei zartesten Geflechte von Neurogliafasern, die sich in weilsen Substanzen des Central- 
nervensystems finden. Es handelt sich in der That um weilse Substanzen, nämlich um die- 
jenigen, denen die spezifischen Ammonshornzellen seitlich ansitzen. (Taf. X, Fig. 2, starke 
Vergrölserung.) 

Einer dieser Züge verläuft nach der oberen Fläche hin, sich dieser parallel richtend 
(Taf. XIIL, Fig. 2f), einer in Absätzen parallel der lateralen und ventralen Grenze zwischen 
Ammonshorn und Gyrus hippocampi (Taf. XIL Fig. 2 fu), und ein dritter zwischen 
beiden (fı). Auf einer Seite oder auf beiden Seiten dieser Züge liegen die charakteristischen 
Zellen des Ammonshorns. In diese (Taf. X, Fig.2 , starke Vergröfserung) erstreckt sich 
ein lockeres Neuroglia-Fasergeflecht, dessen einzelne Fasern hauptsächlich senkrecht zum 
Verlaufe der Markfasern stehen, aber namentlich in der Nähe dieser letzteren auch durch 
Fasern anderer Richtungen vielfach durchflochten werden. Bei denjenigen Zellen des Am- 
monshorns, die in der Nähe der freien Oberfläche oder der tiefen Tangentialfasern liegen, 
vermischen sich diese, die Zellschieht durchquerenden Fasern mit anderen, die von der 
freien Oberfläche resp. den tiefen Tangentialfasern her radiär in die Tiefe gehen. Liegen 
die Ammonshornzellen aber entfernter von den genannten Stellen (wie bei fı), so erreichen 


die radiären Fasern die spezifischen Zellen des Ammonshorns nicht, und da verlieren sich 


denn die Neurogliafasern in die tiefen Rindenschichten, die auch hier ungemein faser- 
anmE sind 2 — 

Wir verfolgen nun die Oberfläche des Ammonshorns in der begonnenen Richtung weiter 
und kommen nun an die Fimbria. Diese ist sehr reich an Neurogliafasern, die die Ner- 
venfasern durchflechten (Taf. X, Fig. 3, schwächere Vergrölserung; Taf. XII, Fig. 1, starke 
Vergröfserung). Auf der lateralen Oberfläche ihres Anfangsteiles zeigt sie die dünnere 
Oberflächenrindenschicht (Taf. XIII, Fig. 1a), auf der medialen Seite die dickere Ependym- 
schicht (Taf. XII, Fig. 1b). 

An die Fimbria setzt sich der Plexus chorioideus an, in den die Neuroglia nur eine 
kurze Strecke weit hineinzieht (Taf. XIII, Fig. 1). 

Das Ependymepithel der Fimbria und auch weiterhin das des Ammonshorns ist stellen- 
weise in Form von Höckern (Taf. XIII, Fig. 1d), aber auch manchmal in der von schlanken 
Papillen abgehoben, — gewissermalsen die ersten Andeutungen einer Plexusbildung. 

An derjenigen Stelle. an welcher die Fimbria zum Plexus chorioideus abbiegt, ist 
eine Einknickung vorhanden, und von dieser aus erstreckt sich ein Kielstreifen (XIII, 2 g) 
ins Innere. 

Die nun folgende (ventrieuläre) Fläche des Ammonshorns ist mit Epithel überkleidet, 
und zeigt eine dicke ependymäre Neurogliaanhäufung, 'an die sich lockere, mehr radiär ver- 
laufende Fasern anschlielsen (Taf. X, Fig. 1, starke Vergröfserung). 

Gehen wir die ventrieuläre Seite des Ammonshorns entlang, so kommen wir schliefs- 
lich an die Verbindungsstelle des Alveus mit der dorsalen Ventrikelwand (Taf. XIII, Fig. 2 h). 
Von hier aus erstreckt sich weithin ein Kielstreifen von Neuroglia (Taf. XIII, Fig. 21) 


RZ 


der seine Entstehung aus der Verschmelzung zweier Oberflächen auch dadurch zu erkennen 
giebt, dals in der Nähe des Ventrikels noch Epithel, zuerst in zusammenhängender Lage, 
dann in unterbrochenen Zügen zu finden ist, bis es schliefslich ganz verschwindet. 

Auch dieser Kielstreifen ist mit blofsem Auge zu sehen. Er besteht aus einem dichten 
Neurogliageflecht und verdünnt sich nach der Tiefe immer mehr, um endlich zu verschwinden. 
Von seinen beiden Seiten strahlen hauptsächlich schiefe Neurogliafasern ab, deren spitze 
Winkel sich nach der Ventrikelseite hin öffnen. 

Dann kommt, entsprechend der den Kielstreifen umgebenden weilsen Substanz, ein 


Geflecht von Neurogliafasern, wie es für die Marksubstanz des Grofshirns typisch ist. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 


li 


10. Balken und Fornix. 


Der Balken besitzt zwei mit Bezug auf die Neurogliaverhältnisse verschiedene Ober- 
Hlächen, eine obere epithelfreie und eine untere, teils mit dem Fornix verschmolzene, teils 
mit Epithel bedeckte. Dieses Epithel gehört ja zur Auskleidung der Seitenventrikel, 

Die obere Fläche zeigt eine 0,01—0,03 mm dicke verdichtete Rindenschicht 
(Taf. XI, Fig. 2a). An diese schliefst sich nach der Tiefe (Taf. XI, Fig. 2b) an denjenigen 
Stellen, wo längsverlaufende Nervenbündel der Oberfläche anliegen, ein Neurogliageflecht 
an, welches zwar lange nicht die Dichtigkeit einer Rindenschicht besitzt, aber doch eine 
engere Verflechtung von Fasern aufweist, als die mehr in der Tiefe liegende quer gerichtete 
Nervenfaserschicht. Die Hauptrichtung der Fasern ist die zur Oberfläche senkrechte, doch 
finden sich zwischen diesen Hauptfasern andere sie verbindende, die in den beiden zur 
Oberfläche parallelen Richtungen resp. schief verlaufen. Diese dichtere Schicht, die unter- 
halb der noch dichteren Rindenschicht liegt, ist etwa Y/s mm dick und verliert sich nach 
unten in die Neurogliamassen der queren Markfaserschicht. Die letztere entfernt sich nicht 
von dem Typus der weilsen Hirnsubstanz, enthält also auch hauptsächlich den Nerven- 
fibrillen parallel verlaufende Fasern mit den üblichen Nebenfasern in anderen Richtungen. 
(Taf. XI, Fig. 3. Man beachte, dafs diese Zeichnung des Platzes wegen um 90° gedreht 
ist. Man muls also die Tafel so halten, dals der rechte Rand nach unten kommt.) 

Die erwähnte diehtere, hauptsächlich aus radiären Fasern zusammengesetzte Neuro- 
glialage unterhalb der Rindenschicht fehlt aber an denjenigen Stellen, wo Ganglienzellen- 
massen an der Oberfläche des Balkens liegen, oder sie ist erst unterhalb derselben 
andeutungsweise vorhanden. Die Ganglienzellenmassen sind meines Wissens von Jastro- 
witz! entdeckt worden. Viel später sind sie dann wieder von Golgi? beschrieben worden, 
dem aber die Angaben von Jastrowitz entgangen waren. Auf dem Querschnitt erscheinen 
diese Ganglienzellenanhäufungen als kuppenförmige Vorsprünge. Bei Anwendung der Neuro- 
gliafärbung heben sich diese Stellen schon bei schwächerer Vergröfserung gegen ihre Um- 
gebung ab. 

Bei stärkerer Vergröfserung (Taf. XII, Fig. 1) findet man, dals gleich unter der hier 


recht dünnen verdichteten Rindenschicht eine an Neurogliafasern arme Partie den Ganglien- 
ı Studien über Encephalitis und Myelitis des ersten Kindesalters. Schlufsartikel. Archiv für Psy_ 
chiatrie. III. 1872, S. 1671. 
2 Über die feinere Anatomie der Centralorgane des Nervensystems. 1885. Gesammelte Abhandlung. 


S. 135 ff. und Tafel 28. 


u 


zellenanhäufungen entspricht. Die Fasern zwischen den Ganglienzellen bilden ein lockeres 
Geflecht von hauptsächlich zur Oberfläche senkrechten Fasern. Sie reichen von der Rinden- 
schicht bis zur unterliegenden Markfaserschicht und stehen mit beiden Neurogliageflechten 
in Verbindung. 

Überall findet man im Balken „Astrocyten“. In der tiefen Markmasse liegen aber auch, wie 
überall, anscheinend quadratische Neurogliazellen, wie schon Jastrowitz angegeben hat, oft in 
kleinen Längsreihen. Doch strahlen von diesen Längsreihen öfters Fasern nach der Umgebung 
von den Seitenrändern der gesammten Zellreihe aus. — 

Anders als die obere Fläche verhält sich die mit Epithel bekleidete resp. mit dem 
Fornix verschmolzene untere Partie des Balkens (Taf. XII, Fig. 1). Unter dem Epithel 
findet sich eine 0,1 bis 0,2 mm dicke, aus sehr eng verflochtenen Neurogliafasern bestehende 
Schicht, die sich nach oben (also nach der tiefen Nervenfaserlage hin) ohne scharfe Grenze 
in ein lockeres Geflecht auflöst, das seinerseits ungefähr 0,5 mm dick ist und sich ebenfalls 
allmählich in das noch lockerere Neuroglialager der tieferen Markmasse verliert. Die 
Fasern dieser oberhalb der dichten Ependymschicht direkt gelegenen Zone sind wieder in 
ihrer Hauptrichtung zur Oberfläche senkrecht gestellt und unterscheiden sich so von den 
Fasern der tieferen weilsen Massen, die ja in ihrer Hauptrichtung zur Oberfläche parallel 
verlaufen. Dadurch, dals zwischen !den zur Oberfläche senkrechten Fasern der zweiten 


Schicht quere Nebenfasern verlaufen, entsteht ein sehr zierliches Geflecht. 


Das Epithel fehlt auch hier manchmal stellenweise. Dann wuchert die Neuroglia in 
flachen Wülsten über die freie Oberfläche hervor (Ependymwucherung), doch habe ich so 
erolse Wucherungen, wie im vierten Ventrikel, nicht gesehen, auch keine schon hyalin 


degenerierten. — 


Die dichte Ependymschicht nimmt an Dicke zu, bis sie da, wo der Fornix sich 
mit dem Balken verbindet, etwa '/’s mm Stärke erreicht (Taf. XI, Fig. 4). Über diese 
Verbindungsgrenze hinaus, also zwischen Fornix und Balken setzt sie sich dann als dicker 
kurzer Kielstreifen fort, so dafs also an dieser Verbindungsstelle eine ungemein grolse 
Menge Neuroglia liegt. — 

Der Fornix selbst zeigt an seiner lateralen (den Seitenventrikel begrenzenden) Seite 
ebenfalls Epithelbelag mit der dazu gehörigen verdichteten Ependymneuroglia. Seine Fasern 
sind durch eine für eine weilse Substanz recht reichliche Menge Neuroglia von einander 


getrennt und vielfach zu kleineren durch Randschichten geschiedenen Bündeln angeordnet 


— 180 — 


(Taf. XI, Fig. 4). Das ist namentlich auch an der medialen Fläche dicht auf der Kiel- 
streifenbildung der Mittellinie zu sehen. — 
Die mediale Fläche des Fornix (Ventrienlus septi pellueidi) hat kein Epithel und 


nur eine dünne verdichtete Rindenschicht. Auch hier sind überall „Astrocyten“ zu finden. 


Il. Opiicus und Chiasma. 


Dals im ÖOptieus Neuroglia enthalten ist, wulste schon Virchow. Leber hat hier 
auch Deiterssche Zellen nachgewiesen. Im Jahre 1890 habe ich dann das wesentliche, 
was mit der neuen Methode von der Neuroglia am Opticus erkannt werden konnte, bereits 
erwähnt. Seitdem sind verschiedene Mitteilungen nach Untersuchungen mit der Golgi- 
schen Methode erschienen, die aber nichts neues zu dem schon bekannten dazugebracht 
haben. Einer Beschreibung und Abbildung bei Ramön y Cajal! muls jedoch aus dem 
Grunde gedacht werden, weil namentlich die letztere so vortrefflich ist, wie das die Golgi- 
sche Methode überhaupt zu erreichen gestattet. 

Ich hatte in der erwähnten vorläufigen Mitteilung schon angegeben, dafs der Opticus 
ein reiches Neurogliageflecht besitzt, das sich an der Oberfläche des ganzen Nerven stärker, 
an der Oberfläche der einzelnen Bündel schwach verdickt zeigt, mit einem Worte: seiner 
Neuroglia nach verhält sich der Opticus ganz wie eine in kleinere 
Bündel abgeteilte, zu einem Gesamtbündel vereinigte weilse Hirn- 
substanz. Mehr zu sagen, ist nicht nötig. (Vgl. Taf. VII, Fig. 3 und 4.) — 

Zu welchen Irrtümern aber auch hier wieder die Golgische Methode führen kann, 
wenn es sich um die Beurteilung der Topographie handelt, das geht aus einer Bemerkung 
Greeffs hervor.” Greeff erklärt es nämlich für eine Täuschung, dals gerade unter 
der Oberfläche des Sehnerven die Neuroglia am dichtesten wäre. Die Täuschung könnte 
nur dann herbeigeführt werden, wenn man die Präparate nicht lange genug im Golgi- 
schen Gemische liefse, denn dann dringt dies nur in die äulseren Schichten ein. Lälst man 
sie länger darin, so findet man gerade umgekehrt am Rande nur wenige und schlecht 


gefärbte Zellen, in der Mitte aber ein dichtes Zell- und Fasergewirr. Dabei giebt Greeff 


ı Notas preventivas sobre la retina y gran simpätico de los mamiferos. Barcelona 1891. 
2 Die Spinnenzellen — Neurogliazellen — im Schnerv und der Retina. Archiv für Augenheilkunde. 
Band 29. S. 11 des Separatabdrucks. 


— 181 — 


selbst zu, dals man mit der Golgischen Methode über die Dichtigkeit der Neuroglia nur 
schwer eine Vorstellung gewinnen kann (S. 10) — aber trotzdem er sich darüber klar war, 
verfiel er in den Irrtum, die verdichtete Rindenschicht am Opticus für eine Täuschung 
zu erklären. — 

Auch im Chiasma bleiben die Verhältnisse durchaus dem ÖOpticus analog, nur dafs 
eben hier wegen der Durchflechtungen der Bündel das Bild der Neurogliafasern verwickelter 
wird, da diese ja in jedem Bündel eine von den anliegenden, sich mit ihm kreuzenden 


Bündeln verschiedene Hauptrichtung aufweisen müssen. 


Am Chiasma ist die laterale und vordere Rindenschicht etwa 0,04 mm dick, hinten 
aber wird das Chiasma von einer dickeren aus sehr dicht gewebten Fasern bestehenden 
Schicht überkleidet, die ca. '/a mm stark und daher schon für das blofse Auge als dunkel- 
blauer Streifen kenntlich ist. Diese grofse Dicke und Dichte der Schicht ist einigermalsen 
auffallend, da ja hier kein epithelbedecktes Ependym vorhanden ist, sondern der Oberfläche 


nur Bindegewebe aufliegt. 


Dies Bindegewebe trennt das Chiasma bis auf den mittelsten Teil vom Trichter, 
welcher an der dem Chiasma zugekehrten Seite eine etwa ebenso dicke Rindenschicht be- 
sitzt, die sich nach der Tiefe zu in zerstreute Fasern auflöst. In der Medianlinie ver- 
schmelzen beide Hirnteile, indem das Bindegewebe fortfällt, und da sind denn beide Organe, 
ohne dafs noch freie Oberflächen vorliegen, durch eine dicke dichte Neurogliaschicht, einen 
Kielstreifen, von einander getrennt. In den seitlichen Teilen der dichten Neurogliamasse 


liegen grolse Ganglienzellen eingesprengt. 


I2. Corpora mamillaria. 


Die äulsere Oberfläche der Corpora mamillaria zeigt auf ihrer lateralen Seite eine 
sehr dicke, dichtgewebte Rindenschicht (ca. 0,1 mm). Diese verschmälert sich beim Um- 
biegen in die mediale Oberfläche der Hügel bis auf 0,02 mm, in welcher ungefähren Dicke 
sie diese letztere bekleidet. Die dichten Massen lösen sich nach der Tiefe hin in lockrere 
Geflechte auf, die aber immer noch sehr reichliche Fasern enthalten. Von denen strahlen 
dann diskrete Fasern in die in der Substanz der Corpora mamillaria liegenden Ganglienzellen 


und Ganglienzellengruppen nach den verschiedensten Richtungen aus. 


-—- 12 — 


Die ependymäre Fläche zeigt wieder eine ungefähr 0,1 mm im Durchmesser haltende 
subepitheliale Neurogliaverdichtung, die in ihrer grofsen Dieke sehr stark gegen die viel 
dünnere, nur durch eine schmale Gewebsbrücke von ihr getrennte äulsere Rindenschicht 
an den medialen Flächen der beiden Hügel absticht. An die ependymären Verdichtungen 
schlielst sich wieder eine noch etwas dickere Lage locker gewebter, aber immer noch ziem- 
lich reichlicher Fasern an, die nach der Tiefe sich allmählich mehr und mehr verlieren. In 
den gröfseren Ganglienhaufen des centralen Höhlengraus, die hier liegen, sind die Fasern 
aber wieder reichlicher, in verschiedener Richtung verlaufend. 

Der Fornix zeigt auch in seinem Endteile die Neurogliaverhältnisse der weilsen 


Substanzen. 


13. Sehhügel. 


Das Studium der Neuroglia der grolsen Centralganglien hat mir grolse Schwierig- 
keiten gemacht, weil gerade hier die fixierenden und beizenden Flüssigkeiten sehr schwer 
in die Tiefe dringen. Die Schilderungen der Neurogliaverhältnisse, die in diesem und dem 
nächsten Abschnitte folgen, bedürfen daher ganz besonders noch ergänzender 
Studien. 


Die Oberfläche des Sehhügels hat dreierlei verschiedene Charaktere: 


1. Die Gegend des Plexus chorioideus. Der Plexus chorioideus scheint der 
Oberfläche des Sehhügels ganz locker aufzuliegen. Hat man aber ganz frische Ge- 
hirne, so überzeugt man sich, dals die Verbindung doch keine gar so lockere ist, 
man sieht vielmehr von der Unterfläche des Plexus Gefälschen in die Sehhügel- 
oberfläche eindringen. An dieser Stelle hatnun der Sehhügel keinen 
Epithelüberzug, oder vielmehr zwischen das Epithel und das Nervengewebe 
ist echtes Bindegewebe, d. h. der Plexus, eingeschoben, der erst seinerseits auf 
seiner freien Fläche von Epithel bekleidet ist. Die Verhältnisse sind also ähn- 
lich, wie in den lateralen Teilen des Ventrikelbodens an der Medulla oblongata. 

2. Die zweite Abart der Oberflächenbeschaffenheit am Sehhügel ist durch die ober- 
flächlich liegenden markhaltigen Nervenfasern bedingt. 

3. Die dritte Art endlich ist die, wo (jenseits des Suleus Monroi) die grauen 


Massen zu Tage liegen. 


— 13 — 


Schon durch diese drei verschieden beschaffenen Oberflächenregionen werden Unter- 
schiede in den ependymären Neurogliamassen bedingt. In der ersterwähnten Gegend, der 
des Plexus chorioideus, ist eine auffallend dünne (0,01—0,02 mm dicke) {verdichtete Ober- 
flächenschicht vorhanden. Man könnte vielleicht annehmen, dafs die Einschiebung des 
bindegewebigen Plexus die Ursache für diese Dünnheit der eng gewebten Neuroglialage ist. 
Von der strahlen dann mehr lockere, aber doch noch faserreiche z. T. radiär gerichtete 
Neurogliamassen in die Tiefe (Taf. XII, Fig. 2a). 

Aber auch an den anderen Stellen der Sehhügeloberfläche hat die ependymäre Schicht 
eine ungemein wechselnde Dicke von 0,025 bis 0,17 mm im Durchmesser schwankend. Für 
diese Schwankungen weils ich keine Gründe anzugeben. Da wo etwas grölsere Gefälse in 
der oberflächlichen Schicht liegen, zeigt die ependymäre Verdichtung eine starke Massen- 
zunahme. 

Liegen weilse Faserzüge unmittelbar an der Oberfläche, so kann entweder eine ab- 
gesetzte Ependymschicht darüber liegen, oder es ist so wie bei den Striae acusticae der 
Medulla oblongata, d. h. das Epithel liegt direet auf den Nervenbündeln auf. Im letzteren 
Falle sind dann die Nervenfibrillen von sehr diehten Neurogliamassen durchsetzt, unter 
denen auch lange Radiärfasern auffallen, während die übrigen in den beiden anderen Rich- 
tungen verlaufen. In der dichten Schicht sind dann aber die Maschen für die markhaltigen 
Nervenfasern ausgespart. In dem Falle, dals noch eine besondere Neurogliaverdichtung 
zwischen Epithel und Nervenbündel eingeschoben ist, zeigt das letztere immer noch reichliche 
Fasern, aber doch nieht so dichte Netze, als wenn das Epithel allein die Grenze gegen 
den Ventrikel bildet. 

An den grauen Stellen der Sehhügeloberfläche ist die Ependymschicht zwar auch von 
wechselnder Dicke, aber sonst von gewöhnlicher Beschaffenheit (Taf. XII, Fig. 3a). — 

Unterhalb der verdichteten Neurogliamassen an der Oberfläche des Sehhügels finden 
sich dann mehr lockere, aber doch faserreiche Neurogliamassen. Ist die auf diese zweite 
Zone folgende Schicht ärmer an Neuroglia, so zeigt sich, wie so häufig, die Tendenz der 
Fasern in radiärer Richtung zu verlaufen (Taf. XII, Fig. 2b), in anderen Fällen aber 
schliefst sich an die ependymäre oder an die dieser entsprechende interfibrilläre Neuroglia- 
masse ein unregelmälsiges Geflecht direkt an (Taf. XII, Fig. 3b), also ähnlich wie an den 
ventrikulären Stillingschen Nervenkernen. 

Die Neurogliaverhältnisse in den tieferen Regionen des Thalamus optieus scheinen 


sehr verschieden zu sein, wie ja auch seine Ganglienzellen zu sehr mannigfachen Gruppen 


— 134 — 


zusammengestellt sind (Niss]). Gerade diese Verhältnisse bedürfen noch eines weiteren 
Studiums und setzen eine vorherige genaue Kenntnis der „Sehhügelkerne“ voraus. Ich 
gebe hier (Taf. XII, Fig. 4) nur die Abbildung einer besonders typischen Geflechtsbildung 
aus dem Pulvinar. Hier findet man grolse Astrocytenformen, von denen reichliche, aber 
locker liegende Fasern ausstrahlen, die auch leichte Verdichtungen um die Ganglienzellen 
erzeugen. Das Bild erinnert sehr an die Neuroglia des roten Kerns, nur schien die letztere 
mir reichlicher zu sein. Im Sehhügel tritt auch das Netz der Nervenfibrillen nicht deutlich 


hervor, wie das doch im roten Kern der Fall ist. 


14. Streifenhügel und Kapseln. 


Der Kopf des Streifenhügels ist mit einer Ependymschicht von sehr wechselnder 
Dicke bekleidet, die auch hier stellenweise auffallend, dünn ist, — also ganz ähnlich, wie 
am Sehhügel. 

An diese Schicht schlielst sich dann die übliche mehr lockere Fasermasse an mit 
vielen radiären Fasern. Sonst aber zeigen die tieferen Schichten des Nucleus caudatus und 
Linsenkerns ganz abweichende Verhältnisse gegenüber dem Sehhügel. 
Die Neuroglia ist mit Ausnahme der Umgebung etwas grölserer Gefälse ungemein spar- 
sam, so sparsam, dals man wohl sagen kann, Streifenhügel und Linsenkern 
zeigen Neurogliaverhältnisse, wie sie dem Typus der Grolshirn- 
rinde entsprechen. 

Die Kapseln und die weilsen Züge im Corpus striatum ete. sind mit zarten, 


engen, dem Typus der weilsen Hirnsubstanz entsprechenden Neurogliagerüsten versehen. 


9. Abschnitt: 
Die physiologische Bedeutung der Neuroglia. 


Es wäre sehr interessant, wenn man aus den geschilderten topographischen Verhält- 
nissen der Neuroglia auch ein allgemeines physiologisches Prinzip herauserkennen könnte. 
Dals die Neurogliafasern eine Zwischensubstanz darstellen, ist ja zweifellos. Eine 


Zwischensubstanz hat irgend welche passiven Funktionen. Welche hat nun die Neuroglia ? 


Das eine ist sicher, dals die Neuroglia eme raumausfüllende Aufgabe hat. 
Das beweist vor allem die pathologische Histologie, denn überall da, wo durch Unter- 
gang von nervösem Material Platz frei wird, wuchert die Neuroglia und füllt mit ihren 
Fasern den frei gewordenen Raum aus. Ob dieser Untergang nur die Markscheide 
betrifft, wie das bei multipler Sklerose der Fall sein soll, oder die ganze Nervenfaser, 
wie bei der Tabes und bei den sekundären Degenerationen, ob ganze Nervenzellen 
zu Grunde gehen, wie bei Poliomyelitis anterior, oder Teile derselben, wie bei der 
progressiven Paralyse, ob das ganze Nervenmaterial (d. h. Zellen und Fasern) 
zerstört wird, wie bei ischämischen Nekrosen, — immer sehen wir dem Defekt entsprechende 
geringere oder grölsere Mengen von Neurogliafasern den frei gewordenen Raum ausfüllen. 
Ganz besonders möchte ich betonen, dafs entgegen einer früher von mir geäufserten Ansicht, 
es sich mit der neuen Methode leicht erweisen liefs, dals auch die festen Narben nach 
ischämischen Nekrosen nicht Bindegewebe enthalten, sondern aus dichtgewebten, kolossalen 


Neurogliamassen bestehen. 


Aber neben dieser Funktion als Füllmaterial könnten der Neuroglia noch andere 
Aufgaben obliegen, und hierüber sind in der That schon mancherlei Hypothesen aufgestellt 
worden. Die bekannteste ist die von Golgi, der den Dendriten der Ganglienzellen eine 
nutritive Funktion zuschrieb. Diese sollten sie dadurch erfüllen, dafs sie sich mit den 
Ausläufern der Neurogliazellen in Beziehung setzten, d. h. diese letzteren sollten in irgend 
einer Weise mit der Ernährung der Ganglienzellen in Verbindung stehen. Wir haben schon 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. v4 


5. 50 ausgeführt, dafs unsere Präparate eine Beziehung zwischen Dendriten und Neuroglia- 
fasern nicht zu erkennen erlauben, während es aber immerhin möglich wäre, dafs jemand 
mit anderen Methoden eine solche Beziehung entdeckte. Hingegen können wir jetzt eins 
mit Bestimmtheit sagen: welches auch immer diese noch zu erweisenden Beziehungen sein 
mögen, die Meinung Golgis, dafs die Dendriten gerade deshalb als protoplasma- 
tische Ernährungsfortsätze aufzufassen wären, weil sie sich mit den „Neurogliazellen“ 
in Beziehung setzten, kann nicht richtig sein. Dieser von Golgi angeführte Grund 
konnte so lange als stichhaltig angesehen werden, als man die „Ausläufer“ der 
Deitersschen Zellen für richtige protoplasmatische Zellfortsätze hielt. Jetzt aber können 
wir bestimmt sagen, dals sie keine protoplasmatischen Fortsätze, ja dafs sie überhaupt keine 
Fortsätze der Zellen sind. Man mufs daher die Idee durchaus fallen lassen, dafs diese 
Fasern für den Chemismus der Neurogliazellen und erst recht, dafs sie, wenn auch indirekt, 
für den Chemismus der Ganglienzellen von Bedeutung sein könnten. 

Auch die Annahme, dals die Neurogliafasern wie capillarste (sit venia verbo) seröse 
Gefälse auch nur die Ernährungssäfte leiten könnten, müssen wir zurückweisen. Diese 
Möglichkeit war so lange vorhanden, als man mit Frommann, Lavdowsky u.a. der 
Meinung sein konnte, dafs die Fasern hohl wären. Auch diese Meinung haben wir aber oben 
zurückgewiesen (S. 68 sub 2). — 

Eine fernere Hypothese über die Bedeutung der Neuroglia ist die von P. Ramon, 
dem sich auch Ss. Ramön y Cajal und Sala y Pons angeschlossen haben. P.Ramön 
und die anderen genannten Forscher mit ihm glauben nämlich, dafs die Neuroglia ganz 
wesentlich die Aufgabe habe, zur Isolierung der nervösen Leitungen zu 
dienen, d. h. die Bildung schädlicher Nebenleitungen in den Nervenströmen (cor- 
rientes nerviosos) zu verhindern. 

Die Gründe für diese Ansicht falst Sala y Pons in folgender Weise zusammen: 
„Die Annahme, dafs die Neuroglia eine einfache Stützsubstanz sei, genügt nicht, um die 
Eigentümlichkeit zu erklären, dafs die Fasern („Zellfortsätze“) an manchen Stellen dicht, 
an anderen weniger dicht sind, ja fast vollkommen fehlen. Sie erklärt auch die Thatsache 
nicht, dafs die „Zellfortsätze“ beim Durchgang durch die eine Region glatt, beim Übergange 
in eine andere zottig sind, was doch als eine Vermehrung der Oberfläche angesehen werden 
mufs. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dafs die Neuroglia einen anderen Zweck hat, näm- 
lich den, dafs sie die unnützen und schädlichen Kontakte der Nervenelemente ver- 


hindern soll. 


Daraus erklärt es sich, dafs siein der weilsen Substanz überall so 
reichlich ist, während sie in der grauen Substanz da, wo keine Durchgangsfasern 
existieren, fehlt oder sehr vermindert auftritt. Auch die zottigen Anhänge der Fasern er- 
klären sich so, dafs diese in denjenigen Zonen zu beobachten sind, wo die Kontakte ver- 
ringert werden sollen, dals sie aber da fehlen, wo eine derartige Aufgabe nicht zu erfüllen 
ist, d. h. da, wo die Enden und Collateralen der Axeneylinder mit den Körpern und Dendriten 
der Ganglienzellen in Kontakt treten sollen, und ein Zusammenstofs der Nervenströme er- 
folgen muls. Umgekehrt ist die Neuroglia dann in genügender Reichlichkeit vorhanden, wenn 
solche Übergänge der Nervenströme von eimem Gebilde auf das andere verhindert werden 
sollen.“ ! 

Soweit Sala y Pons. Mit Bezug auf diese Hypothese von P. Ramön müssen wir 
aber sagen, das weder die Thatsachen, auf welche sie sich stützt, richtig sind, noch die 
theoretische Begründung zutrefiend genannt werden kann. Schon die allererste Annahme, 
dafs die Neuroglia der weilsen Substanz sehr reichlich sei gegenüber der der grauen, stimmt 
absolut nicht. Wir haben im Gegenteil gesehen, dals die reichlichsten Neurogliamassen 
gerade in gewissen grauen Substanzen zu finden sind. Es stimmt auch ferner gar nicht, 
dafs in den grauen Substanzen diejenigen Stellen arm an Neuroglia sind, wo zahlreiche 
Kontakte von Dendriten und Axencylindern statthaben. In den Oliven, den Vierhügeln, 
den Stillingschen Nervenkernen ete. sind doch gewils reichliche derartige Kontakte zu kon- 
statieren, — und doch ist an diesen Partieen ein ungemein reiches Neurogliagerüst vor- 
handen, viel reichlicher, als in den weilsen Substanzen. Endlich stimmt es nicht, was wir 
schon früher (S. 79 sub 6) erörtert haben, dafs diejenigen grauen Massen, welche viele 
durchgehende markhaltige Fasern enthalten, auch eine grölsere Masse von Neuroglia be- 
sitzen sollten. 

In alle diese thatsächlichen Irrtümer sind die berühmten spanischen Forscher nur 
deshalb geraten. weil sie sich für ihre Neurogliauntersuchungen nur der Golgischen Methode 
bedienen konnten, deren Unzuverläfsigkeit für die Beurteilung topographischer Verhältnisse 
wir jetzt wohl genügend kennen gelernt haben. 

Aber nicht blofs die thatsächlichen Verhältnisse, auf welche sich die Hypothese von 
P. Ramön stützt, treffen nicht zu, auch gegen die theoretische Begründung lälst sich 


mancherlei einwenden. Gerade in den weilsen Substanzen erscheint eine Isolierung durch 


ı Sala y Pons, La Neuroglia de los Vertebrados. Madrid 1894. S. 40. 


24* 


— 158 — 


Neuroglia ganz überflüssig, denn hier sind ja die Axencylinder von dicken, isolierenden Mark- 
scheiden so wie so umgeben. Es bedürfte also einer weiteren isolierenden Schicht, wie sie 
die Neuroglia darstellen soll, durchaus nicht. 

Viel eher mülste man umgekehrt erwarten, dals in den grauen Substanzen gerade an 
denjenigen Stellen, wo die Enden der Axeneylinder und Collateralen mit den Dendriten in 
Kontakt treten, eine isolierende Substanz erwünscht wäre. 

Diese Kontakte dürfen doch auch die corrientes nerviosos nicht m regelloser 
Weise von einer Bahn auf die andere überleiten. Es darf nicht irgend ein beliebiger Ner- 
venast mit einem beliebigen Dendriten, den er im Vorbeiziehen trifft, oder mit einem 
anderen Nervenast der Nachbarschaft in leitende Verbindung treten. Viel eher mülsten 
hier Vorrichtungen getroffen sein, die den -Nervenströmen nur die ihnen vorge- 
geschriebene Bahn zu beschreiten erlauben und die alle Nebenbahnen ausschalten, für 
welche doch bei der reichen Verzweigung und Durchflechtung der Dendriten und Axencylinder 
so sehr viel Gelegenheit gegeben ist. Gerade hier soll nun keine isolierende Schicht nötig 
sein, — und in der weilsen Substanz mit ihren viel einfacheren Bahnen sollen die dieken 
Markscheiden nicht genügen! 

Wenn wir ferner bedenken, dals gerade im Gegensatz zu den Markscheiden die Neu- 
rogliafasern nur Geflechte, aber nirgends festgeschlossene Massen darstellen, wie sie 
eine isolierende Schicht doch erforderte, so werden wir wohl nicht umhin können, die 
Hypothese von P. Ramön fallen zu lassen, — höchstens könnte man für diejenigen 
Stellen eine isolierende Wirksamkeit der Neuroglia annehmen, wo diese zusammenhängende, 
von nervösen Elementen freie, oder fast freie, Schichten bildet. Das würde z. B. an den 
äulseren und inneren Oberflächen denkbar sein. ! 

Um Mifsversändnisse zu vermeiden, sei aber doch noch speziell darauf hingewiesen, 
dals zur Isolation der Dendriten und Axencylinder unter einander, von deren präsumtiven 
Notwendigkeit wir oben sprachen, nicht etwa eine wirkliche „Grundsubstanz“ oder eine, 
noch zu entdeckende, andere Neuroglia absolut nötig wäre. Vielleicht genügt es schon, 


dals die feinen Reiserchen in Gewebstlüssigkeit baden, die ja in ähnlicher Weise zur Iso- 


! Als Curiosum sei noch mitgeteilt, dafs Schleich den Schlaf auf eine „Reizung der Neuroglia* 
zurückführt. (Schmerzlose Operationen Berlin 1894. S. 78ff.) Eine gereizte Intercellularsubstanz ist jeden- 
falls etwas sehr merkwürdiges. Schleich giebt S. 89 eine Abbildung der Neuroglia in der Hirnrinde. Man 
sieht da ein reiches Gespinnst von Neurogliafasern um eine Ganglienzelle herum, aber dieses Gespinnst ist eben 


— ein Hirngespinnst, 


— ke) — 


lierung dienen könnte, wie das Öl in den Transformatoren hochgespannter Ströme der 
Technik, wobei man freilich voraussetzen muls, dafs bei den so minimalen Stromspannungen, 
wie sie in den Dendriten etc. herrschen, die Gewebsflüssigkeit als Isolator genügt, — wer 


kann aber wissen, wie die Natur sich hilft? — 


Wenn wir der Neuroglia eine raumausfüllende Aufgabe zuschreiben, so erscheint 
gerade das, was die spanischen Forscher zu ihrer Hypothese veranlalst hat, garnicht so 
wunderbar. Ihnen war die wechselnde Menge der Neuroglia im Inneren der Organe 
das merkwürdige und einer speziellen Erklärung bedürftige. Aber man kann sich sehr leicht 
vorstellen, dals in den verschiedenen Regionen des Centralnervensystems die nervösen Ele- 
mente bald so dicht nebeneinander liegen, dafs für eine andere Substanz, die Neuroglia, 
kein Raum vorhanden ist, bald so locker, dafs Zwischenräume bleiben, die dann je nach 
deren Gröfse von mehr oder weniger reichlicher „Bindesubstanz“ ausgefüllt werden. So 
könnten in den tiefen Schichten der Grofshirnrinde die Durchflechtungen der Dendriten und 
Axeneylinder so dichte sein, dals hier keine Neuroglia Platz hätte, während umgekehrt in 
den Oliven die Dendriten und Nervenfasern lockerer gefügt wären, und daher Raum genug 
übrig bliebe, der dann von der Neuroglia ausgefüllt werden mülste. Also die wechselnde 
Menge der Neuroglia innerhalb der Organe könnte man sich ganz gut ohne Zuhilfe- 


nahme der doch nicht haltbaren Isolationshypothese erklären. 


Sehr merkwürdig und einer weiteren Erklärung dringend 
bedürftigist vielmehr etwas anderes, nämlich nicht die Menge im Inneren 
der nervösen Teile, sondern die ungemein wechselnde und dabei doch typische Anordnung 
der Neuroglia in den verschiedenen Teilen des Centralnervensystems, sowie die wechselnde 
Menge an den Oberflächen der Organe, wo die Neuroglia doch nicht als einfaches Füll- 
material angesehen werden kann. Hierbei sind es besonders die häufig wiederkehrenden 
Typen, die einem unwillkürlich die Idee aufdrängen, dafs die Raumausfüllung, die der Neu- 
roglia unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen obliegt, nicht in regelloser 
Weise vor sich geht. Es müssen auch hier irgend welche statischen 
Gesetze die verschiedenen Geflechtsformen beherrschen, in ähnlicher 
Weise, wie das für andere Bindesubstanzen längst nachgewiesen ist: für die Anordnung der 
normalen Knochenbälkchen durch Culmann, Hermann v. Meyer u.a, für die 
pathologischen Knochenverhältnisse durch Julius Wolff, für die Fasern in der Delphin- 


flosse, ja für die Verzweigungen der Blutgefälse durch Wilhelm Roux etc. 


Fa 


Durch solche mechanischen oder statischen Gesetze müssen vor allem die dichten Ge- 
flechte an den inneren und äufseren Oberflächen bedingt sein. Für die Gefälse speziell hat 
bereits Lloyd Andriezen darauf ‘aufmerksam gemacht,! dals hier die oft so starke 
Gliahülle die Aufgabe hat, die Hirnsubstanz gegen die „undue expansions“ der Gefälse zu 
schützen. Die Hirngefälse haben nur eine schwache Adventitia und sind überhaupt sehr 
dünnwandig, so dals ihre eigene Wand keinen genügenden Widerstand für den schwankenden 
3lutdruck gewähren würde. Sie bedürfen daher dringend einer Unterstützung durch die Neu- 
rogliascheide. Lloyd Andriezen macht ferner darauf aufmerksam, dals diese, wenn 
auch dichte, Schutzwehr einen maschigen Bau besitzt, so dals die Saftströmungen in das 
Blut hinein und aus ihm heraus in keiner Weise gehindert werden. 

Als eine ähnliche Schutzvorrichtung gegen irgend welche, noch unbekannte mechani- 
sche Einflüsse könnte man sich auch die anderen Neurogliaverdichtungen an den Oberflächen 
erklären, — denn dafs die Verdichtungen um die Gefälse herum zu den Oberflächen- 
verdichtungen zu rechnen sind, das haben wir ja S. 76f. besprochen. Aber damit ist die 
Sache noch nicht abgethan. 

Die typische, so oft wiederkehrende Anordnung bedarf zunächst der Erklärung. 
Wir haben ja S. 77 darauf aufmerksam gemacht, dals sowohl die Verdichtung der Glia um 
die Gefälse, als die an den äufseren Oberflächen auch in der Anordnung Ähnlichkeiten 
aufweist. Beide zeigen ein hauptsächlich aus mehr oder weniger transversalen Fasern ge- 
flochtenes, besonders dichtes Maschenwerk, und an dieses sich anschliefsend ein weniger 
dichtes, aber doch faserreiches Geflecht von vornehmlich radiären Faserzügen — das 
kann nicht zufällig sein. Auch der Wechsel in der Beschaffenheit dieser Oberflächen- 
verdichtungen (im weitesten Sinne) mufs eine Bedeutung haben. Warum ist die Ependym- 
schicht an den Centralganglien so verschieden dick? Warum besitzt die laterale Seite der 
Corpora candicantia eine so starke, die mediale eine so schwache Rindenschicht? Warum 
fehlt diese an der Oberfläche des Kleinhirns ganz ete. etc.” Warum fehlen die Radiär- 
fasern an vielen grauen Substanzen unter der Ependymschicht, während sie an anderen 
grauen doch vorhanden sind und an den weilsen so regelmälsig auftreten? Warum ist 
über markhaltigen Nervenfasern manchmal eime abgesetzte Ependym- oder äufsere 


tindenschicht vorhanden, manchmal aber nur eine interfibrilläre? Was sind hier 


ı On a system of fibre-cells surrounding the blood-vessels of the brain of Man and Mammals. Inter- 
nationale Monatsschrift für Anatomie und Physiologie. 1893. S. 539. 


— 11 — 


und an anderen Stellen für geheimnisvolle Ansprüche an Druck-, Zug- und Scheerfestigkeit 


gestellt, dals solche typischen Trajeetorien entstehen ? 

So liefsen sich der Fragen noch viele aufstellen, und noch mehr werden sich ergeben, 
wenn die Topographie der Neuroglia noch besser studiert sein wird. 

Wir sehen eben wieder, entsprechend dem, was wir in den einleitenden Worten zu 
dieser Arbeit gesagt haben, dals sich an die Beantwortung der Frage nach den topo- 
graphischen Verhältnissen der Neurogliafasern, wie an die Beantwortung jeder naturwissen- 
schaftlichen Frage die Aufstellung immer neuer, vorher ungeahnter Fragen anschlielst, dals 
jedes „darum“ gar viele „warum?“ gebiert, — und das wird wohl auch hier in unendlicher 


Kette weitergehen. — 


10. Abschnitt: 
Methode. 


In den Sehlufsbemerkungen zu unserer historischen Übersicht haben wir schon der 
hauptsächlichsten Ansprüche Erwähnung gethan, die an eine Methode zur Färbung der Neu- 
roglia zu stellen sind. Wir müssen aber hier etwas genauer auf dasjenige eingehen, was 
wir von einer brauchbaren Methode verlangen müssen. 

1. Das erste Erfordernis ist das, dals die Färbung eine elec- 
tive ist, d.h. da[ls sich nichts mitfärbt, was mit Neurogliafasern 
verwechselt werden kann, oder was das deutliche Hervortreten 
der Fasern hindert. 

Es ist höchst interessant zu sehen, wie im Laufe der Zeit die Ansprüche in dieser 
Hinsicht allmählich gestiegen sind. Ich erinnere mich noch an mein bewunderndes Staunen, 
als ich im meinen ersten Studiensemestern im Berliner physiologischen Institut die, wenn 
ich mich recht erinnere, nach Gollschen Abbildungen gezeichneten Rückenmarkstafeln be- 
trachtete. In diesen Bildern war alles rot gefärbt mit Ausnahme der Markscheiden, und 
doch wurde schon diese technische Leistung Golls für ein Meisterwerk gehalten. Ähnliche 
jilder mufs auch Kölliker noch für die Figuren in der 4. Auflage seiner Gewebelehre 
vor Augen gehabt haben, denn auch da zeigen die Zwischenräume zwischen den markhaltigen 
Nervenfasern des Rückenmarks dieselben diffusen, undifferenzierten Massen, wie sie auf jenen 
Tafeln zu sehen waren. 

Man war also damals schon zufrieden, wenn man die Markscheiden ungefärbt und 
alles andere in roten, womöglich verschieden abgestuften Tönen vor sich hatte. 

Als zweites Entwicklungsstadium ist das anzusehen, dals man die in der weilsen 
Substanz des Rückenmarks vorhandenen Neurogliafasern so mit Carmin färbte, dafs die in 
ihren Maschenräumen befindliche Substanz (Gewebsflüssigkeit?), welche in den Gollschen und 
Köllikerschen Präparaten noch mitgefärbt gewesen war, von der Färbung ausgeschlossen, 


oder doch sehr blafs tingiert wurde. Eine solche Färbung zu bekommen, war grolsenteils 


— 13 — 


Glücksache, denn auf die damals üblichen Carminlösungen war gar kein Verlals, wie ich 
mich aus meiner eigenen Jugend erinnere. In dieser Weise immerhin schon distineter ge- 
färbte Präparate muls Frommann erhalten haben. 

Jetzt konnte man etwas erkennen, was früher zu erkennen nicht möglich gewesen 
war, nämlich dafs die für Neuroglia angesprochenen Bestandteile einen faserigen Charakter 
hätten, und Frommann nannte sie daher auch stets „Fasern“, obgleich er der Meinung 
war, dals es eigentlich Zellausläufer wären. 

Als man soweit war, konnte man wenigstens in der weilsen Rückenmarkssubstanz und 
an ähnlich günstig beschaffenen Stellen die Neurogliafaserung studieren. Wie wir jetzt 
wissen, und wie schon Boll vermutet hatte, sind aber auch diese Bilder selbst für die best- 
geeignete Stelle, d.h. für die weilse Rückenmarkssubstanz, keine sicheren gewesen, da auch hier 
Axencylindercollateralen verlaufen, von deren Existenz man damals noch keine rechte Ahnung 
hatte, — und die Axeneylinder werden auch bei dieser besseren Carminfärbung mit- 
tingiert. 

In den weniger günstig beschaffenen Partieen nun gar, ganz besonders in den grauen 
Massen, war die Unsicherheit eine so grolse, dals sie selbst bei sehr bescheidenen An- 
sprüchen unbequem wurde, und so klagen denn alle Autoren, von Clarke und Frommann 
bis auf Petrone und Lavdovsky, über die Unsicherheit in der Beurteilung dessen, 
was man bei Carmin- und ähnlichen Methoden zur Neuroglia rechnen soll. — 

Jetzt müssen wir von einer Neurogliamethode verlangen, dals sie weder die Mark- 
scheiden, noch die (präsumptive) Gewebsflüssigkeit, noch die Axeneylinder, noch 
die Dendriten der Ganglienzellen färbt. Alle Methoden, bei 
denen eine Axencylinder- und Ganglienzellenfärbung nicht mit 
Sicherheit ausgeschlossen werden kann, sind ohne weiteres zu 
verwerten. 

Wie gefährlich Methoden, bei denen sich Axeneylinder mitfärben, namentlich für 
den pathologischen Anatomen sind, das zeigt ein Beispiel aus neuester Zeit. Popoff! hat 
aus dem Flechsigschen Laboratorium eine vorläufige Mitteilung veröffentlicht, in der er 
über Resultate seiner Untersuchungen bei disseminierter Sklerose berichtet. Er wandte bei 
diesen Untersuchungen eine dreifache Färbung an, in der wieder das „patentsaure Rubin“, 


richtig genannt: „Patent-Säurerubin* (alias Säurefuchsin) eine Rolle spielt. Hierbei behauptet 


ı Zur Histologie der disseminierten Sklerose. Neurologisches Centralblatt, 1894. S. 321. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 


= Fee 


er nun folgendes gefunden zu haben: „Ferner kann ich auf Grund meiner Untersuchungen 
nicht mit der allgemein herrschenden Meinung einverstanden sein, dals es sich um Wuche- 
rungen des Bindegewebes handle. Meine mikroscopischen Präparate zeigen deutlich, dals 
dasjenige, was die meisten Beobachter für zwischen den Nervenfasern liegende Bindegewebs- 
züge hielten, nur Veränderungsprodukte der Neıvenfasern selbst 
sind” (8. 322). Namentlich soll es sich hier um gewucherte und veränderte Axeneylinder 


handeln. 


Von der Unrichtigkeit dieser so ungemein paradoxen Behauptung kann man sich 
— ganz abgesehen von den Resultaten der älteren Beobachtungen — durch unsere Färbung 
auf das schlagendste überzeugen. Schon bei ganz akut verlaufenden Fällen von multipler 
Sklerose, erst recht bei chronischen Formen, überzeugt man sich geradezu handgreiflich, 
dals es sich hier in der That um ganz kolossale Wucherungen von „Bindegewebe“, soll 
heilsen von Neuroglia, handelt. Eine Methode, die Irrtümer ermöglicht, wie die sind, in die 


Popoff geraten ist, ist unter allen Umständen absolut unbrauchbar. —) 


Dals auch die Ganglienzellen und ihre Protoplasmaausläufer ungefärbt bleiben müssen, 
ist ohne weiteres klar. Nicht nur, dals die Dendriten eventuell auch einmal mit Neuroglia- 
fasern verwechselt werden können, so liegt vor allem bei den Methoden, welche die Nerven- 
zellen in demselben, oder in einem ähnlichen Tone färben, wie die Neuroglia, der grolse 
Nachteil vor, dals sich die feinen Neurogliafasern nicht genügend von dem reichen Geflechte 
der Dendriten abheben, und dals sie daher der sicheren Kenntnisnahme entgehen. Wenn 
man das berücksichtigt, und wenn man bedenkt, dafs die Leiber der Deitersschen Zellen 
sich im allgemeinen sogar schwerer färben, als die Ganglienzellen, so wird man sagen 
können: alle die Methoden. welche die Leiber der Deitersschen Zellen in demselben 
Farbentone färben, wie die Neurogliafasern, d.h. alle Methoden, bei denen die 
Fasern als wirkliche Ausläufer der genannten Zellen erscheinen, 
sind für dastopographische Studium der Neuroglia nicht zu ver- 
werten. Wenig brauchbar sind auch diejenigen Methoden, welche nur einen leichten 


Unterschied in der Intensität der Farbe zwischen Zellleib und Faser ergeben. — 


Im allgemeinen weniger wichtig ist es, dals die anzuwendende Methode das Binde- 
gewebe nicht mitfärbt. Einmal ist das doch auch eine nichtnervöse Substanz, eine 
/wischenmasse, wie die Nenroglia, dann aber ist die Struetur des Bindegewebes so ver- 


schieden von der Nenrogliastructur, dals Verwechslungen kaum zu befürchten sind. 


— 15 — 


Hatte doch schon der Entdecker der Neuroglia, Virchow, mit seinen primitiven 
Methoden den Unterschied zwischen Neuroglia und echtem Bindegewebe erkannt. 

Unter Umständen kann es aber, namentlich für den pathologischen Anatomen, doch 
erwünscht sein, das Bindegewebe ungefärbt zu bekommen, und so soll man wenigstens die 
Möglichkeit haben, die collagenen Massen von der Färbung auszuschlielsen. Was die 
elastischen Fasern betrifft, so liegt nicht die geringste Schwierigkeit vor, ihre Färbung zu 
verhindern. Sie färben sich, im Gegensatz zum collagenen Gewebe, überhanpt nur mit ganz 
eigenartigen Methoden. — 

In der Erfüllung aller bis jetzt besprochenen Forderungen genügt unsere neue Methode 


allen Ansprüchen. 


2. Ein zweites wichtiges Erfordernis ist die Sicherheit der Methode, d.h. jedes 
regelrecht hergestellte Präparat sollte an jeder Stelle jede einzelne 
hier vorhandene Neurogliafaser zeigen. Diese Forderung ist für den nor- 
malen Anatomen weniger wichtig, als für den pathologischen. Wenn der normale Anatom 
an irgend einem Präparat auch nur eine einzige Stelle vollständig gefärbt bekommt, so kann 
er sich damit zufrieden geben. Dann weils er eben, wie an dieser Stelle das Neuroglia- 
geflecht immer beschaffen ist. Der pathologische Anatom muls anspruchsvollor sein aus 
Gründen, die ich früher einmal entwickelt habe. ' 

Im vollen Sinne des Wortes habe ich die hier besprochene For- 
derung trotz langjähriger Bemühung noch nicht erfüllt. Es passiert 
mir doch noch, dals im Inneren der Stücke leere Flecke zum Vor- 
scheinkommen, wo Neurogliageflechte da sein mülsten, — aber ziemlich 
sicher ist die Methode doch. 

Wie gering man aber auch seine Ansprüche an die Sicherheit einer Methode stellen 
mag, eins wird man unter allen Umständen verlangen können, nämlich das, 
dals der Erfolg der Methode nicht auf der Schneide eines sehr kurzen 
Zeitabschnittes bei irgend einer der dabei vorkommenden Proze- 
duren steht. Wenn z. B. ein Forscher angiebt, dals eine Sekunde mehr oder weniger 
über den Erfolg der Färbung entscheidet, so wird man eine solche Färbung verwerfen 


müssen. 


: Merkel und Bonnets Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte. 189. 3 Bd. 8. 19f. 


2ör 


— 


3. Sehr wünschenswert ist es weiterhin, dafs bei einer Neurogliafärbung auch die 
anderen Elemente, wenigstens soweit es zur Orientierung nötig ist, 
erkennbar gemacht werden. Vor allem ist es zu erstreben, dals man 
die Kerne sieht, absolut nötig ist das für pathologische Prozesse. Die Kerne können 
auch ohne jede Inconvenienz in demselben Farbentone gefärbt sein, wie die Neu- 
rogliafasern. Kein Mensch wird einen Kern mit einer Neurogliafaser verwechseln, und die 
Klarheit der Bilder wird durch die Anwesenheit der Kerne in keiner Weise beeinträchtigt: 
eher ist das Gegenteil der Fall. Diese Forderung war sehr leicht zu erfüllen. 

Mehr Schwierigkeiten machte es, die nervösen Elemente wenigstens so weit sichtbar 
zu machen, dals man in den Präparaten die Orientierung nicht verliert. Höhere Ansprüche 
zu stellen war nicht nötig, aber durchaus erforderlich war es, dafs die ner- 
vösen Elemente in einer Kontrastfarbe, also nicht in einem ähnlichen Farben- 
tone, wie die Neurogliafasern, gefärbt waren, aus Gründen, die oben sub 1 entwickelt 
worden sind. 

Die Schwierigkeit war deshalb eine so grolse, weil sämtliche von mir durchprobierte 
Farbstoffe nicht mit Sicherheit eine Schädigung der Neurogliafärbung vermeiden lielsen. 
Ich bin dann schliefslich auf einen anderen Stoff gekommen, der nicht nur die Neurogliafärbung 
nicht schädigt, sondern sogar die Intensität der Farbe erhöht. Man erhält ja dabei keine 
Bilder, wie sie etwa die Golgimethode für die Ganglienzellen liefert, aber man will ja 
auch keine Ganglienzellen studieren, sondern nur ihre Lage erkennen. Nebenbei stellte 
es sich heraus, dals wenigstens die gröberen NissIschen Körnungen sehr hübsch hervor- 
traten. Das war schon mehr, als eigentlich nötig war, aber es war doch sehr gut mit- 
zunehmen. 

4. Eine grolse Unbequemlichkeit war es für mich eine lange Zeit, dals die Fasern 
zwar gefärbt waren, aber so blals, dafs sie mit schwacher Vergrölserung kaum als Fasern 
zu erkennen waren. Ich erstrebte daher eine grö[lsere Prägnanz der Färbung, 
und für bescheidene Ansprüche ist diese auch erreicht. Man muls nur nicht gleich ver- 
langen, dals die Fasern so schwarz erscheinen sollen, wie bei der Golgischen Methode, es 
genügt schon, wenn man bei schwachen Vergröfserungen einen guten Überblick über die 
(elechte bekommt. Man kann sie ja dann immer noch mit starken Vergröfserungen im Detail 
studieren. 

5. Ein von den pathologischen Anatomen und besonders von den Klinikern seit lange 


empfundener Milsstand ist der, dals die Präparate für die übliche Härtung in doppeltchrom- 


— 11 — 


sauren Salzen so ungeheuer lange Zeit brauchen. Es ist ja richtig, dafs bei histo- 
logischen Methoden das „tuto“ bei weitem dem „eito et jucunde* vorangeht, aber alles hat 
seine Grenzen. Wenn man Monate lang warten soll, bis ein Präparat genügend gehärtet 
und gebeizt ist, so ist das eine Zumutung, die man nur dann ertragen kann, wenn auf 
keine andere Weise das „tuto“ zu erreichen ist. Schon vor langer Zeit habe ich ver- 
sucht, diesem Milsstand abzuhelfen. Zunächst zog ich die Erlickische Flüssigkeit aus 
ihrer absoluten Vergessenheit hervor, — aber sie dringt zu ungleichmälsig ein, um brauch- 
bare Resultate zu liefern. Dann versuchte ich es mit der Wärme, aber auch dabei ver- 
gingen noch Wochen, und man hatte es nicht in der Gewalt, die Präparate vor Brüchig- 
keit zu schützen. Wir werden sehen, dals man jetzt schon in vier Tagen die Präparate 
zur Markscheidenfärbung ohne Anwendung von Wärme vorbereiten kann. 
Solche Präparate könnte man auch zur Neurogliafärbung benutzen, doch ist für diese eine 
andere nur wenig längere Zeit beanspruchende Härtung zu empfehlen. 

6. Sehr viel Schwierigkeiten machte es mir auch eine lange Zeit, dafs die Härtungen 
und die weiteren Behandlungen die Stücke zum Schrumpfen brachten, brüchig werden lielsen, 
oder dergl. 

Ich mulste ganze Prozeduren deshalb aufgeben und nene suchen, denn es ist durch- 
aus erforderlich, dafs die mit den Präparaten vorzunehmenden Manipulationen 


diese nicht schädigen. Auch dieses Ziel ist zu meiner Zufriedenheit erreicht. 


7. Wünschenswert, wenn auch nicht gerade absolut nötig, war es schlielslich auch, 
den Präparaten Dauerhaftigkeit zu verleihen. Meine ersten Präparate haben 
sich recht gut gehalten, sie sehen jetzt nach fünf, sechs Jahren noch sehr schön aus. Als 
ich dann aber dle Methode nach den anderen, wichtigeren Gesichtspunkten umarbeitete, 
hatte ich sehr unter dem Verblassen der Präparate zu leiden. Sie hielten sich kaum 
8S—14 Tage in gutem Zustande. Die jetzigen Präparate scheinen sich zu halten, aber 
eine Garantie für die lange Dauer der Haltbarkeit kann ich nicht über- 


nehmen. 


Wie bei allen empirisch gefundenen Methoden, so hat es auch bei der Neuroglia- 
methode zunächst grolse Schwierigkeiten gemacht, hinter das Prinzip der Methode zu 
kommen, -und doch war es zu deren Vervollkommnung durchaus nötig, über dieses Prinzip 


klar zu werden. 


ee 


Noch im Jahre 1890 war ich auf falschen Wegen. Ich glaubte damals, wie ich es 
auch in meiner vorläufigen Mitteilung veröffentlicht habe, „dals die Präparate mit Metall- 
salzen gebeizt werden mülsten, die eine organische Säure enthalten.“ Ich mühte mich 
noch lange nachher mit Versuchen ab, die passende organische Säure und das passende 
Metallsalz zu finden, bis ich denn endlich dahinter kam, dafs Metallsalz und organische 
Säure in einem ganz anderen Verhältnis, als in dem einer einfachen Verbindung, zu eimander 
stehen mülsten. Das Metalisalz mulste in einer hochoxydierten Verbindung den 
Präparaten einverleibt werden, und die organischen Säuren, die ich mit Erfolg benutzt 
hatte, spielten nur die Rolle eines Reduktionsmittels. 

Wenn wir dieses empirisch gefundene Prinzip uns theoretisch zurecht 
legen wollen, so kann das vielleicht in folgender Weise geschehen: Der Farbstoff haltet 
nur an der Neuroglia, wenn diese eine stark reduzierte Metallverbindung enthält. Eine 
solche stark reduzierte Metallverbindung läfst sich aber direkt nicht an die Neuroglia 
befestigen. An dieser haftet das Metall nur in hoch oxydiertem Zustande, oder 
eventuell, wie wir sehen werden, in einer Mischung höherer und höchster Oxydations- 
stufen. Man muls daher, um jene Färbungsmöglichkeit zu erreichen, zunächst das Metall 
in höher oxydiertem Zustande der Neuroglia zuführen und dann erst die starke Reduktion 
vornehmen. 

Das ist freilich nur eine Hypothese. Es wäre ja auch denkbar, dafs die Metallver- 
bindung nur eine Veränderung der Nenroglia selbst bewirkte. Mir schien aber die erste 
Hypothese wahrscheinlicher, weil wir auch sonst aus der technischen Färberei wissen, dals 
an sehr feinen Niederschlägen basische Anilinfarben besser haften (z. B. das Methylerün an 
sehr fein verteiltem Schwefel). — 

Nachdem ich über das Prinzip der Färbung ins klare gekommen war, variierte ich 
die Metallverbindungen und Reduktionen in der mannigfaltigsten Weise, in der Hoffnung, 
doch schliefslich eine sichere, elective Färbung zu erzielen. Über eine gewisse Grenze 
kam ich aber nicht heraus, bis ich endlich nach vielen Irrgängen fand, dafs der Fehler ganz 
wo anders lag: nämlich im allerersten Teile der Operationen, die mit den Präparaten aus 
(dem Uentralnervensystem vorgenommen werden müssen. 

Ich wulste zwar schon von Anfang an (vgl. meine Mitteilung aus dem Jahre 1890), 
dals man nur ganz frisches Material „von guter Consistenz“ benutzen dürfte, aber ich 
glaubte, dals die üblichen Härtungsmethoden dieses Material auch ganz sicher fixierten, um 


so mehr, als ja für die Markscheidenfärbung diese sichere Fixierung nachgewiesen war. Als 


199 °— 


nun gar das Formol aufkam, das die Präparate des Uentralnervensystems so schnell fixierte, 
war mir der Gedanke ganz fern, dals ein frisch eingelegtes, in der übliehen Weise zer- 
schnittenes Hirn oder Rüchenmark nicht durchaus gut konserviert sein sollte. Aber schliels- 
lich fand ich, dals die Neuroglia in dieser Beziehung ungemein empfindlich war. 

Wenn die Härtungsflüssigkeit nicht binnen 24 Stunden das Präparat 
vollkommen durchdrungen und fixiert hat, sind die inneren Teile für 
die :Neurogliafärbung ungeeignet geworden, resp. überhaupt alle Teile, in die 
die Flüssigkeit nicht gleich eingedrungen ist. 

Wir haben hier also einen Unterschied gegen die einfach kadaveröse Erweichung zu 
konstatieren. Dei dieser zerfällt die Neuroglia zwar in Körnchen, aber bleibt doch noch 
eine ganze Zeit färbbar, bei der Zersetzung innerhalb der Härtungsflüssigkeiten verliert sie 
aber von vornherein ihre Färbbarkeit. Es ist wohl anzunehmen, dals das Wasser der Här- 
tungsflüssigkeiten diesen Unterschied bedingt. Leider aber konnte man den Übelstand nicht 
dadurch vermeiden, dals man absoluten Alkohol verwendete. Alkohol ist vielmehr für un- 
gebeizte Präparate, was die Neuroglia anbelangt, sehr schädlich. Es nützt auch nichts, 
wenn man etwa im Alkohol Metallverbindungen auflöst. Man erhält immer höchst unsichere, 
oft ungemein mangelhafte Neurogliafärbungen. Wir haben uns schliefslich in einer sehr 
einfachen, aber freilich auch sehr unbequemen Weise geholfen (unten sub la). — — 

Nach alledem zerfallen also die für die Neurogliafärbung nötigen prinzipiellen 
Malsnahmen in 3—4+ Teile: la. Fixierung der dem Centralnervensystem entnommenen 
Stücke. 1b. Beizung mit höher oxydierten Metallverbindungen. Diese beiden Akte können 
eventuell zu einem vereinigt werden. 2. Reduktion der Metallverbindunge. 3. Färbung. 

1. Fixierung und Beizuneg. 

a) Diese beiden Prozeduren kann man, wie gesagt, getrennt oder vereint vornehmen. 
Man trennt sie, wenn man sich die Möglichkeit offen halten will. die Präparate 
auch nach anderen Methoden, als gerade nach unserer neuen zu behandeln, 
z. B. nach der Marchischen, der Golgischen, der Nisslschen oder der 
Markscheidenmethode. In diesem Falle fixiert man die Stücke mit Formol (1:10). 
Man hüte sich vor schwächeren Lösungen; diese fixieren nicht gut genug. Stärkere 
anzuwenden, hat aber auch keinen Zweck, sie leisten auch nicht mehr. Will 
man aber eine ordentliche Neurogliafärbung erzielen, so 
ist es durchaus nötig, das Material in möglichst kleine, 


nieht über einen halben Centimeter dicke Stücke zu zer- 


b) 


— 200 — 


schneiden und so in die Fixierungsflüssigkeit hineinzuthun. Dals das Material 
ganz frisch, d. h. nicht kadaverös erweicht sein darf, ist selbstverständlich. 

Grölsere Stücke mögen durch das Formol schliefslich 
noch so hart geworden sein, für eine sichere Neuroglia- 
färbung taugen sie nichts mehr. 

Dieser Zwang, so kleine Stücke einzulegen, hat etwas 
sehr unangenehmes, ich habe aber vorläufig noch kein Mittel gefunden, 
um ihn zu umgehen. 

Zur Härtung bedient man sich grofser flacher, mit Deckel versehener Schalen, 
z. B. solcher, wie sie in der Bacteriologie zur Aufbewahrung von Plattenkulturen 
verwendet werden. Auf den Boden legt man in üblicher Weise Flielspapier. So 
vermeidet man am besten die Verkrümmungen der dünnen Stücke. Nach dem 
ersten Tage muls man die Formollösung wechseln, später ist es nicht mehr nötig. 
Sind die Stücke hart geworden (etwa nach vier Tagen) und weitere Verkrümmungen 
nicht mehr zu befürchten, so kann man die Präparate in hohe, weniger -platz- 
raubende Gläser hineinthun. Sie halten sich dann Jahr und Tag noch färbungs- 
fähig. 

Die Beizung kann man an den mit Formol gehärteten Stücken gerade so gut vor- 
nehmen, wie an frischen. Ich habe das schon in meinem Artikel „Technik“ in den 
Merkel-Bonnetschen Ergebnissen der Anatomie und Entwicklungsgeschichte 
1894 mitgeteilt. Man kann aber, wie erwähnt, auch Fixierung und Beizung ver- 
binden. Diese Verbindung von Fixierung und Beizung ist eigentlich die seit langer 
Zeit für das Centralnervensystem gebräuchliche Methode. Alle Härtungen in 
Bichromat haben ja den Zweck, gleichzeitig eme Beizung vorzunehmen. Mit 
Uhromaten gebeizte Stücke lassen auch eine Neurogliafärbung zu, wenn die Beizung 
und Härtung nicht etwa in der hier und da noch gebräuchlichen, ursprünglichen 
Müllerschen Flüssigkeit (2'/2 °/o Kaliumbichromat mit oder ohne 1°%o Glauber- 
salz) stattgefunden hat. In so dünnen Lösungen geht die Färbbarkeit der 
Neuroglia ganz verloren. Hingegen zeigen Stücke, die in der (jetzt wohl meist 
benutzten) gesättigten (ca. fünfprozentigen) Lösung von doppeltchromsaurem 
Kalium gehärtet werden, wenn man die Stücke genügend klein eingelegt hat, bei 
passender Behandlung die Neuroglia sehr gut gefärbt, aber ich bin von der Chrom- 


härtung doch ganz zurückgekommen, weil man da nie sicher ist, dals 


— 201 — 


sich nicht auch Axeneylinder mitfärben. Das ist ein so fundamentaler 
Fehler, dafs ich auf die Öhromhärtung, wie auf so viele andere von mir 
aufgegebene Methoden, garnicht eingehen würde, wenn ich nicht bei 
meinen Versuchen etwas gefunden hätte, was für die Markscheiden- 
färbung von grolsem Nutzen ist. 

Es ist mir nämlich gelungen, die Zeit, die zur gehörigen Härtung 
und Beizung der Präparate für die Markscheidenfärbung nötig ist, ganz 
wesentlich abzukürzen, und zwar auf 4—5 Tage. 

Durch theoretische Überlegungen habe ich herausgefunden, dafs die Verbindung der 
Markscheiden mit dem Chromat, welche für die Bildung des Farblacks nötig ist, dann unge- 
mein rasch vor sich geht, wenn man einer starken Bichromatlösung ein Chrom oxydsalz in 
passender Menge zusetzt. Zu wenig darf man von letzterem nicht verwenden, weil sonst 
die Härtung und Beizung zu langsam erfolgt, zu viel deshalb nicht, weil dann die Flüssigkeit 
zu schwer eindringt, und weil die Präparate zu rasch brüchig werden. 

Welches Bichromat man benutzt, ist gleichgültig, man kann Kalium, Natrium oder 
Ammonium bichromieum nehmen. Natrium bichromicum löst sich am leichtesten und ist 
am billigsten. Auch die Wahl des Chromoxydsalzes ist ziemlich frei, man kann essig- 
saures, oxalsaures Chromoxyd oder irgend ein anderes in der Technik gebräuchliches ver- 
wenden; aber am meisten möchte ich den sehr billigen, leicht in krystallisierter Form zu 


beschaftenden Chromalaun (schwefelsaures Chromoxydkalium) empfehlen. 


Die Lösung besteht also aus: 5% Kalium (Natrium oder Ammonium) 
bichromicum und 2°%o Chromalaun in Wasser. Man löst durch 
Kochen. Sollten sich beim Erkalten Niederschläge bilden, so gielst oder filtriert man ab, 
denn sonst bilden diese Niederschläge einen feinen. Schlamm um die Stücke, der das Ein- 
dringen der Flüssigkeit erschwert. 

Auch in diese Mischung dürfen nicht zu dieke Stücke eingelegt werden, da sonst 
die Lösung nicht rasch genug durchdringt. Die Beizung und Härtung muls vielmehr in 
4—5 Tagen vollendet sein. Man kann die Stücke zwar auch bis 8 Tage in der Chrom- 
alaunbichromatlösung lassen, aber nicht länger, sonst werden sie brüchig. Dann werden sie 


mit Wasser ordentlich abgespült und in üblicher Weise mit Alkohol nachbehandelt. 


Bei dieser Methode hat die Notwendigkeit, dünnere Stücke anzuwenden, nichts unbe- 
quemes. Man kann nämlich die Präparate in gröfseren Stücken vorher in Formol härten. 


Abhandl. d. Senckenb naturf. Ges. Bd. XIX. 26 


Aus so gehärteten Massen sind die dünneren Scheiben mit Leichtigkeit herauszuschneiden, 
ohne dals man ein Verkrümmen derselben zu befürchten hat. 

Man kann aber auch die Härtung direkt in jener Mischung vornehmen (natürlich an 
kleinen Stücken), nur thut man gnt, dann der Lösung noch 10% Formol zu- 


zusetzen. 


Für die Neurogliafärbung benutze ich aber solche in Bichromat gehärtete Stücke nicht 
mehr, sondern für diese findet eine andere Beizung statt, die ich vorläufig als die 
typische Neurogliabeize empfehlen möchte. Es ist eine Kupferbeize, bei 
der (wie bei der Kupferung zum Zwecke der Markscheidenfärbung) das neutrale essigsaure 
Kupferoxyd den Hauptbestandteil bildet. Es kam aber darauf an, eine Mischung herzu- 
stellen, die einmal die bei der gewöhnlichen wässerigen Lösung des genannten Kupfersalzes 
so störenden Niederschläge vermeidet, und die andererseits gut an der Neuroglia haftet. 
Man kann dieses Ziel auf verschiedene Weise erreichen. 

Ich gebe hier nur eine Mischung an, die sich mir recht gut bewährt hat: sie besteht aus 
5°%oessigsauremKupferoxyd, 5’/o gewöhnlicher Essigsäure und 22’ Chrom- 
alaun in Wasser. Bei ihrer Bereitung müssen aber einige Vorsichtsmalsregeln befolgt 
werden. Würde man nämlich zu einer kalt bereiteten Chromalaunlösung Kupfer und Essig- 
säure zusetzen, oder umgekehrt, so würde man einen voluminösen grünlichen Niederschlag 
erhalten. Ganz anders ist es, wenn man das Chromalaun in Wasser kocht und nachher mit 
Kupfer und Essigsäure zusammen bringt: dann entsteht dieser Niederschlag nicht. Ich 
erkläre mir dies so, dafs die grüne Modifikation, welche das Chromalaun beim Kochen mit 
Wasser bildet, sich der essigsauren Kupferlösung gegenüber anders verhält, als die violette, 
die bei der Lösung auf kaltem Wege entsteht. Es ist aber wohlgemerkt nötig, dafs man 
die Chromalaunlösung richtig zum Kochen bringt, nicht etwa blofs erwärmt, denn nur 
so wird alles violette Salz in grünes übergeführt. 

Man kocht daher erst das Chromalaun mit Wasser (in einem emaillierten Deckeltopfe). 
Wenn es im vollen Kochen ist, dreht man die Flamme aus, fügt hierauf zuerst die Essig- 
säure dazu, und dann das feingepulverte neutrale essigsaure Kupferoxyd. Man rührt 
nun fleilsig um, bis man mit dem Glasstabe fühlt, dals das Kupfersalz sich bis auf einen 
kleinen Rest gelöst hat. Dann läfst man erkalten. Die Flüssigkeit bleibt immer klar. 

Diese Lösung ist auch für die Markscheidenfärbung zu empfehlen, 


da sie an den chromierten Stücken keine Niederschläge macht, und 


ae 


andererseits gegenüber der Seignettesalzlösung den Vorteil darbietet, 
dals eine weitere Kupferung mit einfach-wässeriger Lösung des Kupfer- 
salzes überflüssig ist. 

In die essigsaure Kupferoxyd-Chromalaunlösung kommen die Stücke, wenn man sie 
vorher (mindestens 4 Tage) in Formol gehärtet hat, 4—5 Tage lang bei Brütofentemperatur, 
oder bei Zimmertemperatur wenigstens S Tage. Interessiert einen aber weiter keine andere 
Färbung, als die der Neuroglia, so ist es besser, die frischen, nicht über Ye cm 
dieken Stücke mit Umgehung des einfachen Formols direkt in jene Kupfer- 
chromalaunlösung zu bringen, der man aber dann 10° Formol zusetzen 
muls. Den zweiten Tag wechselt man, später ist ein Wechseln hin und wieder vielleicht 
erwünscht, aber nicht nötig. 

Zur Markscheidenfärbung eignen sich diese nicht gechromten Stücke ebensowenig, 
wie die mit blolsem essigsaurem Kupferoxyd behandelten, was ich im Gegensatz zu van 
Gieson bemerken möchte. Der Farbenüberschuls geht in der Differenzierungstlüssigkeit 
viel zu schnell und zu ungleichmälsig aus den Schnitten heraus. 

Auch die direkt in die Kupferchromalaun-Formol-Lösung eingelegten Stücke ver- 
weilen (und zwar beiZimmertemperatur) mindestens 8 Tage in der Flüssig- 
keit. Längerer Aufenthalt schadet nichts, die Stücke werden nie brüchig. 

Die zum Schneiden bestimmten Stücke werden mit Wasser abgespült, in gewöhnlicher 
Weise in Alkohol entwässert und mit Celloidin durchtränkt. 

2. Reduktion. Die Reduktion der chromierten Präparate erfolgt für die Neu- 
rogliafärbung in anderer Weise, als die der gekupferten. Da aber die bei Chrompräparaten 
erzielten Neurogliafärbungen den Ansprüchen, die man stellen muls, vorläufig nicht genügen, 
so verzichte ich darauf, auf die hierbei möglichen Reduktionsverfahren einzugehen. Aber 
für andere Zwecke muls doch ein solches erwähnt werden. 

Von vielen Seiten, namentlich von Seiten der Augenärzte, ist es nämlich als ein Mils- 
stand empfunden worden, dals an Chrompräparaten die Färbung des Fibrins und der Mikro- 
organismen nach dem von mir angegebenen Verfahren nicht gelingt. Um dieses aber doch 
zu ermöglichen, ist es nur erforderlich, die Schnitte aus solchen Präparaten in reduzierende 
Flüssigkeiten zu bringen. Es genügt schon, wenn man die Schnitte einige Zeit, am 
besten einige Stunden, in 5%oiger Oxalsäure liegen lälst. Dann gelingt 
die Fibrinfärbung etc. auch an Präparaten, die in Kaliumbichromat ge- 


296* 


ae 


härtet sind. Für Neurogliafärbungen ist dies Verfahren ungenügend. Wir wollen daher 
jetzt die Reduktion der gekupferten Schnitte besprechen. 

Die Reduktion der gekupferten Schnitte erfolgt sehr leicht, aber, wenn man die 
feineren Fasern einigermalsen sicher gefärbt haben und die Schnitte nicht brüchig werden 
lassen will, so verringert sich die Zahl der möglichen Reduktionsverfahren. Die für photo- 
graphische Zwecke empfohlenen so mannigfaltigen Reduktionsmittel, die ich alle durchprobiert 
habe, sind z. B. ungeeignet. Das gilt ganz besonders für die in alcalischer Lösung anzu- 
wendenden, da diese die Schnitte schädigen. Andere Reduktionsmittel sind wieder zu schwach, 
die Reduktion muls vielmehr eine sehr energische sein. Als bestes Verfahren empfiehlt sich 
die in der Technik schon lange gebräuchliche, aber erst von Lustgarten in die Histo- 
logie eingeführte Reduktion durch Behandlung mit Kalium hypermanganicum und schwefliger 
Säure. Lustgarten hat diese Reduktion im Leipziger pathologischen Institute (selb- 
ständig) 1854 zuerst angewendet. Er brachte sie nach Wien, und hier ist sie dann von Pal 
ganz wenig verändert) zu einer Modifikation meiner Markscheidenfärbung benutzt worden. 
Man kann die Lustgartensche Methode direkt verwenden. Besser aber wirkt noch eine 
kleine Modifikation derselben, bei der ein Stoff im Anwendung kommt, der als Contrastfarbe 
und als Verstärker von Nutzen ist. 

Dieser Stoff ist unter dem Namen „Chromogen“ von den Höchster Farbwerken 
in die Technik eingeführt und mir, wie so vieles andere, in liebenswürdigster Weise zur 
Disposition gestellt worden, wofür ich hiermit meinen besten Dank ausspreche. In der 
Technik wird dieser Stoff, der selbst kein Farbstoff ist, zu Färbungszwecken benutzt, für 
uns aber leistet er inanderer Beziehung Dienste. 

Chromogen ist eine Naphthalimverbindung, nämlich das saure Natronsalz der 3—6 


Disulfosäure des 1—8 Dioxynaphthalins, also: 


OH OH 
eG > u 
\ 
| 


j 


ve 


Die Lösung reagiert sauer und wirkt reduzierend, indem dabei die hydrochinonartige 


SO:H SOsNa 


Verbindung in eine chinonartige übergeht. Die Reduktion von Seiten der einfach-wässrigen 


— 20 — 


Lösung ist aber nicht kräftig genug, um die feinsten Fasern färbbar zu machen, man muls 
daher die Reduktionsfähigkeit derselben nach dem Prinzip der von Lustgarten in die 
Histologie eingeführten Methode wesentlich verstärken. 

Zu diesem Zwecke löst man 5% Chromogen und 5° Ameisensäure (die 
von mir benutzte hatte ein spezifisches Gewicht von 1,20) in Wasser. Man filtriert sorg- 
fältig. Vor dem Gebrauche setzt man zu 90 CC dieser Flüssigkeit 1000 einer 
10%igen Lösung von dem in der Photographie gebräuchlichen 
Natriumsulfit (einfach schwefligsaurem Natron) hinzu. 

Man bringt die Schnitte zunächst auf etwa 10 Minuten in eine ca. "/s prozentige 
Lösung von Kalium hypermanganieum, wäscht sie nach vorsichtigem Abgielsen dieser Lösung 
durch Aufschütten von Wasser aus, gielst auch dieses Wasser ab und thut dann die be- 
sprochene Reduktionsflüssigkeit zu den Schnitten hinzu. Schon nach wenigen Minuten sind 
die vorher durch das übermangansaure Kalium gebräunten Schnitte entfärbt, aber man läfst 
sie doch zweckmälsiger noch 2—4 Stunden in der Lösung. 

Wenn man jetzt die Schnitte in der bald zu erwähnenden Weise färbt, so sind 
die Neurogliafasern blau, das Bindegewebe aber ist farblos. Unter 
Umständen ist es ja erwünscht, das Bindegewebe farblos zu bekommen, dann kann man jetzt 
die Vorbereitung für das Färben abschliefsen. 

Für gewöhnlich kommt es aber auf eine Farblosigkeit des Bindegewebes nicht an (vel. 
S. 150), und für diese Fälle thut man gut, der eigentlichen Reduktion noch eine Prozedur 
folgen zu lassen, bei der freilich das collagene Gewebe blau mit einem Stich ins Violette 
wird. Aber diese folgende Prozedur hat einmal den grolsen Vorteil, dals durch sie die 
Neurogliafasern viel dunkler werden, und auch die feinsten deutlich hervortreten, und so- 
dann den, dals in der früher angedeuteten Weise (S. 132 sub 3) die Ganglienzellen, die 
Fpendymzellen und die gröberen Axeneylinder einen gelblichen Ton annehmen. Man lasse 
sich daher die kleine Mühe und den kleinen Zeitverlust nicht verdrielsen. 

Diese weitere Operation besteht darin, dafs die Schnitte nach Abgielsen der Reduktions- 
flüssigkeit und nach zweimaligem Aufgielsen von Wasser in eine einfache (also nicht 
mit Säure versetzte) gesättigte wässerige Chromogenlösung kommen. 
Diese bereitet man sich durch Auflösen von 5 °%o Chromogen in Aqua destillata. Man fil- 
triere sorgfältig. 

In dieser Lösung bleiben die Schnitte über Nacht. Je länger man sie darin lälst, 


desto mehr werden die nervösen Elemente in der Kontrastfarbe tingiert. Dann gielst man 


wieder zweimal Wasser auf, und nun sind die Schnitte färbbar. — Es kann aber oft vor- 
kommen, dals man die Färbung der Schnitte nicht bald vornehmen kann. Würde man die 
Schnitte lange in Wasser lassen, so würde ihre Färbbarkeit bald schwächer werden. Auch 
reiner (natürlich wegen des Celloidins verdünnter) Alkohol ist nicht sicher, wohl aber Al- 
kohol mit Oxalsäurezusatz (90 CC 80 %/oiger Alkohol mit 10 CC 5%oiger Oxalsäurelösung). 
In dieser Alkoholmischung können die Schnitte tagelang liegen bleiben, ohne die Färbbar- 
keit zu verlieren, so dals man die Färbung vornehmen kann, wenn man gerade dazu Zeit 
hat. Durch die Alkoholbehandlung scheinen die Schnitte nach der Färbung auch haltbarer 
zu werden. 

3. Färbung. In der ersten Zeit glaubte ich die Sicherheit der Neurogliafärbung 
durch Modifikation der verschiedenen Prozeduren bei der (von mir von Anfang an verwen- 
deten) Fibrinmethode erzwingen zu können. Es stellte sich aber heraus, dals nur höchst 
geringfügige Modifikationen dieser Methode nötig sind, und dafs durch weitere Ver- 
änderungen eine Sicherheit in der Färbung nicht zu erzielen ist, dals es vielmehr wesentlich 
auf die sub 1 und 2 besprochene Behandlung der Präparate ankommt. 

Die Fibrinmethode kann ich wohl als allgemein bekannt voraussetzen. Ich gebe da- 
her nur die kleinen Abweichungen von meinem ursprünglichen Verfahren an und füge noch 
einige Bemerkungen über Dinge hinzu, die nach meinen Erfahrungen nicht immer genügend 
beachtet werden. 

Zur Fibrinfärbung nach meinem Verfahren sind drei Lösungen nötig: 1. eine Methyl- 
violettlösung, 2. eine Jodjodkaliumlösung, 3. eine Anilinölxylolmischung. Die zweite dieser 
Lösungen ist dem Gramschen Verfahren zur Färbung von Mieroorganismen entlehnt, die 
dritte ist von mir erfunden. 

Da aber nach dem ursprünglichen Gramschen Verfahren, d. h. bei Anwendung des 
Alkohols statt des Anilinölxylols, eine Fibrinfärbung nie erfolgt, so ist für das Fibrin 
durch die Einführung dieser Mischung eine neue Methode entstanden. Den Bacterien 
gegenüber gewinnt die Methylviolett-Jod-Methode durch das Anilinölxylol nur an Sicher- 
heit. Für die Bacterien ist demnach die Fibrinmethode nur als Modifikation 
der Gramschen zu betrachten. 

Für die Neurogliafärbung bleibt die Jodjodkaliumlösung unverändert (gesättigte Lö- 
sung von Jod in fünfprozentiger Jodkaliumlösung). Hingegen sind die anderen Flüssigkeiten 
ein wenig zu modifizieren. Statt der wässerigen Methylviolettlösung benutzt man eine 


(heilsgesättigte und nach dem Erkalten von dem Bodensatz abgegossene) alkoholische 


El 


Lösung (70—80°/o Alkohol). Dieser Lösung setzt man auf je 100 CC 5 CC einer fünf- 
prozentigen wässerigen Oxalsäurelösung zu. Dieser Zusatz ist zwar für die Färbung selbst 
nicht nötig, aber die Präparate scheinen sich bei Anwesenheit einer geringen Oxalsäure- 
menge besser zu halten. Anilinöl setzt man aber der alkoholischen Methylviolettlösung 
D.cht zu. 

Die Anilinölxylollösung ist nicht im Verhältnis von 2 Anilinöl zu 1 Xylol anzuwenden, 
wie bei der typischen Fibrinmethode, sondern von beiden Stoffen werden gleiche Raum- 
teile miteinander gemischt. 

Im übrigen ist das Verfahren bei der Neurogliafärbung ganz dem der Fibrinfärbung 
entsprechend. Die Schnitte dürfen also nicht gar zu dick sein, d. h. nicht dieker als 
0,02 mm. Schnitte von dieser Dicke sind ja mit Leichtigkeit anzufertigen. Die Färbung 
ernolet, wie alle folgenden Prozeduren, auf dem Objektträger. 
Man beachte dabei, dals die Schnitte dem Glase faltenlos aufliegen müssen. Damit dies 
mühelos erreicht wird, ist es nötig, die Schnitte in eine grofse Schale mit Wasser zu bringen 
und sie dann mit einem Objektträger aufzufangen, den man vorher mit Alkohol 
abgerieben hat. An so gereinigten Objektträgern adhärieren die Schnitte im allge- 
meinen ohne Faltenbildung. Sollten sich doch Falten vorfinden, so tauche man den Objekt- 
träger auf der Kante stehend so in die Schale mit Wasser, dals die Falte wagrecht 
steht. Dann gleicht die Falte sich von selbst aus. 

Die Farbflüssigkeit wird auf den (abgetrockneten) Schnitt aufgeträufelt. Die Färbung 
erfolgt fast momentan. Es schadet nichts, es nützt aber auch nichts, wenn man die 
Lösung länger auf dem Schnitte stehen lälst. 

Auch die Jodjodkaliumlösung wird auf den (gefärbten und abgetrockneten) Schnitt 
aufgeträufelt und gleich wieder abgegossen. Auch hier nützt eine längere Ein- 
wirkung des Jods nichts. Bei sehr langer Berührung mit der Jodlösung wird die Färbung 
eher schlechter, als besser. 

Bei der Auswaschung mit Anilinölxylol geniere man sich nicht, recht gründlich zu 
verfahren. Erst nach viertel- oder halbstündiger Einwirkung dieser Lösung findet ein Ab- 
blassen der feineren Fasern statt. 

Das Anilinölxylol mufs vor dem Einlegen der Schnitte in Balsam sehr sorgfältig 
mit reinem Xylol mehrmals abgewaschen werden, sonst halten sich die Präparate nicht. 
Die Neuroglia ist darin empfindlicher, wie das Fibrin, was mir erst 


sehr spät klar geworden ist. 


— 208 — 


Sehr merkwürdig ist es auch, dafs die Schnitte sich besser halten, wenn 
man sie nicht gleich ins Dunkle bringt, sondern erst 2—5 Tage im diffusen 
Tageslicht often liegen lälst. 

Zum Schlufs noch eine Bemerkung über das Abtrocknen der Schnitte mit Fliefspapier. 
Hierfür ist nicht jede Sorte Fliefspapier geeignet, vor allem taugen die Papiere nichts, die 
eine gekörnte Oberfläche haben. Wir wenden seit Jahren das Filtrierpapier No. 1116 der 
Firma Ferdinand Flinsch, Grolser Kornmarkt 12 in Frankfurt a. M., an. 

Man beachte auch, dafs man die Fliefspapierbäusche auf dem Schnitt nicht verschiebt, 
sonst zerreilsen die Präparate. Man halte daher mit zwei Fingern der linken Hand den 
Papierbausch recht fest an dem (hier leeren) Teile des Objektträgers angedrückt. 

Kurz zusammengefalst hätten wir also bei der neuen Methode, wenn es sich allein 
um die Neurogliafärbung handelt, folgende Prozeduren vorzunehmen: 

1. Fixierung und Beizung in essigsaurer Kupferoxydehromalaunlösung mit Zusatz von 

Formol: 8 Tage. 
2. Vorbereitung der Schnitte zum Schneiden (Celloidinmethode): 3 Tage. 
3. Anfertigung der Schnitte. 
4. Reduktion durch Kalium hypermanganicum und durch Chromogenlösung plus 
schwetliger Säure. 
5. Verstärkung der Färbbarkeit für die Neuroglia und Kontrastfärbung der nervösen 
Elemente durch einfach-wässerige Chromogenlösung. 


6. (Moditizierte) Fibrinmethode. 


5} 
.) 


6 dauern zusammen einen Tag. (Gesamtzeitraum 12 Tage. 


Wie ich z. T. schon 1890 mitgeteilt habe, kann man eine im Prinzip ganz ähnliche 
Färbungsmethode noch für viele andere Gewebselemente benutzen: zur Darstellung der 
Gallencapillaren, der eutieularen Substanzen an den Nierenepithelien und sonstigen Epithel- 
zellen, sur Färbung der Milzstructuren, der doppeltlichtbrechenden Substanz der quer- 
gestreiften (und glatten) Muskeln, oder (mit einer Modifikation) zur Darstellung der Zwischen- 
scheiben in den Muskelfasern ete. Präparate mit derartigen Färbungen haben seit Jahren 
viele Kollegen bei mir gesehen. 


Über alle diese Dinge behalte ich mir weitere Mitteilungen vor. 


209 


Den Abschlufs der neuen Methode, den ich jetzt erreicht habe, kann 
ich nur als einen vorläufigen ansehen. Wenn man die Unbequemlichkeit bei der 
Härtung mit in den Kauf nimmt, so sind zwar die von uns aufgestellten Forderungen teils 
vollständig, teils so erfüllt, dals die Methode wenigstens brauchbar ist. Aber einer sehr 
wichtigen Forderung, der der Sicherheit ist im idealen Sinne noch nicht Genüge geleistet. 
Ehe aber die Methode nicht eine geradezu mathematische Sicherheit be- 
sitzt, ist sie nicht als vollendet zu bezeichnen. 

Dazu kommt noch ein Fehler, der freilich für den pathologischen Anatomen und den 
„menschlichen Histologen“ nicht ins Gewicht fällt: die Neurogliafärbung geht bisher 
nur am menschlichen Centralnervensystem gut anzuwenden. Für Tiere ist sie 
noch nicht zu empfehlen. Kaninchengehirne wenigstens zeigen die Neuroglia immer nur 
andeutungsweise und nicht recht eleetiv gefärbt. Woran das liegt, weils ich noch nicht. 
Hoftentlich gelingt es mir mit der Zeit, diesen und die anderen Mängel zu beseitigen. 

Nachdem aber jetzt gezeigt ist, dals eine elective und vollständige Färbung der Neu- 
roglia wenigstens mit einiger Sicherheit zu erreichen ist, so werden vielleicht andere, 
frische Kräfte, die nicht durch einen langjährigen, engbegrenzten Gedankenkreis gehemmt 
sind, auf ganz neuen Wegen eine vollkommene Methode zu Stande bringen. Nach 
meinen bisherigen Erfahrungen werden aber auch manche versuchen, auf meinen eigenen 
Pfaden weiter zu wandeln und die von mir eröffneten Wege zu verbessern. Ich bin auch 

“fest überzeugt, dals, wie bei meinen früher veröffentlichten Methoden, so auch bei dieser 


für solche Leute, d. h. für die Herren Modifikanten, eine reiche Ernte zu erwarten ist. 


u ee 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. LT 


Figurenerklärung. 


Vorbemerkung. 


Fast alle Figuren sind mit Hilfe des Abbeschen Zeichenapparates, ein grolser Teil mit dem neuen Modell 
(No. 44a) und auf dem Bernhardschen Zeichentisch gezeichnet. Die gröberen Formen, die nicht 
gar zu gedrängt stehenden Fasern, und alle Kerne wurden genau Strich für Strich 
nachgezogen. Bei dichteren Fasermassen war das nicht möglich, und bei diesen ist daher nur der 
Charakter des Geflechts so gut wie möglich wiedergegeben. Auch die ganz feinen Fasern erschienen im 
Zeichenapparate zu verschwommen, um sie direkt mit der Feder oder dem Bleistift verfolgen zu können. 

Der neue Zeichentisch (Zeiss, No. 105a des Katalogs von 1895) ist bekanntlich verstellbar. Bei 
No. 90 der Skala liegt er mit dem Fufse des Mikroscops in gleicher Höhe, bei No. 45 mit dem Mikroscop- 
tische, bei No. 0 steht er auf seiner höchstmöglichen Stelle über dem Tische, 

Alle Zeichnungen, mit Ausnahme der Figuren 2, 4 und 5 auf Tafel XIII, sind mit Zeissschen Apo- 
chromaten gemacht und zwar von diesen wieder alle, mit Ausnahme von Figur 3 auf Tafel X, mit der 
Homogenimmersion 3 mm, 1,50 Apertur. Figur 3 auf Tafel X ist mit Apochr. 8 mm gezeichnet. 

Die meisten Figuren sind ferner mit einer Stellung des Zeichentisches auf 0, einige mit der auf 45, 
Figur 1 Tafel I und Figur 3 Tafel X mit der auf 90 gemacht. 

Am Schlufs der Tafel XIII finden sich die Zeichnungen eines Objeetivmierometers für alle die hier in 
Anwendung gekommenen Vergrölserungen und für die verschiedenen Stellungen des Zeichentisches abgebildet 
(je 5 Hundertelmillimeter) nämlich: 


Fig. 6: Homogenimmersion, Zeichentisch auf 90, Vergrölserung A. 


„ 1: » » „ 45, n B. 
” 8 : ” n » 0, n C. 
„ 9: Apochromat 8 mm, “ 7. EI), = D. 


Die Vergröfserung A ist nur bei Figur 1 Tafel I in Anwendung gekommen, die Vergröfserung D 
nur bei Figur 3 Tafel X. 


Die Ganglienzellen und die sicheren Ependymzellen sind, ihrem Aussehen in den Präparaten ent- 
sprechend, überall gelb gezeichnet, die Axeneylinder nur in einigen Figuren teilweise als gelbe Punkte 
besonders markiert, 


Fig, 


Fig. 


© 


SU 


vu 


are 


[S}} 


SEIDER 


a 


a 


Tafel 1. 

Astrocytenformen, Vergrölserung A, 

Quersehnitt durch die weilse Substanz des Rückenmarks. Seitenstrang, Randpartie mit Pia. Ver- 
grölserung (., 

Schräger Vertikalschnitt durch die weilse Substanz des Rückenmarks. Vergrölserung © Rechts 
Pia, dann die Rindenschieht mit Büschelbildung nach der Pia hin. In der Mitte und links 
mehrere Stammfortsätze. 

Eintritt der vorderen Wurzel. Vergrölserung ©. Vertikalschnitt. Oben vordere Wurzel, a Rand- 
schicht derselben, unten mehrere Gefälse, 


St 


Substantia gelatinosa Rolando. Vergrölserung 


Tafel 11. 


Randpartie aus dem Vorderhorn eines neugeborenen Kindes. Vergröfserung ©. Bei a eine Gauglien- 
zelle mit Nisslscher Körnung. Unten weilse Substanz, 

Dasselbe vom Erwachsenen. Vergröfserung ©, Unten sind ausnahmsweise die Axeneylinder markiert. 

Vorderer Teil der Substantia spongiosa des Hinterhorns. Vergröfserung ©, Oben die Grenze gegen 
die Substantia gelatinosa Rolando, 

Lissauersche Randzone (unten b) und Substantia spongiosa (a) des Hinterhorns. Vergrölserung Ü. 


Tafel II. 


Ularkesche Säule. Vergrölserung B. 

Centralkanal mit vorderer Commissur vom Kinde. Vergrölserung B. (Axeneylinder angedeutet.) 

Centralkanal mit hinterer Commissur vom Kinde. Vergröfserung B. Unten Vertikalfasern (a). 
Auf dieser Tafel sind die Kerne nicht mitgezeichnet. 


Tafel IV. 


Fötales Ependymepithel mit Flimmerhaaren Darunter Randstreifen mit Punkten, Vergrölserung B. 

Centralkanal im höheren Alter. Vergrölserung ©. a, b zwei neugebildete Lumina, ec unregelmälsiger 
Epithelhaufen. 

Desgleichen. Vergrölserung Ü. a einfaches neues Lumen, 

Desgleichen. Vergrölserung ©. Unregelmälsiger Epithelhaufen. 

Desgleichen aus dem unteren Teile der Medulla oblongata. Vergrölserung B. a neugebildetes Lumen, 
b unregelmälsige Epithelmasse, von Neurogliafasern durchsetzt. 


Tafel V. 


Ependymwucherung im 4. Ventrikel. Vergrölserung B, 

Cystenähnlicher Raum zwischen zwei benachbarten Ependymwucherungen. Vergrölserung B, 
Pyramidenkreuzung. Vergrölserung Ü. a verdichtete Randschiehten, 

Hypoglossuskern, vom Ependym entfernterer Teil. Vergröfserung B. 


19* 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


© 


D} 


DR 


1 


212 


Tafel VI. 


Raphe der Medulla oblongata mit Nachbarschaft. Vergröfserung (. 
Fibrae areiformes externae und Pyramidenkern. Vergrölserung (. 
Olive. Vergrölserung U. Unten Markschicht. 


Nucleus graeilis, Vergrölserung (. 


Tafel V1l. 


Nucleus ambiguus Vergrölserung Ü. 

Striae acusticae. Vergrölserung ©. Bei a eystenähnliche Räume. 

Optieus, Längsschnitt. Vergröfserung 0. 

Optieus, Querschnitt. Vergrölserung Ü. Oben die verdichtete äulsere Rindenschicht, a Randschicht 


eines Bündels. 


Tafel VII. 


Hirnschenkel. Substantia nigra. Vergröfserung Ü. 

Gliahülle um einen Gefälsranm aus dem Hirnschenkel. Vergrölserung ©. Rechts der Gefälsraum, 
Das Gefäls selbst ist nicht mitgezeichnet. 

Oeulomotoriuskern. Vergrölserung Ü. 

Vierhügel. Abschnitt aus dem inneren Teile. Vergröfserung Ü. 


Tatel IX. 


Grolshirnrinde. Schläfenlappen. Vergröfserung ©. a Rindenschicht. b Radiärfaserschicht. 

Weifse Substanz des Grolshirns. Vergröfserung Ü. 

Weilse Substanz des Kleinhirns. Vergröfserung ©. In der Mitte ein Gefäls. Am unteren Rande 
desselben quergetroffene Fasern, 

Purkinjesche Zellen von einer alten Frau. Vergrölserung B. Unten Beginn der Körnerschicht. 

Öberflächlicher Teil der Moleeularschicht. Vergröfserung B. Pia mater unten. 


Tafel X. 


Ependymäre Oberfläche des Ammonshorns. Vergrölserung ©, Links Ependymschicht, rechts Radiär- 
faserschicht, 

Gyrus dentatus. Vergrölserung Ü©. Unten piale Oberfläche. Diese Figur ist aus zwei Zeichnungen, 
dem oberen und dem unteren Teilder Abbildung entsprechend, zusammengesetzt. Die Zeichnungen 
palsten vortrefflich aneinander, Ihre Grenze markiert sich in der Figur durch die Einschnürung 
der Mitte. 

Ansatz der Fimbria. Vergrölserung D. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


o 


sr 


— 2l3 — 


Tafel XI. 


Ventrale (ependymäre) Oberfläche des Balkens. Vergrölserung U, Unten Ependym. 

Dorsale Fläche des Balkens. Vergrölserung (©, a Rindenschicht. b dichte Markschieht. 

Tiefe Markschicht des Balkens. Vergröfserung ©. Die Figur muls um 90° gedreht werden, wenn 
ihre Lagerung der der anderen Figuren dieser Tafel entsprechen soll. 


Ansatz des Fornix an den Balken, Vergrölserung ©. Fornix unten. 


Tafel XII. 


Ganglienzellenhaufen an der dorsalen Balkenoberfläche, Vergrölserung Ü, 

Sehhügeloberfläche vom Plexus chorioideus bedeekt. Vergröfserung ©, a Rindenschicht. b Radiär- 
faserschicht. 

Sehhügeloberfläche mit Epithel bekleidet. Vergrölserung ©. a Ependymschicht. b Ganglienzellen- 
sehicht. 

Aus der Tiefe des Pulyinar. Vergröfserung 0. 


Tafel XII. 


Fimbria mit Plexus chorioideus. Vergröfserung C, a Piale Oberfläche. b Ependym. c Plexus 
cehorioideus. d Epithelhöcker, 

Ammonshorn. Vergröfserung 3!/»fach. Erklärung im Text. 

Zirbeldrüse. Vergrölserung (. 

Vierhügel. Natürliche Grölse. 

Sehhügel, hintere Commissur, Zirbeldrüse. Natürliche Grölse. 


6—9. Malsstäbe für die Figuren. Erklärung S. 146. 


Berichtigungen. 


Seite 73 Zeile 1 von unten lies 1867 statt 1877. 

Seite 86 Zeile 3 von unten lies 1882 statt 1892. 

Seite 88 Zeile 14 von unten lies 18855—1886 statt 1886—1886. 

Seite 126 Zeile 9 von oben lies „darstellen“ statt „darsellen“. 

Seite 127 Zeile 1 von oben, Seite 129 Zeile 3, 6 und 15 von oben lies „Schaper“ statt „Schrader“. 
Seite 142 Zeile 5 von oben lies „spärliche“ statt „spärlich“. 

Seite 153 Zeile 12 von oben lies „spärlicher“ statt „spärlich“. 


Seite 153 Zeile 15 von oben ist hinter „Rolando“ einzuschalten: (Taf. I Fig. 5). 


Druck von Aug. Weisbrod, Frankfurt a. M. 


ABHANDLUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 


VON DER 


SENGKENBERGISCHEN NATURFORSCHENDEN 
GESELLSCHAFT. 


NEUNZEHNTER BAND. 


DRITTES HEFT. 


MIT Vi TAFELN UND VIII ABBILDUNGEN IM TEXT. 


FRANKFURT Aa. M. 


IN KOMMISSION BEI MORITZ DIESTERWEG 
1896. 


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Zur Kenntnis der Zirbel und Parietalorgane. 


Fortgesetzte Studien 


von 


F. Leydig in Würzburg. 


Mit Abbildungen. 


Die morphologischen Verhältnisse der Zirbel und Parietalorgane sind von verwickelter 
Art, daher noch keineswegs in allen Stücken verständlich geworden und man darf sich kaum 
wundern, dafs ich selber noch in meiner letzten diesen Organen gewidmeten Arbeit! an 
mehr als einer Stelle unsicher blieb, wohin das Beobachtete unterzuordnen und wie es zu 
deuten sei. 

Von der Hofinung geleitet, vielleicht doch in diesem und jenem Punkte durch erneute 
Untersuchungen eine festere Ansicht zu erlangen, habe ich die Studien wieder aufgenommen 
und glaube dadurch wenigstens soweit gefördert zu sein, dafs ich über manches, was mir 
bis dahin zweifelhaft war, nunmehr eine bestimmtere Meinung gewonnen habe. Anderes 
freilich bewegt sich auch jetzt noch auf dem trügerischen Boden der Vermutungen. 

Zunächst wurde die Aufmerksamkeit gerichtet auf jene aus dem Dache des Zwischen- 
hirns hervorsprossenden Teile, welche ich bei Reptilien als hintere und vordere Zirbel (Epi- 
physis posterior und Fpiphysis anterior) unterschieden hatte. Es lag daran zu wissen, wie 
sich die Fische hierin verhalten, weshalb zwei Arten von Teleostiern angesehen wurden, dann 
aber auch noch zwei Oyklostomen. 


ı Leydig, Das Parietalorgan der Amphibien und Reptilien. Abhandlungen Senckenbergische naturf, 
Gesellschaft, 1890, 
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 98 


I 


Ferner ging mein Streben darauf aus, in der Frage nach dem Nerven der Parietal- 
organe klarer zu sehen, als ich es früher vermocht hatte. Dazu fühlte ich mich unter 
anderem besonders veranlalst durch die Abhandlungen, welche Klinekowström veröftent- 
licht hatte.! Der schwedische Zoologe bestätigte nicht blols die Anwesenheit eines Parietal- 
nerven in der Embryonalzeit, sondern entdeckte auch noch einen zweiten, von ihm Zirbel- 
nery genannten Strang. Anfänglich konnte ich einige Bedenken im Hinblick auf diese Mit- 
teilungen nicht unterdrücken, welche aber schwanden, als der Verfasser in zuvorkommender 
Weise mir seine Präparate zur Durchsicht anzuvertrauen die Güte hatte. Ich vermochte 
mich durch eigene Augen von der Richtigkeit der betreffenden Angaben zu überzeugen. 

Zufolge dieser Frfahrung habe ich alsdann nicht blofs meine älteren Präparate hervor- 
geholt und der Nachprüfung unterzogen, sondern auch frischgefertigte Schnitte durchgangen. 

Hierbei lies sich manches zum feineren Bau, was bisher weniger von mir beachtet 
wurde, wahrnehmen und da und dort traten die Verwandtschaftslinien im Ganzen besser als 
früher hervor. Zuletzt wurde auch die Hauptfrage berührt, welche Stelle man der Zirbel 
und den Parietalorganen in der tierischen Organisation überhaupt einräumen soll. 

Hinsichtlich der Form gegenwärtigen Berichtes wurde für zweckmälsig befunden, die 
eigenen Frmittelungen abgesondert für sich, vorzulegen, um sodann erst auf die Angaben 
anderer Beobachter einzugehen, vielleicht auch zu versuchen, abweichende Ansichten ein- 


ander näher zu bringen. 


T. 


Salmo fontinalis. 


Zirbel. — Beim Embryo, den ich mir in Schnitte zerlegt hatte, zeigt sich zwischen 
den Lobi hemisphaeriei und den Lobi optiei eine Ausstülpung, deren Bedeutung als Zirbel 
einem Zweifel nicht unterworfen ist. Sie hat in dem mir vorliegenden Stadium die Gestalt 
eines länglichen nach vorn gebogenen Säckchens, das genau unter einer Knorpelplatte des 


hier flachgrubig sich einsenkenden Schädeldaches zu liegen kommt (Fig. 4). Die Lichtung 


ı Axel Frhr. v. Klinckowström, Beiträge zur Kenntnis des Parietalauges. Zoolog, Jahrbücher, 
Bd. VII. — Le premier d&veloppement de V’eil pindal, l’epiphyse et le nerf parietal chez Iguana tubereulata. 
Anat. Anz. 8. Jahrg. No. 8/9. 


age 


des Säckchens ist kein ganz glattrandiger Raum, sondern erscheint von einspringenden, 
queren Falten durchsetzt, die zwar so aussehen, als ob sie blols aus Epithel bestünden, was 
aber wohl nicht der Fall sein wird, vielmehr darf die Anwesenheit einer bindegewebigen, 
wenn auch sehr zarten Grundschieht der Falten vermutet werden. 

Die stielartig verengte Wurzel des Säckchens senkt sich in die Substanz der Commis- 
sura posterior ein, vor der Basis der Lobi optiei. Bei jüngeren Embryonen ist der Zu- 
sammenhang zwischen Säckchen und Stiel ein deutlich ununterbrochener, hingegen besitze 
ich auch Schnitte aus einem älteren Stadium, allwo das Säckchen vom Stiel abgeschnürt 
sich zeigt (Fig. 5). Man wird jedoch annehmen dürfen, dafs die anscheinende Abschnürung 
in Wirklichkeit nicht besteht, sondern durch die Schnittrichtung nur vorgespiegelt wird. 

Recht beachtenswert ist die histologische Beschaffenheit des Stieles, insofern er in 
seinem unteren Teil ein ausgesprochen nervös-streifiges Wesen darbietet, welches bei näherem 
Prüfen als längszügiges Spongioplasma sich ausweist, das aus dem netzförmigen Spongio- 
plasma der Commissura posterior sich hervorbildet, in den Stiel der Zirbel eine Strecke weit 
vordringt und dann in die zellige Auskleidung sich verliert. 

Recessus infrapinealis. — Dies ist im Längsschnitt des Kopfes eine sack- 
artige Vorwölbung der epithelialen Hirnwand, welche vor und unter der Zirbel liegt und sich 
nach vorn etwas zipfelartig auszieht. Der Teil kann zwar in einfachem Bogen sich erheben, 
doch ergiebt sich aus manchen Schnitten, dals am Umrils einige leichte Einschnürungen 
vorkommen, die selbst schlauchartig durch die Schnittrichtung sich gestalten können. Eine 
Neigung zu follieulärer Bildung ist unverkennbar. (Fig. 5.) 

Ferner ist hervorzuheben, dafs das die Vorwölbung auskleidende Epithel in Form und 
Beschaffenheit der Elemente verschieden ist von dem Epithel des Zirbelschlauches. Es be- 
einnt nämlich mit niedrigen Zellen, die allmählig nach der Wölbung zu höher werden; auch 


ist das Zellplasma von trüberem Wesen, als jenes der Zirbel. 


Pallium. — Unmitteibar vor der eben gedachten Anusstülpung bildet die epitheliale 
Hirndecke — immer im Längsschnitt genommen — eine andere, man könnte wieder sagen 


sackartige Weitung, deren Raum, nur abgegrenzt durch eine von oben herabsteigende Quer- 
falte, unmittelbar zusammenhängt mit der Höhlung des Recessus infrapinealis. Die sackartige 
Weitung beginnt ebenfalls über dem dritten Hirmventrikel und erstreckt sich nach vorn bis 
zur Grenze zwischen den Lobi hemisphaeriei und Lobi olfactori. Im Ganzen genommen hat 
der Raum einen ovalen Umrils, wie solehes aus Schnitten auschaulich wird, welche mehr 


seitwärts gehen. 


— a 


Beachtenswert ist abermals, dals das Epithel (Ependyma) des Raumes anders geartet 
ist, als jenes des Recessus infrapinealis. Die Umänderung erfolgt am freien Rand der 
zwischen beide Höhlungen einspringenden @Querfalte. Die Zellen, welche dem Recessus noch 
angehören, sind höher, trüber und ihr Kern ist rundlich, die des Palliumsackes sind platt, 
heller und der Kern ist von niedergedrückter Form. Vorn geht das Epithel über in die 
Rindenzellen der Lobi hemisphaerici. Im Hohlraum des Sackes kann eine grümliche, wie 
geronnene Substanz zugegen sein. 

Zu der Querfalte, welche den Raum des Recessus und der Weitung des Pallium trennt, 
sei noch bemerkt, dafs sich an ihrer Bildung, aufser der epithelialen Hirnwand, auch ein 
Blatt der Hirnhant beteiligt, so dafs auf dem Längsschnitt dieses Septum innen eine binde- 


gewebige Grundlage zeigt, die nach vorn und hinten von Epithel überzogen ist. 


Die durch Längsschnitte gewonnenen Bilder vervollständigen sich durch Zerlegung 
des Kopfes in Querscheiben. 

Bei rein senkrechter Richtung erscheint oben die Epiphysis in Form eines geschlossenen 
Hohlkörpers: ebenso darunter die Höhlung des Recessus infrapinealis; die Aussackung des 
Pallium geht seitwärts in die Substanz der Lobi hemisphaeriei über. Auch hier er- 
scheinen die Zellen des Pallinmepithels oben von platter dünner Form; nach unten zu aber, 
wo der Raum seitlich sich auszubuchten beginnt, werden die Zellen lang und fast fadig und 
die ganze Zellenlage hebt sich durch eine Art Grenzlinie von der anschliefsenden Hirn- 
substanz ab. Deutlich ist ferner auch das gebuchtete Wesen im Inneren des Recessus in- 
frapinealis: die Wand springt in mehrere Leisten vor und in der bindegewebigen Grundlage 
derselben unterscheidet man in die Leisten eindringende Blutgefälse, wie denn überhaupt 
rings um gedachte Aussackung Blutgefälse zahlreich sind. Im Bindegewebe zwischen dem 


Recessus und dem Palliıum kann sich auch einiges Pigment abgesondert haben (vel. Fie. 3). 
fo) oO oO [o) oO 


Anguilla vulgaris. 


Aus der Untersuchung, welche ich am ganz jungen Tier anstellte, ging hervor, dals 
die bei Salmo sich findenden Verhältnisse hier im Wesentlichen wiederkehren. 

Zirbel. — An der hinteren oder eigentlichen Epiphysis unterscheidet man den von 
der Commissura posterior schräg aufsteigenden Stiel und den Endschlauch, welch’ letzterer 


nach vorn sich biegend, über eine zweite Ausstülpung, den Recessus infrapinealis, zu liegen 


232] 


kommt. Das Epithel des Zirbelschlauches erzeugt in das beutelförmige Ende hinein gewundene 
Vorsprünge, so dals das Innere annähernd wie aus Schläuchen zusammengesetzt sich aus- 
nimmt. Oben und seitlich machen sich Gruppen starker Blutgefälse bemerklich. 

Recessus infrapinealis. — Nahe vor dem Stiel der Epiphysis erscheint wie 
ein emporgehobenes Dach des Zwischenhirns diese geräumige Aussackung, über deren epi- 
theliale Auskleidung hervorzuheben wäre, dals sie an den Seiten der Wand dünnzellig ist. 
hingegen oben an der Wölbung sich bedeutend verdickt zeigt. Starke Blutgefälse liegen 
auch über diesem Sack. 

Pallium. — Vor dem Recessus infrapinealis und abgeschieden von ihm dureh eine 
quere Einfaltung der Hirnhaut samt epithelialem Hirndach, zieht sich die Weitung des 
Palliumsackes über die Lobi hemisphaeriei derart her, dafs deren untere Wand in die 


zellige Rinde der genannten Hirnabsehnitte übergeht. 


Das Angegebene beruht auf Längsschnitten und lälst sich wieder durch Querschnitte 
in manchen Punkten ergänzen. Es erscheint alsdann gut die Zerlegung des Recessus in 
einen rechten und linken Lappen und ebenso machen sich an der oberen Partie, welche 
durch das erwähnte hohe Epithel ausgezeichnet ist, ein paar schwache Einbuchtungen be- 
merklich, Auch ein grolses Blutgefäls zwischen dem Schlauch der Zirbel und dem 


weiten Recessus ist sichtbar. 


Zur Strucetur des Gehirns. — Bei der früheren Untersuchung des Parietal- 
organs der Saurier war mir aufgefallen, dafs die zelligen Elemente der Hirnhülle sich durch 
Ausläufer mit dem Spongioplasma der Hirnrinde verbinden und ich habe dieses 
immerhin beachtenswerte Verhalten in zwei Abbildungen veranschaulicht.‘ Später sah ich 
das Gleiche am Gehirn von Salmo° und ebenso jetzt bei Anguilla. Aufs deutlichste 
gehen zarte Fäden von den die Hirnhaut zusammensetzenden Zellen ab, um abwärts mit 
dem Netzwesen der Hirnsubstanz zusammen zu fliesen. Man darf, wie ich glaube, an- 
nehmen, dals es sich hierbei um ein allgemeineres Vorkommnis im histologischen Bau des 
Gehirns handeln möge. 


Dieselbe Meinung darf man wohl auch bezüglich jener Lymphgänge hegen, welche ich 


ı a.a.p. 464, Taf. II, Fig. 29 und 30, 
2 Leydig, Zum Bau der Netzhaut des Auges, Zool. Jahrbücher, 1893. 


vom Gehirn der Lacerta! erörtert habe. Denn auch hier am Gehirn des Aales machen 
sich die zahlreichen, in charakteristischer Weise die Gehirnsubstanz durchziehenden Lymph- 
gänge sehr bemerklich, obschon sie dem ersten Blick nach auf eine künstliche Zerklüftung 
gedeutet werden können. Dals sie aber eine natürliche Bildung vorstellen, ergiebt sich aus 
deren näherem Studium, zumal bald klar wird, dals es immer nur ganz bestimmte Zonen 
sind, in denen die anscheinende Zerklüftung auftritt und gewisse Linien einhält. So ist 
z. B. an den durchschnittenen Lobi hemisphaerici die Rinde-radiär von solchen Lymphgängen 
durchsetzt; ähnlich verhält sich das Tectum der Lobi optieci. Sieht man scharf auf die 
Anfänge in der Peripherie, so lälst sich feststellen, dafs die Wabenräume zwischen den sich 
auffranzenden Zellen der Hirnhaut und die Lichtungen der Lymphräume ineinander übergehen. 

Gedacht sei schlielslich auch eines grölseren innerhalb der Lobi hemisphariei quer 
bogig verlaufenden Lymphganges, wodurch sich der Stammlappen im Längsschnitt in eine 
obere und untere Partie zerlegt. Besieht man sich bei stärkerer Vergrölserung diesen 
Lymphraum, so erscheint er durchquert von zarten Fäden, welche Ausläufer der den Hohl- 


raum begrenzenden Zellen sind. 


Petromyzon fluviatilis. 


Durch die Gefälligkeit des Herrn Dr. Schuberg standen mir Schnitte eines Exem- 
plars der Larve (Ammocoetes) zur Verfügung, das nach der Gröfse des Kopfes und der 
Bildung des Geruchsorgans einem späteren Stadium angehören muls.” Aulserdem konnte 
ich noch untersuchen den in Sagittalschnitte zerlegten Kopf eines erwachsenen Petromyzon 
aus der Präparatensammlung des Herrn Dr. von Klinekowström. 

Im Wesentlichen zeigen sich die morphologischen Verhältnisse bei der schon älteren 
Larve übereinstimmend mit denen des fertigen Tieres. (rewisse Verschiedenheiten kommen 
allerdings vor, wie sich das aus dem Folgenden ergeben wird. 


! Leydig, Parietalorgan ete. pag. 464, Fig. 29 und 30. 

>? Auf dem Medianschnitt zeigt nämlich die Nase etwas, das auf dem entsprechenden Schnitt eines 
jungen Ammocoetes in dem Werke: v. Kupffer, Studien zur vergleichenden Entwicklungsgeschichte des 
Kopfes der Kranioten, 1894, Taf, V, Fig. 8, sich noch nicht eingesteilt hat. Durch ein von unten herauf in 
den Nasensack elnspringendes Septum zerlegt sich an meinem Präparat der Raum in eine vordere und hintere 
Abteilung. Von der vorderen geht nach unten der Nasenrachengang ab, der unterhalb der Hypophysis mit einer 
Höhlung endigt, nachdem er sich schon zuvor etwas erweitert hat. Die hinter dem Nasenseptum liegende 
Abteilung gewinnt im Umrifs nach unten und hinten ein besonderes Aussehen dadurch, dafs sie eine Anzahl 


kurzer Aussackungen heryortreibt und durch diese Follikelbildung annähernd drüsig wird. 


ng 


Bezüglich des Gehirns genügt es für unseren Zweck zu bemerken, dals, indem wir es 
von hinten nach vorn überblicken, die Medulla oblongata eine verhältnismälsig sehr starke 
Entwicklung zeigt und über ihr ruft der Gefälsplexus, welcher sich von da über Kleinhirn 
und Mittelhirn erstreckt, ein charakteristisches Bild hervor. Er stellt als Ganzes einen 
weiten Sack vor, von dessen oberer Wand die Gefälsfalten derart nach unten herabbiegen, 
dals der Sack wie annähernd gekammert sich ausnimmt und man könnte etwa gegen vier- 
zehn solcher Kammern unterscheiden. Histologisch genommen ist der bindegewebige Teil 
dieses Plexussackes, welcher die gröfste Entwicklung unmittelbar über der Rautengrube be- 
sitzt, eine Fortsetzung der Pia und ihrer Gefälse; das auskleidende Epithel hängt zusammen 
oder beginnt mit dem zelligen Beleg des Rückenmarkskanals und überzieht die Rauten- 
grube und die Gefälsfalten. Nach oben wird der Plexus von einem grolsen Längsblutleiter 
umerenzt. 

In der Substanz der Medulla oblongata heben sich die Reihen der bekannten grolsen 


Ganglienkörper ab, jeder in einem deutlichen Lymphraum liegend. 


Die Höhlung im Mittelhirn ist von konzentrisch verlaufenden Schichten umzogen. — 
Es folgen jetzt am Zwischenhirn die Teile, welche für unsere Fragen besonders in Betracht 
io) ü 


r 


kommen, zuerst die hintere Commissur, dann der Teil des Sehhügels, welchen man als 


Ganglion habenulae bezeichnet. 


Zirbelstiel. — Ein eigenes Interesse knüpft sich wieder an den feineren Bau des 
Zirbelstieles (Fig. 9d und 15). Er erhebt sich über der erwähnten Commissur als eine 
schlauchartige Bildung, die schräg nach vorn sich wendet, allmählig sich etwas erweitert, 
um zuletzt bläschenförmig aufzuhören. Im Inneren des Stieles unterscheiden wir ein nervös- 
streifiges Wesen und die Streifen entstehen aus dem Netzwesen in der Substanz der Com- 
missura posterior dergestalt, dals sich die Netzbälkchen in Faserstreifen ausziehen, welche 
in den Zirbelstiel vordringen, aber nur eine gewisse Strecke weit. Nach den früheren über 
den Bau der Nervensubstanz von mir ermittelten Thatsachen ist das Netzwesen ein Spongio- 
plasma und seine faserigen Längsfortsetzungen werden zu Begrenzungen der Nervenröhren, 
die hier so wenig, wie bei obigen Teleostiern, dunkelrandiger Art sind, sondern in ihrer 
Beschaflenheit am ehesten den Elementen des Riechnerven sich anschlielsen lassen. 

In meinen Präparaten erstreckt sich der nervös-streifige Zug nur etwa auf ein Drittel 
in die Höhe des Zirbelstieles und nachdem er aufgehört hat, stellt sich der Stiel als ein 


heller Kanal dar, in welchem man nur zahlreiche rundliche Kerne vor sich hat, zu denen da 


und dort ein schwacher Hof von Zellsubstanz gehört, weshalb man von einem im Rückgang 


oder in Auflösung begriffenen Epithel sprechen möchte. 


Oberes Parietalorgan. — Das Ende des Stieles ist zu einer blasigen Bildung 
vergrölsert, dem Zirbelknopf oder Zirbelbläschen, das nicht aus dem Schädelraum heraus- 
tritt. sondern dessen Innenfläche anliegt, wobei jedoch die Substanz der bindegewebigen 
Schädeldecke zu seiner Aufnahme eine schwachgrubige Austiefung bildet (Fig. 9, e). 

Die Form des Zirbelknopfes oder des oberen Parietalorgans hat sich von der Larve 
zum fertigen Tier etwas verändert. Bei Ammocoetes (Fig. 12 und 13) nämlich erscheint 
der bezeichnete Teil im Längsschnitt von ungefähr dreiseitiger Form mit abgerundeten Ecken, 
bei Petromyzon hingegen in Gestalt einer niedergedrückten Blase. 

Den Bau (Fig. 10) anbelangend, so unterscheidet man, von aulsen nach innen gehend, 
zunächst die mit Kernen versehene (renzhaut als Fortsetzung der „Tunica propria“ des 
Zirbelstieles. Am Boden des Organs erhebt sie sich in zarte Fortsätze, welche bei geringer 
Vergrölserung wie eine Art ins Innere gerichtete Strichelung sich ausnimmt. Diese fadigen 
Erhebungen nehmen in der Grölse ab gegen den Stiel hin und ebenso verlieren sie sich 
nach der Gegend zu, wo die ventrale Wand in die dorsale übergeht; auch sah ich die Fäden 


klar erst bei Petromyzon, kaum noch bei Ammocoetes. 


Den Boden der Blase nimmt die zellige Auskleidung ein, welche man als „Retina“ 
bezeichnet und für eine Umbildung der ursprünglich epithelialen Schicht zu halten ist. 
/u äulserst besteht sie aus zelligen Elementen, welche noch sehr an die gleichen Teile im 
Zirbelstiel erinnern, doch ist ihr Plasmakörper etwas stärker und zieht sich in Fortsätze 
aus, die unter sich zusammentretend ein Netzwerk erzeugen. Indem mit diesem Netzwesen 
die ebenfalls fadig ausgezogenen Enden der nach oben folgenden Cylinderzellen sich ver- 
binden, kommt eine Zone von netzfaseriger Structur zu Stande, wenn gleich nicht so deut- 
lich markiert, als es im Parietalorgan gewisser Saurier der Fall ist. 

Die Zellen, welche die epitheliale Schicht des Bodens der Blase gegen den Binnen- 
raum abschlielsen, sind von eylindrischer Form und ausgezeichnet durch Pigmentierung. Die 
Pigmentkörnchen sind doppelter Art: die einen, in geringer Zahl vorhanden, gehören dem 
dunkelkörnigen (braunschwarzen) Pigment an, die anderen sind bei durchfallendem Lichte 
von schmutzig-gelber Farbe und entsprechen wohl dem guaninhaltigen Pigment der Haut- 
decke. Bei auffallendem Licht erscheint diese Art Pigment wie ein dichter, weilsglänzender 


Gürtel. Der Kern der Zellen lieet im hinteren Abschnitt des Zellenleibes, dort, wo er 


beginnt, sich fadig auszuziehen. Die Ausläufer teilen sich ebenfalls, und wie schon angeführt 
wurde, treten mit dem von den äulseren Zellen herrührendem Netze in Verbindung. 

Zur Anordnungsweise der gedachten Zellen ist auch zu erwähnen, dals, namentlich 
beim erwachsenen Tier, klare Spaltlücken oder Intercellularräume in verschiedener Zahl 
innerhalb der pigmentierten Zone sich abheben. Sie führen in die Lichtung der Blase und 
man könnte sie auch Aussackungen des Binnenraumes nennen.; 

Über die Pigmentzone breitet sich eine Lage aus, die in der Larve und beim fertigen 
Tier ein zwar verschiedenes Aussehen hat, aber doch nur eins und dasselbe bedeuten kann. 

Bei Ammocoetes nämlioh zeigen sich die Zellen, welche teilweise mit Farbkörnchen 
erfüllt sind, von langer und schmaler Form und es ragt aus der Einzelzelle ein langer 
Secretfaden hervor, der schon tief im Zellkörper beginnt (Fig. 14). Zu bemerken ist auch, 
dals innerhalb der Substanz des Fadens, in der Nähe des Austrittes aus der Zelle, Farb- 
körnchen eingebettet sein können. Bei geringer Vergrölserung können die dicht nebenein- 
ander stehenden Fäden das Bild eines Cilienbesatzes hervorrufen. Weiteres Zusehen lälst 
aber finden, dals die Fäden keine einfachen Borsten sind, sondern bei stärkerer Ver- 
grölserung wird klar, dafs die Fäden nach dem freien Ende hin sich gablig oder mehrfach 
zerteilen und indem sie zuletzt zusammenflielsen, einen durchbrochenen Saum erzeugen. In 
der Ansicht von der Fläche kann der Saum durch die Art seiner Entstehung das Aussehen 
einer Wabenbildung haben. 

Beim fertigen Tier (Petromyzon) trifit man anstatt dieser aus Fäden oder Borsten 
zusammengesetzten Schicht eine wagrecht-streifige Lage an, die nach unten zu mit den 
Cylinderzellen durch schrägziehende Ausläufer sich verbunden zeigt. Wenn wir das bei der 
Larve sich darbietende Stadium mit dem, was wir beim fertigen Tier finden, vergleichen, 
so darf man für wahrscheimlich halten, dafs die besagte Cutieularschicht des Petromyzon 
durch Rückbildung aus dem Fadenbesatz des Ammocoetes entstanden ist. 

Der Binnenraum des Parietalorgans zieht sich in mehrere Buchten aus, wovon beson- 
ders jene ins Auge fällt, welche sich in den Zirbelstiel erstreckt. Die Cylinderzellen und 
das Pigment begrenzen die Aussackung in gleicher Weise, wie sie es in der Lichtung des 
Organs überhaupt thun, was jedoch alles in der Larve schärfer in die Erscheinung tritt, als 
am fertigen Tier. 

Der dorsale Teil der zelligen Auskleidung oder die sogenannte Linse hat ebenfalls 
gewisse Umwandlungen erfahren. Bei Ammocoetes ist der Teil durch starke Vorsprünge 
verdickt uud setzt man das Durchschnittsbild in das Flächenbild um, so muls die Oberfläche 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX 29 


—_ Do 


a 


der Linse von verschieden tiefen Furchen und entsprechenden Erhöhungen durchzogen sein. 
Dadurch erhält der Binnenraum des Organs nach oben einen stark buchtigen Umrifs. Die 
zusammensetzenden Zellen, mehrschichtig gelagert, sind von ziemlich heller Natur und ihre 
Kerne häufen sich etwas gegen den freien Rand der Linse hin. 

Unteres Parietalorgan. — Unterhalb des im bisherigen beschriebenen oberen 
oder dorsalen Parietalorgans befindet sich ein zweites oder ventrales, das zwar in manchem 
dem vorigen ähnlich ist, daneben aber auch durch nicht wenige Verschiedenheiten sich da- 
von abhebt. 

Das betreffende Gebilde ist kleiner, stellt aber ebenfalls ein von Zellen ausgekleidetes 
Säckchen dar. Die Zellenlage am Boden des Säckchens ist dicker, als jene des oberen Ab- 
schnittes. Die Umrisse der Zellenkörper sind undeutlich, hingegen die zahlreichen, teilweise 
in Gruppen gestellten Kerne treten scharf hervor. Die Beschaffenheit der Zellen ist im 
oberen und unteren Teil des Säckchens gleichmälsiger, so dals man hier keinen Grund hätte, 
die zellige Auskleidung des Säckchens in „Linse“ und „Retina“ zu zerlegen. Pigment kann 
am erwachsenen Tier ebenfalls zugegen sein, aber doch nur spurweise und recht im Gegen- 
satz zum dorsalen Parietalorgan liegen die Pigmentklümpehen hier im oberen Abschnitt, also 
in dem Teil, welcher der „Linse“ zu entsprechen hätte. — Man könnte vielleicht im allge- 
meinen sagen, dals die zelligen Elemente in diesem unteren Bläschen in geringerer Weise 
histologisch auseinander gehen. 

Auch bezüglich der Cutieularschicht wäre zu melden, dafs eine solche dem oberen 
Abschnitt („Linse“) angehört, mit welchem sie, wie bei dem dorsalen Organ, durch schräge 
fadige Züge zusammenhängt. 

Recht abweichend gegenüber dem Zirbelbläschen stellt sich das Verhalten des Nerven 
dar. Bei ersterem ist nach obigem der Zirbelstiel in seinem Wurzelteil nervös-streifig, 
weiterhin schlauchartig, mit zelligem Inhalt. Hier am zweiten oder ventralen Parietal- 
organ bleibt der Nerv (Fig. 9, g) von seinem Ursprung bis zum Säckchen von gleicher Art 
und geht noch unterhalb des Säckchens in eine gangliöse Partie über. Zum Näheren sei 
bemerkt: der Nerv entspringt aus dem Ganglion habenulae dextrum derart, dafs dessen 
netziges Spongioplasma sich in ein Bündel von Faserstreifen auszieht, welches am Vorder- 
rand der Spitze des Ganglions hervortritt und sich hart hinter der zelligen Wand des 
„Recessus infrapinealis“ haltend, nach vorne zum Parietalorgan hinbiegst und dort gleichsam 
in zwei Ganglien anschwillt. Die erste Verdiekung ist bedingt durch eine Lage von Ganglien- 


zellen, deren Zahl oben etwas grölser als unten ist. Genauer genommen sind es runde Kerne, 


jeder umgeben von einem schwachen Hof von Zellsubstanz, einwärts in Fortsätze sich auf- 
lösend und damit in die Faserstreifen des Nerven sich verlierend. 

Das obere Ganglion, rundlich von Gestalt, besteht im Inneren aus einem netzartigen 
Gewirre feinster Fäserchen oder Spongioplasma; die Rinde wird gebildet von Ganglienzellen, 
so beschaffen, dals je ein rundlicher Kern von einem Hof von Zellsubstanz umgeben wird, 
welche sich einwärts mit dem Fadengewirr des Innern verbindet. Man könnte auch sagen, 
das feine Netzwerk im Innern des Ganglions sei entstanden durch das sich auffranzende 
Protoplasma der Zellen. 

Ferner läfst sich erkennen, dafs an der Basis des Parietalorgans eine Kreuzung der 
Faserstreifen stattfindet, insofern als die aus dem Nerven kommenden Fäserchen nach vorn 
in das Parietalorgan sich wenden, während die aus dem Fadengewirr (Punktsubstanz) des 
Ganglions hervorgehenden Längsfasern nach rückwärts sich ziehen. Dadurch entsteht eine 
deutlich sich abzeichnende Kreuzung der Faserzüge (Fig. 11). Und falst man dann weiter 
mit aller Aufmerksamkeit die Basis unseres Organs und die Ausläufer der Faserzüge ins 
Auge, so kommt zur Ansicht, dals die Enden der Fäserchen übergehen in das feine Netz- 
werk, in das sich die Substanz der das Parietalorgan zusammensetzenden Zellen auflöst. 

Nach unten streichen die Zellen des Recessus infrapinealis dicht an den zelligen 
Elementen des Ganglions vorüber, und im Falle beide etwas auseinander gewichen sind, so 
kommt zum Vorschein, dals die Zellen des Ganglions und jene des genannten Recessus durch 
Ausläufer sich verbinden. 

Anhangskanal. — An zwei Schnitten der mir vorliegenden Präparate gewahrt 
man noch ein des Erwähnens wertes Vorkommnis. 

Zwischen dem dorsalen und dem ventralen Parietalorgan tauchen Durchschnitte von 
Hohlgebilden auf, mit dicker epithelialer Wand, ganz vom Charakter der Wand des ventralen 
Parietalgebildes, doch um vieles kleiner als das letztere. In dem einen Präparat (Fig. 13, a) 
lassen sich sechs solcher Durchschnitte zählen, wovon der erste über dem Stiel des Zirbel- 
bläschens legt und mit dessen Lichtung so zusammenzuhängen scheint, als ob er ein Teil 
des Stieles wäre; der zweite, dritte, vierte und fünfte Hohlkörper fällt genau zwischen 
Zirbelbläschen und unteres Parietalorgan, der äufserste liegt seitlich oben neben dem Zirbel- 
bläschen. In dem anderen Präparat (Fig. 13, d) sind nur vier solcher Bildungen zugegen, 
aber eine davon ist gröfser und von länglicher Form und da sie in ihrer Lage dem vierten 
und fünften Hohlkörper von vorhin entspricht, so darf man annehmen, dafs sie aus der Ver- 


schmelzung von zweien der bezeichneten blasigen Bildungen entstanden ist. Die Meinung 
29* 


rau 


etwa. dafs man vielleicht nur die Durchschnitte von Blutgefäfsen vor sich habe, bleibt völlig 
ausgeschlossen. Bei der Larve allein sind die besagten Gebilde vorhanden, nicht mehr in 
den vom fertigen Tier gewonnenen Präparaten. 

Was mag das Ganze bedeuten? Es scheint kaum angezweifelt werden zu können, 
dafs in den durchschnittenen Teilen die Stücke eines epithelialen Rohres vorliegen, welches 
sich zwischen oberem und unterem Parietalorgan hinzieht. Und erwägt man, dals das erste 
Stück genau so über dem Stiel des Zirbelbläschens liegt, dafs es sich wie eine aus dem 
Stiel entspringende Hohlknospe ausnimmt, so darf man für sehr wahrscheinlich halten, dals 
man es mit einer kanalartigen Aussackung der Zirbel zu thun habe, welche in Krümmungen 
ihren Weg macht und oben seitlich am Zirbelbläschen blind geendigt ist. 

Es wird unten bei Besprechung der Arbeiten anderer weiter davon die Rede sein, 
auch mit Rücksicht darauf, ob nicht ähnliches auch anderwärts vorkommt. 

Zirbelpolster. — Als Recessus infrapinealis oder „Zirbeipolster“ läfst sich eine 
sackartige Bildung ansprechen, welche sich über dem Zwischenhirn erhebt und mit der 
Lichtung des dritten Ventrikels zusammenhängt. Der Sack erstreckt sich auch über das 
Vorderhirn, nieht mehr aber über den Lobus olfactorius: er besteht aus einer bindegewebigen 
Grundhaut und einem Epithel, zieht über die vordere Fläche des Ganglion habenulae her 
und seine obere Wölbung zeigt sich an einem der Schnitte mit der gangliösen Partie des 
unteren Parietalorgans eng verwachsen. Nach unten verliert sich die Wand des Sackes in 
die Rindenzone des Gehirns (Fig. 9, 1). 

Vergleicht man hierzu das Gehirn von Salmo und Anguilla, so entspricht die 
bezeichnete Ausweitung des Hirndaches an Petromyzon dem Recessus infrapinealis zu- 
gleich mit dem über das Vorderhirn sich erstreckenden Pallium. An meinen Präparaten 
wenigstens fehlt die an genannten Knochenfischen von oben nach unten sich herabsenkende 
Querfalte und damit die Zerlegung in zwei Abteilungen. 

Der Raum über dem Lobus olfactorius wird von dem gleichen zelligen Bindegewebe 


ausgefüllt, welches die Zirbel und das Parietalorgan umgiebt (Fig. 9, k). 


Myxine glutinosa. 


Durch die Güte des Herrn Professor Boveri stand mir ein Exemplar dieses Fisches 
zu Gebote und Herr Studiosus Ende im hiesigen zoologischen Laboratorium hatte die 


Freundlichheit, den Schädel in eine Reihe von Sagittalschnitten zu zerlegen. Der Erhaltungs- 


— 2) — 


zustand, in welchem das Tier sich befand, war nicht der beste; trotzdem möchte ich nicht 
unterlassen, mitzuteilen, was ich daran zu sehen vermochte. 

Gehirn. — Schon beim flüchtigen Blick erkennt man, dals Myxine in der Hirn- 
bildung stark von Petromyzon abweicht. Es ist an Masse geringer und seine einzelnen 
Abschnitte haben fürs freie Auge ein gleichmäfsigeres Aussehen. Ein Lobus olfaetorius 
grenzt sich schwach ab von einer nächstfolgenden Partie, welche dem Lobus hemisphaeriens 
entsprechen mag; vor letzterem, wieder nur durch eine seichte Querfurche getrennt, ist ein 
Abschnitt, den man für das Zwischenhirn halten kann; dahinter zieht eine tiefe Querfurche 
herüber und es folgt ein Lobus, der vielleicht dem Mittel- und Kleinhirn zusammen gleich- 
gesetzt werden darf. Der Teil des Rückenmarkes, welcher beim Übergang ins Gehirn nach 
unten leicht anschwillt, stellt die Medulla oblongata vor (Fig. 24). 

Im Inneren des Gehirns zeigt sieh nicht blofs im Bereich des Nachhirns eine Er- 
weiterung des Rückenmarkskanals, wahrscheinlich vergleichbar dem vierten Ventrikel, son- 
dern auch, mehr nach vorn, in der Gegend des Abschnittes, welchen ich als Zwischenhirn 
ansah, ist mit Sicherheit ein mit Ausbuchtung versehener Ventrikel zu erkennen. Zweifel- 
haft bin ich geblieben, ob sich nicht auch in den Lobus hemisphaerieus hinein eine Fort- 
setzung dieses Ventrikels zieht. An der Basis des Gehirns stöfst man auf einen kleinen mit 
Ependyma ausgekleideten Raum, der wohl in den Trichter führen wird, und in letzterem 
selber ist eine schmale Lichtung zu erkennen. 

Diese wenigen Bemerkungen über das Gehirn haben nur der allgemeinen Übersicht 
wegen hier eine Stelle gefunden. Und es sei hierzu noch erwähnt, dafs hinter der letzten 
Hirnwölbung den Schädelraum eine eigentümliche, bindegewebige, von zahlreichen Blut- 
gefälsen durchbrochene Masse ausfüllt, gerade dort, wo bei Petromyzon in hievon sehr 
abweichender Art der grolse Plexussack mit seinen einspringenden Falten der bezeichneten 
Gegend ein so eigentümliches Gepräge verleiht (Fig. 28, b). 

Epiphysis cerebri? — Mit gesteigertem Interesse sah ich mich nach der 
Zirbel und dem Parietalorgan um, fand aber nicht das Erwartete, sondern sehr eigentüm- 
liche Verhältnisse. 

Auf der Oberfläche des Gehirns, entspringend aus der erwähnten Querfurche, hinter 
dem „Zwischenhirn“, liegt ein verhältnismälsig stattliches Gebilde, welches in unserer Frage 
in Betracht kommt. Fafst man die Bilder zusammen, welche die verschiedenen Sagittal- 
sehnitte gewähren, so hat, wir wollen sagen, der „Körper“ die Form einer ovalen Scheibe, 


welche mit kurzem. dieken Stiel im Gehirn wurzelt. Die Scheibe erstreckt sich rückwärts 


— 230 — 


bis über die letzte Hirnanschwellung und nach vorn bis zum Lobus hemisphaerieus und selbst 
darüber hinaus (Fig. 24, a). An manchen Schnitten zerlegt sich der über das Gehirn her- 


ziehende Teil in einen vorderen und hinteren Abschnitt. 


Der Stiel der Scheibe kann einfach sein, dann nach unten sich spalten und in die 
bezeichnete tiefe Querfurche mit verschiedenen Zacken hinabgehen. Auflser dem Hauptstiel 
und seiner Zerteilung kommen noch kürzere Verbindungen vor zwischen dem scheibenförmigen 
Körper und dem Gehirn, man könnte, indem wir die bisherige Betrachtung noch festhalten, 
sagen: eine Anzahl von Nebenstielchen. Die stärkeren von diesen sind immer diejenigen, 


welche in die Querfurchen der Hirnoberfläche eintreten. (Man vergleiche Fig. 25, 26 u. 27). 


Unsere ganze Auffassung der „Stiele“ mufs sich aber ändern, wenn wir die Bluträume 
der Umgebung ins Auge nehmen. Es zeigt sich, dafs unterhalb und rings um den scheiben- 
förmigen „Körper“ zahlreiche weite Blutgefälse liegen, in welche auch von der Basis des 
Gehirns her ein seukrecht heraufsteigendes Blutgefäls tritt. Die Bluträume schieben sich so 
dicht ineinander, dals die Zacken, welche vorhin als „Stiele* bezeichnet wurden, nur 
Zwischenpartieen des „scheibenförmigen Körpers“ sind, immer umgrenzt von der Wandung 
der Blutgefälse. Aus diesem Zustandekommen der „Stiele“ erklärt sich auch die Manch- 
faltigkeit ihrer Gestalt. 

Und forscht man jetzt nach der geweblichen Zusammensetzung der Scheibe und ihrer 
Stiele, so stellen sich die Dinge auch anders dar, als man erwarten zu können glaubte. 
Die Begrenzung der genannten Teile bildet überall eine bindegewebige Hülle mit Kernen, 
die aber eigentlich den Blutgefälsräumen als Wand angehört. Und anbelangend die 
Substanz der Scheibe selber, so stellt sie eine homogene feinkörnige Masse dar, die sich 
ausnimmt, wie ein im Leben flüssig gewesener und jetzt fest gewordener Inhalt. Epitheliale 
Elemente fehlen durchaus, wohl aber zeigen sich vereinzelt oder auch in kleinen Gruppen 
beisammenliegend rundliche Körperchen, die das Aussehen von Lymphzellen haben und wohl 


auch solche sind. 


Falst man alles zusammen, so drängt sich das Ergebnis auf, dals die Scheibe nicht 
etwa eine Zirbel sei, obwohl sie dort liegt, wo man die Anwesenheit einer „Glandula 
pinealis“ vermuten möchte, sondern dals man es mit einem Lymphsäckchen zu thun habe, 
welches von zahlreichen weiten Bluträumen umgeben ist. Man darf ausprechen, dals hier 
bei Myxine weder eine hintere noch eine vordere Zirbel, auch nicht ein Parietalorgan zu- 


gegen sei. 


Ich möchte mir vorstellen, dafs dieser Mangel mit dem Fehlen des epithelialen Hirn- 
daches zusammenhänge. Hinten über dem Nachhirn erscheint der Raum, wie bereits er- 
wähnt wurde, von einem gefälsreichen Bindegewebe ausgefüllt, welches mit der binde- 
gewebigen Schädelkapsel verwachsen sich zeigt oder von ihr ausgeht, dabei aber feiner 
strukturiert ist, als es die derberen Züge der Schädelkapsel sind. Ebensowenig ist etwas 
sichtbar von einem epithelialen Hirndach des „Zwischenhirns“, von dem Aussackungen ent- 
stehen könnten, welche zur Bildung einer vorderen und hinteren Zirbel, sowie eines „Pineal- 
auges“ führen. Auch von einem epithelialen Pallium ist nichts vorhanden: man unterscheidet 
vielmehr unterhalb der Hirnkapsel nur die kernreiche Pia mater. 

Man darf gespannt sein, wenn einmal ein Beobachter in die Lage versetzt worden ist, 
die Entwicklung von Myxine verfolgen zu können, alsdann zu hören, wie sich der be- 


schriebene spätere Zustand zu einem vorangegangenen früheren verhält. 


Iguana tubereulata. 


Herr v. Klinekowström hatte einen Aufenthalt in Surinam unter anderem dazu 
benutzt, die bezeichnete grofse und dort häufige Eidechse auf den Bau und die Entwicklung 
des Parietalorgans zu untersuchen. Wie bereits gemeldet, so durfte ich die Präparate, 
welche die Belegstücke der Mitteilungen bilden, durchsehen, und erlaube mir jetzt, was ich 
daraus für meine Zwecke entnommen, im Nachfolgenden vorzulegen. 

Zirbel. — Die Anlage der hinteren Zirbel als Hervorstülpung aus dem Dache des 
Zwischenhirns ist früher da, als jene der vorderen Zirbel. 

Die eigentliche oder hintere Epiphysis wird zu einem einfachen, nach oben und vorn 
leicht sich krümmenden Schlauch. Die vordere oder Nebenzirbel hingegen gestaltet sich 
bald zu einer mehrfach buchtigen Aussackung. Unter den zahlreichen Blutgefälsen im 
Mesoderm unterscheidet man auch eines, welches längs der hinteren Zirbel heraufzieht und 
es sei bemerkt, dals zur Zeit, in welcher Zirbel und Parietalorgan noch dicht zusammen- 
liegen, in der Umgebung von beiden lediglich Blutgefäfse sichtbar sind, nichts von Nerven. 
Dies zeigt sich aber verändert in jenen Sagittalschnitten, wo beide Organe auseinander- 
gerückt sind. 

Parietalnerv. — In bezeichnetem Stadium erblickt man nämlich in mehreren 
Präparaten einen unbezweifelbaren Nerven (Fig. 22), der vom Zwischenhirn aufwärts zum 


Parietalorgan zieht, welches um diese Zeit noch gleichmälsig zellig ist, genauer gesagt aus 


ne 


dicht gehäuften Kernen mit wenig Plasma dazwischen besteht. Letzteres bietet an der Basis 
des Organs, da wo der Nerv hervortritt, eine deutlich spongiöse Beschaffenheit dar. 

Der Nerv verläuft in einigen leichten Krümmungen, sein Inneres ist fein und dicht- 
streifig, kernlos; die Membran, welche die Nervensubstanz umgiebt, ist homogen und eine 
Fortsetzung des ebenfalls homogenen Häutchens, welches die Oberfläche des Gehirns begrenzt. 

Betrachtet man mit Aufmerksamkeit den Anfang und das Ende des Nerven, so lälst 
sich bezüglich des Ursprungs erkennen, dafs am Gehirn zwei Lagen sich abheben, wovon 
die innere von dicht beisammenliegenden, eiförmigen Kernen mit etwas Plasma dazwischen 
zusammengesetzt ist, während die äulsere Lage nur aus Spongio- und Hyaloplasma besteht. 
Die Bälkchen des Schwammwerkes ziehen sich in Längsstreifen aus, welche über das Gehirn 
hinaus vordringend die Streifen des Nerveninneren bilden. Und wendet man sich mit 
gleicher Achtsamkeit der Stelle zu, wo der Nerv in das Parietalorgan übergeht, so wieder- 
holt sich, aber in umgekehrter Folge, dasselbe Verhältnis. An dem Verbindungsorte, allwo 
zugleich der Nerv eine leichte Verdickung annimmt, lösen sich die Längsstreifen des Nerven 
wieder netzig auf und verschmelzeu mit dem Spongioplasma der die Kerne einhüllenden 
Zellsubstanz. 

Es mag auch hier schon beigefügt werden, dals diese Beziehung des Spongioplasma 
des Nerven zu dem Netzwerk der Zellsubstanz noch am Parietalorgan aus späterem Stadium 
sich erkennen lälst. An einem Schnitt, an welchem bereits das gedachte Organ eime 
niedergedrückte Blase darstellt und, später zu beschreibende Sonderungen, schon begonnen 
haben, verlieren sich die Streifen des Nerveninneren noch ebenso in das Netzwerk jener 
lichteren Zone, welche zwischen den Zellen der äufseren Lage und jener der weiter einwärts 
folgenden Zone sich hinzieht. 

Um den Nerven, sowie auch um das Parietalorgan, grenzt sich im bindegewebigen, 
Gefälse führenden Mesoderm, eine Höhlung ab, die man als einen grofsen zusammenhängenden 
Lymphraum ansprechen darf. Von dieser Bildung finden sich auch noch später Reste vor. 

Zweiter Nerv. — Nicht minder interessant sind die Sagittalschnitte, an welchen 
nachzuweisen ist, dals aulser dem „Parietalnerven“ noch ein zweiter Nerv zugegen ist, 
welcher hinter der Zirbel entspringt und an deren Seite heraufzieht (Fig. 23, b). Wo er endet, 
liels sich an den Präparaten nicht ermitteln. Klar hingegen fällt wieder die Art und Weise 
ins Auge, wie er im Gehirn wurzelt. Das Dach des Zwischenhirns nämlich scheidet sich auch 
an der Ursprungsstelle dieses Nerven in eine innere Lage, welche dick ist und aus nahe 


zusammengerückten Kernen besteht, während die Zwischenräume von Spongioplasma, freilich 


233 — 


in geringster Menge, durchzogen werden. Daran schlielst eine äulsere Schicht, welche Spongio- 
plasma mit hyaliner Zwischenmaterie aufzeigt. Beide Schichten sind mächtiger als es dort 
der Fall ist, wo der Parietalnerv den Ursprung genommen hat. 

Prüft man nun abermals die Abgangsstelle des Nerven von der Gehirmoberfläche 
genau, so treften wir dieselben Structurverhältnisse an, welche sich am ersten Nerven er- 
kennen liefsen und zwar beinahe noch deutlicher als dort. Es setzt sich das Spongioplasma 
der äulseren Schicht des Gehirns in Form längsstreifiger sich über die Gehirnoberfläche er- 
hebender Bündel fort, welche hierauf die Substanz des Nerven bilden. Die Nervenscheide, 
Neurilemm, ist Fortsetzung der homogenen Grenzhaut des Gehirns. Die Kerne, welche man 
längs des Verlaufes des Nerven unterscheidet, gehören, so viel ich sehen kann, nicht der 
Nervensubstanz an, sondern den Bindegewebszellen des umschlielsenden Mesoderms. 

Sowohl um die Zirbel, als auch um den eben geschilderten Nerven weicht das 
Gewebe des Mesoderms etwas zurück, so dals auch hier eine abgesetzte Höhlung oder Lymph- 
raum um die Teile zum Vorschein kommt. 

Parietalorgan. — Es stellt diese Bildung (Fig. 19) im fertigen Zustande ein 
Säckchen von niedergedrückter Form dar, an dem wir im Hinblick auf den Bau zunächst 
unterscheiden eine Kapselmembren, die nach vorne zu dünner ist, rückwärts aber, gegen 
den Boden des Säckchens, sich nach und nach stark verdickt, was durch Anlagerung von 
Schichten des umgebenden Bindegewebes geschieht. Letzteres zeigt aulser den Streifen- 
linien und zahlreichen schmalen Kernen auch noch eingestreute Pigmentklumpen von wech- 
selnder Form und Grölse. 

An die Kapsel heran tritt, und erscheint mit ihr verschmolzen, ein bindegewebiger 
Strang, der aus dem umgewandelten, im Embryo bestandenen Nerven hervorgegangen ist. 
Ruft man sich zurück, dafs der embryonale Nerv aus längsstreifigem Spongioplasma und 
und dem davon eingeschlossenen Hyaloplasma bestand, so darf man wohl den Weg, auf dem 
die regressive Metamorphose sich vollzog, sich so vorstellen, dafs das Spongioplasma, nach meiner 
Auffassung von vornherein Gerüstsubstanz des Nerven, durch Wucherung zunimmt und das 
Hyaloplasma oder die eigentliche Nervensubstanz verdrängt hat. Der Nerv ist dadurch zu 
einem Bindegewebsstrang geworden, der mit der Kapselmembran verschmilzt. 

In letzterer, gerade zunächst der Übergangsstelle des früheren Nerven, hebt sich im 
Längsschnitt des Organs eine rundliche Partie ab von undeutlicher Structur. Fast nur 
schattenhaft machen sich in ihr rundliche, grölsere Kerne, umgeben von verschwommenen 


Zellenlinien, bemerklich, so dals das Bild am ehesten an eine Art Knorpel erinnert. Da der 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 30 


— 234 — 


Teil etwas einwärts vorspringt, so muls die nachher zu erwähnende Zellenlage über den 
„Knorpel“ sich hinwegbiegen. 

Umschlossen von der bindegewebigen Kapsel folgt die eigentliche oder wesentliche 
Schicht des Organsäckchens. Ursprünglich von gleichmälsig zelliger Beschaffenheit und un- 
unterbrochen vom Boden zum Dach zusammenhängend, hat sie sich später in zwei Abschnitte 
gesondert: in einen unteren oder „Retina“ und in einen oberen oder „Linse“. Zwischen 


beiden geht ein Trennungsspalt äquatorial hindurch. 


An der „Retina“ unterscheiden wir eine äufsere Lage von runden Kernen, mit geringer 
Zellsubstanz dazwischen; sie liegt der Innenfläche der Kapsel an und so lange noch ein 
Nerv vorhanden ist, geht sie wie epithelartig eine kurze Strecke in diesen hinein. Besagte 
äulsere Kernlage verdickt sich nach der Gegend hin, wo der Trennungsspalt zwischen 


„Retina“ und „Linse“ durchgeht. 


Es folgt ein heller Raum, durchsetzt von einem zarten Netzwerk, das durch Auf- 
franzung der Zellsubstanz sowohl von der äulseren Kernlage her, als auch jener der weiter 
einwärts anschlielsenden Schicht, zu Stande kommt. Zur Zeit in der noch der Nerv als 
solcher vorhanden ist, scheinen die Streifen (Spongioplasma) des letzteren mit den Bälkchen 
dieses Netzes sich zu verbinden. Das Netzwerk ist aber auch noch zugegen nach der Um- 


wandlung des Nerven in einen Bindegewebsstrang. 


Die jenseits der Zone des Bälkchenwesens anschliefsenden Kerne mit Zellplasma scheinen 
von derselben Art zu sein, wie die äulsere Kernlage. Verschieden davon stellen sich die, 
das Lumen des Säckchens begrenzenden, Zellen dar, insofern sie von länglicher Gestalt sind 


und pallisadenförmig stehen, aulserdem auch pigmentiert sind. 


Am entwickeltsten in der Mitte nehmen sie nach dem Rande hin an Länge ab. Hat 
man Stellen vor sich, allwo eine solche Pallisadenzelle ihr oberes und unteres Ende genauer 
erkennen läfst, so sieht man mit Sicherheit, dafs ihr Kopf und Fufs sich ausfranzt. Die 
Fäserchen des Fulses gehen über in das Netzwerk der tieferen Zelllagen und die oberen 
treten in ein Flechtwesen ein, welches in die nachher zu erörternde Cuticularschicht über- 
geht. Bemerkt mag noch sein, dafs in die vom Kopf der Zelle sich erhebenden Bälkchen 


Pigmentkörner eine Strecke weit sich hineinziehen können. 


Noch mehr dürfte Beachtung verdienen, dafs, indem wir alle zelligen Elemente der 
„Retina“ überblicken, wir die Überzeugung gewinnen, dafs sie sämtlich durch Ausläufer des 


Protoplasma in Netzform zusammenhängen. — In das dunkle Pigment erscheint auch guanin- 


haltiges eingemischt, doch in geringer Menge, so dafs bei auffallendem Licht dasselbe sich 
kaum als weilse Substanz von dem dunkeln unterscheiden lälst. 

Die Cutieularschicht an der Innenfläche der Retina stellt sich verschieden dick dar: 
sie ist von homogener Natur, kaum mit Spuren einer Längsstreifung. Helle Lücken von 
wechselnder Zahl, Gröfse und Form heben sich in ihrer Subsanz ab und in denselben können 
bräunliche Ballen liegen, die man Pigmentklumpen nennen möchte, obschon sie eigentlich 
mehr den Charakter von Detritus an sich haben, ähnlich den Pigmentklumpen in der Kapsel- 
membran, im bindegewebig gewordenen Nerven und auch in den Bindegewebsbalken, welche 
die Umgebung des Parietalorgans durchziehen. Es mag sich eben hier überall um Begleit- 
erscheinungen der rückschreitenden Metamorphose handeln. 

Die Entstehung der Cutieula wird wohl in derselben Weise erfolgen, wie ich sie für 
Petromyzon wahrscheinlich machen konnte. Auch bei Iguana nämlich sieht man in 
früheren Stadien, allwo noch nichts von einer Cuticula jenseits der „Retina“ sich abhebt, 
doch am freien Saum der letzteren ceilienartige Fortsätze der Zellen, die man als Vorläufer 
der späteren Cutienla betrachten darf. 

Dals die Zellen, aus denen die „Linse“ besteht, nach ihrem Herkommen umgewandelte 
Elemente der Gehirnsubstanz sind, liegt auf der Hand. Hinsichtlich der Anordnung und 
der Structur treffen wir auf manches Eigenartige, was noch weiterer Aufklärung bedarf. 
Man könnte zwei Lagen von Zellen unterscheiden, eine äufsere und eine innere, die aber 
innig verbunden sind; die Form der Zellen ist im allgemeinen die eylindrische. Auffällig 
sind in der äulseren Schieht die scharf abgesetzten Intercellularräume und aufserdem eine 
gewisse büschelförmige Gruppierung der Zellen. Es hat den Anschein, als ob die Büschel, 
jeder für sich, mit abgerundetem Gipfel in die obere Lage sich hineindrängen. Daneben 
gewahrt man auch scharf abgegrenzte, runde Räume mit Kernbildungen im Inneren. Jene 
zahlreichen Kerne, welche den zwei Zelllagen entsprechen, bilden als ganzes ebenfalls unge- 
fähr zwei Zonen und liegen in beiden Schichten gern nach dem vorderen Ende des Zell- 
körpers hin... Am freien Saum der Linse bemerkt man eine Lage grümlicher Materie, welche 
aus eingegangenen Fädchen entstanden sein mag (Fig. 21). 

Die Linse rundet sich nach einwärts mit scharfem Rande ab und ebenso die ihr ent- 
gegenstrebende Retina. Zwischen beiden zieht sich ein Spalt durch, welcher den Binnen- 
raum des Organsäckchens mit einer aulsen befindlichen Lymphhöhlung in Verbindung setzt. 
Die Lymphhöhlung zeigt sich allerdings nur stückweise und an manchen Schnitten ist davon 
gar nichts zu sehen. Es wurde oben angeführt, dafs der Raum beim Embryo frühen 


30* 


— 236 — 


Stadiums sowohl das Parietalorgan als auch den dazu gehörigen Nerven vollständig und 
to) : to) te) to) 


deutlich umzieht. 


Lacerta agilis. 


Von abgelegten Eiern, welche ich mir im Sommer 1889 verschafft hatte, besals ich 
noch eine Anzahl und es hatte Dr. Kathariner, Assistent am hiesigen zoologischen 
Institut, die Gefälligkeit, mir zwei von den Embryonen aus einer Zeit, in der das Parietal- 
organ noch ohne Pigment ist, in Längsschnitte zu zerlegen (Fig. 17). 

Parietalnerv. — Es war mir vor allem um den Nerven des Organs zu thun, 
welchen ich denn auch, trotzdem dafs auf die Konservierung der Eier wenig Sorgfalt ver- 
wendet worden war, zur Ansicht bekam. Denn es war zwischen der vorderen und hinteren 
Zirbel em Strang vorhanden, dessen nervöse Natur nicht zu bestreiten ist. Den Ursprung 
nimmt er aus einer etwas verdickten Partie des Zwischenhirns, die man dem Ganglion habe- 
nulae vergleichen darf. Die Stelle besteht einwärts aus einer Zellenschicht, auswärts aus 
Spongioplasma und eingeschlossenem Hyaloplasma. Man vermag sich nun abermals zu über- 
zeugen, dafs die Bälkchen des Netzwesens sich in Längsstreifen ausziehen, die dann zu- 
sammen das Innere des Nervenstranges bilden. 

Es heben sich an dem Nerven längliche Kerne ab, bezüglich welcher nicht klar ge- 
sehen werden konnte, ob sie lediglich dem Bindegewebe zuzurechnen sind, welches die 
Nervenscheide liefert, oder auch den Faserzügen der Nervensubstanz. Im Falle sich das 
letztere als richtig erweisen sollte, würde ich wie bei Petromyzon annehmen, dafs die 
kleinen rundlich eckigen Nuclei im Netzwesen des Plasma, dort wo der Nerv hervorgeht, 
sich gleichen Schrittes mit dem Übergang des netzigen Balkenwesens in Längsfaserzüge, zu 
länglichen Nuclei geworden wären. Immerhin möchte zu bemerken sein, dafs auch sonst 
im Bindegewebe des Embryo an Stellen, wo das Bindegewebe die Strangform annimmt, die 
vorher runden Kerne ins Längliche sich umsetzen und damit denen des Nerven gleichen. 

Bezüglich der Weise, in welcher sich der Nerv mit dem Parietalorgan verbindet, liels 
sich wahrnehmen, dafs das Spongioplasma des Nerven, herangetreten an den Boden des 
Organs, sich“ an diesem in der Art verlor, dafs es in das Spongioplasma der Zellen der 
„Retina“ überging. Ebengedachte Lage schied sich in eine äulsere und innere Zone, mit 
mehreren übereinanderstehenden Kernreihen. Alle Kerne erschienen gleichmälsig in Zell- 
substanz gebettet, ohne dafs eine weitere Sonderung bis dahin eingetreten wäre. Am freien 


Saum der Retina war eine grümliche Masse zugegen. 


_—- 237 — 


Von einem zweiten oder hinter der Zirbel heraufziehenden Nerven, wie einen solchen 
Iguana darbietet, ist nicht die Spur zu sehen, so dafs ich dessen Vorhandensein in Ab- 
rede stellen muls. 

Ein das Parietalorgan umziehender Lymphraum ist, wenigstens teilweise, zu erkennen. 
Durchgeht man nämlich die Schnitte von aufsen nach innen, so folgt anf die Epidermis, 
welche aus einer einzigen Zellenlage mit rundlichen Kernen besteht, das Corium mit feinen 
Kernen und Streifenzügen und begrenzt jetzt die Lymphhöhlung, welche den ganzen vorderen 


Abschnitt des blasigen Organs umschlielst. 


Da zufolge des gegenwärtig Erkannten zu vermuten war, dals an meinen früheren 
Präparaten von Lacerta doch einiges übersehen sein mochte, so unterwarf ich die alten 
Schnitte einer erneuten Durchsicht und Prüfung, wobei in der That zwei Punkte in die Augen 
fielen, die mir früher entgangen waren. 

Zirbeln. — An der hinteren oder eigentlichen Zirbel sowohl von Lacerta 
agılis, als auch von Lacerta ocellata und Lacerta viridis verliert sich all- 
mählig, von oben nach abwärts, die Lichtung des Stiels und dieser hat, bei geringer Ver- 
grölserung, eher das Aussehen eines soliden Stranges angenommen. Mustert man nun bei 
starker Vergrölserung den Teil, so ergiebt sich bestimmt, dafs sein Inneres von nervös- 
streifigem Wesen ist, daneben auch Epithel-Kerne enthält (Fig. 6). 

Da die vordere oder Nebenzirbel in gleicher Weise aus dem Gehirn hervorwächst, 
wie die hintere oder eigentliche Zirbel und letztere nach dem soeben Gesagten einen nervös- 
streifigen Inhalt aufweist, so habe ich auch das Anfangsstück der vorderen oder Nebenzirbel 
darauf angesehen, ob nicht auch die Structur eine ähnliche sem möge. Allein, soviel sich 
wahrnehmen läfst, ist solehes durchaus nicht der Fall; vielmehr steht bleibend die vordere 
Zirbel durch die helle Liehtung ihres Anfangsstückes mit dem Raum des dritten Ventrikels 
in offener Verbindung, ist demnach in ihrer Wurzel keineswegs ausgefüllt durch einen 
faserig-nervösen Strang. 

Parietalnerv. — Wie sich am Embryo mittleren Stadiums ein wirklicher Parietal- 
nerv hatte aufinden lassen, so liefs sich auch an diesen älteren Präparaten vom fertigen Tier 
manches noch sehen, was die Umbildung dieses Nerven in den späteren Bindegewebsstrang 
verständlicher macht. 

Fafst man nämlich den Stiel der vorderen Zirbel und dessen nächste Umgebung genau 


ins Auge, so bemerkt man hinter ihm ein Längsblutgefäls, das neben der Zirbel heraufgeht; 


TE 


dann vor dem Stiel und ihm hart anliegend oder angeheftet einen Zug faserigen Gewebes, 
dem man an der Zirbel herauf weiter nachgehen kann, bis er sich in den Verbindungsstrang 
zwischen Zirbelende und Parietalorgan verliert. Dieser faserige Zug ist offenbar der Rest 
des beim Embryo mittleren Stadiums vorhanden gewesenen Nerven. An manchen der 
Schnitten glaube ich noch zu sehen, dafs in seiner unteren Partie oder der Wurzel die 
nervöse Natur sich noch nicht völlig verloren hat, während weiter nach oben der Strang 
rein bindegewebig geworden ist. Daraus scheint sich zu ergeben, dafs die Rückbildung von 


der Peripherie her gegen die Ursprungsstelle schreitet. 


Anguis fragilis. 


Von früher her hatte ich noch ein trächtiges Weibchen der Blindschleiche in Händen, 
dessen Früchte vollkommen reif waren. Einige dieser Embryonen wurden ebenfalls in Sa- 
gittalschnitte zerlegt und was sich daran sehen liefs, stand im Einklang mit dem, was über 
Lacerta berichtet wurde. 

Auch hier war sicher zu beobachten, dafs der Stiel der hinteren Zirbel aulser zelligen 
Elementen mit etwas Streifigem ausgefüllt war und dieser Inhalt, bei stärkerer Vergrölse- 
rung geprüft, erwies sich als das längszügige Spongioplasma eines Nerven (Fig. 8). 

Vor dem Zirbelstiel, eng angeheftet, kommt ein Strang zur Ansicht, der in der 
Gegend des Zirbelknopfes in den langen, wagrecht ziehenden Endfaden der Zirbel umbiegend, 
in den Verbindungsstrang sich fortsetzt, welcher zum Parietalorgan geht. Dieser Strang ist 
hier, an dem zum Geborenwerden reifen Embryo, schon durchweg bindegewebiger Natur 
und nur im Wurzelstück glaubt man noch Spuren der ursprünglich nervösen Beschaffenheit 
entdecken zu können. Die Schnitte lehren, dals schon vor der Geburt die Verwandlung des 
Nerven in einen Bindegewebsstrang nahezu vollendet ist. 

Auch hier bei Anguis, sowenig wie bei Lacerta, wollen die Präparate etwas von 
dem zweiten (bei Iguana vorhandenen) Nerven aufzeigen. Und doch vermag ich nicht 
ganz die Vermutung zu unterdrücken, dafs vielleicht doch der zweite Nerv bei diesem oder 
jenem Individuum sich entwickeln kann. Durchgehe ich nämlich meine Aufzeichnungen vom 
Winter 1888, so begegnet mir eine Skizze, in der ein „Nerv“ zur Seite der Zirbel frei 
heraufzieht. Die Zeichnung giebt aber nicht die Umrisse eines Schnittpräparates, sondern 
es wurde von einer in Weingeist aufbewahrten Blindschleiche das Schädeldach abgehoben und 
die Zirbel mit feiner Scheere vom Gehirn getrennt. Die Folge muls lehren, ob meine Skizze 


auf einem Beobachtungsfehler beruht, oder ob doch der Nerv, individuell, vorhanden sein kann. 


oe 


Hatteria punctata. 


Die Abbildung, welche ich über die Wurzel der Zirbel seiner Zeit gegeben habe,! ist 
so gehalten, dals man nach dem Vorausgegangenen anzunehmen Grund hat, es möge auch 
hier der Zirbelstiel einen nervösen Strang einschlielsen. Der Stiel erscheint nämlich auf der 
Zeichnung stark verengt und ohne Lichtung dargestellt. Es wurden daher auch die auf 
genannten Saurier sich beziehenden Präparate von neuem besehen. 

Obschon die Schnitte sich stark aufgehellt haben, so liels sich doch die Richtigkeit 
der eben ausgesprochenen Vermutung bestätigen, insofern auch hier der Zirbelstiel einen 
Nervenstrang enthält in Form von längszügigem Spongioplasma mit Zwischensubstanz. Die 
Streifen scheinen aus der Commissura posterior des Gehirns zu kommen. Und was weiter 
erwähnenswert ist: die nervösen Züge nehmen nicht völlig den Raum des Zirbelstieles ein, 
sondern es sind auch zahlreiche runde Epithelkerne zugegen, etwa so wie bei Petromyzon 
am gleichen Orte. 

Endlich glaube ich auch hier am vorderen Saume des Zirbelstieles und dann herauf 
an der Zirbel Reste des in Bindegewebe umgewandelten Parietalnerven wahrzunehmen, wozu 
ich wieder ausdrücklich bemerken möchte, dals sowohl der im Inneren des Zirbelstieles be- 
findliche Nerv, als auch die Spuren des Parietalnerven dem Auge sich genau so darstellen, 


wie es die Faserzüge des Gehirns thun. 


ll. 


Hintere und vordere Zirbel. 


(Epiphysis und Paraphysis.) 


Es scheint mir angemessen zu sein, einige historische Rückblicke auf diesen Gegen- 
stand zu werfen. 

Die ersten Studien, welche ich vor vier Dezennien? über die Zirbel der Fische und 
Amphibien anstellte, fallen in eine Zeit, in der über Lage, Form, Bau und Entwicklung dieses 


Organs allgemein noch grolses Dunkel herrschte. Meine Untersuchungen bezogen sich zu- 


1 a.a.0. Fig. 8. 
2 Leydig, Anatomisch-histologische Untersuchungen über Fische und Amphibien. Berlin 1853. 


— 240 ° — 


nächst auf das Gehirn des Störs, Aeipenser, und zwar mit Rücksicht auf die Angabe von 
Stannius, dessen Ausspruch zufolge hier die Zirbel vielleicht „ein durchaus vaskulöses 
Gebilde“ sei. Letzteres erwies sich nun zwar nicht ganz als zutreffend, aber in einem an- 
deren Punkte hatte der Genannte doch bereits riehtig gesehen, während ich selber darüber 
im Unklaren geblieben war. 

Stannius fand nämlich, dals die Epiphysis aufwärts in die Knorpelsubstanz des 
Schädels sich hineinerstreckt. An den Stören, welche ich (in Triest) im frischen Zustande 
untersuchte, war mir offenbar das gleiche Verhalten zu Gesicht gekommen. Man treffe, 
wird von mir bemerkt, konstant eine unpaare Lücke über dem verlängerten Mark, welche 
nach der Species entweder vollständig knorpelig oder auch häutig geschlossen sei. Unter 
der Decke dieser Öffnung stofse man auf eine weiche pulpöse Masse, bezüglich welcher es 
in meinen Mitteilungen heilst: „Es ist schwer zu sagen, von welcher Bedeutung dieses Organ 
sei, anfänglich kam mir der Gedanke, dals es etwa eine modifizierte Epiphysis vorstelle, 
allein diese Vermutung mulste aufgegeben werden, als ich mit dem charakteristischen und 
bestimmt zu erkennenden Bau dieses Gebildes bekannt geworden war.“ 

Und so nahm ich den „graurötlichen, runden Körper, welcher den dritten Ventrikel 
überdeckt,“ als denjenigen Teil, welcher allein die Zirbel vorstelle. So wenig wie andere, 
hatte ich dazumal eine Ahnung davon, dals zweierlei Bildungen hiebei in Betracht kommen, 
nämlich die hintere oder eigentliche Zirbel und die vordere oder Nebenzirbel. Die letztere 
zeigte sich mir am Stör aus „ziemlich derbhäutigen, von vielen Gefälsen umsponnenen 
Blasen oder Schläuchen mit Ausbuchtungen“ zusammengesetzt und auch die hintere oder 
eigentliche Zirbel, welche als eine zum Schädel heraufsteigende Masse erscheint, falste ich 
zwar anfänglich und richtig als „eine modifizierte Fpiphysis“, liefs aber diesen Gedanken 
wieder fallen und sprach nur die vordere oder Nebenzirbel für die Epiphysis an, dazu be- 
merkend, dafs die Art und Weise, wie die Zellenklumpen in der unter der Öffnung des 
Schädeldaches liegenden Partie von Blutgefälsen durchzogen seien, einigermalsen an die 
Follikel der Lymphdrüsen erinnern. 

Ich habe unterdessen keine Gelegenheit gefunden, den Stör von neuem zu untersuchen, 
aber meine Annahme, dafs Acipenser die vordere und die hintere Epiphyse besitzt, be- 
stätigt sich durch spätere Mitteilungen anderer ; insbesondere sind es die so rein gezeichneten 


Abbildungen über das embryonale Gehirn in dem wichtigen Kupfferschen Werke,! welche 


' v. Kupffer, Studien zur vergleichenden Entwicklungsgeschichte des Kopfes der Kranioten. 1893. 
Taf. VIII, Fig. 19. 


— 4l — 


vordere und hintere Zirbel, ganz in dem von mir gemeinten Sinne, zur Anschauung bringen. 
Wenn Burckhardt! sagt, am Gehirn der Ganoiden fehle der „Adergeflechtknoten“, so ist 
dies wohl als ein Versehen zu bezeichnen. 

Bei den Dipnoern hat Burckhardt neben dem „Plexus“, d. h. der vorderen Zirbel, 
auch die hintere Zirbel als einen „kleinen Körper von Gestalt eines unregelmälsig gewundenen 
Schlauches nachgewiesen. ° 

In Anbetracht der Amphibien und Reptilien haben sich unsere Kenntnisse über die 
in Rede stehenden Bildungen gegen früher ebenfalls sehr verbessert. 

Zur Zeit nämlich, im Jahre 1853, als ich mich mit dem Stör beschäftigt hatte, unter- 
suchte ich auch das Gehirn von Salamandra, Proteus und Anguis, wo es denn mir 
abermals schien, als ob die Epiphysis einzig und allein von einem „rötlichen, stecknadel- 
kopfgrolsen Körperchen“ vorgestellt werde. Auf den Bau besehen, bestand der Teil aus 
Schläuchen, häufig gewunden und mit Ausbuchtungen versehen, zwischen denen ein dichtes 
Gefälsnetz hinzog. Die Schläuche zeigten sich mit klaren Zellen ausgekleidet, die auch wohl 
Fettpünktchen enthalten konnten. ® 

In gleichem Jahr mit mir hatte auch Wyman die „Glandula pinealis“ an Rana 
pipiens vorgenommen und nach dem, was andere aus der Abhandlung anführen, zu 
schlieisen, scheint auch der amerikanische Beobachter, gleich mir, nur die Nebenzirbel vor 
sich gehabt zu haben, nicht die hintere oder eigentliche Zirbel. * 

Nicht besser erging es Rathke; seine Beschreibung der Epiphyse vom Frosch und 


Salamander ° palst auch nur auf den „Plexus“. 


! R. Burekhardt, Das Centralnervensystem von Protopterus annectens. 1892. Der Autor macht 
den Vorschlag, für den Adergeflechtknoten oder Plexus „den aulser Gebrauch gekommenen Namen Conarium* 
in Anwendung zu bringen. Dies läfst sich kaum gutheifsen, Mit dem Galen’schen Conarium hat man 
doch von jeher in der menschlichen Anatomie die kegelförmige Glandula pinealis bezeichnet, also die eigent- 
liche oder hintere Zirbel (vgl. Hyrtl, Onomatologia anatomica, 1880, p. 136). Für die dazumal noch nicht 
unterschiedene Bildung, welche später unter dem Namen Plexus oder Adergeflechtknoten ging, ist entweder 
die von mir gewählte Bezeichnung „Epiphysis anterior“ oder der von Selenka gebrauchte Name „Para- 
physis“ zu empfehlen, indem damit weiterer Verwirrung vorgebeugt werden kann, 

® Anatomischer Anzeiger 1891, vollständiger in: Centralnervensystem von Protopterus anneetens, 1892, 

s Leydig,a.a.0. 

* Jeffries Wyman, Anatomy of the Nervous System of Rana pipiens, in: Smithsonian institution. 
1853. Vol. Il. Mir nieht zugänglich. 

5 Rathke, Entwiecklungsgeschichte der Wirbeltiere. 1861. 


Abhandl. d. Senckenb naturf. Ges. Bd. XIX 31 


Erst geraume Zeit nachher erfolgte der Wendepunkt zu richtigerer Erkenntnis be- 
kanntlich durch Götte, welcher an Bombinator aufzeigte, dals neben dem „roten ge- 
knäuelten Körperchen“ noch eine eigentliche Zirbel zugegen sei.'! Im Anschlufls hieran 
konnte ich später mitteilen, dals bei den Larven von Bombinator die eigentliche Zirbel 
„in Form eines gestielten platten Beutelchens“ zugleich mit dem knäuelartig gefalteten 
Plexus zu sehen sei. Auch bezüglich der jungen Hyla war entsprechendes zu melden. ? 
Und seitdem mehren sich die Angaben, welche über diese beiderlei Aussackungen des 
Gehirns bei verschiedenen urodelen und anuren Amphibien berichten. 

So hat Burckhardt an Ichthyophis und Triton die beiden Gebilde kennen ge- 
lehrt°; Eycleshymer von Amblystoma*: auch auf den Tafeln, welche die Schrift von 
Gage begleiten, sieht man die Teile in verschiedener Ansicht eingezeichnet.” Klar sind 
beide Organe auch wiedergegeben auf den zwei Holzschnitten, welche sich bei Kupffer auf 
das Gehirn von Salamandra und Rana beziehen. ® 

War mir bezüglich einheimischer Reptilien früher” manches dunkel geblieben, so 
hellte sich dies bei der Jahre nachher wiederholten Untersuchung auf und ich konnte ein 
Ergebnis aussprechen ®, mit dem auch das Gegenwärtige im Einklang steht. 

Es liefs sich nämlich die Überzeugung gewinnen, dals hier bezüglich der Zirbel 
zweierlei Bildungen im Spiele seien; einmal die eigentliche Zirbel, welche ich auch die 
hintere Epiphysis nannte und zweitens das bis dahin unter dem Ausdruck „Gefälsplexus“ 
gehende Organ, das ich nach seiner Lage vordere Epiphysis hiels. Beim Embryo von 
Lacerta und Anguis entstanden beide Bildungen als Hohlknospen oder Hervorstülpungen 
des Gehirns: die vordere Epiphysis in Form einer Gruppe von Blasen, welche sich zu 
Schläuchen ausziehen, die hintere oder eigentliche Epiphysis ebenfalls als eine Blase, die 
schlauchförmig wird und sich in Stiel und Endknopf zerlegt. Beide wuchern aus dem Dache 


des Zwischenhirns hervor; anfänglich weit auseinander gerückt, werden sie später durch 


ı Götte, Entwicklungsgeschichte der Unke. 1875. 

?2 Leydig, Parietalorgan der Amphibien und Reptilien. 1890. 

® Burckhardt, Untersuchungen am Hirn und Geruchsorgan von Triton und Ichthyophis. Zeitschrift 
f. wiss. Zool. 1891. 

* Eycleshymer, Paraphysis and Epiphysis in Amblystoma. Anat. Anz. 1892. 

5 Susanna Phelps Gage, The Brain of Diemyetylus viridescens. Ithaca. 1893. 

° v. Kupffer, Studien zur vergleichenden Entwicklungsgeschichte des Kopfes der Kranioten. 1893. 

” Leydig, Die in Deutschland einheimischen Arten der Saurier. 1872. 


® Leydig, Parietalorgan der Amphibien und Reptilien, 1890. 


— 243 — 


Wachsen des Vorderhirns gegen einander gedrängt und ihre oberen freien Enden können 
derartig dicht zusammen geschoben sein, dals sie anscheinend eine einzige Masse vorstellen, 
aber ihre Stiele bleiben für sich und jeder tritt für sich in das Zwischenhirn. Alle diese 
Verhältnisse habe ich nach den einzelnen Arten beschrieben und durch Abbildungen ver- 
anschaulicht. 

Hoffmann! hatte die Entwicklung des gefälsreichen rötlichen Stückes oder Plexus 
(vordere Epiphysis) und des hinteren grauen, mehr fadigen Teiles — Zirbel im engeren 
Sinne oder hintere Epiphysis — in umgekehrter Weise dargestellt. Nach ihm sollten beide 
Organe ursprünglich eine einzige Ausbuchtung des Gehirns sein, die sich dann durch Son- 
derung zum „Plexus“ und in die Zirbel umgestalten. Dals dies unrichtig ist, bedarf kaum 
einer weiteren Auseinandersetzung. 

Wie sehr bezüglich der vorderen Zirbel noch andere Autoren im Unsicheren sich 
befanden, habe ich seiner Zeit an den Angaben von Owsjannikow und Spencer aufzu- 
zeigen Veranlasung genommen. Denn es unterliegt keinem Zweifel, dals die „Schlingen von 
Ependymzellen“, welche bei ersterem das „Ansehen drüsiger Gebilde“ hätten, Endstücke 
der vorderen Epiphysis waren. Und Spencer hat Teile des Höhlensystems der vorderen 
Epiphysis wiederholt gezeichnet, ohne zu erkennen, dals es sich um eine besondere Bildung 
handle; er hat vielmehr allezeit vordere und hintere Zirbel zusammen als ein Ganzes gefalst 
und einfach Epiphysis genannt. Ich darf wohl bezüglich des Einzelnen auf die kritische 
Besprechung in meiner mehrfach angezogenen Arbeit verweisen. 

Und noch ein paar Worte gestatte ich mir in dieser Angelegenheit. 

Kurz vorher, ehe meine Schrift über das Parietalorgan der Amphibien und Reptilien 
im Jahre 1890 erschienen war, veröffentlichte Selenka°? eine vorläufige Mitteilung über ein 
„neues, bisher nicht beschriebenes Stirnorgan, vielleicht ein rudimentäres Sinnesorgan“, 
dessen Entwicklung er bei Lacerta und Anguis verfolgt hatte. Es fände sich ein un- 
paarer dorsaler Anhang des Vorderhirns und erinnere in seinem Entwicklungsgang an die 
Epiphysis, aber während die letztere aus dem Zwischenhirn hervorgehe, sei jenes Organ ein 
Erzeugnis des sekundären Vorderhirns. Der Autor wählt für dieses Organ den Namen 


Paraphysis. 


ı 6, K. Hoffmann, Weitere Untersuchungen zur Entwicklung der Reptilien. Morph. Jahrb. 1885. 


® Biologisches Centralblatt. 1890. 
31* 


nn 


Hierzu darf ich doch wohl daran erinnern, dafs ich diese „Paraphysis“ in der „zweiten 
vorläufigen Mitteilung“ über das Parietalorgan! bereits angezeigt und dann einige Monate 
später ausführlich in Wort und Bild vom Embryo und fertigen Tier beschrieben habe. Den 
einzigen Unterschied zwischen meinen Beobachtungen und denen Selenka’s könnte man 
darin finden, dals ich das Gebilde aus der „vorderen Gegend des Zwischenhirns“ hervor- 
sprolsen lasse, nahe dem Anfang des Vorderhirns“, während der eben genannte Autor die 
Stelle zum Vorderhirn selber rechnet. Unwesentlich ist, dals ich den Teil als „vordere 
Zirbel“ bezeichnete und Selenka als „Paraphyse“, also Nebenepiphyse; Hauptpunkt bleibt, 
dals wir beide ein und dasselbe Organ vor uns hatten und während der Erlanger Zoologe, 
nach eigenem Erklären, der postembryonalen Umbildung nicht nachgegangen ist, geschah 
dies meinerseits und ich konnte nachweisen, dals die „vordere Epiphysis“ zum sogenannten 
Plexus des dritten Ventrikels wird, bezüglich dessen ich schon in meiner ersten vorläufigen 
Mitteilung? erörtert habe, wie diese Bezeichnung „Gefälsplexus“ unpassend sei für fragliche 
Bildung, was ich in der darauffolgenden Veröffentlichung zu begründen wulste und aus- 
drücklich habe ich bemerkt, dals wenn ich den „roten Körper“ als Plexus anführe, ich 
„eben dem Herkömmlichen“ folge, habe aber den Unterschied im Bau gegenüber den „wirk- 
lichen Gefälsplexus* im Einzelnen hervorgehoben. 

Dem bisher Vorgebrachten lälst sich entnehmen, dals bei Ganoiden, Dipnoern, Gym- 
nophionen, Urodelen und Anuren, sowie endlich bei Sauriern eine vordere und hintere Epi- 
physis zugegen ist. Bei Knochenfischen aber ist anscheinend nur die hintere oder eigentliche 
Zirbel zugegen und man muls fragen, ob nicht doch auch hier ein Homologon der vorderen 
Zirbel vorhanden sei. 

Aus der Schrift von Cattie” will mir nicht klar werden, ob der Autor bei Trutta 
und Anguilla, Fische, welche er untersuchte, eine der vorderen Zirbel vergleichbare Bil- 
dung wahrgenommen hat; möglich auch, dals ich den etwas an und für sich dunkeln Text 
des Verfassers nicht durchweg richtig verstanden habe. 

Mit besonderem Interesse ist in der obschwebenden Frage auf Rabl-Rückhard zu 


hören, der das Gehirn der Knochenfische überhaupt und im Besonderen an der Bachforelle 
ı Biologisches Centralblatt. 1890 p. 234. 
2 Biologisehes Centralblatt. 1889. p. 708, 
> Cattie, Recherches sur la glande pinsale (epiphysis cerebri) des Plagiostomes etc, Arch. de 


Biologie, publices par Van Beneden ct Van Bambeke, Tom. III. 


—_— 235 — 


die Zirbeldrüse nach Form, Lage und Bau sorgfältig erforscht und in sehr genauen Zeich- 
nungen dargestellt hat.' Die Glandula pinealis erscheine beim Embryo zunächst als zungen- 
förmige Ausbuchtung der Hirnwandungen zwischen Vorder- und Mittelhirn und steige in der 
Gegend der hinteren Commissur empor. Dritter Ventrikel und der Stiel der Zirbel stehen 
in Kommunikation; später sei die Höhlung des Stieles obliteriert. Die Zirbel habe das 
Aussehen eines Convolutes von Schläuchen. 

Auf den Zeichnungen des Genannten ist der „Recessus infrapinealis“, von dem schon 
_ andere, z. B. Hoffmann, wulsten, deutlich zu sehen, ohne dafs sich der Autor über dessen 
Bedeutung anfänglich geäulsert hätte. Später jedoch, als die Ansicht sich regte, dals der 
Sack des Recessus infrapinealis einer „Paraphyse“ entsprechen möge, erklärt Rabl- 
Rückhard es für sehr zweifelhaft, ob ein solcher Vergleich zuläfsig sei. Denn das Ge- 
bilde sei nichts anderes als die mit rudimentärem Plexus ausgestattete vordere Begrenzung 
der Basis der in den Ventrikel einspringenden Falte des von ihm zuerst erkannten Pallium- 
rudiments. Ein dorso-ventraler Medianschnitt täusche hier eine blasenförmige Ausstülpung 
vor, die nur basalwärts mit dem Ventrikel kommuniziert; Frontalschnitte zeigten aber, dafs 
eine seitliche Begrenzung fehlt; es sei eben nur das Querschnittsbild des Umschlagrandes 
der Falte, welche Kupffer Velum transversum genannt habe. 

Aus meinen oben vorgelegten Untersuchungen an Salmo und Anguilla, die bereits 
vor fünf Jahren gemacht wurden, habe ich den Eindruck und die Vorstellung empfangen, 
dals der Sack des Recessus infrapinealis genannter Fische der vorderen Epiphyse der Am- 
phibien und Reptilien entsprechen möge. 

Der Teil erweist sich als eine Ausstülpung der Hirnwandung über dem dritten Ven- 
trikel und zwar vor der eigentlichen oder hinteren Epiphysis. Freilich unterscheidet er sich 
von jener der Reptilien dadurch, dals der Sack fast einfach bleibt und nur spurweise Ein- 
faltungen zu follikelartigen Abteilungen zugegen sind, während bei Reptilien das Bild eines 
aus Schläuchen zusammengesetzten Organs zu Stande kommt. Auch schon Hoffmann 
hat gesehen, dals die Wand des Recessus infrapinealis, nach der Lichtung zu, kleine falten- 


förmige Einbuchtungen macht. 


! Rabl-Rückhard, Zur Deutung und Entwicklung des Gehirns der Knochenfische. Archiv f, 
Anat. u. Phys. 1882. — Derselbe, Grofshirn der Knochenfische und seine Anhangsgebilde. Arch. f. Anat, u, 
Phys. 1883. — Derselbe, Zur onto- und phylogenetischen Entwicklung des Torus longitudinalis im Mittelhirn 
der Knochenfische, Anat. Anz. 1881. — Derselbe, Weiteres zur Deutung des Gehirns der Knochenfische, 
Biol Centralbl. Bd, III. — Derselbe, Der Lobus olfactorius impar der Selachier. Anat. Anz, 1893. 


—_— 246 — 


Unbestreitbar ist allerdings, dafs die Wand des besagten Sackes ununterbrochen fort- 
geht in jenen Sack oder Raum, welcher über die Lobi hemisphaeriei sich erstreckte und das 
von Rabl-Rückhard erkannte Pallium vorstellt. Beide, der von mir der Nebenzirbel 
verglichene Raum und der Sack des Pallium sind nur getrennt durch die Falte der Hirnhaut, 
welche sich quer herabsenkt. Das Epithel beider Höhlungen geht zwar ohne Unterbrechung 
in einander über, aber es verdient doch sehr der Umstand in Betracht gezogen zu werden, 
dals in Gröfse und Form der Epithelzellen die beiden Höhlungen sich nicht ganz gleich 
verhalten. 

Zwischen hinein sei wiederholt, dafs bei dem Cyklostomen Petromyzon, wenigstens 
an den mir vorliegenden Schnitten, die eben erwähnte (Querfalte nicht zugegen ist und so- 
nach der Recessus infrapinealis mit dem Raum des Hirnmantels zusammentfliefst. Nach 
Rabl-Rückkard fehlt auch bei Cobitis barbatula die aus Pia und Ependyma 
bestehende Transversalfalte. 

Jüngst hat Hill!, welcher mehrere Arten von Teleostiern: Salmo, Catosto- 
mus, Stigostedium und Lepomis, endlich auch den Ganoiden Amia auf die 
Epiphysis untersucht hat, sich in dem Sinne ausgesprochen, wie es von mir geschehen ist. 
Auch der Genannte unterscheidet eine „anterior epiphysial vesicle“ und eine „posterior 
epiphysial vesiele“ und bedient sich so der Bezeichnung, welche ich zuerst in Anwendung ge- 
bracht hatte. Hill nimmt ferner als wahrscheinlich an, dafs ursprünglich die vordere und 
hintere Epiphysis nebeneinander, nicht wie jetzt hintereinander, lagen. 

Aus den Mitteilungen unseres Autors scheint auch hervorzugehen, dafs bei Amia 
die vordere Epiphysis Eigenschaften entwickelt, welche zur vorderen Zirbel (Plexus) des 
Ganoiden Acipenser und damit auch zu den Amphibien und Reptilien hinführen. 

Wie sich die Selachier verhalten, vermag ich, da mir eigene Erfahrungen abgehen, 
nicht zn beurteilen. Nach Abbildungen von Längsdurchschnitten des Embryo, welche man 
bei Ehlers? und Owsiannikow° findet, wäre anzunehmen, dafs den Selachiern die 
vordere Zirbel fehlt, denn es ist dort überall nur die für die hintere Zirbel bestimmte Aus- 
sackung zu sehen. Indessen der Längsschnitt des Embryo in dem bekannten Balfour- 


ı Öharles Hill, The Epiphysis of Teleosts and Amia. Journal of Morphology. 1894. 

2 E. Ehlers, Die Epiphyse am Gehirn der Plagiostomen, Zeitschrift f. wiss. Zool. 1878. Fig. 8 
auf Taf, 25. 

sOwsiannikow, Über das dritte Auge von Petromyzon fluviatilıs. Mem. acad. imp. d. se. 
St. Petersbourg. 1888. Fig. 17, 


schen Werke zeigt vor der Aussackung der Zirbel, hart an deren Wurzel, noch einen zweiten 
Blindschlauch, in welchem man die Anlage der vorderen Zirbel erblicken möchte. Auch die 
Zeichnung bei Rabl-Rückhard! scheint zur Bestätigung dieser Annahme dienen zu 
können. Dort nämlich ist ebenfalls, aufser der eigentlichen Zirbel, noch eine kleine taschen- 
förmige Aussackung des dritten Ventrikels wahrzunehmen, welche die Nebenzirbel vorstellen 
könnte. Die Übereinstimmung mit dem, was der Embryo von Salmo hierzu bietet, ist 


doch augenfällig genug. 


Zweierlei Arten des Parietalorgans. 


Schon zufolge meiner früheren Untersuchungen kam ich zu dem Ergebnis, dals man 
unmöglich die sämtlichen Formen der Parietalorgane für einander völlig gleichwertig an- 
sehen könne. Vielmehr seien sie von zweierlei Art, welche Unterscheidung sich besonders 
durch den Weg ihrer Entstehung begründen lasse, indem der Thatbestand darauf hinweise, 
dals es einmal solche Scheitelgebilde gebe, welche nichts anderes sind, als das angeschwollene 
Endstück der Zirbel, somit der in gewisser Richtung umgebildete Zirbelknopf. Als zweite 
Gruppe hingegen seien davon abzutrennen jene Parietalgebilde, welche nicht auf Umformung 
eines Teiles der Zirbel zurückgeführt werden können, sondern Organe vorstellen, welche 
selbständig für sich entstehen. Die Zirbel wachse in Form einer Hohlknospe aus dem 
Dache des Zwischenhirns hervor und ebenso sei die zweite Art der Parietalorgane anfänglich 
eine solche Hohlknospe aus der gleichen Hirngegend, dabei der Zirbel so nahe liegend, dafs 
im ersten Stadium der Entwicklung der Wurzelpunkt beider Hohlknospen in Eins zusammen- 
fällt. Es gabele sich aber diese erste Anlage, wodurch zwei Blasen entstünden, wovon die 
hintere zur Zirbel, die vordere zum Parietalorgan werde. 

Auch B&öraneck, der in seiner ersten Mitteilung der Ansicht war, dals das Parietal- 
auge „une differenciation secondaire de l’evagination epiphysaire“ sei, erklärt sich später 
ebenfalls dahin, dafs das Organ seiner Entstehung nach nicht als abgeschnürtes Stück der 
Zirbel zu betrachten sei, sondern als eine selbständig vom Zwischenhirndach hervor- 
sprossende Blase und er hat diese Auffassnng noch jüngst in lebhafter Weise verteidigt.” 

Eine ganze Anzahl anderer Beobachter bestreitet indessen diese Entstehungsweise des 


„Pinealauges“, so Strahl und Martin, de Graaf, Hoffmann, Selenka, Fran- 


ı Rabl-Rückhard, Lobus olfaetorius impar der Selachier. Anat. Anz. 1893. 
ı Böraneck, Sur le nerf parictal du troisieme il des Vertebres. Anat. Anz. 1892. 


= ae 


eotte, zuletzt noch Klinekowström, indem sie alle aus ihren Wahrnehmungen folgern, 
dals das „Pinealauge“ ein abgeschnürtes Stück der Zirbel sei. 

Da ich nun selber ursprünglich die gleiche ebenerwähnte Meinung hegte, so mag es 
nicht für überflüssig gelten, wenn ich hier noch einmal vorbringe, auf welchem Wege ich 
zu der, wie ich glaube, besseren Kenntnis des Thatsächlichen geführt worden bin. 

Ich untersuchte nämlich den Kopf des lebenden Embryo, befeuchtet mit Eiweils und 
ohne Anwendung des Deckglases. Der optische Schnitt ergab das Bild, welches ich seiner 
Zeit! veranschaulicht habe: es treten die beiden Blasen — Zirbel und Parietalorgan — 
abwärts so zusammen, dafs sie nach unten einen einzigen Wurzelpunkt haben und die 
Körnchenmasse in ihrem Inneren weist deutlich auf die Richtung hin, in welcher die beiden 
Blasen abwärts zu einer Ausgangsstelle zusammenflielsen. Die beiden Blasen verhielten sich, 
nach dem von mir gebrauchten Vergleich, wie zwei Berge, deren Gipfel getrennt sind, je- 
doch am Fulse zusammenhängen. 

Würde man einen Embryo dieses Stadiums härten und in Schnitte zerlegen, so mülste, 
wenn der Schnitt genau die Mittellinie trifft, das gleiche belehrende Bild entstehen, welches 
Hill? über das Hervorknospen der vorderen und hinteren Zirbel eines Fisches gezeichnet 
hat. Auch hier fliefst das Lumen der beiden Blasen an ihrer Ausgangsstelle zu einer ein- 
zigen Lichtung zusammen. 

Aber nicht blofs am Embryo, sondern auch am fertigen Tier läfst sich manches sehen, 
was zu Gunsten der von mir vertretenen Ansicht spricht. Bei Seps z. B. liegen das 
Scheitelgebilde und die Zirbel nieht nur sehr weit auseinander, sondern der Endzipfel der 
Zirbel, von dem aus doch die Abschnürung erfolgt sein mülte, ist, anstatt nach dem 
Scheitelgebilde hin, davon weg nach rückwärts gewendet. ® 

Es soll an dieser Stelle wiederholt werden: nach meiner Erfahrung knospen aus 
dem Hirndach des Embryo drei Aussackungen hervor, die vordere gestaltet sich zur vor- 
deren Epiphysis, die zweite und dritte haben eine gemeinsame Wurzel, dann von einander 


getrennt, wird die zweite Aussackung zum „Pinealauge*, die dritte zur hinteren Epiphysis. 


Bey; dig,.a.ra. 02 Tora aied: 
2 Hi], a... O0. Tat. xın, Riem. 
2 Tıeydig,, a. a. 0. Ta VE Rio, 


249 — 


Zu den Parietalorganen der ersten Gruppe darf man rechnen: 


1. Das Scheitelgebilde der Rochen und Haie, ebenso jenes vom Stör, nicht minder 
dasjenige von Salmo und Anguilla und der anderen bisher untersuchten Tele- 
ostier, ferner das Zirbelbläschen von Protopterus, das obere Bläschen bei 
Petromyzon. 

2. Das keulenförmige Endstück der Zirbel bei Rana, Bombinator, Hyla, Triton, 
Ichthyophis. 

3. Den Zirbelknopf bei Lacerta, Anguis, Seps, Cyclodus und vielleicht auch 


von Chamaeleo.! 


Durchgeht man die bis jetzt veröffentlichten Abbildungen, so ergiebt sich, dals die 
Form des Endstückes der Zirbel nach den Arten ziemlichen Verschiedenheiten sich unter- 
worfen zeigt, bald einfach schlauchförmig ist, dann wieder rundlich birnförmig, auch wohl 
in einen wagrecht gestellten Zipfel sich auszieht. Und dals die Form auch nach den Lebens- 
altern etwas abändert, lälst sich nach dem, was Ammocoetes im Vergleich zu Petro- 
myzon darbietet, annehmen. Anf einem Holzschnitt bei Burckhardt erscheint das 
Zirbelbläschen ausnehmend grols gezeichnet; vielleicht nur aus dem Grunde, um es recht 


deutlich hervortreten zu lassen. 


Zu den hervorstechenden Eigenschaften des Zirbelknopfes lälst sich zählen, dafs sein 
Inneres stark vorspringende Wulstbildungen entwickelt, woran sich in besonderem Grade die 
epitheliale Auskleidung beteiligt. Dies kann dahin führen, dafs sowohl im optischen als 
auch im wirklichen Schnitt das Bild entsteht, welches einer Drüse sich nähert. Und so ist 
auch, wie oben angeführt wurde, für Rabl-Rückhard die Zirbel bei Knochenfischen eine 
Drüse, welche aus einem Knäuel von zahlreichen, buchtigen Röhren zusammengesetzt 
sei. Nicht minder hat auch noch jüngst Burckhardt das „Zirbelbläschen“ bei Pro- 
topterus als ein „drüsiges Säckchen“ bezeichnet; doch meine ich aus den Abbildungen zu 
ersehen, am besten auf Figur 42 (a. a. O.), dals es sich auch hier nur um stark ein- 


springende Wulstbildung handeln möge. 


ı Über Schildkröten wülste ich nur anzuführen, dafs nach meiner Erinnerung an Präparaten vom 
Gehirn der Chelonia, welche ich seiner Zeit in den Vorlesungen zur Demonstration gebrauchte, die Zirbel 
in ihrem Endstück zu einem verhältnismälsig sehr grofsen keulenförmigen Körper verdickt war, welcher Teil 
also auch hier in die Parietalorgane der ersten Gruppe einzureihen wäre. Ob ein solches der zweiten Gruppe 
vorhanden ist, bleibt zu untersuchen, 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 39 


— 250 — 


Ein Unterschied in der Natur des Zirbelknopfes gegenüber den Parietalorganen der 
zweiten Gruppe könnte auch darin erblickt werden, dafs in dem Zirbelknopf „Hirnsand“ vor- 
kommt. Schon Götte sah Kalkeonceremente in der Wand der Zirbel bei Larven von Bom- 
binator, ich bei Hyla, dann auch bei Reptilien, z. B. Varanus. Auch bei Pro- 
topterus muls ähnliches zugegen sein, da Burckhardt sagt, das Zirbelbläschen sei 
„zuweilen mit Gries erfüllt“. 

Ein bemerkenswerter Zug liegt ferner auch darin, dals in die epitheliale Wand des 
Zirbelknopfes sich das dunkle Pigment in ähnlicher Menge absetzen kann, wie es in der 
zweiten Gruppe („Pinealaugen“) allgemein geschieht. Diese pigmentierte Beschaffenheit des 
Zirbelknopfes ist es gewesen, welche mich seiner Zeit, als ich zuerst mit dem Parietalorgan 
am Embryo der Eidechse bekannt wurde, abgehalten hat, das fragliche Gebilde, obschon ich 
es den Sinneswerkzeugen anreihte, doch nicht ohne weiteres für ein Auge anzusprechen. 
Denn, woran ich anderwärts erinnerte, wollte ich das neu aufgefundene Scheitelgebilde für 
ein Auge erklären, so mulste ich notwendig auch den Zirbelknopf, der, wie überhaupt in 
seiner Structur, so insbesondere in der Anwesenheit des Pigmentes mit dem Scheitelorgan 
übereinstimmte, für ein Auge nehmen. Die Schwierigkeit dies zu thun, bestand dazumal . 
jetzt scheint es, als ob sie durch die fortgeschrittene Einsicht in den Bau überwunden 


werden könne. 


Zur zweiten Gruppe der Parietalorgane gehören jene, welche gleich der Zirbel selb- 
ständig aus dem Gehirn hervorsprolsende Bildungen sind. Sie beginnen in der Reihe der 
Fische bei Petromyzon mit dem unteren oder ventralen Bläschen und sind weit ver- 
breitet bei Sauriern. Zuerst kuglig von Gestalt, nehmen sie später die Form eines platt- 
gedrückten Säckchens an und zeichnen sich in weiterer Sonderung durch Augenähnlichkeit aus. 

Bei den Ophidiern scheinen diese Organe nicht aufzutreten, wornach freilich bisher 
nur wenig gesucht worden ist. Was ich bei einem Embryo von Coronella austriaca 
zu sehen vermochte, liefs annehmen, dafs das Parietalorgan hier denen der ersten Gruppe, 


d. h dem Zirbelknopf entspricht, sonach ein „Pinealauge“ sich nicht entwickelt hat. ! 


ta. a. 0. p. 514. — Herr Dr Kathariner, welcher, noch nicht veröffentlichte, Untersuchungen 
über die Zähne von Vipera berus vorgenommen hatte, gab mir Gelegenheit, einige Sagittalschnitte durch 
durch den Kopf des erwachsenen Tieres anzusehen. Leider waren die Schnitte mehr seitlich gefallen und 
demnach nicht für das geeignet, was ich zu vergleichen wünschte. Doch schienen sie mir auch für das fer- 
tige Tier zu bestätigen, was am Embryo der Coronella sich dargeboten hatte, So viel ich nämlich wahr- 
zunehmen im Stande war, vertritt das Zirbelende einzig und allein die Scheitelgebilde, 


— 231 — 


Ob die „Stirndrüse“ der Anuren der ersten oder der zweiten Gruppe der Parietal- 
organe zuzuteilen 'sei, muls im Augenblicke noch in der Schwebe bleiben. Aus den Mit- 
teiluingen Göttes möchte man folgern, dafs das Organ, etwa wie bei Öyclodus, als Rest 
des Zirbelknopfes anzusprechen sei, und auf das Gleiche weisen die Angaben von Graaf! 
hin. Dagegen mülste man eine andere Einreihung vornehmen und das Organ in die zweite 
Gruppe setzen, wenn die Holzschnittzeichnung in dem Kupfferschen Werke wirklich 
Beobachtetes enthält.” Denn auf diesem Medianschnitt durch das Hirn einer Larve von 
Rana entspringt von der Commissura superior ein Faden und wird als Nervus parietalis 
bezeichnet, womit sofort die volle Homologie z. B. mit Lacerta hergestellt wäre. — Am 
fertigen Tier von Rana uud Bombinator, allwo ich das Fädchen histologisch prüfte, 


war es von bindegewebiger Natur, wobei jedoch in ihm ein oder mehrere Nervenfasern ver- 
liefen. Nach Graaf ist der Strang durch und durch nervös. 


Was die von mir untersuchten Knochenfische (Salmo, Anguilla) anbelangt, muls 
ich annehmen, dafs hier kein Organ der zweiten Gruppe zugegen ist, sondern nur der End- 
knopf der hinteren Epiphysis, welcher alsdann, wie oben geschah, der ersten Gruppe anzu- 
schliefsen sein wird. Ganz anders deutet freilich Hill, indem er dafür hält, dafs die vor- 
dere Epiphysis der Knochenfische dem „Pinealauge“ der Lacerta, also der von mir hin- 
gestellten zweiten Gruppe einzuverleiben sei, — eine meines Bedünkens irrige Ansicht. Denn 
die vordere Epiphysis ist vielmehr nach den Ermittelungen von mir das Homologon der 
Nebenepiphysis („Plexus, rötlicher Körper“) der Sanrier. 

Zur Stütze der Auffassung von Hill würde es aber gereichen, wenn eine Deutung 
bei Kupffer, welche Petromyzon betrifft, sich als richtig erweisen sollte. Nach ge- 
nanntem soll nämlich das untere (ventrale oder zweite) Parietalorgan des erwähnten Üyclo- 
stomen gleichzusetzen sein der vorderen Epiphysis. Das Organ entstehe als eine blasige 
Hervortreibung aus dem Gehirndache, was wohl ganz richtig ist, aber trotzdem kann ich 
nicht zustimmen, dafs dasselbe als Paraphyse oder vordere Zirbel gelten solle, sondern halte 
dafür, dafs es der von mir angenommenen zweiten Gruppe der Parietalorgane, welche selb- 
ständig aus dem Gehirndache hervorsprossen, einzureihen sei. Ganz abgerechnet die Gründe, 


wie sie in meinen sonstigen Beobachtungen liegen, läfst sich einwenden, dafs die vordere 


ı H, de Graaf, Zur Anatomie und Entwicklung der Epiphysis bei Amphibien und Reptilien. Zool. 
Anz, 1886. 
2y. Kupffer,a. a. 0.p. 60. 


ine 


Zirbel (Paraphyse) nirgends zu einer, dem Parietalorgan ähnlichen Bildung wird, vielmehr 
durch die Entwicklung einer Vielheit von Schläuchen, die von zahlreichen Blutgefälsen über- 
sponnen werden, eher das Bild einer Drüse gewährt und niemals einen Bezug zum Parietal- 
organ kund giebt. So viel ich zu sehen vermag, stützt Kupffer seine Ansicht besonders 
darauf, dals bei Petromyzon das untere Parietalorgan an gleicher Stelle entsteht, wo bei 
Amphirhinen die vordere Epiphysis sich entwickelt. ! 

Ahlborn wollte bezüglich des Herkommens des unteren oder zweiten Parietal- 
organs bei Petromyzon finden, dals es durch Abschnürung vom oberen Bläschen ent- 
standen sei; auch Owsjannikow meint, dals „aller Wahrscheinlichkeit nach das untere 
Bläschen ein Teilstück des oberen Zirbelbläschens“ wäre, eine Ansicht, welche nach dem 
Vorangegangenen hinfällig geworden ist. Und ebenso wenig bestätigt sich, dals das „untere“ 
Bläschen dieselbe Structur habe, wie das „obere“: es liefsen sich vielmehr mancherlei Ver- 
schiedenheiten aufzeigen, 

Übrigens bleibt Petromyzon immer insofern von grolsem Interesse, als hier auch 
das Zirbelbläschen Augenähnlichkeit angenommen hat, was sonst nur den Scheitelgebilden 
der zweiten Gruppe eigen ist. Bei meinem früheren Versuch, die Verwandtschaftslinien zu 
ziehen, war ich, dazumal noch ohne unmittelbare Beobachtung, an die Angaben von Beard 
und Owsjannikow gebunden und es wollte einiges davon mit meinen Deutungen sich nur 
schwer vereinigen lassen, Allein gegenwärtig, nachdem ieh die thatsächlichen Verhältnisse 
selber kennen gelernt habe, darf gesagt werden, dafs ich die in jener Zeit? vorliegenden 
Mitteilungen bereits richtig ausgelegt habe. 

Den zum „dritten Auge“ oder dorsalen Parietalorgan gehenden Nerven, der ein 
„Rohr“ sei, sprach ich, was zutrifft, als den „fadig verlängerten Ausläufer der Zirbel“ an; 
das „dritte Auge“ selber für „den angeschwollenen Endteil der Zirbel“. Die Behauptung, 
dals das „dritte“ und „vierte Auge“ untereinander die gleiche Structur besäfsen, hat sich, 
wie vorhin berührt wurde, nicht ganz bewahrheitet, so dafs nunmehr nichts im Wege steht, 
das „vierte Auge“ der zweiten Gruppe der Parietalorgane einzureihen. 


ı Nach Abschluls der gegenwärtigen Blätter erschien: F. K. Studnicka, Zur Anatomie der sog. 
Paraphyse des Wirbeltiergehirns, Sitzber. böhmische Ges. d. Wiss, 1895, in welcher Abhandlung die gleiche 
Ansicht ausgesprochen wird, welche von mir vertreten wird. „Das vordere Parietalorgan der Petromyzonten 
ist keine Paraphyse, sondern eher ein Parietalorgan.*“ Die „eigentliche Paraphysis* erblickt Studnicka 
in zwei niedrigen Falten, die beiderseits den Raum zwischen den Parietalorganen und dep Hemisphären 
ausfüllen. 

2 a.a. O0. p. 530. 


Einer erneuten Untersuchung darf die Gattung Myxine empfohlen werden, da 
meine obigen Beobachtungen, die allerdings nur an einem einzigen Exemplar durchgeführt 
wurden, in grellem Widerspruch zu dem stehen, was Beard über Epiphysis und „Parietal 
Eye“ dieses Tieres vor mir mitgeteilt hat.‘ Er beschreibt eine Epiphysis als ein grofses 
flaches Organ, welches durch einen dicken soliden Stiel mit dem Thalamencephalon verbunden 
sei. Das Organ zeigt im Inneren eine Lichtung, umgeben von einem zelligen Beleg und 
der Autor stellt auch noch in besonderer Figur die „Stäbchenelemente* der Retina und da- 
hinter Kernlagen dar, auch dunkles die Stäbehen umgebendes Pigment. Das flache Organ 
(Epiphysis) liegt in der Abbildung nicht unterhalb, sondern innerhalb der faserstreifigen 
Schädelkapsel. — Wenn es wirklich Individuen von Myxine geben sollte, welche den An- 
gaben Beards entsprechen, so mülste man dem Autor zustimmen, dals das beschriebene 
Organ dem oberen oder dorsalen „Pinealauge“ von Petromyzon gleichzusetzen wäre, das 
untere oder ventrale Bläschen aber fehle. Einstweilen aber kann ich mich auf Grund der 
eigenen Untersuchung des Verdachtes nicht erwehren, dals sich der Autor nicht wenig 
getäuscht hat. 

Die Säugetiere anbelangend, so hat bekanntlich Schmidt im Jahre 1862 nach- 
gewiesen, und zwar am menschlichen Embryo, dafs der das Jahr zuvor (1861) von Reichert 
am Vogelembryo erkannte Teil, welcher aus der Hirndecke entstehe, die Anlage der Zirbel 
sei und aus dem Dache des Zwischenhirns sich hervorstülpe. Reichert war der Meinung 
gewesen, dals der Teil eine knopfförmige Bildung der Pia mater sei. 

Wie soll man, mit Bezug auf unsere Frage, die Zirbel des fertigen Säugetieres ansehen ? 

Meines Bedünkens, ohne auf eigene Beobachtungen fulsen zu können, ist das verdickte 
Ende der Zirbel dem Zirbelknopf, z. B. der Saurier, an die Seite zu setzen und entspricht 
demnach der ersten Gruppe der Parietalorgane, während ein „Pinealauge“ gar nicht auf- 
getreten Ist. 

Die vorhandenen Angaben über den feineren Bau der menschlichen Zirbel gehen da- 
hin, dafs sie aus follikelartigen Bildungen bestehe, mit zahlreichen Blutgefäfsen. Ich meine, 
dals es nicht schwer falle, sich vorzustellen, wie das Innere des Zirbelknopfes einer Blind- 
schleiche sich zu den Structurverhältnissen des Zirbelkörpers der Säugetiere hinüberbilden 


könne. Die Wulstbildungen, indem sie sich vermehren, erzeugen durch ihre Stellung follikel- 


ı Beard, The Parietal Eye of the Cyelostome Fishes. Quart. Journ. Miecros, Ss. 1888. 


®2 Man wollte hierzu meine Abbildungen a. a. O., z. B. Fig. 66, vergleichen. 


artige Abteilungen; zugleich nimmt die Zahl der innerhalb der bindegewebigen Einfaltungen 
liegenden Blutgefälse zu. Schon bei Fischen kann, wie angeführt wurde, der Durchschnitt 


des Zirbelknopfes das Bild von Drüsenschläuchen hervorrufen. 


Parietalnerv. 


Meine neneren Untersuchungen haben mich belehrt, dafs früher von meiner Seite 
geäulserte Zweifel, ob überhaupt zum Parietalorgan ein Nerv gehe, hinfällig geworden sind, 
indem ich jetzt ebenfalls die Überzeugung gewonnen habe, dafs in einem Stadium des 
Embryo ein Nerv vorhanden ist, welcher aber bald der Rückbildung anheimfällt und binde- 
gewebig wird. Dieser Bindegewebsstrang aber ist es, welcher auch noch in neuesten schema- 
tischen Figuren, die das Verhältnis zwischen Zirbel und Parietalauge veranschaulichen 
sollen, als „Nerv“ eingezeichnet erscheint. Und bezüglich dieses „Nerven“ bestehen meine 
seiner Zeit im Einzelnen vorgebrachten Einwendungen immer noch zu Recht; der „pineal- 
stalk“, welcher in den Abbildungen bei Spencer von der Spitze der Zirbel zum Parietal- 
organ geht, ist ein bindegewebiger Strang und kein Nerv. 

Da auch z. B. Peytoureau! gerade von Lacerta agilis eine seitliche Dar- 
stellung des ganzens Gehirns in der Art giebt, dals von der Zirbel ein Strang zum Parietal- 
organ geht, den er „cordon nerveux, rappelant par sa structure un nerf optique“ nennt, so 
sei nochmals hervorgehoben, dals dies am erwachsenen Tier kein Nerv, sondern ein Binde- 
gewebsstrang ist. Das Gleiche gilt für die Profilansicht des Gehirns von Hatteria.? 

Anders liegt die Sache mit dem von Beraneck und Francotte am Embryo 
von Lacerta und Anguis entdeckten und von Strahl-Martin bestätigten Nerven, 
wozu jetzt noch kommt, dals Klinckowström an Iguana einen starken, aus dem 
Zwischenhirn stammenden Nerven ebenfalls nachgewiesen hat, wovon ich, wie schon berichtet, 
die betreffenden Präparate in Augenschein nehmen und auch für meinen Zweck abbilden 
durfte. 

Wenn ich jetzt übrigens meine älteren Wahrnehmungen mit meinen gegenwärtigen 
Erfahrungen zusammenbringe, so meine ich dadurch einen wirklichen Anhalt zu bekommen 


zur Lösung der Frage, wie dieser Parietalnerv entstehen möge. 


ı Peytoureau, La glande pineale. 1887. p. 49, Fig. 26. 


27a. a, 00p%D2, 


Klinekowström stellt die Ansicht auf, dals besagter Nerv eine Neubildung sei, 
die vom Hirndach zum Parietalorgan wachse, oder umgekehrt von letzterem zum Gehirn. 
Denn nach der „Abschnürung vom distalen Ende der Epiphysis“ sei längere Zeit noch keine 
Spur eines Nerven vorhanden, dann erscheine ein Nerv vom Boden der Augenblase zum 
Dach des Zwischenhirns. 

Meine Beobachtungen am Embryo von Lacerta und Anguis scheinen mir hin- 
gegen geeignet, die Entstehung des Nerven in anderer Weise zu fassen. Ich sah seinerzeit 
einen „lichten stielartigen Teil“ aus dem Parietalorgan nach unten abgehen'!, den ich wegen 
des flüssigen hellen Inhalts am lebenden Embryo freilich zunächst für einen Lymphgang an- 
sah, aber doch ausdrücklich hinzusetzte, es liefse sich auch der Gesichtspunkt einnehmen, 
der Stiel verhalte sich zum Parietalorgan, wie der Stiel der Augenblase „und er sei des- 
halb wenigstens der Anlage nach nervös.“ Diesen Gedanken hätte ich wohl dazumal schon 
weiter verfolgt, wenn mir jene anschlielsenden Entwicklungsstadien zu Gesicht gekommen 
wären, welche mir jetzt vorgelegen haben. Und, bevor ich weiter gehe, sei noch angeführt, 
dals ich den von Beraneck” später gezeichneten Verbindungsstiel des Organsäckchens 
mit dem Gehirn für die gleiche Bildung halte, welche ich seiner Zeit vor Augen hatte. 
Allerdings sah ich daran nur „eine Begrenzungslinie mit Kernen“ und innen eine helle 
Flüssigkeit, der genannte Autor hingegen „un petit amas cellulaire“, beifügend: „Cet amas 
cellulaire est la premiere indieation du futur nerf parietal.“ 

Verknüpfe ich mit dem Früheren dasjenige, was ich jetzt, namentlich an den 
Klinekowström'schen Präparaten, bezüglich der feineren Beschaffenheit des Parietal- 
nerven zu erkennen vermochte, so kann angenommen werden, dals sich in den ursprünglich 
gleichmälsig hellen Inhalt des Stieles hinein die Spongioplasmafäden vom Gehirn her fort- 
setzen und so das Gerüstwerk für die Nervensubstanz erzeugen. 

Auch die noch folgenden Veränderungen, denen der Nerv unterliegt, können unschwer 
unter diese Betrachtungsweise gebracht werden. Der „Rückbildungsprozefs“ von nervöser 
Beschaffenheit ins Bindegewebige geschieht — darf man sich denken — dadurch, dals das 
Spongioplasma oder Gerüstwerk des Nerven, welches hinsichtlich der histologischen Stellung 
an sich bindegewebig ist, zunimmt und die hyaline homogene Nervensubstanz überwuchert, 
und so der Nerv im Ganzen zum Bindegewebsstrang wird. Dals der Grad dieser Umbildung 


individuell wechseln mag, darf von vornherein erwartet werden. 


172.8. 0. Taf. I; Fig. 9. 
®2 Anat. Anz. 1892, p. 681, Fig. 6, no. 


Für homolog dem Parietalnerven der Saurier möchte ich auch den Nerven halten, 
welcher bei Petromyzon zum unteren oder ventralen Bläschen geht, in Übereinstimmung 
mit meimer Auffassung, dals dieses ventrale Bläschen dem Parietalorgan von Lacerta, 
Anguis etc. gleichwertig ist und keineswegs eine vordere Zirbel (Paraphysis) vorstellt. — 
Meine wenigen Schnittpräparate gestatten mir nicht, von den Nerven des Organs des Pe- 
tromyzon mehr zu sehen, als ich oben vorgebracht habe. Nach Owsjannikow wird 
das Bläschen „aus drei oder sogar vier Quellen mit Nerven versorgt.“ Studnicka be- 
richtet, dafs ursprünglich das Bläschen mit dem rechten Ganglion habenulae verwachsen sei, 
später mit dem linken dauernd verbunden werde, welche Angabe auch Kupffer für richtig 
erklärt. — Bezüglich des unter dem Organ liegenden Ganglions möchte zu berücksichtigen 
sein, dals im senkrechten Schnitt eine gewisse Ähnlichkeit mit den Ballen des Lobus 
olfaetorius sich zeigt, indem das Fadengewirr des Inneren, umgeben von der zelligen Rinde, 


an Punktsubstanz erinnert. 


Welche Bewandtnis es mit dem zweiten von Klinekowström bei Iguana ent- 
deckten Nerven habe, ist einstweilen unklar. Er entspringt aus dem Hirndach und geht 
hinter der Zirbel herauf, aber wo er endet, war nicht zu finden. Obschon ich wegen des 
Vorkommens des Nerven bei Iguana jetzt, sowohl an neuen Schnitten als auch an den 
älteren Präparaten von Lacerta und Anguis darnach gesucht habe, ist mir nichts von 
diesem Nerven zu Gesicht gekommen und nur, wie oben anmerkungsweise gemeldet wurde, 
enthalten meine früheren Aufzeichnungen über das erwachsene Tier von Anguis fragilis 
eine Angabe, welche vermuten lassen könnte, als ob ich etwas von fraglichem Nerven dort 
gesehen hätte. Und es sei deshalb noch einmal auf Klinekowström hingewiesen, 
welcher erklärt, dafs er in den zahlreich untersuchten Schnittserien nur „auf ein einziges 
Individum den Nerven beschränkt“ sah. 

Erwähnt mag hier noch werden, dals auch auf der Zeichnung, welche jüngst Stud- 
nicka veröffentlicht hat, zwar der zum Parietalorgan gehende Nerv vorhanden sich 


zeigt, nichts aber von dem zweiten, hinter der Zirbel entspringenden Nerven sich findet. ! 


! Studnicka, Zur Morphologie der Parietalorgane der Kranioten. Sitzb. Kräl. spol. nauk v. Praze, 
1843. — Zool. Centralbl. I, No. 7. 


Zirbelnerv. 


Die Wahrnehmungen von Anderen und mir über einen Nervenstrang im Inneren des 
Zirbelstieles verdienen wohl zur Lösung obschwebender Fragen besonders in Rechnung ge- 
zogen zu werden. 

Nach Ahlborn! treten „keinerlei Nervenfasern in den Stiel der Epiphysis.“ Dem 
gegenüber sah ich, dals in das Innere des Anfangsteiles des Stieles eine nervös-streifige 
Substanz eine Strecke weit sich erhebt, dann aufhört und nun erst der Zirbelstiel schlauch- 
artig erscheint. Ich glaube kaum zu irren, wenn ich annehme, dals der genannte Autor, 
welcher sonst sehr sorgfältig untersucht hat, in der von ihm bezeichneten „feinkörnigen, 
faserigen, dem Stiel das Röhrenförmige benehmenden Substanz“ den von mir gemeinten 
Nervenstrang zwar vor sich hatte, aber denselben nicht als solchen ansprach, wahrscheinlich 
weil er ihn nicht aus dunkelrandigen Nervenröhren zusammengesetzt fand. 

Auch Burckhardt scheint mir ebenfalls den nervösen Inhalt des Zirbelstieles ver- 
kannt zu haben, wenn er meldet, dafs das Lumen des schlauchartigen Zirbelstieles „obliteriert“ 
sei.” Dies vermeintliche „Obliterieren des Lumens“ beruht nach dem, was ich finde, 
auf der Anwesenheit des Nervenstranges im Zirbelstiel, wodurch die Lichtung an dieser Stelle 
schwinden muls. 

Hingegen lassen sich die Mitteilungen von Studnicka über Petromyzon mit 
dem, was ich sah, unschwer vereinigen und können uns im Weiteren belehren über das 
topographische Verhalten des Nerven. Wenn ich nämlich die Abbildungen des genannten 
Autors nach meinen Erfahrungen zu deuten unternehme, so wird in den Querschnitten ® der 
grölsere Teil der Lichtung des Zirbelstieles eingenommen von den epithelialen Zellenkernen, 
während das Spongioplasma der Nervensubstanz daneben als feine Punktmasse sich abhebt. 
Nicht in Einklang zu dem, was ich fand, würde stehen, dals die nervöse Punktmasse bis 
nahe zum Zirbelbläschen sich hinzieht, während ich selbst dieselbe schon eine Strecke zuvor 


sich verlieren sah. 


ı Ahlborn, Bedeutung der Zirbeldrüse, Zeitschrift f. wiss. Zool. 1884. Auf der Figur 44 geht 
auch aus der Commissura posterior der dort entspringende Faden — es ist ein Teil des Nerven — irrtümlich 
in den Zellenbeleg jenes Plexus, welcher über dem Nachhirn liegt. Er sollte in den Zirbelstiel geführt sein. 

2 Burekhardt, Homologien des Zwischenhirndaches und ihre Bedeutung für die Morphologie des 
Hirns bei niederen Vertebraten. Anat. Anz. 1894 — Einige Jahre zuvor spricht indessen unser Beobachter 
von „Fasern im Zirbelstiel® bei Icehthyophis, Anat. Anz. 1891, p. 349. 

®Studnicka,a.a. O. Fig. 16, 17. 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX 33 


a 


Auch Gaskell! zeichnet den Nerven von Petromyzon, aber so, als ob keine 
Beziehung zum Zirbelstiel bestände und läfst denselben in scharfer Linienführung bis zur 
Basis des „Pinealauges“ sich erstrecken, weshalb ich ein gelindes Milstrauen in die Richtig- 
keit der Abbildungen nicht zu unterdrücken vermag. 

Besser stimmt zu dem, was meine Präparate aufzeigen, dasjenige, was man bei 
Owsjannikow? sieht. Der russische Beobachter zeichnet den Nerven als ein „Rohr, 
dessen Wände mit kleinen Zellen ausgelegt sind“, und die Fasern erstrecken sich in der 
Zeichnung nicht bis zum Parietalorgan. 

Die Knochenfische anbelangend, so schent Rabl-Rückhard die von den Nerven- 
fasern herrührende Streifung im Stiel der Zirbel nicht bemerkt zu haben, wenigstens bringen 
uns davon nichts vor die Augen seine sonst so genauen Darstellungen über das Gehirn der 
Bachforelle.” Insofern er jedoch erwähnt, dafs der Zirbelstiel aus der Commissura posterior 
kommt, könnte dies auf die Anwesenheit des Nerven immerhin ausgelegt werden. 

Holt, welcher die Entwicklung des Gehirns der Knochenfische, insbesondere am 
Häring verfolgt hat, zeichnet zwar im Stiel der Zirbel ebenfalls nichts von einem Nerven, 
scheint aber doch denselben gesehen zu haben, wenigstens spricht er von „a delicate bridge 
of longitudinally disposed fibres“, womit er kaum etwas anderes als den Nervenstrang ge- 
meint haben kann. * 

Wie gemeldet, so habe ich mich von der Anwesenheit des Nervenstranges innerhalb 
des Stieles der Zirbel, bei Salmo z. B., überzeugt und ebenso Hill, dessen Untersuch- 
ungen auch guten Aufschluls geben über das nähere topographische Verhalten.” Der Nerv 
tritt in der Zeichnung als dunkler Streifen von der Commissura posterior in die zellige 
hintere Wand des Zirbelstieles und steigt herauf, jedoch, ganz in Übereinstimmung mit 
meiner Wahrnehmung, nur eine Strecke weit. 

Ehlers. welcher seiner Zeit die Epiphyse der Selachier auch bezüglich des histo- 


logischen Baues untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, dals die Substanz der Zirbel im 


ı Gaskell, On the Origin of Vertebrates from a Crustacean-like Ancestor. Quart Jour. Microse. 
Seienc. 1890, 

2Owsjannikow,a.2.0.z. B. Fig. 1. 

®Rabl-Rückhard,a.a. O. 

* Holt, Observations upon the Development of the Teleostean Brain with especial reference to that 
of Clupea harengus. Zool. Jahrb. 1891. 

5 Hill, a. a. O., insbesondere Fig. 14. 


frischen Zustande, sowie nach Behandlung von Reagentien, der Masse der Hirnrinde ähnlich 
sei, sie werde zusammengesetzt aus Kernen, eingebettet in homogene Grundsubstanz. Über 
ein Vorkommen von Nervenfasern im Stiel der Epiphysis verlautet nichts. Man darf indessen 
die Vermutung hegen, dals doch auch hier der Zirbelnerv bei neu aufgenommenem Studium 
ebenfalls zum Vorschein kommen wird, wie solches ja auch für mich der Fall war, als ich 
die früheren von Reptilien genommenen Präparate der Nachprüfung unterworfen hatte. Es 
lies sich ermitteln, dals bei Lacerta und Anguis, sowie den anderen Arten, allgemein 
ein im Stiel der Zirbel eingeschlossener Nervenstrang zugegen sei; ferner, dals derselbe 
auch, wie bei den Fischen, nicht das ganze Innere des Zirbelstieles erfülle, sondern nur 
einen Teil, mdem daneben die rundlichen Kerne des Zellenbeleges sich vorfinden, welcher in 
jenen des Zirbelknopfes sich fortsetzt. 

Man begeht kaum einen Irrtum, wenn man von einem allgemeineren Gesichtspunkt 
aus annimmt, dafs gedachter Nerv zum Zirbelschlauch sich ähnlich verhält, wie der Nervus 
optieus zur Augenblase. 

Ein aller Beachtung werter Gegensatz zum Sehnerven und zum Gehörnerven bleibt 
aber darin bestehen, dals weder der Parietalnerv, noch der Zirbelnerv, aus dunkelrandigen 
Elementen besteht, ‘sondern im histologischen Bau mit dem Riechnerven übereinstimmen. 
Auch Hill hebt hervor, dals der Nerv im Zirbelstiel bei den von ihm untersuchten Fischen 
keine dunkelrandigen Fasern habe und was er dann weiterhin über die Natur des Nerven 
anführt, palst ganz gut zu meiner Auffassung des histologischen Baues. Die von ihm er- 
wähnten feinen Fasern deute ich als das Gerüst für die dazwischen befindliche eigentliche 
Nervensubstanz, so dals immer zwei Längsstreifen als Spongioplasma im optischen Schnitt 
zusammen zu einer Nervenröhre Bezug haben. 

Nebenbei habe ich durch eine Abbildung (Fig. 18, Stück Gehirnsubstanz aus Lacerta 
agilis) von neuem voranschaulicht, dafs der Ursprung von „Nervenfasern“ im Gehirn dort, 
wo es sich um ein Hervorgehen aus Punktsubstanz handelt, allgemein so geschieht, wie ich es 
zuerst vor Jahren hingestellt habe: das Spongioplasma setzt sich fort zur Bildung der Wand 


der Nervenröhren und das Hyaloplasma wird Inhalt der Nervenröhren. 


Zum feineren Bau der Zirbel und Parietalorgane. 


Über gewisse Sonderungen der zelligen Elemente der hinteren Zirbel gehen die An- 
gaben mancher Autoren, falls sie zutreffend sind, weiter als meine Beobachtungen reichen. 
Man will in der Zirbel der Säugetiere, neben der übrigen zelligen Substanz, charakteristische 


33*+ 


— Ai = 


Nerven- oder Ganglienzellen unterscheiden, wie denn auch Hill bei Fischen die Anwesenheit 
eigenartiger „nerve-cells“ aus dem Zirbelknopf von Salmo hervorhebt.' Mir schien die 
zellige Lage bei Sauriern zu bestehen aus mehrfachen Lagen von Kernen, gebettet in körniges 
Plasma und dann einwärts aus cylindrisch verlängerten Zellen, welche nach Art eines 
Ependyma die Lichtung begrenzen. Daneben heben sich einzelne etwas gröfsere Zellen ab. 
Sollten dies die „Nervenzellen“ gewesen sein? 

Anbelangend das Zirbelbläschen (dorsales Parietalorgan) von Petromyzon, so gedenkt 
keiner der Autoren der von mir erwähnten fadigen Erhebungen, welche zahlreich vom Boden der 
Grenzhaut des Organs vorspringen. Owsjannikow hat bei der von ihm angewendeten 
geringeren Vergröfserung diese Bildungen ganz übersehen; in den bei hoher Vergrölserung von 
Studnicka gezeichneten Durchschnitten, glaube ich einige der dort angebrachten senkrechten 
Striche in den „Enveloppes de l’organe“ auf die Fäden beziehen zu dürfen. Im Parietalorgan 
von Lacerta, Anguis? sind, wie ich früher gemeldet habe, die fadigen Fortsätze ebenfalls 
zugegen und können selbst bei Hatteria eine sehr starke Entwicklung gewinnen. Mitunter 
sind sie etwas schwierig zu sehen und selbst, wo sie dieker geworden, kostet es einige An- 
strengung, über sie ins Reine zu kommen. Dann aber überzeugt man sich, dafs von den Zellen, 
welche die Kapselhaut zusammensetzen, deren innerste Lage sich in kegelige Fortsätze erhebt 
und die in ihrer Gesamtheit die bälkchenartigen Striche zwischen die Elemente der „Retina“ zieht. 

Ferner habe ich hierzu ermittelt, und dies scheint mir einige Beachtung zu ver- 
dienen, dals gleichwie auch sonst der Bau der Kapsel des Parietalorgans mit jenem der 
Pia mater des Gehirns übereinstimmt, so auch bezüglich der Anwesenheit besagter Fortsatz- 
bildungen. Denn es liefs sich darthun, dals die Zellen, welche die Pia zusammensetzen, in 
gleicher Weise sich einwärts, nach dem Gehirn zu, je in einen entsprechenden kegelförmigen 
Zipfel verlieren. Man wolle die von mir gegebenen Abbildungen vielleicht vergleichen.’ 

Die oben erwähnte eigentümliche Partie in der Substanz der dicken bindegewebigen 
Kapsel bei der erwachsenen Iguana, welche auf den Durchschnitt eines rundlichen Stranges 
zu deuten ist, hat schon Klinekowström in einer seiner Abbildungen eingezeichnet. 
Nach dem, was ich daran sah, erinnert die Bildung am meisten an Knorpel und ich füge 
jetzt noch weiter bei, dals ich den Teil den festeren Strängen anreihen möchte, welche von 


mir aus der Lederhaut verschiedener Reptilien angezeigt wurden und dort im Durchschnitt 
ı Hill, a. a. ©, Taf. XII, Fig. 11 und 14. 
: Leydig, a, a. 0. p. 502, Taf. V, Fig. 67. Über Hatteria siehe p. 509, Taf. VI, Fig. 85. 
SEE ONE, RL, 


— 


das Bild einer Sehne gaben.! Es ist mir wahrscheinlich, dafs der von Spencer? in dem 
„pineal stalk“ der Hatteria dargestellte Körper den Durchsehnitt eines gleichen festen 
Stranges versinnlicht, der hier noch deutlicher an Knorpelstruetur gemahnt, jedoch von dem 
Autor für ein Basalganglion gehalten wird. 

In der epithelialen Auskleidung des Zirbelbläschens bei Petromyzon vermochte 
ich an den wenigen Präparaten eigentlich nur zwei Arten von Zellen zu unterscheiden. Bei 
den einen, es sind die der äufseren Lagen, ist der Kern von wenig Zellsubstanz umgeben, 
welche sich netzig auflöst. Die anderen, nach dem Binnenraum des Säckchens gewendeten, 
sind ausgeprägter und von Pallisadenform („Stäbehen“ der Autoren) und gehen am hinteren 
Ende ebenfalls fadig-netzig aus, zur Verbindung mit dem Netzwerk der übrigen Zellen. 
Studnicka beschreibt und zeichnet auch „cellules ganglionaires“, wozu ich in den mir 
vorliegenden Schnitten höchstens jene Kerne samt Netzplasma rechnen könnte, welche sich 
durch Grölse von den übrigen Kernen etwas abheben. 

Der letztgenannte Beobachter beschreibt und zeichnet ferner das Verhalten der Nerven 
zur epithelialen Auskleidung bei sehr starker Vergröfserung und wahrscheinlich an gut kon- 
serviertem Material. Nach den Wahrnehmungen unseres Autors strahlen „fibres nerveuses“ 
in die „Retina“ aus und verbinden sich mit den Stäbehenzellen. Wenn ich mir gestatten 
darf, die Figuren ’ in meinem Sinne auszulegen, so würde ich den in querziehenden Linien das 
in Längszügen auslaufende Spongioplasma des Nerven erblieken, dessen Fäserchen sowohl 
unter sich als auch mit den Zellausläufern in Verbindung treten und so da und dort ein 
Maschenwerk herstellen. Die darunter senkrecht nach aulsen gerichteten Fäserchen halte 
ich für die von der Kapselwand emspringenden Fortsätze. 

Die Untersuchung der epithelialen Auskleidung des Parietalorgans bei Iguana hat 
manches geboten, was im Anschluls an meine früheren Ermittelungen uns in der Kenntnis 


dieser Schicht etwas weiter bringen kann. 


! Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. p. 112 (Unterkieferdrüse), p. 148 (Um- 
gegend der Kloake). Man wolle ferner vergleichen: Äufsere Bedeckungen der Reptilien und Amphibien. 
Arch. f. mikrosk. Anat., 1873, p. 21. 

2 Spencer, On the presence and structure of the pineal Eye in Lacertilia, 1885, Fig. 4, n 3 und 
Fig. 2,n 3. Die Abbildung des Organs aus Iguana tuberculata enthälts nichts von dem fraglichen 
Teil, wozu ich übrigens die Bemerkung nicht unterdrücken will, dafs diese Figur im Umrifs und auch sonst 
sehr abweicht von dem, was ich vor mir habe, Man möchte beinahe vermuten, es habe eine Verwechslung 
it dem Parietalorgan eines anderen Sauriers stattgefunden. 

2.2. 077 B’ Eie) 5’auf Taf. IM. 


_ 212 — 


Einmal hat sich gezeigt, dafs alle die zusammensetzenden Elemente, sowohl die 
Pallisadenzellen, als auch das Plasma, welches in geringer Menge die übrigen Kerne um- 
hüllt, durch Ausläufer netzig zusammenhängen. Eine förmliche Zone von Netzbälkchen hebt 
sich ab zwischen der äufseren einschichtigen Kernlage und den mittleren mehrschichtigen 
Kernzügen; sie ist es, welche die „Retina“ bei Anwendung von geringer Vergrölserung in 
zwei Schichten zerlegt erscheinen lälfst, in eine hintere, dünnere, und in eine vordere, 
dickere Lage. Blicke ich dabei auf frühere Erfahrungen zurück, im Zusammenhalt mit dem 
jetzt an Iguana Gesehenem, so ist anzunehmen, dals gedachte Zone in sehr verschiedenen 
Zuständen uns vor die Augen kommen kann. Bei Lacerta und Anguis' hatte es den 
Anschein, als ob ein die Zellenmasse durchsetzender heller Hohlgang zugegen sei und zwar 
zeigt sich dies am lebensfrischen Object, während das Anuflegen auch des dünnsten Deck- 
glases genügt, um den Hohlgang ganz oder teilweise verschwinden zu machen. Im abge- 
storbenen Zustand, oder nach Einwirkung von Reagentien, erschien der Raum von fein- 
körniger Substanz erfüllt. Da ich nun wiederholt mich überzeugen konnte, dafs der Raum 
mit Lymphhöhlungen zusammenhängt, sprach ich denselben für einen Lymphgang an, gegen- 
über von Strahl-Martin, welche darin die Ausbreitung des Nerven erblickten. 

Aus den jetzigen Untersuchungen geht hervor, dafs im frühen Embryo noch nichts 
von der fraglichen Zone zugegen ist, vielmehr das Spongioplasma in dichtem Schlufs mit 
der netzigen Zellschicht sich verbindet. Erst später erscheint, gleichsam durch Lockerung, 
das Lückenwesen und in der bei Klinekowström sich findenden bildlichen Darstellung ? 
ist, nach meiner Ansicht, ein Zwischenstadium festgehalten und soweit ich an dem Präparat 
den feineren Verhältnissen nachzugehen vermag, verbinden sich noch die Streifen, welche 
dem Spongioplasma des Nerven angehören, mit dem von den Ausläufern der Zellen gebil- 
deten Netz. Ziehen wir nun weiterhin in Erwägung, dafs die Lückenzone im fertigen Tier 
immer schärfer hervortritt und zwar gleichzeitig mit der Umwandlung des Nerven in einen. 
Bindegewebsstrang, so dürfen wir auch darin ein Zeichen rückschreitender Bildung erblicken. 

>odenteil („Retina“) und Deckenteil („Linse“) der epithelialen Auskleidung der 
Scheitelgebilde können, sowie sie beide aus der gleichen zelligen Lage des Gehirns hervor- 
gegangen sind, auch späterhm ununterbrochen in einander übergehen. In anderen Fällen 


hat sich zwischen beiden eine scharfe Grenzlinie gebildet, indem ein echter Spaltraum auf- 


ı a.a. OÖ, z. B. Fig. 21, 22, 46 und 66. 


® Klinckowström, a. a. O. Fig. 1, 


— 263 — 


getreten ist, der aus der Binnenhöhlung des Organsäckchens nach aufsen in einen umgebenden 
Lymphraum führt. Das letztere war an Iguana ebenso gut zu sehen, als seiner Zeit an 
anderen Sauriern. 

Meine damaligen und jetzigen ins Einzelne gehenden Mitteilungen weisen darauf hin, 
dals mancherlei Verschiedenheiten in Form und Bau der „Linse“ vorkommen. Vieles ist 
auch, namentlich was die Gruppierung der zelligen Elemente betrifft, noch unklar geblieben ; 
auch kann eine förmliche Zerlegung in einen kern- und schalenartigen Teil stattfinden. Zur 
Frage nach der Verwandtschaft der Zirbel und Parietalorgane untereinander mag auch in 
Berücksichtigung bleiben, dafs man, nach meinem Dafürhalten, die Wulstbildung der „Linse“ 
nach einwärts, welche auf dem senkrechten Schnitt das Bild von Papillen erzeugt (Larve 
von Petromyzon), mit den Wülsten vergleichen darf, welche, und zwar sehr stark, im 
Zirbelknopf der Saurier (Anguis z. B.), zugegen sind. 

Zu den gemeinsamen Zügen im Bau der epithelialen Schicht ist auch zu rechnen die 
Anwesenheit von Intercellularräumen und Spaltlücken in der Retina und in der Linse. Man 
hat bisher im Allgemeinen wenig auf diese, den Iymphatischen Räumen zuzuzählenden Inter- 
cellulargänge geachtet, vielleicht weil man sie für künstlich entstandene Lücken ansehen 
wollte, was sie aber keineswegs sind, denn sowohl die Form, als die Art ihres Auftretens 
schliefsen eine solehe Annahme aus. 

Meine Beobachtungen über Entstehung und Struktur der cutieularen Lagen jenseits 
der „Retina“, wie ich sie auch bei Iguana angestellt habe, lassen sich mit dem, was ich an 
anderen Sauriern zu sehen bekam, gut vereinigen, während sie zugleich darthun, dals auch 
in dieser Organisation Unterschiede nach den Gattungen bestehen. Bei Anguis und 
Lacerta z. B. kommen aulser der euticularen Platte noch fadige oder borstenartige Ele- 
mente vor, welche an starke Flimmerhaare erinnern können und so gestellt sind, dafs sie 
in Form eines Kranzes oberhalb des Randes der ceuticularen Platte herum gehen; bei 
Iguana kommen solche Fäden nicht vor. Bei Anguis liels sich auch an der Einzel- 
borste eine helle Rinden- und feinkörnige Achsenschicht unterscheiden. 

Recht eigenartig nehmen sich die entsprechenden Cutienlarbildungen bei Petromy- 
zon aus und fanden bei den Autoren eine sehr verschiedene Beurteilung. 

Schon Ahlborn! macht auf die Anwesenheit besonderer „Gewebsteile“ aufmerksam, 
welche im Binnenraum des oberen Bläschens vorkommen; er gedenkt ihrer als „Zacken, 


ı Ahlborn, Untersuchungen über das Gehirn der Petromyzonten. Ztschrft. f. wiss. Zool. 1893. 


a 


Zapfen“ oder als eines „Maschenwerkes“, unterläfst es aber, den Gebilden eine histologische 
Stellung anzuweisen. — Manche der nachfolgenden Beobachter scheinen die „Gewebsteile“ 
für Kunstprodukte oder Niederschläge gehalten zu haben. So erklärt Beard! kurzweg 
die Masse für ein „coagulable fluid“. Auch Owsjannikow ist wohl, nach Andeutungen 
im Text, derselben Meinung, jedenfalls kommt auf den Figuren nichts von dieser Inhalts- 
partie des Säckchens zur Ansicht. Auch die Abbildung des Parietalorgans bei Kupffer? 
bringt nichts davon, sei es, dafs der Autor nicht anders über die Sache denkt, wie die zwei 
letztgenannten Untersucher, oder sei es, dals in dem abgebildeten Entwicklungsstadium die 


Gebilde noch nicht aufgetreten waren. ® 


Gaskellt hingegen bespricht nicht nur die besagten Gebilde ausführlich, sondern 
hebt mit Nachdruck hervor, dals man es nicht mit Gerinnungserscheinungen einer eiweils- 
haltigen Substanz zu thun habe, sondern mit „euticular rods“, worin er also mit meiner 
Auffassung zusammentrifft. Er geht aber weiter und vergleicht die Streifen den „rhabdites“ 
im Auge der Arthropoden, wie er denn überhaupt rasch und kühn Homologien zwischen dem 


Arthropodenauge und dem Parietalorgan zu ziehen weils. 


Ich selber bleibe, gestützt auf meine jetzigen Erfahrungen, zunächst bei der Auf- 
fassung stehen, dals man es mit cutieularen Lagen und Gebilden zu thun habe, welche 
durch Zellenabscheidung nach der freien Fläche zu Stande kommen. Bezuglich der Art und 
Weise der Entstehung ergab sich bei Petromyzon, dals man die sich entwickelnden 
Fäden schon tief im Inneren des Zellkörpers zu erkennen vermöge, und ich meine, dafs man 
gar manche der Angaben und Zeichnungen bei Studnicka° in ähnlichem Sinne auslegen 
dürfe. Man wolle vielleicht auch zu weiterem Verständnis meinen früheren Mitteilungen 
z. B. über Lacerta, Anguis, Hatteria, nebst den dazu gehörigen Abbildungen, 
jeachtung schenken. Jedenfalls ist unverkennbar, dafs trotz aller Verschiedenheiten, welche 
die euticularen Abscheidungen an den Tag legen, ein gemeinsamer Zug durchgeht, so oft 


auch ein spezifisches Gepräge nach der Tierart sich geltend machen kann. 


ı Beard, a. a. O. Fig. 9, cf. 

2x. Kupffer, a, 3, 0. Taf, V, Fig, $. 

® Beim Embryo von Lacerta agilis sah ich (a. a. O. p. 458, Taf. I, Fig. 15) den Anfang der ent— 
sprechenden Bildung schon sehr früh zum Vorschein kommen, in Form eines nach innen vorspringenden Blattes. 

4 Gaskell, a. a. 0. 

5 Studuicka, a. 3, 0. PL IM, 


Zu den früheren allgemeinen Betrachtungen über das Auftreten des Pigmentes und 
wie es sich nach Gattungen und Arten und selbst nach Individuen verhält,! darf man jetzt 
noch folgende Punkte hervorheben. 

Nicht blofs in der epithelialen Auskleidung der augenähnlichen Parietalorgane lagert 
sich das dunkle, braunkörnige Pigment ab, sondern auch Partien der hinteren Zirbel können 
in ihrem Epithel bald in geringerem, bald in stärkerem Grade solch dunkles Pigment in 
sich aufnehmen. Und das kann soweit gehen, dals auch der Zirbelknopf und sein Endzipfel 
nach dieser Richtung „augenähnlich“ werden. 

Dem ventralen Parietalorgan von Petromyzon ist eigentümlich, dafs hier das 
Pigment dem Deckenteil oder der Linse, die in der Regel sonst davon frei ist, zukommt. 
Nimmt man hinzu, dafs die nur spurweise entwickelte Cutieularschicht ebenfalls ihre Lage 
am Deckenteil der epithelialen Auskleidung hat, so könnte man geradezu von einer Umkehrung 
der Verhältnisse, gegenüber dem oberen oder dorsalen Bläschen reden. 

Nicht blofs das Innere des „Pinealauges“ enthält Pigment im epithelialen Teil, und 
z. B. auch in den Spaltlücken der Cutieularschicht, sondern ferner in der Kapselmembran und 
in den Bindegewebszügen der umgebenden Lederhaut können sich Körner und Klumpen 
von Pigment ablagern. Und hierbei wurde ich bei Untersuchung von Iguana wieder an 
das erinnert, was ich über die bräunlichen Pigmentballen in den Organen von Varanus 
seiner Zeit vorzubringen mich veranlals fand.” Die Körnermasse kann in ihrer Beschaffen- 
heit den Charakter von solchen Pigmenthaufen haben, wie sie durch Umwandlung von aus- 
getretenem Blut entstehen, was vielleicht mit der rückschreitenden Metamorphose, in welcher 
der ganze Organkomplex begriffen ist, in Zusammenhang gebracht werden darf. 

Als vor fünf Jahren das Pigment im „Pinealauge“* von Lacerta von mir ge- 
nauer ins Auge gefalst wurde, kam schon zur Wahrnehmung, dafs neben dem dunklen 
Pigment noch ein anderes zugegen sei, welches „nicht in allen Stücken dem dunklen Pig- 
ment gleiche.“ Schon dazumal war ich der Ansicht, dafs es dem weilsen oder guanin- 
haltigen Pigment, wie ich solches in der Lederhaut nachgewiesen hatte, sich anschliefse und 
es wurde daher auf dem Durchschnitt des Parietalorgans® zwischen das dunkle Pigment 
derselbe gelbliche Farbenton gelegt, den ich in derselben Figur dem guaninhaltigen Pigment 


der Lederhaut gegeben hatte. 


ı Leydig,a.a. 0. p. 519 und 526, 
2 Leydig,a.a. O0. p. 487. 
2770 Tan EHN926: 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 34 


Be 


Dieses weilse Pigment herrscht im oberen Bläschen bei Petromyzon an Masse über 
das dunkle vor, welch letzteres nur in geringer Menge zugegen ist. Auf seine Anwesenheit 
wiesen hin zuerst Ahlborn, dann Beard, Gaskell:; zuletzt hat Studnicka über Aus- 
breitung und chemische Natur dieses weilsen Pigmentes ausführlicher gehandelt. Es sei eine 
Kalkverbindung. Ich glaube nicht zn fehlen, wenn ich auch jetzt noch bei meiner früheren 
Annahme bleibe, dafs dieses weilse Pigment im Zirbelbläschen von Petromyzon, allwo es 
an Masse das dunkle überwiegt, während es bei Sauriern zurücktritt und das dunkle vor- 
herrscht, dem harnsäurehaltigen Pigment zuzuzählen ist, über welches ich zu wiederholten 
Malen berichtet habe. Es wurde auch von mir gezeigt, dals bis ins Auge der Säugetiere 


hinein, in die Iris, das Vorkommen dieses Pigmentes sich nachweisen lasse. 


Nebenschlauch des Zirbelbläschens. 


Oben wurde eines Blindschlauches gedacht, welcher bei Petromyzon zwischen 
dorsalem und ventralem Parietalorgan sich hinziehend, am Halse des ersteren abzugehen 
scheint. 

Indem ich die von Anderen herrührenden und hier in Betracht kommenden Zeich- 
nungen vergleiche, meine ich mehrmals auch dort Durchschnitte des Schlauches zu erblicken, 
obschon die Autoren sich hüten, zu sagen, was sie davon halten, ja nicht einmal in der 
Tafelerklärung darauf Bezug nehmen. So bemerkt man beiBeard? den Durchschnitt eines 
epithelialen Rohres, am Stiel des Parietalorgans, gerade dort, wo ich den fraglichen Teil 
sah und ich zweifle nicht, dals es sich um die von mir angezeigte Bildung handelt. Dann 
ist auf der gleichen Figur, rechts unterhalb des dorsalen Organs und gewissermalsen zwischen 
oberem und unterem Bläschen ein Zellenhaufen, teilweise mit Umfassungslinie angebracht, 
in dem ich ebenfalls ein Bruchstück des durchschnittenen Schlauches erblicken möchte. 

Auf einer der Zeichnungen bei Studnicka kommt gleichfalls etwas vor, was hie- 
her gehören mag, obschon auch dort weder im Text noch in der Figurenerklärung irgend 
eine Erwähnung davon geschieht. Ich meine a. a. O. Fig. 1 auf Taf. II: „Coupe trans- 
versale des organes parietaux“, allwo links zwischen der oberen und unteren Blase und dem 


Recessus infrapinealis der Durchschnitt eines Kanals auffällt, von dicker epithelialer Wand. 


! Zuletzt noch in: Verhandlungen phys. med. Ges. Würzburg. 1888. („Über Pigmente der Hautdecke 
und der Iris“.) 
2 Beard,a.a. 0. Taf. VII, Fig. 8. 


260 — 


Da die Abbildung sich auf „Petromyzon Planeri adulte“ bezieht, so wäre weiter zu folgern, 
dals sich der Teil, den ich nur bei der Larve vor die Augen bekam, sich doch auch beim 
erwachsenen Tier noch erhalten kann. 

Für letztere Annahme scheint mir auch die Beschreibung des Zirbelstieles, welche 
man bei Burekhardt! antrifit, zu sprechen. Dort heilst es, dafs der Zirbelstiel „vielfache 
knäuelartige Windungen“ bilde; da ich nun von solchen Windungen an meinen Präparaten 
nichts vor mir sehe, so habe ich fast die Vermutung, dals bei der Angabe des genannten 
Beobachters abermals der accessorische Schlauch im Spiele sein könne. 

Auf einer Zeichnung bei Kupffer,? welche das Gehirn der Larve veranschaulicht, ist 
nichts von dem in Rede stehenden Nebenschlauch angebracht. Der Raum, wo er in meinen 
Schnitten sich hinzieht, erscheint dort blos von Bindegewebe eingenommen. Die auf der 
Zeichnung versinnlichte Knieckung der oberen in das Zirbelbläschen übergehenden Wand des 
Stieles wird doch schwerlich, obschon einem der Gedanke beigehen könnte, auf den besagten 
Schlauch bezogen werden können. 

Fragt man, ob nicht der kanalartige Anhang der Zirbel bei Petromyzon mit Bil- 
dungen zusammengestellt werden könne, welche anderwärts sich finden, so würde ich daran 
erinnern, dafs ich früher schon bei manchen Sauriern auf zipfelartige Aussackungen am 
Endknopf der Zirbel gestolsen bin. Ja, ich möchte dafür halten, dafs bei Anguis fra- 
gilis z. B. der lange schlauchförmige Teil, welcher am Zirbelknopf zu unterscheiden ist, ® 
hier genannt werden könne: der Zirbelknopf dieses Sauriers ist den Parietalorganen der 
ersten Gruppe einzureihen und entspricht darnach auch dem dorsalen Bläschen von Petro- 
myzoon, und so wäre der besagte gewundene Nebenschlauch gleichzustellen dem gerade 


verlaufenden hohlen Endfaden bei Anguis. 


Lymphräume. 


Im Laufe früherer Untersuchungen war bereits wiederholt darauf hinzuweisen, dals 
Lymphhöhlungen um die Parietalorgane zugegen sein können, wenn auch verschieden in 
Anordnung und Ausbildung. Auch zuletzt am fertigen Tier von Iguana tubereculata 


lie[s sich davon etwas bemerken und insbesondere an der Stelle, allwo der Spalt zwischen 


Burckhardt, a.,a 0. p. 153. 
Eva Ku pikstler,..a..a..0, Taf, y: 
3 Vgl. a. a. O. Taf. V, Fig. 67 und 68. 


34* 


— 268 


„Linse“ und „Retina“ durchgeht, ist die Einmündung in einen Lymphraum deutlich genug. 
Dann fällt am Embryo des genannten Tieres sehr bestimmt ein Lymphraum in die Augen, 
welcher sowohl das Parietalorgan, als auch den zu ihm gehenden Nerven umgiebt, ein Ver- 
halten, worüber ich näher berichtete und in einer Abbildung (Fig. 22) veranschaulichte. 

Da ich nun bei anderen Antoren der Andeutung begegne, als ob solche Lymphräume 
nicht vorhanden wären, oder als künstlich durch Schrumpfung erzeugte Höhlungen anzu- 
sehen sein, so darf ich doch darauf zurückweisen, dafs schon am frischen Embryo von 
Lacerta, der mit Eiweils befeuchtet und ohne Deckglas untersucht wurde, die ange- 
zweifelte Organisation von mir mit Sicherheit beobachtet wurde. Sowohl die diekwandige 
Blase, welche zur hinteren Zirbel wird, als auch die Anlage des Parietalorgans, nicht minder 
auch die Gruppe der Blasen, welche zur vorderen Zirbel sich gestaltet, erscheinen unver- 
kennbar von einer Lichtung, die nur Lymphraum sein kann, umzogen. 

Auch bei Varanus nebulosus war die Lymphhöhlung über dem Parietalorgan 
in bestimmter Weise zu erkennen; sie entsprach „nach dem ganzen Verhalten im Kleinen 
dem, was sich im Grolsen an subentanen Lymphräumen beobachten läfst,“ wie ich das näher 


beschrieben habe. ! 


Nebenscheitelorgan. 


Duval und Kalt haben auf das Vorhandensein von Nebenscheitelorganen bei der 
3lindschleiche zuerst aufmerksam gemacht.” Ohne davon zu wissen — ich kenne auch jetzt 
noch deren Mitteilung nur aus Citaten — habe ich fast gleichzeitig dieselben Gebilde ange- 
zeigt? und bald darauf nach Vorkommen und Bau ausführlicher behandelt.* Unsere beider- 
seitigen Beobachtungen hat einige Jahre nachher Prenant° bestätigt und der Autor hat 
unterdessen seine Untersuchungen über Vorkommen und Lage der Organe fortgesetzt. ® 

Es steht zu erwarten, dals noch bei diesem oder jenem Saurier Nebenscheitelorgane 


aufgefunden werden, wie denn bereits Klinekowström ein derartiges „sekundäres Auge 


ı a.a. 0. p. 486. 

2 Duvalet Kalt, Des yeux pincaux multiples chez l’orvet. Soc. de biologie, 1889. 

3 Biol, Centralbl. 1890. 

* Abhandlungen Senckenbergische nat. Ges. 1890. 

5A. Prenant, Sur l’eil parietale accessoire. Anat. Anz., 1893. 

® A. Prenant, Les yeux parietaux accessoires d’Anguis fragilis sous le rapport situation, de leur 
nombre et de leur fröquence, Bibliogr. anat. (Nicolas) T. 2, No. 6. Leider kenne ich auch von dieser 
Abhandlung nichts mehr, als den Titel und zwar aus dem Litteraturbericht des Zool. Anz. 1895. 


a 


an der Zirbelspitze* von Iguana tubereulata beschreibt, allwo es übrigens nicht nur 
am Embryo vorhanden sei, sondern, und zwar „viel höher entwickelt“, beim erwachsenen 
Tier.' Zugleich weist der genannte Autor darauf hin, dafs ein von Spencer? an Plieca 
dargestelltes Gebilde ebenfalls hierher gehören möge und ebenso das von Ritter? unter 
der Bezeichnung „epiphysial vesiele“ beschriebene Organ. Der amerikanische Zoologe* ist 
seitdem auf das Gebilde selber zurückgekommen und nennt es jetzt „Parapinealorgan“. 
Nach dieser Nomenclatur wäre es somit dem ventralen Parietalorgan von Petromyzon zu 
vergleichen, was mir unzulälsig scheint. Doch wird sich erst dann bestimmter darüber 
urteilen lassen, wenn Weiteres über die fragliche Bildung wird bekannt geworden sein. 
Jüngst gedenkt auch Burckhardt, indem er auf das Gehirn von Lacerta 
vivipara eingeht, eines „kleinen Hohlkörpers“, den er für ein Nebenscheitelorgan an- 
spricht.” Betrachte ich jedoch den von ihm gegebenen „Mediandurchschnitt durch das Ge- 
hirn“, so kann ich nicht umhin, meinen Zweifel darüber zu äufsern, ob die Deutung richtig 
ist. Das hier an Lacerta vivipara für ein Nebenscheitelorgan genommene Gebilde 
liest nämlich, nach der Zeichnung, tief unterhalb des Parietalorgans, während ja die Neben- 
scheitelorgane bei Pliea, Anguis (vielleicht auch bei Phrynosoma) in einer Flucht 
mit dem Hauptscheitelorgane sich folgen. Ich möchte sonach eher die Vermutung hegen, 
dals es sich nur um einen durch den Schnitt abgeschnürten Gipfel der vorderen Zirbel 
handeln könne, so wie sich das Gleiche z. B. auf der von mir über Lacerta ocellata 


gelieferten Abbildung ® vorfindet. 


Scheitelfleck, — Scheitelloch. 


Zu meinen früheren Hinweisen, dafs bereits im Jahre 1829 in einem Werke von 
Gravenhorst der lichte Fleck auf der Stirn von Rana subsaltans angebracht 
erscheint und um die gleiche Zeit (1829) Brandt, der ältere, eine „Drüsenstelle“ auf dem 


Hinterhauptsschild von Lacerta bemerkt hat, nicht minder auch die Zeichner in herpeto- 


ıyv,Klinekowström,a.a. O. Fig. 6 und 16. 

2 Spencer,a.a. O0. Taf. IX, Fig. 35, opi. 

® Ritter, The parietal Eye in some Lizards from the Western United States. Bull. Mus. Comp. 
Zool. 1891, 

4“ Ritter, On the Presence of a Parapineal Organ in Phrynosoma coronata. Anat, Anz., 1894. 

5 Burckhardt, Homologien des Zwischenhirndaches bei Reptilien und Vögeln. Anat. Anz,, 1894 

° a. a. O. Taf. III, Fig. 46. 


—_ 270 — 


logischen Schriften von Milne-Edwards (1829) und Bonaparte (1836) die gleiche 
Stelle markiren, während die Autoren selbst darüber schweigen, möge jetzt auch nach- 
getragen werden, dals mehrere Jahre zuvor (1825) Rathke' des Scheitelfleckes von 
Petromyzon gedenkt, ohne freilich so wenig wie die Vorgänger und Nachfolger eine 
Ahnung davon zu haben, zu welchem Organ der Fleck Bezug hat. Er sieht die „weilsliche 
Stelle oben am Kopf, in einiger Entfernung hinter der Nasenöffnung“ und erklärt sich die- 
selben durch starke, dicht unter der Haut gelegene Fettansammlung. Von da an begegnet uns 
in systematischen Beschreibungen öfters der „helle Fleck zwischen den Augen auf dem 
Scheitel“; zuletzt hat Gage, und zwar im Hinblick auf die „Epiphysis oder Pinealauge“, 
diese lichte Stelle am Kopf der Lamprete nach Ausdehnung und Form genauer dargestellt. ? 
Der weilsliche Fleck rührt zunächst, wie bei den Sauriern, davon her, dafs das Pigment in 
der bezeichneten Gegend der Kopfhaut zurücktritt. 

Das Verhältnis, in welchem das Parietalorgan zum Scheitelfleck und zur Schädeldecke 
steht, bietet grofse Verschiedenheiten dar. Bei Petromyzon z. B. bleibt das obere und 
das untere Bläschen innerhalb des Schädelraumes und an meinen Präparaten höhlt sich das 
Dach desselben nur zu einer leichten Mulde aus, zur Aufnahms des dorsalen Bläschens. 
Doch scheimt dies nach den Individuen wechseln zu können, wie ich schlielsen möchte, wenn 
die Zeichnungen bei Beard,° allwo eine starke Austiefung vorhanden sich zeigt, richtig 
ist. Ein Versehen von Seite Burckhards mag es sein, wenn er* in seiner „Übersicht 
der phylogenetischen Entwicklung des‘ Gehirns“ von Petromyzon sagt: „Zirbel lang, den 
Schädel durchbrechend.“ Sie bleibt im Gegenteil unter der Schädeldecke! 

Bei Reptilien im embryonalen Zustande (Lacerta, Anguis) liegt das Parietal- 
organ, wegen Dünne der Hautlamelle, sehr oberfläehlich und springt mit leichter Wölbung 
vor; später, nach Ausbildung und Dickerwerden des Integuments, ist es tiefer gerückt; 
endlich mit dem Auftreten der Knochentafeln geräth das Organ in den Bereich des Scheitel- 
beines, welches zu dessen Aufnahme von einem Loch (Foramen parietale) durchbrochen ist. 
Über Abänderungen dieses Loches habe ich seiner Zeit Einiges berichtet: bei Seps tri- 


dactylus z. B. ist die untere oder innere Öffnung beträchtlich weiter als die äufsere; der 


ı Rathke, Bemerkungen über den inneren Bau der Pricke. Danzig 1825. 

? Simon Henry Gages, The Lake and Brook Lampreys of New York. Ithaca, 1893. Pl. VIII- 
Fig. 50. 

® Beard,a.a. O., z.B. Fig. 8 auf Taf. VII. 

* Burckhardt, Das Centralnervensystem von Protopterus annectens. 1892, p. 53. 


Rand kann auch terassenförmig sich abstufen, so bei Varanus nebulosus; er kann 
bald glatt, bald rauhzackig sein durch vorspringende Kalkkugeln, so bei Anguis. 

Schon vor mehr als zwei Decennien brachte ich in Erinnerung, dals bei gewissen alten 
Sauriern, den Labyrinthodonten, im Scheitelbein an gleicher Stelle, wie bei Eidechse und 
Blindschleiche, ein Loch bestehe, bezüglich dessen es wahrscheinlich sei, dals auch hier mit 
diesem Foramen parietale ein entsprechendes Sinnesorgan, wie ich es bei Sauriern der 
Gegenwart gefunden, verknüpft gewesen sein möge.'! Nach mir ist dieser Gedanke auch 
von Anderen wiederholt geäulsert worden, wohl auch mit dem Beisatze, dals wegen Grölse 
der Öffnung bei fossilen Sauriern das Organ vor Zeiten eine mächtigere Entwicklung besessen 
habe. Dies mag auch der Fall gewesen sein; aber es soll doch auf eine Beobachtung von 
Klinekowström?° aufmerksam gemacht sein, aus welcher hervorzugehen scheint, dals 
nicht immer die Grölse des Foramen parietale und jene des darunter liegenden Organs zu- 
sammenstimmen. Bei einem kleinen Panzerwels nämlich fand der Genannte unterhalb eines 
stattlichen Foramen parietale nur ein „kleines Zirbelbläschen“. 

Anch dem Knorpelstück, welches in der Nähe des Stirnfleckes sich finden kann und 
eine gewisse Beziehung zu demselben zu haben scheint, sollen ein paar Worte gewidmet sein. 

Schon Ehlers erwähnt eine kleine Knorpelplatte, welche bei Selachiern in die 
straffe, die Öffnung des Schädeldaches schliefsende bindegewebige Haut eingeschlossen ist 
und über dem Endknopf der Zirbel liegt.” Vorher, bereits in meiner ersten Mitteilung 
über das Scheitelgebilde von Lacerta, habe ich ein „inselartig abgegrenztes Knorpel- 
stückeken“ angezeigt, das über dem Endteil der Zirbel sich befinde. Später gab ich bezüg- 
lich der Lage näher an, dafs der Knorpel genau dort über dem Zirbelknopf getroffen wird, 
wo sich der letztere in den Endzipfel auszieht. Bei Lacerta vivipara zeigte sich 
ein „Knorpelstreifen“, dessen nach vorn verjüngtes Ende über der Zirbelgegend liegt, 
während sein hinterer Teil im Os parietale steckt. Bei Seps ist das ovale Knorpel- 
inselchen zugleich mit dem langen Knorpelstab vorhanden, der hinterwärts ebenfalls in das 


Os parietale eindringt.* 


ı Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. 1872, 

®y. Klinekowström, Zirbel und Foramen parietale bei Callichthys. Anat. Anz., 1893. 

® Ehlers,a.a. O0. p. 614, Fig. 24. 

* Leydig, Parietalorgan der Amphibien und Reptilien. Abhandlungen Senckenbergische nat. Ges. 
1890. (Anguis Fig. 64 und 68, Seps Fig. 77, Lacerta agilis Fig. 87.) 


Zur Deutung. 


Am Ende meiner Darlegungen angekommen, sollen noch in Kürze einige Punkte zu- 
sammengefalst werden, welche zur Ergänzung dessen, was in der „Schlulsbetrachtung“ meiner 
letzten Arbeit! ausgeführt wurde, vielleicht dienen können. 

In der Frage, welche Stellung im Hinblick auf die tierische Gesamtorganisation die 
hintere Zirbel und die Parietalorgane einnehmen mögen, bin ich, wie aus den vorliegenden 
Studien ersichtlich ist, von Neuem zu einer Annahme nicht nur zurückgeführt, sondern auch 
darin bestärkt worden, welche von Anfang bei mir hervorgerufen, eine Zeit lang wieder 
in den Hintergrund getreten war. 

Als ich nämlich das Scheitelorgan bei Lacertaund Anguis entdeckt hatte, empfing 
ich, was zu wiederholen ich öfters Veranlassung nahm, den Eindruck, dals ich hier bei Rep- 
tilien auf eine Bildung gestolsen sei, welche den Stirnaugen der Arthropoden, näher der 
Hexapoden, entsprechen könnte. Und indem ich nach Ablauf einer Reihe von Jahren die 
Untersuchung wieder aufgenommen, multe ich erklären, dals man doch beim vergleichenden 
Durchgehen des Kopfabschnittes, z. B. eines Hymenopteren, und des Kopfes eines schon 
herangereiften Embryo der Eidechse und Blindschleiche unwillkürlich sich bestimmt fühlen 
dürfe, die Scheitelorgane der Reptilien und die Stirnaugen der Arthropoden in verwandt- 
schaftliche Beziehung zu bringen. Doch stand andererseits gar manches einer solchen An- 
schauung entgegen. Immerhin und obschon die Schwierigkeiten damals nicht aus dem Wege 
zu räumen waren, blieb, wie ich bekennen mulste, am Ende „kaum etwas anderes übrig, 
als den Gedanken, der beim ersten Anblick sich darbot, gelten zu lassen und anzunehmen, 
dals in dem Mafse, als die Arthropoden und Wirbeltiere in der Tiefe zusammenhängen 
mögen, so auch die Parietalorgane der Reptilien und die Stirnaugen der Hexapodeu auf- 
einander beziehbare Gebilde seien.“ 

Durch die unterdessen auf Grund neuer Untersuchungen gewonnene Einsicht in 
den Bau der betreffenden Organe, erscheint manches von dem, was dazumal der eben aus- 
gesprochenen Ansicht entgegenstand, nunmehr beseitigt. 

Es liefs sich darthun, dafs im Hinblick auf die Gruppe der augenähnlichen Parietal- 
organe der Stiel, durch welchen sie mit dem Hirndach zusammenhängen, sich in einen Nerven 
verwandelt, der zwar nur eine Zeit lang besteht, dann die nervöse Natur verliert und zu 


einem Bindegewebsstrang sich zurückbildet. 


172... Op. 537. 


_ 3 — 


Weiterhin hat sich herausgestellt, dafs auch der Stiel der hinteren Zirbel allgemein 


einen Nerven einschlielst. 


Ferner war klarer geworden, dafs der Endknopf der hinteren Zirbel nicht nur über- 


haupt einem Parietalorgan gleichwertig ist, sondern geradezu in ein augenähnliches Bläschen 


sich umbilden könne. 


In Erwägung und Würdigung solcher Thatsachen, worüber im Vorhergehenden das 


Einzelne berichtet wurde, darf man sich zu nachstehenden Schlulsfolgerungen für ermächtigt 


halten: 


il 


Der hinteren Zirbel kommt, was von Rabl-Rückhard und Ahlborn zuerst 
erkannt wurde, die Bedeutung einer Augenanlage zu, welche nicht zu weiterer 
Ausbildung gelangt ist. Ihr Stiel, wie nunmehr gesagt werden kann, ist gleichzu- 
setzen dem Sehnerven des paarigen Auges; ihr Endknopf ist homolog der Augenblase. 
An den augenälmlichen Parietalorganen kann die eben erwähnte Gliederung eben- 
falls zum Ausdruck kommen: ihre stielartige Wurzel läfst sich dem Zirbelstiel 
vergleichen und sonach wieder dem Sehnerven für homolog erklären; das Organ- 
säckchen entspricht dem Zirbelbläschen. 

Die nervösen Züge des Stieles bestehen weder an der Zirbel, noch den augen- 
ähnlichen Scheitelorganen aus dunkelrandigen Röhren, sondern stimmen im Bau 
mit dem Riechnerven der Wirbeltiere überein, was immer beachtenswert bleibt 
gegenüber der Structur des Nervus optieus. 

Zirbel und Parietalorgane sind als Teile einer einheitlichen Gruppe zu betrachten, 
die nach Herkunft und späterer Lage den Stirnaugen der Arthropoden zu ver- 
gleichen ist. Gegenüber den Verschiedenheiten, welche Zirbel und Parietalorgane 
unter sich im Bau darbieten, darf man ins Gedächtnis sich zurückrufen, wie auch 
die Structur der Stirnaugen der Arthropoden nach den Arten und selbst am Einzel- 
tier starken Abänderungen unterworfen sein kann. 

(Gaskell, welcher ebenfalls die Stirnaugen der Arthropoden mit den „Pineal- 
augen“ der Wirbeltiere in Verbindung bringt, will selbst im feineren Bau eine weit- 
gehende Übereinstimmung finden. Nach ihm entspräche am „Pinealauge“ die 
Schädeldecke der Cornea und Linse und was man bisher als „Linse“ angesehen, 
sei Glaskörper; dann folge die Schicht der „Rhabditen“ ; endlich die Nervenzellen, 
übertretend in die Fasern des Nerven. In dieser Art zu homologisieren fühle ich 


mich aulser Stand, dem englischen Beobachter zu folgen.) 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX 35 


5. 


— 274 — 


Der grolse Wechsel in Vor- und Rückbildung der Zirbel und „Pinealaugen“ lälst 
sich aus der Annahme erklären, dals die besagten Gebilde Organe älteren Datums 
vorstellen. In der Vorzeit mögen sie gröfsere physiologische Bedeutung gehabt 
haben, während sie in der Jetztwelt in verschiedenem Grade der Verkümmeruug an- 
heimfallen. 

Die vordere Zirbel oder Paraphyse verrät in ihrem Bau nichts, was uns veranlassen 
könnte, auch in ihr — wie dies Selenka will — ein Sinnesorgan zu erblicken. 
Ich bleibe vielmehr immer noch bei meiner früheren Auffassung, die dahin ging, 
dals die vordere Zirbel mehr „an eine drüsige Bildung gemahnt, welche sich der 


eigentlichen oder hinteren Epiphysis angelegt hat.“ 


— eo. —— 


Fig. 


Fig. 


Partie des Vorder- und Zwischenhirns des jungen Aals, Anguilla fluviatilis, im Längsschnitt 


Erklärung der Abbildungen. 


Tafel 1. 


r 


bei geringer Vergrölserung, 


a 
b 
c 


Zirbel; 
Recessus infrapinealis; 
Sack des Palliums. 


Teil des Zwischenhirns des jungen Aals, Anguilla fluviatilis, im Längsschnitt, bei stärkerer 
Vergrölserung, 


a 
b 
c 
d 
e 


Epidermis, in ihr aufser den gewöhnlichen Zellen auch Schleimzellen und Wanderzellen; 
Lederhaut und Schädeldecke; 

Zirbel, im Stiel die nervöse Streifung nur in Spuren; 

Verdicktes Epithel an der oberen Wand des Recessus infrapinealis; 

Sack des Pallium, 


Salmo fontinalis, Embryo, Frontalsehnitt durch die Zirbelgegend, stärkere Vergröfserung. 


a 
b 


d 


Epidermis; 
Lederhaut; 
Schädelwand ; 

Zirbel ; 

Recessus infrapinealis; 
Sack des Pallium. 


Salmo fontinalis, Embryo, Sagittalschnitt durch die Zirbelgegend, mälsige Vergrölserung, 


a 
b 


Epidermis; 

Lederhaut; 

Knorpelplatte; 

Zirbel; 

Höhle des Recessus infrapinealis; 

Höhle des Pallium, beide getrennt durch die einspringende Querfalte; 
Übergang zum dritten Ventrikel. 


Fig, 5. Anderer, etwas weiter vorgeschrittener Embryo von Salmo fontinalis, Sagittalschnitt durch 
die Zirbelgegend, mälsige Vergrölserung. 


a 
b 
c 
d 


Knorpelplatte; 

Zirbel, hier anscheinend abgeschnürt vom 

Stiel; 

Falte, durch welche der hier buchtige Recessus infrapinealis vom Sack des Pallium 
sich abgrenzt; der Unterschied in der Beschaffenheit des Epithels tritt hervor. 


35* 


Fig. 6. Zirbelstiel von Lacerta ocellata, mit nervöser Streifung im Inneren. Daneben ein Blutgefäls. 
Mälsig vergrölsert, in gleicher Weise die zwei folgenden Figuren. 


Fig. *. Hatteria 


punetata, Zirbelstiel; im Inneren der Lichtung epitheliale Kerne und Nerven- 


elemente, 


Fig. 8. Zirbel und Zirbelstiel des reifen Embryo von Anguisfragilis. 


a 


b 
c 


Der am Vorderrand der Zirbel heraufziehende, in einen Bindegewebsstrang sich um- 
wandelnde Nervus parietalis; 

im Stiel der Zirbel enthaltener Nerv; 

Begleitendes Blutgefäls. 


Tafel U. 


Fig. 9. Parietalorgan von Petromyzon fluviatilis, Sagittalschnitt, mälsige Vergrölserung. 


k 


Schädelkapsel; 

Vorderes Ende des Gefälsplexus; 

Commissura posterior, aus ihr entsteht 

der Zirbelstiel, übergehend 

in das obere Parietalorgan; 

Ganglion habenulae; aus ihr entspringt 

der Nervus parietalis; nach oben dessen gangliöse Anschwellungen; 
Unteres Parietalorgan; 

Recessus infrapinealis; 

Zelliges Bindegewebe. 


Fig. 10. Hälfte des oberen Parietalorgans (Zirbelbläschen) von Petromyzon fluviatilis, bei stärkerer 
Vergröfserung. 


Fig. 11. Hälfte des unteren Parietalorgans vonPetromyzon fluviatilis, bei stärkerer Vergrölserung. 
Man sieht auch die feineren Verhältnisse der gangliösen Partien unterhalb des „ventralen 
Bläschen‘. 


Fig. 12. Aus der Larve von Petromyzon (Ammococetes). Mälsige Vergrölserung, 


Ü 


b 
c 
d 


Zirbelbläschen (oberes Parietalorgan); 

Unteres Parietalorgan, mit der gangliösen Partie darunter; 

Stiel der Zirbel; aus ihm entspringt 

der Anhangskanal, welcher zwischen oberem und unterem Bläschen gelagert, mehrfach 
quer getroffen sich zeigt. 


Fig. 13. Aus der gleichen Larve von Petromyzon (Ammocoetes), ebenfalls Sagittalschnitt. 


a 
b 


Oberes Bläschen; 
Unteres Bläschen; 


ce Durchschnitt des Anhangskanals. 


Tafel Ill. 


Fig. 14. Aus dem Boden des oberen Parietalorgans von Ammocoetes, stärkere Vergrölserung, senkrechter 


Schnitt. 


a 


b 


Grenzhaut mit den Fortsätzen nach einwärts; 
Zellige Auskleidung („Retina“); 


ce Secretfäden (Cutieularschicht). 


Fig. 


Fig. 


Eig. 


Fig. 


Fig 


215% 


ig. 16. 


g. 17. 


„ie. 


19. 


20. 


21. 


22. 


23. 


— Bl — 


Anfang des Zirbelstieles von Petromyzonfluviatilis. Stärkere Vergröfserung. 

a Commissura posterior; man sieht die Entstehung des Gerüstwerkes des Zirbelnerven 
aus dem netzigen Spongioplasma, 

Ursprung des Parietalnerven (Nerv zum ventralen Bläschen) von Petromyzon fluviatilis. 
Gleiche Vergröfserung wie vorher. 

a Spongiöse Partie des Ganglion habenulae; 
b Gerüststreifen des Nerven. 

Sagittalschnitt durch die Scheitelgegend des Embryo von Lacerta agilis. Stärkere Ver- 
grölserung. 

a Epidermis uud Lederhaut; unterhalb letzterer ein Lymphraum; 
b Parietalorgan, noch unpigmentirt; 

ce Ganglion habenulae; aus ihm entspringt der Nervus parietalis: 
d Hintere Zirbel; 

e Teil der vorderen Zirbel; 

f Blutgefälse. 

Stück Gehirnsubstanz aus dem Embryo von Lacerta agilis, um zu zeigen, dals an den Stellen, 
wo Nerven aus der Punktsubstanz entspringen, sich immer dieselben Verhältnisse im feineren 
Bau wiederholen, wie bezüglich des Ursprunges des Parietalnerven: Übergang des Spongio- 
plasma der Gehirnsubstanz in die Wandungen der Nervenröhren. 

Senkrechter Schnitt durch das Parietalorgan von Iguana tubereulata. Mälsige Vergrölserung. 
(Es wurde zu spät bemerkt, dafs der vordere Abschnitt des Organs auf der Zeichnung zu stark 
gewölbt erscheint Er sollte ebenso flach sein, wie es auf meinen früheren Abbildungen anderer 
Saurier dargestellt sich zeigt. Und es sei daher ausdrücklich erwähnt, dafs die entsprechende 
Figur 2 auf Tafel 14 bei Klinekowström in diesem Punkte richtiger ist.) 

Aus dem hinteren Teil des Parietalorgans von Iguana tuberculata, bei stärkerer Ver- 
grölserung, 

a Kapselmembran ; 

b der in einen Bindegewebsstrang umgewandelte frühere Nervus parietalis; 
ce Zellige Lage („Retina“); 

d Cutieularschicht. 

Stück des Deckenteiles der zelligen Auskleidung („Linse“) von Iguana tuberculata. Stärkere 
Vergrölserung. 

Sagittalschnitt aus der Scheitelgegend eines frühen Embryo von Iguana tuberculata. 
Mälsige Vergrölserung. 

a Lymphraum um das Parietalorgan: 
b Lymphraum um den Parietalnerven; 
ce Gehirndach. 

Aus der Scheitelgegend eines Embryo von Iguana tuberculata. Gleiche Vergrölserung 
wie Figur 22. 

a Zirbel; 
b ‚der zweite, hinter der Zirbel entspringende Nerv; 
ce Gehirndach. 


Tafel IV. 


Fig. 24, Kopf von Myxine glutinosa, auf welche sich auch alle noch folgenden Figuren beziehen. 


Längsschnitt, gering vergrölsert. 
a Die vermeintliche „Glandula pinealis“., 


Fig. 


Fig. 


. 25. 


26. 


27. 


ig. 28, 


Zr 


Wurzelstück der „Glandula pinealis“ für sich, im Längsschnitt. 
a Hirnoberfläche; 
b Bluträume; 
c Substanz der vermeintlichen Zirbel. 


Das gleiche Gebilde bei stärkerer Vergröfserung. 
a Schädelkapsel; 
b Zerklüftungsstreifen in der Substanz der scheinbaren „Epiphysis cerebri“; in ihr sind 
auch Lymphkügelchen zugegen; 
ec Bluträume, dadurch Zerlegung des anscheinenden Stieles in mehrfache Wurzeln. 
Ein anderer Fall, wie der anscheinende Stiel der „Glandula pinealis“ durch die Bluträume sich 
vermanichfaltigt. Geringere Vergrölserung, 
a Substanz der „Glandula pinealis“, mit Lymphkügelchen; 
b Bluträume; 
ce Gehirnoberfläche. 
Stelle der Schädelkapsel über der (nicht gezeichneten) Medulla oblongata. Mälsige Vergrölserung. 
a Schädeldach ; 
b Bindegewebe mit zahlreichen Blutgefälsen; nimmt den Platz ein, wo bei Petromyzon 
der Gefälsplexus liegt; 
ce Hinteres Ende der vermeintlichen „Glandula pinealis.“ 


Inhalts-Übersicht. 


15 Seite 
Balmortontunalis RR a is 
Aneuillapvulparisi a. 920 
Betromyzonstliuyistilis 922 
Myxinexslutinosaen er Vera a N oe 
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I 
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Jweierlei Arten des Parietalorgans 20207 
Parietalnerve zen 2.0 DE ee REED, 
Zitbelnervs.. Me ee ee Eon); 
Zum feineren Bau der Zirbel und Parietalorgane . . . 2 2.2...239 
Nebenschlauch des Zirbelbläschens . . . 2 2 2 2 2 2 22 22... 266 
ya phraunie ge > 6 
Nebenscheitelorgan m 2 2 N 968 
Scheitelfleck. —#Scheitelloch . 2 2 un 969 
Zur IDeutungis & DM de Se et ee > 2 


ErklärungSders Abbildungen. on 1 


Über bekannte und neue Uroeyeliden. 


Von 


Dr. Heinrich Simroth. 


Mit zwei Tafeln und acht Abbildungen. 


Meine früheren Arbeiten über die Nacktschnecken, die daraus erwachsenen Beziehungen 
zu Herrn Heynemann, die späteren zum Berliner Museum, haben es mit sich gebracht, 
dals wohl vom tropisch-afrikanischen Nacktschneckenmateriale mehr durch meine Hände ge- 
gangen ist, als durch die eines anderen Malacologen. Dies schicke ich voraus, um nicht 
unbescheiden zu erscheinen, wenn mich meine Erfahrungen zur Kritik fremder Angaben 
veranlassen. 

Mir ist recht wohl bewulst, dals die bisherigen Resultate nicht über den Rahmen der 
allgemeinen Anatomie und Topographie hinausgehen, dals sie erst die Grundlage schaffen 
sollen für die geographische Gliederung und vielleicht für die phylogenetischen Verhältnisse 
unserer Tiergruppe im schwarzen Erdteil. Der interessantere Teil des Werkes, welcher den 
ursächlichen Zusammenhang der eigenartigen Schöpfung, die an Reichhaltigkeit der Formen 
und an Besonderheit der feineren Anpassungen den Gehäuseschnecken derselben Provinz bis 
jetzt sicher überlegen zu sein scheint, vielleicht dereinst aufdecken wird, liegt auf dem 
Gebiete der mikroskopischen Anatomie, bzw. der Histologie. Aber dafür ist vorderhand 
noch reichlicheres und besonders gut konserviertes Material abzuwarten; noch sind ja 
manche Arten, selbst Gattungen, Unica, die geschont werden müssen. Immerhin bieten eine 
Anzahl Tiere aus unseren west- und ostafrikanischen Kolonien, welche mir neuerdings vom 


Berliner Museum zur Bearbeitung zugingen, sehr interessante neue Thatsachen in jeder der 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 36 


a 


angedeuteten Richtungen; ältere Vorräte aus der Senckenbergischen Sammlung erlauben 
Korrekturen früherer Ansichten. 
Ich gebe zuerst die Beschreibung der Novitäten, bzw. der neuen Fundorte, um dann 


einige allgemeine Bemerkungen anzuknüpfen. 


Familie Urocyclidae. 


Afrikanische Nacktschnecken von limacoidem Habitus mit Schwanzdrüse. 


Genitalorgane mit Patronenstrecke oder Epiphallus. 


Die Diagnose ist hier so weit eingeschränkt, dafs der Kalksäcke gar nicht gedacht ist. 
Vermutlich ist die Erweiterung deshalb korrekt, damit auch das Genus Phaneroporus in der 
Familie Platz hat. Denn es ist doch wohl anzunehmen, dals auch diese Gattung, die ihrem 
ganzen Habitus nach hierher gehört, in wirklicher Verwandtschaft zu den übrigen Formen 


steht, daher ich sie nicht mehr zu den Limaciden rechnen möchte. ! 


A. Ost-Afrika. 


l. Genus. Atoxon Simroth. 


1. Atoxon lineatum Simroth.? 


Wateriki-Hügel. 1 St. Berliner Museum. Öse. Neumann leg. 


Es könnte auffallen, dafs eine schon bekannte Atoxon-Art von einem neuen Fundorte 
vorliegt. Denn gerade bezüglich dieser Gattung konnte ich mich der Thatsache nicht ver- 
schlielsen, dafs von Ort zu Ort das Kolorit wechselt, doch so, dals jede Lokalität eine deut- 
lich charakterisierte Zeichnung oder Färbung hat, ja, ich sah mich gezwungen, bei dem 
Mangel aller Anhänge an den Geschlechtsendungen die Arten geradezu, wenigstens vorläufig, 
auf die Färbung zu gründen. Da ist es denn gewils erfreulich, dals das jetzt besprochene 
Individuum zu der einzigen Species gehört, die auch schon früher an mehreren Fundorten 
gesammelt wurde, also bis jetzt allein eine weitere Verbreitung besitzt. 

Das Tier stimmt im Äufseren vollständig mit den früheren überein (etwa 1. c. Taf. I, 


Fig. 9 D), so dafs ich auf die Sektion verzichtet habe. 


ı Simroth, Beiträge zur Kenntnis der portugiesischen und der ostafrikanischen Nacktschnecken- 
Fauna. Diese Abhandlungen. 1894. 
2 Simroth, Nacktschnecken. In: Deutsch-Ostafrika, Bd. IV. Mit 3 Tafeln. Berlin 1895. 


II. Genus. Triehotoxon Simroth. 


Die neuen Vorkommnisse erweitern den Begriff der Gattung in ganz ungeahnter 
Weise, einmal in Bezug auf Länge und Zahl der Liebespfeile, welche alles Bekannte weit 
hinter sich lassen, sodann in der Beschaffenheit eben dieser Pfeile. Diese ändert nämlich 
so weit ab, dals selbst der eigentliche Gattungscharakter, den ich im Namen ausgedrückt 
habe, ! hinfällig wird. Denn bei der einen Form fehlt den Pfeilen der eigentliche Besatz mit 
Conchiolinhaaren; und ich würde kein Bedenken tragen, wegen gleichzeitiger anderweitiger 
Abweichungen, zum mindesten ein neues Subgenus aufzustellen, wenn nicht eine andere neue 
Species zwar ebenfalls eine aulserordentlich erhöhte Zahl von Pfeilen trüge, aber mit einem 
Haarbesatz, der in seiner Abweichung noch dazu Aufschluls über die Entstehung giebt. So 
sind verschiedene Übergänge vorhanden, welche mich veranlassen, die Arten in einer nicht 
weiter geteilten Gattung zusammen zu belassen, welche eine veränderte Diagnose bekommen 
muls. Sie lautet: 

Urocyeliden mit einem kleinen kugligen und einem schlauch- 
förmigen Kalksack (flagellum) am Epiphallus und mit einem 
mächtigen Pfeilsack, welcher eine Anzahl bleibender, langer 


Liebespfeile birgt. 


2. Trichotoxon robustum n. p. 
Taf. I, Fig. 23. Taf. II, Fig. 15, 


Kilimandjaro. Zwischen 1200 und 2700 m. 2 St. Berliner Museum. Volkens leg. 


Corpusmagnum, robustum. Dorsum in tota extensione carinatum. 
Porus pallii angustus. Genitalia multis (quatuordecim?) hastis 


amatortıs nudıs inserueta. 


Zu den Tieren bemerkt Volkens: „Weilse Nacktschnecke, zwischen 1200 und 2700 m 
häufig gesehen, besonders in der Kulturregion zur Regenzeit. Ging den europäischen Ge- 
müsen eifrig nach. Mai 1594.“ 

Diese Art ist meines Wissens die verbreitetste unter allen Afrikanern, daher ihr der 


Name passen dürfte. 


ı Simroth, Beiträge zur Kenntnis der Nacktschnecken. Noya acta Leopold. LIV. 1889. 
36* 


Das Äufsere. Ich weils nicht, inwieweit die Farbenbezeichnung, die Volkens 
giebt, wörtlich zu nehmen ist. Vermutlich soll wohl „weils“ blols „blals“ bedeuten, etwa 
wie die Grundfarbe bei hellen Limax maximus einereus. Doch kann auch der Mangel an 
allem Pigment darunter verstanden werden, wie bei L. maximus Harreri; es bleibt aber auch 
die völlig verschiedene Möglichkeit, dals ‘es sich um ein weilses Secret handelt. Die Ent- 
scheidung lälst sich an den konservierten Tieren nicht treffen; man muls sich auf die Be- 
obachtung der lebenden vertrösten. Im Alkohol sehen sie hellgrau aus, etwa wie Hellix 
pomatia. 

Das eine Exemplar (Taf. II, Fig. 1) mals 10 em und war, wie man an der Abbildung 
sieht, aufserordentlich dick und massig; das andere von 8,3 em Länge hatte etwa die Ver- 
hältnisse eines derben Limax in Alkohol. Wahrscheinlich waren beide erwachsen und in 
Copula gefangen (s. u.). 

Die Formverhältnisse sind die gleichen, wie bei den früher ‚beschriebenen 
Arten, der Umfang des Mantels, seine beiden hinteren seitlichen Ausschnitte, die Lage des 
Athemlochs, der über die ganze Länge des Rückens ziehende Kiel, die Schwanzdrüse, die 
dreiteilige Sohle, an der das locomotorische Mittelfeld sich durch deutliche Furchen aberenzt, 
aber kaum durch hellere Färbung absticht. 

Betonen möchte ich aufser dem scharfen, bis zum Mantel reichenden Kiel als charak- 
teristisch das enge Mantelloch; bei dem grolsen Exemplar (Taf. IL, Fig. 1), ist es nur wie 
ein Nadelstich, beim kleineren läfst es sich zwischen den umgebenden Runzeln überhaupt 
nicht mehr nachweisen. Auf keinen Fall dürfte es sich noch beträchtlich erweitern 
können, je nach dem Feuchtigkeitszustande der Luft, d. h. doch wohl bei trocknerem 
Wetter. 

Die Skulptur des Mantels besteht, wie man an derselben Figur sieht, aus unregel- 
mälsig polygonalen Feldern, die durch Rinnen geschieden sind; eine stärkere Längs- 
streckung oder gar eime Kielung war nicht vorhanden. Anf dem Rücken die üblichen 
Furchen. 

Wieder aufnehmen möchte ich an dieser Stelle die Frage nach dem Geruchs- 
werkzeug. Jene Leiste, welche ich zuerst und in stärkster Ausbildung bei Parmacella 
fand und in schwächerem Grade, oft nur angedeutet, bei vielen Nacktschnecken u. a. wieder 
zu finden glaubte, deutete ich wegen des Reichtums an Ganglienzellen als Osphradium, bzw. 
Geruchsleiste. Die Nervenzellen entsprechen nicht jenen kleinen im Ganglion der Fühler- 


Knöpfe und der Lippenfühler, wie sie neuerdings von verschiedenen Seiten beschrieben 


sind, ° welche gleichzeitig den terminalen Sinneszellen entsprechen und die ein kaum sicht- 
bares Protoplasma um den Kern haben: sie sind vielmehr den ächten Ganglienzellen des 
Schlundringes an die Seite zu stellen, welche sich durch gröfseren Umfang und reichlicheres 
Protoplasma unterscheiden. Nun ist es auffallend genug, dafs nur noch an einer peripherischen 
Stelle des Schneekenkörpers derartige Nervenzellen vorzukommen scheinen. Diese ist, um 
bei den Pulmonaten zu bleiben, das Lacaze’sche Organ oder das Osphradium der Basom- 
matophoren. Eine Verschiedenheit besteht nur insofern, als bei den letzteren das Organ 
ein eingestülpter, vom Ganglion umfalster Blindschlauch ist, bei den Stylommatophoren, 
bez. Parmacella, eine Leiste unter der Mantelkappe, die sich bis über die Körpermitte nach 
links hinüber erstreckt, wo sie insofern blind endiet, als die in sie eingedrückte Längsrinne 
nicht allmählich ausläuft, sondern wallartig umfalst wird. Die Innervierung ist bei beiden 
Organen dieselbe, ebenso die Lage, wenn man den Eingang vor dem Athemloch als Anfang 
nimmt. Die Difterenz kommt auf dieselbe hinaus, welche das Osphradium in verschiedenen 
Prosobranchienfamilien zeigt, als Trichter bei den Heteropoden, als bandförmige Leiste mit 
Rinne bei den meisten übrigen. 

Als nun Plate in der Testacellenlunge eine Leiste fand mit Sinneszellen und darauf- 
hin meine Interpretation zurückwies, glaubte ich wenigstens für Parmacella meinen früheren 
Standpunkt behaupten zu sollen.” Mir scheint aber, dals er sich noch weiter begründen 
lälst. Pelseneer? läfst als Ophradium bei den Pulmonaten dreierlei gelten, als ausgebildetes 
das von Testacella, als rudimentäres, was Sarasin’s bei erwachsenen Helix beschrieben 
haben, endlich jene embryonale von Mifs Henchman bei Limax maximus gefundene Ein- 
stülpung am Mantelrande, die mit einem Abdominal-, bez. Visceralganglion verbunden ist. 
Mir will es scheinen, als wenn diese Einstülpung* am Eingange der Mantelhöhle recht wohl 
auf die Geruchsleiste sich beziehen liefse und in der weiteren Entwicklung sich dazu um- 


wandeln möchte. Dazu kommt schliefslich, dals ich von anderer Seite erfahre, eine Wieder- 


ı Vgl. Retzius, Das sensible Nervensystem der Mollusken. In: Biolog. Untersuchungen. N. F. 
IV, 2. Stockholm 1892. Samassa, Über die Nerven des augentragenden Fühlers von Helix pomatia 
In: Zoolog. Jahrb. Abt. f. Anat. VI. 1894. Nabias, Recherches histol. et organolog. sur les centres 
nerveux des Gast6ropodes. Bordeaux 1894. 

: Semper, Reisen im Archipel der Philppinen. Landmollusken, 2. Nachtrag, herausgeg. von 
Simroth. 1894, Pag. 74. 

3 Pelseneer, Recherches sur divers Opisthobranches, 1884. Pag. 113. 

4 Annie P. Henehman, The origin and development of the central nervous system in Limax 


maximus. In: Bull. Mus. compar. Zool. XX. Cambridge 1890. Fig. 104. 


— 286 — 


aufgenommene vertiefte Untersuchung meiner Angaben habe zu deren vollständiger Bestäti- 
gung geführt. 

Alles dies stelle ich deshalb zusammen, weil gerade die vorliegenden Afrikaner die 
Geruchsleiste, auf deren histologische Analyse ich mich hier natürlich nicht einlassen kann, 
sehr deutlich zeigen, ja selbst Spuren der Einstülpung werden wir noch antreffen. Bei un- 
serer Art ist das Ophradium eine helle, wellig gebogene Leiste (Taf. II, Fig. 3g), welche 
vom Vorderrande des Pneumostoms im Winkel zwischen Nackenhaut und Mantelkappe eine 
Strecke weit nach links sich verfolgen läfst, ungefähr soweit es in der Figur sichtbar ist. 
Sie klingt allmählich aus, ohne sich am Ende umzubiegen. Die welligen Ränder erinnern 
beinahe an das Osphradium oder die Nebenkieme der Prosobranchien. 

Noch ist vom Äufseren der Verschiebungen zu gedenken, welche durch die Aus- 
stülpung der Genitalenden erzeugt sind. Das, was in Fig. 1 neben dem Kopf, 
an dem man die grolsen und kleinen Fühler, sowie die Schnauze mit der Radula wahrnimmt, 
rechts hervorragt, ist die Wand des gewaltigen Atriums, und die Zunge, die deren Spitze 
bildet, ist eine senkrecht gestellte Lamelle in dem Eingange zum Pfeilsack. Fig. 2 macht's 
klarer. Zunächst sieht man die starke Verdrängung des Kopfes und vorderen Sohlenendes 
nach links; die Körperaxe wird vielmehr vorn beinahe durch die Geschlechtsöffnung, nicht 
durch die Schnauze bestimmt. Die Wand des Atriums ist mächtig aufgetrieben; man bemerkt 
an ihr zwei Öffnungen, eine seitliche (2), im Eingang zum Penis, und eine weite Einsenkung, 
welche durch die vorragende senkrechte Zunge in zwei Felder geschieden wird. Jederseits 
von ihr liegen eine Anzahl einzelner kleinerer Löcher (für die Liebespfeile); unten spaltet 
sie sich und läfst einen anderen Eingang frei (?), welcher in den Blasenstiel und 
Oviduet führt. 

Anatomie. Von den allgemeinen Verhältnissen ist wenig zu sagen, da sie mit 
Bekanntem übereinstimmen. Die Leibeswand neben dem Magen war durch Dehnung ver- 
dünnt, dahinter wird sie bedeutend stärker. Die beiden Lebermündungen lagen am 
Darm um reichlich 1,5 cm von einander entfernt. Die Blätter der Niere waren an der 
Decke sehr hoch und derb, auf dem Boden traten sie nur im vorderen Umkreis über. Das 
Athemgewebe der Lunge war namentlich am Boden kräftig und dieht maschig aus- 
gebildet, dem riesigen Tiere entsprechend. Der robuste Bau, der durch die ganze Schnecke 
ging, liels alle sonst so nebensächlich erscheinenden Mesenterialbänder sich in einzelne 
Bindegewebszüge, Muskelbündel, Gefälse ete. differenzieren. Die dickwandige Arteria cepha- 


lica war in der vorderen Hälfte reichlich noch einmal so stark, als hinten nach dem Herzen 


zu. Vorn fiel ein kräftiger Ast auf, der sich auf der Unterseite des Pfeilsacks verzweigt 
(Fig. 4 ar). 

Die riesig entwickelten Genitalien (Fig. 4) liefsen manche sonst weniger beach- 
teten Einzelheiten auf den ersten Blick hervortreten. Am Spermoviduet war der männliche 
Antheil oder die Prostata kräftig ausgebildet. Der losgelöste Eileiter (od) hat lockere 
Wandungen, nur das distale Ende, wo es mit dem Blasenstiel zusammenstöfst, ist ein ovaler 
derberer Abschnitt (s. u.). Wahrscheinlich kommt er bei der Eiablage in Betracht. Der 
umgebogene Zipfel des Receptaculums (rec) kehrt auch bei anderen Arten wieder, hat also 
irgendwelche, wahrscheinlich ontogenetische Bedeutung; die untere spiralförmige Anschwel- 
lung des Blasenstiels steht zur Copula in Beziehung. Die ähnliche distale Anschwellung des 
eylindrischen Penis setzt einen wesentlichen Unterschied, denn sie ist bei der Paarung aus- 
stülpbar und enthält die Glans. Der Penisretractor (rp) kommt vom linken Rande des Dia- 
phragmas oder Lungenbodens. Der etwa 3 cm lange Pfeilsack (pf), in Fig. 4 nach vorn 
zurückgeschlagen und von der Unterseite sichtbar, ist die Verlängerung des kurzen weiten 
Atriums nach hinten, von einem gemeinsamen fortlaufenden Contour umschlossen, so dals 
der Penis rechts vorn und oben, Oviduet und Blasenstiel aber zusammen vorn und unten in 
der Mittellinie einmünden. Die letztere Mündung liegt etwas weiter nach hinten als die 
erstere. Eigenartig ist die Verbindung des Penisschlauches mit dem Pfeilsack. Denn wo 
sich sein distales Ende auf dessen vordere Umgrenzung hinaufschlägt, in die Wand eindringt 
und mit ihr verwächst, da bleibt ein ringsumschlossener Spaltraum in der Wand, nach Art 
einer Gelenkkapsel, mit glatten Wänden, anscheinend ohne jede Kommunikation mit der 
primären Leibeshöhle:; er liegt also zwischen der vorderen äufseren Wand des Pfeilsacks 
und der medialen des vorderen Rutenendes. Da ich ihn bei verschiedenen Trichotoxon kon- 
stant wieder getroffen habe, so muls er eine gewisse Bedeutung haben, wohl bei der Aus- 
stülpung der Genitalien. Eine bestimmte Vorstellung habe ich nicht gewinnen können (S. u.). 

Beim Eröffnen der Organe ergiebt sich zunächst der Pfeilsack als ein im Grunde 
doppeltes Gebilde: ein senkrechter Spaltraum geht durch ihn hindurch, der sich am Boden 
nach beiden Seiten verbreitert. Es sind also gewissermalsen der gemeinsamen Umhüllung 
zwei Pfeilsäcke an den oberen Seitenwänden eingefügt. Verfolgen wir zuerst die Pfeilsäcke 
und dann den Spaltraum am Boden! 

Als ich den ersten, wie ich glaubte, einzigen Pfeilsack eröffnete, fand ich zwischen 
den massenhaften Längsmuskelbündeln, die ihn aufbauen, eine Menge zerbrochener Pfeil- 


stücke. Sie deuteten zusammen auf wenigstens sechs Pfeile und malsen über 20 em in toto. 


— 28 — 


Da hierbei nur zwei Spitzen zu finden waren und das längste zusammenhängende, der Spitze 
entbehrende Stück, ohne Berücksichtigung seiner schwachen Krümmung 2,62 cm milst, so 
müssen wohl auf jeden Pfeil reichlich 3 cm kommen. Leider scheint es, als wenn die 
Zerbrechungen bereits bei der krampfhaften Contraction im Alkohol geschähen; Klarheit 
kann man erst erhoffen, wenn man im Wasser erstickte und dann konservierte Tiere be- 
kommen wird. In Folge der Manipulationen waren die Pfeile im zweiten Pfeilsack (bezw. in 


der anderen Hälfte) noch viel mehr zerbröckelt; alle Fragmente zusammen ergaben 43 bis 


44 cm Pfeillänge!! Eine 
genaue Bestimmung im 
Einzelnen ist aber leider 
unmöglich, da die meisten 
Spitzen durch früheren 
Gebrauch verloren ge- 
gangen sind und Muskel- 
bündel und Pfeile ein 
gleichmälsiges Durchein- 
ander bilden, ohne wei- 
tere Gruppierung und Ord- 
nung. Die Vorderwand 
jedes Pfeilssacks stellt 


eine Art Siebplatte dar, 


deren einzelne Öffnungen 
Textfigur 1. für die Pfeile bestimmt 

Pfeilstücke von Triehotyxon robustum. sind (Fig.2). Beide Platten 
a Wurzelstück, ce am weistesten nach der hängen in der Mitte oben 


Spitze zu. Vergr. Hartn. 3. IV. . 5 5 ; 
zusammen ın eımer vVOor- 


springenden senkrechten Leiste oder Zunge (s. 0.), bezw. sie bilden ein Siebfeld, das durch 
eine Leiste halbiert ist. Leider lassen sich auch die Löcher der Siebplatten nicht zu einem 
sicheren Schluls auf die Anzahl der Pfeile verwerten, da gelegentlich mehrere sich in eine 
gemeinsame Vertiefung zurückgezogen haben. Ich schätze die Summe der Pfeile auf 12 bis 16. 

In der Form stimmen nun die Pfeile mit denen überein, die ich früher von der Gattung 
in der Anzahl von 4 und 6 beschrieben habe, wenigstens im allgemeinen, sie sind vielleicht 


etwas schlanker; jedenfalls ist es die Spitze, die im Übrigen ebenso kantig zugeschärft ist. 


Ein wesentlicher Unterschied liegt aber in dem Mangel des Haarbesatzes, den ich als Cha- 
rakteristieum der Gattung betrachtet habe. Der Pfeil ist zunächst ein schwach gebogener 
Kalkstab, an und in welchem Längslinien auf eine Verschmelzung oder Splitterung deuten. 
Nachher aber lagert sich auf dem platten Stabe noch allerlei Kalk in unregelmälsigen Formen 
ab, dick wulstig an der Wurzel, dann z. T. in regelmälsigen Calcosphaeriten (Textfig. 15), 
ebenso aber auch eckig, ja sogar durchbrochen brückenartig (e). Es ist wohl anzunehmen, 
dals diese Rauhigkeiten ebenso als Reizmittel dienen, wie die Conchiolinbürste früher be- 
schriebener Arten. 

Der Spaltraum. Auf der Basis des Atriums zwischen den Pfeilsäcken erhebt sich 
vorn eine mediane Längsfalte, von wechselnder Höhe, so dals der obere Contour eine Sichel 
bildet, nach oben konvex. Zu beiden Seiten derselben bildet die Wand zartere Längsfalten, 
nicht genau parallel, sondern etwas gegen die Hauptfalte nach vorn konvergierend. Sie 
gehen nach der gemeinsamen Öffnung von Oviduet und Blasenstiel, dringen aber nur in 
den letzteren ein und hinauf; in seiner Spindelanschwellung (s. 0.) wechseln höhere und 
niedere Längsfalten mit einander ab. Das Receptaculum selbst 'hat senkrecht dazu ge- 
stellte, fein gekräuselte, drüsige Ringfalten; es sitzt diek voll Schleim, ohne Spur einer 
Spermatophore. Der untere verdickte Abschnitt oder Oviduct (s. 0.) hat die ganze Wand 
voll feiner, dicht gekräuselter drüsiger Längsfalten:; hinten central mündet in ihn der eigent- 
liche Eileiter mit verschlossenem, scharf abgesetzten Ostium. Ist wohl der unterste Abschnitt 
eine Schalendrüse ? 

Der Penis ist in der oberen Hälfte ein enges cylindrisches, diekwandiges Rohr, in 
der unteren liegt als dessen Verlängerung eine komprimierte Glans (Taf. IL, Fig. 5). Wie 
die Figur zeigt, wird sie ausgestülpt, indem die Wand sich umkrämpelt. Die Glans, mit 
dem Öffnungsspalt nahe der Basis, hat eine eigentümlich gewundene Oberfläche, wie Hirn- 
windungen. Blofs über dem Schlitz bleibt ein glattes Halsband, dem sich das Relief des 
Stieles anpalst. Die Wand des Penisschlauches aber ist rauh von dicht gestellten kleinen 
Kalkkörperchen, die bei stärkerer Vergrölserung (Taf. I, Fig. 23) eine komplizierte Gestalt 
aufweisen. Auf einem Stiel sitzt mit erst noch eingeschnürtem Hals eine Art Kelle mit 
vorspringenden Seitenecken. An den Hautstückchen sind die meisten abgebrochen und nur 
zwei erhalten geblieben. Sie wirken wohl als Reiz- oder Haftorgane mit, während die Glans 
durch die Falten in den Blasenstiel geleitet wird. 

Bedenkt man, dafs von den Kalksäcken, zum mindesten von den kleineren oberen, 


blendendweils gefärbten noch feine Kalkabscheidungen für die Spermatophore geliefert werden, 


Abhandl. d. Senckenb naturf. Ges. Bd. XIX 37 


=.’ 


so ist der Kalkverbrauch bei der Copula unserer Schnecke für die Pfeile, die Peniswand und 
die Patrone ein wahrhaft erstaunlicher. Wahrscheinlich kommt noch ein solcher für die 


Eischale hinzu. 


3. Trichotoxon Neumanni n, sp. 
Taf. II, Fig. 6—8. 


Kwa Kitoto. Ostafrika. 2 St. Berliner Museum. Osc. Neumann leg. 


Forma praecedenti similis, minus robusta. Dorsum postice cari- 
natum. Porus pallialis apertus. Octodecim hastae amatoriae 


nudae radieibus inerassatis. 


Die beiden Tiere sind offenbar in Copula gefangen. Das eine, 5,15 cm lang, hatte 
das Atrium und die Siebplatte der Pfeilsäcke aufsen (Taf. II, Fig. 6 und 7), das andere war 
47 em lang mit eingezogenen Genitalien, ersetzt aber die mangelnde Länge durch ent- 
sprechende Dicke. 

Die äufseren Unterschiede gegen die vorige Art sind etwa die folgenden: 

Die Grundfarbe ist etwas dunkler, lederbraun, einzelne Flecke von schwarzem Pigment 
liegen grau auf Mantel und Rücken: und wenn dieses nach früheren Erfahrungen kein Kri- 
terium ist, wegen des Vicarirens von Pigment und Kalk, so wird doch hier das Vorwiegen 
des Farbstoffes durch die Sohle sichergestellt; deren Seitenfelder sind deutlich dunkler als 
die Mitte. Der Rückenkiel ist nur in der hinteren Hälfte deutlich, nach dem Mantel zu 
löst er sich in einzelne Runzeln auf und verschwindet dann, und zwar um bei dem einen 
Fxemplar einer schwärzlichen Kiellinie Platz zu machen. Das Mantelloch ist bei beiden 
relativ weit offen, ein Oval von mehr als 2 mm Länge, durch die Schale ausgefüllt. 

Die Skulptur des Mantels besteht ebenfalls in polygonalen, oft etwas in die 
Länge gestreckten Runzeln, von scharfen Furchen umrissen, in der Mitte oft etwas (durch 
Drüsenentleerung?) vertieft, so dals sich die Ränder scharf und wulstig gegen die Furchen 
pressen. Ähnlich auf dem Rücken, wo die Rinnen gleichfalls von höheren Wällen scharf 
umsäumt werden. 

Das ausgestülpte Atrium zeigte auch hier die Siebplatte mit der senkrechten, etwas 


- 


gebogenen Mittelleiste, die sich unten spaltet (Fig. 7), um den Eintritt zum Receptaculum 
und Eileiter frei zu halten. Leider waren auch hier genaue Zählungen der Pfeilöffnungen 
nicht thunlich, so dals trotz sicherer Bestimmung der Pfeilzahl zwischen beiden keine klare 


Übereinstimmung zu finden war. 


29 


Im Inneren, wo nur die Fühlermuskeln geschwärzt waren, lagen die Verhältnisse 
ähnlich, wie bei der vorigen Art, wobei allerdings ein eigentümlicher, vielleicht ganz neben- 
sächlicher Unterschied herrschte. Während nämlich bei Tr. robustum der Epiphallus mit 
dem langen zweiten Kalksack oder dem Flagellum sich, wie gewöhnlich, nach oben und 
links über den Vorderdarm geschlagen hatte, waren die Teile hier ganz 
nach rechts und unten geraten, bis wieder unter den Pfeilsack hinüber. 
Wahrscheinlich herrscht hier bei der Retraktion nach der Copula eine 
Art Freiheit im Situs, deren Ursache zunächst noch ganz dunkel ist. 
Der Pfeilsack war bereits über 2 cm lang. In dem Receptaculum von 
gleicher Form war zwischen vielem Schleim ein einziger Patronenrest 
zu finden, die dickere Spitze der Hülle, meiner Meinnung nach ein 
Beweis für schnelle Auflösung und wohl auch Resorption der Conchiolin- 
kapsel, welche die Spermatophore bildet. ! 

Der Penis zeigte deutlich die seröse geschlossene Kapsel 
zwischen seiner Wurzel und dem Pfeilsack, die glatte Innenwand mit 


einzelnen schwachen Falten. 


Die Glans (Fig. 8) war stärker komprimiert, als bei Tr. ro- 
bustum, namentlich aber hatte sie an Stelle der Reliefwindungen nur 
ein System einfacher, schwach gebogener Längsfalten. Die Innenwand 
des Penisschlauches war rauh, wie feines Sandpapier; übrigens war sie 
deutlichst wieder von einem zweiten, lockeren, weit abstehenden äulseren 
Cylinder umgeben. 

Um wenigstens an einem Beispiel Klarheit über die Zahl der 


Pfeile zu erhalten, opferte ich den Pfeilsack, indem ich ihn in Kali- 


lauge kochte. Es kamen reichlich 50 Fragmente heraus, unter denen Textfigur 2, 

18 verdiekte Wurzeln (Textfig. 2) hervortraten. Sie sind nieht ganz Pfeilwurzel von Tricho- 
; toxon Neumanni, 

so derb, wie bei der vorigen Form; dunkle Pigmentkörner finden sich Vergr. Hartn. 3. IV. 

in der ganzen Länge des Pfeiles. Die schlanke Spitze hat eine scharfe, hie und da gesägte 


Schneide; sonst aber wird der Schaft bald über der Wurzel glatt. Daraus folgte die Un- 


 Untersttitzt wird die Annahme rapider Patronenauflösung durch die Thatsache, dals ich bei dieser 
Gattung niemals eine Spermatophore antraf, sondern höchstens Reste von solchen, trotzdem dafs die Aus- 
stülpung des Atriums wiederholt auf Paarung beim Fang deutete und der Verlust der Pfeilspitzen auf vor- 
hergegangene. 


36* 


— 292 — 


möglichkeit, über einen etwaigen Bortenbesatz klar zu werden. Zur Entscheidung mulste 
dem zweiten Exemplar ein Pfeilstück entnommen werden; auch dies war ohne Überzug. 
Somit steht die Art zwar der vorigen nahe, ist aber durch eine Reihe feinerer Züge, nament- 
lich die höhere Zahl der Pfeile, gut charakterisiert. 


Vergl. hierzu den Nachtrag. 


4. Trichotoxon athrix n. sp. 
Taf. II, Fie. 9. 


Pori Mangati Ufirmi. 2 St. Berliner Museum. Öse. Neumann leg. 


Praecedentibus similis. Porus pallii magnus. Multae hastae 


amatoriae non incrassatae. 


Das eine Stück von 5,2 cm Länge ist sehr robust, das andere von kaum 4 cm etwas 
schlanker. Das letztere ist bis zum Mantel gekielt, das gröfsere blols hinten. Das Mantel- 
loch ist bei beiden weit offen, wie bei Tr. Neumanni. Die Pigmentierung ist, besonders 
beim kleineren, etwas kräftiger; sie äufsert sich in den dunkleren Seitenfeldern der Sohle 


und in einem schwärzlichen Anflug des Rückens gegen den Kiel hin. 


Die Genitalien der grölseren Schnecke waren trotz deren Umfang noch nicht voll 
entwickelt. Da die Frage nach der Proterandrie und Proterogynie durch Babor und 
Montgomery neuerdings unter einen allgemeinen Gesichtspunkt gebracht ist, mögen die 
Einzelheiten erwähnt werden! Die Zwitterdrüse war grofs, strotzend von Spermatozoenbündeln 
und Eiern. Die Eiweilsdrüse ganz klein. Der Spermoviduct bandförmig eng, noch viel 
kürzer als vermutlich in voller Entwicklung. Penis nnd Epiphallus ziemlich lang, ähnlich 
den der vorigen Arten, aber viel lockerer aufgewunden. Das Receptaculum bereits reif, 
birnförmig, von definitiver Form. Der Pfeilsack grols und derb, von allen Teilen am 
weitesten vorgeschritten, etwa 1,5 em lang, vorn noch zu einem schlanken Atrium, das nach 
unten abbiegt, verjüngt. Die Pfeile waren so massenhaft, wie bei den vorigen Arten, die 
Zahl unbestimmbar. Da die Spitzen fehlten, waren sie jedenfalls schon in Gebrauch ge- 
wesen. Darauf deutete ebenso der Umstand, dals die Glans aus dem Penis ein wenig ins 
Atrium hereinragte. Auch dieses Paar scheint schon in Paarung begriffen gewesen zu sein 
beim Fang. Somit hätten wir trotz der Entwicklung der Eier eine gewisse Proteranderie, 
die sich äufsert in der vorgeschrittenen Ausbildung der bei der Copula verwendeten Organe 


Penis. Pfeilsack, Receptaculum, gegenüber kleiner Eiweilsdrüse. 


Die Länge der Pfeile war auf etwa 2 em zu schätzen, die fehlenden Spitzen einge- 
rechnet. Die schwach gebogenen Kalkstäbe waren sehr schlank und im Ansehen kaum von 
den Muskelbündeln zu unterscheiden, zwischen denen sie lagen. Es fehlte jeder Haarbesatz, 
aber auch jede Kalkauflagerung. Die Wurzel war gerade abgeschnitten (Fig. 9), der Pfeil 
parallellwandig. Er stak in einem Futteral von einem einschichtigen Epithel. Die Zellen 
waren eher flach als kubisch, mit grolsen Kernen, besonders deutlich in der mittleren Höhe 
an einer abgelösten Stelle, in der Figur oben. Nach der Wurzel zu wurde der Aufbau aus 
Zellen wohl durch Degeneration der Kerne unkenntlich, doch stak die Basis deutlich in 
einer Zellkappe, an die sich Muskelbündel ansetzten. 

Die Merkmale der Art liegen teils in der Kombination zwischen dem oftenen 
Mantelporus und dem im Alter beschränkten Rückenkiel, teils in der hohen Zahl, Schlank- 


heit und Glätte der Liebespfeile. 


5. Trichotoxon Volkensi n. sp. 
Taf. I, Rig. 21 und 22. "Taf. II, Eie, 19: 


Deutsch-Ostafrika. 3 St. Berliner Museum. Fischer leg. 


Eine nähere Ortsbezeichnung fehlt leider. Dennoch ist wohl anzunehmen, dals die 


Schnecken von einer und derselben Lokalität stammen, zusammen mit No. 6 (s. u.). 


Dorsum minus carinatum. Porus pallialis apertus. Multae hastae 
amatoriae setis instructae. 

Die drei Exemplare sind von verschiedener Grölse, 6,1 em, 4,5 em und 3,1 em lang. 
Die grölseren sind einfarbig lederfarben, der Kiel erreicht zwar den Mantel, wird aber vorn 
sehr schwach, kaum noch zusammenhängend. Der Mantel ist körnig, der Mantelporus bei 
allen dreien von mälsiger Grölse, beim zweiten ein schmaler Spalt, jedenfalls während des 
Lebens konstant. Das kleinste Tier (Taf. I, Fig. 21 und 22) ist durch die graue Stamm- 
binde interessant, die sowohl auf dem Mantel, wie auf dem Rücken sich deutlich abhebt, 
auf letzterem ihre Auflösung schon deutlich bekundend. Sie zeigt, dals das ganz präg- 
nante Uroceycelidenmerkmal auch dieser Gattung, die bisher nur in einfarbigen Formen vor- 
lag. in der Jugend zukommt. — Die eigentümlich schmutzige Lehmfarbe, die auf dem 
Körper anscheinend unmotivierte Flecke bildet und auf der Sohle die helle Stelle ebenso 
unmotiviert freiläfst, weils ich durchaus nicht zu erklären. Entweder hängt sie mit durchge- 


drungenen Leberpigmenten oder mit den noch so dunkeln, wechselnden Hautsecreten zusammen. 


ung 


Das Osphradium (Textfig. 3) ist etwas kürzer, als bei Tr. robustum, es ähnelt in 
der Form mehr dem von Parmacella, indem die Leiste sich vorn umbiegt und die Rinne 
abschlielst und etwas überdacht. Es entfernt sich ein wenig vom Anfangscontour der 
Kappe ete. Persönlich habe ich den Eindruck, als ob diese Form ganz der Einstülpung 
entspräche, welche A. Henehman von Limaxembryonen angegeben 
hat. Man könnte sich vorstellen, dals die Einstülpung, anstatt in die 
Tiefe zu gehen, sich flach zur unteren Manteloberfläche gestellt hat: 
ja. es ist vielleicht anzunehmen, dafs lediglich auf einer solchen Rich- 
tungsverschiebung der ganze Unterschied beruht zwischen trichter- oder 
schlauchförmigen und gestreckten bandartigen Geruchswerkzeugen bei 
Schnecken. 


Den Genitalapparat habe 


ich bei den beiden gröfseren Schnecken 


geprüft. Fr war schon bei der mitt- 


Textfigur 3. 
Rechte Hälfte der Mantel- Jeren so wenig entwickelt, dafs die 
kappe von Tr. Volkensi, 
von unten VErgT. 
Das Hinterende bildet 98 erschien. Bei dem gröfsten Tier 

schon die Umgrenzung j 
des Pneumostoms. (Textfig. 4) scheint Proterandrie aus- 


Untersuchung der kleinsten aussichts- 


gesprochen. Der Pfeilsack ist bei weitem am stärksten ent- 
wickelt. Das Tier mag wohl begattungsfähig sein. Die Art 
mag allerdings, völlig ausgewachsen, sehr kräftig werden. 
Man sieht übrigens auf dieser Stufe sehr gut (b), wie der 
Eingang zu den weiblichen Wegen zunächst direkt in den 


Blasenstiel gerichtet ist. Pfeile sind auch hier sehr viele 


vorhanden. Ihre Anordnung geht aus ce hervor, die Wurzeln 
liegen in einem unten offenen Bogen. Der einzelne Pfeil hat 


hier seinen Haarbesatz (Taf. II, Fig. 10), ähnlich wie Tr. 


Heynemanni und Martensi. Dort sind die Borsten stärker, 


ö j { i i Textfigur 4. 
dornenartiger. Die Spitze ist heller und zarter. Auch ihre Genitalapparat von Tr. Volkensi Na. 1. 


Entstehung liels sich aufklären. Wie bei der vorigen « von oben. db Pfeilsack von unten. 
Ye a j ü ü 2 E c Pfeilsack von hinten, e Eiweilsdrüse, 
Art, liels sich ein Futteral mit einem einschichtigen Epithel „,Epiphallus. % Flagellum. ospSperm- 
oviduet. ov Oviduct. p Penis. pf Pfeil- 
sack. rec Receptaculum. rp Penis- 
hängend kubisch, sondern sie berührten sich blols mit der retraetor. zd Zwitterdrüse. 


vom Pfeil abheben. Doch waren die Zellen nicht zusammen- 


u ee 


— 


Basis, während die langen Körper sich nach dem Pfeil hin zuspitzten und in Schrägstellung 
offenbar zwischen die Dornen passten. Diese letzteren sind Abscheidungsprodukte der Zellen, 
deren distales Ende zuerst und kräftiger das eutieulare Conchiolin secerniert, während die 
zarte Spitze zwischen den Basen der Zellen zuletzt erzeugt wird. Der Apparat lälst sich 
recht wohl dem Schmelzorgan vergleichen, das den Überzug der Radulazähne liefert, nur 
dals bei denselben Zelleruppen zusammenwirken. 

Die wenig entwickelten Geschlechtswerkzeuge der mittleren Schnecke 
(Textfig. 5) waren insofern von Interesse, als sie die Anlage des Pfeilsackes aufdeckten. An 
Aktionsfähigkeit war noch nicht zu denken, das Receptaculum noch ein enger Blindschlauch ete. 
Der Pfeilsack stellt eine flachgedrückte, wulstige Ausbuchtung des Atriums 
dar, er ist auf keinen Fall durch Abspaltung von einem einheitlichen Genital- 
schlauch entstanden. Von Kalk war noch keine Spur vorhanden. Unter dem 
Mikroskop erkannte man, so weit es die Dicke des Organs zuliels, allerlei 
Schläuche, bzw. Muskelbündel, die von vorn nach hinten zogen, allerdings 
noch vielfach in geschlängeltem Verlaufe. Auf eine nähere Untersuchung 
mufste aus Mangel an Material selbstverständlich verzichtet werden. Be- 
merkenswert ist immerhin, dals Pfeilsack wie Zwitterdrüse besonders arterien- 


reich waren, wie denn jedem Malacologen die Beobachtung geläufig sein wird, 


dals Zwittergang und Zwitterdrüse anfangs im Querschnitt hinter der be- 


gleitenden Arterie zurückstehen. Es handelt sich eben um besonders schnell 


wachsende, blutbedürftige Organe. 


6. Trichotoxon sp. 
Alır, 05 1a, Alıle 


Textfigur 5. Kwa Katsch. 1 St. Berliner Museum. Nenmann leg. 
Genitalapparat von 
Tr. Volkensi No. 2. Eine schlanke Schnecke von 4 em Länge, hart konserviert. Auf den 


Bezeichnungen wie M 
bei der vorigen 

Figur. zu thun, namentlich dem Oolarit zufolge. Im Inneren aber sind die Geni- 

I: erster Kalksack. 


antel kommen 1,7 em. Dem AÄulseren nach haben wir’s mit Trichotoxon 


talien noch absolut unentwickelt, so dals es unmöglich sein dürfte, bei dem 
Mangel an positiven Merkmalen in der Zeichnung ete., durch Fixierung der Form künftiger 
genauer Analyse bestimmt vorzuarbeiten. Somit ist auf Namengebung zu verzichten. 

Das Tier ist schmutzig grau, bezw. graubraun, hie und da, auf Mantel und Rücken, 


völlig unsymmetrisch, ein schwärzlicher oder grauer Fleck, scharf, aber ohne bestimmte An- 


— 296 — 


ordnung umschrieben. In der Sohle ist das Mittelfeld wesentlich heller, fast wie bei Limax 
maximus einereoniger. Dem relativ reichen Hautpigment entspricht das geschwärzte Kopf- 
mesenterium. Eigentümlich ist der Mantel (Taf. II, Fig. 11). Zwar in polygonale Felder 
geteilt, wie bei den vorigen Arten, verhält er sich doch insofern gerade entgegengesetzt, als 
die Felder wabig vertieft sind und an Stelle der trennenden Furchen erhabene, weilslich 
dichtpunktierte, somit wohl drüsige Leisten die Umgrenzung übernehmen. Wahrscheinlich 


hängt auch dieses Relief mit den uns noch unklaren Hautsecereten zusammen. 


Ill. genus. Leptichnus n. g. 


Diagnose bei der Art. 


6. Leptichnus Fischeri n. g. et n. sp." 
Taf. I, Fig. 711. 
Deutsch-Ostafrika. 1 St. Berliner Museum. Fischer legit. 
jetreffs dieser neuen und interessanten Gattung, welche sich mit No. 5 in demselben 


(lase befand, ist es besonders zu bedauern, dals eine nähere Angabe des Fundortes fehlt. 


Statura parva. Solea angustisssima. Intestinum non in pedem immersum. 
Duae taeniae principales in pallio et dorso. Porus pallialis apertus. 
Epiphallus duobus flagellis instruetus. 

Die Schnecke ist von allen Afrikanern ausgezeichnet durch parmarion- oder girasia- 
artigen Bau, der Intestinalsack ist nicht in den Fuls eingelassen, er reicht hinten nicht 
über den hinteren Mantelumfang hinaus; die Gattung ist sofort als solche gefordert. Alles 
übrige ist urocyelidenhaft, aufsen die dreiteilige Sohle, die Schwanzdrüse, der Mantelporus, 
die Stammbinde, im Inneren der Bau der (reschlechtsorgane mit der Kreuzung zwischen dem 
rechten Ommatophoren und dem Penis und mit den beiden Kalksäcken am Epiphallus ; kurz, 
es ist nichts vorhanden, was gegen die Zugehörigkeit zu den Urocycliden sprechen könnte. 
Auffallend ist höchstens das lange Horn über der Schwanzdrüse; es hängt wohl zusammen 
mit der schneidenartig scharfen Kompression des Schwanzes. Im Inneren bilden die beiden 
langen Kalksäcke oder Flagellen ein gutes Kennzeichen ; sie dürften, entsprechend wie bei 
Dendrolimax, ein Genuscharakter sein. 


ı Der Gattungsname ist gebildet aus Asnro:, schlank, und .'zvos, Fuls. Die Art ist ebenso wie No. 3 


und 5 zu Ehren des verdienten Sammlers benannt worden. 


— 2904 — 


Die Charakteristik der Art ergiebt sich aus der Beschreibung des einzigen Individuums. 

Das Tierchen (Fig. 7 und 8) ist 2,2 cm lang. Der Mantel, mit ziemlich grolsem 
Porus, reicht bis ans Ende des dritten Fünftels, also viel weiter, als bei den übrigen Uroey- 
eliden. Bis dahin ist der Körper durch die Eingeweide bauchig erweitert. Der Schwanz 
dahinter ist ganz komprimiert und scharf gekielt. Der Kiel hat vorn einen kleinen Aus- 
schnitt, in dem das Hinterende des Mantels ruht, ähnlich wie bei Parmacella und Girasia. 
Die Sohle ist dreiteilig und nach hinten stark verschmälert (man vergleiche etwa Fig. 8 
mit Fig. 22). Die Grundfarbe ist ockerig-grau mit einem Anflug von Terra de Siena-Roth; 
es überzieht die Seitenfelder der Sohle, besonders intensiv hinten; ebenso ist die Mitte des 
Rückens gedunkelt. Eine rotbraune Stammbinde ist auf dem Mantel wie auf dem Rücken 
scharf ausgeprägt. Beide Abschnitte sind nicht kontinuierlich, sondern die Rückenbinde geht 
seitlich auf die Ausweitung der Leibeswand über. (Die Diskontinuität dürfte gleichwohl 
blols eine spätere Erscheinung sein. Die Jungen haben vermutlich die Binde zusammen- 
hängend.) Auf dem Mantel ist durch eine Fleckenreihe eine äulsere Binde angedeutet, auf 
dem Schwanz eine innere neben dem Kiel. — Von Skulptur ist wenig zu sehen. Die 
Manteloberfläche ist feinkörnig, mit Andeutung einer konzentrischen Streifung, deren Mittel- 
punkt im wirklichen Centrum, also weit vor dem Porus liegt — wohl eine Folge von Muskel- 
faseranordnung. Auch die Seiten des Schwanzes sind fast glatt, höchstens schwach gekörnt: 
von einem Furchensystem, das vom Mantel ausstrahlt, ist gar nichts zu bemerken. — Das 
Ösphradium ist ähnlich ausgebildet wie bei Trichotoxon Volkensi, (Textfigur 3), noch ein 
wenig kürzer. — Die klaffende Geschlechtsöfinung hinter dem rechten Fühler beweist, dals 
das Tier erwachsen, zum mindesten fortpflanzungsfähig ist. 

Das Schälchen ist ziemlich vertieft, napf- oder mützenförmig, ancyloid, kalkig 
durchscheinend, am Rand mit stärkerer kreideweilser Kalkunterlagerung von unbestimmtem 
Umrifls; vorn links hat es einen mälsigen Conchiolinansatz, womit es am Boden der Schalen- 
tasche festgeheftet ist, wiederum ähnlich wie bei Girasia. 

Anatomie. Der Eingeweidesack ist hinten, d. h. unter dem Mantel, stumpf 
abgerundet, ein zweiter stumpfer Zipfel ragt in die Schalenvertiefung hinein, bez. treibt den 
Lungenboden nach oben vor. Die Beziehung dieses Zipfels ist aber durchaus locker, nicht 
so wie bei Parmacella etwa. Das Mesenterium ist hell, die Fühler sind goldbraun, also 
durchweg ein Mangel an Schwarz oder Melanin. Den Darm mit seinen Annexis habe ich 
nicht weiter verfolgt, um das Exemplar zu schonen; doch schien keine Differenz gegen 


Uroeyclus vorhanden, abgesehen von der stärkeren Zusammendrängung in die Breite; die 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 38 


— 293 — 


üblichen vier Darmschenkel waren zu sehen. — Die Niere war stark blättrig, die Blätter 
liefsen den Boden, der nach unten vorspringt, ziemlich frei. Die Lunge war innen so gut 
wie glatt, ohne vorspringendes Athemgewebe, dem geringen Umfange der Schnecke entsprechend. 

Die stark entwickelten Genitalien (Fig. 9) reichten relativ weit hinter, die helle 
Zwitterdrüse lag nahe dem Hinterende des Intestinalsacks, an dem der Zwittergang entlang 
lief. Besondere Endorgane fehlten, doch sind die typischen Teile durchweg charakteristisch. 
Die Eiweilsdrüse sehr grols; Spermoviduct mit starkem Eileiterteil. Der abgetrennte 
Oviduct lang, am Ende mit erweitertem, birnförmigem Abschnitt. Das Receptaculum 
kugelig und sehr lang gestielt; der distale Teil des Ganges schief abgesetzt, ein wenig 
erweitert. Auf das Vas deferens folgt ein schlanker, dünner Epiphallus, auf beiden Seiten 
begrenzt durch Kalksäcke, beide in Form enger, ziemlich langer Blindschläuche, von denen 
der proximale (Ai), welcher dem kleinen kugeligen ächten Kalksack der meisten Urocycliden 
entspricht, den anderen an Länge übertrifft. Beim distalen beginnt der Penis, ein langes 
eylindrisches Rohr, das nur ganz allmählich ein wenig anschwillt und nur am äufsersten 
Ende eine kurze spindelförmige Anschwellung zeigt, in der wahrscheinlich eine Glans sitzt. 
Das Penisrohr ist mit dem Epiphallus und den Flagellen schraubig zusammengedreht. 
Oviduet, Blasenstiel und Penis stolsen unmittelbar an der äufseren Geschlechtsöffnung zu- 
sammen, ohne eingeschaltetes Atrium genitale; selbst in dem Falle, dals seine Wand durch 
die Hervordrängung der Fndwege ausgeglichen wäre, konnte doch nur ein ganz kurzer 
Vorraum angenommen werden. 

Im Receptaculum sals eine zusammengedrehte Spermatophore (Fig. 10), deren 
langer Endfaden in den Blasenstiel reichte, in dessen Wand er fest verankert war. Seine 
Spitze trug eine schraubige Leiste feiner Sägezähne (Fig. 11), die als Widerhaken im Stiel 
salsen. Sie waren so zart, dafs sie im Canadabalsam verschwanden. Der Hohlraum ging im 
Faden bis dieht an die Spitze heran. Die Patrone war leer, Kalkkörperchen habe ich 
nicht bemerkt. 

IV. Genus. Uroceyelus Gray. 

Aus der Senckenberg’schen Sammlung kamen mir zwei Urocyclus zu, ein riesiger 
U. comorensis und ein zarter schlanker U. vittatus, beide von Mayotte. Da es sich also 
um insulare Formen handelt, zwischen dem Festlande und Madagaskar, so benutzte ich die 
Gelegenheit, um wenigstens die grolse Schnecke auf ihre Genitalendorgane anzusehen, in 
der Absicht, neue Anhaltspunkte für die Bedeutung der Pfeildrüse, ob Drüse, ob Penis, 


zu finden. 


F 


Textfigur 6. 
Genitalenden von Uroceyelus eomorensis; in b die 
Pfeildrüse und das Atrium eröffnet. at. Atrium 
genitale. f. Kummetfalte der Pfeildrüse. gl, Glans 
penis. m. Endmuskel, mı Seitenmuskeln der Pfeil- 
drüse. m.a. Retractor atrii. ov. Oviduet. p. Penis 
pf. Pfeildrüse, pf. dr. der eigentliche drüsige Ab- 
schnitt. rec. Receptaculum. 


preist werden. Die Stärke des Druckes ist 


schätzen. 


299 


S. Urocyelus comorensis Fischer. 

In Textfigur 6 sehen wir das Atrium 
(@t.) hinten stark anschwellen, es sitzt ihm ein 
mächtiger, von links kommender Retraetor (m.a.) 
an da, wo sich Oviduet und Blasenstiel (reec.) 
zusammen einfügen. Von rechts kommt die 
eylindrische Rute (9.), neben ihr mündet von 
links her die schlauchförmige Pfeildrüse. Sie 
hat einen endständigen Retractor und mehrere 
seitliche Muskeln (mı). Die starke Anschwellung 
des Atriums rührt her von der grolsen, birn- 
förmigen Eichel (Fig. 65 gl.). Der mittlere 
Abschnitt des Pfeildrüsenschlauches trägt 
eine kräftige Kummetfalte (f.), das Blind- 
ende hat lockere, drüsige Ringfalten, es kann 
zweifellos nur als Drüse fungieren. 

Da sich hiermit von einer ostafrikanischen 
Inselform mit Sicherheit die Drüse konstatieren 
lälst, bin ich der Meinung, dals sich auch die 


madagassische Gattung Elisa Heynemann 
Elisolimax Cockerell nicht länger halten lälst, 
sondern mit Urocyelus zusammenfällt. 
Schwieriger ist die Deutung der Organe. 
Dals ich den Drüsenschlauch nur in physio- 
logischem, nicht wie Poirier meinte, in mor- 
phologischem Sinne als Penis ansah, habe ich 
jüngst in diesen Abhandlungen erst ausgeführt 


(l. dals sowohl das 


Atrium mit der Glans, 


soweit die Kummetfalte reicht, bei der Paarung 


e.). Sicher scheint mir, 


als auch der Schlauch, 
mit grolser Gewalt ausgestülpt und herausge- 


nach den Hauptmuskeln (m.a. und m.) abzu- 


Beide spalten sich an der proximalen Insertion in drei Bündel, um ihren Zug 


38* 


— 


auf eine gröfsere Fläche zu verteilen und Zerreilsung der linken Leibeswand zu verhüten. 
Die Enge des Blasenstiels macht eine unmittelbare Einführung der Glans in denselben un- 
wahrscheinlich. Und so habe ich noch immer den Eindruck, als wenn die beiden Pfeilsäcke 
nach Art des Limaxpenis sich gegenseitig umschlingen würden, um mit der Umbiegungs- 
stelle des Kummets die Glans des Partners zu umfassen. Die Drüse liefert vielleicht eine 


Art Kitt während des Aktes. Möchte endlich Beobachtung der Lebenden Klarheit verschaften ! 


B. West-Afrika. 


V. Genus. Dendrolimax Heynemann. 


Diese bisher mit Sicherheit nur von den Prinzeninseln bekannte Gattung liegt jetzt 


auch aus unseren westafrikanischen Kolonien vor. 


Die Merkmale brauchen blols in den Differenzen gegen Uroeyclus etwa aufgezählt zu 
werden. Die Dendrolimaces sind ächte Nacktschnecken ohne alle Anhangsorgane an den 
Genitalien, mit zwei blindsackartigen, also flagellumartigen Kalksäcken am Epiphallus, und 


mit einem viel kürzeren und weiteren Penis als Atoxon, das ja auch der Pfejldrüse entbehrt. 


9. Dendrolimax continentalis n. sp. 
Taf. I, Fig. 1-6. 
Alle von Togo, aus dem Berliner Museum. Misahöhe 2 St. Baumann leg. Bismarckburg 2 St. 
Büttner leg. Bismarckburg 3 St. Conrad leg. 

Insularum speciebus similis. Penis longior, gracilior. 

Die Schnecken, zumeist erwachsen, stimmen selbst in den verschiedenen Abtötungs- 
zuständen in der Gröfse gut überein, ein Stück ist 3,5 cm, drei sind 3 em, eins 2,7 cm und 
eins 2,5 cm lang: das letzte, von Misahöhe, ist noch nicht reif, ebenso aber auch das zweite 
von dort, das 3cm lang ist. Man könnte wohl schliefsen, dals die Form von dieser Station 
etwas grölser wäre, als die von Bismarckburg: doch lohnt es nicht, weiter scheiden zu 
wollen. Endlich ist noch von Bismarckburg ein jugendliches Tier zu erwähnen von 
1,7 em Länge. 

Bei den erwachsenen ist der Mantelporus ein feiner Spalt, in Fig. 1 schon weit 


geöffnet: bei dem jungen Tiere, Fig. 2, verbarg er sich zwischen Runzeln vollkommen. Auf 


— 301 — 


keinen Fall wird man folgern dürfen, dafs hier der Porus anfangs geröfser sei und später 
verschwinde. 

Der Habitus ist bei allen erwachsenen derselbe, trotzdem er so sehr wechseln kann. 
Der Kiel, nicht eben scharf, reicht bis zum Mantel, oder eigentlich doch nicht ganz, sondern 
er hat vorn noch einen kurzen Ausschnitt, auf dem das Hinterende des Mantels ruht. Dieser 
Ausschnitt, der ja spurweise bei den meisten Nacktschnecken vorkommt, wird doch hier ge- 
legentlich ungewöhnlich breit, parmacellenhaft. Übrigens war der Kiel bei keiner Form so 
wellig gebogen, wie es an den Inselformen auffiel; möglicherweise liegt hier doch ein klima- 
tischer Unterchied zu Grunde, welcher bei feuchterem Klima die Rückenhaut stärker wuchern 
lälst, daher sie sich bei gewaltsamer Kontraktion in Falten legt. Die Tiere in dem einen 
Glas, vermutlich in der Copula in Alkohol gethan, hatten wunderlich verworfene Contouren, 
mit starken Einschnürungen in der Mitte, wohl eine Folge der nach vorn gerückten Zwitter- 
drüse, welche dem Rücken oder Mantel erlaubt, gewissermalsen zwischen Intestinalsack, 
bew. Leber, und Genitalapparat einzusinken. Die riesige Eiweilsdrüse mit der Zwitter- 
drüse hatte den Enddarm in das Schälchen hinaufgedrängt und so einen Buckel erzeugt. 

Das Auffälligste ist das weilse Pigment, welches das Epithel, wie zuerst Heyne- 
mann bemerkte, imprägniert. Wo es fehlt, erscheint der Körper grau, mit einem Stich in 
Olive (Fig. 1). Wo es da ist, tritt es bald in kleinen, bald in grölseren Flecken auf, ge- 
wissermalsen flechtenartig weiterwachsend. Auf dem Rücken hält sich’s in keiner Weise an 
die Rinnen, lälst sie aber immerhin, auch wenn es darüber wegzieht, deutlich hervortreten. 
Auf dem Mantel kann sich’s bald in annähernd regelmälsig polygonalen Feldern halten, die 
nach dem Rande zu dichter und feiner werden, bald breitet sich’s so flechtenartig aus, wie 
in Fig. 1. Es ist, als ob die Abscheidung (von guaninsaurem Kalk?) von Nervenreizen ab- 
hinge, die entweder die ganze Haut gleichmälsig stimmen oder von einzelnen Punkten aus 
weiter um sich greifen. Dabei sind alle Abstufungen vorhanden. Von den beiden erwähnten, 
wahrscheinlich gepaarten Exemplaren hat das eine keine Spur des Stoffes, sondern eine ganz 
glatte dunkle Haut, das andere ist über und über weils, nur in der Mitte des Mantels sind 
ein paar Reste des dunklen Integuments sichtbar. Bei den anderen sind alle möglichen 
scheckigen Zwischenstufen vorhanden; am gleichmälsigsten hell ist das junge Tier (Fig. 2): 
allerdings dürfte hier die Ablagerung etwas weniger dieht sein, namentlich scheint der 
Ommatophor deutlich durch die Nackenhaut. Nervenreize sind bei der Abscheidung jeden- 
falls beteiligt, ja es ergiebt sich eine deutliche Abhängigkeit vom Licht, insofern als die 


Sohlenfläche stets frei bleibt, ebenso wie die Nackenhaut unter dem Mantel, die bei einigen 


— 302 — 


deutlich noch eine feine schwarze, netzige Zeichnung aufweist, wie bei einem Limax etwa. 
Statt Licht kann man freilich auch Atmosphaerilien setzen. Das Olivengrau der secretfreien 
exponierten Stellen ist schon nicht mehr eine primäre Farbe, sondern hängt mit der Secretion 
zusammen; es ist wesentlich von den Stellen verschieden, die gar nicht secernieren. Reste 
einer ursprünglichen Bindenzeichnung sind gar nicht mehr vorhanden. 

Das Osphradium, mälsig stark entwickelt, folgt unmittelbar dem Anfangscontour 
der Mantelkappe, ohne die Medianlinie zu erreichen. 

Genitalorgane. Vollständig entwickelte Geschlechtswerkzeuge zeigt Taf. I, Fig. 3, 
annähernd reife Textfigur 7. Es lohnt nicht auf alle Einzelheiten einzugehen, da die Über- 
einstimmung mit den insularen Arten eine weitgehende ist. Auch hier 
liegt die Zwitterdrüse vor dem Intestinalsack, der Zwittergang ist kurz, 
ebenso die massige Eiweilsdrüse. Der Hauptunterschied liegt im Penis, 
der unmittelbar für sich an den Porus genitalis stölst, so dals das 
Atrium nur als eine gemeinsame Kloake für Eileiter und Blasenstiel 
angesehen werden kann. Der Penis ist wesentlich länger und schlanker 


als bei D. Heynemanni und D. Greeffi, bei denen er eine birnförmig- 


kenlige Gestalt hat. Sein oberes Ende legt sich noch in Windungen. 


Der untere weitere Teil besteht aus zwei in einander geschobenen Cylin- 


dern (Taf. I, Fig. 4); im Grunde des inneren liegt eine schlank-konische Textfigur 7, 
Glans, aus der in der Abbildung eine Spermatophore herausragt. Das enitalien von Dendr. 
continentalis. Bedeut- 
proximale Flagellum ist auch hier etwas länger als das distale. Die ung der Buchstaben 
Proportionen in Textfigur 7 deuten auf Proterandrie. Die Zwitter- wie früher. 
drüse, die Prostata, Penis und Epiphallus sind entwickelt, das Receptaculum von definitiver 
Länge, wenn auch ungefüllt, noch schlank. Die weiblichen Teile sind durchweg schwächer. 
Bei einem Tier sah die Spitze der Glans eben aus der Genitalöffnung heraus, als ein 
kleiner Kreis mit emem Punkt in der Mitte, augenähnlich. 
Da ich zwei gleiche Spermatophoren fand, kann ich sie um so sicherer beschreiben. 
Das Organ beginnt mit einem geraden schnabelartigen Fortsatz (Fig. 4), dann folgt der 
Spermaraum, daran schlielst sich ein langer, hohler, an der Spitze geschlossener Endfaden. 
Der Schnabel, dessen Vorderhälfte in Fig. 5 wiedergegeben ist, besteht aus einer äulseren 
Hülle und einem vielfach geschlängelten inneren Band, es stellt wohl eme innere Hülle dar, 
die nachher, wo sie das Sperma aufnimmt, weit und glatt wird. Der Endfaden (Fig. 6) 


trägt eine kräftig gezähnte Spiralleiste. 


— 303 — 


Ontogenie. Wenn auch über die Entwicklung naturgemäfs nichts weiter auszu- 
machen ist, möchte ich doch den Schluls ziehen, dafs die Eier grofs sind und die Jungen 
ebenso beim Ausschlüpfen einen relativ beträchtlichen Umfang haben. Das in Fig. 2 abge- 
bildete Tier macht mit seinem stark erweiterten Nacken durchaus den Eindruck, als sei es 
nicht längst erst zur Welt gekommen. Entsprechende Gröfse der Eier aber dürfte zu folgern 
sein aus der wohlumschriebenen grolsen drüsigen Anschwellung am unteren Ende des Ovi- 
dukts. Sie findet sich bei den verschiedenen Arten und dürfte wohl zur Ausbildung des 
Eies in irgend welcher Beziehung stehen. Jedenfalls liegt’s nahe, aus dem Umfang dieses 


Abschnitts einen ähnlichen des Eies zu folgern, 


VI. Genus. Mierocyelus n. g. 


Der Name der neuen Gattung soll die Kleinheit und die nahe Beziehung zu Uroeyelus 
andeuten, zu dem man sie auch als Untergattung stellen könnte. Sprächen nicht verschiedene 
Gründe dagegen, das Vorkommen im Westen, die andere Zeichnung u. s. w., so könnte 
man den Gattungsnamen Elisa oder Elisolimax hier verwerten. Doch fürchte ich, dafs 
dadurch nur Verwirrung entstehen würde. Elisa ist aus Prioritätsgründen gestrichen. 
Elisolimax hat Cockerell eingesetzt, ohne sich um die Charaktere zu kümmern, ent- 
sprechend seiner Intention, lediglich eine Zusammenstellung zu geben. — Die Merkmale folgen 


aus denen der einzigen Art. 


10. Mierocyelus baumanni n. sp. 
Taf, I, Fig, 12—20, 
Togo. Misahöhe. 1 St. Berliner Museum. Baumann leg. 

Es ist eine einfache Pflicht der Pietät, wenn die Species zu Ehren des jungen, um 
die Naturgeschichte von Togo so verdienten, soeben den Folgen seines Tropenaufenthaltes 
erlegenen Dr. E. Baumann benannt wird. 

Statura parva. Pallium duabus taeniis prineipalibus notatum, non dorsum. 
Porus pallialis apertus. Dorsum tota extensione carinatum. Genitalia 
ceoeco amatorio instructa. 

Die 3,6 em lange, schlanke Schnecke (Fig. 12) hat echte Urocyelusform; sie ist rot 
oder bräunlich grau gefärbt, oben dunkler, der Kiel wieder heller abgehoben in ganzer 
Länge, doch nicht zugeschärft, auch hinten stumpf. Sehr auffallend ist die scharfe, dunkle 


Stammbinde auf dem Mantel, während der Rücken keine Spur davon hat. 


— 304 — 


Der Mantelporus ist so grols wie bei irgend einer Urocyclide, weit offen. Die 
weite Geschleehtsöffnung deutet den ausgewachsenen Zustand an. 

Das Osphradium geht als kräftige, nach vorn verdickte Leiste ein Stückehen 
vom Atemloch vorwärts, sich dabei vom Anfangscontour der Mantelkappe entfernend, nach- 
her biegt es unter rechtem Winkel als ganz zarte Leiste zu demselben herüber, reichlich 
bis zur Medianlinie. 

Die Schale (Fig. 13 und 14) ist 3,5 mm lang, ancyloid, doch stumpf, durchscheinend, 
.blals, aber fest, vorn mit einem Conchiolinrand, der sich schwer ablösen lälst. Die Ober- 
fläche ist in schwache, strahlige Falten gelegt. 

Die Niere oben dickblättrig, am Boden glatt. Nur links greifen die Blätter nach 
unten über. Das Herz in Querstellung. Die Lunge rechts maschig, links glatt. Die 
Maschen sind sparsam, aber die Gefälsbalken treten frei hervor. 

Der Darm ist urocyeloid, der erste Schenkel reicht am weitesten rückwärts. Der 
Eingeweidesack reicht bis hinter. 

Die Geschlechtswerkzeuge (Fig. 15) sind stark entwickelt. Die goldbraune 
Zwitterdrüse liegt weit hinten, von links dem Intestinalsack eingedrückt. Der Epi- 
phallus ist lang und zusammengedreht, er beginnt mit einem kleinen, kugeligen Kalk- 
sack (kı.), der distale (%k2.) ist wie gewöhnlich flagellumartig. Der Penis ist gerade 
gestreckt, eylindrisch. Er sitzt von der rechten Seite dem kugeligen Atrium an, das sich 
auf der linken in einen krummstabförmigen Schlauch verlängert. Er kann nur dem Pfeil- 
sack oder der Pfeildrüse (pf.) entsprechen. Erst in den oberen Abschnitt dieses Schlauches 
münden unmittelbar neben- und übereinander der Blasenstiel und der Eileiter ein, 
letzterer mit einer kräftigen Endverdickung (od.) ; ersterer, ziemlich lang, trägt das kugelige 
Receptaculum, das bereits eine Patrone birgt. 

Der Pfeildrüsenschlauch wird durch verschiedene Muskeln an die Leibes- 
wand geheftet. Es fehlt ein endständiger am Blindzipfel ; der vordere (mı.) falst nahe dem 
Atrium an, der hintere ist noch kräftiger und flächenhafter entwickelt. An dem nach rechts 
hinübergeschlagenen Organ (Fig. 16) sieht man noch eine Reihe von kurzen Bündeln (m».), 
welche das Atrium unmittelbar an den Boden der Leibeshöhle darunter heften. 

Schneidet man Atrium und Pfeilsack der Länge nach auf (Fig. 17), dann trifft man 
in jenem zunächst rechts ansitzend eime grolse kugelige Glans (gl.), die es ganz ausfüllt. 
Das Penisrohr besteht aus mehreren derben, übereinander gezogenen Muskelcylindern ; der 


änfsere ist in der Abbildung rings abgetrennt und zurückgeschoben. Die Glans ist an der 


= WE VE 


— 30 — 


Unterseite ein wenig abgeflacht, ja vertieft und faltig; die Mündung liegt an der Spitze, 
doch noch etwas nach unten; sie ist nicht einfach ganzrandig, sondern im oberen Umfange 
so eingeschnitten, als wenn zwei hier vorstehende Spitzen in das Innere zurückgeschlagen 
wären. Ähnlich scheinen die Verhältnisse in der That zu liegen. — Vom Atrium und zwar 
von beiden Seiten der Glans aus laufen Längsfalten in den Pfeilsack hinauf, unter 
denen eine stärkere kummetartig hervortritt. Sie gehen bis in den Blindzipfel, der weder 
Pfeil noch Drüse beherbergt. 

Die Deutung kann doch wohl blols dadurch gefunden werden, dals man auf Uro- 
eyclus zurückgreift. Die Glans ist nach Form und Lage durchaus ähnlich, mit so geringen 
Abweichungen des Reliefs, wie sie etwa die Arten derselben Gattung unterscheiden würden. 
Der Pfeilsack mit den Falten ist typisch, aber verkürzt, die endständige Pfeildrüse ist in 
Wahrheit verschwunden. Betrefts der Copula wird hier das über Uroceyclus Gesagte (s. 0,) 
Geltung haben müssen. 

Die Spermatophore (Fig. 18) besteht aus der ziemlich langen, eigentlichen 
Patrone und dem Faden. Erstere beginnt kolbig (Fig. 19) und ist bis an das Ende gefüllt, 
ohne Schnabel also, letzterer, von der Wand des Blasenstieles gelöst, kam zwar nicht bis 
zur Spitze zum Vorschein, doch bis nahe daran; an Stelle der einfachen, schranbigen Leiste 
trug er zwei Reihen von Zähnen (Fig. 20), eine Differenz, welche wohl auch kaum über 


die Art hinaus Bedeutung hat. 


C, Allgemeine Bemerkungen. 


I. Stellung der neuen Genera zu den alten. 


Die beiden neuen Gattungen Leptichnus und Mierocyelus verraten auf den ersten 
Blick entgegengesetzte Beziehungen. Microcyclus mit dem verkürzten Pfeildrüsen- 
schlauch, ohne Drüse und Pfeil, zeigt sich als eine abgeleitete Form, bei der geringen 
Grölse mehr oder weniger verkümmert. Sie hat im übrigen nichts von ursprünglichen 
Zügen, man mülste denn die Beschränkung der Stammbinde auf den Mantel als einen solchen 
betrachten. Bei Limaciden und Arioniden würde ich nicht anstehen, einen solchen Schluls 
gelten zu lassen ; bei Urocyclus ist es anders; hier haben wir Arten, welche Reste der 
Mantelstammbinde im Alter reichlich so fest halten, wie von der auf dem Rücken, z. B. 
U. rufescens Srth. Somit ist Miroeyclus zweifellos eine abgeleitete Uroceyelusform. 


Abhandl. d. Senckenb naturf. Ges. Bd. XIX 39 


— 306 — 


Umgekehrt stellt sich Leptichnus ohne weiteres als eine sehr primitive Form dar. 
Der Intestinalsack ist noch nicht, um einen Semperschen Ausdruck zu gebrauchen, in den 
Fuls eingelassen. Das Genus steht von allen bekannten Urocycliden den Gehäuseschnecken 
noch am nächsten, es ist noch in der Umbildung zur Nacktschnecke begriffen, wobei es 
allerdings weiter vorgeschritten ist als Parmacella oder Parmarion s. Girasia. 

Da mag auch die Bemerkung am Platze sein, dals bei keiner Urocyelide das Mantel- 
loch grölser ist als bei Leptichnus, nirgends so grols wie bei den oben genannten, ein 
Beweis mehr, dals sie im der Umbildung zu Nacktschnecken sämtlich eine weitere Stufe 
erklommen haben. Die letzte, der völlige Schluls des Porus, wird gelegentlich an verschie- 


denen Stellen von der Familie erreicht (Urocyelus, Triehotoxon, Atoxon). 


Es kann auch kaum zweifelhaft sein, zu welcher Uroeyelidengattung Leptichnus in 
nächster Verwandtschaft steht. Der Mangel besonderer Endanhänge an den Genitalien, neben 
Eileiter, Receptaculum und Penis, noch mehr aber die beiden fagellumartigen Kalksäcke an 
dem Epiphallus weisen allein auf Dendrolimax, oder auf eine Gattung, welche gleichfalls 
hierher zu ziehen sein dürfte, nämlich die von Poirier beschriebene, westafrikanische Gattung 
Estria! von Assinie. Sie scheint nach der Schilderung dem Leptichnus dadurch besonders 
nahe zu stehen, dals der Eingeweidesack ebenfalls nur zur Hälfte im Fuls steckt. Der 
Hauptunterschied liegt in der Schale, welche noch einen abgesetzten, gewundenen Anfang 
hat, wie die von Parmacella, auch mit einem Zipfel der Intestinalsacks, wohl einem Leber- 
läppchen darin. Auch die Genitalien scheinen zu stimmen. Der Penis ist eylindrisch, etwas 
kürzer als bei Leptichnus, der Epiphallus ist viel kürzer, an seinen beiden Enden befindet 
sich em Drüsenschlauch, derber als die Flagella von Dendrolimax; den proximalen bezeichnet 
Poirier gleichfalls als Kalksack, den distalen als „glande annexe de l’appareil genital mäle.“ 


Somit erhält die Dendrolimaxgruppe eine erfreuliche Bereicherung. 


II. Beziehungen zu Gehäuseschnecken. 


Zunächst ist es keineswegs sicher, dals die Urocycliden eine natürliche, einheitliche 
Familie darstellen. Es ist recht wohl möglich, dafs sie durch Konvergenz von verschiedenen 
Ausgangspunkten her entstanden sind. Nicht einmal die beiden Kalksäcke, seien sie kugelig 
oder schlauchförmig, sind überall vorhanden; sie fehlen bei Phaneroporus. Die Anhänge des 


ı Poirier M. J. Etude anatomique de l’Estria Alluaudi, nouyvelle espöce de limaciens africaine. 
Mcm. soc. philom. centenaire, Paris 1888. S. 135—153. 


— 307 — 


Atriums können sehr wechseln; ein kurzer Blindsack auf der Seite des Penis bei Buettneria, 
ein noch kürzerer neben dem Oviduct bei Bukobia, die lange Pfeildrüse bei Uroeyelus und 
Mieroeyclus, der Pfeilsack bei Trichotoxon, der Mangel an allen bei Atoxon, Dendrolimax, 
Leptichnus und Phaneroporus. Sucht man nun nach Gehäuseschnecken wenigstens mit dop- 
pelten, von einander entfernten Aussackungen am Epiphallus, so bietet sich ohne Anhänge 
Helicarion, mit einem langen Pfeildrüsenschlauche Xesta im Sinne Semper’s, nicht Pilsbry’s. 
Da nun aber am distalen Schlauch der Penisretractor anfalst, so wird die Homologisierung 
schwach genug; und es wird erst einer näheren Untersuchung aller Einzelheiten bedürfen, 


ehe ein Urteil näher begründet werden kann. 


111. Systematisch-geographische Beziehungen. 


Auch die neuen Arten der alten Gattungen ordnen sich streng der allgemeinen zoogeo- 
graphischen Trennung von Ost- und West-Afrika unter. Die neuen Gattungen aber decken 
interessante Wechselbeziehungen zwischen beiden Regionen auf. 

In ersterer Hinsicht ist anzuführen, dals sich die Spezies von Trichotoxon und 
Uroeyclus auf den Osten, die von Dendrolimax auf den Westen beschränken. 

Dieses Verbreitungsgesetz wird durchbrochen durch einen neuen Dendrolimax, den 
Edgar Smith! kürzlich aus Ostafrika beschrieben hat. Ich setze die Angabe ausführlich 


her, um daran Kritik zu üben. 


„Dendrolimax sp. 

Hab.-Papyrus swamp, north of Rangatan Ndari. 

A single specimen only was obtained. It is about 60 mm in length, of a dirty gray 
buff colour, mottled with black along the sides of the body and upon the shield. The dorsal 
keel is wavy throughout contraetion in alcohol, and is some-what caudate above the enormous 
terminal pore. The shell is ovate, thiekened at the terminal exposed nucleus, and has a 
length of 11 mm, and is 8 mm in width.“ 

Abgesehen davon, dafs wir vom Mantelporus nichts erfahren, dals also vielleicht 
keiner da ist, passen weder die grolse Länge, noch die Zeichnung, noch das Vorkommen 


zu Dendrolimax. Die wellige Faltung des Kiels kommt weder allen Dendrolimaxarten zu, 


ı EdgarA. Smith. A list of the land and fresh-water mollusca colleeted by Dr. J. W. Gregory 
in East Afrika during his expedition to Mount Kenia, with description of a few new species. In Proc. 
Malacol. Soc. London I. 1894. pag. 163 ff. 

298 


— 8308 — 


noch ist sie auf die Gattung beschränkt: zum mindesten findet sie sich gelegentlich auch 
bei Trichotoxon. Ohne irgend eine Vermutung über die Gattung zu äulsern, zu der das 
Tier gehören könnte, glaube ich doch kaum, dafs es ein Dendrolimax sein kann. Somit 
fällt die Angabe weg. 

Von den neuen Gattungen gehört der westafrikanische Microcyelus als eine Art weiter- 
gebildeter Zwergform zum ostafrikanischen Uroeyelus; umgekehrt ist der ostafrikanische 
Leptichnus, welcher der Wurzel der Uroeyeliden überhaupt am nächsten steht, die Stamm- 
form des westafrikanischen Dendrolimax. Ja die Umwandlung lälst sich etappenweise ver- 
folgen. Leptichnus hat einen schlanken, eylindrischen Penis, die Dendrolimaxarten von den 
Prinzeninseln haben einen kurzen, keulenförmigen. Dazwischen steht der D. continentalis 
vom westafrikanischen Festland mit einer mittellangen Auftreibung der unteren Hälfte: die 
westafrikanische Estria schlielst sich noch mehr als Leptichnus an. Der ursprüngliche, 


schlanke Cylinder wird also um so gedrungener, je weiter wir nach Westen fortschreiten. 


Somit ist klar, dafs die Ausbreitung von Osten nach Westen gegangen ist, die West- 
formen stammen von den östlichen ab, sei es, dals das Centrum jetzt östlich, sei es dals es 
westlich liegt. Wann und wodurch, ja selbst ob eine stärkere Scheidung eingetreten ist, 


läfst sich noch nieht beurteilen. 


Dals Atoxon sein Hauptgebiet im Osten hat, eine der bekanntesten Arten aber west- 
lich bis ins Congogebiet vorschiebt, ist früher bemerkt. Es bestätigt die Regel. Einzel- 
heiten müssen von der besseren Durchforschung des Inneren abhängig gemacht werden. 

Inwieweit die vielpfeiligen Trichotoxonarten ein spezielles Gebiet des Ostens bewohnen, 
vermag ich noch nicht zu übersehn, um so weniger, als die Verbreitung der vier- und 


sechspfeiligen noch nicht genügend bekannt ist. 


IV. Die Genitalenden von Trichotoxon. 


Die neuen Arten von Trichotoxon mit den massenhaften Pfeilen (zwölf bis achtzehn) 
könnten auch deshalb als Gattung oder Untergattung zusammengefalst werden, weil die 
gemeinsame Insertion von Oviduet und Receptaculum am Pfeilsack beträchtlich weiter unten 
liegt, dem Atrium näher, als bei den bisher bekannten Arten. Auch ist der Penis kürzer. 
Dennoch habe ich auf die Abtrennung verzichtet, teils weil die Anzahl der Pfeile nicht 
klar zu stellen war, teils weil in dieser Gruppe sowohl behaarte als unbehaarte Liebes- 


pfeile vorkamen. 


a 


Wohl aber war das Material geeignet, von der Bildung der Pfeile eine Vor- 
stellung zu geben. Anfangs ist der Pfeilsack nur eine kurze Aussackung des Atriums, noch 
ohne Pfeile. Nachher hat jeder sein enganliegendes Futteral einschichtigen Epithels. Es 
stülpen sich also so viele Epithelschläuche aus in die Wand des Atriums hinein, als nachher 
Pfeile vorhanden sind, unter spitzem Winkel zu ihr und so einen gemeinsamen Überzug 
vor sich hertreibend. Die Wucherung des Epithels erfolgt in der That vom Atrium aus 
und drängt in die Kanäle hinein ; denn die freie Fläche der Epithelzellen, welche schräg 
gerichtet sind, steht tiefer im Kanal als ihre mehr nach dem Atrium zu gerichtete Basis. 
Nachher beginnt die Kalkabscheidung, welche einen eylindrischen Pfeil liefert. Vermutlich 
drängen sich die jüngsten und höchsten Zellen am distalen Ende des Kanals, bez. des 
einzelnen Pfeilsackes am engsten zusammen, und diese Verengerung des Lumens bewirkt 
die verjüngte kantige Spitze. Noch während dieser Bildung dürfte die Wucherung des 
Epithels von der Mündung her fortdauern und den Pfeilsack vom Atrium abdrängen und 
verlängern ; wenigstens würden sich so am besten die parallelen Schräglinien erklären, 
welche die Spitze überziehen (vergl. diese Abhandlungen 1894, pag. 305). Nachdem die 
typische Abscheidung vollendet, erfolgt bei den meisten die Auflagerung des Haarbezuges ; 
doch kann man sich diese auch wohl schon früher beginnend vorstellen, da die Kalklösung 
selbst das anderweitig thätige Epithel durchtränken mag. Die Bildung der Borste erfolgt, 
indem die Zellen nieht nur an ihrer freien Oberfläche, sondern auch zwischen sich Conchiolin 
abscheiden, desto mehr, je weiter nach der Oberfläche zu. So entstehen die kegelförmigen 
Haare in konischen Epithellücken; der Schrägstellung der Zellen mit der freien Spitze nach 
dem Grunde des Pfeilsacks zu entspricht die umgekehrte Schrägstellung der Haare mit der 
Spitze nach der Öffnung. 

Das Herausstolsen der Pfeile beim Gebrauch, und zwar aller gleichzeitig, erfolgt durch 
die massenhaften Längsmuskelbündel des Pfeilsacks, wobei Zähne und Zellen wie die Zähne 
zweier Zahnräder ineinandergreifen. Schwerer ist die Retraetion zu erklären, da ein be- 
sonderer Muskel nach der Leibeswand, wie er beim Penis, bei Pfeildrüsen ete. vorhanden 
ist. hier fehlt. Die schwache Muskulatur in der gemeinsamen Wand, die wohl auch 
Ringfasern enthält, mag kaum ein genügender Antagonist sein gegen die ungemein starken 
Längsmuskeln, deren Kraft und heftige Wirkung nach den abgebrochenen Pfeilspitzen 
geschätzt werden kann. Ob und wie die geschlossene Tasche zwischen Pfeilsack und Penis 
etwa durch Schwellung und Druck bei der Verschiebung mitwirken kann, weils ieh nicht 


zu deuten. 


— 310 — 


Wie dem auch sei, die Pfeile sind durch Zahl, Länge und Seulptur höchst auffällig, 
Man hat dem tropischen, speziell dem afrikanischen Klima einen besonders starken Einfluls 
auf sexuelle Erregung zugeschrieben. In Trichotoxon scheinen die Wollustorgane ihr 
Maximum erreicht zu haben, die Pfeile, die Peniswand, kalkig und mit rauher Oberfläche, 
die starke Glans. Auch die schnelle Auflösung der Spermatophorenhülse scheint nur den 


Zweck zu haben, das Receptaculum für schnell gehäufte Paarung frei zu machen. 


V. Die Hautsecrete. 


Auf die hohe Thätigkeit der Haut in bezug auf Pigment, Kalk und Harnstoffe und 
deren gegenseitige Vertretung will ich nicht wieder ausführlich zurückkommen. Die derben 
Kalkmassen, die bei manchen Trichotoxon in der Brunstzeit noch auf die schon fertigen 
Pfeile geworfen werden, deuten allein schon auf Vorräte hin, die vorher an anderen Stellen, 
vermutlich in der Haut, salsen. 

Es sei hier blols betont, dafs die Stammbinde, und zwar zum mindesten die des 
Mantels, bei allen Uroecyeliden nunmehr in der Jugend nachgewiesen ist, aulser bei Dendro- 
limax. Diese Gattung aber hat es in anderweitiger Hautthätigkeit, vermutlich in der Ab- 
lagerung und ebenso plötzlichem Wiederverschwinden von guaninsaurem Kalk, am weitesten 
gebracht. Nächst dem kommen die insularen und litoralen Küstenformen von Urocyclus, 
danach Trichotoxon. Es scheint fast, als wenn diese Steigerung der integumentalen Leistung 
an den äthiopischen Nacktschnecken durch Seeklima erzeugt wäre und weiter im Innern fehlte. 

Zum Schlufs noch der Hinweis auf die Bedeutung der vom Mantel ausstrahlenden 
Rückenfurchen bei den Uroeycliden. Da sie Leptichnus fehlen, sonst aber durchweg 
vorhanden sind, so erscheinen sie recht eigentlich als Erwerbungen des Nacktschnecken- 
körpers, bestimmt, durch Berieselung, vermutlich mit Harnflüssigkeit, die ungeschützte Haut 


feucht zu erhalten. 


VI. Die Blutdrüse. 


Es mag wohl darauf hingewiesen werden, dals die oben (S. 286 unten) angegebene 
Verdiekung der Vorderhälfte der Arteria cephalica als eine Blutdrüse im Sinne Cu&not’s 


zu deuten sein dürfte. 


Leipzig. September 1895. 


Nachtrag. 


In einem Glas mit Vaginula von Kwa Kitoto, von Oscar Neumann gesammelt, 
fand ich nachträglich noch eine Uroeyelide von 3,9 cm Länge und sehr auffälliger Zeichnung 
(Textfigur 8). Auf ockerig-lederfarbenem Grunde waren ganz unsymmetrisch zerstreut dunkel- 


graue bis schwarze Flecken, die ersteren mehr 


auf dem Mantel, diese mehr auf dem Rücken. 
Die Seitenfelder der Sohle waren zwar dunkler 
als die Mitte, aber doch noch weit heller als die 


Mantelfleeken. Der Rücken war in ganzer Länge 


schwach gekielt, der Mantel in der hinteren Hälfte 


Textfigur 8. 


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wenn auch fein, doch scharf polygonal gefeldert, Trichotoxon Nenmanni, juv. 2:1. 
mit ziemlich kleinem Mantelloch. 

Die Genitalien waren durchaus unentwickelt, doch so weit erkennbar, dafs sie mit 
Leichtigkeit auf das kleinere Exemplar von Triehotoxon Neumanni von derselben Lokalität 
(s. 0. 5. 290) zurückzuführen waren. Die starke Pigmentierung und Fleckung dieses Jugend- 


stadiums ist jedenfalls interesssant und zeichnet vermutlich gerade diese Art aus. 


Tafelerklärung. 


(Gemeinsame Bezeichnungen. 


at. Atrium genitale. | od. Eileiter. 

ei. Eiweilsdrüse, | osp. Spermoviduct. 

ep. Epiphallus (Patronenstrecke). p. Penis, 

ept. Epithel um den Liebespfeil. | pf. Pfeilsack (bezw. Pfeildrüse), 

gl. Glans des Penis. rec. Receptaculum seminis. 
kı, ke. Kalksäcke, rp. Penisretractor, 

m. mı. Muskeln der Pfeilsäcke, " vd. Vas deferens, 

m2. des -Atriums. | ves. Vesicula seminalis. 
0. Öffnung des Samenleiters in der | zw. Zwitterdrüse. 


Glans. 29. Zwittergang. 


Figur 1. 
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Tafel 1. 


Dendrolimax eontinentalis n. sp. Mantel. Vergr. 3:1. 

Dendrolimax continentalis, jung, von rechts. Vergr. 2:1. 

Dendrolimax continentalis. Genitalien. Vergr. 

Penis desselben. Im inneren Penisschlauch sieht man die Glans, aus der eine Spermatophore 
herausragt. 

Schnabel der Spermatophore von demselben, distale Hälfte. Hartn. 3. IV. 

Fadenende derselben Spermatophore. Hartn. 3. IV. 

Leptichnus Fischeri n. g., n. Sp., von rechts. Vergr. 2:1. 

Leptichnus Fischeri, von unten. 

Leptiehnus Fischeri. Genitalapparat. Vergr. 7:1. 

Leptichnus Fischeri. Spermatophore. 

Fadenende derselben. Vergr. beinahe Hartn. 3. VII. 

Microeyelus Baumamni, n. g., n. sp., von rechts. Vergr. 3:2. 

Schälchen desselben, von oben. Vergr. 

Dasselbe, von links. 

Genitalapparat von Mieroeyelus Baumanni. 

Endwege desselben, nach rechts hinübergeschlagen, also von unten. 

Die Pfeildrüse geöffnet, mit der Glans. Vom Penis ist das äufsere Rohr abgetrennt und zurück- 
geschoben. 

Spermatophore desselben. 

Vorderende derselben. Hartn. 3, IV. 

Faden derselben nahe dem Ende. Hartn. 3. IV. 

Triehotoxon Volkensi n. sp. pull., von rechts. Vergr. 2:1, 

Dasselbe von unten. 

Trichotoxon robustum n. sp. Stück der Wand des Penisschlauches, getrocknet, mit den Kalk- 
körperchen. Hartn. 3. IV. 


Tafel 1. 


Triehotoxon robustum n. sp. Die Rückenseulptur ist nicht gezeichnet. Das Atrium ist aus- 
gestülpt. Nat. Gr. 

Dasselbe von vorn. 

Mantelgegend desselben, von rechts. Die Mantelkappe ist z. T. zurückgeschlagen. 9. Geruchs- 
werkzeug. 

Genitalien desselben. Vergr. 9:7. 

Der umgestülpte Penisschlauch desselben mit der Glans, stärker vergrölsert. 

Triebotoxon Neumanni n. sp., mit ausgestülptem Atrium genitale, von vorn. 

Das Atrium desselben, in dem die Mündungen der einzelnen Pfeilsäcke sichtbar sind, vergrölsert. 

Penis desselben, a. Die Glans, etwas stärker vergrölsert. 

Mittleres und Wurzelstück eines Liebespfeiles von Trichotoxon athrix n. sp., mit der Museulatur 
(m. pf). Bei ept. hat sich der Epithelmantel abgelöst. Hartn. 3. VII. 

Pfeilstück von Trichotoxon Volkensi n. sp., mit den Conchiolinhaaren tr. und einem Stück der epi- 
thelialen Scheide (ept.). Hartn. 3. VI. 

Trichotoxon sp.? Mantel. Vergr. 3:1. 


ABHANDLUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 


VON DER 


SENUOKENBERGISCHEN NATURFORSCHENDEN 
GESELLSCHAFT. 


NEUNZEHNTER BAND. 


VIERTES HEFT. 


MIT IV TAFELN UND XIV TEXTFIGUREN. 


FRANKFURT AM. 


IN KOMMISSION BEI MORITZ DIESTERWEG. 
1596. 


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UNTERSUCHUNGEN 


VERGLEICHENDE ANATOMIE DES GEHIRNS, 


3 NEUE STUDIEN ÜBER DAS VORDERHIRN DER REPTILIEN. 
DR LUDWIG EDINGER, PRAKT. ARZT, 


FRANKFURT AM MAIN. 


MIT IV TAFELN UND XIV TEXTFIGUREN. 


FRANKFURT A.M. 
IN KOMMISSION BEI MORITZ DIESTERWEG 
1896. 


Untersuchungen über die vergleichende Anatomie 
des Gehirns. 


Von 


Dr. Ludwig Edinger in Frankfurt a. M. 


3. Neue Studien über das Vorderhirn der Reptilien. 


Mit 4 Tafeln und 14 Textfiguren., 


Die Studien über das Vorderhirn der Reptilien, von welchen das erste Heft dieser 
Beiträge! berichtete, sind in den letzten sieben Jahren ständig fortgesetzt worden. Da der 
Nachweis damals erbracht worden war, dals bei dieser Klasse die Hirnrinde zuerst als wohl- 
geordnete Lage in Erscheinung tritt, da sich zeigte, dafs hier auch zuerst wohlabgegrenzte 
Thalamusganglien nachweisbar wurden, so drängte das hohe theoretische Interesse, welches 
eine möglichst vollkommene Lösung der hier auftauchenden Fragen hatte, zu immer weiterer 
Arbeit. Einmal galt es noch, die Lücke auszufüllen, welche durch die Nichtberücksichtigung 
des Riechapparates gelassen war. Dann aber haben wir seit dem Erscheinen der ersten 
Arbeit in der Golgimethode ein so vortreffliches Verfahren erhalten, dafs alles von neuem 
auf Grund dieser Technik durchzuarbeiten war. 

Ich darf es vielleicht mit dem Erschemen des ersten Heftes zuschreiben, dals sich 
in den letzten Jahren hocherfreulicher Weise viele Forscher nun auch wieder mit der ver- 
gleichenden Anatomie des Hirns der niederen Vertebraten beschäftigt und dadurch überall 
zur Erweiterung und Vertiefung unseres Wissens beigetragen haben. Vieles von dem, was 
seitdem die Litteratur gebracht hat, war mir bekannt, vieles auch neu. Ich habe aber der 


Versuchung widerstanden, früher zu publizieren, weil mir ein Ausreifen und ein gewisser 


ı Abhandlungen der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft. 1888. 


Abhandl. d Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 40 


— 3ld — 


Abschluls nötiger erschien, als ein Beibringen von einzelnen Factis. So kann ich heute, 
fremde und eigene Arbeit zusammenfassend, ein wesentlich vollkommneres Bild vom Vorder- 
hirn der Reptilien geben, als das früher möglich war. Aufserdem hat die inzwischen erlangte 
gute Kenntnis des Vogelgehirns es mir ermöglicht, manche bei den Reptilien noch rudi- 
mentäre Anordnung zu verstehen, manchen dünnen Faserzug, manches kleine Ganglion richtig 
zu sehen und zu deuten. Nur einiges Wenige, die Riechstrahlung und die Faserung aus 
dem Stammganglion betreffend, ist bereits in meinen „Vergleichend anatomischen nnd ent- 
wicklungsgeschichtlichen Studien“ im Anatomischen Anzeiger und in dem Vers.-Ber. der 


D. Anat. Ges. in den letzten Jahren veröffentlicht. 


1. Neue Litteratur über das Vorderhirn der Reptilien. 


Seit Erscheinen des ersten Heftes sind manche Verhältnisse am Vorderhirn viel klarer 
geworden durch zahlreiche Arbeiten, die sich damit beschäftigen. Ehe derselben gedacht 
wird, sei erwähnt, dafs mir — und Anderen — früher die Arbeit von Spitzka: The Brain 
of Iguana im Journal of nerv. and mental disease 1880 entgangen ist. Hier wird acht 
Jahre vor meiner zu gleichem Ergebnis führenden Arbeit die Rinde an der medialen Seite 
des Mantels direkt als Ammonsrinde bezeichnet und ein von ihr ausgehender bis in den 
Thalamus verfolgbarer Faserzug Fornix genannt. Eine Mantelverbindung wird dem Corpus 
callosum, das bis 1380 bei den Reptilien vermilst war, homologisiert. 


1 


Von 1890 an beginnt mit eimer Arbeit über das Gehirn des Alligators' eine lange 


Serie von Mitteilungen ©. L. Herricks. 

Den drei Rindenplatten, welche ich in der ersten Mitteilung vom Reptiliengehirn 
geschildert habe, wird hier eine vierte, basale zerstreute Zellschieht noch beigefügt. 
Der Lobus olfactorius wird kurz beschrieben. Fasern aus ihm sammeln sich medial 
an der Basis und können rückwärts bis in das Niveau der Commissura anterior verfolgt 
werden. Im posterobasalen Gebiete des Gehirns entspringen die Fasern der Taenia thalami. 
Sie ziehen dann dorsocaudal, um in der Gegend des Ganglion habenulae und der da liegenden 


Commissura sup. zu verschwinden. 


ı 6, L. Herrick, Notes upon the brain of the Alligator. Journal of the Cineinnati Soc. of Nat. 
History. January 1890, 


Im gleichen Jahre hat Brill! die Hirnrinde einiger grofsen Reptilien, Iguana, Anolis, 
Alligator, Schildkröten untersucht. Er kommt zu dem Schlusse, dafs der von mir als Am- 
monswindung bezeichnete, medial und dorsal gelegene Mantelteil, welcher bei Iguana leicht 
gewellt und in seiner Zellanordnung charakterisiert ist, nur Fascia dentata, dals die ganze 
übrige durch einen Spalt (siehe auch meine Abbildungen) von ihr getrennte Rinde aber 
Ammonsrinde nnd Subiculum eornu ammonis sei. Es wird gegen diese Auffassung zunächst 
nichts einzuwenden sein, so lange man bei der Diagnose Fascia dentata noch auf relatif 
grobe Lagerungsverhältnisse angewiesen ist und die wirklichen Characteristica dieses Win- 
dungszuges, seine Bedeutung gegenüber der wahren Ammonsrinde, noch nicht völlig bekannt 
sind. Wichtig scheint mir nur, dafs auch Brill die Zugehörigkeit dieses Rindengebietes 
zum eorticalen Riechapparat, bezugnehmend auch auf Spitzka, ausdrücklich betont. 

1891 setzte dann Herrick die Veröffentlichung seiner Studien ? fort. 

Er hat das Gehirn von Sceloporus, von einer Schlange — black snake — und von 
Aspidoneetes untersucht. Hier beschreibt er u. a. neu als Baso-oceipital lobe eine ventral 
dieht an das Stammganglion grenzende, in der temporo-oceipitalen Region des Gehirns lie- 
gende Vorragung. Sie ist von Rinde überzogen und zum Teil durch Faserzüge vom Stamm- 
lappen getrennt. Im Oceipital-Lappen sieht Herrick das „unzweifelhafte Homologon des 
Ammonshorns“. Er enthält Pyramidenzellen von zweierlei Typen, aber an seinem ventralen 
Gebiete kleine multipolare Zellen, die denen im Riechlappen gleichen. An einer anderen 
Stelle erwähnt er ausdrücklich, dafs bei der Schlange das Gebiet des Baso-oceipital lobe etwa 
da liege, wo man bei den Nagern den Lobus pyriformis finde. In dem Baso-oceipital lobe 
liegen mehrere kleine Zellnester. Ein Bündel aus der Commissura ant. ist dahin zu verfolgen. 
Ebenso bei der Eidechse ein Faserzug aus dem Thalamus. Herrick hebt ausdrücklich her- 
vor, dals sein Baso-oceipital nucleus nicht ein einzelner Zellhaufen sei, sondern sich aus einer 
ganzen Anzahl einzelner Zellklumpen zusammensetze. 

Am Stammganglion will er ein laterales Linsenkern-Gebiet von einem medialeren 
unterschieden wissen. Das letztere wird als Central nucleus bezeichnet. Herrick beschreibt 


noch in der Rinde des „Frontal lobe“ und des „Parieto-frontal lobe“ die Lagerung der Zellen, 


ı N. E. Brill, The true Homology of the mesal portion of the Hemispherie Vesiele in the Sauro- 
psida. The medical Record. 1890. 

2C,.L. Herrick, Topography and Histology of the brain of certain Reptiles. The Journal of 
comparative Morphology. Vol. I, 1891, S. 14, und Bd. III, S. 77 und 119. — Derselbe, The Hippocampus in 
Reptilia, Ibidem. Bd. III, S. 56. 


40* 


— 316 — 


doch ist die Darstellung hier, weil auch die Abbildungen in ihrer Nummerierung nicht 
stimmen, mir nicht klar geworden. Das basale Gebiet der medialen Wand ragt bei den 
Reptilien in den Ventrikel hinein, Dies früher wohl dem Septum pellueidum homologisierte 
Stück bezeichnet Herrick als intraventrieular lobe. Auch Meyer hat ihm neuerdings da- 
durch eine andere Stellung, als bisher angenommen, gegeben, dafs er es vom Septum schei- 
dend, dasselbe als mediales Stammganglion bezeichnet. Ventral vom Balken wird in der Rinde 
eine besondere Zellansammlung beschrieben. 

Aus dem Baso-oceipital nucleus entspringt beiderseits ein Faserzug der direkt zum 
Mammillare gehen soll und von Herrick als Fornix bezeichnet wird. Dies ist sicher eine 
falsche Homologisierung und Herrick selbst hält sie in späteren Arbeiten nicht mehr auf- 
recht, bezeichnet vielmehr ein anderes Bündel als Fornix. Die vordere Commissur der 
Schlangen enthält ein ventrales Bündel, das die Lobi olfactorii beiderseits verbindet, ein 
zweites geht zu den Zellanhäufungen an der Basis der Hemisphären, die hier als „Olfactory 
centres“ bezeichnet werden, das dritte verliert sich ganz hinten in den Baso-oceipital lobes. 
Dazu kommt noch dorsal die Balkenfaserung zwischen den Hemisphären und etwas weiter 
caudal hinter den Habenulae die „Supracommissur“. Sie steht in Beziehung zur Taenia 


thalami,. welche auch aus der Gegend des Baso-occip. lobe entspringt. 


Die im gleichen Jahre erschienene Arbeit von Köppen! bestätigt für das Vorderhirn 
im Wesentlichen die im ersten Hefte dieser Beiträge gegebenen Funde Köppen erwähnt 
aber noch da ein Bündel, das aus der Fornixkreuzung entspringend in das tuber einereum 
geht, offenbar den absteigenden Fornix. Köppen hat auch die Faserzüge aus dem basalen 
Hirngebiete zum Ganglion habenulae gesehen, die Taenia thalami. Ein Bündel aus der 
Commissura ant., die er nicht so vollständig wie Herrick beschreibt, hat er in den Nucleus 
sphaericus verfolgt. In der Rinde hat er die Tangentialfasern gesehen. 

Einen grofsen Fortschritt haben dann die Arbeiten von P. Ramon y Cajal’ über 
die Rinde der Reptilien gebracht. P.R. y Cajal hat gleichzeitig mit mir, mit der gleichen 
Methode das gleiche Objekt bearbeitet. Ich darf wohl, da durch seine vortreffliche, schon 1891 
erfolgte Veröffentlichung alle Prioritätsansprüche wegfallen, hier wenigstens auf die Gleich- 


zeitigkeit unserer beiderseitigen Arbeiten hinweisen. Die Resultate stimmen so sehr überein, 


ı Köppen, Beiträge zur vergleichenden Anatemie des Centralnervensystems der Wirbeltiere. Zur 
Anatomie des Eidechsengehirns, G. Schwalbes morphol. Arbeiten. 1. Bd, 3. H. Jena 18%. 
>P. Ramon y Cajal, El Encephalo de los Reptiles. Barcelona 1891. 


dals ich hier keinen Auszug aus der Cajalschen Arbeit gebe, sondern auf meine eigene 
Darstellung hinten verweise, bemerkend, dafs sie — soweit der Bau der Rinde in Betracht 
kommt — nichts enthält, was P. R.y Cajal nicht auch gesehen und beschrieben hat. Weiter 
gekommen bin ich nur für den Riechapparat. Meine eigenen Resultate statt der von 
P. R.y Cajal werden nur deshalb ausführlich mitgeteilt werden, weil sie zum Gesamtbilde, 


das zu zeichnen beabsichtigt ist, unerläfslich sind. 


S. Ramon y Cajal'! hat bald nachher gleiche Ansichten über die Hirnrinde der 
Eidechse veröffentlicht. Das prinzipiell wichtigste aus den Arbeiten der beiden Brüder ist 
der von S. Ramon mit grolser Präcision erläuterte Satz, dafs die Reptilienrinde 
schon in nuce die gleichen Elemente enthält, wie die Rinde der 
Säuger, nur einfacher, spärlicher, übersichtlicher. Das Schema ist 
das Folgende: In eine periphere Zone, deren Tangentialfasern noch aus Zellen der Rinde 
stammen, tauchen die Ausläufer der Pyramidendendriten. Die Axeneylinder dieser letzteren 
ziehen als Marklager dahin. In diese Rinde treten aus dem Balken und aus anderen 
Gegenden kommend Fasern ein, die sich aufzweigen. 

Z/weckmälsig reiht sich hier schon die Anzeige einer weiteren wichtigen Arbeit von 
Pedro Ramon y Cajal? aus dem Jahre 1894 an. Wieder mit der Silbermethode 
arbeitend, hat dieser verdiente Forscher diesmal erkannt, dafs der Bau der Rinde ein ver- 
schiedener ist, je nachdem man die medial-dorsale Platte — Ammonsrinde mihi — oder die 
laterale oder die lateroventrale Platte untersucht. Am genauesten wird die Ammonsrinde 
beschrieben, das gleiche Gebiet, dem meine Darstellung im ersten Hefte dieser Beiträge 
gewidmet ist. Ganz die gleichen Schichten werden auch unterschieden, aber die verbesserte 
Methode gestattet nun über die Zellen sehr viel mehr auszusagen. Von aulsen nach innen 
gehend, kann man unterscheiden: 

1. Zona molecularis. Enthält zahlreiche feine Tangentialfasern, deren feines Flecht- 
werk zum guten Teil aus den dort liegenden quer gestellten S. Ramon y Cajalschen 
Zellen stammt. Dazu kommen noch Fasern aus Collateralen der weilsen Substanz und 
solche, die aus der Balkenfaserung aufsteigen. In das Ganze tauchen die Dendriten der 


tiefer liegenden Zellen ein. 


ıS. Ramon y Cayal, Pequenas contribuciones al conoseimento del sistema nervoso. Barcelona 1891. 
2 Pedro Ramon y Cajal, Investigaciones mierograficas en el Encephalo de los Batraceos y 
Reptiles. Zaragoza 1894. 


— ls — 


2. Stratum cellulare, Pyramidenschicht mihi. Hier werden fünf verschiedene Zell- 
formen, spindelförmige, grolse und kleine Pyramiden, birnförmige etc. beschrieben, denen 
allen gemeinsam ist, dals die Dendriten sich peripherwärts begeben, während der Axen- 
eylinder, soweit er nachweisbar war, ventrikelwärts zieht, um — meist nach Abgabe einiger 
Collateralen — die Markschicht zu bilden. 

3. Zona molecularis inferior und 

4. Stratum cellulare profundum bilden Teile meiner inneren Neurogliaschicht und 
enthielten die zum Marklager herabziehenden Axencylinder, resp. die von daher zur Mole- 
eularschicht strebenden Fasern, aufserdem einige unregelmälsig spindelförmige Körper, deren 
Dendriten etwa in der Richtung der Ventrikelgrenze horizontal dahinlaufen, während der 
Verlauf des Axencylinders unsicher blieb. Darunter liegt dann 

5. Die Zone der weilsen Substanz. 

Ein guter Teil der Axencylinder aus den Pyramiden der Ammonsrinde gelangt in das 
„sagittale Mark“. Dies zieht an der Innenfläche des Gehirns dahin, wie ich es früher be- 
schrieben habe, und nimmt noch aus dem caudalen Hemisphärengebiete Fasern auf, die 
dorsal vom Balken ihm zuziehen. Im Balken selbst werden Kreuzungs- und Commissuren- 
fasern nnterschrieden. Das Commissurensystem ventral vom Balken, das zum Teil dem 
Fornix, zum Teil der Commissura ant. angehört, wird von Cajal sehr schön abgebildet, 
aber nicht genauer beschrieben, so dafs nicht sicher ist, wie weit er da klar geworden ist. 
Besonders wichtig erscheint mir seine ausdrückliche Angabe, dals Fasern aus der Commissura 
anterior beide Kugelkerne verbinden (s. 0. Köppen). 

Ich gebe nebenan zur Erläuterung des Gesagten eine Copie nach einer grölseren Kom- 
binationszeichnung des Verfassers und übertrage die dazu gehörige Erklärung. Aus ihr 
erhellt klar, wie viel weiter er gekommen ist, als alle seine Vorgänger. Auch zum Vergleich 
mit den Anschauungen, welche weiter unten als die meinen mitgeteilt werden sollen, wird 
die Figur 1 nützlich sein. 

Auch in einer Arbeit von Herrick finden sich einige einschlägige — allerdings von 
unvollständigen Imprägnationen stammende — Angaben über die Hirnrinde der Schildkröte. 

Die Reptilienrinde ist dann noch von Botazzi,! von Maracino°” und von 


ı Botazzi, Fil, Intorno alla corteceia cerebrale. Richerche del Laboratorio d’Anatomia normale 
di Roma. Vol. 3. Fase. 3. 

® Maracino, Arborio, Contributo all’ Histologia comparata della corteceia cerebrale. Giornale 
dell’ Associacione dei Medici et Naturalisti. Anno IV. 


—ı "39 — 


Milia' bearbeitet worden. Die Untersuchungen der beiden ersten Autoren führen, weil an 
kleinem Material mit ungenügenden Methoden ausgeführt, nicht über das bereits Bekannte 


hinaus. Die schönen und gewissenhaften Untersuchungen Botazzis beschäftigen sich, 


Fig. 1. Frontalschnitt durch die Hemisphären einer Eidechse nach P. Ramon y Cajal. 


A Innere, B mittlere, C äufsere Rindenplatte. # Traetus inferior oder Commissura im engeren Sinne, der 

seitlich in den Hirnschenkeln endet. F' Verbindungsfasern des Corpus callosum. 4 Absteigende, ungekreuzte 

Fasern aus dem Corpus callosum hervortretend. I Gekreuzte Fasern. ZL Faserbündel, das sich im Nucleus 

sphaericus aufteilt. M Plexus aus Balkenfasern gebildet, der in der gebogenen Region der inneren Rinden- 

platte sich aufteil. N Mehr lateral aufgezweigte Balkenfasern für die laterale Rindenplatte. O Fasern 

der Rinde, welche mit der Commissura anterior in Verbindung stehen. Unter den Peduneulis findet man noch 
grolse, mehr peripher liegende Zellen. 


ı Raff. di Milia, Contributo alla conoscenza istologiea dell’ asse cerebro-spinale dei Pesci e 
Rettili. Boll. d. Soc. di Napoli Serl. Vol. VII. An. VII. 1893. 


— 320 — 


aufser mit der Zellanordnung in der Rinde, wo nichts wesentlich neues beigebracht wird 
noch besonders mit den intracortikalen Fasern und dem Stabkranze. Tangentiale, inter- 
mediäre und interradiale Fasern werden in der Rindenplatte unterschieden. Den Stabkranz 
fand B. überall, aufser bei den Schildkröten, wo er ihm, weil er da nicht markhaltig ist, 
entging. Als Fascieulus cortico medialis beschreibt er das Scheidewandbündel, von dem er 
angiebt, dafs seine Fasern, die er vom Fornix scharf trennt, vorn an der Hirnbasis in die 
Horizontale umbiegen. Man wird später sehen, dals er hier die mediale Riechstrahlung und 
das Scheidewandbündel je zum Teil richtig beschreibt, ohne beide zu trennen. 

Wie man sieht, hatten sich alle diese Arbeiter sehr wenig nur mit der Faserung im 
Vorderhirn beschäftigt, offenbar weil sie zumeist uur mit einer Methode vorangingen, die 
nicht ausreicht, diese zu entwirren. So kam denn 1892 die Arbeit von A. Meyer! sehr 
erwünscht, welche endlich gründlich an die Auflösung der zahlreichen im Vorderhirn nach- 
weisbaren Faserzüge zu gehen versuchte. Meyer hat mittels Markscheidenfärbung das 
Gehirn einiger gröfserer Reptilien untersucht, er giebt speziell eine Beschreibung des Vorder- 
hirns von Caltopeltis. In vortrefflicher Beobachtung und kritischer Verwertung des Gesehenen, 
in vorsichtiger Erwägung der Homologisierung und in Ausnützung des Materials ist die 
Meyersche Arbeit geradezu als ein Muster für vergleichend anatomische Studien auf dem 
Gebiete der Hirnanatomie zu bezeichnen. 

Sie bringt zunächst eine gute Beschreibung der äufseren Form der einzelnen Typen. 
Innerhalb der Reptilientypen finden sich nicht unbeträchtliche Differenzen am Vorderhirne, 
namentlich das Schildkrötengehirn ist in einigen Beziehungen das relativ wenigst differenzierte. 
Das Vorderhirn wird eingeteilt in Mantel und Kern. Für den ersteren bringt Meyer wesentlich 
nur Bestätigung des Bekannten; um so wichtiger sind seine Angaben über den „Kern“. Unter 
diesem Namen falst er das ganze basale Hirngebiet und den Stammlappen zusammen. Im 
Stammganglion wird aufser dem Nucleus sphaerieus abgeschieden: ein laterales und ein 
mediales Ganglion, nur das letztere Finstrahlungsgebiet des basalen Vorderhirnbündels. Im 
Nucleus sphaericus endet ein Zug aus der Riechstrahlung. 

Die Hemisphaeren-Innenwand wird nicht allein von der Mantelzone gebildet. Man kann 
vielmehr erkennen, dafs sich direkt im Anschlw/s an die beiden oben erwähnten Ganglien auf 
sie eine diesen ähnliche Formation fortsetzt, allerdings nur im basalen Abschnitte. Man kann 
da hintereinander ein frontales und ein caudales Ganglion der Basis unterscheiden. Erst 


' Ad. Meyer. Über das Vorderhirn einiger Reptilien. Ztschrft. f. wiss. Zoologie. Bd. LV. 1892. 


— 321 — 


dorsal von diesen liegt das Septum pellueidum, wesentlich im caudalen Hemisphärengebiete 
nachweisbar. Eine seichte Furche trennt es von der rindenbedeckten Mantelzone. Diese 
Furche wird einer Furche bei Säugern homologisiert, welche den Randbogen in einen äulseren 
dorsalen und einen inneren ventralen teilt. In ihr läge der Ort, wo bei Säugern die Balken- 
fasern durchbrechen. Was ventral von ihr liegt, ist Septum und Fornix, was dorsal liegt 
entspräche dann wohl, wenn ich Meyer recht verstehe, dem Gyrus limbieus und dem Cornu 
Ammonis der Säuger. 

Mir scheint, dals hier Meyer völlig richtig einteilt und dafs er durch Festlegung der 
Beziehungen der einzelnen Teile zu der Furche — Fissura sagittalis septi wird sie unten 
genannt werden — sich ein sehr grolses Verdienst um die Homologisierung der einzelnen 
Teile des Reptiliengehirnes erworben hat. 

Dals im Stammlappen verschiedene Ganglienansammlungen abgeschieden werden können, 
das hat auch Herrick angegeben, er hat sie aber so ungenügend beschrieben, dafs ein 
Vergleich mit Meyers Angaben sehr erschwert wird. 

Auch über die Faserzüge hat Meyers vieles ermittelt. Aus dem Bulbus olf. stammt 
die Riechfaserung. Sie zieht rückwärts über die Spitze des Vorderhirnes weg und teilt sich 
dabei in mehrere Bündel. Das mächtigste begiebt sich lateral, tritt unter die Rinde und gelangt 
schlielslich in den Nucleus sphaericus, kleinere Anteile verlieren sich dorsal und mediobasal 
in den vordersten Mantel- resp. Kerngebieten. Aus dem letzteren Anteil werden Fasern 
beschrieben, die weiter rückwärts zur Rinde hinauf ziehen. 

Aus der Rinde ziehen an der medialen Mantelseite zahlreiche Fasern herab zur Hirn- 
basis, wo sie sich gekreuzt und ungekreuzt an die mediale Seite des basalen Vorderhirn- 
bündels anlegen: Projektionsfasern des Mantels. Sie sollen bis in das Tuber einereum zu 
verfolgen sein. Nur ein kleiner Teil gerät an die mediale Seite des Ganglion habenulae. 
Dieser, welcher zwischen Commissurensystem und Foramen Monroi dahinzieht, ist identisch 
mit dem, was ich nachher als Tr. cortico-habenularis bezeichnen werde. In die Taenia 
thalami gehen, was Meyer hier zum erstenmale feststellt, Fasern aus drei Bündeln ein, 
solche von der medialen Hirnbasis, von der lateralen Basis und solche, die dorsal vom 
B. V. Bdl. zuerst bemerkt werden. 

Sehr genau sind die Verbindungen der Hemisphären unter sich bearbeitet. Die Com- 
missura anterior entspringt als laterales Bündel aus dem vordersten Mantelgebiete, zieht 
rückwärts und wendet sich in der Schlufsplatte kreuzend als mediales Bündel in die mediale 


Rinde, welche dem Ventrikel am nächsten liegt. Chiasma partis olf. Co. ant. 


Abhandl. d. Senckenb naturf. Ges. Bd. XIX 41 


Ein Balken oder eine Commissura fornieis wurde bei der Natter nicht gefunden. Was 
man bei den Reptilien als solches bezeichnet, gehört nach Meyer, weil in der Schlulsplatte 
verlaufend, anderen Systemen an. Echte Commissuren kommen im Mantel nicht vor; da- 
gegen werden Fasern beschrieben, die dorsal von der Commissura anterior aus dem Mantel 
durch die Schlulsplatte hinübertreten und sich dem basalen Vorderhirnbündel medial anlegen. 
Sie werden dem Fornix homologisiert. 

Bei den Sauriern hat Meyer die von Rabl-Rückhardt und dann von mir be- 
schriebene kaudale Mantelkommissur, welche er bei den anderen Reptilien vermilste, auf- 
gefunden. Honegger' hatte sie nicht, wie wir, als Fornixkommissur deuten wollen, ihr 
vielmehr den Namen Commissurenbündel der Taenia semieircularis gegeben. Meyer macht 
dagegen gerechte Einwendungen, ohne sich aber zu einer festen Homologisierung entschlielsen 
zu können. 

Mit dem Commissurensystem beschäftigte sich dann noch eingehender Rabl-Rück- 
hardt” in einer Arbeit über das Riesenschlangenhirn. Er hat auch bei der Python die 
Commissura anterior in zwei Teile getrennt gesehen, den Riechanteil und den zum Stamm- 
lappen. Darüber hin verläuft die Commissura pallii — Osborns Balken. Aber gekreuzt 
ziehen aus der letzteren Fasern in die vordere Commissur herab. Diese gekreuzten Fasern 
hatte Köppen bei der Eidechse als Fornixstiel bezeichnet und auch Osborn hatte schon 
für sie die Bezeichnung Fornix gewählt. Alle Fasern, welche in die Spalte am medialen 
Mantelrand eintreten, sollen zum Balken gehen. 

Den basalen Abschnitt der medialen Wand, also den nicht von Rinde überzogenen, 
will Rabl-Rückhardt als Ammonsfalte bezeichnen. Es ist derselbe, den Meyer als Septum 
pellueidum und mediales Stamganglion bezeichnet. In meiner früheren Veröffentlichung war 
er nicht benannt. Wenn Rabl-Rückhardt und andere meine Bezeichnung „Fornixleiste“ 
auf das Gebiet beziehen, so liegt hier ein mir unerklärlicher Irrthum vor. Als Fornixleiste 
habe ich nur das Gebiet bezeichnet, welches dicht unter dem Balken als dünne Markleiste 
auftritt und in der That der Fimbria nach Lage uud Verhalten zum Fornix völlig entspricht. 
Rabl-Rückhardt giebt Meyer völlig zu, dals die von ihm früher Commissura fornicis 


genannte und nun mit Meyer als Commissura palli posterior bezeichnete Commissur bei 


ı J. Honegger, Vergleichend anatomische Untersuchungen über den Fornix. Revue zoolog. suisse. 
T. V. 1890. 


®H. Rabl-Rückhardt, Einiges über das Gehirn der Riesenschlange. Ztschrft. f. wiss. Zoologie. 
Bd. LVIII, 


Sauriern allein vorkomme. Er hat sie bis jetzt gefunden bei Lacerta, Psammosaurus. Iguana, 
Podinema, Chamaeleo, sie aber bei Krokodiliern, Ophidiern und Cheloniern vermilst. 

Herrick! will die Verbindungsfasern von Hemisphäre zu Hemisphäre, welche dorsal 
von der Commissura anterior liegen, gleich Osborn als Corpus callosum bezeichnen. Dabei 
lälst er es völlig dahingestellt, ob die verbundenen Teile dem Hirngebiete homolog sind, 
welches bei Säugern durch den Balken verbunden wird. Es entgeht ihm allein dadurch 
völlig die Möglichkeit einer Scheidung von Callosum und Psalterium. 

Schlielslich sei noch über einiges den Fornix Betreffende berichtet. Aus einigen Figuren- 
bezeichnungen in Herricks Arbeiten schien mir hervorzugehen, dals dieser Autor den Fornix 
besser kenne, als es seine Beschreibungen vermuten lassen. Denn nirgendwo giebt er eine 
präcice Beschreibung des in Rede stehenden Bündels. Ich schrieb deshalb an ihn und erhielt 
von ihm einen freundlichen Hinweis auf die verschiedenen Abbildungen, aus denen hervor- 
gehe, dals er den Ursprung einer Fornixfaserung im medialen Rindengebiete, namentlich der 
oceipitalen Region kenne, dafs er auch nicht zweifle, dafs diese Faserung durch den Thalamus 
zu seinem „Nidulus thalami inferius“ hinabziehe, das er ausdrücklich den Mamillaria homo- 
logisiert, allerdings mit der beeinträchtigenden Angabe, dass er keinen aus dem Thalamus 
dahin, gleich dem Viq. d’Azyrbündel, hinabziehenden Zug gefunden habe. Die Commissur des 
Fornix ventral vom Balken hat er, wie auch oben erwähnt wurde, wiederholt gesehen und 


so bezeichnet. 


Zur Zeit, als meine ersten Mitteilungen über das Vorderhirn erschienen, war über den 
Riechapparat bei den Reptilien so gut wie Nichts bekannt. Das hat sich nun geändert. 
Gerade hier setzen einige Arbeiter ein, wie schon aus den obigen Referaten hervorgeht. 
Aber es zeigt sich, dals Mangels der Benutzung ganz ausreichenden Materials bisher nur 
Bruchstücke des Ganzen gesehen worden sind und dafs es nicht gelingt, nach dem, was 
die Litteratur bringt, ein klares Bild von diesem wichtigsten Apparate des ganzen Reptilien- 
vorderhirnes zu erlangen. 

Dals vor dem Lobus olfactorius ein Bulbus liegt und dafs anschemend aus diesem sich 
eine mächtige markhaltige Riechfaserung entwickelt, die rückwärts zieht, wird allgemein 


angegeben und es hat aulser Meyer, dessen Angaben man oben findet, namentlich Herrick 


ı 0. L. Herrick, Topography and Histology of the brain of certain Reptiles. The Journal of 
comparative Morphology. Vol. 1, 1891, S. 14 und Bd. III, S. 77 und 119, 1893. 


41* 


— 324, — 


sich sehr bemüht, die Schwierigkeiten zu lösen. Die Angaben über den Endpunkt der 
Riechnervenwurzeln, wie man die Riechstrahlungen nannte, variieren sehr; Endigungen in 
der Rinde, im Nucleus sphaeriecus werden von Meyer und von Herrick beschrieben, ja 
der letztere will gar erkannt haben, dals Riechnervenwurzeln in die Taenia thalami 
übergehen. 

Den Ausgangspunkt für die Möglichkeit eines besseren Verständnisses der Riech- 
apparate bildet die schöne Entdeckung von S. Ramon y Cajal über den wahren Ursprung 
der Fila olfactoria. Er hat 1890 gezeigt, dals diese Riechnervenfasern aus Epithelien der 
Nasenhöhle stammen, dafs sie durch das Siebbein treten und dann an der Ventralfläche des 
Bulbus angekommen sich zu feinen Pinseln aufsplittern, denen lange Dendriten aus Bulbus- 
zellen entgegenkommen. Die Verflechtung der beiden Pinsel bildet zusammen das, was man 
früher den Glomerulus olfactorius nannte. P. Ramon! hat dann diese an Säugern 
gefundenen Verhältnisse für die Reptilien nachgewiesen und ganz neuerdings hat Löwen- 
thal? seine Angaben voll bestätigt. 

Eine Arbeit des Verfassers: „Über Riechapparat und Ammonshorn“, Anatomischer 
Anzeiger 1893, die speziell von den bei Reptilien erkannten Verhältnissen ausgeht und die 
zentrale Riechbahn da schildert, wird hier nicht ausführlicher referiert, weil ihre Resultate 
und die bessere Erkenntnis, welche in manchem da mitgeteilten mir inzwischen gekommen 
ist, nachher ausführlicher, als es damals 1893 geschah, mitgeteilt werden sollen. 

In dieser Arbeit wird der Nachweis erbracht, dals die laterale Riechstrahlung bei den 
Schildkröten direkt bis in die Hirnrinde verfolgt werden kann und da kein anderer Zug da- 
hin nachweisbar ist, geschlossen, dals die primäre Rinde Riechrinde sei. Leider wird 
nicht scharf genug unterschieden zwischen Riechlappen, Riech- 
feld und Ammonsrinde und wird der Irrtum begangen, die ganze 


tiechrinde einfach als Ammonsrinde zu bezeichnen. So kommt es, 


dafs die Stelle, wo die Riechstrahlung in die Rinde tritt — ein laterales Gebiet —, direkt 
als Ammonsrinde bezeichnet wird, während ich selbst doch früher — wie ich jetzt sehe, 
mit vollem Rechte — nur das mediale Rindengebiet Ammonsrinde genannt habe. Was ich 


also in der hier angezeigten Arbeit als Ammonsgebiet lateral bezeichnet habe, gehört nur 


ı P. Ramon y Cajal, El Encephalo de los Reptiles. Barcelona 1891. 
®N. Löwenthal, Contribution ä l’ötude du Lobe olfactif des Reptiles. Journ. de l’Anat. et de 
la Physiologie. T. XXX, 189. ran 


zum Teil dem Ammonshorn an. Weitere Studien ermöglichen es mir, den gemachten Irr- 
tum zurückziehen zu können. 

Diese Arbeit hat dann Herrick zu einer im Ganzen zustimmenden Kritik ver- 
anlalst, aber auch er ist offenbar schwankend über das, was man nun Ammonsrinde nennen 
soll. Speziell der Nucleus sphaerieus, jenes von mir zuerst bei Eidechsen beschriebene. 
dorsal vom Stammlappen liegende Gebiet, das nach Meyers Funden eine direkte Bahn aus 
dem Riechlappen aufnimmt, macht ihm langdiskutierte Bedenken. Seine Form und der 
Umstand, dafs der gleiche Riechzug bei Schildkröten in laterale Rinde tritt, machen es ja 
verlockend, ihn als eingestülpte Rinde anzusehen und gerade für diese Übergangsformen 
bringt Herrick auch einige Beispiele. 

In einer speziell dem Ammonshorn gewidmeten Studie betont Herrick!, dals er 
gerade die Rinde im medialen Gebiete des Oceipitallappens bisher als Ammonsrinde ange- 
sehen habe, und nicht die im Basooceipitallappen, welche mehr dem Lobus pyriformis ent- 
spreche. Dennoch neigt er an anderen Stellen wieder mehr zu der von mir irrtümlich 
gemachten Annahme. 

Die Radix lateralis olf. tritt nach Herrick bei den meisten Reptilien in eine flache 
Furche an der Aussenseite, ehe sie sich in die Tiefe der Rinde senkt. Nur bei den Eidechsen 
gerät sie schon rasch unter die Rinde selbst und endet im Nucleus sphaerieus. (Diese Furche 
entspricht aber nicht, wie ich meinte, der Ammonsfurche. Die Ammonsregion ist weder bei 
den höheren Vertebraten, noch bei den Reptilien direkt mit der lateralen Riechbahn verknüpft 2). 

Bei Alligator fehlt der Nucleus sphaericus; das Tier besitzt einen mächtigen Oceipito- 
basal lobe, der in das Hinterhorn des Ventrikels ragen soll. Seine Rinde geht direkt in das 
occipitale Rindengebiet über, das Herrick hier Hippocampus nennt. 

Die äufseren Formverhältnisse des Bulbus und Lobus olfactorius bei Reptilien der ver- 
schiedensten Klassen werden von Herrick,? eingehend beschrieben, das langgestreckte Aus- 
sehen der Lobi bei Alligator, das Wiedersheim und Rabl-Rückhardt zum Irrtum 
verleitet haben soll, dafs dieses Tier einen langen Nervus olfactorius habe, die Fossa olfac- 
toria, eine flache Aushöhlung an der Innenseite der Bulbi olf., welche die hier zu den 
Glomerulis tretenden Riechnervenfasern aufnimmt, die Ausdehnung des Ventrikels und manches 


ı C. L. Herrick, The Hippocampus in Reptilia. The Journal of comparative Morphology. 1891. 
Bd. III. S. 56. 

2 Derselbe, Topography and Histology of the brain of certain Reptiles. Ibidem. Vol. 1, 1891, 
S. 14 und Bd. III, S. 77 und 119. 


— 326 — 


Andere. Bei Schlangen entwickelt sich aus dem Bulbus — ich gebrauche hier die gebräuch- 
liche Nomenelatur und nicht die von Herrick, schon weil die Nomenclaturkommission diese 
acceptiert hat und es gut ist, nicht ohne Bedürfniss neue Namen einzuführen — medial 
und lateral die „Radix lateralis olf.“, die rückwärts ziehend bald von Rinde bedeckt wird. 
An der medialen Seite sieht man einige Fasern in das basale Hirngebiet — postrhinal 
lobe — ziehen, wo sie in dichten Zellmassen aufgehen. Ebendahin kann man die Com- 
missura olf. verfolgen. Der Bulbus olf. bei den Schildkröten ist gleichmäfsig oval und be- 
sitzt keine Fossa olf. Die aus ihm stammende Riechfaserung wird, wie es auch in meiner 
oben zitierten Arbeit geschehen ist, in die laterale Rinde verfolgt und Herrick homologisiert 
das Gebiet, wo sie endet, wie ich es auch that, mit dem Nucleus sphaericus der Eidechsen. 
Dieser Kern fehlt ja den Schildkröten. 


2. Methodik, Material. 


Bemerkungen zur Markscheidenbildung. 


Da es mir bei der neuen Untersuchung des Reptiliengehirns auf eine möglichst grofse 
Sicherheit der zu ziehenden Schlüsse ankam, und es sich herausstellte, dals einzelne An- 
ordnungen bei verschiedenen Tieren verschieden gut erkennbar waren, und da auch von 
den meisten bisherigen Untersuchern die Verhältnisse nur für die eine oder andere Art 
sicherer, vielfach aber doch gewissermassen zögernd, unsicherer geschildert worden sind, 
habe ich mich bemüht, ein so grolses Tiermaterial, als es immer möglich war, zu erwerben 
und durchzuarbeiten, auch alle heute zugänglichen Methoden anzuwenden. Ich muls an 
dieser Stelle den Herren Prof. Bötteher, dem bekannten Reptilienforscher, dem Direktor 
des zoologischen Gartens, Dr. Seitz, hier und Prof. Froriep in Tübingen ganz besonders 


für freundliche Unterstützung bei Beschaffung des z. T. seltenen Materials danken. 


Neben den eigentlichen Schneide- und Färbemethoden kamen die Wachsrekonstruktion 
nach Born und die Untersuchung embryonaler Tiere wieder mit Vorteil in Anwendung. 
Dagegen hat sich die eifrig betriebene Untersuchung solcher Tiere, denen längere Zeit vor- 
her Hirnteile weggenommen waren, wieder nicht als sehr fruchtbar erwiesen. Bei den 
Reptilien glückt es gar zu selten, deutliche Degenerationsbilder von Nervenfasern zu be- 


kommen, mag man die Marchi’sche oder die Weigert’sche Methode anwenden. 


ie 


Aufzählung der untersuchten Arten. 


Anguis fragilis. a) Neugeboren: 4 Serien Weigertfärbung und 3 Serien Golgimethode. 


b) Ausgewachsen: 3 Serien Weigert- und 5 Serien Golgimethode. 


2.—4. Lacerta agilis, viridis und vivipara. Reif, fötal und ganz jung, ca. 30 Exemplare, 


10. 


ill. 


12. 
ler 
14. 


15. 


1% 


z. T. nach Weigert, zum gröfseren nach Golgi, 3 nach der NissIschen Zellfärbe- 


methode nnd 2 mit Carmin resp. Hämatoxylin behandelt. 


Lacerta ocellata. 2 Exemplare, sehr grolse, über einen Fuls lange Tiere, von denen eine 


Sagittal- und eine Horizontalschnittserie hergestellt und nach Weigert gefärbt wurde. 
Phrynosoma cornutum. Frontalserie, nach Weigert gefärbt. 


Agamen. 2 Exemplare. Ein Exemplar nach Nissl zur Zellfärbung, ein zweites zur In- 


jektion der Blutgefälse benutzt. 
Varanus griseus. 3 grolse Exemplare, in den drei Hauptrichtungen geschnitten, Mark- 
scheidenfärbung. 


Crocodilus africanus. Sehr grolses Gehirn. Nicht geschnitten, sondern nur zur Fest- 


lesung der äulseren Formverhältnisse benutzt. 


Alligator lucius. 1 Exemplar von wohl 75cm Länge und 5 kleinere, von denen ich nur 
die Köpfe — durch die Güte von Prof. Osborn — erhalten habe. Ich schätze die 


Länge auf ca. 20 cm. 


Emys lutaria. Zehn 3—10 em lange Exemplare, zum Teil nach lang vorhergegangener 
absichtlich gesetzter Hirnverstümmelung untersucht. Weigert- und Golgimethode. 


1 Exemplar Osmium-Markscheidenmethode (Bellonci). 
Testudo graeca. 3 Exemplare. Weigertmethode. 


Chelone midas. 4 sehr grolse Fxemplare, alle mit Weigertmethode gefärbt. 
Python-Art? 3 Exemplare, doch nur bei 2 complete Serie, das dritte war für die 
Markscheidenfärbung, die versucht wurde, zu schlecht konserviert, die beiden an- 


deren — aus dem hiesigen Zoologischen Garten — waren trefflich frisch. 
Tropidonatus natrix. 4 Exemplare, erw. in allen Richtungen. 1 junges nach Golgi. 
Vipera berus. 1 Exemplar. Sagittalserie. 


Coronella laevis. 2 erwachsen, 2 fötal. 


Alle Schlangen nur nach der Markscheidenmethode behandelt. 


— 323 — 


Die zahlreichen (ca. 90) Serien, welche, wie man sieht, von all diesen Tieren ange- 
fertigt wurden, entsprechen Schnittrichtungen in den mannichfachsten Axen. Ich empfehle 
aber jedem, der sich orientieren will, zunächst einmal an gut eingebetteten Gehirnen Sagittal- 
schnitte zu machen. 

Es ist also hier ein viel grölseres Material zur Untersuchung gekommen, als bei den 
früheren Arbeiten. Dadurch wurde die Möglichkeit erreicht, den Bau des Reptilien- 
gehirns als Ganzes zu schildern, unabbängig von etwaigen kleinen durch die Art bedingten 
Differenzen. 

Was im Folgenden mitgeteilt wird, gilt, soweit nicht speziell anders angegeben wird, 
für die ganze Reihe. Dennoch soll gleich hier Eingangs angezeigt sein, dals nicht jede Art 
gleich eingehend durchgearbeitet ist, dals also weitere Untersuchungen doch hier und da 
noch Abweichungen von dem Gesamtbilde ergeben mögen. Das liegt an der Art, wie diese 
Arbeit entstanden ist. In den ersten Jahren hat mir nämlich nur Material von unseren 
kleinen einheimischen Reptilien zur Verfügung gestanden. An diesem habe ich ziemlich das 
Meiste ermittelt, was ich weils. Nun sind mir aber in den letzten Jahren erst die Köpfe 
der grolsen ausländischen Arten zugegangen. Diese wurden nun auch geschnitten, aber nur 
zur Nachprüfung der an den kleineren Tieren erkannten Verhältnisse benutzt, wobei natürlich 
sehr darauf geachtet wurde, ob nicht etwa neue, dort nicht vorhandene Dinge sich auffinden 
liefsen. Speziell in dem Abschnitte, der vom Zwischenhirn handelt, wird man die an so 
grolsen Tieren gewonnene Einsicht mitgeteilt finden. Das Vorderhirn, über das meine Arbeit 
fast abgeschlossen vorlag, ist nur revidiert worden. 

Die verwendete Technik ist eine so allgemein bekannte, dals sie hier zu besonderen 
Bemerkungen nicht mehr Anlals giebt. Es sei nur noch erwähnt, dals von den meisten 
Tieren mindestens ein Exemplar nach Entkalkung des Schädels geschnitten wurde, alle 
übrigen Gehirne wurden erst nach Herausnahme aus dem Schädel untersucht. Diese letztere 
Prozedur kostet, wenigstens bei den grolsen Schlangen, jedesmal einige Instrumente, die an 
dem zahnharten Schädel wie Glas abbrechen. Alle neugeborenen Reptilien mag man, sei es, 
dafs man Golgi- oder dals man Markscheidenfärbung wünscht, nur einfach ohne Öffnung des. 
Schädels in die konservierenden Mischungen einlegen. In der letzten Zeit habe ich, auf den 
Vorschlag von Dr. F. Blum hin, das Formol (von der 40°/o Formaldehydlösung, welche unter 
diesem Namen in den Handel kommt, 1 Teil auf 10 Teile Wasser) versucht und in demselben 
ein vortreffliches Mittel erkannt, das rasch härtet. Die so konservierten Gehirne sind kaum 


geschrumpft. Sie können sofort zur Zellfärbung mit Anilinfarben oder zur Markscheidenfärbung 


rag 


werden. Es ist in letzter Zeit die Angabe mehrfach gemacht worden, dafs man durch Nach- 
behandlung der Formolstücke mit Müllerscher Flüssigkeit diese Stücke zur Markscheiden- 
färbung verwenden könne. Aber die Resultate sind, soweit ich sie nachprüfte, doch recht 


mangelhafte gewesen. Vortreflliche, immer gut durchgebeizte Stücke aber erhält man, wenn 


man nach einem neuen Verfahren von Ü. Weigert vorgeht. Die Gehirne kommen 3—4 Tage 
in Formol — sie können auch Monate lang da bleiben — dann werden sie etwas abgewaschen 
und eingelegt in Weigertsche Flüssigkeit: Kali bichromieum 5,0, Alumen chromieum 2,0, 
Aqua ad 100,0. Da bleiben sie — in der Kühle — 5 Tage etwa. Das reicht zu völligem 
Eindringen der Chromsalze aus. Dann Alkohol, Einbetten, Kupfern nach bekannten Vor- 
schriften, Schneiden. Von der Tötung des Tieres bis zum Erhalten eines schnittfertigen 
Präparates vergehen etwa 10 Tage. Früher brauchte ich schon für eine kleine Fidechse an 
4 Wochen, für grölsere Tiere noch mehr, weil die Chromfixierung, welche für eine wirklich 
gute Markscheidenfärbung unerläfslich ist, sich so langsam vollzieht. 

Entkalkt habe ich — nach voraufgegangener Härtung — in 10°%o Salpetersäure 
oder in Trichloressigsäure. Die leztere wirkt rasch, macht aber böse Schrumpfungen, selbst 
an vorher gut erhärtem Material. 

Sehr gute Dienste hat mir zur Feststellung der äulseren Formverhältnisse das Born- 
sche Plattenmodellierverfahren geleistet. Ich besitze die Rekonstruktion eines - 
Eidechsengehirns in 1:20 und diejenige eines Blindschleichengehirnes in 1:30 Vergrölserung. 

Wir besitzen noch kein Verfahren, das mit Sicherheit die Verfolgung von Nerven- 
bahnen gestattet, deren Fasern marklos sind. Nun kommen aber gerade im Gehirne niederer 
Tiere sehr viele solche Züge vor. Dieser Umstand erschwerte bisher nicht wenig die 
Aufklärung. Glücklicherweise erlangt man durch das Golgiverfahren zuweilen pracht- 
volle Bilder von völlig durchgeschwärzten Axeneylinderbündeln. Durch Kombinierung einer 
recht grofsen Anzahl solcher Präparate kann man über die marklosen Züge viel Aufklärung 
bekommen. Mit Ausnahme des basalen Vorderhirnbündels enthält wahrscheinlich jeder Vorder- 
hirnzug eine Mehrzahl markloser Fasern. 

Das Vorderhirn der verschiedenen Reptilien steht, soweit die Markscheidenbildung 
in Frage kommt, auf sehr verschiedener Höhe. Wohl die meiste Masse der Markfasern besitzen 
die Schlangen und es ist kein Zufall, dals Meyer, der die Reptilien der verschiedensten 
Klassen untersucht hat, gerade am Nattergehirn über viele Punkte erst Klarkeit gewonnen 
hat. Eine ganze Anzahl Züge, welche bei den Schlangen reich und stark entwickelt sind, 


sind bei den Schildkröten nur durch marklose Bündel dargestellt; bei den Eidechsen und 


Abhandl. d Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 42 


Krokodilen liegt, wie die spätere Schilderung zeigen wird, ein Grad der Ausbildung vor, 
welcher etwa zwischen den beiden erstgenannten steht. 

Aber mein Material war nicht ganz ausreichend, um eine wichtige Frage zu lösen, 
die nämlich nach der Entwicklung der Markscheiden bei einem und demselben 
Tiere. Es mülste jemand, der hier Sicheres bringen wollte, eine richtige Zucht anlegen. 
Ich habe das für unsere Blindschleiche versucht, bin aber an der Schwierigkeit, die Jungen 
zu füttern, gescheitert. Innerhalb einer Stadt läfst sich das Kleinfutter, dessen sie bedürfen, 
nicht aufbringen. 

Die Frage ist deshalb so wichtig, weil ich allmählich den Eindruck gewonnen habe, 
dafs die gleiche Bahn bei dem gleichen Tiere einmal sehr reich, 
ein andermal arm an Markfasern sein kann, namentlich aber auch finde, dals 
bei sehr nahe verwandten Tieren, Lacerta viridis z.B. und Lacerta ocellata, die grölsere Art 
an gleicher Stelle verhältnismälsig sehr viel mehr Markscheiden hat, als die kleinere. 
Das muls nachgeprüft werden von einem Beobachter, der unter günstigeren Verhältnissen 
arbeitet, deshalb, weil Alles darauf hinweist, dafs die Umhüllung einer Bahn mit Markscheiden 
ein Höheres, Vollkommneres ist, dals hier ein Fortschritt vorliegt, der andere Funktionen 
ermöglicht. Als gutes Vergleichobjekt empfehle ich die Commissura pallii anterior, die bei 
den allermeisten kleinen Arten völlig marklos ist, aber bei den grölseren Tieren, mit Aus- 
nahme der Schildkröten, immer mehr oder weniger viele Markfasern führt. Aufserdem die 
subeorticale wesentlich zum Fornixsystem in Beziehung stehende Faserung, die bei unseren 
kleinsten Eidechsen nur hier und da einige Markfasern enthält, während sie bei Varanus 
und Lacerta ocellata ein mächtiges Marklager bildet. 

Wahrscheinlich eignet sich der Alligator als ein grolses langsam wachsendes Tier, von 
dem Exemplare aller Längen beschaffbar sind, sehr gut zu solcher Ermittlung. Die Köpfe 
der drei kleinen Exemplare, die ich untersuchen konnte, hatten sicher nicht alle Mark- 
scheiden fertig, darauf wiesen allerhand Übergangsbilder hin, das gröfsere Exemplar, dessen 


ich habhaft wurde, war aber zu schlecht für derlei Untersuchung konserviert. 


3. Äussere Form. 


Die Aufgabe, welche ich mir bei der Erforschung des Reptiliengehirns gestellt habe, 
geht dahin, möglichst alle Kerne und ihre Verbindungen zu ermitteln, damit es dermaleinst 


gelingen möge, von diesem niedrig stehenden und doch mit Rinde bedeckten Gehirne ein 


vollständiges Bild zu gewinnen, ein Bild, das als Unterlage für die Lösung von Fragen aus 
der vergleichenden Psychologie verwertbar sein möchte. 

Die äulsere Form wird deshalb nur soweit als sie zum Verständnis des Ganzen erforder- 
lich ist, geschildert werden. Hat sie ja doch auch in den Arbeiten Herricks, Meyers 
und besonders auch Rabl-Rückhardts und in Wiedersheimers Lehrbuche genügende 
Berücksichtigung bereits gefunden. Auch werden die Unterschiede, welche die einzelnen 
Arten bieten, nicht immer angeführt werden, wenn sie nicht durch Besonderheiten des inneren 
Aufbaues bedingt sind. Es ist mir immer die Frage, ob etwa der Thalamus opticus rund oder 
viereckig sei, geringfügig erschienen, neben derjenigen, welche die Verbindungen und den 
Aufbau des Thalamus ermitteln möchte. Doch ist das nicht der allgemeine Standpunkt, und 
die Überschätzung der auf die äufseren Formverhältnisse gerichteten Studien hat wohl dazu 
beigetragen, dals man so lange nicht nach dem inneren Aufbau gesucht hat. 

In den bisherigen Beschreibungen des Reptiliengehirns waltet eine öfter wechselnde 
und nach den einzelnen Autoren durchaus verschiedene Nomenclatur. Dadurch wird das 
Verstehen der Abhandlungen erschwert und wird die Möglichkeit von vergleichenden Studien 
hinausgeschoben. Die grolse Unsicherheit, welche bisher über die Bedeutung der meisten Teile im 
Reptiliengehirn geherrscht hat, verzögerte natürlich und erschwerte jede präzise Namengebung. 
Wenn ich in dieser monographischen Bearbeitung es wage, mit einer möglichst gleichmälsig 
durchgeführten Nomenclatur hervorzutreten, so bin ich hierzu einerseits durch das wohl all- 
seitig anerkannte Bedürfnis gezwungen, anderseits aber auch ermutigt durch die gewonnene 
Einsicht in den Aufbau des zu Benennenden. Wo immer es möglich war, ist die bisherige 
Bezeichnung erhalten geblieben. Es handelt sich viel weniger um neue Namen, als um ganz 
scharfe Abscheidung der einzelnen Hirnteile durch solche Namen, die bisher in unbestimmtem 
oder gar wechselndem Sinne gebraucht worden sind. Das Wichtigste ist, dals für jeden 
Namen genau gesagt wird, welchen Teil er bezeichnet, ja dals, wenn möglich, diese Bezeich- 
nung selbst sich im Namen ausdrückt. 

Für das Säugergehirn hat vor Kurzem die Nomenclaturkommission der ana- 
tomischen Gesellschaft! eine wichtige Arbeit (vollendet. Sie hat die Namen für die 


gesamten äufseren Formverhältnisse des menschlichen Gehirns festgestellt und diese Namen 


ı Wilhelm His, Die anatomische Nomenclatur. Nomina anatomica. Verzeichnis der von der 
Commission der anatomischen Gesellschaft festgestellten Namen. Separat aus Arch. f. Anat. und Physiologie, 


anat. Abteilung. 189. 
42* 


u 


werden wohl nun — allseitig acceptiert — auf lange Zeit hin die benutzten sein. Vieles 
wird, das zeigt schon eine erste Überlegung, sich durch die ganze Tierreihe hindurch bequem 
verwenden lassen ; so die Einteilung des Vorderhirns, des Thalamus ete. Den Grundsätzen, 
welche jene Kommission aufgestellt hat, versuche ich zu folgen. Für die meisten äulseren 
Formen acceptiere ich einfach ihre Namen. Bei Faserzügen wird, wo immer das möglich 
ist, der Anfangs- und Endpunkt in der Namengebung berücksichtigt sein. Z. B. Tractus 
thalamo-mamillaris für Vig. d’Azyrsches Bündel; aber die alten Namen sind nicht ganz aus- 
geschieden. Man wird demgemäls den Fornix z. B. wiederfinden, in. dem allerdings ein 


Traetus cortico-habenularis, ein Tractus cortico-mamillaris ete. unterschieden werden. 


Ss 
N 


N 


Fig. 2. Gehirn von Varanus griseus. ca. 6mal vergr. 


Eine Reptilienhemisphäre hat etwa die Gestalt eines Kegels mit abgerundeten Kanten 
oder auch einer halbierten Birne. Der Stiel der Frucht entspricht dem Lobus olfactorius, 
das breite Ende dem oceipitalen Pole des Hirnmantels, die Schnittfläche der sagittalen 
Scheidewand. 

Vorn basal liegt der Lobus olfactorius. Dieser keulenförmige Lappen weist 
innerhalb der Reihe die grölsten Differenzen auf. Bald sitzt er kurz und gedrungen der 
Vorderhirnspitze auf, bei den Schildkröten; bald stellt er einen sehr langen, dünnen Stiel 
nur dar, welcher sich erst am frontalen Hirnpole zum aufsitzenden Konus verbreitet, so bei 
Alligator und Crocodilus. Dazwischen liegen dann alle Übergangsformen. Namentlich inner- 
halb der Ordnung der Schuppenkriechtiere, der Squamata, begegnet man solchen Übergängen. 
So haben die Eidechsen und ihre nächsten Verwandten, die Agamidae und Anguidae, lange, 


ziemlich dieke, keulenförmige Riechlappen, aber bei Varanus und bei Iguana — letzteres 


—ı 833 — 


siehe die Abbildung bei Meyer — kommen dünne Riechlappen vor, welche zu denen der 
Krokodile überführen. Etwas kräftigere, aber immer lange und dicke Riechlappen haben 
auch die Schlangen. Bei ihnen ist überhaupt der Lobus olfactorius im Verhältnis zum 
übrigen Gehirne grölser als bei den anderen Reptilienarten. 

Das keulenförmige Aussehen wird dadurch bedingt, dals die frontale Spitze des Riech- 
lappens immer von der Formatio bulbaris überzogen ist. In diese histologisch gut 
abgränzbare Formation münden, aus den Epithelzellen der Nase kommend, die Fila olfactoria. 
Meist handelt es sich um sehr zahlreiche kurze Ästchen, die nach kurzem Verlauf in dem 
Schädelinneren hier eintreten. Nur bei den Schildkröten, wo der Lobus ganz kurz ist, 
sammeln sich die Riechnervenfäden zu einem langen, ein gutes Stück der Schädelhöhle 


durchmessenden dicken Strange, einen Nervus olfaetorius. 


Bei den Säugern bezeichnet man die als mächtige Verdiekung dem Riechlappen auf- 
sitzende Formatio bulbaris als Bulbus olfactorius. Zu einem solchen Bulbus kommt es nun 
bei den Reptilien sehr selten, eigentlich nur bei den Krokodilen. Hier ist die Formatio 
bulbaris so mächtig, dafs sie allseitig über den sehr dünnen Lobus hinausragend, einen echten 
Bulbus olfaetorius bildet. Die übrigen Reptilien besitzen abgegrenzte Bulbi in dem 


Sinne, wie das Wort bisher gebraucht worden ist, nicht. 


Die Länge des Lobus olfaetorius, diejenige der Riechnerven, die Entwicklung eines 
Bulbus über sehr langen dünnen Lobis, das alles ist offenbar nur abhängig von 


der Entwicklung des nasalen Abschnittes des Schädels. 


Die Formatio bulbaris grenzt sich immer als graue Masse sehr wohl ab von dem Lobus 
olfactorius, weil aus ihrem caudalen Ende sich zahlreiche dicke weilse Fasern entwickeln, die 
Radiatio bulbo-corticalis, welche den Lobus überzieht und sich, soweit sie nicht 
in ihn eintaucht, schlielslich an seiner lateralen Seite zu einem mächtigen Zuge vereint, den 
man bei den grölseren Tieren immer mit blolsem Auge, bei den kleineren aber leicht mit der 
Loupe erkennt. Dieser Zug der Tracetus cortico-epistriaticus lälst sich leicht, 
dicht unter den oberflächlichsten Rindenschichten, zum Teil auch über ihnen belegen, rück- 
wärts verfolgen, wo man ihn dann — Varanus, Chelone — vor dem Schläfenpol des Hemis- 
phaerium fächerförmig aufsplittern sieht. Dieser Fächer liegt aber schon unter der Rinde im 


Epistriatum und schimmert nur eben weils durch. 


Der Lobus olfactorius geht ohne scharfe Grenze caudal und basal in die Area 


olfaetoria über. Diese nimmt die ganze basale Fläche des Vorderhirns ein. Nahe dem 


— 34 — 


oceipitalen Ende verdickt sie sich manchmal etwas zu einer kleinen, basal gerichteten Her- 
vorragnng, dem Tuber taeniae. 

Die Area olfactoria entspricht im Wesentlichen dem Lobus olfactorius posterior der 
Säuger, Ich habe aber diesen Namen hier nicht verwendet, weil die Möglichkeit besteht, dafs dieser rinden- 
bedeckte Hirnteil dort noch andere Verbindungen und Anordnungen enthält, welche den Reptilien entweder 
fehlen oder so rudimentär sind, dafs sie mir bisher entgingen. Area-olfactoria — Riechfeld — präjudiziert 
weniger und schliefst absolute Homologisierung, welche eben noch nicht möglich ist, aus, 

Das Riechfeld gehört schon zu dm Stammlappen des Gehirns. Ihm sitzt direkt 
das mächtige Striatum auf, von dem sich ein dorsaler Abschnitt anderen Baues als 
Epistriatum sondern läfst. Das Epistriatum umgreift hinten das Striatum dorsal und 
lateral. 

Der Stammlappen ist von dem Mantel bedeckt, aber von ihm durch den Ventrikel 
geschieden. Aus ihm entspringt in mächtigem Pinsel die Radiatio strio-thalamica, das 
basale Vorderbündel. Wenn man ein Reptilengehirn so legt, dals die Basis nach oben schaut, 
so erblickt man den dicken Zug der Stammganglionfaserung, welcher durch das graue 
Riechfeld hindurchscheint und unter dem Öpticus verschwindet, der jenes caudal abschliefst. 


(„Hirnschenkelfaserung* auf der Wiedersheimerschen Abbildung von Hatteria.) 


Die Gesamtform des Hemisphaeriums ist oben einer halbierten Birne 
verglichen worden. Länge und Wölbung sind nun für die einzelnen Ordnungen wechselnd 
und wohl zu gutem Teil von der Schädelkonfiguration beeinflulst. Denn wie verschieden 
auch die äulsere Form ist, die Untersuchung der Schnitte hat nicht ergeben, dals etwa aus 
einem verlängerten Temporalpole mehr oder andere Fasern entspringen, als aus dem kaum 
angedeuteten Schläfenläppchen. Im allgemeinen kann man sagen, dals bei den Schlangen 
und den Eidechsen, auch den Krokodilen, die Hemisphäre länger im Stirn- und Schläfenteil 
ist, als bei den Schildkröten, wo das Ganze mehr gedrungen erscheint, auch im oceipitalen 


Pole weiter nach hinten über einen Teil des Mittelhirndaches hinweg reicht. 


Man erkennt fast immer mehr oder weniger deutlich eine flache Grube, welche an 
der Basis des Riechlappens beginnend, rückwärts zieht und am temporalen Pole endet. 
Sie scheidet Riechlappen und Area olfactoria von dem Pallium und verdient deshalb den 
Namen Fovea limbica. 

Andere Furchen habe ich mit Sicherheit nicht konstatieren können, doch soll nicht 
unerwähnt sein, dals mir zuweilen an erhärteten Gehirnen grölserer Reptilien eine kleine 


jederseits von der Fissura longitudinalis cerebri verlaufende flache Furche aufgefallen ist. So 


— 355 — 


bei Crocodilus und bei einem Python. Ich würde sie gar nicht erwähnen, zumal sie an der 
Wachsrekonstruktion meines Eidechsengehirns nicht zum Vorschein kam, wenn nicht bei den 


Vögeln ebenda eine richtige Fovea longitudinalis zuweilen nachweisbar wäre. Meyer 


Aypenkysis 


Fig. 3a. Crocodilus africanus, 2:1. 


Nach dem in Formol gehärteten Präparate, fast keine Schrumpfung. 


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Fig. 3b. Lacerta viridis,. Nach einer Wachsrekonstruktion. ca. 5:1. 


Due 4 > 
7 are off. 
er 


Fig. 3c. Chelone midas. Nach dem frischen Präparate. ca. 2:1. 


macht mit Recht darauf aufmerksam, wie leicht bei der relativen Weite der Reptilienventrikel 
durch die Schrumpfung des dünnen Palliums Furchen künstlich erzeugt werden können, zu- 


mal wenn der Mantel sich über das in der Längslinie eingekerbte Striatnm legt. 


— 3836 — 


Bei dem weiteren Studium unterscheidet man zweckmälsig die gewölbte Aufsen- 
wand von der senkrecht gestellten sagittalen Scheidewand. 

Eine abgerundete Facies occipitalis schliefst hinten den Mantel ab. Sie ist es, welche 
bei den Schildkröten und auch bei den Krokodilen sich zu einem oceipital gerichten Fort- 
satz vergrölsert. Die laterale Wand geht ventral direkt in das Gebiet des Stammlappens 
über. An ihrem caudalen Pole bildet sie immer eine kleine Hervorragung aus, die ihrer 
Lage nach einem kleinen Schläfenläppchen vergleichbar wäre. 

Der Seitenventrikel geht bis in dieses Läppchen herab und bildet so eine Art Unter- 
horn hier. Dies Unterhorn wird an seiner medialen Seite nicht mehr von Hirnrinde begrenzt, 
sondern von sehr verdünnter Mantelwand, die hier den Ventrikel von dem Schädelinneren 
abschliefst (s. z. B. Taf. I, Fig. 9). Im ventralen Abschnitte dieser dünnen Platte verlaufen 
Fasern aus dem Tuber Taeniae zum Ganglion habenulae, der dorsale geht unmittelbar in die 
Schlufsplatte und deren weitere Verdünnungen zu Plexus choroides ete. über. 

Es liegt nahe, wenn einmal der vordere Pol des Mantels als Lobus olfactorius be- 
zeichnet ist, den Mantel weiter einzuteilen in Lobus parietalis, frontalis, oceipitalis ete. und 
in der That hat Herrick das gethan. 

Ich möchte aber hier gegen derartige nur durch die Lage bedingte Bezeichnung des- 
halb Einspruch erheben, weil, wäre sie einmal angenommen, leicht falsche Begriffe geschaften 
würden. Der Lobus oceipitalis, der Säuger z. B., mit denen man bei derlei Bezeichnungen 
natürlich zuerst homologisiert, existiert bei den Reptilien noch gar nicht, er tritt erst bei 
den Vögeln auf. Was bei den Reptilien oceipital liegt, entspricht, wie unten gezeigt werden 
soll, ganz anderen Hirnpartieen. So entständen, wollte man später den schon bei den Rep- 
tilien Oceipitallappen genannten Hirnteil weiter aufwärts in die Tierreihe verfolgen, die 
allergröfsten Schwierigkeiten. Lobus oceipitalis, um bei dem einmal gewählten Beispiel zu 
bleiben, ist nicht allein eine Hervorragung am Oceipitalpole, sondern eine ganz bestimmte 
Hirnpartie mit spezieller Rindenbeschaffenheit und festen Beziehungen zum Sehnerven- 
ursprunge. Ein Lobus frontalis tritt überhaupt erst bei den Säugern auf, ja bei den niedersten 
derselben fehlt er wohl noch ganz, um sich bei den Primaten, ja erst beim Menschen zu 
seiner vollen Höhe zu entwickeln. Der Mantel am Stirnpol der Reptilien hat rein gar nichts 
mit dem nun einmal Lobus frontalis genannten Hirnabschnitte gemeinsam. 

Die Rinde überzieht überall den Mantel. Nur an der medialen Seite ragt sie nicht 
bis zur Basis. Hier endet sie vielmehr ganz scharf in einer fast horizontalen, dorsalwärts 


konvex gekrümmten Linie. Sie bedeckt also nur die dorsale Hälfte der Scheidewand, die 


—.33U — 


ventrale bleibt frei von ihr. Zwischen diesen beiden Abschnitten der sagittalen Scheidewand, 
dem basilaren rindenfreien und dem dorsalen rindenbedeekten Teile verläuft eine 
feine Spalte, die Fissura arcuata Septi. Dorsal von dieser Spalte schimmern 
dicht unter der Rinde feine weilse Längszüge durch, welche im frontalen Gebiete nur dünn 
sind, aber je weiter man caudal geht, um so kräftiger werden. Von ventral her ziehen 
massenhaft feine Fasern aufwärts, welche in die Fissura eintauchen und in jenem weilsen 
Streifen verloren gehen. Weiter rückwärts wird der Spalt immer breiter, die weilse Faser- 
masse liegt völlig frei zu Tage, bildet eine Hervorragung im Grunde der Spalte und diese 
Hervorragung am freien Rindenrand der Hemisphäre, welche, wie 
später gezeigt wird, wesentlich ihre Fasern zum Fornix und zum Psalterium, auch zur Com- 


missura anterior sendet, habe ich früher als Fornixleiste bezeichnet. 


Fig. 4. Varanusgehirn. Mediale Seite. 


Die Figur ist so hergestellt, dafs erst ein frisches Gehirn mit Lupenvergröfserung gezeichnet worden 
ist und dann Markfaserung, Konfiguration der Schlufsplatte, Epiphysengegend und Hypothalamus, kurz alles 
mit der Lupe unsicher bleibende nach gefärbten Serienschnitten eingezeichnet wurde. Um möglichste Korrekt- 
heit für diese noch nicht richtig dargestellte Schnittfläche zu erreichen, sind drei Varanusexemplare dazu 


benutzt worden. Die Bezeichnungen Co. pall. ant. und Co. pall. post. zu vertauschen. 


In der Gegend, welche dorsal von der Commissura anterior liegt, verbreitert sich die 
Fornixleiste zu einem breiten Felde, das oben von der Rinde, unten nur von Plexus choroides 
begrenzt ist. Hier liegen alle Markfasermassen völlig frei zu Tage, von hier aus wenden sie 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX 43 


sich zu ihren verschiedenen Endstätten. Dies Feld mag als Markfeld der Innenwand 
bezeichnet sein. 

Das ventrale Gebiet zerfällt wieder, darauf hat Meyer energisch und wiederholt hin- 
gewiesen, in zwei ihrem Wesen nach verschiedene Abteilungen, in einen ganz basilaren 
Abschnitt, in welchen, wie Meyer meint, die graue Formation des Stammganglion hineinragt 
— von ihm Ganglion mediale anterius und posterius genannt — und einen dorsaleren, den er 
dem Septum pellueidum homologisieren will. 

Man mufs unbedingt zugeben, dals in der That hier graue Massen liegen, aber meine 
Methoden, auch die Versilberung, haben nicht ausgereicht zu der Ermittlung, ob sie wirklich 
gleichartig gebaut sind wie das Striatum. Mir scheint vielmehr dasjenige, was Meyer als 
mediales Ganglion bezeichnet, ein Teil der Area olfactoria zu sein oder doch zu der Formation 
dieser, dem hinteren Riechlappen der Säuger homologen Ganglienzellansammlung zu gehören. 
Ich möchte also lieber mich dahin ausdrücken, dals der basale Teil der Scheidewand noch 
von der Riechformation gebildet wird. Wir haben ein Analogon noch bei Säugern in dem 
als Area Brocae bezeichneten Felde, Vergl. Fig. 24 in dem His’schen Berichte der anato- 
mischen Nomenclaturkommission. Das ganze hier in Rede stehende (Grebiet enthält zerstreut 
liegende multipolare Ganglienzellen und ein feines Geflecht markhaltiger Nervenfasern, dessen 
weiterer Verlauf nicht klar geworden ist. Überzogen und durchzogen ist es von dem Traetus 
cortico-olfactorius septi, der hier vom Riechfelde aus in medial und dorsal gewendetem Zuge 
hinauf zur Rinde zieht, um als frontalstes Bündel der dorsal von der Bogenfurche des Septums 
gesammelten Systeme sich in die Rinde zu senken. Diese Fasern ziehen also von unten vorn 
nach oben hinten. Sie werden an einigen Stellen durch andere Fäserchen gekreuzt, welche 
aus dem frontalsten und medialsten Rindengebiete stammend ventralwärts ziehen. Sie gehören 


dem Traetus septo-mesocephalicus an. 


Denjenigen Teil der Riechformation, welcher an der Medialwand sichtbar wird, möchte 
ich mit der Nomenclaturkommission als Area parolfactoria (Brocae) bezeichnen. Die Area 
parolfactoria nimmt an dem Frontalpol des Hemisphaeriums die ganze Wand ein (Taf. I, Fig. 3). 
Aber in einiger Entfernung von diesem Pole beginnt die Fissura arcuata septi, zunächst 
nur als schwache Furche, welche durch den Eintritt der eben erwähnten Riechfaserung 
charakterisiert ist. Von dieser Stelle ab wird die Area parolfactoria schmaler, niedriger, 
es tritt zwischen ihr und der Furche ein Wandgebiet auf, das viel zellärmer ist, aber vor 
allem sich dadurch charakterisiert, dafs in ihm und über es hinweg grolse Massen mark- 


haltiger Fasern, die Riechstrahlung zur Rinde und der 'Tractus septo-mesocephalicus, ziehen. 


— 339 — 


Dies Gebiet, welches caudalwärts an Dicke zunimmt, ja durch einen eigenen kleinen Vor- 
sprung des Ventrikels innen von der übrigen Hirnwand sich gut abscheidet, nenne ich 
Septum, hier in völliger Übereinstimmung mit Meyer. Man studiert am besten die 
Frontalschnittserie der Tafel I, Figur 4—7, wenn man diese Verhältnisse wohl ver- 
stehen will. 

Aus dem Septum selbst entspringen noch Fasern. Meyer hat einige zuerst bei 
Caltopeltis als Natternbündel beschrieben, und auch meine Präparate liefsen hier manchmal 
einen Zug erkennen, der im Septum beginnend rückwärts zieht und vielleicht in die Com- 
missura anterior gerät. 

Das Septum wird hinten durch die Schlufsplatte begrenzt. An seinem caudal 
dorsalen Ende liegt jenes oben als Markfeld der Innenwand geschilderte Gebiet. Dies Mark- 
feld der Innenwand sowie die über das Septum und durch es ziehenden Fasern können erst 
unten genauer beschrieben werden, wenn die Commissurenbündel und das Marklager ge- 
schildert sind. 

An gröfseren Reptilien erkennt man mit blo(sem Auge, dafs auf der medialen Scheidewand mehrere 
distinkte Faserzüge verlaufen. Von der Basis her erhebt sich ein feiner, weilser Überzug, der Traetus 
olfactorius septi, die mediale Riechstrahlung, um rückwärts und aufwärts ziehend in der Fissura 
sagittalis zu verschwinden. Vom oceipitalen Pole aus streben massenhaft Fasern vorwärts und abwärts, 
Sie enden zum Teile in dem deutlich sichtbaren Markfelde der Innenwand, zum Theil gesellen sie sich, die 
Regio commisuralis überschreitend, einem fächerförmig nahe der Mantelkante entspringenden Bündel zu, 
dem Traetus septo-mesocephalicus, dem Markbündel der sagittalen Scheidewand, das ich früher schon 
beschrieben habe. Dies Bündel sammelt sich nahe der Hirnbasis zu einem geschlossenen Zuge, s. Fig. 4, S. 337. 

In der Lamina terminalis verlaufen die Commissuren. Man unterscheidet zweck- 
mälsig Commisuren des Stammes von solchen des Mantels. 

Den ersteren sind die drei Bündel der Commissura anterior zuzurechnen, den 
letzteren eine vordere und hintere Palliumcommissur. Die hintere ist nicht bei 
allen Reptilien nachweisbar. 

Dorsal von den Commissuren verdünnt sich die Schlufsplatte zu dem Plexus 
choroides und der auf ihn folgenden Paraphyse. Die Bogenfurche des Septums endet 
genau in dieser Höhe. Sie setzt sich ganz direkt in die bei Reptilien sehr kurze Fissura 
choroidea fort. Dadurch gewinnt sie denn eine gesicherte morphologische Stellung. Sie 
entspricht also nach ihrer Lage, aber auch wie man jetzt erkennt, nach ihren Beziehungen 
zur Rinde des Randbogens der Fissura choroidea, welche in der Entwickelung des 
Säugergehirnes wohl studiert ist. Direkt vor ihrer Endigung in dem Plexusgebiete ver- 


43* 


— 340 °— 


breitert sich der Boden der Furche zu einer kleinen Grube, in deren Grund das Markfeld 
der Scheidewand liegt (Taf. I, Fig. S und 9). 

Ich habe schon in meiner ersten Mitteilung erläutert, dafs ich die Rinde, welche das 
dorsale Gebiet der Scheidewand überzieht und sich über die Hirnkante hinweg verlängert, 
der Ammonsrinde der höheren Vertebraten homologisiere. Der Ursprung eines Fornix 
aus derselben und das bei den Eidechsen nachweilsbare Vorkommen einer Commissura fornieis, 
eines Psalterium zwischen beiden Rindenfeldern, dann der in dieser Mitteilung zu erbringende 
Nachweis, dals aus dem Riechfelde, ganz wie bei den Säugern, hierher die mediale Riech- 
strahlung zieht, schlielslich die Lage am medialen Hemisphärenrande, dicht an dem Aufhören 


desselben und seiner Verdünnung zum Plexus, berechtigen voll zu dieser Auffassung. 


Bei den Säugern bezeichnet man die frontale Fortsetzung der Ammonsrinde, diejenige, 
welche nicht mehr eingerollt ist und über dem Ventrikel liegt, als Gyrus limbieus. Ich halte 
es für wahrscheinlich, dafs in dem Rindengebiete, welches bei den Reptilien als Ammonsrinde 
bezeichnete wurde, die Elemente des Gyrus limbieus und der Ammonsrinde gegeben sind. 

Nennt man also diese Rinde Ammonsrinde, so darf man die Fissura arcuata septi 
wohl auch als Aditus cornu Ammonis bezeichnen und das Markfeld der Innenwand zu 
grölserem Teile der Fimbria homologisieren. Auch die Fimbria liegt zwischen Rinde und 
Plexus choroides, auch sie entsendet den Fornix und das Psalterium. Aber da in dem er- 
wähnten Markfelde auch noch andere Züge liegen, resp. es kreuzen etc. so ist es einem 
grölseren Hirngebiete als der Fimbria homolog. Nur enthält es u. A. auch die Fimbria. 
Caudal vom Markfeld und ventral von ihm verdünnt sich also die mediale Wand zum Plexus 
choroides. 

Ein sehr kräftig entwickelter Plexus medialis, der den Raum zwischen den Epi- 
physen und dem oceipitalen Hirnpole erfüllt, sendet nach vorn beiderseits in die Ventrikel je 
einen Plexus lateralis, der bei verschiedenen Arten wechselnde fronto-oceipitale Ausdehnung hat. 
Bei den Schildkröten erreichen diese Plexusbildungen ihre höchste Entwicklung. Die Blut- 
gefälse, welche zwischen Mittelhirndach und Mantel hierher hinabtreten, bilden dort noch dorsal 
vom Gehirne in der Schädelkapsel grolsartige Geflechte die wohl ein eigenes Studium verdienten. 

Die Plexusbildungen liegen bereits caudal von der Schlufsplatte des Vorderhirnes. 
Diese, welche den mittleren Ventrikel frontal abgrenzt, ist aulserordentlich schmal, weil die 
Hemisphären, welche sich jederseits an sie anschlielsen, ganz dicht bei einander liegen. Es 
gelingt selten, ein Reptiliengehirn so absolut richtig sagittal zu schneiden, dals man die ganze 


Schlufsplatte in einen Schnitt bekäme. Des mittleren Ventrikels wird bei der Beschreibung 


— 3411 — 


des Zwischenhirnes zu gedenken sein. Von ihm gehen beiderseits durch die engen Foramina 
interventricularia (Monroi) die Seitenventrikel ab. Diese ragen nach vorn bis an 
die äulserste Spitze des Riechlappens. Im Mantelgebiete haben sie, wenigstens in den vor- 
deren */s, einen [1 förmigen Querschnitt, der dadurch entsteht, dafs in den Hohlraum des 
Mantels hinein das Stammganglion ragt. Der medial liegende Schenkel des N und der 
laterale sind aufserordentlich eng, das Verbindungsstück an der dorsalen Hirnkante ist etwas 
weiter und enthält in seinem caudalen Abschnitte einen Plexus choroides. Die Seitenventrikel 
haben also je ein Aufsen- nnd ein Innenhorn. Auch einen temporalwärts gerichteten 
Fortsatz, ein Unterhorn besitzen sie, wie bereits erwähnt wurde und schliefslich sei ange- 
geben, dals sie bei den Sauriern und Schlangen ein Hinterhorn besitzen, welches von dem 
frei in es ragenden caudalen Teil des Epistriatum fast erfüllt wird (Taf. I, Fig.1—8; Taf. II, Fig.7). 

Aus dem Stammganglion, aus dem basilaren Abschnitt der Scheidewand und aus der 
Hirnrinde entspringt die Faserung, welche das Vorderhirn teils in sich, teils 
mit tiefer liegenden Centren verknüpft. Dazu gesellt sich noch die Riech- 
faserung aus den einzelnen Abschnitten des Geruchsapparates. 

Das Vorderhirn ist auf das innigste mit den Ganglien des Zwischenhirnes und wahr- 
scheinlich durch eine dünne Bahn mit dem Mittelhirn verbunden. Fasern zum Kleinhirn, 


zur Oblongata oder zum Rückenmarke sind nicht festzustellen, 


Soweit die Beschreibung dessen, was makroskopisch unter Umständen sichtbar wird. 
Es sollen nun in einzelnen Abschnitten die Hirnteile und die von ihnen ausgehende Faserung 
geschildert werden. Dann mag ein Schlulskapitel versuchen die Beziehungen des Reptilien- 


gehirnes zu den Gehirnen höherer Tiere festzustellen. 


4. Riechapparat. 


Formatio bulbaris, Fila olfactoria, Tractus bulbo-corticales. — Lobus olfactorius, 
Tractus eortico-olfactorius und cortico-epistriatieus. — Area olfaetoria, Traetus cortico- 
olfaetorius septi. — Nucleus oecipito-basalis Herrick, Tractus olfacto-habenularis 


thaeniae und Traectus transversalis thaeniae. 


1. Übersicht. Die Abbildungen des Reptiliengehirnes in den Abhandlungen und in 
den Handbüchern weisen merkwürdige Bezeichnungen der zum Riechapparate gehörigen Teile 


auf. Namentlich werden die Ausdrücke Bulbus, Traetus, Lobus ständig für verschiedene Teile 


— 342 — 


wechselnd gebraucht. Das liegt daran, dafs sich fast alle älteren Angaben auf Untersuchungen 
stützen, die der mikroskopischen Kontrole entbehren. Es ist aber das an dieser Stelle 
notwendiger als irgendwo anders. Man kann einem frontal vom Gehirn an der Schädelbasis 
liegenden langen Zuge nicht ohne Weiteres ansehen, ob er aus den eintretenden Fila olfac- 
toria besteht, ob er also in einen Bulbus mündet, oder ob er aus einem Bulbus olfactorius 
stammend schon centrale Faserung zum Lobus etc. ist, oder auch ob es sich nur um einen 


dünnen Lobus olfactorius handelt, der sich erst caudal verdickt. 


Bei den Schildkröten ziehen die Riechnervenfasern, ehe sie sich in den Bulbus ein- 
senken, eine lange Strecke durch den Schädel, bei anderen Reptilien, dem Alligator z. B. 
und dem Krokodil, auch den Eidechsen, sind die Riechnervenbündel kurz, aber hinter dem 
Bulbus, wo sie sich einsenken, liegt ein langes dünnes Stück Lobus, von Riechstrahlung 
überzogen, das erst weiter hinten sich kegelförmig verdickt. So entsteht in beiden Fällen 
das gleiche Bild für die makroskopische Betrachtung. Einmal wird aber der lange Zug 
durch wirkliche Riechnervenfasern, ein zweites Mal durch die secundäre Strahlung gebildet, 


entspricht also dem, was man gewöhnlich einen Tractus olf. nennt. 


Die Riechnervenfäden, welche bei Reptilien aus den Riechgruben in das 
Gehirn treten, bilden nicht wie bei den Säugern dort zunächst eine dicke Bulbusanschwellung. 
Es überzieht nur eine Formatio bulbaris den vorderen Teil des Lobus olfactorius 
auf längere oder kürzere Strecke. An den Lobus schliefst sich caudal die Area olfac- 
toria an, die ventralste Gehirnpartie, welche caudal sich zu dem Tuber Taeniae vorwölbt. 
Wenn die Formatio bulbaris ihr caudales Ende gefunden hat, wird die Lobusrinde frei. 
Sie geht unmittelbar über in die Rinde am Stirnpole des Mantels. Hier vereinen 
sich alle die verschiedenen Rindenplatten zu einer unregelmälsigen Rindenformation, welche 
den Stirnpol des Mantels umfafst und von der Rinde des Lobus nicht scharf zu trennen ist. 
Diese Formation mag der Area parolfactoria zugerechnet werden, wenn man sie nicht 
überhaupt vom Riechlappen trennen will, wozu ihr Verhalten bei Schlangen, wo sie besonders 


ausgebildet ist, Veranlassung geben könnte. 


Zum Riechapparate sind dann noch einige andere Teile des Gehirns zu rechnen, 
welche in besonders mächtiger Verbindung mit den eben erwähnten zweifellosen Riech- 
gebieten stehen. Zunächst das Rindenfeld des Riechapparates in der mediodorsalen 
Rinde, dann das Epistriatum und schliefslich wohl der Apparat des Ganglion 


habenulae und des Corpus mamillare. 


— 343 — 


2. Einzelnes. Die Formatio bulbaris entsteht dureh die Vereinigung der Riech- 
nervenfäden mit den Ausläufern von Ganglienzellen. Die Riechnervenfäden Fila olfactoria 
treten in grofser Menge durch die Schädelbasis herein zum Gehirne. Sie splittern, dicht am 
Gehirne angekommen, jeder einzeln, zu einem sehr starken Pinsel der allerfeinsten Fäden 
auf und in diesen Pinsel senken sich ganz feine, aufserordentlich diehte Endbäumehen aus 
Dendritenfortsätzen grolser, in der Formatio bulbaris liegender Zellen. Das Kaliber dieser 
Dendriten ist stärker als dasjenige der Filia olfactoria. Der Riechnerv erreicht in dieser 
Kontaktverbindung, wie zuerst S. Ramon y Cayal, dann ausführlich Gehuchten 


nachgewiesen hat, seine primäre Endstätte. Die Imprägnierung der grofsen Bulbuszellen 


Mitralzellen, S. Ramon y Cajal gelingt sehr leicht. Ebenso ist der Nachweis nicht 


—E TG, so 


. £ri 14 
thaeniarg=e 


Z M 
ZZ 
Tuber Taeni2 


(2) 
„e 


or 


Figur 5 Schema des Gesamtgeruchsapparates bei den Reptilien. 


Dies Schema sollte zur Klarlegung des folgenden Textes ständig beigezogen werden. Es ist nur als 
Kommentar zu diesem bestimmt, 
selten zu erbringen, dafs die aus ihnen stammenden Axencylinder sich caudalwärts wenden, und 
da, wo die Bulbusformation aufhört, frei auf die Oberfläche des Riechlappens heraustreten. 
Diese Riechnervenfasern zweiter Ordnung sind bei allen grölseren Reptilien durchweg mark- 
haltig, hei den kleineren und den Schildkröten nur teilweise. Ebenso sind sie beim Alligator, 
im jugendlichen Zustande wenigstens, nur teilweise markhaltig.. Am mächtigsten ist ihre 


Lage bei den Schlangen ausgebildet, selbst bei ganz kleinen Exemplaren. Zum Studium 


— 34 — 


empfehle ich die Tropidonotus, weil sie gute Übersichtsbilder giebt, besonders an Sagittal- 
schnitten. Man muls aber beim Herausnehmen eines Schlangengehirnes aus dem engen, harten 
Schädel doppelt vorsichtig verfahren, sonst reilst man das vordere Lobusende mit der 
Formatio bulbaris ab und kommt leicht in den Irrtum, dafs die nunmehr frei entspringenden 
markhaltigen Fasern die Riechnervenfäden seien. Ich glaube, dieser Irrtum ist mehr- 
fach passiert (Taf. I, Fig. 1—3). 

Öhen ist angeführt, wie die Formatio bulbaris das frontale Ende des Lobus olfac- 
torius überzieht. Der Lobus hat dort noch nicht seine ganze Rindenformation, es ragt 
vielmehr unter die Bulbusformation nur die dorsalste Schicht, das Stratum moleculare. 
Macht man Frontalschnitte oder Sagittalschnitte durch das von Bulbusformation überdeckte 
Lobusende, so begegnet man der Radiatia olfactoria zwischen beiden Schichten. (Siehe 
Fig. 5 und auch Rad. olf. an dem Fig. 7, Tafel II abgebildeten Schildkrötengehirne.) Die 
Fasern der Riechstrahlung bleiben auch noch eine Strecke weiter rückwärts dorsal von der 
Lobusrinde, deren Tangentialschicht bildend. Wenn sich aber etwas weiter caudal die 
Lobusrinde in voller Formation entwickelt, verlieren sich in ihr zahllose Fasern aus der 
tiechstrahlung. Sie treten da nicht nur in die Tangentialschicht, sondern auch in den 
tieferen Plexus, welcher medial von der Zellschicht liegt, ein. Ich vermute, dafs sie frei 
aufgesplittert in der Rinde enden, denn gerade da, wo man sie eintauchen sieht, liegen 
massenhafte Dendriten von Rindenzellen, die wohl zu Kontaktverbindung geeignet sind 
(s. T. III). Die Goleimethode läfst jedenfalls nur freie Enden der feinen Riechfäserchen 
hier erkennen. Die Tangentialfaserschicht ist eine über das ganze Reptiliengehirn fast kon- 
tinuierliche. 

Diese Faserune ist bekanntlich früher als diejenige der „Riechnervenwurzeln“ bezeichnet 
worden. Da man aber durch die Untersuchungen von S. Ramon y Cajal weils, dals die 
wirklichen Wurzeln des Riechnerven in den Fila zu erblicken sind, welche den Epithelien 
der Nasenhöhle entstammen, so ist der ältere Name nicht mehr aufrecht zu erhalten. 
Besser wäre vielleicht die Bezeichnung Traetus bulbo-corticales. Die ganze Faserung 
aus dem Bulbus endet aber nicht in der Rinde, ein Teil gelangt vielmehr in die Area olfac- 
toria und weiter; so soll zunächst: Radiatio olfactoria gebraucht werden. 

Da die mannigfachsten Darstellungen vom Weiterverlauf dieser Riechfaserung gegeben 
worden sind, so mufs hier etwas näher auf dieselbe eingegangen werden. Man hat mediale 
und laterale Richfaserung abtrennen wollen. Das ist nicht richtig, schon weil der medial 


anscheinend in Verlängerung der Riechfaserung liegende Zug gar nicht aus dem Bulbus 


— 345 — 


stammt. Besser stellt man sich die Sache so vor, dafs die Riechstrahlung, wenigstens mit 
ihren feineren Ästchen, die ganze Lobusspitze überkappt, etwa wie ein Pinsel, den man auf 
einen Konus drückt. Aber es sammelt sich lateral, Herrick hat das zuerst gesehen, die 
Mehrzahl der markhaltigen dicken Fasern an, nachdem die dünneren in die Rinde unter- 
getaucht sind und bildet einen mächtigen Faserzug, die Rieehstrahlung s. str. Bei den 
Eidechsen, wo er klein ist, bei den Schlangen, wo er seine gröfste Mächtigkeit erreicht, 
tritt dieser Faserzug zu einem guten Bündel geschlossen, an der Lobusmitte etwa, in die 
Tiefe unter die Rinde und wendet sich dann nahe der Basis lateral, um dann weiter rück- 
wärts zu ziehen. Auf diesem Wege durchwandert er die Area olfactoria und hier läfst er 
zweifellos die Mehrzahl seiner Fasern, ein Teil aber gelangt in das Epistriatum (s. u.). 

Die Riechstrahlung gehört zu den elementaren Gehirnfaserungen, denn sie wird überall 
an gleicher Stelle wiedergefunden. Die Endigung der aus den Mitralzellen des Bulbus 
kommenden Fasern nach längerem meist in markhaltigen Röhren erfolgenden Dahinziehen 
in der Lobusrinde und der Area olfactoria ist überall dieselbe. Nur ist bei Vögeln und 


Säugern die Endigung eines caudalen Abschnittes im Epistriatum noch aufzufinden. 


Die Traetus bulbo-corticales entstammen also den Zellen des 
Bulbus und enden teils in der Rinde des Lobus olfactorius, teils 
in dem Corpus epistriatum. 

Der Lobus olfactorius ist bei den Schildkröten im Verhältnis zum Gehirne 
viel grölser als bei den Echsen und Schlangen. Er ist bei den ersteren etwa eiförmig und 
auf seine ganze Ausdehnung hin von den mächtigen Einstrahlungen der Fila olf. bedeckt. 
Fast überall überzieht ihn deshalb auch die Formatio bulbaris. Eine kleine nicht constante 
Ineisur trennt ihn von dem Mantel des Vorderhirns. Der Ventrikel geht fast bis an seine 
Spitze vor und in diesen Hohlraum ragen gelegentlich die frontalsten Enden des Plexus 
choroides noch hinein. 

Am frischen Gehirne scheint der Schildkrötenlobus nicht rundlich eiförmig, sondern länglich, wie bei 
den anderen Reptilien zu sein. Erst Schnitte zeigen dann, dafs es sich um die mächtige Strahlung der Fila 
handelt, die in weitem Zuge an den Riechlappen herantretend und ihn überziehend, einen langen Lobus 
vortäuscht. 

Bei den Schlangen, den Eidechsen, der Blindschleiche ist der Lobus langgestreckt, 
fingerähnlich etwa, und durch eine ganz seichte Grube nur von dem Grolshirn abgesetzt, in 
dessen Oberfläche er direkt überzugehen scheint. Die Fila sind spärlicher, dünner und bilden 


relativ dünnere Bündel. Die Formatio bulbaris bedeckt bei den Schlangen und den Blind- 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges Bd. XIX. 44 


— 346 — 


schleichen den Lobus nicht ganz. Namentlich an der medialen Seite reicht sie nur wenig 
weit caudal. Sie erfüllt da de Fovea bulbi (Taf. I, Fig. 1), eine kleine flache Grube 
im Lobus. 

Auf Frontalschnitten durch die Lobi erhält man immer peripher die Formatio bulbaris 
und central die Lobusformation. Diese Unterscheidung rechtfertigt sich durch das mikrosko- 
pische Verhalten einerseits und durch vergleichend anatomische Erwägungen andererseits. In 
der Tierreihe ist es nicht überall so. Bei den Säugern z. B. sitzt die Formatio bulbaris der 
Lobusspitze nur für eine kurze Strecke auf, der Riechlappen selbst ist da aber sehr viel 
kräftiger entwickelt, als bei den Reptilien. Hier ist er oft so dünn, dals er eher dem zum 
Traetus olfactorius atrophierten Lobus des Menschen gleicht. 

Dieser dünne Lobus olfactorius ist also an seiner Oberfläche überall, sowohl an dem 
noch von Formatio bulbaris bedeckten frontalen Abschnitte, als weiter hinten, von der Riech- 
strahlung bedeckt und sieht deshalb bei allen grölseren Arten ziemlich hell aus. Auf die ganze 
Länge des Lobus aber, schon innerhalb der Formatio bulbaris, senken sich in seine Rinde 
Fäserchen aus jener Strahlung ein, ja dies Einsenken erstreckt sich noch weithin caudal- 
wärts auf den ganzen frontalen Rindenabschnitt überhaupt. Auf Taf. IV ist das noch zu 
erkennen. Diese Figur ist durchweg nach Präpäraten mit peinlicher Treue gezeichnet. Es 
sind aber mehr als 20 Schnitte, von denen der eine dieses, der andere jenes gut imprägniert 
zeigte, hier kombiniert. Man sieht, wie die Fasern dorsal und ventral von den Zellen ein- 
dringen und im Bereich der Dendriten frei enden. EFigentliche Endbäumehen kommen nicht 
vor. Die Lobusrinde zeigt etwas anderen Typus, als die hier gezeichnete Hirnrinde, bedingt 
durch die noch stärkere Einstrahlung der Radiatio olfactoria. An den Stellen, wo diese 
tinde noch von Formatio bulbaris bedeckt ist, gelang mir selten eine gute Imprägnation. 
So leicht man dort die Endbäumehen und die Zellen in der Formatio bulbaris schwärzen 
kann, so schwer fällt die Imprägnation der tieferen Schicht. Hier und da bekommt man 
allerdings einzelne Zellen gut gefärbt. Sie gleichen den kleinsten Rindenpyramiden. 

Auf allen Querschnitten durch das frontale Ende des Lobus kann man von aulsen 
nach innen unterscheiden: 1. Schicht der Fila. 2. Schicht der Glomeruli. 3. Schicht der 
Mitralzellen, 4. Markfaserung aus den Mitralzellen. 5. Rinde des Lobus olf. Von dieser 
Rinde ist in den frontalen Abschnitten nicht die ganze Dicke, sondern nur die Moleeularschicht 
vorhanden. 6. Mark des Lobus olfactorius. 7. Ventrikelepithel. 

Die Rinde vorn im Riechgebiete lälst sich übrigens nicht allzu schwer auf den gewöhn- 


lichen Rindentypus zurückführen. Man muls nur die Mitralzellen einer der Rindenpyramiden- 


— 3m — 


formen gleich stellen. Dann ergiebt sich sofort der folgende Typus: Eintauchen der Riech- 
nervenfäserchen in die Molecularschicht der Rinde. Dort treten ihnen, ganz wie den 
Tangentialfasern die Pyramidendendriten, die Dendriten der Mitralzellen entgegen. Die 
Mitralzellen entsenden keine Stabkranzfasern, sondern, wie viele Rindenzellen, nur einen 


intracortical bleibenden und endenden Faserzug, eben die Riechstrahlung. 


Es ist schon oben erwähnt worden, dafs ein grolser Teil der Tractus bulbo-ecorticales 
sich nicht sofort in der Rinde des Riechlappens verliert, sondern an der Aufsen- und Unter- 
seite des Gehirnes weiter rückwärts zieht. (Lat. Riechnervenwurzel d. Autt.) Dies dicke 
Bündel geht dann innerhalb der Area olfactoria, an der Hirnbasis so mannigfache Be- 
ziehungen zu dem feinen Markfasernetz ein, welches da liegt, dals es sich fast aufzulösen 
scheint. Aber gerade an dieser Stelle scheint ihm ein neuer Zuwachs zu kommen. Es ge- 
langen nämlich hier an die Hirnbasis mächtige Fasern, welche bisher als der Bulbusformation 
entstammend galten und zu den Tractus bulbo-corticales gerechnet wurden, von denen mir 
aber eine ganz andere Abstammung wahrscheinlich geworden ist. Die Verstärkung stammt 
höchst wahrscheinlich aus dem Lobusmarke. Sie erreicht, ventralwärts ziehend, das enge 
Geflecht der Area olfactoria und die dort noch vorhandene Faserung aus dem Bulbus und 
ist, wenn sich beide Züge einmal getroffen haben, nicht mehr von jener zu scheiden. Das 
neu verstärkte Bündel wendet sich nun rückwärts und an die laterale Seite des Gehirnes, 
um da aufsteigend allmählich in das Epistriatum einzustrahlen. Man darf diesen Zug aus 
der Lobusrinde in das Epistriatum, welchem wohl noch Bulbusfasern beigemengt 
sind, bezeichnen als Tractus cortico-epistriaticus, rot in dem Schema Seite 343. 
In den Figuren der Tafeln sind meist beide Fasernteile zusammen als Radiatio olfactoria 
bezeichnet. 

An Markscheidenpräparaten sieht man zwar den Ursprung aus der Lobusrinde, kann 
aber nicht mit aller Sicherheit die Fasern von den an gleicher Stelle liegenden Zügen der 
Traetus bulbo-corticales trennen (Taf. I, Fig. 3, 4, 5, 6, 10; Taf. II, Fig. i, 2, 3, 4, 5, 6; 
Taf. IV), sehr gut aber vermag man an solchen Präparaten, wenn sie sagittalen Schnitten 
entstammen, die Einstrahlung des ganzen Zuges in das Epistriatum zu sehen. Die Faserung 
ist bei den grolsen Eidechsen noch mächtiger als bei den Schlangen (vergl. Fig. 2, 3, Taf. II, 
Varanus und Python). 

Dafür, dafs man die zum Epistriatum ziehende Faserung von dem Traetus bulbo- 
corticalis trennen soll, spricht auch das Verhalten ihrer Markscheiden. Sie ist nämlich 
immer markscheidenhaltig, selbst in Fällen, wo bei kleineu Eidechsen, Blindschleichen und 


44* 


— 348 — 


jungen Schildkröten, die aus dem Bulbus stammende Faserung nur zu geringem, ja frag- 
lichem Teile markhaltig ist. 

Es gelingt keineswegs immer mit Sicherheit, den Traetus cortico-epistriaticus von 
dem Tr. bulbo-eorticalis abzuscheiden, und ich glaube, dals eine gewisse Unsicherheit, welche 
immer wieder während der Nachforschungen über diesen Punkt bei mir eintrat, nur durch 
Degenerationsversuche zu entscheiden sein wird, wenn wir einmal eine für Reptilien ver- 


wertbare Degenerationsmethode besitzen. 


Die Riechstrahlung würde sich also zusammensetzen aus den Tractus bulbo- 
corticales, soweit sie nicht schon in den frontaleren Rindengebieten eiugetaucht sind und 
aus den Tractus cortico-epistriatiei, die dem Marke des Lobus olfactorius und der Area parol- 
factoria entstammen. Wie viel Anteil jedem einzelnen dieser Faserzüge hier zukommt, das 
ist noch unentschieden, ja es ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dals bis in 
das Epistriatum gar keine Fasern aus der Bulbusformation mehr kommen, dafs der in jenes 


Ganglion einstrahlende Zug allein aus dem Lobusmarke ‚stammt. 


Eine besondere Schwierigkeit bei der Verfolgung des Lobusmarkes erwächst noch 
aus dem Umstande, dafs es einen Faserzug giebt, der parallel mit der Riechstrahlung, 
aus der Rinde am Stirnpole zur Faserung an der Hirnbasis herabzieht, den Tractus fronto- 
(thalamieus?) (Taf. II, Fig. 2). Näheres s. u. 

Die Riechstrahlung sieht man bei allen Reptilien auf der Oberfläche vor dem Temporal- 
pole von der Basis dorsalwärts hin sich fächerförmig ausbreiten (Fig. 3c, S. 335). Bei den 
Eidechsen und Schlangen tritt ihr mächtiger Zug fast geschlossen in das Epistriatum und den 
da liegenden Kugelkern, bei den Schildkröten zieht der Epistriatumanteil der Riechfaserung 
weiter lateral, ganz an der Aulsenfläche des Gehirnes dorsal und caudal, zum Teil innerhalb 
der Rinde, zum Teil über sie hinweg und senkt sich an der Stelle angekommen, wo die Rinde 
zum Epistriatum einbiegt (siehe oben), mit dieser in die Tiefe (vergl. Taf. II, Fig. 5 u. 6). 

Die Trennung der Radiatio bulbo-corticalis von dem zum Epistriatum ziehenden Lobus- 
marke ist bisher von den Autoren, auch von mir selbst in früheren Mitteilungen, nicht vor- 


genommen. Man liefs die „laterale Riechnervenwurzel“ im Epistriatum enden. 


Im Inneren des Lobus und der Regio parolfactoria endet immer ein Faserzug aus der 
Commissura anterior, der markhaltige und marklose Fasern gemischt führt. Es sind immer 
nur relativ wenige Fasern der Commissur, deren Hauptmasse in die Area olfactoria ein- 


strahlt. Näheres s. u. 


Areaolfisetoria, Riechfeld (Taf. I, Fig. 3—6, 10; Taf. II, Bio. 2,5, 65 
Taf. III; Taf. IV). Unter diesem Namen wird das Hirngebiet verstanden, das an der Basis 
liegend, vorn unmerklich in den Lobus olfactorins übergeht und hinten sich zu dem Tuber 
thaeniae verdickt. Es schliefst also in sich Teile von Meyers basalem Stammganglion und 
den Nucleus oceipito-basalis von Herrick. Dies Gebiet ist bei den verschiedenen Reptilien 
ziemlich gleich stark entwickelt und immer wohl nachweisbar. Es setzt sich zusammen aus 
mehreren kleinen Ganglien, deren Zahl mir zu wechseln schien. 3—4 kleine Gruppen von 
Zellen glaube ich annehmen zu dürfen, die von einem feinen Netzwerke markhaltiger Nerven- 
fasern und einem noch feineren von Fäserchen, die sich nur in Silber imprägnieren, erfüllt 
sind. Eine solche ganz frontal gelegene s. Fig. 3 andere Fig. 5, 6, 10, Taf. I. Im caudalen 
Gebiete vermag man speziell zwei durch die abgehende Faserung charakterisierte Ansamm- 
lungen abzuscheiden, den Nucleus oceipitobasalis Herricks und eine davor liegende Zellgruppe, 
die ein Bündel dorsalwärts in die Scheidewand sendet (Taf. III; Taf. II, Fig. 4). 

Wahrschemlich ist die Area olfactoria nächst der Formatio bulbaris das älteste Riech- 
gebiet. Denn sie tritt schon bei den Knochenfischen auf, wo von einem eigenen mit Rinde 
überzogenen Mantelgebiete nichts mit Sicherheit nachweisbar ist. Die Riechstrahlungen 
senken sich dort in die Area ein. Doch bedarf die vergleichende Anatomie dieses Riech- 
feldes noch weiterer Studien. 

In der Area olfactoria endigt im Wesentlichen der laterale Abschnitt der Radiatio 
bulbo-eorticalis. Hier zieht auch der Tractus cortico-epistriatus vorbei, so dicht, dals er nicht 
mit Sicherheit von der eben genannten Faserung an einfach gefärbten Präparaten zu trennen 
ist, s. o. Vor allem aber endet hier der gröfste Teil der Commissura anterior olfactoria 
(lan 20, Tkez 0). 

Eine scharfe Grenze zwischen der Area olfactoria ventral und dem dorsal von ihr 
liegenden Striatum vermögen die von mir verwendeten technischen Methoden nicht immer 
zu geben. Silberimprägnation führt noch am weitesten, weil sie die verschiedenen Zellarten 
erkennen lälst. 

In den lateralen Gebieten der Area olfactoria findet man jene zuerst von Kölliker 
beschriebenen merkwürdigen Zellen, die an beiden Polen einen dichten Dendritenbüschel 
aussenden. Ein Axencylinder ist mir nie sicher begegnet. Dann aber giebt es, mehr medial, 
zahlreiche dreieckige Zellen, deren Dendriten, an beiden Zellpolen breit auseinander weichend, 
zu gutem Teile in horizontalen Längs- und Querebenen der Hirnbasis verlaufen. Sie geben 


nur relativ wenige Äste ab, und diese tauchen in die Aufsplitterung der Riechstrahlung. Die 


— 350 — 


Axeneylinder gehen mir sofort in einem ungemein engen Flechtwerke verloren, das die ganze 
Formation erfällt (Taf. IV unten). 

Bei Chelone findet man aulser dem feinen Netze noch viele sehr dicke Fasern, welche 
die einzelnen da liegenden meist marklosen Faserbündelchen korkzieherartig umwinden, ehe 
sie enden. Sie entstammen alle der Pars olfactoria Commissurae anterioris. 

Bei keiner Reptilienfamilie ist die Area olfactoria so enorm entwickelt und faserreich 
wie bei den Schlangen (s. Taf. I und Taf. II, Fig. 1). An gut gefärbten ganz frisch ein- 
gelegten Markscheidenpräparaten von Coronella, an denen von Tropidonotus, von Vipera und 
besonders auch von Python liegt ein mächtiges Netz markhaltiger Nervenfasern in dieser 
Gegend. Starke Faserungen aus dem Riechlappen tauchen hier ein. Überall verbreiten 
sich grolse Zellen, wohl die gleichen Doppelpyramiden, die bei den Eidechsen imprägniert 
wurden. Auf die ganze Breite der Area strahlen — Python — von vorn her Fasern aus 
derRiechstrahlung des Bulbus olfactorius ein. Alle sind markhaltig und von relativ starkem 
Kaliber. Diese Züge habe ich nur bei den Schlangen so mächtig entwickelt gesehen. Sie 
sind in der That auch von den meisten Autoren nicht erwähnt, welche ihre Aufmerksamkeit 
anderen Familien zugewendet haben. In der Area olfactoria liegt also eine Haupt- 
endstätte der secundären Riechstrahlung. Das Verdienst, dies zuerst voll erkannt 
zu haben, gebührt C. Calleja,' der bei einer Salamanderart — Pleurodeles — 1893 den 
histologischen Aufbau dieser Gegend zuerst richtig beschrieben hat. 

Aus diesem Riechfelde führen nun mehrere Verbindungen weiter. Physiologisch 
vielleicht die wichtigste ist die zur Hirnrinde führende Faserung, der Tractus 
olfaetorius septi. Sie entquillt der Area olfactoria an der medialen Seite und zieht in 
mächtigen Bündeln geordnet in dem Septum dorsalwärts, bis sie sich dann in die Rinde ein- 
senkt (Taf. I, Fig. 4—6, 10; Taf. I, Fig. 5; Taf. IV). Dies Bündel ist bei allen Reptilien 
markhaltig. Es erhält auch schon sehr früh sein Mark, gleich nach den Riechstrahlungen 
und wohl gleichzeitig oder wenig später als der Tractus cortico-epistriatieus. 

Letztere Daten entstammen Untersuchungen an neugeborenen und etwa 20 Tage 
alten Blindschleichen. Bei diesen Tieren erhält überhaupt im Vorderhirn zuerst das zum 
(eruchsapparat Gehörige seine Markscheiden. 

Der Traetus olfactorius septi ist von Herrick als mediale Riechnervenwurzel be- 


schrieben worden, Meyer hat ihn als basales Randbündel bezeichnet und seinen Verlauf 


ı C. Calleja, La Region olfactoria del cerebro. Madrid 1893. 


— 351 — 


auch richtig geschildert. Diese Fasern unterscheiden sich dureh Ursprung und durch Kalibeı 
sehr gut von der Radiatio bulbo-corticalis. Man sieht sie im ganzen vorderen Teil der Area 
aus deren Fasergewirr austreten und sich medialwärts in die Scheidewand wenden. Dabei 
haben sie die stärkere Faserung des basalen Vorderhirnbündels immer dorsal und lateral. 
Sie laufen dann innerhalb der Septumwand und auch über diese weg schräg aufwärts und 
treten (siehe Fig. 4, S. 357) von unten und vorne her in die Sagittalfurche ein, welche hier 
zwischen Septum und Rinde verläuft. So gelangen sie in die Ammonsrinde. Dieser Faserzug, 
welchen Zuckerkandl längst bei den Säugern beschrieben hat, ist bei allen Reptilien sehr 
kräftig vorhanden, bei Lacerta ocellata und Varanus, auch bei den Schlangen mit blofsem 
Auge am halbierten Gehirne wohl sichtbar und deshalb besonders wichtig weil er 
eine Verbindung von grolser Mächtigkeit zwischen Riechapparat und 
Hirnrinde darstellend, die stärkste Verbindung überhaupt ist, welche 
dieHirnrinde derRkeptilienmitirgendeinemanderenHirnteile besitzt. 

Aus einem kleinen Zellhaufen der Area ollactoria, der dicht vor dem Nucleus oceipito- 
basalis liegt, sehe ich bei Tropidonotus ein Bündelchen entspringen, das sich aufwärts und 
rückwärts wendet, um in der Scheidewand, nahe deren Commissuren zu verschwinden. 

Aus der Area olfactoria ziehen dann marklose — bisher sicher nur bei Chelone nach- 
gewiesene — Fasern caudalwärts, wo ich sie bis in die Basis des Mittelhirnes verfolgen konnte, 
in deren lateralen Partieen sie mir verloren gingen. In der Nachbarschaft dieser marklosen 
Bündel sah ich die Endfäden der Commissura anterior aufzweigen. Sie wanden sich förmlich 
korkzieherartig um die Bündel herum, ehe sie endeten. 

Fbenfalls nur bei Chelone habe ich ein Bündelchen markhaltiger Fasern gesehen, das 
aus dem caudalsten Gebiete der Area rückwärts über das Chiasma hinweg bis in das Mamillare 
zu verfolgen war. 

Am caudalen Ende der Area olfactoria liegt eine besonders grolse Ansammlung von 
kleinen und grölseren multipolaren Ganglienzellen, die central eine noch dichtere Zellgruppe 
umschlielst, das ist Herricks Nuclens occipito-basalis (Köllikers Nucleus 
supraopticus bei den Säugern). Anschwellung der Area olfactoria und Kern zusammen 
soll als Tuber Thaeniae bezeichnet werden, denn aus diesem Gebiete entwickeln 
sich Fasern, welche den Riechapparat mit Teilen des Zwischenhirnes, 
mit dem Ganglion habenulae in Verbindung bringen (s. Fig. 5, S. 343). Diese 
Fasern gelangen alle in die Thaenia thalami. Dals dies Bündel dem Riechapparate an- 


gehört, habe ich vor einigen Jahren zuerst nachgewiesen, seitdem gab ich in der vierten 


aD 


Auflage meiner „Vorlesungen“ weitere Beweise für die Säuger, und schlielslich hat 
Lothringer dieser Frage eine kleine Monographie gewidmet, welche zu gleichem Schlusse 
kommt. Mit dem Augenblicke, wo der Ursprung des Hauptteiles der Thaenia aus einem 
tiechgebiete nachgewiesen war, traten aber alle Kerne ete., zu denen die Thaenia in Be- 
ziehung gerät, auch in Beziehung zum Riechapparate. Das Ganglion habenulae und die 
aus ihm entspringende Faserung, Hirngebilde, welche von Petromyzon aufwärts bis zu den 
Säugern immer vorhanden sind, die Faserung zum Corpus mamillare und anderes erschien 
in neuem Lichte; ein grolser Teil der Zwischenhirnteile wurde damit mit einem Male einem 
bestimmten physiologischen Systeme zugeteilt. Über den Bau des Nucleus oceipito-basalis 
orientiert — soweit er mir klar geworden ist — Tafel III. Aus seinen grolsen, weitverzweigten 
Zellen stammt ein dickes Bündel zum Ganglion habenulae, der Tractus olfacto- 
habenularis (Taf. I, Fig. 8), der mit anderen Fasern gemischt als Thaenia dahinzieht. In 
diesen Tractus gehen aber auch Fasern aus der Area selbst ein. Diese hat Meyer als 
basales Längsbündel zur Thaenia beschrieben. Ein echtes geschlossenes Bündel 
derart habe ich nun nicht gefunden, aber ich sehe auch weithin aus der Area olfactoria 
Fasern rückwärts ziehen, die sich mehr und mehr der basalen Aulsenfläche nähern und sich 
schlielslich dem Tractus olfacto-habenularis zur Thaenia anlegen (Taf. II, Fig. 2 bei „Tuber 
thaeniae“). 

Dieser Tractus olfacto-habenularis (Taf. I, Fig. 8 u. 9) entwickelt sich aus dem 
erwähnten Bezirke, zieht dann an der oceipitalen Seite des Hirnmantels, dicht vor dem Opticus, 
also in der Spalte zwischen Vorder- und Mittelhirndach, in die Höhe, giebt Fasern in die 
Ganglia corporis habenulae und scheint dann mit einem Teile seiner Faserung direkt in die 
Commissura habenulae überzugehen. Er ist bei allen Reptilien bis auf wenige Fasern marklos. 
Nur bei einem Python war er fast ganz oder ganz mit Markscheiden versehen. Die marklosen 
Fasern bilden dann in der Commissur auch den mächtigen frontalen Abschnitt. Es sind aber 
immer auch markhaltige Fesern nachzuweisen, die von der Area olfactoria an bis in die 
Commissur mit dem Tractus ziehen. Sie halten sich aber stets gesondert lateral von der 
marklosen Faserung und liegen in der Commissur caudal (bei Alligator ventral). 

Es giebt noch einen zweiten Zug aus der oceipito-caudalen Gegend zur Thaenia, den 
Traetus transversalis, Taf. I, Fig. 9. Dieser zieht direkt, nachdem er den Tuber Thaeniae 
verlassen hat, medialwärts, überschreitet dabei die Faserung aus dem Striatum und legt sich 
für eine kurze Strecke an ihre mediale Seite. Bald aber entfernt er sich dorsalwärts tretend 


wieder von ihr und schlielst sich den anderen Thaeniafasern an. 


— 3593 — 


Ein drittes Bündel zur Thaenia ist der Tractus cortieo-habenularis, Taf. IaRı229: 
Er entstammt der Fornixfaserung, mit der er ein kleines Stück ventral zieht, um sich dann zu 
trennen und direkt rückwärts und aufwärts mit den vorhin erwähnten Zügen in das Ganglion 
habenulae zu ziehen. Er tritt einfach in dessen frontales Ende ein und beteiligt sich, soweit 
ich sehe, nicht an der Commissura habenul. Meyer hat diesen Zug zuerst richtig beschrieben. 
Auch hier war er begünstigt durch den Umstand, dafs er an einer Schlange arbeitete. 
Denn bei den Schlangen, ganz besonders beim Python, sehe ich den Zug mächtig, während 
seiner Fasern bei den Eidechsen und bei meinen kleinen Alligatoren nur wenige waren. Bei 
vielen kleinen Reptilien liegt der caudale Teil des Hirnmantels so dieht an dem Ganglion 
habenulae, dafs es gar nicht zu einem längeren Faserzuge kommt. Man sieht vielmehr ganz 
direkt aus der Tangentialfaserschicht und aus dem Mark unter der Rinde die Fasern in 


kürzestem Zuge hinüber zum Ganglion habenulae ziehen. 


Schliefslich treten 4. aus der Gegend der Commissura anterior einige Fasern habenula- 
wärts. Ob sie in das Ganglion eintreten oder sich, wie es öfter schien, in dem Gebiete dicht 
unter dem Corpus habenulae verlieren, wage ich nicht ganz sicher zu entscheiden. Fasern 
aus der Commissura anterior zur Thaenia semieireularis — nicht der Thaenia thalami — 
sind zuerst von Ganser und von Bevan Lewis beschrieben worden, später hat sie 
Honegger wieder gesehen, und ich habe beim Kaninchen und Hunde diesen Zug als „Com- 
missurenanteil der Thaenia semieireularis“ bezeichnet, weil da die Thaenia noch Fasern anderer 


Herkunft führt. Wie weit hier ein Homologon vorliegt, ist unsicher geblieben. 


Die Zusammensetzung der Thaenia thalami aus den verschiedenen Faserkategorien 
erhellt aus dem Schema S. 243. Auf Schrägschnitten von Emys kann man gleichzeitig den 
markhaltigen und den marklosen Anteil des Tractus olfacto-habenularis und aufserdem noch 


den Tractus transversalis Thaeniae zur Ansicht bekommen. 


Die Thaeniacommissur gehört zu den frühesten, markhaltig werdenden Fasern des 
Gehirnes. Sie ist es schon bei der 20tägigen Blindschleiche, wo aulser der Riechstrahlung 
im Vorderhirne überhaupt noch keine markhaltigen Fasern nachweisbar sind. Ich sehe 
deutlich den medialen und den lateralen Schenkel, desgleichen die Commissur mit Mark- 
fasern umgeben. 

Erst im nächsten Hefte dieser Beiträge wird des Ganglion habenulae und seiner 
weiteren Verbindungen zu gedenken sein. Hier kam es zunächst nur darauf an, die Zuzüge 


aus dem Vorderhirn klar zu stellen. 


Abhandl. d. Senckent. naturf. Ges. Bd. XIX. 45 


— 554 — 


Den Tractus olfacto-habenularis hat bei den Reptilien zweifellos Herrick zuerst ent- 
deckt und auch in seinem Verlaufe zur Commissura habenularis richtig beschrieben. Er hat 
aber merkwürdiger Weise die Homologie mit der Thaenia nicht erwähnt, ja den Faserzug: 
mit wechselndem Namen, meist als Schenkel der Supracommissur, einmal gar als Fornix 
benannt. Herrick ist, wenn ich ihn richtig verstehe, geneigt nur die wenigen Fasern aus 
der medialen Mantelwand zum Ganglion habenulae, wahrscheinlich nur die aus der Commissura 
anterior, Thaenia zu nennen. Erst Meyer kommt das Verdienst zu, alle Bestandteile der 
Thaeniafaserung richtig erkannt zu haben. Er bezeichnet sie als „Zuzüge zur Flügelplatte 


des Zwischenhirnes.“ 


Das sind die Grundlinien des Riechapparates bei den Reptilien. Sie sind möglichst 
präzis dargestellt, aber ich möchte gerne bekennen, dals ihre Entwirrung mich Jahre der 
Arbeit gekostet hat, und dals mir in hirnanatomischen Dingen nie bisher ein annähernd so 
schweres Problem begegnet ist. Die Untersuchung mulste sich auf rein anatomische Ver- 
hältnisse beschränken. Bei den kleinen, lebend zur Verfügung stehenden Tieren war ein 
Versuch, seceundäre Degenerationen zu erkennen, ganz ergebnislos. Eine Nachprüfung mit 
besseren Methoden ist aber nötig, um das sicherzustellen, was auf so schwierigem Wege nur 
erschlossen ist. Ich habe erst dann meine Aufgabe als gelöst betrachtet, als es gelungen war, 
alle vorkommenden Schnittbilder unter den einmal erlangten Ansichten richtig zu deuten und 
vollständig zu verstehen. Möge Niemand erwarten, an einem einzelnen Exemplare irgend eines 
Reptiles alle Verhältnisse überschauen zu können. Am meisten haben mir die Schnittserien 
von Golgipräparaten genutzt, deren ich sicher über 30 durcharbeitet habe. Ferner empfehle 
ich für das Studium der Radiatio bulbo-corticalis und für dasjenige der Thaeniafaserung 
Schnitte durch Schlangengehirne in sagittaler Richtung anzulegen und mit der Hämatoxylin- 


markscheidenfärbung zu behandeln. 


5. Stammlappen. Hirnstamm, Stammganglion. 


Meinen früheren Angaben über den Stammlappen habe ich Wesentliches beizufügen. 
Ich vermag jetzt da Manches besser zu deuten, bin aber überzeugt, dals mir völlige Klar- 
stellung trotz sehr eifrigen Bemühens noch immer nicht gelungen ist. 

Zunächst anerkenne ich völlig die Berechtigung des von Meyer erhobenen Einwurfes, 
dals keineswegs Alles, was an der Hirnbasis innerhalb des Mantels liegt, ohne Weiteres als 


dem Stammganglion der Säuger, dem Striatum, homolog aufzufassen ist. 


— 355 —— 


Wenn man die Area olfactoria nicht direkt zum Stammlappen rechnet, sondern wesent- 
lich nur den in den Ventrikel hinein ragenden Körper so bezeichnet, so kann man an diesem 
zwei in ihrer Entwicklung bei den einzelnen Familien ganz verschiedene Einzelganglien 
unterscheiden. Ventral, also direkt dorsal von der Riechgegend, liegt, in den frontalen Hirn- 
partieen besonders gut entwickelt, das Corpus striatum, das Stammganglion sensu 
strenuo. Charakterisiert ist es durch den Ursprung des basalen Vorderhirnbündels, der in 
der ganzen Tierreihe aus diesem Ganglion erfolgt. In ‚meinen früheren Veröffentlichungen 
habe ich den ganzen Stammlappen zum Striatum gerechnet und nur für die Eidechsen ange- 
geben, dafs ihm dorsal und caudal ein kugelförmiger Kern eingelagert sei. Es hat sich nun 
gezeigt, dals man bei allen Reptilien eine Ganglienmasse abtrennen muls, die dorsal vom 
Striatum liegt und wesentlich in den caudaleren Hirnabschnitten mächtig entwickelt ist, und 
da auch die Aufsenseite ganz bedeckt. In ihm liegt jener kugelschalenförmige Kern, den 
ich von den Eidechsen und Schlangen beschrieben habe. Dieser vergröfsert sich bei einzelnen 
Arten, Varanus z. B., ganz enorm und, wenn ich die Schnittbilder richtig zurückkonstruiere, 
bildet er da einen Körper etwa von der Form eines an der Oberfläche mannigfach gefalteten 
Eies (siehe Tafel Il, Fig. 3). Feinerer Bau, Endigung ganz bestimmter Faserung und auch 
äufsere Form, ja bei den Schildkröten tiefe Furchen, gestatten sehr wohl diesen Körper vom 
Stammganglion abzuscheiden. Trotzdem der Nachweis bereits sicher zu erbringen ist, dals 
es sich hier um eine Endstätte der Riechfaserung handelt, soll einstweilen der topisch 
bezeichnende Name: Epistriatum gewählt werden. 

Bei den Schlangen, den Eidechsen und dem Alligator ragen die beiden Teile des 
Stammlappens von der Hirnbasis aus frei in den Ventrikel hinein, die Rinde ist nur latero- 
ventral auf eine kurze Strecke ihnen fest verbunden; ein breiter Spalt, ein laterales Horn 
des Seitenventrikels liegt auf dem gröfsten Teile der Aufsenwand zwischen Stammlappen und 
Mantel. Erst unweit der Hirnbasis verschmelzen beide zu einer Masse. Hier grenzen dann 
Mantel und Area olfactoria dicht aneinander. Die Rinde, welche an dieser Stelle in nicht 
ganz regelmälsiger Lage über den Stammteil des Gehirnes aulsen hinwegzieht, ist schon von 
Meyer als besonderer Rindenteil geschildert worden; bei den Vögeln und den Säugern ist sie 
auch längst als ein Besonderes aufgefallen und als Streifenhügelrinde ete. beschrieben. 

Anders aber verhält sich das Gehirn der grofsen Schildkröten. Das Epistriatum ist 
hier nämlich enorm entwickelt und der Stammlappen auf die allergröfste Ausdehnung mit 
der lateralen Mantelwand verbunden. Es existiert kaum ein laterales Ventrikelhorn. Bei 
den Schildkröten sind auch Striatum und Epistriatum durch eine tiefe Furche geschieden. 

45* 


— 356 — 


Das Epistriatum ist hier so enorm entwickelt, dafs es auf eine lange Strecke hin, in den 
Ventrikel sich umbeugend, überhängt (Fig. 5 u. 6, Taf. II). Auch das Striatum ist sehr grols. 
In ihm vermag man bei Emys und Chelone wieder zwei Abteilungen, eine dorsale und eine 
ventrale, zu scheiden. Die erstere, welche ebenfalls durch eine Längsfurche von der ventralen 
geschieden ist, mag vorläufig als Mesostriatum bezeichnet werden. Dieser wenig prä- 
judizierende Name ist absichtlich gewählt. Aber ich habe gegründete Vermutung, dals hier 
jene Teilung des Linsenkernes in Einzelglieder, sich bemerkbar macht, welche bei den 
Säugern zur Trennung in Putamen und Globus pallidus geführt hat. Dem Putamen und 
dem Kopfe des Caudatus entspricht, wie die durch die Tierreihe hindurch fortgesetzte Ver- 


gleichung und die Beziehungen der abgehenden Faserung zeigt, das Striatum allein. 


sale ae 
en , D 


87 


Figur 6. Typus eines Frontalschnittes durch das Gehirn. 
a. einer Chelone. db. einer Eidechse. 

Die enorme Entwicklung des Stammganglionapparates bei den Schildhröten, namentlich 
die Ausbildung eines Mesostriatums und des grolsen Epistriatums, das Verschwinden des 
seitlichen Ventrikelhornes und das so völlig von dem der anderen Reptilien verschiedene 
Hirnquerschnittbild erinnern sehr an das Vogelgehirn. In der That findet man dort ganz 
ähnliche, nur noch weiter entwickelte Anordnungen. Das Verhältnis von Hirnrinde zu 
Stammlappen bei den Eidechsen nimmt schon bei den Schildkröten sehr ab zu Ungunsten 
der Rinde. Das Schildkrötengehirn mit seinem enormen Stamm und der 
geringen Entwicklung des Mantels ist dem Vogelgehirne ähnlicher als 
irgend ein anderes Reptiliengehirn. Seine Hauptmasse besteht, ganz wie die des 


Vogelgehirnes, aus dem enormen Stammlappen, über den sich ein nur kleines Mantelstück legt. 


— 39 — 


Bei den Eidechsen und Schlangen ist das Striatum nicht durch eine so tiefe Furche 
vom Epistriatum geschieden, wie bei den Schildkröten. Aber der feinere Bau beider Teile 
des Stammlappens und die Faserung gestatten an Schnitten sofort die Trennung. 

1. Das Striatum. Aus dem Striatum entspringt immer eine mächtige Faserung, 
die hinab bis in den Thalamus und in einige kleine, an der Mittelhirnbasis liegende Ganglien 
verfolgt werden kann. Diese, die Radiatio strio-thalamica, welche ich zuerst bei 
den Reptilien geschildert habe, ist seitdem von allen Seiten bestätigt worden. Es ist mir 
dann (Ber. d. Deutschen Anat. Ges. Versammlung in Strafsburg 1894) der Nachweis geglückt, 
dafs die gleiche Faserung überall in der Tierreihe von den Fischen bis 
hinauf zu den Säugern sich nachweisen läflst. Degenerationsversuche an Hunden 
und Vögeln haben diese, schon in dem ersten Hefte dieser Beiträge geäufserte Ver- 


mutung bestätigt. 


Der weitaus gröfste Teil des „basalen Vorderhirnbündels“ — so habe ich 
diese Faserung damals genannt — ist markhaltig, und der Ursprung dieser grolsen Menge 


markhaltiger, zumeist recht dieker Fasern auf sehr kleinem Raume giebt dem Striatum 
immer ein charakteristisches Aussehen. Einige der Fasern sind dünner als andere. Es 
sind diejenigen, welche in den frontaler gelegenen Thalamusganglien enden. Ihr Kaliber 
bestätigt das von der Schwalbe gefundene Verhältnis zwischen Weglänge und Kaliber der 
Nervenfasern. Die weiter hinten hin gelangenden sind dicker. Eine mir zunächst unklare 
Ausnahme macht der medialste Abschnitt, welcher in das Infundibulum ausstrahlt. Er be- 
steht fast ausschliefslich aus feinen Fasern. 

Die Golgimethode lälst bei den Eidechsen erkennen, dals das basale Vorderhirnbündel 
multipolaren Zellen entstammt, deren Axencylinder in einem aulserordentlich reichen Flecht- 
werk von Fasern meiner Verfolgung entging. Nur hier und da hatte ich den Eindruck, 
dals er unter Abgabe reicher, sich rasch aufästelnder Collateralen basalwärts laufe. Es 
kommen aber daneben Fasern vor, welche von dem basalen Vorderhirnbündel hier in das 
Stammganglion eintreten, um sofort sich in dem Retieulum aufzulösen. Ich gestehe, dals 
ich trotz vielen Suchens in keinem Punkte zu einer weiteren Erkenntnis gelangt bin. Fast 
das ganze Stammganglion ist von dem Reticulum erfüllt. Die Dendriten der grolsen Zelle 
sind diek und nach allen Richtungen hin orientirt (Taf. IV). 

Bei den grofsen Schildkröten, wo zwischen Striatum und Epistriatum jener mark- 
faserreiche Körper des Mesostriatum mit eigenen Ganglienzellengruppen liegt, glaube ich 


Fasern des basalen Vorderhirnbündels in diesen verfolgen zu können. 


— 1808 — 


2. Epistriatum. Das Epistriatum ist immer die Endstätte einer mächtigen Strahlung 
aus dem Riechapparate, des Traetus cortico-epistriatieus. 

Es ist sehr wahrscheinlich, dafs es sich aus einer Einstülpung der Hirnrinde, welche 
über den Stammlappen hinweg zieht, entwickelt hat. Die Verhältnisse bei den Schildkröten 
drängen, wie ich das schon früher entwickelt habe, zu dieser Annahme. Man erkennt bei 
diesen nämlich leicht, dals eine Rindenplatte, die „dorsale Platte“, von aufsen oben her 
kommend auf der Höhe des Stammlappens plötzlich medialwärts umbiegt und nun mit ganz 
unverändert bleibenden Zellen dessen Oberfläche überzieht (siehe Schema Fig. 6, S. 356 und 
Taf. II, Fig. 6, Chelone. Dadurch entsteht eine kleine Lücke zwischen der dorsalen und 
der ihr ventral folgenden lateralen Rindenplatte und in diese Lücke dringen die Tangential- 
fasern der letzgenannten Rinde so ein, dals ein ganz eigenartiges Bild an dem Spalte ent- 
steht Fig. 5, Taf. II, ein Bild, das mich früher leider zu dem Irrtum verführt hat, dafs an 
dieser Stelle das Homologon der Ammonsrinde zu suchen wäre. Direkt ventral von der 
Einrollung der dorsalen Rindenplatte liegt die laterale Rindenplatte, die auch noch einen 
eigenen, nicht mit eingestülpten Tangentialfaserüberzug besitzt. An ihrem ventralen Ende 
dringt die Riechstrahlnng in die Tiefe, welche unter der Rinde nun dorsal laufend in das 
Epistriatum gelangt. 

Die Zellen des Epistriatum unterscheiden sich bei den Schildkröten, soweit ich an 
Emys lutaria sehe, gar nicht von denen der Hirnrinde. Es sind die gleichen konischen Ge- 
bilde, wie man sie weiter unten für die Rinde beschrieben finden wird. Die Dendritenfort- 
sätze sind ventrikelwärts gerichtet. An der Rinde stehen sie pialwärts. Die Einrollung 
läfst die veränderte Richtung leicht verstehen (s. Taf. III). 

Ein sehr feiner Plexus markhaltiger Nervenfasern sammelt sich im Epistriatum der 
Schildkröten, nahe dem Übergange derselben in das Mesostriatum. Er stammt zum Teile 
aus der Commissura anterior. 

Ein noch diehterer wird im Mesostriatum selbst beobachtet. Faserzüge gelangen aus 
dem einen in den anderen hinein (Fig. 7, Taf. II). 

Die mächtigen, markhaltigen Fasern der Riechstrahlung habe ich bei Emys nicht alle 
mit Silber imprägnieren können. Man sieht ihren Zug sehr gut auf den Fig. 5 u. 6, Taf. II 
abgebildeten Markscheidenfärbungen. 

Bei den Eidechsen und den Schlangen hat sich im Epistriatum der Kugelschalenkern 
deutlich von der Rinde abgeschieden. Fig. 7, Taf. I, Fig. 2, 3 u. 4, Taf. II geben guten Aufschluls 


über die Formen, welche er annehmen kann. An allen sieht man auch die Riechstrahlung von 


— 359 — 


unten her in ihn eindringen. Für die Form der Zellen vergleiche man Taf. IH. Es sind mäch- 
tige Pyramiden, die in mehrfacher Schicht geordnet liegen und ihre starken Dendriten ven- 
trikelwärts aussenden. Um sie herum ist ein so mächtiges Geflecht feiner Axeencylinder- 
fasern, dafs ich nie sicher erkannt habe, wohin zumeist sich der Achseneylinder der einzelnen 
Zelle richtet. Ich hatte mehrfach den Eindruck, dals er sich zu dem Plexus von Nerven- 
fasern wendet, welcher den ganzen Körper einer Tangentialfaserschicht gleich überzieht. 
Dieser Plexus ist bei Varanus markhaltig, aber bei den Schlangen, selbst bei Python, konnte 
ich hier keine markhaltigen Fasern finden. Höchst wahrscheinlich enden im Inneren des 
Epistriatums die Axeneylinder aus der Riechfaserung frei, allerfeinst aufgezweigt. Sie ver- 
lieren noch unterhalb der Zellschicht ihr Mark und lösen sich dann in einem feinen Flecht- 
werk auf, welches die Zellen umspinnt. Irgend eine Zellverbindung habe ich nie gesehen. 
Dies Flechtwerk bildet unter der Tangentialfaserschicht und teils innerhalb, teils unter der 
Zellschicht einen zweiten dichten Plexus. 

Über die Zellen im Mesostriatum der Schildkröten kann ich nichts aussagen, da 
mir das immerhin beschränkte Material nicht gestattete, so lange mit Versuchen der Golgi- 
färbung fortzufahren, wie ich es gewünscht hätte. Jedenfalls sind sie alle von einem Plexus 
markhaltiger Fasern umsponnen, was die Mesostriatumformation sofort auch mit blofsem Auge 
von der dorsal gelegenen Epistriatumformation abscheiden lälst. Fasern aus dem basalen 
Vorderhirnbündel können auch in das Mesostriatum verfolgt werden, namentlich in einen 
feinen Plexus zumeist längs gerichteter Fasern, der an seiner ventralen Grenze liegt. (Siehe 
ns: 77, Alain, ID 


Ein an gleicher Stelle bei Vögeln liegender Plexus ist von Bumm als Lamina 


medullaris Nuclei lentiformis gedeutet worden. Ich behalte aber — um gar nichts zu 
präjudizieren — den Namen Plexus corpus mesostriati zunächst noch bei. Vielleicht 


gelingt später weitere Homologisierung. 

Ziemlich genau an der Grenze von Mesostriatum und Striatum liegt bei den Schild- 
kröten zwischen Stammlappen und lateraler Rinde ein kleiner Kern mit spindelförmigen 
Zellen. Ich weils nichts Näheres über seine Beziehungen, erwähne ihn aber ausdrücklich 
deshalb, weil er auch bei Alligator und Python vorkommt. 

Bei den Schlangen, dem Alligator und den Eidechsen, giebt es keinen Plexus und kein 
geschlossenes Ganglion, welches, ventral vom Epistriatum liegend, als Mesostriatum deutbar 
wäre. Immerhin gelingt es vielleicht später, wenn die Verhältnisse dieses noch ganz dunkeln 


Gebietes klarer liegen, vielleicht unter Benutzung der Lage jenes kleinen Kernes, in den 


— 3607 — 


zerstreuten Ganglienzellgruppen ventral vom Kugelschalenkerne auch das Homologon des 
Mesostriatum zu finden. 

Der Ursprung des basalen Vorderhirnbündels aus dem Striatum und dem Markplexus 
des Mesostriatums, die Endigung des Riechfaserzuges im Epistriatum sind leicht bei den 
Schildkröten nachweisbar. Nur für den letzteren mufs bemerkt werden, dafs er an einigen 
kleinen Emysexemplaren nicht markhaltig war. Bei Chelone ist er sehr mächtig. 

Aus dem Inneren des Epistriatums und aus dessen Tangentialfaserschicht sammeln 
sich dünne, bei den meisten Reptilien zunächst marklose, bei Varanus schon gleich beim 
Ursprung markhaltige Faserbündelchen an. Sie treten ventralwärts, bilden unter dem Epi- 
striatum eine feine markhaltige plexusartige Lage (Taf. Il, Fig. 2 u. 7, Taf. III) und wenden 
sich dann, zu dickerem Strange gesammelt, medialwärts. Dieser Strang tritt dann als dorsales 
Bündel der Commissura anterior hinüber auf die andere Hirnseite. 

Die Durcharbeitung der im Stammlappen der Reptilien vorkommenden Zellanhäufungen 
scheint mir deshalb besonders wichtig, weil es nur, wenn sie einmal genau bekannt sind, 
gelingen wird, das komplizierte Striatum der Vögel zu verstehen und endlich auch der Be- 
deutung jenes Globus pallidus näher zu kommen, welcher wohl der noch am schlechtesten 


bekannte Teil des Säugergehirns ist. 


6. Hirnmantel und mediale Wand. Die Rinde und das Marklager. 
(Siehe besonders Tafel III und IV.) 


Der Hirnmantel ist überall von Rinde bedeckt. Von aulsen nach innen gehend ver- 
mag man an ihm zu unterscheiden: Molecularschicht, Corticalschicht, Sub- 
corticalschicht und Marklager. Dann folgt das Ventrikelepithel. Die Epithel- 
zellen haben mehrfach aufgeteilte, reich verzweigte Fortsätze, welche die ganze Manteldicke 
durchziehen und erst unter der Pia enden. 

Seit dem Erscheinen meiner ersten Mitteilungen ist das Vorkommen getrennter 
Rindenabschnitte bei den Reptilien von allen Seiten bestätigt worden. Ich unterscheide 
mit heute exakterer Nomenelatur als früher (siehe Fig. 6, S. 356): 

1. Dorso-mediales Blatt der Rinde, auf der medialen Hirnfläche beginnend und 
über die Hirnkante weg auf die Oberfläche ziehend, wo es bald endet. 

2. Dorsale Platte (Schaltstück), wesentlich auf der dorsalen Seite, etwa da be- 
ginnend, wo Nr. 1 endet, aber ventral von dessen Lage und seitlich mehr oder 


weniger weit hinausreichend. Ihre Länge wechselt nach den Arten. 


— 367° — 


3. Laterale Rindenplatte. Sie liegt wesentlich auf der Aufsenseite des Gehirnes, 
ist durch einen kleinen Zwischenraum von dem Schaltstücke getrennt und zieht 
fast über die ganze Aulsenfläche hin. Bei den Schildkröten ist sie in ihrer 
gröfsten Ausdehnung mit dem Stammlappen verwachsen — sog. Streifenhügel- 
rinde —, bei den anderen Reptilien ist sie durch den Seitenspalt des Ventrikels 
von dem Stammlappen bis weit an die Basis getrennt. Sie geht basal direkt an 
das Gebiet der Regio olfactoria und frontal direkt an die Riechlappenformation heran. 

4. Rinde des Conus frontalis pallii. Sie überzieht die Gegend, wo der Riechlappen 
an das Gehirn stölst, und ist von diesem nicht scharf zu trennen. Sie muls aber 
von den anderen drei Rindenplatten geschieden werden, weil dies Gebiet einen 
eigenen caudal und basal gerichteten Faserzug, den Tracetus cortico-(thalamieus ?) 
entsendet. Die hier liegende Rindenplatte ist bei den verschiedenen Arten nicht 
gleich scharf von der übrigen Rinde abscheidbar. Man kann aber gewöhnlich 
ganz deutlich erkennen, dafs es sich um eine Platte handelt, die über den fron- 
talen Hirnpol zieht und so gelagert ist, dals sie die hierher reichenden frontalen 


Enden der anderen Hirnrindenplatten etwas überkappt. 


Es ist schon erwähnt, dafs alle diese Rindenabschnitte wohl von einander getrennt 
sind. Das ist wichtig, weil wir hier, wo überhaupt zuerst gut formierte Rinde auftritt, 
gleich mehrere Abschnitte haben, die der Ausgangspunkt für weitere Entwiekelung von 


Rindenfeldern in der Tierreihe werden können. 


Die grofsen Chelonen, welche ich untersuchte, lielsen den Spalt zwischen Nr. 1 und 
2 nicht immer, wohl aber sehr gut denjenigen zwischen 2 und 3 erkennen. Es ist möglich, 
dals hier die Platte 2 fehlt, resp. mit 1 zusammenhängt. Der laterale Teil dieser langen 
dorso-medialen Platte krümmt sich bald, nachdem er auf die Aufsenseite des Gehirnes über- 
getreten ist, in die Tiefe, medialwärts und zieht über die Oberfläche des Stammlappens dahin, 
so die Epistriatumrinde bildend. (Taf. II, Fig. 5 u. 6.) 

Die Platte 3, die laterale Rinde, reicht bei Chelone nur soweit ventral als das Meso- 
striatum; im Bereich des Striatum ist mir ihr sicherer Nachweis nicht gelungen. An der 
Grenze zwischen Mesostriatum und Striatum lagert sich ihr medial jener S. 359 beschriebene 
Kern spindelförmiger Zellen an. Bei Python und Tropidonotus ist mir aufgefallen, dals im 
Bereich der lateralen Rinde mehrfach eine Anordnung der Zellen zu Nestern sichtbar wird. 


(Taf. I, Fig. 10.) 


Abhandl. d. Senckenb. naturf Ges. Bd XIX. 416 


Den Aufbau der Rinde selbst, ihre Schichten ete. habe ich in meiner ersten Mit- 
teilung geschildert. Aber damals standen mir noch nieht Methoden zur Verfügung, wie wir 
sie heute besitzen. Bald nach dem Bekanntwerden der Silberimprägnation habe ich be- 
gonnen zu untersuchen, wie weit sich durch dieselbe meine älteren Angaben vertiefen lielsen. 
Ich habe seit Jahren diesem wichtigen Teile des Reptiliengehirnes die allergröfste Aufmerk- 
samkeit gewidmet, aber in den Resultaten bin ich nicht wesentlich über das hinausgekommen, 
was, während meine Studien noch fortliefen, von den verdienten Brüdern Ramon y Cajal 
veröffentlicht worden ist. In ihren oben zitierten Arbeiten wird man für manche Details 
auch mehr finden, als ich hier zu berichten gedenke, wo ich die Rinde nur als Teil des 


sesammtgehirnes in ihren Beziehungen zu diesem zeichnen will. 


Z 


RT: I 
2, ip: 2 


Figur 7. Cortex von Lacerta. Sagittalschnitt. 
Kombination mehrerer Präparate. 

Meine ältere Schichteneinteilung bleibt zu Recht bestehen, aber die Namengebung 
muls nach der neu gewonnenen Erfahrung geändert werden. 

Das rindenbedeckte Gebiet des Mantels besitzt überall eine breite Molecular- 
schicht. In dieser liegt ein mächtiger Plexus feiner Nervenfasern, welche bei allen kleinen 
Tieren fast durchweg marklos sind. Bei der Natter, bei Varanus, bei Lacerta ocellata und 
bei den ganz grolsen Schildkröten, ferner bei Python fand ich viele markhaltige zwischen- 


durch (Taf. I, Fig. 8, Taf. II, alle Figuren). Diese Fasern bilden die Tangentialfaser- 


schieht. Im frontalen Gebiete tauchen hier die Tractus bulbo-cortieales zu gutem Teil ein 


und verlieren sich in dem feinen Netze (Taf. III). 


Bei Chelone midas, wo so viele Tangentialfasern markhaltig sind, erkennt man leicht, 
dals der Tractus cortico-epistriaticus, indem er, bedeckt von der lateralen Rindenplatte, 
dorsocaudal zieht, sich oben einsenkt in den Spalt, welchen die laterale und die dorsomediale 
Rindenplatte zwischen sich lassen. Diese Fasern treten dann von unten her in die letzt- 


genannte Rindenplatte ein. (S. Fig. 5 und 6, Taf. II.) 


Die Tangentialfaserschieht ist an den verschiedenen Gebieten des Mantels sehr ver- 
schieden stark entwickelt. Am mächtigsten ist sie über der dorso-medialen und über der 
dorsalen Rindenplatte (s. Taf. III und IV). Es läfst sich unschwer erkennen, dafs im caudalen 
Gebiete keine direkten Züge aus dem Riechapparate mehr vorhanden sind, dals vielmehr die 
Tangentialschicht Zellen entstammt, die entweder in ihr selbst liegen, oder sich weit ent- 


fernt von dem Orte befinden, wo ihre Ausläufer in der Rinde erscheinen. 


Fig. 8. Lacerta Cortex. 


Gerüst der Stützsubstanz, ausgehend von den Epithelien der Ventrikel. 


Von innen, ans der Gegend des Stabkranzlagers und des subeorticalen Plexus treten 
eine ganze Anzahl von Fasern durch die ganze Rindendicke zwischen den Zellen aufsteigend 
in die äulserste Zone. Man kann dieser eintretenden Fasern mehrere unterscheiden: Einige 
wenige (7 der Fig. 7) stammen aus basal, nahe dem Ventrikel liegenden Zellen, welche sie 
als Axeneylinder verlassen, um auswärts zu biegen. Sie zweigen dann mit wenig Ästen auf. 
Viel mehr (2) treten aus dem Marklager frei aus und stammen aus Zellen, die irgendwo 
sonst im Mantel liegen müssen, denn sie sind nie in benachbarte Zellen zu verfolgen. Von 
diesen, welche meist etwas stärkeres Kaliber haben und alle mit freien Spitzen enden, wird 


46* 


— 364 — 


man annehmen dürfen, dals sie zu den Commissurensystemen gehören, die ja — darauf 
weisen alle Degenerationsversuche an Säugern hin — Ursprungszellen haben, deren Axen- 


eylinder in der gekreuzten Hemisphäre frei aufzweigen. Dann sah ich aber wiederholt bei 
Emys und Lacerta Fasern (3), welche die Rindenschicht durchbrechend, auch in der Moleeular- 
zone eintreten. Dort aber lösen sie sich nur mit einigen kurzen Seitenästen auf, welche 
regelmälsig mit einem Knopfe enden. Ihre Herkunft ist mir unklar geblieben. Ebenso ist 
es mir nicht gelungen, den Ursprungsort langer Fasern (# der Fig. 7) zu ermitteln, welche 
direkt dorsal von der Zellschicht der Rinde, also bereits in der Molecularschicht, über weite 
Strecken dahinziehen, Intracorticale Associationsbahnen ? 

Es giebt schlielslich ein Eigensystem der Tangentialfaserschicht. Dort liegen nämlich 
vereinzelte Zellen (s. Fig. 7 Nr. $ und besonders Taf. III), deren dicke Dendriten der Hirnober- 
fläche etwa parallel laufen und sich erst eine längere Strecke nach Abgang vom Zellleib in 
wenige Zweige spalten. Ihnen entstammen dünne Axeneylinder in mehrfacher Zahl, die sich 
wieder verzweigen und namentlich ventrikelwärts ihre Aufzweigungen senden. Ganz feine 
Geflechte variköser Fäserchen, die in der Nähe jener Axencylinder liegen, entstammen ihnen 
vielleicht. Golgi und die beiden Ramon y Cajal haben für solche Axencylindergeflechte 
den Zusammenhang mit Zellen erkannt. Hier in der Molecularschicht ist er mir entgangen. 
Überhaupt ist in den Fällen, wo nicht zufällig die Imprägnation sehr spärlich ist, sehr 
schwer zu sagen, welche Zellbeziehungen alle die Fasern haben, die innerhalb eines so engen 
Maschenwerkes liegen, wie es die Moleeularschicht der Reptilienrinde erfüllt. 

Zudem ist dies Faserwerk gar nicht immer, selbst wo es gut imprägniert ist, wohl 
erkennbar. Es giebt nämlich noch ein anderes, sehr mächtig entwickeltes Element in der 
Molekularschicht; das sind die langen, weithin aufgezweigten Dendritenfortsätze der nächst- 
folgenden Schicht, der Schieht der Rindenpyramiden. Diese Fortsätze stehen aulserordent- 
lich dicht. Gleich dem Geäste eines Eichwaldes im Winter strecken sie, nach allen Seiten 
sich mit benachbarten Fasern überkreuzend, ihre langen Linien aus. Sie sind nicht glatt, 
sondern durchweg mit feinen Auflagerungen besetzt, die fast immer die Form allerfeinster, 
kurz gestielter Kölbehen haben. Die Möglichheit zu Contacten von Rindenpyramidenanteilen 
und Anteilen der in die Molekularschicht eingetretenen Systeme ist deshalb eine unendlich 
grolse. S. Ramon y Cajal hat zuerst auf diesnn Punkt aufmerksam gemacht. Es ist ab- 
solut neu für mich und erstaunlich gewesen, als ich erkannte, welche Fülle von Ver- 
bindungsmöglichkeiten schon in einem so relativ tiefstehenden Gehirne 


möglich ist. Ich bitte den Leser, einen Blick auf Tafel III und IV zu werfen. Er wird 


— 3565 — 


dann mein Erstaunen teilen, wenn er mit S. Ramon y Cajal und mir der Ansicht ist, dafs 
die feinen Fasern Leitungswege für seelische Vorgänge abzugeben wohl geeignet sind. 

Die zweite Rindenschicht ist diejenige der Rindenpyramiden. Diese Zellen haben in 
allen drei Rindenplatten im Prinzip den gleichen Bau, sie unterscheiden sich nur dadurch 
von einander, dals die Zellen der lateralen Platte kleiner und mit sehr viel mächtigerem 
Dendritenwerk versehen sind (s. bes. Taf. IV), als die in den anderen beiden Platten liegen- 
den. Es handelt sich immer um in mehrfacher Schicht liegende konische und polygonale 
Formen, deren reichliche Dendriten in basilare und apicale eingeteilt sein mögen. Der 
basilaren sind immer relativ wenige, die nach allen Richtungen der Manteloberfläche hin 
orientiert sind. An den Zellen der lateralen Platte sind besonders wenige vorhanden. Es 
sind dicke Ausläufer, die sich näher oder entfernter von der Zelle aufzweigen. Die apicalen 
Dendriten gehen an den meisten Zellen der mediodorsalen und der dorsalen Platte einfach 
ab, ziehen gegen die Molekularschicht hin und zweigen erst dort rasch zu einem enorm 
dichten Geäste auf, von dem jeder Zweig noch mit unzählichen feinen Endknöpfehen besetzt 
ist. All das taucht in das Faserwerk der Molekularschicht ein. Die Zellen der lateralen 
Platte zweigen den apicalen Fortsatz sofort auf, nachdem er von der Zelle abgegangen ist. 
Am Pole, welcher dem apicalen entgegengesetzt ist, geht jedesmal an der Zelle oder dem ihr 
benachbarten Teile eines Dendriten der Neurit ab. Soweit ich sehe, ziehen die Neurite zu- 
meist in das feine subcorticale Flechtwerk und zum Teil durch dieses hindurch in den Stab- 
kranz, oft unter dichotomischer Teilung (6 d. Fig. 7). Nur hier und da erhebt sich ein 
Axeneylinder hinauf zur Molekularschicht. P. Ramon y Cajal beschreibt verschiedenes 
Verhalten für einzelne Axeneylinder, Verlauf dahin und dorthin, zumeist in das Commissuren- 
gebiet ete. Mir sind an meinen Imprägnationen nicht so viele weithin verlaufende Axen- 
eylinder begegnet, dafs ich Sicheres über den Verlauf der einzelnen aussagen möchte. Da 
fast jeder Neurit sich auch noch teilt, sobald er im Stabkranzgebiete ankommt, da fast 
jeder zudem noch massenhafte Collaterale in das subecorticale Flechtwerk abgiebt, wird die 
Verfolgung recht unsicher und schwierig. An einigen Stellen kann man aber Sicheres sehen, 
so vor allem an den Zellen der mediodorsalen Platte. Sie schicken ihre Neurite in schön 
klarem, geschlossenen Zuge hinaus in das Riechbündel und in andere hier abgehende Faser- 
züge. Besonders leicht bekommt man beweisende Bilder an Frontalschnitten durch das 
caudalste Mantelgebiet, wo viele Commissurenfasern entspringen (s. Taf. IV). 

Es giebt unter den Pyramidenzellen der Hirnwand allerlei Formen. Ich habe deren 


viele in den Tafeln und in Figur 7 abgebildet, enthalte mich aber der Beschreibung, zumal 


—— Bl — 


man solche bei Pedro Ramon y Cajal ausführlich genug findet. Ich enthalte mich auch des- 
halb einer auf die Form hin gemachten Einteilung, weil ich glaube, dals die Golgimethode 
mit ihren Silhouettenbildern hierzu nicht ausreichend ist. Die Zellen in der Hirnrinde 
müssen nach der Nissl’schen Anilinfarbenmethode einmal studiert werden. Es ist eine eigene, 
sicher lange Zeit in Anspruch nehmende Arbeit, die zu leisten mir später vielleicht ver- 
gönnt ist. 

Dieht unter den Rindenzellen liegt ein Flechtwerk feiner Fasern, der Plexus sub- 
cortiealis (siehe Taf. III). Er entstammt den Axencylindern der Pyramiden, wohl zumeist 
deren Collateralen. Aufserdem enthält er Fasern aus unregelmälsig zerstreut liegenden 
polygonalen, vielfach mit ihren Dendriten sagittal gestellten Zellen. In ihn münden, nahe 
dem Stirnpol, auch Riechstrahlungen, ganz wie in den Plexus tangentialis. 

Der Plexus geht unmittelbar in das Marklager über. Auch innerhalb dieses finden 
sich noch Pyramidenzellen und jene Zellen mit zur Ventrikelwand parallelen Dendriten (Fig. 1, 
Fig. 7 und Taf. III). 

Die Stabkranzfaserung enthält nicht nur die aus den Rindenzellen über ihr stammenden 
Fasern sondern eine sehr grolse Anzahl von solchen, die, aus entfernt liegenden Gebieten 
stammend, durch sie in die Rinde eintreten. Auf Tafel III erkennt man am caudalen 
Mantelpole gut eine grofse Anzahl solcher eintretender Fasern, die nicht an Zellen herangehen. 

Das Marklager unter der Rinde ist nur bei den grölseren Arten wirklich vorwiegend 
aus markhaltigen Fasern zusammengesetzt. Bei den kleineren und bei allen Schildkröten 
begegnet man nur wenig markhaltigen Zügen da, aber einer grolsen Menge noch markloser. 
Zum Studium empfehle ich die Schlangen, dann Lacerta ocellata und Varanus. An diesen 
ist im wesentlichen von mir die Zusammensetzung studiert worden. Unsere kleinen ein- 
heimischen Eidechsen besitzen nur wenig markhaltige Fasern, die, zumeist in die Tangential- 
schicht hinauftretend, gut zum Beweise der oben erwähnten Abstammung von Tangentialfasern 
aus dem Marklager dienen können (Taf. II an vielen Figuren gut sichtbar). 

Die Mehrzahl der Marklagerfasern bei den Reptilien gehört Commissurensystemen an, 
die Minderzahl einigen Stabkranzbündeln. Es bedarf sehr sorgfältiger Untersuchungen, be- 
sonders solcher an Sagittalschnitten, um die Abstammung der einzelnen Teile festzustellen. 

Die meisten Fasern sind eaudalwärts gerichtet in ihrem Verlaufe. Sie streben unter 
der Rinde dahinziehend in der Richtung nach dem Markfeld der Innenwand. Dort gelangen 
sie an die Oberfläche und verlaufen nun als Commissurenbündel hinüber zur anderen Hirn- 


hälfte oder als Fornix zum Mamillare oder zum Ganglion habenulae. Dazu kommen noch 


— 361 — 


ein Bündel aus dem Polus frontalis zur Hivnbasis in dem Zwischen- ‘oder Mittelhirn, und 
ein über das Septum ventralwärts verlaufendes, im Mittelhirn endendes System. Dem Mark- 
lager nahe am Stirnpol mischt sich dann noch das System des Traetus cortico-epistriatus und 
cortico-olfactorius bei, da es eben aus der Rinde an der Basis des Riechlappens zu gutem 
Teile entspringt. Dann wäre noch als in das Mark der mediodorsalen Rindenplatte eintretend 
der Tractus cortico-olfactorius septi zu erwähnen. Alle diese Züge setzen natürlich ein nicht 
geringes Fasermaterial zusammen. Man wird sie weiter unten einzeln geschildert finden. 
Hier sei nur erwähnt, dals in den bisherigen Untersuchungen des Reptiliengehirnes der sub- 
corticalen Lage des Marklagers nicht genügend Berücksichtigung geschenkt worden ist. 
Wahrscheinlich weil sie eben an kleinen Tieren kaum sichtbar und an grolsen aufserordent- 
lich schwer entwirrbar ist. 

Die Faserung des Marklagers verlälst die Hemisphäre auf verschiedenen Wegen. An 
der Stelle des Markfeldes der Innenwand treten die Commissurensysteme heraus, um die 
andere Hirmhälfte zu gewinnen. Hier taucht auch der Tractus cortico-mammillaris und der 
Traetus cortico-habenularis des Fornix aus der Tiefe. 

Ventral, mit den Fasern des basalen Vorderhirnbündels gemeinsam, zieht unter den 
Commissuren hinweg der Zug aus dem Stirnpole, mit der erwähnten Faserung zusammen 
das Homologon resp. erste Auftreten einer Hirnschenkelhaubenfaserung darstellend. 

Dem Reptilien- und Vogelgehirn speziell gehört die Faserung des Tractus septomesocepha- 
lieus an, welche an dem Septum herabzieht und sich unten um den Hirnschenkel herumschlägt. 

Im Marklager des Vorderhirnes bleibt die ganze dem Riechgebiete angehörige Faserung. 
Aulser ihr habe ich keime lange intercorticale, markhaltige Faserung bisher gefunden. Es ist, 
soweit ich sehe, bei den Reptilien noch nicht zur Ausbildung von Assoeciationsbahnen ge- 
kommen, die — langen Verlaufes — Teile einer Hemisphäre unter sich verbinden. Aber ein 
Blick auf die Abbildungen der Tafeln III und IV lehrt, dafs wohl die Möglichkeit zu 
gemeinsamem Wirken verschiedener Rindencomplexe oder zum An- 
sprechen des einen von dem anderen her gegeben ist. Die Faserung der 


Moleeularschieht und diejenige des subcorticalen Plexus sind zu solcher Leistung geeignet. 


7. Faserung aus der Rinde. 


1. Die Commissuren. Nirgendwo zeigte sich besser der grolse Nutzen guter 
Methoden, als in der Entwirung der Fasermassen, welche von Anderen und mir bisher als 


Commissura anterior, Fornix, Commissura olfactoria, Balken ete. beschrieben worden sind. 


— 368 — 


Im wesentlichen waren eigentlich sicher bisher nur die Mittelstücke der hierher gehörigen 
Faserbündel bekannt, auf eine kürzere oder längere Strecke waren sie aber doch nach den 
Seiten hin verfolgt. Die Angaben, welehe Teile kreuzen, welche sich frontalwärts begeben, 
wechseln aufserordentlich, einzelne Teile, so die aufsteigenden Äste, sind überhaupt, trotzdem 
sie hier und da gesehen und beschrieben wurden, den meisten späteren Untersuchern wieder 
entgangen. Richtig und vollständig hat eigentlich früher nur Bellonci — bei Podareis 
muralis — die Commissuranteile beschrieben ; richtig abgebildet und weiter verfolgt sind sie 
nur bei Pedro Ramon y Cajal, der aber nicht alle Teile näher beschrieben hat. 


(Vergl. Fig. 1, S. 319.) 


He (ommiss. pallıt post, 


Figur 9, Das Commissurensystem der Reptilien 


Alle Commissuren auf eine Ebene projieirt. Ihre wahre Lage zu einander giebt am 
besten Fig. 4, S. 337 wieder, aufserdem die Figuren der Taf. I und Il. 


Das System der Commissura anterior besteht aus einer Mehrzahl von mark- 
losen und einer Minderzahl von markhaltigen Fasern. Wesentlich nur die letzteren sind 
meist beschrieben, von den anderen bekommt man bei allen Färbemethoden, aulser bei der 
Silberimprägnierung, nur undeutliche und seitlich verwaschen endende Bilder. 

Die Durcharbeitung des gesamten Materiales mit möglichst mannigfacher Methodik, 
ganz besonders aber einige in Golgibehandlung vortrefflich gelungene Gehirne, gestatten mir 
über die Commissuren das Folgende sicher auszusagen: 


Die Commissura anterior besteht aus mindestens drei Anteilen: 


1. Ein Ramus transversus corticalis verbindet die Rinde im ventralen Gebiete 
der lateralen Rindenplatte. Er ist der mächtigste und am meisten caudalliegende Ast der 
Commissur. Seine Ausbreitung beiderseits ist breit pinselförmig, und es gehen die Fasern 
im Geäste medial von der Rinde, also etwa an der latero-ventralen Grenze des Striatum 
verloren. 

2. Der Ramus connectens Corporis epistriati. Pr lieet frontal von dem 
vorigen, ist etwas weniger kräftig als dieser und endet beiderseits mit prachtvoller Auf- 
splitterung im Corpus epistriatum. Seine Fasern dringen zum Teil zwischen den Zellen des 
Epistriatum hindurch auf die Oberfläche dicht unter das Ventrikelepithel und da bilden sie 
einen schönen Plexus. Dies Bündel ist bei den kleineren Reptilien nicht markhaltig, aber 
obgleich es z. B. bei den Lacerten marklos ist, oder doch nur wenige markhaltige Fäserchen 
enthält, finde ich es bei Varanus markhaltig, allerdings mit sehr dünnen Scheiden. Bei 
Varanus ist der ganze Plexus von Fasern über dem Epistriatum, ein reines Stratum zonale 
des Epistriatum, markhaltig, und die allermeisten Fasern gehen in die Commissur (Tafel I, 
Figur 7, Tafel I, Figur 2, Tafel III). 

3. Der Ramns connectens Lobi olfactorii. Dieser Zweig, der von allen 
Autoren in seinem frontalen Abschnitt richtig gesehen wurde, entstammt mit seinem eaudalen 
nicht etwa, wie meist angenommen wird, einem der beiden eben erwähnten horizontalen 
Zweige, sondern er ist ohne Schwierigkeit aus der medialen Rinde abzuleiten, wo er herab- 
zieht bis in die Commissurhöhe, um dann zu kreuzen und die Kreuzungsschenkel nach dem 
Riechlappen hin zu senden. Ihrem Querschnitt begegnet man weiter frontal immer wieder; 
immer weiter rückt er der Basis zu, und schliefslich geht er im Riechlappen und auch im 
Riechfelde verloren (Taf. I, Fig. 3—6, Fig. 10, Taf. II, Fig. 5 u. 6). Seine Fasern sind 
stark und immer zu einem Teile markhaltig. 

Die Figur 9 giebt eine Kombination aller Teile der Commissura anterior wieder. Sie 
ist direkt nach Präparaten gezeichnet, aber so, dafs alle Schnitte auf eine Ebene gelest sind. 

Über das Ende des Ramus connectens corticalis habe ich schon gesprochen. Der 
Ramus connecetens Corporis epistriati löst sich beiderseits in dieke Endäste auf, die etwas 
auseinander fahrend die Oberfläche und das Innere, wesentlich aber die Oberfläche, des 
Epistriatums umgreifen und mit derjenigen der anderen Seite irgendwie verbinden. Ein 
aulserordentlich feines Faserwerk (Taf. III) erschwert das Erkennen der letzten Aufzweigung 
dieser Nervenfädchen. Dies Faserwerk entstammt den Zellen im Epistriatum, dem Traetus 


cortico-epistriaticus und den Commissurenfasern, wenigstens ist mir bisher keine ordentlich 


Abhandl. d Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 47 


— 3105 — 


sichere Auftrennung gelungen. Der Ramus connectens Lobi olfactorii entspringt, wie oben 
erwähnt, aus der Rinde an der medialen Seite des Gehirnes. Er entwickelt sich aus dem 
immer stark verdieckten medialen und dorso-caudalen Abschnitte der Hemisphärenwand und 
zieht hinab zur Kreuzung. Seine Fasern stehen in Beziehung zu einem ungemein feinen 
Netzwerke, das besser als durch Beschreibung durch die Figur 1, S. 319 zur Kenntnis 
kommen wird. Gerade an der Stelle, wo diese Fasern herabziehen, wenden sich aus der 
Rinde noch viele andere Bündel ventralwärts resp. treten Bündel in die Rinde ein. Mit 
der Markscheidenmethode ist hier wirklich — wenn sie gut ausgeführt ist — keine Ab- 
scheidung der verschiedenen Abschnitte möglich und Meyer hat ganz Recht gethan, die 
ganze Fasermasse zunächst unter einheitlichem Namen zusammen zu beschreiben. Die 
Golgimethode zeigt aber mehr. Man erkennt durch sie, dals sich die Bündel wohl ab- 
scheiden lassen, weil in den meisten Präparaten immer nur das eine oder das andere schön 
geschwärzt ist. Dieser Zweig der Commissur enthält immer (Taf. I, Fig. 5, 6, 10) neben den 
markhaltigen einen Kern von marklosen Fasern. Das Ganze zieht frontalwärts, und in der Area 
olfactoria sowohl als im Lobus — aber nicht im Bulbus — fahren die einzelnen Züge aus- 
einander. Bei den grofsen Schildkröten — wo die markhaltigen Bündel besonders dickfaserig 
sind, erkenne ich besonders gut — (Fig. 5 und 6, Taf. II), wie sich die Fasern der Com- 
missur hakenförmig und pfropfzieherförmig um die Längsbündel und die Fasern des Netzes 
innerhalb der Endstätten herumschlagen. Wie das wirkliche Ende ist, das vermögen viel- 
leicht einmal Golgipräparate zu zeigen; mir ist isolierte Imprägnation, die allein in so faser- 
reichem Gebiete einen Schlufs gestattet, nicht gelungen. Man muls sich die Endausbreitung 
dieses ganzen Commissurenzweiges als fächerförmig denken, wobei die Peripherie des Fächers 
an der Hirmbasis im Riechgebiete liegt, während der Stil eben vom Stamm der Commissur 
gebildet wird. 

Wenn auch dem bisherigen Sprachgebrauch folgend, nur dieser eine Ast speziell als 
Commissur der Riechlappen bezeichnet worden ist, so ergiebt eine leicht anzustellende Be- 
trachtung doch sofort, dafs von Zweigen des ganzen Systemes der Commissura 
anterior nur solche Gebiete verbunden werden, welche irgendwie zum Riech- 
apparate in anatomischer Beziehung stehen. Der speziell als Rindenast bezeichnete 
Anteil endet in einem Rindengebiete, wo die letzten Ausläufer der Tractus bulbo-corticales 
liegen, der Ramus epistriaticus verbindet die Epistriata, wo ein so mächtiger Teil der Riech- 
strahlung endet, und der an der Innenwand aufsteigende Teil der eigentlichen Riecheommissur 


entstammt Rindengebieten, wo die Radiatio cortico-olfactoria endet. 


— 31 — 


Zug aus der Commissura anterior zum Ganglion habenulae,. Auf feinen Sagittal- 
schnitten — Coronella laevis, Varanus — erkenne ich mit aller Sicherheit, dafs aus der Commissurengegend, 
wahrscheinlich aus der Commissura anterior, ein feiner, nur aus einigen Fäserchen bestehender Zug rückwärts 
zieht. Er ist bis in die Gegend des Ganglion habenulae zu verfolgen. Auf seinem Zuge schlieft er sich den 
medialsten Thaeniabündeln an. Bei Säugern kommt ein Faserzug gleicher Richtung und Abstammung vor, 
der aber die Thaenia thalami verläfst, um in der Thaenia semieireularis als Commissurenbündel der Thaenia 
semieireularis einherzuziehen. Der eben beschriebene Zug mag einstweilen Traetus commissuro- 


habenularis heilsen. Es wurde schon oben bei Besprechung des Thaenia dieses Bündels gedacht. 


Dieser den allgemeinen Verhältnissen entsprechenden Schilderung, seien einige Punkte 


beigefügt, die sich hier und da bei einzelnen Arten ergeben haben. 


Sehr auffallend ist die relative Dünnheit der zur Uommissura anterior gehörenden Züge bei der 
grofsen Chelone midas. Es sind hier auch die einzelnen Abschnitte nur schwer zu unterscheiden — falls nicht 
etwa eine zufällig abweichende Schnittriehtung hier mich zu Irrtümern verleitet. Prüfung an weiterem 
Material ist erwünscht. 

Bei Python ist es mir fraglich geblieben, ob der caudale Abschnitt der Ramus conneetens Lobi ol- 
faetorii, also der im Mantel aufsteigende, sich wie bei den anderen Reptilien kreuzt. An dem von mir auf 
sagittalen Schnitten studierten Exemplare war er der einzig markhaltige. Es konnten aber gerade an den 
ganz medialen Schnitten keine markhaltigen Fasern gefunden werden. Man erhielt den Eindruck, dafs dies 
Bündel sich zwar ganz, wie bei den anderen Reptilien aus der medialen Hirnwand entwickle, dafs es aber 
ungekreuzt weiter nach vorn zum Riechlappen laufe, Da diesem Zuge bei der grolsen Schlange sehr vieie 
marklose Fasern beiliegen und ich von Python keine Golgipräparate habe, so besteht eben die Möglichkeit, 
dals nur die markhaltigen Fasern ungekreuzte bleiben, dafs aber unter den marklosen die gekreuzten zu 
suchen sind. Leider war an dem zweiten, frontal geschnittenen Exemplar gerade die hier wichtige Gegend 
durch einen Einschnitt verdorben, der behufs guter Erhärtung am frischen Exemplar ganz überflüssiger 


Weise gemacht worden war. 


Commissura pallii anterior und Commissura pallii posterior-Psal- 
terium. Dorsal von dem System der Commissura anterior findet man bei allen Reptilien 
ein mächtiges, hufeisenföormig beide Hemisphären verbindendes Fasersystem. Mit Osborn 
habe ich es früher als Balken bezeichnet. Das war, wie mich die von Meyer geäulserte 
Kritik, der sich neuerdings (für die Säuger) E. Smith anschlielst, belehrt hat, ein falscher 
Schlufs. Die genannten Autoren haben ganz recht, wenn sie hervorheben, dals für die 
Benennung „Corpus callosum“ nicht so sehr die Lage über dem Ventrikel, als namentlich 
auch die Beziehungen wichtig sind, in welchen die lateralen Zweige zur Rinde stehen. 
Mufs die Rinde an dieser Stelle als Ammonshorn angesehen werden, so wären Commissur- 
verbindungen derselben nicht dem Callosum, sondern dem Psalterium zuzurechnen 


47* 


— 32 — 


Bei den Monotremen, wo man (Symington, E. Smith) sehr gut erkennt, dafs alle Com- 
missurenfasern zu dem Marke eines typisch gebauten Ammonshornes in Beziehung stehen, 
ist der Nachweis leicht erbringbar, dals eine andere Mantelcommissur, also ein Callosum, 
fehlt, dals diese Tiere nur ein Psalterium haben. Da ich nun glaube, zeigen zu können, 
dals an der medialen Seite des Reptilienmantels nur Riechrinde liegt, so muls die Com- 
missur daselbst auch nur als eine solche zwischen zwei Ammonsgebieten 
angesehen werden, also als ein Psalterium. Wenigstens so lange, als nicht der 
Nachweis erbracht ist, dals das in Rede stehende Gebiet der Reptilienrinde noch grölsere 
Anteile andersartiger Rindenfelder enthält. 

Man kann nun zwei Commissuren am ventralen Mantelrande hier unterscheiden, eine 
vordere und eine hintere. Nur die erstere ist konstant. Ich acceptiere, um keiner Deutung 
durch den Namen vorzugreifen, trotzdem ich beide für zum Psalterium gehörig einstweilen 
ansehe, die von Meyer eingeführten und von Rabl-Rückhardt aufgenommenen Namen 
einer Commissura pallii anterior und posterior. (Fig. 4, S. 337, Fig. 9, S. 368.) 

Commissura anterior pallii. (Taf. II, Fig. 1 und Fig. 10 S. 375.) Unter den 
zahlreichen Fasern dieses mächtigen Bündels sind immer nur ganz wenige markhaltige ; 
nur bei Varanus ist der grölste Teil markhaltig.. Bei den Schildkröten hat diese Com- 
missur nur eine relativ schwache Ausdehnung. Nur die Golgimethode zeigt, wie sich seitlich 
die Fasern der vorderen Palliumcommissur in das Marklager verlieren. Sie scheinen da 
nicht weit zu ziehen, vielmehr früh schon sich in dem subcellularen Plexus aufzulösen. Da 
aber an gleicher Stelle viele andere Fasern herabziehen. ist ein Irrtum nicht ausgeschlossen. 
Die vordere Manteleommissur habe ich bei allen meinen Reptilien gefunden. Anders ist 
es mit der 

Commissura pallii posterior. Diese fehlt sicher den Schildkröten und wahr- 
scheinlich den Schlangen. Sie ist vorhanden bei den Eidechsen und Blindschleichen. bei 
Varanus ist sie sogar sehr stark entwickelt (vgl. Fig. 4, S. 337, Fig. 10, S. 373 und 
Fig. 11, 5. 374). Es ist das die gleiche Commissur, welche ich früher schon mit Rabl- 
kückhardt als Commissura fornieis bezeichnet habe. Sie stammt nämlich mit einem Teile 
des Fornix aus den Zellen am medialen und am oceipitalen Mantelgebiete, wohin man ihre 
Züge sehr gut an Frontalschnitten verfolgen kann. Wahrscheinlich handelt es sich um die 
Axencylinder langer Pyramiden. 

Die caudale Mantelcommissur liegt direkt vor der Stelle. wo die Hirnwand sich 


zum Plexus verdünnt, wie ich das schon in meinen ersten Mitteilungen gezeichnet habe. 


— 9313 — 


Ihre Züge bilden ventral die Mantelerenze und liegen direkt hinter dem Markfeld der 


Scheidewand. 


Die Hervorragung, welche sie zusammen mit den weiter vorn der Rinde an gleicher Stelle ent- 
quellenden Fasermassen macht, ist es, welche ich früher als Fornixleiste bezeichnet habe. Dieser Name ist 
mehrfach milsverstanden worden. Meyer hat z. B. gemeint, ich verstehe darunter das Septum pellueidum, 
Die Fasermasse aber liegt dorsal vom Septum pellueidum und deckt sich mit dem ventralen Teil dessen, 
was ich nun Markfeld der Innenwand nenne. Fornixleiste ist aber deshalb keine so schlechte Bezeichnung 
für sie, weil in der That alle hier zu Tage tretenden Fasermassen entweder in den Fornix oder in die 
Manteleommissuren gelangen, welche das Ursprungsgebiet des Fornix verknüpfen und nur zu einem ganz 


geringen Teil in die Commissura ant. ziehen. 


Fig. 10. Commissura pallii posterior. Golgipräparat von der Eidechse. 


2. Der Fornix: -Traetus cortico-mamillaris und Traetus cortico- 
habenularis. (Taf. I, Fig. 7, 8; 9, Taf. II, Fig. 1.) Schema s. Fig. 5, S. 343. 

Aus der mediodorsalen Rinde entwickelt sich bei allen Reptilien, welche untersucht 
wurden, ein Fornix. Fächerförmig aus der ganzen Innenwand entspringend, vereinen sich 
die Fasern dicht hinter und über der Commissura anterior zu einem gut geschlossenen 
Bündel. Dieses wendet sich sofort caudal- und ventralwärts und endet in der Gegend 
hinter dem Chiasma, wo eine Ganglienzellansammlung als Corpus mamillare später zu 


schildern ist. Ich habe bisher die Fasern des Traetus cortico-mamillaris nicht 


in das Ganglion hinein verfolgt, sondern sie immer dicht dorsal von demselben verloren. 


Vielleicht werden sie da so dünn, dafs sie nicht mehr richtige Markscheidenfärbung geben,, 


denn um ein markhaltiges Bündel handelt es sich immer. Nur selten ist — so bei den 
Schildkröten und bei einer Tropidonotus — die Mehrzahl der Fornixfasern marklos ge- 


funden worden. Die Fornixfaserung liegt nicht ganz medial, sondern lateral, dicht an dem 
Endstück des Ramus connectens lobi olf. der Commissura anterior. Sie kann, da sie auch 
etwas caudaler besonders mächtig ist, wohl von diesem, ja auch in der medialen Wand auf- 
steigenden, Zuge abgeschieden werden. Wahrscheinlich nimmt sie Fasern aus der ganzen 
Innenwand auf. Ich konnte nie sicher ermitteln, ob in den Fornix gekreuzte Faserm 


gelangen. 


Gangl. 
haben, 


Fig. 11. Sagittalschnitt von Varanus. Nicht schematisiert. 
(Erklärung im Texte.) 


Dieses bei einigen Tieren, Varanus z. B., besonders mächtige Bündel dicker Nerven- 
fasern zieht also über die Commissura anterior weg und hat über sich die Commissura 
pallii anterior, während die Commissura pallii posterior caudal und dorsal bleibt. Ein 
Schnitt von Varanus, der etwas seitlich von der Mittellinie angelegt ist, also im Vorderhirn 
das Markfeld der Scheidewand, im Zwischenhirn das Ganglion habenulae trifft, giebt sehr 


guten Aufschlufs über die Lage des Fornix innerhalb dieser Gegend. 


Es ist nicht so leicht, den Verlauf des Fornix ganz zu übersehen. Jahre hat es be- 
durft und vieler hunderte von Präparate, ehe ich mit Sicherheit das oben über ihn Gesagte 
festzustellen vermochte. Die unsicheren Angaben in der Litteratur beweisen, dafs es anderen 
Arbeitern auch nicht besser ging. Die erste Schwierigkeit liegt in der Erkennung des Ur- 


sprunges mitten unter all den Fasermassen, die sich dorsal von der Sagittalspalte aus der 


Rinde entwickeln. Tritt hier doch das Riechbündel ein und treten eben da doch die Fasern 
der Comm. ant., wenigstens ihres Ramus olf. herab, sammeln sich doch die Fasern der 
Commissura anterior und posterior pallii im gleichem Gebiete und wird doch das Ganze von 
Zügen überdeckt, welche der Radiatio septo-mesocephalica angehören (vergl. Fig. 4, S. 337). 
Sagittalschnitte, namentlich die von den grofsen Schlangen und von Varanus, von dem ich 
drei Serien völlig durcharbeitete, liefsen klare Erkenntnis erwachsen. Eine zweite, noch 
grölsere Schwierigkeit wird durch die zahlreichen Faserzüge im Zwischenhirn gegeben, 
welche der Fornixfaserung parallel laufen. Ich habe deshalb erst, nachdem das Zwischen- 
hirn mir gut bekannt war, hier die Fornixfaserung ganz sicher stellen können. 

Zur Erleichterung für Nacharbeitende will ich hier die Züge aufzählen, welche in Betracht kommen. 
Ein Teil ist Fig. 2, Taf. II sichtbar. Die Fornixfaserung ist von diesen Zügen der am weitesten medial 
gelegene, aber einige liegen ihr so dicht an, dafs sie kaum als wesentlich lateraler bezeichnet werden können. 

Zunächst ziehen frontal von der Commissura anterior die Fasern des Traetus septo-meso- 
‚cephalicus herunter, dann liegt dicht caudal vom Fornix der Traetus thalamo-mamillaris 
aus dem Ganglion anterius des Zwischenhirnes,. Etwas von diesem entfernt, und über das Ganglion rotundum 
des Zwischenhirnes dorsal wegziehend, erkennt man den Traetushabenulo-pedunecularis: diese 
drei Züge alle in ganz gleicher Verlaufsrichtung wie die Fornixfaserung und alle drei sehr nahe der Mittel- 
linie. Weiter lateral können auf Sagittalschnitten zu Verwechselung veranlassen : ein Zug aus dem Nuelus 
praeteetalis zum Ganglion ectomamillare, der dieht unter der Opticusfaserung diese gerade in ihrem Verlaufe 
kreuzt und ein mächtiger Zug aus dem grolsen runden Thalamuskern, der Traetus thalamo-tectalis. 

Dem Tractus cortico-mamillaris des Fornix ist noch ein Bündel angelegt, das nicht 
zum Corpus mamillare hinabgelangt. Es trennen sich nämlich von ihm, wenig weiter 
ventral als die Commissura ant. liegt, bei Python, Chelone und wahrscheinlich auch bei den 
anderen Reptilien, die Züge des Tractus cortico-habenularis. Processus Ganglii 
habenulae ad Proencephalon habe ich sie früher genannt. Als „Anteil des Fornix zur 
Thaenia“ sind sie bei den Säugern wiederholt beschrieben. Diese Fasern, besonders stark 
bei dem Python entwickelt, legen sich bald, scharf abbiegend, an die Thaenia thalami an, 
welche hier am caudalen Ende des Vorderhirnes hinauf zum Ganglion habenulae zieht. Sie 
gelangen mit den Thaeniazügen hinein in das Ganglion habenulae. Bei den kleinen Schild- 
kröten und den kleinen Eidechsen, die ich untersuchte, entging vielleicht der Tractus 
cortico-habenularis meiner Beobachtung. Bei Chelone ist er viel stärker als der Traetus 
cortico-mamillaris. 

3. Traetus septo-mesencephalicus. (Fig. 4, S. 337, Fig. 11, S. 374 und 


Taf. I, Fig. 7; Taf. II, Fig. 1.) Aus der Rinde, an der mediodorsalen Hirnwand, entspringt 


ein Bündel, das in breitem Zuge, fächerförmig über den hinteren Teil der medialen Wand aus- 
gebreitet, beginnt, um sich basalwärts immer mehr und mehr zu dünnem Zuge zu sammeln. 
Dieses habe ich in meiner ersten Mitteilung als Bündel der sagittalen Scheidewand 
bezeichnet. Seit ich die breite Ursprungsgegend des Fornix und den Tractus cortico-olfactorius 
septi kennen gelernt, stiegen Zweifel auf, ob nicht mit dem einen oder anderen dieser Züge 
eine Verwechslung passiert sei. Ich habe deshalb das Ganze immer wieder revidiert, bin 
aber doch zur Überzeugung gekommen, dafs es ein Bündel giebt, das jener ersten Beschrei- 
bung entspricht. Das Scheidewandbündel ist aber viel unbedeutender, als es zu Anfang mir 
erschien, wo ich jene eben genannten Faserzüge noch nicht von ihm zu trennen wulste. 

Der Tractussepto-mesencephaliceus entspringt immer aus derjenigen Rindenschicht, welche 
der Oberfläche am nächsten liegt, aus der Molecularschicht, wenigstens wird sie in dieser 
zuerst als geschlossener Zug sichtbar. Welche Zellen ihr Ursprung geben, das habe ich 
nicht ermitteln können. 

Man kann leicht erkennen, wie die fächerförmige Faserung dieses Bündels über alle 
übrigen, aus der Rinde tretenden Fasern hinweg zieht, dann in die Tiefe der septalen Wand 
eintaucht und nun sich mehr und mehr zum Bündel schlielsend an die mediale Seite 
der Radiatio strio-thalamica (basales Vorderhirnbündel) sich anlegt. Eine kurze Strecke 
zieht sie hier, immer neue Fasern von oben her empfangend, dahin, dann aber beginnt sie 
sich um jenes Bündel aus dem Stammganglion herum lateralwärts zu schlagen, also sich 
nach der äufseren Hirnseite zu wenden. Das geschieht an der Hirnbasis, ganz hinten, in 
der Nähe der Schlufsplatte. Nun aber gehen die Fasern mir verloren. Es scheint als 
schlügen sie sich frontal vom Optieus aufwärts, aber das kann ich nur unsicher sagen ; 
ganz diesen Weg nehmen auch die Fasern der Thaenia im caudalen Hirngebiete, und von 
diesen Fasern kann ich von der Umschlagstelle ab mein Bündel nicht mehr sondern. Selbst 
an Tieren, wo der Zug sehr ausgebildet ist, an Varanus, Lacerta ocellata, Python geht er 
mir dicht vor dem Chiasma an der Hirnbasis verloren. Beim Alligator, selbst an den 
kleinen Exemplaren, die mir zur Verfügung standen, ist es sehr gut entwickelt und hier, 
wie stets, markhaltig. Ich kann aber nur sagen, das die Fasern aus der Scheidewand des 
(rehirnes herabsteigen und sich frontal von der Commissur an die Basis begeben, wo sie 
sich. nach aulsen wenden. 

Wo die Untersuchung an den Reptilien zunächst versagt, weil viele angestellte De- 
generationsversuche unsichere Resultate brachten, da vermag ein Blick auf eines der Re- 


sultate einer Untersuchung, die ich gemeinsam mit Dr. Jensen in Stralsburg an Vögeln 


anstellte und über die an anderer Stelle zu berichten sein wird, Aufklärung zu bringen. 
Bei Vögeln existiert nämlich ganz das gleiche Bündel, mit gleichgeartetem Ursprung, an 
gleicher Stelle des Mantels, und da ist es lange als Bündel der Scheidewand bekannt. 

Dr. Jensens geübter Hand ist öfters seine Durchsehneidung gelungen. Einige 
Wochen nach der Operation habe ich die inzwischen eingetretene Degeneration mittels der 
Marchi-Methode bis in das Gebiet frontal und lateral von dem Mittelhirndache verfolgen 
können. Dort bei den Vögeln ist man also vollauf berechtigt, die Faserung als Radiatio 
septo-mesencephalica zu bezeichnen. Dort geht das sehr viel mächtigere Bündel auch 
nach dem Umschlage um die Hirnschenkel der Verfolgung nicht verloren; man erkennt leicht, 
dals es sich frontal vom Optieus und caudal von den hier dorsalwärts ziehenden Fasern der 
Thaenia zum Mittelhirndache begiebt. Bei den Vögeln wendet es sich aber direkt, wenn 
es an der Hirmbasis angekommen ist, um diese herum, während es bei den Reptilien — 
oder doch einigen derselben — eine Strecke weit erst mit dem basalen Vorderhirnbündel 
rückwärts verläuft, ehe es umbiegt. 

4. Traetus fronto-thalamienus (Taf. II, Fig. 2). Nicht bei allen Reptilien, wohl 
aber bei denjenigen Arten, die sich durch Gröfse und mächtige, markhaltige Faserzüge aus- 
zeichnen — bei Varanus, bei Python, fraglicher bei Chelone — habe ich einen starken 
Faserzug gefunden, der. aus dem frontalen Pol des Mantels entspringend, direkt vor dem 
Stammganglion herabzieht und rückwärts abbiegt. So gerät er ventral dieht an die jenem 
Ganglion entquellende Faserung des basalen Vorderhirnbündels. Er zieht dann, sich 
caudal wendend, über die Area olfactoria weg und ist jenseits des Chiasma nicht mehr sicher 
von den Fasern des basalen Vorderhirnbündels zu scheiden. Dieser Zug endet wahrschein- 
lich im Thalamus. Das wird aus Folgendem geschlossen: Einseitig entrindete Eidechsen 
und Schildkröten lassen schon innerhalb der Mittelhirnbasis keine Differenzen mehr zwischen 
rechts und links erkennen. Bei Vögeln, wo die Marchi’sche Methode bessere Resultate 
giebt, als bei den Reptilien, existiert der gleiche Zug, und hier erkenne ich mit Sicherheit, 
dafs er caudalwärts bei einseitiger Enthirnung nicht über den Thalamus hinaus degeneriert. 
Jedenfalls kann ich ihn mit den heute mir zur Verfügung stehenden Methoden nicht weiter 
rückwärts verfolgen. 

5. Tracetus oceipito-mesocephalicus? Bei den Vögeln entspringt aus dem 
Hinterhauptlappen ein mächtiges Bündel, das erst frontalwärts tritt, dann aber vor der 
Commissura anterior sich ventral und caudal wendet und diese hakenförmig umgreift, um 


schliefslich im Mittelhirndache zu verschwinden. Dies Bündel, der Traetus oceipito-meso- 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges, Bd. XIX 48 


cephaliens — Sehstrahlung — wird bei den Reptilien nicht mit Sicherheit gefunden. Aber 
ich erkenne doch an einigen mit Golgi gut durchimprägnierten Eidechsengehirnen, welche 
in von vorn nach hinten schräg abfallender Richtung geschnitten sind, Fasern, welche aus 
dem Septum medianum hervortretend, resp. dies nur von hinten her durchmessend, in den 
Thalamus gelangen, wo sie mir verloren gehen. Sie liegen lateral vom Fornix und medial 
von der Strahlung des basalen Vorderhirnbündels. Diese Fasern, die ich mit Hämatoxylin 


selten imprägniert sah, von denen ich bei Python z. B. gute Markscheidenfärbung bekomme, liegen 


Figur 12. Ursprung des Tractus fronto-thalamieus Eidechse, Golgipräparat. 
Der Zug ist irrtümlich als „eortico-thalamieus“ bezeichnet 


dem erwähnten Bündel der Vögel ähnlich und lassen sich vielleicht später mit demselben 
identifizieren. Eimstweilen ist mir nicht gelungen, Sicheres über sie zu ermitteln. Dennoch 
wäre mehr zu wissen sehr erwünscht. Denn es handelt sich hier um die Frage, 
ob die Reptilien — oder wenigstens die höher stehenden — schon eine 
Sehstrahlung aus der Rinde zu den ersten optischen Centren besitzen. 

6. Markloses Bündel, aus dem Vorderhirn bis in das Mittelhirn 


verfolgt. Dieses Bündel ist mir zuerst bei Chelone aufgefallen, ich habe es aber nach- 


gs 


träglich, wenn auch weniger diek und deutlich, auch bei dem Alligator und bei den Schlangen 
gefunden. Die folgende Beschreibung gilt für Chelone. Das Bündel beginnt ganz frontal 
im allerbasalsten Gebiete, etwa im Riechfelde oder schon im Bereiche des Lobus olfactorius. 
Seine dicken Bündel ziehen caudalwärts, liegen immer dicht medial von dem Traetus optieus 
und weiter hinten unter dem Corpus geniculatum laterale. Da, wo der Sehtractus sich hin- 
auf in das Mittelhirndach begiebt, liegt das Bündel frei an der Hirnbasis und grenzt dicht 
an die lateralsten Fasern der Decussatio postoptica. Dieses Bündel hat auf seinem ganzen 
Verlaufe immer medial eine eigentümliche Schicht glasiger, in Kugeln geordneter Substanz 
liegen, etwa ähnlich wie die Substantia gelatinosa der aufsteigenden Quintuswurzel, und aus 
dieser Substanz ziehen ständig Züge in das marklose Bündel hinein; diese sind markhaltig, 
verlieren aber, wie es scheint, bald ihre Markscheide oder geben die spärlichen innerhalb 
des marklosen Bündels laufenden Markfäserchen her. Innerhalb des Zwischenhirnes trennen 
sich die markhaltigen Fasern wieder und ziehen dorsal, um sich, zu einem neuen Bündel 
gesammelt, dem hier vorbeiziehenden basalen Vorderhirnbündel dorsal anzulegen. 

Dieser ganze Faserzug ist mir von allen, welche im Reptiliengehirn vorliegen, am 
unklarsten geblieben. Ich erwähne ihn nur, um vollständig meine Beobachtungen mit- 
zuteilen. Sollte es sich um eine zum Mittelhirn absteigende Olfactorius- 
bahn handeln? 

7. Das Riechbündel des Septum Tractus cortico-olfactorius 
septi. (Tafel I, Figur 4. Tafel IV.) Dieses Bündel ist schon anlälslich des Riech- 
apparates geschildert worden. Es ist der stärkste Zug innerhalb des Septum. Wenn man 
einen Varanus untersucht, oder ein anderes grolses Reptil, so bemerkt man schon mit 
blolsem Auge, wie sich die Fasern dieses Zuges auf eine lange Strecke hin aus der Area 
parolfactoria entwickeln und, in die Fissura arceuta septi eintretend, immer dichter sich zum 
Bündel sammeln, das in der Rinde sich dann auflött. An vielen Stellen dieser Dar- 
stellung ist schon des für die Innenwand des Reptiliengehirnes sehr charakteristischen 
Faserzuges gedacht. Man findet ganz das gleiche Bündel an der gleichen Stelle auch bei 
Säugern, wie ein Vergleich der Figur 14 von einem Beutler mit Fig. 4, S. 337 lehrt. 
Vom Kaninchen habe ich es in der 4. Auflage meiner Vorlesungen abgebildet. Dieser Zug 
ist zuerst von Zuckerkandl als Riechbündel des Ammonshornes beschrieben worden. 
Er gehört auch zu den Fasern, welche länest im Septum pellueidum als „Stiel des Septum“ 
geschildert worden sind, Meynert, Honnegger u. A. Aber bei den Reptilien 
liest er absolut klar und deutlich vor, deutlicher, isolierter und besser abscheidbar, als 

48* 


— 3850 — 


bei irgend einem Säuger. Hier ist auch sein Entstehen aus der Area olfactoria leicht 


sicher zu stellen. 


Das also wären die Faserkategorien, die ich bisher am Vorderhirn der Reptilien zu 
erkennen vermocht habe. Nachdem sie so geschildert worden sind, verlohnt es sich wohl 
einen Blick auf ihre wechselseitige Lage zu werfen und damit speziell jenes bisher öfter er- 
wähnte Markfeld der Innenwand nochmals zu betrachten. (Vergl. Fie. 4, S. 337, 
Fig. 11, S. 374, Fig. 1, Taf. II.) Hier strömen zusammen: Aus dem Rindengebiete, also 
aus dem dorsalen Abschnitte der Hirnscheidewand: die Fasern des Fornix zum Corpus 
mamillare und zum Ganglion habenulae. Sie entspringen in langgestrecktem Zuge fast an 
der ganzen ventralen Seite jener Fissura aremata septi. Diese Fissur ist aber analog der 
Rinne zwischen Fimbria und Plexus choroides der Säuger. 

Die Fornixlage könnte man dem Fornix longus aus dem Gyrus limbieus der Säuger homologisieren, 
wenn man nicht vorzieht — erst weitere Untersuchungen können Sicherheit bringen — das ganze Rinden- 
gebiet nur der Ammonsrinde zu homologisieren, wo dann die Längsfaserung der Fimbria entspräche. 

Etwas weiter caudal in der Rinde entspringen die Fasern des Ramus connectens 
loborum olfact. Commissurae anterioris. Sie ziehen herab zur caudalen Abteilung des Mark- 
feldes, wo sich etwas dorsal von ihnen die Fasern der beiden Palliumcommissuren finden. 
Das alles liegt im Markfelde dieht bei einander. Überzogen wird es noch von dem Tractus 
septo-mesencephalieus. 

Aus dem ventralen Gehirmabschnitte, aus der Area olfactoria treten massenhaft nach 
oben bis in das Markfeld die Fasern des Riechbündels der Scheidewand. Sie senken sich 


am frontalen Pole des Markfeldes in dieses und dann weiter in die Rinde ein. 


Übersicht der Resultate. 


Wir kennen bisher kein einziges Vorderhirn bei irgend einer Tierart annähernd voll- 
ständig oder doch so weit, dals mit den heute vorhandenen Mitteln nicht überall noch 
Lücken ausgefüllt werden könnten. 

In der vorstehenden Abhandlung ist versucht worden, diese Aufgabe für das Vorder- 
hirn der Reptilien zu lösen. Dieser Hirnabschnitt verlockte deshalb namentlich zu möglichst 
vollständiger Durcharbeitung, weil frühere — eigene und fremde — Untersuchungen gezeigt 
hatten, dals hier alle Verhältnisse noch ganz einfach liegen, welche bei den höheren 


Vertebraten aufserordentlich eompliziert sind. 


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Die Beschreibung der äulseren Form, welche unterstützt von den Zinkographien des 
Textes auf S. 330—341 gegeben wird, lehrt sofort, welche grofse Bedeutung im ganzen 
Anfbaue des Gehirnes dem Riechapparate zukommt. Aufser dem Riechlappen selbst ist das 
ganze Areal’an der Hirnbasis und ein grofser Teil von dem, was bisher dem Stammganglion 
von mir zugeschrieben worden ist, als dem Riechapparat zugehörig erkannt worden. Über 
den Riechapparat wölbt sich, klem im Verhältnis zu ihm, der Hirnmantel. Er trägt in 
seinem Inneren eine wohlgeordnete Rinde. 

Es gelang, eine ganze Anzahl von Verbindungen des Riechapparates aufzudecken, 
deren Anordnung sich im Wesentlichen dahin zusammenfassen lälst: Die Riechnervenfäden 
aus den Epithelzellen der Nasenschleimhaut senken sich in die Rinde des Lobus olfactorius 
ein. Dort kommen ihnen die Dendriten der Mitralzellen, Homologa der grolsen Rinden- 
pyramiden in der übrigen Rinde, entgegen, und da, wo diese beiden Elemente aufsplittern, 
ensteht ein enger Kontakt zwischen ihnen. Die Axeneylinder der Mitralzellen enden als 
Riechstrahlung zum Teil in der Rinde des Lobus olfactorius, zum Teil in der Tangential- 
faserschicht und im subeortiealen Netzwerk der übrigen Hirnrinde. Ein Teil von ihnen aber 
zieht, verstärkt durch Züge aus der Rinde des Lobus selbst, dem Lobusmark, in einen Ab- 
schnitt des Stammlappens, das Epistriatum. 

Aus den Endstätten der secundären Riechfaserung entwickeln sich neue tertiäre 
Bahnen, die wohl auch zum System des Olfactorius gerechnet werden müssen. Die kom- 
plizierteste, mindestens aus drei Teilen zusammengesetzte Bahn dieser Art ist die Riech- 
strahlung zum Ganglion habenulae, welche den Hauptteil der Thaenia thalami ausmacht. 
Durch sie wird namentlich das Gebiet der Area olfactoria, dasselbe, welches bei Säugern 
als Lobus olfactorius posterior bezeichnet wurde, mit dem Zwischenhirne verbunden. 

Aus dem Riechlappen und aus der Area olfactoria an der Hirnbasis zieht ein wohl 
charakterisierter Faserzug hinauf zur Rinde im Hirnmantel, wo er im dorsomedialen Ab- 
schnitte endet. Diese Riechstrahlung zur Rinde wird als besonders wichtig angesehen, 
weil sie die erste Rindenverbindung mit einem Sinnesapparat darstelt, 
welche uns in der Tierreihe bis heute begegnet ist. Es ist möglich, dafs sie 
schon bei den Amphibien existiert, doch nur bei den Reptilien läfst sie sich ganz sicher 
feststellen. 

Alle Teile des Gehirnes, welche Anteile des Riechapparates aufnehmen, sind durch 
Querfasern mit den gleichen Gebieten der anderen Seite verbunden. Diese Fasern verlaufen 


teils in der Commissura anterior, für welche drei distinkte Bündel nachgewiesen und ver- 


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folgt werden konnten, teils in Manteleommissuren, welche als Psalterium bezeichnet werden 
können. Es sind bisher keine Commissuren nachzuweisen gewesen, welche andere als Riech- 
gebiete verbinden. 

(Gegenüber den Bahnen, die in irgend einer Beziehung zum Geruchsapparate stehen, 
erscheint alles Übrige im Vorderhirne der Reptilien als unbedeutend und klein. 

Die Hirnrinde ist wesentlich mit dem Golgiverfahren untersucht worden. Es hat 
sich gezeigt, dals sie aufser einer mehrfachen Schicht von Pyramidenzellen noch Zellen nach 
aulsen von diesen und ebensolche im subeortiealen Lager enthält. Sie ist überzogen von 
einem mächtigen Plexus von Tangentialfasern und entsendet Faserzüge und nimmt solche 
auf. Der feinere Bau der Rinde läfst erkennen, dafs hier schon bei einem 
sehr niedrig stehenden Gehirne eine unendlich grofse Möglichkeit von 
Associationen gegeben ist. Es giebt keinen Punkt und keine Zelle hier, der nicht 
mit jedem anderen Punkte durch Fasern in Beziehung treten könnte. Eigentliche lange 
Associationsbahnen aber wurden nicht gefunden, selbst bei ganz grolsen Reptilien nicht, die 
sich vor den kleineren häufig durch ihre entwickeltere Rinde, insbesondere durch die grölsere 
Dichtigkeit ihrer kurzen Associationsbahnen auszeichnen. 

Anlser dem oben erwähnten Zuge aus dem Riechapparat in die dorsomediale Rinden- 
platte ist von keinem Sinnesapparat her mit Sicherheit ein stärkerer Zug in die Rinde ver- 
folgt worden, doch liels sich nachweisen, dals aus dem Gebiete dieht vor der Optieusendigung 
ein Bündel, der Tractus septo-mesencephalieus, in das Vorderhirn gerät, und ist die Existenz 
eines echten Rindenbündels zum Teetum mesencephali, wo der Sehnerv und ein grofser Teil 
der sensorischen Faserung endet, sehr wahrscheinlich geworden. Doch ist dieser Zug, der 
seinem Verlaufe nach als Sehstrahlung aus den Optieuscentren zur Rinde anzu- 
sehen wäre, nur schwach, ja er ist erst nachweisbar geworden, als das gleiche Bündel in 
sehr viel mächtigerer Ausbildung bei den Vögeln bekannt geworden war. 

Schlielslich ist ein Zug aus der Rinde am Stirnpole aufgefunden worden, welcher 
höchst wahrscheinlich im Thalamus endet, also das erste Auftreten einer Radiatio 
thalamo-corticalis, die ja bei den Säugern so entwickelt ist, darstellt. 

Zweifellos ist der grölste Teil der Reptilienrinde Riechrinde. Dals 
die Rinde da, wo sie zuerst in der Tierreihe auftritt, im wesentlichen nur ein einziges 
Sinnescentrum darstellt, das Centrum für den Geruch, dafs alle Associationen, welchen sie 
als Unterlage dient, alle Erinnerungsbilder, die sie bewahren mag, solche sind, die vor- 


wiegeud dem Riechen dienen, das betrachte ich als eines der wichtigsten Ergebnisse der 


— al) —— 


Arbeit. Es scheint mir durch diesen Befund ein Ausgangspunkt für neue Untersuchungen 
auf dem Gebiete der vergleichenden Psychologie gegeben, welcher fester ist, als einige der 
bisher verwendeten. Tierpsychologische Studien sind bisher so gut wie immer an zu kom- 
plizierten Erscheinungen angestellt worden. Wir müssen erst wissen, welche Sinneseindrücke 
ein niederes Tier bekommen kann, welche es zurückzuhalten weils, und welche es, allein oder 
unter den Zeichen associativen Denkens, zu verwerten vermag. Dann erst können wir an 
die komplizierteren Probleme gehen, welche bisher zumeist in Angriff genommen sind, 
Riechrinde ist die Rinde der dorsomedialen Platte deshalb, weil eben hier die Faserung 
aus den Endstätten der sekundären Riechbahn endet. Für die anderen Rindengebiete ist 
eine solche Verknüpfung, die Licht auf ihre funktionelle Bedeutung werfen möchte, noch nicht 


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gefunden. Sie können dem Riechapparate angehören, müssen es aber nicht. 


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Figur 13. Frontalschnitte. A. Von Varanus, B. von einem Mausembryo. 


In meinem früheren Aufsatze über das Reptiliengehirn und in einigen späteren Publi- 
kationen habe ich schon darauf hingewiesen, dals die Rinde ganz oder zum Teile dem 
Ammonshorne entsprechen möchte, von dem bei den Säugern eine Beziehung zum Riech- 
apparate festgestellt ist. Die neuen Untersuchungen bringen den damals angeführten, rein 
morphologischen Verhältnissen noch den neuen Beweis zu, dals, ganz wie im Ammonshorne 
der Säuger, auch in der dorso-medialen Rindenplatte der Reptilien die Riechstrahlung endet. 
Damit scheint mir der Ring der Beweise geschlossen. 

Zufällig besitze ich zwei Schnitte, den einen von einem Säuger, den anderen von einer 


grofsen Eidechse, welche auch im Äufseren das Gleichartige zeigen, welches zwischen 


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Ammonswindung der Säuger und Rinde an der Innenwand des Reptiliengehirnes vorliegt. 
Ich bilde hier den Frontalschnitt durch das Gehirn einer Mausembryo neben demjenigen ab, 
der bei Varanus die gleiche Gegend zeigt. Bei dieser grofsen Eidechse macht die Ammons- 
rinde sogar ganz die gleichen Krümmungen wie das embryonale Ammonshorn der Maus. 

Es ist noch nicht möglich zu sagen, wie weit die Reptilienrinde dem Ammonshorn 
allein entspricht, wie weit sie Elemente des ganzen Gyrus limbieus enthält, und wie weit 
etwa-noch andere Rindencentren hier schon angelegt sind. Nur das läflst sieh sicher 
bestimmen, dafs der gröfste Teil der Reptilienrinde mit dem Riechapparat 
zusammenhängt. 

Die Stellung der erwähnten Rinde als Ammonsrinde wird nun noch weiter bekräftigt 
durch den Ursprung eines Fornix aus ihr. Es gelang, diesen Faserzug, den ich schon 
vor Jahren beschrieben hatte, nun genauer zu studieren und namentlich in zwei Bündel, 
eines zum Corpus mamillare, ein zweites in das Ganglion habenulae hinein, zu zerlegen. 

Wenn die Rinde an der Innenseite als Ammonsrinde erkannt ist, wenn der Fornix 
aus ihr nachgewiesen ist, dann müssen natürlich die Commissuren zwischen diesen Rinden- 


feldern ein Psalterium sein. S. o. Meyer und Elliot Smith. 


So sind eine Anzahl fester Punkte gegeben, und man kann es wagen, einmal ein 
Reptiliengehirn direkt auf den Umrils eines Säugergehirnes aufzuzeiehnen. Dies ist in der 
folgenden Abbildung geschehen. Es wurde natürlich ein niederer Vertreter der Säuger 
gewählt und hier trifft es sich glücklich, dafs gerade in den letzten Jahren das Marsupialier- 
gehirn durch Symington und E. Smith, aber auch durch andere Arbeiter mehrfach, 
eben wegen der Commissuren durchgearheitet worden ist. Die genannten Autoren sind zum 
Schlusse gekommen, dals den Marsupialiern und Monotremen, welche bis jetzt untersucht 
worden sind, der Balken fehle, und dals die Commissuren, welche man dort kennt, im wesent- 
lichen dem Psalterium zuzurechnen seien, weil sie nur Teile der Ammonswindungen unter 
einander verknüpfen. 

Fig. 14 zeigt nun in die Flo wersche Abbildung des Thylacinusgehirnes ein Reptilien- 
gehirn so eingezeichnet, dafs die beiden Psalterien sich decken. Nun springt sofort die 
Ähnlichkeit beider Gehirne ins Auge, man sieht; wie der Ammonswindung des einen der 
gleiche Zug im anderen entspricht, ja, man erkennt sogar, dals das Riechbündel, welches 
von der Basis vorn in das Ammonshorn einstrahlt, sich in beiden Abbildungen genau 


deckt. Vergl. namentlich Fig. 4, wo im Varanusgehirn dieses Bündel ganz ebenso aussieht, 


— 35 -—- 


wie es Flower von Tylacinus zeichnet. Auch in den Abbildungen von Symington und in 
den Bildern von Elliott Smith tritt der Traetus cortico-olfactorius an gleicher Stelle 
klar hervor. 

Es ist bisher nur schwer möglich gewesen, ein niederes Vertebratengehirn direkt mit 
dem Säugergehirne zu vergleichen. Der hier angestellte Versuch hat seine Bedeutung aber 
nicht allein nach der rein morphologischen Seite. Er soll nämlich auch zeigen, nach welchen 
Richtungen hin das Gehirn sich weiter entwickelt, wenn man von den Reptilien einmal aus- 
geht. Man erkennt zunächst, dafs von dem Marsupialiergehirne zu demjenigen der Reptilien 
ein viel geringerer Schritt ist, als von dem Beutlergehirne hinauf zu demjenigen des 
Menschen. Verhältnismälsig unbedeutend nur ist das Wachstum des Hirnmantels, verglichen 


mit demjenigen, welches innerhalb der Säugerreihe erst eintritt. 


Figur 14. Gehirn von Thylaeinus nach Flower. Die Contour eines Reptiliengehirns ist eingezeichnet, 
Für Detail vergleiche man noch Fig. 4, S. 333. 

Nun wissen wir heute sicher, dals die höheren geistigen Funktionen, besonders die- 
jenigen, welche associativer Natur sind, direkt an die normale Existenz einer Hirnrinde ge- 
bunden sind, und wir wissen auch, dals bestimmte Leistungen von einzelnen kindengebieten 
ausgeführt werden, dals die Rinde in eine Anzahl von Einzelterritorien zerfällt, die sich 
funktionell unterscheiden. Zahlreiche Untersuchungen der letzten Jahre haben uns mit der 
Oberfläche des Säugermantels genauer bekannt gemacht. Ihre Ergebnisse lehrten, dafs je 
nach der Tierart bestimmte Rindengebiete mehr, andere weniger, ausgebildet sind. Noch ist 
unser Wissen von der physiologischen Bedeutung dieser Rindenterritorien in vielen Fällen 
recht gering, aber es ist eine Aufgabe der nächsten Zukunft, eine Aufgabe, die erfreulicher 
Weise auch schon für einzelne Säuger in Angriff genommen ist, die Entwicklung dieser 


Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. XIX. 49 


— 336 — 


Rindenfelder in der Reihe zu studieren. Die Lösung der hier auftauchenden Fragen wird 
der vergleichenden Psychologie neue Wege zeigen. Auf unserer Abbildung erkennt man 
sofort, wohin die Entwieklung des Mantels, die bei den Amphibien beginnt, bei einem niederen 
Säuger geführt hat. Offenbar haben sich dem einfachen Riechzentrum der 
Reptilien mehr und andere (entren angelagert. 

Diese Schrift ist dem Nachweise gewidmet, dals in dem Reptiliengehirne ein Ausgangs- 
punkt für Untersuchungen über die Entwicklung des Hirnmantels geboten ist, Untersuchungen, 
welche hoffentlich einmal zur Kenntnis von der Entwicklung des höheren Seelenlebens in der 


Tierreihe überhaupt führen. 


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Die Abbildungen. 


Alle Figuren sind mit dem Zeichenapparate in Öontouren aufgenommen, aber dann bei etwas stärkerer 
Vergröfserung durchgearbeitet. So erscheinen die Details vielfach deutlicher, als sie bei der relativ schwachen 
Vergröfserung sonst sichtbar sind. Dazu trägt bei, dafs die Ganglienzellen und Epithelien der Ventrikel immer 
rot gehalten sind, auch da, wo sie — bei der einfachen Weigertfärbung — nur braun erscheinen. Die beiden 
Tafeln mit Silberbildern sind starke Reduktionen der sehr viel gröfseren Originale, Sie verlangen deshalb 
besonders eingehende Betrachtung, weil die Details nicht sehr in die Augen springen. 


Tafel I. 


Figur 1—9. Frontalschnitte von der Riesenschlange, Python molurus. 
Figur 10. Frontalschnitt von der Ringelnatter, Tropidonotus natrix. Hierzu sind zwei Exemplare benutzt, 
von denen eines mit Carmin, das andere mit der Markscheidenfärbung behandelt war. 


Tafel II. 


Figur 1 und 4. Sagittalschnitte durch das Gehirn von Python. 

Figur 2 und 3. Ebensolche von der Wüstenechse, Varanus griseus, 

Figur 5 und 6. Frontalschnitte von der Riesenschildkröte, Chelone midas. 
Figur 7. Ein Sagittalschnitt von der gleichen Schildkröte. 


Tafel IIl. 


Sagittalschnitt, etwas seitlich von der Mittellinie, von der Eidechse, Lacerta, Golgibehandlung. Kombiniert 
aus vielen Schnitten, die vielen Exemplaren entstammten. 


Tafel IV. 


Frontalschnitt von Lacerta. Golgibehandlung. Kombination aus ea. 4 Schnitten, die zwei Tieren angehörten. 


Druck von Aug. Weisbrod, Frankfurt a. M 


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Verticalschnitt (vordere Wurzel.) 


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Figl. Sogenannte Astrocyten Fig2-5 Rückenmark 


Weigert. Taf: I. 


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Fig. #. 


Vorderhorn (Kind) 


Hinterhorn II (Apex) 


Vorderhorn (Erwachsner) 


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Rolando. 


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Vordere Commissur Hinte 


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Rückenmark 


bhandl. d.Senckenb. naturf Gesellsch. Weigert. Taf IV. 


Flimmerhaare 


Epithel Cutieularschicht 


Weigert del. Tıth. Anst.w Werner &Winter, Frankfure 7 M. 


Ependyamrund Centraleanal 


Weigert. Taf. V. 


Hypoglossuskern 


Pyramidenkreuzung 


a Epen ymwucherung II 


Weigere del. Ikth. Anst.v Werner alfinter, Frankfurt? M. 


Medulla oblongata 


j Abhandl.d. Senckenb naturf. Gesellsch Weigert. Taf. vı. 


EIER 
RENTEN 


Nucleus gracilis 


Jh. Anse.v Werner Winter, Frankfare®M. 


Medulla oblongata 


Abhandl.d. Senckenb. naturf. Gesellsch. Weigert. Taf. UM. 


Figd. 


Nucleus ambiguus. 


Fig.3. 


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Striae acusticae - TITLE 


--Rindenschicht 


Längsschnitt Querschnitt 


1.2.Medulla oblongata 3.2, Oyeiuleiwls 


Abhandl. d. Senckenb.naturf. Gesellsch. 


Substantia nigra 


Fig.2. 


Gliahülle um einen 
Gefässraum. 


Fig. 1,2 Hirnschenkel. 


Fig. 4. 


Vierhügel 
(innerer Theil) 


Fig.3. ‚Raphe 
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Oculomotoriuskern 


Eigsort Vierknügele: 


Weigert Taf. VI. 


Winter, Frankfart$M. 


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dazu tanz Oberfläche der Moleceularschicht 


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I-2.Grosshirn 3-5 Kleinhirn. 


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Gesellsch. ß Weigert Taf. X. 


Fimbria# 


Ansatz der Fimbria 
(0bj.8MM) 


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Ependym 


FE) 
Ventrienläre Oberfläche 


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Regen 
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Gyrus 


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Abhandl.d.Senckenb naturf. Gesellsch. Weigert. Taf. X. 


-Ependym. 


Ventrale Oberfläche ; Epithel 


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Markschicht. 


Tiefe 


Ansatz des Fornix 


Balken 


Abhandl. d:Senckenb. naturf Gesellsch. Weigert Taf. MI. 


Fig.1. Riga: 


x ! [ Schhügeloberfläche mit Epithel 
f) ö bekleidet 

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GCanglienzellenhaufen 
(Balken) 


I A \ x — T e \ 
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Sehhuügeloberfläche vom A EN Pulvinar 


Plexus chorioideus bedeckt H 


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L.Edinger del Jith. Anst. v Werner Winter, Frankfart”M. 


Abhandl.d. Senckenb. naturf. Gesellsch. L. Edinger. Taf. H. 


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Taf. IV. 


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ABHANDLUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 
SENGCKENBERGISCHEN NATURFORSCHENDEN 
GESELLSCHAFT. 


NEUNZEHNTER BAND. 


ERSTES HERT. 
MIT XV TATELN. 
FRANKFURT a. M. 


IN COMMISSION BEI MORITZ DIESTERWEG. 
1895. 


Bemerkungen: Die Verfasser sind für den Inhalt ihrer Abhandlungen verantwortlich. 


Druck von Aug. Weisbrod, Frankfurt a. M. 


Inhalt. 


H. Engelhardt, Über neue Tertiärpflanzen Süd-Amerikas. 


Dr. Otto M. Reis, Illustrationen zur Kenntnis des Skeletts von Acanthodes Bronni Agassiz. 


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ABHANDLUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 


VON DER 


SENOKENBERGISOHEN NATURFORSCHENDEN 
GESELLSCHAFT, 


NEUNZEHNTER BAND. 


ZWEITES HEFT. 
MIT XIII TAFELN. 
FRANKFURT A.M. 


IN COMMISSION BEI MORITZ DIESTERWEG. 
1895. 


Bemerkungen: Die Verfasser sind für den Inhalt ihrer Abhandlungen verantwortlich. 


Druck von Aug. Weisbrod, Frankfurt a, M 


Inhalt. 


Prof Dr. Carl Weigert, Beiträge zur Kenntnis der normalen menschlichen Neuroglia. 


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ABHANDLUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 


VON DER 


SENGCKENBERGISCHEN NATURFORSCHENDEN 
GESELLSCHAFT. 


NEUNZEHNTER BAND. 


DRITTES HEFT. 
MIT VI TAFELN UND VIII ABBILDUNGEN IM TEXT. 
ERANKFRURIN 2M: 


IN KOMMISSION BEI MORITZ DIESTERWEG 
1896. 


Bemerkungen: Die Verfasser sind für den Inhalt ihrer Abhandlungen verantwortlich. 


Druck von Aug. Weisbrod, Frankfurtta. M 


Inhalt. 


Prof. F, Leydig, Zur Kenntnis der Zirbel und Parietalorgane. 


Dr. Heinrich Simroth, Über bekannte und neue Uroeyeliden 


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ABHANDLUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 


VON DER 


SENÜKENBERGISCHEN NATURFORSCHENDEN 
GESELLSCHAFT, 


NEUNZEHNTER BAND. 


VIERTES HEFT. 
MIT IV TAFELN UND XIV TEXTFIGUREN. 
FRANKFURT A. M. 


IN KOMMISSION BEI MORITZ DIESTERWEG. 
1896. 


Bemerkungen: Die Verfasser sind für den Inhalt ihrer Abhandlungen verantwortlich. 


Druck von Aug. Weisbrod, Frankfurt a M 


Inhalt. 


Edinger, Ludwig, Dr., Untersuchungen über die vergleichende Anatomie des Gehirns. 3. Neue Studien 


über das Vorderhirn der Reptilien. 


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