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BOUGHT WITH
THE GIFT OF
ii WIELLAM GRAY,
MASS.
OF BOSTON,
(Class of 1829).
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ABHANDLUNGEN,
HERAUSGEGEBEN
VON DER
SENCKENBERGISCHEN NATURFORSCHENDEN
GESELLSCHAFT.
FÜNFTER BAND.
Mit XLVI Tafeln.
“FRANKFURT A.M.
CHRISTIAN WINTER.
1864 — 1865.
1866, Spt %
cl BED nekene: in Frankfurt ar:
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7) A)
Inhalt.
J. C. G. Lucae, zur Morphologie der Rassenschädel, Zweite Abtheilung. Tafel I — XI. 1
A Kölliker, weitere Beobachtungen über die Wirbel der Selachier , insbesondere über die
Wirbel der Lamnoidei, nebst allgemeinen Bemerkungen über die Bildung der Wirbel der
Blagıostomens MarelEXTIIE VIE er 51
A. Ecker, zur Kenntniss des Körperbaues schwarzer Eunuchen. Tafel XVII — XXI. . . i01
H. Müller, über Regeneration der Wirbelsäule und des Rückenmarks bei Tritonen und
Eidechsen. Tafel XXIV — XXV. 5 le)
A. de Bary, Beiträge zur Morphologie und Physiologie der Pilze. Erste Reihe: Proto-
myces und Physoderma, — Exoascus Pruni und die Taschen oder Narren der Pflaumen-
bäume. — Zur Morphologie der Phalloidien, — Syzygites megalocarpus. Tafel
RAS IE ER Te . 137
F. Hessenberg, mineralogische Notizen. Fünfte Fortsetzung, Tafel XXXII — XXXIV. . 233
J. C. @. Lucae, die Hand und der Fuss. Ein Beitrag zur vergleichenden Osteologie der Men-
€
schen, Affen und Beutelthiere. Tafel XXXV — XXXVIM. 275
M. Woronin, zur Entwicklungsgeschichte des Ascobolus pulcherrimus Cr. und einiger Pe-
zizen. Tafel XXXIX — XLII. . 2
4. de Bary, zur Kenntniss der Mucorinen. Tafel XLIM — XLVI. . 345
Seite
50.
99.
112,
136
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Zur
MORPHOLOGIE DER RASSENSCHAEDEL.
Einleitende Bemerkungen und Beiträge
von
Dr. J. C. G. Lucae.
Zweite Abtheilung.
Ein Sendschreiben an Herrn C. E. v. Baer in Petersburg.
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Hochverehrter Herr!
Wenn ich beifolgenden Zeichnungen der Chinesen-Schädel unserer Sammlung. von
meinem wackeren Schüler stud. med. C. Gerlach angefertigt, einige Worte beifüge,
so ermuntert mich hierzu die freundliche Aufnahme, die mein neuliches Schreiben bei
Ihnen fand, nicht allein, sondern ich fühle mich auch zu einigen Bemerkungen genöthigt,
da manche Stellen meines früheren Schreibens Ergänzungen und Vervollständigungen
bedürfen und ausserdem die Verabredungen in Göttingen uns einige Verpflichtungen auf-
erlegen. Die Brieflorm scheint aber auch an und für sich besonders geeignet für unsere
zu behandelnden Gegenstände, denn man kann Versuche, so manches Unvollendete und
noch nicht zum Abschluss Gelangte besser dem anspruchslosen Gewand des Briefes
als dem pretentiösen Rahmen eines Buches anvertrauen.
Wir sollen die typischen Rassenunterschiede einer Species aufsuchen, welche
natürlich weniger scharfe Anhaltspunkte in Form und Erscheinung darbietet, als die
Vergleichung einer Species mit einer andern. Es kommt hinzu, dass die ver-
schiedenen Rassenvölker meist nicht für sich isolirt an einem Orte gelebt haben. son-
dern wanderten und verschiedene Lebensweisen und Sitten sich aneignend mit andern sich
vermischten, so dass wir bei jedem Vorschreiten Zwischenformen und Uebergängen begegnen
Desshalb liegt hier eine viel schwierigere Aufgabe vor als der Zoologe oder ver-
gleichende Anatom zu lösen hat, und Irrungen sind leichter. Welche Mittel aber
haben wir, um unsere Absicht zu erreichen? Eine noch sehr beschränkte Zahl sicherer
und zuverlässiger Objecte und die Messung.
Ich habe in meinem vorigen Schreiben die Messung nur für grössere und gröbere
Verhältnisse geeignet, aber in Betreff der hier oft vorkommenden feinen Formunter-
schiede für unsicher und roh erklärt. Ich kann sie ebenso gut zu fein und zu
scharf nennen: desshalb sind und bleiben sie doch bei feineren Unterschieden unsicher.
Das Messinstrument ist wohl genau, allein der Schädel geht nicht in gleicher Richtung
Abhandl. d. Senckenl, naturf. Ges. Bd. V. |
und fügt sich nicht jenem im Kleinsten. Eine kleinere Auflagerung und ein geringer Schwund
verändern den Winkel an entsprechender Stelle und nur geringfügige Zufälligkeiten geben
verschiedene Resultate. Im Ganzen und Grösseren ist Uebereinstimmung, im Kleinen aber
mehren sich die Verschiedenheiten. Ist es daher gerechtfertigt, wenn man kleine
Unterschiede der aus einer Reihe von Messungen zusammengetragenen Mittelzahlen als
Resultate bezeichnet, während in den einzelnen Fällen eine Menge jener Mittelzahl
in’s Gesicht schlagende Verhältnisse vorliegen? Ein Anderer stellt eine ähnliche
Zahlentabelle zusammen, und siehe, es kommt die Mittelzahl im entgegengesetzten Sinn.
Oder sage ich zu viel, wenn ıch erkläre, dass verschiedene Personen, die ein und die-
selbe Reihe von Schädeln in derselben Richtung durchmessen, fast immer Differenzen
in ihren Endziffern finden ?')
Und dabei urgirt man Unterschiede, die sich nicht blos auf ein oder zwei Milli-
meter, sondern sogar auf Bruchtheile eines Millimeters erstrecken. Die Wahrschein-
lichkeitsrechnune verdient nur dann Vertrauen, wenn sie sich über grosse Reihen
erstreckt und in den einzelnen Gliedern im Allgemeinen Uebereinstimmung mit dem Ganzen
zeigt, und wenn dieses zum Oefteren entsprechende und entschiedene Resultate liefert.
Die Grössen der nebeneinander zu prüfenden Reihen stehen aber im Gegensatz mit
den erhaltenen Unterschieden. Sind diese schärfer und constanter im Einzelnen. so mögen
jene kleiner sein. Mit kleinen und kleinsten Unterschieden wird dabei nicht viel gefördert.
Wenngleich man auch nicht daran zu denken braucht, dass dem Einen die Wissenschaft
die hohe himmlische Göttin, dem Andern eine tüchtige Kuh ist, die ıhn mit Butter
versorgt. so liegt es dem Menschen doch sehr nahe die Arbeit belohnt zu sehen, und
was man wünscht olaubt man. Kann man sich da verwundern, wenn die Maasse sich
etwas diesem Wunsche fügen und Resultate, wenn auch der unschuldiesten Art, zum
Vorschein kommen.
In vielenFällen aber, wo die Messungen nicht ausreichen, da hilft uns das Auge,
und wie dieses von jenen controlirt werden muss, damit keine Täuschung unterläuft, so
!) Anmerkung. Gewiss als ein sicherer Beweis für die Richtigkeit meiner Aussage kann es angesehen werden,
dass Herr Weleker bei unseren fünf Australnegern die Mittelzahl für den Nasenwinkel mit 72,0 0 und für die
Schädelbasis 104 Mm. angiebt, während nach meiner Messung beide Zahlen 69,4 und 105,5 Mm. betragen.
Die Messung eines Dritten an denselben Schädeln brachte die Ziffern 70,3" und 106 Mm. für die Schadelbasis.
Zu der Tabelle pag. 58 kömmt nun folgende Bemerkung von Herrn Welcker: „Auch bei dieser Anord-
nung der Tabelle finden sich die entschiedneren Prognathi auf Seiten der Dolichocephalen: die Mittelzilfer des
Nasenwinkels heisst hier 69%, bei den Brachycephali prognathi nur 68%.“ H. Welcker Untersuchungen über
Wachsthum und Bau des menschlichen Schädels. I. Theil. Leipzig 1862.
macht dieses wieder Bemerkungen, welche für die Messung zu fein sind. Leider sind
die Meisten von uns durch ihre Jugenderziehung so sehr der Anschauung und dem
scharfen und dauernden Erfassen von Formen entzogen, dass Viele eher die Millimeter-
zahl als die Form im Gedächtniss behalten.
Da wir nun eine so schwierige Aufgabe vorhaben, unsere Macht diese zu erreichen
aber sehr gering, und das vorhandene zuverlässige Material für den Einzelnen äusserst
dürftig ist, so habe ich mir erlaubt die geometrische Zeichnung in Vorschlag zu bringen,
damit auch die Ergebnisse der verschiedenen Forscher so ziemlich von Allen möglichst
genau geprüft werden können. Die geometrische Zeichnung vermehrt nicht allein dem Ein-
selmen das Material, sondern sie gestattet auch Messung und Anschauung. Wie diese
aber von Jedem leicht und mit hinreichender Genauigkeit angeferligt werden könne. habe
ich in meinem vorigen Schreiben mitgetheilt. Sie hat bei Ihnen die Probe bestanden und
Sie haben ihr das Imprimatur ertheilt. Ich erlaube mir zunächst in Folgendem auf diesen
Gegenstand noch einmal zurückzukommen.
1. Zur geometrischen Zeichnung.
(Fortsetzung.)
a) Befestigung des Gegenstandes beim Zeichnen.
In vielen Fällen lassen sich Messungen besser und oft sicherer an den geome-
trischen Zeichnungen vornehmen als an der Natur selbst.) Ich brauche nur an hier
oder dort anzulesende Ordinaten und Abseissen zu erinnern, so wird das (zesagte
2) Anmerkung. Herr Welcker sagt in seinem einleitenden Wort (IX pag.): Lucae schlägt vor (pag-.23
Morphoogie), die für die Zwecke der Kraniologie nöthigen Messungen nicht an den Schädeln selbst, sondern an deren
Zeichnungen auszuführen: dagegen glaubt derselbe, „dass die Messung durch Zolistab, Zirkel und Winkel
leichter, rascher und sicherer an der geometrischen Zeichnung genommen werden könne als an der Natur selbst.“
Herr Weleker sagt mir hier zwei Unwahrheiten nach. Einmal, dass ich vorschlage nicht an den Schadeln
selbst, sondern an den Zeichnungen zu messen, und zweitens, dass ich behaupte, dass die Messung (in jedem
Fall) rascher und sicherer von der Zeichnung genommen werden könne als an der Natur selbst. — Nachdem ich
die Nothwendigkeit der Messung anerkannt, jedoch die Schwierigkeit und Unsicherheit derselben besprochen habe,
sage ich weiter: „Endlieh muss ich noch ganz besonders hervorheben, dass die geometrische Zeichnung als
Mittel für die Messung selbst von ausgezeichnetem Nutzen ist. Die Erfahrung hat mich hinreichend gelehrt,
dass die Messung durch Zollstab, Zirkel und Winkel leichter, rascher und sicherer an der geometrischen Zeich-
nung genommen werden kann als in sehr vielen Fällen an der Natur selbst.“ Durch Weglassen der
gesperrt gedruckten \Vorte hat Herr Welcker freilich dem Satze eine andere Bedeutung gegeben.
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einleuchten. Soll eben dieses in vollkommenster Weise und in jeder Richtung voll-
bracht werden, so ist es ganz besonders von Wichtigkeit, dass die Zeichnungen eines
Gegenstandes von verschiedenen und entgegengesetzien Seiten sich auf das Genauste ent-
sprechen. Zu diesem Behufe ist es ausdrücklich nöthig, dass der Kopf, ohne dass seine
Lage verändert werde, von versehiedenen Seiten gezeichnet werden kann. (Fig. 1.)
Ich habe dies dadurch erreicht, dass “
Re ich den Schädel durch eine Ohrschraube und
= mittels feiner und starker Kordel auf einen
Rahmen befestigte, wie beistehende Figur
zeigt. Dieser genau im Loth aus Eichen-
holz angefertigte Rahmen (x y) enthält zwei
schmale, starke „ gut eingepasste verschieb-
bare Leistchen (a’ a), auf welchen der Kopf
ruht. Diese Leistchen müssen verschoben
Figur 1.
A\ werden können, da ja die verschiedene
Grösse der Köpfe das eine Mal weiter hin-
ten, das andere Mal weiter vornen einen
= Y
IT RRRIXIRIIRITTTRRRRTRTRRRRRIO, Stützpunkt verlangt. Das Klötzchen (5) wird
aus demselben Grunde bald höher, bald nie-
derer sein müssen, und desshalb wende ich mehrere solcher von verschiedener Grösse,
welche gleichmässig in zwei Stifte des verschiebbaren Breltchens («’) passen, an. Nach-
dem ich den Schädel in die richtige Stellung mit dem oberen Rande des Jochbogens
horizontal gestellt habe, binde ich zuerst zwei Fäden durch die foramina condyloidea
anlica, das vordere Ende (d) nach hinten und das hintere (ce) nach vornen, um das
Breitchen (a‘) geschlagen. unter demselben fest. Von dem Jochbogen aus schlinge ich ebenso
zwei Fäden um das vordere Brett (a). Ist dieses geschehen, so ziehe ich von der
auf dem Scheitel des Schädels befestigten Ohrschraube nach den auf dem Rahmen ein-
geschraubten die zum Festhalten nöthigen Fäden (f).
Soll der Schädel von oben abgezeichnet werden, so lege ich den Rahmen hori-
zonlal unter meine Glastafel. Will ich die Seiten -, die Vorder- oder Hinter- Ansicht
machen, so stelle ich den Rahmen (x.y) aufrecht, befestige ihn mit Schraubzwingen
an meinen Zeichentisch und prüfe mit einem Winkelmaass oder Senkblei seine senk-
rechte Stellung. Will man nun aber die untere Ansicht zeichnen, so schraube man
den Rahmen horizontal unter die Glastafel. Die schmaleren Brettchen (a. a‘) lassen
Re ee
hinreichend Raum die untere Ansicht zu zeichnen. Auf diese Art lässt sich das
Gewünschte vollkommen erreichen.’)
b) Vom Verkleinern geometrischer Zeichnungen.
Will man die geometrische Zeichnung, welche ja der Natur an Grösse gänzlich
gleich ist, verkleinern, so wird das Heft I, S. 16 abgebildete Instrument hierzu vollkommen
ausreichen. Es wird hierbei nur der Diopter in Anwendung gebracht; das
Fadenkreuz bleibt unberücksichtigt, denn es wird hier mit einem feststehenden Augen-
punkt gezeichnet. Gut wird es aber sein, dass man, weil der Fuss des Instrumentes
oder der Ring des Fadenkreuzes eine oder die andere Stelle der unter der Glas-
tafel liegenden Zeichnung verdeckt, zuerst mittels des Diopter und des Fadenkreuzes
einen Punkt unter dem Kreuzungsfaden auf dem Glase bezeichnet, damit, wenn
man das Instrument anders zu stellen genöthigt wird, die erste Stelle, von der die
Zeichnung bisher angefertigt ist. wiederfindet.
Das Verfahren ist ganz einfach. Man legt die geometrische Zeichnung in grösserer
oder kleinerer Entfernung unter das Glas, setzt das Instrument auf letzteres und umgeht
nun auf demselben, durch den Diopter sehend, die Con-
touren jener geometrischen Zeichnung. Von der Entfer- eur a
nung der Zeichnung von dem Glase, oder von der Ent- A an
fernung des letzteren von dem Diopter, hängt nun der /|\
Grad der Verkleinerung ab. Ist nämlich das Auge und die Zi
geomelrische Zeichnung gleich weit von der Glastafel ent- al |
fernt,. so erhalt das Bild die halbe Grösse. Ist das Bild
nur Y, vom Auge, aber /, vom Glase entfernt, so erhalten
wir ' der Grösse des Originals, Ist aber das Auge
4. das Original nur Y vom Glase entfernt, so erhalten
wir °/, der natürlichen Grösse.') Dass dabei alle einzelnen
Theile in gleichem Verhältniss bleiben und gleichmässiig
verkleinert werden, dass also keine Verkürzungen und
Verschiebungen wie bei dem perspectivischen Zeichnen eines Körpers vorkommen, wird
nebenstehende Figur eleichfalls deutlich machen. Aus derselben ist auch ersichtlich,
3) Anmerkung. Für Thierschädel lassen sich ähnliche Rahmen verwenden.
+) Anmerkung. Ist das Auge in A, der Gegenstand aber in B 100 Mm. von ersterem entfernt, so wird
die Zeichnung. welche 60 Mm. gross ist, auf einer Glastafel die 75 Mm. vom Auge entfernt ist, auf 45 Mm., auf der
Glastafel 5 auf 30 Mm. und auf der Glastafel a auf 15 Mm. verkleinert werden.
BER.
dass der Diopter wenigsten für unsere Zwecke nicht senkrecht über dem Original
zu stehen branch. Man sieht daraus, dass auf diese Weise eine jede beliebige Ver-
kleinerung sicher zu erzielen ist.
Wenn Sie übrigens der Ansicht sind, dass die Contouren auf dem Glase zu dick und
zu stark für solche Verkleinerung würden, so darf ich versichern, dass eine leichte Hand,
eine gute englische Tusche und eine feine Stahlfeder grade gestellt den feinsten Contour
zu vollbringen im Stande sind. Noch leichter aber ist es, wenn man punktirt und erst
auf der Pause die Punkte durch Linien vereinigt.’)
5) Anmerkung. In seinem neuesten Werk „Vorlesungen über den Menschen, seine Stel-
lung in der Schöpfung und in der Geschichte der Erde. Giessen 1863.“ sagt Herr Karl Vogt
pag. 87: „Man muss gestehen, dass das geometrische Zeichnen für Jemanden, der auf das gewöhnliche
Zeichnen eingeübt ist, ganz ausserordentliche Schwierigkeiten hat, und dass man, um es zn üben, ganz von
allen bisher befolgten Regeln abweichen und sich zur reinen Maschine herabdrücken muss“ und ferner: „Ich
besitze das Lucae’sche Instrument selbst und muss nun nach einiger Uebung mit demselhen sagen, dass man
allerdings in verhältnissmässig kurzer Zeit eine richlige Contourzeichnung erhalten kann, die indessen immer
etwas grob sein wird, da die Glastafel die Flüssigkeit, mit welcher man zeichnet, sei es nun gewöhnliche oder
ithographische Tinte nur in sehr ungleicher Weise annimmt. Vor Allem aber ist es bei dem praktischen
Gebrauche dieses Instrumentes nöthig, auf die Vertheilung des Lichtes gehörig zu achten. Während man zu
jeder malerischen Zeichnung das Licht nur von einer Seite zu erhalten sich bemüht, die Ateliers und Zeicben-
säle so einrichtet, dass nur ein grosses Fenster sie von einer Seite her erhellt, damit Licht- und Schatten-
massen gehörig vertheilt und begrenzt seien, sollte man im Gegentheile die geometrischen Zeichnungen in einem
von allen Seiten erhellten Glaspavillon machen, wo nur Licht und kein Schatten wäre. Das feine Loch des
Diopters nämlich, durch welches man visiren muss, raubl so viel Licht, dass man bei einseitiger Beleuchtung
des Cegenstandes häufig entweder das schwarze Fadenkreuz oder den zu zeichnenden Punkt auf der beschatteten
Seite des Gegenstandes gar nicht sieht und so aller Anstrengung ungeachtet die Zeichnung in diesen Gegenden
unvollendet lassen oder aus freier Hand nachtragen muss. Ich habe mir zwar häufig dadurch geholfen, dass
ich bei Anlegung des Contours die Schaltenseite künstlich mittels einer Kerze oder Lampe beleuchtete, allein
das ist auch oft nur eine magere Hilfe und führt zuweilen noch den Uebelstand mit sich, dass die Glastafel
selbst der Hitze des Lichtes ausgesetzt werden muss.“ —-
Der geniale Vogt muss doch von meinem Frankfurter Landsmann Dr. Berna auf der Reise nach dem
Nordkap recht verwöhnt worden sein, dass er so viel Comfort verlangt und so viel Umstände macht, bis er
eine geometrische Zeichnung von einem Schädel vollendet. Es wundert mich, dass unser tüchliger Kunstler
Hasselhorst, der mir schon so manchen guten Rath gegeben. ihm nichts von seiner Umständlichkeit abge-
wöhnt hat. Dass man zur Maschine herabgedrückt wird, ist wahrhaftig mehr, allein hier ist der grosse Vor-
theil, dass man auch nichts in die Zeichnung hineinlegen kann, was nicht im Object ist. Ein jeder Schreiber
oder Tertianer oder Gewerbeschüler, wenn er an Pünktlichkeit in der Arbeit gewöhnt ist, wird die Sache wohl
leichter nehmen und besser machen als wir selbst. Statt des Glaspavillons wird ein Tisch am Fenster, auf
dem sonst das Mikroskop steht, ausreichen und statt des Lichtes nimmt man, um die beschattete Seite zu
erleuchten, einen kleinen Spiegel unter die Glastafel, damit dieser das Licht des Fensters reflectirt. Ist der zu
zeichnende Gesenstand hell, so gibt man ihm eine dunkle Unterlage und gebraucht das schwarze Fadenkreuz,
N
Es ist für die Vergleichung von Schädeln von grösster Wichtigkeit, dass man die
Zeichnungen auf ein gemeinsames Maass zurückführe; z. B., dass man die Länge aller
Schädel oder der Schädelbasis ete. auf eine gleiche Zahl Millimeter bringe. Man erreicht
dies auf folgende Weise: Unter die Glastafel (am zweckmässigsten auf ein Tischchen,
dessen Platte durch eine Schraube höher und niederer gestellt werden kann) legt man die
Zeichnung und misst mit einem Millimeter, welchen man auf das Glas gelegt, durch
den Diopter sehend die Ausdehnung der in Frage kommenden Stellen des Bildes.
örscheint nun das darunter liegende Original grösser oder kleiner als das verlangte
Maass, so entfernt oder nähert man das Original der Glastafel. Die feinere Ein-
stellung erzielt man zuletzt durch Höher- oder Tieferstellen des Diopters an dem Instru-
mente (pag. 16). Doch auch vergrössern kann man mit unserem Apparat das auf die Glastafel
gezeichnete Bild. indem man durch den Diopter sehend der Contour dieses Bildes auf einem
Papier, welches in einiger Entfernung unter der Glastafel liegt, nachfährt. Auch hier
wird wieder die Vergrösserung je nach der Entfernung des Gegenstandes vom Glase
oder dieses letzteren vom Auge grösser oder geringer werden. Ein Menschenschädel
z. B., der auf dem Glase A in natürlicher Grösse ist. wird auf dem Papier, welches in
B liegt, gerade um das Doppelte vergrössert werden. Freilich ist hier die Anwendung
insofern eine bedingte, als der Raum zwischen dem Papier und dem Glase der zeich-
nenden Hand freien Spielraum gestalten muss.‘)
e) Durchschnilte von einem Gegenstande zu zeichnen.
Ich habe nun noch eines Verfahrens Erwähnung zu thun, welches uns in Stand
setzt, von jedem Körper beliebige geometrische Durchschnitts-Zeichnungen anzufertigen
Im Frühjahre 1843 zeigte Herr von der Launitz eine zu diesem Zweck ange-
fertigte Maschine in einer Sitzung der Senckenbergischen Gesellschaft vor. Ich habe
dieselbe öfters gebraucht, und hinreichende Gelegenheit gehabt, ihre Trefllichkeit zu
st er aber dunkel, so gibt man ihm eine helle Unterlage und schabt auf das Fadenkreuz ein wenig weisse
Kreide. Voilä tout! Dass aber das geometrische Bild, wenn es durch Schatten und Licht gut ausgeführt ist,
kein „unrichtig scheinendes Bild“ liefert, beweisen die neuesten Zeichnungen von A. Ecker (Crania Ger-
manıae. ]. Heft. Freiburg 1863.) auf Tafel V und VI die Schädel heutiger Bewohner aus der Umgegend
der Ebringer Grabstätte darstellend.
6%) Anmerkung. Für vergleichend anatomische und physiologische Studien eignet sich dieses Verfahren
ganz besonders dann, wenn man Schädel verschiedener Grösse, z. B. denSchädel eines Insectenfressers und eines
grösseren Raubthieres der besseren Vergleichung halber auf Eine Grösse bringen will.
N:
erproben. Da Herr von der Launitz mit seiner Anatomie für Künstler (welche auch
den Anatomen erwünscht sein würde) noch immer nicht hervortritt, und dieser von ihm
benannte Orthometer desshalb noch
Figur 3. nicht bekannt geworden ist, so erlaube
ich mir ihn hier zu beschreiben und ne-
benstehende Zeichnung desHerrn von
der Launitz beizufügen. (Fig. 3.)
A ist eine vierkantige viereckige
Tafel von einem guten doppelt ge-
leimten trockenen Holze, das sich
nicht wirft. Die vier Füsschen auf der
unteren Seite der Platte sind mit Stell-
schrauben versehen, um die Platte
auf jeder unebenen Fläche feststehend
zu machen. Die obere Fläche dieser
Platte ist in gleichgrosse (5°) Qua-
drate getheilt und diese sind mit
Nummern bezeichnet. B sind zwei
senkrecht aufsteigende vierkantige
Stangen, welche an ihrem unteren Ende mittels eines metallenen mit Schrauben (5) ver-
sehenen Beschlages, an jeder beliebigen Stelle am Rande der Platte A angeschraubt werden
können. An diesem Beschlag ist nach innen eine kleine eiserne Spitze angebracht
welche zur genauen Bezeichnung der Stelle, an welcher die Stangen B stehen sollen,
dient. Die senkrechten vierkantigen Stangen B sind an ihren innern und seitlichen Flächen
mit einer Anzahl kleiner horizontaler Striche versehen, welche genau so weit von
einander entfernt sind wie die Linien der Quadrate auf der oberen Fläche der Platte
A. Die Nummern, welche diese Linien bezeichnen, fangen von unten an, beginnen aber
erst in der Höhe einiger Zoll von der Platte, da der Apparat ©, welcher zum Fest-
halten des Gegenstandes dient, letzteren nicht auf das Niveau der Platte A herablässt.
Auf die Stangen B ist eine Hülse (a) gesteckt, welche durch eine Feder gegen die
Stangen festgedrückt wird, die aber dennoch sich an denselben bequem auf- und nieder-
schieben lässt. Diese Hülse hat an einer ihrer Seiten eine kleine Röhre, deren Richtung
wagerecht ist und durch die ein ganz grader runder Draht (c) gesteckt wird. Das
eine Ende dieses Drahtes ist spitz, das äussere aber enthält einen Knopf, an welchem
ee
die Nadel vor- und zurückgeschoben werden kann. Auf dieser Röhre ist ein Loch
angebracht, welches mit der vorderen Kante der senkrechten Stangen B zusammenfällt
und den Punkt darstellt, von dem aus die Länge der verschobenen Nadel gemessen wird.
Um nun graphische Aufrisse zu machen bedarf man ein Papier, welches gleich
der Fläche der Platte A in Quadrate eingetheilt und mit gleichen Nummern versehen
ist. (Man kann sich solcher Blätter eine Menge lithographiren lassen, damit man sie
vorkommenden Falls zur Hand hat.) Auf diese wird der Quer- und Längsschnitt, sowie
der Grundriss niedergezeichnet. Um ersteren anzufertigen, werden die Stangen B auf
der Platte 4 von einer Seite zur andern verrückt und die in gleicher Höhe an jenen
Stangen bleibende Nadel zur Oberfläche des Gegenstandes vorgeschoben, ihre Länge
dabei jedesmal mit dem Zirkel gemessen und auf dem Papier an der entsprechenden
Stelle abgestochen. Bei Aufrissen wird dagegen die Kapsel (a) an der Stange (B) verschoben,
und so gleichfalls von Stelle zu Stelle die Länge der den Gegenstand berührenden Nadel
gemessen und dann auf dem Blatt Papier abgestochen.‘)
So habe ich denn Alles. was sich auf das Anfertigen geometrischer Zeichnungen
bezieht, sowie die Verwendbarkeit unserer Apparate nach verschiedener Richtung mit-
getheil. Wenn die Collegen diesen Mittheilungen ihre Aufmerksamkeit zuwenden woll-
ten, so hoffe ich davon nicht blos für die vergleichende Anthropologie, sondern auch
für die Anatomie, die Zootomie und die Physiologie mannigfachen Nutzen.
Ein weiterer Vortheil besteht darin, dass von den Autoren selbst verfertigte zwar
einfachere und weniger schöne, aber auch weniger kostspielige und dabei viel correctere
Zeichnungen, als sie bisher von Künstlern dargestellt wurden, für die Zukunft erschei-
nen werden. Um so mehr dürfte dies der Fall sein, wenn die Collegen bedenken wollen,
dass Zeichnen auf Stein keine grössere Kunstfertigkeit als das auf Papier voraussetzt.
Zum Schluss muss ich hier noch ein Factum erwähnen, welches dem von Natur-
forschern sowie von Künstlern gemachten Vorwurf, dass die geometrische Zeichnung
für die gewöhnliche Betrachtungsweise ein unrichtig scheinendes Bild liefere, begeg-
nen soll.
?) Anmerkung. Herr Professor Aeby in Basel hat in seinem kürzlich erschienenen Werke:
„Eine neue Methode zur Bestimmung der Schädelform von Menschen und Säugethieren. Braunschweig 1862.
einen Apparat bekannt gemacht, der dem Launitz’schen ähnlich ist, jedoch grössere Vollkommenheit besitzt,
indem man ohne Zirkel die Zahlen direct vom Apparat erhält. — Auch im Lehrbuch der plastischen Anatomie
von Dr. E. Harless, Stuttgart 1856, findet sich auf pag. 162 ein Projectionsapparat abgebildet.
Abhandl d. Senckenb. naturf Ges. Bd. V. 2
=, A
Ich glaubte den Gegenbeweis am besten liefern zu können, wenn ich ein Bild einer
bekannten Büste geometrisch zeichnete und vollständig ausführte. — An ein Portrait macht
man mehr Anforderungen als an die Abbildung eines anderen Gegenstandes. Man ver-
langt die Feinheiten der Gesichtsbildung und vor allem Aehnlichkeit in demselben zu
finden.
Ich habe die von Launitz genial ausgeführte Büste des Anatomen Th. v. Soem-
merring von einem Schüler unseres Städel’schen Kunstinstituts geometrisch zeichnen
und möglichst genau schattiren lassen. Dadurch, dass man bei dem geometrischen Bild
mehr zu sehen bekömmt als bei dem perspectivischen, also z. B. in der Ansicht von
vorn zugleich mehr von den beiden Seiten wahrnimmt, kommt es, dass das geo-
metrische Bild, wenn es gut schattirt ist, weit mehr körperlich hervortritt als das
perspectivische. Dies ist denn auch mit unserem Bilde der Fall. Die perspectivische
Zeichnung, die wir gleichfalls ausgeführt, sieht unansehnlich neben jener aus. (Vid.
Taf. XI und XI.)
Ich führte nun Männer, die Bilder zu beurtheilen verstehen, wie Hrn. Hofrath Dr.
W. Soemmerring, unsern trefllichen Hasselhorst, den Kupferstecher Schäfer,
durch seine Madonna della Sedia berühmt, Schertle, dessen Portraits der Abgeord-
neten der Nationalversammlung hinreichend bekannt sind, vor meine Staffelei, und Alle
waren in jeder Hinsicht mit der Zeichnung zufrieden, ja rühmten ganz besonders das Pla-
stische in dem Kopfe. Keinem aber fiel ein, dass dieses ein geometrisches Bild wäre. Unser
Bildhauer Launitz erkannte nur dadurch die geometrische Zeichnung, dass er die
geraden Linien der Unterlage sah, welche ich den Andern verhüllt hatte. Selbst die
fünfjährige Urenkelin Soemmerring’s erkannte augenblicklich in der Zeichnung die Büste,
„welche im Grosspapa seinem blauen Zimmer steht“.
Allen Diesen war die Büste hinreichend bekannt, und Alle hatten ein lebendiges
Bild von derselben in sich. Es war mir nun darum zu thun, auch ein Urtheil Derer
zu hören, welche die Büste nicht kannten. Ihnen stellte ich daher die Büste in einiger
Entfernung von der Zeichnung auf. Kaum Einer fand eine vollkommene Aehnlichkeit,
und nur Diejenigen, welche die Büste sich erst von mehreren Seiten betrachtet und
ein rasches Bild von derselben angeeignet hatten, hielten die Zeichnung für gelungen;
Keiner von Allen aber sah in dem Bilde eine Monstrosität, welche selbst Maler, die
ich zur Ausführung meines Projectes aufgefordert hatte, vermutheten.
Ich glaube in diesem Factum einen Beweis dafür, dass wir geometrische und
keineswegs perspectivische Bilder der Gegenstände in uns ragen, zu erkennen.
Gestatten Sie mir nun noch einige Bemerkungen über
Leimausgüsse und die Bestimmung des Volums des Schädelinhalts.
Um den inneren Raum der Schädelhöhle anschaulich darzustellen, habe ich den
Leimausguss vorgeschlagen und ich finde ihn um so empfehlenswerther, als er leicht
anzufertigen ist und nicht blos die genauste Darstellung der Schädelhöhle und die Form
des Gehirns in seinen grösseren Verhältnissen gestattet, sondern auch in Durchschnitten
den Umfang der verschiedenen Schädelkammern und durch Wiegen derselben sichere
Anhaltspunkte für die Werthbestimmung und die Verhältnisse derselben untereinander
darbietet. Konnte ich sie aber für die gegenseitigen Gewichtsverhältnisse der einzelnen
Kammern ein und desselben Ausgusses vollständig empfehlen, so äusserte ich mein Miss-
trauen gegen das richtige Gewichtsverhältniss des einen Ausgusses gegen den andern.
Ich habe mich durch Wiegen vor und nach dem Trocknen überzeugt, dass, trotzdem
dass sechs Ausgüsse zu gleicher Zeit aus ein und derselben flüssigen Leimmasse dargestellt
wurden, die chemische Beschaffenheit der einzelnen verschieden ist. Wie viel grösser mag
daher der Unterschied bei aus verschiedenen Massen und zu verschiedener Zeit darge-
stellten Ausgüssen sein! Ich habe es daher für besser gefunden, statt des Gewichts des
Leimausgusses das Volum desselben und das Volum seiner einzelnen Theile nach einem mit
einer senkrechten graduirten Glasröhre versehenen Gefäss durch Wasser zu bestimmen. Aber
wohl noch empfehlenswerther ist es, wenn man mit erwärmter Guttapercha die einzelnen
Kammern längs der Nähte der Knochen abschliesst und mit Fruchtkörnern die entsprechen-
den Hälften des Schädeldurchschnitts ausfüllt. Ich habe beiderlei Verfahren angewendet.
Letztere Art wählte ich jedoch auch noch desshalb, weil die Wenigsten meinem Rath,
die zu untersuchenden Rassenschädel zu durchschneiden, folgen werden, die Meisten
hingegen den Innenraum einfach mit Fruchtkörnern ausfüllen.‘)
®) Anmerkung. Dass L. Fick einen Neger- und mehrere Thierschädel senkrecht durchschnitten und
verglichen hat, und dass Vircho w’s Untersuchungen über die Schädelbasis auf senkrechten Durchschnitten von
Schädeln beruhen, ist bekannt; dass dies aber behufs ethnographischer Studien noch nicht geschehen, und namentlich
in grösserer Ausdehnung nicht geschehen, ist ebenso gewiss. Letzteres scheint Herr Welcker (l. c. pg. X Anmerk.)
nicht zu berücksichtigen, wie er überhaupt an mehreren Stellen in seinen Bemerkungen gegen mich übersieht,
dass ich in meiner Morphologie der Rassenschädel es mit der ethnographischen Kraniologie und nicht mit der
Kraniologie überhaupt zu thun habe. Dass in jener aber die sichere Basis noch ganz und gar fehlt,
da hier erst noch eingerissen werden muss, ehe an ein Aufbauen zu denken, und dass daher der Zustand derselben ein
2
II. Ueber die prognathe und orthognathe Schädelform
und die Schädelbasis.
Bei Betrachtung der prognathen und orthognathen Schädelform in meinem vor-
hergehenden Schreiben sah ich mich bei Vergleichung von einem Papua, sechs
Australnegern und sechs Europäern rücksichtlich dieser Schädel zu dem Ausspruch
berechtigt:
1. dass weder rücksichtlich der Länge der ganzen noch der der vorderen
Schädelbasis ein bemerkenswerther Unterschied zwischen unseren Australnegern und
dem Papua einerseits und den Europäern andererseits besteht”). Ebensowenig ist
bei diesen Schädeln irgend ein Verhältniss zwischen der Länge der vorderen Schädel-
grube (Siebbein und vorderem Keilbeinkörper) und der Länge der Kiefer (Ende der
Gaumplatte bis zur Alveole) aufzufinden.
2. dass sowohl bei den Australnegern und dem Papua als bei den Europäern der
Sattelwinkel einmal grösser, das andere Mal kleiner ist, dass seine Grösse aber am
wenigsten eine Beziehung (wie Virchow angiebt) zur orthognathen und prognathen
Gesichtsform hat.
keineswegs beneidenswerther ist, wird wohl Herr Welcker zugestehen müssen. So lange man noch von
Negern spricht und so lange man noch Schädel deutsche nennt, weil sie sich auf einer deutschen Anatomie
befinden, sieht es doch noch ein bischen verdächtig mit den nächsten Resultaten und dem Typus des deutschen
Schädels aus. Ebenso ist es mit den Messungen. Diese führen in der Entwicklung des Schädels leichter zu
Resultaten als in der ethnologischen Kraniologie. Die verschiedenen Verhältnisse zwischen dem Kinderschädel
und dem Schädel des Erwachsenen sind leichter zu erkennen als zwischen nahe verwandten Volksstämmen.
Ebenso wenig ist es gerechtferligt, wenn Herr Welcker behauptet (1. c. pag. 20), dass ich die Knochen
nur für „Passivorgane“ halte. Ich glaube dies mit Seite 70 meiner Architectur beweisen zu können.
9) Anmerkung. Pag. 59 und 60 sagt Herr Welcker: Blicken wir auf die Aussage der Autoren,
So behauptet Lucae und hebt es als eines seiner Resultate hervor, dass weder rücksichtlich der Länge der
ganzen noch der vorderen Schädelbasis ein bemerkenswerther Unterschied zwischen unsern Australnegern
und unsern Europäern bestehe. Die Australneger sind auch die meinen, die Europäer freilich nicht. Austral-
neger und Deutsche verhalten sich in der beregten Beziehung aber diametral entgegengesetzt.
Sollte denn Herr Professor Welcker nicht eingesehen haben, dass ich mit den Australnegern überhaupt
die prognathen Schädel (also auch den Papua) verstanden habe? Weiss ich doch recht gut, dass unsere
Australneger selbst eine noch längere Schädelbasis haben als Herr Welcker meint.
==, Hay
3. dass der auf obige Weise construirte Gesichtswinkel ebensowenig als die Ge-
sichtsbasis ein wirkliches Maass für die pro- und orthognathe Gesichtsform abgeben kann'").
Wenn sich auch an einzelnen Punkten zwischen den Australiern und den Euro-
päern entschiedene Unterschiede aussprechen, so wurden sie doch durch die Grössen-
und Winkelverhältnisse des Papua fast immer umgestossen. Die vordere Schädelbasis
zeigt bei den fünf männlichen Europäern im Mittel 60 Mm., bei den Australiern 64 Mm.,
bei dem Papua aber 62 Mm. Die ganze Schädelbasis beträgt bei den Europäern 101,
bei den Australiern 106, bei dem Papua 98 Mm.; die Gesichtsbasis bei den Euro-
päern 98, bei den Australiern 102, bei dem Papua 93 Mm. Der Nasenwinkel ist bei
den Europäern 68, bei den Australiern 70, bei dem Papua 69°, während der Sattel-
winkel bei den Europäern 112, bei den Australiern 111 und bei dem Papua 119°
beträgt. —
Wenn nun aber auch die Mittelwerthe dieser Köpfe keinen Anhaltspunkt für eine
Untersuchung darboten und man hiernach allen Muth zu einer weiteren Prüfung
dieser Verhältnisse verlieren sollte, so fanden sich doch im Einzelnen Andeutungen, die
zu Erwartungen berechtigten. So war es z. B. auffallend, dass unter den prognalhesten
Schädeln sowohl der Europäer als auch der Australier gerade der Sattelwinkel am
grössten und bei den orthognathesten am kleinsten war. Auch zeigte sich der Nasen-
winkel bei allen prognathen Schädeln grösser. Ebenso war die Schädel- und Gesichts-
basis bei den Australiern entschieden grösser. Es kam nun noch besonders hinzu, dass
ich mehrere pathologische Schädel extrem prognather und orthognather Form durch-
gesägt hatte und auch hier die Grösse des Sattelwinkels in jener Weise ausge-
sprochen fand.
Ich habe daher ausgedehntere Prüfungen angestellt und benutze diese Gelegenheit
Ihnen dieselben in Beifolgendem vorzulegen.
10) Herr Welcker sagt pag. 48.: „Gewährt der Winkel an der Nasenwurzel einen zureichenden Aus-
druck des Maasses der vorhandenen Orthognathie und Prognathie? Von Lucae wurde in jüngster Zeit die
hier erhobene Frage mit Entschiedenheit verneint.“ Ferner: „Wenn Lucae die Ansicht ausspricht, dass
”»
die Längslinie der Sehädelbasis mit der Ausdehnung des Schädels nach unten in gar keiner Beziehung
stehe, und er hiermit eine der besten Errungenschaften der Virchow’schen Schädeluntersuchung Preis giebt,
so muss ich, gestützt auf die nachfolgenden Ermittelungen, mit Entschiedenheit widersprechen.“
Herr Welcker ist vor lauter Entschiedenheit sehr im Unrecht, denn von alle Dem steht ganz ent-
schieden auch kein Wort in meiner Schrift. Ich rede an dieser Stelle (pag. 40) weder von der Schädelbasis
noch dem Nasenwinkel. Ich spreche vom Gesichtswinkel.
Scaphocephalus.
Platycephalus,
14
Wie erwähnt, veran-
lassten mich noch ganz be-
sonders zwei pathologische
Schädel zur Fortsetzung
dieser Untersuchung. Ich
füge sie in nebenstehenden
Holzschnitten bei. Der eine
stellt den Durchschnitt jenes
neulich erwähnten Do-
lichocephalus (Scaphoce-
phalus) (Architectur Taf.
3) dar, der andere den des
Platycephalus, welcher auf
Tafel V daselbst abgebil-
det ist.
Bei dem ersten dieser
Schädel findet sich eine
frühzeitige Synostose der
Scheitelbeine, und wir se-
hen das Cranium nach hin-
ten und vornen sowie nach
unten ausgedehnt. In dem
andern finden sich Syno-
stosen in der sut. corona-
lis und einseitig eine Ver-
wachsung in dem vorderen
Theile der Schuppennaht.
Das Schädeldach ist in sei-
ner Ausdehnung nach vorn
und oben behindert. — Bei
letzterem besteht eine sehr stark prognathe, bei ersterem eine übermässig orthognathe
Gesichtsbildung.
Legen wir nun beide Durchschnitte übereinander, so finden wir, da die Nasenwurzel und
das hintere Ende der Pars basilaris ossis oceipitis einander decken, die Schädelbasis in beiden
a. a
gleich. In ersterem ist der Winkel, welcher von dem Boden der vorderen Schädel-
grube und dem Clivus gebildet wird, ein spitzer (120°), in letzterem ein stumpfer
(156°). Legen wir dagegen nur die Partes basilares ossis oceipitis aufeinander, so
dass die hinteren und vorderen Ränder des Durchschnitts in beiden sich decken, so findet
man den von uns gemessenen Sattelwinkel Virchow’s (Planum sphenoidale und die
innere Fläche der Pars basilaris) in beiden gleich. Für das Gesicht finde ich Folgendes
zu erwähnen: Die Entfernung vom hinteren Ende des Vomer zur Nasenwurzel, die
Entfernung zwischen dem vorderen Ende des Hinterhauptloches und der Spina nasalis,
zwischen dieser und der Nasenwurzel, sowie endlich die Ausdehnung des Gaumentheiles
von vorn nach hinten ist bei dem prognathen Schädel grösser. Der Nasenwinkel, wie
er von Virchow gezogen wird, ist in beiden Schädeln gleich; wird aber der hintere
Schenkel statt an das untere Ende des Keilbeins längs der Schädelbasis, also an das
vordere Ende des Hinterhauptlochs angelegt, so ist dieser Winkel bei dem prognathen
Schädel weit grösser.
Legt man die Schädel so, wie sie im Leben bei aufrechter Stellung und mit dem
Blick gerade vorwärts wohl gewesen sein mögen, mit der Axe der Gaumplatte über-
einander, so liegt die Schädelbasis (die Linie zwischen Nasenwurzel und vorderem
Ende des For. magnum) bei beiden parallel, und der Neigungswinkel dieser zum Hori-
zont ist in beiden 30°. Das ganze Kiefergerüst ist dann nach Höhe und Tiefe bei dem
prognathen viel grösser.
Es ist gewiss nicht ungerechtfertigt, anzunehmen, dass bei dem prognathen Schädel
das nach vorn und oben sowie nach hinten und unten (es findet sich nämlich auch
eine Verwachsung der Zitzennaht) in seiner Entwickelung beschränkte Gehirn sich in
der Mitte der Schädelbasis durch Streckung derselben Raum zu erobern strebte und
daher die mehr gestreckte Schädelbasis zu Stande kam. Bei dem orthognathen Schädel
aber scheint das oben in seiner Seitenausbreitung beschränkte Gehirn durch Ausdehnung
nach vorn und hinten, zugleich aber auch an diesen beiden Stellen nach unten, die
starke Knickung der Schädelbasis veranlasst zu haben.
Während also bei beiden Schädeln die Länge der Basis gleich ist, übertrifft der
prognathe Kopf den andern durch die Länge der Gesichtsbasis, durch Grösse des Nasen-
und Sattelwinkels, sowie durch Ausdehnung der Kiefer und der Nasenhöhle nach Höhe
und Tiefe.
Dass nun bei dem einen dieser Schädel die so grosse Knickung der Schädelbasis
ein höchst wichtiges Moment zur orthognathen Form, bei dem andern die übergrosse
—
Abflachung ein eben solches zur prognathen Bildung abgab, ist leicht einzusehen; dass
aber einen ziemlich gleichen Antheil die Grösse der Kiefer und der Nasenhöhle an
diesen Formverhältnissen hatte, ist ebenso gewiss.
Nach Einsicht dieser Verhältnisse muss es nun von Interesse sein, eine grössere
Reihe von Schädeln in dieser Richtung mit einander zu vergleichen. Nachdem wir
uns an einer grösseren Zahl von Europäern eine festere Basis für die Vergleichung
verschaflt haben „ wollen wir in derselben Richtung die Neger-, die Chinesen- sowie
die Australier-Schädel unserer Sammlung durchmustern.
Alle diese Schädel habe ich in nachfolgenden Tabellen nach dem Grade ihres
Prognathismus geordnet oder zu ordnen wenigstens angelegentlichst gesucht. Ich
bestimme diesen, wie ich schon in meinem vorhergehenden Schreiben angegeben habe,
durch eine Ordinate, welche durch die Nasenwurzel gelegt wird, und eine Abseisse,
welche in der Axe des Jochbogens (d.h. des engsten Theils desselben an der Verbindung
des Schläfenbeines mit dem Jochbeine) liegt.'') Mag nun aber diese Axe oder der obere
Kand des Jochbogens, wie in Göttingen angenommen wurde, (in den meisten Fällen sind
beide ziemlich parallel) der Bestimmung der Horizontallinie zu Grunde gelegt werden, so
wird man doch immer auch wiederum Schädeln begegnen, die sich diesen Bestimmungs-
linien ganz und gar nicht fügen wollen. In dem einen Fall sind sie mit dem Gesicht zu
weit nach oben gerichtet. in dem andern sehen sie schief nach unten. Die Schädel
des Chinesen XXI. 3, sowie der des Denig, welche gleich den übrigen in den Ab-
bildungen nach dem oberen Rand des Jochbogens gestellt sind, werden dies beweisen.
Das war die Veranlassung, mich nach anderen Stellen umzusehen, die mir als An-
haltspunkt dienen könnten. Ich verglich bei meinen mit dem Durchschnitt und mit der
Aussenseite in einander gezeichneten Schädeln die Neigung der Schädelbasis zum wirk-
11) Anmerkung. Ich habe mich bei dieser Bestimmung ganz der bisher gebräuchlichen Anschauungs-
weise der Autoren über prognath und orthognath nach welcher nämlich das Gesicht unter der Stirn mehr
oder weniger hervortritt, angeschlossen.
Herr Welcker bestimmt den Prognathismus nach der Grösse des Nasenwinkels. Es ist daher begreiflich
dass sein Prognathismus eine andere Bedeutung als die gewöhnliche hat. Nach ihm ist daher der Schädel des
Neugebornen prognath, der des Erwachsenen orthognath; der Schädel des Russen und des Deutschen muss nach
ihm alsdann prognather als der des Chinesen und des Javanesen sein. Daher kann er auch sagen: „Beim
Thier und bei dem Menschen verkleinert sich mit zunehmender Entwickelung der Camper’sche Gesichtswinkel‘
(pag. 80 1. e.), trotzdem dass der Schädel des Erwachsenen nach ihm orthognath, der des Kindes aber pro-
gnath ist. Nach ihm wird daher der Gesichtswinkel Camper’s mit der Orthognathie kleiner und mit der
Prognathie grösser.
a’. =
lichen Horizont mit der von uns angenommenen Horizontalen (Abscisse), und fand bei
60 auf diese Weise gezeichneten Schädeln, dass die Neigung der Schädelbasis zum Horizont
zwischen einem Winkel von 22° und 38° schwanke, wenn ich die Schädel nach der
Horizontale des Jochbogens gelegt hatte. Ich bemerkte aber, dass diese Endpunkte nur
höchst selten vorkommen, dagegen die meisten sich mehr und mehr einem Winkel von
30° näherten, so dass zwischen den Winkel 27° oder 28° und 32° oder 33° die bei
weitem meisten Schädel fallen. Da es nun selbstverständlich ist, dass bei höheren
Graden das Kiefergerüste weiter vor, die Stirn weiter zurücktritt, bei niederen jedoch
das Umgekehrte stattfindet, so ist von nicht geringer Wichtigkeit bei Bestimmung der
pro- oder orthognathen Schädelform die Neigung der Schädelbasis mitzuberück-
sichtigen. In den beigefügten Abbildungen ist Denig zu viel vornüber geneigt. Da
nun in dieser Stellung die Schädelbasis eine Neigung von 27° hat, so habe ich den-
selben in der folgenden Tabelle auf 30° — also zu Gunsten der Prognathie gehoben.
Die Schädel Mundo, Schulz und Müller I. aber, welche auf der Tafel etwas mehr
nach hinten gesenkt scheinen und welche die Winkel von 36°, 35° und 38° in dieser
Stellung zeigen, habe ich auf 35°, 33° und 35° — also zu Gunsten der Ortho-
gnathie gesenkt. Ebenso bin ich mit dem Chinesen XXI. 3, welchen ich von den
22° Neigung (in welcher er nach der Linie des oberen Jochbogenrandes steht) auf 30°
in die Höhe hob, verfahren. Die genaue Prüfung der Abbildungen wird zeigen, dass
mein Verfahren für diese Schädel vollkommen gerechtfertigt war. Alle übrigen Schädel
sind in der Tabelle nach dem Jochbogen gestellt.
Rücksichtlich der Tabelle habe ich Folgendes zu bemerken. Die erste Rubrik
giebt den Grad der Prognathie. In ihrer ersten Reihe zeigt sie die Entfernung der Stirn
von der Ordinate in ihrer grössten Höhe und in ihrer Mitte (die beiden — Abscissen).
Die beiden darunter stehenden Zahlen bezeichnen die Abscissen von der Wurzel der
Spina nasalis sowie von der Alveole der mittleren Schneidezähne zu der Ordinate
(die beiden + Abseissen). Von den dahinter stehenden Zahlen bestimmt die obere die
Höhe der Ordinate von der Nasenwurzel zur höchsten Stelle des Schädels, und die
untere die Entfernung der Nasenwurzel vom unteren Ende der Alveole der Schneidezähne.
Der Winkel an dem Sattel ist gemessen von der Nasenwurzel zu dem Proc.
clinoid. med. und von da zum Anfang des For. magnum, der Nasenwinkel von der
Spina nasalis zur Nasenwurzel und von da zum vorderen Ende des For. magnum. Die
Schädelbasis ist gemessen von der Nasenwurzel zum For. magnum, die Gesichtsbasis
vom For. magnum zur Spina nasalis.
Abhandl. d, Sonckenb. naturf, Ges. Bd. V. 3
ze
Obigen Maassen habe ich noch zugefügt: 1. die grosse Gesichtsbasis. Sie läuft
senkrecht auf die Ordinate und projieirt sich in dieser Richtung bis über das äusserste
Ende des Alveolarfortsatzes. 2. den grossen Nasenwinkel, dessen einer Schenkel vom
For. magnum zur Nasenwurzel und dessen anderer von da zum vorderen Ende der
Alveole des Schneidezahnes geht.
Rücksichtlich der Schädel habe ich noch zu bemerken, dass alle in der Median-
ebene senkrecht durchschnitten und gezeichnet, dann an der Natur und an den Zeich-
nungen mehrmals gemessen und geprüft worden sind. Die Nummern des Katalogs der
Senckenbergischen Sammlung wurden beigefügt, damit die Möglichkeit einer wiederholten
Prüfung gestattet sei.
Tabelle A, Nr. 1.
Abscisse vom
For. magn.
z. Ordinate.
— und Nasen- Sattel- Schädel- Gesichts- Grosser Grosse
—- Abscisse. winkel. winkel, basis. basis. _Nasenw. Gesichtsb.
1. Zwick Im 59 413 1er
2: Klein hlasa Shansensot6B: oradtAänh\uirtößrah dan Er eg
3 Dnig Zorn. 61 „136m AOBEHRÄBREN A 6il.00 oe
4. Schumacher 55 68 18 11 0 BB 8
+ 8
De EN 64 130 100 91 68 96 88
6. Mundo Eee 64 139 96 88 66 90 80
Mittel —6,5
wi Ha 68 1865 1005 898 645 915 86,6
BEA
Tabelle A, Nr. 2,
— und Nasen- Sattel- Schädel- Gesichts- Grosser Grosse
—+- Abscisse. winkel. winkel. basis. basis. Nasenw. Gesichtsb.
—80
7. Rheinhardt 5 69 134 98 93 69 92 82
Abseisse vom
For. magn.
z. Ordinate.
Name
8. Müller I. — = 5 137 102 10 5 100 89
9. Känke 16, 4 136 102 95 76 100 88
10. l.a 208 + 470 69 137 105 100 74 104 92
11. Schulz ME? 66 124 100 93 68 95 83
412. Müllenıb © —— 68 131 101 98 68 10 87
Mittel —8
Tr 12 Ms Tor ıssı 101,8 96,6 71,6 98,6 86,8
Mittel nr)
aus 1-12 +83
66.5 134,8 100.4 93,2 68 95 86,7
In dieser Tabelle ( A) welche 12 deutsche Schädel enthält, sehen wir den Ober-
kiefer von O0 bis zu 14 Millimeter über die Ordinate hinübertreten. Mit dem fort-
schreitenden Prognathismus nimmt auch der Nasenwinkel im Ganzen an Grösse zu,
indem der bei den sechs ersten 63 Mm. bei den sechs letzten 70 im Mittel enthält
Im Einzelnen ist freilich die Grösse dieses Winkels keineswegs dem Grade des Pro-
gnathismus entsprechend; denn wenn auch bei den drei ersten die Ziffern sich am
kleinsten zeigen, so sind sie bei den drei letzten noch immer unter dem Mittel. Mit
dem Sattelwinkel ist es nun aber nicht so. Die beiden Mittelzahlen fallen hier von
136 auf 133, und während die höchste Zahl 145 bei dem zweiten Schädel der ganzen
3%
—
Reihe vorkommt, hat der elfte 124 (die kleinste Zahl der ganzen Reihe). Die Schädel-
basis bleibt ziemlich gleich, die Gesichtsbasis dagegen steigt von 89 auf 96. Nach
dieser Tabelle wächst der Nasenwinkel am Augenscheinlichsten, ebenso die Gesichts-
basis. Während aber die Schädelbasis sich gleich bleibt, fällt der Sattelwinkel um 3.
Ich habe hierbei nochmals zu bemerken, dass ich gerade bei den orthognathen
Schädeln den Prognathismus durch Erhebung der Schädelbasis um etwas vermehrt,
bei den prognathen aber durch Neigung derselben um etwas vermindert habe.
Wollte ich diesen Mittelzahlen allein einen grösseren Werth beilegen, so würde
also auch der Nasenwinkel in ein umgekehrtes Verhältniss zum Satlelwinkel treten und
beide würden umgekehrt grösser oder kleiner werden. Da aber vorstehende zwölf
Schädel keine hinreichende Sicherheit rücksichtlich der Ergebnisse der Mittelzahlen
abgeben können, so setze ich hier eine zweite Tabelle gesunder männlicher Schädel her.
12) Anmerkung. Herr Welcker wird sich höchlich wundern, dass ich wieder Schädel distinguirter
Personen vorführe. In seinem einleitenden Wort pag. XI. sagt er nämlich: „Eine grössere Menge von Schädeln
hat Lucae gemessen. „Aber statt einfacher schlichter Anatomie-Schädel, die jedoch vor Allem normal wären,
wählte Lucae — ich weiss nicht aus welchem Grunde — nur Schädel von Distinction. Die Helden der Schinder-
hannesbande nebst einigen andern berühmten Räubern, dazu ein Dichter, ein Gelehrter, ein Schauspieler, ein
Geheimerath — sie bilden Lucae’s Messungen normaler Schädel nach Virchow. Ein Blick auf Lucae’s
eigne Angaben belehrt uns, dass die Normalschädel grösstentheils abnorm sind.“ — „,‚Man lasse dem Pitaval
was des Pitaval ist! Die Kraniologie hat sich seit lange geschadet durch einen Hang zu Absonderlichkeiten
und zum Spielen, sowie durch ein gewisses Apartethun. Noch in seinem neuesten Werke wählt Lucae für
die Einzeichnung in die Schädeldurchschnitte seiner Australneger keineswegs den mittleren deutschen Schädel,
sondern „einen Mörder aus gemeiner Rachsucht“, „einen Selbstmörder aus Liederlichkeit.* Zwick, den Führer
der Studenten bei Erstürmung der Hauptwache, sowie Heinse, den Verfasser des Ardinghello. Was nützen
der anatomischen Kenntniss pretiöse Worte über die feine Modellirung des Stirnbeins dieses oder jenes Dichters,
deren Nachbildung trotz aller Liebe nur selten gelingen werde.“ ete. — Herr Welcker scheint sich öfter
darin zu gefallen, verschiedene Dinge zu vermischen und vermuthlich absichtslos verdreht in eigenthümlicher
Beleuchtung zu zeigen. Ich will ihm den Grund sagen, warum ich diese Schädel vorführe: Weil ich sonst
keine Schädel habe, über deren Herkommen ich hinreichende Gewissheit besitze. Sollte aber der Schädel
eines Mörders aus gemeiner Rachsucht oder eines Selbstimörders aus Liederlichkeit darum weniger Vertrauen
besitzen? Meine Schädel „Bekannter Personen‘ dienten mir, um an ihnen in Stein zeichnen zu lernen, wurden
nachher als Documente gegen die sich übermässig breit machenden Phrenologen verwendet, und durften
endlich als normal meinen verschobenen Kiel-, Sattel- und Thurmköpfen gegenübergestellt werden.
Dass Herr Welcker den Schinderhannes für einen Juden hält, wird ihm dieser am jüngsten Tage nicht
verzeihen, während ich den mir gemachten Vorwurf, dass Heinse auf einem Breit mit jenem stehe, Herrn
Welcker gern vergebe. Beweist er mir doch auch hierdurch abermals, wie er Alles und so auch meine
Sammlung sehr zweckmässig zu benutzen weiss.
= MM
Diese aus 28 Schädeln bestehende Tabelle B habe ich ebenfalls in zwei gleich
grosse Abtheilungen gebracht. Die eine derselhen umfasst 14 mehr orthognathe, die
andere 14 mehr prognathe Exemplare.
Tabelle B, Nr. 1.
ET er
2, Lan316 =, 60 124, 99 86 84 84
2. La 295 = 62 135 102 90 90 85
3. La 133 = 64 131 103 90 92 87
4. La 273 Eu. 65 135 103 92 92 87
Ba te 143 90 78 83 77
6. La 291 Eu 67% 136 104 92 96 90
7. 1.b 944 = 67 135 100 92 93 86
8. La 178 + 67 132%, 9 90 93 86
9. La 294 > 07, 1 90 82 83 76
10. Ertru. ee. 130 102 93 97 89
11. Phr. ei 141% 9 92 96 88
12. 1.b 943 — 67 141%, 100 90 95 87
13. La 274 — 69 147%, 102 92 97 89
14. La 315 u 68 135% 110 95 10 97
Mittel aus 1—14 u 66 135,1 1002 895 935 86,2
ne a
Tabelle B, Nr. 2.
— und Nasen- Sattel- Schädel- Gesichts- Grosse Abseisse
Nr. 4 Abscisse. winkel. winkel. basis. basis. _ Gesichtsbasis. Yo" m:
Seen 6 130 98 90 94 83
16 La 8318 To. ..,64%7,.,126 93 87 90 80
17. Braun 0. 68 135 95 90 94 84
18; ©L.b 250. 908 65 131%, 105 96 100 90
19.02 271 00, We 143 100 93 100 89
20. Va 348 80 I, 00 74 144 100 98 108 91
21. La 56 En 71% g0122 »aploa 9 107 94
22. ya 288 55 275 ar 69 124%, 99 91 96 83
Ro ELLI 7 155 100 95 99 85
Bea 1 0, 68 124 101 95 102 88
Da 2 rs 10 101 100 104 90
Be Tn 289 2, 76 125 99 0 102 88
Zar, 7, 0 130 105 9 104 90
28. Min 238.N 10372 133, 10 99 105. 90
Mittel aus15—25 25 696 131,8 100,9 94,4 100 87,5
Mittel aus 1—28 7 > 67,8 Eis3, a eh00,5 7 W919 7 96, PN RE
Mittel aus Tabelle A und B
Mittel
BOT TTEREE TER 22 0967,1 134,1. 100,4 92,5 95,7 86,7
Sep
m.
Bei den vierzehn ersten erhebt sich der Prognathismus von 0 zu +8, steigt also
mehr als 3 Mm. den sechs orthognathen Schädeln der Tabelle A gegenüber. Die
Mittelzahl des Nasenwinkels übertrifft hier jene um 3 Mm.; dabei steigt er ziemlich
gleichmässig von 60 auf 69. Der Sattelwinkel, die Schädelbasis, sowie die Gesichts-
basis sind hier um Einiges geringer.
Indem wir zu der zweiten Abtheilung der Tabelle B., zu den vierzehn in höherem
Grade prognathen Schädeln übergehen und auch diese mit der zweiten Abtheilung der
Tabelle A vergleichen, finden wir den Nasenwinkel hier um 1 Mm., den Sattel-
winkel und die Gesichtsbasis um 2 Mm. gefallen und die Schädelbasis ziemlich gleich,
während der Prognathismus hier eigentlich etwas grösser ist.
Stellen wir nun aber die beiden Abtheilungen der Tabelle B einander gegenüber
(also das Mittel der 14 orthognatheren mit dem der 14 prognatheren Schädel), so ist
bei letzteren der Nasenwinkel um fast 4 Mm. gestiegen, der Sattelwinkel um 4 Mm.
gefallen. Die Schädelbasis bleibt sich gleich, während die Gesichisbasis bei den Pro-
gnathen um 5 Mm. steigt. Also haben auch in der Tabelle B, wie es in der Tabelle
A der Fall war, die prognatheren Schädel einen grösseren Nasen- und einen kleineren
Sattelwinkel, sowie eine grössere Gesichtsbasis als die orthognatheren Schädel. Die
Schädelbasis wird, wie in der Tabelle A, bei prognathen und orthognathen Schädeln
wenig verändert”).
13) Anmerkung. Herr Welcker erhält aus seinen 30 Männerschädeln für den Nasenwinkel 66,2,
für den Sattelwinkel 133,8, für die Schädelbasis 100,3 und für die Gesichtsbasis 93,9. Nach meinen Begriffen vom
Messen stimmen doch die Mittelzahlen meiner 40 Schädel mit diesen vollkommen überein, trotzdem ich sie nicht
gerade als deutsche bezeichnen möchte und Herr Welcker einen Theil von ihnen für pathologisch erklärt hat.
1) Anmerkung. Will man, wie Herr Welcker thut, diese vorstehende Tabellen nach der Grösse des
Nasenwinkels umstellen, so entstehen folgende Verhältnisse:
Tab. A. Nasenwinkel. Sattelwinkel. Schädelbasis. Gesichtsbasis.
62,6
6 Schädel von 590 _ 660 134,10 100,5 90,3
70,5
re Nez 740 135,50 101,3 961
Tab. B. 63,4
7 Schädel von 600% _ 650 130,70 100,1 88,4
66,7
7 8 „ 660 — 670 135,80 100,3 89,8 e
68,3
ig „ 680 — 690 133,70 99,3 92,5
72,4
ang „ 700 _ 760 1320 100,1 97,1
Wir finden hier den Sattelwinkel zweimal steigen und zweimal fallen, und zwar von 134 auf 135 und von 130
©. Wa Nee
Lassen wir nun die Neger und die Australier unserer Sammlung folgen.
Neger.
Entfernung
d. For. mag,
z. Ordinate,
— und Nasen- Sattel- Schädel- Gesichts- Grosser Grosse
—- Abseisse. winkel. winkel. basis. basis. Nasenw. Gesichtsb.
80
—10 76
I.a 179 16 73 136 101 99 73 101 88
ea
—80
La 15 Tor el MOB LOR ul Ba
NB. u
— 110
kaji24 |, 100er 1 Bsindkum Bil ER ae
116
—55
La a ee AR re a A
+16
—
xXU.6 Ba ds: 100, Non lo
+8 65
20
b — 6 /
Mittel 116,4 70,2 134.2 104.6 99,4 75.2 105.4 88
NB. I.a 125 ist von 400 auf 350 Neigung herabgesetzt.
auf 135. Während bei der ersten Steigerung der Nasenwinkel von 62 auf 70, also um 8 Grade in die Höhe
gegangen, war der Sattelwinkel nır um einen Grad gestiegen. In dem zweiten Falle aber stieg der Nasenwinkel
nur von 63 auf 66, also 3 Grad, dagegen der Sattelwinkel von 130 auf 135 Grad, also um 5 Grad; umgekehrt
sehen wir in den folgenden drei Reihen den Sattelwinkel wieder zweimal fallen und zwar von 135 auf 133 Grad
und von 133 auf 132, während der Nasenwinkel von 66 zu 72 Grad aufsteigt. In der untersten Reihe ist der
Nasenwinkel 72,4 mit 132 Grad Sattelwinkel, in der obersten Reihe aber 62 mit 134 Grad Sattelwinkel vereinigt.
Die Zahl 135 Grad findet sich ferner mit Nasenwinkel 66 und mit 70 zusammengesell. Müssen wir in dieser
Reihenfolge den Sattelwinkel dem Nasenwinkel gegenüber für ganz indifferent halten, so möchten wir von der
Schädelbasis dasselbe sagen. Denn, abgesehen davon dass die Zahlen das eine Mal fallen, das andere Mal steigen,
sind die Differenzen doch wahrlich zu geringfügig. Anders ist es mit der Gesichtsbasis; diese steigt in beiden
Tabellen ganz entschieden.
— 35 —
Australneger von Clarence river.
Neigung der Schädel- Nasen- Sattel- Schädel- Gesichts- Grosser Grosse ee
basis 30 ®, Erosuad: winkel. winkel. basis. basis. Nasenw. Gesichts." ee
XXIL 11 un 6 128 106% „100, RR, 102 92
SR 7 in © ae ar 05 798
XXL „9 nr 69, aan. 108103 107 92
L.a 321 za Km A ee lo 93
17
RN 10 ie 7227 Ballon delos:r Weber pilor N mi92
Mittel Zıaa 692 134,2 105,8 103 75,2 106 92,4
Papua.
a5
Papua ER, 72 128 97 9a 78 10 86
+19
Fassen wir auch hier die Mittelzahlen in’s Auge und vergleichen wir diese mit
den 40 Europäern, so sind wir für diese Neger wie für unsere Australier zu dem
Ausspruch berechtigt: dass Nasenwinkel, Schädelbasis und Gesichtsbasis den Europäern
gegenüber sehr gestiegen sind, dass aber der Sattelwinkel sich gleich bleibt, da für
diesen bei allen drei Gruppen die Zahl 134 vorkommt.
Aus der Reihe der vierzig Europäer durften wir den Schluss ziehen, dass mit
dem Prognathismus der Nasenwinkel und die Gesichtsbasis steigt, der Sattelwinkel
fällt, die Schädelbasis aber ziemlich unverändert bleibe. Hier ist aber bei einem weit
mehr vorgeschrittenen Prognathismus der Sattelwinkel gleich geblieben und die Schädel-
basis sogar gestiegen.”) Dass der Sattelwinkel dem vorgeschrittenen Prognathismus
und dem grösser gewordenen Nasenwinkel gegenüber doch, wenn auch in einem
15) Anmerkung. Herr Welcker erhält für die Schädelbasis aus 20 Negern, unter denen sich wahrschein-
lich auch alle die hier aufgeführten befinden, die Zahl 100,2 Mm., also eine Länge die gleich den Europäern. Die
zehn weniger prognathen haben den Nasenwinkel 67,6 und die Schädelbasis 100,3, die zehn mehr prognathen jedoch
den Nasenwinkel 74 mit der Schädelbasis 100,1. Von sechs von ihm angeführten Negern (aus den Sammlungen in
Halle, Göttingen und Heidelberg) giebt die Mittelzahl für den Sattelwinkel 144.
Abhandl. d, Senkenb. naturf. Ges, Bd. V. 4
a
geringeren Verhältniss als bei den Europäern, gefallen, bedarf keiner weiteren Aus-
führung; dass aber auch die Schädelbasis in gleichem Verhältniss wie bei den Euro-
päern geblieben, liesse sich, wenn wir die Gesichtsbasis, die bis jetzt doch fast immer
mit dem Prognathismus gestiegen, als Maass für letzieren annehmen dürften, aus fol-
genden Zahlen anschaulich machen:
Örthognathe Schädel.
Gesichtsb. : Schädelb. = 100 . X.
Tabelle A 91.9, € 200572100, 109
= Tabelle B HD 3 NA = 00H
3) Prognathe Schädel.
= | Tabelle A 96,6 : 101,38 = 100 : 106,9
\ Tabelle B 924} : 8100,9 57 1007; 106,8
Vierzig Europäer 92.5 : 100.4 = 100 : 108,5
Neger 99.4 -; 104.6 —EE008 105,2
Australier 1053 : - 109.37 ZZ 102,
Nach diesen Verhältnisszahlen wäre also die Schädelbasis der orthognathen
Europäer am grössten, die der Europäer aber grösser als die der Neger, und die
der Australier am kleinsten.
Nehmen wir nun zum Schluss unsern Papua zu vorstehenden Reihen, so finden
wir bei diesem so sehr prognathen Schädel den Nasenwinkel 72°, den Sattelwinkel
aber 128°, die Schädelbasis 97 Mm. und endlich die Gesichtsbasis 92. Hier ist also
der Nasenwinkel am grössten, der Sattelwinkel aber am kleinsten unter allen vorge-
kommenen Mittelzahlen; die Schädelbasis ist kleiner und die Gesichtsbasis gleicht der
der vierzig Europäer. Konnten wir also bis jetzt mit Bestimmtheit sagen, dass von
den vier vorgekommenen Maassen der Nasenwinkel und die Gesichtsbasis entschie-
dene Grössenverhältnisse zum Prognathismus gezeigt hätten, so sehen wir nun durch
diesen letzten Schädel auch die Gesichtsbasis weniger sicher.
Nach allem Diesen könnte wohl die Frage nahe liegen, ob nicht der Nasenwinkel
oder, sehen wir von dem letzten Schädel ab, die Gesichtsbasis ein Maass für die
pro- oder orthognathe Gesichtsform geben könne. Die Antwort auf diese Frage wird
sich leicht finden; denn abgesehen davon, dass der Begriff prognath ursprünglich auf
Ban
einem Vortreten des Gesichts im Verhältniss zur Stirn beruht, abgesehen davon,
dass die Neigung der Schädelbasis eine Berücksichtigung bedarf, sehen wir
durch den Nasenwinkel sowie durch die Gesichtsbasis den eanzen
unteren Theil der Kiefer, nämlich den Alveolarfortsatz und den Zwischen-
kiefer,. von jeder Berechnung ausgeschlossen.
Wollte man nach dem Nasenwinkel den Prognathismus bestimmen, so würde nicht
allein Schumacher zwischen Schulz, Müller und Rheinhard zu stehen kommen,
sondern auch Klänke und Müller II. überträfen an prognather Form alle Ausiralier,
unsern Papua und alle Neger. Da ich von allen diesen die geometrischen Abbildungen
gegeben habe, so wird Jeder sich von dem Gesagten überzeugen können.
Es ist eine ausgemachte Thatsache, dass bei einseitiger Gaumenspalte die mit dem
Zwischenkiefer verbundene Oberkieferhälfte der anderen voraussteht, bei doppelter
Gaumenspalte aber der Zwischenkiefer allein den beiden getrennten Oberkieferhälften
vorausgeeilt ist. Wir wissen ferner, dass heim Schistocephalus, bei welchem die Nasen-
scheidewand bekanntlich fehlt, die Oberkiefer statt nach vorn und unten zu treten, in
einem Bogen nach aufwärts auseinander steigen und der Unterkiefer noch stärker gebogen
mit seinem vorderen Ende zwischen ihnen liegt. — Endlich hat L. Fick durch Ausschnei-
den eines Stücks der Nasenscheidewand bei Schweinen ähnliche Bildungen veranlasst.
Diese Erscheinungen beweisen uns wohl hinreichend, dass die Oberkiefer nicht für
sich allein ihre Stellung bedingen, sondern dass der Zwischenkiefer es ist, welcher beide
vorschiebt. Der Zwischenkiefer endet aber noch nicht an der Spina nasalis, sondern an der
Alveole. Wenn wir daher auch in diesem Nasenwinkel ein vortreffliches Mittel besitzen,
die Nasenhöhle und die Ausbreitung der oberen zwei Drittel des Gesichtes zu bestimmen,
so ist damit doch nicht der ganze Kiefer bestimmt und noch weniger ein Maass für die
pro- oder orthognathe Gesichtsform gewonnen. Um den ganzen Oberkiefer zu bestimmen,
müssen wir den vorderen Schenkel des Nasenwinkels statt an den Nasenstachel zwischen
die Alveole der mittleren Schneidezähne legen. Da dieser Winkel, der also gleichfalls
an der Nasenwurzel liegt, meist grösser ist als der, dessen Schenkel durch die Spina
geht, so möchte ich diesen den „grossen Nasenwinkel“ nennen. Er wird bei allen
Schädeln mit gewölbten Alveolarrändern und kurzer Spina, wie z. B. bei den Australiern,
Negern und Chinesen immer grösser sein. Bei den Europäern ist die Differenz geringer,
und hier wird er sehr oft mit jenem zusammenfallen, namentlich dann, wenn der Boden
der Nasenhöhle mit der Spina nasalis stark vortritt und die Alveole gerade abwärts
steigt, oder so zu sagen fast zurücksinkt.
4*
2.
Besonders characteristisch für die Europäer scheint die stärkere Entwickelung der
Nasenhöhle im Vergleich zur Mundhöhle jenen Völkern gegenüber zu sein, und daher
kommt es, dass, wie wir sahen, der „Nasenwinkel“ der zur Spina geht, bei manchen
Europäern grösser war als bei alien unsern Australiern und dem Papua.
Wenn jener an die Spina nasalis gehende Winkel zur Beurtheilung der Nasenhöhle
nöthig ist, so wird der die Alveole mit einschliessende grössere Winkel zur Bestimmung
der vortretenden Mundhöhle zu nutzen sein. Da aber gerade hier das Charakteristische
der prognathen Schädel liegt, so wird eher dieser als jener zur allgemeinen Be-
stimmung derselben angewendet werden können.
Progna- Kleiner Grosser Kleine Grosse
Euro päer thismus. Nasenwinkel. Nasenwinkel. Gesichtsbasis. Gesichtsbasis.
6 orth. d. Tab. A. + 55 63 64,1 91,5 91,5
6 prognath. — ariklee 70,1 1 96,6 93,6
12 Europäer + 8,8 66.5 67,4 94,5 95.5
6 Chinesen + 10,5 64 69.5 92,6 97,5
Australier + 14,4 69,4 75,2 103 106,8
Neger + 16,8 70,2 75,2 99,4 105,4
Derselbe Vorwurf, der dem Nasenwinkel zur Bestimmung des Prognathismus zu
machen war, gilt auch für die Gesichtsbasis. Auch diese lässt die Alveole ausser
Rechnung und ist gleichfalls durch die verschiedene Neigung der Schädelbasis beein-
trächtigt. Sollte dem aber nicht abzuhelfen sein durch die „grosse Gesichtsbasis“,
nämlich durch ein Perpendikel, das von dem vorderen Ende des Hinterhauptsloches
auf die Ordinate gefällt und von hier bis über das vordere Ende des Alveolarfortsatzes
verlängert wird? So annehmbar diese Linie auch scheint, so dient sie doch nur dazu
uns klar zu machen, dass das Hinterhauptsloch zur Ordinate eine wechselnde Stellung
hat und dass daher ebenso wenig mit ihm wie mit dem Nasenwinkel in dieser
Beziehung etwas erreicht wird.
Sehen wir in vorstehender Tabelle auch ganz klar ausgesprochen, dass mit
dem Prognathismus diese „grosse Gesichtsbasis“ wächst, so beruht dieses Wachsen
doch mehr auf dem Theil der Linie, der vor der Ordinate, als dem Theile, der zwischen
dieser und dem For. magnum liegt. Wiewohl sich dies noch auffallender in den
einzelnen Fällen darthut, so zeigen es auch schon die Mittelzahlen; denn während der
Be
hintere Theil bei den Europäern 58 Mm. beträgt, ist der vordere S Mm. gross; hei
den Chinesen jener 87 Mm. und dieser 10 Mm.; bei den Negern ist der hintere Theil
88 Mm. lang. der vordere dagegen 16 Mm., und bei den Australiern der hintere
92 Mm., der vordere aber 14 Mm. Es wächst daher nur der Theil, der vor der
Ordinate liegt. mit dem Prognathismus. Der hintere Theil ist einmal kürzer, das andere
Mal länger ohne Rücksicht auf die prognathe Form; denn bei den am meisten progna-
then Negern ist er um 4 Mm. kürzer als bei den Australiern und um 1 Mm. länger
als bei den Chinesen. Ebenso ist er bei den prognatheren Schädeln der Tabelle A
kürzer als bei den orthognathen. Es entfernt und nähert sich daher das For. magnum
der Ordinate ohme Rücksicht auf die prognathe Form, und darin liegt denn nun auch
ein Grund, warum die grosse Gesichtsbasis und der grosse Nasenwinkel nicht als
Maass für den Prognathismus angenommen werden können.
Chinesen.
Indem ich nun vorstehenden Schädeln die Chinesen unserer Sammlung einreihe und
in obiger Richtung in Betrachtung ziehe, werden Sie mir wohl zuerst einige allgemeine
Bemerkungen gestatten.
Alle diese Köpfe sind uns von Java zugekommen und gehören wie alle Chinesen
der Inseln nur Mischlingen an, indem sie von Vätern abstammen, welche in früherer Zeit
auswanderten und sich mit malayischen Weibern verbanden. Diese Nachkommen heiratheten
nun meist unter sich und so entstand die jetzige Bevölkerung auf den Sundainseln.
Da kein chinesisches Weib bis vor nicht langer Zeit aus China auswandern durfte,
so wurden ausser China keine ächten Chinesen geboren.
Unter den aufgeführten Schädeln finden wir vier, die in früherer Generation von
malayischen Müttern abstammen. An diese schliessen sich zwei Bastard-Chinesen, die
direct von javanischen Müttern abstammen und von denen der eine in seiner Gesichts-
form gerade sehr auffallend den javanischen Typus zeigt. — Der siebente Schädel führt
die Bezeichnung „Neuchinese“. Von einem hiesigen Kaufmann, der 20 Jahre in Batavia
lebte, erfuhr ich (da mir in keinem geographischen Werke Auskunft über die Bezeich-
nung Neuchinese zu Theil wurde), dass Neuchinesen diejenigen Chinesen auf Batavia
genannt werden, die in China geboren und dann in Java selbst eingewandert sind.
Demnach wäre dieser Schädel als der eines ächten Chinesen anzusehen. Endlich findet
sich ein aus Cochinchina stammender Schädel in dieser Reihe.
— ln
Alle diese Schädel zeigen einen mehr oder weniger rasch hervortretenden Kiefer
mit schräg gelagerten Schneide-, Eck- und Backenzähnen. Die Mundhöhle ist niedriger
als bei den Europäern und die Spina nasalis wenig vorstehend. Sie sind daher pro-
gnath und ihr Prognathismus beruht besonders auf dem Alveolarfortsatz , woher auch
kommt, dass der Jochbeinwinkel sich mehr einem stumpfen nähert. Die Nasenhöhle
ist weniger lief, die Nasenbeine stehen steil abwärts und der Rücken der Nase
tritt nicht vor. Die äusseren Augenränder sind vorgeschoben, so dass das Auge flach
liegt. Die Jochbeine sind grob. Die Nasenwurzel ist wenig eingezogen und ebenso
tritt die Gegend der Sinus frontales hervor. Die Stirn meist sehr gewölbt und hoch,
ebenso das Mittelhaupt. Der Längsumfang ist viel grösser als bei den Europäern,
der Querumfang kleiner. Die Schläfengegend ist flach und die Tubera parietalia
treten auffallend heraus. Die Schädel sind schmäler, aber höher und länger als die der
Europäer. Die Schädelhöhle ist geringer an Raum, die hintere Gehirngrube im Verhältniss
zur ganzen Höhle etwas kleiner, dagegen die vordere Schädelgrube grösser als bei den
Europäern. —
N — und Nasen- Satte- Schädel- Gesichts- Grosser Grosse ne
Amen: —- Abseisse. winkel. winkel, basis. basis. Nasenwinkel. Gesichtsbasis. men:
v. d. Ordin.
— 7 GV
Bastard-Chinese 188 64 135 96 90 68 93 85
XXL 7. — 4290 5
Cochinchinese + 8 68 2 — = a 2 = 3.
X. 8. —o. z
en ee 100 das ee 989
— 0
— dh El)
XXI 4. se 66 138 98 90 68 97 85
13
= m
U Sn ee LI 90 70 96 34
—10
XXL. +99 67 19 98 93 72 100 87
ENT
Mittel I 64,8 132,5 100.8 92,6 69,5 971,5 87
*) In der Zeichnung 22° geneigt, hier in der Tabelle von 22 auf 30% gehoben.
a
Wenn wir nun auch an diese Schädel unsere bisher besprochenen Maasse anlegen,
so finden wir den Sattelwinkel mit dem Nasenwinkel im Vergleich zu den Europäern
trotz dem Prognathismus kleiner geworden, die Schädel- und Gesichtsbasis aber gleich
geblieben. Es bestätigt sich also auch hier, dass der kleinere Nasenwinkel und die
kleinere Gesichtsbasis nicht im Entferntesten mit dem bestehenden Prognathismus im
Verhältniss stehen. Dagegen entsprechen sich die von mir vorgeschlagene grosse Gesichts-
basis (hier 97,5), sowie der grosse Nasenwinkel (hier 95,5) und die + Abseisse
(10 Mm.), sowohl untereinander, als auch den Europäern gegenüber bei weitem mehr.
Neben dem kleineren Nasenwinkel zeigt sich auch hier der Sattelwinkel kleiner; allein
wie wenig darauf zu geben beweisen die Zahlen auch hier wieder im Einzelnen. Der
unbestritten prognatheste Schädel XXI. 5 hat den kleinsten Nasenwinkel mit der Zahl
63, obgleich der bei weitem orthognatheste Bastard -Chinese 64 Mm. hat. Während
aber letzterer einen Sattelwinkel von 135° zeigt, hat jener die kleinste Ziffer der gan-
zen Reihe, nämlich 128° '%).
Wenn wir nun die Ergebnisse des vorhandenen Materials zusammenfassen, so
dürfen wir aussprechen: 1. dass der Nasenwinkel und die Gesichtsbasis
mit zunehmendem Prognathismus entschieden grösser werden.
2. dass aber der Sattelwinkel und die Schädelbasis bei vorschrei-
tendem Prognathismus indifferent bleiben oder verhältnissmässig klei-
ner werden.
3. dass der Nasenwinkel nur ein Maass für die Ausdehnung der
Nase, der von mir vorgeschlagene „grosse Nasenwinkel“ aber ein Maass
für die ganze Ausbreitung des Zwischenkiefers, keiner von beiden
aber ein solches für die prognathe Schädelform abgiebt.
4. dass zur genauen Bestimmung des Prognathismus die Neigung
zur Schädelbasis berücksichtigt werden muss. indem die Horizontale
sich nicht immer genau nach dem Jochbogen bestimmen lässt;
5. dass alle Schädel mehr oder weniger prognath sind.
16) Anmerkung. Herr Welcker Iindet bei 16 Chinesen (unter denen ‚sich auch mehrere unserer Samm-
lung befinden) 65,9 als Mittelzahl für den Sattelwinkel und 99,6 für die Schädelbasis. Die acht weniger pro-
gnathen mit dem Nasenwinkel 63, sowie die acht prognatheren mit dem Nasenwinkel 68 haben für die Schädel-
basis dieselbe Zahl. Von vier Chinesen aus dieser Zahl erhält er für den Sattelwinkel die Zahl 130, also
einen kleineren Nasenwinkel, einen kleineren Sattelwinkel und eine kleinere Schädelbasis als bei seinen Europäern,
ERIEr pR
Da der Nasenwinkel rücksichtlich seiner Grösse mit der Ausdehnung der Nase
parallel geht, der grosse Nasenwinkel aber mit der Ausbreitung des Zwischenkiefers
übereinstimmt und beide, jenachdem der obere oder der ganze Kiefer, oder jenachdem nur
der Alveolartheil stärker hervortritt, rücksichtlich ihrer Grösse im Allgemeinen der
prognathen Schädelbildung sich anschliessen, so findet hier die von mir früher ausge-
sprochene Ansicht, dass der grössere oder geringere Prognathismus besonders auf
der Grösse der Kiefer beruht, ihre Bestätigung.
Die Entwickelung der Schädelbasis.
Es ist aber von Interesse bezüglich der obigen Fragen auch die Entwicke-
lungsverhältnisse des Mannesschädels zu betrachten. Wir wollen daher den Schädel des
Neugeborenen mit dem des Erwachsenen vergleichen. — Ich stelle in nachfolgender
Tabelle den Mittelzahlen von 12 männlichen Schädeln (der Tabelle A) die Werthe der
Schädel von 12 Neugeborenen, welche noch im Fleisch durchschnitten und gemessen
wurden, gegenüber.
: 2 Su. len BE ee u e
| EEE am 3 245% 55 38 EE BES: Pa .ıss
Mittelzahl. Er 3 Er 3 Sion Ewa SS Boerse, En zogen
KG = 55 5 BEN SS ao Ei RoEne un» 5°
2 12) n 3 > ’ra = IS ann: a Du ser
J me - ” ‘ | |< ie
12 Neugeb.70.5| 145.8| 55.556.831 21 |34.7| 5| 31.0) 35| 25,0 2ı | 20| 8| 10,8
ss}
|
12 Männer 66,5| 134,8) 101,2| 93.2] 52.2) 58.6| 76| 44,5] 70| 53,3 29,2) 39 | 17 | 26,0
Differenz 4 11° | 42,8| 36.9] 31,2| 23,9) 11| 13,5) 35] 28,2) 8 | 19| 9| 15.2
Nach dieser Zusammenstellung ist der Nasenwinkel um 4°, der Sattelwinkel aber
um 11° kleiner geworden. Ferner ist die Gesichtsbasis um 36 Mm., die Schädelbasis
um 42 Mm. und die Gesichtshöhe um 31 Mm. gewachsen, d. h. letztere ist fast um
1, die Schädelbasis aber noch nicht um 1 ihrer früheren Länge gewachsen; die
Gesichtsbasis aber ist noch mehr als letztere zurückgeblieben.
17) Anmerkung. Herrn Welcker’s Tabelle von acht Neugebornen zeigt folgende Mittelzahlen. Für
den Nasenwinkel 69,1, den Sattelwinkel 141, für die Schädelbasis 58,0, für die Gesichtsbasis 54,1 und für
die Gesichtshöhe 22,7. Wenn ich bedenke, dass bei meinen 12 Neugebornen die extremen Zahlen für den
Nasenwinkel 65 und 80, für den Sattelwinkel 136 und 150, für die Schädelbasis 52 und 66 und für die
Gesichtsbasis 51 und 63 betragen, so wollen mir auch hier die Unterschiede zwischen meiner Tabelle und
seiner nicht erheblich vorkommen.
Zerlegen wir nun die Schädelbasis an ihrer oberen Fläche im Proc. elinoid. medius
in zwei Theile, so ist der hintere Theil zwischen Hinterhauptsloch und Proe. elinoideus
mehr gewachsen (28 Mm.) als der vordere Theil, welcher zwischen Proc. elinoid. und
der Nasenwnrzel liegt (23). Betrachten wir dagegen die Schädelbasis an ihrer unteren
Seite, so ist die Entfernung zwischen der Nasenwurzel und dem Vomer um 35 Mm.
erösser (also noch einmal so gross) geworden, während die Entfernung zwischen der
Wurzel des Vomer und dem For. magnum nur um 8 Mm. gewachsen ist.
Was aber die Gesammtwirkung dieser Wachsthumsverhältnisse auf die obere und
untere Fläche der Schädelbasis betrifft, so wächst die obere Fläche im Verhältniss
zur unteren ungleich mehr; denn während bei dem Kinde die obere nur drei Milli-
meler grösser war als jene, ist die Ausdehnung dieser oberen beim Erwachsenen um
zwölf Mm. der unteren gegenüber gestiegen. In Folge dessen musste an der oberen
Fläche eine Ausdehnung entstehen, die sich in einem kleiner gewordenen Sattelwinkel
darstellt. Wie dieser spitzere Winkel durch Wachsen der intersphenoidalen und spheno-
oceipitalen Knorpelfuge im Einzelnen sich bildet, hat uns Virchow in seinem Werke
über die Schädelbasis ausführlich gezeigt.
Wir haben schon bemerkt, dass die untere Fläche in ihrem vorderen Theile unver-
hältnissmässig mehr an Wachsthum zugenommmen habe als in ihrem hinteren. Freilich
scheint dieses bedeutender nach den oben angeführten Messungen als es wirklich der Fall
ist. Wir haben nämlich zu berücksichtigen, dass die Wurzel des Vomer bei dem Kinde
vor dem ersten Keilbeinkörper liegt und erst allmählich durch Absatz von Knochen-
substanz mit dem zweiten Keilbeinkörper (erst vorn und dann in dessen Mitte) in
Berührung kommt, bei dem Erwachsenen aber nur einen kleinen Theil desselben
hinten unbedeckt lässi. So schiebt sich der Vomer von vorn nach hinten, und so ist
es erklärlich, dass der Raum zwischen dem Hinterhauptsloch und der Wurzel des
Vomer unverhältnissmässig wenig im Vergleich zum vorderen zuzunehmen scheint.
Gehn wir nun an die obere Fläche, so sehen wir die Entfernung vom Hinter-
haupt zum Boden der Sella um das Doppelte ihrer Grösse gewachsen, nämlich von 20
auf 39 Mm. Die Entfernung vom For. magnum zum Proc. clinoid. ist aber noch mehr
gestiegen, nämlich von 25 auf 53 Mm. Da nun aber die Wachsthumsverhältnisse am
unteren Theile, wie auch Virchow deutlich zeigt. weit geringer als am oberen sind,
und die Richtungen beider Wachsthumslinien auseinander gehen, so müssen sich der Proc.
clinoideus und die Sella nothwendig von der unteren Fläche entfernen, und dies
geschieht auch in der auffallendsten Weise, denn die Vomerwurzel, trotzdem dass sie
Abhandl. d, Sonekenb. naturf, Ges. Bd. V %)
[3}
=— oO —
sich durch ihr Verschieben nach hinten der Sella nähert, entfernt sich mehr als noch
einmal so weit von derselben (beim Kinde 8 Mm., beim Erwachsenen 17 Mm.) und
die Entfernung des Vomer vom Planum sphenoidale erreicht beim Erwachsenen mehr als
1%, ihrer früheren Grösse. Dass auf diese Weise der Sattelwinkel kleiner
werden muss"), ohne dass davon die Ansatzstelle des Vomer berührt
wird, ist einleuchtend.
Hand in Hand mit dieser Anschwellung der Keilbeinkörper geht die Entwickelung
der Keilbeinhöhlen. Welches von diesen beiden Momenten aber Ursache, welches Folge
ist, will ich dahin gestellt sein lassen; das aber hat gleichfalls Virchow bemerkt und
ich kann es bestätigen, dass mit starker Entwiekelung jener Sinus ein kleiner, und mit
schmächtiger Ausdehnung ein grosser Sattelwinkel sehr oft zusammenfällt. Klein z. B.
hat den grössten Sattelwinkel der Tabelle A. (nämlich 145°) und die geringste Aus-
dehnung des Keilbeinkörpers (von oben nach unten 20 Mm.), Schulze dagegen hat
den kleinsten Sattelwinkel (124°), aber einen sehr hohen Sinus (28 Mm.). Ebenso
haben aus Tabelle B. die Schädel I.b 948, l.a 274, I.b 943 für den Sattelwinkel
141 — 147° und für die Entfernung zwischen Vomer und Planum sphenoidale 28 und
30 Mm., während bei den Schädeln I.a 316, 253, 295 der Sattelwinkel 124° und
125° gross ist und die Keilbeinhöhe 20 bis 24 Mm. beträgt. Endlich zeigen auch
unsere Neger diese Verhältnisse (vid. Tafel X).
Geben uns, wie ich glaube, obige Messungen einen Aufschluss, in welcher Weise
der Sattelwinkel bei dem Erwachsenen sich verkleinert, so geben sie uns auch den Weg
an, auf welchem der Nasenwinkel sich zuspitzt. Die vordere Schädelbasis wächst, wie
uns die Messungen zeigen, um fast 24 Mm. Von diesen 24 Mm. kommen 13 auf den
Raum zwischen For. coecum und Proc. celinoideus. Er wird also etwas mehr als %
seiner früheren Ausdehnung vergrössert, der Raum zwischen For. coecum aber und der
Nasenwurzel vergrössert sich um 11 Mm., (beim Neugeborenen war er 5 Mm.) also
um mehr als das Doppelte seiner früheren Grösse. Was dort an dem Sattel und der
Keilbeinhöhle geschehen, geschieht hier an der Stirnhöhle. Die Nasenwurzel wird nach
vorn geschoben, die vordere Schädelbasis verlängert, und da die Gesichtsbasis mit der
Spina nasalis in ihrem Wachsthum zurückbleibt (die Sehädelbasis wächst um % ihrer
früheren Grösse, die Gesichtsbasis nur um %,), so wird der Nasenwinkel spitzer. Dass
18) Anmerkung. Es kann nur auf einem Schreibfehler beruhen, wenn Virchow ihn grösser wer-
den lässt. pag. 31. Untersuchungen über die Entwickelung des Schädelgrundes. Berlin 1857.
Na ch
hierbei die grosse Vermehrung der Gesichtshöhe mitwirken wird, ist einleuchtend.
Durch dieses Verschieben der Nasenwurzel wird zwar die + Abscisse, welche von
unserer Ordinate nach der Spina nasalis geht, verkleinert, dagegen die — Abscisse,
welche von der Ordinate zur Mitte der Stirn geht, (beim Kiude berührt die Stirn die
Ordinate meistentheils oder tritt über sie weg, so dass hier eigentlich auch eine
+ Abseisse) auch wieder vergrössert.
Finden wir nun aber auch in der geringeren oder stärkeren Entwickelung der
Stirnhöhle den Grund. warum der Nasenwinkel bei dem Kinde grösser als bei dem
Mann ist, und ist es uns aus Früherem erklärlich, warum dieser Winkel meist mit
dem Prognathismus wächst, so erkennen wir dagegen in den Entwickelungs-
verhältnissen der Sattelgegend hinreichend den Grund, warum der
Sattelwinkel zur prognathen oder orthognathen Gesichtsform sich
indifferent verhalten muss.
Es giebt jedoch noch weitere Gründe. die hiefür sprechen. Wir haben nämlich
zu berücksichtigen, dass ausser der Synchondrose in dem Sattel noch die Nahtver-
bindung zwischen Keilbein und Riechbein sowie zwischen Keilbein und Hinterhauptsbein
für die Verhältnisse der Schädelbasis von höchster Bedeutung sind. Verschiebungen
dieser Knochenstellen werden den Satlelwinkel, aber auch die von uns gemessene
ganze Schädelbasis immer nur verkleinern oder vergrössern können, werden aber
für die Stellung der Gesichtsknochen von sehr verschiedener Bedeutung sein. Es
beweisen dies unsere beschriebenen pathologischen Schädel zum Theil in auffallend-
ster Weise.
Der Scaphocephalus verdankt seinen kleinen Sattelwinkel der Intersphenoidalfuge,
der Platycephalus dagegen seinen überaus grossen der Naht zwischen Riech-
und Keilbein. Trotzdem dass der Winkel des Tribasilarbeines bei beiden fast gleich
ist, ist dort der Sattelwinkel sehr klein und hier sehr gross. In der flachen Stirn,
dem aufwärts gezogenen mit seiner unteren Fläche nach vorn sehenden Riechbeine und
den in Folge dessen gehobenen Nasenbeinen, in der verkürzten vorderen Schädelbasis
und der Grösse der Kiefer liegt bei letzterem der Grund zur Prognathie'). In der
19) Anmerkung, Ich habe eine grössere Zahl von Säugethierschädeln der Länge nach durchschnitten und
finde hier Folgendes zu bemerken. Die Grösse des Winkels am Tribasilarbeine beruht hier besonders auf der Stellung
der Pars oceipitalis zum hinteren Keilbeinwirbel. Eine Keilbeinhöhle finde ich nur bei Equus Camelus Dromedarius,
Camelopardalis Giraffa, Ursus Arctos, Porcus Babirussa und Sus scropha, und bei unseren Pongos und Orangs. Bei
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horizontal mit dem Planum sphenoidale liegenden langen vorderen Schädelbasis, der
Knickung der Intersphenoidalfuge, der Kürze der Kiefer und der vortretenden Stirn
liegt dagegen bei dem Scaphocephalus die Bedingung der orthognathen Gesichtsform.
Wie ist es aber mit einer Verschiebung in der Sphenoeeipitalfuge? Wie vermöchte
eine Verschiebung des Hinterhauptzapfens am hinteren Keilbein, trotzdem dass sie die
Grösse des Sattelwinkels alterirt, ene Wirkung wie die vordere Schädelbasis auf die
Stellung der Gesichtsknochen hervorzubringen? Der Vomer ist nur dem Keilbein
angeheltet und hat mit dem Oceipitaltheile keinen Zusammenhang; es kann daher
letzterer keineswegs eine solche Bedeutung für die Gesichtsknochen haben. Dass auch
in dieser Fuge Knickungen, wenn auch geringerer Art, zuweilen nach hinten, zuweilen
nach vorne vorkommen, habe ich an meinen Durchschnitten zum Oefteren gesehen. Ersteres
ist z. B. bei Denig und bei dem Chinesen XXL 3 der Fall. Aber auch Belege für
Knickungen in der Naht zwischen Riech- und Keilbein finden wir in unseren Durch-
schnitten.
Es kann daher der Grund eines grossen oder kleinen Sattelwinkels und ebenso
einer grossen und kleinen ganzen Schädelbasis das eine Mal in der hinteren,
das andere Mal in der vorderen Schädelbasis liegen und daher für die Gesichts-
bildung von verschiedener Bedeutung sein.
Aus dem Vorhergehenden ergiebt sich aber auch ferner, dass der Winkel des.
Tribasilarbeines klein oder nur mässig und doch der von uns angenommene Sattel-
winkel gross sein kann. Während dieser die Gesammtsumme der Knochen zwischen
Nasenwurzel und Hinterhauptsloch in Form, Grösse und Lagerung darstellt, giebt jener
nur einen Theil dieser Kette. In meinem vorigen Schreiben hatte ich nur den Winkel
des Tribasilarbeines zwischen den pro- und orthognathen Schädeln verglichen und es
hatte sich hier keine Beziehung zwischen der prognathen Gesichtsform und der Grösse
dieses Winkels durch das Maass nachweisen lassen. Die vorhergehende Betrachtung wird
ersteren ist sie nur in dem vorderen Keilbeinwirbel, und nur bei den letzteren setzt sie sich bis unter den Sattel fort.
Der Winkel ist bei Schweinen, Affen und Wiederkäuern, (Antilop. pygarga, elc. elc.) am Kleinsten, bei den
Raubthieren (Felis Tigris, Canis Lupus, Lutra, Meles) grösser , bei dem Wallross aber und Stemmatopus eristatus am
Grössten, denn hier wird er 180%. Bei allen diesen Thieren mit Ausnahme der Affen wird nun aber durch die
Knickung der Sutura ethmoidalis nach aussen die Siebplatte steil gestellt und mit ihrer unteren Fläche nach
Stemmatopus, bei Phoca barbata und dem Wallross hat der vorderste Theil des Plan. sphenoidale an dieser Erhebung
vorn gebildet. Nur bei Antheil genommen, Endlich ist zu erwähnen, dass der Vomer sich mit Ausnahme von
Sus, Cynocephalus, Camelopardalis und Camelus nur an den ersten Wirbelkörper, aber keineswegs an den
zweiten befestigt. Bei den Säugethieren verhält sich also das Siebbein ähnlich wie bei unserem Platycephalen.
uns auch hierfür die Gründe angegeben haben. Wird unser Sattehvinkel durch einen
Theil des Tribasilarbeins, der mit dem Gesichtsknochen in gar keiner Beziehung steht,
alterirt, so mangelt diesem Winkel wieder ein Theil, der gerade für die Stellung der
Gesichtsknochen von grösster Bedeutung ist, nämlich Riechbein und Nasenwurzel.
Im Voranstehenden babe ich Ihnen, Hochverehrter Herr, diejenigen Beobachtungen
mitgetheilt. die mir über obige Fragen mein theilweise sehr beschränktes Material
erlaubte. Ob alle vorliegenden Ergebnisse richtig sind, wird erst eine grössere Reihe
von Köpfen (von Negern, Chinesen etc.) feststellen. Erlauben sie mir nun gütigst
eine Ergänzung meiner früheren Mittheilungen aus der Pathologie.
III. Einiges Pathologische.
Sie haben sich öfter darüber gewundert, wie ich zu der Menge schiefer Köpfe
gelange, die sich in unserer Sammlung vorfinden. Wie ich dazu gelange, darf ich hier
nicht aussprechen, denn es geschieht per fas
et nefas. Ich will Ihnen lieber eine Kopf-
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form vorführen, die Ihnen bezüglich Ihres
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Scaphocephalus gewiss von nicht geringem
Interesse ist. In meinem Hause befinden
sich zwei geistig und körperlich gesunde
Kinder (Brüder), der eine 9, der andere 3
Jahr alt, die sich durch einen hohen Vorsprung
längs der Stirnnaht auszeichnen. Das Stirn-
bein steht dachförmig nach vorn und ist
schmal, das Mittelhaupt aber von gewöhn-
licher Breite. Auch einen sechzehnjährigen
jungen Mann kenne ich, der in der Schule
sich auszeichnete und jetzt in einem hiesigen
Bankhaus auf dem Comptoir arbeitet. Ich habe
den Kopf hier neben abgebildet. Die Mutter
obiger Knaben nannte die Köpfe ihrer Kin-
der sehr bezeichnend „Eierköpfe *. Sie
alle brachten diese Schädelform mit auf die
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Welt, und erst vor einem Jahre habe ich ein ähnliches Kind zu Tage gefördert. Es ist
heule noch frisch und gesund. Ich adoptire also den Namen Oocephalus.
Ich muss gestehen, dass ich mir diese Form des Schädels nicht erklären konnte,
und zwar um so weniger als ich öfter die Wahrnehmung gemacht hatte, dass bei vor-
handener Stirnnaht die Mitte der Sutura frontalis sich stärker entwickelt und manch-
mal einen Vorsprung in der Mitte der Stirn bildet, eine Stirnnaht aber unmöglich hier
vorhanden sein konnte, da alsdann die Stirn breiter sein müsste.
Eine Erklärung fand ich erst durch einen im vorigen Jahre erhaltenen Schädel eines
Neugebornen, der mir wegen einseitigen Wolfrachens geschenkt, der aber durch Oellnen
von der grossen Fontanelle bis zur kleinen
ziemlich verletzt war.
Dieser Schädel zeigt das Stirnbein nach
vorn dachförmig und eng, die Tubera fron-
talia (nur durch Halten des Knochens gegen
das Licht erkennbar) 20 Mm. voneinander ent-
fernt, ganz in der Ebene des Knochens liegend
ohne irgend eine Andeutung einer hervorsprin-
senden Erhöhung”). Die Augenhöhlen sind
sehr nahe gerückt. Beide Hälften des Stirn-
beins sind nur unten mehr vereinigt, weiter
aufwärts sieht man aber eine Knochenleiste,
welche längs des Suleus longitudinalis aufsteigl und durch Knochenausläufer mit den
Strahlen der Stirnbeinhälften sich verbindet. Sie stellt die Fahne einer Schreibfeder
dar und strahlt oben gegen das vordere Ende der grossen Fontanelle frei und abge-
rundet aus. Hält man den Knochen gegen das Licht, so sieht man von unten an auf-
20) Anmerkung. Herr Welcker hat diese Schädelform unter dem Namen „Trigonocephalus“ neulich
abgebildet und beschrieben. In einer zweiten Arbeit „Ueber zwei seltene Difformitäten“ fügt er
noch einige Schädel, besonders den eines älteren Mannes bei. Es ist mir höchst interessant, dass hier die
Spannweite der Tub. frontalia vom Neugebornen zu den fünfjährigen Kindern und von diesen zu dem Erwach-
senen von 19 Mm. auf 36 Mm. steigt. Ich glaube, diese Mittheilung spricht mehr für das Auseinanderrücken
der Tub. frontalia nach Verwachsung der Stirnnaht als seine Tabellen des wachsenden männlichen und weib-
lichen Schädels das Stehenbleiben der Tubera nachweisen. (Vom 10. Monat bis zum Erwachsenen zeigt die
Tabelle von Jahr zu Jahr die feststehende Ziffer 58 Mm. beim Manne und 55 Mm. beim Weibe). Auch neuer-
dings unter dem Beistand meines Anatomiedieners (damit er mir manchmal das Tub. suchen helfe) vorge-
nommene Messungen widersprechen jenen Tabellen.
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wärts immer deutlicher das Ineinan derstrahlen der Stirnbeinhälften mit dieser Knochen-
feder. Die Knochenleiste tritt, namentlich unten, nach innen scharf vor und stellt die
Crista frontalis interna dar, die hier in diesem Schädel sich zugleich mit den Stirnbeinen
bildete, während sie in normalen Verhältnissen erst später nach Schluss der Stirnnaht
ihre Entwickelung beginnt.
Es liegt der Gedanke sehr nahe, dass auf ähnliche Weise, durch eine selbst-
ständige Ossification in dem Suleus longitudinalis die Synostose der Scheitelbeine unserer
Scaphocephalen entstanden sein möge. In diesem Gedanken werde ich aber mehr und
mehr bestärkt, da ich die bei diesen Köpfen öfter vorkommende, von Virchow zuerst
erwähnte „Schneppe“* in jener abgerundeten in der grossen Fontanelle des in Rede
stehenden Stirnbeins liegenden federförmigen Ausstrahlung wiederzu rikennen glaube.
Diese ist in unserem Falle natürlich nach oben, in Scaphocephalen dagegen nach unten
gerichtet. Könnte aber nicht mit dieser zwischen den beiden Scheitelbeinen entstehenden
Verknöcherung jene Lücke, welche in der Verknöcherung des Biparietalbeins zuweilen’)
„der Mittellinie nahe“ liegt, erklärt sein ?
So hätten wir denn für Ihre Scaphocephalen sowie für unseren Oocephalus ein
sicheres Bildungsmoment erhalten und zwar eine Entstehung aus drei frühzeitig ver-
wachsenen Össificationspunkten statt aus einem. — Nach dieser Wahrnehmung aber
glaube ich die von mir zuerst geäusserte Ansicht, dass zwei nebeneinander liegende
Knochen aus einem Ossificationspunkte entstehen, überhaupt für vollständigen Irrthum
erklären zu müssen. — Als ich vor Jahren die Synostosen bearbeitete und namentlich
die Lagerung der Deckknochen auf die Gestalt des Primordialschädels und die Falten-
bildung der Dura mater zurückführte, wurde mir jene Ansicht ziemlich verdächtig und
ich suchte mir schon damals die Bildung jenes in meiner Dissertation abgebildeten
Schädels®”) durch eine frühzeitige Vereinigung zweier nahe gerückter, ursprünglich aber
getrennter Knochenkerne (ziemlich analog der Hinterhauptschuppe, welche aus vier solchen
Punkten entsteht) zu erklären, deren Wirkung die einer frühzeitig entstandenen Synostose
wäre”). Nur der zweite Schädel — der eines mikrocephalen Embryo — der freilich
21) Anmerkung. F.D.Creve de calvariae osteogenia et fontanellarum ante partum aphorismo, Disser-
tatio inauguralis. Francofurti 1841. Fig. 1, 2 und 3.
22) Anmerkung. |. c. de Symmetria et Asymmetria. Taf. I.
23) Anmerkung. Architektur Pag. 19: „Während auf der linken Seite der Stirn- und Scheitelbeinhöcker an
normaler Stelle sind, erscheinen beide auf der rechten Seite über der Mitte der rechten Schläfenbeinschuppe
zusammengerückt und an einer Stelle vereinigt, Der Stirnhöcker liegt viel weiter nach hinten als im normalen
— 2) °—
auch manche andere Störung in der Knochenentwickelung, namentlich einige fehlende
Deckknochen bemerken liess, hielt mich davon ab meine Ansicht fallen zu lassen°').
Herr Professor Welcker in Halle hat aber diesen Mikrocephalen neuerdings einer sehr
gründlichen Untersuchung unterworfen und mir durch dieselbe auch den geringsten Zweifel
an der Unrichtigkeit meiner früheren Auffassung benommen. Leider bin ich durch sein
Werk zu vielen persönlichen Bemerkungen genöthigt worden, die mir um so unangenehmer
waren, als ich gleichsam wie vor einem Zuchtpolizeigerichte mich oft schämen musste
zu antworten und schämen musste zu schweigen. Schwerlich würde es aber der Ver-
dienstlichkeit jener Arbeit Eintrag gelhan haben, wenn mehr nur die Sache und weniger
die Person zur Geltung gekommen wäre. — Nehmen Sie, hochverehrter Herr, dies
als eine Entschuldigung, dass ich vorliegendes Schreiben an Sie mit einem solchen
Ballast von Anmerkungen verunstaltet habe.
Da ich aber in meinem vorigen Schreiben die vollständigen Messungen der be-
sprochenen Schädel (indem eine gemeinsame Art der Messung noch nicht verabredet
war) beizufügen unterlassen hatte, und da die Verabredung in Göttingen uns die Ver-
öffentlichung der Verzeichnisse über unsere Schädelsammlungen auferlegt, so will ich
nicht verfehlen Beides in diesem Schreiben an Sie, für welches ich eine gleich wohl-
wollende und gülige Aufnahme erbitte, nachzuholen.
Frankfurt a. M., im September 1863.
Hochachtungsvoll
Lucae.
Zustande und der Scheitelbeinhöcker viel weiter nach vorn“. Pag. 13: „Gerade hier liegt in weiterer Aus-
breitung als gewöhnlich der Verknöcherungspunkt des Stirn- und Scheitelbeins.“ — Herr Welcker legt die
Punkte nach meinem Dafürhalten zu weit auseinander und seine Gründe hierzu scheinen mir nicht gerechtfer-
tigt. Uebrigens kommen wir uns hier doch näher als in der Auflassung der Entwickelung der Hinterhaupt-
schuppe, welche sich nach meinen Beobachtungen (Architektur pag. 4) viel natürlicher giebt als mit Hülfe
seiner „Zwickel“.
”4) Anmerkung. Ich habe den Schädel nicht so genau untersuchen können wie Herr Professor
Welcker I. c. pag. 115, da ich zu Bürger’s Zeit denselben nicht öffnen durfte und da die Zeichnung
auf Taf. III. nach Bürger’s Handzeichnungen angefertigt ist. Später brachte mir ein Besuch bei Fick das
Schädelchen geöffnet zu Gesicht, doch konnte ich mir nur eine Contour von ihm entwerfen. In Burger’s
Zeichnung sieht man den Rand des Knochens bis über die ganze Schläfenschuppe unter dem Periost verlaufen,
In Hrn. Welcker’s Zeichnung ist das Periost entfernt, aber die Knochenausbreitung an der Peripherie viel-
fach defect. In meiner Contourskizze finde ich den Rand höher und länger.
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Chinesen.
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XXL S. Chinese 1480 120 245 1 Deutsche „all 150 245,8
XXI. 9. Bast.Ch. 1435 120 235 a u 17125210
XXL 5. 1550 130 230 = Neger 1344 122,4 233,2
4 Australier 1186.6 126 222
Mittel 1482,5 132,5 210
Verzeichniss der Rassen-Schädel des Senckenbergischen
Museums und der Anatomie.
Egyptische Mumie nebst Skelett. Kind von 2 Jahren. Geschenk
des Hrn. Dr. Rueppel. (Senckenberg. Anatomie.)
Egyptische Mumie. Geschenk des Hrn. Dr. Rüppel.
Schädel einer egyptischen Mumie. Geschenk des Hrn. Dr. Rueppel.
(Senckenberg. Anatomie.)
Grönländer. Geschenk des Hrn. Prof. Eschericht. Ist „Zur organischen
Formenlehre* Taf. VI. abgebildet.
Chinese. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia. Abgebildet „Zur
organischen Formenlehre* Taf. V. und „Zur Morphologie der Rassenschädel*
Taf. 13 bis 15 etc.
Chinese. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia. Abgebildet „Morpho-
logie der Rassenschädel“ Taf. 13 bis 15 etc.
Chinese. Geschenk des Hrn. Doebel in Batavia. Abgebildet „Morphologie
der Rassenschädel“. Taf. 13 bis 15 etc.
Chinesisches Kind. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
Cochinchinese. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia. Abgebildet
„Morphologie der Rassenschädel“ Taf. 13 bis 15 etc.
Neu-Chinese. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia. Abgebildet
„Morphologie der Rassenschädel“ Taf. 13 bis 15 ete.
Bastard-Chinese. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia. Abge-
bildet „Morphologie der Rassenschädel* Taf. 13 bis 15 ete.
Botokuden-Mann. Geschenk des Hrn. Dr. Freyreiss.
Weib. 5 > SE a
> Kind. 5 en >
Mann aus dem Stamm der Goway-Indianer, oberhalb des Missouri.
”
(Senckenberg. Anatomie.)
XXI. 13.
XXI. 14.
XXL. 15.
XXI. 16.
XXl. 17.
XXI. 18.
XXU. 5.
XXL. 19:
XXI. 20.
XXI. 21.
XXI. 45.
XXI. 22.
XXI. 23.
XXI. 24.
XXI. 25.
XXI. 26.
AA. 1.
XXI. 2.
XXN. 3.
XXI. 27.
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Bewohner der Insel Floris (einer der kleinen Sunda-Inseln.) Geschenk
des Hrn. Dr. Doebel in Batavia. Abgebildet „Zur organischen Formen-
lehre* Taf. 10.
Bengalle (Benkulen ?). Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
Benkule (auf der Westküste von Sumatra). Geschenk des Hrn. Dr. Doebel.
„Bengaloe* von Malabar. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
Bengaloe vom Stamm der Maratten. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel
in Batavia.
Bewohner der Insel Nias (im Westen von Sumatra). Geschenk des Hrn.
Dr. Doebel in Batavia.
Bewohner der Insel Nias (an der Westküste von Sumatra). Geschenk
des Hın. Dr. Müller in Batavia.
Bewohner von Palembang (im südöstlichen Sumatra). Geschenk des
Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
Bewohner von Amboina. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
Timoroe-Mann (von den kleinen Sunda-Inseln).. Geschenk des Hrn.
Dr. Doebel in Batavia.
Timoroe-Knabe. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
Timoroe-Frau. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
Bewohner der Sunda-Insel Madura. Geschenk des Hrn. Doebel
in Batavia.
Bewohner der Sunda-Insel Madura. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel
in Batavia.
Bewohner der Sunda-Insel Madura. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel
in Batavia.
Neuseeländische Mumie. Geschenk des Hrn. Heyne in Guajaquil.
Neuseeländischer Haeuptling vom Stamm Muketu an der Ostküste
von Neu-Seeland. Geschenk des Hrn. Dr. Dieffenbach.
Neuseeländer aus der Nähe des Egmont-Berges. Geschenk des
Hrn. Dr. Dieffenbach.
Junger Eingeborener der Chatam-Inseln (bei Neu-Seeland). Die
Urrasse, welche den wahren Polynesiern angehörte, ist jetzt wahrscheinlich
vertilgt durch neuseeländische Eindringlinge.
Malaie von Batavia. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
XXI. 28.
Tanl23!
l.a 129.
XXI. 29.
XXI. 30.
XXI. 31.
XXI. 44.
XXI. 46.
XXI. 32.
l.a 122.
XXI. 36.
XXL 37.
XXI. 38.
XXI. 39.
XXI. 40.
er Wet
Malaiische Frau. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
Javaner. Namens Kromo-Diwirio, 30 Jahre alt, starb 1842 an Ruhr im
Hospital zu Saerabaya. Geschenk des Hrn. Dr. Schmitt in Batavia.
(Senckenberg. Anatomie.)
Javanische Frau. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia. (Sencken-
berg. Anatomie.)
Javanese. Geschenk des Hrn. Dr. Strauss in Batavia. Abgebildet „Zur
organischen Formenlehre“ Taf. 9.
Javanese aus dem Innern von Java. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel
in Batavia.
Javanese. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
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” ” b>] b>] b>] b>] b>] »
Bastard-Javanese. Geschenk des Hın. Dr. Doebel in Batavia.
Schädel und Skelett eines Eingeborenen von der Insel Ratti,
Zea-Dro-i mit Namen, starb 26 Jahre alt an Dysenterie in Soerabaya.
Gescherk von Hrn. Dr. Schmitt auf Java. (Senckenberg. Anatomie.)
Alfuru. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
Alfuru von Manado (auf der Nordküste der Insel Celebes). Geschenk des
Hrn. Dr. Strauss in Batavia.
Batta aus dem Innern der Insel Sumatra. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel
in Batavia.
Bewohners der Stadt Atjim oder Atschym an der Nordspitze von
Sumatra. Geschenk des Hrn. Dr. Bagge.
Kaynoe (von der Molukken-Insel Kay). Geschenk des Hrn. Dr. Doebel
in Batavia.
Papua. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia. Abgebildet „Zur
organischen Formenlehre“ Taf. XI. und „Zur Morphologie der Rassenschädel“
Taf. VL, VIL, VIII etc.
Neger von Bourbon. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in Batavia.
Neger von unbekannter Heimath. Geschenk des Hrn. Dr. Doebel in
Batavia.
Schangalla-Neger. Geschenk des Hrn. Dr. Rueppel. Abgebildet „Zur
organischen Formenlehre“* Taf. VII.
XXI. 6.
I.a 124.
l.a 125.
I.a 179.
ka ewäil
J.a 322.
Ashantee. Geschenk des Hrn. Dr. Mueller in Batavia.
Ashantee Namens Dawin-Kadjo, starb 28 Jahre alt an der Ruhr im
Hospital zu Soerabaya. Geschenk des Hrn. Dr. Schmitt in Batavia. Ab-
gebildet „Morphologie etc.“ Taf. 22. (Senckenberg. Anatomie.)
Ashantee mit Namen Aya-Kwauw 24 Jahre alt, starb 1843 im Hospital
zu Soerabaya. Geschenk des Hrn. Dr. Schmitt in Batavia. Abgebildet
„Morphologie etc.“ Taf. 22.
Schädel und Skelett eines Negers von 24 Jahren (in Sachsen
geboren). (Senckenberg. Anatomie.)
Neger. Abgebildet „Zur organischen Formenlehre“ Taf. VII. und „Mor-
phologie etc.“ Taf. 22. (Senckenberg. Anatomie.)
Neger von der Insel Martinique. Geschenk des Hrn. Hofrath Soem-
merring. (Senckenberg. Anatomie.)
Australneger vom CGlarence river. Geschenk des Hrn. Consul Kirch-
ner. (Senckenberg. Anatomie.)
Australnegerin ebendaher. Geschenk des Hrn. Consul Kirchner
(Senckenberg. Anatomie.)
XXI. 9—12. Australneger vom Clarence river. Geschenk des Hrn. Consul
Kirchner. Diese letzten sechs Schädel sind abgebildet in Lucae’s „Mor-
phologie der Rassenschädel“.
In letzter Zeit erhielt unsere Sammlung von Herrn Hauptmann Ullmann auf Su-
matra den Schädel eines Bastard-Chinesen und eines Dayaken, sowie von
unserem Mitbürger Herrn Ferdinand Knoblauch auf Neu-Caledonien fünf Schädel
von Eingebornen von Neu-Caledonien.
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd V. 7
— 50
Erklärung der Abbildungen.
Die Tafeln 13, 14, 15 und 18 enthalten die Schädelzeichnung und die Abbildungen der Leimausgüsse
von Chinesen. Alle die Schädel kommen aus Java und sind Mischlinge oder Nachkommen von Misch-
lingen (von Malaischen Frauen und echten Chinesen). Nur der Neu-Chinese soll ein in China
geborener und in Java eingewanderter Chinese sein. Nur der Chinese aus der Sammlung in Hanau
ist mit Hülfe der pag. 4 abgebildeten Maschine geometrisch gezeichnet.
Die Tafeln 16 und 17 enthalten Abbildungen deutscher Schädel. Meist von Verbrechern, über deren Lebens-
verhältnisse, Alter, Geburtsort etc. für denjenigen den es interessirt, das Nähere in der „Actenmässigen
Geschichte der Räuberbanden an den Ufern des Rheins, Erster Theil“ das Nähere zu finden ist,
Die Tafeln 19, 20, 21, geben die Durchschnitte der vorhergehenden Schädel mit den Leimausgüssen.
Tafel 22 enthält Negerschädel über welche das Nähere im vorstehenden Catalog zu sehen ist.
Die Tafel 23 enthält die geometrische Zeichnung und die Photographie der Büste unseres Anatomen Sömmer-
ring in Contour von Herrn Hasselhorst, Professor am Städelschen Kunstinstitute, auf Stein gezeichnet,
um eine genauere Vergleichung beider Zeichnungen zu ermöglichen und ihr Verhältniss zu einander, so
wie die Stellung beider zu unserer Anschauungsweise klar zu stellen.
Tafel 24 zeigt vorige geometrische Zeichnung in vollkommenster Ausführung von unserm geschätzten Künstler
Herrn Junker.
Berichtigungen.
Seite 5 Zeile 8. 9 von unten ist zu lesen: Ist das Glas nur \, vom Auge, aber %, vomBilde entferntetc.
6 Anmerk. Zeile 7 von unten ist zu lesen: wirklich wahr statt wahrhaftig mehr.
» 7 Zeile 16 von oben ist zu lesen: b Fig. 2, statt A.
AO AA aan a Taf KU ARTRE SORT:
238 u» 6%» 9% m nöthig ist, besonders wie ihn Virchow legt, so wird etc.
230255 7 „unten „ » „» eben so wenig mitihr wie mit dem grossen Nasenwinkel etc.
„29 1 „oben „ » » 86 Mm. statt 58 Mm.
u 295 Ss » » » gleich dem der orthognathen statt kürzer als bei den orthognathen.
ne 8 9 9 „ am Schluss des Satzes beizufügen: Vid. S. 28.
31 Anmerk. Zeile 4 von unten ist zu lesen: Nasenwinkel statt Sattelwinkel.
34 Zeile 16. 17 von oben ist zu lesen: 20 bis 24 Mm. statt 28 und 30 Mm.
„» 34 „ 18 von oben ist zu lesen: 26 bis 30 Mm. statt 20 bis 24 Mm.
neh m ” » » »» » Inder Entwickelung statt geringeren oder stärkeren Entwickelung
36 Anmerk. Zeile 3. 4. 5 von unten ist zu lesen: mit ihrer unteren Fläche nach vorn gerichtet.
Nur bei Stemmatopus, bei Phoca barbata und dem Wallross hat der vorderste Theil
des Plan. sphenoidale an dieser Erhebung Antheil genommen.
» 39 Anmerk. Zeile 6 von unten ist zu lesen: aphanismo,
„ 40 es „ 4. 5. 6 von unten ist zu lesen: Bünger statt Bürger.
”
Weitere Beobachtungen über die Wirbel der Selachier,
insbesondere über die Wirbel der Lamnoidei, nebst allgemeinen
Bemerkungen über die Bildung der Wirbel der Plagiostomen.
Von
A. Kölliker.
Tafel XIII bis XVII
Seit meinen ersten Mittheilungen über die Wirbel der Selachier (Würzb. Verh.
Bd. X) habe ich Gelegenheit gehabt, eine Reihe neuer Gattungen zu untersuchen,
sowie meine ersten Beobachtungen zu vervollständigen, so dass mir jetzt ein Material
zu Gebote steht, welches noch mehr als früher gestattet, das Planmässige im Baue der
Wirbelsäule dieser Thiere zu überschauen.
I. Thatsächliches.
Ich zähle der Reihe nach die einzelnen Gatlungen auf, über welche ich Neues
zu berichten habe.
1. Hexanchus.
In meiner ersten Mittheilung findet sich gestützt auf die Untersuchung der Wirbel-
säule von Heptanchus die Vermulhung ausgesprochen, dass auch bei Hexanchus die
Schwanzwirbelsäule besser verknöchert sein werde als der vordere, bis jetzt allein
bekannte Theil der Wirbelsäule. Die Untersuchung zweier von meinem Freunde
de Filippi in Turin erhaltenen Schwanzwirbelsäulen der genannten Gattung hat jedoch
diese Vermuthung nicht bestätigt, indem sich auch hier keine Spur von Kalkablagerungen
zeigte. Meinen früheren Bemerkungen habe ich beizufügen: 1) dass am Schwanze die
Reste der Elastica externa ringsherum deutlich und zum Theil in Gestalt einer elastischen
Neizmembran ganz gut erhalten sind, 2) dass die von der eigentlichen Chordascheide
abstammenden Scheidewände, die die Wirbelabtheilungen bezeichnen, hier viel dicker
sind als vorn, dafür aber auch sehr wenig über die innere Oberfläche der Scheide vor-
treten, und die Chorda selbst nur wenig einschnüren und 3) dass die eigentliche Chorda-
2x
‘
He —
scheide stellenweise, namentlich innen, in der Gegend der Scheidewände an der Grenze
der Elastica interna und an den an die Bogen anstossenden Stellen in hyalinen Knorpel
umgewandelt ist.
2. Cestracion Philippü.
Von diesem Haien standen mir nur Schwanzwirbel zu Gebote, die ich der Gefällig-
keit meines Collegen Leiblein verdanke. Dieselben zeigen wesentlich den Typus
derer von Heptanchus. Der Wirbelkörper besteht aus einem hohlen Doppelkegel,
der innen Faserknochen, aussen Knorpelknochen zeigt und an seiner äusseren Seite
8 niedrige Kanten trägt, so dass der senkrechte Innenschnitt das Bild eines Sternes
gibt. An der Querseite des Doppelkegels liegt im Centrum des Wirbels ächter hyaliner
Knorpel, der die eigentliche Chorda bis auf eine unkenntliche Spur verdrängt, und
ebenso wird die Aussenseite des knöchernen Wirbels von hyalinem Knorpel umgeben,
der dann unmittelbar in den der Bogen sich fortzusetzen scheint. Die sehr deutlichen
Reste der ursprünglichen Elastica externa der Chordascheide zeigen jedoch bestimmt
an, dass das Meiste dieses Knorpels der ursprünglichen Chorda angehört. Von diesen
Resten der Elastica externa will ich noch bemerken, dass dieselben hier wie bei allen
andern ausgebildeten Selachiern, wo sie noch kenntlich sind, nicht einfach in einer Kreis-
linie angeordnet sich zeigen, vielmehr eher eine Art rautenförmiger Figur begrenzen,
indem sie oben und unten, rechts und links wie Flügel oder warzenförmig vortreten,
in welchen Gegenden die innen an dieselben angrenzenden Theile der Chordascheide
auch häufig ganz homogen erscheinen. Die Bogen vereinen sich auf das Genaueste
mit dem chordalen Wirbelkörper,, lassen denselben jedoch seitlich, da wo die Elastica
vorspringt, unbedeckt. Eine leichte Knorpelverkalkung, die seitlich an jedem Wirbel-
körper ihre Lage hat, liegt zum Theil oberflächlich in dem von den Bogen abstammen-
den Knorpel, zum Theil innen an dem vortretenden Theile der Elastica externa und
gehört somit dem chordalen Wirbelkörper an, doch ist die letztere Verkalkung schwach
und ziemlich in einem Niveau mit der den Bogentheilen angehörenden.
3. Spinax niger.
Die Wirbel dieser Gattung stimmen fast auf ein Haar mit den früher von mir
beschriebenen von Acanthias überein, nur dass der von den Bogen abstammende Knorpel-
beleg an den Seiten der Wirbelkörper äusserst dünn ist. Reste der Elaslica externa
sind auch hier vorhanden und bezeichnen die Grenze der eigentlichen chordalen Wirbel-
ee. 55 =
körper, doch sind dieselben äusserst spärlich und klein und nur für den mit diesen
Verhältnissen ganz Vertrauten zu erkennen. Im Centrum des Wirbels ist die Chorda
selbst auch hier bis auf einen ganz kleinen undeutlichen Rest verdrängt.
4. Lomargus borealis.
Diese Gattung, die ich wie die vorhergehende van Beneden verdanke, schliesst
sich ebenfalls an Acanthias an. Die Bogen bilden seitlich an den Wirbelkörpern einen
deutlichen nicht verkalkten Knorpelbeleg. Die Elastica externa ist ringsherum äusserst
deutlich, springt aber nur oben und unten gegen den Nerven- und Gefässkanal warzen-
förmig vor. Die Chorda ist auch im Centrum des Wirbels ziemlich gut erhalten und
zeigt allerwärts einen mittleren derberen bandförmigen Streifen vom Aussehen einer
senkrechten Scheidewand, der nur aus abgeplatteten Chordazellen besteht.
5. Ginglymostoma.
Für die richtige Auffassung der sonderbar gebauten Wirbel dieser Gattung der
Sceyllien verweise ich auf Fig. 1. Die einfacheren Schwanzwirbel zeigen fol-
sende Verhältnisse. Der chordale Wirbelkörper besteht aus einem wie gewöhnlich
beschaffenen Doppelkegel mit 7 äusseren kleinen Kanten, von denen 2 oben, je 2 seit-
lich und eine unten stehen. Umgeben wird dieses Centrum des Wirbels zunächst von
Knorpel und dann folgen äussere Ossificalionen, die in vier Hauplgruppen rechts und links
oben und unten vertheilt sind. Die seitlichen bestehen aus je zwei an den Enden der
Wirbel unter sich und mit dem innern Doppelkegel verschmelzenden Massen, die zum Theil
aus Knorpelknochen, zum Theil aus Faserknochen bestehen und nach aussen und
zwischen sich ächten Faserknorpel mit starken radären Fasern zeigen. Die obere Ossi-
ficalion ist in der Mitte der Wirbel doppelt, an den Enden durch eine Querbrücke ver-
schmolzen, enthält zwischen ihren Theilstücken hyalinen Knorpel, zeigt jedoch an der
äusseren Fläche ebenfalls Faserknorpel. Aehnlich verhält sich auch die untere Ossifi-
cation, nur dass diese nirgends aus gelrennten Stücken besteht. In den von den Bogen
aus zwischen die vier äusseren Ossificationsmassen eindringenden Knorpelmassen finden
sich einzelne Blutgefässe.
Die vorderen Wirbel von Ginglymostoma sind verwickelter gebaut als die des
Schwanzes. Zwar sind die äusseren Kanten des chordalen Doppelkegels hier so zu
sagen nur angedeulet, dafür sind aber die äusseren Ossificationen verwickelter gebaut,
wie am besten aus der Fig. 2 hervorgeht. Verglichen mit den hinteren Wirbeln fällt
Pa
besonders die grosse Entwickelung der unteren Ossification auf, sowie das Vorkommen
von seitlichen Verbindungen der Strahlen dieser Knochenmassen, so dass der ganze
Wirbelkörper, ähnlich wie bei gewissen Lamnoidei, aussen und innen wie eine andere
Schichtung zeigt.
Bezüglich auf die Deutung und Entwickelung dieser sonderbaren Wirbel ist es mir
nicht gelungen ein bestimmtes Ergebniss zu erhalten, und bin ich nicht im Stande mit
Sicherheit anzugeben, wie viel von dehselben auf Rechnung der Chordascheide, wie viel
auf die periostale Anlagerungen kommt, indem es mir nicht geglückt ist, sichere Spuren
der Elastica externa zu finden. Der Umstand, dass die äusseren vier keilförmigen Mas-
sen innen aus Knorpelknochen, aussen aus verkalktem Faserknorpel bestehen, könnte zur
Vermuthung führen, dass die innern Theile derselben von Verkalkungen der Chorda-
scheide selbst herrühren, mit denen dann noch äussere Ablagerungen sich verbinden.
Da jedoch bei den andern Scyllien bei ähnlichem Baue der äussern verkalkten keil-
förmigen Massen die Elastica interna nach innen auch von den aus Knorpelknochen
bestehenden Theilen derselben sich nachweisen lässt, so möchte es das Gerathenste sein,
für einmal auch bei Ginglymostoma die Verhältnisse in diesem Sinne aufzufassen. Er-
wähnenswerth ist noch das Verhalten der Chorda. In den Aushöhlungen zwischen
zwei Wirbeln fehlt die Chorda ganz und ist durch Flüssigkeit ersetzt, dagegen ist die
Elastica interna deutlich erhalten und kleidet die vertieften Endflächen der Wirbelkörper
aus, so jedoch, dass zwischen der genannten Haut und dem knöchernen Wirbel eine
ziemlich mächtige Lage eines faserigen Gewebes seine Lage hat, das vom innersten
Theile der ursprünglichen Faserlage der äussern Chordascheide abstammt. Zwischen
den Rändern je zweier Wirbel [bildet dieses Gewebe, das zwischen Bindegewebe und
Faserknorpel so ziemlich die Mitte hält, ein Ligamentum intervertebrale, ausserdem
besorgt dasselbe aber auch das Dickenwachsthum der Doppelkegel an ihrer concaven
Fläche, sowie die Ausdehnung derselben an ihren freien Rändern, ohne irgendwo die
Natur von ächtem Knorpel anzunehmen als in der Nähe der mittleren Oeflnung der
Wirbelkörper und in dieser selbst. Hier jedoch ist der bei allen Plagiostomen ursprüng-
lich an dieser Stelle sich findende Knorpel so entwickelt, dass er die Chorda vollkom-
men verdrängt hat und, statt einer die Chorda enthaltenden Lücke wie bei andern
Gattungen, ein zusammenhängender Knorpelcylinder gefunden wird, der in seiner Mitte
einen dünnen, aus der Elastica interna gebildeten Strang enthält.
en
6. Centroscyllium Fabricü.
Der Gefälligkeit meines Collegen Heinrich Müller verdanke ich es, dass ich einige
Schwanzwirbel dieser seltenen Gattung untersuchen konnte. Dieselben stimmen im
Baue in allen wesentlichen Verhältnissen mit den von mir schon an einem andern Orte
(Würzb. Verh. Bd. X.) beschriebenen von Acanthias vulgaris überein und habe ich
nur zweierlei hervorzuheben. Erstens war an dem grossen mir vorliegenden Exem-
plare die Elastica externa nur noch da und dort in schwachen Spuren zu erkennen,
immerhin so dass sich sehen liess, dass die Wirbelkörper eine zarte Belegung
von den knorpeligen Bogen besitzen und dass die oberflächliche Verkalkung derselben
diesem der Chordascheide fremden Knorpel angehört. Zweitens war die Chorda selbst
nur in der Mitte der Wirbel nach innen von einem auch hier befindlichen Knorpel
erhalten, fehlte dagegen in den Aushöhlungen der Doppelkegel fast ganz und war
hier durch Flüssigkeit vertreten. Eine Einschnürung der Chorda genau in der Mitte
des Wirbels war auch hier da, doch ging dieselbe nicht bis zur gänzlichen Ver-
drängung der Chordazellen wie bei Ginglymostoma.
7. Rhinobalus granulalus.
Die Wirbel dieser Gattung stimmen fast ganz mit den von mir früher untersuchten
eines kleinen Individuums von Myliobates überein. Der chordale Wirbelkörper ist von
aussen betrachtet cylindrisch und zeigt sich fast die ganze Chordascheide verkalkt mit Aus-
nahme eines dünnen Saumes, der in den Gegenden wo die Bogen aufsitzen knorpelig
ist, an den übrigen Stellen mehr faserknorpelig erscheint. An diesen Orten so wie
je zwischen zwei Wirbeln hat auch die Chordascheide eine scharfe Begrenzung, ohne
dass eine Elastica externa mit Bestimmtheit sichtbar wird, an den Abgangsstellen der
Bogen dagegen sind die beiderlei Knorpel ohne Abgrenzung verschmolzen.
Auf Durchschnitten erkennt man, dass die Wirbelkörper wie gewöhnlich zwei
konische Endfacetten besitzen und in der Mitte am dicksten sind. Hier findet sich
die gewöhnliche innere Knorpellage und ist die Chorda fast ganz verdrängt, in den
Facetten dagegen erkennt man hübsches grosszelliges Chordagewebe, von dem ich
jedoch nicht sagen kann, ob es den ganzen Raum zwischen zwei Wirbeln erfüllt.
Am verschmolzenen vorderen Ende der Wirbelsäule, da wo die Wirbelkörper
enden und das Ganze scheinbar nur von den verschmolzenen Bogen gebildet wird,
lässt sich hier schöner als bei irgend einer andern Gattung der Rajidae nachweisen,
dass die Chorda noch einen nicht unwesentlichen Antheil an der Bildung desselben
hat. In der ganzen Länge dieses Stückes nämlich bis zum allervordersten Zapfen
zwischen den zwei Gelenkflächen zur Verbindung mit dem Schädel findet sich in der
Fortsetzung der Wirbelkörpersäule ein mittlerer feiner Knorpelstrang, der durch die
concentrische Stellung seiner Elemente, obschon eine Elastica externa nicht zu sehen ist,
ganz bestimmt als eine Fortsetzung der Chordascheide sich kund gibt und auch durch
Schnitte in der Gegend, wo die Wirbelkörper aufhören, bestimmt als solche nachgewiessen
werden kann. In der Mitte dieses Streifens. der ganz hinten selbst noch Kalkabla-
gerungen ohne Regelmässigkeit zeigt, findet sich ein Chordarest von einem hellen
Saume begrenzt und krümelig verkalkt.
Das vorderste Ende dieses von der Chordascheide abstammenden Knorpels nimmt
nur noch eine excentrische Stellung an, während er weiter hinten genau in der Mitte
liegt, so jedoch dass er die ganze Breite der Knorpelplatte einnimmt, die die Stelle
der Wirbelkörper vertritt, und an die oberflächlichen Krusten derselben angrenzt.
Endlich liegt der chordale Knorpel nur noch der oberen Kruste an und wird von
der unteren durch eine etwa seiner halben Breite gleichkommende Knorpelmasse
geschieden. So tritt der Strang auch in den vorderen Endzapfen der Wirbelsäule
ein und scheint an dessen Ende sich zu verlieren. Wenigstens ist es mir nicht
möglich gewesen, denselben in die Schädelbasis zu verfolgen oder in dieser aufzu-
finden und eben so wenig habe ich einen Uebergang desselben in das innere Periost
der Schädelbasis wahrgenommen.
8. Taeniura Iymna. M. H.
Die Wirbel dieser Gattung stimmen in Allem mit denen von Rhinobatus überein
und ist die einzige Abweichung, die ich namhaft zu machen habe, die, dass der chor-
dale Strang im vordersten verschmolzenen Ende der Wirbelsäule hier verkümmert ist
und genau die Verhältnisse zeigt, die ich an einem andern Orte geschildert habe.
9. Lamna cornubica.
Ueber die merkwürdigen Wirbel dieser Gattung liegen bis jetzt nur einige spär-
liche Angaben von J. Müller vor (Agassiz, Poissons foss. II. pag. 363— 365), denen-
zufolge dieselben in ihrem ganzen Umkreise viele von Knorpel erfüllte Spalten dar-
bieten, während das ganze übrige Knochen sei. Mir lagen zur Untersuchung nur
einige mittlere Wirbel einer getrockneten Wirbelsäule vor, die jedoch nach dem
Aufweichen ihren Bau ziemlich genau verfolgen liessen. Dieselben (Fig. III.) bestehen
vor Allem aus einem starken kurzen Doppelkegel von Faserknochen von demselben
Baue wie bei dem Nictitantes (S. m. Abh. in Würzb. Verh. X). In der äusseren Aus-
höhlung dieses eigentlichen Wirbelkörpers (a) befinden sich an der angegebenen
Stelle der Wirbelsäule 12 schmale Knochenblätter (b b’ b’‘) ebenfalls von Faserknochen,
die wie die Speichen eines Rades, von der Aussenfläche des Doppelkegels, mit
der sie innig verschmolzen sind, zur Oberfläche des gesammten Wirbelkörpers reichen.
Zwei von diesen (b) gehen nach oben und enden innen nach der Grundfläche der
Knorpelbogen c, zwei stärker auseinanderweichende (b’) erstrecken sich in derselben
Weise nach unten und je vier stehen in ziemlich regelmässigen Abständen seitlich
zwischen den obern und untern Bogen einer Seite. Von den zwölf kegelförmigen
Fächern zwischen diesen Blättern sind die vier, die den Abgangsstellen der Bogen
entsprechen (dd) mit ächtem Knorpel gefüllt, der bis zum innern Doppelkegel dringt
und in derselben Weise, wie bei den Nictitantes, ein inneres Knorpelkreuz darstellt.
Die übrigen Fächer dagegen (ee) d. h. der obere mittlere, der untere mittlere, und
die drei an jeder Seite, enthalten Zapfen von einem verkalkten Faserknorpel, der
ganz dem der Nictitantes entspricht.
Diese Schilderung passt nun übrigens nur für die mittleren Theile der genannten
Wirbel. An den Enden derselben finden sich statt der zwölf, je 18 Blätter, welche
Zahl dadurch entsteht, dass hier sechs von den zwölf beschriebenen Blättern, nämlich
die seitlichen oberen, die seitlichen unteren, und die unteren mittleren, je in zwei
Blätter sich spalten und so gespalten an die Ränder des innern Doppelkegels sich
ansetzen. Dadurch entstehen natürlich auch sechs besondere kleinere Fächer, so dass
die Gesammtzahl dieser hier auch auf 18 steigt und in diesen finden sich ebenfalls
besondere kleine Keile von verkalktem Faserknorpel. An den unteren Hauptblättern
finden sich selbst Andeutungen einer Spaltung in drei Endblätter, Verhältnisse, die in
den von Agassiz nach J. Müller abgebildeten Wirbeln (1. ec. Tab. 40 b Fig. 12 und
besonders Fig. 13) in noch höherem Grade aber auch so verwickelt ausgeprägt sind,
dass das Gesetzmässige der ganzen Bildung nicht leicht zu erkennen ist.
An die vertieften Endflächen der Doppelkegel grenzt zunächst eine mächtige
Lage von Faserknorpel, dann folgt eine schöne Elastica interna und statt der Chorda
ein leerer Raum, der wohl auch hier mit Flüssigkeit gefüllt war, wie bei den Nicti-
tantes. Auch im Centrum des Doppelkegels ist von der Chorda nichts mehr zu sehen
und findet sich an ihrer Stelle eine dünne scheibenförmige Lage von Knorpelknochen.
Abhandl. d. Senckenb. naturf, Ges. Bd. V. te)
—. 58
Der feinere Bau und die Bedeutung aller dieser Theile ist folgende. Von dem
eigentlichen Doppelkegel habe ich nichts weiter zu bemerken, indem derselbe ganz
nach dem Typus derer der Nictitantes gebaut ist, nur dass die Knorpelkapseln ausge-
zeichnet gross sind und oft so dicht stehen, dass der Anschein grösserer reihenförmiger
Lücken entsteht. Die mittlere dünne Verknöcherung dieses Doppelkegels zeigt sehr
eigenthümliche, verschieden grosse, buchtige und zum Theil ineinander geöffnete Höhlen
und ist, obschon die Stelle der Chorda einnehmend, doch sicher nicht ein Produet
dieser, sondern der inneren Knorpellage der äusseren Chordascheide, die bei anderen
Plagiostomen zwischen der Chorda und dem Doppelkegel ihre Lage hat, die wuchernd
die Chorda verdrängte und dann verkalkte. In der That sieht man auch nach dem
Ausziehen der Kalksalze in diesem Septum noch ziemlich erkennbare Reste der Elastica
interna genau in der Mitte, jedoch keine Spur von Chordazellen. Dass die genannten
zwei Theile aus einer Verknöcherung der knorpeligen Chordascheide hervorgingen ist klar,
eben so sicher ist aber auch, dass die äussern Keile von verkalktem Faserknorpel Periost-
ablagerungen sind und der äusseren scelettbildenden Lage ihren Ursprung verdanken.
Das Gewebe dieser Keile ist ähnlich dem der vier äussern Keile der Nictitantes, jedoch
weniger verkalkt und daher weicher. Auch ist die Grundsubstanz hier mehr wie in
einem Netzknorpel beschaffen und wie die minder verkalkten Theile lehren, äusserst
zierlich aus feinen nach allen Richtungen sich verflechtenden und verbundenen Fäserchen
gebildet, zwischen denen viele grosse rundliche, oft in senkrechten Reihen stehende,
ziemlich dickwandige Kapseln sich finden. Besondere senkrechte Fasern fehlen auch
nicht, nur sind dieselben minder stark als bei den Nictitantes und ebenso sind von
aussen eindringende starke Blutgefässe da. Alle diese Theile von verkalktem Faser-
knorpel haben ihren Bildungspunkt in einer bis /,‘” mächtigen dunkleren Lage von
Faserknorpel, welche die Wirbel äusserlich vollkommen bekleidet mit einziger Aus-
nahme der Stellen, wo die knorpeligen Bogen abgehen. Bemerken will ich übrigens
noch, dass an meinen Wirbeln manche dieser Keile auch nach dem Aufweichen ihre
Fächer nicht ganz erfüllten, sowie dass an den trockenen Wirbeln diese Keile fast
ganz geschrumpft und ihre Fächer zwischen den Blättern scheinbar leer waren, was
alle die berücksichtigen mögen, die trockene Lamnawirbel untersuchen. Nach allem,
was ich gesehen habe, muss ich glauben, dass diese Keile in frischen Wirbeln ihre
Fächer ganz erfüllen, doch können allerdings über das abfällige Vorkoinmen von Lücken
in denselben nur Untersuchungen frischer Thiere ganz sichern Aufschluss geben.
Sind mir über die Entwickelung dieser Keile keine Zweifel geblieben, so kann
u
ich von den 12—18 speichenartigen Blättern nicht dasselbe sagen. Dieselben bestehen
aus einem stark verkalkten Faserknorpel mit sehr zahlreichen, grossen, dickwandigen,
und in ihren Wandungen ebenfalls verkalkten Knorpelkapseln. Eine Faserung in der
Richtung der Dicke ist an diesen Blättern deutlich, ebenso eine Schichtung in der
Richtung von innen nach aussen, so dass dieselben von der Fläche parallel streifig
erscheinen, und auf Schnitten senkrecht auf ihre Flächen und in der Längsrichtung der
Wirbelsäule erkennt man, dass ihre Zellen vielfältige Verbindungen durch schmälere
und breitere Ausläufer eingehen. Innen und vorn und hinten, wo diese Blätter an
die Aussenfläche des innern Doppelkegels angrenzen, scheinen beide innig verschmolzen,
allein mit dem Mikroskope unterscheidet man doch nicht blos einen verschiedenen
Faserverlauf, sondern auch eine Verschiedenheit in der Menge und Gestalt der Zellen.
Die Blätter, die an das Knorpelkreuz angrenzen, sind meist ziemlich scharf vom Knorpel
getrennt, hie und da findet sich jedoch hier eine dünne Lage von Faserknorpel, die
dann unmerklich in den Knorpel übergeht. An den Seiten, die an die Keile von ver-
kalktem Faserknorpel angrenzen, haben diese und alle andern Blätter eine deutliche
Schicht von Faserknorpel, die einerseits bestimmt in ihr Gewebe, anderseits in das der
Keile selbst sich fortsetzt. An ihren freien Rändern endlich sind die Blätter von der
hier allerdings sehr dünnen Lage von Faserknorpel bekleidet, welche, wie oben schon
erwähnt, auch die Keile des weicheren verkalkten Faserknorpels überzieht und die
Wirbel äusserlich umgibt und zeigt dieses Gewebe auch Uebergänge in dasjenige der
Blätter. Allem zufolge scheint es mir, dass auch die fraglichen Blätter periostale
Bildungen sind und dass sie zusammen mit den weicheren Keilen den vier Keilen der
Nictitantes entsprechen, für welche Auffassung auch die Verhältnisse der andern noch
zu beschreibenden Lamnoidei sprechen.
10. Oxyrhina gomphodon.
Die Wirbelsäule dieser noch nicht untersuchten Gattung der Lamnoidei, von welcher
mir nur ein Theil derjenigen des Schwanzes zur Untersuchung zu Gebote stand, zeigt
folgenden gröberen Bau (Fig. IV). Wie bei vielen Haien sind die Wirbelkörper und
Wirbelbogen ganz von einander getrennt und umfassen die letzteren die Körper seitlich
nicht. Die unteren Bogen 5 entsprechen in ihrer Zahl den Körpern genau, ragen jeder
mit zwei Knorpelzapfen tief in die Wirbelkörper hinein und bilden dann einen einfachen
unteren Dorn, der ebenso wie ein Theil des Bogens selbst eine Kruste von dem
gewöhnlichen Knorpelknochen der Selachier besitzt. Viel verwickelter ist der Bau der
8*
we A
oberen Bogen. Dieselben bestehen 1) aus den eigentlichen Bogen ce, die an
Zahl den Wirbelkörpern entsprechen, jeder mit zwei Knorpelzapfen in denselben ein-
dringen und über dem Rückenmark den Kanal für dasselbe schliessen; 2) aus Schalt-
stücken d, die, immer zwischen zwei Bogen gelegen, den Ligamenta intervertebralia
und Wirbelkörperrändern nur aufliegen und ebenfalls das Rückenmark bogenförmig
umfassen; 3) aus besonderen Dornfortsätzen e, deren Zahl derjenigen der eigent-
lichen Bogen und Wirbelkörper nahezu gleich kommt, dieselbe aber doch nicht ganz
erreicht und deren Anordnung somit. um so mehr als auch ihre Breite sehr wech-
selnd ist, keinerlei Regelmässigkeit zeigt. An dem untersuchten Stücke der Wirbel-
säule zeigten übrigens die oberen Bogen der fünf letzten Wirbel keine Schaltstücke
und scheint somit das letzte Ende der Wirbelsäule dieser Einrichtung zu ermangeln.
Verknöcherungen in Gestalt oberflächlicher Krusten fanden sich nur an den Bogen und
Schaltstücken der letzten Wirbel, an den übrigen und an den oberen Bogen nicht.
Bemerkenswerth sind die Verhältnisse der Intervertebrallöcher für Gefässe und Nerven
an den Bogen. Die Gefässöfinungen entsprechen genau der Zahl der Wirbelkörper
und finden sich je zwischen zwei Bogen. doch so dass sie manchmal ganz von der
Substanz eines Bogens umschlossen sind. Die Nervenöffnungen dagegen zeigen in so
fern Eigenthümliches, als sie einmal in der Mitte der eigentlichen oberen Bogen liegen
und zweitens im hinteren Theile der Wirbelsäule nicht mehr in derselben Zahl wie
die Wirbelkörper vorkommen, sondern immer einen Wirbel überspringen. Dies erinnert
an von mir bei Heptanchus gefundene Verhältnisse (Würzb. Verh. Bd. X). bei welchem
Haien vorn und hinten die Zahl der Wirbelkörper das doppelte von derjenigen der
Rückenmarksnerven (und auch der Bogen) beträgt, was dort mit Wahrscheinlichkeit
aus einer secundären Verdoppelung der ursprünglichen Wirbelkörper erklärt wurde.
Die Wirbelkörper am Ox yrhina sind wesentlich nach dem Typus derer von
Lamna gebaut. Ein jeder Wirbel besteht zunächst aus einem centralen Doppelkegel
von Faserknochen von demselben Baue, wie bei den Nictitantes und bei Lamna. Genau
im Centrum dieses Doppelkegels liegt eine hellere Masse schwach verkalkten Knorpeis,
in dessen Mitte ein ganz verkümmerter Rest der eigentlichen Chorda sich findet, dagegen
ist an den concaven Endflächen desselben die Chorda ganz verschwunden und ihre
Stelle wie bei manchen andern Selachiern von Flüssigkeit eingenommen. Wie ge-
wöhnlich wird der dieses Fluidum enthaltende, zwischen je zwei Wirbeln gelegene
Raum auch hier von der Elastica interna der früheren Chorda bekleidet. welche
durch eine dünne Lage von Bindegewebe mit den Endflächen der Wirbel selbst ver-
a > 3
bunden ist. An der Aussenseite eines jeden Doppelkegels sitzen an den Abgangs-
stellen der Bogen vier Knorpelzapfen und zwischen denselben vier eigenthümlich
beschaffene keilförmige Massen, die den periostalen Keilen der Niclitantes entsprechen,
jedoch keinen gleichförmigen Bau besitzen, sondern ähnlich wie bei Lamna aus ver-
schiedenen Substanzen und zwar hier aus weichem und aus verkalktem Faserknorpel
bestehen. Die seitlichen von diesen Massen bestehen jede aus 5—”7 knöchernen
Speichen, die von dem centralen Doppelkegel aus bis an die Oberfläche des Wirbels
sich erstrecken und auf dem senkrechten Querschnitte (Fig. V) die Form von Strahlen
besitzen, die am äussern Ende verbreitert und auch wohl gabelig gespalten sind.
Eigenthümlich ist, dass diese Speichen in der Nähe ihres Ausgangspunktes vom
centralen Doppelkegel theils ganz verschmolzen, theils durch quere Blättchen und
Bälkchen untereinander verbunden sind. welche, wenn sie deutlicher ausgeprägt sich
zeigen, concentrisch angeordnet sind und der Oberfläche des Querschnittes parallel
verlaufen. In den Zwischenräumen zwischen diesen Speichen liegt überall eine
weichere faserknorpelige Masse, die im Wesentlichen so gebaut ist wie bei Lamna,
namentlich auch schöne und zahlreiche radiäre Fasern enthält. Dass dieser Faser-
knorpel und auch die knöchernen Blätter vom Perioste aus sich bilden, ist bei
Oxyrhina leicht zu sehen, denn es gehen dieselben nach aussen ganz allmälich in ein
weiches Bindegewebe mit senkrechten Fasern und Zellenreihen zwischen denselben
über in derselben Weise, wie dies bei den Nictitantes wahrzunehmen ist. Erwähnens-
werth ist, dass auch hier vom Perioste aus zahlreiche Blutgefässe in den Wirbelkörper
eindringen, welche in den weichen Theilen der periostalen Keile bis an den centralen
Doppelkegel herandringen, ohne jedoch auch in diesen einzutreten.
Aehnliche nur schmälere periostale Keile, von denen jeder zwei theilweise ver-
schmolzene knöcherne Speichen und faserknorpelige Ausfüllungsmasse zwischen den-
selben enthält, finden sich nun auch oben und unten zwischen den Knorpelzapfen.
Ausserdem ist zu bemerken, dass auch die letzteren Zapfen theilweise verkalkt sind
und aus Knorpelknochen bestehen. Besonders gilt dies von denen der unteren Bogen,
welche an ihren vordern und hintern Theilen vollkommen ossifieirt sind, weniger
von den oberen, bei denen die Verkalkung unvollkommener ist. Alle Knorpelkeile
sind übrigens auch in ihren Seitentheilen, da wo sie an die betreffenden periostalen
Knochenspeichen angrenzen, theilweise verkalkt und mit diesen verschmolzen.
11. Odontaspis taurus.
Auch von dieser noch nicht untersuchten Gattung stand mir nur ein kleines
Bruchstück der Schwanzwirbelsäule zu Gebote, das ich der Güte des Herrn August
Dumeril in Paris verdanke, der es aus einem im Pariser Museum aufbewahrten
getrockneten Exemplare entnehmen liess. Soweit dieses Bruchstück, das in der Fig. VI
abgebildet ist, es erkennen liess, stimmt der Bau der Wirbelsäule in allem mit Oxy-
rhina überein und ragen auch hier die obern und untern Bogen, die unter sich nicht
zusammenhängen, mit Knorpelzapfen in Gruben der Wirbelkörper hinein. Die unteren
Bogen b sind einfach mit Gefässlöchern, die an Zahl den Wirbeln entsprechen, die
obern Bogen ce dagegen besitzen auch hier Schaltknorpel e und stehen die Nervenlöcher
so, dass sie immer einen Wirbel überspringen. Mit Ausnahme spärlicher Verkalkungen,
wie bei b, sind alle Bogen rein knorpelig.
Die Wirbelkörper stimmen im gröberen Baue fast in Allem mit denen von Oxyrhina
überein und weichen nur dadurch ab. dass die seitlichen periostalen Keile nur aus je
vier Speichen oder Blättern von verkalkten Faserknorpel und drei zwischen denselben
befindlichen Massen von Faserknorpel bestehen. Die zwei mittleren Speichen stehen
an den kleineren Schwanzwirbeln sehr nahe beisammen, bei den grössten dagegen,
die ich zur Untersuchung hatte, von 15 Mm. Höhe, waren die vier Speichen einer
Seite gleichweit von einander entfernt und die faserknorpeligen Keile zwischen den-
selben gleich gross. An den grösseren Wirbeln waren auch die Knochenspeichen an
der Oberfläche der Wirbel jede in zwei Blätter gespalten und die kleinen Lücken
zwischen diesen nochmals mit Faserknorpel ausgefüllt und an den kleineren Wirbeln
fand sich eine solche Spaltung wenigstens an den vorderen und hinteren Enden der
Speichen. Abweichend von Oxyrhina ist, dass bei Odontaspis die innern Theile der
Speichen gar nicht oder doch nur sehr unbedeutend zusammenhängen. Die oberen
und unteren periostalen Keile verhalten sich wie bei Oxyrhina und ebenso alle übrigen
gröberen Verhältnisse mit einziger Ausnahme dessen, dass die von den Bogen abstam-
menden Knorpelzapfen nirgends verkalkt sind.
Wie im gröberen Baue so stimmen auch die feineren Verhältnisse bei beiden
Gattungen überein und habe ich nur den Mangel an Blutgefässen in den Wirbeln am
Odontaspis zu erwähnen.
=, 408 =
12. Carcharodon Rondeletii.
Ein Fragment der Schwanzwirbelsäule eines Exemplares eines Haien, den J.
Müller selbst seiner Zeit als Carcharodon bestimmte, kommt in der Anlage der Theile
ganz mit Odontaspis überein, wesbalb ich nur die Abweichungen namhaft mache. Die
eigentlichen obern Bogen und die Schaltstücke haben ziemlich dieselbe Gestalt und
umschliessen den Kanal für das Rückenmark nicht vollständig, vielmehr wird derselbe
erst durch die oberen Dornen, die besondere Stücke darstellen, deren Zahl geringer
ist als die der Wirbel, ganz geschlossen. Beiderlei Stücke der oberen Bogen ferner
sind in ihrer oberen Hälfte durch und durch verkalkt, und ebenso haben die untern
Bogen und Dornen so wie die oberen Dornen eine Kruste von Knorpelknochen, die
ziemlich vollständig ist. Gefäss- und Nervenöffnungen waren an meinem Stücke nicht
allerwärts so deutlich, dass ich etwas Bestimmtes über dieselben auszusagen im Stande
wäre, doch glaube ich so viel erkannt zu haben, dass stellenweise die Zahl der Nerven-
ölfnungen das Doppelte von derjenigen der Wirbel beträgt, indem dieselben je zwischen
einem obern Bogen und einem Schaltstücke sich finden. Doch ist es gedenkbar, dass
nicht alle diese Oeflnungen für den Durchtritt von Nerven bestimmt sind.
Die Wirbelkörper an Carcharodon untersuchte ich theils an dem eben be-
schriebenen Stücke, theils an einigen isolirten Stücken, die ich durch die Güte des
Herrn Dumeril aus dem Pariser Museum erhielt. Die letzteren von 22 Mm. in der
Höhe zeigen den Typus derer der Lamnoidei, sind jedoch die zusammengesetztesten
der beschriebenen. Die seitlichen periostalen Keile bestehen aus einer grösseren (9—12)
Zahl von Speichen oder Blättern von verkalktem Faserknorpel, zwischen denen nur
enge mit Faserknorpel erfüllte Lücken sich finden, ja es hängen diese Blätter durch
Anastomosen in der Querrichtung zum Theil so untereinander zusammen, dass stellen-
weise fast ganz compacte Knochenmassen entstehen. An der Oberfläche der Wirbel
finden sich solche Verbindungen vorzüglich an den an die Bogen angrenzenden Stellen
der seitlichen Keile, ausserdem aber auch im Innern. Hier ist besonders eine Stelle
ungefähr halbwegs zwischen der Oberfläche und dem innern Doppelkegel bemerkens-
werth, wo diese Verbindungen rings herum an allen vier periostalen Keilen sich finden
und wie eine besondere ringförmige Zone darstellen. Einwärts von dieser Zone sind
die Blätter zum Theil zu grossen Massen mit einander verschmolzen, nach aussen mehr
getrennt. Die oberen periostalen Keile gegen den Rückenmarkskanal zu bestehen aus
zwei Knochenblättern mit einem dazwischen liegenden Faserknorpelkeil, die unteren
Be ,
dagegen aus vier Blättern, von denen jedoch je zwei durch zahlreiche Anastomosen
so zusammenhängen, dass an der Oberfläche an der Stelle derselben nur je Eine mit
vielen Löchern versehene Knochenmasse zum Vorschein kommt. Diese Löcher führen
in mit Faserknorpel erfüllte kanalartige Räume, die zusammen Einem der gewöhnlich
zwischen solchen Blättern enthaltenen grösseren Raume, z. B. bei Lamna, entsprechen.
Ein einziger mittlerer solcher Raum mit Faserknorpel findet sich übrigens auch in dem
unteren periostalen Keile. Auffallend war mir bei Carcharodon auch vor und hinter
den in den Wirbel eindringenden knorpeligen Zapfen der Bogen periostale Bildungen
von Knorpel und Knochen zu finden in Form je einer dünnen Lamelle mit kanal-
artigen Lücken für den Faserknorpel, die an der Oberfläche als eine einfache Reihe
kleiner Löcher erscheinen. Bezüglich auf den feineren Bau stimmen die Wirbel von
Carcharodon vollkommen mit denen von ÖOdontaspis überein und haben dieselben auch
keine Blutgefässe.
Ausser diesem Carcharodon des Pariser Museum habe ich noch den oben
erwähnten von J. Müller selbst als Carcharodon Rondeletii bestimmten Haien
untersucht. Die Schwanzwirbel massen die grössten nur 12 Mm. und hatten wohl
den Typus der Wirbel des Individuums des Pariser Museums und der Lamnoidei,
doch waren der seitlichen Speichen weniger (nur 5—7) und ausserdem ragte von
dem centralen Doppelkegel in jeden von den Bogen abstammenden Knorpelzapfen ein
Knochenblatt hinein. Ich vermag nicht zu sagen, ob dies eine Eigenthümlichkeit der
kleineren hintersten Schwanzwirbel ist, oder ob vielleicht mehrere Species von Car-
charodon vorkommen. J. Müller und Henle zählen in ihrem bekannten Werke
nur Eine einzige Art auf.
13. Selache mazima.
Die gröbere Anatomie der Wirbel dieser Gattung der Lamnoidei, welche auf den
ersten Blick einzig in ihrer Art dastehen, ist schon von Owen (Leect. on the comp. Anat.
of the vert. animals Part I. Fishes London 1846 pag. 54 Fig. 13) und Queckett (Histol.
Catal. II. 1855 pag. 16 u. 17 Pl.I. Fig. 15—19, Pl. II. Fig. 19—23) im Wesentlichen
richtig beschrieben. Wie bei allen stärker verkalkten Wirbeln der Selachier wird
auch hier die eigentliche Grundlage derselben von einem festen Doppelkegel gebildet,
an dessen Aussenseile mächtige periostale Ablagerungen in Form von vier
keilförmigen Massen und zwischen denselben vier mit den Bogen zusammenhängende
Knorpelzapfen sich befinden. Ein senkrechter Querschnitt durch die Mitte eines Wirbels
—_.. 69 =
ergibt daher auch hier im Wesentlichen dasselbe wie bei den übrigen Lamnoidei; statt jedoch
in ihrer ganzen Dicke aus radiär gestellten, d. h. der Längsaxe der Wirbelsäule parallel
laufenden Knochenblättern zusammengesetzt zu sein, bestehen dieselben nur aussen,
im äussern Drittheile oder Viertheile, aus solchen Blättern, weiter innen dagegen aus
eoncentrischen Lamellen, die dem Umkreise des Wirbels gleich laufen. Auf dem senk-
rechten Querschnitte hat daher ein solcher Wirbel innen eine gewisse Aehnlichkeit
mit den Wirbeln von Squatina, während derselbe aussen am meisten an die von
Carcharodon sich anschliesst.
Genauer bezeichnet. so sind die radiären äusseren Blätter sehr zahlreich, mehr
als bei irgend einem andern der Lamnoidei, zugleich aber auch sehr unregelmässig,
indem sie nicht selten sich spalten und wieder vereinigen, auch durch stärkere Blätter
Verbindungen untereinander eingehen. Ausserdem hängen dieselben auch mehr in der
Tiefe durch eine immer grösser werdende Zahl von kleinen seitlichen Zapfen und
blatiförmigen Fasern zusammen, wobei sie nach und nach in der Richtung der Dicke
Lücken erhalten, bis am Ende das Ganze in die inneren concentrischen Lamellen sich
auflöst. Diese hängen in den äusseren Lagen noch vielfältig untereinander zusammen
und stehen sehr dicht. weiter nach innen dagegen lösen sie sich mehr von einander
und werden zu ziemlich selbstständigen Blättern, an denen jedoch immer noch eine
besondere Bildung auf ihre allmälige Entwickelung aus den radiären Blättern hindeutet.
Es sind dies eine Menge von länglich runden und rundlichen Lücken, die 1° kaum
überschreiten und ziemlich deutlich in der Längsrichtung der Wirbel in Reihen
angeordnet sind.
Alle Räume zwischen den radiären und concentrischen Blättern und die Lücken in
diesen letztern sind nach den Angaben von Owen und Queckett im frischen Zu-
stande von heller Knorpelsubstanz erfüllt. Die’ Fragmente seit langer Zeit auf-
bewahrter Wirbel aus dem! Pariser Museum und dem College of Surgeons in London,
die ich der Güte der Herren A. Dumeril und Queckett verdanke, zeigten im trocknen
Zustande nur noch Bruchstücke dieser Ausfüllungsmasse, doch liess sich dieselbe durch
Aufweichen der Wirbel, wenn auch nicht vollkommen, etwas anschaulicher dar-
stellen und habe ich keinen Grund, die Angaben der genannten Anatomen zu bezweifeln.
Nur ganz in den innersten Theilen der periostalen Keile, da, wo dieselben an die Mitte
des innern compacten Doppelkegels angrenzen. fand ich auch diese Ausfüllungsmasse
ganz verkalkt und die vier Keile ganz dicht, so jedoch, dass auf Schnitten die con-
centrischen Blätter immer noch zu erkennen waren.
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd V. 9
1 ae ak
Aus dem Mitgetheilten geht hinreichend hervor, dass die Wirbel von Selache
manches Eigenthümliche darbieten, obschon die allgemeine Anlage ihrer grösseren Ab-
schnitte dieselbe ist, wie bei den übrigen Lamnoidei. In der That kommen bei keiner
andern Abtheilung dieser innere concentrische Knochenblätter vor, wie bei Selache, und
begründet diese Bildung unstreitig einen besonderen Typus. Immerhin finden sich doch An-
klänge an eine solche Anordnung auch bei andern Gattungen und habe ich bei Carcha-
rodon und Oxyrhina schon darauf aufmerksam gemacht, dass die radiären Blätter in den
innern Theilen seitliche Anastomosen zeigen, die eine mehr oder minder deutliche ring-
förmige Streifung der periostalen Keile bedingen, obschon dieselben nirgends zur Bildung
wirklicher concentrischer Blätter führen.
Bezüglich auf den feineren Bau so stimmen die Doppelkegel von Selache ganz mit
denen der übrigen Lamnoidei überein und bestehen aus Faserknochen. Die radiären und
concentrischen Platten der periostalen Keile dagegen haben ganz das Ansehen von
Knorpelknochen und zeigen grosse schöne oft zu zwei und drei verschmolzene Höhlen
und bald eine mehr gleichartige, bald mit Kalkkrümeln versehene Grundsubstanz, doch
möchte das Gewebe auch hier eigentlich ein verkalkter Faserknorpel sein. Hie und
da trifft man nämlich im Verkalkten ziemlich deutliche Anzeichen von Fasern, die in
der Richtung der Dicke der Keile von aussen nach innen verlaufen. Noch deutlicher
sind solche in der weichen Ausfüllungsmasse zwischen den betreffenden Blättern, doch
wird auch diese nirgends so schön faserig gesehen, wie bei anderen Gattungen. Die
eoncentrischen Blätter wachsen auf beiden Seiten auf Kosten dieses Faserknorpels und
dasselbe gilt auch von den radiären äusseren Blättern, nur dass diese auch an [der
äussern Wirbelfläche oder an ihren freien Rändern immer Masse ansetzen und diesem
Hauptwachsthume entsprechend auch parallel dem freien Rande gestreift erscheinen. Die
Ausfüllungsmasse zwischen den innersten concentrischen Lamellen ist eine noch wenig
entwickelte Verkalkung mit durch und durch von schönen Kalkkrümeln herrührender
grobkörniger Grundsubstanz und die Verbindungsstränge der äussern concentrischen La-
mellen bestehen aus weichem und verkalktem Faserknorpel, von denen der erstere
viele dunkle Fasern und Faserzüge enthält, die, wie Salzsäure ergibt, verkalkte Fasern
der Grundsubstanz sind. Gefässe habe ich, so auffallend mir auch ihr Mangel war,
doch nirgends in den Selachewirbeln mit Bestimmtheit nachzuweisen vermocht. Immer-
hin wird erst die Untersuchung frischer Objeete in dieser Beziehung volle Gewissheit
zu geben im Stande sein.
Allgemeine Betrachtungen.
Bau und Entwickelung der Wirbel der Selachier im Allgemeinen.
Aus den hier mitgetheilten Erfahrungen, zusammengenommen mit den Ergebnissen
meiner früheren Untersuchungen, lässt sich das Bildunesgesetz der Wirbel der Selachier
mit genügender Bestimmtheit aufstellen und will ich nun in Folgendem die Hauptpunkte
übersichtlich zusammenfassen.
I. Chorda dorsalis und eigentliche Scheide derselben.
Die Chorda dorsalis aller Selachier besteht ursprünglich aus einem reinen Zellen-
knorpel und einer denselben umgebenden, meist netzförmigen, elastischen Membran, der
Elastica interna, welche die eigentliche oder innere Scheide der Chorda darstellt.
Durch die Wirbelbildung wird die Chorda in den Gegenden der Wirbelkörper mehr oder
weniger eingeschnürt, erhält sich jedoch bei vielen Gatlungen zeitlebens als ein zusammen -
hängender Strang. Bei andern geht die Chordagallerte zwischen den Wirbeln später
zu Grunde und wird durch Flüssigkeit ersetzt, während sie in der Mitte der Wirbel
fortbesteht, bei noch andern endlich geht sie auch hier unter. In allen Fällen erhält
sich die Elastica interna und bleibt als Auskleidung der Wirbelfacetten und meist auch
als mittlerer Faden in der Mitte der Wirbelkörper bestehen, doch kann sie hier auch
ganz schwinden, wie bei Torpedo, oder unkenntlich sein, wie bei Trygon, Cestra-
cion und Myliobates, den Nictitantes und Lamnoidei. Ein Uebergang der Uhorda-
gallerte in ächten Knorpel kommt nicht vor, dagegen wurde eine Verkalkung der-
selben ganz bestimmt bei Scymnus und Rhinobatus gesehen andeutungsweise auch
bei Scyllium.
1. Aeussere Scheide der Chorda.
Alle Selachier besitzen eine Umhüllung der Chorda aus ächter Bindesubstanz
mit Zellen, welche, obschon im Baue mit der umgebenden skelettbildenden Schicht
übereinstimmend, doch in ihrem morphologischen Verhalten so enge an die Chorda sich
anschliesst, dass sie kaum anders, denn als ein wesentlicher Theil derselben aufgefasst
9*
A ze
werden kann. Diese äussere Scheide folgt nämlich in ihrer Gestalt vollkommen der
Chorda, beginnt und endet wie diese und umgibt sie auch sonst ganz genau; auch zeigt
sie wenigstens ursprünglich keine Verbindungen mit den benachbarten Theilen, schliesst
sich vielmehr von diesen durch eine immer vorhandene, sehr deutliche elastische Membran,
die oft zierlich gefenstert ist, die Elastica externa, ab.
Diese äussere Scheide der Chorda ist es, von welcher später die Gliederung der
Wirbelsäule ausgeht. Hierbei erhält sie sich in den einen Fällen in mehr weichem
Zustande, so jedoch, dass sie mehr die Beschaffenheit von Faserknorpel oder selbst von
Knorpel annimmt, in den andern verkalkt sie und geht theils in Faserknochen, theils in
Knorpelknochen über. Die Theile der Wirbelkörper, die diese Scheide liefert, sind
immer die Doppelkesel, an denen jedoch häufig innen und aussen knorpelige
Theile sich erhalten, während in andern Fällen die Scheide in ihrer ganzen Dicke
verkalkt und in der Mitte selbst die Chorda verdrängt (Rajidae zum Theil, Lam-
noidei), und aus den zwischen den Wirbeln gelegenen Theilen gestalten sich die Liga-
menta intervertebralia und eine meist deutliche bindegewebige oder faserknorpelige Aus-
kleidung der Wirbelendflächen, die mit den genannten Ligamenten zusammenhängt.
Die Elastica externa hat keinen Antheil an der Bildung der Wirbel. Sind diese
wenig verkalkt, so erhält sie sich zeitlebens, im entgegengeselzten Falle verschwindet
sie später bis auf schwache undeutliche Reste oder ganz.')
II. Aeussere skelettbildende Schicht.
Bei allen Selachiern wird die Chorda von einer äussern skelettbildenden Schich
von Bindesubstanz umgeben, welche die Chorda sammt ihrer Scheide umgibt und einerseits
die Wirbelbogen und ein zwischen denselben befindliches Perichondrium der chordalen
Wirbelkörper erzeugt, andererseits auch die Ligamenta intervertebralia aussen verstärkt
und erzeugt, ausserdem in die Ligamenta intermuscularia der oberen und unteren Mittellinie
und der Seiten sich fortsetz. Von dieser Lage können sowohl die Wirbelbogen, als
das Perichondrium der chordalen ‚Wirbelkörper an der Wirbelbildung sich betheiligen
und zwar in verschiedener Weise. Bei den einfacheren Wirbeln sind es nur die
I) Anmerkung, Mit Bezug auf die Stellung der äusseren Chordascheide werden spätere Untersucher
besonders zu berücksichtigen haben, ob dieselbe mit der Chorda selbst eine gemeinschaftliche embryonale Grund-
lage hat oder aus den Urwirbeln hervorgeht. Im letztern Falle würde dieselbe dem innersten Theile der
äussern skelettbildenden Schicht der höhern Wirbelthiere entsprechen, im erstern dagegen eine mehr selbst-
ständige Stellung einnehmen.
Eee
Wirbelbogen, die eine solche Rolle übernehmen, indem sie den chordalen Wirbelkörper
entweder nur seitlich oder auch oben und unten umwachsen, mehr weniger mit dem-
selben verwachsen und in verschiedener Ausdehnung verknöchern. Bei den stärker
verkalkten Wirbeln kommen dann noch besondere periostale Verknöcherungen zu dem
Antheile der Bogen hinzu oder es legen sich dieselben auch unmittelbar auf den
chordalen Wirbelkörper an.
IV. Bildung und Verknöcherung der Wirbelkörper.
A. Antheil der äussern Chordascheide.
1. Die äussere Chordascheide sondert sich vor Allem der Länge nach in weichere
und festere Theile, indem sie an bestimmten Stellen in Faserknorpel oder Knorpel über-
geht, während sie ihre anfängliche Beschaffenheit an andern beibehält. Die festeren
Theile, die jedoch bei den einfachsten Wirbelformen von den zwischen gelegenen
Theilen nicht scharf geschieden sind, gestalten sich zu den Wirbelkörpern und erscheint
an diesen Stellen die eigentliche Chorda eingeschnürt, indem die Wirbelkörper theils
warzig oder kegelförmig, theils in Gestalt von dünnen Scheidewänden (vordere Wirbel von
Hexanchus, mittlere Wirbel von Heptanchus) nach innen vorspringen. Beim gänzlichen
Mangel von Untersuchungen über die allererste Entwickelung der Wirbelsäule ist es schwer
zu sagen, ob diese Scheidewandbildung und Einschnürung der Chorda von einem Herein-
wachsen der Chordascheide oder von einem ungleichen Wachsthume der Chorda an
verschiedenen Stellen herrührt. Es liegt nahe anzunehmen, dass wie bei den höheren
Wirbelthieren und Teleostiern die Wirbelkörper als festere Bildungen das Wachsthum
der Chorda beschränken, so dass hier vorzüglich nur die Scheide sich verdickt, während
an den andern Stellen Chorda und Scheide ziemlich gleichmässig fortwachsen, und bin
ich auch bestimmt der Ansicht, dass die Vorgänge so sich gestalten, sobald einmal die
Verknöcherung begonnen hat. Immerhin ist zu bemerken, dass bei der ganzen weichen
Wirbelsäule von Hexanchus eine Bildung der Einschnürungen der Chorda durch Herein-
wachsen der Scheide gedenkbar ist und spricht für einen solchen Vorgang einmal das
von mir aufgefundene Verhalten der Wirbelsäule von Heptanchus, bei der nachträglich
neue Wirbelkörper zwischen den alten sich zu bilden scheinen und zweitens der Um-
stand, dass in den Wirbelsäulen der grossen Mehrzahl der Plagiostomen, später in der
That der Theil der Scheide, der nach innen vom Doppelkegel liegt, in der Mitte der
Wirbel nach innen wuchert und die Chorda ganz oder fast ganz verdrängt.
2. Die Verkalkung der Chordascheide beginnt niemals an der Oberfläche, sondern
immer im Innern derselben und zwar in der Nähe der eigentlichen Chorda, und zugleich
in der Mitte der Längsaxe der Wirbelkörper. Ohne Ausnahme bestehen die ersten
Knochenscherben nicht aus ächtem Knorpelknochen, sondern aus Faserknochen. mit
andern Worten. es ist das Gewebe, das zuerst verkalkt, noch nicht ächter hyaliner
Knorpel, sondern ein Gewebe, das zwischen Bindegewebe und Faserknorpel die Mitte
hält und spindelförmige Zellen in streifiger Grundsubstanz zeigt.
3. Die Formen der ersten Knochenscherben sind die von Ringen (Heptanchus
vordere und mittlere Wirbel), die dann zu dünnen Doppelkegeln sich gestalten (Hep-
tanchus hintere Wirbel, Centrophorus), an denen der Rest der Chordascheide einen
äussern und innern Beleg bildet, die ich als äussern und innern Knorpel der
chordalen Wirbelkörper bezeichne.
4. Das Wachsthum dieser Doppelkegel, die als die eigentlichen oder chordalen
Wirbelkörper zu bezeichnen sind, geschieht, wenn sie einmal ihre volle Länge erreicht
haben, in drei verschiedenen Weisen und zwar durch Ansatz auf die äussere und die
innere Fläche (Diekenwachsthum) und durch Anlagerungen an den Rändern derselben
( Längenwachstluum).
5. Das Diekenwachsthum von aussen kommt auf Rechnung des äussern
Knorpels des chordalen Wirbelkörpers und ist entweder gleichmässig oder ungleichmässig.
Im ersteren Falle entstehen regelmässige Doppelkegel von grösserer Stärke, im letztern
nehmen die Wirbelkörper verschiedene Formen an. Entweder bilden sich Doppelkegel mit
äusseren Kanten und Furchen von sehr verschiedener Entwickelung (Heptanchus,
Ginelymostoma,Rajidae zum Theil, Nietitantes) oder es entstehen mehr eylindrische
Körper, indem die äussere Aushöhlung der Wirbelkörper ganz sich ausfüllt, welche bald
ganz dicht sind (Myliobates, Rhinobatus) oder aus abwechselnden Lagen von Knorpel
und Knorpelknochen bestehen (Squatina). In Einem Falle (Cestracion) findet sich bei
geringer Entwickelung des Doppelkegels eine kleine oberflächliche Verkalkung an den
Seiten der Wirbel, jedoch noch im Bereiche der Chordascheide. — Bei diesem Wachs-
thume stellen sich die Knorpelzellen in Reihen in der Richtung der Radien der Wirbel-
querschnitte und wuchert natürlich der Knorpel, während er verkalkt, immerwährend fort.
6. Das Diekenwachsthum von innen kommt in der Mitte der Wirbel, da
wo die Chorda eingeschnürt ist, ganz und gar auf Rechnung des innern Knorpels und
kann dieser, indem er wuchernd die Chorda mehr weniger verdrängt, theilweise oder
ganz verkalken, ja selbst die Chorda ganz verdrängen, so dass die Wirbel undurch-
brochen werden und die Chorda in einzelne Abschnitte zerfällt. In den einander zuge-
wendeten Aushöhlungen der Doppelkegel ist es ein Rest der Chordascheide, der mehr
die Natur eines Faserknorpels besitzt, der das Wachsthum besorgt. Dieser Faserknorpel
stellt eine mässig dicke Haut dar, die mit der nach innen von ihr gelegenen Elastica
interna die Aushöhlungen der Wirbelkörper bekleidet und als Periost der Wirbel-
facetten bezeichnet werden kann.
7. Das Längenwachsthum der Doppelkegel wird von einer Fortsetzung des
ebengenannten Periostes besorgt, das als eine Art Ligamentum intervertebrale von einem
Wirbel auf den andern übergeht und natürlich auch noch der äussern Chordascheide
angehört. Eine äussere Begrenzung dieses Zwischenwirbelbandes durch eine Elastica
externa, die ursprünglich da gewesen sein muss und auch bei einfachen Wirbelsäulen,
wie an denen von Heptanchus und Hexanchus zeitlebens sich findet, habe ich noch
nieht gesehen. doch muss ich bekennen, dass ich nach dieser Richtung keine beson-
deren Untersuchungen unternommen habe.
B. Antheil der äussern skelettibildenden Schicht an der Bildung
der Wirbelkörper.
Betheiligung der knorpeligen Wirbelbogen.
1. Wo die Wirbelbogen an der Bildung der Wirbelkörper Antheil nehmen,
erzeugen dieselben in erster Linie durch Vereinigung einen äussern Knorpelbeleg
um die Chordascheide herum.
2. Diese äussere Knorpellage kann verkalken und zwar geschieht dies entweder
in Form zusammenhängender Massen oder so, dass der gewöhnliche Pflasterknochen
der Plagiostomen entsteht.
3. Diese Verkalkungen treten erstens als isolirte Bildungen auf und zwar in den
einen Fällen nur seitlich (Heptanchus, Cestracion), in welchem Falle sie Seiten-
schilder heissen mögen oder auch oben und unten an den dem Gefäss- und Nerven-
kanale zugewendeten Flächen als Rücken und Bauchschilder (A canthias, Seymnus,
Centrosceyllium) und zweitens als zusammenhängende grössere Massen,
welche in die Knochenkruste der Bogen selbst sich fortsetzen (Rajidae, Scyllium).
4. Mögen diese Schilder diese oder jene Form haben, so zeigen sie ein doppeltes
Verhalten zu dem eigentlichen chordalen Doppelkegel, indem sie entweder von dem-
selben ganz getrennt bleiben (Heptanchus, Cestracion) oder an den vordern und
—
hintern Enden mit den Rändern desselben sich verbinden (Scymnus, Acanthias, Ra-
jidae, Scyllium).
Betheiligung der häutigen Theile der äussern skelettbildenden Schicht oder des Perichondrium der
Chordascheide an der Bildung der Wirbelkörper.
1. Der Antheil der knorpeligen Bogen an der Bildung der Wirbelkörper ist nie-
mals ein bedeutender, dagegen findet man bei allen stark verkalkten Wirbeln, vor Allem
der Haie, noch besondere äussere Verkalkungen, die einfach als Periostablagerungen
bezeichnet werden können.
2. Diese Ablagerungen nehmen immer die beiden Seiten und die obere und untere
Mittellinie der Wirbel ein und haben immer die Form von Zapfen oder Kegeln,
daher sie Seiten-, Rücken- und Bauchzapfen heissen mögen.
3. Der Bau dieser vier Zapfen ist ferner ein eigenthümlicher und bei allen
Gattungen wesentlich derselbe, indem sie aus einem verkalkten Faserknorpel mit schönen
Sharpey’schen Fasern (Radialfasern) bestehen, die ebenfalls verkalkt sind, und wo
sie nur etwas entwickelt sind, Blutgefässe enthalten, die sonst in den Wirbeln sehr
selten sind und nur noch in den Wirbelkörpern von Squatina gesehen wurden.
4. Bezüglich auf ihre Stellung zu den übrigen Wirbeltheilen, so finden sich diese
periostalen Zapfen sehr selten als Auflagerungen auf den Schildern, die den Bogen ihren
Ursprung verdanken (Sceyllium, Ginglymostoma, in Andeutungen bei Heptanchus).
In der Regel grenzen dieselben unmittelbar an den chordalen Wirbelkörper und verbinden
sich entweder in der ganzen Ausdehnung desselben mit seiner Aussenfläche (Lamnoidei)
oder so dass sie genau in der Mitte des Wirbels in einer kleinen Strecke mit dem-
selben nicht zusammenhängen (Nlietitantes, Trygon).
5. Der gröbere Bau dieser periostalen Zapfen ist sehr verschieden. Bei den Nic-
titantes und bei Trygon und Scyllium sind dieselben einfache ganz verkalkte
Zapfen. Bei Ginglymostoma und den Lamnoidei dagegen besteht jeder Zapfen aus
abwechselnden weichen und verkalkten Blättern. Diese Blätter können in
den tiefern Theilen wieder durch kurze Querblätter sich verbinden (Oxyrhina, Odon-
taspis, Carcharodon, Ginglymostoma), welche in Einem Falle (Selache) so
ausgebildet sind, dass die Zapfen innen vorzugsweise aus,concentrischen Blättern, aussen
aus in der Richtung der Radien des Querschnittes stehenden Platten bestehen.
6. Alle Wirbel mit periostalen Zapfen haben im Innern, den Abgangsstellen der
Bogen entsprechend, ein Knorpelkreuz. Der tiefe an den chordalen Wirbelkörper
angrenzende Theil eines jeden Knorpelzapfens gehört der Chordascheide an, der ober-
—- 1 —
flächliche den Bogen, doch sind die Grenzen beider Abtheilungen nur in seltenen Fällen
(Mustelus) durch erkennbare Reste der Elastica externa bezeichnet.
Ueberblickt man nach Kenntniss der Bildungsgesetze der Plagiostomenwirbel die bei
den einzelnen Gattungen vorkommenden Formen, so zeigt sich, dass die mannigfaltigen
Gestaltungen auf einige wenige Typen sich zurückführen lassen. Diese Typen haben
eine ganz scharfe Begrenzung, indem dieselben durch die Betheiligung oder
den Mangel eines oder mehrerer der an der Wirbelbildung Antheil nehmenden
Primitivorgane (der Chordascheide, der Bogen, des äusseren Periostes) von
einander sich unterscheiden, es ist jedoch zu bemerken. dass zahlreiche scheinbare
Uebergänge derselben entstehen dadurch, dass der Antheil eines Primitivorganes oft so
gering ist, dass Annäherungen an die benachbarten Typen entstehen und so eine schein-
bar zusammenhängende Reihe von den einfachsten zu den verwickeltesten Gestaltungen
entsteht. Ausserdem muss hervorgehoben werden, dass oft bei einer und derselben Art
in verschiedenen Gegenden der Wirbelsäule verschiedene Typen sich finden, sowie
ferner, dass alle zusammengeselzteren Typen bei ihrer Entwickelung die Formen
gewisser einfacherer durchlaufen. Es sind demnach diese Typen nur aufzufassen als
Glieder von Entwickelungsreihen und nicht als für sich bestehende, unveränderliche und
in keinerlei Beziehungen zu einander stehende Gestaltungen.
Die zu unterscheidenden Typen nun sind folgende.
Typus EB.
Der Wirbelkörper geht einzig und allein aus der Scheide der Chorda hervor.
1. Wirbelsäule ganz weich (faserknorpelig) ohne Gliederung. Callorhynchus.
2. Ebenso, nur mit ringförmigen Verknöcherungen in der Mitte der Chordascheide,
deren Zahl die der Bogen um Vieles übertrifft. Chimaera.
3. Wirbelkörper ganz weich (faserknorpelig), unvollständig gesondert, aber doch
durch Scheidewände, die die Chorda einschnüren, bezeichne. Hexanchus.
4. Wirbelkörper theilweise knorpelig mit kleinen ringförmigen knöchernen Doppel-
kegeln. Heptanchus, vordere Wirbel.
5. Wirbelkörper dicht und fast ganz verkalkt. Hintere Wirbel von Myliobates,
Rhinobatus, Taeniura.
Abhandl. d,. Senckenb, naturf. Ges. Bd. V. 10
=
Typus II.
Der Wirbelkörper bildet sich zum Theil aus der Scheide der Chorda, zum Theil aus
den verschmolzenen knorpeligen Bogen.
A. Antheil der Bogen gering.
I. Chordaler Wirbelkörper wenig verkalkt.
1. Chordaler Wirbelkörper mit einem zarten knöchernen Doppelkegel in seiner
Mitte. Der von den Bogen abstammende Beleg nicht verkalkt. Centrophorus.
2. Chordaler Wirbelkörper mit einem stärkeren knöchernen Doppelkegel. Knorpel-
rinde der Bogen mit Seitenschildern verkalkt. Heptanchus hintere Wirbel, Ces-
tracion.
3. Ebenso, Knorpelrinde der Bogen mit vier Schildern verkalkt, die mit den
Rändern des Doppelkegels verschmelzen. Acanthias, Scymnus, Centroscyllium.
ll. Chordaler Wirbelkörper stark verkalkt.
4. Chordaler Wirbelkörper fast ganz verkalkt aus abwechselnden ringförmigen
Lagen von Knochenknorpel und Knorpel, Knorpellage der Bogen am Schwanze mit
Seitenschildern. Squatina.
5. Chordaler Wirbelkörper mit einem starken verkalkten, vielkantigen Doppel-
kegel. Knorpellage der Bogen ringsherum stark verkalkt. Raja und Torpedo, hintere
Wirbel
B. Antheil der Bogen gross.
6. Chordaler Wirbelkörper theils knorpelig, theils mehr weniger verkalkt, zum
Theil noch gross, zum Theil nur spurweise vorhanden; der Knorpel der Bogen mehr
weniger verkalk. Vordere verschmolzene Wirbel von Chimaera, Callo-
rhynchus, und aller Rajidae mit Ausnahme von Trygon.
Typus III.
Der Wirbelkörper bildet sich aus der Scheide der Chorda, einem Antheile der Bogen
und aus Ablagerungen von verkalktem Faserknorpel von dem zwischen oder
auf dem Bogentheile gelegenen Perioste ( Periostablagerungen ).
1. Chordaler Wirbelkörper mit einfachem oder kantigem mässig starkem Doppel-
kegel. Knorpelrinde der Bogen vollständig, oberflächlich verkalkt, Periostablagerungen
=. WI
an der äusseren Seite derselben schwächer in Form vier einfacher oder blätteriger
Zapfen. Scyllium, Ginglymostoma.
2. Knorpelige Bogen nicht verschmolzen, mit 4 Zapfen in den Wirbelkörper ein-
drinsend. Chordaler knöcherner Doppelkegel mässig stark, einfach. Periostale Zapfen
mässig stark, einfach. Trygon.
3. Ebenso. Chordaler Doppelkegel vierkantig, in der Mitte frei. Periostale
Zapfen stark, einfach. Haie mit Nickhaut.
4. Ebenso. Chordaler Doppelkegel in seiner ganzen Länge mit den periostalen
Zapfen verschmolzen. Diese sehr stark, aus weichen und verkalkten Theilen gebildet,
die zum Theil Längsblätter, zum Theil ringförmige Lagen bilden. Lamnoidei.
Es erübrigt nun noch einiges über die Gewebe mitzutheilen, die an der Bildung,
der Wirbelsäule Antheil nehmen, um so mehr, da in dieser Beziehung selbst bei den
neuesten Autoren Missverständnisse obwalten.
Die weichen Gewebe, die hier in Betracht kommen, sind:
1. Eine Bindesubstanz mit spindelförmigen Zellen und streiliger
jedoch kaum bestimmt faseriger Grundsubstanz. Dieses Gewebe bildet ohne Ausnahme
die junge Chordascheide und kann auch länger in ihr sich erhalten. Wenn dasselbe
verknöchert, geht es über in den sogenannten „Faserknochen“* von J. Müller
und mir, der keineswegs identisch ist mit „Bindegewebsknochen“, wie Gegenbaur
meint (zur vergl. Anat. der Wirbelsäule der Amphibien und Reptilien, 1862 S. 61),
wohl aber auch „verkalkte Bindesubstanz“ genannt werden kann.
2. Ein Faserknorpel mit Knorpelzellen in faseriger Grundsubstanz in mehr-
fachen Abarten und zwar:
a) mit parallelfaseriger Grundsubstanz, in den Auskleidungen der conischen End-
flächen der Wirbelkörper und den Ligamenta intervertebralia, ein Gewebe von
dem aus der Wachsthum der Doppelkegel theilweise besorgt wird.
b) Mit starken Sharpey’schen Fasern (Bindegewebsbündeln) und hyaliner oder
fein netzförmiger Grundsubstanz.
Verkalkt können a und b „verkalkter Faserknorpel“ heissen.
3. Aechter hyaliner Kn’orpel, verkalkt Knorpelknochen.
Diese drei Arten weicher Gewebe zeigen, abgesehen von den perforating fibres,
sowohl mit Bezug auf die Zellen als auch auf die Grundsubstanz, die mannigfachsten
10*
— ihr
Uebergänge und wird es so begreiflich, dass auch die verkalkten Gewebe nur in den
äussersten Formen zu unterscheiden sind. Ebenso kommen Anklänge der letztern an
jene Formen ächten Knochens vor, die spindelförmige Zellen enthalten, wie sie bei
einigen Fischen (Thynnus, Salmo, Macrostoma u. s. w.) sich finden. Trotz dieser
Uebergänge und Verwandschaften wird es doch bei einem Blicke auf die Verhältnisse
im Grossen und Ganzen gerechtfertigt erscheinen, die vorkommenden Unterschiede
festzuhalten und zu betonen, um so mehr da auch die chemischen Verhältnisse der
betreffenden Gewebe noch gar nicht bekannt sind, und lässt sich daher für einmal der
Satz festhalten „ dass die Wirbelsäule der Plagiostomen aus einfacher Bindesubstanz
und Knorpel im weichen oder verkalkten Zustande sich aufbaut.
Vergleichung der Wirbel der Plagiostomen mit denjenigen der
übrigen Fische.
Die nahe liegende Vergleichung der hier besprochenen grossen Abtheilung der
Fische mit den übrigen Fischen wird aus dem Grunde sehr erschwert, weil über den
feineren Bau und die Entwickelung der Wirbelsäule der Teleostier und Ganoiden
noch keine zusammenhängende Untersuchungsreihe vorliegt. Auch ich kann aus diesem
Gebiete noch nichts Umfassenderes vorlegen, immerhin glaube ich doch eine solche
Zahl von Erfahrungen gesammelt zu haben, dass es mir möglich sein wird, wenigstens
eine gewisse Zahl von Punkten festzustellen.
I. Wirbelsäule der Teleostier.
Die Primitivorgane, aus denen die Wirbelsäule der Selachier sich aufbaut,
Chordascheide und Knorpelbogen, kommen auf den ersten Blick auch den Teleostiern
zu und lassen sich an der Chordascheide selbst an ausgebildeteren Wirbelsäulen noch
die Elastica interna, Faserschicht und Elastica externa unterscheiden. Es gibt zwar
Gegenbaur an (l.c. S.59), dass es bei mehreren Gattungen der Familie der Cypri-
niden (Barbus, Tinca, Leueiscus, Scardinius) ihm nicht gelungen sei, die Elastica
externa der Chordascheide aufzufinden, ich habe dieselbe jedoch bei Salmo umbla von
1‘, Chondrostoma nasus von 2‘ Länge, Hechten von 12‘ und ausgewachsenen Barschen,
Aalen, Forellen und Lachsen gesehen und glaube somit annehmen zu dürfen, dass
diese Haut, wenn sie auch vielleicht nicht bei allen ausgewachsenen Knochenfischen gefun-
den wird, doch sicherlich allen ursprünglich zukommt. Stimmen nun auch in dieser Be-
ziehung die Teleostier mit den Plagiostomen überein, so unterscheiden sie sich doch
sehr wesentlich dadurch, dass die Faserschicht ihrer Chordascheide nie
Zellen enthält und auch im Ganzen nur wenig entwickelt ist. Letzterer Umstand
wäre nun freilich von geringerem Belang, um so mehr da die genannte Lage später
wenigstens an einer Stelle mächtig ausgebildet ist und den innersten Theil der Ligamenta
intervertebralia darstellt; das erstere Verhalten dagegen scheint auf einen fundamen-
talen Unterschied in der Entwickelung der Chordascheide bei beiden Abtheilungen
hinzudeuten und zu beweisen, dass die Chordascheide der Teleostier, ebenso wie die
der Säuger, Vögel und beschuppten Amphibien, nach der von mir aufgestellten Ver-
muthung, nur eine von der Chordagallerte ausgehende, ursprünglich structurlose Abla-
gerung, ähnlich den Cuticularbildungen, ist, während die der Plagiostomen aus einer
besonderen Zellenmasse des mittleren Keimblattes sich aufbaut. Bei der grossen
Tragweite dieser Angelegenheit ist es jedoch gerathener, vorsichtig vorzugehen und zu
fragen, ob nicht vielleicht die Chordascheide der Teleostier ursprünglich aus Zellen
besteht und dieselben später verliert oder vielleicht doch unter ganz besonderen Ver-
hältnissen Zellen zeigt. Was das erste anlangt, so melden die einzigen Untersucher,
die die histologischen Verhältnisse der Entwickelung dieser Fische ausführlicher erforscht
haben, Vogt und Lereboullet (KEtud. d’Embryol. comparde 1862), nichts von dem
Vorkommen von Zellen in der Chordascheide junger Fische, wobei jedoch zu
berücksichtigen ist, dass bei Vogt die eigentliche Scheide und die äussere skeleti-
bildende Schicht, zusammen als Scheide der Chorda beschrieben sind. Auch ich habe
bei jungen Forellen von 12‘ bis zu solchen von 6‘ ohne Ausnahme die Faserlage
der Chordascheide, die deutlich querfaserig oder querstreifig war, ohne Zellen
gesehen und ebenso habe ich auch an den relativ mächtigen Chordascheiden der freien
Chorda am Ende der Wirbelsäule erwachsener Karpfen, Lachse und Hechte (Ueber
das Ende der Wirbelsäule der Ganoiden und einiger Teleostier 1860, S. 14, 16, 17)
und in den Theilen derselben, die bei allen Teleostiern zu den innersten Theilen der
Ligamenta intervertebralia sich gestalten, nichts von Zellen gefunden.
Diesem zufolge glaube ich behaupten zu dürfen, dass die Chordascheide der
Teleostier, wenn auch aus denselben drei Lagen bestehend, wie die
der Plagiostomen und in ihren Beziehungen zur Chorda derselben ganz
gleich, doch einen ganz anderen Bau und eine andere Bedeutung besitzi-
—, BE
Ich bezeichne dieselbe demnach als innere oder eigentliche Scheide und stelle
sie in ihrer Bedeutung der Elastica interna der Plagiostomen an die Seite.
Ueber das Verhalten der Wirbelbogen glaube ich meinen Erfahrungen zufolge
aussagen zu können, dass dieselben bei allen Teleostiern ursprünglich knorpelig sich
anlegen. Zwar scheinen die Beobachtungen von A. Müller bei einigen Cyprinen
(Müll. Arch. 1853) dem zu widersprechen, indem nach diesem Forscher die Wirbel-
bogen hier von Anfang an knöchern auftreten, allein A. M. gibt schon an, dass an den
vorderen Wirbeln die Bogen eine knorpelige Basis haben und nach meinen Erfahrungen
an 2’ Jangen Individuen von Chondrostoma nasus und 1',‘ langen Exemplaren von
Cyprinus carpio (kleinere Cypriniden waren mir bis jetzt nicht zugängig) müssen
auch bei den Cypriniden ursprünglich Knorpelstrahlen dagewesen sein, denn es enthalten
noch bei Individuen der angegebenen Grösse sowohl die Rippen und die unteren Bogen, als
auch die oberen Bogen im Innern ganz deutlich einen verkümmerten Knorpelstrahl.
Hierzu kommt noch, dass der chordale Endfaden der Wirbelsäule des Karpfen nach
meinen Erfahrungen ganz und gar von einem Knorpelrohre umgeben ist, das nichts
Anderes als verschmolzene Bogen darstellt. — Im weitern Verlaufe theilen sich dann freilich
die Teleostier in zwei Gruppen. Bei den einen nämlich verknöchern die Bogen sehr
bald und verschmelzen mit den Wirbelkörpern, während bei den andern die Basen der
Bogen knorpelig bleiben und bei der Dickenzunahme der Wirbel in das Innere derselben
aufgenommen werden, so dass dann auf Querschnitten das bekannte Doppelkreuz der Sal-
monen, Esocinen u. a. entsteht.
Eine Verschmelzung der knorpeligen Bogen um die chordalen Wirbelkörper herum,
welche bei den Plagiostomen sehr häufig ist, kommt bei den Teleostiern so selten vor,
dass noch Gegenbaur vor Kurzem behaupten konnte, dass Knorpelringe bei den
Teleostiern durchaus nicht vorkommen (l. ec. S. 62) und doch hatte ich schon vorher
die knorpeligen Scheiden des chordalen Endfadens bei Salmo, Cyprinus carpio.
Alosa vulgaris und Elops saurus beschrieben und zugleich angegeben, dass eine
solche Scheide beim Hechte fehle. Solche Fälle werden gewiss noch mehr zur
Beobachtung kommen, immerhin wird es richtig bleiben, dass an dem regelrecht ver-
knöchernden Theile der Wirbelsäule ein solches Verhalten sich nicht findet und die
Bogen getrennt bleiben.
Die erste Ossification der Wirbelsäule der Teleostier geschieht durch Verknöche-
rungen der eigentlichen Chordascheide.
—. A
Bekanntlich hat schon J. Müller vermuthet, dass die Chordascheide einen Antheil an
der Bildung der Wirbel der Teleostier nehme und sind dann von A. Müller (l. c.) und mir
(Würzb. Verh. Bd. X) für die Cyprinen und Leptocephaliden auch die wirklichen
thatsächlichen Belege für diese Vermuthung beigebracht worden, während ich zugleich
den Satz aufstellte, dass wahrscheinlich bei den Teleostiern ein solches Verhalten der
Chordascheide ausgebreiteter vorkomme. Seit dieser Zeit ist über diesen Gegenstand
Nichts weiter beigebracht worden, wenn man nicht einige wenig bestimmte Bemerkungen
von Gegenbaur (]. ce. $. 59) aufzählen will, der zwar geneigt scheint, eine
Betheiligung der Chordascheide an der Wirbelbildung anzunehmen, aber doch angibt,
dass es ihm bei mehreren Cypriniden nicht gelungen sei, diesen Antheil der Chorda-
scheide zu erkennen. Die Chordascheide bestehe hier nur aus einer in den Inter-
vertebralräumen sehr verdickten Lamelle (den von mir beim Hechte sogen. Lig. inter-
vertebralia interna) und nach aussen von dieser Lamelle liege überall der Knochen
des Doppelkegels. Weder in letzterem noch ausserhalb desselben sei Etwas aufzu-
finden, was als Elastica externa zu deuten wäre.
Bei dieser Sachlage schien es mir wünschenswerth, die Angelegenheit von Neuem
zu prüfen, doch kann ich für einmal aus einer noch nicht abgeschlossenen Untersuchung
nur Folgendes mittheilen.
Die erste Entwickelung der Wirbel habe ich bis jetzt nur beim Lachse, bei
der Forelle und bei S. umbla geprüft, welche alle die nämlichen Ergebnisse lieferten,
daher ich nur von den zwei letzten Arten handeln will, die genauer untersucht wurden.
Bei Individuen von 10 und 11‘ Länge ist es leicht zu zeigen, dass die ersten Ver-
knöcherungen der Wirbelsäule der Chordascheide angehören, an der hier nur zwei Lagen,
eine leicht der Quere nach reissende und dann ein künstliches Netz bildende Elastica
externa und eine helle querfaserige innere Lage ohne Zellen zu unterscheiden waren.
Im entwickelteren Zustande, m. a. W. im vorderen Theile der Wirbelsäule waren
die Ossificationen nach oben (nach der Rückseite) offene Ringe, die die ganze Dicke
der Faserlage der Chordascheide einnahmen, jedoch nach aussen bestimmt von der Elastica
bekleidet sich zeigten (Figg. XI, XI). Weiter nach hinten wurden diese Halbringe immer
schmaler und erschienen endlich nur noch als rechteckige und zuletzt rundlich vier-
eckige Plättchen an der unteren Seite der Chordascheide, auf deren feinere Form-
verhältnisse und sonstige Besonderheiten ich hier nicht eingehen kann. Nur eines —
obschon nicht unmittelbar hierher gehörig — kann ich nicht unterlassen hier anzumerken,
dass nämlich auch der Schädeltheil der Chorda in seiner ganzen Länge eine verknöcherte
ze I
Scheide besass (Fig. XI), die auch einen lang gezogenen Halbkanal darstellte und oben
offen war. —
In weiterer Ausbildung werden die chordalen Halbringe, die selbstverständlich keine
Structur und keine Zellen besitzen, zu vollständigen Ringen, zugleich beginnt aber auch
in der äussern skelettbildenden Schicht die Ablagerung von ächtem Knochen auf die-
selben und können dieselben somit nie ein weiteres Dickenwachsthum zeigen. Solche
junge Wirbel mit den zwei Lagen zeigt die Fig. XIII von einer Nase von 2”. Dagegen
wächst bei gewissen Gattungen der chordale Wirbelkörper, während zugleich die Periost-
ablagerungen zunehmen und die Chorda zwischen je zwei Wirbeln mit wächst, in der
Länge weiter, wobei er zugleich etwas dicker wird. Doch gibt es auf der andern
Seite auch Fische, bei denen dieser Theil des Wirbels nie eine grössere Aus-
dehnung gewinnt und später nur den mittelsten Theil des Wirbelkörpers einnimmt.
Da hier nicht der Ort für die ausführliche Schilderung dieser Verhältnisse ist, so begnüge
ich mich mit der Vorlage und Erläuterung einiger Zeichnungen, welche die Haupttypen der
Wirbelbildung der Teleostier darstellen.
Figg. XIV u. XV sind sagittale Längsschnitte durch Wirbel einer Forelle von 11’ Länge.
Fig. XIV zeigt die Anordnung der Theile im Allgemeinen. aa ist der vom Perioste aus
gebildete Doppelkegel, an dem wieder der eigentliche compacte Doppelkegel und die in
den äusseren Aushöhlungen desselben befindlichen Ablagerungen von schwammigem, an
fetthaltigem Marke reichem Gewebe bb zu unterscheiden sind. Der helle Saum ce an
der innern Seite des periostalen Doppelkegels ist der auf Kosten der Chordascheide
gebildete Doppelkegel, der jedoch nicht ganz so weit sich erstreckt, wie der erstere.
Die Chorda selbst d verhält sich, wie ich es früher vom Hechte beschrieb, d. h. es finden
sich an der Stelle der Gallerte an gewissen Orten mit Wasser erfüllte Höhlen ee,
während dieselbe an andern f zusammenhängend bleibt und wie Scheidewände bildet,
nur finde ich, was auch beim Hechte so sein wird, dass hier die Scheidewände durch
dünne Stränge von Chordasubstanz g mit einander zusammenhängen. — Umgeben wird
die Chorda von einer Elastica interna h, auf welche im Bereiche der Wirbel der
chordale Doppelkegel, zwischen denselben das von mir sogenannte Lig. intervertebrale
internum @ folgt. Dieses ist, wie das Auffinden der Elastica externa kk an seiner
Aussenseite beweist, nichts Anderes als ein Rest der Faserlage der Chordascheide und
das Material, aus welchem der chordale Doppelkegel in die Länge d. h. an seinen
Rändern wächst, so lange die Wirbelsäule noch zunimmt, welche Verhältnisse die ver-
grösserte Fig. XV besser versinnlicht als weitere Beschreibungen. In dieser stellt e den
a
chordalen Doppelkegel vor, der bei ce‘ so endet, dass er mit dem Lig. intervertebrale
internum unmiltelbar zusammenhängt, welches an dem dargestellten Präparate zufällig
durch eine Lücke o von der Elastica interna und der eigentlichen Chorda getrennt war.
Aussen an den Rändern der periostalen Doppelkegel und aussen an der Elastica externa
der Chordascheide findet sich das starke bogenförmige Lig. intervertebrale externum /,
welches das Längenwachsthum des periostalen Doppelkegels besorgt und bei der Forelle
eine innere hellere und eine äussere dunklere Zone zeigt und aus Bindegewebe mit
Zellen. besteht. Das Lig. intervertebrale internum dagegen zeigt keine Zellen, sondern
nur ein helles faseriges Gewebe mit einer gewissen Zahl feiner netzförmig verbundener
elastischer Fäserchen.
Dass der chordale Doppelkegel wirklich der Chordascheide seinen Ursprung ver-
dankt, habe ich übrigens nicht nur aus den Beziehungen der Theile zu einander, wie
sie die Fig. XV zeigt und aus der oben gemeldeten Erfahrung über junge Forellen-
wirbel entnommen, vielmehr kann ich in dieser Hinsicht noch einen andern vollgültigen
Beweis vorlegen und zwar den, dass nach dem Ausziehen der Kalksalze die Elastica
externa der Chordascheide an der Aussenseite der fraglichen Schicht, somit im
Innern des knöchernen Doppelkegels des Wirbels nachzuweisen ist.
Einem etwas andern Typus folgen die Wirbel des Aales, welche die Fig. XVI.
darstellt, wogegen die Wirbel des Hechtes ganz mit denen der Forelle stimmen
Beim Aale sind, abgesehen von der Chorda selbst, deren Verhältnisse ich als minder
erheblich bei Seite lasse, folgende Eigenthümlichkeiten da. Erstens ist der chordale
Doppelkegel e ganz klein und nur im innersten Theile des Wirbels vorhanden und
zweitens findet sich an der Aussenseite der Elastica externa der Chorda eine Lage
von weicher, ächter Bindesubstanz m als unmittelbare Auskleidung der concaven Aus-
höhlungen der Wirbelendflächen, welche durch das Lig. intervertebrale von einem
Wirbel auf den andern übergeht. Diese Lage, welche entschieden der äussern skelett-
bildenden Schicht angehört und die inneres Periost der Wirbel, oder Periost
der Wirbelfacetten heissen mag, scheint beim Aale keinen Antheil an der Bildung
des knöchernen Wirbels zu nehmen; dagegen sind mir andere Fische bekannt geworden,
wo dies wirklich der Fall ist und zwar kenne ich bisher zwei Unterformen. Bei den
einen Gattungen besteht dieses Periost aus Bindegewebe oder Bindesubstanz und liefert
eine osleoide Substanz, welche die innerste Lage des periostalen Doppelkegels bildet,
jedoch von demselben durch eine besondere Schichtung sich unterscheidet, so bei Perca,
Triodon, bei andern hat dasselbe den Bau von Fa serknorpel und geht beim Ver-
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. YV, 11
ea „a
kalken in eine Lage von Knorpelknochen über, welche die Wirbelfacetten bekleidet,
und natürlich scharf von dem eigentlichen Gewebe derselben absticht. Diese Form
habe ich bis jetzt nur gesehen bei Auxis bisus, erwarte sie jedoch noch bei
manchen andern von den Gattungen, deren Skelett aus ächter Knochensubstanz mit
Zellen besteht.
Wahrscheinlich gibt es nun noch einen dritten Typus, bei dem ein Periost der
Wirbelfacetten zugleich mit einem entwickelteren chordalen Doppelkegel sich findet.
Ist dieses Periost nicht verkalkt, so wird der chordale Doppelkegel von dem
periostalen durch einen Zwischenraum abstehen, wie dies in der That nach J. Müller’s
leicht zu bestätigenden Angabe bei Xiphias gladius der Fall ist, im entgegen-
gesetzten Falle wird der Doppelkegel aus drei besonderen Lagen bestehen, zwischen
denen jedoch die Grenzen ausser an den Wachsthumsstellen vielleicht oft verwischt
sein mögen.
Fasse ich nun zum Schlusse die Hauptresultate, die in Betreff der Wirbelbildung
der Teleostier sich herausgestellt haben, zusammen, so ergeben sich folgende Sätze.
1. Die Chordascheide der Teleostier besteht wie die der Selachier aus drei
Schichten, hat jedoch hier einfach die Bedeutung einer Ausscheidung der Chorda-
gallerte, indem die mittlere oder Faserlage nie Zellen enthält.
2. Die erste Ossification der Wirbel geschieht in der mittleren Lage der
Chordascheide, besteht immer aus einfacher osteoider zellenloser Substanz und hat
wenigstens bei den Salmonen die Form von Plättiehen der Bauchseite, die allmählig,
nach der Rückenseite wachsend, zu Halbringen und schliesslich zu ganzen Ringen
sich gestalten, welche dann je nach den Gattungen nur eine geringe Grösse erreichen
oder so lange mitwachsen als die Wirbel überhaupt sich vergrössern.
3. Die Bogen sind bei den Teleostiern ursprünglich immer knorpelig, ver-
knöchern jedoch bei manchen Galtungen früh, während sie bei andern lange im
Knorpelzustande sich erhalten. Nur im letztern Falle nehmen sie einen Antheil an
der Wirbelbildung und stellen das Knorpelkreuz im periostalen Wirbelkörper dar, das
stellenweise in ächten Knorpelknochen übergeht.
4. Eine Verschmelzung der knorpeligen Bogen ist bei den Teleostiern selten
und finden sich die einzigen bis jetzt bekannten Beispiele an den chordalen End-
faden einiger Gattungen.
5. Bei den meisten Teleostiern mit wenigen Ausnahmen (Leptocephaliden)
haben Periostablagerungen einen mehr weniger grossen Antheil an der Bildung der
— 39 —
Wirbel und erzeugen dieselben da, wo sie am ausgeprägtesten vorkommen 1) die
Hauptimassen der Doppelkegel, 2) die in den äussern Aushöhlungen derselben
gelegenen meist schwammigen Massen, 3) innere Auflagerungen an den concaven
Facetten der periostalen Doppelkegel.
6. Die Chorda der Teleostier wird in der Mitte der Wirbel nie verdrängt und
wächst je zwischen zwei Wirbeln mit der Wirbelsäule fort, wobei sie allerdings
verschiedene Veränderungen erfahren und stellenweise in Knorpel übergehen (Gegen-
baur, ich) oder besondere Höhlungen erzeugen kann. —
Die Haupttypen der Wirbelkörper der Teleostier sind folgende :
I. Die Wirbel bestehen nur aus der verknöcherten Chordascheide.
Leptocephaliden.
II. Die Wirbel besiehen aus der verknöcherten Chordascheide und dussern
Periostablagerungen.
Die grosse Mehrzahl der Teleostier.
III. Die Wirbel bestehen aus der verknöcherten Chordascheide, äussern Periost-
ablagerungen und einem Antheile der Bogen.
Alle Teleostier mit einem Knorpelkreuze im Innern der Wirbelkörper.
Im Einzelnen ergeben sich dann noch Unterformen je nach der Ausdehnung des
chordalen Wirbelkörpers. dem Vorkommen oder Fehlen des Periostes der Wirbel-
facetten. dem Baue dieses Periostes und der vorhandenen oder mangelnden Ver-
knöcherung desselben, deren specielle Aufzählung einer spätern Zeit vorbehalten
bleiben muss.
H. Wirbelsäule der Ganoiden.
Eine Darlegung der Gesetze der Wirbelbildung bei den Knochenganoiden, welche
hier vor Allem in Betracht kommen, ist noch schwieriger als eine solche der Wirbel-
entwickelung der Teleostier, weil bei den ersteren eine Kenntniss der ersten Entwicke-
lung der Wirbelsäule ganz fehlt. Nichts destoweniger habe ich durch Untersuchung
der Wirbel der fertigen Geschöpfe, sowie des wenig entwickelten Endes der Wirbel-
säule derselben eine Reihe Anhaltspunkte gewonnen, welche mir erlauben, wenigstens
die Grundzüge der Wirbelgenese festzustellen.
de
a
Die Chordascheide der Ganoiden besteht aus denselben drei Lagen, wie
die der Selachier und Teleostier, es ist jedoch hervorzuheben, dass die Faserlage
derselben bei Acipenser, Scaphyrhynchus, Spatularia, Polypterus und
Amia wie bei den Teleostiern gebaut ist und keine Zellen enthält. während
Lepidosteus eine Abweichung zu begründen scheint. indem hier, wie ich
schon an einem andern Orte mittheilte (Ende der Wirbelsäule der Ganoiden S. 9),
wenigstens am Ende der Wirbelsäule die Faserlage der Scheide innerhalb der
Elastica externa stellenweise sowohl ächten Knorpel als auch eine Bindesubstanz mit
Spindelzellen enthält. Da es gewiss sehr unwahrscheinlich ist, dass die Chordascheide
der verschiedenen Gattungen von Ganoiden eine verschiedene Bedeutung besitzt, so
habe ich mir die Frage vorgelegt, ob vielleicht die Zellen bei Lepidosteus von
der äussern skelettbildenden Schicht abstammen und an die Innenseite der Elastica
externa hereingewuchert sind oder ob etwa bei den andern Gattungen die entsprechende
Lage ursprünglich Zellen besitzt.
Eine Antwort auf die letztere Frage zu geben, ist leider für einmal unmöglich,
da die Jugendzustände der Chordascheiden der betreffenden Gattungen noch gänzlich
unbekannt sind; was dagegen den andern Punkt betrifft, so hat mir eine wiederholte
Untersuchung meiner Präparate allerdings gezeigt. dass die ausgesprochene Ver-
muthung wahrscheinlich ist. Das innerhalb der Elastica externa abgelagerte Knorpel-
gewebe erscheint nämlich als ein von der zellenlosen Chordascheide scharf abge-
grenztes und macht den Eindruck einer secundären Auflagerung, wie dies auch die
Figsg. 2 und 4 der Tafel, III in meiner Abhandlung über das Ende der Wirbelsäule
der Ganoiden deutlich macht und möchte ich nun, wo ich weiss, dass die andern Ganoiden
alle keine Zellen in ihrer Chordascheide besitzen, allerdings glauben, dass der frag-
liche Knorpel bei Lepidosteus nicht zur Chordascheide gehört. Ich bin nun freilich
nicht im Stande anzugeben, wie derselbe an seine Stelle gelangt, da jedoch die
Elastica externa deutliche Lücken besitzt, so ist es sicherlich nicht unmöglich, dass
derselbe von der Knorpellage der Bogen abstammt und durch partielle Wucherungen
derselben durch die’ Lücken der genannten Haut hindurch an die Stellen gelangt,
wo er später sich findet.. Ist diese Auflassung richtig, so würden dann alle Ganoiden
im Bau und der Bedeutung ihrer Chordascheide an die Teleostier sich anschliessen
und einer äussern zellenhaltigen Chordascheide entbehren. — Bei dieser Gelegenheit
will ich nun auch noch bemerken, dass die Cyclostomen (Branchiostoma,
Myxine, Petromyzon) ebenfalls nur eine zellenlose Chordascheide haben,
während bei Protopterus (Lepidosiren) die Chordascheide zellenhaltig ist und
an die der Selachier sich anschliesst.
Mit Bezug auf die Gestaltung, welche die Wirbelsäule der Knochenganoiden
ursprünglich besitzt, wird so lange keine bestimmte Entscheidung zu geben sein, als
es nicht gelingt, junge Individuen auf diese Verhältnisse zu untersuchen; immerhin
liegen eine Reihe von Thatsachen vor, welche schon jetzt zur Ableitung von Schlüssen
verwerthet werden können. Vor Allem könnte man daran denken, aus der Beschaffen-
heit des Endes der Wirbelsäule bei Amia, Polypterus und Lepidosteus den
Satz abzuleiten, dass bei diesen Fischen die Wirbel ursprünglich knorpelig sind
und aus der Chordascheide sammt den sie umschliessenden knorpeligen Bogen
bestehen. Wir finden nämlich bei allen Knochenganoiden am unverknöcherten Ende
der Wirbelsäule mehr weniger entwickelt. am schönsten bei Lepidosteus, ein
zusammenhängendes Knorpelrohr, welches die Chorda umschliesst und auch das
Rückenmark enthält. Es zeigen jedoch die Teleostier hinreichend bestimmt, dass der
Zustand. in welchem das Ende der Wirbelsäule bei den erwachsenen Thieren auf-
tritt, nicht nothwendig mit dem übereinstimmt, in dem die Wirbelsäule zuerst erscheint,
indem bei den Salmonen und Cyprinen am Ende der Wirbelsäule ebenfalls ein
mehr weniger vollständiges Knorpelrohr da ist, während die Wirbel sicherlich nicht
ursprünglich als Knorpelringe auftreten und wird es daher nöthig vorerst zu fragen,
in welchem Sinne etwa andere Erfahrungen sprechen. Und da scheint mir dann die
grössere Wahrscheinlichkeit dafür zu sprechen, dass die Wirbel ursprünglich aus einem
Abschnitte der Chordascheide und den vier nicht verschmolzenen Bogen bestehen.
Die Thatsachen, die zu diesem Schlusse führen, sind folgende:
1. Beiden Acipenserini und Spatulariae, bei denen eine primordiale Form
der Wirbelsäule zeitlebens sich erhält. besteht die Wirbelsäule aus der starken
Chordascheide und nicht verschmolzenen Knorpelbogen.
2. Bei den fossilen Ganoiden, denen knöcherne Wirbelkörper abgehen, sind die
knöchernen Bogen bei vielen Gattungen getrennt.
3. Bei den fertigen Wirbeln von Amia lässt sich erkennen, dass dieselben
ursprünglich ein Knorpelkreuz enthalten, wie es von den Salmonen und Esox
bekannt ist und nur da vorkömmt, wo die Knorpelbogen vor der Verknöcherung
der Wirbel getrennt sind.
Somit scheint mir für einmal die Annahme die wahrscheinlichste, dass die pri-
a
mordiale Wirbelsäule der Knochenganoiden dieselbe Form besitzt, wie die der Ga-
noidei chondrostei.
Die erste Ossificalion der Wirbelkörper der Knochenganoiden scheint mit
einer Verknöcherung der Chordascheide zu beginnen. Hierfür sprechen zwei That-
sachen und zwar erstens das Vorkommen von Halbringen und Ringen von osteoider
Substanz ohne Zellen an gewissen Stellen der Chordascheide des Endes der Wirbel-
säule des ausgewachsenen Polypterus (Schwanzwirbelsäule der Ganoiden $: 5.
Tab. 1. Figg. 2 und 3) und zweitens der Umstand, dass auch in den ausgebildeten
Wirbeln von Polypterus in der Mitte noch die verkalkte Chordascheide zu erkennen
ist. Immerhin kann ich nicht behaupten, dass auch Amia und Lepidosteus ebenso
sich verhalten, indem ich selbst bei Amia in den fertigen Wirbeln keine Spur einer
verknöcherten Chordascheide aufzufinden vermochte. Mag dem sein wie ihm wolle,
so nimmt auf jeden Fall auch bei Polypterus die Chordascheide keinen grösseren
Antheil an der Bildung der Wirbelkörper als beim Aale und findet sich an den con-
caven Wirbelfacetten keine Spur einer auf sie zu beziehenden Knochenschicht.
Die Hauptmasse der Wirbelkörper baut sich somit auch bei den Knochenganoiden
aus frühzeitig auftretenden Ablagerungen aus der häuligen äussern skelettbildenden
Schicht oder aus Periostablagerungen auf und folgen wenigstens die Wirbel von Amia
und Polypterus in ihrer Bildung wesentlich denselben Gesetzen wie die Teleostier.
Einzelheiten anlangend,. mache ich auf Folgendes aufmerksam.
1. Bei Amia enthalten die Wirbel ursprünglich ein Knorpelkreuz (Fig. XVID),
welches jedoch beim fertigen Wirbel grösstentheils verknöchert ist. Der Knochen ist
jedoch kein Knorpelknochen, wie bei den Teleostiern. bei denen die fraglichen
Knorpelzapfen mehr weniger erhärten, sondern ächter Knochen.
2. Amia und Polypterus besitzen ein Periost der Wirbelfacetten, wie der
Aal und andere Teleostier, dasselbe besteht jedoch aus Faserknorpel mit stellen-
weisen Uebergängen zu hyalinem Knorpel und nimmt wie bei Auxis bisus (s. oben)
durch Umbildung in Knorpelknochen an der Bildung des periostalen Doppelkegels
Antheil. Man findet nämlich auch bei Polypterus und Amia (Figg. XVII, XIX) die
concaven Wirbelfacetten von einer dünnen Lage von Knorpelknochen ausgekleidet und
wächst der Doppelkegel an seinem Rande theils auf Kosten eines rein bindegewebigen
Ligamentum intervertebrale externum, theils auf Rechnung einer nach innen davon
befindlichen faserknorpeligen Schicht, die genau dieselbe Lage hat, wie beim Aal.
3. Sehr beachtenswerth sind die Schicksale der Chorda bei Amia und Poly-
pterus. Die Wirbel dieser beiden Gattungen sind in der Mitte knöchern und nicht
durchbohrt wie die der Teleostier. Untersucht man, wie die Verdrängung der Chorda,
die natürlich auch hier ursprünglich einen zusammenhängenden Strang darstellt, sich
macht, so überzeugt man sich, dass dieselbe nicht in der Weise geschieht, wie Gegen -
baur aus Gründen der Analogie annehmen zu müssen glaubte (l. c. S. 62), indem
die Chorda durch Knorpel eingeschnürt und verdrängt wird, sondern durch eine
Ossification der Chorda selbst zu Stande kommt. Das Zustandekommen dieser
Umbildung der Chorda in ächten Knochen mit sternförmigen Zellen wird nur an
jungen Wirbelsäulen in allen Einzelheiten zu verfolgen sein, immerhin lehrt Poly-
pterus (s. dieFigg.XX, XXT) soviel, dass wahrscheinlich die Chordagallerte erst verkalkt,
und dann an verschiedenen Stellen einschmilzt. wobei auch die verknöcherte Scheide
da und dort zerstört wird, und ein System von Markräumen erzeugt, die mit denen
des periostalen Doppelkegels zusammenhängen und bald Blutgefässe erzeugen. Dann
folgen Ablagerungen ächten Knochens an den Wandungen dieser Räume, während
zugleich das ursprüngliche Gewebe immer mehr zerstört wird, bis am Ende alles
ächter lamellöser Knochen ist. Fig. XXI zeigt im Querschnitte diese knöcherne Mitte
des Wirbels. welche noch von einer fast ganz erhaltenen ossifieirten Chordascheide
umgeben ist und in Fig. XXII ist dieselbe im verticalen Längsschnitte zu erkennen.
Ein solcher Schnitt zeigt auch, dass an die knöcherne Mitte beiderseits verkalkte
und dann erst weiche Chordagallerte anstösst. Bei Amia (Fig. XVII) ist die Mitte
des Wirbels ebenfalls ächter Knochen und entsteht unzweifelhaft in derselben Weise
wie bei Polypterus; da jedoch keine Reste der Chordascheide sichtbar sind, so
lässt sich dies hier nicht so nachweisen, wie dort.
Kennt man die Wirbelgenese von Amia und Polypterus, so ist dann auch
die von Lepidosteus nicht schwer zu begreifen; vorausschicken muss ich jedoch
dass die Endflächen der Wirbelkörper auch hier eine dünne Rinde von Knorpel-
knochen besitzen, der auf Kosten eines Faserknorpels sich bildet, der am fertigen
Wirbel noch mehr weniger deutlich zu erkennen ist und dem Perioste der Wirbel-
facetten von Amia und Polypterus entspricht. Geht man von dem Wirbel von
Polypterus aus (Fig. XX), so lässt sich die Form von Lepidosteus ableiten, wenn
man annimmt, dass der Grund der conischen Facetten durch eine weiterdringende Ver--
knöcherung der Chorda selbst bis zu einem gewissen Grade sich ausfülll. Wie weit
diese Verknöcherung geht, ist kaum zu bestimmen: auf jeden Fall folgt aus dem
Umstande, dass der Wirbel an seinen Enden eine zusammenhängende fertige Lage
eg
von Knorpelknochen besitzt, dass später das faserknorpelige Periost der Facetten, in-
dem es zu einer zusammenhängenden Lage auswächst, den Ansatz neuer Knochen-
massen besorgt. Ich halte es für wahrscheinlich, dass auf Kosten dieser Lage ein
guter Theil der Wirbelkörper gebildet wird, nur müsste man dann annehmen, dass der
Knorpelknochen in der Tiefe immer resorbirt wird und ächtem Knochen Platz macht,
doch ist es auch nicht gerade als unmöglich zu erachten, dass die Chordaossification einen
grösseren Antheil an der Ausfüllung der Facetten nimmt, als es scheint. — Auf jeden
Fall folgen die Wirbel von Lepidosteus demselben Bildungsgesetze wie die der andern
Ganoiden und kann auch noch daran erinnert werden, dass es auch bei den Teleostiern
Fälle von soliden Wirbeln gibt, deren Entwickelung wohl nach demselben Plane
geschehen wird.
Fasst man alles über die Knochenganoiden Bemerkte zusammen, so ergibt sich,
dass die Wirbelbildung derselben von derjenigen der Teleostier sich nicht wesentlich
unterscheidet und kein Merkmal darbietet, welches nicht auch bei Teleostiern beobachtet
ist oder wahrscheinlich vorkommt. Immerhin lassen sich als im grossen Ganzen
bezeichnend hervorheben einmal die Verdrängung der Chorda in der Wirbel-
mitte durch Umwandlung derselben in ächten Knochen und zweitens das
Vorkommen einer Lage von Knorpelknochen an den Wirbelendflächen.
Nach Schilderung der Wirbelbildung der Teleostier und Ganoiden ist es nun
möglich eine Vergleichung zwischen diesen Fischen und den Selachiern anzustellen
und zu fragen, in wie weit die beiderlei Gruppen übereinstimmen oder nicht. Wenn wir
vorläufig davon absehen, dass die Chordascheiden der Teleostier und Ganoiden einer-
seits und die der Selachier andrerseits dem Baue und der Bedeutung nach verschieden
sind und nur berücksichtigen, dass beide dieselben Beziehungen zur Chorda zeigen, so
finden wir, dass die einfachsten Formen der Wirbelsäule und Wirbel bei beiden
Gruppen ganz übereinstimmen. Es haben nämlich auch die Teleostier und Ganoiden
Wirbelsäulen aufzuweisen. die nur aus einer zusammenhängenden Chordascheide ohne
Össificationen und aus knorpeligen Bogen bestehen ( Ganoidei chondrostei, Lepto-
cephaliden z. Theil) und sind ferner die einfachsten Wirbelkörper dieser Fische auch
nichts als einfache in der Chordascheide gebildete Ringe (Leptocephalus, Helm-
ichthys). Unterschiede finden sich allerdings auch schon bei diesen einfachsten
Formen insofern als 1) die Chordascheide der Selachier Zellen enthält,
die der andern Fische nicht, und 2) bei allen Knochenfischen, die Ganoiden einge-
schlossen, die genannte Scheide nur eine geringe Mächtigkeit besitzt,
allein diese Verschiedenheiten machen sich bei den einfachsten Gestaltungen der ganzen
Reihen noch kaum bemerklichk. Ganz anders greifen dagegen die eben
bezeichneten Unterschiede in die spätere Entwickelung ein und hängen
die Hauptabweichungen der Wirbel beider Gruppen mit denselben zu-
sammen. Bei den Selachiern wuchert die zellenhaltige Chordascheide mit allen
übrigen Theilen mächtig heran und bildet für sich allein den Doppelkegel der Wirbel-
körper, bei den Teleostiern und Ganoiden dagegen, wo die zelligen Elemente fehlen,
mangelt auch ein solches Wachsthum, es erlangen daher die chordalen Doppelkegel
nur eine sehr geringe Entwickelung und sind es vor Allem periostale äussere Ab-
lagerungen, welche die dieonischen Wirbelkörper bilden. Man kann daher auch ein-
fach sagen, dass die Doppelkegel der Wirbel bei den Selachiern einzig und allein
Entwickelungen ihrer Chordascheide sind, während dieselben bei den andern Fischen
vorzüglich als periostale Ablagerungen sich darstellen und die chordalen Doppelkegel
nur eine äusserst geringe Entfaltung zeigen. An diese morphologische Grundver-
schiedenheit, die aber in erster Linie von den histologischen Unterschieden der Chorda-
scheiden beider Gruppen abhängt, schliesst sich dann natürlich auch eine zweite mit Bezug
auf den feineren Bau, indem die chordalen Doppelkegel und die Wirbelkörper der Selachier
überhaupt aus Knorpel und Knorpelknochen, die der Teleostier und Ganoiden aus
zellenloser osteoider Substanz bestehen, während die periostalen Doppelkegel ächten
Knochen (bei den Ganoiden mit Zellen und Zahnröhrchen) führen. Geht man auf die
Bedeutung des Blastems ein, aus dem die Wirbeldoppelkegel beider Abtheilungen sich
bilden. so ergibt sich, dass die Ossificationen der Chordascheide der Teleostier und
Ganoiden ganz einzig in ihrer Art dastehen, während die Doppelkegel der Selachier
und die periostalen Doppelkegel der Teleostier einander entsprechen. Beide entstehen
nämlich aus einer und derselben Lage. der äussern skelettbildenden Schicht, und sind
offenbar gleichwerthig. trotz der Verschiedenheiten, die sie zeigen, die darin bestehen,
dass bei den Selachiern ein Theil der genannten Lage in eine besondere Beziehung zur
Chorda tritt und verknorpelt, während dies bei den Teleostiern nicht der Fall ist.
In allen andern Beziehungen stimmen die Wirbel beider Gruppen im Wesentlichen
überein und hebe ich in dieser Hinsicht nur noch Folgendes hervor. Bei den Teleostiern
und Ganoiden nehmen bei fast allen periostale Ablagerungen an der Aussenseite
der Doppelkegel der Wirbelkörper einen grossen Antheil an der Bildung der Wirbel-
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. Y. 12
90
körper und treten da, wo die Wirbelkörper ein von den Bogen abstammendes Knorpel-
kreuz enthalten, in Form von vier Zapfen auf, während sie bei den andern Gattungen
einen zusammenhängenden Mantel um die Mitte des Doppelkegels bilden. Letztere Form
ist nun allerdings bei den Selachiern nicht vorhanden, dagegen treten die periostalen Zapfen
bei den Nietitantes und Lamnoidei vor Allen ebenso schön und mächtig entwickelt
auf wie nur immer bei den Knochenfischen und haben auch, wie bei diesen, stark
entwickelte Sharpey’sche Fasern. Was ferner die Bogen anlangt, so ist es bei den
Selachiern allerdings sehr häufig, dass dieselben den chordalen Wirbelkörper umwachsen
und einen grossen Antheil an der Bildung desselben nehmen, während bei den
Teleostiern und Ganoiden das Umgekehrte Regel ist, allein auf der einen Seite findet
sich letzteres auch bei manchen Selachiern und auf der andern zeigen die unverknöchenten
Enden der Wirbelsäulen gewisser Teleostier und aller Knochenganoiden, dass auch hier
eine Umhüllung der Chordascheide durch die Knorpel der Bogen vorkommen kann.
Somit findet sich auch hier keine durchgreifende Verschiedenheit, dadegen kann aller-
dings noch hervorgehoben werden, dass bei den Teleostiern und Ganoiden die Ossilication
der Bogen durch ächten Knochen sich macht, während Knorpelknochen nur selten auf-
tritt, bei den Selachiern dagegen periostale Ablagerungen sich gar nicht finden.
Ich stelle nun noch die gefundenen Thatsachen alle übersichtlich zusammen.
1. Chordagallerte.
2. Chordascheide.
3. Doppelkegel
der Wirbel.
Selachier.
Ist meist ein zusammenhängender
Strang. Wird sie in einzelne Stücke
zerfällt. so geschieht dies durch
Verdrängung von Seiten der wu-
chernden Chordascheide.
Ist zellenhaltig und stark und
entwickelt sich aus der äussern
skelettbildenden Schicht.
Sind ohne Ausnahme Össifica-
tionen der Chordascheide und be-
stehen aus Knorpelknochen.
Teleostier und Ganoiden.
Ist meist zusammenhängend. Ab-
schnürungen finden sich nur durch
directe Ossification der Gallerte bei
den Knochenganoiden.
Ist zellenfrei und von geringer
Mächtigkeit, hat die Bedeutung einer
Ausscheidung der Chordagallerte.
Sind vorzugsweise periostale Ab-
lagerungen und nur zum kleinsten
Theile Entwickelungen der Chorda-
scheide. Jene sind osteoide Substanz
oder ächter Knochen, diese immer
osteoide zellenlose Substanz.
4. deussere
Periostabla-
Selachier.
Fehlen häufig; wo sie da sind,
sind sie zum Theil gut entwickelt
Teleostier und Ganoiden.
Sind fast immer da, theils in Ge-
stalt von 4 Zapfen, theils als zu-
gerungen der und zwar immer in Gestalt von sammenhängende Ringe von osteoi-
Wirbelkörper. 4 Zapfen von verkalktem Faser- der Substanz oder ächtem Knochen.
knorpel.
Umgeben häufig den chordalen Stellen an ausgebildeten Wirbeln
Wirbel
durch Knorpelknochen.
5. Knorpelige
Bogen. vollkommen „ ossificiren immer getrennte Bildungen dar. Os-
sifieiren durch Periostablagerungen
und innere Bildung von osteoider
Substanz und ächtem Knochen, und
nur in geringem Grade durch Knor-
pelknochen.
An diese Schilderung würde sich nun noch zweckmässig eine Vergleichung der
Wirbel der Fische und derjenigen der höhern Thiere anreihen, ich sehe mich jedoch
veranlasst, eine ausführliche Besprechung dieser wichtigen und schwierigen Frage für eine
andere Gelegenheit aufzusparen und hier nur folgende wenige Bemerkungen beizufügen.
Die Frage, die vor Allem sich erhebt, die nach der Bedeutung der Chorda-
scheide der höheren Wirbelthiere, erledigt sich für die beschuppten Amphibien, Vögel
und Säuger ziemlich leicht, wenn man weiss, dass die Chordascheiden derselben ohne
Ausnahme strueturlos sind und ergibt sich so, dass dieselben auf keinen Fall mit der
Will man
vergleichen, so bietet sich, wie ich es schon an einem andern Orte ausgesprochen habe
(Würzb. Verh. X) nur die Elastica interna der Selachier dar, die ebenfalls am zweck-
Dieser Auf-
stellung hat auch Gegenbaur sich angeschlossen und weiter hinzugefügt, dass auch
gesammten Chordascheide der Selachier zusammengestellt werden können.
mässigsten als eine Ausscheidung der Chordagallerte aufgefasst wird.
die Chordascheide der nackten Amphibien in dieselbe Kategorie falle. Ich war mit
Bezug auf diese Geschöpfe früher zweifelhaft, weil ich an ihrer Chordascheide eine
Klastica externa und eine Faserhaut aufgefunden hatte, die später auch Gegenbaur
bestätigte, und das Verkommen einer Rlastica externa zu beweisen schien, dass es sich
hier um eine Chordascheide wie bei den Selachiern handle. Eine genaue Untersuchung
der Chordascheiden der Teleostier und Ganoiden brachte mich jedoch schliesslich zu der
12*
= JMGR):
Ueberzeugung, dass auch die Chordascheiden dieser Fische und der nackten Amphibien
denen der höheren Geschöpfe gleichwerthig sind, wobei ich jedoch bemerke, dass die
Entscheidung sicherlich nicht leicht ist. Denn wenn auch. wie ich gefunden, die
Chordascheiden der Teleostier. Ganoiden (und Cyelostomen) alle zellenlos sind. so
stimmen dieselben doch in allen übrigen Verhältnissen so sehr mit den zellenhaltigen Scheiden
der Selachier (und von Protopterus) überein, dass es gewiss guter Gründe bedarf, um
dieselben zu trennen. Man denke an die mächtigen Chordascheiden des Störs, von
Spatularia, Petromyzon und Myxine, die denen von Lepidosiren, Chimaera,
Heptanchus u. s. w. nicht nachstehen, dann an die starke Entwickelung der Chorda-
scheide in den Lig. intervertebralia der Teleostier,. endlich daran, dass die Elastica
externa und interna bei Teleostiern und Ganoiden ganz allgemein sich finden und dass
die Faserlage der zellenlosen Chordascheiden einen oft ganz zierlichen faserigen Bau,
ja selbst elastische Fäserchen besitzt und man wird kaum anders können als finden,
dass die zellenlosen und zellenhaltigen Chordascheiden einander sehr nahe stehen. Die
Gründe, warum ich mich veranlasst sche, alle zellenlosen Chordascheiden als Aus-
scheidungen der Chordagallerte aufzufassen sind die:
Erstens findet sich ein ganz allmäliger Uebergang von den einfachsten Chorda-
scheiden der Vögel und Säuger zu den ausgebildetesten Formen der Cycelostomen
und Ganoidei chondrostei und zwar durch die nackten Amphibien. Teleostier und
Knochenganoiden hindurch. Sind die ersteren keine Producte der äussern skelettbilden-
den Schicht, wie mir ausgemacht erscheint. so sind es auch die andern nicht und lässt
sich auf jeden Fall die Schwierigkeit nicht so beseitigen, dass man sagt, die Scheiden
der höhern Wirbelthiere sind Ausscheidungen der Chorda, die der Teleostier, Ganoiden
und Cyclostomen Produete der äussern skelettbildenden Schicht.
Zweitens lehrt die Entwickelung der Chordascheide der Teleostier, dass die
Chordascheide anfänglich ein ganz zartes Häutchen ist, das durch Ablagerungen von
innen sich verdickt. Letzteres beweist wohl unzweifelhaft das späte Auftreten der
Elastica interna, welche zu einer Zeit noch fehlt. wo die Elastica externa schon voll-
kommen deutlich ist, wie ich dies bei jungen Salmonen gefunden habe. Damit soll
jedoch nicht gesagt sein, dass nach der Bildung der Klastica interna eine Diekenzunahme
der Chordascheide nicht mehr möglich sei, nur soviel, dass ihre Entwickelung im Allge-
meinen durch Ansatz von innen her statt habe. — Meiner Auffassung zufolge stellen
somit die Chordascheiden der Säuger, Vögel, beschuppten Amphibien und auch die der
Selachier (deren eieentlliche Scheide nur aus * Elastica interna besteht) « imiliv
Selach (d gentliche Scheid der Elastica interna besteht) den primitiven
a
Zustand dieses Organes dar, die Chordascheiden der nackten Amphibien, die auch eine
Elastica externa haben, ein mittleres Stadium und die der Teleostier, Ganoiden und
Cyclostomen mit ihren drei Lagen die ganz ausgebildete Form.
Aus dem eben Auseinandergesetzten folgt, dass die eigentliche Chordascheide der
höheren Wirbelthiere derjenigen der Selachier viel näher steht, als die der Teleostier
und Ganoiden und erhebt sich so von vorne herein die Vermuthung, dass diese Abtheilungen
auch in der Bildung der Wirbel eine nähere Verwandtschaft zeigen. In einem Punkte
bewahrheitet sich dies auf jeden Fall, insofern als bei keinem höheren Wirbelthiere eine
Ossification der eigentlichen Chordascheide sich findet, die wie wir gezeigt haben, allen
Teleostiern in einem gewissen Grade und wahrscheinlich auch den Ganoidei teleostei
zukommt. Auf der andern Seite scheint jedoch den höhern Geschöpfen jene Bildung
einer zellenhaltigen äussern Chordascheide aus der äussern skelettbildenden Schicht, die
bei allen Selachiern sich findet und einen so grossen Antheil an der Wirbelbildung
nimmt, ganz und gar zu fehlen, in welchem Sinne auch Gegenbaur sich ausge-
sprochen hat (l. ec. S. 64). Prüft man die Sache genauer, so ergibt sich, dass dem
doch nicht ganz so ist und dass wenigstens Eine Abtheilung der Amphibien, nämlich
die Batrachier, Verhältnisse darbietet, die denen der Selachier sehr nahe siehen. Bei
der Larve eines nicht näher zu bestimmenden ungeschwänzten Batrachiers aus Mexico
fand ich die Chorda sammt ihrer eigentlichen Scheide von einer scharf abgegrenzten
ziemlich starken Lage von Bindesubstanz umgeben, welcher die knorpeligen Bogen frei-
lich ohne scharfe Grenze aufsassen, so dass die Wirbelsäule eine grosse Aehnlichkeit
mit der gewisser Selachier hatte, eine Aehnlichkeit. die dadurch noch vermehrt wurde,
dass in der genannten äussern Chordascheide auch die ersten Ossificationen der Wirbel-
körper in Gestalt von Ringen von Faserknochen auftreten (Würzb. Verh. X Taf. II
Fig. 6). Aehnlich verhalten sich nach den Untersuchungen von Bruch und Gegen-
baur auch Rano und Bufo und darf somit wohl vermuthet werden, dass noch andere
Ecaudata in dieselbe Kategorie fallen. Diejenigen Ecaudala, deren Wirbelkörper über
der Chorda sich bilden, zeigen zwar keine Knochenringe als erste Andeutungen der
Wirbelkörper, aber doch, wie ich bei Cultripes und Pipa gezeigt habe, eine die
Chorda umgebende, scharf begrenzte äussere Scheide von Bindesubstanz, die ebenfalls
der äussern Scheide der Selachier verglichen werden darf. Ich verkenne übrigens
nicht, dass bei keinem Batrachier die äussere Chordascheide gegen die Bogen und sonst
jemals so scharf durch eine Elastica abgegrenzt ist, wie bei allen Selachiern in früheren
Stadien, da jedoch auch bei diesen die Elastica später oft spurlos vergeht und Bogen
=. =
und äussere Chordascheide verschmelzen, so fällt der angegebene Umstand wohl weniger
in’s Gewicht, und lässt sich nichts desto weniger die nahe Verwandtschaft der beiden
Bildungen vertheidigen. —
Stimmt die Wirbelsäule gewisser nackten Amphibien und der Selachier in der
ersten Anlage in manchen Beziehungen überein, so weichen sie doch in der spätern
Entwickelung in Vielem ab. Ohne auf die eigenthümlichen Gestaltungen der inter-
vertebralen Theile einzugehen, mag nur noch hervorgehoben werden, dass bei allen
vorhin genannten Gattungen, deren Wirbelkörper zuerst als ringformige Ossificationen
der äusseren Chordascheide von Faserknochen oder Knorpelknochen auftreten, dieselben
später vor allem durch Periostablagerungen von ächtem Knochen sich verstärken und
auch im Innern zu solchem sich umgestalten. In ersterer Beziehung stimmen diese
Batrachier ganz mit den Teleostiern und Ganoiden überein, während sie in letzterer
ganz allein dastehen, indem bei keinem Selachier der chordale Wirbelkörper je ver-
drängt wird.
Bei den übrigen höhern Wirbelthieren fehlt jede Differenzirung der äussern skelelt-
bildenden Schicht in äussere Chordascheide und Wirbelbogen und entwickelt sich ihre
Wirbelsäule in erster Linie aus einem einfachen, zusammenhängenden, die Chorda
sammt ihrer eigenen Scheide umgebenden Blasteme, das erst weiche Bindesubstanz ist,
dann aber an bestimmten Stellen verknorpelt. Im Einzelnen zeigen sich jedoch manche
Verschiedenheiten. Bei den Säugelhieren, Vögeln und gewissen Reptilien entwickeln
sich die Wirbelkörper vor ihrer Verknöcherung zu dicken Knorpelmassen, während bei
andern (nackten Amphibien zum Theil, Reptilien zum Theil) der Knorpel vorzüglich
intervertebral sich entfaltet und der Wirbelkörper entweder ganz oder vor allem aus
Periostablagerungen sich aufbaut. Die Wirbel dieser letzgenannten Thiere schliessen sich
somit näher an die der Teleostier und Knochenganoiden an, bei denen die Wirbelkörper
keinen Knorpel als Vorläufer haben und, abgesehen von dem Antheile der Bogen, ganz
und gar aus der Ossification der eigentlichen Chordascheide und aus Periostablagerungen
auf die äussere Seite derselben sich aufbauen. Ja selbst der Intervertebralknorpel der
Amphibien hat bei den Knochenfischen sein Analogon, und zwar in den oben beschrie-
benen intervertebralen Faser- und Faserknorpelmassen der äussern skelettbildenden
Schicht, die als Periost der Wirbelfacetten bezeichnet wurden, und einen bestimmten
Antheil an der Bildung der Wirbelkörper nehmen. Werden diese Massen auch nie so
mächtig wie bei gewissen Amphibien und erleiden sie auch nicht dieselben Veränderungen
wie dort, so stimmen sie doch in ihrer Bedeutung vollkommen mit den genannten
aan Yht
Intervertebralknorpeln überein, die nach meinen und Bruch’s, von Gegenbaur
bestätigten Erfahrungen nichts als Theile der äussern skelettbildenden Schicht sind, die
ursprünglich mit den Anlagen der Wirbel Eine zusammenhängende Masse bilden.
Stimmen so die Wirbel gewisser Amphibien mit denen der Knochenfische in
manchen Punkten überein, so schliessen sich die der Vögel und Säuger mehr an die
der Selachier an, insofern auch bei ihnen eine mächtige Knorpelentwickelung um die
Chorda dorsalis statt hat, wobei freilich hervorzuheben ist, dass bei den Selachiern der
Knorpel in zwei besondere Theile, äussere Scheide der Chorda und Bogen differenzirt
ist, während derselbe bei den höheren Thieren Eine zusammenhängende Masse darstellt.
Gestützt hierauf hat Gegenbaur den Satz aufgestellt, dass die Wirbelsäule der Selachier
höher stehe, als die der Knochenfische, in welcher Hinsicht ich mir jedoch die Bemerkung
erlauben muss, dass die knorpelige Wirbelsäule in der gesammten Entwickelungsreihe
der Wirbelsäule eben doch nur ein primordiales Stadium ist, während die knöcherne
Wirbelsäule den vollendeten Zustand darstellt. Ebenso wenig als ein knorpeliges Cra-
nium und wenn es auch noch so ausgebildet ist, höher steht als ein knöcherner Schädel,
scheint mir eine knorpelige Wirbelsäule ausgebildeter genannt werden zu dürfen, als eine,
die aus Knochen besteht. Am deutlichsten zeigen dies, wie mir scheint, die Teleostier
und Knochenganoiden selbst, indem dieselben an den unausgebildeten Theilen ihrer
Wirbelsäule im Schwanze nach meinen Untersuchungen bei gewissen Gattungen ganz
ausgebildete knorpelige Umhüllungen der Chorda dorsalis entwickeln. — So viel gebe
ich übrigens Gegenbaur zu, dass die knorpelige Wirbelsäule der Selachier in ihren
entwickelten Formen bei weitem die vollkommenste der primordialen Wirbelsäulen ist
und Bildungen erreicht, die unbedingt höher stehen als die einfacheren Formen der
höhern Entwickelungsreihe der knöchernen Wirbelsäulen.
Zum Schlusse stelle ich nun noch die Hauptmerkmale der Wirbelsäule bei den
verschiedenen Abtheilungen der höheren Thiere zusammen.
1. Cylostomen.
Eigentliche Chordascheide sehr entwickelt meist mit drei besonderen Lagen, Chorda
nicht eingeschnürt. Aeussere skelettbildende Schicht ohne Andeutung von Wirbelkörpern,
aber mit knorpeligen Wirbelbogen.
2. Selachier.
Eigentliche Chordascheide zart. Aeussere Chordascheide sehr entwickelt, eine
unpaare Axe darsiellend, an welche die Bogen sich ansetzen. Im primordialen
Re
Zustande ist die Wirbelsäule ein mächtiger Knorpelstrang mit Wirbelabtheilungen in
der äussern Chordascheide. Bei ausgebildetern Formen liefert die äussere Chorda-
scheide die Doppelkegel der Wirbel, zu denen dann noch Umhüllungen von den Bogen
und Periostablagerungen sich gesellen. Aechter Knochen und osteoide Substanz fehlen
ganz und bestehen auch die am meisten erhärteteten Wirbel nur aus verschiedenen
Formen von verkalktem Knorpel und verkalkter Bindesubstanz. Chorda selbst bald
zusammenhängend, bald in einzelne Stücke zerfallen, im letzteren Falle durch die
Wucherungen der Chordascheide verdrängt.
3. Teleostier und Ganoiden.
Eigentliche Chordascheide entwickelt, zum Theil aus drei Lagen bestehend. Aeussere
Chordascheide fehlt. Im primordialen Zustande besteht die Wirbelsäule nur aus der
Chorda sammt der eigentlichen Scheide und den Knorpelbogen (Ganoidei chondrostei),
zu welchen Theilen sich noch ein zusammenhängendes Knorpelrohr um die Chorda gesellen
kann (Ende der Wirbelsäule gewisser Gattungen). Bei der Verknöcherung, die immer vor-
zugsweise durch osteoide Substanz oder Knochen geschieht, entsteht der Wirbelkörper
1) durch Ossification der eigentlichen Chordascheide, 2) durch Periostablagerungen an
der äussern Seite desselben und 3) in gewissen Fällen auch durch Ossification einer
interverlebral stärker entwickelten Lage von Bindegewebe oder Faserkorpel, die der
äussern skelettbildenden Schicht angehört. Die Chorda ist meist zusammenhängend,
selten in der Mitte verdrängt, was immer durch directe Ossificalion derselben vom
periostalen Doppelkegel aus geschieht.
4. Sirenoiden.
Eigentliche Chordascheide zart. Aeussere Chordascheide mächtig ohne Wirbel-
abtheilungen. Bogen aus ächtem Knochen bestehend.
5. Amphibien, Reptilien zum Theil.
Eigentliche Chordascheide mässig entwickel. Aeussere Chordascheide nur bei
einigen angedeutet, nirgends so scharl abgegrenzt wie bei den Selachiern. Aeussere
skelettbildende Lage meist nur intervertebral stärker entwickelt und verknorpelt, wes-
halb die Wirbelkörper vorzüglich aus Periostablagerungen sich aufbauen, doch kann
I) auch der intervertebrale Knorpel an ihrer Bildung sich betheiligen und 2) auch der
vertebrale Theil der äusseren skelettbildenden Schicht zu einem unpaaren Ringe wie bei
ER RR
den Selachiern verkalken, welche beiden Bildungen jedoch schliesslich wenigstens zum
Theil ächtem Knochen Platz machen. Chorda zum Theil erhalten, zum Theil eingeschnürt
und verschwunden, wobei sie intervertebral durch den wuchernden Knorpel, vertebral
durch die Verknöcherung verdrängt wird,
6. Reptilien zum Theil, Vögel, Säuger.
Eigentliche Chordascheide ‚zart. Aeussere Chordascheide fehlt. Primordial Wirbel-
säule vertebral und intervertebral mächtig entwickelt und am ersteren Orte verknorpelt
unter Verdrängung der Chorda. Verknöcherung erst durch Knorpelknochen und periostale
Ablagerungen, von denen der erste bald auch in ächten Knochen übergeführt wird.
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. YV. 13
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Kig.
Erklärung der Abbildungen.
I. Ginglymostoma. 1. Schwanzwirbel. 2. Vorderer Wirbel. Vergr. 3), mal. a Perichondrium
b obere knorpelige Bogen mit einer Verkalkung bei 5b’, ce untere Knorpelbogen.
II. Querschnitt durch den vordersten Theil der Wirbelsäule von Rhinobatus granulatus. 12 mal
vergr. a äussere Scheide der Chorda aus hyalinem Knorpel bestehend mit dem verkalkten Reste der
Chordagallerte in der Mitte, db Knorpel, cc Rinde von Knorpelknochen.
Ill. Querschnitt durch die Mitte eines Wirbels von Lamna cornubica in natürlicher Grösse. a Chor-
daler Doppelkegel mit verkalktem Knorpel in der Mitte desselben, b b‘ 5’ stark verkalkte Speichen
oder Blätter der vier periostalen keilförmigen Massen, ce obere, c’ untere Bogen, dd Wurzeln dieser
Bogen, die wohl an frischen Wirbeln ganz aus Knorpel bestehen und keine Höhlung enthalten, e keil-
förmige Massen von weicherem verkalktem Faserknorpel.
. IV. Ein Stück der Schwanzwirbelsäule von Oxyrhina gomphodon in natürlicher Grösse,
a Wirbelkörper, b untere Bogen und Dornen, ce obere Bogen, d Schaltknorpel, e besondere knorpelige
Dornen.
V. Querschnitt durch die Mitte eines Schwanzwirbels von Oxyrhina. 2 mal vergr. a, b knorpelige
Bogen, c faserknorpelige Theile der periostalen Kegel.
g. VI. Ein Stück der Schwanzwirbelsäule von Odontaspis in natürlicher Grösse. Buchstaben wie in
. VII. Querschnitt durch die Mitte eines Schwanzwirbels von Odontaspis, um Y, vergrössert.
g. VII. Ein Stück der Schwanzwirbelsäule von Carcharoödon Rondeletii in natürlicher Grösse. Buch-
staben wie in Fig. IV
IX. Mittlerer Querschnitt eines Schwanzwirbels von Carcharodon in natürlicher Grösse. Die Mitte
Knorpelknochen mit undeutlichen Resten der Chorda.
g. X. Ein Theil eines periostalen Keiles eines Wirbels von Selache in natürlicher Grösse zur Darstellung
der innern concentrischen Lamellen und der sie durchsetzenden Lücken. a Randtheile des Doppelkegels
des Wirbels.
. XI. Vorderstes Ende der Chorda eines Salmo umbla von 10° Länge, etwa 50 mal vergrössert
a Chordascheide (innere Scheide), 5 Halbringe der chordalen Wirbelkörper, e Chordagallerte von der
Scheide abstehend, d Schädeltheil der Chorda mit einer halbrinnenförmigen Ossification der Scheide
XI. Querschnitt eines vorderen Wirbels eines Salmo umbla von 10° Länge, 100 mal vergrössert.
a obere Knorpelbogen mit einer verkalkten Rindenschicht bei a’; 5 untere Knorpelbogen mit oberfläch-
licher Verkalkung, ce Ossification der Chordascheide (chordaler Wirbelkörper in Form eines Halbringes),
d nicht verknöcherter Theil der Scheide.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
XIU. Wirbel eines 2 langen Chondrostoma nasus in der Seitenansicht, vergrössert. a chor-
daler Wirbelkörper, b äussere Periostablagerung
XIV. Längsschnitt durch die Wirbelsäule einer Forelle von 11“ vergrössert. «aa periostaler Doppel-
kegel des Wirbels, 55 äussere periostale Ablagerungen auf denselben in Form eines schwammigen
fettreichen Knochengewebes, ce chordaler Doppelkegel (Ossıfication der eigentlichen Chordascheide), dd
Chordagallerte, ee mit Serum gefüllte Höhlen in derselben, f Septum der Gallerte, g Verbindungsstränge
der Septa, h Elastica interna, © Faserlage der Chordascheide zwischen je zwei Wirbeln in Form eines
Ringbandes (Lig. intervert. internum) mächtig entwickelt, k Elastica externa, 7 Lig. intervertebrale
externum, m Periost der Wirbelkörper.
XV. Die Gegend der Lig. intervertebralia der vorigen Figur, 100 mal vergrössert. Buchstaben wie in
Fig. XIV. 0 zufällig entstandener Zwischenraum zwischen der Elastica interna und dem Lig. intervert.
internum, ec’ Wachsthumsrand des chordalen Doppelkegels.
XVI. Längsschnitt durch einen Wirbel eines Aales, vergrössert. Buchstaben wie in Fig. XIV.
m Periost der Wirbelfacetten übergehend in m’ den innern Theil des Lig. intervert. externum, g Axen-
strang in der Chorda, die keine Höhlungen und kein Septum enthält.
XVII. Querschnitt durch die Mitte eines vorderen Schwanzwirbels von Amia, etwa 11 mal vergröss.
a obere und 5 untere knorpelige Bogen. Der ganze Wirbel besteht aus schwammiger Substanz (die
hellen Stellen sind Knochenbalken, die dunklen Flecken Mark), an der man vier periostale Keile dddd
und ein von den Bogen abstammendes Kreuz (ecec), ausserdem die verknöcherte Chorda e in der
Mitte unterscheidet.
XVII. Längsschnitt durch einen Wirbel von Amia vergrössert. aa Lage von Knorpelknochen an den
Wirbelfacetten.
XIX. Ein Theil eines solchen Schnittes stärker vergrösser. «a Knorpelknochen der Wirbelfacetten
b ächter Knochen des Innern.
XX. Wirbel von Polypterus im senkrechten Längsschnitte durch die Mitte mit Salzsäure behandelt
etwa 11 mal vergrössert. a in ächten Knochen umgewandelte Chorda, bb verkalkte Theile der Chorda,
ce weiche Chordagallerte. Der Wirbel selbst enthält viele grosse Markräume ddd und Gefässkanäle.
XXI. Ein Theil der Mitte eines Wirbels von Polypterus im Querschnitte 100 mal vergröss. a ver-
kalkte Chordascheide, db in ächten Knochen mit Gefässkanälen umgewandelte Chordagallerte.
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Zur Kenntniss des Körperbaues schwarzer Eunuchen.
Ein Beitrag zur Ethnographie Afrika’s
von
Äh. Ecker.
Tafel XVII bis XXIH.
Vor einigen Jahren erhielt ich von dem in Cairo verstorbenen Prof. Theodor
Bilharz das Becken eines schwarzen Eunuchen zum Geschenk. Nach dessen
Tode überliess mir Hr. Dr. Alfons Bilharz das vollkommne Scelet eines solchen,
das er von seinem Bruder während eines Besuchs in Cairo erhalten hatte. Dazu
kam noch der Schädel eines schwarzen Verschnittienen, welchen unsre
Universität mit mehreren anderen Schädeln aus der Verlassenschaft des Verstorbenen
von dessen Familie acquirirte. Alle diese Objekte befinden sich gegenwärtig in der
anthropologischen Abtheilung unseres anatomischen Museums.
Ueber das Verhalten der Beckenorgane bei derart Verstümmelten haben wir durch
den einen der obengenannten Brüder ') sorgfältige Untersuchungen erhalten und zwar die
einzigen, die überhaupt an Eunuchen der Negerrasse angestellt worden sind. Dupuytren?)
hatte den innern Genitalapparat und den Kehlkopf eines in der Jugend castrirten
Europäers beschrieben und Gruber’) die gleichen Theile von einem Manne, der
schon in früher Jugend der Castration und Amputation des Penis unterworfen worden
war. Dass das letzigenannte Organ bei den Verschnittenen der Negerrasse stets
mit entfernt ist, hatten schon frühere Reisende mitgetheilt und Bilharz hat es durch
1) Alfons Bilharz deseript. anat. organ. genit. eunuchi aethiopis diss. inaug. Berolin. 1859 — und
Siebold u. Kölliker’s Zeitschrift. X. Bd. S. 281.
2) Bulletin de la soc. philom. vol. I. 195.
3) Müller’s Archiv 1847. S. 463.
13*
— 1032 —
die Untersuchung mehrer Individuen bestätigt und die früheren Beobachtungen darüber
zusammengestellt‘).
Ueber die sonstige Körperbeschaffenheit des Eunuchen haben wir, soviel mir
bekannt, keinerlei anatomische Untersuchungen und selbst über das äussere Ansehen
derselben stimmen die Angaben der Reisenden keineswegs überein. Einer der
neusten Schriftsteller über den Orient, A. v. Kremer’) äussert sich über dieselben
folgendermassen: „Eigenthümlich und widerlich ist die äussere Erscheinung des
Eunuchen; die Gestalt ist meistens hager und eckig, das Gesicht in die Länge ver-
zerri. Immer ist die Entwickelung des Körpers mehr oder minder verkümmert.
Gang und Bewegung des Eunuchen haben etwas Schlaffes und Weibisches.“
White‘) sagt dagegen, die Nubier und andere Neger würden bald abschreckend
dick und missgestaltet, während die Abyssinier angenehme Gesichtsbildungen und
gute Figuren haben. Dr. Alfons Bilharz erzählte mir noch kürzlich, dass die
Eunuchen, die er gesehen, lauter ungewöhnlich lange Gestalten von übrigens schlechter
Haltung gewesen seien.
Bei diesen mangelhaften und zum Theil: widersprechenden Angaben ist es wohl
nicht ohne Interesse, den Sceletbau eines schwarzen Eunuchen etwas genauer zu
erforschen und ich ergreife gerne die Gelegenheit, die sich mir durch die hundert-
jährige Gedächtnissfeier der Dr. Senckenbergischen Stiftung darbietet, um das Resultat
dieser Untersuchung in Wort und Bild zur Kenntniss der Fachgenossen zu bringen.
Ich verhehle mir hiebei keineswegs, dass aus einem oder zwei Fällen sich noch kein
sicherer Schluss ziehen lässt. glaube aber andrerseits, dass bei der Seltenheit des
Materials eine vollständige Zurückhaltung auch nicht am Platze wäre.
4) Il e. 8. 282. Den an dieser Stelle erwähnten Beobachtungen kann ich noch die von Ferriol
beifügen (Wahrhafte Abbildung ete. des türkischen Hofs ete A. d. Franz Nürnberg 1719. 4°), der
auch erwähnt, dass den schwarzen Eunuchen alles was männlich ist hart am Bauche (& fleur de ventre)
weggenommen ist, so dass sie sich beim Uriniren eines Röhrchens bedienen müssen, während die weissen
Verschnittenen nur einfach castrirt seien,
5) Aegypten, Forschungen über Land und Volk. Leipz. 1863. I. S. 89.
6) Häusl. Leben und Sitten der Türken. Deutsch v. Alfred Reumont. Berlin, 1845. I. 152.
103
I. Beschreibung des Scelets eines schwarzen Eunuchen.
(Tab. XXI. Fig. 1. —
Tabs
Tab. XXII, Fig. 1.2. —
Tab. XXIII. Fig. 1. 2.)
An dem Scelete fehlte nur das Brustbein, das ich bei der Aufstellung durch
ein anderes erselzte.
1. Messung des Scelets').
1. Totalhöhe LTE
6% 1% ad.)
2. Wirbelsäule.
Höhe der ganzen Wirbelsäule
Halswirbelsäule
n „ Brust
ö SRH TEN en sh 2
” n
Summe der Höhe der Körper aller wahren
Wirbel ohne Knorpelscheiben
Rechnet man dazu weiler '/, für die Gesamml-
höhe der Knorpelscheiben A
so erhält man für die Höhe der Säule der
wahren Wirbel im frischen Zustande
Dazu die Höhe des Kreuzbeins .
3. Extremitäten.
A. Obere.
1. Die ganze Länge der oberen Extremität vom
Caput humeri bis zur Spitze des Mittelfingers
beträgt .
2 langerdes7Humeruser na
3. Länge des Radius vom Ellenbogen bis zum
Handgelenk . 0
4. Länge der Ulna von der Spitze des Olecranon
bis zur Spitze des Proc. styloideus
”) Sämmtliche Maasse sind in Centimeleru
Cent.
. 183,0
74,0
9,4
21,6
15,9
46,9
15,6
62,4
11,6
74,0
86,7
36,4
30,0
32,2
5. Länge der Hand von der höchsten Wölbung
des Os lunatum bis zur Spitze des Mittel-
NNEerSip s
6. Weitere Maasse an der Hand wurden genom-
men und betrugen:
a. von der Wölbung des Os lunatum bis zur
Spitze des Ringlingers
b. von der Wölbung des Os naviculare bis zur
Spitze des Zeigefingers . . ». 2.2.
c. Länge des Carpus v. der oberen Gelenkfläche
des Oslunatum bis zur untern des Os capitat.
d. von da bis zur Spitze des Mittelfingers .
7. Schulterblatt.
a. Höhe vom obern innern zum untern Winkel
b. Breite von der Gelenkfläche bis zum Ende
der Spina .
8. Schlüsselbein.
Länge .
B. Untere.
1. ganze Länge 5
2. Länge des Osfemoris vom höchsten Punkt des
Caput fem. bis zum tiefsten des Condylus int.
3. Länge der Tibia von der Eminentia intereon-
dyloidea bis zur Spitze des Malleolus internus
4. Länge der Fibula
angegeben.
Cent.
20,3
19,2
18,2
2,9
174
15,6
10,8
15,5
. 106,7
55,6
47,0
44,3
— 14 —
Cent.
5. Von der Spitze des Malleolus internus bis zum
Fussboden.. sem. „0. la 4,1
s. 106,7
6. Länge des Fusses:
A. von der hinteren Länge des Fersenbeines:
a. bis zur Spitze der grossen Zehe 24,1
b. bis zur- Spitze der 2. Zee . . . . . 250
B. Länge des Mittelfusses:
a. des Os metalarsi I. a: 7,0
bia.e; s RE EEE 8,6
7. Breite des Fusses zwischen Os melatarsi V.
und Os cuneiforme 1. 6,4
4. Becken.
a, Durchmesser des Eingangs
gerader . 10,8
querer 12,3
schräger 08 12,4
b. Durchmesser der Höhle
gerader 10,6 |
querer 10.6
ce. Durchmesser des Ausgangs
gerader constanter 11,6
gerader 10,2
querer . a AR SE 10,4
d. Distanz der beiden Spinae ilei ant. sup. 21,0
e. ganze Höhe des Kreuzbeins 11,6
f. Breite des Kreuzbeins
1. an der Linea arcuala . 10,4
3
Cent.
2. in der Mitte des 2 Wirbels . 8,6
Bl 5 200 77
2 a a a ch - 6,8
g. höchste Höhe des Beckens
1. des ganzen Beckens von der Crista ilei bis
zum Woher ischil. 2. 2 .. 20,3
2. des kleinen Beckens von der Eminentia ileo-
peetinea zum Tuber ischii 9,7
5. Kopf?).
a. Längen
1. grösste Länge 17,4
2. verlicaler Bogen 34,5
Sehne desselben . 10,3
Stirnbogen , 12,0
Scheitelbogen . 12,0
Hinterhauptbogen 10,5
b. Höhen
1. einfache Höhe 13,5
2. aufrechte Höhe . 14,3
c. Breiten
1. grösste Breite 13,0
2. Stirnbreite
a. geringste . 9,4
b. grösste 11,0
3. Scheitelbreite 13,0
4. Hinterhauptbreite 11,4
d. Horizontale Cireumferenz 48,5
e. Gesicht
Länge . 13,2
Breite . 13,5
2. Das eben in seinen Maassverhältnissen geschilderte Scelet ist das eines noch
Jungen Mannes. wie auch aus dem Verhalten der Epiphysen etc. auf das Deutlichste
hervorgeht.
An der Wirbelsäule belegen die Körper der Hals- und Brustwirbel noch Epi-
physen-Scheiben, die der Lendenwirbel nicht. An den Querfortsätzen der Brustwirbel
*) Die Maasse sind im Allgemeinen die von der Göttinger Anthropologen-Versämmlung adoptirten. Vgl. n.
Crania Germaniae merid. occ, Freib. 1863,
— 105 —
und ebenso hin und wieder an den Proc. accessoriis der Lendenwirbel sind die
Spitzen noch abgetrennt. Der Kopf des Humerus ist eine noch vollständig unver-
einigte Epiphyse, vom Radius und der Ulna sind es die untern Gelenkenden, vom
Os metacarpi pollicis das obere, von den übrigen Ossa metacarpi die unteren Gelenk-
enden. Am Os femoris befinden sich sowohl das untere Gelenkende als die beiden
Trochanteren, an der Tibia und Fibula beide Gelenkenden in diesem Zustande. Am Becken
sind die Nähte zwischen den Körpern des Sitz- und Schambeins und dem Darmbein
noch nicht ganz verwischt, Tuber ischii und Crista ilei haben noch Knochenansätze.
Am Schädel ist die Synchondrosis sphoeno-basilaris noch unverknöchert.
3. Weitere, nicht vom Alter abhängige erwähnenswerthe Verhältnisse dieses
Scelets sind folgende:
A. An der obern Extremität. Das Schulterblatt ist im Verhältniss zur Länge
der Extremität klein und von einer mehr weiblichen Form. Das Schlüsselbein ist
dünn, gracil. An der Stelle der Fossa olecrani und Fossa cubitalis ante-
rior des Os humeri findet sich ein querovales Loch mit abgerundeten Rändern;
der Knochen ist im Uebrigen in der Umgebung dieser Stelle keineswegs besonders
dünn, so dass an einem Durchbruch durch Usur gar nicht zu denken ist. Es kann
dies daher nur, wenn nicht eine Rassen-, doch eine individuelle Eigenthümlichkeit
sein. Für erstere Annahme spricht das Vorkommen eines ähnlichen Lochs an mehreren
Sceleten von Australiern.
B. Besonders erwähnenswerth sind die Verhältnisse des Beckens. Es geht aus
der beigefügten Tabelle’), so wie aus der Abbildung (Taf. XVII.) hervor, dass das
Becken, verglichen mit dem eines unverstümmelten jungen Negers sich mehr der
weiblichen Form nähert und ganz besonders gilt dies von der Form und den Durch-
messern des Beckenausgangs. Es sollen diese Verhältnisse weiter unten bei Beschrei-
bung des zweiten Eunuchen-Beckens im Zusammenhang erörtert werden.
C. Der Schädel ist ziemlich prognath, die Stirn niedrig und zurückweichend,
das Hinterhaupt sehr prominent.
D. Was schliesslich das Scelet im Ganzen und seine Proportionen betrifft, so
ist die Grösse desselben von 183 Cent. an und für sich schon eine sehr beträchtliche,
sie erscheint aber durch die relativ ungemein beträchtliche Länge der Gliedmaassen
9) S. unten S, 111.
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V. 1 4
— 106 —
noch auffallender. Dabei ist das ganze Scelet gracil, die Knochen nicht stark. Die
Totalhöhe des Scelets beträgt 183 Cent., die Länge der Arme 86,7, die der
Beine 106,7; es verhält sich also die Totalhöhe zur Länge der oberen Extremität
— 100 : 47.37, zur Länge der untern = 100 : 58,30. Vergleichen wir damit
die Maasse des Scelets'') eines verstümmelten jungen Negers von 151,5 Total-
höhe, so beträgt bei diesem die Länge der oberen Extremität 69,1, die der untern
79,2, bei einem jungen Europäer von 164 Totalhöbe erstere 69,7, letztere
88.6 ; es verhält sich also bei diesem Neger die Totalhöhe zur Länge der oberen
Extremität = 100 : 45,6 zur Länge der unteren = 100 : 52,2, beim Europäer
= 100 : 42 und 100 : 54.
Totalhöhe, Armlänge, Beinlänge
in Metern.
Den 1.830 0.867 1.067
N nn 40g : 47,37 : 58,30
N 1,515 0,691 0.792
©
IRB = 100 : 45,6 . 52.2
1,640 0.697 0.886
Europäer R
= 100 : 42,5 : 54,0
Im Verhältniss zur Totalhöhe sind hiernach beide Extremitäten am längsten beim
Eunuchen und zwar ist das Plus zu Gunsten der Extremitäten nicht unbeträchtlich.
Während aber sonst beim Neger die obere Extremität im Verhältniss zur Totalhöhe
länger, die untere aber kürzer ist als beim Europäer (vergl. vorstehende Tabelle) sind
hier beide Extremitäten länger als beim Europäer.
Was die einzelnen Abtheilungen der Extremitäten betrifft, so ist an der oberen
bei einer Totallänge von 86,7 der Humerus 36.4, der Vorderarm 30,3, die
Hand 20,3 lang. Das Verhalten der einzelnen Abtheilungen im Vergleich zu denen
des oben erwähnten Negersceleis und eines europäischen ist in folgender Tabelle
zusammengestellt.
10) Beschrieben in: Berichte der naturf. Gesellsch, zu Freiburg. Bd. I. S. 2,
— 17 —
Relat. Länge der Abtheilungen des Arms
in Centimetern.
un Oberarm. Vorderarm. Hand.
ganzen Arms.
ı in 86,7 36.4 30,0 20,3
ihn = 100 : 4,9 : 34,6 : 23,4
n 69.1 28,5 25,6 17,0
Bas 2400 : 41,2 : 37,0 : 24,6
mager 69,7 31,3 23,3 16,7
rn 100 : 44,3 : 33,4 : 23,9
Hiernach ist also bei beiden Negern, dem unverstümmelten wie dem Eunuchen, der
Vorderarm im Verhältniss zum Oberarm länger als beim Europäer ; an ersterem
ist aber das Plus zu Gunsten des Vorderarms bedeutender, obgleich die Gesammtlänge
Jer obern Extremität im Verhältniss zur Körperhöhe beim Eunuchen grösser ist.
An der untern Extremität beträgt die Länge des ganzen Beins 106,7, die
des Femur 55,6, der Tibia 47.0.
Relat. Länge der Abtheilungen des Beins
in Centimetern.
Gesammtlänge. _ Oberschenkel. Unterschenkel. Fuss.
R 106,7 55,6 47,0 25.0
Eunuche
= 100 52 : 44,0 : 23,4
79,2 39,9 34,7 20,5
Neger
= 100 : 50,3 x 43,8 125,8
v 83,6 44,9 37.9 20,7
Europäer ‘
E00 : 50,6 ART 23,3
Es erhellt hieraus, dass der Oberschenkel im Verhältniss zum Unterschenkel länger
ist als sonst beim Neger, der Fuss relativ zur ganzen Extremität kürzer; es sind also
die eigentlichen Negercharaktere weniger scharf ausgesprochen. Die dritte Zehe ist die
längste.
In wie weit die ungewöhnlich hohe Statur und die langen Extremitäten auf Rechnung
der Castration zu schreiben sind, darüber wage ich keine Muthmassung. Dass nach
14*
— 18 —
Bilharz solche hohe Gestalten bei Eunuchen sehr gewöhnlich sind, wurde oben schon
erwälint. Auch frühere Beobachter, wie ich soeben sehe, z. B. Withof''), erwähnen,
dass in früher Jugend Castrirte leicht eine ungewöhnlich hohe Statur erreichen. Aehn-
liches beobachtet man ja auch beim Rinde; der Stier gelangt wohl nie zu der Grösse,
welche Ochsen bisweilen erreichen. Andrerseits ist jedoch nicht ausser Acht zu lassen,
dass einzelne Stämme Nordostafrikas, wie z. B. die Denga’s oder Dinka’s, sich
durch besonders hohe Statur und lange Gliedmassen auszeichnen sollen. Hartmann”)
sagt von denselben: „Man denke sich durchgängig beinahe 6° hohe dürre, aber doch
trefflich gewachsene Kerle, die ebenholzschwarzen Spinnenglieder völlig unbekleidet. —
Der Körperbau dieser Dengua konnte trotz aller Magerkeit vollendet genannt werden-
Kein Knochen war verbildet, das ganze Gerüst zeigte an diesen blendendschwarzen
Statuen die schönsten Proportionen. Die Brust war breit und gewölbt, die Hände und
Füsse klein, die Knöchel zart. — Der hinten stark gewölbte, in den Scheitelbeinen und
dem Hinterhaupte besonders entwickelte Schädel hatte etwas Thierartiges und wurde
dies noch erhöht durch das vorgezogene Antlitz, dessen Camperscher Winkel spitzer
denn bei Beräbra und Juny ist. Die Stirne war flach, gleich der des Panthers, die
Nase sanft gebogen oder gerade.“ — In dieser Schilderung ist Manches, was auf
unser Scelet passt, einmal die hohe Statur von 6° und dabei die ziemlich kleinen Hände
und Füsse (die Hand verhält sich zum "ganzen Arm beim Eunuchen-Scelet
= 23,4 : 100, beim Neger-Scelet = 24,6 : 100, der Fuss zum ganzen Bein
bei ersterem = 23,4 : 100, bei letzterem = 25,8 : 100).
Wenn Hartmann von „Spinnengliedern“ spricht, so muss ihm doch jedenfalls
eine ungewöhnliche Länge der Extremitäten aufgefallen sein. obgleich er nachher sagt,
dass das Gerüst die schönsten Proportionen zeige Auch was da von dem Schädel
gesagt ist, passt sehr gut auf den unsern, an dem die Stirne sehr flach, das Hinter-
haupt sehr prominirend ist. Der Eingangs erwähnte zweite Eunuchen-Schädel")
unserer Sammlung entspricht dem Schädel des Eunuchen - Scelets so vollkommen, dass
kein Zweifel ist, dass beide demselben Stamme angehören. Es erhellt dies aus einer
11) Withof, de castratis comment. quatuor. Duisburg 1756.
12) Reise des Freih. A. v. Barnim durch Nord-Ost-Afrika Berlin 1863. S. 547.
13) Der Schädel ist der eines noch jungen Mannes, die Synchondrosis-sphoeno -basilaris noch offen; die
Stirn ist schmal und zurückweichend, das Hinterhaupt sehr prominirend, die Nasenöffnung schmal, die Nasen-
wurzel flach.
— 109 —
Vergleichung der Abbildungen auf Taf. XXI u, XXIII. auf das Deutlichste, ebenso wie aus
der hier unten folgenden Tabelle. Dass der Neger, dessen Scelet im Vorigen beschrieben
ist, dem Stamme der Denga angehört habe, dafür spricht auch die Angabe von A. von
Kremer"), dass der Stamm der Dinka’s einen nicht unbeträchtlichen Theil der Neger-
sklaven Aegyptens liefere. Dessenungeachtet bin ich weit entfernt, dies für mehr als
eine Vermuthung auszugeben, wie ich ausdrücklich bemerke').
Schädelmaasse der beiden Eunuchen-Schädel in Centimetern.
Längen Höhen. Breiten en
a & . Stirnbreite
| 8 & 2 FE ’ & e e 2; Circum-
| 8 &5 Eier = 5© 3 E = = 2 3 33 | ferenz.
an | En N ee = 2 DE: EEE FE EEE:
22 Er EI REN or lau FE rel
%
Schädel des 17,4|34,510,3 12,0/12,0]10,513,514,3[13,0| 9,4111,0113,0 11,41 48,4
Eunuchen - Scelets.
II.
Einzelner 17,1/35,0110,311,2]13,0/11,0113,8|14,6112,8| 9,2|10,5.13,0 11,5 48,0
Eunuchen- Schädel.
II. Becken eines schwarzen Eunuchen.
(Tab. XX und Tab. XXI Fig. 2.)
Es ist dies das Becken desselben Individuums, dessen Urogenitalorgane Dr. Alfons
Bilharz in seiner oben erwähnten Inaugural-Dissertation'“) beschrieben hat. Dasselbe
gehörte einem jungen Manne von ca. 20—25 Jahren an.
Die Durchmesser des Beckens sind die folgenden:
a) Durchmesser des Eingangs: b) Durchmesser der Höhle:
1). gerader op ae or2:10X0 A)egeradensn io 2 0 ee
2). queren oe ee a il. SE qUetenie me a gie
3) SChrag er nA
14) Aegyptenl.c. IH. S. 87,
15) In dem eben erschienenen XI. Ergänzungsheft der Petermann’schen Mittheilungen finden sich auch An-
gaben von v. Heuglin über die „himmellangen“ Gestalten der Dinka’s und die 6-7’ hohen „Stelzen-
gestalten“ der Nuer’s.
16) Sieb. u. Köll. Zeitschrift. Bd. X. S. 291.
c) Durchmesser des Ausgangs: e) Höhe des ‚Kreuzbeins sammt dem Steissben 14,0
u . r - . - - . -
6) gerader constanter . : » ... . 10,5 f) Distanz der beiden Spinae ilei anteriores su-
EN ee nenn, 0 DERIOTESA 5 sn Kt a ae LE
8) Entfernung der Spinae ischii
8,9 | g) Höhe des ganzen Beckens von der Crista ilei
bis7zumS Tuben.) isch 2 2 2 eu
von einander
d) Breite des Kreuzbeins:
h) Höhe des kleinen Beckens von der Eminentia
1) Eanzder2 Im.wareuatar 22 0.85
2) am 2. Wirbel 0 ileopectinea zum Tuber ischi . . . . . 97
Si ee Rn IE EIERN.
Ay) er u Or
Vergleichen wir dieses Becken mit dem eines jungen unverstümmelten Negers
( Tab. XIX.)'') von ungefähr gleichem Alter, so erscheint dasselbe, besonders in Bezug
auf zwei Punkte, davon abweichend. Einmal ist das Kreuzbein ungewöhnlich schmal.
Dasselbe hat an der Liniea arcuata 8,5, an der Stelle des 2. Wirbelkörpers aber nur
7,0, an der Stelle des 3% 8,1 im Querdurchmesser. Es findet sich also (vgl. Tab. XXI.
Fig. 2) an der Stelle des 3. Kreuzbeinwirbels eine auffallende Verschmälerung, eine Art
Einschnürung. Auffallend ist ferner, dass der dieser eingeschnürten Stelle anliegende Theil
des Darmbeins, d. i. die Umgebung der Spina posterior inferior'*) verdickt erscheint, als
wie wenn dadurch der durch Verschmälerung des Kreuzbeins entstandene leere Raum hätte
sollen ausgefüllt werden. Der zweite Punkt, in welchem sich dieses Becken von dem
des unverstümmelten Negers unterscheidet, ist das Verhalten der Durchmesser. Diese
nähern sich entschieden den weiblichen und insbesondere gilt dies von den Durch-
messern des Beckenausgangs, wie dies aus der Vergleichung der Abbildungen und aus
der nachfolgenden Tabelle am Deutlichsten erhell. Die Entfernung der Tubera ischii
beträgt bei dem normalen männlichen Negerbecken 7,0, hier dagegen 8,9. Der Scham-
beinwinkel ist dort von exquisit männlicher Form, hier viel mehr der weiblichen sich
nähernd.
In Bezug auf diesen 2. Punkt, den weiblichen Charakter des Beckens, verhält sich
das unter I. beschriebene Becken des Eunuchen-Scelets in ganz ähnlicher Weise, ‚wie
ein Blick auf die Abbildung (Tab. XVII.) zeigt, dagegen fehlt an diesem die am andern
vorhandene auflallende Verschmälerung des Kreuzbeins.
12) Es ist dies das Becken des Neger -Scelets, welches ich in den „Berichten der Freiburger
naturf. Gesellschaft Bd. I. S. 2 näher beschrieben habe.
18) Fig. 4. i.
— ‚111 —
Becken-Durchmesser in Centimetern
Durchmesser Durchm. || -: Durchmesser Breite £ = &
des der des es n = © 1
Eingangs Höhle. Ausgangs Kreuzbeins o a sol, rg S +
Ara |due|duQ =:
A £ TE „ | O8 | 020 o£EA | 585
ER 5 Fr cn 42 BI ea 2|H MH "s |
5 2 v Ps © F a ga rn ipr o R oA
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Eu Es Eu a) ER Sa ee a a a ee
& 5 = & = | Ss“ | © 5 oi 5 &
ie
Becken des |10,8|12,312,410,6)10,6111,610,2.10,4|10,4| 8,6] 7,7 11,6 | 9,7 20,5 | 21,0
Eunuchen- Scel.
ii !
Einzelnes 10,0)11,2]11,4111,2| 9,6110,5| 9,510,0| 8,5] 7,0] 8,1 9,3 10,0 | 20,3 | 20,5
Eunuchen-Beck. |
III.
Becken des 9,0) 9,4 9
Negers.
‚9! 9,0| 7,0| 9,8| 7,5! 7,0| 8,3 7,2] 7,0] 7,8 8,3! 17,5 | 19,0
Dass sowohl diese als der weibliche Charakter des Beckens Folge der frühzeitigen
Entmannnng sind, ist wohl keinem Zweifel unterworfen. Dass in früher Jugend Castirte
mehr weibliche Formen bekommen und insbesondere sich auch durch breite Hüften aus-
zeichnen sollen, wird häufig behauptet.” Anatomische Beobachtungen, vergleichende
Messungen über das Verhalten der betreffenden Scelettheile konnte ich jedoch nirgends
auffinden. Ja meine sichere Hoffnung, wenigstens über das anatomische Verhältniss der
Becken- und Kreuzgesend bei castrirten und nicht castririen Thieren genaue Angaben
zu finden, wurde nicht einmal erfüllt. Jedermann weiss, dass der Stier vom Ochsen
in seinem äussern Habitus und u. a. auch in der Conformation der Kreuzgegend merk-
lich abweicht. Diese Gegend ist beim Stier relativ schmäler und es muss in der
Bildung der betr. Scelettheile dieser Unterschied ausgesprochen sein. Die Werke, die
mir zu Gebote standen, enthielten keinerlei Angaben hierüber und so wandte ich mich
an einen Forscher, der eher als andere im Stande sein konnte, über diesen Punkt
Erfahrungen gemacht zu haben, an Herrn v. Nathusius auf Hundisburg bei Magdeburg.
Derselbe war so freundlich mir auf meine Anfrage Folgendes zu erwidern:
„Die Frage nach Verschiedenheit der Beckenform bei castrirten Thieren hat mich
oft beschäftigt, aber ein Resultat habe ich nicht. Es wird hin und wieder in Schriften
über das „Exterieur“ des Pferdes davon gesprochen, dass die Beckengegend beim
Wallach anders sei als beim Henest und in Bezug auf die äussere Erscheinung
ist wohl etwas Wahres daran; exacte Beobachtungen oder gar comparative Messungen
— 12 —
an mehreren Individuen, aus denen ein wahrscheinlich richtiger Durchschnitt gezogen
werden könnte, sind mir nicht bekannt, auch ist in keinem der mir bekannten thierärzt-
lichen Museen, weder auf dem Continent noch in England, nur annähernd Material
genug vorhanden, um zu einer klaren Einsicht zu kommen. Es ist sogar selten, wenn
man ein Scelet findet, dessen Geschlecht notirt ist. Ich selbst bin zu keiner Ansicht
darüber gekommen, habe aber allerdings auch nicht grosses Material für diese Specialität.
Im Allgemeinen hört man ja oft, dass bei castririen Menschen das Becken dem weib-
lichen ähnlich werde und ich selbst kenne zwei Castraten mit ganz auffallend breiten
Hüften; beide hatten in frühster Jugend den Verlust erlitten. An Thieren konnte ich
einen messbaren Unterschied zwischen dem männlichen Becken und dem der Castraten
bisher nicht nachweisen. Literatur kenne ich nicht in Bezug darauf, habe aber noch
einmal eine Menge Bücher durchgesehen, ohne Etwas zu finden.“
Wodurch nun aber die mehr weibliche Form des Beckens in den beschriebenen Fällen
zunächst bedingt worden sei, das ist allerdings nicht leicht zu sagen. Da Organe im
Becken, wie die Samenbläschen, Prostata etc. in Folge der Castration an Volumen abnehmen,
so müsste man als direkte Folge eher eine Verengerung der Höhle erwarten. Wir
können daher wohl nur den wenig sagenden Schluss ziehen, dass diese weibliche Form
eben ein Ausdruck der überhaupt bei den Castraten vorhandenen Hinneigung zum Typus
des weiblichen Geschlechts sei. Anders verhält es sich mit der zweiten Eigenthümlich-
keit der auffallenden Schmalheit des Kreuzbeins des zuletzt beschriebenen Beckens. Ist
dieselbe in der That eine Folge der Castration, wie ich vermuthe, so wird vielleicht
in der Rückbildung der obgenannten Beckenorgane oder selbst auch des gesammten
Nervenapparats der männlichen Organe die nächste Ursache gesucht werden können.
Gerade um diese Fragen zu entscheiden, wären sorgfältige vergleichende Untersuchungen
an den Becken castrirter Thiere sehr von Werth und wenn diese Schrift weiter kein
Resultat hat, als solche zu veranlassen, so ist ihr Erscheinen genugsam gerechtfertigt.
Erklärung der Abbildungen.
Tab. XVII. Becken des auf Tab. XXI Fig. 1 abge- | Tab. XXI. Fig. 1. 2. u. Tab. XXI. Fig. 1. 2. Schä-
bildeten Eunuchen - Scelets. del des auf Tab. XXI. Fig. 1. abgebildeten Eunuchen-
Tab. XIX. Becken eines jungen nicht entmannten Negers. Scelets.
Tab. XX. Becken eines schwarzen Eunuchen, Tab. XXIl. Fig. 3. 4. u. Tab. XXI. Fig. 3. 4. Schädel
Tab. XXI. Fig. 1 Scelet eines schwarzen Eunuchen. eines zweiten schwarzen Eunuchen. Beide Schädel
Fig. 2. Kreuzbein des auf Tab. XX abgebildeten sind geometrisch aufgenommen und um die Hälfte
Eunuchen-Beckens, verkleinert
— 005983900 ———
Ueber
Regeneration der Wirbelsäule und des Rückenmarks
bei Tritonen und Eidechsen.
Von
H. Müller,
d. Z Vorsitzender der Physikalisch -Medieinischen Gesellschaft in Würzburg.
Tafel XXIV. XXV.
Die häufige und in sehr grosser Ausdehnung stattfindende Reproduction des ver-
loren gegangenen Schwanzes bei Eidechsen ist eine Jedermann bekannte und gewiss
vom physiologischen Standpunkt sogleich zu mancherlei Fragen anregende Thatsache.
Als ich vor längerer Zeit über den feineren Bau solcher nachgewachsener Schwänze
mich unterrichten wollte, fand ich schliesslich nur bei Cuvier (Recherches sur les
oss. foss.) eine kurze Beschreibung und die Bemerkung, dass eine genauere Untersuchung
sehr interessant sein würde.
In der Sitzung der Physikalisch-medieinischen Gesellschaft (Verhandl. Bd. II. S. 66)
durfte ich billig meine Verwunderung aussprechen, dass eine so bekannte und so gut
empfohlene Sache so wenig beachtet worden sei, und theilte mit, was ich an einem
ausgezeichneten Fall jener Wiedererzeugung gefunden hatte.
Ich hatte in Nizza eine Lacerta viridis erhalten, welche zwei Schwänze von be-
deutender Länge übereinander besass, während sonst die 2—3fachen Schwänze neben-
einander zu liegen pflegen. Beide erwiesen sich als neugebildet, wie dies bei den
mehrfachen Schwänzen in der Regel wenigstens der Fall zu sein scheint. Nach Js.
Geoffroy St. Hilaire') kann man sogar bei Eidechsen und besonders bei Salaman-
dern die Vervielfältigung des Schwanzes willkürlich hervorbringen. wenn man das
Ende des Stumpfs in zwei oder mehrere Lappen theilt und diese getrennt hält bis die
Vernarbung von jedem geschehen ist.
!) Histoire des anomalies Th. I. p. 644 u. 735. Dort findet sich auch nach Otto, Patholog. Anatomie,
die Angabe, dass an den nengebildeten Wirbeln meistens die Apophysen fehlen.
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V. 15
— 114 —
Das Resultat der mikroskopischen Untersuchung ging nun an den reprodueirten
Schwänzen dahin, dass an das Ende der ursprünglichen Wirbelsäule sich ein Knorpelrohr
anfügt, welches, nächst der innern und der äussern Oberfläche verkalkt, eine weiche
Masse einschliesst. Die Natur der letzteren war nicht genau festgestellt. Die An-
ordnung im Ganzen aber schien mir eine grosse Analogie zu haben mit der Anlage
der Wirbelsäule um die Chorda dorsalis.
Dieser Vergleich des neugebildeten Strangs mit einer Chorda wurde später von
zwei Seiten in ähnlicher Art wiederholt.
A. Müller?) äussert sich: „Der Glaskörper der Chorda kann endlich auch wahrer
Knorpel sein, wie ich am reprodueirten Salamanderschwanz sah, wo sein Gewebe
andern Knorpeln völlig gleich. An den Knorpelfaden der Chorda setzten sich obere
und untere Knorpelstrahlen nach dem Typus der embryonalen Entwicklung.“
Leydig”) aber sagt: „Mitten durch die regenerirte Schwanzspitze (einer Eidechse)
zog ein weisslicher Streifen, einer Chorda dorsalis vergleichbar, bestand aber nicht
aus den grossen Zellen der Chordasubstanz der Fische und Batrachier, sondern aus
kleinen spindelförmigen, eng aneinander liegenden Zellen.“
Mittlerweile hatten mich selbst weitere Untersuchungen belehrt, dass jenes Knor-
pelrohr nicht eine Chorda einschliesst, sondern einen seinerseits hohlen Strang, der aus
dem Rückenmark hervorwächst. Hiemit war natürlich die ganze Auffassung des Strangs
verändert. Was aber an Interesse verloren wurde dadurch, dass ein epigonales
Aequivalent der Chorda nicht mehr angenommen werden konnte, kam ein durch den
Nachweis einer Regeneration an einem Organ von so grosser Dignität wie das Rücken-
mark. Diese Beobachtungen wurden theils in der Physikalisch-medieinischen Gesellschaft,
theils auf der Naturforscherversammlung in Bonn vorgetragen. ‘)
Später scheint nur Gegenbaur°) über die Sache etwas veröffentlicht zu haben.
Seine Untersuchungen an Eidechsen führten ihn zu einem Resultat, welches mit dem
von mir mitgetheilten fast völlig übereinstimmt. Auch nach ihm handelt es sich nicht
um eine neugebildete Chorda, sondern die Wirbelsäule setzt sich in das Knorpelrohr,
das Rückenmark in das Contentum des Centralkanals fort. Nur darin weicht Gegen-
2) Müller's Archiv 1853 S. 260.
3) Histologie 1857, S. 62.
*) Amtlicher Bericht für 1857 S. 198.
5) Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule 1862.
— 15 —
baur ab. dass nach ihm eine Regeneration des Rückenmarks nicht statt hat, und das
im Innern des Knorpelrohrs liegende Gewebe nichts mit dem Rückenmark direct zu
schaffen hat. Denn die neugebildete, an das Rückenmark sich anschliessende Masse
scheine nicht aus Elementartheilen des Rückenmarks zu bestehen und der Kanal im
Knorpelrohr habe nirgends regelmässige Communicationen nach Aussen. Aehnlich wie
bei Lacerta fand Gegenbaur das neugebildete Schwanzskelet bei Hemidactylus.
Das Knorpelrohr ist diekwandiger nnd hat hier und da nach oben gehende Communi-
eationskanäle.
Soweit die bisher vorliegenden Angaben. Ich will nun im Folgenden einige
weitere Beobachtungen an regenerirten Schwänzen von Tritonen und Eidechsen mit-
Iheilen. Es kann dabei nicht meine Absicht sein den Gegenstand nach allen Richtungen
zu verfolgen, welche der Aufmerksamkeit würdig wären. Denn es steckt in demselben
u. A. eine ganze Entwickelungsgeschichte fast sämmtlicher Gewebe. Auch über das
Aeusserliche des Regenerationshergangs, seine Schnelligkeit und Vollständigkeit je nach
Zeit und Umständen kann ich nicht sehr viel beibringen und tröste mich darüber mit der
Aussicht, dass ein mit solcher, wenn man so sagen darf, physiologischer Zoologie
unserer Amphibien ganz besonders vertrauter Beobachter, Prof. Bruch, darüber später
Mittheilungen machen wird. Ich werde mich hier auf die Wirbelsäule und das Rücken-
mark beschränken, deren Wiedererzeugung an sich schon sehr merkwürdige Thatsachen
liefert.
I. Tritonen.
Das Material der Untersuchung bestand aus Exemplaren von Triton täniatus und
eristatus, denen der Schwanz nachwuchs, nachdem er abgeschnitten worden war. Bei
dem kleinen Triton betrug das Regenerirte nach einigen Monaten in mehreren Fällen
etwa 5 Mm. Bei dem grossen wuchs einmal in zwei Monaten ein Stück von 4 Mm.;
bei einem andern in 3 Monaten 7 Mm., bei einem dritten in 8 Monaten 8 Mm. Ohne
Zweifel tritt unter günstigeren Umständen als die waren, deren sich diese Thiere er-
freuten, die Reproduetion in kürzerer Zeit und grösserer Ausdehnung ein, sowie eine
längere Lebensdauer Manches noch mehr zur Entwickelung bringen würde.
15*
— 16 —
a. Wirbelsäule.
Als Hauptresultat ist voranzustellen, dass sich eine vollständige knorpelige Wir-
belsäule entwickelt, welche aus einer Reihe von Körpern mit oberen und unleren
Bogen besteht.
Die Axe des regenerirten Wirbelsystems bildet ein continuirlicher Knorpelstrang,
welcher sich unmittelbar an die Reihe der ursprünglichen Wirbelkörper anschliesst und
am vorderen Ende die Dicke derselben erreicht. Bei zwei fast gleichen Exemplaren
von Triton täniatus, wo an ein ursprüngliches Schwanzstück von 11—13 Mm. Länge
sich ein neues von 5 Mm. anfügte, betrug die Dicke der letzten ursprünglichen Inter-
vertebralknorpel 0,22—0,27 Mm., des in der Mitte eingeschnürten knöchernen Wirbels
nur 0.18—0.2 und ebenso dick war der Anfang des neuen Knorpelstrangs. Nach
hinten nimmt derselbe nur langsam an Dicke ab. Er ist im Allgemeinen rundlich,
hier und da etwas herzförmig oder seitlich comprimirt.
Der grösste Theil des Axenstrangs ist in einzelne Wirbelkörper gegliedert, in
einer Weise, welche sich viel näher an die Wirbelsäule der Embryonen höherer Wir-
belthiere, als an die frühen Entwicklungsstadien der Tritonenwirbel anschliesst.
Es gliedern sich nämlich Wirbel und Intervertebralstellen durch die Form und
Anordnung der Knorpelzellen sehr deutlich ab. s. Fig. 8 Tab. XXIV. Je in einem Wirbel-
körper werden die Zellen mit ihren Höhlen grösser, blasig; je zwischen zwei Wirbeln
sind sie senkrecht verlängert, aber von vorn nach hinten schmal, dabei so geordnet,
dass ein senkrechter Längsdurchschnitt Züge zeigt, welche nach dem vorderen und
hinteren Wirbel hin concav sind, von der Intervertebralebene aus sich nach den zwei
Seiten auseinander wendend.
Am Anfangstheil des Regenerirten sind die Wirbel lang, die Intervertebralstellen
kurz. Weiter nach hinten werden die Wirbel kürzer, und die Form der Knorpelzellen
st nicht mehr so verschieden, indem sie auch in den Wirbelkörpern weniger blasig,
mehr flach von vorn nach hinten sind. Allmählig verwischt sich auch die charac-
teristische Anordnung immer mehr. Zuletzt wird der Strang kleinzellig, weicher und
verliert nach und nach die Eigenthümlichkeit des Knorpels. Hier tritt dann erst eine
raschere Abnahme in der Dicke des Stranges ein.
Es ist aus dem Gesagten ersichtlich, dass hier von dem hinteren Ende her ein
Nachwuchs sich allmählig vergrössernder Wirbel stattfindet, in derselben Art, wie
Knorpel auch sonst zu wachsen pflegen. Indem sich eine grössere Menge festerer
— 17 —
hyaliner Grundsubstanz bildet, wachsen die Zellen zuerst in einer Ebene (nach der
Dicke des Knorpelstrangs). Durch Wachsthum in der Richtung der Axe des Strangs
wird dann vorwiegend ein Längenwachsthum, hier die Bildung längerer Wirbelkörper
vermittelt. Die Urquelle weiteren Wachsthums neuer Wirbel aber liegt in der klein-
zelligen Masse am hintern Ende des Knorpelstrangs.
Diese Verhältnisse werden besonders an Längsschnitten deutlich. Querschnitte
zeigen an der Gränze des Knorpels, wie sonst, schmalere, in der Mitte grösere,
blasige Höhlen und Zellen.
An den Axenstrang schliessen sich nun obere und untere Bogen, welche ebenfalls
aus hyalinem Knorpel bestehen. Dieselben gehen nicht durch Auswachsen des Axen-
strangs hervor, sondern sind selbstständige Bildungen, indem sie aus einer weichen
Masse verknorpeln. welche eine Höhle ober- und unterhalb des Axenstrangs umgab.
Die Bogen erreichen mitunter den Axenstrang vollständiger als dies an den (der In-
tervertebralganglien wegen) gezeichneten Figg. 1 und 2 der Fall ist. Aber auch wo
sie dicht anstossen, bleibt eine Gränze durch die Anordnung der Knorpelzellen sichtbar
und an den meisten Stellen bleibt ein mehr oder weniger faseriger Zwischenraum
zwischen Wirbelkörper und Bogen. °)
In der Mittellinie sind in der Regel die rechten und linken Bogenhälften sowohl
oben als unten continuirlich; nicht selten ist dort der Knorpel gerade besonders dick
und etwas früher entwickelt als weiter gegen die Axe hin. Aber die Bogenhälften
sind nicht in der ganzen Länge oben und unten geschlossen.
In der Regel sind die Bogen für die einzelnen Wirbel durch Zwischenräume ge-
trennt, oft mit so grosser Regelmässigkeit als dies an einer normalen Wirbelsäule der
Fall sein kann. (s. Fig. 8.)
Nicht selten aber sind doch die Bogen von etwas unregelmässiger Form, und
zwar ist dies häufiger an den unteren und wieder an den vordersten Wirbeln beson-
ders der Fall, an den letzteren wohl durch die stärkere Nachwirkung der Verletzung.
Solche unregelmässige Auswüchse bilden nun hier und da Brücken von dem Bogen
eines Wirbels zu dem des nächsten,
Diese Bogen treten später als die Wirbelkörper auf, wenn man vom Ende des
6) Fig. 4 ist nach dem Endtheil eines ursprünglichen Schwanzes gezeichnet, entspricht aber, mit Aus-
nahme der stärkeren Verkalkung des Knorpels, zum Verwechseln anderen Schnitten welche von reproducirten
Schwänzeu angefertigt sind.
— 185 —
Schwanzes her untersucht, und die unteren nicht immer gleichzeitig mit den oberen,
wiewohl hier meist wenig Unterschied ist.
Hingegen kommen bedeutende Verschiedenheiten in der Ausbildung des Scelets
bei äusserlich sehr ähnlichen Exemplaren vor. Während bei den zwei erwähnten Exem-
plaren von Triton täniatus I Mm. von der Schwanzspitze schon schöne knorpelige
Bogen vorhanden waren. traten dieselben bei einem dritten Exemplare bei welchem
das Regenerirte ebenfalls gegen 5 Mm. betrug, erst 3 Mm. von der Schwanzspitze auf
und bei Triton eristatus habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht.
Bei den meisten der von mir untersuchten Tritonen kam die Wirbelsäule nicht
über das knorpelige Stadium hinaus. Es ist aber damit offenbar die Entwickelung
nicht abgeschlossen. Bei dem letztgenannten Triton taeniatus fand sich an dem
vordersten Theil der regenerirten Wirbelsäule eine dünne Anöcherne Schale an der
Oberfläche des Knorpels, sowohl des Körpers, als der Bogen. Diese Knochenschale
geht durch Verkalkung der an den eigentlichen Knorpel anstossenden Schicht hervor,
welche ein unvollkommen osteoides Gewebe, mit zackigen Zellen darstellt. Was zu-
nächst hervorgeht, ist demnach auch kein exquisites. lamellöses Knochengewebe im
engern Sinne des Wortes. Die Schale kann zu einer gewissen Zeit auch so dünn
sein, dass sie gar keine Zellen einschliesst. Eine Markraumbildung wurde am neuen
Wirbelkörper dadurch angebahnt, dass von der knöchernen Schale einzelne Bälkchen
in die umgebende weiche Substanz ausgingen, wie dies bei der normalen Entwicklung
der Tritonwirbel und, ähnlich, bei den periostalen Knochenbildungen überhaupt statt-
findet. Eine stärkere Entwicklung der genannten osteoiden Gränzschicht des Knorpels,
mit zackigen Höhlen, kam auch bei einem zweiten Exemplar, sowie bei Triton
cristatus vor, jedoch ohne dass sie durch stärkere Verkalkung zu einer knöchernen
Schale wurde; immerhin mochte eine grössere Lichtbrechung derselben vielleicht auf
beginnende Verkalkung zu schieben sein.
Während also Knochenbildung durch Auflagerung auf die Aussenfläche des Knorpels
an der neugebildeten Wirbelsäule vorkommen kann, habe ich eine Umwandlung des
neuen Knorpels in Mark durch nachträgliche Auflösung der Grundsubstanz noch nicht
beobachtet. vielleicht jedoch nur wegen zu kurzen Bestehens der reproducirten Theile-
Es musste nun wohl die Verschiedenheit der neugebildeten Wirbelkörper von den
normalen, °) und die Erfahrungen welche insbesondere Kölliker über die Eigenthüm-
7) Siehe Gegenbaur. a. a. 0.
— 119 —
lichkeiten des Endes der Wirbelsäule bei vielen Fischen gemacht hat, dazu auffordern,
das Ende des normalen Tritonschwanzes zu untersuchen.
Dabei zeigte sich in der That, dass bei unseren drei Tritonarten die Wirbel-
säule nicht mit einem kmöchernen Wirbel endigt, sondern in einen knorpeligen Strang
ausläuft. Die regenerirte Wirbelsäule schliesst sich in vielen Beziehungen an dieses
abweichende Ende der normalen Wirbelsäule an.
Zur Untersuchung dienen, bequemer, successive Querschnitte, oder, vollständiger
aber schwieriger, Längsschnitte des Schwanzendes.
Bei Triton igneus folgte auf einen knöchernen, markhaltigen Wirbel von 0.4
Länge, durch eine Intervertebralstelle geschieden, ein Wirbel aus verkalktem Knorpel,
0.155 Mm. lang 0.125 hoch, mit einem schwach entwickelten Bogen. Hierauf kam,
mit plötzlichem Absatz, eine Strecke von 0.075 Länge und Höhe, wo die Knorpelzellen
senkrecht verlängert waren, wiewohl nicht so stark als an andern Intervertebralstellen.
Die Partie hatte aber die grösste Aehnlichkeit mit der eigenthümlich stark eingeschnürten
hinteren Partie des Intervertebralknorpels an den vorderen Schwanzwirbeln,. welche
schon von der Knochenschale des nächsten knöchernen Wirbels umschlossen, aber durch
einen ringförmigen Hohlraum davon geschieden wird. Dann nahm der Knorpel noch-
mal auf eine Strecke von 0.04 Mm. einen Durchmesser von 0,11 an, wurde gross-
blasiger und glänzender, (wahrscheinlich eiwas verkalkt). um dann in einen Strang
überzugehen, der sich ohne scharfe Gränze in reiches kleinzelliges Gewebe verlor.
Fig. 7, zeigt einen Querschnitt in dieser Gegend, welcher mit dem Querschnitt des
regnerirten Schwanzes Fig. 6 fast identisch ist.
Bei Triton cristatus zeigte sich eine noch grössere Zahl rudimentärer, bloss
knorpeliger Schwanzwirbel, indem auf den letzten knöchernen Wirbel 4 Abschnitte
folgten, wo der Körper bloss aus verkalktem Knorpel bestand, an Grösse und Ent-
wicklung immer abnehmend. (der erste 0.36 lang, der leizte 0.1 Mm.) durch wenig
ausgeprägte Intervertebralknorpel getrennt. Endlich ging ein Strang aus unvollkom-
menem Knorpel noch 0.25 Mm. weit in das weiche Schwanzende. Auch knorpelige
Bogen sind vorhanden an den vorderen der knorpeligen Wirbelkörper.
Bei Triton taeniatus ergaben Querschnitte, von hinten anfangend. als erste
Andeutung der Wirbelsäule einen hellen Fleck aus unentwickeltem Knorpel. Nachdem
dieser dicker geworden und mehr diflerenzirt ist, tritt rechts und links ein Stück einer
Knochenschale auf, (s. Fig. 3.) welche alsbald zu einem Ring zusammenfliessen, anfäng-
lich ohne eingeschlossene Knochenkörper. Dann erst verkalkt der Knorpel im Innern,
— 120 ° —
zugleich treten obere und untere knorpelige Bogen auf, welche alsbald ebenfalls von
einer Knochenkruste umgeben werden, und zwar sowohl an ihrer äusseren als inneren
Oberfläche. Diese Kruste ist der des Körpers continuirlich. (s. Fig. 4.) Hier sind nun
die äusserst zierlichen Querschnitte denen der regenerirten Schwänze vollkommen ähn-
lich, mit Ausnahme der stärkeren Verkalkung. Indem der Knorpel schwindet, tritt
dann ein markhaltiger Wirbel von bekannter Formation auf.
Die untersuchten Tritonen waren erwachsen, doch kann ich bestimmte Grösse-
angaben nicht machen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass dieselben noch eines gewissen
Wachsthums des Schwanzes fähig gewesen wären. Aber wohl darf man als sicher
annehmen, dass die unvollkommenen Schwanzwirbel und der Knorpelfaden sich nie mehr
in ächte knöcherne Wirbel verwandelt hätten.
Es besitzen also die Tritonen bleibend ein eigenthümlich gebautes Schwanzende.
Natürlich erhebt sich die Frage nach dem Verhältniss zur Chorda. Ich habe von
derselben hier nichts gesehen, wiewohl ihre Reste in den Intervertebralstellen der vor-
deren Schwanzwirbel sowohl an Quer- als an Längs-Schnitten leicht zu sehen sind.
Ist die Chorda im Schwanzende innerhalb des Knorpels spurlos verschwunden, oder hat
sie sich selbst in den Knorpelstrang umgewandelt? Im letzten Fall würde die Auf-
fassung von A. Müller, welcher letzteren bei den regenerirten Schwänzen mit einer
Chorda verglich, etwas für sich haben. Es ist aber nicht wohl anzunehmen, da sich
der Knorpelstrang des normalen Schwanzendes an den Intervertebralknorpel anschliesst,
hinten diffus in eine weiche Masse ausgeht, und der so sehr ähnliche regenerirte
Knorpelstrang sicher nicht aus der eigentlichen Chorda entstand.
Hingegen muss die nicht unwichtige Frage entstehen, ob nicht eine Anzahl von
Wirbeln, wenn auch rudimentären, aus dem hintern Ende der skeletbildenden Schicht
hervorgehen können, durch welches nie die Chorda hindurchgegangen war. Diese
Frage hatte sich mir schon früher aufgedrängt, gelegentlich der Untersuchung der
Schwänze an Säugethierembryonen, allein das Material reichte nicht zur Sicherstellung
hin, und bei Tritonen ist eine solche auch nur (u. A, durch Zählungen der Wirbel)
bei Larven zu erwarten. Der etwaige Nachweis von Wirbeln, welche sich aus einem
Strang abgliedern unabhängig von der Chorda, würde auch für die Auffassung der
Gliederung an dem vordern Ende der Wirbelsäule nicht ohne Einfluss sein.
Bei Froschlarven kommt übrigens eine sehr vollkommene Regeneration der Chorda
vor, wenn man den Schwanz abschneidet.
— 1721 —
b. Rückenmark.
Wenn man das Rückenmark in dem ursprünglichen Schwanz von Tritonen auf
Querschnitten verfolgt, so findet man dasselbe bis weit hinter in der bekannten charak-
teristischen Anordnung. Um einen Kanal her liegt im Innern eine blasse, zellige Masse,
während eine peripherische Zone von den (Querschnitten longitudinaler Nervenfasern
eincenommen wird. Gegen das hintere Ende verlieren sich die letztern allmählig und
es bleibt zuletzt nur der Kanal mit seiner nächsten Umgebung übrig: radiär gestellte,
etwas ceylindrische Zellen, an welche sich mehr oder weniger deutlich noch eine Lage
kleiner rundlicher Zellen anschliesst.
Dieses Filum terminale von 0,045 Mm. Durchmesser tritt in Querschnitten, welche
man vom hinteren Ende her macht, fast zugleich mit dem hellen Fleck auf, welcher
aus unentwickeltem Knorpel bestehend, das rudimentäre Ende der Wirbelsäule bezeichnet.
Erst merklich später treten knorpelige Bogen auf; es geht also das Rückenmark über
die eigentlichen Wirbel, insbesondere über den Wirbelkanal hinaus. Die skelet-
bildende Schicht ist wenigstens nicht zu der Bildung von Knorpel oder Knochen gekom-
men, es ist aber anfänglich nicht einmal eine eigene fibröse Lage als von dem um-
gebenden pigmentirten Gewebe abgegränzte Wand des Raums für das Rückenmark zu
erkennen.
In regenerirten Schwänzen zeigt sich nun, wenn man Querschnitte von rückwärts
her macht, genau dieselbe Bildung. Ein Filum mit radiär um ein Lumen gestellten
Zellen tritt ziemlich zugleich mit dem Knorpelfaden, vor den Bogen auf. Ein Blick
auf Fig. 7, welche den Querschnilt eines ursprünglichen Schwanzendes von Triton
igneus darstellt und Fig. 6, welche den regenerirten Schwanz von Triton cristatus
zeigt, genügt, die vollständige Uebereinstimmung darzulegen.
Weiter nach vorn geht nun aus diesem Filum ein Rückenmark hervor, welches
der ursprünglichen fast vollständig gleich ist, nur etwas weniger stark und regelmässig
entwickelt (s. Fig. 1. Tab. XXIV.).
Der Kanal liegt sowohl bei Triton taeniatus als cristatus sehr excentrisch
nach der Bauchseite. Um ihn her stehen radial Zellen von schwach cylindrischer Form,
welche von rundlich - polygonalen, blassen Zellen umgeben werden. An der untern
Seite erreichen die Cylinderzellen die Oberfläche des Rückenmarks unmittelbar oder es
liegt nur eine Reihe anderer Zellen darüber. An der Seite wird die Zahl der letzteren
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V. 16
— 12 —
immer grösser und nach oben, wohin die Entfernung vom Kanal aus am grössten ist,
liegen deren etwa 6 Reihen, so dass sie auch dort an die Oberfläche stossen. Die
Grösse der Zellen, welche den Kern eng umgeben, ist 0,0075 bis 0.01 Mm. Die
dunkle Zone aussen herum ist nicht so stark als beim ursprünglichen Rückenmark und
bloss an den Seiten vorhanden, da die Zellen der inneren, blassen Substanz in der
oberen und unteren Mittellinie die Oberfläche erreichen. Die dunkeln Punkte auf dem
Querschnitt der äussern Zone werden, wie im ursprünglichen Rückenmark, nachweislich
durch Querschnitte von Fasern erzeugt, welche den Charakter feiner Nervenfasern haben.
Der Durchmesser des regenerirten Rückenmarks betrug bei Triton taeniatus
mit 5 Mm. Neubildung etwa 0,125 Mm. am Anfang derselben. Höher oben in dem
ursprünglichen Schwanztheil desselben Thieres war sie allerdings 0,27 Mm., allein in
dem hinteren, dünneren Theil ursprünglicher Schwänze beträgt sie auch nur 0,1 Mm.,
wo das Rückenmark bereits vollkommen mit seinen Substanzen entwickelt ist,
Man darf also den neugebildeten Strang, welcher die Höhle der oberen Wirbel-
bogen füllt, mit Recht als ein wirkliches Rückenmark ansprechen. Denn, wenn die
histologischen Elemente klein und wenig deutlich sind, so ist dies an dem ursprüng-
lichen Rückenmark fast in derselben Weise der Fall.
Für die Vollkommenheit der Neubildung des gesammten Wirbelsystems ist nun noch
ein Punkt bezeichnend.
Der regenerirte Schwanztheil enthält jederseits eine Reihe von Spinalganglien.
Diese werden von Zellenhaufen dargestellt, welche an der Basis der oberen Bogen,
zwischen und neben denselben liegen. Weit hinten sind die Zellen an Zahl und Dif-
ferenzirung von den übrigen der Umgebung schwach entwickelt. Weiter vorn aber
werden sie unverkennbar. Sie sind durch einen grossen, bläschenförmigen Kern von
0,01 bis 0,125 Mm. ausgezeichnet, um welchen die schwach polyedrische Zelle ziem-
lich eng anliegt. Ihre Bedeutung wird durch den Vergleich mit den Ganglien des
ursprünglichen Schwanzes festgestell. Diese sind hier ziemlich gross (0,1 Mm. und
darüber), so dass je ein Paar zusammen häufig der Grösse des Rückenmarks gleich-
kommt. Die regenerirten Ganglien dagegegen erreichten bei Triton taeniatus nur
die Hälfte jener Grösse‘). Lage und Zusammensetzung ist aber dieselbe, nur dass die
Zellen und Kerne der ursprünglichen Ganglien etwas grösser sind. Doppelte Nerven-
8) Bei Triton eristatus wurden die vordersten etwas grösser. Auch für die einzelnen Zellen gilt
dies bei dem ältesten Exemplar, wo auch von dem Ganglion ausgehende Nervenstämmehen zu erkennen waren,
— 13 —
wurzeln konnte ich an den regenerirten Stücken nicht sehen, wie an dem ursprüng-
lichen Rückenmark, wohl aber einen zellig-streifigen Strang vom Rückenmark zu den
Ganglien. Da die Umgebung sehr dicht anlag, ist vielleicht in günstigeren Fällen auch
diese wichtige Eigenthümlichkeit zu finden.
Bei dem unmittelbaren Uebergang des alten Rückenmarkes in das neu erzeugte ist
es wahrscheinlich, dass letzteres durch Vermehrung der Elemente des ersteren heraus-
gewachsen ist. Doch habe ich hierüber noch keine sichern Beobachtungen machen
können. Hingegen muss offenbar das Wachsihum des einmal angelegten Rückenmarkes
als ein sehr kräftiges bezeichnet werden. Hiefür spricht, dass dasselbe so weit in das
Schwanzende hinaus ragt, und dass es den Kanal der Wirbelbogen sehr vollständig
ausfüllt. Auch hierin gleicht der neu erzeugte Schwanz dem hintern Ende des ursprüng-
lichen, während weiter vorn mehr Raum zwischen Rückenmark und Wirbelkanal bleibt.
Beide Stellen schliessen sich an das Verhalten von Embryonen an, wo die Centraltheile
des Nervensystems in früher Zeit gross gegenüber ihren Umgebungen sind.
Das durch den Verlust des Schwanzes hervorgerufene Auswachsen, oder die
Wucherung des Rückenmarks führt nun in manchen Fällen zu Zuständen, welche sıch
von der einfachen Regeneration entfernen und zuletzt entschieden pathologisch zu nennen
sind, sofern überhaupt eine solche Scheidung zulässig. ist.
Ein Triton cristatus hatte in 8—9 Monaten 8 Mm. neuen Schwanzes erzeugt.
Die Wirbelsäule verhielt sich ganz wie oben dargestellt ist. Auch das Rückenmark
sowie die Intervertebralganglien fehlten nicht; aber eine Anzahl Querschnitte nahe am
Anfang des Regenerirten zeigte im Rückenmark 3 Kanäle, jeden von den radiär gestell-
ten Zellen umgeben (s. Fig. 2 Tab. XXIV.). Aussenher lag, den Wirbelkanal völlig füllend,
eine trübe Masse, in der Fasern nicht mit völliger Sicherheit zu erkennen waren.
Weiter hinten war der Kanal wieder einfach auf dem Querschnitt. Dies, sowie die
schiefe Richtung der 3 Kanäle an den Durchschnittsstellen, endlich Längenschnitte, sprach
dafür, dass es sich nicht um eine Theilung des Kanals, sondern um starke Windungen
desselben handelt, wobei das Rückenmark sich je an den weiteren Stellen des Wirbel-
kanals streckenweise angeschwollen zeigte. Dieser eigenthümliche Befund muss wohl
auf ein unverhältnissmässiges Wachsthum des Rückenmarkes, besonders in seinem mitt-
lern Theil, bezogen werden.
Zwei Exemplare von Triton taeniatus, wo der Schwanz nur als ein 1% und
1%, Mm. langes Spitzchen nachgewachsen war, zeigten stärkere Abweichungen. In
beiden war nur ein dünner Faden unentwickelten Knorpels, ohne Bogen, zu finden.
16*
— 14 —
Ueber demselben lag in dem einem Fall eine Höhle, welche sich an den ursprüng-
lichen Wirbelkanal "anschloss, oben leer, d. h. mit Flüssigkeit gefüllt war, und das
Rückenmark in dem Endtheil des ursprünglichen Schwanzes war trüb, dick und unregel-
mässig. In dem zweiten Fall war das Regenerirte grösstentheils von einer sehr weiten
Höhle (0,45 hoch, 0,17 breit) eingenommen, welche eine zellige eiterarlige Masse
enthielt. Diese Höhle hatte sich hinten nach abwärts neben den rudimentären Knorpel-
faden gedrängt (Fig. 5.); vorn kam sie ganz über denselben zu liegen und der Inhalt
schloss sich unmittelbar an das Rückenmark än. Dieses war aber in der ganzen Länge
des ursprünglichen Schwanzes verdickt und trüb, und die regelmässige Anordnung nicht
zu erkennen. Es hatte hier offenbar ein entzündlicher Vorgang nicht nur die gewöhn-
liche Regeneration gestört, sondern weit hinauf das Rückenmark betroffen, ohne jedoch
die Regeneration des Uebrigen ganz aufzuheben. Die Wand des Hohlraums in dem
neugebildeten Stück enthielt ringsum Gruppen neugebildeter Muskelfasern.
II. Eidechsen.
Das verwendete Material bestand grösstentheils aus Eidechsen, welche mit bereits
regenerirten Schwänzen eingefangen wurden. Die Länge des Regenerirten betrug bis
zu 6 Cm.
Die bereits bekannte Haupteigenthümlichkeit des regenerirten Schwanzes besteht
darin, dass derselbe statt einer Wirbelsäule von einem Knorpelstrang durchzogen wird,
dessen Höhle sich an die der ursprünglichen Wirbelsäule anschliesst.
Wo die Regeneration bereits weiter vorgeschritten ist, hat das Knorpelrohr vorn etwa
den Durchmesser der Schwanzwirbel, und verjüngt sich gegen das hintere Ende allmäh-
lig. Ueber den inneren Bau geben zunächst Querschnitte bequem Aufschluss, welche
nebenbei, wenn man sie durch den ganzen gut erhärteten Schwanz anfertigt und färbt,
zu den zierlichsten Objeeten gehören, welche man sehen kann.
Das Knorpelrohr bildet an solchen Schnitten einen Ring, der an der inneren und
äusseren Oberfläche mit einer Gränzschicht versehen ist, welche kleine verlängerte und
concentrisch gegen die Axe liegende Körperchen hat, übrigens von sehr verschiedener
Dicke vorkommt. Die mittlere, meist grösste Zone des Rings besteht dagegen aus
grösseren meist scharf polygonalen Knorpelhöhlen mit hyaliner Zwischensubstanz. Da
— 125 —
diese nicht in Gruppen liegen, hat der Schnitt ein netzarliges Ansehen. Wo der gross-
zellige Knorpel in die Gränzschicht übergeht, also nahe der innern und äussern Ober-
fläche, ist eine Verkalkung der Zwischensubstanz eingetreten, die meist homogen, nur in
kleineren Strecken krümelig ist. Die Dicke der verkalkten Zone wechselt sehr, Am
Anfang und gegen das Ende des Rohrs erreichen sich gewöhnlich beide Zonen, indem
fleckweise auch der mittlere Theil des Knorpels verkalkt. Aber auch an andern Stellen
kommt ein solches Durchgreifen der Verkalkung vor, und wo seitliche Oeffnungen an
dem Rohr vorkommen, werden sie meist von einer Kalkkruste bekleidet, welche so die
innere und die äussere Kalkzone in Verbindung setzt.
In Schwänzen, deren Regeneration noch weniger vorgeschritten ist, findet man
das ganze Knorpelrohr aus kleinzelliger Substanz ohne Verkalkung gebildet, das Lumen
desselben beträchtlich geringer, so dass es von dem als Rückenmark zu bezeichnenden
Strang ganz ausgefüllt wird.
Die Querschnitte belehren ferner über die Form des Knorpelrohrs, welche oft nur
beiläufig rundlich ist, und es ist hervorzuheben, dass besonders gegen das vordere Ende
häufig Unregelmässigkeiten vorkommen, die damit zusammenhängen, dass dort der Beginn
der Regeneration die grössten Schwierigkeiten zu überwinden hatte. Auch ein grosses
Geläss, welches nicht selten dort den Knorpel durchbohrt, oder eine Strecke in ihm
verläuft, bedingt häufig eine Modification. Fast immer aber ist in derselben Gegend das
Knorpeirohr unten merklich dicker, was durch den Anschluss an den stärkeren Wirbel-
körper bedingt wird. So entsteht eine herzähnliche Form, welche schon an sehr jungen
Objecten zu finden ist. Ist der Knorpel unten zugleich breiter, so erhält er bisweilen
eine Furche, welche gegen die dort gelegenen Hauptgefässe gerichtet ist”).
Was ist nun der Inhalt des Knorpelrohrs ? Bindegewebe, manchmal mit zierlichen
sternförmigen Körperchen, Blutgefässe, ramifieirte Pigmentzellen, an einzelnen Stellen
Fettzellen, ausserdem aber insbesondere ein Strang, den ich nachher als Rückenmark
weiter zu betrachten habe.
Vorerst muss das vordere Ende des Knorpelrohrs in seinem Verhältniss zur
ursprünglichen Wirbelsäule festgestellt werden. Hier gibt ein guter medianer Längen-
9) Beispielsweise gebe ich einige Maasse von einem 5), Cm. lang regenerirten Schwanz. Der Durch-
messer eines der letzten Wirbelkörper betrug 0,32 Mm. Der Knorpel an seinem Anfang unten 0,45, oben
0,28, das Lumen 0,2. Ein Cm. weiterhin: Dicke des Knorpels 0,18—0,23; 3 Cm. vom Anfang: Dicke
des Knorpels 0,14— 0,18, Lumen 0,13; 4 Cm. vom Anfang: Dicke des Knorpels 0,135 — 0,16, Lumen
0,125; endlich 5 Mm. vom Ende: Dicke des Knorpels 0,09 — 0,12; Lumen 0,1 Mm.
— 16 —
schnitt die beste Auskunft (s. Fig. 2. Tab. XXV.). In allen von mir genau unterersuchten
Fällen schloss sich das Knorpelrohr unmittelbar an ein stehen gebliebenes Stück eines
knöchernen Wirbels an, und zwar unten an den Körper, oben an den Bogen.
Eine Vergleichung der weiler vorn gelegenen Wirbel zeigt, dass dies Stück nichts
anderes ist, als die vordere (kleinere) Hälfte des Wirbels, welche nach Cuvier an den
Schwanzwirbeln der Eidechsen durch eine Querspalte von der hinteren Hälfte getrennt
ist. Gegenbaur hat gezeigt, dass diese Spalte durch einen tief durchgreifenden Mark-
raum erzeugt wird. Um diese Spalte zu zeigen, ist in Fig. 2. Tab. XXV. der nächst-
vordere Wirbel mit aufgenommen. Diese Spalte bildet offenbar den Locus minoris
resistentiae des Eidechsenschwanzes und ihre Anwesenheit bedingt ohne Zweifel zum
Theil die bekannte Leichtigkeit der Abtrennung.
Vielleicht ist dafür, dass diese Trennung in der Regel durch die Querspalte des
Wirbels zu gehen scheint, noch ein anderer Punkt bemerkenswerth. Es sind nämlich
die Schwanzwirbel der Eidechsen wenigstens sehr häufig nicht durch Gelenke verbunden,
sondern der Intervertebralknorpel verbindet je zwei Wirbel unmittelbar, ohne dass es
zu der Bildung einer Höhle gekommen ist'’). Auch hier also finden wir am Schwanze
die Entwickelung oder die Differenzirung der Wirbelsäule weniger weit gediehen, als
an andern Abschnitten.
Im Einzelnen ergeben sich nun folgende Verhältnisse des Anschlusses des neuen
Knorpelrohrs an das alte Stück des Wirbelkörpers:
Der Knorpel ist in alle Unebenheiten des Knochens und seiner Markräume so einge-
lassen, dass beide in dem innigsten Zusammenhang stehen. Wahrscheinlich sind die
Zellen des Markes sogar an seiner Production wesentlich betheiligt. Die innige
Berührung verkalkenden Knorpels mit ächtem Knochen und Mark ist so häufig, dass sie
nicht auffallen kann. Entsprechend der grösseren Dicke des Wirbelkörpers als des
Bogens ist der Knorpel anfänglich unten beträchtlich dicker. Bei manchen, offenbar seit
lange regenerirten Schwänzen tritt dann ein weiteres Stadium ein durch Bildung von
Markräumen in dem verkalkten Knorpel und Entstehung neuer, ächter Knochensubstanz,
welche namentlich die Oberfläche des Knorpels mitunter ziemlich weithin überzieht '').
10) Doch habe ich einmal auch eine Gelenkspalte an vorderen Schwanzwirbeln gefunden.
1) Ein Eidechsenschwanz, der olfenbar erst ganz kürzlich abgebrochen war, zeigte eine halbkugelige
Erhebung, die bereits von geschichteter Epidermis bekleidet war. Darunter befand sich eine lebhaft wuchernde
Zellenmasse mit Blutgefässen, der Rückenmarkskanal erstreckte sich bis nahe unter die Haut, aber von dem
Wirbel waren ausser dem verkalkten Intervertebralkuorpel nur wenige Bälkchen des Körpers und Bogens übrig
— 117 —
So ist eine völlige Fusion des Anfangs des Knorpelrohrs mit dem Wirbel - Rest
eingetreten und Querschnitte, welche nach Kenntniss des Längsschnitts sehr einfach zu
deuten sind, werden ausserdem sehr leicht verwirrend; man kommt aus einem Knorpel-
rohr, in welchem Markräume auftreten und an welchem da und dort Knochenbeleg auf-
tritt, so allmählig in einen völligen Wirbel hinein, dass man diesen leicht für ganz
neugebildet halten könnte.
Die Querschnitte werden an der Uebergangsstelle ausserdem durch die Betheiligung
der Bogen und Fortsätze complieirt. Ein Stück des oberen Bogens scheint in der
Regel stehen zu bleiben, aber es ist dies sehr verschieden gross. Es hängt dies damit
zusammen, dass, wie ich sehe, die Spalte im Bogen nicht regelmässig durchgeht. Wenn
nun viel stehen geblieben ist, so bilden sich knorpelige Auswüchse, an denen wieder
Verkalkung und Bildung von Knochensubstanz und Mark vorkommt. Dasselbe ist ganz
gewöhnlich an dem unteren Bogen mit seinem Dorn der Fall (@ Fig. 2). Da er am
Intervertebralknorpel haftet, so bleibt er stehen, und bildet einen Vorsprung, an den
sich die oben genannten Vorgänge ebenfalls anschliessen, mehr oder weniger getrennt
von dem Knorpelrohr.
Längsschnitte der Basis des Knorpelrohrs zeigen ferner die Caudalgefässe (von denen
Fig. 2 bloss die Vene getroffen ist), deren Regeneration auch hier durch einen Plexus
kleinerer Gefässe, von denen sich einzelne später erweitern, eingeleitet wird.
Vor Allem aber zeigen jene Schnitte die Continuität des oben als Inhalt des
Knorpelrohrs erwähnten Strangs mit dem Rückenmark.
Das Rückenmark ändert im ursprünglichen Theil des Schwanzes seine Form, so
dass es am vordern Theil eines Wirbels und Intervertebralknorpel breit aber niedrig
wird, während es sonst eher rundlich-viereckig ist. Es erscheint also von oben
gesehen an den erstgenannten Stellen knotig, auf dem senkrechten Längsschnitt aber
je zwischen denselben.
Das am letzten Intervertebralknorpel bereits niedriger aussehende Rückenmark
setzt sich nun, allmählig noch dünner werdend, sehr deutlich in das Innere des
Knorpelrohrs fort, und zwar bis an das äusserste Ende desselben.
geblieben, welche in die junge Zellenmasse hineinragend, die deutlichsten Spuren der Resorption an sich trugen.
Nach der ganzen Anordnung musste wohl der Wirbel an der gewöhnlichen Stelle abgebrochen, der stehen-
gebliebene vordere Theil aber einer fast völligen Auflösung anheimgefallen sein. Wenn dies der gewöhnliche
Hergang ıst, würde allerdings auch das knöcherne Stück, welches das neue Knorpelrohr mit dem letzten
Intervertebralknorpel zu verbinden pflegt, als fast ganz neugebildet anzusehen sein.
ei
In diesem aus dem Rückenmark hervorwachsenden Strang sind nun nervöse
Elemente mit Sicherheit nachzuweisen.
Der Bau desselben ist nämlich der folgende:
Im Innern zieht durchweg ein scharfbegränztes Lumen von etwa 0,01 Mm. hin,
welches eine Fortsetzung des Rückenmarkskanals ist. Um das Lumen her stehen
kleine Cylinderzellen, auf welche noch andere rundlich-polygonale Zellen nach aussen
folgen. Ob die Cylinderzellen flimmern, kann ich nicht sagen, die erhärteten Prä-
parate zeigen meist einen starken Saum, der im hintern Theil des Strangs sehr
scharf zu sein pflegt, während er weit vorn öfters wie gekerbt aussieht. In dem
hintern, dünnern Theil des Knorpelrohrs ist nichts weiter zu erkennen und der Strang
misst im Ganzen dort nur 0.04 Mm. Der Querschnitt ist dem vom Ende des Rücken-
marks bei den Tritonen ganz ähnlich; der Längsschnitt trifft oft weithin das Lumen,
so dass man sehr scharfe Profilansichten erhält, welche weit hinten mitunter bloss
eine einzige Lage von Zellen zeigen (Fig. 5. Tab. XXV.).
Weiter vorn aber ist in älteren Schwänzen um die cylindrischen Zellen her
eine grössere Ansammlung von rundlich-polygonalen Zellen und eine peripherische
Lage von Nervenfasern vorhanden.
Diese Anordnung ist am besten an Querschnitten zn erkennen, wobei sich ein
Durchmesser des ganzen Stranges von 0,05—0,09 Mm. ergibt (Fig. 3. Tab. XXV.).
Hier bilden die Zellen eine innere helle Zone, welche rings von einer dunkeln um-
geben wird, jedoch ohne lineare Gränze. Die dunkle Zone besteht aus verschieden
grossen dunkeln Punkten, welche durch eine helle Zwischensubstanz so in Bündel
getheilt sind, dass eine radiäre, seetorenartige Anordnung entsteht. Die Punkte aber
erweisen sich als Querschnitte von Fasern. Ich habe dieselben zwar noch nicht
frisch gesehen, allein in der Flüssigkeit conservirt, welche ich für Augen anzuwenden
pflege, haben sie vollkommen den Charakter feiner markhaltiger Nervenfasern. Ihr
Durchmesser beträgt kaum über 0.0025 Mm., meist 0.001 —2. Die Menge dieser
Fasern, d. i. die Breite der äussern dunkeln Schicht des Strangs ist am vordern
Theil des Schwanzes am grössten; nach hinten verlieren sie sich allmählig, doch sind
sie in grösseren Schwänzen mehrere Cm. weit nachzuweisen.
Schwieriger sind die zelligen Elemente zu beurtheilen. Sie sind meist nur gegen
0,003 —5 Mm. gross, und ihre nervöse Bedeutung lässt sich um so weniger erweisen,
als eine entschiedene Trennung von den Cylinderzellen des Kanals nicht zu erkennen
ist. Doch scheinen sie sich an Grösse, Lage und Ansehen vorn an die multipolaren
— 179 —
Zellen des ursprünglichen Marks allmählig anzuschliessen, und die Analogie des Tri-
tonenschwanzes ist der Annahme ihrer nervösen Natur günstig.
Die Frage wäre zunächst durch physiologische Versuche zur Lösung zu bringen
und ich habe seit längerer Zeit die sich bietende Gelegenheit benützt, zu sehen, ob der
regenerirte Schwanz für sich die Fähigkeit hat, Reflexe zu erzeugen. In Verbindung
mit dem ursprünglichen Rückenmark erweist sich der regenerirte Schwanz so
empfindlich als der ursprüngliche, allein dies erklärt sich durch die denselben durch-
ziehenden starken und histologisch, wie ich schon früher bemerkte, sehr vollkommen
entwickelte Stämmchen dunkel-randiger Nervenfasern, welche von den peripherischen
Nerven des Schwanzstummels ausgehen. Diese Fasern erreichen gegen 0.006 Mm.
Dicke. Sie reichen auch aus, die automatischen Bewegungen zu erklären. welche
der regenerirte Schwanz so gut macht, wie der ursprüngliche. Wenn man eine
Eidechse decapitirt, so macht sie meist wenig Bewegungen; fährt man aber fort,
stückweise das Rückenmark nach hinten wegzunehmen, so fängt der Schwanz an
immer heftiger, hin- und herzuschlagen, und isolirte Stücke des Schwanzes thun
dies auch. Der vordere Theil des Rückenmarks aber scheint ein Hinderniss für diese
Bewegungen zu enthalten. Regenerirte Schwänze machen diese Bewegungen noch,
wenn nur noch wenige Millimeter des ursprünglichen Schwanzes damit in Verbindung
sind. hören aber auf, sowie man dieses kurze Stück entfernt. Es reicht also das-
selbe aus, um diese Bewegungen in dem ganzen nach hinten folgenden Schwanz von
5 Cm. Länge zu bewirken.
Ebenso wie die automatischen Bewegungen hörten in 5 Fällen die Reflexbewe-
gungen nach mechanischer Reizung auf, sobald das ursprüngliche Rückenmark entfernt
war. Ein einziges Mal, an einer Eidechse, deren regnerirter Schwanz die bedeutende
Länge von 6 Cm. erreichte, machte derselbe, unterhalb der Regenerationsgränze ab-
geschnitten, noch leise, aber deutliche Bewegungen, welche stärker zu werden schienen,
wenn der Schwanz auf dem Rücken lag, und die Schnittfläche der Axe mit einer
Nadel gereizt wurde. An dieser Eidechse zeigte später die anatomische Untersuchung
allerdings eine sehr wohl entwickelte Fortsetzung des Rückenmarks in den regenerir-
ten Theil, mit sehr starker Schicht dunkler Nervenfasern, aber Ganglienzellen waren
auch nicht mit Entschiedenheit zu erkennen und so kann der Fall vorläufig kaum als
beweisend gelten.
Es fehlt nämlich vor Allem der Nachweis, dass von dem regenerirten Rücken-
marksstrang Nervenfasern zu den peripherischen Theilen gelangen können. Gegen-
Abhandl. d, Senckenb. naturf. Ges. Bd. V,
— 130 —
baur hat hervorgehoben, dass das Knorpelrohr bei Eidechsen nirgends regelmässige
Oeflnungen besitze. Es sind allerdings auch bei Eidechsen solche Oeflnungen da und
dort, manchmal gar nicht selten vorhanden, allein sie sind in der That keineswegs
regelmässig, gehn in mehreren Fällen wenigstens, wiewohl nicht immer, nach abwärts
und man sieht Blutgefässe durch dieselben verlaufen. In einem einzigen Fall glaubte
ich zwei Nervenfasern durch eine solche Oeffnung gehn zu sehen, doch war es nicht
vollkommen sicher.
Es ist somit eine beträchtliche physiologische Wirksamkeit des neugebildeten
Nervenstrangs zweifelhaft, aber die Möglichkeit eines gewissen Einflusses nicht ganz
zu leugnen. Man könnte schliesslich daran denken, dass die neugebildete Masse bloss
auf dem Umweg durch den erhaltenen Theil des ursprünglichen Rückenmarkes wirk-
sam wäre, im andern Fall aber, ob nicht das hintere Stück des ursprünglichen Rücken-
markes eine Veränderung dadurch erfährt, dass sein Gebiet so bedeutend vergrössert
ist. Eine Wucherung und Neubildung in demselben ist ja jedenfalls gegeben, und
es fragt sich nur welche Elemente sie betrifft.
Bemerkt sei noch, dass das Rückenmark bisweilen an dem frischen Schwanzstumpf
etwas vorsteht, also leicht ein kleines Stückchen desselben hindurch in die neue
Masse aufgenommen werden kann.
Schliesslich ist das Verhalten des Knorpelrohrs und des darin enthaltenen Strangs
in dem äussersten Ende des Schwanzes bemerkenswerth.
Dasselbe ist nicht immer gleich. In der Regel geht der Schwanz in ein kleines
Hökerchen aus, das über die allmählig kleiner gewordenen Schuppenreihen etwas
vorsteht. Bis an oder in dasselbe erstreckt sich das Knorpelrohr, nachdem auch an
älteren Exemplaren die Verkalkung desselben aufgehört hat. Meist geht dann der
dünn und kleinzellig gewordene Knorpel ohne scharfe Gränze in das übrige pig-
mentirte Gewebe über. Der hohle Rückenmarksstrang aber, oder wenn man lieber
will, das Filum terminale tritt auch in dieses wenig dillferenzirte Gewebe ein, und
ist sowohl auf Quer- als Längsschnitten bis ganz nahe unter die Epidermis zu ver-
folgen. An einem besonders gelungenen Schnitt eines 5% Cm. lang regenerirten
Schwanzes endigte der kleinzellige Knorpel ziemlich scharf oben 0,07, unten 0,06
Mm. von der Epidermis der Spitze; das Filum aber, dessen Lumen nach einer vor-
hergehenden Verengerung sich auf 0,015 erweitert hatte, gerade wo es aus der
Öeilnung des Knorpelrohrs vortrat, war bis an das äusserste Ende zu erkennen. Das
— 131 —
Lumen, welches 0.017 Mm. von der Epidermis noch sehr scharf war, schien dort zu
endigen. Die Zellen des Filum bildeten von der Fläche gesehen ein Pflaster dessen
Felder kaum 0.009 betrugen. während sie an andern Exemplaren nicht so klein
waren. Durch den ganzen Knorpelkanal war das Filum von zahlreichen Blutgefässen
begleitet, welche nach dem Austritt aus der Spitze des Knorpels mit den dort an der
Aussenseite befindlichen beträchtlichen Gefässen anastomosirten,. wie dies auch sonst
der Fall zu sein pflegt. An einem andern, ebenfalls sehr stark nachgewachsenen
Schwanz, wo der Knorpel noch schärfer und noch etwas früher abgegränzt war,
endigte das Lumen des Filum ebenfalls etwas früher, noch in dem Knorpel, nachdem
es. wie gewöhnlich zuvor sich etwas erweitert hatte. Es scheint somit, dass die
schärfere Abgränzung des Knorpels den kaum mehr wachsenden Exemplaren zukommt.
Das Filum geht aber bis sehr nahe unter die Epidermis, auch wo der kleinzellige
Strang sehr lang, sich sehr allmählig verlierend, noch ein kräftiges Wachsthum des
Knorpels verspricht.
Diese Erfahrung, dass das rudimentäre Rückenmark in dem nachgewachsenen
Schwanz bis zur äussersten Spitze reicht, in Zusammenhalt mit dem, was über das
Schwanzende der Tritonen mitgetheilt wurde, musste zur Untersuchung der normalen
Schwanzspitze bei Eidechsen auffordern. An dem einen bisher untersuchten Exemplar
war zwar kein Knorpel, sondern ein kleines Knötchen aus unvollkommner Knochen-
substanz, ohne Bogen als letztes Ende der Wirbelsänle zu finden. Ueber diesem
aber lag bereits ein Filum mit Lumen wie in den regenerirten Schwänzen.
Die Regeneration des Schwanzes kommt in derselben Art wie bei den Lacerten
auch bei anderen Sauriern vor, undzwar, wie es scheint, häufig genug. Der Ascala-
botae hat Gegenbaur schon Erwähnung gethan. Ich habe drei zum Theil sehr
vollkommen regenerirter Schwänze aus dieser Familie vor mir und kann hinzufügen,
dass das dicke Knorpelrohr einen Strang von demselben Bau wie bei den Lacerten
einschliesst, der sich in Weingeist sehr gut erhalten hat. Bei Anguis trifft man
häufig ein Stück des Schwanzes regenerirt sammt den Knochentafeln der Haut. Der
Knorpelstrang im Innern ist dickwandig, besonders an der untern Seite, (0,3 bis
0,55 Mm. Wanddicke bei 0.1 bis 0,2 Lumen), und schloss sich in einem Fall wenig-
stens in ähnlicher Weise an ein vorderes Wirbelstück wie bei Lacerta, während in
17%
u
einem zweiten Fall dies in der Gegend des ursprünglichen Intervertebralknorpels der
Fall war. Im Innern des Knorpels liegt sehr starkes Fasergewebe. In der zoo-
tomischen Sammlung in Würzburg findet sich ferner u. A. ein Skelet von Draco
volitans, wo an die vordere, erhaltene Hälfte des 19. Schwanzwirbels sich ein
über 2 Cm. langer Strang aus stark verkalktem Knorpel anschliesst, der an Dicke
die Schwanzwirbel eher übertrifft.
Ein sehr ausgezeichnetes Beispiel bietet ferner in derselben Sammlung das Skelet
von Iguana. An das erhaltene vordere Stück des 21. Schwanzwirbels schliesst sich
ein ungegliederter Strang an, der eingetrocknet vorn noch 5 Mm. Dicke besitzt.
In der Länge von 10% Cm. endigt derselbe offenbar verstümmelt. Der Querschnitt
zeigt ein etwas excentrisches Lumen von nur % Mm. Die Wand besteht grossen-
theils aus verkalktem Knorpel, derselbe ist aber noch in der Entfernung von 2 Cm.
vom letzten Wirbel durchzogen von Kanälen, welche von mehr oder weniger voll-
kommener Knochensubstanz umgeben sind. Ohne Zweifel enthielten jene Kanäle Blut-
gefässe und es liegt hier der Fall vor, dass ausgedehnter als es bei Lacerta der
Fall ist, der neugebildete Knorpel von Gefässen durchzogen wird, deren Anwesenheit
die Bildung von Knochen, wohl auch auf Kosten resorbirten Knorpels vermittelt.
Endlich ist noch eine auffällige Erfahrung an der zweischwänzigen Eidechse anzu-
führen, welche mich ursprünglich auf diesen Gegenstand geführt hatte.
Jeder der beiden Schwänze enthält denselben hohlen Strang, der sich bei andern
Eidechsen als Fortsetzung des Rückeumarks erwiesen hat. Es findet also eine Spaltung
des auswachsenden Rückenmarks statt. Neue Schnitte des jetzt härter gewordenen
Präparats lassen keinen Zweifel. Dieselben zeigen aber weiter folgendes: In dem oberen
der beiden Schwänze liegen 3 Kanäle mit den bekannten radiär geordneten Zellen
nahe beisammen. Zwei derselben sind mit ziemlich viel peripherischer Substanz in eine
gemeinsame Faserhülle eingeschlossen, der dritte aber besitzt eine besondere Hülle
(Fig. 4.). Da dieses Verhältniss sich gleich bleibt an Schnitten, die ziemlich entfernt
von einander angelegt sind, so kann es sich hier nicht um eine Windung handeln, wie
oben bei Triton, sondern es muss eine der beiden hohlen Fortsetzungen des Rücken-
marks sich noch zweimal getheilt haben.
— 133 —
Werfen wir noch einen Blick zurück auf die hier dargelegten Thatsachen, so finden
wir zuerst, dass bei Tritonen an dem hinteren Ende der Wirbelsäule das ganze Leben
hindurch (oder wenigstens sehr lange) sich ein Zustand erhält, welcher dem embryo-
nalen einigermassen nahe steht. Diesem Abschnitt der Wirbelsäule gleicht die neu-
gebildete. Diese Bildung ist dadurch ausgezeichnet, dass sie ohne Chorda vor sich geht,
welche auch in jenem Abschnitt der normalen Wirbelsäule nicht zu erkennen ist. Da
dort ein directes Hervorgehen des ganzen Knorpelfadens aus der Chorda kaum anzu-
nehmen ist, so darf wohl auch der reproducirte Knorpelstrang nicht als Chorda aufge-
fasst werden, wogegen die ganze Gliederung spricht, sondern er muss als Aequivalent
des Strangs von äusserer skelettbildender Substanz betrachtet werden, welcher aussen
an der Chorda liegt. Allenfalls kann man die Sache so ansehen, dass der neue Knorpel-
faden das Aequivalent der Chorda sammt äusserem Beleg ist, welche in dem repro-
ducirten Theil der Wirbelsäule, unter wesentlich anderen Verhältnissen, nicht zur Dilfe-
renzirung gekommen sind.
Die vollkommene Reproduction des Rückenmarks mit den dazu gehörigen Spinal-
ganglien entspricht der Ausbildung des ganzen Wirbelsystems.
Dass die Zellenmasse, welche aus den Geweben des Rumpfs hervorwuchert, die
Fähigkeit hat, sich nach der Eigenthümlichkeit der Organisation jeder Thierspecies zu
entwickeln und anzuordnen, ist an sich nicht wunderbarer, als dass dies im Ei der Fall
ist, aber es fällt uns auf, weil wir nicht gewohnt sind, diess täglich an den uns um-
gebenden Wesen zu sehen.
Während wir so bei den Tritonen finden, dass die gänzlich veränderten äussern
Verhältnisse das Product des neu angeregten Wachsthums nur in geringerem Grade zu
modifieiren vermögen, zeigt sich jenes Moment bei den Eidechsen viel mächtiger. Es
ist die Reproduction der Masse nach mindestens so bedeutend als dort, aber die An-
ordnung ist sehr beträchtlich abweichend, und es ist ohne Zweifel lehrreicher zu sehen,
wie die Veränderung der äussern Umstände die Gestaltung des Werdenden an dem-
selben Thier so gewaltig beeinflusst, als dass die Entwickelungsfähigbeit mancher Thiere
sich durch die schwierigsten Verhältnisse nicht hindern lässt.
Die neugebildete Axe des Schwanzes hat ihren Charakter als Rohr gewahrt, die
Gliederung aber verloren. Ebenso ist sie nicht mehr der unmittelbare Stützpunkt der
den Schwanz bewegenden Muskeln, welche von derselben überall durch Weichtheile
(Fett und Fasergewebe) weit getrennt sind. Demungeachtet muss nach den morpho-
— 134 —
logischen und histologischen Eigenthümlichkeiten jenes Rohr als Aequivalent des Wirbel-
rohrs bezeichnet werden.
Ebenso ist der eingeschlossene hohle Strang als neugebildetes, wiewohl bedeutend
modificirtes Rückenmark anzusprechen. Es fehlt daran der bestimmte Nachweis von
Zellen mit centralen Kräften, es fehlt, entsprechend dem Bau des Wirbelrohrs, die durch
die abgehenden Nerven ausgesprochene Gliederung. Aber die Anwesenheit dunkel-
randiger Fasern macht den Strang zu einem unzweifelhaft nervösen Gebilde und
die Anordnung derselben um einen zelligen Strang mit Centralkanal ist sicherlich hin-
reichend, die Unterscheidung von einem gewöhnlichen durch Auswachsen der Fasern
neugebildeten Nervenstamm zu begründen.
In histologischer Beziehung schliesst sich bei den Eidechsen wie bei den Tritonen
das Reprodueirte noch näher an das Ursprüngliche an, als dies in morphologischer Hin-
sicht der Fall ist. Eine histologische Entwickelungsgeschichte der fraglichen Theile wird
zugleich Manches über die gröbere Anordnung z. B. der Muskeln nachzutragen finden.
Hier sollte nur, soweit es das Material eben erlaubte, eine Darlegung der wichtigsten
anatomischen Erfahrungen über jene allgemein bewunderten, aber wenig untersuchten
Naturobjecte gegeben werden.
Fig.
Fig.
Fig.
— 135 —
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XXIV.
1. Querschnitt durch den 5 Mm. langen, regenerirten Schwanz von Triton taeniatus. a Epidermis,
5 Hautdrüsen, c Muskeln, quer durchschnitten, d oberer Knorpelbogen, e Rückenmark mit Centralkanal
und peripherischer Nervenschicht, f Spinalganglion, links daran ein Blutgefäss, g knorpeliger Wirbel-
körper, A unterer Knorpelbogen, die Caudalgefässe einschliessend.
. 2. Querschnitt durch den regenerirten Schwanz von Triton cristatus, Wirbel mit oberem und
unterem Knorpelbogen. Das Rückenmark zeigt 3 Durchschnitte des Centralkanals; rechts liegt ein
Spinalganglion mit einem durchschnittenen Blutgefässe.
. 3. Querschnitt durch das ursprüngliche Schwanzende von Triton taeniatus, a knorpeliger Wirbel-
körper mit einer Verkalkung zu beiden Seiten, d Rückenmark, c Hautdrüsen.
. 4. Querschnitt durch denselben Schwanz etwas weiter vorn. Der Knorpel des Wirbelkörpers ist ver-
kalkt, mit einer Kruste an der Oberfläche, diese überzieht auch die oberen und unteren Bogen.
a Rückenmark.
5. Querschnitt durch den abnorm regenerirten Schwanz von Triton taeniatus. a rudimentärer
Wirbelkörper, 5 Höhle voll zelliger Masse, die mit dem Rückenmark zusammenhing.
6. Querschnitt durch das regenerirte Schwanzende von Triton cristatus. a Epidermis, c Rücken-
mark, ce Knorpelstrang, d Blutgefässe.
-
7. Querschnitt durch das ursprüngliche Schwanzende von Triton igneus. Bezeichnung wie Fig. 6.
. 8. Längenschnitt durch den regenerirten Schwanz von Triton taeniatus. a obere Bogen, b Rücken-
mark mit dem Centralkanal, ce Knorpelstrang der Wirbelkörper mit drei Intervertebralstellen, d Arterie,
e Vene, f untere Bogen.
Fig. 1 ist 70mal, Fig. 2 120mal, die übrigen 40 — 50mal vergrössert.
Tafel XXV.
1. Querschnitt durch den regenerirten Schwanz einer Eidechse. 55mal vergrössert. a Epidermis,
b Gruppen von Muskelbündeln, c Knorpelrohr mit äusserer und innerer Kalkschicht, d Kanal des
Knorpelrohrs mit dem hohlen Rückenmark umgeben von Pigmentzellen und einigen Blutgefässen, e Fett-
zellen, f Blutgefässe, (Die Zeichnung dieser Figur verdanke ich Herrn Dr. Eberth, ebenso Fig. 4 u. 6.)
2. Längenschnitt durch das Ende der ursprünglichen Wirbelsäule und den Anfang des Knorpelrohrs eines
neugebildeten Eidechsenschwanzes, 2Smal vergrösser. a oberer Bogen des letzten ganzen Wirbels,
b vorderes kleines Stück des Körpers von demselben; Wirbel, c durchgreifender Markkanal, welcher das
hintere Stück desselben Wirbelkörpers trennt, d Intervertebralknorpel, e unterer Bogen, f letzter Inter-
vertebralkuorpel nach vorn und hinten verkalkt, g Rest des oberen Bogens vom darauffolgenden Wirbel,
— 156 —
h vorderes Stück des Körpers desselben Wirbels, ö unterer Bogen mit neugebildetem Knorpel daran,
k untere Wand des neugebildeten Knorpelrohrs, Z obere Wand desselben, m Rückenmark, rn Blutgefässe
nach hinten sich theilend.
Fig. 3. Querschnitt des regenerirten Rückenmarkes einer Eidechse mit Centralkanal, Zellenschicht, Faserschicht
und Hülle. Vergr. 500.
Fig. 4. Querschnitt durch das Rückenmark mit dreifachem Centralkanal von einer Eidechse mit zwei Schwän-
zen. Vergr. 200.
Fig. 5, Längenschnitt durch das hintere Ende eines neugebildeten Rückenmarks. Vergr. 500.
Fig. 6. Längenschnitt durch das Ende eines regenerirten Eidechsenschwanzes. a Knorpelrohr nach vorn ver-
kalkt, nach hinten ziemlich scharf mit einer Oeffnung endigend, 5 Blutgefäss, durch diese Oeffnung
heraustretend; darüber sieht man das hintere Rückenmarksende mit dem Lumen bis dicht an die Ober-
fläche der Schwanzspitze treten. Die Epidermis fehlt. Vergr. 100.
Fig, 7. Theil eines Querschnittes von dem Knorpelrohr eines regenerirten Eidechsenschwanzes. «a äussere
kleinzellige Gränzschicht des Knorpels, 5b äussere verkalkte Lage, ce mitilere grosszellige Schicht,
d innere kleinzellige Gränzschicht des Knorpels. Vergr. 400.
Beiträge zur Morphologie und Physiologie der Pilze.
Von
Dr. A. de Bary,
Professor an der Universität Freiburg i. B,
Erste Reihe: Protomyces und Physoderma. Exoascus Pruni und die Taschen oder Narren der Pflaumenbäume.
Zur Morphologie der Phalloideen. Syzygites megalocarpus,
Tafel XXVI bis XXXI.
I. Prolomyces und Physoderma.
Mi dem Gattungsnamen Protomyces hat Unger') eine Anzahl in lebenden
phanerogamen Pflanzen schmarotzender Pilze bezeichnet, welche die gemeinsame Eigen-
thümlichkeit haben, im Innern des Parenchyms ihrer Nährpflanze zu vegetiren und ihre
Fortpflanzungszellen zwischen den Elementen des Parenchyms zu entwickeln, ohne dabei
dieses nach Art der Ustilagineen gänzlich zu zerstören oder nach Art der meisten
Schmarotzerpilze zum Behufe der Fructification durch die Epidermis des Wirthes nach
aussen hervorzubrechen. Unger beschreibt vier Arten seiner neuen Gattung: Proto-
myces endogenus in Galium Molluso L., Pr. macrosporus in Umbeiliferen,
Pr. mierosporus in Blattstielen und Blattrippen von Ranunculus repens L., Pr. Pa-
ridis in den Stengeln und Blättern von Paris quadrifolia L. lebend. In der mit
Unger’s Arbeit gleichzeitig erschienenen Flora eryptogamica Germaniae (pars II, p. 192)
hat Wallroth eine neue Gattung. Physoderma, aufgestellt, deren Charaktere im
Wesentlichen die nämlichen sind wie die von Protomyces. Wallroth stellt in diese
Gattung Unger's Pr. macrosporus als Physoderma gibbosum°), nebst zwei
anderen Arten: Ph. maculare, die Blätter von Alisma Plantago L. und Ph. pulpo-
sum, die Stengel von Atriplex- und Chenopodiumarten bewohnend. Zu diesen sechs
!) Die Exantheme der Pflanzen (1833) p. 341.
2) Wallroth’s Phys. gibbosum ist sowohl nach der Beschreibung, als den Wallroth’schen Originalexem-
plaren, welche ich durch Herrn Duby’s Freundlichkeit zur Vergleichung erhalten habe, mit Pr. macrosporus
Unger identisch.
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V, 18
— 138 —
älteren Arten haben Spätere einige neue hinzugefügt. Corda’) beschreibt einen in
lebenden Blättern von Eryngium campestre vorkommenden Parasiten als Physoderma
Eryngii, v. Martius') einen in kranken Kartoffelknollen gefundenen Protomyces,
ich’) habe einen in den Blättern von Menyanthes trifoliata wachsenden Proto-
myces Menyanthis, Fuckel‘) einen in Stellaria media vorkommenden Pr. Stella-
riae beschrieben. Bonorden‘) hat Protomyces für „einen Ustilago*“ erklärt und den
Wallroth’schen Namen Physoderma für eine Gruppe von Uredineenformen angewendet,
welche er neuerdings“) mit dem Namen Erannium bezeichnet. Die wirklichen Physo-
derma- und Protomycesformen hat Bonorden offenbar nicht gekannt. Von neueren
Untersuchungen über die hier in Rede stehenden Pilze ist wenig vorhanden. Ich habe
(l. e.) das Mycelium von Protomyces macrosporus und die Entwickelung der Fort-
pflanzungsorgane an ihm beschrieben, Caspary") hat meine Resultate bestätigt. Von
den anderen oben genannten Arten ist kaum mehr als die kurzen Beschreibungen
bekannt, welche ihre Autoren gegeben haben.
Wie der Name Protomyces andeutet, hat man die hierher gehörendeu Formen
vielfach als die einfachsten Pilzbildungen betrachtet. Meine oben angeführten Unter-
suchungen haben dieses für Pr. macrosporus zwar nicht geradezu bestätigt, dafür aber
jedenfalls erkennen lassen, dass dieser Parasit ein durch bemerkenswerthe Eigenthüm-
lichkeiten ausgezeichneter ist. Hierin liegt, wie mir scheint die Aufforderung, die Ent-
wickelungsgeschichte der Protomyces- und Physoderma- Formen einer möglichst voll-
ständigen vergleichenden Untersuchung zu unterwerfen. Die Resultate solcher Unter-
suchungen sollen in Folgendem mitgetheilt werden. Sie sind allerdings minder voll-
ständig ausgefallen, als ich es gewünscht hätte, denn von den Arten, welche ich lebend
untersuchen konnte (Prot. macrosporus, endogenus, Menyanthis, Physoderma Eryngii)
liess sich nur von Pr. macrosporus eine einigermassen abgeschlossene Entwickelungs-
geschichte feststellen, bei den anderen war es mir nicht möglich die Keimung zu
beobachten. Protomyces microsporus, Pr. Paridis, Physoderma pulposum und Plı. macu-
3) Icon. fungor. II, p. 3 Tab, 1.
4) Die Kartoffel-Epidemie der letzten Jahre. München 1842.
5) Unters. üb. d. Brandpilze p. 19.
6) Enumerat. fung. Nassov. Ser, I. (1860) Nro. 2.
?) Allgem. Mycologie, p. 38, 52.
8) Zur Kenntniss einiger etc. Coniomyceten. Halle 1860,
9) Monatsber. Berlin, Acad. Mai 1855.
— 19 —
lare habe ich nicht nach lebenden Exemplaren beobachten können. Von den beiden
letztgenannten Arten habe ich die Wallroth’schen Originalexemplare untersucht, welche
ich der freundlichen Mittheilung des gegenwärtigen Besitzers von Wallroth’s Pilzherba-
rium, Herrn Duby verdanke. Von Protomyces Paridis und microsporus konnte ich
mir, ungeachtet der freundlichen Bemühungen des Herrn Unger, auch getrocknete
Exemplare nicht verschaffen, ich kann diese beiden Arten daher nur der Aufmerksam-
keit anderer Beobachter und Sammler empfehlen. Was endlich Pr. Stellariae Fuck.
und Pr. Solani Mart. betrifft, so sind diese von der Untersuchung und aus dem Kreise
selbstständiger Pilzspecies auszuschliessen. Ersterer besteht aus nichts weiterem, als
den anderweitig genauer beschriebenen Oogonien und Oosporen von Peronospora Alsi-
nearum Caspary, wovon ich mich an Exemplaren, welche mir von Fuckel freundlich
mitgetheilt wurden, überzeugt habe. Pr. Solani scheint mir nach den Abbildungen bei
Martius a.a.0. (Taf. XXVII, Fig. 19, 23, 24, 36 bis 38) gar kein Pilz zu sein. Ich
habe bei der Untersuchung vieler kranker Kartoffelknollen nie eine Pilzform gefunden,
welche mit den erwähnten Abbildungen Aehnlichkeit hätte, und kann in diesen nur
Klumpen von Stärkekörnchen, welche von abgestorbenem braungefärbtem Zellinhalt ein-
geschlossen werden, vermuthen.
1. Entwickelungsgeschichte des Protomyces macrosporus Unger.
(Tafel XXVI.)
Protomyces macrosporus'’) bewohnt die grünen krautigen Organe einiger Umbelli-
feren; er ist am häufigsten auf Aegopodium Podagraria, seltener fand ich ihn auf Hera-
cleum Sphondylium, sehr schön und reichlich auf Meum athamanticum im Schwarzwald.
Er bewohnt alle krautigen Theile der Nährpflanzen, Blattstiele, Blattlamina „ Stengel,
Blüthenstiele und Pericarpien, und ist dem blossen Auge leicht erkennbar an flachen
schwielenartigen Hervorragungen, welche er an der Oberfläche der Theile bildet. Die
Schwielen haben meist längliche Form und sind in der Regel um so grösser, je stärker
der Pflanzentheil ist, welcher sie trägt, am grössten, 2—»3 Millimeter breit und oft
10) $. Unger, die Exantheme der Pflanzen p. 343. Meyen, Pflanzenpathologie p. 150. de Bary,
Brandpilze, p. 15.
18*
— 440 —
mehr als doppelt so lang an den Blattstielen von Aegopodium und Heracleum, ganz
klein, kaum 1 Millimeter lang an den feinen Blattabschnitten von Meum. In der Blatt-
lamina von Aegopodium und Heracleum folgen sie den Rippen und sind in den stärksten
derselben am stärksten entwickelt. Die Schwielen sind soweit meine Beobachtung reicht
die einzigen von dem Pilze bewohnten Orte der Nährpflanze; wenigstens ist es mir
nicht gelungen, irgend ein Organ des Protomyces anderswo zu finden.
In Beziehung auf den Bau der Schwielen und die Entwickelung des Parasiten in
denselben habe ich meinen früheren Angaben (Brandpilze, p. 18) nichts Neues hinzu-
zufügen. Der Pilz bewohnt stets die Intercellularräume des oberflächlichen Parenchyms,
niemals fand ich ihn im Inneren der Zellen, niemals zwischen den Elementen der Gefäss-
bündel, wenn er gleich sehr häufig in der Nähe dieser vorkömmt. Die Oberfläche
der Schwielen wird immer von der unversehrten Epidermis überzogen. In solchen
Schwielen, welche an ihrer geringen Dicke, weisslich-grünen Farbe und etwas durch-
scheinendem Ansehen als jugendlich zu erkennen sind. findet man das Mycelium des
Pilzes in Form von reich und unregelmässig verzweigten dünnen Hyphen, welche
durch zahlreiche Querwände in eylindrische Glieder getheilt sind. deren Länge den
Querdurchmesser um das Zwei- bis Vielfache übertrifft. Die Hyphen sind mit einer
zarten Membran, welche die gewöhnliche Cellulosereaction zeigt, versehen und enthal-
ten körniges Protoplasma. Sehr früh beginnen einzelne zerstreut in der Continuität
der Hyphen gelegene Zellen zu länglichen oder ovalen Blasen anzuschwellen. welche
mit Protoplasma dicht erfüllt sind und, allmählich breite unregelmässige Ei- oder Kugel-
form annehmend, ihre Membran verdickend und ihren körnigen Inhalt vermehrend,. zu
den reifen Fortpflanzungszellen heranwachsen (Fig. 1. 2). Wie schon aus den Dar-
stellungen von Unger und Meyen hervorgeht. lassen sich leicht alle Zwischen-
stadien zwischen den kleinen zartwandigen Anschwellungen des Myceliums und den
dicken, derbhäutigen reifen Fortpflanzungszellen finden. Man erkennt den angegebenen
Sachverhalt am besten auf Längsschnitten durch junge Schwielen, besonders durch ihre
innere, der Mittellinie des befallenen Pllanzentheils zugewendete Partie, und kann ohne
grosse Schwierigkeit grössere Stücke des Pilzes isoliren. wenn man das Gewebe bis
zum Auseinanderfallen der Zellen (am besten in Wasser) macerirt hat. Diünne Quer-
schnitte zeigen meist nur durchschnittene Myceliumfäden und einzelne Fortpflanzungs-
zellen verschiedenen Alters zwischen den Zellen des Nährgewebes,. und geben daher
den Anschein als ob die Fortpflanzungszellen frei und ohne Mycelium in den Inter-
cellularräumen entständen.
— 141 —
Das in einer Schwiele enthaltene Mycelium legt in kurzer Zeit eine sehr grosse
Menge der Fortpflanzungszellen an. Indem diese zu ihrer bedeutenden Grösse heran-
wachsen, bewirken sie einerseits starke Verdickung der Schwiele, andrerseits werden
die Zellen des Nährgewebes von ihnen verdrängt und zusammengedrückt, so dass reife
Schwielen auf diekeren Schnitten fast ganz aus den Fortpflanzungsorganen des Pilzes
zu bestehen scheinen. Das Mycelium verliert mit der fortschreitenden Ausbildung der
Reproduetionsorgane allmählich sein Protoplasma, seine Fäden enthalten nur mehr
wässerige Flüssigkeit und werden undeutlicher; theilweise scheinen sie ganz zu
Grunde zu gehen; viele lassen sich jedoch noch bei völliger Reife aller in
einer Schwiele enthaltenen Fortpflanzungszellen im Zusammenhang mit diesen erkennen.
(Fig. 2).
Mit der Reife der Parasiten nimmt die ganze Schwiele eine blass bräunlich-gelbe
Farbe an, sie bleibt meistens an dem Orte ihrer Entstehung fest und von der Epidermis
festumschlossen sitzen, seltner löst sie sich sammt letzterer los, eine unregelmässige
geschwürartige Fläche zurücklassend.
Die mehrfach erwähnten Fortpflanzungszellen, welche von den meisten Schrift-
stellern als Sporen bezeichnet werden, sind, ihrer weiteren Entwickelung nach, Spor-
angien, sporenerzeugende Zellen oder Asci, Sporenschläuche, zu nennen. Sie sind
zur Zeit der Reife meist breit — und durch einzelne vorspringende stumpfe Ecken
unregelmässig oval: selten kommen genau kugelige oder ganz unregelmässige, biskuit-
förmig eingeschnürte, flaschenförmige Gestalten vor. Ihr Durchmesser beträgt in der
Regel Y,, Mm. bis %,, Mm., einzelne grössere und viel kleinere findet man jedoch häufig.
Sie besitzen eine farblose Membran, deren gesammte Dicke meist etwa 2» Mm. beträgt
und welche aus drei ineinander geschachtelten Lagen besteht, die ich, der üblichen
Terminologie entsprechend, als Aussen- Mittel- und Innenhaut, Epi- Meso- und
Endosporangium bezeichnen will. (Fig. 2, 3.)
Das Episporangium bildet bei weitem die Hauptmasse der Membran; es stellt eine
sehr derbe, glänzende, mit diekem dunkelem Aussencontour versehene Haut dar, deren
Dicke mehr als die Hälfte der oben angegebenen gesammten Mächtigkeit beträgt. Wo
ein Sporangium vorspringende Ecken besitzt, da werden diese von der Aussenhaut
allein oder doch vorzugsweise gebildet. diese erreicht daher an solchen Stellen oft
mehr als das Doppelte der gewöhnlichen Membrandicke. Die Aussenhaut ist mehr
oder minder reich und deutlich geschichtet; immer kann man wenigstens von der
übrigen Masse der Membran eine scharf hervortretende bläulich glänzende innerste
SA 2e-
Schicht und eine ganz dünne, sehr spröde und feste äusserste unterscheiden. welch
letztere sich in die Seitenwand des tragenden Myceliumfadens fortsetzt.
Das Endosporangium ist eine einfache dünne. bei 300- bis 400facher Ver-
grösserung deutlich doppelt contourirte, zähe und elastiche Membran, welche in Wasser
betrachtet gleichfalls bläulich glänzend erscheint.
Zwischen Aussen- und Innenhaut liegt eine Schichte von geringer, der Innen-
haut ungefähr gleichkommender Mächtigkeit, welche sich von den beiden angrenzenden
Lagen durch den Mangel des diesen eigenthümlichen Glanzes auszeichnet, sie sieht aus
wie eine Schicht wässeriger Flüssigkeit; sie ist es, die ich oben Mesosporangium
genannt habe.
Zerdrückt man in Wasser liegende Sporangien so erkennt man die Aussenhaut
als ziemlich spröde, indem sie plötzlich entweder an einer Stelle in viele scharf-
winklige, durch lange Risse getrennte Lappen zerreisst, oder in mehrere eckige Stücke
getrennt wird. War der Druck nicht zu stark, so sieht man aus ihrer Oelfnung die
Innenhaut oft als unversehrten weichen Sack hervorgleiten, umgeben von der Mittel-
haut, welche, sobald das Episporangium geöffnet wird, in dem Wasser auf das Doppelte
ihrer bisherigen Dicke aufquillt und hierdurch sehr deutlich als besondere Hautlage
unterschieden werden kann: sie umgibt das Endosporangium als ein sehr durchsich-
tiger, durch eine zarte aber deutliche Umrisslinie umschriebener Hof.
Durch wässerige Jodlösung wird die Membran des Sporangium gelbbraun, das
Episporangium zuweilen braun-violett gefärbt. Setzt man verdünnte Schwefelsäure
hinzu. so wird das Episporangium sofort schön und rein dunkelblau. Ist die Säure
nicht sehr verdünnt. dann quillt das Episporangium stark auf, mit Ausnahme seiner
dünnen äussersten Schicht. Letztere wird entweder durch die quellende Masse allein.
oder unter Mitwirkung leichten Druckes von aussen, gesprengt, und bleibt als ein erst
blaues, dann braunviolett oder schmutzig- braun werdendes Häutchen zurück, während
sich die quellende Masse in der umgebenden Flüssigkeit vertheilt.
Meso- und Endosporangium nehmen durch Jod und Schwefelsäure niemals blaue
oder violette Farbe an: ist nach Anwendung dieser Reagentien das Episporangiun
geplatzt oder zerdrückt worden, so treten jene gelblich gefärbt aus dem Risse hervor.
Die Mittelhaut verschwindet meistens sofort. Nur wenn man sehr verdünnte Säure
anwendet bleibt sie erhalten, quillt stark auf und erscheint sehr zart- aber deutlich
geschichte. Das Endosporangium bleibt auch bei Anwendung ziemlich concentrirler
Säure anscheinend unverändert.
— 143 —
Chlorzinkjodlösung färbt das Episporangium schmutzig-violett.
Der vom Endosporangium umschlossene Inhalt hat eine licht bräunlichgelbe Farbe;
er gibt dem ganzen Sporangium und der von dem reifen Pilz erfüllten Schwiele ihre
Färbung. Bei Sporangien, welche in Wasser liegen, erscheint er als eine dichte Masse,
welche grösstentheils grobkörnig, nur im äussersten Umfang körnerfrei, homogen und
durchscheinend ist (Fig. 2). Seltner, und wohl nicht ganz normaler Weise, liegen
einzelne grosse Fettkugeln zwischen den Körnern. Der Inhalt besteht grösstentheils
aus Fett. in Aether löst er sich fast vollständig, es bleibt eine geringe Menge fein-
körniger Substanz zurück, welche durch Jod dunkel braungelb gefärbt wird. Das Fett
selbst wird durch Jod nur schwach gelblich. Setzt man Jodlösung zu unversehrten
Sporangien oder zu solchen, bei denen nach Einwirkung von Aether alles Fett in
eine homogene Masse zusammengeflossen ist, so sieht man die dunkel gelbbraune Sub-
stanz in sehr unregelmässiger Weise in dem Inhalt vertheilt. Nach der Jodreaction
besteht diese Substanz aus eiweissartigen Stoffen. Eine Violettfärbung derselben durch
schwefelsaures Kupferoxyd und Kali konnte ich nicht erhalten. In Zucker und
Schwefelsäure nimmt sie, wie ich schon früher beschrieben habe, rosenrothe Farbe an.
Eigenthümlich ist das Verhalten der Sporangien. wenn ihnen Wasser entzogen
wird. An der Luft getrocknet verlieren sie ihre Turgescenz, die Membran sinkt
unregelmässig hier und dort ein, der Inhalt nimmt ein ziemlich homogenes Ansehen
an und ziemlich genau in seiner Mitte erscheint eine grosse Luftblase. Setzt man
wiederum Wasser zu, so quillt der Inhalt schnell auf. die Luftblase wird in centri-
petaler Richtung kleiner und ist alsbald verschwunden.
In gleicher Weise wie beim Eintrocknen erscheint die Luftblase, wenn man zu
Sporangien, welche in wenig Wasser liegen, absoluten Alkohol bringt; wird dieser
entfernt und gleichzeitig durch Wasser ersetzt, so verschwindet die Luft in der vorhin
angegebenen Weise. Das Nämliche tritt nach Anwendung von Chlorzinkjodlösung ein.
Diese Erscheinung ist wohl nicht anders zu erklären, als dass in dem wasserreichen
Inhalt der frischen turgiden Sporangien ein Gas (ob atmosphärische Luft oder ein
anderes muss dahingestellt bleiben) condensirt oder gelösst ist, welches frei wird und
sich expandirt sobald der Wassergehalt und damit die Spannung des Inhalts vermindert
wird, und bei Herstellung der ursprünglichen Wassermenge und Spannung wieder in
den früheren Zustand zurückkehrt.
Die Entwickelung der Sporangien von Protomyces beginnt, wenn die jungen
Blätter und Triebe der Nährpflanze im Frühling über den Boden treten; mehr oder
ER
minder reife Schwielen findet man den ganzen Sommer über. Ob während des Som-
mers eine Weiterentwickelung früh gereifter heuriger Sporangien eintreten kann. ver-
mag ich nicht bestimmt zu entscheiden, die über diese Frage angestellten Versuche
gaben ein durchaus negatives Resultat. Gewiss ist, dass wo nicht alle, doch die aller-
meisten Sporangien mit ihrer Reife in einen langen Ruhezustand eintreten, überwintern
und im nächsten Frühling die weitere Entwickelung durchmachen. Man kann diese
Weiterentwickelung füglich Keimung nennen, insofern man unter diesem Ausdruck die
Fortentwickelung von Reproductionsorganen. welche einen Ruhestand durchgemacht
haben. im Allgemeinen versteht.
Während des Winters findet man die mit reifen Sporangien erfüllten Schwielen
reichlich an den vom Pilze bewohnten. durch den Frost mehr oder minder zerstörten
Pflanzentheilen. Bringt man sie in Wasser, so sinken sie zu Boden. und während die
Gewebstheile der Nährpflanze allmählich verfaulen, zeigen die Sporangien folgende
Keimungserscheinungen.
Zunächst wird ihr Inhalt blasser, durchsichtiger. die groben gelblichbraunen glän-
zenden Fettkörner verschwinden und an ihrer Stelle tritt ein glanzloses, von sehr
zahlreichen klemen punktförmigen Körnchen durchsätes blass röthlichbraunes Proto-
plasma auf. Diese Veränderung des Inhaltes schreitet allmählich von der Peripherie
nach der Mitte hin fort: zunächst sieht man mitten in der Protoplasmamasse eine aus
den ursprünglichen Feitkörnern bestehende Kugel (Fig. 3). diese wird immer kleiner
und verschwindet zuleizt vollständig. Das ganze Sporangium ist jetzt von dem röth-
lichbraunen Protoplasma erfüllt. so zwar dass dieses in der Mitte zu einer dichten
undurchsichtigen dunkeln Masse angehäuft, im Umfange heller und durchsichliger und
hier häufig von sehr zart umschriebenen und blassen Vacuolen verschiedener Zahl und
Grösse durchsetzt ist (Fig. 4). Nun beginnt das Endosporangium sich auszudehnen;
es sprengt die Aussenhaut auf einer Seite. und tritt. von der Mittelhaut bekleidet, durch
die Oeffnung in das umgebende Wasser (Fig. 5. 6). Die Aussenhaut liegt alsbald
neben den ausgetretenen Theilen als eine leere, an der Austrittstelle durch klaffende
Risse in zwei bis mehrere eckige. oft splitterig eingerissene Lappen gespaltene Blase.
(Fig. 6. 7, 11 ete.) Die Mittelhaut quillt durch das Wasser stark auf. sie trägt
hierdurch jedenfalls zu der Hervortreibung des Endosporangiums aus der Aussenhaul
bei. Bald nach dem Austreten bemerkt man. dass sie nach einem Punkte hin stetig
an Dicke abnimmt. und an diesem so dünn ist, dass sie von der Innenhaut nicht mehr
mit Sicherheit unterschieden werden kann (Fig. 6. 7). Dieser Punkt liegt, mit sehr
— 15 ° —
seltenen Ausnahmen, mitten auf der dem Episporangium abgekehrten Seite, er mag der
Kürze halber der Scheitel genannt werden. Vermöge ihrer weichen gallertigen
Beschaffenheit bleibt die Mittelhaut, und somit auch die von ihr umschlossenen Theile,
beinahe immer fest an der Oeffnung des Episporangiums haften. In späteren Entwick-
lungsstadien ist sie oft auf den ersten Blick nicht mehr erkennbar, sie lässt sich jedoch
durch Jodlösung und verdünnte Schwefelsäure immer nachweisen bis die Keimung ihr
Ende erreicht hat.
Das Endosporangium erhält nach dem Austreten sofort die Gestalt einer kugeligen
Blase, deren Volumen eine Zeit lang zunimmt, wie unten genauer angegeben werden
wird, während der Inhalt folgende Veränderungen erleidet. Zunächst treten rings um
die dunkle eentrale Protoplasmamasse zahlreiche, in zwei bis drei unregelmässige con-
centrische Lagen geordnete Vacuolen auf (Fig. 6, 7). welche allmählich zu einer
Schichte grosser Vacuolen zusammenfliessen (Fig. 8). Diese liegen zwischen der cen-
tralen Masse und einer dünnen wandständigen Schichte des Protoplasma, sie werden
von einander getrennt durch dicke Protoplasmastreifen und Platten, welche von der cen-
tralen Masse strahlig in die wandständige Schichte verlaufen (Fig. 8). Durch jene
Streifen strömt nun allmählich das ganze centrale Protoplasma in die wandständige
Schieht über; diese wird stetig dicker, während jenes an Menge abnimmt, zuletzt ist
alles Protoplasma wandständig, die Mitte der Blase wird von einer grossen. mit klarer
wässerieer Flüssigkeit erfüllten Höhlung eingenommen (Fig. 9, 11). Die wandstän-
dige Protoplasmaschicht ist nach dem Verschwinden der centralen Masse ungleichmässig
vertheilt, ihre Innenfläche springt an vielen Stellen in Form breiterer oder schmälerer
anastomosirender Wülste vor, die ein grobes unregelmässiges Netz darstellen. In ihrem
Innern sind hie und da noch kleine Vacuolen eingeschlossen. Allmählich verschwinden
diese Unregelmässigkeiten, die Innenfläche glättet sich, die ganze Schicht erhält fast
überall gleiche Dicke, und allenthalben durchaus gleichmässige Structur, nur hie und da
bleiben kleine runde Vacuolen (Fig. 9— 13). Je näher sie diesem Stadium der Ent-
wiekelung kömmt, desto durchscheinender, heller wird sie und desto mehr tritt in ihr
eine sehr feine und blasse netzförmige Zeichnung hervor. Unmittelbar nach Bildung
der wandständigen Schicht sind nämlich die Körnchen des Protoplasma in einfache
kurze Reihen geordnet, welche sowohl in der Richtung der Oberfläche als des Radius desSpo-
rangiums zu einem feinen engmaschigen Netze verbunden sind (Fig. 9, 11, 13, 14a).
Die Maschen werden ausgefüllt von durchscheinender, soweit ich es unterscheiden konnte
völlig homogener Protoplasmamasse, welche ich in Folgendem kurz die homogene Sub-
Abhandl. d. Seuckenb. naturf. Ges. Bd. V. 19
— 16 —
stanz nennen will. Bald sieht man nun die Seiten der Maschen breiter, letztere dagegen
enger werden, indem die Körnchen zu mehrreihigen Streifen zusammenrücken (Fig. 10,
12, 145). Die Dicke der gesammten Protoplasmaschicht nimmt dabei elwas ab. Die
Körnchen sind einander jetzt sehr genähert, so dass man sie leicht übersehen und meinen
kann, das Netz sei aus einer structurlosen Masse gebildet. Endlich zerfällt das ganze
Netz mit einem Male in unzählige kleine Stücke, indem die Körnchen in ungefahr eben-
soviele Gruppen zusammenrücken, als bisher Maschenseiten vorhanden waren (Fig. 14e).
Diese Körnchengruppen sind die Anfänge der Sporen. Sie erhalten alsbald schärferen,
wenngleich immer sehr zart bleibenden Umriss (Fig. 15) und nehmen allmählich die
Form kurz eylindrischer Stäbchen an, während die Körnchen. aus welchen sie zuerst
bestanden, zu einer gleichförmig-trüben Masse zusammeniliessen. Die homogene Sub-
slanz nimmt an diesen Vorgängen keinen oder doch nur geringen Antheil. Die Körner-
häufchen und jungen Sporen sind ihr eingebettet, zwischen denselben findet man sie in
Form schmaler Streifchen.
Kaum ist die Sporenbildung vollendet, so beginnt die gesammte Sporenmasse sich
von der Sporangiumwand loszulösen und zu einem dichten rundlichen Ballen von
viel kleinerem Durchmesser als das Sporangium zusammenzuziehen. Die in der cen-
tralen Vacuole enthaltene wässerige Flüssigkeit tritt hierbei allmählich zwischen die
Wand und den Ballen. Letzterer ist von Anfang an so gestellt, dass seine eine Seite
dem Scheitel des Sporangiums fest anliegt (Fig. 16—19). Die homogene Substanz
zieht sich mit den Sporen von der Wand zurück, aber langsamer. Man sieht sie,
wenn jene schon vollständig zusammengehäuft sind, in Form zahlreicher strahlig con-
vergirender fadenförmigen Streifen oder Strömchen von der Wand zu dem Ballen
verlaufen (Fig. 16. 17). Jene fliessen jedoch in letzieren nach und nach vollständig
über, und nun dauert es nicht lange, so ist alle homogene Substanz verschwunden
(Fig. 18, 19) — ob zur Ausbildung der Sporen verwendet oder anderweitig aul-
gelöst ist nicht zu entscheiden. Die Sporen sind nur mehr von wässeriger Flüssigkeit
umgeben. Sie zeigen jetzt sehr deutlich eine schon beim Beginne der Zusammen-
ballung wahrnehmbare zitternde und oseillirende Bewegung, der Umriss des Ballens
ändert sich in einem fort, indem einzelne Sporen zwischen den andern hervortreten
und wieder verschwinden.
Bei diesen Vorgängen bleibt eine zarte als Primordialschlauch zu bezeichnende
Protoplasmaschicht, welche die Membran allenthalben bekleidet, unbelheiligt. Dieselbe
stellt eine dünne feinkörnige Haut dar, welche durch Jod gelb gefärbt wird und auf
— 11 —
Zusatz von Schwefelsäure zusammengeschrumpft. in den folgenden Entwickelungs-
stadien theilt sie das Schicksal der von ihr ausgekleideteten Cellulosemembran. Diese
letztere wird, sobald der Sporenballen gebildet ist, an ihrem Scheitel dünner als im
übrigen Umfange,„ jener wird bald nur von einer einfachen Umrisslinie begrenzt
(Fig. 16— 18).
Während diese Veränderungen in seinem Innern vorgehen nimmt das Sporangium,
welches die Form einer kugeligen Blase stets beibehält, beständig an Grösse zu. Sein
Durchmesser wächst vom Austreten an bis zur Bildung des Sporenballens um 12", bis
16 Procent. z. B. im Verbältniss von 20 auf 27, 25:39, 22:34 u. s. w.”). An
der Membran des Sporangiums konnte ich während der Ausdehnung eine Verminderung
der Dicke nicht finden. Sobald der Sporenballen gebildet ist hört die Ausdehnung auf.
Das Sporangium verbleibt in dem letztbeschriebenen Zustande einige Zeit, meistens
mehrere Stunden lang, eine prall gespannte Blase, der Sporenballen immer fester wider
den Scheitel gedrängt. Plötzlich platzt der Scheitel mit einem einfachen kurzen Riss,
dessen Ränder sich sofort nach aussen rollen und aus welchem im Momente des Auf-
platzens die ganze Sporenmasse hervorgeschleudert wird. In demselben Augenblick hat
sich die geöffnete Membran zu einem Umfang zusammmengezogen, welcher den des
anhaltenden Episporangiums nur wenig übertrifft, also dem zu Anfang der Keimung
vorhandenen ungefähr gleich is. Die Membran wird dabei fein gerunzelt und an der
dem Scheitel entgegengesetzten Seite tief eingedrückt (Fig. 20, 21). Die Ejaculation
der Sporen geschieht mit solcher Gewalt, dass die leeren Membranen heftig und oft
weit aus dem Gesichtsfelde des Mikroskops weg zurückgeschleudert werden. Die Sporen
selbst bleiben dabei entweder zusammengeballt oder werden in einem Strahl hervor-
gespritzt, sie verhalten sich durchaus passiv.
Der Mechanismus der Ejaculation ist aus den beschriebenen Erscheinungen deut-
lich zu erkennen. Die Membran des Sporangiums ist, wie ihre plötzliche Zusammen-
ziehung beim Plalzen zeigt, in hohem Grade elastisch. Sie folgt der Ausdehnung
des Inhalls bis zur Bildung des Sporenballens. wie es scheint durch fortdauerndes
Flachenwaehsthum. Mit Vollendung des Ballens hört dieses auf; die Vermehrung der
Inhaltstlüssigkeit dauert aber fort, und diese muss daher auf die Membran einen stei-
genden Druck ausüben. Letzteres geht deutlich aus folgender Beobachtung hervor.
Wenn man die Blase bald nach Bildung des Ballens und vor ihrem spontanen Auf-
11) Die obigen Zahlen sind Theile eines Ocularmikrometers, deren Werth = Ya, Nm. ist.
19%
— 148 —
reissen künstlich sprengt (was am besten durch vorsichtige Berührung mit einer Nadel
bewirkt wird) so zieht sich die Membran gleichfalls zusammen, die Ejaculation erfolgt
aber minder kräftie und vollständige, eine Mehrzahl von Sporen bleibt in der Blase
zurück und niemals tritt eine derselben später selbstständig aus. Bei der normalen Ent-
wickelung leistet die Membran dem steigenden Drucke des Inhalts eine Zeit lang Wider-
stand. zuletzt wird sie aber durch denselben an ihrer zärtesten Stelle, dem Scheitel,
gesprengt und indem sie sich in demselben Augenblick in Folge ihrer Elastieität stark
zusammenzieht, wird der orösste Theil des Inhalts aus dem Riss hervorgeschleudert.
Auf welche Weise die wässerige Flüssigkeit nach Bildung des Sporenballens vermehrt
wird, verdiente genauer untersucht zu werden. Da die ganze Reihe von Erscheinungen
in reinem Wasser vor sich geht, so liegt es auf der Hand zuerst an eine endosmotische
Wasseraufnahme zu denken. Es fragt sich aber auch, ob und wie die sich auflösende
homogene Substanz hierbei betheiligt und ob vielleicht gerade ihr die Function zukömmt,
die Ejaculation auf eine oder die andere Weise zu bewirken. —
Die Zeit, welche die beschriebenen Entwickelungsvorgänge vom Ausschlüpfen bis
zur Ejaculation erfordern, beträgt mehrere Stunden. Das Ausschlüpfen des Endosporan-
giums aus dem platzenden Episporangium habe ich nur einmal direct beobachtet, es
erforderte 1 St. 45 Min. In demselben Falle war 12 Stunden nach vollendetem Aus-
schlüpfen der Sporenballen gebildet, aber die Ejaculation noch nicht erfolgt. Die
Bildung der wandständigen Protoplasmaschicht durch Wanderung der centralen Masse
erforderte in den beobachteten Fällen 1— 1’, Stunde; von da bis zur vollendeten
Bildung der Sporen dauerte es 1%, bis 5 Stunden, von diesem Stadium bis zur voll-
endeten Zusammenballung 20 Min. bis 1% St., von da bis zur Ejaculation %, bis 4% St.
Nach diesen Daten würde die Entwickelung im günstigsten Falle 3 bis 3%, Stunden
nach vollendetem Ausschlüpfen fertig sein können; in allen beobachteten Fällen dauerte
sie jedoch länger, indem wenigstens ein Stadium mehr als das obiger Schätzung zu
Grunde gelegte Minimum von Zeit erforderte. —
Ueber die leeren Membranen ist nichts Weiteres zu berichten, sie werden allmäh-
lich zersetzt.
Die ejaculirten Sporen vertheilen sich gleichmässig in dem umgebenden Wasser.
Sie zeigen dabei dieselbe schwache oscillirende Bewegung, von welcher schon oben die
Rede war; nach kurzer Zeit hört diese ganz auf.
Die ejaculirten Sporen (Fig. 22) haben die Gestalt eylindrischer, an beiden Enden
abgerundeter, zuweilen etwas gekrümmter Stäbchen, ",;; Mm. lang, halb so breit, mit
— 149 —
zartem Umriss und blassem trübem Inhalt, in welchem ein dunkleres rundes oder läng-
liches Körnchen (Kern?) liegt. Jod färbt sie gelb. Die Sporen sind zunächst alle frei.
Sehr bald nach der Ejaculation aber tritt ein eigenthümlicher Copulationsprocess ein
(Fig. 23— 25). Sie nähern sich einander paarweise auf eine ihrem Querdurchmesser
etwa gleichkommende Strecke; nach einiger Zeit sieht man jedes Paar durch einen
feinen Streifen verbunden, der auch bei sehr starker Vergrösserung nur als eine ein-
fache Linie erscheint, und dessen erste Entstehung ich nicht deutlich erkennen konnte.
Der Streifen wird bald breiter und erscheint zuletzt als ein Canal, dessen Weite dem
Querdurchmesser der Sporen wenigstens gleichkömmt und welcher die Lumina beider
miteinander verbindet. Schon 9—4 Stunden nach der Ejaeulation, manchmal wie es scheint
noch früher, ist die Copulation bei fast allen Sporen fertig. Je nachdem die Längs-
achsen eines copulirenden Paares parallel liegen oder in einer oder verschiedenen
Ebenen liegend sich schneiden, erhält die Doppelspore die Gestalt eines H oder T, oder
unregelmässige Form; die H-Form ist die häufigste. Mit und nach der Copulation werden
die Hälften der Doppelspore oft mehr oval und dehnen sich bis auf das Doppelte ihrer
ursprünglichen Grösse aus. Wie der beschriebene Process zu deuten, in welche
Beziehungen er zu der Copulation der Conjugaten oder der leiterförmigen Verbindung
der Sporen von Tilletia zu bringen sei, muss wie mir scheint noch dahin gestellt
bleiben. —
Mit der Copulation schliessen sich die Veränderungen, welche man an den im
Wasser cultivirten Sporangien beobachtet, ab. Sind die Culturen rein, besonders von grösse-
ren Infusorien, welche die Sporen begierig fressen, frei. so häufen sich in dem Wasser
grosse Mengen copulirter Sporen an, ohne je eine Spur von Weiterentwickelune zu
zeigen. In reinen Wassertropfen auf Objeeiträgern konnte ich die Sporenpaare 6 bis S
Tage lang anscheinend völlig gesund und lebenskräftig erhalten. aber nie überschritten
sie das Entwickelungsstadium, welches sie wenige Stunden nach der Ejaeulation er-
reicht hatten.
Es fragt sich daher, was unter anderen Bedingungen aus den copulirten Sporen
wird, und am nächsten liegt es hier nach den Erscheinungen zu fragen, welche sie
zeigen, wenn sie auf eine Nährpflanze des Protomyces gelangt sind.
Keimende Sporangien, in kleinen Wassertropfen auf jugendliche Blattstiele von
Aegopodium Podagraria gebracht, entleerten die Sporen reichlich, diese zeigten die
gewöhnliche Copulation. Vier bis sechs Tage nach der Aussaat fand ich in den Zellen
der abgezogenen Epidermis der besäeten Stellen mehrmals dünne, in 2 bis 3 Zweige
getheilte Fäden. Ein Ende eines solchen Fadens sass immer der Aussenwand einer
Epidermiszelle fest an, entweder in ihrer Mitte oder an der Kante. in welcher sie mit
einer Seitenwand zusammenstlösst. Von hier aus lief der Faden eeeen die Innenwand
der Epidermiszelle, die Enden seiner Zweige lagen auf oder unter dieser. Die Fäden
waren sehr fein, nicht dicker als die Wände der Oberhautzellen, homosen-trübe. Jod
färbte sie gelb. Einen Zusammenhang ihres äusseren. d. h. der Aussenward ansitzen-
den Endes mit einer aussen befindlichen Spore oder deren leerer Haut konnte ich nie-
mals auffinden. Häufig suchte ich überhaupt nach den Fäden vergebens. An den ziem-
lich zahlreichen Spaltöffnungen des Blattstiels konnte ich nie eine Spur des Eindringens
von Sporen oder Keimen finden.
Nach diesen bei der Kleinheit und Zartheit der Sporen ziemlich unsicheren
Beobachtungen allein müsste es zweifelhaft bleiben, ob die Sporen auf der Nährpflanze
Fäden treiben, welche in diese eindringen. und ob die erwähnten in den Epidermiszellen
beobachteten solche Keimfäden waren oder zufällige, vielleicht abnorme Bildungen der
Oberhautzellen selbst. Andere Versuche geben jedoch bestimmteren Aufschluss hierüber
und zeigen, dass sich aus den Sporen Pilzfäden entwickeln. welche durch die Epidermis-
zellen in das Parenchym der Nährpflanze eindringen und hier unmittelbar zu dem My-
celium des Protomyces heranwachsen. Ich will zunächst den Gang der Versuche voll-
ständig beschreiben.
I. Im December werden 8 Rhizomstöcke von Aegopodium nach Entfernung der
alten abgestorbenen Blätter in einen Blumentopf gepflanzt und in’s Warmhaus gestellt.
Bis zum 20. December sind 7 Blätter über den Boden getreten. und zwar Blatt 1 und 2
zusammen aus einem starken im Boden steckenden Rhizome. Blatt 3% und 4 zusammen
aus einem dünnen, auf dem Boden liegenden, Blatt 5. 6, 7 je aus einem besondern
Rhizome. Blatt 1, 2. 5. 6 und 7 wurden am 20. Decbr. mit einer Quantität keimender
Protomycessporangien besäet und zwar auf die ebene Oberseite des Blattstiels. dicht über
dem Boden. Sie wurden durch Begiessen des letzteren und Ueberdecken einer Glas-
glocke feucht erhalten. Ebenso wurden keimende Sporangien auf das Rhizom. welches
Blatt 3 und 4 trug, gebracht. Nach einigen Tagen wurde die Glasglocke weggenommen
und der Topf im Zimmer einer gewöhnlichen Cultur unterworfen.
Am 26. Januar sind die sieben Blätter anscheinend gesund. aber Blatt 2 zeiet am
Grunde des Blattstiels fünf weissliche auf einer etwa 2 Um. langen Strecke beisammen-
stehende Flecke. von denen drei deutlich angeschwollen und vom Ansehen junger Pro-
tomycespusteln sind, zwei als kleine Punkte erscheinen. Das Mikroskop zeigte in allen
RE 2 2
fünfen kräftig entwickelten Protomyces, wie unten noch näher beschrieben werden wird.
Am 30. Januar sind am Petiolus von Blatt 5, 1 Mm. über dem Boden, drei junge, den
auf Blatt 2 gefundenen gleiche Protomycesschwielen sichtbar. Zu Anfang Februars
wurden Blatt 1 und 2 mit ihrem Rhizom und Blatt 3 behufs der anatomischen Unter-
suchung weggenommen. Von den besäeten Blättern blieben also noch 5. 6 und 7;
ferner blieb das nicht besäete Blatt 4. Ein neu getriebenes Stes Blatt wurde jetzt
ebenfalls noch in der angegebenen Weise mit Protomyces besäel. Bis zum April mussten
nun die Beobachtungen unterbrochen werden, die Pflanzen wurden im Zimmer weiter
eultivirt und erhielten keine neue Protomyces-Aussaat. Am 23. April haben die noch
übrigen 7 Rhizome zusammen 19 Blätter, von denen eines welk, die übrigen frisch
und gesund sind. Vier von diesen 19 haben an der Basis des Petiolus Protomyces-
Schwielen, und zwar gehören zwei von den vieren (deren eines das welke ist) einem
und demselben Rhizom an, als dessen einzige Blatter, das dritte ist das unterste (älteste)
eines dreiblätirigen, das vierte das zweilälteste Blatt eines dreiblättrigen Sprosses. Die
Cultur wurde noch mehrere Wochen fortgesetzt, aber es erschien kein neuer Proto-
myces. In wieweit die vier Protomyces tragenden Blätter den oben mit 5, 6. 7, 8 und
4 bezeichneten entsprechen, war wegen der fast zweimonatlichen Unterbrechung der
Beobachtungen nicht zu entscheiden.
II. Fünf Rhizomstücke des Aegopodium, in gleicher Weise wie die von I. behan-
delt, haben am 12. Februar je ein junges Blatt über den Boden setrieben. Diese
Blätter werden sämmtlich mit keimenden Protomyces- Sporangien nach Art wie I.
besäet, die Pflanzen wie 1. eultivirt. Bis zum 28. April sind 13 Blätter entwickelt.
Die von zwei Rhizomen sind frei von Protomyces. Von den andern drei Rhizomen
hat je das unterste, älteste Blatt, welches im Februar besäet worden war, schöne Proto-
myces-Schwielen; zwei nur an der Basis des Blattstiels, das dritte auf dem ganzen
Stiel und der Lamina. Alle übrigen Blätter sind und bleiben auch ferner frei davon.
Il. Gleichzeitig mit II wurden einige Aegopodium-Rhizome in einen besonderen
Topf gepflanzt, durchaus wie I und II cultivirt, aber nie mit Protomyces-Sporangien
besäaet. Bis hoch in den Sommer blieb der Topf in Cultur, alle in ihm entwickelten
Blätter blieben von Protomyces oder sonstigen Pilzen frei.
An dem Platze, wo die Aegopodium-Pflanzen für II und II bergenommen waren,
fand sich in den Jahren, wo die Versuche gemacht wurden, kein spontaner Protomyces.
IV. Gleichzeitig mit I und auf die nämliche Weise, wurden die Jungen Blätter von
zwei Slöcken des Antlhıriseus cerefolium mit keimenden Protomyces-Sporangien sehr reich-
— 132° —
lich besäet. Der eine Stock starb bald ab. der andere wuchs gesund weiter, hatte
Anfangs Mai reife Frucht und blieb ohne jegliche Spur von Pilzbildungen.
Aus diesen Versuchen geht zunächst hervor, dass Protomyces an den Stellen seiner
Nährpflanze (Aegopodium) erscheint. auf welche man seine Sporen gebracht hat.
Untersucht man die ganz jungen Anfänge des Pilzes, welche, wie auf dem Blatt 2
des Versuchs I, in Form weisser punktförmiger Flecke erscheinen. so sieht man das
Mycelium reichlich zwischen Oberhaut und äusserster Schicht des Parenchyms ausge-
breitet und von hier aus in die Intercellularräume der tiefer liegenden Parenchymschichten
hinabsteigend. Schon sehr früh beginnt an den zwischen Epidermis und Parenchym
befindlichen Theilen des Pilzes die Bildung der Sporangien; erst später treten sie in den
tiefern Schichten auf. An der mit der darunter liegenden Parenchymschicht abpräparir-
ten Oberhaut eines der weissen Fleckchen von Blatt 2 fand ich (s. Fig. 26) an einem
Punkte einen starken kurzen Pilzfaden in der Epidermis selbst. Er stiess an die Aussen-
wand dieser, oder schien vielmehr derselben fest angewachsen zu sein mit einer ziem-
lich breiten kreisförmigen Endfläche (p). Diese lag so dicht an einer Kante zwischen
Aussen- und Seitenwand zweier Zellen, dass es kaum sicher zu entscheiden war, ob
der Faden in der einen Zelle verlief, oder sich zwischen beiden hindurchdrängte. Mit
grösster Leichtigkeit liess sich der Faden durch Veränderung der Einstellung des Mi-
kroskops bis zur Innenwand der Oberhautzellen verfolgen, diese durchbohrte er, um unter-
halb derselben zu einer kugeligen Blase anzuschwellen. von welcher nach zwei Seiten
hin reich verzweigte, unter der Epidermis verbreitete und in die tieferen Gewebslagen
eintretende Myceliumfaden entsprangen. Einer dieser letzteren zeigte unmittelbar an die
Blase anstossend schon ein junges Sporangium mit dicht körnigem Inhalt; die Blase
selbst enthielt nur wenig Proloplasma. Es ist wohl kaum zweifelhaft, dass jener die
Epidermis quer durchsetzende Faden von Aussen eingedrungen und aus den aufgesäten
Sporen entstanden ist, dass diese also, auf die Nährpflanze gelangt, Hyphen treiben,
welche durch die geschlossene Epidermis eindringen, unter dieser sofort zum Mycelium
des Protomyces heranwachsen, welches sich dann gegen die Mitte des befallenen
Pflanzentheils sowohl wie in der Fläche ausbreitet und alsbald überall neue Sporangien
entwickelt.
Unser Protomyces schliesst sich somit den zahlreichen, durch die geschlossene Ober-
haut eindringenden Endophyten an, welche ich an einem andern Orte beschrieben habe”).
12) Annales des sciences natur. 4° Serie, Tom. XX.
— 153 —
Er unterscheidet sich von allen diesen aber dadurch, dass er die Anfänge seiner Myce-
liumfäden niemals unter alleiniger Einwirkung von Feuchtigkeit und Wärme austreibt,
sondern hierzu eines bestimmten Bodens, nämlich der Nährpflanze selbst bedarf.
Gleich vielen anderen Endophyten dringt Pr. macrosporus nur in wenige Species
von Nährpflanzen ein, oder kommt doch nur in wenigen zur Ausbildung. Dies zeigt
sein auf die drei oben genannten Umbelliferen-Arten beschränktes spontanes Vorkom-
men, und die negativen Resultate obiger Aussaat auf Cerefolium stimmen damit überein.
In der genannten Abhandlung habe ich gezeigt, dass manche endophyte Pilze ihr
Mycelium von dem Orte wo es eingedrungen ist durch die ganze Nährpflanze oder
doch einen grossen Theil derselben verbreiten, und dass dieses in vielen Fällen in den
ausdauernden Theilen der Nährpflanze perennirt; während andere eine begrenzte Ver-
breitung und Dauer haben. Nach den angeführten Culturversuchen, bei welchen immer
nur die Blätter oder die Punkte derselben den Protomyces trugen, welche direct besät
worden waren, gehört dieser zu den Endophyten mit begrenzter Verbreitung in der
Nährpflanze. Auch konnte ich, wie schon oben angegeben wurde, in letzterer niemals
das Mycelium des Parasiten an Orten nachweisen, welche von den sporangientragenden
Schwielen entfernt waren, zumal nie in den Rhizomen. Dass Pr. macrosporus nicht zu
den perennirenden Endophyten gehört, folgt hieraus von selbst.
Das häufige Vorkommen des Protomyces zumal auf Aegopodium und Meum wird,
nachdem einmal die Keimung seiner Sporangien und das Eindringen seiner Keime in
die Nährpflanze festgestellt ist, vollständig durch das Verhalten der reifen Sporangien
während des Winters und folgenden Frühlings erklärt.
Wie schon oben erwähnt. bleiben wo nicht alle, doch jedenfalls die weitaus
überwiegende Mehrzahl der Sporangien in dem Sommer, in welchem sie gereift sind,
unverändert, sie überwintern. Sie können dabei jedenfalls starke Kälte ertragen. Nach
dem Winter 1860—61, in welchem in hiesiger Gegend die Lufttemperatur während
des Januars oft auf — 14° bis — 15° R. gesunken war, bei kaum nennenswerther
Schneedecke, waren die im Freien überwinterten Protomycessporangien allgemein leicht
zur Keimung zu bringen. Die Keimung tritt am leichtesten und schnellsten im Früh-
ling ein. Sporangien, welche Anfangs November 1860 nach Eintritt der Winterfröste auf
Aegopodium gesammelt und sofort im geheizten Zimmer in Wasser gebracht worden
waren, zeigten am 2. Dezember die ersten Keimungen. Andere an demselben Stand-
orte wie die ersten den 25. Januar 1861 bei Thauwetter gesammelte keimten im
Zimmer am 5. Februar. Eine Portion, welche im Februar an aufthauenden alten
Abkandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V, 20
— 154 —
Aegopodiumblättern gesammelt und dann trocken aufbewahrt worden war, wurde am
23. Mai in Wasser gebracht: schon am 27. Mai viele Keimungen. Die Keimung geht mit
derselben Leichtigkeit wie in mit Wasser gefüllten Gefässen, auch auf nasser Erde, nassem
Sande, feuchtem Löschpapier vor sich. Sie tritt in beiden Fällen keineswegs gleich-
zeitig bei allen Sporangien einer Schwiele ein, vielmehr kann man in einer Cultur
oft wochenlang (z. B. vom 2. December bis zum 27. Januar) tagtäglich neue Keimungen
beobachten. Auch die Ejaculation findet nicht nur im Wasser, sondern auch auf nur
feuchter Unterlage statt, die Sporen werden hier bis auf eine Entfernung von 1—2
Cm. senkrecht nach oben geschleudert. Befestigt man eine angefeuchtete Glasplatte
etwa 1 Cm. über den auf feuchtem Boden keimenden Sporangien, so findet man auf
ihr nach kurzer Zeit einzelne Gruppen, und nach etwa 12 Stunden eine ungeheure
Anzahl ejaculirter und copulirter Sporen. Nach allen diesen Daten müssen die ersten
Keimungen im Freien an den ersten warmen und nassen Frühlingstagen, also gleich-
zeitig mit dem Hervorkommen der ersten Blätter und Laubstengel aus dem Boden ein-
treten und in der späteren Frühlingszeit bei feuchter Witterung immer neue den ersten
folgen. Hunderte von Sporangien sind in jeder Schwiele enthalten und Hunderte von
Sporen entstehen in jedem Sporangium; es liegt daher auf der Hand, dass von einer
reifen Schwiele aus viele junge Blätter und Triebe mit Protomyces besäet werden
können. Und der Umstand, dass oft grosse und viele beisammen stehende Stöcke
von Aegopodium und Meum ganz mit Protomycesschwielen bedeckt sind, bedarf keiner
besonderen Erklärung wenn man bedenkt dass genannte Pflanzen perenniren und dass
ihre vorjährigen, die reifen Sporangien des Parasiten tragenden Blätter in unmittel-
barer Nähe der im Frühling über den Boden tretenden Laubtriebe liegen. —
Eine andere Form von Fructificationsorganen als die beschriebenen besitzt Pro-
tomyces macrosporus, soweit meine Untersuchungen wenigstens reichen, nicht. Cas-
pary hat (a.a. 0.) die Vermuthung ausgesprochen, Protomyces macrosporus gehöre
in den Entwicklungskreis der Peronospora Umbelliferarum Casp., und seine Sporan-
gien entsprächen den Organen, welche Caspary bei Peronospora densau und Peronos-
pora pygmaea untersucht und Sporangien genannt hat; und auch mir (S. Bot. Ztg.
1559, p. 404) schien manches hierfür zu sprechen, zumal der Umstand dass Proto-
myces und Peronospora nicht selten auf einem und demselben Blatte von Meum oder
Aegopodium mit einander vorkommen. Die scheinbare Aehnlichkeit zwischen den Orga-
nen von Protomyces und Peronospora, durch welche jene Vermuthung begründet
werden sollte, reducirt sich aber bei genauerer Betrachtung auf das Blauwerden ihrer
— 155 ° —
Zellmembranen durch Jod und Schwefelsäure. Das Mycelium der P. Umbelliferarum
besteht aus weiten querwandlosen und mit zahlreichen bläschenförmigen Haustorien an
die Zellen der Nährpflanzen befestigten Schläuchen, es ist also dem des Protomyces,
welches oben beschrieben wurde, durchaus unähnlich. Die sogenannten Sporangien
der Peronospora densa und pygmaea scheinen allerdings nach Caspary’s Beschreibung
ähnlichen Bau wie die von Protomyces zu haben, allein bei genauerer Untersuchung
erweisen sie sich von diesen durchaus verschieden. Sie bestehen, wie ich ander-
wärts"’) nachgewiesen habe, zur Zeit der Reife aus einer kugeligen Fortpflanzungs-
zeille., welche von einer aus Cellulose gebildeten (durch Jod und Schwefelsäure blau
werdenden) Innenhaut und einer derben bräunlichgelben Aussenhaut bekleidet, und in
eine derbwandige kugelige Blase (Mutterzellhaut) locker eingeschlossen sind. Die Fort-
pflanzungszelle entwickelt sich in Folge einer geschlechtlichen Befruchtung durch eine
Antheridie,. ist daher als Oospore, die Blase von der sie eingeschlossen wird als
Oogonium zu bezeichnen. Perönospora Umbelliferarum Casp. hat Oogonien und
Oosporen, welche, abgesehen von Speciesunterschieden, den nämlichen Bau besitzen wie
bei den von Gaspary untersuchten Arten und gleich den entsprechenden Organen dieser
mit den Sporangien von Protomyces nur oberflächliche Aehnlichkeit zeigen‘), Wie
hiernach zu erwarten und durch zahlreiche Culturversuche festgestellt ist, entsteht denn
auch niemals Protomyces aus der Aussaat von Peronospora oder umgekehrt.
2. Protomyces endogenus.
(Taf. XXVII. Fig. 8— 10.)
Ausser der Beschreibung und Abbildung, welche Unger 1833 von dem in der
Ueberschrift genannten, durch Rabenhorst (D. Krypt. Fl.) in Pr. Galii umgetauften Pilze
gegeben hat, und einigen mehr oder minder misslungenen Reproductionen derselben sind
mir keine Arbeiten über diesen Parasiten bekannt. Derselbe ist bis jetzt ausschliesslich
in dem Galium Mollugo gefunden worden. Die von dem Pilze bewohnten Exemplare
dieser Pflanze zeichnen sich meistens durch ein eigenthümliches, von Unger vor-
trefflich beschriebenes Ansehen aus. Alle Internodien sind abnorm kurz, halb oder nur
13) Ann. sc. nat. 4e. Serie Tom. XX, (pl. VII, fig. 9.)
14) Vgl. die citirte Abhandlung pl. IV, Fig. 15.
20*
— 156 —
viertels so lang und oft dicker wie normale, und von bläulich schwarzer nur an den
Kanten grüner Farbe. Die Knoten sind angeschwollen, schwarz und tragen Blätter,
welche gleichfalls viel kürzer als an normalen Stöcken und meist zu beiden Seiten des
Mittelnerven mit einem schwarzen Streifen versehen sind. Alle Triebe der befallenen
Pflanze zeigen in der Regel diese Beschaffenheit, die Pflanze erscheint daher dicht
buschig. Sie bleibt in den meisten Fällen niedrig und ganz ohne Blüthen, ich habe
Stöcke beobachtet, welche den ganzen Sommer über nur 16 Cm. hoch wurden. Zu-
weilen erreichen jedoch Protomyces tragende Pflanzen ihre normale Höhe und bilden
normale Blüthen; ob sie Frucht tragen habe ich nicht untersucht.
Durchschnitte durch ein jüngeres Internodium der befallenen Stöcke (Fig. 8) —
am besten tangentiale Längsschnitte — zeigen die Intercellularräume des Rindenparen-
chyms und meistens auch des Markes fast sämmtlich erweitert und von dem Parasiten
erfüllt. Man findet auf Längsschnitten sehr leicht sein Mycelium, das aus cylindrischen,
reich verzweigten, mit Querwänden versehenen, meist etwa Yo Mm. dieken Hyphen
besteht. Die Hyphen besitzen eine zarte farblose Membran und einen ebenfalls farb-
losen, durch viele Fettkügelchen körnigen Inhalt. Einzelne in der Continuität der My-
celiumfäden zerstreute kurze Gliederzellen schwellen früh zu elliptischen Blasen an,
die anfangs eine wandständige von grossen Vacuolen durchsetzte Protoplasmaschicht
umschliessen, später ganz von Protoplasma erfüllt werden, welches zuletzt durch Fett-
ansammlung dicht und grob körnig wird, während die ganze Zelle nach und nach Bau
und Grösse der reifen „Spore“ annimmt (Fig. 10).
Die reifen Sporen (Fig. 9) sind in der Regel rundlich oder breit elliptisch, durch
den Druck der umgebenden Theile oft hie und da abgeplattet und stumpfeckig, etwa
Ys Dis % Mm. gross. Schmal elliptische (z. B. %,, Mm. lang, ‘, Mm. breit) oder ganz
unregelmässige Formen findet man zuweilen. Die Wand der reifen Spore besteht der
Hauptmasse nach aus einer dicken dunkelbraunen Membran, welche in zwei Schichten,
eine dunkler gefärbte äussere und eine hellere innere gesondert ist. Jene wird über-
zogen von einer ganz oder beinahe farblosen dünnen Haut — der primären Membran,
an deren Innenfläche sich die braune während des Reifens allmählich ausbildet. In
Schwefelsäure bleibt die primäre Haut lange unverändert; die braune quillt stark auf
ohne dabei an Umfang merklich zuzunehmen, also unter starker Verengung des Innen-
raumes; sie nimmt dabei eine schmutzig schwarzbraune Farbe an und platzt zuletzt
häufig mit einem unregelmässigen Querriss. Eine blaue Cellulosefärbung konnte weder
bei den Sporen noch irgend einem andern Theile des Pilzes erhalten werden. Der
— . 17 —
Inhalt reifer Sporen besteht grösstentheils aus kleinen Fettkörnchen, zwischen welchen
oft ein grosser heller Kreis (Vacuole?) durchschimmert.
Um die ersten an irgend eıner Stelle angelegten und reifenden Sporen herum treibt
das Mycelium einige Zeit lang immer neue und neue Sporen bildende Zweige (Fig. 10).
Man findet daher die Intercellularräume oft von wirren Myceliumgeflechten angefüllt, in
welchen Sporen aller Entwickelungsgrade unordentlich durcheinander liegen (Fig. 8).
Auf dicken Schnitten, zumal Querschnitten, können die Myceliumgeflechte leicht als
unförmliche Massen einer grobkörnigen Substanz erscheinen und dieser Umstand hat
Unger in seiner vor 30 Jahren erschienenen Arbeit zur Annahme einer homogenen
körnigen Matrix, in welcher sich die Sporen frei bildeten, veranlasst.
In den Stengelknoten, wo er besonders reichlich aufzutreten pflegt, und in den
blättern, wo er das Parenchym an der Basis und zu beiden Seiten des Mittelnerven
bewohnt, zeigt der Pilz die gleiche Beschaffenheit, welche oben beschrieben wurde.
Die schwärzliche Farbe der befallenen Theile rührt von seinen Sporen her.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass Protomyces endogenus von einem Punkte aus
die ganze Pflanze zu durchwuchern vermag. Man kann sein Mycelium continuirlich
durch alle Theile bis in das Rhizom hinab verfolgen und in junge eben austreibende
Sprosse eintreten sehen; in allen Theilen bildet es mehr oder minder zahlreiche Sporen.
Ob es im Rhizome perennirt kann ich nicht mit Sicherheit angeben. Die Mycelium-
fäden laufen vorzugsweise, doch nicht ausschliesslich der Länge der Pflanzentheile nach
und bleiben überall streng intercellular, nie sah ich irgend einen Theil ins Innere der
Zellen dringen.
In den älteren Theilen der befallenen Pflanze tritt allmählich die völlige Reife des
Pilzes ein, alle Sporen erhalten die oben beschriebene Beschaffenheit, es werden keine
neuen mehr gebildet, das Mycelium wird allmählich unkenntlich. Zuletzt vertrocknet der
ganze Pflanzentheil, wobei häufig die von reifen Sporen erfüllte, von der Epidermis
bekleidete Rinde des Stengels in grossen Lappen von dem Holzkörprr losspringt.
Die Keimung der Sporen konnte ich ungeachtet wiederholter Versuche nicht
beobachten. Frisch gereifte und überwinterte Sporen blieben immer anscheinend unver-
ändert, ob ich sie in Wasser oder feuchte Luft oder auf feuchten Boden brachte. Ob
sie mit Recht den Namen Sporen führen, muss daher einstweilen dalıingestellt bleiben.
RB
3. Physoderma Eryngii.
(Tafel XXVII, Fig. 11.)
Physoderma Eryngii Corda') bewohnt die frischen Blätter von Eryngium
campestre. Es bildet an denselben meistens sehr zahlreiche flache bräunliche Pusteln
oder Anschwellungen, die in der Regel nach beiden Blattflächen hin vorspringen, rund-
lich oder länglich und selten über 1 — 1% Mm. gross sind. Wie schon Corda beschrie-
ben hat liegen die Pusteln in den Areolen des Adernetzes, einerseits an ein Gefäss-
bündel angelehnt oder die Areole vollständig ausfüllend.
An dem gesunden Blatte von Eryngium campestre besteht das von der Epidermis
bedeckte Diachym der Areolen aus drei Gewebsschichten. Der oberen Blattfläche zuge-
kehrt ist eine mächtige Schicht chlorophyllreichen Parenchyms, bestehend aus cylindrischen
Zellen, welche mit ihrer Längsachse senkrecht zur Blattoberfläche gestellt und in ziem-
lich regelmässige, gleichfalls zur Blattfläche senkrechte Reihen geordnet sind. Sämmt-
liche Reihen sind dicht aneinander gedrängt, jede derselben aus drei bis vier Zellen gebildet.
Die der unteren Blattfläche zugekehrte Schicht ist der oberen im Wesentlichen gleich,
wenigstens können die vorhandenen geringen Unterschiede hier unberücksichtigt bleiben.
Zwischen der oberen und unteren liegt eine Mittelschicht, welche aus drei bis vier
Lagen grosser rundlicher chlorophyllarmer oder ganz farbloser und locker verbun-
dener Parenchymzellen besteht. In dieser Mittelschicht verlaufen die feinsten, nicht über
die Oberfläche vorspringenden Zweige der Gefässbündel.
Durchschnitte durch reife von dem Pilze bewohnte Pusteln zeigen den von der
Mittelschicht eingenommenen Raum mehr oder minder erweitert und von den massen-
haft und ordnungslos angehäuften Fortpflanzungszellen des Pilzes, welche einstweilen
Sporen genannt werden mögen, grösstentheils ausgefüllt; die Zellen der Mittelschicht
sind verdrängt, zusammengedrückt, oft ganz unkenntlich, zwischen der Sporenmasse
findet man oft einen vertrockneten braun gefärbten Gefässbündelzweig. Die obere und
untere Parenchymschicht sind durch die Erweiterung des Mittelraumes zwischen ihnen
auseinander gedrängt, ohne dabei selbst an Dicke zugenommen zu haben; zwischen den
zur Blattfläche senkrechten Zellreihen, aus welchen sie bestehen, liegen gleichfalls zahl-
lose Sporen des Parasiten in regelmässige Reihen oder Doppelreihen, manchmal auch
15) Ausgegeben in Fuckels fung. Rhenan. Nro. 261.
— 159 —
in vielreihige längliche Gruppen geordnet, welche sämmtlich die gleiche Stellung wie
die Zellreihen des gesunden Blattgewebes haben und von der Mittelschicht bis unter die
Epidermis verlaufen. Die Elemente des chorophyliführenden Parenchyms sind auf den
ersten Blick oft ganz unkenntlich, so sehr sind sie durch den Pilz zusammengedrückt. Bei
genauerer Untersuchung findet man jedoch noch dieselben Reihen wie in dem gesunden
Blatte, die einzelnen Zellen sind aber an den Seiten her stark und unregelmässig com-
primirt, ihr Inhalt von der farblosen Membran zurückgezogen und hellbraun gefärbt,
wovon die charakteristische Farbe der ganzen Pustel zum grössten Theil herrührt. Die
Epidermis ist auf der Oberfläche der Pusteln meistens unversehrt, oft aber auch unregel-
mässig geborsten.
Die reifen Sporen des Pilzes sind, wie schon Corda’s Abbildung zeigt, von
sehr verschiedener Gestalt, im Allgemeinen rundlich, meistens mit einzelnen vorsprin-
genden Ecken, welche nicht selten zu kurzen stielartigen Fortsätzen ausgezogen sind,
versehen. Auch die Grösse der Fortpflanzungszellen ist sehr verschieden, bei den
meisten mag der grösste Durchmesser Y,, bis /,, Mm. betragen. Sie haben eine farb-
lose oder hellgelbbraune Membran, deren Dicke dem halben Radius der Zelle gleich
oder grösser ist. Die erwähnten Ecken und Fortsätze an der Oberfläche gehören immer
der Membran allein an, der Innenraum ist immer von regelmässig abgerundeter kugeliger
oder ovaler Gestalt. Die Membran besteht aus drei Lagen, von denen die äussere und
innere ziemlich dünn, aber derb, stark glänzend sind und durch Schwefelsäure wenig
aufquellen. Zwischen beiden liegt eine dicke Lage von schwach lichtbrechender Sub-
stanz, welche die Hauptmasse der Membran ausmacht. Sie hat das Aussehen gallertiger
Zellenmenbranen, ist oft zart geschichtet und quillt in Schwefelsäure stark auf. Eine
Blaufärbung durch die bekannten Reagentien habe ich bei keinem Theile der Membran
eintreten sehen. Der Inhalt der Sporen besteht aus einer gleichförmig fein- oder grob-
körnigen fettglänzenden Substanz, in seiner Mitte sah ich oft einen runden hellen Raum.
Die Entwickelung der Sporen kann man am besten an solchen Pusteln verfolgen,
welche kaum über die Blattfläche hervorragen, noch nicht braun sondern grünlich-
gelb gefärbt sind und hierdurch ihren jugendlichen Entwiekelungszustand anzeigen.
Auf Durchschnitten durch dieselben findet man zunächst einzelne reife Sporen des
Physoderma zwischen den theils noch mit grünem gesundem. theils schon braun-
gefärbtem Inhalt versehenen Zellenreihen der oberen und unteren Parenchymschicht.
Trennt man die einzelnen Reihen von einander, so findet man das Mycelium des
Parasiten: zahlreiche feine etwas wellig gebogene und vielfach verzweigte Pilzfäden,
— 160 —
deren Dicke etwa so Mm., selten mehr beträgt. Die Fäden sind sehr zartwandig,
mit homogen-trübem Protoplasma erfüllt; Querwände habe ich in ihnen nicht gefunden.
Sie sind durch die ganze junge Pustel reichlich verbreitet, drängen sich zwischen die
Zellen der grünen Parenchymschichten und der farblosen Mittelschicht und umspinnen
jene allenthalben, ohne jedoch wie die Myceliumfäden anderer Schmarotzerpilze dicke
die Zellen zusammendrückende Geflechte zu bilden und ohne in die Zellen selbst ein-
zudringen.
Es ist nun nicht schwer, ziemlich reife Sporen im Zusammenhange mit solchen
Fäden und die Entwickelung jener an den letzteren zu finden. Diese Entwickelung
gleicht sehr der für die Sporangien von Protomyces macrosporus bekannten. Als
erstes Stadium findet man in der Continuität der Fäden kugelige Anschwellungen,
anfangs noch zart und einfach contourirt,. aber mit dunkler körnigem Protoplasma
als der Faden selbst erfüllt. Später werden die Anschwellungen grösser, durch deutliche
Querwände von dem Faden. welcher sie trägt, abgegrenzt. und mit einer derben
farblosen. durch Doppellinien umschriebenen Membran versehen. In ihrem körnigen
Protoplasma ist jetzt ein centraler runder heller Raum meistens sehr deutlich zu sehen.
So beschaffen erhalten die Zellen nahezu die Grösse reifer Sporen und bilden sich
direct zu diesen aus, indem die Membran allmählich die oben beschriebene Dicke und
Structur annimmt. Die vorspringenden Ecken und stielartigen Fortsätze der reifen
Sporen entsprechen ihren Insertionsstellen an den Fäden des Myceliums. Auch die
halbreifen Sporen findet man oft zu Reihen oder unregelmässigen Knäueln fest ver-
einigt. Ob solche sich aus unmittelbar aneinander stossenden Anschwellungen eines
einzigen Fadens entwickeln können oder immer mehreren dicht zusammengedrängten
Fäden ihre Entstehung verdanken, konnte ich nicht ermitteln. Alle jugendliche Sporen,
beren Ursprung und Insertion ich deutlich beobachten konnte, sassen einzeln in der
Continuität der Fäden. Indem sich die Zahl der Sporen und wohl auch eine Zeit
lang noch die der Myceliumzweige, an welchen jene fortwährend neu entstehen,
peträchtlich vermehrt, werden die Räume zwischen den Zellen des Eryngiumblattes
mehr und mehr erweitert und mit den Organen des Pilzes angefüllt, die Zellen selbst
in gleichem Maasse zusammengedrückt, die beschriebene Structur der reifen Pusteln
hergestellt. Bei den Exemplaren. welche ich untersucht habe, bildete sich der Pilz
mmer zuerst in den peripherischen Schichten des Blattes und erst später in der
Mittelschicht aus. In letzterer ist es auch bei ziemlich reifen Pusteln und selbst bei
getrockneten Exemplaren oft leicht das Mycelium des Pilzes, seinen Zusammenhang
— 161 —
mit reifen Sporen und Jugendzustände der letzteren zu finden, wenn man die unordent-
liche Pilzmasse vorsichtig auseinanderzupft. Jedoch werden die Myceliumfäden seltener
in dem Maasse als die Zahl reifer Sporen sich vermehrt; sie scheinen mit Ausbildung
der letzteren zu Grunde zu gehen und aufgelöst zu werden.
Weitere Verfolgung der Entwickelungsgeschichte von Physoderma Eryngii
erlaubte mir das zu Gebote stehende Material, welches ich der freundlichen Zusendung
von L. Fuckel verdanke, nicht; wo ich in hiesiger Gegend Eryngium campestre
erreichen konnte, war die Pflanze von dem Parasiten frei.
Die beschriebene Entwickelungsgeschichte steht mit einigen Angaben Corda’s
in so grellem Widerspruch, dass ich den von mir untersuchten Parasiten nimmermehr
für Corda’s Ph. Eryngii halten könnte, wenn nicht die Abbildungen, die genannter
Autor von den reifen Sporen gibt, die Identität unserer beiden Pilzformen fast ausser
allen Zweifel setzten. Wenn ich Corda’s Beschreibung recht verstehe, so fasst er
den Bau der Physoderma-Pusteln in folgender Weise auf. Dem in der Mittelschicht
des Diachyms verlaufenden Gefässbündel sitzt eine dem Parasiten angehörende „Sporen
erzeugende Zellschicht* auf. aus kurzen aufrechten schmalen Zellchen bestehend,
welche mit ihren Spitzen der Sporenmasse (die in dem zerstörten chlorophylihaltigen
Diachym der einen Blattseite liegt) zugewendet sind. „Wir glauben,“ fährt Corda
fort, „dass diese Zellen die Sporen ebenso erzeugen, wie dieses bei den Aecidien
geschieht.“ Nach dem, was ich gesehen habe, kann ich mir diese Angaben ebenso-
wenig erklären. wie die zu ihrer Erläuterung dienende Figur 4; es sei denn, dass
Corda nur alte Pusteln und ungeeignete Durchschnitte derselben untersucht und sich
durch letztere über den richtigen Sachverhalt hätte täuschen lassen. Letztere Ver-
muthung erhält allerdings einige Wahrscheinlichkeit dadurch, dass Corda’s Zeichnungen
von dem Blattdiachym selbst mit der Natur nicht übereinstimmen.
4. Protomyces Menyanthis.
(Tafel XXVII, Fig. 1—7.)
In meiner Arbeit über die Brandpilze (p. 19) habe ich die reifen Fortpflanzungs-
zellen eines Schmarotzerpilzes beschrieben. welcher mir nach der Beschaffenheit dieser
Organe in die Verwandtschaft von Protomyces macrosporus zu gehören schien.
Neuere Untersuchungen machen es möglich. jene Beschreibung zu berichtigen und zu
vervollständigen. Protomyces Menyanthis bewohnt die Blätter und Blattstiele von
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V, 1
u A
-Menyanthes trifoliata. Er wurde von mir 1852 einmal bei Berlin, von Fuckel')
im Rheingau gefunden, seit 1858 sah ich ihn alljährlich vom Juni bis October in den
Torfmooren am Ufer des Titisees im Schwarzwald; an anderen Orten dieses Gebirges,
wo Menyanthes reichlich wächst, habe ich ihn bis jetzt vergeblich gesucht. Die vom
Pilze bewohnten Blätter sind meistens (an den Fuckel’schen Exemplaren, welche ich
besitze, allerdings nicht) kleiner als normale, die Foliola oft schmal lanzettilich und
nur 2— 3 Cm. lang, häufig auch von bleicherer Farbe als gesunde Blätter. Sie zeigen
auf dem Stiel und der Lamina mehr oder minder zahlreiche Flecke von brauner oder
(wenn Erythrophyll in den Zellen des Blattes enthalten ist) violettbrauner Farbe,
rundlicher oder länglicher Gestalt, punktförmig klein bis 1 und 2 Mm. gross. Die
grösseren springen in Form flacher Pusteln nach aussen vor. Auf Durchschnitten
durch solche Pusteln findet man innerhalb der unversehrten braungefärbten Epidermis
die Zellen des Parenchyms mit hellbrauner Membran und geschrumpftem braungefärbtem
Inhalt versehen, letzterer umschliesst die Sporen des Parasiten. Diese sind immer
nur im Innern der Parenchymzellen, niemals in den weiten luftführenden Inter-
cellulargängen enthalten (Fig. 1). Im Innern dieser Zellen werden daher auch die
Jugendzustände des Pilzes zu suchen sein. Auf Durchschnitten durch junge Proto-
mycesflecke, welche dem blossen Auge erst als kleine braune Punkte erkennbar sind,
findet man die zunächst unter der Epidermis liegenden Parenchymzellen braun und in
ihrem Innern reife oder reifende Sporen. Die nach Innen und seitlich angrenzenden
Theile des Parenchyms zeigen dagegen ziemlich normale, unveränderte Beschaffenheit
ihrer Zellen, die Membranen sind farblos, Zellkern, durchsichtiger wenig körniger
Primordialschlauch, Chlorophylikörner, klarer wässeriger Zellsaft wie in gesunden
Blättern vorhanden (Fig. 2, 3). Bei hinreichend starker Vergrösserung erkennt
man aber in diesen anscheinend gesunden Zellen zarte farblose Bläschen und sehr
feine quer oder schräg durch die Zellenlumina verlaufende Fäden. Letztere stellen
das Mycelium des Protomyces dar. Sie sind farblos, anscheinend ganz homogen,
durchscheinend; Querwände konnte ich in ihnen nicht finden. Ihren Querdurchmesser
ganz genau zu messen war mir nieht möglich: nach ziemlich sicherer Schätzung mag
derselbe etwa "soo Mm. betragen. Bei solcher Beschaffenheit kann man die Fäden
16) Enum, Fungor. Nassoviae, und Fung. Rhenan. Nro, 260, als Physoderma Menyanthis Rabenh.
Rabenhorst hat aber dem Pilze keinen Namen gegeben.
— 163 — .
leicht mit Protoplasmaströmchen verwechseln; allein auch abgesehen von ihren nachher
zu erwähnenden Eigenthümlichkeiten, erkennt man bei genauerer Untersuchung leicht,
dass sie nie einer Zelle allein angehören, sondern, die Membranen durchbohrend, von
einer in die andere dringen. Von dem schon sporenführenden Mittelpunkt der jungen
Pustel aus kann man sie oft viele Zellenlagen weit in den Umkreis und in die Tiefe
verfolgen. Dass sie in der That die Zellwände durchbohren, ist auf guten Präparaten
ohne Weiteres zu erkennen. Sehr schön tritt dieses Verhalten nach Einwirkung von
Jodlösung hervor; die Fäden selbst werden durch diese gelblich gefärbt und deut-
licher. die Primordialschläuche der Parenchymzellen ziehen sich zusammen, und man
sieht sehr oft, wie ein Faden aus einem Primordialschlauch heraus gegen die Zell-
wand läuft. diese durchbohrend in die Nachbarzelle eintritt, und so weiter. Aus-
nahmslos dringen die Fäden immer nur unmittelbar aus einer Zelle in die andere,
niemals sah ich sie in die Intercellulargänge treten. Anderswo als in den sporen-
bildenden Pusteln sah ich die Myceliumfäden nicht; hieraus und aus der scharf-
umgrenzten Gestalt und geringen Grösse der Pusteln ist zu schliessen, dass das
Wachsthum des Myceliums ein begrenztes ist.
Die meisten Myceliumfäden schwellen dicht bei ihrer Eintrittsstelle in eine Par-
enchymzelle zu eiförmigen oder verkehrteiförmigen Blasen an, deren Länge zunächst
Y bis ', des Querdurchmessers der Parenchymzelle beträgt (Fig. 2, 3). Aus dem
der Eintrittsstelle abgekehrten Ende der Blase sprossen dann wiederum 1 bis 3 My-
celiumfäden hervor, welche in benachbarte Zellen dringen. Auf demselben Ende der
Blasen findet man sehr häufig ein Büschelchen sehr feiner und kurzer, in ein Knöpf-
chen endigender Fäden (Fig. 3). welche bald verschwinden und über deren Bau und
Zweck ich nichts Näheres angeben kann. Selten kommen die weiter vordringenden
Myceliumzweige aus der Seite der Blasen, noch seltener sah ich die Myceliumfäden
ohne blasige Anschwellung quer durch die Zelle laufen. Die Blasen haben sehr zarte
Membran und anfangs einen homogenen, kaum einige Körnchen führenden, durch Jod
gelb werdenden Protoplasmainhalt. Viele derselben theilen sich sehr bald durch eine
Querwand in zwei ziemlich gleich grosse Hälften, von denen ich die der Eintrittsstelle
zugekehrte immer mit Protoplasma erfüllt fand, die andere oft leer, d. h. nur mit wässeriger
Flüssigkeit erfüllt ist, ihr Protoplasma also wohl an die ihr entsprossenden Fäden
abgegeben hat. Sehr oft bleiben jedoch beide Hälften gleichmässig von Protoplasma
erfüllt. und wohl in der Mehrzahl der Blasen tritt gar keine Querwand auf. Eine
von dem Parasiten befallene Zelle enthält fast immer mehrere Blasen mit den dazu-
21%
— 14 —
gehörenden Myceliumfäden. Von jenen zählte ich an ganz deutlichen Präparaten oft
6 bis 8, andere Zellen enthalten ihrer aber jedenfalls noch mehr.
Aus den beschriebenen blasigen Anschwellungen des Myceliums entwickeln sich
die Sporen des Protomyces; ob nur aus den ungetheilten oder auch aus den proto-
plasmaführenden Hälften der quergetheilten kann ich nicht entscheiden. Geht man von
dem Umfange gegen die reife Mitte einer jungen Pustel, so findet man zahlreiche
Zwischenstufen zwischen den beschriebenen blasigen Anschwellungen und den reifen
Sporen. Jene werden zunächst grösser und in ihrem Innern treten dunkel umschrie-
bene Fettkörnchen auf, welche um so grösser und zahlreicher werden. je mehr die
Blase wächst, und diese zuletzt dicht erfüllen (Fig. 4). Der Umriss der letzteren
bleibt bis zur Vollendung des Wachsthums sehr zart, durch eine einfach feine Linie
angedeutet; erst nach beendigter Ausdehnung tritt eine derbere, alsbald durch Doppel-
linien umschriebene Membran auf. Je mehr die Sporen heranwachsen „ desto blasser und
undeutlicher werden die Myceliumfäden, an welchen sie sitzen. Ein einziges Mal nur
habe ich eine fast völlig verwachsene noch zarthäutige Spore in deutlichem Zusammen-
hang mit einem Myceliumfaden gesehen (Fig. 4), meistens ist solcher bei grösseren
Sporen gar nicht mehr zu finden, und der Ursprung der letzteren müsste zweifelhaft
bleiben, wenn sich nicht zwischen ihnen und jüngeren deutlich mit dem Mycelium
zusammenhängenden alle Entwickelungsstufen leicht finden liessen.
Hat das Wachsthum der in einer Parenchymzelle enthaltenen Sporen begonnen,
so kömmt alsbald ein weiterer Umstand hinzu, der die Verfolgung ihrer Entwickelungs-
geschichte erschwert. In der Zelle verschwindet nämlich das Chlorophyll, der Zell-
kern wird unsichtbar, und der ganze Inhalt wird durch eine rasch wachsende Menge
von Körnchen dergestalt getrübt, dass eine Auffindung der Myceliumfäden kaum mehr
möglich, und selbst die zarten Umrisse der jüngeren Sporen oft nur schwer sichtbar
sind. Man sieht häufig Sporen verschiedenen Alters innerhalb der Zellen in einer
dicht körnigen Flüssigkeit suspendirt, ohne Spur von Myceliumfäden (Fig. 5). so
dass es genau aussieht, als ob die Sporen durch freie Zellbildung in dem krankhaft
veränderten Inhalt der Parenchymzellen entständen. Wären die Jugendzustände des
Pilzes nicht bekannt, so könnte es gar kein Object geben, welches geeigneter als jene
Zellen wäre, um eine Täuschung zu Gunsten der Lehre von der sogenannten Heterogenie
zu veranlassen. Mit der Reife der Sporen nimmt die körnige Inhaltsmasse der Par-
enchymzellen eine braune, zuletzt rothbraune Farbe an und schrumpft zu einer harten,
spröden, fast homogenen Masse zusammen, welche die Sporen einschliesst und mit-
— 165 —
einander verklebt (Fig. 6, 75). Auch die Membran der Zellen, welche vom Pilze
bewohnt werden, so wie die der benachbarten nicht befallenen Zellen, wird braun
und vertrocknet.
Die reifen Sporen (Fig. 6, 7) sind breit eiförmig, meist 4, bis 7, Mm. lang.
Sie haben eine einfache ungeschichtete farblose Membran, welche so wenig wie irgend
ein anderer Theil des Pilzes blaue Cellulosereaction zeigt. Der Inhalt besteht aus
einer wandständigen Schichte von Fettkörnchen, innerhalb welcher eine homogene
farblose Masse liegt, auf den ersten Blick einer Vacuole gleichsehend, aber wie genauere
Untersuchung zeigt, gleichfalls zum grössten Theile aus Fett bestehend.
In reifen Pusteln findet man eine bis fünf und sechs Sporen in einer Parenchym-
zelle; in jüngeren sah ich oft Sporen verschiedenen Reifegrades in einer Zelle bei-
sammen, und in solchen Zellen, deren Lumen von einigen fast reifen Sporen grössten-
theils ausgefüllt war, fast immer einzelne, welche die Grösse der ursprünglichen My-
celiumsanschwellungen kaum überschritten. Es scheint daher, als ob von letzteren eine
Anzahl unentwickelt bliebe (vergl. Fig. 5).
Mit meinen Versuchen die Keimung der Sporen zu erhalten bin ich nicht glück-
licher gewesen als bei Pr. endogenus.
5. Physoderma maculare und pulposum.
Das Wallroth’sche Originalexemplar von Ph. maculare (Taf. XXVI, Fig. 13) besteht
in einem durch die lange Aufbewahrung im Herbarium braun gewordenen Blatte der
schmalblätterigen Form von Alisma Plantago. Auf der Lamina dieses Blattes befinden
sich zahlreiche zerstreute längliche, 1—1Y, Mm. lange schwarzbraune Flecke, welche
alle durch die Blattsubstanz durch, von der oberen zur unteren Fläche gehen. Auf
der oberen Fläche springen sie in Form flacher Schwielen vor, auf der unteren wenig
oder gar nicht. Der Blattstiel zeigt einige ähnlich aussehende aber kleinere Flecke.
Durchschnitte durch die braunschwarzen Stellen der Lamina zeigen, soweit genannte
Färbung reicht, im Innern aller Zellen des Blattparenchyms und der Epidermis
grosse braunhäutige Körper, welche jedenfalls als die Sporen des Parasiten bezeichnet
werden dürfen. Nur in den Schliesszellen der Spaltöffnungen und in den beiden
schmalen an diese angrenzenden Epidermiszellen fehlen die Sporen immer. Sie liegen
einzeln oder zu 2 bis 3 in einer Zelle; ausser ihnen fand ich in letzterer nach dem
Aufweichen nur spärliche Reste der normalen Inhaltsbestandtheile und wässerige
— 166 —
Flüssigkeit. Die Sporen sind breit eiförmig, '/,, bis %,; Mm. lang und mit einer mässig
dicken. schön braunen nicht geschichteten Membran versehen. Diese umgibt einen
fettglänzenden farblosen Inhalt, der bei den einzelnen Exemplaren, offenbar in Folge des
Trocknens, sehr verschiedene Anordnung zeigte, deren ausführliche Beschreibung zweck-
los wäre. Ob er von einem zarten farblosen Endosporium unmittelbar umgeben wird,
konnte ich nicht sicher entscheiden. Junge Entwickelungszustände der Sporen oder
Myceliumfäden sah ich in den Zellen des Alismablattes nicht. In den Intercellular-
"räumen fand ich niemals die Sporen, dagegen verlaufen in denselben allenthalben ein-
zelne farblose Fäden. offenbare Pilzhyphen von etwa '%o Mm. Dicke. Einen Zusammen-
hang dieser mit den intracellularen Sporen konnte ich nicht auffinden, ob sie demselben
Parasiten. wie diese angehören. bleibt daher zweifelhaft.
Ein ganz sonderbares Gebilde ist Wallroth’s Physoderma pulposum (Taf.
XXVI. Fig. 12). Die Exemplare des Wallroth’schen Herbars bestehen in einigen kleinen
beblätterten Aestchen von Atriplex angustifolia, deren Internodien mit dicken, etwa
1 Mm. grossen schmutzig-braunen Warzen dicht besetzt sind. Aehnliche Warzen
finden sich in geringerer Zahl auf den Blättern. In den am Stengel befindlichen ist
das von der Epidermis überzogene Rindenparenchym von der Bastschichte losgetrennt
und weit abgehoben. der Raum zwischen beiden Theilen wird eingenommen von einem
eigenthümlichen grobmaschigen Netz oder Gerüst. Dieses besteht aus (bis /,, Mm.)
dicken. cylindrischen oder plattgedrückten Fasern, welche in der Weise nach allen
Richtungen hin verzweigt sind und mit einander anastomosiren. dass sie ein Netz mit
unregelmässig vierseitigen Maschen bilden. Die Fasern sind farblos, glänzend. der
Membran stark verdickter Bastfasern einigermassen gleichsehend, nicht geschichtet,
die meisten solide, andere mit einer engen axilen Höhlung versehen. Jod färbt sie
gelblich, in Schwefelsäure quellen sie wenig, Cellulosefärbung zeigten sie nicht. Wo
das Netz an Bast und Rindenparenchym angrenzt, sah ich seine Fasern oft senkrecht
gegen die Oberfläche dieser Gewebsschichten verlaufen, an dieser umbiegen und sich
mit anderen Fasern zu einer Schlinge vereinigen. Hiernach läge also das Fasernetz
als ein in sich abgeschlossener Körper zwischen Bast und Rindenparenchym einge-
schoben. An anderen Stellen schien es mir jedoch, als ob die Fasern dünne, faden-
förmige, reich verzweigte Aeste aussendeten, welche sich zwischen den Gewebselementen
von Bast und Parenchym verbreiten. Dass solche dünne verzweigte Fasern oder
Fäden hier vorhanden sind unterliegt keinem Zweifel; ob sie aber mit dem beschrie-
benen Netze zusammengehören, oder zufällig vorhandene Pilzfäden sind, darüber konnte
ich an dem zu Gebote stehenden Material nicht in’s Klare kommen. Die Lücken des
Fasernetzes sind von freien braunen Zellen angefüllt., welche bis auf Weiteres
Sporen heissen mögen. Es sind kugelige oder breit ovale, %s bis %, Mm. grosse
Zellen mit doppelter Membran, nämlich einer derben hellbraunen Aussenhaut und einer
zärteren in Schwefelsäure stark quellenden Innenhaut. Der Inhalt bestand aus einer
fettglänzenden klumpig geschrumpften Masse.
Die in den Blättern vorhandenen Physoderma-Warzen bestanden aus Anhäufungen
von Sporen, eingeschlossen in Höhlungen des Blattparenchyms und durchsetzt von ein-
zelnen anastomosirenden, denen des beschriebenen Netzes gleichen Fasern.
Ein Zusammenhang zwischen Fasern und Sporen oder Jugendzustände beider
Theile waren nirgends aufzufinden.
6. Zur Systematik.
Ueber die natürliche Verwandtschaft der Protomyces- und Physoderma-Arten und
ihre Stellung im Systeme lässt sich auf Grund der mitgetheilten Resultate noch wenig
Positives sagen.
Berücksichtigt man nur den Bau und die Entwickelung der innerhalb der Nähr-
pflanze vorfindlichen Theile, ohne auf die Keimungserscheinungen Rücksicht zu nehmen,
so ist zunächst einleuchtend, dass Physoderma pulposum mit den übrigen Formen nicht
zusammengehört. Es ist durch das Fasergerüste ein ganz eigenthümliches räthselhaftes
Gebilde, über welches von ferneren Untersuchungen Aufschluss zu erwarten ist.
Von den übrigen fünf Arten stimmen wenigstens die vier lebend untersuchten
durch den Besitz eines freifädigen Myceliums, sowie durch die Entwickelungsweise der
Foripflanzungszellen an diesem überein. Auch in den Wirkungen, welche sie auf die
Theile ihrer Nährpflanze ausüben, findet zwischen den einzelnen Arten eine unver-
kennbare Uebereinstimmung statt. Auf die Verschiedenheiten, welche im Einzelnen
zwischen den Arten stattfinden, braucht nicht besonders aufmerksam gemacht zu werden.
In Beziehung auf die Art ihres Vorkommens sondern sich die untersuchten Species in
zwei Gruppen: die einen, nämlich Pr. maerosporus, endogenus und Ph. Eryngii ent-
wickeln sich nur zwischen den Zellen ihrer Nährpflanze; Pr. Menyanthis, welchem
man Ph. maculare wohl einstweilen anreihen darf, ist ein rein intracellularer Parasit.
Man kann auf Grund dieser Verschiedenheit die beiden bezeichneten Gruppen als
Gatiungen unterscheiden und, wenn man will, die Namen Protomyces und Physoderma
— 168 —
in etwas veränderter Bedeutung zur Bezeichnung derselben anwenden. Natürliche
Genera stellen die beiden Gruppen allerdings schwerlich dar; mir scheinen wenigstens
schon die Verschiedenheiten in der Structur des Myceliums und der Fortpflanzungs-
organe bei den 3 intercellularen Arten hinreichend gross zu sein, um es sehr unwahr-
scheinlich zu machen, dass sie einer natürlichen Gattung angehören; am nächsten
scheinen noch Ph. Eryngii und Pr. macrosporus miteinander verwandt zu sein. Eine
eingehende Discussion über die angedeutete Frage wäre zwecklos. so lange die
Keimungsgeschichte von Pr. endogenus. Eryngii u. s. w. nicht bekannt ist, denn es
wird niemand bestreiten, dass die Haupteigenthümlichkeit des Protomyces macrosporus
in der Keimung 'seiner Sporangien liegt. und dass ein anderer Pilz erst dann. wenn
seine Keimung gleichfalls bekannt ist, mit jenem verglichen werden kann.
Die Stellung im Systeme ist für die meisten Arten aus den gleichen Gründen
wie ihre Verwandtschaft untereinander zur Zeit nicht bestimmbar. Von Protomyces
macrosporus ist aber der ganze Entwickelungsgang ziemlich vollständig bekannt, und
für ihn muss daher gefragt werden, welcher der gegenwärtig bekannten Pilzfamilien
er ein- oder anzureihen ist. Vergleicht man ihn zunächst mit den einfacheren Pilz-
formen, denen er sich durch seine Lebensweise anschliesst. so kann nicht bezweifelt
werden. dass er weder mit den Peronosporeen, an welche zunächst gedacht werden
könnte, noch mit den Ustilagineen, noch mit den Uredineen nähere Verwandtschaft
zeigt; mit den meisten hat er nicht einmal oberflächliche Aehnlichkeit. Auch unter
den nicht parasitischen Fadenpilzen finde ich keinen, dessen Fortpflanzungsorgane den
Sporangien des Protomyces füglich verglichen werden könnten. Diese zeigen dagegen,
wie ich schon bei ihrer Beschreibung angedeutet habe. eine grosse Aehnlichkeit mit
den Sporenschläuchen der Ascomyceten. der Pyreno- und Discomyceten. Sieht man
ab von Verschiedenheiten in der Gestalt und Grösse der Theile, so verhält sich das
Endosporangium nach seinem Austritte aus der umgebenden Aussenhaut im Wesentlichen
ganz wie diejenigen Asci,. in welchen der primäre Zellkern nicht gefunden wird und
die Sporen ohne Zellkerne entstehen. Diese werden aus einem Theile des Protoplasma
gebildet. der zu ihrer Bildung nicht verwendete Rest nach und nach aufgelöst. Die
Ejaculation geschieht im Wesentlichen auf die gleiche Art wie bei den Aseis der
Discomyceten (Peziza, Helvella, Exoascus u. s. w.). In dem einen wie dem anderen
Falle bleibt die Membran des Ascus bis nach der Entleerung von einem Primordial-
schlauch ausgekleide. Dass die grosse Zahl der in einem Schlauch entstehenden
Sporen der Vergleichung nicht im Wege steht, zeigen die sehr zahlreiche kleine Sporen
— 169 —
bildenden Asci mancher Sphaerien und Lichenen. Protomyces macrosporus dürfte hier-
nach den Ascomyceten an die Seite zu stellen sein, als einfachste Ascomycetenform,
von den typischen Schlauchpilzen ausgezeichnet durch den einfachen Bau seines Thallus,
den Mangel eines zusammengesetzten Fruchtlagers oder Fruchtbehälters, und durch die
Eigenthümlichkeit, dass in seinen Ascis die Sporenbildung erst nach vorangegangenem
Ruhezustand und Häutungsprocess stattfindet.
U. Esxoascus Pruni und die Taschen oder Narren
der Pflaumenbäume.
(Tafel XXVI.)
Es gibt wohl wenige Pflanzenmissbildungen, welche häufiger und allgemeiner bekannt
sind. als die mit den Namen Taschen, Schoten, Narren, Hungerzwetschen,
Turcas der Italiener bezeichneten entarteten Pflaumenfrüchte. Dessenungeachtet fehlt
es aber zur Zeit noch sehr an genaueren Untersuchungen über dieselben und an einer
sicher begründeten Erklärung ihrer Entstehung.
Die erste deutliche Beschreibung der genannten Missbildungen findet sich, nach
Treviranus") bei Caesalpin (de plantis II, 15), indem dieser sagt: „Etwas Beson-
deres ist bei der Pflaumenfrucht dieses. dass sie, wenn es während der Blüthe viel
geregnet hat, sich in einen länglichen hohlen Körper verwandelt, den man Turcas nennt.“
Das Nämliche sagt Joachim Camerarius in der 1600 erschienenen Ausgabe des
deutschen Matthiolus (fol. 90 D) von den Früchten der Schlehe. In den mir zu Gebote
stehenden älteren Werken finde ich die Erscheinung nicht erwähnt. Haufig gedenken
ihrer die späteren Autoren; Rud. Jac. Camerarius (Opuscul. ed. Mikan, nach Tre-
viranus) gibt die erste ausführliche Beschreibung, Duhamel (physique des arbres 1,
p- 303 pl. 12, 13) meines Wissens die erste Abbildung. Merkwürdig ist, dass die
Taschen der Pflaumen in neueren Büchern, welche sich mit den Krankheiten und Miss-
17) Treviranus, über die taschenförmige Bildung der Pflaumen. Bot. Zeitg. 1846 p. 641. Einige An-
gaben über die ältere Litteratur entnehme ich diesem gelehrten Gewährsmanne, da mir dieselbe nur mangelhaft
zu Gebote steht.
Abhandl, d. Senekenb. naturf. Ges. Bd. V, 22
bildungen der Pflanzen speciell beschäftigen, entweder gar nicht (Plenck, Physiol. et
Pathol. Plantarum, Wiegmann, Krankheiten etc. der Gewächse) oder nur ganz flüchtig
erwähnt werden (Meyen, Pflanzenpathol., Moquin-Tandon, Pflanzenteratologie, Kühn,
Krankh. d. Culturgew.). —
Die Ansichten, welche über die Ursache der Taschenbildung ausgesprochen worden
sind und unter den Bolanikern wie im Volke herrschen, lassen sich in vier Gruppen
zusammenstellen.
Die ersten setzen den Grund der Erscheinung in die Einwirkung ungünsliger, nasser
oder kalter Witterung auf die Blüthe und junge Frucht der Pflaumenbäume; theils ohne
sich über die Art der Einwirkung bestimmter auszusprechen, wie Caesalpin, Joach.
Camerarius, J. Robb '*); theils indem sie annehmen, dass die nachtheilige Witterung
eine oder die andere bestimmte Störung in dem Ernährungsprocesse verursacht, wie
Dumont Courset und Bose") und Reaumur (Histoire de l’Acad. Royale (paris.)
des sciences 1713, pag. 58 des Amsterdamer Nachdrucks).
Die Vertreter der zweiten Ansicht betrachten zwar auch die oben bezeichneten
ungünstigen Willerungsverhältnisse als die veranlassenden, entfernteren Ursachen der
Taschenbildung, sie präcisiren aber ihre Vorstellung über die Einwirkung derselben dahin,
dass sie annehmen, die Befruchtung der jungen Pistille werde verhindert oder gestört.
Freilich steht dieser Annahme die ailgemein bekannte Erscheinung entgegen, dass die
Blüthen der Pflaumenbäume, deren Pistille nicht befruchtet sind. in der Regel nicht
Taschen bilden, sondern gar nicht wachsen und vom Baume abfallen. Die hierin gelegenen
Bedenken suchen die Autoren auf verschiedene Weise zu beseiligen. Treviranus
(in seiner oben angeführten Arbeit) und H. Schultz”) nehmen an, dass die Pistille,
welche sich zu Taschen umbilden, unbefruchtet bleiben, aber dabei, in Folge der äusse-
ren Einwirkungen, mehr als gewöhnlich ernährt werden; und in wesentlich dem gleichen
Sinne, nur weniger deutlich spricht sich schon Rud. Jac. Camerarius aus, wenn ich
seine von Treviranus eitirten Worte recht verstehe. Andere reden von einer unvoll-
kommenen Befruchtung (z. B. J. L. Christ, Krankheiten der Obstbäume, 84; Pflanzung
und Wartung der Obstbäume, 458). ohne näher anzugeben. was sie darunter verstehen
18) Hooker’s Journ. Bot, III, 99, tab. 4.
19) Nouv. Cours compl. d’Agricult. IV, 124. Beide Angaben nach Treviranus 1. c.
20) Verhandl. d. Vereins z, Bef. d. Gartenbaus in den K. Preuss, Staaten, Bd. 18, p. 402 (1847).
Vergl. auch dieselben Verhandl. Band 19 (1849) p. 40.
a
und ohne von den neuerdings bekannt gewordenen Erscheinungen, welche man so nennen
könnte. Kenntniss zu haben (S. Hildebrand. in Bot. Zeitung 1863. Nro. 44, 45).
Treviranus selbst neigt sich in neuerer Zeit zu dieser Meinung hin (Verhandl. des
naturw. Vereins f. Rheinland u. Westphalen 1862), während er sie in seiner früheren
Arheit verworfen hat. Versuche, durch Beobachtung in dem vorliegenden Falle von
dem Wesen der unvollkommenen Befruchtung eine klare Vorstellung zu erhalten, hat
auch von den Neueren Keiner gemacht.
Ray (Hist. plant. II, 1528 nach Trevir.) ist der Anführer von den Vertretern der
dritten Ansicht. welche die Taschen für Erzeugnisse des Stiches von Rüsselkäfern,
Aphiden oder nicht näher bezeichneten Insecten, also für eine Art Gallen hält; eine
Meinung, welche, trotz des bestimmten Widerspruches sorgfältiger Beobachter, wie
Treviranus, Schultz und schon R. J. Camerarius, gegenwärtig unter den Gelehr-
ten noch ihre Anhänger besitzt, wie das Referat in der Botan. Zeitung 1861, p. 224
zeigt, und unter den Laien wohl die vorherrschende sein dürfte”).
Viertens endlich hat L. Fuckel auf den Pflaumentaschen die Fructificationsorgane
eines Pilzes, Exoaseus Pruni Fuckel, der von Keinem vorher beschrieben worden
war, entdeckt, und betrachtet diesen als den Erzeuger der Missbildung. Er gibt in
seiner Enumeratio fungorum Nassoviae (Wiesb. 1861, p 29) eine kurze Beschreibung
und Abbildungen besagter Organe. und sagt von denselben, welche ihm den ganzen
Pilz darstellen: Epidermidem Pruni domesticae et P. spinosae fructuum immaturorum
densissine obducens frequentissime, Vere. Fruetus immaturi per hunc fungulum mon-
stroso - inerassati vulgo Narren, Schoten, Taschen nominantur.
Bei der ausserordentlichen Häufigkeit, in welcher dıe Taschen soviel ich mich
erinnere alljährlich vorkommen, und bei den wunderlichen Eigenthümlichkeiten, durch
welche sie selbst dem Laien auffallen müssen, schien es mir wünschenswerth zu ent-
scheiden. welche von den divergirenden Ansichten über ihre Entstehung die richtige
sei. Die Resultate, welche die zu diesem Zwecke unternommenen Untersuchungen bis
jetzt geliefert haben, sollen in Folgendem mitgetheilt werden.
Ich habe die Taschen beobachtet an der Zwetsche (Prunus domestica), der Schlehe
(Prunus spinosa) und am häufigsten an der Ahlkirsche (Pr. Padus). Die wilde oder
verwilderte Prunus insititia und die runde Damascener Pflaume hatte ich nicht Gelegenheit
21) S. z.B. F. Stieber, Erfahrungen über die sog. Taschen der Pflaumen. Verhandl. d, Ver. z, Def. Gartenb.
i, d. Preuss. Staaten, Bd. 18, p. 45.
22%
— 172° —
zu beobachten; an den beiden hier vorzugsweise cultivirten Pflaumensorten, der Reine-
claude und Mirabelle sind mir niemals Taschen vorgekommen, obgleich ich mehrere
Jahre aufmerksam danach suchte, und hiermit stimmen die Erfahrungen der Gärtner,
welche mir mitgetheilt worden sind, überein. Dass jedoch die in Rede stehende Miss-
bildung an der Mirabelle zuweilen gefunden wird, ist nach der bestimmten Versicherung
von Duhamel nicht zu bezweifeln. An den Kirschenbäumen habe ich die Taschen nie
finden können und es ist mir auch ausser einer zweifelhaften Notiz, welche Treviranus
anführt, nicht bekannt, dass sie von Anderen daselbst gesehen worden wären.
Die Taschen erscheinen in hiesiger Gegend an den drei genannten Bäumen An-
fangs Mai oder schon Ende April. Was ihr äusseres Ansehen betrifft, so zeichnen
sie sich von den ihnen gleichalten gesunden Früchtchen durch viel beträchtlichere Grösse
aus, indem sie doppelt bis 5mal so lang und auch breiter werden als diese, und durch
eigenthümliche sehr mannigfache Gestalten. Bei der Zwetsche und nach Duhamel’s
Abbildung auch bei der Mirabelle sind sie langgestreckt, bis 5 Cm. lang, nach Tre-
viranus selbst fingerslang, oben meist breiter als unten, stumpf. mehr oder minder
zusammengedrückt,. so dass sie einer Erbsenschote verglichen werden konnten, und
dabei meistens in verschiedener Weise gekrümmt. Bei Prunus spinosa sind sie kleiner
(bis 2 und 2% Cm. lang). jedoch im Verhältniss zur Grösse der normalen Frucht
meist ebensostark ausgedehnt wie bei der Zwetsche, und von den mannigfaltigsten
Formen: schmal und langgestreckt oder rundlich; spitz, zugespitzt oder stumpf; zu-
sammengedrückt oder aufgeblasen, fast gerade oder krumm und verdreht. Bei Prunus
Padus endlich sind die Taschen seltener rundlich und stumpf, die meisten länglich oder
spindelförmig, oft zugespitzt,. in verschiedenem Grade zusammengedrückt,. mehr oder
minder hornförmig gekrümmt; der Griffel bleibt auf ihnen oft stehen, während er bei
den Zwetschen- und Schlehentaschen abgefallen ist.
Bei allen drei Species sind die Taschen von den gesunden jungen Früchtchen zuerst
durch bleiche gelblichgrüne, oder manchmal röthliche Färbung ausgezeichnet, welche
letztere von Erythrophyli in den Epidermiszellen herrührt. Ihre Oberfläche ist durch
zahlreiche flache unregelmässige Runzeln und Wärzchen uneben, auf den einzelnen Er-
habenheiten oder Vertiefungen aber glatt und glänzend. Später tritt auf der ganzen
Oberfläche ein sehr zarter glanzloser Ueberzug auf, einem Reif oder sehr feinen
sammetartigen Flaum gleichsehend, erst weiss, dann matt ockergelb. Zuletzt erhält die
Oberfläche braune Flecke, Schimmelrasen erscheinen, die Tasche schrumpft, wird
missfarbig und fällt dann früher oder später vom Baume ab.
— 19 —
Was das Innere der Taschen betrifft, so ist allgemein bekannt, dass ihre im Ver-
hältniss zum Umfang dünne Wand eine geräumige lufterfüllte Höhlung umschliesst, in
deren oberem Theil die mehr oder minder entwickelten Ovula der Wand ansitzen.
Eine genauere Beschreibung des Baues wird sich am besten in Verbindung mit der
Entwickelungsgeschichte geben lassen.
Bevor ich zur Darstellung dieser übergehe, will ich vorausschicken, dass ich, über-
einslimmend mit Treviraus, an Hunderten von Taschen kaum einmal eine Spur eines
Insectenstiches wahrgenommen habe. Die von mir genauer beobachteten Stöcke von
Pr. domestica und spinosa waren zur Zeit der Taschenbildung auch von Blattläusen frei;
auf den untersuchten Bäumen von Pr. Padus, welche Species ein so beliebter Aufent-
haltsort von dergleichen Gethier ist, war zwar im Jahr 1862 eine zahlreiche Bevölkerung
von Aphiden und Insectenlarven, 1863 fehlte diese aber auf den meisten gänzlich,
wenigstens zu der Zeit, welche hier in Betracht kömmt.
Die Entwickelung der Taschen geschieht, soweit ich sie verfolgen konnte, bei
Pr. domestiea und spinosa auf die nämliche Weise; bei Pr. Padus zeigt sie in einzelnen
Punkten besondere Eigenthümlichkeiten.
Zuerst soll von den beiden ersigenannten Arten die Rede sein. An den Bäumen
resp. Sträuchern, welche später Taschen trugen, konnte ich zur Blüthezeit keine Ver-
schiedenheiten oder krankhafte””) Abnormiläten an den Blüthen finden, obgleich ich auf-
merksam danach suchte und besonders sechs junge reichblühende Zwetschenbäume immer
!m Auge behielt. Auch nach dem Abblühen sind die stehen gebliebenen jungen Frücht-
chen zunächst alle gleich und anscheinend gesund. Erst einige Zeit — bei den 1863
untersuchten Zwetschen 14 Tage, bei den Schlehen etwa 4 Wochen — nach dem
Abblühen treten die ersten Anfänge der Taschenbildung auf und zwar plötzlich, von
einem Tage zum anderen. Einzelne Früchtehen erscheinen bleicher gefärbt als die
übrigen, zuerst kaum, sehr bald aber deutlich vergrössert und die ersten Anfänge der
Krümmung zeigend. In den nächstfolgenden Tagen vermehrt sich die Zahl der ent-
artenden Früchtchen, in späterer Zeit nicht mehr. Alle Taschen eines Baumes haben
daher immer nahezu die gleiche Ausbildung. Hat die Entartung einer Frucht einmal
22) Ich sehe hier ab von den durch Vermehrung der normalen Blüthentheile bedingten Anomalien, welche
ich gerade an den beobachteten Schlehenbüschen sehr häufig fand, indem die Blüthen derselben sehr oft zwei
und drei Fruchtknoten enthielten; eine Erscheinung, die ja für die Amygdaleen überhaupt längst bekannt ist,
(S. z. B. Moquin-Tandon, Teratologie, übers. v. Schauer 327, 28.)
begonnen. so wächst diese sehr rasch zu der oben beschriebenen Form und Grösse
heran. Ich beobachtete Zwetschentaschen. welche in 2 Tagen aufs Doppelte ihrer
ursprünglichen Länge gewachsen waren, und obgleich ich keine genauen Messungen
an einzelnen Exemplaren durchgeführt habe. glaube ich nicht zu irren, wenn ich anzebe,
dass die Taschen etwa S Tage nach dem ersten sichtbaren Anfange der Entartung ihre
volle Grösse erreicht haben. Den Fruchtstiel fand ich fast immer von durchaus normaler
Beschaffenheit. nur einzelne Male bei der Schlehe dicht unter der Tasche unbedeutend
angeschwollen.
Um die Structurveränderungen, welche die zu Taschen auswachsenden Früchtchen
erleiden. zu beurtheiten, ist es nothwendig zuvor den Bau, welchen die normalen Früchte
zur Zeit der Taschenbildung zeigen, kurz zu betrachten. Dieselben sind bei der Schlehe
durchschnittlich gegen 4 Mm., bei der Zwetsche etwa 10 Mm. lang, dunkelgrün gefärbt.
Die Fruchtwand besteht schon in diesem Entwickelungsstadium aus zwei scharf von
einander abgesetzten Schichten: einer inneren, welche aus zahlreichen Lagen kleiner,
zartwandiger, isodiamelrischer Zellen besteht und später zum Stein wird: und einer viel
dickeren äusseren, die von sehr grosszelligem durchscheinendem Parenchym gebildet und
von zahlreichen Gefässbündeln durchzogen wird vnd sich später zu dem fleischigen Epi-
carp entwickelt. Die Oberfläche der Frucht wird von einer mit spärlichen grossen
Spaltöffnungen versehenen Epidermis überzogen. die Innenfläche der Fruchtwand von
einer ziemlich derbwandigen spaltöffnungsfreien Oberhaut. Die Fruchthöhle wird voll-
kommen ausgefüllt von dem einen zum Samen reifenden Ovulum, neben dessen Anhef-
tungsstelle das zweite, in der Regel abortirende in Form eines kleinen Knötchens sitzt.
Von dem Ausnahmsfalle, in welchem sich beide Ovula ausbilden, brauche ich hier nicht
zu reden, zumal da ich ihn bei Taschen nie gefunden habe. Die Structur des Eies
kann wohl als bekannt vorausgesetzt werden. Ich bemerke daher nur noch, dass ich
in Folgendem das Ovulum, welches nach dem Verblühen sich zum Samen auszubilden
beginnt. im Gegensatz zu dem aborlirenden das fruchtbare nennen werde.
Bei den Taschen hat die Wand in vielen Fällen die Dieke normaler gleichaltriger
Fruchtwände, nicht selten wird sie ein wenig dicker. oft auch dünner als diese. Die
fruchtbaren Ovula wachsen dabei nicht viel mehr oder selbst weniger als in gesunden
Früchten, bei der beträchtlichen Vergrösserung des Umfangs wird daher die Fruchthöhle
stark erweitert und grösstentheils leer. d. h. von Luft erfüllt. Durchschnitte durch die
Wand der Taschen zeigen eine von der normalen Fruchtwand wesentlich verschiedene
Structur. Die scharfe Abgrenzung des Steins und des fleischigen Epicarps fehlt; die
— 195 —
innersten Parenchymlagen sind zwar denen gesunder gleichalter Früchtchen sehr ähnlich,
gehen aber ganz allmählich in die grosszelligeren äusseren über. Die Zellen selbst, aus
welchen die letzteren bestehen, sind zwar an Grösse ziemlich ungleich, der Mehrzahl
nach aber bedeutend kleiner als die des normalen Epicarpiums, ihre Gestalt ist von der
der letztgenannten nicht erheblich verschieden. Die Epidermis der Taschen besteht, so-
weit meine Untersuchungen reichen, aus (in der Richtung der Oberfläche) kleineren und
merklich zartwandigeren Zellen als die der gesunden Früchte. Aus allen diesen Daten
geht hervor, dass das Wachsthum der Taschen durch eine lebhafte Zellvermehrung,
nicht durch Ausdehnung der vorhandenen Zellen stattfindet. Ob in den Taschen die Zahl
der Gefässbündel von der normalen abweicht, habe ich nicht genauer untersucht; in
ihrem Bau habe ich keine Besonderheiten gefunden ausser den weiter unten zu er-
wähnenden.
Wie schon von Früheren beschrieben worden ist, entartet die Fruchtwand manch-
mal nur theilweise und behält an einzelnen meist kleinen Stellen ihre normale Structur
und Farbe.
Das fruchtbare Ovulum fand ich einige Male auch in den jugendlichen Taschen klein
und unregelmässig geschrumpft, so dass über seinen Bau kein genügender Aufschluss
zu erhalten war. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist dasselbe dagegen den
in gleichalten normalen Früchten enthaltenen an Grösse und Farbe gleich, oft selbst
grösser, und von diesen nur der Form nach verschieden, insofern es der Gestalt der
ganzen Tasche entsprechend in die Länge gestreckt, gekrümmt auf seiner Oberfläche
mit vorspringenden Riefen und Runzeln versehen erscheint. Seine Structur ist von der
normalen nicht wesentlich verschieden; insbesondere gilt dieses von dem Eikern, der
in beiden Fällen das gleiche grosszellige durchsichtige Gewebe und in dessen Mitte den
langgestreckten eylindrischen Keimsack zeigt. Letzterer enthielt bei allen Taschen, welche
ich genauer darauf untersucht habe. in seinem Micropyleende eine durchaus normal
entwickelte, ofi schon sehr grosse und vielzellige kugelige Embryoanlage.
Untersucht man die Taschen so lange sie auf ihrer Oberfläche den feinen Reif
oder Flaum noch nicht zeigen, so scheint es auf den ersten Bliek, als ob die eben
beschriebenen Eigenthümlichkeiten die einzigen seien, durch welche sie sich von gesunden
Früchten gleichen Alters unterscheiden. Man hat dabei aber das Wesentlichste übersehen.
Denn schon in den allerjüngsten Exemplaren, bei welchen die beginnende Degeneration
durch bleichere Färbung eben angezeigt wird, findet man in den Gefässbündeln, und
zwar zwischen ihren zartwandigen Elementen, den Leitzellen (Sachs) oder den Elementen
— 116 —
des Weichbastes (Nägeli) das Mycelium des Exoascus Pruni Fuckel. Dieses besteht
aus farblosen durchscheinenden Fäden, welche so dick oder dünner als die Leitzellen
und durch zahlreiche Querwände in Glieder getheilt sind, deren Länge den Querdurch-
messer zwei- bis vielmal übertrifft (Fig. 15). Die Fäden sind verzweigt, und ihre
Ramificationen laufen meistens der Länge des Gefässbündels nach, selten quer durch
dasselbe. Ihre Seitenwand ist sehr zart, nur durch eine einfache Umrisslinie angedeutet,
die Querwände dagegen verhältnissmässig dick, doppelt contourirt, glänzend. Hierdurch
erhält das Mycelium ein eigenthümliches characteristisches Ansehen. Kennt man es ein-
mal, so findet man es leicht wieder, besonders da seine Auffindung durch sein Verhalten
zu (mässig concentrirter) Kalilösung sehr erleichtert wird. Bringt man solche zu den
Präparaten, so werden Weichbast und Parenchym bis zum Unkenntlichwerden ihrer
Zellen durchsichtig; die Myceliumfäden bleiben dagegen ganz unverändert und liegen
nun wie freipräparirt in der durchscheinenden Masse. Mit Hülfe der Kalilösung überzeugt
man sich leicht, dass das Mycelium auch in den bezeichneten jüngsten Taschen meist in
allen Gefässbündeln der Wand, am reichlichsten in den Bündeln der Bauchnaht enthalten
ist, und dass es dieselben — wenigstens in den von mir untersuchten Fällen — ihrer
ganzen Länge nach, von der Basis bis zur Spitze der Frucht durchsetzt, auch schon
sehr frühe in die Rhaphe des fruchtbaren Ovulum eintritt. Von der Basis der jungen
Tasche aus konnte ich das Mycelium immer durch die ganze Länge des Fruchtstiels,
der, wie oben gesagt wurde, sonst ganz normal beschaffen ist, und mehrmals, jedoch
nicht immer, einige Millimeter weit in den Bast des vorjährigen Zweiges verfolgen,
welcher die Tasche trug. In dem Stiel und dem Tragzweige findet sich das Mycelium
ausschliesslich und zu allen Zeiten nur in dem Weichbaste. In der Tasche selbst ist dies
zuerst auch der Fall. Sobald dieselbe aber grösser geworden ist, treibt das Mycelium
zahlreiche Zweige, welche aus dem Baste in das Parenchym der Fruchtwand treten,
sich hier überaus reich verästeln und allenihalben zwischen die Zellen eindrängen.
Bringt man Durchschnitte in Kalilösung, so tritt meist ein zierliches zwischen den Zellen
verbreitetes Myceliumnetz hervor (Fig. 4, 5). Die Fäden desselben sind durehschnitt-
lich dünner als ihre in den Gefässbündeln verlaufenden Hauptstämme, sonst diesen gleich
gebaut. Die Ausbreitung des Myceliums in dem Parenchym beginnt an der Basis der
Tasche und schreitet von hier aus rasch gegen die Spitze fort. Ist jene zu ihrer vollen
Grösse herangewachsen, so ist meist das ganze Parenchym von dem Mycelium durch-
wuchert, bis unmittelber unter die Epidermis. Zuletzt treiben die unter der Oberhaut
laufenden Fäden, ziemlich gleichzeitig an der ganzen Tasche, zahlreiche Zweige, welche
— 17 —
zwischen die Zellen der Oberhaut, und zwar meist senkrecht gegen die Aussenfläche
dringen, an letzterer rechtwinklig umbiegen und nun über die Aussenwände der Epi-
dermiszellen hin wachsen, diesenf est angedrückt, und nur in einer Fläche ausgebreitet
und verzweigt. Die Cutieula, von welcher die Epidermis überzogen ist, wird hierbei
von den Zellwänden abgehoben, die Fäden drängen sich zwischen diese und die Cuti-
eula ein und bleiben von letzterer bedeckt”) (Fig. 1, 4, 5). Die Fäden verzweigen
sich nun sofort sehr reichlich und ihre Zweige laufen zunächst grösstentheils über die
äusseren Kanten, seltener quer über die Aussenfläche der Epidermiszellen (Fig. 1).
Daher stossen die Zweige benachbarter Fäden bald vielfach aneinander, ohne dass je
einer quer über den andern hinauswächst, und wenn man die Epidermis von aussen
betrachtet, so erscheint dieselbe überall von einem Netze von Pilzfäden übersponnen,
dessen Maschen die von den äusseren Kanten der Epidermiszellen gebildeten an vielen
Stellen decken (Fig. 1). Mit der weiteren Entwickelung werden die quer über
die Aussenwände laufenden Myceliumzweige zahlreicher, die Maschen des Pilznetzes
daher immer enger und unregelmässiger (Fig. 2).
Die Fäden des beschriebenen Netzes sind anfänglich den zwischen den Parenchym-
zellen verlaufenden vollkommen gleich, schmal, aus Gliedern zusammengesetzt, welche
zwei- bis vielmal so lang als breit sind (Fig. 1). Mit der Vermehrung der Zweige
treten in ihren Gliedern allenthajben immer zahlreichere Querwände auf, bis die Fäden
zuletzt nur aus Zellen bestehen, welche ein- bis zweimal so lang als breit sind (Fig. 2).
Nun hört die Verzweigung der Fäden auf; alle Glieder derselben dehnen sich gleich-
zeitig nach allen Seiten hin aus bis sie mit sämmtlichen rings um sie liegenden zu-
sammenstossen, sie erhalten dabei rundlich-eylindrische Form, ihre Berührungsflächen
werden mehr oder minder abgeplattet (Fig. 3). Die Oberfläche der Tasche ist somit
schliesslich von einer fast ununterbrochenen, zwischen Epidermis und Cutlicula einge-
schobenen Schichte rundlicher Zellen, welche bedeutend kleiner sind als die Epidermis-
zellen selbst, überzogen. Nur die Spaltöffnungen werden sorgfältig frei gelassen, die
Pilzfäden wachsen nie über den Rand der Schliesszellen hinaus, rings um jede der meist
weit offenen Spalten bleibt in dem Pilzüberzug eine Lücke (Fig. 2, 3).
23) Exoascus Pruni ist keineswegs der einzige Schmarotzerpilz, welcher sich zwischen Epidermis und Cuti-
eula eindrängt, um hier seine Fructificalionsorgane auszubilden. Die Spermogonien mancher Uredineen (z. B,
Puceinia Anemones, Caeoma minialum), aber auch die dieken Fruchtlager von Rhylisma Andromedae u. a. m.
bilden sich gleichfalls zwischen Oberhaut und Cuticula aus.
Abhandl d. Senekenb,. naturf. Ges. Bd. V, 23
- 18 —
Die rundzellige Schicht ist die Anlage des Hymenium des Exoascus. Alle ihre
Zellen strecken sich rasch senkrecht zur Fruchtoberfläche, so dass sie die Gestalt von
Cylindern erhalten, welche etwa doppelt so lang als breit sind, und werden dabei von
farblosem feinkörnigem Protoplasma vollständig erfüllt (Fig. 6, 7). Ihre äusseren kaum
gewölbten Endflächen bleiben zunächst von der Cuticula überzogen. Endlich streckt sich
jede der ceylindrischen Zellen zu einem Schlauche, der drei- bis viermal so lang als
die Zelle vorher war, aus cylindrischer Basis nach oben keulenförmig verbreitert
und am oberen Ende plötzlich breit abgerundet oder fast abgestutzt ist (Fig. 6, 7).
Mit dem Beginn dieser Streckung wird die Cuticula über dem Scheitel des Schlauches
durchbrochen (Fig. 6a). Das Protoplasma rückt während der Streckung in die obere
Partie des Schlauches; das untere Ende dieses erscheint bald wasserhell und wird schon vor
beendigtem Längenwachsthum des Ganzen von dem oberen Theile durch eine Quer wand
abgegrenzt, welche dicht unter der Durchbrechungsstelle der Cutieula liegt. Hiermit
wird aus jeder Zelle der Hymeniumanlage ein zweizelliger Körper, bestehend aus einem
keulenförmigen protoplasmareichen Schlauche, dem sporenbildenden Schlauche oder
Ascus, und einer diesen tragenden kurzen wasserhellen Stielzelle (Fig. 7, 8).
Letztere verändert sich nicht weiter; sie bleibt an ihrer Ursprungsstelle sitzen und
mit dem Ascus in fester Verbindung. Die Aseci sind, wenn sie ihr Längenwachsthum
vollendet haben, mit einer farblosen dünnen, einfachen Membran versehen, selten von
Protoplasma völlig erfüllt, meistens ist dieses nur in dem oberen Ende oder in de,
Mitte des Ascus zu einer dichten Querzone von etwa der halben Höhe des Schlauches
angesammelt, während letzterer im übrigen nur wässerige Flüssigkeit und einen dünnen
feinkörnigen Wandüberzug, Primordialschlauch, enthält. Feine Protoplasmafäden sieht
man nicht selten von der dichteren Masse aus gegen oder über den Primordialschlauch
verlaufen (Fig. 7, 8a, b). Zellkerne konnte ich in den Aseis zu keiner Zeit finden.
In einem jeden Schlauche entstehen nun S (sehr selten fand ich 7 oder 9) Sporen in
der Weise, welche für andere Ascomyceten, zumal Discomyceten bekannt ist”). Die-
selben erscheinen gleichzeitig, zuerst als 8 zartumschriebene rundliche Körper innerhalb
der zu ihrer Anlegung nur theilweise verbrauchten Protoplasmamasse (Fig. 7. 8e).
Diese wird gleich den Sporen durch Jod immer gelb bis gelbbraun, nie rolhbraun gefärbt.
Sie verschwindet alsbald in gleichem Maasse wie die Sporen weiler ausgebildet, d. h.
wenig erösser aber schärfer und dunkler contourirt werden. Bald ist innerhalb der
21) Vergl. meine Arbeit über die Fruchtentwickelung der Ascomyceten, Leipz. 1863.
— 19 —
Ascusmembran nur noch der Primordialschlauch, die Sporen selbst und ganz spärliche
Protoplasmareste um diese übrig. die Hauptmasse ihres Inhalts wird von wässeriger
Flüssigkeit gebildet (Fig. 8d, f, 9); zuletzt werden die Sporen aus der geöffneten
Spitze des Schlauches hervorgeschleudert.
Bevor ich jedoch zur Beschreibung der reifen Sporen übergehe, ist es nothwendig,
das Verhalten der Pflanzentheile und Pflanzen vollständig zu betrachten, welche von
dem Pilze, auf dessen Entwickelungsgeschichte die Untersuchung geführt hat, bewohnt
werden. Ich kehre daher zunächst zu den Taschen zurück.
Das Hervorbrechen der Asci aus der Cuticula wird dem blossen Auge dadurch
angezeigt, dass auf der bisher gelbgrünen glänzenden Oberfläche der Tasche der mehr-
erwähnte mattweisse Anflug oder Reif erscheint. Derselbe pflegt ziemlich gleichzeitig
auf der ganzen Oberfläche aufzutreten. Es entwickeln sich jedoch auf dieser nicht alle
Asei zu gleicher Zeit, sondern zunächst immer einzelne auf der ganzen Tasche zwischen
anderen noch minder entwickelten zerstreute; letztere folgen dann später nach, und es
dauert mehrere Tage bis alle Schläuche des Hymenium ihre Sporen gebildet und entleert
haben. Je mehr das Hymenium reift, desto mehr geht seine weisse Farbe in ein blasses
schmutziges Ockergelb über, woraus zu schliessen ist, dass letzteres die Farbe der
Sporen darstellt. Mit der völligen Reife des Hymeniums wird die Tasche welk. schlaff
und alsbald von verschiedenerlei Schimmelpilzen oceupirt, unter deren Einfluss sie sich
rasch zersetzt und gewöhnlich vertrocknet. In ihrem Gewebe finden von dem Zeit-
punkt, wo sie ihre Ausdehnung vollendet hat, keine nennenswerthen Aenderungen
mehr statt.
Auf der Innenseite der Fruchtwand fand ich bei den Schlehen- und Zweischen-
taschen das Hymenium des Exoascus niemals, wohl aber immer auf der Oberfläche des
fruchtbaren Eies. Zur Zeit, wo das Hymenium auf der Aussenseite der Tasche ent-
wickelt ist, findet man das Mycelium in dem Integument des Ovulum verbreitet, und auf
dessen Oberfläche zwischen Epithelium und Cuticula seine Fructificationsorgane in der
beschriebenen Weise entwickelnd. Letztere bedecken entweder die ganze Oberfläche
des Eies gleichmässig oder kommen nur an einzelnen Stellen derselben gruppen- oder
büschelweise zur Ausbildung. Mit der Reife der Sporen schrumpft das Ovulum zusammen,
oft schon bevor das Gleiche an der Wand der Tasche eintritt.
Was die Menge der Taschen. welche auf einem Baume oder Strauche entstehen,
betrifft, so ist dieselbe sehr verschieden. In den von mir beobachteten Fällen war ihre
Zahl im Verhältniss zu den nicht entartenden, normal reifenden Früchten immer gering.
23%
= 180 —
Ihre Vertheilung an den Zweigen und Aesten ist durchaus regellos, sehr oft stehen
Taschen und gesunde Früchte an einem und demselben Aestchen dicht neben einander.
An Prunus Padus sind die Erscheinungen bei der Taschenbildung in einigen, aller-
dings nicht den wesentlichsten Punkten von den beschriebenen verschieden. Soweit ich es
bestimmen ‚konnte immer, jedenfalls in sehr vielen Fällen ist hier die Entartung des
Fruchtknotens schon vor dem Aufblühen zu bemerken. Wenn die Blüthe sich zu öffnen
beginnt, erscheint er als ein schmal länglicher Körper, mit hornförmig gebogenen Griffel
versehen und bleicher gefärbt als im gesunden Zustand. Während des Blühens und
unmittelbar nachher streckt er sich rasch bis zu der drei- und vierfachen Länge normaler
gleichaltriger Fruchtknoten. Die Kelchröhre behält hierbei manchmal ihre normale
Beschaffenheit, sie ist dünn, krautartig, aussen lebhaft grün, kurz-glockenförmig und am
Schlunde 3% bis 4 Mm. weit. In der Mehrzahl der Fälle nimmt sie aber an der Ent-
artung Theil, gewöhnlich ganz, zuweilen nur auf einer Seite. Sie schwillt zu einem
fleischigen bleichen Körper an von der Gestalt einer flachen Schale oder krümmt ihre
Ränder zurück, so dass die Innenseite convex wird, wobei sie meistens vom Rande
aus radiale Risse erhält. Ihr Breitedurchmesser steigt bis auf 12 Mm. Besonders ihre
auch im normalen Zustand wollig behaarte Innenfläche schwillt dabei wulstig an. Wo
die Kelchröhre degenerirt fand ich immer auch die ihr aufsitzenden Staubfäden stark
angeschwollen, entweder nur an ihrer Basis oder bis dicht unter die Antheren. Die übrigen
Blüthentheile nehmen, soweit meine Beobachtungen reichen, an der Entartung keinen
Theil. Die 5 Zähne eines angeschwollenen Kelches bleiben dünnhäutig und vertrocknen
bald nach dem Aufblühen. Die Petala fand ich manchmal beim Aufblühen grünlich
gefärbt, sonst frisch, oft vertrocknen sie schon vor oder während dem Aufblühen und
nehmen braune Farbe an, nicht selten zeigen sie aber auch in sehr stark degenerirten
Blumen schneeweisse Farbe und ein in jeder Beziehung normales Verhalten. Die von
den angeschwollenen Staubfäden getragenen Antheren sind anfänglich immer von nor-
malem Bau und enthalten anscheinend gesunden Pollen, werden aber sehr bald braun
und vertrocknen. Das Blüthenstielchen, welches den entarteten Kelch trägt, bleibt
entweder den normalen gleich, oft ist es aber auch, dem Kelche und Fruchtknoten ähn-
lich, fleischig angeschwollen und bleich oder durch Erythrophyli röthlich gefärbt. Die
gemeinsame Achse des ganzen traubigen Blüthenstandes endlich zeigt oft durchaus nor-
male Beschaffenheit, auch wenn die Blüthenstielchen geschwollen sind; nicht selten
erstreckt sich aber die Entartung auch auf sie, sie ist ihrer ganzen Länge nach oder
nur in ihrem oberen Theile gleich den Blüthenstielchen angeschwollen und bleich,
— 1831 —
oft sechs-- bis siebenmal dicker als im normalen Zustande, und dabei meistens stark
verkrümmt.
Die Anschwellung der genannten Theile rührt, wie bei den Zwetschen- und
Schlehentaschen, zunächst von einer abnormen Vermehrung des Parenchyms her, und bei
genauerer Untersuchung findet man in ihnen das Mycelium das Exoascus. Dieses verhält
und verbreitet sich hier gerade so, wie es oben für die Taschen von Prunus spinosa
und domestica beschrieben wurde und bildet in der nämlichen Weise wie dort sein
Hymenium auf der Oberfläche der geschwollenen Theile. An den Kelchen und Staub-
fäden ist das Hymenium viel früher reif als auf den Früchten, so dass jene Theile
abgewelkt und vertrocknet sind, wenn der Pilz auf letzteren die Höhe seiner Ent-
wickelung erreicht. In der entarteten Frucht selbst findet nur insofern eine wesentliche
Verschiedenheit von Pr. domestica und spinosa statt, als sich bei Pr. Padus nicht nur
auf der Aussenfläche, sondern auch auf der ganzen Innenfläche der Wand das Exoascus-
Hymenium entwickelt. Die Oberfläche des fruchtbaren Eies ist von dem letzteren ebenso
wie bei den zwei anderen Arten überzogen, das Integument vom Mycelium durch-
wuchert, welches auch auf der Innenseite dieses Organs ein Hymenium erzeugt. In
dem hyalinen Gewebe des Eikerns fand ich das Mycelium bei Pr. Padus ebensowenig
wie bei Pr. spinosa und domeslica, aber auf der Oberfläche des Kerns verbreiten sich
oft Myceliumfäden von der Chalaza aus und entwickeln sich wie oben beschrieben
wurde, nur dass sie sich spärlicher verzweigen und daher keinen dichten Ueberzug
bilden. Ihre einzelnen Glieder nehmen zuletzt blasige Form an und einzelne derselben
bilden Asci, welche jedoch oft unfruchtbar bleiben (Fig. 14). Einen Embryo habe ich
in den befallenen Ovulis von Pr. Padus nicht gefunden, jedoch auch nicht viel danach
gesucht. Ziemlich oft fand ich dagegen kein Ovulum, welches den Namen des frucht-
baren mit Recht hätte führen können, vielmehr beide Eier als kleine, gleichgrosse
geschrumpfte Knöpfehen der Fruchtwand ansitzend. Es scheint hiernach, als ob in den
Taschen von Prunus Padus jedenfalls häufig beide Eier unbefruchtet blieben, was bei dem
frühzeitigen Anfang der Taschenbildung von vornherein wahrscheinlich und durch den-
selben hinreichend erklärt is. Was die Verbreitung des Myceliums in den nicht ange-
schwollenen Organen der Ahlkirsche betrifft, so habe ich dasselbe in dem Weichbaste
normaler taschentragender Blüthenstielchen immer bis zu ihrer Basis verfolgen können,
niemals aber in die Hauptachse der Traube, soweit diese nicht selbst angeschwollen war,
und ebensowenig in die Rinde der vorjährigen Zweige, welche die degenerirten Trauben
trugen. Hinsichtlich der Vertheilung und Häufigkeit der degenerirten Theile in einer
— 132 0 —
Traube, an einem Zweig und dem ganzen Baum kommen fast alle erdenkbaren Fälle
vor. Ich will mit ihrer Aufzählung den Leser nicht ermüden und nur bemerken, dass
meistens, aber keineswegs immer in dem Gipfel der Traube mehr und stärker entartete
Theile vorkommen als an der Basis; und dass mir nur solche Fälle nicht vorgekommen
sind, in welchen die Hauptachse unten entartet und oben gesund, oder alle Blüthen einer
Traube entartet, oder endlich der Kelch einer Blüthe degenerirt, die Frucht aber gesund
gewesen wäre. Nur zwei von den genauer untersuchten Fällen mögen hier als Bei-
spiele angeführt werden.
1. Traube mit 29 Blüthen. Hauptachse der ganzen Länge nach angeschwollen,
unten zweimal, oben fast siebenmal so dick wie im normalen Zustand, hornförmig
gekrümmt. Blüthe 1 — 8: sammt ihren Stielchen ganz normal. Blüthe 9: Stielchen an
der Basis stark angeschwollen, Kelch, Petala, Stamina ganz normal, Pistill degenerirt.
Blüthe 10— 12: Stiel, Kelch, Staubfäden und Fruchtknoten degenerirt, Petala normal,
schneeweiss. Blüthe 13— 29: Alle ebenso wie 10 — 12, aber Petala braun, ver-
trocknet, ebenso der gestreckte hornförmige Fruchtknoten.
2. Traube mit 24 Blüthen. Hauptachse unten normal, oben degenerirt. Blüthe
1, 3, 4, 7 bis 15, 17, 18, 20 ganz gesund und normal; in Blüthe 2, 5, 6, 16, 19,
21 bis 24 Kelch und Fruchtknoten degenerirt””).
Auch an solchen Trauben, wo die Mehrzahl der Blüthen entartet ist, können die
gesund gebliebenen normale Früchte entwickeln, sobald die Hauptachse nicht degenerirt
ist; an entarteten Hauptachsen habe ich keine gesunden Früchte beobachtet.
Die Blüthentheile und ihre Träger, von welchen bisher allein die Rede war, sind
keineswegs immer die einzigen Organe, welche von dem Exoascus bewohnt werden.
Bei der Zwetsche habe ich denselben bis jetzt allerdings nur auf den Früchten gefunden.
Bei Pr. spinosa und Padus beobachtet man ihn aber zur Zeit, wo die Taschen sich
bilden, nicht selten auf jungen diesjährigen Laubtrieben. welche in sehr verschie-
dener Menge und ganz regellos zwischen gesunde Laub- und Blüthensprosse eines
Stockes vertheilt sind. Die Achse solcher Triebe ist bis auf das Dreifache der nor-
malen Dicke angeschwollen und an Färbung den Taschen oder entarteten Blüthenstielen
durchaus ähnlich. Die Entartung erstreckt sich entweder nur auf den oberen Theil oder
25) Es bedarf wohl keiner ausdrücklichen Erwähnung, dass die Worte degenerirt, entartet u. s. w. sich
hier immer nur auf die eine bestimmte, mit der Entwickelung des Exoascus verbundene Entartung beziehen.
— 183 —
über die ganze Achse; diese ist zumal in dem letzteren Fall oft beträchtlich kürzer als
an normalen Trieben, häufig auch den degenerirten Blüthenstengeln ähnlich gekrümmt.
Von der Achse aus setzt sich die Anschwellung und bleiche Färbung auf die Blattstiele,
oft auch auf den Blattwittelnerven und selbst die Basis der Secundärnerven fort. Die
degenerirten Stiele sind meist stark gekrümmt, die Lamina, welche sie tragen, entweder
ganz normal oder, wenn Medianus und Secundärnerven mit ergriffen sind, oft verküm-
mert, verschiedentlich missgestaltet und frühzeitig braun und vertrocknet. In den
degenerirten Achsen, Blattstielen und Rippen findet man wie in den Blüthenstielen das
hypertrophische Gewebe durchzogen von Exoascusmycelium, welches zuletzt auf der
Oberfläche der Theile sein Hymenium ausbildet. In dem Blattdiachym fand ich den
Pilz nicht und ebensowenig konnte ich ihn bis in die Rinde der vorjährigen Zweige,
von welchen die degenerirten Sprosse entspringen, verfolgen.
Hiermit schliessen meine Beobachtungen über das Vorkommen und die Entwickelung
des Exoascus in den Organen der Pflaumenbäume ab. Es erübrigt noch, das Verhalten
der reifen Asci und Sporen näher zu betrachten. Mit der Reife der Sporen ist, wie
schon oben angegeben wurde, das Protoplasma, welches sie zuerst umgab, bis auf einen
geringen, die Sporen mit einander verklebenden Rest verschwunden; diese rücken in
das obere Ende des Ascus und sind hier zu einer unregelmässigen Gruppe zusammen-
gedrängt. Die Membran des Ascus bleibt von einem sehr dünnen Primordialschlauch
bekleidet, innerhalb desselben befindet sich farblose wässerige Flüssigkeit (Fig. dd, f, 9).
Die Menge der letzteren vermehrt sich fortwährend, was an der zunehmenden Turgescenz
der Asci deutlich zu erkennen ist. Es muss hierdurch ein Druck auf die Innenseite der
Schlauchwand ausgeübt und diese immer mehr ausgedehnt und gespannt werden, so
lange sie dem Druck Widerstand zu leisten vermag. Zuletzt hört diese Widerstands-
fähigkeit auf, in dem Scheitel des Ascus erhält die Membran einen weiten unregel-
mässigen Riss, in demselben Augenblick schnurrt die Seitenwand vermöge ihrer Elastici-
tät zusammen und hierdurch wird der wässerige Inhalt sammt den Sporen aus dem
geöffneten Scheitel mit Gewalt hervorgespritzt. Diese Vorgänge stimmen in allen
wesentlichen Punkten mit den bei der Sporenentleerung vieler anderer Ascomyceten,
zumal Discomyceten stattfindenden und den oben für Protomyces macrosporus beschrie-
benen überein. Da ich dieselben ausführlicher an einem anderen Orte zu besprechen
beabsichtige, so beschränke ich mich hier auf die obigen Andeutungen. Nach dem
Gesagten ist es selbstverständlich, dass die Ausspritzung der Sporen beschleunigt werden
muss durch plötzlich gesteigerte Wasseraufnahme, woraus sich die sofortige Entleerung
— 184 —
reifer Asci, welche in Wasser gelegt werden. erklärt. Und ferner muss eine Beschleu-
nigung der Ejaculation dann eintreten, wenn der Druck, unter welchem die Ascuswand
steht, von aussen her gesteigert wird, daher sich die reifen Asei eines Hymenium um
so bälder entleeren, je mehr andere sich zwischen sie eindrängen, je mehr also die
Ausbildung des Hymeniums vorwärts schreitet.
In den auf der Entwickelungshöhe stehenden Hymenien ejaculiren fortwährend ein-
zelne Asei ihre Sporen. Legt man eine frische Tasche, welche vom Hymenium über-
zogen ist z. B. auf eine Glasplatte, so findet man in ihrem Umkreis schon vor Ablauf
einer Stunde zahlreiche Gruppen von je 8 Sporen, jede ursprünglich in einem kleinen
Tröpfehen wässeriger Flüssigkeit liegend, zuweilen auch noch von körnigen Protoplasma-
resten umgeben (Fig. 9a). Im Laufe eines Tages vermehrt sich die Zahl der ejacu-
lirten Sporen derart, dass rings um die Tasche ein weisslicher, fein staubiger Hof
entsteht, der eine Breite von etwas über 1 Cm. zu erreichen pflegt; die Sporen werden
also 1 Cm. weit weggeschleudert.
Die einzelnen Sporen (Fig. 8 d, f, g. 9) sind rundlich oder breit oval. die
meisten etwa 4, Mm. lang und “%;, Mm. breit, manche etwas grösser oder kleiner
(40. Mm., %,, Mm. u. s. w.). manchmal ist die Grösse der in einem Ascus enthaltenen
ziemlich ungleich. Sie sind mit einer einfachen farblosen zarten Membran versehen,
welche fast homogenes, nur wenig körniges Protoplasma umschliesst; in der Mitte
des letzteren befindet sich oft ein heller, zart umschriebener rundlicher Raum, der
wohl als Vacuole zu bezeichnen sein wird. Wenn die aus dem Ascus entleerten
Sporen in Wasser oder in einer nicht zu concentrirten Zuckerlösung liegen, so
beginnen sie sehr bald, oft schon 30 bis 50 Minuten nach der Entleerung, in einer
eigenthümlichen Weise zu keimen. Sie verhalten sich nämlich genau wie die Zellen
der Bierhefe in einer zu ihrer Vermehrung geeigneten Flüssigkeit thun (Fig. 10. 11,
12). An irgend einem Punkte sprosst eine kleine Ausstülpung hervor, welche an
ihrer Ursprungszelle sehr schmal bleibt, im übrigen fast zu der Grösse ihrer Mutter-
zelle heranwächst, die gleiche Structur wie diese und entweder längliche oder breit
elliptische bis rundliche Form annimmt. Schon bevor sie ihre volle Grösse erreicht
hat, gliedert sie sich durch eine Querwand von der Mutterzelle ab, indem sie dabei
mit dieser locker verbunden bleibt oder sich ganz loslöst. Dieselbe Sprossung wieder-
holt sich später an anderen Punkten der Spore, und tritt wie bei dieser auch an
ihren Sprossen mehrere Generationen hindurch ein. Sorgt man dafür, dass die Spross-
zellen nicht von einander getrennt werden, indem man die Aussaaten vor Erschütterungen
— 1855 ° —
schützt, so erhält man, genau wie bei der Cultur von Hefenzellen, aus jeder Spore
nach einiger Zeit ein Büschel von reich verästelten kurzen rosenkranzförmigen Zell-
reihen, welche leicht erkennen lassen, wie sie aus Sprossungen verschiedener Genera-
tion bestehen. Fünf Stunden nach der Entleerung fand ich schon die dritte Spross-
generation in Entwickelung begriffen, 24 Stunden nachher Büschel, an welchen 5 bis
7 Generationen, jede in zahlreichen Individuen, deutlich gezählt werden konnten
(Fig. 10— 13). Zwischen den Zellen verschiedener Generationen fand ich insofern
einen Unterschied, als nur die der ersten die gleiche Grösse wie die Sporen erreichen
die übrigen aber um so kleiner sind, je späterer Generation sie angehören; und zwar
ist, soviel ich beobachtet habe, dieser Grössenunterschied ein constanter und dauernder.
In der Structur fand ich keine Verschiedenheit zwischen den Zellen verschiedener
Generationen. Auch die primäre Zelle einer Sprossfamilie, d. h. die Spore behält, so
lange die Sprossungen dauern, immer ihren ursprünglichen Bau mit der einzigen Modi-
fication, dass oft, doch nicht immer, die in dem Protoplasma vorhandene Vacuole
grösser wird und schärfer hervortritt als zu Anfang; ohne dass jedoch letzteres je
ganz verschwindet. Bei den in reines Wasser gemachten Aussaaten fand ich die
Sprosszellen immer schmal elliptisch, oft fast cylindrisch, also in ihrer Gestalt von
den Sporen verschieden (Fig. 10, 11). Bei Aussaaten in Zuckerlösung werden sie
breiter, den Sporen ähnlich, bei einer Aussaat in eine etwa 10procentige mit wässe-
rigem Decoct von Bierhefe versetzte Zuckerlösung hatten alle breit ovale bis kugel-
runde Form (Fig. 12, 13).
Bei der Leichtigkeit, mit welcher die beschriebenen Sprossungen entstehen, ist
es von vornherein wahrscheinlich. dass dieselben auch an denjenigen Sporen ein-
treten, welche bei der Ejaculation auf die Oberfläche der Taschen zurückfallen, denn
diese erhalten hier die zu der Entwickelung nothwendige geringe Menge Flüssigkeit
theils durch die Entleerung der Asci selbst, theils durch die atmosphärischen Nieder-
schläge. In der That findet man auch die Oberfläche reiferer Taschen, zumal wo
dieselbe die gelbliche Färbung zeigt, mit unzähligen der beschriebenen Sprosszellen
dicht bedeckt, und diese häufig noch im Zusammenhange mit einander. Auch in
der Höhlung reifer Taschen sind die hefeähnlichen Bildungen immer in Unmasse vor-
handen, sowohl bei Prunus Padus, wo die ganze Innenfläche der Wand, als auch
bei den zwei anderen Arten, wo nur das fruchtbare Ei von dem Exoascus-Hymenium
überzogen ist.
Bei einer Vergleichung der hefenartigen Gebilde mit gewöhnlicher, in lebhafter
Abhandl. d. Senekenb, naturf. Ges. Bd. V 24
— 186 —
Sprossung befindlicher Bierhefe treten nur geringe Verschiedenheiten hervor, besonders
wenn man von jenen die breitzelligen Formen, welche sich in Zuckerlösung bilden,
im Auge behält. Die einzigen Unterschiede bestehen einestheils in der bei den spä-
teren Generationen der Exoascussprossungen stetig abnehmenden Grösse, anderntheils
darin, dass die Zellen der letzteren immer zärter contourirt und mit minder stark
lichtbrechendem Protoplasma versehen sind. daher blasser aussehen als bei der Bier-
hefe. Auch zeigen dieselben, was ich bei letzteren nie fand, bei längerer Cultur in
der Flüssigkeit sehr oft im Innern eine kleine rundliche excentrische Protoplasmamasse,
von welcher viele fadenförmige, netzartig anastomosirende Streifchen nach allen Seiten
hin ausstrahlen. Immerhin ist aber die Aehnlichkeit mit der Bierhefe gross genug,
um beide Bildungen leicht miteinander verwechseln zu lassen. wenn sie untereinander
gemengt sind. Es kann daher gefragt werden. ob die beobachteten Sprossungen
wirklich von den Sporen des Exoascus ausgehen und nicht von ächten Hefezellen,
welche diesen zufällig beigemengt sind; oder ob etwa die Sprosse der Exoascussporen
mit den Zellen der Bierhefe identisch sind.
Die erste dieser Fragen ist leicht zu entscheiden. Bringt man einen dünnen
Durchschnitt eines reifen Hymeniums in einen Wassertropfen auf den Objectträger,
so kann man an demselben die Entleerung der Asei leicht sehen und solche Sporen,
deren Austritt man direct beobachtet hatte, im Auge behalten. Beobachtet man letztere
einige Stunden lang anhaltend, so überzeugt man sich auf das Bestimmteste, dass die
beschriebenen Sprossungen von ihnen ausgehen. (Vergl. die Erklärung von Fig. 10, 11.)
Nicht selten findet man selbst im Innern unversehrter Asei Sporen. an welchen die
Sprossungen schon begonnen haben.
Die zweite Frage kann in Ermangelung sicherer morphologischer Anhaltspunkte
dadurch beantwortet werden, dass man untersucht, ob die Sprosszellen und Sporen
des Exoascus gleich der Hefe Alkoholgährung zu erregen vermögen. Ich habe zu
diesem Zwecke eine Reihe von Versuchen angestellt, indem ich die genannten Theile
des Exoascus in Zuckerlösungen brachte, deren Gährungsfähigkeit durch Vor- und
Parallelversuche constatirt wurde, und welchen die zur Entwickelung der Ferment-
pilze nöthigen Stoffe in verschiedener Form und Menge zugesetzt waren. Sämmtliche
Versuche ergaben übereinstimmend und unzweifelhaft das Resultat, dass die Ent-
wickelungsproducte der Exoascussporen nicht im Stande sind in einer gährungs-
fähigen Zuckerlösung die Alkoholgährung zu erregen. Es dürfte daher auch über-
(flüssig sein, die einzelnen Versuche hier zu beschreiben. Cultivirt man die sprossenden
— 17 —
Sporen in Zuckerlösungen oder in reinem Wasser, so hört die Vermehrung der
Sprossungen nach wenigen Tagen auf. die einzelnen Zellen sterben früher oder
später ab, ihr Inhalt schrumpft und zieht sich von der Membran zurück. In den
Zuckerlösungen treten dabei in der Regel. Vibrionen in Menge auf, zuweilen auch
Schimmelpilze, deren Keime mit den Exoascussporen natürlicher Weise leicht in die
Flüssigkeit gelangen können. Weitere Entwickelungserscheinungen an den Exoascus-
sporen zu beobachten ist mir bis jetzt nicht gelungen. Frisch auf die feucht gehal-
tene Oberfläche junger Zweige, Blätter, Früchte und Knospen von Pr. domestica und
Padus gebracht. zeigten sie mir nur die beschriebenen Veränderungen; ob und wie
sie in die genannten Organe eindringen können, war ich nicht im Stande zu entscheiden.
Mehrere Monate lang trocken oder in reinem Wasser aufbewahrte Sporen und Spross-
zellen fand ich immer entwickelungsunfähig. augenscheinlich abgestorben. Es bleibt
daher in der Entwickelungsgeschichte des Exoascus eine Lücke, welche durch fernere
Beobachtungen auszufüllen sein wird. —
Um die Aetiologie der Taschenbildung ganz unzweifelhaft festzustellen, ist es
allerdings nothwendig, dass die Entwickelungsgeschichte des Exoascus zum vollstän-
digen Abschluss gebracht werde. Doch geht, wie mir scheint, schon aus den bis
jetzt bekannten Thatsachen mit nahezu vollständiger Gewissheit hervor, dass die Vege-
tation des von Fuckel entdeckten Pilzes die alleinige nächste Ursache der Entartungen
der Pflaumenbäume ist, von welchen hier geredet wird. Beachtet man die oben
ausführlich dargestellte Vertheilung der von Exoascus bewohnten degenerirten Organe
auf den Bäumen, sowie den Umstand, dass letztere selbst im übrigen ganz gesund
sind (was wenigstens in den von mir untersuchten Fällen unzweifelhaft war). so
sieht man ein, dass die Entartungen nur eine local wirkende Ursache haben können,
d. h. eine solche, die auf die degenerirenden Theile allein einwirkt und andere,
diesen gleichnamige, gleichalterige und nächstbenachbarte unberührt lässt. Die atmo-
sphärischen Agentien, wie Wärme, Nässe u. s. w.. können daher unmöglich die bestim-
menden Ursachen sein, denn es ist nicht einzusehen, wie sie auf gleiche Organe,
welche ihnen in gleicher Weise ausgesetzt sind, durchaus verschiedene Wirkungen
auszuüben vermögen. Dass Verletzungen durch Insekten nicht in Betracht kommen
können, zeigt jede halbwegs aufmerksame Beobachtung; dass Befruchtungsstörungen
keine ursächliche Bedeutung haben können. geht einerseits aus dem Vorhandensein
vollkommen befruchteter, einen normal entwickelten Embryo enthaltender Eier in den
Schlehen- und Zwetschentaschen, andererseits aus dem Vorkommen der Entartung
24*
—-— 18 —
an Laubsprossen unzweifelhaft hervor. Fallen aber alle diese von den älteren
Autoren angenommenen Ursachen weg, so bleibt den mitgetheilten Beobachtungen
zufolge, der Exoascus wie mir scheint allein übrig. Die Wahrnehmungen, dass der
Pilz beständig und ausnahmslos in den degenerirten Organen, und zwar nur in diesen
und ihrer unmittelbaren Nähe vorhanden ist, dass die engsten Beziehungen zwischen
seiner Entwickelung und dem Fortschreiten der Entartung bestehen, und dass sein
Mycelium in den Bastbündeln der entartenden Organe offenbar schon vor Beginn
der Degeneration weit verbreitet ist, deuten schon an und für sich ziemlich
bestimmt darauf hin, dass die Entartung eine Wirkung der Pilzvegetation ist; und
diese Ansicht erhält dadurch eine feste Stütze, dass die in dem vorliegenden Falle
beobachteten Erscheinungen in allen Punkten, auf welche es hier ankommt, mit ander-
weitig beobachteten übereinstimmen, bei welchen es bestimmt und lückenlos nachgewiesen
ist, dass die Entwickelung eines parasitischen Pilzes die alleinige unmittelbare Ursache
von Entartung und Krankheit seiner Nährpflanze darstellt. Ich will hier nur an das
eine Beispiel des Cystopus candidus und der Anschwellungen, Verkrümmungen und
taschenförmigen Erweiterungen, welche er an Blüthenstielen und Früchten der Cruciferen
verursacht, erinnern.’‘) Dass der Exoascus von aussen her durch seine eindringenden
Keime in die Pflanzentheile gelange, wird bei unseren dermaligen Kenntnissen von den
Schmarotzerpilzen nicht zu bezweifeln sein. Wie, wo und wann dies geschieht, müssen
fernere Beobachtungen entscheiden, für welche, wie ich glaube, schon in dem oben
Mitgetheilten einige Andeutungen enthalten sind. Es versteht sich von selbst, dass mit
dem bisher gesagten ein Einfluss der Witterung auf die Taschenbildung nicht geleugnet
werden soll, da ja die Entwickelung des Exoascus so gut wie die jeder anderen Pflanze
in gewissem Grade von dem Wetter abhängig sein muss. Fälle von excessiv häufiger
und excessiv seltener Taschenbildung mögen auch in Witterungsanomalien ihre Veran-
lassung haben können. Allein man würde sich sehr täuschen, wenn man, den älteren
Autoren folgend, solche Anomalien für nothwendige Gelegenheitsursachen der Exoascus-
und Taschenentwickelung halten wollte. In den beiden letzten Jahren z. B. waren die Zwet-
schenbäume, welche ich genau beobachtet habe, von ihrer Blüthezeit an bis zum Er-
scheinen der Taschen sehr verschiedener Witterung ausgesetzt; nichts destoweniger
trugen die nämlichen Bäume in beiden Jahren Taschen in gleicher Häufigkeit, soweit
26) Vgl. de Bary, Recherches sur le developpement de quelques Champignons parasites. Ann, des Sc. nat.
4° Ser. Tom. XX.
— 189 —
sich das abschätzen lässt. Es mag erlaubt sein, die Witterungsverschiedenheiten in dem
erwähnten Zeitraum beider Jahre wenigstens den Hauptpunkten nach anzugeben.
1863 begann die Blüthe der beobachteten Bäume um den 15. April, die ersten
Taschen erschienen am 12. Mai. Während dieser Zeit herrschte beständige, ziemlich
warme, man kann sagen normale Frühlingswitterung; meist unterbrochen bewölkter
Himmel; wenig Regen fiel am 17., 21., 23., 25., 27., 28., 30. April, am 2., 3., 4.,
5. u. 10. Mai, starker und dauernder Regen am 15. April. Die niederste Temperatur
war + 4° C. (am 20. April, Maximum desselben Tages + 17° C.), am 29. April
war das Tagesminimum + 5° C. (Maximum desselben Tages + 15°). Vom 1. Mai
an sank das Tagesminimum nie unter + 8° C. Das niederste Tagesmaximum (im
Schatten) betrug während der ganzen Zeit + 13° C. (25. und 30. April).
1862 ist durch mehrfache Anomalien ausgezeichnet. Die Blüthe der Zwetschen
beginnt um den 25. März, die ersten Taschen erscheinen an den beobachteten Bäumen
am 3. u. 4. Mai. Temperatur vom 25. März bis 11. April für die Jahreszeit warm:
niederste Tagesminima + 4° €. (25. März) + 3° (2. April). Niederstes Tagesmaxi-
mum (immer im Schatten) + 13° €. (31. März) höchstes + 22° C. (26. März, 9.
April). Himmel meist unterbrochen bewölkt, Regen am 27. März den ganzen Tag,
am 28. Vormittags, am 31. Nachmittags. Am 12. April plötzliches Sinken der Tem-
peratur: Tagesminimum + 5°, Maximum + 11°. Am 15. Minim. + 2°, Maximum + 8°,
Nebel, Schnee. Am 14.—16. April Nachtfröste und Reif (Minimum der Tage: —
3° — 1°, 0°, Maximum + 8°, + 10°, + 12°). Vom 17. April an steigt die Tem-
peratur wieder auf den Stand vor dem 12., vom 20. April bis 6. Mai sinkt das Tages-
minimum nie unter + 8° C., Tiederstes Tagesmaximum während dieser Zeit + 17°,
höchstes + 27° C. Nur am 22., 23.. 26. April wenig Regen.
Achtet man auf die Taschen, so findet man dieselben, soweit meine Erfahrungen
reichen, in der Regel alljährlich an denselben Bäumen. Wenigstens erinnere ich mich
bestimmt, dass sie mir in den letzten 5 Jahren alljährlich aufgefallen sind an einigen
Exemplaren von Prunus Padus, bei denen ich täglich vorübergehe; aus den letzten 2
Jahren habe ich genaue Notizen darüber. Ebenso bestimmt weiss ich allerdings auch,
dass ich vor dem Jahre 1862 an den Zwetschenbäumen in der Nähe meiner Wohnung
keine Taschen bemerkt habe, dass ich sie aber fast an allen diesen Bäumen in Menge
fand. sobald ich 1862 und 1863 danach suchte; und ganz ähnlich ist es mir mit den
Schlehen ergangen.
Nach diesen Erfahrungen ist es wohl erlaubt anzunehmen, dass die Ansichten,
— 1% —
nach welchen Witterungsanomalien die Taschenbildung veranlassen sollen, einfach darin
ihren Grund haben, dass die Autoren in einzelnen Jahren Taschen beobachteten, in
welchen ihnen zufällig auch jene Anomalien aufgefallen waren; dass sie aber zwischen
beiden Erscheinungen einen Causalzusammenhang blos deshalb annahmen, weil sie mein-
ten die Taschenbildung komme in anderen Jahren nicht vor, eine Meinung welche ihren
Grund nur in der Nichtbeachtung genannter Erscheinung hat.
Betrachtet man den Exoascus vom Gesichtspunkte der beschreibenden Mycetologie
aus. so ist zunächst zu bemerken. dass bis jetzt kein irgend erheblicher Unterschied
gefunden werden konnte zwischen den auf Prunus domestica, spinosa und Padus vor-
kommenden Formen ; höchstens fand ich auf letzteren Species zuweilen die Asci etwas
kleiner als auf den beiden anderen, doch ist diese Eigenthümlichkeit keineswegs eine
beständige. Die genannten Formen sind daher unter einer und der nämlichen Art,
Exoaseus Pruni Fuckel, zu vereinigen. Dass die Gattung Exoascus eine wohlbegrün-
dete und von allen bekannten Pilzgenera verschiedene ist, bedarf wohl keiner ausführ-
lichen Beweisführung ; in wieweit die von Fuckel gegebene kurze Characteristik der-
selben „Sporidia in asco libero, asci in hypha brevissima“ abzuändern und zu verbes-
sern ist, ergibt sich aus den mitgetheilten Beobachtungen von selbst. Was die Stellung
der Gattung im Systeme anlangt, so dürfte der ihr von Fuckel gegebene Platz unter
den Haplomyceten Fr. und neben den Mucorinen schwerlich der richtige sein. Mir
scheint es nicht zweifelhaft, dass sie auf Grund der Entwickelung ihres Hymeniunıs,
ihrer Asci und Sporen zu den ächten Discomyceten mit stets freiem Hymenium gehört,
also an die Seite von Helvella, Spathulea, u. s. w. und dass sie sich zu den letzge-
nannten Gattungen ganz ähnlich verhält, wie unter den verwandten Pyrenomyceten
etwa Sphaeria iyphina zu den mit grossem fleischigem Fruchtträger versehenen Cor-
dycepsformen. Die Gattung Exoascus scheint eine sehr grosse geographische Ver-
breitung zu haben. Aus den oben mitgetheilten Nachrichten geht zunächst hervor, dass
die durch Exoascus Pruni erzeugten Taschen der Pflaumenbäume in dem mittleren und
südlichen Europa eine sehr häufige Erscheinung sind. und die meisten Leser werden
dieses durch ihre eigenen Erfahrungen bestätigen können. J. Robb (Il. c.) hat offen-
bar die nämliche Erscheinung an Pflaumenbäumen zu Fredericton in Neu-Braunschweig
beobachtet. Und Wallich hat im Himalaya einen wie es scheint mit Cerasus Padus
verwandten Baum gefunden, welcher neben seinen normalen, eiförmig-runden Früchten
monströse, hülsenähnliche so häufig trägt, dass er nach den letzteren Cerasus cornuta
genannt worden ist. Treviranus. welcher dieAbbildung von €. cornuta bei Royle
gesehen hat und ein Anonymus im Gardener’s Chronicle (s. Bot. Ztg. 1853, 816) tragen
kein Bedenken, jene hülsenähnlichen Früchte für Taschen zu halten.
Ich selbst konnte weder Abbildungen noch Exemplare von C. cornuta vergleichen.
Auf meine Bitte in dem ‚Kgl. Herbarium zu Berlin Cerasus cornuta aufzusuchen, ant-
wortete mir A. Braun: „Meine Nachsuchungen nach Cerasus cornuta waren vergeb-
lich. Unser Herbarium ist zwar sehr reich an Exemplaren verschiedener Cerasus-Arten
aus Sikkim und Nepal, Wallich’schen Originalexemplaren und solchen von Hooker
und Thomson. unter denen auch mehrere Varietäten von Prunus Padus vorkommen,
aber Cerasus cornuta fehlt. was darauf hinzudeuten scheint, dass es eine monströse
Form ist, die wahrscheinlich nur einmal von Wallich gesammelt worden ist.“ Nach
den mitgetheilten Daten dürfte es aber kaum zweifelhaft sein, dass die im Himalaya
wie im nördlichen Amerika beobachteten Missbildungen von einem Exoascus herrühren;
ob von dem europäischen Ex. Pruni oder einer andern verwandten Art müsste noch
untersucht werden.
Ill. Zur Morphologie der Phalloideen.
Tafel XXIX.
Die beiden in Mitteleuropa verbreiteten Phalloideen, Phallus impudicusL. und Ph.
caninus Huds. oder Cynophallus der neueren Autoren gehören ihrer wunderbaren Form
und ihres eigenthümlichen Auftretens wegen gewiss zu den bekanntesten Schwämmen,
und insonderheit dürfte Ph. impudicus zu denjenigen zu zählen sein, welche am häu-
figsten beschrieben und abgebildet worden sind, von der Schrift des Hadrianus lunius”)
an bis auf unsere Tage. Die vorhandenen Kenntnisse über ihre Structur und besonders
ihre Entwickelung sind dagegen vielfach lückenhaft,. wenngleich Einzelne, zumal für
seine Zeit Micheli und neuerdings vor Allen Corda (Icon. fung. Tom. V, Vl), dessen
Arbeiten über Phalloideen meines Erachtens zu den besten, welche dieser fleissige For-
scher geliefert hat, gehören. gute Aufschlüsse darüber gegeben haben. Es scheint mir daher
nicht überflüssig, wenn ich in Folgendem die Resultate einiger entwickelungsgeschicht-
27) Phalli, ex fungorum genere in Hollandiae sabutelis passim crescenlis descriplio el ad vivum expressa
pietura, Hadriano Iuniv Medico auectore. Res nova et prioribus saeculis incognita. Delphis (Delft) 1564. Vgl.
darüber Bot. Zeitung, 1864, Nr. 16.
— 12 —
licher Untersuchungen, welche theils an Ph. impudicus, besonders aber an Ph. caninus
angestellt worden sind, mittheile, zumal da dieselben wie ich glaube zum Verständniss
der ganzen Phalloideengruppe im Sinne von Fries Systema Mycologicum d.h. sowohl
der Phalloideen als auch der Lysuroideen und Clathraceen Corda’s beitragen dürften.
Von der Litteratur, welche die Phalloideen behandelt, hat v. Schlechtendal vor kurzem
in dem 31. Bande der Linnäa (1861—62) das Meiste ausführlich zusammengestellt. Ich
glaube daher den Umfang dieses Aufsatzes nicht durch eine abermalige Aufzählung der-
selben nutzlos vermehren zu sollen, sondern verweise den Leser auf genannten Band
der Linnäa und auf Hoffmann’s Index fungorum.
Die Mycelium von Phallus caninus findet sich in Wäldern, theils in humus-
reicher Erde, theils in faulem Holze. Ich fand es in weissfaulen Stämmen von Car-
pinus Betulus, Abies pectinata DC., Andere fanden den Pilz auf faulen Strünken von
Corylus, er scheint daher unter den Holzarten welche er bewohnt keine strenge Wahl
zu trelfen. Das Mycelium perennirt; ich beobachte es seit 4 Jahren in einem und dem-
selben Weisstannenstumpfe, wo es alljährlich zahlreiche Fruchtkörper erzeugt. Es stellt
wurzelähnliche cylindrische Stränge dar, welche über fusslang werden und in zahlreiche
oft netzartig anastomosirende Zweige getheilt sind, von denen die stärkeren über 1 Mm.
dick, die feineren haardünn sind. Letztere spalten sich an ihren Enden oft in zahl-
reiche mikroskopisch-feine Fasern oder Fäden, welche sich in dem Holze und dem
Boden ausbreiten oder, in letzterem, Holz- und Rindenstückchen, Früchte u. s. w. um-
spinnen. Die Stränge bestehen aus sehr zahlreichen dünnen septirten Pilzhyphen, welche
sämmtlich der Länge des Stranges nach verlaufen, und in der Mitte des Stranges ziem-
lich gerade und fest aneinander gedrängt, ohne luftführende Interstitien, in den ober-
flächlichsten Lagen unregelmässig geschlängelt, locker verflochten und vielfach durch
lufthaltige Interstitien von einander getrennt sind. Auf dem Querschnitte ist der Strang
für das blosse Auge grösstentheils gelblich, etwas durchscheinend, aussen von einer
nur dünnen weissen Schicht wie von einer Rinde überzogen. Der gelbliche Theil ent-
spricht dem luftfreien, der weisse dem lufthaltigen Gewebe. Letzteres verdankt seine
Farbe wohl zum Theil dem Luftgehalt, hauptsächlich aber einer reichlichen Ablagerung
von oxalsauerem Kalk. Dieser findet sich vorzugsweise zwischen den Hyphen und auf
der Aussenseite der oberflächlichsten, in Form von unregelmässigen eckigen kleinen
Krystaldrusen, welche den Hyphen anhaften und dieselben oft dicht incrustiren. Selten
kommen zwischen den Drusen regelmässige Octaeder vor. Ferner sind an den ober-
fächlichen Fäden oft einzelne Zellen in ihrer Mitte zu kugeligen bis %, Mm. grossen
— 193 —
Blasen angeschwollen, deren jede von einer aus oxalsaurem Kalke bestehenden Kugel
zum grössten Theile ausgefüllt wird. Die Kugeln sind solide oder mit einer engen
centralen Höhlung versehen und von strahlig-faseriger Textur (Fig. 14). Als oxal-
sauren Kalk bezeichne ich die genannten Krystalle und krystallinischen Kugeln auf
Grund folgender Reactionen. Sie sind unlöslich in Essigsäure, lösen sich ohne Gas-
entwickelung in Salzsäure und Schwefelsäure, in letzterer unter gleichzeitigem An-
schiessen von Gypsnadelchen. Durch Glühen werden sie ohne ihre Form zu verändern
gebräunt, nach dem Glühen lösen sie sich leicht und unter lebhafter Gasentwickelung
in Essigsäure und den genannten Mineralsäuren. Es mag hier kurz bemerkt werden,
dass der oxalsaure Kalk in den Geweben und auch auf der Oberfläche von Pilzen in
sehr grosser Verbreitung und Häufigkeit vorkömmt und dass speciell viele Mycelien
ihm ihre weisse Farbe verdanken. Die Formen, in welchen er auftritt, sind je nach
den einzelnen Fällen sehr verschieden, fast immer findet er sich zwischen den Fäden,
aus welchen der Pilz besteht oder auf der Aussenfläche; für sein Vorkommen im In-
neren von Zellen ist das oben beschriebene Beispiel das einzige mir bis jetzt mit
Sicherheit bekannte. Alle Krystalle, welche man bis jetzt auf Pilzen gefunden hat, und
es sind solche für eine nicht geringe Zahl von Fällen gelegentlich beschrieben worden,
gehören zu diesen Ablagerungen von oxalsaurem Kalk. über welche ich anderwärts
ausführlicher reden werde”). Hier mag nur noch darauf hingewiesen werden, wie
unbegründet es ist, wenn Nylander (Synops. Lichenum, p. 4) die Ablagerungen von
oxalsaurem Kalke den Pilzen abspricht und als eine Eigenthümlichkeit des Flechten-
gewebes bezeichnet.
Die bis jetzt fast allein bekannten Organe des Phallus caninus, aus welchen zuletzt
die Sporenmasse von einem spindelförmigen Stiele getragen hervorbricht, will ich die
Fruchtkörper nennen. Ihre jüngsten Anfänge sitzen immer auf den dünnen haar-
bis borstendicken Myceliumästen, und zwar meistens terminal, seltener seitenständig.
Aeltere Fruchtkörper werden dagegen immer von dickeren Strängen getragen; es scheint
daher, dass diese während der Ausbildung ersterer in die Dicke wachsen (Fig. 1).
Die Fruchtkörper selbst treten zuerst als kleine ovale, etwa 1—1'% Mm. lange
Körperchen auf, gleichsam Anschwellungen der Myceliumzweige, mit glatter schnee-
weisser Oberfläche und durchaus von einem gleichförmigen, dichten weissen Geflechte
2#) Von den Incrustationen der Myxomyceten ist hier nicht die Rede. Sie bestehen, wie ich anderwärts
(Zeitschr. für wissensch. Zovlog. X.) gezeigt habe, aus kohlensauerem Kalke.
Abhandl d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V. 25
— 194 —
feiner Hyphen, welche sich unmittelbar in die des Myceliums fortsetzen, gebildet (Fig. 1.2).
Die Hyphen sind sehr zart, ihre Dicke mag etwa 7%, Mm. — %,, Mm. betragen . ist
jedoch nicht leicht ganz genau zu bestimmen: sie sind reich verzweigt, die Interstitien
ihres dichten Geflechts lufthaltig; ich will dieses Gewebe in Folgendem als das pri-
mitive bezeichnen. Etwas grössere, etwa 2 Mm. lange Exemplare zeigen einen in so-
ferne veränderten inneren Bau, als in ihrer oberen (d.h. dem Insertionspunktan
dem Mycelium abgekehrten) Hälfte, eine kurze Strecke innerhalb der Aussenfläche
eine schmale glockenförmige (auf dem radialen Längsschnitt hufeisenförmige) Schichte
verläuft. welche gallertartig, durchscheinend, in reflectirtem Lichte betrachtet wässerig
grau ist. Alle übrigen Theile haben das ursprüngliche Ansehen. Der Körper besteht
somit in seiner oberen Hälfte aus einer axilen, kuppelförmigen Mittelsäule, welche
durch die Gallertschicht von der weissen Aussenwand getrennt ist. Mittelsäule
und Aussenwand setzen sich in das weisse Gewebe der unteren Hälfte continuirlich
fort (Fig. 3). Bei etwa erbsengrossen Exemplaren hat die Gallertschicht an Dicke
beträchtlich zugenommen und sich in der Richtung der Oberfläche derart vergrössert,
dass ihr unterer Rand bis nahe an den Insertionspunkt reicht. Die Mittelsäule hat
hierdurch die Gestalt eines oben abgerundeten Cylinders, ihre Basis liegt unmittelbar
über dem Insertionspunkt und geht direct in die Aussenwand über (Fig. 4b). In
wenig (5—6 Mm.) grösseren Exemplaren findet man den oberen Theil der Mittel-
säule etwas angeschwollen; in dem weissen Gewebe desselben nahe unter der Ober-
fläche, liegt eine in refleetirtem Licht graue Schicht von der Gestalt eines dünnen
oben und unten abgeschnittenen und offenen Hohlkegels, dessen Längsachse mit der
der Mittelsäule zusammenfällt. Auf dem radialen Längsschnitt erscheint diese Schicht
in Form zweier schmaler nach oben convergirender Streifen. Ferner wird die ganze
Mittelsäule in ihrer Längsachse von einem gleichfalls grau aussehenden linienförmigen
(im Querschnitt kreisrunden) Streifen durchzogen, welcher in geringer Entfernung
von der Basis und Spitze der Mittelsäule endigt, in seinem oberen Theil also von der
hohlkegeligen Schicht umringt wird (Fig. 5 5).
Hiermit sind alle Theile, aus welchen der reife Fruchtkörper zu bestehen hat,
angelegt. Nach der für die Gasteromyceten eingeführten Terminologie ist die hohl-
kegelförmige Schicht die Anlage des sporenbildenden Gewebes oder der Gleba. Die
Hüllen, von welchen sie umgeben wird, sind als Peridie zu bezeichnen und diese
besteht aus der Aussenwand, der Gallertschicht und der Innenwand. Mit
letzterem Namen will ich den dünnen weissen Ueberzug der Gleba allein bezeichnen ;
— 19 —
der streng genommen dazu gehörige unterhalb der Gleba gelegene Theil der Mittel-
säule möge der besseren Unterscheidung halber das Basalstück heissen. Der graue
axile Streif ist die Anlage des den Phalloideen eigenen, im vorliegenden Falle spin-
delförmig-stielartigen Trägers der Gleba oder des Stiels. Den oberen Theil des
letzteren, soweit er von der Gleba umringt wird. will ich als Stielspitze unterschei-
den. Zwischen dieser Spitze und der Gleba liegt. wie aus obiger Beschreibung her-
vorgeht. eine weisse Gewebeschicht,. welche die Form eines vom Stiel durchbohrten
Kegels hat und sich an ihrem oberen und unteren Ende continuirlich in die Innenwand
und das Basalstück fortsetzt. Ich will sie in Folgendem den Kegel nennen. Was
die feinere Structur dieser Theile betrifft, so besteht die Aussenwand der Peridie aus
einem mehrschichtigen hautartigen Geflecht langgliedriger verzweigter Hyphen ver-
schiedener Dieke. Die engen Interstitien des Geflechts enthalten Luft; oxalsauren
Kalk fand ich nur auf der Oberfläche und bei verschiedenen Exemplaren in sehr ver-
schiedener Menge. Die Gallertschicht besteht aus langgliedrigen, dünnen septirten
Fäden mit zarter Membran und homogenen Protoplasmainhalt „ welche reich ver-
zweigt. und locker mit einander verflochten, vielfach auch netzförmig verbunden sind.
Die sehr weiten Lücken zwischen denselben werden ausgefüllt von einer siructurlosen
wasserhellen homogenen Gallerte, welche in Wasser aufquillt und in Alkohol erhärtet.””)
Dieses Gewebe. welches Gallertgewebe oder Gallertfilz genannt werden mag,
gleicht im Wesentlichen demjenigen. aus welchem die meisten gelatinösen Pilzkörper
bestehen. es ist für die Phalloideen schon von Corda. Rossmann und Anderen be-
schrieben worden. Wo es an die Aussen- und Innenwand der Peridie und das Basal-
stück grenzt. da gehen seine Fäden unmittelbar in die der genannten Organe über.
Die weisse Substanz aus welcher Innenwand. Basalstück und Kegel bestehen, wird
von einem lufthaltigen dichten Geflechte primitiver Fäden gebildet; auch die Stielan-
lage hat diesen Bau, nur ist ihr Gewebe luftfrei und daher durchscheinend. Nach
Entfernung der Luft aus dem Basalstück und Kegel konnte ich keinen Unterschied
und keine scharfe Grenze mehr zwischen diesen Theilen und der Stielanlage finden.
29) Diese Beschreibung soll einfach das Aussehen des in Rede stehenden Gewebes anschaulich machen.
Es würde zu weit führen, wollte ich hier die Frage discutiren, ob die anscheinend intercellulare Gallerte als
eine eigentliche sogenannte Intercellularsubstanz oder als ein Theil der Zellmembranen selbst zu betrachten ist,
Ich halte die letztere Ansicht für die richtige, und zwar für alle gallertigen Gewebe, von welchen in diesem
Aufsatze die Rede ist. Die Gründe hierfür werden an einem anderen Orte milgetheilt werden.
25*
— 196 —
Die graue Farbe der Glebaanlage rührt gleichfalls von einem wenigstens Iheilweisen
Verschwinden des Luftgehalts her. Sie besteht auch in den jüngsten Zuständen, welche
ich untersuchen konnte, aus zahlreichen schmalen. unregelmässig gewundenen und
netzförmig anastomosirenden Platten, welche enge Lücken zwischen sich lassen. Das
Gewebe der Platten ist von dem primitiven kaum verschieden. und geht ohne Unter-
brechung in das der angrenzenden Theile (Kegel etc.) über; es ist luftfrei. die Lücken
dagegen von Luft erfüllt (vgl. Fig. 15).
Aus dem Mitgetheilten folgt, dass die bisher beschriebenen Entwickelungsprozesse
theils in einem Wachsthum des primitiven Gewebes durch Bildung und Einschiebung
neuer Gewebselemente beruht. theils in einer Differenzirung des anfangs durchaus
gleichförmigen Gewebes in lufthaltige und luftfreie oder durch besondere Structur
ausgezeichnete Regionen.
Man kann die Veränderungen, welche der Fruchtkörper bis zur ersten Anlage
der Gleba und des Stiels durchmacht, füglich als sein erstes Entwickelungsstadium
zusammenfassen. Die folgenden Entwickelungsvorgänge sondern sich ziemlich scharf
in drei weitere Stadien, und zwar wird das zweite durch die Ausbildung der Gleba,
das dritte durch die Ausbildung des Stieles. das vierte endlich durch die Streckung
des Stieles und die Durchreissung der Peridie bezeichnet.
In dem zweiten Stadium (Fig. 6—8) schwillt der obere Theil der Mittelsäule zu
einem kugeligen, auf dem Scheitel leicht eingedrückten Kopfe an, der allmählich mehr
als die doppelte Breite des Basalstücks erhält. Seine Vergrösserung beruht fast aus-
schliesslich auf einem nach allen Seiten, nur nicht nach dem Kegel gerichteten Wachs-
thum der Gleba; die anfangs linienförmigen Streifen. welche diese auf dem radialen
Längsschnitt darstellt, erhalten halbmondförmige und zuletzt fast halbkreisförmige Gestalt
und nehmen dabei wenigstens um das sechsfache an Höhe zu. Die gröbere Struetur
der Gleba bleibt dabei die ursprüngliche, nur dass die Platten und ihre Anastomosen sich
fort und fort in dem Maasse vermehren, dass die lufterfüllten Lücken zwischen ihnen
an Weite kaum zunehmen (Fig. 15). Sowohl diese gröbere Structur als auch der fei-
nere Bau der Gleba stimmt im Wesentlichen überein mit der für alle grösseren Gastero-
myceten bekannten.”) Die Platten bestehen aus einem mehrschichtigen lufifreien durch-
30) Vgl. Berkeley, Ann. Sc. nat. 2 Ser. tom. XI, p. 160. Tulasne, ibid. Tom. XVII, p. 7, XVII p.
132, etc, und besonders Tulasne, fungi hypogaei. Die Gleba von Phallus und Clathrus speciell ist von Berkeley
l- c., von Tulasne, Fung. hyp. Tab. XXI. Fig, X. auch von Lespiault, Ann. Se. nat, 3° Ser. Tom. IV (1815)
dargestellt.
— 11 0 —
scheinenden Geflechte zarter farbloser Fäden, welche der Oberfläche der Platte parallel
laufen und die Trama derselben bilden. Die Fäden der Trama gehen continuirlich in
die der Peridie und des Kegels über, sie sind Zweige derselben. An den Kegel setzen
sich die Tramaplatten theils einzeln an, als schmale, mit blossem Auge nicht deutlich
unterscheidbare Körper, theils zu diekeren Leisten vereinigt, welche dem blossen Auge
als Zacken und Vorsprünge des Kegels erscheinen (Fig. 8, 15). Von der ganzen Ober-
fläche der Trama entspringen unzählige, senkrecht oder schräg gegen die Lücken ge-
richtete und reich verästelte Hyphenzweige. Die büschelig geordneten, einzelligen,
eylindvisch keulenförmigen Endästchen dieser letzteren (Fig. 16) sind die Basidien; sie
sind zu einem die Wand jeder Lücke auskleidenden Hymenium dicht zusammengedrängt.
Die Gleba behält ihre ursprüngliche graue Farbe bis sie ihre volle Grösse erreicht hat;
eine blass braune Färbung. welche nun eintritt, zeigt den Beginn der Sporenbildung an.
Diese lässt keine besonderen, von der anderer basidiosporer Pilze abweichenden Eigen-
thümlichkeiten erkennen. Nur ist zu bemerken, dass die kleinen länglichen eylindrischen
Ausstülpungen auf dem Scheitel der Basidie, welche die erste Anlage der Sporen bilden,
sich dicht an der Basidie abgliedern, also ganz zu ungestielten Sporen werden
(Fig. 16). Berkeley’s Zeichnung (Ann. Se. nat. |. c., reprodueirt in Bail, Syst. d. Pilze
Tab. 26) ist in sofern unrichtig, als sie die Sporen auf langen Stielen sitzend darstellt.
Die Zahl der auf einem Basidium sitzenden Sporen schwankte in den von mir unter-
suchten Fällen zwischen 4 und 9, meistens fand ich mehr als 4, am häufigsten 8. Mit
der Bildung der Sporen verschwindet der Protoplasmainhalt der Basidie, die zarte, nur
mehr wässerige Flüssigkeit umschliessende Membran dieser collabirt und wird bald voll-
kommen unkenntlich. Die Sporenbildung beginnt, soviel ich erkennen konnte in allen
Regionen der Gleba gleichzeitig. zunächst auf einzelnen zerstreuten Basidien, und ist
sehr schnell in der ganzen Gleba vollendet. In dem Maasse wie sich die Zahl der
Sporen vermehrt, geht die braune Farbe jener in Grün über. Die reife Gleba ist dunkel
schwarzgrün; ihre Structur ist gegen die ursprüngliche in sofern verändert, als die
Membranen aller ihrer Gewebselemente (die Sporen ausgenommen) zu einer homogenen,
durchsichtigen, in Wasser zerfliessenden, in Alkohol erhärtenden Gallerte zusammenge-
schmolzen sind. Anfangs kann man auf behutsam gemachten frischen Durchschnitten die
Tramaplatten noch leicht als durchscheinende Gallertstreifen zwischen den jetzt von
Sporen erfüllten Lücken wahrnehmen, später erhält man beim Durchschneiden frischer
Exemplare nur mehr eine homogene von zahllosen Sporen durchsäte Schmiere. An in
Alkohol erhärteten Exemplaren kann man jedoch auch noch am Ende des dritten Ent-
— 198 —
wickelungsstadiums die Structur der Gleba erkennen. Man sieht die von Protoplasma-
klumpen erfüllten Lumina der Tramafäden in einer anscheinend homogenen glashellen
Gallerte verlaufen. — Von den reifen Sporen wird unten die Rede sein.
Mit der Gleba nehmen die Theile, welche sie unmittelbar tragen und umgeben. in
verschiedenem Verhältniss an Grösse zu. Die innere Peridienwand dehnt sich in der
Richtung der Oberfläche derart dass sie fortwährend eine enganschliessende, ringsum
geschlossene, hautartige Hülle um die Gleba bildet und behält dabei die Dicke, welche
sie am Anfang des zweiten Entwickelungsstadiums hatte. Der Kegel streckt sich in
gleichem Maasse wie die Gleba in die Länge, in die Dicke aber in viel geringerem
Grade. Er erhält daher eine spitz-conische Gestalt. Aehnlich verhält sich das ceylin-
drische Basalstück; es streckt sich derart, dass es etwa die Höhe der Gleba beibehält,
während sein Dickenwachsthum nur etwa den dritten Theil des letzteren beträgt; daher
denn die Gleba als ein grosser runder Kopf einem dünnen cylindrischen Träger aufsitzt.
Die Verbindung der genannten Theile und ihrer einzelnen Gewebselemente bleibt wäh-
rend des Wachsthums die nämliche wie zu Anfang. Die Hyphen, aus welchen sie be-
stehen nehmen an Dieke und die lufthaltigen Interstitien ihres Geflechts an Weite stetig
zu, das Wachsthum beruht also jedenfalls zum Theil auf Ausdehnung der primitiven
Gewebselemente, ob ausschliesslich lasse ich dahingestelll. Was endlich die Stielanlage
betrifft, so wächst diese mit den Theilen, welche sie umgeben, gleichmässig in die Länge,
nur wenig in die Dicke. Sie behält die Gestalt eines schmalen eylindrischen Körpers,
und ihre Structur scheint die ursprüngliche zu bleiben. Mit Bestimmtheit möchte ich
jedoch nicht darüber absprechen, ob nicht der erste Beginn ihrer späteren Veränderungen
schon in das zweite Entwickelungsstadium fällt.
Sobald die Gleba grün geworden ist, schwillt die Stielanlage gewaltig und auf
Kosten ihrer nächsten Umgebung an, und hiermit beginnt das dritte Entwickelungsstadium
(Fig. 9—11). Das Wachsthum des Stiels geht zunächst vorzugsweise, wenn auch nicht
ausschliesslich in die Dieke, es beginnt an der Spitze und schreitet von hier aus nach
unten fort. Der Stiel hat daher zuerst keulenförmige Gestalt (Fig. 9), welche jedoch
rasch in die einer Spindel mit stumpfen Enden übergeht (Fig. 10). Hat er die Spindel-
form angenommen, so beträgt seine Dicke etwa , von der welche das Basalstück zu
Ende des zweiten Stadiums hatte, seine Höhe etwa , von der der ganzen Mittelsäule zu
önde des genannten Stadiums. Der Stiel wächst nun, unter Beibehaltung seiner bis-
herigen Lage. auf etwa die doppelte Länge. welche ihm bei Vollendung der Spindelform
zukam, heran und nimmt gleichzeitig um ohngefähr %, an Dicke zu. Ganz genau lässt
— 19 —
sich das Maass des Wachsthums nicht angeben, weil dieses nicht an einem und dem-
selben Exemplare verfolgt werden kann. In der Form des Stieles findet hierbei nur
in sofern eine kleine Veränderung statt, als sich seine Spitze etwas mehr verschmälert
wie das untere Ende. Mit dem Beginn des lebhaften Wachsthums tritt eine auffallende
Structurveränderung des Stieles ein. In seiner Längsachse tritt ein cylindrisch spindel-
förmiger, von dem peripherischen Theile (den ich die Wand des Stieles nennen will)
sich scharf abhebender Strang auf, welcher bis dicht an beide Enden reicht und aus
einem ähnlichen, nur zartfädigeren durchscheinenden Gallertgewebe besteht wie die
Gallertschicht der Peridie. Gleichzeitig nimmt die Wand des Stieles eine erst röthlich-
gelbe, bald schön fleischrothe Farbe an, und mit dem ersten Erscheinen dieser Färbung
besteht sie aus zweierlei scharf von einander gesonderten Gewebeformen. Die eine
derselben ist mit dem alten Namen Merenchym zu benennen, in sofern dieser, mit
alleiniger Rücksicht auf die Gestalt der Zellen, ein aus rundlichen oder ovalen Zellen
gleichförmig zusammengeselztes Gewebe bezeichnet. In der (von der Gleba umringten)
Spitze des Stiels bildet das Merenchym einen oben geschlossenen stumpfen Hohlkegel,
dessen Aussenfläche mit vielen seichten meist querlaufenden Furchen und Grübchen ver-
sehen, daher runzelig ist, während die Innenfläche von engen, sehr tiefen und durch
anastomosirende schmale stumpfe Leisten von einander getrennte Gruben und Furchen
überall durchzogen wird. Zwischen Aussen- und Innenfläche bleibt eine nur ziemlich
dünne homogene und nicht durchfurchte Merenchymlage. Nur auf dem Scheitel ist die
Wand aussen und innen glatt (s. Fig. 10, 11, 13). In dem ganzen unteren (d. h. unter-
halb der Gleba stehenden) Theile des Stieles bildet das Merenchym dünne, meist 4 bis
6, hie und da mehr Zellenlagen starke Platten, welche zu einer einfachen Schicht rings-
um geschlossener Kammern miteinander verbunden sind. An der Grenze zwischen
Spitze und unterem Theile des Stiels geht das Merenchym des einen ganz allmählich in
das des anderen über. Die Kammern des unteren Theiles sind während des in Rede
stehenden Entwickelungsstadiums von oben nach unten stark zusammengedrückt, also
sehr niedrig, selten höher als die Platten, welche ihre Wand bilden, dick sind; ihre
Wände, zumal die Aussen- und Innenwände, dabei überall und nach allen Richtungen
eng und unregelmässig- wellig gefältet. Von der Aussen- und Innenseite betrachtet,
erscheint daher die Stielwand von unzähligen engen und tiefen gyrös gewundenen und
anastomosirenden Furchen durebzogen. Alle Kammern, Furchen und Gruben zwischen
den Merenchymlagen des ganzen Stiels werden ausgefüllt von einem Gallertgewebe,
welches dem des axilen Stranges gleich ist und sich von diesem aus in die Furchen
a
der Innenfläche continuirlich fortsetzt. Auch die ganze Aussenfläche des unteren Stiel-
theiles wird von einer sehr dünnen Lage dieses Gewebes überzogen. Das Gallertgewebe
ist farblos und durchscheinend, die rothe Färbung kommt dem Merenchym allein zu,
daher der Stiel bei genauerer Betrachtung nicht gleichförmig fleischroth, sondern durch
unzählige Gallertstreifen marmorirt erscheint.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die beschriebene Structur des Stiels dadurch
zu Stande kommt, dass sich sein gleichförmiges primitives Gewebe in abwechselnde Lagen
von Gallertfilz und Merenchym differenzirt. In welcher Weise diese Differenzirung beginnt,
darüber konnte ich, bei der Zartheit und engen Verflechtung der primitiven Hyphen keinen
näheren Aufschluss erhalten. Soviel ich erkennen konnte ist die Struclur und Anordnung
der Merenchympartien von Anfang an dieselbe wie in späterer Zeil, nur sind die Wände
der Kammern anfangs weniger gefaltet. Die Zellen des Merenchyms sind anfangs sehr
klein und mehr polyedrisch als später. In dem Maasse als der Stiel wächst nehmen sie
fortwährend an Grösse zu, während ihre Anordnung und Zahl, soviel aus Durchschnitten
erkennbar ist, unverändert bleiben und Theilungen in ihnen nicht gefunden werden. Die
ganze Vergrösserung des Stiels beruht somit fast ausschliesslich auf Ausdehnung der
Merenchymzellen. Mit Vollendung ihres Wachsthums haben diese Zellen rundliche oder
elliptische Gestalt, die einen mehr kugelig, andere mehr länglich, ihre Länge mag durch-
schnittlich in dem unteren Theile des Stiels /,; Mm. ihre Breite '/, Mm. betragen, grössere
und kleinere sind jedoch sehr häufig. In der nicht in Kammern getheilten Spitze sind
die Zellen erheblich kleiner. Sie sind auf dünnen Durchschnitten fast völlig wasserhell,
die Membran glatt, homogen, ungeschichtet und ziemlich zart, die rothe Färbung scheint
allein dem Inhalte anzugehören, doch fehlen mir hierüber entscheidende Untersuchungen.
Zwischen den Merenchymzellen finden sich enge, immer lufthaltige Intercellulargänge.
Die Kammern und Furchen des Stiels bleiben während des dritten Stadiums immer von
Gallertfilz erfüllt; in welcher Weise dieser dem Wachsthum des Merenchyms folgt habe
ich nicht untersucht. Wand und axiler Gallertstrang nehmen an dem beschriebenen
Wachsthum ziemlich gleichen Antheil; der Querdurchmesser des letzteren bleibt der
Dicke jener fortwährend nahezu gleich. Nur in der Stielspitze ist die Wand bedeutend
dünner als unten, ihre Dicke nimmt nach oben stetig ab und beträgt an dem Scheitel
kaum den vierten Theil von der der unteren Stielportion.
Durch die Vergrösserung des Stiels werden die ihn zunächst umgebenden Theile
beträchtlich verändert. Während des kurz dauernden Zustandes, in welchem der Stiel
Keulenform hat, folgt das Basalstück dem Diekenwachsthum derart, dass es bei beträcht-
— 201 —
licher Vergrösserung der Oberfläche seine ursprüngliche Dicke beibehält. Gleba und
Kegel werden dagegen nicht dieker; zwischen dem unteren Rande jener und dem Ba-
salstücke entsteht daher eine tiefe ringförmige Furche (Fig. 9). Bald tritt aber in dem
Wachsthum des Basalstückes Stillstand ein; je mehr sich der Stiel ausdehnt, desto flacher
wird die Ringfurche; hat der Stiel regelmässige Spindelform, so ist sie fast ganz verschwun-
den und das Basalstück ist zu einer dünnen weissen Haut ausgedehnt und zusammen-
gedrückt, deren Dicke kaum ', der ursprünglichen beträgt. Gleba und Kegel werden
durch den wachsenden Stiel von Anfang des in Rede stehenden Entwickelungsstadiums
an nur mechanisch gedehnt und zusammengedrückt. Letzterer nimmt bald die Beschaffen-
heit einer dünnen. zwischen Stiel und Gleba liegenden weissen Haut an. die Gleba
erhält die Form eines immer höher und weiter, aber auch immer dünnwandiger
werdenden oben und unten offenen Hohlkegels; während sie zur Zeit der Sporenbildung
6— 7 Mm. hoch und etwa 3 Mm. dick war, hat sie zuletzt eine Höhe von etwa 15,
eine Dicke von etwa ', bis 1 Mm. Das obere Ende der Stielspitze drängt sich dabei mehr
und mehr zwischen den oberen Rand der Gleba, so dass es zuletzt 1—2 Mm. über
ihn hinausragt. Die innere Peridienwand endlich folgt dieser Dehnung derart, dass sie
als dünne weisse Haut ihre ursprüngliche Lage und Verbindung mit den benachbarten
Theilen beibehält (Fig. 9, 10, 11). Eine wesentliche Structurveränderung konnte ich
in allen den letzterwähnten Theilen während ihrer Dehnung nicht wahrnehmen.
Der ganze Fruchtkörper, in welchem die beschriebenen Entwickelungsprocesse vor
sich gehen, ist zu Anfang des zweiten Stadiums erbsengross oder wenig grösser, rund,
oft genau kugelig. Von dem zweiten Stadium an streckt er sich in die Länge, bis zu
schmal ovaler Gestalt, und erreicht bis zum Ende des dritten Stadiums eine Dicke von
etwa 2 CUm., eine Länge von etwa 5 Cm., wobei natürlich vielerlei individuelle Ver-
schiedenheiten vorkommen. Während dieser Vergrösserung behält die Aussenwand
nahezu unveränderte Dicke und Structur; die Fäden ihres Geflechtes werden nur wenig
dicker. Die Gallertschicht wächst gleichzeitig auf das Doppelte bis Vierfache der Dicke,
welche ihr am Anfang des zweiten Stadiums zukommt. Sie behält dabei ihre ursprüng-
liche Structur, die von Gallerte erfüllten Lücken ihres Geflechtes bleiben so breit oder
werden selbst enger wie zu Anfang; ihre einzelne Fäden werden etwas dieker und hie
und da varicös aufgetrieben, ihr Protoplasmainhalt unregelmässig grobkörnig. Hiernach
müssen die peripherischen Theile des Pilzes bis zum Ende des dritten Stadiums der Ver-
grösserung von Stiel und Gleba durch ein lebhaftes actives Wachsthum mittelst Neu-
bildung von Gewebselementen folgen. (Vergl. Fig. 4—11).
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V. 26
— 202 —
Alle Neubildung und alle Ausdehnung der vorhandenen Zellen, also alles eigentliche
Wachsthum hört aber auf, bevor das vierte Entwickelungsstadium anfängt. Die Streckung
des Stiels, durch welche dieses Stadium bezeichnet wird, geschieht dadurch, dass die
gefallteten Wände der Kammern, aus denen die Wand der unteren Stielportion besteht,
geglättet und dadurch ausgedehnt, zumal die am meisten gefalteten verticalen Wände
aufgerichtet werden (Fig. 13, 17, 18). Jede Kammer nimmt hierdurch an Höhe bedeu-
tend zu, an Tiefe etwas ab; ihre Gestalt wird unregelmässig polyedrisch, isodiametrisch
oder etwas in die Länge gestreckt; die Furchen auf der Aussen- und Innenfläche der
Stieiwand werden zu flachen weiten Grübehen ausgeglättet. Durch diese Veränderungen
wird die Stielwand dünner, während gleichzeitig der Querdurchmesser des ganzen
Stieles zunimmt; der axile Raum muss also beträchtlich weiter werden. Die Längen-
streckung der unteren Stielportion erreicht zuletzt ungefähr das Dreifache von der Höhe,
welche sie am Ende des dritten Stadiums hat, was zugleich die durchschnittliche Höhen-
zunahme der einzelnen Kammern angibt. Die absolute Höhe des ganzen Stiels, bis zu
dem über die Gleba vorragenden Scheitel beträgt nach vollendeter Streckung meist
10—14 Cm. (s. Fig. 12, 13). Kein anderer Theil des Pilzes als die in Kammern
abgetheilte untere Stielportion nimmt an der Streckung activen Antheil. Die von der
Gleba überzogene Spitze bleibt unverändert. Sie wird durch die Verlängerung ihres
Trägers in den Scheitel der Gallertschicht und Aussenwand eingebohrt bis letzlerer in
unregelmässige Lappen zerreisst und die Gleba in’s Freie treten lässt. Gleichzeitig reisst
das Basalstück dicht unter der Gleba von der innern Peridienwand ringsum ab; es bleibt,
während jene emporgehoben wird, an der Basis des Stiels als eine kurze verkehrt-
kegelförmire Scheide stehen. Die innere Peridienwand tritt mit der Gleba in’s Freie.
Anfangs ist sie noch als eine zarte, Gleba und Stielspitze wie zuvor umschliessende
Haut erkennbar, bald wird sie jedoch durch Verschwinden des Lultgehalts unkenntlich.
Das Gleiche gilt von dem Kegel. Auf dem völlig gestreckten Stiele scheint daher die
Gleba nackt der rothen Stielspitze unmittelbar aufzusitzen, überragt von dem gleichfalls
rothen convexen und glatten Scheitel des Stieles.
Die Merenchymzellen des Stieles nehmen während der Streckung weder an Zahl
noch an Grösse zu, vielmehr erfolgt die Ausdehnung der Kammern nur durch Glättung
und Aufrichtung ihrer Wände. Sobald eine Kammer anfängt sich zu dehnen, enthält sie
Luft, der Gallertfilz, welcher sie früher ausfüllte, wird zerrissen, seine Fragmente haften
anfangs noch deutlich der Wand an, um zu vertrocknen und unkenntlich zu werden, so-
bald die Kammer ihre volle Ausdehnung erreicht hat. Dieser Vorgang findet in den
— 203 —
obersten Kammern lange vor der Zerreissung der Peridie statt, also während der Stiel
noch von einer dicken luftfreien Gewebmasse rings umgeben wird. Die engen Inter-
cellularräume des Merenchyms bleiben dabei nach wie vor lufthaltig. Die Luft kann hier-
nach nicht von aussen in die Kammern eintreten, sondern muss von einer im Innern
derselben stattfindenden Gasausscheidung herrühren. Dies erklärt den Mechanismus der
Ausdehnung der Kammern: sie werden durch in ihrem Innern ausgeschiedene Luft gleich-
sam aufgeblasen. In derselben Weise wie in den Kammern verschwindet auch in dem
axilen Raume das Gallertgewebe, um durch Luft ersetzt zu werden. Die Zusammen-
selzung der ausgeschiedenen Luft konnte ich noch nicht ermitteln, nur das Eine glaube
ich bestimmt angeben zu können, dass es keine Kohlensäure ist. — In der Luftansamm-
lung liegt ohne Zweifel auch der Grund, warum der sich streckende Theil des Stiels
ganz blass röthliche Farbe annimmt; die Spitze behält ihr intensiv fleischrothes Colorit
unverändert bei.
Die Ausdehnung beginnt in den obersten Kammern und schreitet langsam nach
unten zu fort. Bei einigen im Zimmer beobachteten Exemplaren dauerte es von dem
ersten Hervortreten der Spitze aus der Peridie bis zur vollendeten Streckung des ganzen
Stieles ungefähr 36 Stunden. Ist die Ausdehnung bis zum untersten Ende des Stieles
fortgeschritten, so muss dieser überall von den Theilen, welchen er früher angewachsen
war, losgelöst sein, er fällt daher leicht aus der Peridie heraus. Mit vollendeter
Streckung des Stiels ist der Entwickelungsprocess des Fruchtkörpers fertig. Die Gleba
zerfliesst und tropft von ihrem Träger ab, letzterer geht sammt der Peridie bald in Zer-
setzung über.
Das Mycelium von Phallus impudicus besitzt die nämliche Form und Ver-
zweigung wie bei Phallus caninus, was besonders durch Rossmann’s Beschreibung
und Abbildung (Bot. Zeit. 1853, p. 185 Taf. IV) bekannt ist. Seine Stränge werden
viel grösser und dicker als die des Ph. caninus. An den stärkeren derselben unter-
scheidet man auf Durebschnitten einen dicken cylindrischen, wässerig-bräunlichen Mittel-
theil, den ich Mark nennen will, und eine das Mark umschliessende dünne weisse
Rindenschicht. Das Mark besteht aus zahlreichen longitudinal verlaufenden Hyphen, von
denen die einen weit und dünnwandig, andere dünn und mit stark verdickter Membran
versehen sind. Beiderlei Formen stehen anscheinend ordnungslos durcheinander, alle
sind ziemlich dicht zusammengedrängt, die engen Lücken zwischen ihnen vollkommen
26*
— 204 —
ausgefüllt von einer zähen homogenen Gallerie, welche in Wasser weich wird, ohne
jedoch zu zerfliessen, in Alkohol stark schrumpft. Das ganze Gewebe ist durchaus
luftfrei. Die Rinde besteht aus mehreren Lagen von Hyphen und zwar finden sich von
letzteren die nämlichen beiden Formen wie in dem Marke in den inneren Rindenlagen,
während die äusseren nur aus weiten und dünnwandigeu bestehen. Die Hyphen der
Rinde verlaufen aber nicht longitudinal, sondern quer um den Myceliumstrang, oder
richtiger, sie sind in sehr engen Windungen spiralig um den Markeylinder gewickelt,
etwa wie der Metalldraht einer umsponnenen Claviersaite. Sie entspringen als Zweige
von den Markhyphen, laufen von diesen aus erst eine kurze Strecke weit schräg nach
aussen, um sich dann in der beschriebenen Weise aufzuwickeln. Von den äussersten
Rindenhyphen entspringen zerstreute kurze Zweige, welche als feine Haare von der
Oberfläche abstehen. Letztere sammt den Haaren, ist dicht inerustirt von slabförmigen
Krystallen oxalsauren Kalks. Zellen, welche dieses Salz in ihrem Innern enthalten,
sah ich an dem Mycelium nicht.
Die ganz jungen Entwickelungszustände der Fruchtkörper von Ph. impudieus habe
ich nicht beobachte. Nach der Darstellung Rossmann’s (l. ce.) findet hier ohne
Zweifel die erste Anlegung der Aussenhaut, Gallertschicht und Mittelsäule auf wesent-
lich die nämliche Weise wie bei Ph. caninus statt. Wie die Gleba anfangs gestaltet
und gestellt ist, darüber geben Rossmann’s Darstellungen keinen klaren Aufschluss, offen-
bar weil seine Exemplare unregelmässige Formen halten und seine Längsschnitte daher
theils durch die (organische) Mittellinie, theils neben derselben vorbei gingen. Nach
der Structur des jüngsten von mir beobachteten Exemplares (Fig. 19) zu urtheilen, ist
auch die Anlage und ursprüngliche Form der Gleba und des Stieles hier vollkommen
denen von Ph. caninus ähnlich, abgesehen natürlich von einzelnen, die Species unter-
scheidenden Differenzen; und diese Ansicht steht mit den Darstellungen Rossmann’s nicht
im Widerspruch.
Besagtes Exemplar (Fig. 19), welches ich erst, nachdem es längere Zeit hindurch
in Alkohol gelegen, untersucht habe, ist rundlich, etwa 2,5 Cm. gross. Es befindet
sich auf einer Entwickelungsstufe, welche dem Ende des zweiten oder dem Beginne
des dritten Stadiums von Ph. caninus (vergl. Fig. 8) entspricht. Aussenwand, Gallert-
Schicht und Innenwand der Peridie sind wie bei diesem angeordnet. Das Basalstück,
welches bei Ph. impudicus immer sehr kurz und dick ist, geht wie bei Phallus caninus
in die Aussen- und Innenwand über und setzt sich nach oben in einen breit-conischen
„Kegel“ fort, dessen Spitze mit dem Scheitel der Innenwand zusammenstösst. Zwischen
— 205 —
Innenwand und Kegel liegt die Gleba, welche die Gestalt eines an beiden Enden offenen
Hohlkegels mit dicker, auf dem senkrechten radialen Durchschnitt halbmondförmiger, oben
und unten stumpf abgerundeter Wand besitzt. Die Gleba hat die nämliche Structur, wie
bei Ph. caninus, nur dass sie für das blosse Auge eine grobe radiale Streifung zeigt,
indem ihre Tramaplatten vorzugsweise von dem Kegel aus strahlig zur Peridienwand
verlaufen. In den Kammern finden sich schon zahlreiche, grösstentheils noch den Ba-
sidien aufsitzende Sporen. Die Farbe der Gleba ist blass grünlich-braun. Der Kegel
zeigt schon in diesem Stadium eine (bei Ph. caninus fehlende) Spaltung in einen weit-
aus grösseren inneren Theil und eine dünne hautartige peripherische Schicht. Letztere
ist auf ihrer Aussenfläche mit den leistenarligen, netzförmie verbundenen und in die
Gleba einspringenden Vorragungen versehen, welche für den reifen Phallus bekannt sind,
von ihr entspringen die Tramaplatten der Gleba. Sie hat die Form eines dünnen kegel-
förmigen Hutes und mit letzterem Namen möge sie auch hier bezeichnet werden. Der
untere Rand des Hutes biegt sich, der Gleba folgend, nach aussen, um an der Grenze
ihrer Aussenfläche zu endigen.
In der Längsachse des Kegels liegt die Anlage des Stiels, ein schmal eylindrischer
Körper, mit seinem zugespitzten unteren Ende kaum tiefer als der untere Rand der
Gleba hinabreichend, mit seinem nicht verschmälerten oberen Ende an den Scheitel der
inneren Peridienwand anstossend. Der Stiel lässt schon deutlich unterscheiden einen
breiten axilen Gallertstrang und die aus sehr kleinzelligem Gewebe bestehende Wand.
Letztere ist am oberen Ende offen, ihr oberer Rand kurz -trichterförmig erweitert und
dann nach aussen umgebogen, um sich unmittelbar in die Substanz des Hutes fortzu-
setzen. Der axile Gallertstrang reicht somit bis zur inneren Peridienwand.
Ein anderes, in Figur 20 im senkrechten radialen Durchschnitt dargestelltes Exem-
plar stellt einen etwas älteren Entwickelungszustand dar als das erstbeschriebene. Alle
Theile zeigen genau die gleiche Anordnung wie bei diesem, sie sind aber allesammt
bedeutend gewachsen. Die Gleba hat, ohne ihre Form wesentlich zu verändern, an
Umfang, Höhe und Dicke beträchtlich zugenommen; ihre Farbe ist schwarzgrün, in den
Kammern finden sich viele, theils freie, theils noch auf den Basidien sitzende Sporen
(ob noch junge Basidien, konnte ich nicht entscheiden, weil auch dieses Exemplar erst
untersucht wurde, nachdem es längere Zeit in Alkohol gelegen hatte). Der Stiel ist im
gleichen Verhältniss wie die übrigen Theile gewachsen, er hat schmale Spindelform
angenommen, seine Wand ist beträchtlich dicker geworden und zeigt jezt schon sehr
deutlich die Sonderung in Merenchymplatiten, welche von Gallertfilz erfüllte Kammern
— 206 —
bilden. Die Wände der letzteren sind fast gerade, ihre Windung und Faltung scheint
demnach erst später einzutreten; die Zellen des Merenchyms noch ungemein klein. Die
weisse Substanz des Kegels scheint mit Vergrösserung ihrer Höhe und ihres Umfangs
an Dicke abzunehmen.
Alle noch älteren Exemplare, welche ich untersucht habe (Fig. 21), hatten
eiförmige Gestalt und waren nahezu oder völlig verwachsen. Der Stiel ist in ihnen
vorwiegend entwickelt. Er hat eine breit-spindelförmige Gestalt, sein unteres Ende ist
tief in das Basalstück eingebohrt, seine Länge beträgt eiwa das Doppelte von der des
letztbeschriebenen Entwickelungszustandes, in die Dicke ist er aber in seinem mittleren
Theile um wenigstens das Vierfache gewachsen, sein Querdurchmesser beträgt etwa
/, von dem des ganzen durch die innere Peridienwand eingeschlossenen Körpers. Axiler
Strang und Wand haben in gleicher Höhe nahezu die gleiche Dicke. In letzterer erkennt
man schon mit blossem Auge die von oben nach unten stark zusammengedrückten und
mit wellig gefalteten Wänden versehenen Kammern, und zwar bilden diese nicht eine
einfache, sondern zwei bis drei unregelmässige Lagen, was übrigens schon in dem in
Figur 20 dargestellten Zustande der Fall ist. Nur ein kurzes oberstes Stück der Stiel-
wand ist nicht in Kammern getheilt, sondern eine solide, dünne, mit engen welligen
Querfalten versehene Platte. Die feinere Structur des Stiels ist der von Ph. caninus
ganz ähnlich, nur sind die Wände der Kammern aus zahlreichen (6 —8— 10) Lagen
von Merenchymzellen gebildet, diese durchschnittlich kleiner als bei Ph. caninus und
ganz farblos. Der obere nicht gekammerte Theil der Stielwand besteht bis zu seinem
obersten nach aussen gekrämpten Rande aus dem nämlichen, kaum kleinzelligeren Meren-
chym wie die Kammerwände, an welches sich dann das feste faserige Gewebe des
Hutes ansetzt. Mit dem Wachsthum des Stieles haben alle umgebenden Theile an Höhe
und Umfang bedeutend zugenommen. Innenwand und Hut sind dabei, während ihre
Oberfläche etwa ums Doppelte gewachsen ist, eher dicker als dünner geworden wie
vorher. Auch die Gleba nimmt, während sich ihr Umfang mehr als verdoppelt. kaum
um ', an Dicke ab. Alle diese Theile müssen daher der Vergrösserung des Stieles
durch actives Wachsthum folgen. Für die Gleba ist es unzweifelhaft, dass dieses durch
beträchtliche Ausdehnung der Hyphen, aus welchen die Tramaplatten bestehen, geschieht.
Diese Hyphen sind bei erwachsenen Exemplaren mehr als doppelt so dick wie bei den
in Figur 19 und 20 dargestellten und mit sehr dicker, gallertartiger, in Wasser stark
quellender Membran versehen. Ob das Wachsthum des Hutes und der Innenwand auch
nur auf einer Vergrösserung früher gebildeter Gewebselemente beruht, muss ich unent-
— 27 —
schieden lassen. Aussenwand und Gallertschicht folgen dem Wachsthum wie bei Phallus
caninus. Der einzige Theil, welcher mit der Vergrösserung des Stiels stetig an Umfang
zu- und an Dicke abnimmt, also nur mechanisch gedehnt zu werden scheint, ist die
zwischen Stiel und Hut gelegene Portion des Kegels. Sie erhält zuletzt die Gestalt
einer dünnen weichen Haut, welche von den Autoren der Schleier (velum) des Stiels
genannt worden ist.
Zuletzt hebt bekanntlich auch bei Ph. impudieus eine rasche Streckung des Stiels
die Gleba aus der Peridie hervor. Aussenwand und Gallertschicht werden dabei wie
bei Ph. caninus durchrissen. Die Innenwand reisst gleichfalls an ihrem Scheitel weit
auf, sie bleibt mit der Gallertschicht in fester Verbindung, die Gleba löst sich überall
von ihr ab und wird aus ihr hervorgehoben. Der Kegel reisst in seinem untersten
Theile quer durch; die mit dem Basalstücke zusammenhängende Portion bleibt mit letz-
terem als eine die Stielbasis umgebende napfförmige Scheide stehen; der obere Theil
zerreisst in unregelmässige Fetzen, welche theils zwischen Hut und Stiel, theils auf der
freien Aussenfläche des letzteren hängen bleiben (Velum). Während der Streckung
nimmt der ganze Stiel nur wenig, der axile Raum dagegen bedeutend an Breige zu.
Der Mechanismus der Streckung ist der gleiche wie bei Ph. caninus, die Kammern
werden durch Luftausscheidung aufgeblasen, ihre Wände aufgerichtet und geglättet.
Jede Vergrösserung der einzelnen Zellen hört vor der Streckung auf. Recht anschau-
lich wird dieses bei Betrachtung des oberen, nicht gekammerten Theiles der Stielwand;
er nimmt an der Streckung keinen Antheil, sondern behält die ursprüngliche wellige
Faltung immer bei. Die Streckung des Stieles geht bei Ph. impudieus rascher vor
sich als bei Ph. caninus. Ob sie schon in '% bis 2 Stunden vollendet ist. wie
Corda angibt, lasse ich dahingestellt. Alle Exemplare, welche ich kurz nach Beginn
der Streckung aufgeschnitten habe, zeigten sämmtliche Kammern der Stielwand gleich-
mässig, wenn auch erst unvollkommen aufgeblasen,. eine basipetale Entfaltung konnte
ich nicht finden. Das Aussehen und das weitere Schicksal des reifen gestreckten
Pilzes ist zu allgemein bekannt, um hier noch beschrieben werden zu sollen. Vor-
treifliche Darstellungen davon, sowie von den der Streckung unmittelbar vorher-
gehenden Zuständen finden sich bei Corda (Icon. V, p. 71—73, Taf. VII) und bei
Krombholz.
Was die feinere Structur der Organe von Ph. impudicus betrifft, so ist dieselbe
der von Ph. caninus durchaus ähnlich, eine ausführliche Beschreibung von jedem ein-
zelnen Organe daher überflüssig. Im Allgemeinen sind die Organe von Ph. impu-
a
dicus, zumal die verschiedenen Häute, dicker. derber und fester, als bei der anderen
Art; die äussere Peridienhaut ist auf ihrer Oberfläche und ın den Interstitien
ihres derben Hyphengeflechtes mit reichlichen Ablagerungen von oxalsaurem Kalk
versehen.
Das Organ, welches dem Ph. impudieus eigen ist und der anderen Art fehlt.
nämlich der Hut, zeigt in seinem Bau wenig bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten.
Er stellt eine derbe zähe Haut dar. gebildet aus einem vielschichtigen Geflechte dicht
verfilzter ziemlich derbwandiger ceylindrischer Hyphen.
Corda beschreibt noch ein anderes besonderes Organ des Ph. impudieus, nämlich
den „inneren Strunkschleier“ eine mehr oder minder zerfetzte Haut, welche den
axilen Hohlraum des gestreckten Stieles auskleidet. Diese Haut besteht einfach in den
der Wand anhaftenden Resten des axilen Gallertstranges, welche bei Ph. impudieus
derber und dauerhafter sind als bei Ph. caninus. Zumal in der Spitze des Stieles
bleibt das Gallertgewebe auch nach der Streckung längere Zeit hindurch erhalten,
es enthält hier vereinzelte sehr dicke und derbe Hyphen, welche es nach allen Rich-
tungen hin durchziehen und zwischen den weicheren Elementen gleichsam ein festes
Gerüste bilden. Die Oeffnung in der Spitze der Stielwand bleibt daher wie durch
einen Pfropf, oder, von aussen betrachtet, wie durch ein Epiphragma geschlossen, nur
bei ganz alten Exemplaren ist sie zuweilen offen.
Die Entwickelung der Sporen von Ph. impudicus ist von Lespiault (1845,
l. c.), Tulasne (fung. hyp. Tab. XXI fig. X. 1851), Bonorden (Bot. Zeitg. 1851)
dargestellt worden, und 1859 nochmals von Bail (Verhandl. Zool. Bot. Ges. Wien,
1859, Tab. I). Sie findet in der gleichen Weise statt wie bei der anderen Art und
zwar fand ich die Sporen wie sie Tulasne abbildet ungestielt auf den Basidien sitzend,
nicht von langen Stielen, welche Bonorden und Bail darstellen, getragen.
Die reifen Sporen von beiden Arten haben die Form eylindrischer, an beiden Enden
abgerundeter Stäbchen; die von Ph. caninus sind '/,,. bis %,, Mm. lang und höchstens
halb so breit; die von Ph. impudicus sind meist ein wenig kleiner, im Uebrigen jenen,
soweit die Beobachtung reicht, ganz gleich. Die Membran der Sporen erscheint als
einfache, ziemlich dunkele Linie; sie umschliesst einen homogen-trüben, oft von ein-
zelnen kleinen Vacuolen unterbrochenen Inhall. Aussen um die Membran geht bei
Sporen, welche in Wasser liegen, ein ziemlich breiter, blasser, nicht scharf umschrie-
— 209 —
bener Hof, welcher, wie es scheint, das Vorhandensein einer gallertigen Aussenhaut
oder Hülle um die Sporen anzeigt. Einzeln betrachtet erscheinen die Sporen blassgelb-
lich, fast farblos, in einer dünnen Schicht schmutzig - gelbbraun bis gelbgrün ; hiernach
und nach den mitgetheilten entwickelungsgeschichtlichen Daten dürfte die dunkele Farbe
der reifen Gleba allein von den in ungeheurer Menge angehäuften Sporen herrühren.
Bringt man von der Gleba eines reifen Pilzes eine kleine Portion in reines Wasser,
so zeigen die Sporen unter dem Mikroskop eine schwach hin und her oseillirende oder
wackelnde Bewegung, welche unabhängig ist von den stärkeren Strömungen, die in dem
Wasser durch Erschütterungen u. s. w. hervorgerufen werden. Lässt man eine relativ
grosse Wassermenge mehrere Stunden lang einwirken, so werden die Oscillationen all-
mählig schwächer, hören jedoch selten ganz auf. Diese Erscheinungen treten in ganz
der gleichen Weise ein, sowohl an ganz frischen Sporen, als an solchen, welche Jahre
lang trocken oder in Weingeist aufbewahrt oder durch Jod, durch Kochen in Wasser
getödtet sind, sie sind also nicht als Eigenthümlichkeiten der lebenden Spore, sondern
als rein physikalische Erscheinungen zu betrachten. Bringt man zu den in Wasser oscil-
lirenden Sporen Alkohol, so hört die Bewegung sofort auf, um wieder zu beginnen,
sobald der Alkohol durch Wasser erselzt wird; man kann dies viele Male mit gleichem
Erfolg wiederholen. Wie oben erwähnt wurde, sind die Sporen einer in Wasser zer-
fliessenden, aus den Membranen der Gleba entstandenen Gallerte eingebettet, die sich
mit der Reife vielleicht auch theilweise in gummiartige, in Wasser wirklich lösliche
Stoffe umsetzt. Man kann sich sowohl an dem unversehrten Pilz als an mikroskopischen
Präparaten jeder Art leicht überzeugen, dass die Gallerte durch Alkohol sofort erhärtet,
in Wasser wiederum sofort bis zum Unkenntlichwerden zerfliesst. Aus dieser Reihe von
Erscheinungen folgt, wie mir scheint, dass die Oscillationen der Sporen in den Bewe-
gungen ihren Grund haben muss, welche bei der Quellung oder theilweisen Auflösung
der Gallerte in dem Wasser entstehen und so kleinen Körperchen wie die Sporen sind,
mitgetheilt werden.
Die Oseillationen der Phallussporen sind denen durchaus gleich, welche bei den
sogenannten Spermatien der Pyrenomyceten, Uredineen u. s. w. allgemein beobachtet
werden. Letztere sind gleich den Phallussporen einer meist leicht nachweisbaren Gal-
lerte oder gummiartigen Substanz eingebettet, welche in Wasser zerfliesst, in Alkohol
erhärtet; ihre Grösse ist der der Phallussporen nahezu gleich oder geringer. Die Oseil-
lationen dieser Körper dürften hiernach auch den gleichen Grund haben wie die der
Phallussporen. Ich habe das Verhalten der frischen und getödteten Spermatien von
Abbandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V 27
— 210 —
Cytispora incarnata Fr. und von Acrostalagmus”) in Alkohol, Wasser u. s. w.
in derselben Weise untersucht wie das der Phallussporen und dem letzteren ganz gleich
gefunden.
Noch eine Aehnlichkeit der Phallussporen mit manchen Spermatien mag hervor-
gehoben werden. Bekanntlich stinkt Ph. impudicus zur Zeit seiner vollen Reife
stark und eigenthümlich. Die eben aus der Peridie hervorbrechende Gleba hat dagegen,
wie auch Tulasne bemerkt (Fung. Carpolog. I, 40) einen besonderen, nicht unan-
genehmen Geruch. der sich nicht beschreiben lässt, aber wie mir vorkommt entschieden an
den der Uredineenspermagonien erinnert. Diesen Geruch finde ich wieder beim An-
feuchten einer Gleba, welche fast zwei Jahre trocken dagelegen hatte, während der
widerliche Gestank beim Trocknen zu verschwinden scheint.
Endlich besteht eine weitere Aehnlichkeit zwischen den meisten sogenannten Sper-
matien und den Phallussporen leider darin, dass es bis jetzt nicht gelungen ist, ihre
Keimung zu beobachten. Alle Versuche, welche ich hierzu gemacht habe, sind erfolg-
los geblieben und Anderen ist es nicht besser gegangen. Denn die angebliche Keimungs-
geschichte des Ph. impudicus, welche Oschatz (Nov. Act. Nat. Cur. XIX, ID) gegeben
hat, besteht, wie sachkundige Kritiker längst anerkannt haben (Tulasne, fung. carpol. I,
p- 91; Hoffmann, Index fung.) aus einer ununterbrochenen Reihe von Verwechslungen
und Irrthümern.
IV. Syzygites megalocarpus.
(Tafel XXX und XXXI.)
Im Jahre 1829 hat Ehrenberg””) unter dem in der Ueberschrift genannten
Namen einen Schimmelpilz beschrieben, welcher sich von allen anderen dadurch aus-
zeichnet, dass seine grossen Früchte aus einer paarweisen Vereinigung keulenförmiger
3!) Vergl. Hoffmann, Bot. Zeitg,. 1854, Nro. 15 u. 16. Die Form, welche ich untersucht habe,
Ac. cinnabarinus stimmt mit der Hoffmann’schen vollkommen überein, nur habe ich ihre Sporen, welche von
Hoffmann gewiss mit Recht den Spermatien anderer Pilze verglichen werden, in grosser Menge keimen sehen
und aus denselben mehrere einander gleiche Generationen von Acrostalagmuspflänzchen erzogen,
32) Syzygiles, eine neue Schimmelgattung. Verhandl. Ges. Naturf. Freunde zu Berlin. I (1829) p. 98,
Taf. I und I.
— 211l —
Fruchtzweige entstehen. Ehrenberg’s vortreflliche Darstellung lenkte die allge-
meine Aufmerksamkeit auf den sonderbaren Pilz, er wurde allgemein bekannt und
vielfach besprochen, aber meistens nur auf Grund der Beobachtungen seines Entdeckers.
Von späteren Originalarbeiten fügte die mit schönen Abbildungen versehene Dar-
stellung, welche wir Corda’”) verdanken, den Angaben Ehrenberg’s nur einige wenig
bedeutende Einzelheiten hinzu: und die noch späteren Beobachtungen Bonorden’s”')
brachten nicht nur nichts Neues. sondern stehen hinter denen seiner Vorgänger ent-
schieden zurück. Erst Tulasne brachte in einer kurzen Mittheilung”’) wesentliche
Erweiterungen und Berichtigungen von Ehrenberg’s und Corda’s Angaben, theils in
Beziehung auf die Form selbst, welche Syzygites genannt worden war, theils indem
er zuerst aussprach, dass die unter dem Namen Sporodinia grandis Lk. bekannte
Pilzform mit Syzygites dem Entwickelungskreise einer und derselben Species ange-
hört. Ich habe in einer ebenfalls kurzen Mittheilung”) Tulasne’s Ansicht zu bestä-
ligen gesucht, und zwar auf Grund von Untersuchungen, welche von den allerdings
früher vollendeten Tulasne’schen in keiner Weise beeinflusst waren. Da seither über
den in Rede stehenden Gegenstand nichts bekannt geworden ist, da Syzygites aber
jedenfalls zu den interessantesten Pilzen und besonders zu denjenigen gehört, welche
am meisten zur Demonstration des Dimorphismus der Pilzfrüchte geeignet sind, da
endlich Bonorden®) in diesen Tagen einen wunderlichen Feldzug gegen die Lehre
vom Dimorphismus und Pleomorphismus der Pilze eröffnet hat; so mag es wohl erlaubt
sein. meine erwähnten Untersuchungen hier etwas ausführlicher mitzutheilen, sei es
auch nur um die Darstellungen, die wir von anderer Seite wohl erwarten dürfen,
zu bestätigen oder zu ergänzen.
Syzygites megalocarpus findet sich in Wäldern auf faulenden fleischigen
Schwämmen, und zwar, wie schon durch Ehrenberg und Corda bekannt ist, auf
sehr verschiedenen Arten derselben. Sein Mycelium ist in dem Gewebe der Schwämme
33) Corda, Prachtflora Europ. Schimmelbildungen. (1839) p. 49, Tab. 23.
34) Bonorden, Allgem. Mycologie p. 127. (1851.)
35) Tulasne, Comptes rendus. Tom. 41 (1855), p. 617. Auch Fung. Carpol. I, p. 64, 78.
36) de Bary, Untersuchungen über d. Conjugaten p. 65. (1858).
37) Abhandlungen aus dem Gebiete der Mycologie. Halle 1864. Ich erwähne diese Arbeit hier, weil
sie mich wirklich veranlasst hat, die Beobachtungen über Syzygites jetzt zu veröffentlichen, als eine Art Er-
widerung auf die Polemik ihres Autors gegen die Lehre von der Pleomorphie der Pilze. Näher auf die Pole-
mik einzugehen, wäre verlorene Mühe.
27%
— 212 —
weit verbreitet und besteht aus derben, reich verzweigten geschlängelten und oft ab-
wechselnd eingeschnürten und varicösen Schläuchen, welche stellenweise mit zahl-
reichen Querwänden versehen, oft aber auch auf lange Strecken ganz querwandlos
sind. Die Schläuche enthalten dicht körniges, von vielen Vacuolen durchsetztes Proto-
plasma und besitzen eine farblose, mässig dicke ungeschichtete Membran. Mit wässe-
riger Jodlösung behandelt wird letztere sofort schön rothviolett gefärbt; setzt man
Schwefelsäure zu, so verschwindet diese Farbe augenblicklich, die Membran quillt
rasch auf die doppelte Dicke auf und bleibt farblos, mit dem matten bläulichen Glanze,
welcher in Wasser liegenden gelatinösen Zellmenbranen eigen ist. Chlorzinkjodlösung
ruft eine ähnliche, doch mehr ins Braunrothe stechende Färbung hervor, wie Jod allein
Zahlreiche Zweige der Myceliumschläuche laufen gegen die Oberfläche des von
Syzygites bewohnten Schwammes, schwellen dicht unter dieser an und treten dann
über dieselbe hervor, um zu den fruchttragenden Aesten oder Fruchtträgern heran-
zuwachsen. welche auf der Oberfläche des Schwammes meistens dichte Rasen bilden.
Der Fruchtträger ist anfangs ein gerade aufrechter einfacher stumpf cylindrischer
Schlauch (Fig. 55). Hat er eine Höhe von etwa 2 Mm. erreicht, so gabelt er sich
an seiner Spitze in meistens drei. seltener zwei gleichstarke Hauptäste, die sich
ihrerseits alsbald wiederum fünf- bis mehrmals gabelig verzweigen, und zwar in den
von mir beobachteten Fällen immer dichotom, nach Corda auch dreigabelig. Mit
jedem höheren Grade der Verzweigung nimmt die Dicke der Zweige ab; die des
letzten wachsen zu langen dünnen Haaren aus. Alle sind abstehend-aufrecht, manche
dabei oft paarweise zangenförmig gegeneinander gekrümmt; doch fand ich diese Krüm-
mung durchaus nicht immer, und nie so beträchtlich wie sie Corda abbildet (s. Fig. 6).
Bis gegen die Zeit der Reife hin ist der Fruchtträger ein verästelter durchaus quer-
wandloser Schlauch, welcher mit farbloser Membran und farblosem dicht körnigem
Protoplasmainhalt versehen, daher in reflectirtem Lichte weiss ist. Seine Wand zeigt
in der Jugend das gleiche Verhalten gegen Jod wie die des Myceliums, nur die oberen
Gabelzweige sah ich nie violett werden.
An den Gabelzweigen, zweiten bis fünften, manchmal auch höheren Grades ent-
stehen die Anlagen der Fructificationsorgane, welche in den zunächst zu betrachtenden
typischen Fällen folgende Entwickelung zeigen. Zwei benachbarte Gabelzweige, welche
entweder gleichen oder verschiedenen Grades sein und dem nämlichen oder verschie-
denen Hauptästen angehören können, treiben auf gleicher Höhe je eine seitliche stumpfe
dieke Ausstülpung. Beide Ausstülpungen wachsen in horizontaler Richtung gegen
— 213 —
einander und treten sehr bald. d. h. bevor ihre Länge mehr als das Zwei- bis Dreifache
der Dicke der Tragzweige beträgt, mit ihren Enden in innige Berührung. Jede nimmt
dabei eine verkehrt-kegel- oder kurz-keulenförmige, leicht gekrümmte Gestalt an,
nach welcher sie Fruchtkeulen genannt werden können; beide bilden, von dem
Momente ihrer Berührung an. mit einander einen spindelförmigen, leicht nach oben
gekrümmten Körper, welcher quer zwischen die beiden Tragzweige gestellt ist
(Fig. 6).
Die Structur der Fruchtkeulen ist zunächst der der Zweige, von welchen sie
getragen werden, im Wesentlichen gleich. Ihr Lumen steht mit dem der letzteren in
offener Communication. an der Berührungsfläche ist eine jede durch ihre Membran
geschlossen, beide also durch eine aus zwei Lamellen bestehende Scheidewand von
einander getrennt. Diese ist eben, die Kanten, in welchen sie mit den Seitenwänden
zusammenstösst, jedoch abgerundet, daher verläuft rings um den Rand der Scheidewand
eine mehr oder minder tiefe Einschnürung. Letztere fand ich in jugendlichen Zuständen
immer von einer dünnen Membran, wie von einer Scheide überzogen, welche straff
ausgespannt und meist ohne sich in die Einschnürung einzufalten von der Seitenwand
einer Fruchtkeule zur andern verläuft, gerade wie die Scheiden vieler Confervenfäden
über den Rand der Querwände hinlaufen. An der Seitenwand der Keulen verliert
sich diese Scheide in den Aussencontour der Membran (Fig. 7, 8). Ich fand sie von
den jüngsten Entwickelungszuständen an bis zur Vollendung der Copulation, ihre Ent-
stehung ist mir nicht klar geworden.
Die einander berührenden Keulen wachsen nun, indem sie ihre Form und Structur
im Wesentlichen beibehalten, zu einer bedeutenden Grösse heran, so dass der spindel-
förmige Körper, den sie mit einander bilden, dem blossen Auge leicht erkennbar wird.
Ihr Protoplasmainhalt vermehrt sich dabei fortwährend, in durchfallendem Lichte erschei-
nen sie alsbald dunkel und ganz undurchsichtig, in reflectirtem röthlich, welche Farbe
von den im Protoplasma suspendirten zahlreichen Fetttröpfehen herrührt, die in grosser
Menge gesehen besagte Färbung zeigen. Die rasche und gewaltige Vermehrung des
Protoplasma in den Keulen kann nicht wohl auf andere Weise geschehen, als dadurch,
dass jenes aus dem Mycelium durch den Fruchtträger in dieselben einströmt. Ehren-
berg hat dieses Einströmen direct beobachtet. ich habe versäumt darauf genauer zu
achten. dafür aber oft eine strömende Bewegung beobachtet, welche man sich wohl
hüten muss mit dem normalen Fortrücken des Protoplasma zu verwechseln. Bringt
man nämlich junge unversehrte Fruchtträger in Wasser, so platzt die Membran der-
— 214 —
selben meistens unverzüglich an einem oder an mehreren Punkten. aus dem Risse
strömt Protoplasma aus und das in den entlegeneren Theilen des Schlauches befind-
liche rückt in raschem Strome und oft auf weite Strecken hin nach. Ganz besonders
häufig entsteht der Riss an der Basis der Fruchtkeulen und zwar auf ihrer unten
liegenden mit dem Wasser zuerst in Berührung gekommenen Seite, es sieht alsdann
aus, wie wenn das Protoplasma wirklich in die Keule einströmte, allein in allen Fällen.
welche ich genau untersucht habe, lag eine auf der erwähnten Erscheinung beruhende
Täuschung vor. Man sollte nun allerdings meinen, eine solche wäre leicht zu ver-
meiden, aber in Wirklichkeit ist es, wegen der Dicke und Undurchsichtigkeit der
Keulen und wegen der zahlreichen und oft sehr verworrenen Gabelzweige,. von welchen
diese umgeben sind. oft sehr schwer den Riss in der Membran und selbst die aus-
geflossene Protoplasmamasse zu finden.
Wenn die Keulen ihre definitive Grösse erreicht haben, dann tritt in jeder eine
der Scheidewand parallele Querwand auf, welche das der anderen zugekehrte Drittel
einer jeden als besondere Zelle abgrenzt (Fig. 7). Ich will letztere die Fruchtzelle
und den andern Theil der Keule den Träger oder Suspensor der Fruchtzelle nennen.
Beide Fruchtzellen sind nach ihrer Abgrenzung noch eine Zeit lang durch die ursprüng-
liche Scheidewand von einander getrennt (Fig. 7), diese verschwindet jedoch bald und
beide Fruchtzellen vereinigen sich hiermit zu einer einzigen. Sie verändern hierbei,
soviel ich wahrnehmen konnte, ihre Form und Structur zunächst nicht, das Protoplasma
zieht sich nicht von der Wand zurück. Das Verschwinden der Scheidewand beginnt
mit einem Dünnerwerden und endlicher Perforation ihrer Mitte und schreitet von hier
gegen den Umfang fort; ich fand sie einige Male (Fig. 8) in der Mitte mit einer
noch engen, höchst dünnrandigen Oeffnung versehen, den grösseren peripherischen
Theil dagegen noch erhalten. Es ist wegen der Dicke und Undurchsichtigkeit der Fructi-
ficationsorgane oft nicht ganz leicht, von dem soeben beschriebenen Entwickelungs-
gange eine klare Anschauung zu erhalten. Ich bemerke daher, dass ich nach vielem
Hin- und Herprobiren die besten Präparate dadurch erhalten habe, dass ich die Exem-
plare des Syzygites einige Minuten in sehr verdünnte Salzsäure brachte und dann in
Wasser liegend untersuchte. In besagtem Reagens bleibt das Protoplasma gleichförmig-
körnig und zieht sich meist scharf umschrieben von der Wand zurück, auch trennen
sich häufig die beiden Lamellen, aus welchen die Scheidewand zwischen den Frucht-
keulen besteht, nach Einwirkung der Säure leicht von einander, man kann daher das
Verhalten der verschiedenen Membranen genau beobachten. Wendet man Wasser allein,
— 215 —
oder Alkohol. Lösungen von Zucker, Chlorzinkjod, Jod u.s. w. an. so wird die
Beobachtung meistens unsicher, weil die Membranen platzen, oder mit dem Inhalt col-
labiren, oder letzterer noch trüber und dunkeler wird als im frischen Zustande.
Die aus der Vereinigung der beiden Fruchtzellen entstehende Zelle dient der
Fortpflanzung wie allgemein angenommen und in Folgendem bewiesen werden wird;
sie entsteht der obigen Darstellung zufolge durch die Verschmelzung zweier ursprüng-
lich getrennter gleichwerthiger Zellen, also durch einen ächten Copulationsprocess, sie
wird daher als Copulationszelle oder Zygospore®“) zu bezeichnen sein. Unmittelbar
nach ihrer Entstehung hat sie die Form und Structur, welche den beiden Zellen zu-
kam. aus deren Vereinigung sie entstanden ist: also die‘ Gestalt eines zwischen
beiden Suspensoren quer gestellten Cylinders; auch die dem Rande der Scheidewand
entsprechende Einschnürung ist anfangs noch vorhanden (Fig. 8). In den meisten
Fällen nimmt nun die Zygospore noch bedeutend an Grösse zu und erhält die Gestalt
einer gestreckten oder fast kugeligen Tonne, deren leicht convexe oder ebene End-
flächen den Suspensoren ansitzen (Fig. 13— 18). Seltener behält sie cylindrische
Form (Fig. 12) oder bleibt in der Mitte eingeschnürt, wie in Corda’s Figur 14.
Gleichzeitig mit der Vergrösserung und Gestaltveränderung wird die Membran der Zygo-
spore stark verdickt und in drei Schichten gesondert, welche schon sehr bald nach der
Copulation unterscheidbar und zur Zeit der Reife folgendermassen beschaffen sind (Fig.
10, 13, 14). Zu äusserst verläuft um die Seitenwand der Zygospore eine dünne, glatte,
erst farblose, später gelblich-braune Haut, welche sich sowohl in die Seitenwände der
Suspensoren als auch in die Querwände, durche welche die Fruchtzellen zuerst abge-
grenzt wurden, fortsetzt, also der primären Membran der neugebildeten Zygospore
entspricht. Dieser Haut innen angelagert ist eine zweite, meist sehr derbe und dunkel-
braune, welche ich Aussenhaut der Zygospore oder Episporium nennen will; sie
liegt der primären Haut entweder überall fest an oder ist an den Kanten derart abge-
rundet, dass hier eine dreikantige ringförmige Lücke zwischen beiden Membranen
bleibt. Auf den beiden Endflächen der Zygospore ist die Aussenhaut stets glatt, homogen
und dünner als auf der Seitenfläche; letztere ist mit zahlreichen groben stumpfen War-
zen bedeckt. welche mehr oder minder stark nach aussen vorspringen und keine Ver-
dickungen. sondern hohle Vortreibungen der Membran darstellen, daher als helle, von
Doppellinien umschriebene Kreise erscheinen, wenn man bei Betrachtung der Oberfläche
’
3#) Vergl. meine Untersuch. üb. d. Conjugaten pag. 57-— 65.
— 216 —
der Seitenwand, ihre Basis scharf einstellt. Der Aussenhaut innen angelagert ist endlich
das Endosporium, eine dicke, weiche und zähe, geschichtete glashelle Haut, deren
Endflächen gleichfalls ganz glatt sind, während die Seitenfläche zahlreiche stumpfe
Warzen zeigt, die genau in die Höhlungen der Prominenzen der Aussenhaut passen.
In der ersten Jugend (Fig. 10) sind diese Warzen egleichfalls hohle Vortreibungen
oder Falten, an der reifen Zygospore (Fig. 14) sitzen sie dagegen als feste
solide Körper dem Endosporium aussen auf. So sehr dieses auch einer gewöhn-
lichen geschichteten Cellulosehaut ähnlich sieht, so konnte ich an ihm doch niemals durch
Reagentien eine Blau- oder Violettfärbung erhalten. In einigen wenigen Fällen fand ich
bei kleinen reifen Zygosporen die Warzen der beiden Häute nicht oder kaum ange-
deutet (Fig. 12). Der Inhalt der Zygospore besteht entweder aus einem gleichförmig-
grobkörnigen dichten Protoplasma von matt orangerother Farbe, oder aus farblosem
Protoplasma, in welchem zahlreiche dicke orangerothe Fetttropfen suspendirt sind. Letz-
tere wurden seit Ehrenberg als Sporen, die Zygospore als deren Mutterzelle, also
Sporangium beschrieben ; erst Tulasne hat den Sachverhalt richtig dargestellt.
Bis nach Vollendung des Copulationsprocesses bleibt der Fruchtträger wie zu An-
fang gebaut, nur wird er allmählich protoplasmaärmer. Sind die Zygosporen gebildet,
so nehmen theils die Suspensoren derselben an Grösse noch zu, indem sie sich entweder
vorzugsweise in die Länge strecken oder zu birnförmiger Gestalt anschwellen; theils
findet in den Gabelzweigen, zumal in den haarförmigen Enden derselben noch eine deut-
liche Längsstreckung statt. Zugleich wird der ganze Fruchtträger durch zahlreiche
Querwände in zahlreiche cylindrische Zellen von sehr ungleicher Länge abgetheilt
(Fig. 11), welche, soviel ich beobachten konnte, gleichzeitig in allen Theilen des Frucht-
trägers zu entstehen scheinen, in den oberen Dichotomien am zahlreichsten sind und in dem
Stamme oft ganz fehlen. Alle Membranen werden dabei dicker und derber, oft sehr
stark verdickt und deutlich geschichtet und erhalten eine braungelbe Farbe, welche gegen
den Grund des Fruchtträgers hin an Intensität stetig zunimmt. Der Protoplasmainhalt
verschwindet während dessen bis auf spärliche braunwerdende und schrumpfende Reste.
Der Fruchtträger hat hiermit die Beschaffenheit eines braunen Fadens erhalten, der unten
einfach, plötzlich reich verzweigt ist; die unteren Ramificationen bilden ein aus ver-
worrenen Aesten und schwarzbraunen Zygosporen bestehendes Knäuel, welches von den
gestreckten Enddichotomien wie von einem langen Haarbusche überragt wird. Es wurde
schon oben gesagt, dass die Fruchlträger in dichten Rasen bei einander zu stehen
pllegen; ihre Aeste verflechten sich daher oft unentwirrbar in einander und man kann bei
der Reife meistens den ganzen Rasen wie ein dichtes haariges Fell von dem Substrat
abziehen.
Bei der dichten Verflechtung der Träger mit einander ist es oft nicht leicht genau
zu bestimmen, wie viele Zygosporen an den einzelnen zur Reife kommen. Doch ist
ihre Zahl gewöhnlich nicht gross und mag in der Regel 2—6 betragen. Kaum ein
einziges Exemplar dürfte aber vorkommen. an welchem nicht weit zahlreichere Frucht-
keulenpaare angelegt als Zygosporen gebildet werden. An den Gabelungen, welche die
reifen Zygosporen überragen, findet man solche Paare in allen Grössen. Sie nehmen,
wenn jene reif werden, die Structur und braune Farbe der Gabelzweige an, und hier-
mit steht wie bei diesen ihr Wachsthum still. Was Corda und Bonorden als
jugendliche Entwickelungszustände der Syzygitesfrüchte abbilden, sind solche verspätete
und stets unentwickelt bleibende Fruchtanlagen, denn die erwähnten Abbildungen stellen
überall die Membranen schon braungefärbt dar, fortbildungsfähig sind aber nur ganz
farblose Exemplare.
Viele der auf jugendlicher Stufe stehen bleibenden Fruchtanlagen stellen einfache
flach halbkugelige bis keulen- und birnförmige Aussackungen der Schlauchwand dar, in
welchen eine Abgrenzung der Fruchtzellen nie zu Stande kommt. Sehr oft findet man
aber auch solche Keulen, welche die Grösse copulirender erreichen, wie diese die
Fruchtzellen bilden, aber miteinander nur in loser Berührung stehen, ohne zu verwachsen
oder gar zu verschmelzen. Nichtsdestoweniger nehmen bei diesen die Fruchtzellen
meistens genau den Bau der Zygosporen an, sie unterscheiden sich von diesen nur
durch meistens geringere Grösse, und dadurch, dass ihre an den Suspensor grenzende eine
Seite glatt bleibt. während die ganze übrige Oberfläche warzig wird (Fig. 11. 19).
Man kann hierdurch auch bei solchen Fortpflanzungszellen. welche von ihren Trägern
losgerissen sind, deutlich erkennen, ob sie Zygosporen oder Organe von der letzt-
beschriebenen Entstehung, die Azygosporen heissen mögen, sind. Erstere haben
immer zwei glatte runde Endflächen und eine warzige Seitenfläche, bei letzteren ist nur
ein kleines kreisförmiges Stück der Oberfläche glatt, der ganze übrige meist viel grössere
Theil warzig. In allen Syzygitesrasen, welche ich untersuchte, habe ich zahlreiche Azygospo-
ren gefunden. Corda bildet einen Fruchtträger ab, welcher ausschliesslich mit Azygo-
sporen versehen ist’).
39) Corda l. e. Fig. 4, Ob solche Exemplare den Azygyles Mougeotii Fries darstellen, wie Corda glaubt,
oder ob dieses von einem anderen, durch Tulasne aufgefundenen Pilze gilt, !asse ich dahingestellt. Ygl. Fries,
S. M. III, 330. Tulasne, Sel, fung. Carpolog. I, p. 64.
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Td. Y, 28
— 218 —
Die ganze Entwickelung der Fruchtträger bis zur Reife wird binnen etwa 24
Stunden vollendet. Auf geeignetem Substrat vergrössern sich die fruchltragenden Rasen
von Tag zu Tag in centrifugaler Richtung, wie dies schon von Ehrenberg sehr an-
schaulich beschrieben worden ist.
Schon von seinem Entdecker wurde der Syzygites in Gesellschaft der stattlichen,
fleischige Schwämme bewohnenden Hyphomycetenform gefunden, welche von Link
Aspergillus maximus und später Sporodinia grandis genannt worden ist‘). In
der That wachsen beide Pilzformen der Regel nach gesellig bei einander, entweder so,
dass die langen Fruchtträger der Sporodinia allenthalben in Menge zwischen denen des
Syzygites hervorkommen, die letzteren überragend und oft ganz verdeckend, oder so,
dass am Rande des Syzygitesrasens dicht gedrängte oder vereinzelte Sporodinia-Indivi-
duen stehen. Ich erinnere mich nicht, Syzygitesrasen gefunden zu haben, denen die
Sporodinia gänzlich gefehlt hätte, wenn diese auch in einzelnen Fällen erst nach mehr-
tägiger Cultur an dem Rande der Rasen erschien. Sporodinia ohne Syzygiles findet
man zuweilen.
Das Mycelium der Sporodinia ist von dem des Syzygites nicht zu unterscheiden;
gleich letzterem zeigt seine Membran, so lange sie jugendlich ist, die oben beschriebene
Violettfärbung durch Jod und Wiederentfärbung durch Schwefelsäure. Die fruchttragenden
Zweige desselben treten an die Oberfläche des Substrats, schwellen hier zu einer viel
beträchtlicheren Dicke als die in dem Schwammgewebe verbreiteten an, und strecken
sich zu cylindrischen Schläuchen, welche eine Länge von 1—2 Cm. erreichen. Sie
sind anfangs aufrecht und bleiben es, wo sie in Menge bei einander stehen. indem
einer den anderen stützt; wo sie einzeln stehen, da werden sie meistens bald durch
das Gewicht ihres oberen Theiles niedergebogen. Ihre Spitze theilt sich wenigstens
fünf- bis sechsmal in kurze, stumpfwinkelig divergirende Gabelzweige; die Theilung ist
meist regelmässig und streng dichotom und die Verzweigungsebenen der auf-
einander folgenden Ordnungen schneiden einander rechtwinklig (Fig. 1). Alle Zweige
sind anfangs ziemlich genau cylindrisch,. die des letzten Grades an der Spitze stumpf
abgerundet. Bald beginnt in diesen die Sporenbildung, welche genau. der für Mucor
bekannten entspricht. Die Zweigenden schwellen zu kugeligen Blasen an, in welche
reichliches körniges Protoplasma einströmt, und welche bald durch eine nach oben con-
40) Vgl. Ehrenberg, Silv. myc. Berolin. p. 24. Link, in Willdenow. Spec. plant. VI. p. 94.
Fries, Syst. mycol, II, 378, 88. Erstgenanntes Citat entnehme ich den anderen genannten Schriften, weil
mir die Silv. mycol. fehlen.
— A =
vexe Querwand als Sporangiumzellen von ihrem Träger abgegrenzt werden. Dann zer-
fällt das Protoplasma der Sporangien mit einem Male in eine Anzahl verschieden grosser
Portionen, welche ihre Oberfläche rasch abrunden, mit einer Membran umgeben und
sich zu den Sporen ausbilden (Fig. 2). Die Wand des Sporangiums ist farblos, sehr
zart und vergänglich. Bringt man reife Exemplare in Wasser, so verschwindet sie
sofort; an älteren Exemplaren scheint sie immer zerstört zu werden, die Sporen sind
zu nackten Köpfchen rings um die vorgewölbte (der sogenannten Columella von Mucor
entsprechende), untere Wand des Sporangiums angehäuft und fallen leicht ab (Fig. 1)
Bis zur Abgrenzung der Sporangien, oft selbst bis zur Periode der Sporenbildung
ist der Fruchtträger der Sporodinia ein durchaus querwandloser Schlauch, von Proto-
plasma erfüllt, welches ich in dem Stamme und den Gabelzweigen immer farblos, in
den jungen Sporangien dagegen, in Uebereinslimmung mit Tulasne, häufig blass röth-
lich oder orange gefärbt, manchmal auch farblos fand. Die Membran ist gleichfalls
farblos, sie zeigt in der Jugend das gleiche Verhalten zu Jod und Schwefelsäure, wie
bei Syzygites, nur dass die violette Färbung heller ist wie bei diesem. Die Wand der
Sporangien sah ich (ebensowenig wie die Sporenmembran) nie durch Jod violett wer-
den. Sobald die Sporangien gebildet sind, oder manchmal noch später, treten in dem
ganzen Schlauche und seinen Verzwejgungen zahlreiche ordnungslos gestellte Querwände
auf, alle wie es scheint mit einem Male, eine Erscheinung, welche wiederum an Syzy-
gites, aber auch an die Mehrzahl der gewöhnlichen Mucorformen erinnert. Zugleich
schwellen die Enddichotomien, welche die Sporangien tragen, zu breiten, länglichen,
eiförmigen oder keulenförmigen Blasen an, und gleichzeitig mit diesen Veränderungen
vermindert sich die Protoplasmamenge bis auf geringe Ueberbleibsel, während die Mem-
branen allenthalben dicker, fester und grau- oder gelblich braun gefärbt werden
(Fig. 1).
Die reifen Sporen (Fig. 3—5) sind meistens rundlich oder breit oval, viele aber
auch höchst unregelmässig eckig und wunderlich gestaltet; ihre Grösse ist sehr ungleich,
sie schwankt zwischen Y, und %, Mm. Sie sind mit einer glatten, homogenen, hell-
braunrothen Aussenhaut und einem sehr zarten farblosen Endosporium versehen und im
frischen Zustande mit dichtkörnigem Protoplasma erfüllt.
Nach dem Mitgetheilten ist es einleuchtend, dass zwischen Sporodinia und Syzygites
in vielen Punkten eine grosse Aehnlichkeit besteht, und wenn man ihr fast conslantes
geselliges Vorkommen und besonders den Umstand in’s Auge fasst, dass beiden genau
ein und dasselbe Mycelium eigen ist. so liegt die Vermuthung sehr nahe, dass beide
28*
— 20 0 —
verschiedene Organe einer und derselben Pflanze sind. Bewiesen ist diese Vermuthung
durch die mitgetheilten Daten allerdings noch nicht, wenngleich in der vollkommenen
Gleichheit der Mycelien, aus welchen beide Fruchtformen hervorgehen, ein gewich-
tiges Argument für dieselbe liegt, denn die Mycelien verschiedener Pilzarten oder
gar Gattungen sind in der Regel, wenn man sie genauer untersucht, weit deutlicher
von einander verschieden als gemeiniglich angenommen zu werden pflegt. Tulasne
gibt an, dass die Syzygites- und Sporodiniafrucht auf verschiedenen Zweigen eines
und desselben Fruchtträgers gebildet werden, ein Verhalten, welches, wenn es con-
stant vorkäme, jede weitere Beweisführung für ihr Zusammengehören überllüssig
machen würde. Ich will die Richtigkeit von Tulasne’s Beobachtung nicht bestreiten, muss
aber doch die erwähnte Erscheinung für eine äusserst seltene halten, denn bei sehr
zahlreichen Exemplaren, welche ich seit 1856 alljährlich untersucht habe, fand ich
beiderlei Fruchtformen immer unzweifelhaft je auf besonderen aus dem Substrat her-
vorkommenden Trägern. Nach diesen Beobachtungen musste ich nach einem weiteren
Beweise für die Zusammengehörigkeit beider Formen suchen und dieser wird in
durchaus vorwurfsfreier Weise durch die Keimungsgeschichte geliefert.
Aussaaten von Zygosporen des Syzygites werden häufig durch die lästigen Feinde
solcher Untersuchungen, die Chytridien zerstört; doch kann ich wenigstens von einer voll-
kommen gelungenen berichten. Reife Zygosporen und Azygosporen, am 1. November
gesammelt, wurden am 5. November möglichst sorgfältig gereinigt und in ein Schälchen
mit Wasser gebracht, in den nächstfolgenden Wochen zu wiederholten Malen gereinigt
und mit frischem Wasser versehen. Bis zum 25. November zeigten sie keine Ver-
änderung; ob eine solche in dem Protoplasma stattfand, musste wegen der Undurch-
sichtigkeit der brauen Aussenhaut unentschieden bleiben. Am Vormittage des bezeich-
neten Tages wurde die ganze Aussaat durchgemustert und zwei Keimungen gefunden;
schon am Nachmittag waren einige weitere vorhanden, bis zum 5. December kamen
täglich neue hinzu, alle verhielten sich untereinander im Wesentlichen gleich.
Der Beginn der Keimung (Fig. 15) wird dadurch angezeigt. dass die braune
Aussenhaut an einer Seite weit aufreisst,. sie wird gesprengt durch die nach allen
Seiten sich ausdehnende Innenzelle. Diese stellt eine prall gespannte Blase dar, deren
Membran jetzt, offenbar in Folge der Ausdehnung, weit dünner als zur Zeit der Reife
und auf der Oberfläche immer ganz glatt ist. Sie ist angefüllt von diehtem. undurch-
sichtigem (in refleetirtem Lichte weiss aussehendem) gleichförmig leinkörnigem Proto-
plasma. An der durch den Riss des Episporiums frei gelegten Seite treibt das Endo-
— 21 —
sporium alsbald zwei. seltener vier dicht neben einander entspringende Keimschläuche,
sehr selten nur einen einzieen (Fig. 16 — 18). Die Schläuche entstehen wie die für
die Keimune der meisten Pilzsporen bekannten. An ihrer Bildung nimmt nur die
Protoplasmamasse und die diese umkleidende innerste Membranschieht "Theil, die
äusseren Lagen des Endosporiums werden von dem Schlauche durehbohrt.
Lässt man die Keimschläuche in Wasser liegen, so verzweigen sie sich meistens
nahe bei ihrer Ursprungsstelle dichotom,. die Aeste wachsen dann zu einer
bedeutenden Länge heran. wobei sie sich wellig krümmen oder spiralig winden und
zuweilen noch einmal diehotom verzweigen. Selten fand ich die Keimschläuche ganz
unverzweigt. In dem Maasse als sie sich strecken, rückt das Protoplasma mit ihrer
Spitze vorwärts, das Endosporium wird allmählich entleert. Querwände fand ich in
jungen Keimschläuchen hier und da vereinzelt (Fig. 17), in der Regel fehlen sie.
Nach einiger Zeit steht das Wachsthum der im Wasser bleibenden Schläuche still
und sie sterben ab. Bringt man dagegen Zygosporen, welche in Wasser schon zu
keimen begonnen haben, auf eine nur feuchte Unterlage, so richtet sich die Spitze
der Keimschläuche senkrecht auf‘, sie verzweigen sich ein- bis zweimal dichotom, und
strecken sich dann rasch auf eine Länge von 1 bis 2 Cm.. indem sie gleichzeitig viel
dicker als die im Wasser wachsenden werden. Mit der Streckung sinken sie meist
um. so dass ihre Spitze den Boden berührt. Endlich hebt an der Spitze eine neue
dichotome Verzweigung an: sie erhält alle Eigenschaften der oben beschriebenen
Fruchtträger von Sporodinia und bildet gleich diesen Sporangien und Sporen.
Hält man die Zygosporen, bevor sie anfangen Schläuche zu treiben, auf feuchtem
Boden. so keimen sie wie im Wasser, nur mit dem Unterschiede, dass die Schläuche
sich von Anfang an senkrecht erheben. Die Sporodiniafruchtträger, welche ihnen
entsprossen, waren an den beobachteten Exemplaren denen vollkommen gleich, welche
man im Walde mit Syzygites zusammen findet. Ein Mycelium entwickelt sich bei
dem beschriebenen Keimungsprocesse nicht. die Sporodinien sprossen immer unmittel-
bar aus dem Endosporium hervor und entwickeln sich auf Kosten der in diesem aufge-
speicherten Reservenahrung; letztere wird zur Bildung jener vollkommen aufgebraucht,
das Endosporium enthält zuletzt nur mehr wässerige Flüssigkeit.
Den feuchten Boden stellte ich theils dadurch her. dass ich die Zygosporen auf
Glasplatten in flache Wassertropfen brachte. aus denen sie hervorragten, theils legte
ich sie auf feucht gehaltene Stücke des Hutes von Hydnum repandum. Auch in dem letzteren
Falle entwickelte sich kein Myceelium. sondern nur Sporodinia-Fruchtträger aus den
A
Au
Keimschläuchen. obgleich dasMycelium des Syzygiles in genannlem Schwamme gedeiht
und Frucht trägt. Nach allen diesen Thatsachen ist das Zusammengehören von Spo-
rodinia und Syzygites auf das bestimmteste bewiesen. und dieser Pilz mehr als viel-
leicht irgend ein anderer geeignet, um das Vorkommen dilferenter Fructifieationsorgane
bei einer und derselben Species zur Evidenz zu bringen. Bei der beträchtlichen Grösse
seiner Organe kann man selbstmit unbewallnetem Auge den beschriebenen Entwickelungs-
gang fast vollständig verfolgen.
Die Organe, welche oben als Azygosporen bezeichnet wurden, zeigen, wie
ich mich mehrmals überzeugt habe, die gleichen Keimungen wie die Zygosporen
(ie. 19).
Was endlich die in den Köpfchen von Sporodinia gebildeten Sporen betrifft. so
treiben dieselben, wenn sie frisch in Wasser oder auf eine feuchte Unterlage gebracht
werden, schon nach einigen Stunden eylindrische etwas gekrümmte Keimschläuch nach
einer oder nach zwei Seiten hin. in der Weise, welche für die Mehrzahl der Pilzsporen
bekannt ist (Fig. 4.) In den Keimschläuchen treten alsbald Querwände auf: eultivirt man
W assertropfen auf dem Öbjectträger, so verzweigen sie sich, ihre Enden treten sie in
flachen senkrecht über die Oberfläche des Wassers hervor. nach wenigen Tagen sterben
sie aber ab, ohne zu fructifieiren. Säet man die Sporen auf die befeuchtete Ober-
fläche eines fleischigen Schwammes (ich benutzte Exemplare von Lactarius quietus ?
und Russula rubra), so dringen die Enden der Keimschläuche alsbald in die Substanz
des Schwammes ein und nehmen hier sofort alle Eigenschaften des oben beschrie-
benen Syzygites-Myceliums an, welches sich dann in dem Schwammgewebe aus-
breitet. Es ist nicht schwer, einige Tage nach der Aussaat Myceliumschläuche aus
den besäeten Schwämmen herauszupräpariren, welche mit den entleerten Sporenmem-
branen in so deutlichem Zusammenhange stehen, wie die erst wenige Stunden alten
Keimschläuche. Bei meinen Aussaatversuchen, welche im October und November
1856 mit im Freien gereifter Sporodinia angestellt wurden. war am Tage nach der
Aussaat das Eindringen der Keimschläuche leicht zu constatiren. Nun dauerte es 10
bis 25 Tage bis die ersten Anfänge der Fruchtträger als dicke aufrechte Schläuche
auf der Oberfläche erschienen und nun rasch Zygosporen bildeten, also die Syzygites-
form annahmen; in 24 bis 48 Stunden waren die besäeten Stücke von Syzygites-
rasen bedeckt. Erst etwa 8 Tage nach dem Auftreten der ersten Syzygitesfrüchte
erschienen im Umkreis der Rasen Sporodinia-Fruchtträger, die sich normal aus-
qildeten, jedoch in den in Rede stehenden Versuchen immer vereinzelt blieben.
ad
Hiermit ist also der Nachweis geliefert, dass sich aus den Sporen der Sporodinia
ein Mvcelium entwickelt. welches dem Muttermycelium gleich ist und welches zunächst
Syzyeitesfrucht erzeugen kann. Einige Male ist es mir sogar gelungen. Junge
Fruchtträger im Zusammenhange mit der entleerten Membran der oekeimten Sporen
freizupräpariren (Fig. 9). Allerdings waren diese Fruchtträger noch unverzweigt:
dass sie der Syzygitesform angehörten, dürfte aber nicht zweifelhaft "sein. weil dies
von allen übrigen galt. Da man übrigens die Sporodiniaform im Freien manchmal
für sich allein und ohne Syzygites findet, so kann nicht bezweifelt werden. dass sie
sich auch sofort und als Vorläufer der Syzygitesform aus dem Mycelium. beziehunes-
weise aus den Sporodiniasporen entwickeln kann.
Schliesslich will ich nicht unerwähnt lassen, dass mir alle diejenigen Cultur-
versuche misslungen sind. d. h. keine vollständige Fruchtentwickelung des Syzygites
gaben, bei welchen die besäeten Schwämme bald nach der Aussaat in Fäulniss über-
gingen. Mit dem Eintritt des letzteren stand die Entwickelung des Syzygites still auf
der Stufe, die sie gerade erreicht hatte, selbst die schon angelegten Fruchiträger
kamen nicht mehr zur Ausbildung. Hiernach scheint Syzygites ein ächter Parasit zu
sein, der in frischen Schwämmen gedeiht und ihre Fäulniss befördert, durch letztere
selbst aber gelödtet wird. Fernere ausgedehntere Culturversuche werden hierüber
bestimmleren Aufschluss geben.
Fasst man die Resultate der obigen entwickelungsgeschichtlichen Beobachtungen
kurz zusammen, so ist Syzygites ein Hyphomycet mit zweierlei Fructificationsorganen,
welche sich der Regel nach auf jeweils besonderen Trägern aus demselben Mycelium
entwickeln und zwischen welchen theils ein regelmässiger Generationswechsel. theils
ein minder regelmässige Suecession besteht. Die eine Fruchtform wird durch Zygo-
sporen dargestellt, welche den Ehrenberg’schen Syzygites speeiell charakterisiren.
Sie entstehen der Regel nach durch einen ächten Copulationsprocess. sind daher
(vgl. meine Unters. d. Conjugat. p. 58, 65) den Oosporen verwandter Thallophyten an
die Seite zu stellen: allerdings kommen auch häufig ihnen in jeder Beziehung ähn-
liche Organe (Azygosporen) ohne Copulation zu Stande. Die andere Fruchtform ist
eine durchaus geschlechtslose; die Fortpflanzungszellen. welche sie erzeugt, sind daher,
der gegenwärtig zu gebrauchenden Terminologie gemäss, als Sporen, die Hyphen,
auf welchen sie gebildet werden, als Sporenträger zu bezeichnen. Letztere. Link’s
Sporodinia grandis darstellend. bilden auf den Spitzen ihrer Enddichotomien kugelige
vergängliche Sporenmutterzellen. in welchen die Sporen in der Weise wie bei Mucor
entstehen, und gleichen den Sporenträgern der Mucorarten so vollständig, dass sie für
sich allein von diesen kaum generisch getrennt werden dürften. Der keimenden Zygo-
spore entsprossen unmittelbar einer bis einige Sporenträger: aus der keimenden Spore
entwickelt sich ein Mycelium, welches entweder zunächst Zygosporenträger und nach-
her zwischen und ringsum diese Sporenträger erzeugt. oder wohl auch beiderlei
Fruchtträger in der umgekehrten Aufeinanderfolge bilden kann. —
—_— 223 —
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XXVI
Protomyces macrosporus.
Figur 19 und 20 nach 195facher, Fig. 14 nach 720facher, alle übrigen nach 390facher Vergrösserung
gezeichnet,
Fig. 1. Myceliumfaden mit den Anlagen von 4 Sporangien, von denen das eine in der Entwickelung schon
weit vorgeschritten ist. Aus dem Blattstiele von Aegopodium, und zwar nach einem frischen, nicht
macerirten Längsschnitt.
Fig. 2. Reifes, kleines Sporangium, mit seinem Mycelium im Zusammenhange, durch Maceration freigelegt,
im December.
Fig. 3— 25. Keimende Sporangien und Sporen, in der ersten Hälfte des Decembers beobachtet, nachdem
die reifen Sporangien Anfangs November in Wasser gebracht worden waren. Nur Fig. 13 und 14
stammen von einer anderen Aussaat her.
Fig. 3. Fetikörnchen des Sporangiuminhalts in der Peripherie aufgelöst, in der Mitte noch einen dicken
runden Klumpen bildend.
Fig. 4. Fettkörner verschwunden, durch feinkörniges Protoplasma ersetzt.
Fig. 5. Beginn des Ausschlüpfens vom Endosporangium. Dieses an der einen Seite vom Episporangium entfernt,
an der entgegengeselzten Seite dergestalt gegen dieses gedrängt, dass die einzelnen Membranen nicht deutlich
von einander unterscheidbar. Ob schon ein Riss im Episporangium ist, war wegen der Undurchsich-
tigkeit des Inhalts nicht zu entscheiden. Das Präparat blieb unverändert von 7—10 Uhr Abends;
um 10 Uhr 45 Min. war das Endosporangium ausgeschlüpft wie in Fig. 6.
Fig. 6. Eben ausgeschlüpftes Endosporangium, vor der aufgerissenen Aussenhaut liegend und durch die gequol-
lene gallertige Mittelhaut an diese angeklebt.
Fig. 7. Aehnliches, etwas weiter entwickeltes Exemplar. Bildete sich sehr langsam aus: von 9—12 Uhr
blieb es unverändert; um 4 Uhr war die Bildung der wandständigen Protoplasmaschicht, um 6 Uhr
die Zusammenballung der Sporen fertig.
Fig. 8. Beginn der Protoplasmawanderung (anderes Exemplar als Fig. 7, die Aussenhaut ist hier und in den
folgenden Figuren nicht mit abgebildet, haftete aber in allen abgebildeten Exemplaren dem Endosporangium an).
Abhandl, d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V. 29
Fig.
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Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
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Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
—_— 26 —
9. Sporangium; in welchem die Bildung der wandständigen Protoplasmaschicht soeben vollendet ist; um
11 Uhr 20 Min. Vorm.
10. Dasselbe um 12 Uhr 30 Min. Es ist grösser geworden, das Protoplasma durchsichtiger, mit
Ungleichheiten und Vacuolen versehen, die ein grobes unregelmässiges Netz bilden, und mit der feinen
gleichmässigen netzförmigen Gruppirung der Körnchen.
11. Etwas früherer Entwickelungszustand als Fig. 9 (anderes Exemplar). Centrale Vacuole noch nicht
fertig gebildet, netzförmige Zeichnung im Protoplasma deutlich.
12. (Anderes Exemplar) Sporaugium kurz vor Beginn der Sporenbildung, mit anscheinend ganz homo-
genen, breiten Netzstreifchen.
13. Sporangium, in welchem die Bildung der wandständigen Protoplasmaschicht nahezu fertig ist,
entsprechend Fig. 11.
14. Kleine Stücke des Protoplasma aus demselben Sporangium, nach 720facher Vergrösserung gezeichnet.
a dem Zustand der Fig. 13, 11 entsprechend, 5b etwas später, Körnchen in mehreren Reihen geordnet,
Netz daher engmaschiger, entsprechend Fig. 10, 12. c noch später, Körnchen in rundliche Gruppen
geordnet: Anfang der Sporenbildung.
15. Sporangium mit eben vollendeter Sporenbildung — etwas weiter entwickelt als Fig. 14c.
16. (Anderes Exemplar) Sporen an dem Scheitel zusammengeballt, homogene Substanz in Form feiner
Fäden zu dem Ballen hinfliessend.
17. Anderes Exemplar, etwas weiter entwickelt, nur mehr wenige Streifchen der homogenen Sub-
stanz vorhanden.
18. Dasselbe, wenig später, homogene Suhstanz verschwunden.
19. Sporangium, dessen Sporenballen und „Scheitel“ an der Seite liegt. b dasselbe nach der Ejaculation.
20. Sporangium im Moment der Ejaculation. Die Sporen werden in einem Strahl hervorgespritzt;
5 sind in dem Sporangium zurückgeblieben.
21. Leere Membranen eines Sporangiums. Einige Sporen kleben an dem Primordialschlauch.
22. Sporen unmittelbar nach der Ejaculation.
23. Copulirte Sporen, 3 Stunden nach der Ejaculation.
24 u. 25. Copulirte Sporen 24 Stunden nach der Ejaculation. Fig. 24 in einem Wassertropfen ohne
Deckgläschen, Fig. 25 unter Deckgläschen auf dem Objectträger cultivirt.
25. Junger Protomyces von dem Stiele des Blattes 2 des Aussaatsversuchs I (s. S. 150). Die Abbil-
dung stellt die Mitte eines ganz jungen punktförmigen Protomycesfleckchens von aussen betrachtet dar.
Das Präparat wurde erhalten durch einen der Oberfläche des Blattstiels parallelen Schnitt, welche die
Epidermis sammt der daranstossenden Parenchymlage entfernte. Gezeichnet wurden nur die Umrisse
der Epidermiszellen und die Fäden des Pilzes soweit sie ganz deutlich sichtbar waren, die Parenchym-
zellen sind der Deutlichkeit der Figur wegen weggelassen. a und b die Epidermiszellen, an deren
Grenze der senkrecht durch die Epidermis wachsende Pilzfaden verläuft, Diese beiden Zellen hatten
einen geschrumpften, gelblich gefärbten Primordialschlauch, während die übrigen gesund und normal
waren. p die kreisförmige äussere Endfläche des senkrecht durch die Epidermis laufenden Pilzfadens.
Die übrigen abgebildeten Theile des Pilzes sind zwischen Epidermis und Parenchym ausgebreitet; bei n
senden sie Zweige in die tiefere Parenchymlage.
Tafel XXVEER.
Figur 1—7 Protomyces Menyanthis.
Fig. 1. (Vergr. 190) Querschnitt durch eine junge Protomyces-Pustel am Blattstiele des Menyanthes. Im
Innern der Parenchymzellen zahlreiche Protomyces-Sporen. Die Epidermis und ein grosser Theil des
darunter liegenden Parenchyms war hellbraun gefarbt die weiten luftführenden Intercellulargänge sind
durch dunklere Umrisslinien angedeutet.
Fig. 2—5. (Vergr. 390) Längsschnitte durch junge Protomycespusteln am Blattstiel. Die nach aussen
gekehrte Seite der Präparate sieht auf der Tafel nach Rechts, die nach der Mittellinie des Blattstiels
gekehrte nach Links.
Fig. 2. Aus dem jüngsten innersten Theil einer Pustel. In den Parenchymzellen Chlorophyll und Zellkerne
(n) intact, ‘von einem der Kerne (n*) läuft ein Protoplasmafaden zur Wand. Im Innern der Zellen
die die Membran durchbohrenden Myceliumfäden des Pilzes mit ihren blasigen Anschwellungen. Sie
sind bis in die Zellreihe p-p vorgedrungen, einige im Begriff sich in die nächst innere Reihe r-r
einzubohren.
Fig. 3. Achnliches Präparat wie Fig. 2. Die blasigen Anschwellungen der Mycelinmfäden zeigen vielfach
das feine Büschel anf ihrer Spitze. Das Mycelium ist theils bis zur Zellreihe p-p, theils weiter
nach r-r gedrungen. Es konnte nicht weiter nach aussen verfolgt werden als bis in die Reihe s-s,
weil diese von der Reihe m-m verdeckt war.
Fig. 4. Aus dem älteren Theil einer Pustel. In den Parenchymzellen Myceliumfäden mit ihren blasigen An-
schwellungen,; Zusammenhang beider theilweise deutlich, die Anschwellungen zum Theil grösser geworden
und mit Körnchen reichlich versehen; eine in deutlichem Zusammenhang mil einem Myceliumfaden, schon
fast zur Grösse der fertigen Sporen herangewachsen.
Fig. 5. Sporen verschiedenen Entwickelungsgrades in den mit noch farblosem körnigem Inhalt versehenen
Parenchymzellen des Blattstiels.
Fig. 6. (Vergr. 190.) Längsschnitt durch eine reife Pustel am Blatistiel, Reife Sporen in dem braun
gewordenen Zellinhalt eingeschlossen.
Fig. 7. (Vergr, 390.) Aus einer reifen, getrockneten Puste) in der Blattlamina durch Maceration frei gelegt.
a reife Spore. 6 zwei reife Sporen in dem vertrockneten, hart, spröde und braun gewordenen Zell-
inhalt eingeschlossen.
Fig. S— 10 Protomyces endogenus.
(Fig. 8 vergr. 90, die anderen 390.)
Fig. 8. Querschnitt durch ein von Protomyces bewohntes Internodium von Galium Mollugo (Rinde).
29*
—_— 28 —
Fig. 9. Reife Spore.
Fig. 10. Mycelium mit Sporen verschiedener Entwickelungsgrade aus tangentialen Längsschnitten durch die Rinde
des Galium frei präparirt, ohne Maceration. 5b und c jüngste Entwickelungstadien der Sporen.
Fig. 11 Physoderma Eryngii, (Vergr. 390.)
a, b, c, Mycelium mit jugendlichen Sporen aus lebenden Exemplaren frei präparirt. d, f, g reife und halb-
reife Sporen, bei d und f in deutlichem Zusammenhang mit Myceliumfäden, aus getrockneten Exemplaren
frei präparirt.
Fig. 12 Physoderma pulposum. <(Vergr. 190.)
Stückchen des Fasernetzes frei präparirt, mit 2 daran haftenden Sporen,
Fig. 13 Physoderma maculare. (Vergr. 390).
Epidermiszelle von Alisma Plantago, in welcher 3 Sporen des Parasiten liegen. Aus einem Längsschnitt durch
eine Pustel.
Tafel XXVEIE.
Exoascus Pruni. Alle Figuren sind nach 390-—-400facher Vergrösserung gezeichnet.
Fig. 1 u. 2. Von der Oberfläche einer Tasche von Prunus domestica.. Fig. 1 Stückchen Epidermis von
aussen betrachtet. Mycelium des Exoascus bei p-p zwischen den Seitenwänden der Oberhautzellen
hervortretend und auf der Aussenfläche der Epidermis sich verbreitend.
Fig. 2. Myceliumnetz von der Oberfläche einer etwas älteren Tasche, von aussen gesehen. Von den Theilen
der Epidermis ist nur die vom Pilze freigelassene Spaltöllnung gezeichnet, die Umrisse der übrigen
Zellen weggelassen.
Fig. 3. Von der Oberfläche einer Tasche von Prunus spinosa. Hymeniumanlage des Exoascus als einfache
Schicht rundlich ceylindrischer , dichtgedrängter Zellen entwickelt, die Umrisse der Epidermiszellen ver-
deckend, diese daher nicht mitgezeichnet. In der Mitte die vom Pilz freigelassene Spaltöffnung.
Fig. 4 u. 5. Querschnitte durch die Oberfläche junger Taschen von Pr. domestica mit Kalilösung behandelt.
Zwischen den durchsichtig gewordenen und nicht mit abgebildeten Epidermis- und Parenchymzellen die My-
celiumfäden des Pilzes, nach aussen tretend und zwischen Epidermis und Cuticula die Hymeniumanlage
bildend. Fig. 4 dem Entwickelungszustand von Fig. 1, Fig. 5 dem von Fig. 2 entsprechend. ce Cu-
ticula, A Hymeniumanlage, e Aussenwand der Epidermiszellen.
Fig. 6. Von der Oberfläche einer Tasche von Pr. Padus. Querschnitt. e, e, Epidermiszellen, c Cuticula
m durchschnittene unter der Epidermis verlaufende Myceliumfäden. Zellen der Hymeniumanlage cylin-
drisch, theils noch unter der Cuticula, theils mit ihrem oberen Ende über diese hinausragend, a im
Begriff die Cuticula zu durchbrechen.
Fig. 7. Von einer Tasche von Pr. spinosa. c,e, m wie in Fig. 6. Hymenium zeigt Asci verschiedenster
Entwickelungsgrade.
— 29 —
. 8. Einzelne Asei auf ihren (theilweise gezeichneten) Stielzellen. Entwickelungsfolge den Buchstaben
a—dfg entsprechend. Nach einem ganz frischen Präparat von der Oberfläche einer Zwetschentasche.
Fig. 9. a eine Gruppe von 8 Sporen, b einzelne Sporen unmittelbar nach der Entleerung (von Prunus domestica).
Fig. i0. a Gruppe von 8 Sporen, unmittelbar nach der (direct beobachteten) Ejaculation in reinem Wasser
liegend, 10 Uhr Vormittags. 5b um 10 Uhr 50 Min.; Sprossung an den Sporen beginnend. c um
11 Uhr 10 Min. d um 12 Uhr; die Gruppe hat sich etwas gedreht und in Folge der Sprossungen
ihre Anordnung etwas verändert. Um 3 Uhr waren an derselben Gruppe die Sprosse erster Generation
schon vermehrt und an vielen derselben Sprosse zweiter Generation, die ganze Gruppe deutlich zu
zeichnen war unmöglich. f ist die mit p bezeichnete Spore von d, um 3 Uhr gezeichnet.
Fig. 11. Einzelne Spore in reinem Wasser liegend, gleichzeitig mit 10 beobachtet und gezeichnet. a um
10 Uhr, 5 11 Uhr 50 Min., ce 11 Uhr 10 Min., d 3 Uhr. (Die Sporen von Fig. 11 und 12
stammten von einer Prunus Padus- Tasche her.)
Fig. 12, Exoascus-Sporen mit Sprossungen, drei Stunden nach Aussaat der frischen (von Prunus domestica
stammenden) Sporen in eine etwa 10 procentige, mit Bierhefeauszug (nach Pasteur) versetzte Zucker-
lösung. Die Aussaat wurde am 14, Mai 12 Uhr Mittags gemacht, die Figuren Nachmittags 3 Uhr ge-
zeichnet. Das Präparat lag unter Deckglas.
Fig. 13. Von demselben Präparat wie Fig, 10, am 15. Mai, 10 Uhr Vormittags. Die Figuren stellen die
Umrisse von einigen der kleineren, übersichtlicheren Sprossgruppen dar. Fast aus allen Sporen
haben sich solche Gruppen entwickelt.
Fig. 14. Hymeniumanfänge des Exoascus von der Oberfläche des Kerns eines in einer Tasche von Prunus
Padus enthaltenen Ovulums. Auf den blasig angeschwollenen Gliederzellen der Fäden sind bei a einige
junge, aber wie es scheint nicht zur völligen Ausbildung kommende Asci angelegt.
Tafel XXIX.
Figur 1— 18 Phallus caninus,
Figur 1—13 natürliche Grösse, oder wenig darüber. Figur 14 u. 16 390mal, Figur 15 etwa 12mal,
Figur 17 u. 18 ungefähr 10mal vergrössert.
Fig. 1 und 1a. Myceliumzweige, Fruchtkörper verschiedener Entwickelung tragend.
Fig. 2—12. Fruchtkörper verschiedenen Alters, Entwickelungsfolge den Nummern entsprechend.
Fig. 2. Ganz junger Fruchtkörper, halbirt, die beiden Hälften noch aneinander hängend und von der Schnitt-
Näche aus gesehen.
Fig. 3. Etwas älterer; radialer Längsschnitt.
Fig.
4. a von aussen gesehen, nat. Gr. b radialer Längsschnitt desselben Exemplars, ein wenig vergrössert
— 230 —
Fig. 5. a und 5 wie vorige Figur.
Fig. 6— 11. Radiale Längsschnitte, natürliche Grösse.
In Fig. 10 sind die einzelnen Theile durch Buchstaben bezeichnet, nämlich: a Aussenwand, g Gallertschicht,
i Innenwand der Peridie. 5 Basalstück, k Kegel, s Stiel, sp Stielspitze, gb Gleba.
Fig. 12. Reifes Exemplar, mit beinahe vollständig gestreckten Stiel, von aussen gesehen. Die Figur, wenn
auch nur eine mittelmässige Skizze, mag wenigstens ein etwas naturwahreres Bild des Pilzes geben als
die in allen Büchern wiederkehrenden Copien von Schäffer’s (Fung. Bavar.) Taf. 330.
Fig. 13. Aehnliches Exemplar wie Fig. 12, halbirt. Die Kammern des untersten 'Theiles vom Stiel noch
nicht aufgerichtet.
Fıg. 14. Hyphen, mit oxalsaurem Kalk incrustirt, und kugelige blasige Zellen, welche eine krystallinische
Kugel dieses Salzes enthalten, tragend; von der Oberfläche eines stärkeren Myceliumstranges.
Fig. 15. Stück eines dünnen Querschnitts durch die Mitte der Gleba eines Fruchtkörpers auf der in Figur 7
dargestellten Entwickelungsstufe, bei durchfallendem Lichte gesehen. s Stiel, / Kegel, ö innere Peri-
dienwand. Die weissen (durchscheinenden) geschlängelten Streifen sind die Tramaplatten, die dunkeln
die lufterfüllten Lücken zwischen ihnen.
Fig. 16. Basidien mit Sporen, aus dem in Fig. 8 dargestellten Exemplar. a mit 5 noch unausgebildeten
Sporen, Basidie noch turgid. Die anderen schon sporentragenden Basidien zeigen schon collabirte, sehr
blass contourirte Wände; 5b trägt 4, c und d 8, f 7 Sporen.
Fig. 17. Dinner Längsschnitt durch die Stielwand eines in dem Fig. 11 dargestellten Entwickelungszustand
befindlichen Exemplars.
Fig. 18. Ein ebensolcher Schnitt durch die Wand der Stielbasis von Fig. 13. Die oberen Kammern schon
aufgerichtet und aufgeblasen, die unteren noch zusammengefaltet. In * beginnt die Aufrichtung.
Figur 19, 20, 21. Phallus impudicus.
Halbirter Fruchtkörper, von der Schnittfläche gesehen. Natürliche Grösse, Fig. 19 und 20 nach Exemplaren
welche in Alkohol aufbewahrt waren, Fig. 21 nach einem frischen Exemplar gezeichnet.
Die Erklärung dieser Figuren findet sich Seite 207 des Textes.
Tafel XXX.
Die Figuren auf Tafel XXX und XXXI gehören zu Syzygites megalocarpus, sind daher mit
fortlaufenden Nummern bezeichnet.
Fig. 1. Gipfel eines reifen Sporenträgers (Sporodinia), dessen Sporen fast alle schon abgefallen sind, schwach
vergrössert.
Fig. 2. (Vergr. 195). Drei Endästchen eines jungen Sporenträgers in sehr diluirter Zuckerlösung liegend,
Sporangien mit halbreifen Sporen tragend.
— 231 —
Fig. 3. Umrisse reifer keimfähiger Sporen, alle 195fach vergrössert.
Fig. 4. Keimende Sporen, 24 Stunden nach Aussaat in einen Wassertropfen. Vergr. ungefähr 180fach.
Fig. 5. Zwei gekeimte Sporen, a etwa 200mal, b etwa 90mal vergrössert, 12 Tage nach Aussaat auf
einen Hut vou Lactarius quietus? a hat nach beiden Seiten Schläuche getrieben, der eine zeigt
einen Zweig, welcher in die Hutsubstanz eingedrungen war und beim Lospräpariren abgerissen ist; der
andere ist am Ende angeschwollen zur Anlage eines Fruchtträgers. Der Keimschlauch von 5 theilt sich
unmittelbar neben seiner Austrittsstelle aus der Sporenhaut in drei Aeste: zwei derselben, deren einer
abgerissen ist, waren in den Hut eingedrungen. Der dritte erhob sich senkrecht und hat die
Stärke und Gestalt eines jungen Fruchtträgers.
Fig. 6. Junger Zygosporenträger mit drei Fruchlkeulenpaaren, an seinem Grunde mit einem kurzen Stuck
Mycelium, schwach vergrössert. Die einzelnen Fruchtkeulen noch unerwachsen und ungetheilt. Das
Präparat wurde nur soweit gezeichnet, als es ganz deutlich war ; der eine Hauptast ist daher fast
ganz und von vielen Gabelzweigen sind die Enden weggelassen.
Fig. 7. (Vergr. 195). Fruchtkeulenpaar mit sehr verdünnter Salzsäure behandelt. Die Querwände in und
die noch undurchbrochene Scheidewand zwischen beiden Keulen deutlich.
Fig. 8. (Vergr. 195.) Fruchtkeule nach Behandlung mit verdünnter Salzsäure aus ihrer Verbindung mit
einer anderen Keule losgelöst. Aus der in der Mitte offenen Scheidewand tritt das Protoplasma hervor.
Fig. 9. (Vergr. 195.) Junge Zygospore von ihren Suspensoren getragen.
Fig. 10. (Vergr. 390.) Stück der Membran derselben Zygospore, freigelegt, schon die Schichtung der
reifen Zygospore zeigend,
Fig. 11. Enddichotomien eines vollig reifen Fruchtträgers mit einem Paar kleiner Azygosporen. Vergr.
etwa 95fach.
Die Figuren 1, 4, 5, 6 und 11 sind der Raumersparniss wegen nach doppelt so grossen Zeichnungen verkleinert.
Tafel XXXI.
Fig. 12. (Vergr. 195.) Kleine, cylindrische reife Zygospore.
Fig. 13. (Vergr. 195.) Reife Zygospore; Episporium künstlich gesprengt, Endosporium aus dem Riss her-
vortretend. An der nach oben gekehrten Endfläche des Episporiums hängen Stücke der Membran des
abgerissenen Suspensors.
Fig. 14. (Vergr. 195.) Dasselbe Endosporium wie in Fig. 13 freigelegt; Seitenansicht; Endflächen glatt,
Seitenfläche warzig.
Fig. 15—18. Zygosporen, in Wasser gekeimt. Vergr. 195, nur in Fig. 17 schwächer, etwa 100fach.
m 0
Fig. 15—17 stellen verschiedene Entwickelungsstufen desselben Exemplars dar: Fig. 15. am 25. November
12 Uhr Mittags gezeichnet; Fig. 16 an demselben Tag 5 Uhr Nachmittags, Fig. 17 am 26. November
9 Uhr Morgens.
Fig. 18. Anderes Exemplar in Glycerin liegend.
Fig. 19. (Vergr. gegen 100fach.) Keimende Azygospore.
Mineralogische Notizen
von
Friedrich Hessenberg.
No. 6.
(Fünfte Fortsetzung.)
Mit 3 Tafeln.
Eisenglanz vom St. Gotthard.
Fig. 1—8
Das Rhomboöder 4R, obgleich am Kalkspath eine so häufig auftretende Gestalt,
ist dem gegenüber am Eisenglanze wohl eine der seltensten. Wenigstens fand ich
sie in keinem Handbuch erwähnt, ausser bei Miller (Phill. Min. 1852), dessen Ver-
zeichniss sie unter dem Zeichen 311 (m) enthält. Ich habe diese Fläche neuerdings
ebenfalls beobachtet an Krystallen vom Gotthard und zwar unter Verhältnissen,
welche ihr für das Formensystem des Minerals eine gewisse. seither unerkannt
gebliebene Wichtigkeit beilegen. Letztere liegt darin, dass das genannte Rhomboeder
nicht bloss als eine wohl einmal gleichsam zufällig aufgetretene untergeordnete Fläche
und als eine zusammenhanglose Erscheinung dasteht. sondern dass vielmehr am
alpinischen Eisenglanze neben ihr eine Reihe von nicht weniger als drei verschiedenen,
seither gar nicht beachteten Skalenoedern auftritt. welche zu jenem Rhomboeder 4 R
in einer sehr nahen verwandschaftlichen Beziehung stehen, indem sie nämlich in der
Kantenzone von 4R gelegen und sämmtlich auf seiner Mittelkante errichtet sind. mit
mehr oder weniger verlängerten Hauptaxen, sonach gemeinschaftlich unter das all-
gemeine Zeichen 4Rn>1 fallend.
Für gewisse Eisenglanzvorkommnisse in der südwestlichen. dem St. Gotthard-
Hospiz benachbarten, Region des Gebirgstockes ist eines dieser Skaleno@der äusserst
characteristisch, indem es dort fast an keinem Krystall fehlt. Die anderen beiden
4Rn treten dagegen am Hauptfundort der nordöstlichen (Tavetscher) Seite auf, am
Berge Cavradi, als seltenere, aber in ihrem Combinationszusammenhang interessante,
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V, 30
— 234 —
in ihrer Ausbildungsweise zierliche und feine Erscheinungen. Betrachten wir diese
Verhältnisse von Einem zum Anderen fortschreitend, zuerst an den Krystallen der
letztgenannten Oertlichkeit nun etwas näher.
Eisenglanz vom Cavradi.
Die Cavradi-Eisenglanze gewähren in der That bei fortgesetztem Studium einen
wachsenden Reichthum an Formen. Seit meinen in Heft V. p. 43 (Abh. Bd. IV. p.
223) dieser Notizen gemachten Mittheilungen erhielt ich aus einer berühmten alten
Sammlung eine ungemein schöne Gruppe, an deren Krystallen zu acht seither schon
bekannten Theilgestalten noch zwei neue Skalenoeder, 4R2 und 4R'/, hinzutreten.
In Fig. 3 findet sich diese Combination abgebildet, nämlich:
oR.R.AR. oR.— 2R.— YR.4P2.oP2.4R2.4R'Y.
womit man die Zonenprojection Fig. 2 vergleichen wolle.
Wir haben also in dieser Combination,. wie schon oben erwähnt, das seltene
Rhomboeder 4R und zwei auf dessen Mittelkante errichtete Skalenoeder. Da zugleich
diese Mittelkante durch die sechsseitige Säule zweiter Ordnung &P2 abgestumpft
ist, so ergibt sich die viergliedrige Zone: 4R.4R2.4R'/). @P2. Um sich eine
deutlichere Vorstellung von der gegenseitigen Lage dieser steilen Formen für sich zu
bilden, diene die Fig. 1. eine ideale Vereinigung der vier oben genannten Gestalten
für sich allein, mit Hinweglassung der übrigen in Fig. 3 damit vereinigten Formen.
Was nun die zwei neuen Skalenoeder im Einzelnen betrifft. so zeichnet sich
4R2=f=%a:%a:Ya:c=513 sowohl durch seine sehr schöne, spiegelglänzende
die besten Messungen gestattende Ausbildung, als durch seinen die Bestimmung
erleichternden, mehrseitigen, z. Th. sofort augenfälligen Zonenverband aus. Als Zonen-
olied zwischen 4R und »P2 gelegen, muss es nothwendig ein auf der Mittelkante
von AR errichtetes Skalenoeder. also des Zeichens 4Rn sein. Da seine Fläche
aber auch, wie aus der Fig. 3 ersichtlich, zugleich die Kante zwischen — 2 R oben
und ',P2 unten abstumpft, so leitet sich hieraus für n der Werth =2 ab, somit
das Zeichen 4R2. Ausserdem fällt 4R2 auch noch als Zonenglied zwischen R
unten und %P2 oben, ein Verhältniss, welches in Fig. 3 verborgen bleibt, aber in
der Projection Fig. 2 ersichtlich wird, so wie in derFig. 7, an welcher durch ver-
— 35 —
änderte Centraldistanzen andere Flächen zur gegenseitigen Berührung gelangen. Dies
Bild bezieht sich auf einen Krystall an einem anderen Exemplar, und zwar an dem-
selben. welches ich in diesen Notizen, V, p. 43 (Abh. d. Senck. G. IV. p. 223)
besprochen habe, an welchem ich erst nachträglich auch noch die Fläche 4R 2 auf-
gesucht und gefunden habe. ')
Alle diese Zonenverhältnisse haben ihre Bestätigung am Goniometer und die
Bestimmung des Zeichens 4+R 2 ihre weitere Begründung direct in der Vergleichung
der Messungsergebnisse mit den Rechnungsresultaten gefunden.
Nimmt man mit v. Kokscharow die Endkanten des Hauptrhomboöders = 86’ 0‘
an. so ergibt die Rechnung:
für das Rhomboeder 4R, die Endkante = 62° 24' 18”, gemessen = 62° 21’
die Neigung zu oR= 99° 0'536” Re —
für das Skalenoeder 4R2, die kürzere Polkante X = 92° 37' 38
diellängere "3, = 152° 18° 48'', gemessen = 152° 25‘
die Mittelkante 7 — 14621811 ar Er)
Unsere Combination Fig. 3 zeigt ferner zwischen 4R2 und oP2 das noch
steilere Skalenoöder AR 'Y (v). Es tritt an sehr vielen Stellen der Stufe auf, meistens
aber parallel der Zonenaxe etwas cylindrisch, also wie mit dem Bestreben, in «P2
überzugehen. An einigen Stellen sind diese kleinen Flächen jedoch eben, konnten
daher gemessen und hieraus ihr Zeichen berechnet werden, wozu hinreichende Zonen-
verhältnisse sonst nicht vorhanden sind.
Es wurde nämlich die Mittelkante Z des gesuchten Skalenoöders gefunden =
155" 6‘, zwar nicht direct, aber aus der Neigung zu 4R=161°15‘. Da 4R:4R=
117° 3542”, so würde für die gesuchte Skalenoeder-Mittelkante 155" 6° folgen.
Dies entspricht nun aber ganz nahe zutrelliend dem Erforderniss eines Skalenoöders
mit dem Zeichen:
!) An diesem Krystall, Fig. 7, tritt noch eine andere interessante Erscheinung hinzu. Es zeigt sich in
der Zone — 2R.4R2. %, P2, zwischen letzteren beiden noch eine Fläche. Sie gehört dem Skalenoeder R 3,
dieser am Kalkspath so häufigen Theilgestalt an. In der Projection Fig. 2 ist sie einmal eingezeichnet worden.
2) Am Kalkspath kommt nach Zippe 4R2 untergeordnet in Combinationen, aber nieht häufig vor. In
seiner Tabelle S. 150 gibt er dafür die Kantenwerthe an, jedoch für X und Z sehr irrig. Es findet sich
nämlich angegeben: Y —= 152029’, anstatt 1520 28’ 49"
X= 88057 „93046: 23%
Z = 1440 29' 144% 758%
”
30*
— 2356 —
ARY =%arya:Yarc=1329
denn für dieses berechnen sich die Kantenwerthe wie folgt:
Endkante X = 96° 30° 12
5 Y= 143° 47' 34%
Mittelkante Z = 155° 9° 30 °)
Wie die Fig. 3 zeigt, findet sich an der Stufe die Mittelkante Z durch das Prisma
zweiter Art aP2 abgestumpft. Des letzteren Flächen treten einigemal in sehr
ansehnlicher Ausdehnung auf, gut gebildet, doch unter den übrigen, sämmtlich äusserst
glänzenden Theilgestalten als die einzige, welche nur einen unvollkommenen Halb-
glanz und leichtwellige Unebenheiten zeigt. Das erste Prisma &R ist zwar, eben
so wie das ihm angrenzende 4R, nur linienähnlich schmal, aber Beide vollkommen
glänzend. Auf oR fehlt auch hier der bekannte schöne Rutil nicht.
Eisenglanz von der Südseite des St. Gotthardstockes.
Nachdem ich einmal an den Cavradi Krystallen das Auftreten einer mehrgliedrigne
Kantenzone des Rhomboeöders 4 R erkannt hatte, warf sich mir von selbst auch die
Frage auf, ob nicht an den tafelförmigen Krystallen der, der Gotthard - Hauptstrasse
näher benachbarten Fundstätten (Fibbia, Sella, Lucendro) gewisse, seither wenig
beachtete skalenoedrische Flächen als Glieder in dieselbe Reihe gehören möchten.
Die Krystalle, welche ich meine, sind die wohl sehr bekannten glänzenden prächtigen
Gruppen, mit theils parallel verwachsenen, theils aber auch hahnenkammförmig aggre-
girten Individuen, im letzteren Falle wohl auch einem eingerollten Krebs- oder Trilo-
bitenschwanz nicht unähnlich, zuweilen von ein paar Zollen Durchmesser. Wesentlich
hexagonale mehr oder weniger dicke Tafeln, aus oR. @P 2 mit Spuren von %P2
gebildet, tragen sie aber fast stets an den Ecken kleine skalenoedrisch gelegene
Flächen, oft auch noch sehr untergeordnet das erste Prisma &R. Fig. 4 stellt die
Art der Gruppirung und die Fig. 5, 6 u. 8 einzelne dieser Krystalle vor. Die
erwähnten Skalenoederflächen sind zwar stets lebhaft glänzend, aber von einer eigen-
thümlichen bauchig aufgebläheten und in Kurven feingestreiften Beschaffenheit, so wie
dies in Fig. 6 anzudeuten versucht worden ist. \WVären die Flächen ohne Ausnahme
3) Am Kalkspallı ist 4R1V, noch nicht bekannt.
—_— 2370 —
derartig, so würde eine Messung und Bestimmung freilich nicht thunlich sein. Glück-
licherweise finden sie sich jedoch manchmal auch eben, an Stufen, dergleichen sich
z. B. im Besitz des Herrn Dr. Scharff mehrere vorfinden. Es sind Gruppen aus
sehr dicken Tafeln, die Randflächen unvollkommen glatt, die basischen Endflächen
glänzend, aber rosenförmig gruppirt, etwas schüsselförmig eingesenkt. Mit Adular
und Quarz sich gegenseitig behindernd. Diese Krystalle habe ich am Reflexionsgonio-
meter annähernd gut messen können und mich überzeugt, dass die Vermuthung, das
in Gestalt jener kleinen Flächen auftretende Skalenoöder werde ebenfalls in die Kanten-
zone von +4R fallen. vollkommen gegründet war.
Doch ist es keines der beiden vorhin betrachteten Skalenoäeder 4R2 und AR",
sondern wieder ein neues, nämlich:
ARY.(w)=a: Va: %a:c=4125
also ein weniger steiles,. dem eingeschriebenen Rhomboeder 4 R näher liegendes als
jene beiden. Für dieses Skalenoöder berechnet sich:
Die Endkante X, = 955185104
» - Y = 162° 13° 7; gemessen = 162° 45°
„ Mittelkante Z =136° 1'24‘; gemessen 4AR%:wP?2= 158°
hieraus folgt (158— 90) < 2 = 136 für Z.
„ Neigung 4R%:oR= 96° 30° 12”; gemessen = 97°.
Kehren wir zu dem allgemeinen Gesichtspunkt, aus welchem wir diese Studien
an Gottharder Eisenglanzen eingeleitet haben, nochmals zurück, so müssen wir zuge-
stehen, dass die Kantenzone von 4R, welche, wenngleich in räumlich untergeordneter
Flächenausdehnung, doch so vielgliedrig in den Gestalten 4R.AR%,.4R2.4R'Y.oP?2
auftritt, und wiederkehrt an Fundorten des Gottharder Gebirestocks,. welche drei
geographische Meilen in gerader Linie auseinander liegen, nicht ohne Wichtigkeit für
die Betrachtung des Gestaltenreichthums ist, welcher dieses schöne Mineral in den
alpinischen Regionen ziert.
Ergänzt man das im Jahr 1858 von Miller gegebene. 32 Eisenelanzflächen
umfassende Verzeichniss durch Hinzufügung der in diesen Mineralogischen Notizen neu
eingeführten @P%(0).4R2 (f). AR'Y (v). 4RY,(w), so erhält man 36 Gestalten
in folgender Uebersicht und in Symbolen nach Naumann, Weiss, Miller und Levy.
#) Nach Zippe am Kalkspath eine sehr seltene Form, von Haidinger an englischen Krystallen beobachtet.
(Fig. 6 bei Zippe.)
| Endfläche .
Hexagonale Prismen
Dihexagonale Prismen
Rhomboeder, positive
Rhomboeder, negative
Hexagonale Pyramiden
Skalenoeder, positive .
Skalenoeder, negative
238
Flächen des Eisenglanzes.
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021
231
021
031
511
41
513
13 29
412
>11
132
133
e?
d d% b"
dd“ b%
b% d! d”%
b'4 d! d%
e;
h:
b' b“% b!
d’
e
, b% d' dA
bY: dr d%
bY4 d' d%
e
b’ d’ d’%
e%
a
Zinkblende.
Fig. 17, 19 u. 20 aus Cumberland, Fig. 18 aus Schemnitz.
An den zahlreichen Blende-Krystallen zweier Stufen in meinem Besitz, von weit
auseinander liegenden Fundorten, Schemnitz und Cumberland, habe ich das seither an
diesem Mineral nicht gekannte Triakistetraöder »0: ’) in gut gebildeten Flächen beob-
achtet. Die Fig. 18 gibt die Form der Krystalle von Schemnitz. Fig. 17 die der
Cumberländischen.
Mit 202 ist nicht zu verwechseln jenes andere Triakistetra&der, nämlich >03,
3 )
2 r4
vergl. Fig. 17. welches mit seinen zwischen die Dodecaöderflächen keilförmig einge-
schobenen. meist etwas gerundeten Flächen eine allbekannte,. ungemein häufige Er-
scheinune bei der Zinkblende ist. Verel. Fig. 41. Naumann’s Min. v. 1825: Quenstedt’s
2
. 3 02 ,. .
Handh.. u. a. a. O. Denn, verschieden hiervon. kommt unser —- abstumpfend auf
die Combinationskante je zweier angrenzenden Dodecaederflächen „0 selbst zu liegen,
ist also durch seine parallelkantige Begrenzung äusserst leicht von den conisch gestal-
>03
D)
a
teten
Flächen zu unterscheiden. bestimmt sich auch sofort in seiner Bedeutung
nach erfolgter Beobachtung dieser tautozonalen Lage zwischen zwei Flächen »0 und
andrerseits als Reihenglied zwischen einer Würfel- und einer Tetraöderfläche. Ange-
stellte Messungen haben indessen wenigstens bei dem englischen Vorkommen zum
202
9
Ueberflusse noch den zukömmlichen Neigungswerth von
144" 44’. bestätigt.
>02.
segen XV mil
An der Schemnitzer Stufe tritt —— in folgender Combination, Fig. 18, auf:
ne 202 ‚lies 20
Es sind ungemein zierliche, glänzend schwarze Zwillingskrystalle, die grössesten
0 0
von 5 Mm. Durchmesser. Die Diflerenzirung der beiden Tetraöder ng und ur ist,
5) In Abth. I. (1856) dieser Min. Notizen (Abh. d, Senck. Ges. Bd. II, p. 183) hat sich bei der Auf-
zählung der bis damals beobachtet gewesenen Zinkblendeflächen das Zeichen 202 nur in Folge eines Druckfehlers
2
p
anstatt 03 eingeschlichen.
I
r4
— A —
bei allem Glanz, der Beiden eigen ist und trotz ihres räumlichen Gleichgewichts doch
recht deutlich. da 2. dreiseitig gleichlaufend mit den 0-Kanten linirt, +) aber
vollkommen stetig glänzend ist. Auch die Würfel- und Dodecaöderflächen. obgleich
D D
von untergeordneter Ausdehnung. theilen diesen Glanz. Nur 9” verhält sich anders.
Es ist zwar eben, aber matt. fein rauh, dabei oft mit wahrnehmbarer Anlage zu
einer Furchung parallel der Begrenzungskante mit &0. In dieser Weise zeigt sich
202
die Fläche = an der überdrusten Stufe unzähligemal, ja überall. wo man nur eben
hinblickt; denn die Zahl der deutlich ausgebildeten Krystalle ist ungemein gross.
Die Flächen des ebenfalls ein Glied der Combination bildenden Deltoidodecaöders
2 is: za v
= sind linienschmal auf der Kante zwischen 3 und &0. wurden aber gemessen und
27
bestätigt mit 166° 22° Neigung zu 0. Endlich ist noch zu bemerken ein Gegen-
Yikce e mO0m : Er
Triakistetraödder — — _—. da es malt ist nach bloser Augenschätzung wahrscheinlich
303 2 202
2
„ welches einer der Krystalle zusammen mit
recht gut gebildet zeigt.
Die Cumberländer Stufe ist zwar von weniger elegantem Ansehen, weil die
Krystalle nicht wie eine drusige Decke ausgebreitet. sondern in ziemlich unregel-
mässig gestalteten einzelnen Gruppen aufgehäuft sind. Doch vereinigen sie ein noch
tieferes Schwarz mit dem höchsten Grad des Glanzes und einzelne erfreuen durch eine
fast modellmässige Regelmässigkeit. welche die Analyse ihrer nicht allzu complieirten
Gestaltencombination um so mehr als eine leichte Aufgabe erscheinen lässt. Es finden
sich hier zusammen (vergl. Fig. 17):
9 303 202
In. N. ; a a.
AN. al File) 5
Man hat hier den Vortheil. die beiden Triakistetraöder. nämlich das seither
SS 202 6 : EU
bekannte + —- mit dem neuen + zusammen eombinirt und sich mit einer deut-
: Me
lichen Kante an einander absetzen zu sehen. Dabei ist ihre Flächenbeschaffenheit
303 202
ungemein verschieden; = ist malt, aber sehr eben; 202
sehr glänzend. aber
meistens mit einer Anlage zu cylindrischer Krümmung um die Axe der Zone 0».
303 202 f 2 £ N }
aan herum. während hie und da eine leichte Furchung normal zu genannter
>} DI
: 2
Zonenaxe jener Krümmung nachläuftl. Manche Krystalle zeigen jedoch = eben,
— 4 —
und an einem solchen fand sich, wie schon oben erwähnt, ein gutes Spiegelbild unter
144° zu #0». statt der zukömmlichen 144°44‘. Es finden sich Krystalle wo —
grösser als alle anderen, somit zur vorherrschenden Fläche ausgedehnt erscheint. wie
es die Fig. 19 u. 20 darstellen, wobei sie dann allerdings, obgleich lebhaft glänzend
und für das Auge nach ihren Zonenverhältnissen richtig angelegt, doch nicht spiegel-
mässig eben ist.
Als Begleiter finden sich bei dem Schemnitzer Exemplar: Bleiglanz in schönen
&0®.®., Pyrit, Eisenspath, Quarz; an dem Cumberländer: mikrokrystallinischer
Quarz, Bitterspath und Kalkspath.
Malachitspath.
Einige Beobachtungen an Malachitkrystallen von Rezbanya habe ich 1860 in diesen
Notizen, Nr. 3, S. 31, Abh. d. Senck. Ges. Bd. III. S. 285, mitgetheilt und in der
Absicht erörtert, über die noch etwas zweifelhaft gebliebene Krystallreihe des Malachits
Aufklärung zu erlangen. Die Zweifel über das System, die seitherige Unmöglichkeit,
die parametrischen Elemente zu vervollständigen, hatten ihre Ursache nicht allein in
der Seltenheit messbarer Malachitkrystalle überhaupt, sondern insbesondere im Mangel
deutlicher und messbarer Flächen in derjenigen Anzahl und gegenseitigen Lage, wie
sie zur Systembestimmung erforderlich sind. Man war in neuerer Zeit geneigt, das
Mineral als monoklinisch zu betrachten; aber die vollständige Bestimmung einer mono-
klinen Pyramide und folglich auch einer jeden Krystallreihe dieses Systems setzt nicht
mehr und nicht weniger als drei von einander unabhängige Beobachtungselemente
voraus (Naumann, Lehrb. d. Kr. II, S. 73). Die am Malachit erhaltenen zuverlässigen
Neigungswerthe beschränkten sich aber auf nur zwei von einander unabhängige,
nämlich auf den des Prismas &P und auf den, welchen man als dem schiefen Axen-
winkel Ü entsprechend betrachtete. Eigentlich beruhte die Annahme eines monoklinischen
Systems unter diesen Umständen doch immer nur auf einer sich blos auf den äusser-
lichen Habitus, namentlich der Zwillinge, stützenden Vermuthung.
Mohs (Naturgesch. v. Mohs u. Zippe, II, S. 175). welcher den Malachit für hemi-
orthorhombisch gehalten, gibt zwar eine Pyramide als beobachtet an und hat sie auch
als Grundform berechnet. Dieser Berechnung liegen aber nicht etwa Messungen der
Ablandl d Senckenb. naturf. Ges. Bd, V_ 31
— 42 —
Pyramidenflächen selbst, welche er ja als gekrümmt angibt, zu Grunde, sondern eben
nur jene Voraussetzung rechtwinkeliger Axen und die für diesen Fall allerdings
genügenden zwei vorhin erwähnten Beobachtungselemente. Sobald aber die Voraus-
setzung rechtwinkeliger Axen, wovon wir uns demnächst überzeugen werden, den
Messungsergebnissen gegenüber nicht mehr haltbar erscheint. so kann auch die
Berechnung der Grundform nicht mehr zutreffen.
Die neuesten chemischen und krystallographischen Untersuchungen sind von
A. Nordenskiöld im Jahr 1855 an Malachitkrystallen von Nischni-Tagilsk angestellt
und in: Acta Societatis scientiarum Fennicae, tom. IV. p. 60% ff. in Schwedischer
Sprache und mit Abbildungen begleitet veröffentlicht, aber wie es scheint nicht in
verdienter Weise bekannt geworden, da man sie an keinem andern Orte erwähnt
findet, als in der 5. Auflage der Elemente der Mineralogie des Herrn Professor
Naumann, welchem hochverehrten Freunde ich auch die gütige Mittheilung des Origi-
nales verdanke. Nordenskiöld hat zwar ausserdem, dass er das Prisma und die
Schiefe der Hauptspaltfläche nachmass, auch noch Messungen an einer der beiden von
ihm beobachteten Pyramiden gemacht und diese mit benutzt. um Grunddimensionen
(a:b:c=1:0,8716 : 0.5195; Z C'= 61° 57°) abzuleiten; allein jene Pyramidenflächen
waren an den wenigen messbaren Krystallen,. welche sich ihm darboten, stets so
gekrümmt, und die auf sie und das Verhältniss zwischen Hauptaxe und Orthodiagonale
bezüglichen Neigungswerthe so schwankend, dass er seine Resultate selbst nur für
ganz approximative erklärt.
Kürzlich habe ich das Glück gehabt, an zwei alten Exemplaren von Rhein-
breitenbach °) so geartete Malachitkrystalle zu begegnen, dass dem seitherigen Mangel
abgeholfen ist. Dadurch dass diese Krystalle es ermöglichten, ausser den seither
schon bekannten Neigungswerthen auch noch ein Orthodoma mit Schärfe zu messen,
war alles gewonnen, was zur sicheren Berechnung der Grundform bisher gefehlt hatte.
Die beiden Rheinbreitbacher Stufen haben als Träger des Malachits den bekannten
löcherigen, mit Eisenoxydhydrat durchzogenen Kiesel, welchen man unförmlich nennen
müsste, stellten sich nicht die Löcher und Kammern bei näherer Betrachtung eigentlich
als unzweifelhafte pseudomorphe Hohlräume heraus. hinterlassen von einem ver-
schwundenen krystallisirten Mineral (Kalkspath? Schwerspath?), und deren Wände
6) Nach gefälliger Mittheilung des Herrn Dr. Krantz wurden Malachitkrystalle zu Rheinbreitenbach im
Jahr 1825, seitdem aber nicht wieder gewonnen.
— 243 —
dann wieder durch kleinkrystallinische Quarz- und Chalzedonbildungen überzogen und
überwuchert worden sind. In diesen sehr verschieden grossen Hohlräumen sitzt
bekanntlich der Malachit oft in Begleitung von Lunnit (Phosphorchaleit), beide
Mineralien die Räume entweder ganz erfüllend oder auch nur theilweise, wo sie dann
frei auskrystallisiren konnten. Am einen Exemplar (I), welches ich unlängst aus
einer alten Sammlung erworben habe, findet sich der Malachit in einer Anzahl drusig
parallel übereinander gruppirter, glänzender Krystalle, sehr verkürzt in der Haupt-
axe, aber von 4 Mm. orthodiagonaler Länge, zusammen mit Lunnit. die ganze An-
ordnung etwa so, wie in Fig. 14 ungefähr darzustellen versucht worden ist. Das
andere Exemplar, seit vielen Jahren Eigenthum des Senckenbergischen Museums, trägt
eine Gruppe, 19 Mm. lang, 18 breit, bestehend aus nur zwei prachtvollen, % Zoll
grossen Malachitkrystallen, ohne Begleitung von Lunnit. Dieses Exemplar (ID) sieht
ungefähr so aus, wie die in natürlicher Grösse skizzirte Fig. 16.
Der Lunnit in kugeligen, innerlich strahligen Formen am Exemplar I, Fig. 14
zeigt sich als das ältere Mineral. Er hat einen anderthalb Zoll grossen Hohlraum
zuerst halb ausgefüllt. Den alsdann noch übrigen freien Raum hat seinerseits der
Malachit abermals etwa zur Hälfte erfüllt und sich dabei zum Theil an den schon
vorhandenen Lunnit angelegt; die Krystalle des Malachit schneiden an den sphä-
rischen Gestalten des Lunnit ab. Sie sind gras- und smaragdgrün ins schwärzliche,
im ausgezeichnetsten Grade wie Glimmer spaltbar in der Richtung der basischen End-
fläche oP (welche dadurch einen starken Perlmutterglanz besitzt). drusig in deutlichen,
lebhaft glänzenden, gruppenweise annähernd parallel zusammenverwachsenen Krystallen
von 4 Mm. Breite und 1 Mm. Höhe.
Am Exemplar II finden sich nur zwei ziemlich gleich grosse Krystalle, und
zwar ohne Begleitung von Lunnit, den Hohlraum im Kieselgestein für sich allein etwa
halb erfüllend. Stalactitische Aestchen und Fäden klaren Quarzes, wie aus Kandis-
zucker fein krystallisirt, an jenem Fundorte gewohnte Erscheinungen, berühren auch
zum Theil die Malachitkrystalle und sind jüngerer Entstehung. Nur die Flächen des
Prisma und die dem Blätterbruch parallelen, hier zwillingisch gegenüber liegenden
Flächen (Fig. 16 u. 12) sind schön gebildet; imUebrigen sind diese durch ihre Grösse
merkwürdigen Krystalle doch flächenärmer und fragmentarischer, als die kleinen der
Stufe I, erscheinen auch in ihrem auf Bruchflächen entblössten Inneren als nicht stetig,
sondern verworren krystallinisch gefügt. Ein Theil der Messungen konnte daher aller-
dings besser an den kleinen Krystallen geschehen; dennoch aber findet sich bei den
31*
_— 214 —
zwei grossen ein wichtiger und für den Zweck parametrischer Studien entscheidend
hülfreicher Umstand. Diese Krystalle sind nämlich Zwillinge. aber nicht
nach dem seither bekannten Gesetz gleichlaufend mit oP& verbunden. sondern
nach dem Orthodoma +Pw. Aus Fig. 12, in welcher die Schraffirung lediglich
die Lage des Blätterbruchs bezeichnet, wird man dies näher ersehen. Nun ist klar.
dass wenn man im Stande ist, an diesen Zwillingen die Neigung der zwei Flächen
oP:d° zu messen, man dadurch auch die Neigung von oP:P& gewonnen hat,
welche das Complement des halben Winkels oP:: d’ sein muss. Damit ist ja aber gerade
das längst entbehrte zur Berechnung nothwendige dritte Beobachtungselement gewonnen.
Kehren wir jedoch zum Ausgang der Untersuchung an den kleinen einfachen
Krystallen der Stufe I zurück. welche sich in der Fig. 11 von vorne, in Fig. 10
von neben dargestellt finden. Folgende sind die Theilgestalten, welche diese Krystalle
dargeboten haben und von welchen nur die vier ersten bisher angegeben zu werden
pflegten.
oP.xPw».oPw.mP.Pw.2Pw.P%.2P2.
c a b m x y d e
Diese Flächen erscheinen mit folgenden Eigenschaften:
oP(e) Die basische Endfläche. Perlmutterglänzend, ausgezeichnet blätterig, voll-
kommen eben und spiegelnd.
&P& (a) Das Orthopinakoid. Sehr eben, spiegelnd. Schmal, an manchen Kry-
stallen fehlend.
&Pw (b) Das Klinopinakoid, mit gleichen Eigenschaften. Zweite Spaltrichtung,
lange nicht so blätterig und glänzend, als die nach oP.
&P (m) Das Protoprisma, gleichfalls eben und glänzend. Sehr wenig verlängert,
daher der niedrige Habitus der Krystalle.
Px& (x) Ein positives Hemidoma, als ächte Krystallfläche nicht beobachtet; be-
herrscht aber den Habitus als Resultat eines treppig wechselnden Auftretens von P'%.
Hauptsächlich jedoch als Zwillingsebene von Wichtigkeit
2Px& (y) Positives Hemidoma. Klein, weniger glänzend, doch ein zur Messung
genügendes Bild liefernd.
P%,(d) Positive Hemipyramide. Nicht breit und stetig gebildet, sondern die beiden
Flächen von hüben und drüben in vielfach wiederholten Treppenstufen wechselnd,
welche aber für sich messbar sind. Bilden zusammen eine, den Habitus wesentlich
mitbestimmende, sehr in die Augen fallende, gefurcht eylindrische Wölbung.
—_— 295 —
2P2(e) Positive Hemipyramide. Unvollkommen, noch zweifelhaft, nur in ein-
maligem Auftreten beobachtet. Die Beschaffenheit erlaubt keine Messung. sondern nur
eine vermuthungsweise Schätzung der Lage.
Für die Berechnung der Grunddimensionen benutzte ich folgende durch Messung
erhaltene vier Werthe, welche bei der guten Beschaffenheit der Flächen und der
allseitigen Sorgfalt mit welcher verfahren wurde, als der Wahrheit äusserst nahe
stehend betrachtet werden dürfen. Für das Prisma &P habe ich ausser den Krystallen
von Rheinbreitenbach auch die von mir früher beschriebenen von Rezbanya aufs Neue
gemessen und die ganz übereinstimmenden Resultate mit in die Rechnung gebracht.
aPno:nwPw —y:90,
oP:wPüberaoP«o = 104° 20‘')
oP:oPw — 1187107 spp 7610. ZI E
oP:d’ am Zwilling = 55° 50°”); woraus folgt:
oP: Po = 180° — nn — 152° 5°
7) Es wurde nämlich gefunden:
1. An einem schönen kleinen Krystall von Rheinbreitenbach bei sechs verschiedenen Neueinstellungen und
zahlreichen Ablesungen: 1040 20°
1049 18°
1049 20°
1040 23°
1040 21'
1040 21°
Mittel 1049 20°
‚em Krystall von Rezbanya : 1040 22°
104° 19'
1049 47°
1049 25°
Mittel 1040 21
3. An einem zweiten von daher: 1049 20°
7) Nach den älteren Angaben von Mohs sollte das Hauptprisma — 103042’ sein; Nordenskiöld dagegen
findet 104° 52‘ am Malachit von Nischni-Tagilsk. Man darf diese starken Abweichungen wohl auf Rechnung
der wenig vollkommenen Krystalle selzen, welche diesen Forschern zu Gebote standen.
#) Uebereinstimmend bei drei sehr genauen Messungen an einem schönen Krystall von Rheinbreitenbach
(dem so eben sub. 1. erwähnten). Mohs gab 610 49’; Nordenskiöld 619 57°.
9) Hierbei dienten die zwei schönen grossen Krystalle aus der Senckenbergischen Sammlung, Fig. 16.
Sie wurden sorgfältigst justirt und centrirt; das Instrument war in 24 Fuss Entfernung vom Fenster aufge-
—_— 246 —
Die sich hier darstellende gute Uebereinstimmung zwischen den beiden. unter sich
doch keineswegs parallel orientirten, daher als zweierlei Körper ganz dilferenten
Doppelkrystallen war eine erfreuliche Wahrnehmung. Sie beweist vorerst die Gesetz-
mässigkeit der Zusammenfügung an sich, d. i. die krystallonomische Zwillingigkeit der-
selben, und zwar nach einer anderen Theilungsrichtung als die bisher bekannte. Die
Erkennung dieser Richtung als gleichlaufend mit dem Orthodoma Po ist nicht schwer,
da sie ungefähr durch die Messungen an einfachen Krystallen ermittelt werden kann,
aber doch nur ungelähr, weil die hintere Region an den Krystallenden stets mangel-
haft ausgebildet ist. Für diese ungefähre Kenntniss der Lage von Pxw gewinnt
man aber nun durch die Ermittelung der Neigung der beiden vortrefflichen basischen
Flächen oP und d’ eine genaue Correctur und damit zugleich die Vervollständigung
der uns zur Berechnung des Malachitsystems erforderlichen Anzahl von drei unter
sich unabhängigen Beobachtungsdaten.
Indem nun also die oben verzeichneten Werthe zur Berechnung der Grundform
benutzt wurden, stellte sich als Ergebniss Folgendes heraus.
Der Malachit krystallisirt monoklinisch; der schiefe Neigungswinkel C ist nach
directer Messung = 61° 50° und es finden sich:
Hauptaxe c = 0,468191
Klinodiagonale b = 1
Orthodiagonale a = 1.13559
Adoptiren wir ferner für die Grundformkanten und Hauptschnittwinkel die Be-
zeichnung, deren sich Naumann in seinen Elementen der theor. Krystallographie, 8.
320. bedient, so findet sich:
stellt. Als gleich weit entfernte Objecte dienten eine Spalte im Fenster des verdunkelten Zimmers und das
Bild derselben im Spiegel des Instruments. So wurden gefunden:
Am 1. Krystall: bei erster Einstellung 3507514
zweiler 5 550 41°
550 41°
5507577
550 59:
550 57°
550 52°
Am 2. Kıystall i 5 ? 5 550 49°
550 50°
Mittel 550 50°
n
_— UT —
Die basische Kante X füreE = 352132337
x 4 =B = ‚242 15° 5%
X+HX = 59928 400
Orthodiagonale Kante Y für P BITAGT SU
Yin abe A524 18"
YrTaY“ —i 135107 26”
Klinodiagonale Kante ZU für P = 67° 35/12
217 Wo 39 102
Zi u. = 147149450
DD — 118729230
Winkel ö von X zur Orthodiagonale = 41’ 22° 40”
„ Klinodiagonale = 48° 37' 20"
90° 0° 0
SOME. 15
hun ,Y, „ „Hauptaxe — 67.394114
Orthodiagonale = 22° 24’ 49"
90° 070%
Sl.
edel, Klinod. beinE = 20.99. 0%
a IE VAR nr = 2187407587
ZA, Hauplaxe „Br = 90.15 04
Be Zi. BR. 432297225
Folgende Neigungswerthe wurden aus den berechneten Grunddimensionen ferner ab-
geleitet, denen wir zur Vergleichvng die mehr oder minder zutreffenden Messungsresultate
oO
gegenüber stellen.
10) Duss die Mohs’schen Grundformkanten (Naturgesch, Bd. II S. 175) sich so weit von den unsrigen
entfernen, liegt natürlich nicht darin, dass er die doch nur geringe Abweichung von der Rechtwinkeligkeit
zwischen Pa und P&w übersehen, sondern in der von der unsrigen ganz verschiedenen Axenlage bei
Mohs. Die Spaltfläche welche wir nach dem Vorgange anderer Forscher als oP nehmen, gilt bei Mohs für
eine domatische P&®. Demnach ist seine Grundform an sich eine von der unsrigen verschiedene Theilgestalt.
— 48 —
berechnet. gemessen.
OPEN ee. 53 2 ER ARE
DEREN wear. 41170460367 (suppl.— 62203 2419613
DPNERE ES Früher Pin) 124° 3/24” v. LU REDRIER FEN 23220,
PL WEIBI NN 808. LAS 077 RN BEN LEERE A He
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BP nn. 52 ART TROL EE TERA2E
DBEREDEn : 2°. ..0412729020%
DRerEDn. en 3
eo la sich 0
oaPo:Po BR la
Aus dem zuletztgenannten Werthe folgt am Zwilling, Fig. 12, für die beiden Haupt-
axen und ebenso für oPw:«da = 179’ 30‘, auf der vorderen (minus) Seite, wo
die zwei Blälterdurchgänge liegen, ausspringend, gegenüber einspringend; und
ferner berechnet sich ebenfalls an diesem Zwilling: aP:da = 179’ 36’ 20”, wieder an
der vorderen (minus) Seite ausspringend, an der hinteren mit gleicher Neigung einspringend.
An einem Zwilling nach P& fallen also die Hauptaxen, Orthopinakoide und Prismen-
flächen beider Individuen beinahe in einander. Die so geringe Abweichung von 180°,
d. h. von der vollkommenen Coineidenz und Einspiegelung übersieht das Auge in der
That gänzlich. Und doch knüpft sich daran die Entscheidung für den vollkommenen
monoklinen Character des Systems. Denn wäre o?o:w@dw = 180°, so wäre auch
aran:Pw = 90", statt, wie wir gesehen, = 90° 15‘, und es stände die Zwillings-
ebene normal zu dem Prisma &P. Man hätte nichts anderes als ein orthorhombisches
System, freilich mit einer hemiedrischen, monoklinen Spaltbarkeit. Ich hätte mich anfangs
beinahe verleiten lassen, ein solches Verhältniss beim Malachit anzunehmen, indem ich
irrig die Zwillingsebene für eine orthorhombische Basis oP nahm und nun fand, dass
alle Neigungswerthe auf eine bemerkenswerthe Weise beinahe genau mit einer rhom-
bischen Symmetrie stimmten. Der immerhin verdächtige Gegensatz einer solchen schein-
baren Symmetrie mit der dazu nicht stimmenden einseitig auftretenden Spaltungsrichtung
veranlasste eine nochmalige Prüfung auf dem bereits beschriebenen Weg und führte zu
der Ueberzeugung von dem äusserlich wie innerlich übereinstimmend völlig monoklinischen
Character des Malachitsystems. Die seitherige Aufstellung, so, dass die dem Blätterbruch
gleichlaufende Fläche als Basis gilt, wurde als vollkommen zweckmaässig beibehalten.
— 249 —
Nachdem diese Studien am Rheinbreitenbacher Malachit stattgefunden hatten, liess
ich mir es angelegen sein, meine vor drei Jahren gemachten Untersuchungen an sehr
kleinen Krystallen einer Stufe von Rezbanya (diese Notizen Nr. 3, p. 31) nochmals
aufzunehmen, die Messungen sorgfältiger zu wiederholen, und ihre damals zweideutig
gebliebenen Ergebnisse mit den neuen zu vergleichen. Es gelang auch bald, diese
Krystalle mit den Rheinbreitenbachern zu parallelisiren, so sehr sie auch im Habitus
davon verschieden sind, wobei dann aber meine früheren Anschauungen der Rezbanyer
Krystalle in der That eine wesentliche Berichtigung zu erfahren hatten. Fig. 13 zeigt
die Form dieser ungarischen Krystalle. Dieselben sind keine Zwillinge, sondern
einfache Krystalle der Combination: @P».P.P%(f); letztere ist keine von den
Rheinbreitenbacher Pyramiden.
Die ziemlich vorherrschende pinakoidische Fläche stumpft die schärfere Prismen-
kante von 75° 40° ab und findet sich zu den anliegenden Prismenflächen unter 127°
50° geneigt; es ist das Klinopinakoid »Pw. Die das Krystallende abschliessende,
früher irrig für domatisch gehaltene Flächenkante liegt nicht parallel der längeren,
sondern der kürzeren Prismendiagonale. Es gehören diese Flächen einer positiven
Hemipyramide Pn an, welche von der Rheinbreitenbacher P°’% etwas abweicht, jedoch
sich tautozonal zu ihr und dem klinodiagonalen Hauptschnitt verhält. Ich habe sie
neuerdings an einem sehr kleinen, aber doch geeigneten Krystall recht genau messen
können und gegen @Pw mit 104° 27‘ geneigt gefunden. Dies gibt für die klino-
diagonale Polkante Z dieser Hemipyramide 2.180° — 104° 27'= 151° 6°. Hiernach
ist man berechtigt, dieselbe für eine P%, zu nehmen, für welche die Rechnung für
Kante Z 151° 5° 26“ erfordert.
Etwas Achnliches wie die als noch zweifelhaft gefundene zweite Rheinbreiten-
bacher Hemipyramide 2P2 zeigte sich auch an Rezbanyer Krystallen (vgl. Fig. 15),
aber zu klein und undeutlich zur Messung.
Ich hege jetzt nur den Wunsch, auch noch solchen Malachitzwillingen zu begegnen,
wie sie seither, nach Mohs, überall angegeben worden und auch von Nordenskiöld
wieder beobachtet worden sind, nämlich zusammengesetzt nach dem Orthopinakoid
&Pw. Da Mohs angibt, es fände sich diese Zusammensetzung fast in jeder Varietät,
erkennbar an den Spaltungsrichtungen, so ist es jedenfalls recht bemerkenswerth, dass
sich an zwei ganz bekannten Fundorten auch andere Krystalle gefunden haben, zu
Rheinbreitenbach Zwillinge nach einem von jenem verschiedenen neuen Gesetze, und
zu Rezbanya einfache Nichtzwillinge.
Abl:andl d. Senokenb. naturf. Ges. Bd. V. 32
— 230 —
Zinnerz.
(Fig. 9.)
Aus einer Cornwalliser Grube, wahrscheinlich Wheal Harris zu Camborne, sind
in neuerer Zeit Zinnerz-Stufen gefördert worden und nach London in den Mineralien-
handel gekommen, welche mit zahlreichen zierlichen Krystallen, Nichtzwillingen, der
in Fig. 9 abgebildeten Combination besetzt sind, nämlich:
DAR 1:3 BE %H@P . oben.
Unter diesen Theilgestalten sind zwei besonders bemerkenswerth; die ditetragonale
Pyramide 7PY, ist neu, und das ditetragonale Prisma @P',, zwar unlängst, durch
Greg & Lettsom (Mineralogy of Great Britain, 1858) beobachtet, ist doch noch
nicht näher berechnet oder auch nur bestimmt worden.
Greg & Lettsom geben nämlich unter mehreren Abbildungen Cornischer Zinn-
erzkrystalle (1. ec. S. 355) auch in ihrer Fig. 5 und 6 solche mit einem ditetragonalen
Prisma k, geneigt zu @P mit 171° 30‘ Hieraus folgt aber das Zeichen @P%, =
(»a:1b:%b)= 043, für welches eine einfache Rechnung genauer ergibt:
»aP%:a@P = 52412"
oP%:wP%, über @P = 163° 44: 24°
aPY:»P%, anstossend = 106° 15° 36“
Dies Prisma tritt an der in meinem Besitz befindlichen Stufe vielfach nett gebildet
und in der Messung gut zutreffend auf, wenn gleich allerdings in starkem Maasse an
den Verzerrungen Iheilnehmend, welche viele dieser Krystalle überhaupt zeigen.
Die Theilgestalt “@P%, ist nicht allein am Zinnerz neu, sondern ungeachtet des
einfachen Zeichens überhaupt noch an keinem quadratischen Mineral beobachtet worden.
Was die neue ditetragonale Pyramide betrifft. so liegt dieselbe tautozonal auf
der Kante zwischen der Pyramide 3P’% und dem Protoprisma ®P. Diese Lage
m
bedingt für sie das allgemeinere Zeichen mP -„ dessen nähere Bezilferung sodann
m-
aus der zu messenden Neigung gegen die obengenannten zonenverwandten Flächen
ermittelt werden muss, wobei die Rechnung auf das Zeichen 7 P% führt.
Naumann (Mineralogie v. 1828, S. 514) gibt als Grunddimension des Zinnerzes
die Hauptaxe = V 2 also = 0,.67420. Unter dieser Annahme berechnet sich für
die ditetragonale Pyramide 7P%, (ef. Naumann, Lehrb. d. Kr. Bd. I, S. 259 f.)
— 251 —
Die normale Polkante X = 100° 2 18
„ diagonle „ Y= 171° 18°52”, wofür bei der Messung gefunden = 170° 43°
„ Mittelkante Z = 161° 43° 16“
Der Winkel T, welchen zwei einander gegenüberliegende Flächen eines normalen
Mittelecks bilden = 100° 36/54, der Winkel U, welchen zwei einander gegenüber-
liegende Flächen eines diagonalen Mittelecks bilden = 159° 43’ 48°
[Die Messung hatte ergeben ”P%: @P = 169° 40°;
dem entspräche Winkel U = 2 (169° 40° — 90°) = 159° 20°]
Die Flächen von 7PY, finden sich übrigens bei vielen dieser Krystalle etwas
eylindrisch und bemerklich gestreift parallel der Zonenaxe, so dass sie zur Messung
nicht taugen. Die besseren liefern aber scharfe, einfache Lichtrellexe.
Der Habitus der Krystalle ist ziemlich verschieden, wechselnd von einem Drusen-
räumchen zum anderen. An manchen wird 3P %. welches in unserer Figur vorherrscht,
zurückgedrängt durch die Flächen des Scheidels P und Pw, wodurch die Krystalle
ein ziemlich verschiedenes Ansehen erhalten, abgesehen von den ebenfalls reichlich
vorhandenen Verzerrungen. Die Krystalle sind dunkelbraun „ die grösseren fast
schwärzlich, bei zunehmender Kleinheit aber bis zu hellbraun, dann fast durchsichtig
und innerlich leuchtend. Alle sind einfach, ohne irgend eine Spur jener Zwillings-
erscheinungen, wie sie doch fast an keinem erzgebirgischen Zinnerzkrystall fehlen.
Seine beiden Enden zeigt kein einziger. Obwohl in mannigfaltiger Richtung regellos
stehend, halb und ganz umliegend, sind sie doch Alle mit ihren Prismen eingewurzelt
im Muttergestein, in welchem sie die Wände aller Hohlräume drusig besetzen, begleitet
von Würfeln weissen, durchsichtigen Flussspaths. welcher jünger ist. Das Mutter-
gestein selbst ist ein rauhes, oberflächlich in den Hohlräumen warziges, schmutzig
grünliches Gemeng, wie es scheint von Chlorit und Zinnerz.
Sphen von Rolhenkopf im Zillertlhal.
(Fig. 26 bis 34.)
Die Mineraliensucher im Zillerthal sind im Frühjahr 1863 durch den Fund aus-
gezeichneter neuer Sphenkrystallisationen am Rothenkopf belohnt worden. Ich besitze
davon zehn Exemplare, von welchen ich die grössere Mehrzahl der Güte des Herrn
32*
Baudirector Liebener in Insbruck zu verdanken habe. Ein Mineralienfund von solcher
Zierlichkeit würde schon um dieser allein willen eine Erwähnung verdienen; diese
neuen Sphene bieten aber auch nach eingängiger Betrachtung sehr bemerkenswerthe
Verhältnisse, nicht allein neue Beispiele des Auftretens sonst sehr seltener Flächen,
so wie einiger. welche seither noch gar nicht beobachtet worden sind und welche
nun den Reichthum der am Titanit gekannten Gestalten aufs Neue vermehren helfen,
sondern auch den Beweis eines ausgezeichneten Hemimorphismus, welcher sich
für diese Species seither der Aufmerksamkeit der Forscher noch ganz entzogen hat.
Diese neuen Sphene sind zwar in Folge ihres Flächenreichthums bei grosser
Verzerrung sehr mannigfaltig in ihren Gestaltungen, theilen aber andrerseits einige
gemeinschaftliche Eigenschaften, durch welche man sie, seien sie auch fortan in alle
Welt zerstreut, als zusammengehörigen örtlichen Ursprungs wahrscheinlich leicht wieder
erkennen würde. Gemeinsam ist ihnen eine vollkommene Frische, eine schöne zeisig-
grüne Färbung, Durchsichtigkeit, eine vorherrschend tafelförmige Ausbreitung nach
oP, die Zwillingsverwachsung nach eben dieser Fläche, der ausgezeichnete Glanz und
die Glätte der Flächen P& (r) und %,P2 (n), welche aber trotzdem vielfach treppig mit
einander wechseln und dadurch die Krystalle sehr verzogen erscheinen lassen, endlich der
bereits erwähnte Hemimorphismus, zufolge dessen alle Krystalle an einem
Ende anders ausgebildet sind, als am anderen.
Die Grösse wechselt zwischen 17 bis 36 Mm. Dabei sind sie bei tafelförmiger
Ausbreitung ziemlich dünn und schwinden mitunter bis zu leicht zerbrechlichen, zarten
Gebilden, freistehend und nur mit Rändern haftend an ihrer Anwachsstelle. Die meisten
sind daher bereits schon durch die vielleicht auch nicht genug vorsichtigen Sammler nur
abgelöst erbeutet und so weiter angeboten worden. An den in Minderzahl vorhan-
denen Krystallen, welche noch ihrer Unterlage anhaften sieht man, dass das Mutter-
gestein,. dem sie aufgewachsen sind, ein feinschuppiger, frischer. scharfanzufühlender
Chloritschiefer ist. Die Sphenkrystalle selbst sind an manchen Stellen mit wurm-
gestaltigem Chlorit (Helminth) übersiedelt, ein parasitisches späteres Gebilde, wie Volger
gezeigt hat, dem man die Unterscheidung dieser Species verdankt, augenscheinlich
auch hier sehr verschieden von dem Chlorit des Muttergesteins. Begleitende Minera-
lien sind ausserdem Apatit in sehr kleinen wasserhellen,„ diektafelförmigen flächen-
reichen Krystallen, welche auf dem Sphen selbst sitzen, und Magneteisen, kleine,
2 Mm. grosse Octaöder, dem Chloritschiefer eingewachsen.
Mit einer einzigen Ausnahme sind alle mir vorliegenden Exemplare zweifache,
—— 239 —
mitunter auch lamelläre vielfache Zwillinge nach oP. Unter den auftretenden Flächen
sind es besonders die vier folgenden, welche den Habitus bestimmen und an keinem
dieser Krystalle fehlen, nämlich: oP.4P2(n).Po (r) Po (y). Die auf diese alleinigen
vier Flächen beschränkten Zwillinge haben das Ansehen der Fig. 26, und Krystalle
dieser einfachen Gestalt kommen, besonders unter den kleineren, zu Gruppen vereinigten,
mehrfach unter meinem Besitzstand vor. Als zunächst häufig erscheinen die «P (I)
Flächen, oft nur als feine Entkantung zwischen r und y (Fig. 26). Meistens sind aber,
und besonders die grösseren Zillerthaler Sphene ausserdem noch mit einer Anzahl
anderer mehr oder weniger untergeordnet auftretenden, später zu betrachtenden, Flächen
geziert, die oft sehr schwierig zu bestimmen sind, da die Krystalle meistens den aller-
willkührlichsten Verzerrungen unterworfen sind. Die Grösse ist so, dass einzelne
Individuen mitunter fast 1'% Zoll erreichen, in der Dicke aber gleichwohl 3 Mm. nicht
überschreiten.
Ein Blick auf unsere Figuren 26 bis 34 zeigt, wie entschieden diese Sphene
hemimorph sind, d. h. die Eigenschaft besitzen, sich in der Richtung einer Symmetrieaxe
polarisch verschieden auszubilden. Man sieht in diesen Figuren das eine Ende stets
keilförmig zugespitzt durch die Flächen oP und %P2(n), das andere dagegen quer
abgeschnitten durch das Orthodoma Po (y), wodurch ein auffallender pentagonaler oder
herzförmiger Habitus entsteht. Dieser Habitus findet sich eben sowohl bei einfachen,
als bei Zwillingskrystallen und es ist bei einiger Ueberlegung klar, dass er überhaupt
eine ganz selbstständige, durchaus nicht von dem hemitropischen zwillingischen Phänomen
abhängige Erscheinung ist. Ein allseitig symmetrisch, also nicht antipolarisch ausge-
bildeter Krystall würde, wenn auch hemitropisch in 2 Hälften um 180° gedreht, doch
niemals solche keilförmige Gestalten erzeugen können, wie sie unsere Figuren zeigen.
Man darf aber nur die Figuren 15 und 22 bei G. Rose (Ueber das Krystallisations-
system des Titanits, 1921) betrachten, welche gewisse Arendaler Krystalle darstellen,
um sich zu überzeugen, dass der Hemimorphismus des Titanits, wenn auch nicht als
solcher ins Auge gefasst, doch eine schon anderwärts beobachtete Erscheinung ist und
sich also nicht auf ein vereinzeltes lokales Vorkommen beschränkt, sondern eine dem
Mineral öfter anhaftende Eigenschaft ist.
Bei den bekannten einaxigen hemimorphen Mineralien, wie Turmalin, Kieselzinkerz,
Topas, tritt der polare Gegensatz an der bei ihnen schon von der Natur vorgezeichneten
Hauptaxe auf. Man ist daher gewohnt, die Erscheinungen des Hemimorphismus mit
der Vorstellung von Oben und Unten zu verbinden. Bei monoklinen Mineralien ist
_ Bl
meines Wissens überhaupt noch keine polare Hemimorphie beobachtet worden "'), aber
jedenfalls müsste sie nicht nothwendig an die Hauplaxe gebunden sein, da deren Wahl
überhaupt eine mehr willkührliche, nicht immer von der Natur deutlich vorgeschriebene
ist. Mit dem Titanit ist Letzteres gewiss nicht der Fall, wie die Verschiedenartigkeit
der ihm von den verschiedenen Forschern untergelegten Grundform und Aufstellung
beweist. Wir folgen in dieser Beziehung dem Vorgange Naumann’s aus Zweckmässig-
keitsgründen und bezeichnen bei der angenommenen Grundform die Richtung des Hemi-
morphismus des Titanit als einen Gegensatz der Ausbildung an den beiden Enden nicht
der Hauplaxe, sondern der Klinodiagonale. In den Figuren 26, 27, 29, 31 bis 34
liegt diese letztere in der Ebene des Papiers senkrecht vor dem Beschaner.
Bei der engen Verknüpfung, welche zwischen den Erscheinungen des Hemimor-
phismus und jenem der Thermoelectrizität besteht, indem bekanntlich die polar hemi-
morphen Krystalle sich auch polar eleetrisch zu erweisen pllegen, habe ich keineswegs
unterlassen, das Verhalten der Zillertaler Sphene in dieser Beziehung zu prüfen, wobei
ich, mich eines Gemsbarteleetroscops bedienend, das äusserst practische Verfahren befolgt
habe, welches v. Kobell zur Untersuchung von Mineralien auf ihr electrisches Verhalten
empfohlen hat (Sitz. Ber. d. kön. Bayer. Ak., 1863, Bd. I, p. 51 ff.) allein gleich-
wie dieser treflliche Forscher bereits den Sphen als einen electrisch indifferenten
Körper erkannte, (!. c. p. 56 u. 59) so habe auch ich nur ein negatives Resultat erhalten
und zweifelhafte Aeusserungen einer electrischen Activilät bei den Zillerthaler Sphenen,
wenn sie gerieben oder erwärmt wurden, bemerken können.
Das Studium der mehr individuellen Erscheinungen an unseren Krystallen hat vier
neue Theilgestalten, sämmtlich positive Hemipyramiden, auffinden lassen.
%P% (3) Fig. 31
I GO)
Por (A429
Ye Oenw33
Ehe wir aber die Art ihres Auftretens betrachten und uns ihrer parametrischen
Ermittelung zuwenden, wollen wir einen Rückblick auf die Gesammtheit der seither
11) In der frühesten Lieferung dieser Min, Notizen, 1856, Abh. d. Senck. G, Bd. II, p. 175, Sep. Abdr,
p- 20; Taf. VI, Fig. 18, habe ich allerdings einen Diopsid-Krystall beschrieben, welchem man den Anschein
einer sehr ausgeprägten Hemimorphie nicht absprechen kann, und man würde diese letztere daher für den
Diopsid auch gewiss behaupten dürfen, sobald man das wirkliche Vorhandensein dieser Eigenschaft mit einer
Anzahl, anstatt nur mit einem einzigen Krystall belegen könnte.
bekannt gewordenen Titanitflächen werfen und auf die trefiliche Bearbeitung, welche in
dem unlängst 1862 erschienenen Werke eines der ausgezeichnetsten Krystallographen,
in A. Des Cloizeaux’s Manuel de Mineralogie, unserem Minerale zu Theil geworden ist.
In diesem reichhaltigen Werke liefert der Verfasser bei jeder Mineralspecies alle bekannten
Flächen sowohl in eine Zonenprojeclion eingetragen, als in eine Tabelle vertheilt, welche
die Neigungswerthe zonenweise angeordnet verzeichnet. Aber eine übersichtliche Neben-
einanderstellung sämmtlicher Flächen in der Art, wie sie Miller (Brooke & Miller 1852)
bei jedem Minerale gibt, vermisst man doch ungern, da sie bei derartigen Beschäftigungen
kaum zu entbehren ist.
Da Des Cloizeaux nur die bei den französischen Mineralogen üblichen Levy’schen
Zeichen gibt, sich aber wohl kaum Jemand finden dürfte, dem das Ablesen in den
verschiedenen Bezeichnungsmethoden gleich geläufig wäre; da überdies Des Cloizeaux
für den Titanit eine ganz andere Grundgestalt angenommen hat, als die Naumann’sche,
deren wir uns bedienen, so glaube ich dem Leser einen Dienst zu erweisen, wenn ich
ihm die nicht mühelose Uebersetzung der Levy’schen Zeichen in die uns bequemeren
Naumann’schen und in eine andere Grundform erspare und nachstehende Tabelle sämmt-
licher bei Des Cloizeaux eilirter Flächen aufstelle, in Begleitung einiger Bemerkungen
zu gewissen Flächen und mit Einfügung der nun noch an den Zillerthaler Sphenen neu
beobachteten vier Flächen.
Flächen des Titanit.
= ”
ss? |K|e °
Basische Endfläche oP P\lc hl
Klinopinakoid . aPo q|b gl
Brismar 2% oaP3 IM/Im| «
cn NE oP N b!
Orthodoma, positiv | %, Po | x 0% Ueber die Zweifelhaftigkeit dieser Fläche vgl. d. Notizen Nr. 3
(1860) p. 17.
» n Y;Po» 0% Von Des Cloizeaux für den Greenovit angegeben, aber mit
2? begleitet.
n ” ); Po 01 Bei Des Cloizeaux eitirt als beobachtet vom St, Gotthard
durch — ?
n a Po x| 02 Haüy, W. Phillips, Miller. Vergl. d. Notizen Nr. 3, p, 17.
— 3 —
Flächen des Titanit, (Fortsetzung).
|
an; ”
Es Siüllog
ss [sg &|.8 8
Pe — Fr
5: jej3|°8 =
= s|%® SaınS
gr 8} P-} s a
a'a Bei Rose in Fig. 18 u. p. 26. Gerundet beobachtet; vielleicht
ein 3,Pw , welches nahe liegen würde. Die Neigungen
beider Flächen gegen oP würden nur um 1° 11‘ differiren.
yoıll all Rose p. 32. Diese Not. III, p. 23. Ferner vom Rath an
Kryst. v. Laach, Pogg. Ann. CXV. p. 467.
n 5 — Po a%s Aus W. Phillips Min. v. 1837 von Des Cloizeaux aufgenommen;
wohl irrig! vergl. weiter hier unten.
Klinodoma . . Po ra er m
e: \?o |o|o| n2
n %,Ro ht Bei Des Cloizeaux aus Phill. Min. v. 1857 entnommen, aber
missverstanden; denn die Fläche P bei Phillips entspricht
n YPo h? nicht der h! v. Des Cloizeaux, sondern der + Y,Po
—=0? Diese Zone scheint aber schon mit Irrthümern
1, Po 2% en
” 4 von W. Phillips behaftet. Miller hat sie auch nicht auf-
; genommen.
Hemipyramide, posit.| 4P4 8 | @%
n n 167, P 10), e% | £ | Von der Sella am St. Gotthard. Min. Notizen 1860, III, p. 23.
4 rn 8Pps e% | & | Von Pfitsch. Min. Notizen 1861, IV. p. 18,
e e 2P2 el | | Ebendaher n „ n ae) m
A n ınB2 w| w Ist bei Miller angegeben, welcher dagegen Rose’s w —-%,P4
weggelassen. Sollte hier nlcht ein Versehen stattgefunden
haben?
Fi 5 RB \ule &
5 2 Gyr ı | An Kryst. vom Zillerthal. Dieses Heft p. 260.
x en AR a ae 5 = » P- 260, Fig. 29 u.34.
5 a 14PR )
a n, 2/P ö | An Kryst. vom Gotthard. Min. Notizen 1860, III. p. 22
(Bei Des Cloizeaux nicht aufgenommen.)
= %P% d’2 | « | An Kryst. von Pfitsch. Min, Notizen 1858, II, p. 253.
- n 2,22 | k d2? Bei Rose in Fig. 17 u. 18.
5 en 2,PY 9 | An Kryst. vom Zillerthal. Dieses Heft p. 258, Fig. 31.
5 n 1,P z d! Bei Miller, ohne Angabe von Combinationen,
ä RN PAIR En une Kdlz
f \ Yy,P4 d% |n An Kryst. von Pfitsch. Min. Not. 1861. IV. p. 18. War
aber am Greenovit schon früher beobachtet.
n » 2P6 d|u u
n > yP% A | An Kryst. vom Zillerthal. Dieses Heft p. 259, Fig. 33.
n negativ — 2, P 2 @ |y | An Kryst. von Pfunders. Min. Not. 1860, III, p. 19.
er »„ |-P4|w b'k
„ 3 — 2 B22 Rt E62 lH
» nn —Pliji © Rose. Siehe üher diese Fläche Min, Not. II. p. 21, von
der Sella.
— 21 —
Für die Aufstellung seines Verzeichnisses der Neigungswerthe hat Des Gloizeaux
das Titanitsystem durchaus neu berechnet und zwar auf Grundlage seiner folgenden
Fundamentalmessungen:
Po: Po = 113°31’ statt seither angenommenen 113° 28° (ef. Miller)
on 0 ARTN, 2 140° 39° >
+P.o: pre 19a ns 119° 33° N
Wie wir schon erwähnten, hat Des Cloizeaux eine andere Grundform als Naumann,
|
welchem wir hierin folgen. Die Flächen, welche bei Naumann als Klinodomen gelten,
stellt Des Cloizeaux aufrecht als Prismen und des Letzteren basische Endfläche ist die
gewöhnlich mit y bezeichnete. Nach der Stellung und Grundform, welche Des Cloizeaux
gewählt erhielte also
Naumann’s oP die Bedeutune von PP»
[o)
D) Boa u; „ „op
„ Pin b) D) oP
„ — 2P2 >) » » a
5) +4P2 ” B2) $2) —P
Indem wir nun die neuen Fundamental-Messungsresultate des trefflichen französischen
Forschers dankbar adoptiren, aber die gewohnte Naumann’sche Grundform und Stellung
auch fernerhin beizubehalten vorziehen, berechnen wir aus jenen die uns von nun an
geltenden Grunddimensionen des Titanitsystems wie folgt:
Hauptaxe = 1,539438, in Naumann’s Min. v. 1825 angenommen = 1,537
Klinodiagonle = 1 Husaug san x —H|
Orthodiagonale = 2,341122 „ ,„ Ban, 5 = 2,342
NeigungswinkelC = 85° 22:22" , „ BR: Y 185464
In G. vom Rath’s lehrreicher Abhandlung über den Titanit vom Laacher See (Pogg.
Ann. CXV, p. 466 f.) bedarf die auf S. 470 befindliche Angabe der Naumann’schen Axen
hiernach einer bedeutenden Abänderung.
Wir haben uns nun noch mit den besonderen Formverhältnissen unserer in neun
Exemplaren sämmtlich hemimorph gestalteten Sphene vom Rothenkopfe näher zu
beschäftigen, deren Haupteigenthümlichkeiten sich in den 9 Figuren 26 bis 34 dargestellt
finden, welche wir daher eine nach der anderen näher betrachten wollen.
Fig. 32 ist ein Zwilling, an welchem sich finden:
oP.AR2.Po.Po.—2P2.oP.—%P.
B n r y t l i
Abhandl d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V, 33
— 238 —
die letztgenannten vier Flächen hemimorph auftretend, nur am einen (in der Zeichnung
oberen) Ende.
Neue Flächen sind hierunter nicht, aber die ausgezeichnete Art des Auftretens der
Fläche — Y,P als sehr verlängerte glänzende Entkantung zwischen oP und @P, wie
es die Figur zeigt, verdient eine besondere Hervorhebung. Diese Fläche, zuerst als
Seltenheit von G. Rose beobachtet (Krystallsystem des Titanit, S. 15 u. 28) haben wir
betrachtet in diesen Min. Notizen (1860, Abh. d. S. G. Bd. III, S. 275, und Fig. 4 u. 5;
Sep. Abdr. Nr. 3, S. 21) an Krystallen von der Sella.
Fig. 27. Auch dieser Zwilling zeigt keine neuen, doch aber ausgezeichnete Flächen.
Er ist combinirt aus: oP.YP2.Po.Po. —YP4.—2P2
P n y Tr w t h
hemimorph durch das Fehlen von y am unteren Ende. Merkwürdig ist die breite Ent-
wieckelung der seltenen Fläche — /%,P4, Rose’s w. Der berühmte Forscher hat die-
selbe in keiner seiner Figuren, gibt aber Auskunft darüber in seiner cit. Abhandlung
auf S. 83 unten. Er hat sie steis nur ganz klein gefunden. In diesen Min. Notizen
1861, Nr. 4, S. 18, habe ich sie an Pfitscher Krystallen beschrieben. An der jetzt
vorliegenden Zillerthaler Zwillingsgruppe ist diese Fläche vom schönsten Glanze,
gemessen = 131°7° zu n, und = 158° 21’ zu r geneigt.
Die Gruppe ist ausserdem ausgezeichnet dadurch, dass das eine Zwillingsindivid
viel kleiner geblieben ist, als das andere. Indem letzteres dadurch zum grossen Theil
unbedeckt geblieben, fand es unbehinderte Gelegenheit, alle seine beiderseitigen Flächen
selbstständig gleich einem einfachen Krystall auszubilden und so recht klar zu zeigen,
was wir oben ausgesprochen, dass der ausgezeichnete hemimorphe, keilförmige Habitus
gar nichts mit der Zwillingsnatur zu schaffen hat und von ihr ganz unabhängig auftritt.
Dasselbe zeigt sich wo möglich noch augenfälliger an dem in Fig. 31 dargestellten
herzförmigen Krystall; denn dieser ist ein wirklich einfacher Krystall, von der Combination:
le 3 Bro er
B n y r $
Die Flächen y und % treten nur an der einen Seite auf.
In der Mitte befindet sich, wie die Fig. zeigt, eine eigenthümlich einspringende
Nische, gebildet aus kleinen Flächen oP und n, und dies gibt den Anschein einer
Zusammensetzung aus zwei Krystallkörpern, welche, (ein beim Titanit nie beobachtetes
Verhältniss) das Klinopinakoid @P&@ zur Zusammenselzungsebene haben müssten. Man
würde sich aber bei dieser Annahme täuschen; denn die vermeintlichen beiden Zwillings-
— 259 —
“
hälften befinden sich in keiner irgendwie gewendeten Stellung, sondern im Gegentheil
durchaus parallel orientirt nebeneinander und in einander verlaufend. Man hat es also
mit einem wenn auch gegliederten, doch krystallographisch einfachen, d. h. nichtzwil-
lingischen Körper zu thun.
Die Flächen, welche sich keilförmig zwischen y und n beiderseits einschieben,
gehören einer neuen positiven Hemipyramide an, welche das Symbol %P% zu erhalten
hat und welche wir zu mehrer Kürze fernerhin überdies mit © bezeichnen wollen.
Aus den oben angegebenen Grunddimensionen berechnet sich für dieselbe:
%:% = 153° 10‘ 8, gemessen 153° 31’
3220 —1150029.37: r 129° 57°
ns 159%, 87 12% Re 158° 56°
Die Flächen 9 sind eben, aber ein wenig rauh, daher mehr schimmernd als glänzend.
Eine eigenthümliche Erscheinung zeigt sich in der Mitte des Krystalls, neben der
Nische, auf den stumpfen dreiflächigen Ecken zwischen nn und oP. Dort schneidet
der lebhafte Glanz der Flächen n plötzlich scharf, geradlinig und regelmässig ab, und
der kleine zwickelförmige Rest der Fläche jenseits dieser Grenzlinie ist rauh, wie es
in der Figur angedeutet ist. Man glaubt, die Ecke durch rauhe Flächen zugeschärft zu
sehen, überzeugt sich aber, dass der rauhe Antheil nur eine Fortsetzung der Ebene
von n ist. Merkwürdigerweise ist dies durchaus keine vereinzelte Erscheinung an diesem
besonderen Krystall; vielmehr gewahrte ich, einmal darauf aufmerksam geworden, die-
selbe mehr oder weniger deutlich bei fast allen Krystallen der übrigen Exemplare.
Auch der in Fig. 33 dargestellte Krystall ist seinem Hauptkörper nach ein einfacher.
Nur bei sehr genauer Untersuchung gewahrt man, dass die ganze Fläche oP mit einem
überaus dünnen Plättchen in Zwillungsstellung bedeckt ist, welches ringsum genau die
Grenze von oP des Haupikrystalls mit einhält und nur einen feinen vorspringenden
Saum bildet. Auf der Zeichnung dies darzustellen ist natürlich weder ausführbar noch
nöthig. Der Krystall zeigt folgende Flächen:
oP.E®.),P2.Pw.4P4A.wP3.9,PY,
1% r n y s M 2
Die Flächen y)M und s treten hemimorph, nur am einen Ende auf; am enigegen-
geselzlen nur n und oP, gross ausgedehnt, den Krystall zuspitzend.
Die Hemipyramide 4PY,(0.) ist neu. Bei Vergleichung der Figuren 33 und 31
zeigt sich zwar die Aehnlichkeit der Lage der beiderlei Flächen % und % zu beiden
Seiten von y, aber auch die in die Augen fallende Verschiedenheit der Richtung der
33%
— %0 —
Kante zwischen % und n von der zwischen $ und n. Die Flächen von A sind recht
gut und ziemlich glänzend ausgebildet. Es vergleichen sich die Resultate von Rechnung
und Messung neben einander wie folgt:
) : ) berechnet = 148° 33’ 12’, gemessen 148° 33°
Asp 2 =. 127° 58,54 a =
Alle übrigen Flächen, auch die kleinen M und s, haben den höchsten Glanz, so dass
Il
die Zone rsM sehr gut nachgemessen werden konnte.
Der in den Figuren 28, 29 und 30 von drei verschiedenen Seiten gezeichnete
polarisch hälbliche Krystall wiederholt abermals an seinem einen Ende die einfach keil-
förmige Zuspitzung durch die alleinigen Flächen oP und n, entwickelt dagegen nach
dem entgegengeselzten hin einen grossen Reichthum von Flächen, unter welchen die
Hemipyramide +%,P neu ist. Im Ganzen treten auf:
oP.-Lm.7,,r2.1,.0.29./,P,.oP. ro bo.@on.-Arı
P r n 0 y x 1 i q M S
Die Pyramide °P fällt, weil sie der Hauptreihe angehört, als Zonenglied zwischen
oP, «P und —%P. Für sie berechnet sich:
%P:0oP = 129° 30’ 27°, gemessen 129° 30°
%P: a P = 136° 14° 35” ” 136° 25’
7:42 1449422756.
Sie ist theilweise muschelig, daneben aber auch eben und ganz glänzend, und an letzteren
Stellen ergaben sich die so gut zutreffenden, erwähnten Neigungswerthe.
Es liegt noch ein weiterer Krystall vor, welcher in der Zeichnung dem vorigen
so ähnlich ausfallen würde, dass wir sie ersparen können, An ihm tritt ebenfalls eine
+ Pyramide in der Hauptreihenzone oP.li auf, überrascht uns aber durch den Befund
der Messungen, welche die Annahme eines abermals neuen Zeichens, +%,P,:, auf-
nöthigen; denn es fand sich:
%P:oP = 124° 14‘, berechnet = 124° 50: 34
U N a —= 140° 54.26
VNREHN 5 = 142° 23° 6
Der Krystall ist ein Zwilling. Die Hemipyramide ı tritt nur einmal, aber sehr
gut gebildet, auf, einspringend und an die Berührungsebene beider Zwillingshälften
anstossend. Sie ist vollkommen eben und scharfkantig begrenzt, wenn auch nur mit
halbem Glanz begabt.
— 23951 —
Es ist ein auffallender Umstand, dass diese Sphene eine solehe Anzahl sehr benach-
barter Gestalten zu bilden streben, welche, wenn sie vereinigt zusammen an einem
Krystall vorkämen, äusserst nahe zusammen fallen, also sich mit sehr stumpfen Kanten
berühren würden. Mit den vier Gestalten 4,P7,(9) ,PY(0.) 4P (x) %P (1) würde
dieses der Fall sein. Wollte man darin den Grund zu einem Zweifel gegen dieselben
finden. so ist doch ihre Ausbildung so vorzüglich und desshalb das Zutreffen der
Messungen so befriedigend, auch die parametrischen Zeichen so ungezwungen, dass man
diese Flächen gelten lassen muss, wenn man dem Thatbestand nicht Zwang anthun und
das Auge vor ihm verschliessen will. Freilich stellt sich die mannigfaltige Gestaltungs-
fähiekeit dieses Minerals immer bewunderungswürdiger heraus, je mehr man sich in das
Studium seiner einzelnen Erscheinungen vertieft, und in dieser Beziehung wird der
Titanit kaum mehr durch ein anderes Mineral übertroffen.
Ungemein interessant ist der Krystallstock, von welchem die Fig. 34 versucht,
eine Vorstellung zu geben. Der erste Anschein ist so, dass man glaubt, es seien zwei
unserer im Vorhergehenden beschriebenen keilförmigen Krystalle mit oP in entgegen-
geselzt polarer Lage auf einander gewachsen, also so, dass wenn z. B. der untere
Krystall sein spitzes Ende dem Beschauer der Zeichnung zukehrte, der darüber liegende
das seinige ihm abwendete. Mit diesem Gegensatz des polaren Verhaltens an sich hat
es auch seine unleugbare Richtigkeit; aber merkwürdigerweise gehören die beiden sich
so verschieden verhaltenden Hälften nicht zweien, sondern nur einem einzigen Individuum
an, in dem Sinn und mit dem Wahrzeichen, dass jede vorhandene Spaltbarkeitsrichtung
sich ununterbrochen durch das Ganze fortsetzt, was bei einem Zwilling nach oP natür-
licherweise nicht der Fall sein könnte. Aber ein Zwillingsverhältniss finden wir, bei
genauerem Zusehen, an unserem Krystallstock dennoch. Der in Fig. 34 schraffirte
Theil, die grosse Fläche oP, ist in Wirklichkeit ein besonderer Krystall, eine papier-
dünne, am Rande mit einspringendem Winkel gegen P® und %,P vorstehende Platte,
welche sich zu dem ganzen Uebrigen in Zwillingsstellung befindet, dabei aber nicht
ganz durch und durch setzt, sondern auf der linken Seite (der Fig. 34) in dem übrigen
Körper nur gleichsam eingetaucht ist und darin ihr Ende findet, so dass diese Platte
sich wie in einer Umarmung oder wie in einer Zange von dem übrigen Theil umfasst
findet, welchen wir in der Figur unschraffirt gelassen und vorhin als gefügeeinig
(homotom) erkannt haben. Wirft man sich die Frage auf, wie dieses so gekommen
sein könne, so scheint hier ursprünglich ein polarisch hemimorpher Zwilling nach Art
der in den Fig. 26, 27, 32 betrachteten angelegt gewesen zu sein, hierauf aber dessen
— 22 —
eines Individ fortwachsend sich vergrössert und das zweite papierdünne Individ einseitig
von der Symmetrieebene des Ganzen überwuchert und umschlossen zu haben, bei welchem
letzteren Akt aber merkwürdigerweise die Richtung der diese Sphene beherrschenden
polaren Hemimorphie in dem fernerhin zuwachsenden Theile des Krystalles geradezu
umgekehrt worden ist. So bildeten sich also an einem und demselben Individ, z. Th.
direct zusammenhängend, z. Th. durch einen Zwischenkörper getrennt, zwei Hälften mit
entgegengesetzt gerichteter Hemimorphie.
Dieser merkwürdige Krystallkörper ist in der einen Richtung Zollgross, schön
urangrün und vollkommen durchsichtig. Einige abgebrochene oder mangelhaft aus-
krystallisirte Stellen konnten in der Zeichnung folgerichtig ergänzt werden.
Wir haben schliesslich an den hier beschriebenen Zwillingen hemimorph gebildeter
Sphene noch ein wichtiges Verhältniss ins Auge zu fassen, nämlich das Gesetz ihrer
zwillingischen Verwachsung, welches uns bei näherer Untersuchung in Bezug
auf die Drehungsaxe wesentlich verschieden erscheint von dem Gesetz der seither
bekannten alpinischen Sphenzwillinge, jener eigentlichen Hemitropieen, welche sich in
vielen Lehrbüchern abgebildet finden.
Gemeinschaftlich ist nämlich allerdings allen T’tanit-Zwillingen die Eigenschaft, die
Basis oP zur Berührungsebene zu haben. Indem man dies ausspricht, hat man aber
die gegenseilige Lage der componirenden Individuen, oder Hälften solcher, noch nicht
vollständig präcisirt. Es bleibt innerhalb jener Eigenschaft noch Spielraum für Ab-
änderungen, so lange man nicht zugleich mit angibt, um welche Axe ihre Drehung
zu denken sei.
In der That finden wir bereits in Naumann’s vortrefflichem Lehrbuch der Krystallo-
graphie, 1930, Bd. II, S. 345 das Geselz für die Zwillinge des Titanit in zweierlei
Weise ausgedrückt, nämlich:
„Zwillingsaxe die Normale von oP, oder
„Zwillingsaxe die Klinodiagonale.
In der darauf folgenden Beschreibung mannigfaltiger Krystallisationen des Minerals
ist indessen nicht weiter Bezug auf die Consequenzen jener Alternative genommen
worden, und später, in allen Auflagen seiner „Elemente der Mineralogie* hat Naumann
sogar die Angabe der Klinodiagonale als Zwillingsaxe wieder aufgegeben und nur die
Normale zur Basis erwähnt.
— 38 -
Die neuen Zillerthaler Sphen-Zwillinge beweisen, wie nothwendig die Unterscheidung
und Annahme einer Drehung um die Klinodiagonale für sie ist.
Ein gewöhnlicher Sphenzwilling ist offenbar als eine eigentliche Hemitropie zu
betrachten, d. h. als ein Krystall aus zwei Hälften, deren eine um die Normale auf der
Zwillingsebene oP mit 150° gedreht ist.
Betrachtet man jedoch z. B. unseren Zwilling Fig. 27, dessen beide, in der That
auch eher wie zwei Individuen als wie zwei Hälften erscheinende, Componenten hemi-
morph, in unserer Zeichnung oben anders als unten, gestaltet sind. Denke man sich
nun an einem Modell diese beiden Componenten zuerst völlig parallel orientirt überein-
ander gelegt, und stelle sich nun die Aufgabe, sie in die Lage zu bringen, welche sie
in Fig. 27 haben, so wird man sich sogleich überzeugen, dass man sie nicht wie
jene anderen Zwillinge um eine Normale auf oP drehen darf, sondern dass das
einzig zum Ziel führende Verfahren darin besteht, einen der Componenten um seine
Klinodiagonale zu drehen. Denn nur auf diese Weise werden auch nach erfolgter
Drehung die gleichartigen Enden beider Componenten wieder zusammen zu liegen
kommen. Mit eigentlichen Hemitropien, in so fern bei diesen die Drehung immer um
eine Normale zur Zwillingsebene erfolgen muss, hat man es also hier gar nicht zu thun.
Es ergibt sich also die Nothwendigkeit für die Zwillinge des Titanit das allge-
meine Bildungsgeselz:
Berührungsebene die basische Fläche oP
in folgender Weise zu zerfällen:
Zwillingsaxe entweder:
1) die Normale von oP (Hemitropien v. Gotthard, Pfitsch u. s. w.) oder
2\ die Klinodiagonale (Hemimorphe Zwillinge vom Zillerthal).
Linarit (Bleilasur) aus Cumberland.
(Fig. 21 bis 25.)
Dies prachtvoll krystallisirfähige noch immer nicht häufige Mineral gehörte lange
Zeit zu den allerseltensten, da man es ausser derb nach zweifelhafter Angabe von einem
Spanischen Fundort (Linares), mit Sicherheit nur von Leadhills her kannte. Die Suzanna-
vein daselbst lieferte es in Krystallen, welche von Sowerby entdeckt, jedoch verkannt,
— 204 —
nämlich für Kupferlasur gehalten wurden (Mineralogie von England, III, 5). Aber kurze
Zeit darauf, erhielt man durch Brooke’s verdienstliche Untersuchungen nähere Belehrungen
über alle wesentlichen Eigenschaften des neuen Minerals, welche eine Reihe von Jahren
hindurch eine thatsächliche Erweiterung kaum mehr gefunden haben, nämlich bis 1858,
wo dann Greg an den Krystallen des 1852 an neuen Cumberländischen Fundorten ent-
deckten Linarites eine ganze Anzahl neuer Formen beobachtete (Greg & Leitsom, Min,
of Great-Britain, p. 395). Was man aber in den von 1837 an bis heute erschienenen
ausführlicheren Handbüchern der Mineralogie über dies Mineral findet, beschränkt sich
im Wesentlichen auf die Resultate von Brooke’s Beobachtungen und ist nur verschiedentlich
dargestellt, je nach der Methode des einen oder anderen Authors.
Von Brooke war das Mineral Cupreous Sulphate of lead, auch Linarit benannt
worden. Seine Analyse ergab als Bestandtheile: 75,4 Schwefelsaueres Bleioxyd,
15,0 Kupferoxyd,
4,7 Wasser.
Eine im Jalır 1840 von Thomson wiederholte Analyse brachte etwas abweichend
Biss 14:8
Eur =,1947
H =
beides ziemlich entsprechend einem Pb $S+ CuH, einer Verbindung von gleichen Aequi-
valenten Bleisulphat mit Kupferoxydhydrat. Auch ermittelte Brooke durch Messungen den
monoklinen Character mit orthodiagonaler Streckung und berechnete eine theoretische
Grundform, unter Annahme der besten Spaltungsrichtung als «Pw und der zweiten
als eines positiven Hemiorthodomas. Dieselbe Grundform wurde beibehalten von Mohs
& Zippe (1839), Breithaupt (1841), Hausmann (1847), Naumann (1850 bis 1859). In
alle diese vortrefllichen Werke hat sich jedoch dabei ein Irrthum vererbt, der gewiss
früher bemerkt worden wäre, wenn man sich überhaupt mehr mit dem seltenen Mineral
beschäftigt hätte. Die Annahmen:
Schiefer Winkel (U = 84° 15°
IE 0. @E 0 — 172.15
—Pao:oPw = 74°25'
sind nämlich, wovon man sich in wenigen Minuten durch eine Linearconsiruetion über-
zeugen kann, unter sich unvereinbar, weil eine positive Fläche mit der Neigung 77° 15’
zur Hauptaxe ein doppelt so grosses Stück dieser Letzteren abschneidet, als es durch
—P» geschieht. Mithin müsste entweder erstere Fläche das Zeichen +2Px», statt
— 165 —
+Po oder letztere —%P& statt —Pw erhalten. Brooke’s Grundform erfordert das
erstere. Es muss also stehen: +2Po:ePwo = 1115
-Po:oPw = 7425‘
Miller (Phil. Min. 1852) führte, unter geringer Abänderung der alten Neigungswerthe,
eine neue Grundform ein, indem er nämlich die zweite Spaltungsrichtung zur basischen
Endfläche nahm, mit Beibehaltung der ersten als @P=®.
Hierdurch wird also:
2P& der Brooke’schen Grundform zu oP der Miller’schen;
-Po® » » » 2) Po » »
oP 5 5 5 „PR, ni u.8.w.”)
Bis zu der Zeit, da Miller’s Bearbeitung von Phillips’s Mineralogie erschien, kannte
man keine anderen Linarit-Flächen, als die, welche schon Brooke beobachtet hatte, und
welche sich in Fig. 84 von Mohs-Zippe, Fig. 335 von Dufrenoy und Fig. 550 von
Miller abgebildet finden. Sie haben die folgenden Zeichen, unter Beziehung auf Miller’s
Grundform : aPo.aPm.oP.4Pw.%Pw.\Pw.2Po.wP.Pw
a b @ d 0 t u M 8.
Man sieht, dass mit Ausnahme des Klinopinakoids b und Prismas M alle Flächen
sich auf die eine verticale Zone beschränken, welche von der Orthodiagonale als Axe
beherrscht wird. In der That bieten die bis dahin ausschliesslich genauer gekannten
Krystalle von Leadhills keine anderen Formen. Eine pyramidale Grundform (111) =P
ist auch bei Miller nur ein theoretisches Requisit'”) und findet sich nicht unter den
beobachteten Flächen.
Uebrigens findet sich bei Miller bereits, und wohl zum erstenmale, auch Cumber-
land als Heimath des Linarit erwähnt. Dennoch scheinen die ausgezeichneten reich-
gegliederten Krystalle dieser Localität anfangs noch nicht gefunden, oder längere Zeit
hindurch wenigstens nicht recht bekannt geworden zu sein; denn sogar noch 1856
finden sich in Dufrenoy’s Trail de Mineralogie nur die alten von Brooke herrührenden
Angaben. Die Grundform Miller’s ist von Dufrenoy angenommen worden; Miller’s
ce=oP hat bei Dufrenoy P, das Levy’sche Zeichen einer basischen Endfläche.
Endlich aber in der 1858 erschienenen Mineralogy of Great Britain von Greg &
Leitsom erhält man wieder neue Beobachtungen in einer mit einigen Abbildungen
12) Vergl. die unten folgende Tabelle.
13) S. 555, Z. 3, findet sich 111,010 — 50026’, als einer der drei zur Berechnung dienenden Grund-
werthe. Letztere stülzen sich unverändert auf die alten Brooke’schen Messungen.
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V, 34
— 266 —
begleiteten Beschreibung der Krystalle von Mexico mine, Red Gill und von Roughten
Gill bei Keswick in Cumberland, woselbst sie, zwar in der Regel nur klein, doch auch
in der vollkommensten und glänzendsten Ausbildung bis zu Zollänge und Viertelzolldicke
vorgekommen seien. So gibt nun Greg eine Anzahl von nicht weniger als neun neu
beobachteten Flächen, allerdings aber nicht parametrisch bestimmt.
Da er aber für die meisten derselben einen beobachteten Winkelwerth und eine
Zone liefert, so lassen sich die paramelrischen Verhältnisse in diesen Fällen schon aus
seinen Angaben entwickeln. Bei einigen Flächen haben diese letzteren allerdings nicht
ausgereicht. Für diese ist mir aber die Gelegenheit zu eigener Beobachtung an einigen
vorzüglichen, in meinem Besitz befindlichen Exemplaren zu Hülfe gekommen, so dass
ich die neun Greg’schen Flächen zu interpreliren und in krystallographische Zeichen zu
übersetzen vermochte, worüber sich das Nähere weiter unten ausgeführt finden wird.
Die neuen Greg’schen Flächen entsprechen, nach Miller’s Grundform, folgenden Zeichen:
oPr2.%Po.-Po.20.%,F0.2P.2P2.75 Pr. 7B8.
1 x y r W n g m z.
Hierunter sind also: 2 Orthodomen x.y
1 Prisma l:
2 Klinodomen w.r
4 Hemipyramiden nemz.
Den grössesten Theil dieser Flächen habe ich das Vergnügen gehabt, an meinem
einen Exemplar wieder zu begegnen, begleitet von einer weiteren neuen Hemipyramide
+P, welcher noch das Buchstabenzeichen e beigelegt werden möge. Die von mir in
den prächtigsten Krystallen beobachtete Combination ist vollständig diese:
&@P. ae .oP.2P».-Par REG PB P2ILEE
M a [0 u y w r e g 2.
Abgebildet findet sich diese Combination in Fig. 22 orthographisch aus der Richtung
der Orthodiagonale, in Fig. 24 perspectivisch ungefähr aus derselben Richtung, aber
elwas gewendet, und Fig. 21 mit dem Blick normal zur basischen Fläche. Den Zonen-
zusammenhang der meisten bis jetzt gekiannten Linaritflächen ersieht man aus Fig. 25.
Auch Greg hat, wie alle seine Vorgänger, welche den Linarit besprochen haben,
die Messungsergebnisse, welche dem ganzen System von Seiten Brooke’s gleich Anfangs
zu Grunde gelegt wurden, als ein noli me tangere behandelt und unverändert ange-
nommen. Ein von mir abgelöster, den Figuren ähnlich gestalteter Kryslall, ist seiner
Flächenbeschaffenheit nach so ausgezeichnet zu den genauesten, die Feststellung von
— 207 —
Grundverhältnissen bezweckenden Messungen geeignet, dass ich diese Gelegenheit zu
einer näheren Untersuchung sorgfältig zu benützen mir habe angelegen sein lassen.
Und in der That habe ich in Folge dessen von den seither gangbaren Angaben nicht
unbedeutend abweichende Resultate erkalten, welche mich veranlasst haben, das ganze
Linaritsystem neu zu berechnen.
Die Beibehaltung der Miller’schen Axenlage empfahl sich aus mehreren Ursachen;
erstlich weil sie den beiden durch ihre Spaltbarkeit physikalisch ausgezeichneten Flächen
den Character von Coordinatebenen ertheilt, wobei die basische Endfläche zugleich eine
der beständigsten und in die Augen fallenden Linaritflächen ist; dann aber auch, weil
man bei Miller’s Grundform weit einfachere Flächenzeichen erhält, als bei der alten
Brooke’schen. Unsere untenfolgende Tabelle, in welcher die Symbole nach beiden
Grundlormen neben einander stehen, wird dies deutlich zeiren. Ich habe daher in der
ferneren Besprechung, gleich wie in der Tabelle der Neigungswerthe und den Figuren
nur die Miller’sche Grundform unterstellt.
Zu den Messungen hat nur der einzige aber unübertrefflich gut gebildete und
spiegelnde erwähnte Krystall Fig. 21 bis 24 gedient. Da er vollkommen alles leistete,
was man nur wünschen mochte, so habe ich mich weiterer Zerstörung des schönen
Exemplares, dem er entnommen war, enthalten. Das mir dienende Instrument ist ein-
fach, aber sehr genau gearbeitet, mit einer guten Einrichtung zur genauen Centrirung
und einem Spiegel versehen, und da ich bei denjenigen Messungen, welche die Ermittelung
der Constanten zum Zweck hatten, mit grosser Sorgfalt verfuhr, so glaube ich ihre
Richtigkeit bis auf allenfalls 2 bis 3 Minuten verbürgen zu können.
Da die Neigung des Orthopinakoids sowohl zur Basis als zu einem Orthodoma,
ferner des Prisma &P vollkommen genau gemessen werden konnten, so bot sich in
den drei hierbei zu erhaltenden Neigungswerthen der bequemste Ausgang zur Berechnung
der Grunddimensionen.
Ich fand bei 10 Messungen, welche nicht über 4 Minuten differirten, für:
oP:@Px® als Mittel 102° 32,7, statt dessen ich annehme 102° 33°
Nach Brooke 102° 45°
Ferner bei 5 Messungen mit Differenz 5 Minuten für:
2P:oPw als Mittel 127° 22,4‘. Nach Brooke 128° 6
Endlich bei 7 Messungen mit 5 Minuten grössester Differenz für:
@P:®P Mittel = 118° 23,7‘, wofür zu nehmen 118° 24°
Bei Brooke = 119°
34*
— 268 —
Aus diesen 3 Werthen berechnen sich nun die Grunddimensionen des Linarit wie
folgt: Hauptaxe = 0,4813411
Klinodiagonale = 1
Orthodiagonale = 0,5818762
Schiefer Winkel = 77° 27°
Die bis jetzt am Linarit beobachteten 20 Theilgestalten sind nun die folgenden:
Flächen des Linarit.
Grundform | Buchstaben
nach bei
lu
Miller. Brooke. | = | #
=|s|
Basische Endlläche | oP 2Po c | P | Zweite Spaltungsrichtung, weniger gut.
Klinopinakoid . . oaPn | Po | bb
Orthopinakoid . . oPo 0 Ze) a | Erste Spaltungsrichtung, sehr vollkommen.
Prisma he aoP or m|M
- ec oP2 aP2 I | Greg gemessen I: a =: 140038’. Die Rechnung gibt 1400 041”
Orthodoma, positiv YPo | %Po |d|d
n n sr» op ee
= an Yo |-4,Po|t
; en Po -Po Ss 5
en 35 Po | -%,Po x | Von Greg gefunden x:a — 117030’. Berechnet 117020 32”
Es 5 2Po -4Po | uju
AR 5 Po |-19Po Von Peters beob., zwischen s u.a, u. gemessen : a — 163020'.
| Für 7Bw ber. 162047'38”. Vel.S. 271.
n negativ -Po Po y | Von Greg gefundeu y:a — 125030’. Berechnet 1250 35° 33
Klinodoma . . -» Po 3P 3% r Ee- ob: a 1419 4.50%
AN Aoger de Po 2Pp%Y, w >: „ woP=1588: 2 1580 0.52
Hemipyramide, positiv P -3P3 Hbg. Die neu beobachtete Fläche e. Fig. 21—24. Tautozonal
in oP.P.oP und @P».2P2.P.Peo.
es 59 2P -6P%, n | Von Greg zwischen M und P, d.i. o&P und oP gefunden,
könnte also ein —-mP oder ein —mP sein. Er gibt
ferner nur an oP:n — 1510 10°; für — 2 P würde die
| Rechnung — 153029’41 erfordern, für +2P:oP
| dagegen = 150° 40’16”; ist also +2P.
g , Von Greg unsicher angegeben. Er gibt mit einem Fragezeichen
| die Zone Mgt an, welche in der That unrichtig ist. Nach
meiner Beobachtung muss g in die Zone M gs fallen. Greg
IR! gibt aber zugleich M:g — 137020’ und obgleich mit einem
abermaligen ? versehen, stimmt doch diese Messung nicht
| schlecht. Ich berechne — 1370 1’0’ und mass 13704.
Anı Krystall Fig. 21-24 ist diese Fläche eine der grössesten
und vollkommensten. Bestätigt sich als Reihenglied in:
aP.2P2.%,P8 und oPw.2P2.P.Px.
2P2 |-aPY,
nach
Miller,
Brooke.
Milier.
Greg.
I
Hemipyramide, positiv, %,P 4
%%,P8
-6B 1%,
10, p10,, 1
Greg beobachtete m tautozonal zwischen oP und %,P
und fand oP:m — 1505’. Beiden Erfordernissen ent-
spricht 8%, P 4, , welches geneigt zu @P = 150040’ 12”
Viele Linaritkrystalle zeigen eine unvollkommen gebildete ge-
krümmte Fläche, so gelegen, wie es Greg’s Fig. 4° bei z
ungefähr andeutet. Er gibt aber nichts weiter an, als
M:Z = 94°, Diese eine Angabe würde zur Bestimmung
nicht ausreichen, wenn sie auch nicht mit einem ? be-
gleitet wäre. Unser Krystall Fig. 21-24 hat diese Fläche
so ungewöhnlich gut gebildet, dass eine Zone, &P.
2 P2.z, festgestellt und das Zeichen #4 Pw aus den-
jenigen weiteren Messungsergebnissen berechnet werden
konnte, welche aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich
sind. Von Greg’s Angabe — 94° weicht z:M = 105°
3° 7° allerdings bedeutend ab.
Neigungswinkel, wenn Axe a:b:c = 0.5818762:1:0,4813411
Schiefer Winkel C =47' 27°
n
Beobachtet
Bei Miller
| lu | angegeben. | Greg Hessenbherg.
oP :@Bao !c:a | 102933. 1020 45° | 102035.
ER Eis | ci? 940 39: 22
„ :2Po |c:u | 130% 5° 0” | 1290 40° Dufr. 1300 7
„ :%,Po | e:x | 1400 628” |
„ :Bo |e:s | 15201947” | 151040 |
n :4Po! e:t | 15604750” | 1560 10 „| |
» :%4Po | c:o | 161023: 28° | 161030. „ 161030 |
» : Po | e:d | 1760 35°40« | 176035
» ı-Po |c:y | 1560 57° 27% 156% 5%
aan: 7Po gs 1620 47’ 38° | 1630 20° (Peters)
we 221Pro ou 1012700,227 02710123076: 127022:
» :%,Bo | a:x | 1170 20° 32% | 117030
» :Po |a:s | 1050 813” | 105035 | |
rel Mar 1000397557° | 1010 1. | |
„1%, Bo | a:o | 96% 3.32 | 960 18: 12, |
» : Po |a:d | 990 840” | 990 16 |
| 9 :-Po |a:y | 1250 35. 33« 1250 30° | |
12) 7 C in Naum. El, — 84015 — 959 45’.
270
ee Bei Miller Beobachtet
ö angegeben. Greg. | Hessenberg.
oP :,Pw| c:w | 1580 0.52% 1580 8° | 157055
ae) ce: 104750 141025 1410 0°
55 oaPo |c:b 90% 0° 0“ 909 909
Yro:Po w:r | 1630 3/58“
5 oPw |w:b 111059. 8”
Po :oPo | r:b | 12805510“
" oaPm|r:a 990 43. 59%
WPo:oPw |w:a | 10103726”
oaPo:wP2 | a:l | 1400 0741" 1409 38. 0
5 ge9le a:M | 120048 0% 1200 30°
an oaPm | a:b 900 0. 0 909
»aP2:oP l:M 1609 47° 19“
206 Ploo 91:7 1212,9,075:9771797°
oaP:wP M:M | 118024: 0” 1199 118° 24°
„ :oßo |M:b | 1490 12
»aP2:mP2 el 790 58: 38"
&aP:oP M:c 960 23° 17" 96025°
ss en Kae, 830 36 43“
P:oPm | e:b | 123036’ 29“ 1290 34°
om | e:a | 101 VA RTL
7 /0)E ech 1a at 133035’
Bela e:M | 1290 49: 36“ 129035’
2P:oP o|n:b 1230 19 23”
oo. B\ooR | ana al Te
5501ER n:c | 1120567274
-, Bealr n:M | 1509 40° 16” 151010°
PER) 2 n;e | 1590 9:20“
2P2:oPo | g:b 1230 19 23%
„ :oPo | g:a | 1200 29: 22
>» 830% g:c | 1220337 0” 1220 29°
Seal? | zent 137020? | 1370 4°
AB: oo | mb) | 13830107 70%
53 oPow |m:a 1190 28° 10”
= oP m:c | 109% 25° 56
a Fooı, m:M | 150° 40° 12“ 1500 5°
%,P8:wPo | z:b 960227507
ss oPw | z:a | 1080 42: 23”
n go z:c | 1480 2:43. 148041'
ren) 2» Mal 105.02 Sr 1050 20°
„ :2P2 |z:g | 1480 27 7 148025°
An Krystallen von Dolea bei Rezbanya hat unlängst Peters (1861, Sitzber. d. Wien.
Ak. XLIV, 168), welcher ebenfalls die Miller’sche Grundform beibehält, ein neues Ortho-
doma (nicht Klinodoma, wie es l. c. aus Versehen heisst) gefunden in Combination mit
oPw.oP.P».»P.»P&. Er fand dasselbe gegen @Pw geneigt = 163° 20”
wonach es das Zeichen 7P co zu erhalten hat, für welches die Rechnung 162" 47° 38°,
erfordert, nicht %P&, wie Peters irrthümlich angibt; denn dieses müsste 153" 24° zu
oP® geneigt sein. Als 7P&® habe ich die Fläche daher auch in die vorstehenden
Tabellen aufgenommen.
Es ist bekannt, dass viele Linaritkrystalle hemitropische Zwillinge sind, indem sie
die Hauptspaltungsfläche o P& als Zusammensetzungsebene haben. Auch an den Cum-
berländer Krystallen bestätigt sich dies und Fig. 23 zeigt den mir vorliegenden Gruppen-
krystall, welcher sich am einen Ende zwillingisch verhält, aber eines seiner beiden
Individuen über das andere hinaus fortwachsen und sich am enigegengesetzten Ende als
einfacher Krystall ausbilden lässt.
In guten Krystallen ist der Linarit bis jetzt noch immer selten geblieben, obgleich
die Zahl der Fundorte des Minerals in rascher Vermehrung begriffen ist. Ein früheres
seltenes Vorkommen desselben zu Schneeberg, derb und krystallisirt, aber nicht so schön
als in Cumberland, erwähnte v. Hornberg, Korresp.-Blatt des zool. min. Vereins in Regens-
burg, 1857, S. 170. Karl Koch fand den Linarit als krystallinischen Ueberzug auf alten
Handstücken von den Gruben Aurora und Thomas im Dillenburgischen (Jahrb. Ver. für
Natk. in Nassau 1857, S. 39%). F. Sandberger (Pogg. Ann. 1858, Bd. 105, S. 615)
fand das Mineral von Nassau a. d. Lahn auf Gangtrümern als Zerselzungsproduct aus
Kupferkies und Bleiglanz entstanden, in Gestalt von fettglänzenden Rinden, begleitet von
Brochanlit.
Auch von einem Sibirischen Fundort kennt man jetzt den Linarit durch eine
Mittheilung von Kobell’s (1861, Journ. f. pract. Chem. 83, 454), welcher ein Bleierz
aus Nertschinsk in der Leuchtenbergischen Sammlung chemisch und goniometrisch als
Linarit erkannte.
Bereits im Jahr 1851 gab Haidinger (Jahrb. d. Geol. Reichsanstalt, Jahrg. II, 2,
S. 78) Nachricht über seine interessanten Beobachtungen von Pseudomorphosen an Stufen
mit von ihm als solcher erkanntem Linarit, derb und krystallisirt von Rezbanya. Er
fand in Drusenräumen Linaritkrystalle von 2 Mm. Grösse, welche an ihrem [reien Ende
noch unverändert, am aufgewachsenen aber mit Beibehaltung ihrer Form in ein Aggre-
— 22 —
gat kleiner, deutlicher Weissbleierzkrystalle umgewandelt waren, eine Pseudomorphose,
welche er sich durch Annahme aufsteigenden kohlensäurehaltigen Wassers erklärte.
Zehn Jahre später (1861. Sitzber. d. Wien. Ak. XLIV, S. 168) hat Peters diesen,
von Haidinger bereits nach ihrer Wichligkeit gewürdigten Verhältnissen erneuerte Auf-
merksamkeit zugewandt und ihre Erkenniniss nach einer neuen Seite hin vervollständigt.
Er überzeugte sich an Stufen von der Erzlagerslätte zu Dolea unweit Rezbanya, dass
bei der überall zu begegnenden Umwandlung des Linarits zu Weissbleierz, sich stets
Malachit ausscheide und häufig neben letzterem sich vorfinde; dass aber der Linarit
selbst ein vorheriges Erzeugniss der Oxydation von auf der Lagerstätte häufigen Blei-
glanz- und Kupferkies-Gemengen sei. So bilde der Linarit das vermittelnde, unum-
gängliche Zwischenglied der Umwandelung dieser Schwefelmetalle in Malachit und
Weissbleierz, mit welchen er innig vergesellschaftet sei und in welche er ersichtlich
von Theilchen zu Theilchen übergehe. Die Schwefelmetalle oxydiren (vitriolesciren) zu
Linarit; dieser zerfällt unter der Einwirkung kohlensaurer alkalischer Lösungen zu
Weissbleierz und Malachit.
Was man an Englischen Stufen beobachten kann, stimmt ganz überein und offenbar
erlangt der Livarit durch dieses Verhalten eine grössere Wichtigkeit für die theoretische
und praktische Beurtheilung der Genesis vieler Erzlagerstätten. Denn es ist kein Zweifel,
dass diese Umwandelungsvorgänge eben wegen ihrer Geselzlichkeit und wegen der
Einfachheit und Häufigkeit der ihnen zum Ausgang dienenden Naturkörper und Agentien
eine grössere Allgemeinheit in ihrem Auftreten haben werden. Dass man ihre Spur
noch nicht allgemeiner aufgefunden, hat gewiss seinen Hauptgrund in der Aehnlichkeit
des Linarits in seinen verschiedenen weniger deutlichen Erscheinungsformen mit der
Kupferlasur, mit welcher er sicherlich häufig verwechselt worden und von welcher er
künftig in vielen Fällen unterschieden werden wird, wenn dem Gegenstand einmal ver-
mehrte Aufmerksamkeit zugewendet sein wird, was sehr zu wünschen ist.
Die Umwandelung des Linarit in Weissbleierz bewegt sich, wie Peters beobachtet
hat, in den kleinsten Dimensionen. An demselben Stück benachbart findet sich frischer
Linarit und die beiden Umwandelungsproducte desselben. Bekanntlich sind ähnliche
Erscheinungen an Pseudomorphosen ungemein häufig. Solche ins Kleine lokalisirte
Vorgänge beereifen sich offenbar leichter, wenn man sie sich nicht als vermittelt
durch fluthende oder alle Räume erfüllende Flüssigkeiten vorstellt, sondern wie Volger
gelehrt und in seinen Schriften an vielen Orten ausgeführt hat, als die Wirkungen einer
Durchfeuchtung, einer äusserst feinen mechanischen Zertheilung der flüssieen Agentien
und einer capillaren Beweglichkeit derselben, selbst innerhalb der kleinsten, sinnlich
nicht mehr wahrnehmbaren Räume. Nur so können diese flüssigen Agentien örtlich
engbeschränkte Wirkungen ausüben und selbst wieder Gegenwirkungen unterliegen,
welche, von den kleinsten einzelnen Punkten ausgehend, auf ihre unmittelbare Nähe
beschränkt bleiben können.
Kupferuranit (Chalkolith).
An guten Krystallen von Redruth von zwei verschiedenen Exemplaren habe ich
Messungsresultate erhalten, welche auffallend von den Angaben Levy’s, welche sich bei
Durenoy finden und von da in Miller’s Mineralogie übergegangen sind, abweichen,
während sie doch befriedigend nahe mit den im Jahr 1828 in Naumann’s Mineralogie
gegebenen übereinstimmen.
Unter Beibehaltung von Naumann’s Grundform. (welche sich bei Miller mit einer
anderen vertauscht findet) haben die von mir beobachteten Krystalle die Form:
a) EN Sa Eite oe 0 2 07
Im Mittel aus 12 Messungen an fünf Krystallen, wobei 16 Min. grösseste, Differenz
fand ich: Bo 1080384
Hieraus berechnet sich die Hauptaxe = 2.097088
und für P die Mittelkante = 142° 44° „ bei Naumann 1828 = 143° 2°
„ =», kolkanler = 95512733 5 > Ser 16:
„Px& „ Mittelkante = 129° 0°41“ 129° 24°
” sekolkanıe = 100940235“
Hiermit die Angaben Levy’s, wie sie sich bei Miller vorfinden, zu vereinigen, bin
b2] 2] ”
ich nicht im Stande. Die Seitenaxen sind bei Letzterem um 45° gegen die Naumann’schen
gedreht, so dass Naumann’s Protopyramiden mP von Miller als Deuterpyramiden m P &
angesehen werden. Solcher Pyramiden gibt er nun viere an, aber alle über einander
liegend, keine einzige der anderen, gewendeten Ordnung, von deren häufigem Auftreten
man sich doch leicht überzeugen kann. Jene vier Pyramiden werden angegeben geneigt
zu oP:
2 Ce 314017, e=1280352,r= 111945.
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges, Ba. V, 35
97
—_— UM —
Unter diesen Angaben ist aber keine einzige, welche auf die Naumann’sche, von
uns bestätigte Pyramide P (108° 38° :oP) bezogen werden könnte, und doch ist diese
Form die allergewöhnlichste, welche in den meisten Fällen die Uranitkrystalle der ver-
schiedenen Fundorte beherrscht.
Da aber auch der Versuch nicht gelingt, die Levy’schen Werthe überhaupt in irgend
eine einigermassen einfache parametrische Beziehung zu unserem P zu bringen, so
bleiben die Angaben, wie sie bei Miller stehen, in der That räthselhaft und eine Auf-
klärung erscheint um so wünschenswerther, als nun auch Naumann in der so eben
erschienenen sechsten Auflage seiner vortrefflichen Elemente der Mineralogie sich leider
hat bewegen lassen, seine eigenen früheren richtigen Angaben zu verlassen und ein P,
zu oP nach Miller mit 111° 45’ geneigt aufzunehmen.
Die an mehren Krystallen gefundene schmale Fläche %,P ist neu. Ihre Neigung
zu oP, gefunden = 138° 10°, berechnet sich zu 138° 20° 24.
Greg & Lettsom haben die Miller’schen Angaben abgeschrieben, gaben aber ausser-
dem eine Pyramide u mit 109° 34°: oP an, also Naumann’s altes P, mit einer Differenz
von ungefähr einem Grad. Ausserdem haben Greg & Lettsom auch noch eine Pyramide
0 mit 136° 45°:0P, möglicherweise identisch mit unserem /,P.
Die Hand und der Fuss.
Ein Beitrag zur vergleichenden Osteologie der Menschen, Affen
und Beutelthiere.
Von
Prof. Dr. Joh. Christian Gustav Lucae
(Dem Herrn Geheimen Hofrath S. F. Stiebel zum 50jährigen Doctor-Jubiläum gewidmet).
Tafel NXXV—XNXVINI.
Th. H. Huxley sagt in seiner durch die Uebersetzung von V. Carus auch in
Deutschland unter dem grösseren Publikum hinreichend bekannten Schrift: Evidence
as to man’s place in nature. London 1563 pg. 102:
„Auf den ersten Blick sieht (beim Gorilla) das Ende der Hinterextremität sehr
handähnlich aus, und da dies bei vielen der niederen Affen noch mehr der Fall ist,
so ist es nicht zu verwundern, dass der Ausdruck Quadrumana oder Vierhänder, den
Blumenbach von den ältern Anatomen annahm und Cuvier unglücklicherweise zur ge-
läufigen Bezeichnung machte, eine so verbreitete Annahme als Name für die Gruppe
der Affen finden konnte. Aber die oberflächlichste anatomische Untersuchung weist
sofort nach, dass die Aehnlichkeit der sogenannten „hintern Hand“ mit einer wirklichen
Hand nur bis auf die Haut geht, nicht tiefer, und dass in allen wesentlichen Beziehun-
gen die Hinterextremität so entschieden mit einem Fusse endigt wie die des Menschen.“
„Und so kommt denn der vorausblickende Scharfsinn des grossen Gesetzgebers
der systematischen Zoologie, Linne,. zu seinem Rechte: ein Jahrhundert anatomischer
Untersuchung bringt uns zu seiner Folgerung zurück, dass der Mensch ein Glied der-
selben Ordnung ist wie die Affen und Lemuren.“
E. Burdach (Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Affen) sagt, dass sowohl
die vordern als die hintern sogenannten Hände der Affen diese Benennung nicht
verdienen.
Ludwig Fick, „Hand und Fuss“ (Müllers Archiv 1857) resümirt seine Betrach-
tung dahin, dass aus dem Mechan!smus der Extremitäten zwischen Menschen und
35*
höheren Affen ein specifischer Organisationsunterschied nicht abgeleitet werden kann;
dieser Unterschied also in andern Theilen aufgesucht werden muss.
Ganz einen entgegengesetzten Eindruck als auf den englischen Anatomen hat
der Fuss des Gorilla auf uns gemacht. Beim Anblick desselben in seiner Haut frappirt
er in hohem Grad durch seine Sohle und die Kürze der Finger, und man wird über-
raschend an die Fussbildung des Menschen erinnert; aber gerade die genauere Be-
trachtung des Skelets führt uns zu einer entgegengesetzten Ansicht.
Huxley giebt folgende anatomische Merkmale an, welche den Fuss des Menschen
von dessen Hand unterscheiden,
1) die Anordnung der Fusswurzelknochen,
2) den Besitz eines kurzen Beugemuskels und eines kurzen Streckmuskels,
3) den Besitz des musc. Peroneus longus.
Hierzu sagt Huxley pg. 106: „Jeder Affe und Lemur zeigt die charakteristische
Anordnung der Fusswurzeiknochen, besitzt einen kurzen Beuger und Strecker und
einen Peroneus longus. So verschiedenartig die relativen Verhältnisse und die Er-
scheinungen des Organes sein mögen, so bleibt die terminale Abtheilung der hintern
Extremität im Plane und Grundgedanke des Baues ein Fuss und kann in Jieser Hin-
sicht nie mit einer Hand verwechselt werden.
Könnte man aber nicht mit Recht fragen, bei welchem Säugethier bleibt denn die
terminale Abtheilung der hintern Extremität im Plane und Grundgedanke des Baues
nicht ein Fuss? Ich glaube, man wird trotz der mannichfachen Form (ausser den
Cetaceen) keines finden. Der Fuss der Löwen oder der Phoca besitzt dieselbe An-
ordnung der Fusswurzelknochen, besitzt einen kurzen Beuge- und Streckmuskel und
einen Peroneus, ist aber darum noch lange nicht ein dem menschlichen Fusse gleiches
Gebilde. Ebenso bleibt die terminale Abtheilung der Vorderextremität im Plane und
Grundgedanke beim Alfen ein Vorderfuss, trotzdem sich bei ihm mehr oder weniger
eine Hand entwickelt findet, und wenn auch die Vordertatze des Löwen einen Flexor
sublimis und profundus gleich dem Affen und eine im Ganzen ähnliche Anordnung der
Handwurzelknochen hat, so ist sie doch noch keine Hand. Die verschiedenartigen
relativen Verhältnisse der Grundgebilde sind es aber, die gerade hier eine Hand und
dori eine Tatze zuwege bringen. Wollten wir die genetischen Entwickelungsverhält-
nisse, wie sie uns die vergleichende Anatomie und Physiologie lehrt und wie sie uns
Gesenbaur in seiner Schrift") über den Carpus und den Tarsus so lichtvoll vorführt,
N) Gegenbaur, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. Leipzig 1864.
als Grundmaass anlegen, dann würden wir noch weniger Unterschiede in der Anord-
nung der Hand-und Fusswurzelknochen finden. Wir haben es in der Systematik aber
mit dem vollständig ausgebildeten Organ des vollkommen entwickelten Thierkörpers
zu thun, und dafür sind obige Unterscheidungen zu mangelhaft und die verschieden-
artigen relativen Verhältnisse und Formen des Organs zu gewichtig. Endlich
hat es die Anatomie doch aber nicht blos mit der Zahl und Anord-
nung der Gebilde, sondern auch mit deren Gestalt, Grösse, der
Art der Verbindung und dem Verständniss der letzteren zu thun.
Die terminale Abtheilung der hintern Extremität bleibt allerdings Fuss. Hier, wie
bei den übrigen Säugethieren, hat sie den Schwerpunkt des Körpers über und
vor sich. Sie hat also auch Eigenschaften die sie hierzu befähigen. — Denn da
sie der Extremität angehört, welche, wie bei allen Säugethieren, durch Streckung
den Körper von dem Boden fortschiebt und ganz besonders günstige Angrifls-
punkte für die Streekmuskeln bedarf, so hat sie einen Calcaneus und Talus als
Rolle und günstigen Hebelfortsatz. Während aber die über dem Sprunggelenk liegen-
den beiden Abtheilungen den ihnen entsprechenden Abtheilungen der vorderen Extre-
mität, welche durch Beugung den Körper vorwärts zieht, antagonistisch gelagert
sind.') so ist das terminale Ende der hintern Extremität dem der vordern gleich-
sinnig gebildet, denn beide sind Endstützen und Radwellen für die Bewegung.
Beide letzteren unterscheiden sich nur wieder insofern als die hintere die grössere
Last zu tragen hat, die vordere dagegen in der Säugethierreihe neben ihrer Funktion
als vordere Endstütze des Körpers noch vielfach andere Geschäfte zu vollbringen im
Stande ist. —
Anders ist es mit der menschlichen Hand und dem menschlichen Fusse. Hier ist
der Fuss Stütze, die Hand aber Greifinstrument und nichts weiter. Hier haben beide
ihre ausschliessliche Funktion und ihr ausschliessliches Gepräge, denn beide sind aus-
schliesslich Hand und Fuss. Sie müssen daher auch am deutlichsten die Merkmale
zeigen, die jedem eigenthümlich sind und die das eine Gebilde vom andern unterscheiden.”)
!) Humphry, Observations on the limbs of vertebrate animals, Cambridge 1860.
2) Ich finde es ganz gerechtfertigt, wenn L. Fiek 1, e p. 440 sagt: Die Fähigkeit des Menschenarmes,
sowohl parallel dem Schenkel, wie demselben gegenübergedreht, zu arbeiten, zeichnet den Arm des Menschen
vor den Thieren aus, Es ist daher unrichtig die Sache so aufzufassen, als ob die der Kniestellung opponirte
Ellenbogenstellung die natürliche des Menschen sei, sondern es muss eben die Fähigkeit des Menschenarmes, in
beiden Stellungen zu functioniren, als charakteristisch für ihn der ausschliesslichen Funktion des Kniegelenks
nach der einen Richtung gegenübergestellt werden.
0)
ao: —
(
Vergleichung der Längeverhältnisse der Extremität bei Menschen
und Ajfen.
Es möchte. ehe wir zur Betrachtung der Hand und des Fusses übergehen. nicht
ohne Interesse sein, die Verhältnisse der Extremitäten überhaupt untereinander und zu
dem Rumpfe zu betrachten. Ich glaube dies ist um so mehr gerechtfertigt, als, obgleich
hierüber schon Bestimmungen vorliegen, doch durch Vermehrung des für sichere Fol-
gerungen immer noch dürftigen Materials die Basis erweitert und die Grundlage sicherer
wird. Uebrigens bestätigen mir schon die Messungen an den sehr schönen und nor-
malen männlichen und weiblichen Skeleten, aus welchen ich in nachfolgender Tabelle die
Mittelzahlen angebe, wie zurückhaltend man mit Normalbestimmungen sein
soll, wie gerade geringfügige Unterschiede noch zu keinem Schlusse
berechtigen, und wie nur ein sehr grosses Material in Stand setzt, zu all-
gemein Gültigem zu gelangen, von der Unvollkommenheit des Messens
überhaupt und den Fehlerquellen noch gar nicht zu reden. Neben diesen
Mittelzahlen deutscher Skelete füge ich die Messung von zwei aussereuropäischen
Skeleten bei, welche unsere Sammlung besitzt, von dem eines echten Negers, dessen
nähere Heimat mir jedoch unbekannt, und von dem eines Eingebornen der Insel
Rotti, welcher 26 Jahre alt in Soeraboya an Dysenterie starb, einem Geschenke des
Herrn Dr. med. Schmitt in Java.') Das Skelet eines weiblichen Gorilla sowie das
eines gleichfalls ausgewachsenen weiblichen Chimpanses befindet sich in der Gross-
herzoglichen Naturalien - Sammlung in Darmstadt und ich verdanke deren Benutzung
der Güte des Herrn Professor Dr. Kaup. Die übrigen Skelete, eines erwachsenen
weiblichen Orangs ete., gehören der Senckenbergischen Sammlung.
Rücksichtlich der zunächst folgenden Messungen habe ich zu bemerken, dass
die Wirbelsäule vom Atlas bis zum Os coceygis mit einem Bandmaass den Biegungen
der Wirbelkörper anliegend genommen ist. Die Länge der Extremitäten im Ganzen
ist beim Arm von der Höhe des Humeruskopfes bis zur Spitze der Mittelfinger, sowie
beim Bein vom Femurkopf auf der vorderen Fläche des Oberschenkels neben der Pa-
tella her über Unterschenkel und Fussrücken zur Spitze der zweiten Zehe mit dem-
selben Bandmaasse genommen. Die einzelnen Stücke sind wieder für sich von einer
Gelenkfläche zur andern (am Vorderarm, am Radius, am Unterschenkel, an der Tibia)
ohne Berücksichtigung der Fortsätze genommen.
I) Das Negerskelet ist unler meinem Vorgänger, Herrn Professor Dr. Behrends, sehr schön in Bändern
präparirt: das andere ist künstlich zusammengeselzt und hat nur einige kleine Phalangen am Fusse verloren.
279
Länge-Messungen in Millimeter
Q B: A =] = 3 m Et „al = =
alsls EIS 18|8|38 |$|5*| =“ 3elss arlöet |
Falizel R=| fe Fr R-| E=| = na|3+ 3. |Oo. = SE © Sol IS) 00
Name a|A| © EI = a | m E SS SS |sS|s Seil SS|ıSQ
2 e|i<|A|Ss Er a 5) ee I ee er
7} un [®) z B=! = E a | en a | a a | a u
35|2|85 | SB |< [8 8") el eliesiellseeliel
= s|ı83|lz2|a = I8 18 |528 18318 |8
= es E |E le IE ıE JeRlE |E
1) Mittelaus6 |775[728| 984 | 308j220,2| 452| 351 | 190|233| 93,9] 126,9) 39,7 | 28,4) 58,3] 45,2] 24,5| 30
männl. Europ.
2) Mittelaus6 |644|665) 904 |281,6| 200|406,6) 320 |168,21211[103,2| 140,3] 43,7 131,05 63,03) 49,61 26 32
weibl. Europ.
3) Malaie. 660|730| 950 | 305) 245] 427] 360 | 180/2101110,6| 143,9) 46,2 | 37,1) 64,5] 54,5| 27,2| 31,8
4) Neger. 660 |780| 1010| 340] 250) 460| 390 | 180|230)118,1| 153,03] 51,5 | 37,8) 70,6159,09| 27,2| 34,8
5) Gorilla. Wb. |700|930| 770 | 390] 320) 320] 255 | 220235|132,8| 102,8| 55,7 | 45,7 a5,7| 36,4] 31,4] 33,5
6) Chimpanse. 580/780) 710 | 275] 265| 280| 225 | 240/244|134,3) 122,4) 47,4 | 45,6| 49,1 38,7) 41,3 42
Wh.
7) Orang. Wb. |530|875| 685 | 325) 300) 250| 205 | 230/255|161,3 128,3] 61,3 | 56,6) 47,1) 38,6) 43,2] 48,1
8) Hylobat. 3501640] 505 | 225] 260| 210| 175 | 152]135) 182 140| 64,2 | 75,7| 60) 50| 43,4) 38,5
leueisc.
= Fe EM. an
= 3 SE 3
a a ee
. ni . © Q
ER SE N
Name. Ss S| = na Ser!
a er so Ss
25 an en 25
= ER TE a
a a = [=
1) Mittelaus6 |+B.258m.| +0.85m.|+ 0.100 | + F.43
männl. Europ.
2) Mittelaus6 |+B.239m.| +0.81m.| 40.86 |+F.42,7
weibl. Europ.
3)Malaie. |-+B.220m.| +0.67m.| +0.50 | +F.30
4) Neger. +B.230m.| +0.80m.| +0.70 | +F.50
5) Gorilla. Wb. |+A.160m.| +0.70 | +0.65 | +F.15
6) Chimpanse. | +A.70m.| +0.10 + 0.55 +F.4
Wb.
7) Orang. Wb. |+A.190m.) +0.25 +0.45 | +F.25
8) Hylobat. |-+-A.135 +U.35 +0.35 | + H.17
leucise. |
— 230 —
Die Messungen obiger menschlichen Skelete zeigen uns, wie zu erwarten, dass
in allen Abtheilungen das männliche europäische Skelett absolut grösser als das weib-
liche, dass ferner der Neger im Ganzen sowohl als auch in allen einzelnen Abthei-
lungen längere Extremitäten hat. Zwischen dem Europäer und Neger sehen wir den
Malaien. — Schärfer finden wir aber die Verhältnisse ausgedrückt, wenn wir die Länge
der Wirbelsäule gleich 100 nehmen; dann zeigt sich uns das Weib in seinen Extre-
mitäten sowohl im Ganzen als auch in allen seinen einzelnen Theilen grösser. In
noch höherem Grade ist dies bei dem Neger der Fall. Zwischen Weib und Neger
aber steht der Malaie.
Anders ist es bei den ungeschwänzten Affen. Hier wird nur der Arm und seine
einzelnen Abtheilungen grösser, das Bein dagegen in seinen oberen Theilen kleiner,
wogegen der Fuss wieder zunimmt. Unter diesen Affen hat der Gorilla den kleinsten
Arm, aber auch das kleinste Bein. und zwar sowohl im Ganzen als auch in den ein-
zelnen Theilen. Im entgegengesetzten Fall befindet sich aber der Hylobates, nur dass
hier der Fuss wieder etwas kleiner wird. Während sich also der Gorilla dem Men-
schen rücksichtlich der Kürze des Armes nähert, entfernt er sich ebenso weit wieder
durch die Kürze seines Beins von demselben. Anders ist es aber mit dem Hylobates.
Hier ist der Arm viel grösser als beim Menschen, das Bein aber gleich.')
Betrachten wir aber auch noch die einzelnen Gliedertheile, so ergiebt sich Fol-
gendes:
Das Bein ist im Vergleich zum Arm am längsten bei dem männlichen Europäer,
weniger bei dem Weibe; noch weniger lang ist es beim Neger und am kürzesten beim
Malaien. Umgekehrt ist es bei dem ungeschwänzten Affen. Hier ist der Arm grösser
als das Bein und zwar am grössten beim Orang, dann beim Gorilla, dann bei dem Hy-
lobates und endlich beim Chimpanse. — Der Oberarm ist im Vergleich zum Unterarm
am grössten beim männlichen Europäer, dann bei dem Weibe, dann erst bei dem
Neger und zuletzt bei dem Malaien. Noch grösser als bei dem letzteren ist der Ober-
arm bei dem Gorilla. Die Differenz wird aber plötzlich viel geringer bei dem Chimpanse.'
Bei dem Hylobates aber schlägt es um, und hier wird der Unterarm grösser als der
Oberarm, daher steht in dieser Beziehung der Gorilla wieder dem Menschen am
nächsten. der Hylobates aber am fernsten.
N) Ich komme daher rücksichtlich der Länge der Extremitäten des Gorilla, des Menschen und des Hylobates
zu einen ganz anderen Schluss als Huxley. Huxley I, c. pg. 81 u. 82.
— 383 —
Was nun Ober- und Unterschenkel betrifft, so wird ersterer vom europäischen Mann
zum Weibe, von diesem zum Neger und zuletzt zum Malaien immer kleiner, und dieses
Verhältniss nimmt vom Gorilla zum Hylobates immer gleichmässig zu. In diesem
Verhältniss steht also der Gorilla dem Menschen wieder am nächsten, der Hylobates
aber am fernsten.
Was endlich die Hand und den Fuss betrifft, so wird der Fuss am grössten
beim Neger, am kleinsten beim Malaien. Die Europäer stehen in der Mitte.
Bei den ungeschwänzten Affen wird die Hand viel grösser, daher die Differenz
zwischen dieser und dem Fusse geringer. Bei dem Hylobates wird die Hand zuletzt
grösser als der Fuss, und hier steht der Chimpanse dem Menschen am nächsten, der
Orang und Hylobates aber am fernsten.')
Fassen wir das Voranstehende kürzer zusammen, so ergiebt sich für die
menschlichen Skelete Folgendes:
a) Wenn die Wirbelsäule als gleich lang angenommen wird, so wächst das Längen-
verhältniss beider Extremitäten in seinem Ganzen sowie in seinen einzelnen
Theilen derartig: Mann, Weib, Malaie, Neger.
b) Vergleicht man die beiden Extremitäten im Ganzen sowie in ihren einzelnen
Abtheilungen mit einander, so ist
1) das Bein am längsten und der Arm am kürzesten beim Europäer; beim
Malaien aber gerade umgekehrt. Zwischen beiden steht erst das Weib, dann
der Neger. i
2) der Oberarm und Oberschenkel, am längsten beim Europäer; dann folgt
Weib, Neger, Malaie;
3) der Fuss am grössten beim Neger, am kleinsten beim Malaien; in der
Mitte stehn die Europäer.
Nehmen wir in gleicher Weise die ungeschwänzten Allen, so zeigt sich Folgendes:
a) Wenn die Länge der Wirbelsäule = 100, so nimmt sowohl der Arm als auch
das Bein in folgender Reihe an Länge zu: Gorilla, Chimpanse, Orang, Hylobates.
")) Hiernach stimmen also unsere Ergehnisse mit denen vom Humphry (der freilich 25 Negerskelete, 4 Chimpanses,
2 Orangs und 3 Gorillas verglichen) Burmeister und Ecker überein. Humphry at Treatise on the Human
Skeleton Cambridge 1858 pag. 106 ete. Zur Kenntniss der Eingeborenen Südaustraliens v. Alex. Eclier. —
Berichte der naturh, Gesellschaft in Freiburg im Br. Bd. 11. No. 22, 23. 24. — Burmeister geolog. Bilder.
2. Bd. Leipzig 1853 pg. 116 ect.
Abhandl. d. Senckenb, naturf. Ges, Ba. Vv. 36
_— 32 0 —
Für die Länge des Arms bildet daher der Gorilla das Mittelglied zwischen den
beiden Extremen dem männlichen Europäer und dem Hylobates. Für die Länge des
Beines bildet der Gorilla mit dem Chimpanse das eine Extrem der Neger
und der Malaie aber das andre. An letztere reihet sich der Hylobates und das
europäische Weib, am ersten der männliche Europäer und der Orang.
b) Aus den Differenzen der Extremitäten und ihrer einzelnen Theile ergiebt sich:
1) Der Arm ist grösser als das Bein. nimm aber in folgender Reihe ab:
Orang. Gorilla, Hylobates, Chimpanse;
2) Der Oberarm ist grösser als der Unterarm (besonders beim Gorilla). nur
beim Hylobates wird er kleiner;
3) Der Oberschenkel ist zwar immer grösser als der Unterschenkel, doch
nimmt er vom Gorilla zum Hylobates allmählich an Grösse ab.
4) Der Fuss ist nur beim Hylobates kleiner als die Hand.
Neben diesen so eben angegebenen Grössen - Verhältnissen dürfte in Betreff der
Ober- und Unterextremitäten noch Folgendes zu erwähnen sein:
1)
Bei dem Neger finde ich das Schulterblatt breiter und niederer als beim Euro-
päer. Der Winkel, den beide Ränder gegen die Gelenkfläche hin bilden, ist
kleiner. Die fossa supraspinata ist länger, aber niederer und flacher, denn die
spina scapulae ist auffallend lang, aber weniger hoch, und dreht sich nicht um
ihre Längsaxe wie es bei dem Europäer zwischen der ineisura colli scapulae
und dem acromion der Fall ist. Der proc. coracoideus ist in seinem freien
Theile länger und nach aussen und vorn mehr über die Gelenkfläche geneigt.
Die Axe des caput humeri bildet mit der Mittelebene des
Körpers einen kleineren Winkel als beim Europäer. Hier ist sie
nach innen, dort aber mehr nach hinten gerichtet. Ferner muss es
auffallen, dass die Axe der Gelenkfläche des proc. cubitalis,
welche bei dem Europäer mit der Längsaxe des humerus einen spitzen
Winkel nach aussen bildet, hier bei dem Neger fast einen rechten
Winkel darstellt. Es wird daher der gestreckte Arm des Negers mehr
gerade sein, während der Arm des Europäers an seiner äussern Seite zwischen
Ober- und Unterarm einen grössern oder kleinern Winkel bildet. Daher kommt
es, dass die Hand (in der Supination) bei gestrecktem Ellenbogengelenk nach
aussen von der Axe des Oberarms und bei der Beugung nach innen zu liegen
2)
3)
—_— 2383 —
kommt. Für den Arm wäre noch zu erwähnen, dass die Ulna an ihrem
oberen Ende eine stärkere Biegung macht.
Zur Unterextremität übergehend bemerke ich, dass an das in allen seinen
Durchmessern kleinere Becken der Oberschenkel mit kurzem steil
liegenden Schenkelhalse sich anlegt. Die fossa trochanterica ist weniger
tief. Beachtenswerth finde ich noch ganz besonders, dass die obere Schenkel-
epiphyse sehr rasch in die sehr schmale Diaphyse, welche letztere an ihrer
hinteren Seite eine sehr grosse linea aspera hat, übergeht. Ebenso springt
die untere Epiphyse rasch unter der noch immer schmalen Diaphyse knollig
hervor. Endlich tritt das tuber, welches die nach vorn aufsteigende fossa
intercondyloidea nach aussen begränzt, auffallend vor.
Das Skelet des Malaien ist, wie aus der an vielen Stellen noch vorhandenen
Trennung der Epiphysen wahrzunehmen, noch nicht vollständig ausgewach-
sen. Es hat sehr fein gebildete Knochen. Man könnte es für das eines Weibes
halten, widerspräche nicht das Becken etc. in seinen Verhältnissen. Auch hier
ist zu bemerken, dass in der Ansicht von oben die Axe des Humeruskopfs zur
Axe des proc. cubitalis nicht wie bei dem Europäer in einem Winkel von 20°
steht, sondern hier gleichfalls grösser ist und dass der Humeruskopf daher sich
weiter nach hinten gerichtet zeigt. Ferner steht die Axe des proc. cubitalis
zur Längenaxe des Oberarms gleichfalls, wie bei dem Neger, in einem mehr
rechten Winkel. Der Malleolus externus am Sprunggelenk steigt nicht so tief
herab als es im Verhältniss zum internus beim Europäer der Fall ist. Die
Feinheit der Hand und des Fusses ist in den Abbildungen ersichtlich.
Für den Gorilla wäre zu erwähnen: Die fossa supraspinata wird viel grösser,
die fossa infraspinata aber, in welcher die Wurzel der spina scapulae herab-
steigt, viel kleiner. Die Drehung dieser spina in ihrem freien Theile um
die Längsaxe kommt hier nicht vor. Die Axe im Gelenkkopf des humerus
ist mehr nach hinten gerichtet, die Axe des proc. cubitalis bildet nicht wie
bei dem Neger einen rechten, sondern nach aussen einen spitzen Winkel.
Der Radius ist sehr stark nach aussen gebogen, ebenso die Ulna nach
hinten; daher günstigere Verhältnisse für Pronation und Supination.
Rücksichtlich des Oberschenkels ist anzugeben, dass der Schenkelhals
sehr geneigt ist und dass der Trochanter major höher steht als der Kopf des
Femur. Die Axe des Femurhalses fällt mit der Drehaxe der untern Condylen
36*
— 184 —
fast in eine Ebene, während bei dem Menschen erstere mit letzterer einen
Winkel von 35° bildet ').
Tibia und Fibula entfernen sich in ihren Diaphysen gleich wie Radius und
Ulna sehr weit von einander, und durch die geringere Länge der letzteren
steht der äussere Knöchel höher und die Gelenkfläche für den Talus liegt bei
senkrecht stehender Tibia in ihrem mittleren Theile nicht wie beidem Men-
schen horizontal, sondern ragt nach aussen in die Höhe, woher dann auch
der Talus mit dem äusseren Rande seiner Rolle höher zu liegen kommt.
Ziemlich dieselben Verhältnisse zeigen sich bei Troglodytes niger.
Die Umstände brachten es mit sich dass ich die Skelete dieser Thiere
nicht auseinander nehmen durfte; wir müssen uns daher mit obigen Andeu-
tungen begnügen. Wer Ausführlicheres sucht, der studiere die schöne Arbeit
des Herrn Professor Owen’).
4) Die Extremitäten des Orang schliessen sich den vorher erwähnten Verhält-
nissen ziemlich an. Auch hier zeigt uns der Gelenkkopf des Oberarms eine
nach hinten gerichtete Stellung. Ich habe die Winkel, in welchen die Axen
des oberen und des unteren Gelenkes des Humerus in horizentaler Projection zu
einander stehen, am Orang genauer betrachtet und fand diesen 38° gross, wäh-
rend ein menschlicher Humerus einen Winkel von nur 18° zeigte.*)
Ebenso steht die Axe des proc. eubitalis in einem ziemlich rechten Winkel
zur Längsaxe des Humerus. Bezüglich des Oberarms theile ich noch mit,
dass das Mittelstück in seinem unteren Theile sich sehr stark nach hinten
krümmt und nach vornen concav wird.
Der Femur zeigt zum Unterschied von den vorigen Allen einen sehr steil
\ v
1) H Meyer, Lehrbuch der Physiologischen Anatomie, pag. 141.
2) Transactions of the zoological Society vol. V. part. I „Osteological contributions lo the natural
History of the Anthropoid Apes.*
3) Die Bestimmung dieses Winkels wurde vermittelst meines Orthographen (vid. Morphologie der Rassen-
schädel 1. Heft) sehr leicht vollbracht. Nachdem die Axen beider Gelenkenden am Knochen gefunden waren,
legte ich das Bein horizontal auf eine erhöhte Unterlage, stellte weine Glastafel vor den mit seiner
Längenaxe ihr zugekehrten Knochen senkrecht auf den Tisch, und punktirte nun, indem ich meinen Ortho-
graphen horizontal wider das Glas hielt, durch einen feinen Pinsel mit Tusche die Lagen der Axen in ein-
ander, Empfehlenswerth wird es sein die Axen durch Stahlspitzen, wie Herr Professor W. Henke thut,
zu bezeichnen. Sie haben nicht allein den Vortheil der genaueren Bestimmung, sondern sie dienen auch dazu,
im Falle das eine Ende des Knochens das andere dem Auge verdecken sollte, durch die weiter reichenden
Stahlenden die Richtung der Axe vollkommen genau auf das Glas zeichnen zu können.
— 385 —
stehenden Schenkelhals. Die Axe dieses Schenkelhalses bildet mit der Axe
der unteren Gelenkköpfe in der Längsaxe des Knochens gesehen einen Winkel
von ungefähr 10° (Mensch 35°). Die Knöchel des Unterschenkels stehn wie
bei den vorigen gleich hoch.
5) Dem Hylobates leuciscus ist eigen, dass das caput humeri gleichfalls
wenig nach hinten tritt, der proc. cubitalis aber wieder eine etwas schräge
Lage von innen und unten nach aussen und oben annimmt. In der Diaphyse
des Oberarms erscheint auch eine Beugung, jedoch nicht wie beim Orang
mit der Convexität nach hinten, sondern nach vorn. Das Schulter-
blatt, welches bei dem Orang, trotzdem bei ihm der spitze scharfe obere hintere
Winkel des Menschen fehlte, doch im Ganzen dem des Menschen ähnlicher war
als die der anderen, erhält jetzt eine noch grössere fossa supraspinata als der
Gorilla, denn die Wurzel der spina neigt sich mehr dem unteren Winkel zu.
Der Arcus der symph. oss. pub. wird jetzt sehr klein, der Schenkelhals
sehr kurz und die Spitze des Trochanter major überragt den Kopf des Femur.
Der Hals dieses Knochens bildet aber wieder einen grösseren Winkel zur Axe
der Condylen, als bei den vorhergehenden Affen.
Von Interesse muss es nun aber auch sein, bei den geschwänzten Affen
die Verhältnisse der Extremitäten zum Rumpfe zu untersuchen. — Freilich begegnen wir
hier einer Schwierigkeit, die uns das Vertrauen auf ein sicheres Ergebniss im Ver-
gleich zu den vorigen sehr zweifelhaft erscheinen lässt. Wir haben vorher bei dem Men-
schen und den menschenähnlichen Affen für die Längenbestimmung der Wirbelsäule das
Schwanzbein mitgerechnet. Die Länge des Schwanzes aber bei diesen Thieren mit in
Rechnung zu bringen, müsste wegen der verschiedenen Grösse desselben manchen Wider-
spruch erwecken. Ich habe es daher vorgezogen, die Messung nur bis zu dem Ende der
ächten Wirbel (so weit noch ein Canal vorhanden) auszudehnen und nach der Längen-
ausdehnung vom Atlas bis zum Ende des letzten ächten Schwanzwirbels den Pro-
centsatz zu berechnen:
_— 2386 —
Länge-Messungen.
lalg| # SE RT Es [Es .ledal e$
Name |2|4|a|8: selee H je ler<laral 85 |saslessı Sa
alu s| 2]& |xa JEla Ella| 83 |E8Als5P| E83
8 © © fe) Fe} be] Le} © -„» » 2 Sopriä2, =3
= |= 17 el Bl = Ad |A AoFlAHB
Semnopith. 3951530| 146 195 | 175 | 108 | 170 88,3) 118,5] + B. 135/+ U.6/-F0.20|+F.62
entellus.
Semnopith. 250 340 124 | 111 | 74 | 115 892] 121,4| + B. 90+ U.7+0.13| +F.41
comat.
Colobus 435 550 206 | 180 | 105 | 175 79,09 100) +B. 115] = |+0.26] +F.70
gueriza.
Cercopithecus 455580 190 | 200 | 105 | 173 83,6| 106,6| + B. 1251+U.32|+U.10|/+F.68
Patas.
Cercopithecus 363440 165 | 165. | 70 | 125 907) 110) +B.77+U.5| = |+E5
ruber.
Inuus silva- 4521555 180 | 218 | 158 | 123 | 188 87,7) 107,7) + B. 103/+ U.5)+0.60)+F.65
nus.
Inuus nemes- 54001460 170 | 160 | 105 | 150 98,7) 111,1] + B.60|+ U.8/+0.10/+F.45
trinus.
Cynocephalus 490 1574 223 | 202 | 115 | 175 106,5| 124,8] + B. 841+U.20 +0.21|+F.60
leucophaeus.
Cynocephalus 1575/5801640 265 | 228 | 145 | 205 100,9| 111,1] + B. 60/4+U.15)+0.37|+F.60
mormon.
Macacus 5141560 210 | 200 | 210 | 110 | 180 79,1 86,2] + B. 46 +U.10 +U.10)-+F.70
gelada.
Ateles panisc. 465485 170 | 170 | 122 | 155 101,09| 105,4] +B.20/+0.4| = |+F.33
Ateles Belzeb. 415/420 147 | 139 | 115 | 145 1203) 121,7! + B.5/+0.4|+ 0.8|+F.30
Cebus capu- 2801332 120 | 110 | 75 | tt 82,3), 97,6| + B.52/+ 0.5/+0.10/+F.36
einus,
Callithrix. 165226 16| 73| 50| 75 68,7/ 94,11 + B.61|+ 0.414 0.3, +F.25
sciurea.
Hapale jacch. 1241175 57 | 57 | 40 | 68 6881| 97,2] +B.51'+0.4| = |+F.28
Lemur catta. 230 350 132 | 122 | 60 | 103 66,6] 101,4| + B.120 |+U.21/+0.10)+F.43
Otolienus 1001205 70 58 30 70 75,1) 154,1] + B. 105[+ U. 4 +0.12) +F.40
senegalensis. |
—_— 3 —
Nehmen wir also diese Ausd hnung zu 100 an, so sehen wir die Länge des
Arms im Vergleich zu den vorigen sehr rasch abnehmen. Hatten wir noch mit
132,8 den kürzesten Arm beim Gorilla, so hat hier der längste (Ateles) 120—101.
Bei den Cynocephalen beträgt sie 106—100 und sinkt bei Callithrix und Hapale auf
68 und bei Lemur catta auf 66.
Aber auch das Bein wird kleiner. Der Orang hatte 128.3. Hier erhalten wir
bei den Cynocephalen 124— 111, bei den Semnopithecen 121— 118, bei Ateles
121—105, bei Cercopithee. 110—106. Bei den Amerikanern aber, Cebus, Callithrix,
Hapale (97 —94), fällt seine Länge noch unter die des kürzesten Beines voriger Reihe,
nämlich das des Gorilla auf 102. Bei Ötolienus ist es aber am grössten, denn es hat
die Zahl 154.
Da diese Verhältnisszahlen jedoch aus den oben angegebenen Gründen weniger
massgebend sein möchten, so wollen wir zu den Differenzen der einzelnen Glieder
übergehen. Wir finden hier
1) das Bein immer länger als den Arm, wenn auch der Unterschied nicht
so gross ist als bei den Menschen. Es stehen daher die geschwänzten
Affen in dieser Hinsicht dem Menschen viel näher als die ungeschwänzten.
2) Rücksichtlich des Ober- und Unterarms finden wir nur bei den Stummelaffen der
alten und den Klammeraffen der neuen Welt beide gleich, oder um weniges
grösser; bei allen übrigen aber ist der Oberarm kleiner,
wodurch diese Thiere sich wieder von den Menschen entfernen.
3) Hier ist der Oberschenkel meist grösser. Bei Hapale, Ateles
paniscus, Cercopithecus ruber wird er gleich, und nur bei Cercopith. patas
und Macacus gelada wird er kleiner als der Unterschenkel. Bei Inuus sil-
vanus ist der Oberschenkel am grössten.
4) Endlich ist der Fuss immer weit grösser als die Hand. Also
stehn auch hierin die geschwänzten Affen dem Menschen weit näher als die
ungeschwänzten.
Mit der Entwiekelung des Schwanzes treten bei den Affen viele Formveränderungen
ein. Zuerst verliert das Brustbein seine Breite; es wird sehr schmal und nur das Ma-
nebrium behält seine frühere Ausdehnung. Mit dem Brustbein wird der Rumpf schmäler
und es bildet sich die kielförmige Gestalt desselben aus. Die Clavicula verliert die
Sförmige Krümmung, die sie noch bei Hylobates hatle; sie wird einfach nach hinten
gebogen. Das Schulterblatt, das bisher mit seiner Gelenkfläche nach aussen und vorn
— 2 —
lag und dessen entgegengesetztes Ende der Mediane sich zuwendete, bekommt jetzt
eine sagittale Richtung. Auch in der Gestalt zeigt dieses Bein Veränderungen; es be-
kommt nämlich an der Pfanne seinen kleinsten Winkel. Die spina scapulae dreht sich
nicht mehr in ihrem freien Theile um ihre Axe, wie es noch bei dem Orang der Fall
war,. und ihr Acromialende bleibt zurück. Der Humerus, der bei dem Orang noch am
stärksten nach hinten convex gebogen war, welche Beugung aber bei Hylobates in die
entgegengesetzte Richtung übergieng, zeigt jetzt überall ganz entschieden seine Convexität
nach vorn; der Gelenkkopf ist jetzt aber ganz hinten und zeigt keine Neigung mehr
nach der Mediane. Der Processus cuboideus legt sich horizontal und bildet in seiner
Gelenkfläche einen rechten Winkel mit der Axe seines Knochen. Gehen wir zu dem
unteren Extremitätengürtel über, so sehen wir das Schambein breit geworden und den
arcus zu weilen fast verschwunden; das os ischii schwillt an und die spina verschwindet.
Das Collum femoris legt sich horizontal und zeigt sich in orthographischer Projection
parallel der Axe der untern Condylen, d. h. es liegt von oben gesehen fast in derselben Ebene
mit der Axe der Condylen. Der innere Knöchel reicht zuweilen tiefer als der äussere.
Es dürften daher noch folgende Unterscheidungsmerkmale als bezeichnend ange-
sprochen werden:
1) Die Richtung des Caput humeri zur Mittelebene des Körpers und seine Stellung
zu dem untern Gelenkende.
2) Die Stellung dieser Gelenkfläche zur Längsaxe des Humerus.
3) Die Beugung der Diaphyse des Humerus.
4) Die Länge des Schenkelhalses, seine Lage zur Mittelebene des Körpers und
zum Trochanter major.
5) Die Lage der Gelenkaxen am oberen und unteren Ende des Femur.
6) Die Stellung der Knöchel am Sprunggelenk.
In Bezug auf 1 bildet der Malaie und der Neger offenbar einen Uebergang vom
Affen zum Europäer, auf 2 bildet der Gorilla eine Zwischenstufe zwischen
Neger und Europäer, auf 3 steht der Mensch in der Mitte zwischen dem
Orang einer- und dem Hylobates nebst den geschwänzten Affen anderseits,
auf 4 bildet der Neger eine Zwischenstufe zwischen dem Europäer und
dem Orang.
— 289 —
Hand und Fuss.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Zusammensetzung des Fusses und der
Hand, suchen wir die Unterschiede zwischen beiden zu präcisiren, und messen wir die
Grössenverhältnisse der einzelnen Theile derselben bei dem männlichen und weib-
lichen Europäer. — Sollte auch manchem der Leser die Wiederholung wohlbekannter
Verhältnisse überflüssig erscheinen, so dünkt es mir doch besser gethan hier genauer
und etwas umständlicher zu Werke zu gehn, als unbekümmert um Kleinigkeiten im
Streben nach einem vorgefassten Ziel gleich unsern Krautjunkern den Graben zu über-
springen.
Die sieben Handwurzelknochen bilden bekamntlich zwei Reihen, von welchen die
hintere (ein Meniskus), von der ulnaren nach der radialen Seite gegen den Vorderarın
einen Bogen darstellt und ebenso jeder Knochen eine gewölbte Gelenkfläche von der
volaren nach der dorsalen Seite bildet. Die drei Knochen der oberen Reihe articu-
liren mit dem Radius und der CGartilago triangularis. Zur Seite in der Vola liegt das
os pisiforme, der Sehne des flexor. ulnaris und Abduct. digit. V zum Ansatze dienend.
Durch die Verbindung der in doppelter Richtung convexen Handwurzelknochen
mit dem entsprechend geformten Ende des Vorderarms wird eine Abduction und
Adduction,. sowie Flexion und Extension ermöglicht.') Dadurch, dass das Os naviculare
mit seiner gewölbten Gelenkfläche nach vorn stark vorspringend, in die Aushöhlung des
os multangulum minus sich einlegt, mit seiner ulnaren Hälfte aber gleich den übrigen
Knochen nach vorn ausgehöhlt sich um die gewölbten Flächen des capitatum und ha-
matum legt, ist Flexion und Extension die einzige Bewegung zwischen den beiden Reihen
der Handwurzelknochen.
In der Stellung des Os multang. majus in einem, wie Henle aufmerksam
macht, rechtwinkligen Ausschnitt der ersten und zweiten Reihe, so dass die Diagonalen
seiner vorderen und hinteren Gelenkflächen mit der Längs- und Querachse der Hand
parallel stehen, beruht die Ablenkung des Daumens, welcher in seinem Sattelgelenk
und seiner abgerückten freieren Stellung die vollkommenste Adduction und Abduction,
1) Huxley sagt: „Die Knochen der ersten Reihe bilden mit den Knochen des Unterarms das Handge-
lenk und sind einer zur Seite des andern angeordnet, keiner die übrigen bedeutend überragend oder umfassend,“
— Wäre diese Schilderung Huxleys richtig und würde das os lunare das os navicul, etc. nicht überragen,
also jenen Bogen nach dem Vorderarm nicht bilden, dann wäre freilich jene Adduction und Abduction unmöglich,
Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges. Bd. V. 5)
— 290 —
sowie Flexion und Extension vollbringt. Erwähne ich nun noch die Kleinheit der
Knochen und die kurze Ausdehnung des Carpus von hinten nach vorn, so habe ich
alle Momente berührt, welche einem Gebilde zukommen, das für eine freie und mannich-
faltige Bewegung als Basis dient; namentlich wenn sie durch die Rotation des Radius
an der Ulna unterstützt wird.
Anders ist es mit dem Tarsus. Hier besteht die erste Reihe aus dem Talus
(als Meniskus) und dem noch voluminöseren mit einer Calx und einem Sustentaculum
versehenen Calcaneus, welche als Kuppel und als Pfeiler des von hinten aufsteigenden
Gewölbes das hintere Drittel des ganzen Fusses darstellen. Mit dem Unterschenkel ist
sie durch ein Scharnier-(Schrauben-)Gelenk, in sich aber und mit der vorderen Reihe
der Tarsalen, wie uns H. Meyer lehrt, in einer beschränkten Rotation verbunden.
Im Verein mit diesen letzten und den in straffen Verbindungen vereinigten fünf
Metatarsalen, deren Köpfchen durch lig. capitulor. aneinandergebunden sind, wird
die Wölbung nach vornen geschlossen, durch das starke lig. caleaneo-cub. und
calcaneo-navic. aber im Innern befestigt. So sehen wir ein Gewölbe, welches median-
wäris höher und länger, lateralwärts kürzer und niederer, von vorn nach hinten und
von einer Seite zur andern sich ausdehnt und in welchem durch die doppelte Reihe
der Knochen am innern und die einfache am äussern Rande, sowie durch die ab-
wechselnd nach vorn und nach hinten verlegte Verbindung der einzelnen Tarsalen mit
den Metatarsalen Festigkeit und geringere Verschiebung auf hintereinander liegenden
Querebenen abwechselnd median- und laberalwärts vertheilt wird.
Von den Metatarsen ist der erste der grösste und dickste, der zweite der
schmälste und längste. Der Metatarsus I. bildet als der Pfeiler des hohen Gewölbes
mit dem Boden auf dem er steht einen Winkel von ungefähr 40°, der fünfte jedoch
einen von nur 25°. Die Verbindung des letzteren mit dem Cuboideum ist etwas we-
niger straff als die jenes I. Die festeste Verbindung aber hat der Metatars. I. Was
die Verbindung des Metalarsus I. mit dem Os cuneiforme betrifit, so ist sie eine Am-
phiarihrose, in welcher sich der Metatarsus der Zehe horizontal, lateral- und median-
wärts, in geringerem Grade auch vom Dorsum nach der Planta verschieben lässt. Das
cuneiforme I. ist von innen nach aussen flach gewölbt und hat in der Mitte eine
horizontal liegende geringe Einziehung, ist aber keineswegs ein Sattelgelenk.')
1) L. Fick sagt I. c, pag, 450: Wenn wir uns nun endlich zum letzten Unterschiede wenden, nämlich
zur Vergleichung des Hand- und Fuss-Daumens, so ist schon in dem Vorhergehenden so eben ein grosser Unter-
schied angegeben, Es ist zunächst hervorzuheben, dass es falsch ist, wenn man glaubt, die grössere Beweg-
— 291 —
Jedes Capitulum hat seinen grössten Durchmesser in senkrechter Richtung ; es hat
eine Ginglymus- und eine Arthrodie-Fläche. Alle besitzen Hemmungsflächen für
die Dorsal-Flexion, welche in dem Metatarso-Phalangeal- Gelenk die Plantar-
Flexion weit überwiegt (erstere beschreibt einen Bogen von circa 35°, letztere
von eirca 17°). Die Mittelstücke der Metatarsen haben nicht wie die Capitula parallel
liegende Sagittaldurchschnitte, sondern in dem Metatarsus IV und V divergiren sie
von den andern lateralwärts.
Die Metacarpen zeigen uns nun folgende bemerkenswerthe Unterschiede von
jenen. Sie sind kürzer, dieker und stärker, ihre sagittalen Ebenen nach der Vola ver-
längert treffen mit der des III zusammen. Dort war der zweite, hier ist der dritte
Knochen der am wenigsten verschiebbare. Die Ginglymo-Arthrodie zeigt hier
vorherrschend volare Flexion, weniger dorsale (erstere 90°, letztere eirca 15°).
Die Hemmungsfläche für die dorsale fehlt hier an den Köpfen, Während dort alle
durch Lig. capitulor. aneinander befestigt waren, ist hier der Metacarpusl. frei.')
Die Phalangen bilden am Fusse die kürzeste Abtheilung und nehmen hier
an Länge zur dritten rasch ab. Die Phalanx I hat eine verhältnissmässig lange fast
drehrunde Diaphyse, aber eine dicke Epiphyse. An edr zweiten und dritten schwindet
die Diaphyse fast ganz. — Die Phalangen der Finger sind in ihren drei Abtheilungen
weit länger und breiter als am Fuss. Die Epiphysen sind kleiner im Verhältniss zu
den Diaphysen, welche auf ihrer Volar-Seite ilach mit seitlichen Längskanten, auf der
lichkeit des Daumens sei zurückzuführen auf einen specifischen Unterschied zwischen der Gelenklläche des Dau-
mens am multangulum majus und des Hallux am cuneiforme I. Beide Gelenkflächen gehören in die Klasse der
Sattelgelenke und beide lassen eine allseitige Bewegung zu; in beiden ist die Bewegung nach zwei sich
schneidenden Ebenen hin etwas freier als nach den in den Winkeln gelegenen Richtungen,
Wenn man bei den meisten Füssen das Saltelgelenk zwischen Hallux und cuneiforme I, sehr abgeflacht
findet, so ist diese Verkümmerung lediglich die Folge der Fussbekleidung, und ich habe schon öfter Menschen-
füsse beobachtet, wo dieses Gelenk zwar nicht vollkommen so frei, wie bei dem Affenfusse, aber doch bedeu-
tend freier, die Sattelläche bedeutend deutlicher entwickelt war, als man gewöhnlich findet. —
Auch Herr Professor Henke ist gleicher Meinung mit mir, wie wir aus seinem Aufsatze „Contraeturen
des Metatarsus (Zeitschrift für ralionelle Mediein von Henle u, Pfeufer, II. Reihe, XVll. Band, pag. 192) sehen,
1) Es ist doch eigentlich auffallend, dass Huxley des Querbandes zwischen Capt. metatarsi I und II, durch
welches ersterem an seinem vorderen Ende eine Fessel angelegt und ein Entfernen von den übrigen Metalarseu
unmöglich wird, nicht Erwähnung thut, Ist denn diese Verbindung etwas so Unwesentliches? Oder soll auch
sie erst durch die Fussbekleidung, der schon so Vieles „in die Schuhe geschültet“ wird, entstanden sein ?
Scheint es doch, dass der in Tuxley’s Abbildung pag. 105 abgewendete Metalarsus I, wie die schräge Stel-
Jung des Neanderthaler Schädeldachs in Sir Charles Lyell's Werk, dem Laien die Uebereinstimmung des Gorilla
Fecht anschaulich machen soll, — „Man merkt die Absicht und man ist verstimmt!“
37*F
— 292 —
dorsalen aber in Querrichtung gewölbt sind. Durch die Länge der Finger nehmen die
Abtheilungen, Finger, Mittelhand und Handwurzel an Grösse stets ab, während an dem
Fuss das umgekehrte Verhältniss stattfindet. Dort war die erste oder zweite Zehe
die längste, hier ist es die dritte. Daher hier rasche Längenzunahme vom ersten zum
dritten Finger.
Den wichtigsten Unterschied von Hand und Fuss finden wir aber in dem Daumen.
Sein kurzer und dicker Metacarpus artikulirt durch das Sattelgelenk mit dem Carpus
und ist in einem grösseren Winkel von dem Nachbarknochen abgerückt. Ein Lig. capi-
talorum, wie es zwischen allen Metatarsen vorkömmt, ist hier nicht vorhanden und
die Bewegung des Daumens ist desshalb nicht wie dort fast nur auf die Phalangen be-
schränkt, sondern gestattet ihm durch die freie Bewegung des Metacarpus die voll-
kommenste Opposition für alle Finger.
So sehen wir also hier an der Hand die Bewegung der verschiedenen Ab-
theilungen gegen einander veranschaulicht, während gerade umgekehrt bei dem Fusse die
Beweglichkeit ganz in den Hintergrund tritt und die Festigkeit in der Gewölbe-
construction sich documentirt.
Während die längeren kräftigeren Fingerphalangen durch volare Flexion an den
zur Mulde gestellten Mittelhandknochen und durch den mittels des beweglichen Meta-
carpus opponirenden Daumen zum Umfassen von Gegenständen sich eignen, bilden die
kurzen Phalangen der Zehen mit ihrer dorsalen Flexion an dem nach hinten liegen-
den Gewölbe die Radwelle, um welche letzteres, wenn der Schwerpunkt, wie
Henke') nachweist, zwischen den Ballen der grossen Zehe fällt von den
unter dem Calcaneus durchgehenden oder an seine Ferse, als günstiger Hebelarm,
sich ansetzenden Sehnen der Streckmuskeln. beim Gehen aufgerollt wird. Das Ge-
wölbe aber ist wieder hinreichend stark, beim Stehen den durch den Hals des Talus
fallenden Schwerpunkt der Körperlast zu tragen.”)
}) Ein Beitrag zur Bestimmung der absoluten Muskelkraft, Inaugural-Dissertation von Franz Knorz,
Marburg 1865,
2) Wenn Huxley mittheilt, dass die chinesischen Bootsleute mit Hülfe der grossen Zehe das Ruder führen,
die bengalischen Handwerker weben, die Carajas Angelhaken stehlen , oder die barfüssigen Soldaten in Java,
wie Fiek erzählt, ihren auf den Boden ausgezahlten Sold mit den Zehen aufnehmen, so habe ich nichts dagegen
einzuwenden, kann sogar noch hinzufügen, dass die Aegypter auf dem Nil beim Aufsteigen auf den Mast das
Takel zwischen die grosse Zehe fassen, und unsere barfüssigen Schuljungen, weil sie zu faul sind sich zu
bucken, ihre Griffel, Geldstücke oder Anderes, was auf dem Boden liegt mit den Zehen aufheben. Ich glaube,
wir würden es gleichfalls so machen, wenn wir ohne Schuhe herumliefen, und mancher der zu steif im Kreuz
— 2930 —
Fassen wir die Unterschiede zwischen Fuss und Hand kurz zusammen, so sind die
characteristischen Merkmale für den Fuss:
1) Das feste Gewölbe hinten auf der Ferse, vorn auf den Metatarsus-Köpfen
ruhend. 2) Der lange Tarsus mit der ihm eigenthümlichen Anordnung der Knochen,
mit dem Unterschenkel in einem Ginglymus, in sich in einer Rotation und mit den
Metatarsen in einer Amphiarthrose verbunden. 3) Die fünf langen in ihren sagittalen
Durchschnitte parallel liegenden, (der fünfte divergirt) an ihren mit dorsaler Hemmungs-
fläche versehenen und in horizontaler Ebene liegenden Köpfchen, durch Bänder verbun-
denen Metatarsen, von denen der erste der stärkste. 4) Die kurzen Zehen, von denen
die erste und zweite fast gleich lang, und 5) die dorsaleFlexion in dem Tarso-meta-
tarsal-Gelenk.
Die charakteristischen Merkmale für die Hand sind:
1) Die kurze Handwurzel, — ihre Articulation mit dem Vorderarm in einer Arthrodie,
mit dem Melacarpus I in einem Sattelgelenk, mit dem Metacarpus II, II und IV mit
einer Amphiathrose, mit dem Metacarpus V in einer Rotation, und in sich in einem Gin-
glymus, — die eigenthümliche Anordnung ihrer kleinen Knochen. 2) Die vier kurzen
dicken mit ihren sagittalen Durchschnittsebenen convergirenden, an ihren (nicht mit dor-
salen Hemmungsflächen versehenen) Köpfchen befestigten Metacarpen neben einem
geworden ist um sich zu bücken, möchte eine grosse Erleichterung darin finden. Alles Dieses hat aber
mit der Thätigkeit des Daumens, bei welchem der Metacarpus eine Hauptrolle mitspielt, nichts gemein, Die
Chinesen machen freilich mit ihren Füssen Tollheiten genug und sie verstümmeln sie gewiss nach der Schwie-
rigkeit. Troizdem aber, dass bis jetzt, saviel mir bekannt, noch kein Anatom das Glück hatte den Fuss
einer Chinesin zu seeiren, so wissen wir doch davon hinreichend genug um einzusehen, dass gerade hier die
Befestigung der Metalarsus I, mit seinen Nachbarn von besonderer Wichtigkeit ist, da nur durch das Caput
des Metatarsus I, nebst der ihm zugewendeten Ferse der stelzenartige Gang vermitttelt wird,
Wenn endlich Fick sagt: „Dass Neger, Malaien, etc. nicht wie unsere Kinder mit eingedrückten Knieen,
sondern wie die Affen mit abducirten Schenkeln und aufgesetzter Planta klettern, ist Allen, welche in den
Tropen gelebt haben, bekannt“: so möchte ich meinem lieben, leider schon dahingegangenen Freunde antwor-
ten, dass freilich die Jungen auf die von ihm angeführte Weise in den Lahnbergen nach den Vogelnestern
steigen, dass aber im Odenwalde und an andern Orten die Burschen mit abducirten Schenkeln und aufgesetzter
Planta auf den Mast klettern. Dass nackte Fusssohlen hierbei eine grosse Unterstützung gewähren müssen, ist
einleuchtend. Mein Mitbürger, Herr Franz Knoblauch. welcher in Neu-Caledonien ein Geschäft gegründet und
eine Reihe von Jahren daselbst gelebt hat, bemerkte mir zwar, dass die Eingeborenen nur mittels Anstemmen
der Hand und des Fusses Bäume besteigen, er erklärt dieses aber nur dadurch ausführbar dass die Jahresringe
gleichsam als Treppe das Aufsteigen erleichtern und das Anklammern der Brust unmöglich machen.
— 294 —
freien, in einem Sattelgelenk befestigten Metacarpus I; die langen Finger,
von denen der dritte der längste, der dickste aber kürzeste der Daumen, und —
die vorherrschend volare Flexion in dem Carpo-meta-carpal-Gelenk.
Längemessungen an Hand und Fuss‘)
in Millimeter.
ea... 58 E Ba =
= ss. 5 n —
ö == 5 Eee Phalanx E E FR ö Se 2 Phalanx
Hand. > SZ 22 35 a z CH 38 =
EURE RS Eee 2 Sa Ss =
SZ pe u a SET ITE RR 253 3= SU PTSI
Seren Er re
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en 190 33,8 99 147,4 62,6 42,6 29 17,2 233 68,8 101,25 120,2 70,4 27,8 13 Al
europ. Männerı
un dan 168,2 29,5 89,5 135,3 59,6 40,3 25,6 15 211 60,83 100 112,6 66,6 25,5 11,6 8,4
europ. Weibern
Länge der Hand und des Fusses bei Mann und Weib
= 100 angenommen.
N 17,2 52,1 77,5 32,6 22,7 15,2 9,0 27,8 a3 5 30
ännern
a 17,5 53,2 80,4 35,7 23,9 15,32 8,9 28,8 473 533 31,5 12,08 5,4 3,9
eibern
Differenz.
Zwischen: Daumen u. Grosse u. Tarsus u. Mittelhand u. PhlI. II. An des Fusses Daumen u. Zeigefinger
wı " Zeigefinger 2. Zehe. Carpuss, Mittelfuss. pn IL. II. der Hand grosserZehe u.2. Zehe.
. e F H
an 48,3 1895 35 82 14,8 16 6,2 "as "272
ilte h
a ° 45,8 12,6 31,33 7 14,8 14 6,6 10,5 22,7
1) Rücksichtlich der Messungen verweise ich auf die Einleitung für die nächstfolgende Tabelle, Bei
Daumen, Zeigefinger und grosser Zehe ist der zugehörige Metacarpus oder Metatarsus mit gemessen,
— 295 0 —
Vorstehende Tabellen zeigen uns das Weib in allen Theilen der Hand und des
Fusses absolut kleiner, relativ aber grösser. Dagegen sind die Differenzen zwischen Hand
und Fuss beim Manne fast überall grösser, daher bei diesem Hand und Fuss schärfer
ausgeprägt. Die zweite Zehe ist im Vergleich zur ersten und der Zeigeünger im Ver-
gleich zum Daumen beim Manne grösser.
Fuss und Hand des Negers und des Malaien.
(Tafel I. Fig. 1 u, 2, Tafel II, Fig. 11 u. 12,)
Der Fuss unseres Negers ist vielfach verschieden von dem Fusse des Europäers.
Ob die Formverhältnisse übrigens alle typisch oder individuel sind, lassen wir dahin-
gestellt. Wie wir aus vorstehender Tabelle sehen, so ist er absolut kürzer als der des
Europäers im Verhältniss jedoch zu der Wirbelsäule gebracht ist er länger. Vor allen
Dingen ist es die platte Form, die uns auffällt. Einem gutgebildeten Europäer-Fuss
gegenüber gestellt, ist es ein vollständiger Plattfuss. Jener Leichtigkeit und Eleganz
gegenüber, ist hier Plumpheit und rohe Form.
Gehen wir die einzelnen Knochen durch, so finden wir zunächst den Calcaneus
nieder, ihm fehlt die Gewölbebildung zwischen seinem Körper und der Ferse fast ganz.
Er liegt daher fast in seiner ganzen Ausdehnung auf dem Boden auf. Sein vorderer
Theil ist viel dicker und höher als bei dem Europäer und hat nicht die halsartige Ver-
engerung zwischen sich und dem Körper. Das Sustentaculum steht niederer. — Der
Talus in seiner ganzen Ausdehnung niederer und länger, seine obere Rolle liegt mit
dem äussern Rande höher. Er hat einen kürzeren Hals und daher steht die Gelenk-
fläche dieses mit der Gelenkfläche des os ceuboid. fast in einer den Fuss von der
lateralen zur medianen Seite in senkrechter Richtung theilenden Ebene. Beim Europäer
liegt erstere vor letzterer. Die untere Axe des Astragulusgelenk (H. Meyer 1. c. pg
137) war an diesem, während mehrere Tage im Wasser aufgeweichten Fusse,
sehr gut zu bestimmen, sie liegt weniger steil als bei dem Europäer.
Das os cuneiforme II. und II. und das os cuboideum sind kleiner, daher auch der
vor der Axe des oberen Astragelus-Gelenkes liegende Tausus überhaupt kleiner als bei
dem Europäer. — Das os cuneiforme I. zeigt am Metatarsus I. eine flache Rollfläche,
die horizontal von der medianen zur lateralen Seite läuft und einen Radius von 27” hat,
während ich denselben bei einem Europäer 36“ gross finde. In senkrechter Richtung
ist diese Gelenkfläche grade.
— 296 —
Der Metatarsus ist bei dem Neger viel länger. Der Primus ist medianwärts weiter
von seinem Nachbar abgelenkt. Seine Verbindung mit dem cuneiforme I. geschieht in
einer horizontallaufenden, sehr flachen Hohlrolle. Alle Metatarsen sind nach vorn
etwas medianwärts gerichtet.
Was nun die Länge der Zehen betrifft so finde ich dieselben absolut kleiner als
bei dem Europäer; übrigens ist die erste Zehe hier ungleich grösser als die zweite.
Rechnet man aber den Metatarsus mit hinzu, so ist es umgekehrt. Der Fuss = 100
angenommen, sind beide grösser als beim Europäer. ')
Die Stellung der Zehen ist aber schr eigenthümlich, denn sie sind alle nach aussen
gerichtet und bilden einen nach aussen offenen Winkel mit den auffallend nach innen
gerichteten Tarsen. Hieran kann die Fussbekleidung nicht schuld sein. Ebenso wenig
aber kann ein Schrumpfen der Bänder eine Veranlassung abgeben, da wie schon gesagt,
der Fuss mehrere Tage in Wasser gelegen hatte und dieses keine Aenderung hervor-
brachte. Da es an beiden Füssen gleichmässig ist, so mag es wohl ursprüngliche Bil-
dung sein und mit der Flachheit des Tarsus und dem Gang auf der inneren Seite des
Fusses in Verbindung stehen.
Zum Schluss ist noch zu bemerken, dass die Axe des Fusses, wie sie Weber und
Langer annimmt (durch das Köpfchen des zweiten Mittelfussknochens und den unten auf-
liegenden Haken des Fersenbeines) durch die Mitte der Talus-Rolle geht.
Rücksichtlich der Hand haben wir zu erwähnen, dass ihre relative Länge gleich
dem Fusse in allen Theilen grösser und nur der Carpus und der Tarsus relativ kürzer
als beim Europäer ist.
Tafel I. Fig. 11 und 12,
Der Malaie von der Insel Rotti zeigt einen hohen in seinem mittleren Theile breiten,
in dem Fersenfortsatz aber schmalen Calcaneus. Das Sustentaculum steht hoch und der
Fuss ist auf seiner inneren Seite stark ausgehöhlt, Hierzu trägt besonders bei, dass der
Talus stark nach innen geschoben ist. Dieser letztere liegt mit seiner Rolle horizontal,
also mit beiden Rändern gleich hoch. Diese Rolle ist aber hinten schmal und wird nach
vornen sehr breit und es scheint an diesem Fusse die von Langer beschriebene Schrau-
benwindung sehr entwickelt. Auch der Kopf des Talus ist dem Neger gegenüber breit.
) Carl Vogt nennt in seinen „Vorlesungen über den Menschen“ Bd, I. pag. 229 die Zehen länger
als bei dem Europäer, Burmeister aber in seinen „Geologischen Bildern“ Bd, II, pag. 108 spricht von
der Kleinheit der Zehen beim Neger,
—_— 297 —
Der mittlere Theil des Tarsus ist breit und hat grössere Knochen. Das Cuboideum liegt
sehr schräg von hinten und innen nach vorn und aussen. Dadurch ist der Fuss aussen
stark eingezogen. Die Metatarsen sind lang und breit, sind an ihren Köpfchen nicht an-
geschwollen und liegen gerade, der Axe des Fusses parallel. Durch diese Lage und
die Verschiebung des Talus nach innen fällt die Axenlinie des Fusses nahe dem äussern
Rande der mittleren Gelenkfläche. Die zweite Zehe (deren dritte Phalanx wie bei allen
übrigen fehlt) ist in ihrer zweiten Phalanx lang, und dadurch die zweite Zehe länger
als die erste.
Tafel IV. Flg. 5.
Die Hand ist sehr zierlich und es erscheint der kleine Finger länger als es bei
dem Europäer der Fall ist.
Der Fuss und die Hand des Gorilla im Vergleich zum Fuss und zu der
Hand des Menschen.
Tafel I. Fig, 1—10.
Betrachtet man auf Tafel I. Fig. 3 und Fig. 11, so findet man die Knochen des
Tarsus schmal und klein und schmächtig beim Gorilla im Vergleich zum Malaien. Bei
letzterem sind die dicken starken Fusswurzelknochen zu einer Masse aufeinander gedrängt
und in ihrer Längsausdehnung mehr einer Richtung folgend. Bei dem Gorilla sind
die schmächtigen Knochen mehr (sit venia verbo) zerstreut, nach verschiedenen Richtungen
auseinander gerückt, mit Vorsprüngen hier und dort hingewendet. Namentlich sieht man
ausser der stark vorspringenden schmalen und langen Ferse nach vorn die Knochen
nach zwei Richtungen auseinander gehen. Die eine Richtung geht nach vorn und innen,
beginnt in dem Talus und setzt sich von dessen Hals und Kopf durch das flache
und breite Navieulare zum Cuneiforme, geht in den Metatarsus über und endigt in der
dritten Phalanx des Daumens. Die andere Richtung, welche nach aussen geht, beginnt
am vorderen Rande des Calcaneus und an der äussern Seite des Capitulum tali und setzt
sich durch die kurze aber breite zweite Reihe der Tarsalen in die nach aussen ablen-
kenden vier Metatarsen und die Zehen.
In Folge dessen treten auch die Metatarsen in zwei Richtungen auseinander, und
selbst die vier letzten sind nicht so nahe aneinander gerückt wie bei dem menschlichen
Fusse. Wollten wir bei dem Gorilla die von E. H. Weber für den menschlichen Fuss
Abhandl. d. Senekenb. naturf. Ges. Bd. V. 35
=
angegebne Fussaxe anlegen, so würde. wenn wir das Cap. melatars. II. und den Stütz-
punkt der Ferse verbinden, die Rolle des Talus kaum berührt, oder es würde falls man
diese wie bei dem Europäer berühren will, das vordere Ende in den grossen Winkelraum
zwischen erste und zweite Zehe fallen.
Vergleicht man nun die Seitenansichten beider Füsse, so zeigt sich auch hier
das Gespreizte und Haltlose nicht allein in den vordern längeren Abtheilungen, sondern
auch in der Einsenkung in der Mitte der Tarsen, die hier in der Zeichnung durch
Festbinden des Fusses auf die Unterlage wohl etwas zu übertrieben erscheint.
Verkleinern sich nun aber die Abtheilungen von Tarsus zum Metatarsus und von
diesen zu den Zehen bei dem Menschen höchst rasch, so sehen wir bei dem Gorilla
diese drei Abtheilungen in ihrer Länge nur wenig differiren, und würde der Fersen-
fortsatz nicht so auffallend gross sein, so wäre das Längenverhältniss dieser Theile zu
einander hier sicher gerade ein umgekehrtes.
Doch gehen wir zur Betrachtung der einzelnen Theile. ')
Der Calcaneus?’) des Gorilla, wenn er gleich die Länge dieses Knochens bei dem
Menschen hat, ist doch viel niederer und schmäler. Die Höhe seines Körpers be-
trägt 30° (Mensch 40“), seine Breite hinter dem Sustentaculum 25° (Mensch 37°), der
hintere Fortsatz, die eigentliche Ferse, hat inihrer Höhe 34° (der Mensch 40), und
die Breite desselben beträgt 22” (bei dem Menschen 27”). Sie ist durch einen schlanken
Hals an das Mittelstück befestigt. Das untere Ende der eigentlichen Ferse läuft in einen
rundlichen Kopf aus, während dieser Fortsatz bei dem Menschen durch ein lateral stehendes
Tubereulum sehr an Breite gewinnt. Das Sustentaculum tali ist breit und steigt nicht
vom Körper wie bei dem Menschen nach aufwärts in die Höhe, so dass es mit dem
höchsten ebenen Ende der Ferse in der Seitenansicht eine gleiche Höhe zeigte, sondern
es steigt nach innen und fast nach abwärts. Stellt man nämlich den Knochen so. dass
der längste Durchmesser der Ferse senkrecht steht, so liegt das Ende des Sustentaculum
fast in gleicher Höhe mit ihrem unteren Ende. Der vordere Fortsatz des Calcaneus
ist zur Bildung des Sinus tarsi sehr weit ausgebuchtet. An seiner vorderen Gelenkfläche
1) In der „Denkschrift des Offenbacher Vereins für Naturkunde zur Säcularfeier der Senckenbergischen
Stiftung 1863“ findet sich in der reichhaltigen kritischen Zusammenstellung der Gorilla-Literatur von
Dr, R. Meyer pag. 13 und 14 eine genaue Schilderung der äusseren Oberfläche der Hand und des Fusses.
?) Man vergleiche die trefflichen Abbildungen der Skelettheile der Hand und des Fusses eines männlichen
Gorilla. Osteological Contributions to the natural History of the anthropzid. Apes. TA, 10 and 11 in den
Transactions of the zoological Society of London Vol V, part I,
— 29 —
für das Os cuboideum findet sich eine durch die Mitte der Fläche von oben bis zum
untern Rande herablaufende Vertiefung, welche diese Fläche von der medianen zur
lateralen Seite in zwei gleichgrosse in einem ohngefähr rechten Winkel zusammen treffende
Flächen theilt. In diese legt sich das Os cuboid. mit seinem hintern jener Form ent-
sprechenden Fortsalz.
Der Talus hat durch die gesenkte Lage des Sustentaculum eine starke Neigung
nach der Mediane, daher seine Rolle in transversaler Richtung einen spitzen Win-
kel mit der längsten Ausdehnung des Fersenfortsatzes bildet, während dieser Win-
kel bei dem Menschen sich als ein fast rechter zeigt. Es steht daher die rollen-
artige obere Gelenkfläche aussen höher als innen (bei dem Menschen horizontal).
Rücksichtlich der Form dieses Knochens ist zu bemerken, dass seine innere seitliche
Gelenkfläche in einem stumpfern Winkel zur Rollfläche steht und dass der Kopf des
Talus nicht blos auf einem längeren Halse sitzt und mit seiner grössten Ausdehnung
weniger steil als beim Menschen liegt, sondern dass er auch nicht nach vorn, sondern
stark nach innen und vorn vom Talus sich ausdehnt.
Das Os naviculare, welches von vorn nach hinten und von oben nach unten
eine viel geringere Ausdehnung, dagegen eine viel grössere Breite als bei dem Men-
schen hat, ist durch die vorhergehend erwähnten Formverhältnisse des Talus weniger
steil gelagert und tritt mehr nach innen und nach unten über die Fläche des Fusses.
Es liegt daher mit seinem hinteren Rande mehr seitlich der vorderen Gelenkfläche des
Calcaneus und überragt dieselbe weder so weit nach vorn noch nach oben. Das
Os cuboideum, welches viel breiter als lang ist, sowie die übrigen Fusswurzel-
knochen sind alle miteinander viel kleiner und namentlich viel kürzer als beim Menschen,
und es verdient erwähnt zu werden, dass das Os cuneiforme tertium nicht so wie bei
dem Menschen seine beiden Nachbarn nach vorn überragt.
Das Os cuneiforme I muss aber unsere Aufmerksamkeit etwas mehr in Anspruch
nehmen. Dieser Knochen, der mit seiner oberen Fläche nicht in fortlaufender Ebene
mit dem Os navieulare wie bei dem Menschen liegt, sondern medianwärts mit diesem
Knochen einen Winkel bildet, hat an seiner vorderen äusseren Kante (Tafel II. Fig. 3
u. 7) eine Rolle, welche mit der an sie gehefteten grossen Zehe ein Scharniergelenk
bildel. Diese Rolle hat einen Radius von 6” (Tafel II. Fig. 6 und 7) und in ihrer
Mitte einen Einschnitt, welcher senkrecht auf ihrer Axe steht (Tafel II. Fig. 4, a b.)
Diese Axe, um welche sich die grosse Zehe flectirt und extendirt, liegt in einem spitzen
Winkel zur Flexionsaxe des Metatarsus IV und V (vid. Tafel II. Fig. 4). Diese Stelle
38*
— 30 —
unterscheidet sich in hohem Grade von der entsprechenden beim Menschen, denn bei diesem
liegt jene Gelenkfläche gerade vorn am Knochen und nicht an der medianen Kante; ferner
zeigt sie in transversaler Richtung eine leichte Einziehung. Die Wölbung dieser Fläche geht
von aussen nach innen und gehört einem Radius von 35—40” Länge. Sie bildet also
mit der Flexionsaxe des Metatarsus IV und V einen rechten Winkel.
Zwischen dem lateralen Ende der Rolle und der lateralen oberen Ecke des Cunei-
forme I, (welche an den Metacarpus der zweiten Zehe stöst) ist eine Entfernung von
10”, so dass zwischen den Metatarsen beider Zehen keine Berührung, sondern ein freier
Raum vorkommt. Tafel II. Fig. 3.
Was nun die Metatarsen betrifft, so sind sie mit Ausnahme des der ersten Zehe
in ihren Körpern und ihren Köpfchen stärker, dicker und länger als die entsprechenden
des menschlichen Fusses. Der Metatarsus der zweiten Zehe ist der längste, der der
ersten der kleinste. Die Basis der Metatarsen ist wie bei dem Menschen. Es steht
übrigens die des dritten Metatarsus nicht zurück. Der Durchschnitt der Körper ist länglich
rund zu nennen (mit Ausnahme des fünften, welcher dreieckig), die mediane und die
laterale Seite sind die grössten und flachsten, die plantare und dorsale sind dagegen ge-
wölbt. Die plantare Seite des Metatarsus V ist nicht wie bei dem menschlichen Fusse
nach aussen gerichtet, sondern sieht nach der Planta. Alle Köpfchen sind dicker und
grösser als beim Menschen und bilden auch hier eine Ginglymo-arthrodie; doch ist die
Curve des Köpfchens beim Menschen mehr nach der Dorsalseite ausgebildet, so dass.bei
letzterem die Dorsalflexion begünstigter ist. Auch die Köpfchen liegen zu einander nicht
wie bei dem menschlichen Fusse mit ihrer Axe in einer geraden, sondern in einer Bogen-
linie, deren Convexität nach oben schaut. Der Metatarsus primus; ist wie schon gesagt am
kürzesten, dabei aber am dicksten. Er hat in seiner Basis eine Hohlrolle mit einem
Grath und eine nach der plantaren und lateralen Seite vortretende Erhöhung. Der Quer-
durchschnitt seines Körpers ist dreiseitig mit einer dorsalen, medianen und lateralen
Fläche und einer plantaren Kante. Sein Köpfchen zeigt eine Rolle mit einem Einschnitt.
Wenn gleich der Metatarsus der grossen Zehe stärker als die übrigen, so ist doch
dieses Verhältniss lange nicht in dem Grade wie bei dem menschlichen Fuss vorhanden.
Was nun die Phalangen betrifft. so wäre von der ersten Zehe nichts Beson-
deres zu erwähnen. Dagegen sind die der andern Zehen sehr verschieden von denen
des menschlichen Fusses. Die des ersten Zehengliedes sind in Körper und Epiphysen
länger und stärker als die des Menschen; die Epiphysen sind nicht so angeschwollen
im Verhältniss zum Körper. Der Körper ist breit, auf seiner dorsalen Seite gewölbt
= 301 —
und auf der plantaren eben, an der zweiten und dritten Zehe finden sich zwei seitliche
Kanten. Dasselbe Verhältniss zeigen die zweiten Zehenglieder. Auch sie gleichen mehr
den Phalangen der Hand als des Fusses. Weniger gilt dieses von der dritten Phalanx.
Die zweite Zehe ist die längste. Stellt man einen normal gestalteten menschlichen Fuss
auf eine horizontale Fläche, so berühren bekanntlich nur die Capitula metatars. I und V, sowie
der Fersenfortsatz die Unterlage; dabei nimmt die Rollfläche des Talus den höchsten Punkt
ein (70°), wobei der mediane Stand dieser Gelenkfläche kaum niederer steht als der late-
rale, der Fersenfortsatz steht mit seinem längsten Durchmesser fast senkrecht. Der Rücken
des Fusses steigt ziemlich gleichmässig von Reihe zu Reihe nach vornen abwärts und die
Metatarsen und Phalangen liegen in gleicher Richtung mit der Ganglinie der Talus-
rolle, d. h. mit der Längsaxe des Fusses. Anders ist es mit dem Fusse des Gorilla.
Legt man diesen auf eine horizontale Unterlage (vid. Tafel I.Fig. 2) so berühren die
Zehenspitze aller Zehen und die Ferse den Boden. Letztere liegt aber schräg, denn sie
hat ihren längsten Durchmesser nach aussen und oben gerichtet. Die höchste Stelle
nimmt auch hier die Rolle des Talus, jedoch nur mit ihrem äusseren Rande ein (50%),
Die Axe der Rolle aber läuft in schräger Richtung abwärts nach innen, der Fuss-
rücken hat in der Richtung der vorderen Handwurzelknochen eine Einsenkung. welche
zwischen os navieulare und cuneiforme I am tiefsten wird, daher ist der Tarsus an
dieser Stelle auch flacher. Die Richtung der Metatarsalknochen und Phalangen bilden
mit dem Längsdurchmesser des Fersenbeines oder Beugungs- und Streckungsebene des
Talus verschiedene Winkel; — die grosse Zehe medianwärts, die übrigen lateral-
wärts. Endlich steht die grosse Zehe mit ihren Metatarsen in einem starken Winkel
zu den übrigen Zehen. Besonders ist noch hervorzuheben, dass die Furche für die
Sehne des Peron. longus wegen der Kürze der Tarsusknochen der zweiten Reihe fası
quer läuft. Dass die volare Flexion der Zehen die dorsale weit übertrifft, scheint aus
Owen’s Bemerkung: dass die Zehen nur mit Anstrengung zu strecken wären, hervor-
zugehen.
Tafel IV. Figur 1 bis 4.
Die Hand des Gorilla gleicht in allen Stücken der Menschenhand, nur ist sie in
allen Theilen grösser, stärker und kräftiger ausgeprägt, mit Ausnahme des Daumens,
welcher nicht blos relativ. sondern absolut kleiner ist als der des Menschen.
Während die Körper des Metacarpus langgestreckt, auf der Dorsalseite eben und
in der volaren Seite nach vorn kantig sind, zeigen namentlich ihre Capitula ein stärkeres
— 302 —
Gepräge. Die Gelenkflächen springen in scharfer Kante in die Vola hervor (Fig. 3),
die Sinus laterales sind sehr tief und die Tubercula laufen auf der Dorsalseite in einen
Grath zusammen und bilden ein Hemmniss für eine übergrosse Dorsal-Flexion. Rück-
sichtlich der Phalangen wäre als besonders zu bemerken, dass die Phalanx I. auf ihrer
volaren Seite durch kammartiges Uebergreifen der seitlichen Ränder vollkommene
Pinnen zeigen. Fig. 3. Auch hier sind die Gelenkenden stark angeschwollen.
Auch bei dem Gorilla hat der Daumen gleich der Menschenhand ein vollkommen
entwickeltes Sattelgelenk, (Tafel IV, Fig. 4) doch ist er sowohl im Ganzen als auch
in seinen einzelnen Theilen schwächer, kürzer und schmächtiger als der menschliche
Daumen. An den Zeigefinger angelegt, reicht er nur zum oberen Gelenkkopf der
Phalanx I. Der menschliche Daumen reicht fast bis zu ihrem vorderen Ende.
Die so plumpe schwere Hand des Gorilla, welche zugleich, wie wir aus den
starken Hemmungsflächen an den Köpfen der Metacarpen sehen, zum Stützen des
Körpers beim Fortbewegen dient, bildet einen auffallenden Gegensatz zu dem leichten
und fein gebildeten Fuss.
Die Länge der Phalangen dieses letzteren, die dicken kräftigen Metatarsen, die
vorherschende volare Flexion in den Phalango-Metatarsalgelenken, die seitlich gewen-
dete Richtung der grossen Zehe der Ginglymus am Metatarsus I, der Mangel eines lig.
capituli, die freie Bewegung des Metatarsus I, die Kürze der vorderen Tarsen, ihre
eleichmässige Lagerung neben einander, die Kürze des Naviculare und die Endigung des
vorderen Tarsus gegen den hinteren fast in einer Querebene — zeigen uns ein Ge-
bilde, welches die Eigenschaften zum Greifen gleich einer Hand hat. Der Talus mit seiner
aussen höher liegenden Roll-Fläche und seiner nur geneigt liegenden inneren Gelenk-
fläche, die Richtung seines Gelenkkopfs nach innen und unten und seiner mehr längs
als quer liegenden unteren Gelenkfläche — der schmächtige Calcaneus um seine Längs-
axe nach innen geneigt und mit dem gesenkten sustentaculum, wodurch eine Aushölung
möglichst schwindet, sind dagegen Gebilde, welche wenig geeignet scheinen der Masse
dieses Thieres als alleinige Stütze zu dienen und einen aufrechten Gang zu bedingen.
Während wir aus dem Talus und Calcaneus, welche bei allen Säugethieren an
dieser Stelle vorkommen und den Beginn des terminalen Endes der Hinterextremität
documentiren, den Fusstheil anerkennen müssen, sind die vor ilım liegenden Gebilde, trotz
dem wir ein Naviculare, Cuboideum, Tuberculum Metatarsi V. finden, dadurch dass sie
kurz sind. eine sehr freie Rotationan dem Calcaneus und Talus haben, welche letztere durch
die mehr querliegende Axe des unteren Astragalus-Gelenk und die geneigtliegende Axe
— 230.0 —
in dem oberen Astragalus-Gelenk unterstützt wird, — Gebilde, welche eine sehr beweg-
liche Basis für die vor ihnen liegende Hand abgeben.
Fuss und Hand des Chimpance.
Tafel II, Figur 1 bis 4 und Taf, IV. Fig. 6,
Der Fuss des Chimpance') hat im Ganzen die grösste Aehnlichkeit mit dem des
Gorilla. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich doch auch manche auffallende Unter-
schiede. Die Länge beider uns vorliegender Exemplare (beide ausgewachsene Weibchen)
ist im Ganzen ziemlich gleich, doch sind die einzelnen Theile sehr verschieden. Wäh-
rend nämlich der Chimpance im Metatarsus und den Phalangen an Länge den Gorilla weit
übertrifft, ist dieser wieder länger in der Fusswurzel. (Chimpance 80”, Gorilla 90°)
Dieses ist ganz besonders veranlasst durch das längere Fersenbein und Talus. Bei dem
oedreht und sielit mit
Chimpance ist das Fersenbein noch mehr um seine Längsaxe g
der äusseren Fläche nach unten. (Bei dem Würzburger Gorilla übrigens, den ich der
Gefälligkeit des Herrn Hofrath Kölliker verdanke, ist die fast gleiche Bildung dieses
Knochen). Die grössere Länge des vorderen Theiles des Fusses beruht dagegen beim
Chimpance auf der grösseren Länge der ersten Phalanx der vier letzten Zehen. Ferner
wäre zu erwähnen, dass wenigstens bei dem Würzburger Gorilla die innere (mediane)
seitliche Geleukfläche des Talus zu der oberen Rolle in einem weit grösseren sehr
stumpfen Winkel steht, die äussere aber in einem spitzeren als bei dem Chimpance.
Die grosse Zehe ist an beiden ganz gleich, daher beim Gorilla grösser im Vergleich
zu den anderen Zehen.
Tafel IV, Figur 6
Nur wenig Verschiedenheit besteht zwischen der Hand beider Thiere. Der Chim-
pance zeigt eine längere und schmälere Hand, sowie eine grössere Länge der Meta-
carpen und der Phalangen, dagegen hat er nicht jene Längskanten auf der Volarseite
der ersten Phalanx. Die Daumen beider gleich, daher auch hier wieder dieser beim
Chimpance im Vergleich zu den übrigen Fingern kürzer.
1) Man vergleiche das Pracht-Werk: Recherches d’Anatomie compar&e sur la Chimpance par W. Vrolik pg. 12,
— 304 —
Der Fuss und die Hand des Orang verglichen mit dem des Gorilla.
Tafel III. Fig, 5 bis 9.
Hier findet ein ähnliches Verhältniss statt wie zwischen dem Chimpance und dem
Gorilla. Beide Füsse vorliegender Exemplare (auch der Orang ist ein altes Weib-
chen) sind fast gleich lang. Allein der Gorilla ist länger in dem Tarsus, der Orang in
dem Metatarsus und den Phalangen. Beim Orang ist der Fersenfortsatz kurz und nicht so
um seine Axe gedreht. Die äussere Seite derselben bildet auch nicht in dem Grad einen
spitzen Winkel mit dem Querdurchmesser der Rolle des Talus.. Die Knochen des
Tarsus sind alle kleiner. Die vier äusseren Metatarsen aber länger und nach vornen
glatt angeschwollen. Die ersten Phalangen sind viel länger als bei dem Gorilla, da-
bei aber stark von der hintern zur vordern Epiphyse gebogen, auf der Volarseite
flach, auf der dorsalen aber im Querschnitt gewölbt. Auch die zweite Phalanx
ist grösser. Was nun aber die erste Zehe betrifft, so ist diese viel kürzer und
schmächtiger. Der Metatarsus bewegt sich auf einer Rolle des cuneiforme I. und stellt
ein vollkommenes Charniergelenk dar. (vid. Fig. 7.a.b.) Bei einem getrockneten in Bänder
präparirten Orangfuss, welcher im Wasser aufgeweicht wurde, finde ich übrigens die
Axe dieser Rolle in einem viel spitzeren Winkel zu den übrigen Basen der Metatarsen
als bei dem Gorilla (vid. Tafel III, Fig.6 a—b.) An einem jungen Orang, den ich in Wein-
geist aufbewahre und an dem die Muskeln, Arterien und Nerven präparirt sind, finde ich
eine überaus grosse Schlaffheit des oberen und unteren Tarsusgelenks, sowie ein sehr
bedeutendes Rotationsvermögen zwischen Talus und Cuboid. einerseits und den übrigen
Tarsusknochen. Bei meinem jungen Orang lassen sich z. B. die Capitula Metatarsi um
die Längsaxe des Fusses um 102° rotiren, während bei dem Menschen diese Rotation
von aussen medianwärts nur in einem Winkel von 56° geschehen kann. Endlich
aber findet sich die volare Flexion in dem Metatarso-phalangeal-Gelenk gleich den an-
deren Affen auf's Vollkommenste ausgebildet, während die Dorsal-Flexion nur sehr be-
schränkt ist.
Die Hand (Taf. IN. Fig. $, 9) des Orang unterscheidet sich durch einige Eigenthüm-
lichkeiten. In dem Carpus findet sich nämlich zwischen Multangulum, Capitatum, Naviculare
ein eigener Carpusknochen, welcher mit dem Multangulum minus, sowie mit dem Capitatum
artieulirt und die vordere Gelenkfläche des os naviculare (für das das Capitulum des os
capitat.) ergänzt und vergrössert (W. Vrolik 1. e.). Ferner ist ein kleiner erbsenförmiger
Knochen nach hinten an der Daumenseite des os multangulum majus und ist hier nichts
— 305 —
anders als die von den Os multangulum m. getrennte Eminentia carpi radialis inferior
des Menschen. Im Ganzen ist die Hand länger und schmaler und schlanker als beim
Gorilla. Alle Knochen sind schmächtiger, die Metacarpusknochen aber und die Pha-
langen sind länger. In dieser Hinsicht ist die Hand des Orang weit ähnlicher dem
Chimpanse, doch ist charakteristisch für sie die stark über die Fläche gebogene erste
Phalanx (ganz wie an dem Fuss). Endlich ist zu bemerken, dass der Daumen kürzer
als bei dem vorigen. Letzterer articulirt wie bei dem Menschen und den andern
Allen in einem Sattel.
Der Fuss und die Hand des Hylobates leuciscus.
Tafel II, Figur 10 und 11, Tafel IV, Fig. 7 und 8.
Der Tarsus ist hier verhältnissmässig länger und grösser, allein der Fersenfort-
satz ist kurz und statt nach unten, nach oben ausgehöhlt, aber nicht um die
Axe gedreht. Der äussere Rand der Talusrolle steht wie bei allen Alfen aussen höher.
Die grosse Zehe ist ungleich grösser und stärker als beim Orang und artieulirt auf
einer Walze im Charnier. (Fig. 11a.b.) Rücksichtlich der Hand wäre aber ganz be-
sonders zu bemerken, dass am Carpo-Metacarpalgelenk des Daumens kein Sattel, son-
dern eine freie Arthrodie vorhanden, indem die ausgehöhlte pfannenartige
Gelenkhöhle am Metacarpus des Daumen auf einem runden Gelenkkopf des
Multangulum majus artikulirt. (Siehe Tafel IV, Fig. 8, wo der Carpus von der
Volar-Seite abgebildet ist.)
Längemessungen der einzelnen Theile der Hand und des Fusses bei
Menschen und ungeschwänzten Affen.
Die Messungen für die nächstfolgenden Tabellen sind in nachstehender Weise
genommen. Die Länge des Carpus von der oberen Gelenkfläche des os lunatum zum
Metacarpus II. — Des Tarsus vom oberen vorderen Ende der Rolle des Talus zum
Metatarsus II. — Die Länge des Daumens und des Zeigefingers der ersten
und zweiten Zehe ist zweimal gemessen. Einmal für sich und das zweitemal
schliesst die Messung den dazu gehörigen Metacarpus und Metatarsus mit ein. — Der
Metacarpus und Metatarsus (für sich) so wie die Phalangen sind an der
Hand amı Mittelfinger, an dem Fusse an der zweiten Zehe gemessen.
Athandl. der Senckenb. naturf. Ges. Bd, V. 39
— 306 —
Der Kürze halber werde ich im Text die Maasse wo die Metacarpen und die
Metatarsen mit den Fingern und Zehen zusammen gemessen sind, „erste, zweite
Finger- oder Zehenreihe‘“ nennen.
A. Längemessungen der Hand und des Fusses in Millimeter.
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| IS A | |
Mittel aussechs 190 BSR 62,6 97,81147,4|42,6 |53,3| 82,3| 92,2] 233! 68,8 70,4 |114,3 120,2 27,8)56,1| 54) 48,1
Europäern. |
Mittelaus sechs 168,2|29,5[59,6. 87,8|135,3140,3 |47 | 75 | s3,1] 211! 60,3 | 66,6 1103 |112,6 25,5149,2| 47, 43,3
Eur. Weibern. |
Malaie. 180 |32 |65 | 94 |152 |45 210'59 |72 |106 1121 25 |
Neger. 180 |30 |65 [100 |147 43 |53 | 77 | 90 ||230155 |73 115 |124 30 155 | 50 48
Gorilla. 1220 |37 183 | 85 1175 53 |44 | 85 1109 235] 48 |73 96 |148 |38 |46 | 75 71
Chimpance. [240 |28 |85 | 88 [193 |63 |48 |107 130 ||243|46 |76 108 |165 ‚46 |51 | 89] 84
Orang. 'yu30 127 |87 | 78 |198 72 |42 |111 |130 || 255] 44 |83 72 \189 '60 |28 106/121
Hylobates 152 |IS |53 | 62 |128 41 |33 | 73 | 82 ||135|27 |43 65 | 91 |25 |29 | 48) 56
leueisc.
30%7
B. Die Länge der Hand und des Fusses = 100.
j 2: b.; caumd: ä
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Mittel aus 6| 17,7 32,6 51,41 77,5 |22,7 |28,16 |43,3 |48,6 127,8 | 30,2 | 60,4] 51,5| 11,9 | 24,07) 23,1 20,6
Europäern.
Mittel aus 6 | 17,5/35,7) 521804 |23,9 |27,9 |44,6 |49,4||28,8 |31,5 | 61,2! 53,3] 12,081 23,3 | 22,2 20,5
Eur. Weibern
Malaie 117,735 | 52,2|84,4 |25 28,09| 34,2 | 58,8) 57,6| 11,9
Neger 16,6 37,2] 55,5|81,1 123,8 [29,4 |42,7 |50 |23,9 |31,7 | e3,8| 53,9| 13,4 \23,9 | 21,7! 20,8
Gorilla | 16,8) 37,7| 38,6|79,5 |24,09|20 138,6 |49,5 20,4 |31,06| 40,8 62,9| 16,1 | 19,5 | 31,9] 30,2
Chimpance |11,6 35,4| 35,4180,4 |262 |20 [44,5 15411188 |31,2 | 44,4 68,7) 18,8 | 20,9 | 36,4| 34,5
|
|
Orang |11,7|37,8| 33,9| 86,08 | 31,3 |182 |482 |56,5 17,2 |32,6 | 28,2| 74,1123,5 [10,9 | 41,5| 47,4
Hylobates |11,8/34,8| 40,7|84,2 |26,9 |21,7 |48,02|53,9|20 |31,8 | ag,| 67,6l18,5 [21,4 | 35,5| 41,4
leuciscus |
| |
Aus vorstehenden Tabellen glaube ich Folgendes als besonders von Interesse
entnehmen zu können:
1) Der Neger ist in dem Metacarpus und Metatarsus, in Folge dessen auch in der
ersten und zweiten Finger- und Zehenreihe (vid. Tab. A., Columne a, b, c, d)
und in der Phalanx I der Finger und der Zehen absolut grösser als der Euro-
päer, in allen andern Theilen aber kleiner.
Aus Tabelle B. ergiebt sich aber,
dass auch die Finger länger werden, der Carpus, Tarsus und die Zehen aber
kleiner bleiben.
2) Vergleichen wir die drei ersten ausgewachsenen weiblichen Affen mit dem
menschlichen Weibe, so zeigt sich rücksichtlich der relativen Grösse folgendes:
39*
3)
4)
— 308 —
Carpus, Tarsus, Daumen und grosse Zehen nehmen bei den unge-
schwänzten Allen entschieden ab. Die erste Phalanx der Hand und des
Fusses,. sowie die übrigen Finger und Zehen werden entschieden grösser.
Der Neger steht durch die grössere Länge der ersten Hand- und Fuss-
reihe, (a.b. e.d. B.) sowie die Kürze der Zehen und die Länge des Daumens
den Affen ferner, als die Europäer. In der Kürze des Carpus und Tarsus
tritt er ihnen näher.
Der Gorilla steht weder rücksichtlich der Hand noch des Fusses dem Menschen
näher als der Chimpance oder der Hylobates. Scheint er auch an einer Stelle
ihm näher zu stehen. so en!fernt er sich an einer andern wieder um so mehr.
C. Differenzen zwischen einzelnen Theilen der Hand und des Fusses.
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Europäer | +Z29 | +M 99 | +1 231 | + 651) +2238 | +F 283 |+F 441| +T35 | +Mt 32
Europäisches | +228 | +M 81| +I 22 | +II 37| +2 22 | +F 25,8 F 39 +T 5313| +Mt 7
|
Weib
Neger
Gorilla
u || Karen F42 |+T2 | +Mts
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+Z224 |+Mıi3 | I
za | EM oa | IT a9 em are rzZo | MIO F38 |+Tıl | +Me 10
Chimpance | 4259 | +M 33 | +ıı ss | + 5 | +23 | +F ıs F4 | +T18 | +Mc9
Orang
Hylobates +Z40 | +M 9 |+1I 19 |) +II 8) +D 4 | +F 25
2.69: | +M 19 {IT Te | mas DA | +F 5 |, moue | Tacz | +Me 4
| |
| |
|
|
|
|
— 309 —
Rücksichtlich der Differenzen dürfte wohl Folgendes zu bemerken sein:
a. an der Hand:
Die Differenz zwischen Daumen und Zeigefinger weit kleiner
beim Menschen als bei den Affen (29 Europäer, 41 Gorilla). Unter ersteren
hat der Neger einen grösseren Daumen, unter letzteren der Hylobates, Gorilla.
Neger, Europäer — Hylobates, Gorilla.
Die Differenz zwischen Zeige- und Mittelfinger kleiner beim
Menschen als bei den Affen. Bei ersterem hat wieder der Neger den grösseren
Mittelfinger, bei letzteren der Gorilla. Die Reihe würde also sein: Europäer,
Neger — Hylobates etc., Gorilla.
b. an dem Fuss:
Die Differenz zwischen erster und zweiter Zehe beim Menschen
ehr cering, bei den Affen sehr gross (Europäer 2.1”. Gorilla 29°)
un
Bei dem Menschen ist die erste Zehe grösser als die zweite (beim Neger
am grössten [6"). bei dem Affen die zweite Zehe grösser als die erste. Die
Länge der grossen Zehe nimmt zu: Europäer, Neger und bei den Affen
Gorilla etc. Hylobates.
Die Differenz zwischen zweiter und dritter Zehe ist bei dem
Europäer grösser als bei dem Neger d.h. die zweite Zehe ist grösser. Eben-
so ist es bei dem Gorilla und Chimpance. Umgekehrt wird aber die dritte
Zehe grösser als die zweite beim Orang und Hylobates (vermehrte
Handbildung). Die Reihe würde hier sein bezüglich der Grösse der zweiten
Zehe: Neger, Europäer — Gorilla, Chimpance, Hylobates,. Orang.
c. zwischen Hand und Fuss:
Die Differenz zwischen dem Daumen und der grossen Zehe ist
bei Menschen und den höherstehenden Affen gering d. h. die grosse Zehe ist
elwas grösser als der Daumen. Anders ist es bei Hylobates und Orange:
hier wird der Daumen viel grösser als die grosse Zehe.
Die Differenz zwischen dem Zeigefinger und der zweiten Zehe
ist bei dem Menschen am grössten. Auch bei Hylobates ist sie gross, da
hier die zweite Zehe kleiner geworden.
Die Differenz zwischen dem dritten Finger und der dritten
Zehe bei dem Menschen etwas grösser, besonders bei dem Neger.
— 310 —
Die Differenz zwischen Carpus und Tarsus ist bei dem Menschen
viel grösser. Hier bei dem Neger, unter den Affen bei dem Hylobates und
Gorilla am wenigsten. Europäer, Neger, Orang, Chimpance, Gorilla, Hylo-
bates.
Die Differenz zwischen Metacarpus und Metatarsus zeigt bei dem
Menschen den Metatarsus grösser und zwar vorzüglich bei dem Europäer.
Bei den Affen aber den Metacarpus grösser, besonders bei Gorilla und Hylo-
bates. Der Metacarpus wird grösser: Europäer, Neger. — Orang, Chim-
pance, Hylobates, Gorilla.
Hand und Fuss der geschwänzten Affen und Halbaffen.
Wie wir gesehen, ist der Fuss bei den geschwänzten Affen weit grösser
als die Hand, bei Hylobates war dagegen die Hand grösser als der Fuss. Wenn gleich
letzterer sich hierdurch sehr von den niederen Affen entfernt, so ist doch Fuss und Hand
im Ganzen, sowie das Verhältniss der Metatarsen, Metacarpen und der Phalangen zu
einander bei letzteren dem Hylobates ähnlich.
Beim Gorilla und Chimpanse ist die zweite Zehe (mit ihrem Metatarsus) am längsten
und gleichmässig bis zur fünften nahmen die Fussglieder an Länge ab. Zuerst beim
Orang zeigte sich die dritte Zehe als die längste, dann folgte die vierte, die zweite
und zuletzt die fünfte. Ebenso war es bei dem Hylobates.
Bei den niederen Affen ändert dieses Verhältniss jedoch auch wieder. Hier hat
z. B. das vierte Fussglied meist eine gleiche Länge mit dem dritten. Zuweilen ist aber
das fünfte Fussglied länger als das zweite (Inuus silvanus), dann wieder das zweite
länger als das fünfte. Zuweilen sind die Phalangen weniger lang. die Metatarsen
aber länger (Macacus Gelada), zuweilen umgekehrt (Colobus Guereza). Bei Hapale
wird sogar der fünfte Metarsus länger als die andern. Ebenso wechselt die Länge
der grossen Zehe. Letztere artieulirt aber überall auf einer Rolle, die in
ihrer Oberfläche eine mehr oder weniger mit der Axe schräg sich kreuzende
Sinziehung hat. Der Calcaneus hat keinen starken Fersenfortsatz und ist auf seiner
untern Fläche eben. Das Sustentaculum steht geneigt und der Talus in Pronation,
wodurch seine Axe für das Sprunggelenk nach Aussen einen Winkel mit dem Horizont
bildet.
— 311 —
An der Hand ist überall das Os centrale. Das Os pisiforme bildet einen
langen Fortsatz und articulirt überall mit der Ulna und dem Os triquetrum, was bei den
höheren Affen nicht der Fall. Der Daumen ist bald länger bald kürzer, ebenso die
Finger (der dritte der längste) und die Metacarpen; (bei Macacus gelada die Finger
kurz und die Metacarpen lang). Der Metacarpus I articulirt fast überall mit dem Mul-
tangulum majus in einem mehr oder weniger ausgebildeten Sattelgelenk. Bei Ateles
aber trägt der Metacarpus eine ausgehöhlte Gelenkfläche, welche am Multangulum
mit einer entsprechend gewölbten Rolle, deren Axe senkrecht auf einer die Basis der
übrigen Metacarpen verbindenden Ebene steht, sich verbindet. Der Metatarsus I aber
artieulirt in allen den Fällen, welche ich genauer zu untersuchen Gelegenheit hatte,
(Ateles Hapale) gleich wie beim Gorilla auf einer Rolle.
Betrachten wir doch auch hier einzelne Formen etwas eingehender.
Colobus Guereza.
Tafel I, Fig, 3—6.
Die Hand (Fig. 3) dieses zeichnet sich aus durch einen verkümmerten Daumen-
stummel, indem nämlich auf dem Metacarpus I nur eine sehr verkümmerte Phalanx I
articulirt, die zweite aber vollkommen fehlt.') Der Metacarpus I bewegt sich auf einer
Rolle des Multangulum majus, deren Axe wohl in einem fast rechten Winkel mit einer
Linie steht, welche die Basis der Metacarpen mit einander verbindet. Von einem freien
Sattelgelenk ist hier keine Spur. Die Metacarpen der übrigen Finger, die nach oben
schmäler, nach den Phalangen breiter werden, haben an den Carpo-metacarpal-Gelenken
Sesambeine. Die Phalanx I und II ist stark gebogen. Der zweite Finger ist mit
seinem Metacarpus kürzer als der fünfte. Bei den Carpusknochen ist das Os centrale
zu erwähnen, welches gleichsam als die vordere Hälfte des naviculare hominis der
einen Seite des Os capitati eine Hohlfläche darbietet und mit einer convexen Fläche
mit dem Os multangulum minus articulirt. Die erste Reihe der Carpalen artieulirt mit
dem Radius wie bei dem Menschen, es steht aber auch die Ulna mit dem Os triquetrum
und dem pisiforme in vollkommener Articulation. Bis auf das Carpo-metacarpal-Ge-
lenk des Daumens, welches weniger freistehend als bei dem Menschen nur eine Flexion
") An meinen beiden Skeletten von Ateles fehlt die erste Phalanx, da aber der Metacarpus stark
gewölbt, so scheint diese hier beim Skeletiren abhanden gekommen zu sein.
— 312 —
und Extension besitzt und die Phalango-metacarpal-Gelenke, bei welchen die Volare-
Flexion durch die Sesambeine etwas weniger entwickelt scheint, sind die Verhältnisse
ganz analog der Menschenhand.
Der Fuss. Was nun den Fuss von Colobus Guereza betrifft, so ist rücksicht-
lich der Phalangen zu bemerken, dass die erste wie die zweite Phalanx von vorn
nach hinten gebogen sind und daher nach der Vola concav sich zeigen. Aber auch
im Querschnitt sind sie gleich denen der Hand auf dem Rücken convex und auf der
Vola concav. Ferner ist zu bemerken, dass die 3. und 4. Zehe (nebst Metatarsus) die
langste;: die 2. kürzer als die 5., die erste jedoch die kürzeste ist. In gleichem
Verhältniss stehen die Metatarsen für sich. An den Gelenken dieser mit den Phalangen
finden sich Sesambeine. Diese Metatarsen articuliren (von dem 2. bis 5.) mit von
oben nach unten gewölbten Gelenkflächen an der zweiten Reihe der Tar-
sen, wie auf Taf. I, Fig. 9 bei dem Cynocephalen zu sehen ist. Anders verhält es
sich mit dem Metatarsus I. Hier artieulirt eine Hohlrolle des Metatarsus auf einer Rolle
des Cuneiforme I. wie bei den anderen Alfen. Nur dadurch ist dieses Gelenk ver-
schieden, dass die Rolle (Fig. 6a) des Cuneiforme auf ihrem oberen Theile plötzlich
eine Aushöhlung bekommt, in welcher ein Meniscus mit Knochenkernen liegt. Dieser
Meniscus (Fig. 6b) ist nach beiden Seiten convex den Knochenflächen zugewendet und
ist an dem oberen und hinteren Rande des Gelenks mit einer feinen Lage von Binde-
gewebe angeheftet. An diesem Rande liegen zwei osteoide Knochenstücke, welche nach
dieser Richtung die Gelenkhöhle vertiefen (Fig. 6. cc. — Fig. 5 ). Von den Tarsus-
knochen wäre nur zu erwähnen, dass das Naviculare sehr steil steht und seine hintere
Gelenkfläche mehr von oben nach unten liegt; dass der Kopf des Talus seine grösste
Ausdehnung von oben nach unten hat, dass die Ferse nicht abwärts hervorspringt. son-
dern mit ihrem oberen Ende, gleich wie bei dem Hylobates nach oben schniebenförmig
ausgezogen ist der Calcaneus in seiner ganzen Länge auf dem Boden aulliegt und eine
Wölbung in der Sohle nicht vorhanden ist.
Uynocephalus mormon und hamadrias.
Tafel I. Fig. 7—9
Was die Länge der Finger (mit den Metacarpen) betrifft, so ist der 3. und 4. gleich
gross und der 2. hat fast gleiche Länge mit dem 5. Das Daumenglied ist verhältniss-
mässig lang. Der Metacarpus I steht mit einem sehr abgeflachten Sattelgelenk mit dem
— 353 —
multangulum majus in Verbindung. Die übrigen Metacarpen haben an ihren Basen von
der dorsalen Seite gewölbte Gelenkflächen, durch welche sie mit den Carpalen in Ver-
bindung stehen (Tafel I, Fig. 8). Das Os centrale ist vorhanden, das Os pisiforme
articulirt mit dem triqueirum und mit der Ulna, was bei dem Orang sowie bei dem
Menschen nicht der Fall. Es scheint hier gleich der Ferse als günstiger Hebelarm für
den Flex. ulnaris beim Gehen zu wirken. Der carpus ist gross.
Am Fusse sehen wir die 2. und 3. Zehe gleich lang, weit kürzer die 4. und 5.
Der Daumen mit seinem Metacarpus ist gross. Letzterer articulirt mit einer Hohlrolle
auf einer Rolle des cuneiforme I, dessen Axe steil von oben und aussen nach unten
und innen läuft. Die übrigen Metatarsen verbinden sich durch von der dorsalen zur
volaren Seite gewölbte Flächen mit den eorrespondirend concav ausgehö hlten Flächen
der Tarsalen. Der Tarsus ist miltelgross, das Os navieul. liegt steil und ebenso seine
hintere Gelenkfläche. Es berührt seitlich das Os cuboideum. Der Talus ist pronirt und
seine Axe für das Sprunggelenk bildet mit dem Horizont. wie bei allen Allen, einen
Winkel nach aussen.
Cebus capueinus.
Hand. Die Carpusknochen mit dem Centrale sind wie bei den anderen Affen. —
Die Cartilago triangularis mit dem lig. suberuentum fehlt und das Os triquetrum und pisi-
forme artieulirt unmittelbar auf der Ulna. Das multangulum majus zeigt eine Rolle,
welche in der Mitte etwas vertieft ist, auf derselben artieulirt in rechtem Winkel die
Hohlrolle des Metacarpus I. welcher entsprechend jener Vertiefung erhöht ist. Die
Axe dieser Rolle steht in einem grösseren Winkel zu den Axen der übrigen Meta-
carpalen als bei Ateles. Rücksichtlich der Länge der Finger ist zu bemerken, dass der
3. und 4. Finger gleich lang ist, dass der 2. stärker und nur wenig länger als der 5.
ist. In dem Phalango-metacarpal-Gelenk ist eine weit freiere Flexion und Extension,
obgleich hier Sesambeine.
Fuss. Die Ferse steigt nicht frei abwärts, sondern aufwärts und der Calcaneus
bildet von hinten nach vorn eine mehr gleichmässige Stütze. Die Bänder sind schlaff,
aber die Rotation am Fussgelenk beschreibt nur einen Bogen von 60° und ist daher
viel geringer als bei dem Orang. An dem Phalango-Metatarsusgelenke der übrigen
Zehen ist Flexion und Extension wie an der Hand sehr gross. Das Os cuneiforme hat
eine Rolle, deren Axe in einem rechten Winkel zur Axe der übrigen Metatarsen von
Abhandl. der Senckeib. naturf. Ges. Bd. V. 40
— 3141 —
oben und vorn nach unten und hinten steht. Sie wird an der Oberfläche von einer
Vertiefung, welche von oben und innen nach unten und aussen schräg herabläuft, ge-
kreuzt. Die 3. Zehe ist fast gleich an Länge mit der 4. Zehe, kürzer die 2. und am
kürzesten die 5.
Otolicnus senegalensis.
Tafel I. Fig, 10.
Die Fussbildung von Otolienus senegalensis hat manches Erwähnenswerthe. Be-
kannt ist der lange Tarsus dieser Thiere, daher diese Familie den Namen Macrotarsi
hat. Der gleichmässig langgezogene Calcaneus mit in gleicher Richtung hinten heraus-
tretender kurzer Ferse, hat an der Gelenkfläche für das Os cuboid, an der inneren
unteren Seite eine Vertiefung, in welcher ein griffelförmiger Fortsatz jenes Knochen
! De Pe liegt, und um welchen der Calcaneus rotirt, und
Ansicht. zwar um eine Axe, welche horizontal aus dem Hals
des Talus, durch das Os naviculare in das cuboid.
tritt (vid. Tafel I, Fig. 10) — Der Talus articulirt
mit dem Os naviculare in einer Pfanne, und dieser
lange Knochen richtet drei schärfer als gewöhnlich
getrennte Gelenkflächen gegen die drei Oss. cunei-
formia, mit welchen er nach vorn die articulatio
calcaneo-cuboid. weit überragt. !) — Das Os cunei-
forme I zeigt eine in ihrer Mitte verliefte Rolle,
deren Axe von oben und innen, nach unten und
aussen läuft und einen stumpfen Winkel mit den
Basen der übrigen Metatarsen bildet. Auf dieser
Rolle wird der Metatarsus I mittelst seiner Hohl-
rolle flectirt und extendirt. Ob eine erhebliche
Contact von Cuboid. u. Proc.
anterior calcanei.
Otolienus Senegalensis. den, ist wohl, so weit ich zu erkennen im Stande
Adduction und Abduction des Metatarsus I vorhan-
1) Herr Professor W. Henke in Marburg schreibt mir über diese Gelenkbildung Folgendes:
„Zu den beiden Fussgelenken, wie sie beim Menschen, den meisten Affen und vielen anderen Säuge-
thieren zu freier Beweglichkeit ansgebildet sind, kommt ein drittes, in welchem sich das sehr verlängerte Os
naviculare und mit ihm der vordere Theil des Fusses gegen den ebenfalls sehr verlängerten Caleaneus und den
Talus (wie der Radius mit der Hand gegen die Ulna mit dem Oberarm) bewegt. Die Achse des ersten Ge-
— 315 —
bin, zu bezweifeln. An dem Metatarsus I ist namentlich der auffallend grosse haken-
förmige Fortsatz zu erwähnen, an welchen der Peroneus longus die Beugung veranlasst.
Die Metatarsen beginnen alle in einer Querebene neben einander, sind hier kurz und
werden, wie meist bei den Affen, nach vornen hin dicker, so dass sie an Metacarpen
erinnern. Die Phalangen sind im Vergleich zu jenen auffallend lang und der längste
Finger ist der vierte. Der Metatarsus I ist dicker und länger als die andern, ebenso
der Daumen. Die Nägel sind bis auf den der zweiten Zehe platt.
Untersuchen wir nun auch hier wie bei den ungeschwänzten Affen die Längen
der Knochen der Hand und des Fusses.
lenkes (zwischen dem Talus und Unterschenkel Taf, I,, Fig. 10 I.) liegt wie immer quer durch die Talusrolle,
die des zweiten (zwischen dem Talus und dem übrigen Fusse, ibid, ID) nach vorn und der Mitte hin, die des
dritten (Taf. I, Fig. 10. II) gerade von hinten nach vorn, Sie laufen durch den Kopf des Talus, das hintere
Ende des Naviculare und des Processus anterior calcanei hin durch eine nach hinten vorspringende Spitze der
hinteren Gelenkfläche des Cuboid., mit welcher sie nach unten und der Mitte unter die des Calcaneus hinein-
greift. Letztere ist auch beim Menschen angedeutet und geht bei der Betheiligung dieses Gelenks an der Dreh-
ung um die schiefe Achse des unteren Fussgelenks zur Adduction in die Aushöhlung unter dem Sustentaculum
tali hinein. Wenn aber auch die Drehung um jene rein horizontale Achse angedeutet ist, so wird sie eben-
falls achsentragend. (Mittleres Fussgelenk, H, Meyer. Vgl. dessen physiologische Anatomie $. 137 und Henke
Anatomie und Mechanik der Gelenke S. 263).
40*
316 —
A Längemessungen an der Hand und dem Fusse der ungeschwänzten Affen
und Halbaffen nach Millimeter.
Zweite Zehe
48
34
Dritte Zehe
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Neger 150 | 30 | 65 | 43 | 53 | 77 | 90|100| 115 | 230 | 55 | 73 | 30 | 55
Gorilla 220 | 37 | 83 | 53 | 44 | 85 |109| 85| 96 | 235 | 48 | 73 | 38 | 46
Semnopith. entellus. 108 | 13 | 41 | 26 40| 53 | 170 | 34 | 51 | 23
Semnopith. comat. A| 7|/25|2%0 93| s8| 115 | 15 | 36 | 17
Colobus guereza 105 | 11 | 36 | 28 3 | 48 | 59) 201| 60| 175 | 35 | 53 | 27 | 25
Cercopith. Patas. 105 | 17 | 41 | 24 38| 54| 173 | 32 | 59 | 25
Cercopith. ruber 70 | 12 | 30 | 16 29| 38| 125 | 25 | 40 | 15
Inuus silvanus 123 | 13 | 42 | 29 | 22 | 48 | 61| 49 | 69 | 188 | 36. | 55 | 27 | 28
Inuus nemestrinus 105 | 13 | 33 | 27 42| 60| 150 | 30 | 41 | 23
Cynoceph, leucoph. 115 | 16 | 45 | 29 | 28 | 54 | 65 | 57 | 75| 175 | 35 | 55 | 27 | 31
Cynoceph. mormon. 145 | 30 | 53 | 35 | 32 | 61 | 72| 73) 87| 205 | 38 | 56 | 35 | 40
Macacus gelada 110 | 22 | 45 | 20 | 20 | 34 | 46| 64| 60| 180 | 40 | 59 | 21 | 23
Ateles panisc-. 122 | 13 | 40 | 38 19| 50| 155 | 35 | 48 | 28
Ateles Beelzeb 115 | 13 | 41 | 33 20| 65| 145 | 30 | 43 | 28
Cebus capueinus. 75, |91421720210905182021655218381 17:37], A5ı 1 SERIE E952 5332 151921521
Hapale jacch. 48 6 | 16 | 16 32| 29 85 18 | 26
Callithr. sciurea. 50 6| 14 | 13 25| 2383| 75 | 16 | 24 | 14
Lemur catta. 60 6 | 18 | 17 | 16 | 80 | 34} 297 50| 1035 | 21 | 26 | 17 | 22
Otolicnus senegalensis 30 Dad 9 14| 21] 70 | 29 | 10 | 8
— 3517 —
B. Die Länge der Hand und des Fusses = 109.
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Neger. 16 |37,2 |23,8 |29,4 [42,7 |50 |23 |31,7 |ı3,4 |23,9 | 21,7 | 20,8
Gorilla. 16,8 | 37,7 [24,09 20 | 38,6 [49,5 | 20,4 | 31,06116,1 | 19,5 | 31,9 | 30,2
Semnopith. entellus. | 12,03) 37,9 | 24,07 20 30 [13,4
Semnopith. comat. 9,4 | 33,7 | 27,02 13,04) 31,3 114,7
Colobus guereza. |10,4 |34,2 [26,6 | 1,9 145,7 |56,1 |20 [30,2 Jı5,4 | 142 \97,4 Jar:
Cercopithecus patas. | 16,1 | 39,04| 22,8 18,4 | 34,1 114,4
Cereopithecus ruber. | 7,1 | 42,8 | 22,8 20 132° |12
Inuus silvanus. 10,5 | 34,1 | 23,5 | 17,9 | 39,02] 49,7 | 19,1 | 29,2 [14,3 | 14,8 | 26,6 | 35,6
Inuus nemestrinus. 12,3 | 31,4 | 25,7 20 |27,3 15,4
Cynoceph. leucoph. |13,9 |39,1 |25,2 |24,3 | 469 56,5 [20 | 81,4 |15,
Cynoceph. mormon. | 20,6 | 36,5 | 24,1 | 22,07| 42,07| 49,7 | 18,5 | 38,5 |17,07| 19,5 | 34,6 | 34,6
Macacus gelada. 20 |40,9 |18,1 |18,1 |30,9 |41,8 |22,2 | 33,7 |ı2,2 | 12,7 [22,7 [28,3
Ateles panisc, 10,6 | 32,7 | 31,1 22,5 | 30,9 11,6
Ateles Beelzeb. 11,3 | 35,6 | 28,6 20,6 129,6 119,3 |2ı |s8 |40
Cebus capucinus. 18,6 | 26,6 | 26,6 | 26,6 | 46,6 | 50,6 | 20,7 29,7 |17,1 | 18,9 | 34,2 | 36,03
Hapale jacch. 12,5 | 33,3 | 33,3 21,1 | 30,5
Callithrix seiurea 12 |28 |96 21,3 |32 [18
Lemur catta 10 50 38,3 | 26,6 |50 56,6 | 20,3 | 25,2 [16,5 | 21,3 | 33 34,9
Otolienus senegalensis. | 16,6 [30 |30 41,4 | 13,4 |11,4
Metac. u. Daumen
— 318 —
Aus vorstehender Tabelle B wäre zu entnehmen:
1)
2)
3)
4)
5)
a) für die Hand:
der Carpus nimmt bei den geschwänzten Affen an Grösse zu und übertrifft
nicht nur in den meisten Fällen die ungeschwänzten Affen, sondern nament-
lich in einigen Cynocephalen selbst den Europäer,
Auch der Metacarpus wird namentlich bei Cercopithecen und Gynocephalen
grösser, nur bei Cebus Callithrix und einigen andern wird er kleiner.
Die Phalanx I bleibt im Ganzen wie bei den höheren Allen und ist länger
als beim Menschen. Nur bei Macacus Gelada sinkt sie noch unter diesen.
Der Daumen mit seinem Metacarpus I übertrifft (bei Mac. gelada und Hapale
selbst den Menschen) hier meistentheils die ungeschwänzten Affen, während
der Daumen für sich allein an Länge jene bei weitem nicht erreicht.
Zeige- und Mittelfinger bleibt den vorigen im Ganzen gleich.
b) für den Fuss:
1)
2)
3)
4)
Der Tarsus bleibt überall an Länge weit unter dem Menschen, nur bei Oto-
lienus ist er viel grösser. In einigen Fällen wird er grösser als bei den
ungeschwänzten Affen.
Der Metatarsus ist nur bei Inuus kleiner, beim Mandrill aber grösser als
bei dem Menschen und höheren Affen. Bei Otolicnus ist sowohl der Mittel-
fuss als auch die Phalanx I am kleinsten.
Die grosse Zehe bleibt überall klein. Auch in Verbindung mit dem Meta-
tarsus ändert sich im ganzen das Verhältniss nicht. In keinem Fall aber sinkt
die erste Zehe auf die Kleinheit beim Orang, übertrifft aber öfter die Grösse
beim Gorilla.
Die zweite Zehe bleibt wieder gleich der der ungeschwänzten Affen, nur bei
Mac. gelada sinkt sie herab zur Grösse des Menschen. Auch mit der dritten
Zehe tritt keine wesentliche Veränderung gegen die vorigen Affen ein.
319
— —
Dirsrenz ZWIi-
schen d. Zehen
Differenz zwi-
schen d. Fingern
| Differenz EUREN Hand und Fuss
|
Namen Daumen | Zeigefing. |Mittelfing.| Carpus [Metac. III Dame | ZeiesAne| 1, vche | 9 Zehe
1. Zehe | 2.Zehe | 3. Zehe. | Tarsus | Metat. II Zeigefing.|Mittelfing.| 2, Zehe | 3. Zehe
Neger +Z 2 | +F27 ı +F4 +T25 |+M 8| +Z2Z24 |+M13 | +I 5| +12
Gorilla +2 2 | 4F10 | +F3s8 |+Tıı |+Mc10| +Z41 | +M 24 | + 29 | +ır a
Colob. Guereza | +Z 23 0) +Z13 |+T24 |+4Mt ı7 | +Z246 | +M 1 | +11 28 | +01 24
Inuus silv. +2 6/42 2/42 6|+T23 |+Mt13| 4226 | +M13 | +11 22 | + 17
Cynoc. leucoph.| +Z 3 | +F 2 ) +T 19 |+Mt10| +Z226 | +M ı1 | +ır 21 | +17 18
Cynoc. morm. +2 8|+Z10 | +F ı |+T 8 | +Mt 3| 4229 | +M 11 | +11 31 0
Mac. gelada +Z 3142 7425 | +Tı18 |+Mt14| +2 14 | +M 12 | +II ı8 | +III 10
Ceb. capuc. Ze Ze 3 zT | +Mt 13| +Z215 | +M 3 | +11 17 | +III 2
Lemur catta. | +2 6 | 4+Z 4 | +Z 2 ir 15 | +M& 81 4714 | IM 4 | 41 2 | {mM 2
Die Differenzen der Hand und des Fusses geben bei den ungeschwänzten Affen,
Folgendes:
a) an der Hand:
Zwischen Daumen und Zeigefinger.
Der Daumen, welcher bei Colobus
fast verschwindet, wird bei den Cynocephal. namentlich aber bei Macacus ge-
lada, Cebus und Lemur catla wieder grösser.
finger bei letzteren kleiner ist
‚„ so wird auch
Dadurch aber, dass der Zeige-
die Differenz zwischen beiden
Fingern den vorhergehenden, namentlich dem Gorilla gegenüber kleiner. In
dieser Beziehung stehen diese Affen dem Menschen näher als der Gorilla.
Zwischen Zeigefinger und Mittelfinger fällt die Differenz, welche
von dem Europäer durch den Neger zu dem Gorilla gestiegen war, bei den
geschwänzten Affen (Colobus, Inuus, Cynocephalus), auf das Verhältniss des
— 320 ° —
Menschen. Bei Cebus und Lemur catta verschwindet sie fast ganz. Es sind
also auch hier die Verhältnisse wieder ähnlicher dem Menschen.
b) an dem Fusse:
Differenz zwischen erster und zweiter Zehe. Bei dem Neger ist die
erste Zehe grösser als die zweite. Bei dem Gorilla wird plötzlich die zweite
Zehe grösser. Bei dem Cynoceph., Cebus, Lemur sinkt sie aber immer mehr.
Differenz zwischen zweiter und dritter Zehe. Die zweite Zehe
war bei dem Menschen grösser als die dritle, und ebenso zeigte es sich bei
dem Gorilla und dem Chimpanse. Bei Orang und Hylobates wurde die dritte
grösser als die zweite und so bleibt es bei den geschwänzten Affen mehr oder
weniger. Nur bei dem Mandrill sind beide Zehen gleich. Hier finden wir
also mehr eine Bildung ähnlich der Hand.
c) Zwischen Hand und Fuss. Die Differenz zwischen Daumen und erster
Zehe bleibt im ganzen den vorhergehenden Verhältnissen gleich. Nur bei dem
Mandrill und in noch höherem Grade bei dem Coiobus wird sie grösser.
Die Differenz zwischen Zeigefinger und zweiter Zehe, welche bei dem
Gorilla zu Gunsten des Fingers grösser war, wird bei Cyn. leucoph. sehr klein, ver-
schwindet bei Colobus und schlägt nun zu Gunsten der Zehe um. Andeutung der
Hand.
Die Differenz zwischen Mittelfinger und dritter Zehe verbält sich ebenso. Der
Finger, der bei dem Gorilla noch prävalirte, wird jetzt in seiner Länge von der Zehe
übertroffen. Also auch hier wieder Andeutung der Hand.
Differenz zwischen Tarsus und Carpus. Der Tarsus ist hier im Verhältniss zum
Carpus mit wenigen Ausnahmen grösser als beim Gorilla, also auch hier stehen die
geschwänzten Affen dem Menschen näher als dem Gorilla.
Die Differenz zwischen Metacarpus und Metatarsus ist bei den geschwänzten Affen
weit grösser als bei den ungeschwänzten, aber hier ist der Metatarsus grösser als der
Metacarpus; dort war dagegen der Metacarpus grösser als der Metatarsus. Also auch
in dieser Hinsicht stehen die geschwänzten Affen dem Menschen näher als die unge-
schwänzten.
Fassen wir nun noch einmal die Verschiedenheiten zwischen dem Fuss und der
Hand des Menschen und dem Fuss und der Hand der Aflen kurz zusammen.
Für den Fuss des Menschen fanden wir folgende Merkmale characteristisch:
1) Das feste Gewölbe hinten auf der Ferse, vorn auf den Metatarsus-Köpfen
—- 321 —
ruhend. 2) Der lange Tarsus mit der ihm eigenthümlichen Anordnung der Knochen,
mit dem Unterschenkel in einem Ginglymus, in sich in einer Rotation und mit den
Metatarsen in einer Amphiarthrose verbunden. 3) Die fünf langen in ihren sagittalen
Durchschnitten parallel liegenden, (der fünfte divergirt) an ihren mit dorsaler Hemmungs-
fläche versehenen und in horizontaler Ebene liegenden Köpfchen, durch Bänder verbun-
denen Metatarsen, von denen der erste der stärkste. 4) Die kurzen Zehen, von denen
die erste und zweite fast gleich lang, und 5) die dorsale Flexion in dem Tarso-meta-
tarsal-Gelenk.
ad 1 ist zu bemerken, dass der Fuss der Affen weder ein Gewölbe noch weniger
ein festes Gewölbe ist. Denn einmal fehlt durch die Neigung der Drehungsaxe des
Sprunggelenkes gegen den Horizont die Aushöhlung der Fusssohle und dann fehlt die
siraffe Verbindung in dem Tarsus sowie zwischen Tarsus und Metatarsus. Der Affen-
fuss ruht nicht nur (beim Stehen auf zwei Beinen) auf der Ferse und den Köpfchen
der Metatarsen, sondern auch, wie man sich deutlich an lebenden (Cynocephalen, Cebus,
Inuus etc.) Thieren überzeugen kann. auf der Basis des Metatarsus I und V
und dem Körper des langgestreckten Calcaneus. Endlich treten diese Affen beim Gehen
(also auf Vieren) nie mit der Ferse auf, sondern nur mit der vorderen Reihe der
Tarsalen, der Basis des Metatarsus I und V und den Zehen.
ad. 2 ist zu bemerken, dass der Tarsus kurz wird und nicht mehr die Meta-
tarsen und Zehen an Länge übertrifft, dass die Rotation im mittleren Fussgelenk eine
viel grössere und dass die Verbindung der Tarsen mit den Metatarsen weniger eine
Amphiarthrose, als eine Ginglymusverbindung ist. '
ad 3. Die fünf Metatarsen liegen mit ihren sagittalen Durchschnitten nicht parallel,
sondern sie sind nach der Vola gegeneinander geneigt. Die fünf Metatarsen sind nicht
an ihrem Köpfchen verbunden, sondern nur vier und der fünfte ist frei. Ausserdem
haben sie nur selten entwickelte Hemmungflächen wie die Köpfchen des Menschen.
ad 4. Die Zehen der Affen sind lang und meist länger als die Metatarsen. Die
erste Zehe ist kürzer als die zweite, die zweite aber kleiner als die dritte und
selbst die vierte.
ad 5. Die dorsale Flexion ist in dem Tarso-metatarsal-Gelenk nicht vorherrschend,
sondern im Gegentheil die volare Flexion.
Für die Hand des Menschen fanden wir folgende charakteristische Merkmale:
1) Die kurze Handwurzel, — ihre Artieulation mit dem Vorderarm in einer Arthrodie,
mit dem Metacarpus I in einem Sattelgelenk, mit dem Metacarpus H, III und IV mit
Abhandl der Senckenb. naturf. Ges. Bd. Y. 1
— 32 0 —
einer Amphiarthrose, mit dem Metacarpus V in einer Rotation, und in sich ineinem Gin-
glymus, — die eigenthümliche Anordnung ihrer kleinen Knochen. 2) Die vier kurzen
dicken mit ihren sagitlalen Durchschnittsebenen convergirenden, an ihren (nicht mit dor-
salen Hemmungsflächen versehenen) Köpfchen befestigten Metacarpen neben einem
freien, in einem Sattelgelenk befestigten Metacarpus I für den Daumen.
3) Die langen Finger von denen der dritte der längste, der dickste aber kürzeste
der Daumen — die vorherrschend volare Flexion in dem Carpo-Meta-
carpal-Gelenk.
Stellen wir nun den Fuss des Affen der Hand des Menschen gegenüber, so be-
merken wir Folgendes:
ad 1. Die Uebereinstimmung beider zeigt sich nur in der freieren und mehr ent-
wickelten Gelenkbildung am Os multangulum majus und dem Cuneiforme I der Affen, in
der grössern Kürze des Tarsus und der grösseren Verschiebbarkeit der Theile. Hier
wie da ist kein festes Gewölbe.
ad 2. Die Metatarsen der Affen und Metacarpen des Menschen stimmen darin
überein, dass beide in ihren Sagittaldurchschnitten convergiren, dass nur II bis V an
ihren Köpfchen mit einander verbunden sind, und dass der Metatarsus I nicht blos ab-
gerückt freisteht, sondern (bei den Affen) in einem sattelartigen Ginglymus freie
Bewegung hat. Die Hemmungsflächen der Köpfchen fehlen.
ad 3. Die Zehen der Affen und die Finger des Menschen stimmen ferner in
ihrer Länge im Ganzen und Einzelnen sowie in der vorherrschend volaren Flexion
in dem Metatarso- und Metacarpo-phalangeal-Gelenk überein.
Vergleichen wir nun auch die menschliche Hand mit der Hand der Affen, so
findet sich hier, wenn wir die grössere Kürze des Daumens, das Os centrale, ferner
die stärkeren Hemmungsflächen der Metacarpen, die Verbindung des Os pisiforme mit
der Ulna abrechnen, eine vollkommene Uebereinstimmung. Die stärkere Dorsalflexion
der Affen nebst den beiden zuletzt angegebenen Unterschieden von der Menschenhand
scheinen in Bezug zum Gehen dieser Thiere auf dem Carpo-Metacarpalgelenke (II bis V)
zu beruhen.
Wir müssen gestehen, dass, abgerechnet die Anordnung der Tarsalen, der Fuss des
Affen weit mehr Uebereinstimmung mit der Hand des Menschen als mit
dem Fusse des Menschen hat. Ziehen wir aber die Uebergangsgebilde zwischen
Unterschenkel und Fuss, nämlich den Calcaneus und Talus, welche constant bei allen
Säugethieren an dieser Stelle vorkommen, davon ab, und berücksichtigen wir nur die
—_— 323 —
vordere Reihe, so finden wir in dem entschiedenen Kürzerwerden dieser Tarsalen bei
den Affen die Uebereinstimmung noch erhöht. Durch das Vorhandensein der
Ferse wird aber ferner der Flexor brevis, sowie die Caro quadrata
bedingt und der Peroneus longus, unter dem kurzen Tarsus quer von
aussen nach innen laufend, wird an dem beweglichen Metatarsus I zum
Flexor (oder Adductor) Metatarsi. So ist also dieser letztere durch eine Muskel-
kraft bevorzugt, die der Metacarpus I stets entbehren muss.
Wenn daher Burdach den Ausspruch thut: dass sowohl die vorderen als die hin-
teren sogenannten Hände der Affen diese Benennung in Rücksicht auf die menschliche
Hand eigentlich nicht verdienen, so muss man ihm wohl beisiimmen. Wenn aber Fick
behauptet, dass aus dem Mechanismus der Extremitäten ein specifischer Organisations-
unterschied nicht abgeleitet werden könne, so darf diesem in Rücksicht auf das Vorher-
gehende geradezu widersprochen werden. Denn nicht nur eine genauere analomische
Untersuchung weist nach, dass die s. g. „„hintere Hand’ sowohl anatomisch, als auch
physiologisch weit mehr Uebereinstimmung mit der „menschlichen Hand‘* als mit irgend
einer terminalen Abtheilung der Extremitäten in der ganzen Säugethierreihe besitzt, und
dass in der That nur mehr oberflächliche Formähnlichkeiten mit dem menschlichen Fusse
vorkommen. Die Ordnung der Quadrumanen ist daher eine vollkommen berechtigte.
Huxley’s Ausspruch aber: „‚so kommt denn der vorausblickende Scharfsinn des grossen
Gesetzgebers der systematischen Zoologie Linn‘, zu seinem Rechte; ein Jahrhundert
anatomischer Untersuchung bringt uns zu seiner Folgerung zurück; dass der Mensch ein
Glied derselben Ordnung ist, wie die Affen und Lemuren‘‘ wird nur eine schöne Phrase,
die dem grossen Publikum gefallen mag, allein vor der exacten Wissenschaft nicht
Stich hält.
Da es mir aber nicht darum zu ihun war, Herrn Huxley zu widerlegen, sondern
überhaupt, so weit ich Gelegenheit fand, die Hand und den Fuss der Säugethiere ge-
nauer zu betrachten, so bleibt mir nun noch übrig den Greiffuss einiger Beutelthiere zu
untersuchen.
Hand- und Fussbildung einiger Beutelthiere.
Phalangista ursina.
(Tafel I, Fig. 11 bis 16) ))
Die Fussbildung dieses Beutelihiers ist von hohem Interesse; denn einmal artikulirt
die hohe oben breite Fibula nicht blos mit der Tibia, sondern auch mit dem Condylus
1) Todd. Cyelopaedia of Anatomy and Physiology. Vol. III. pg, 285. Fig. 111.
a
—_— 324 —
exter. des Oberschenkels und dann rotirt dieselbe auf dem Talus neben der Tibia ver-
mittelst eines zwischen beiden Unterschenkelknochen laufenden Meniscus (Fig. 11 gg.).
Der Calcaneus ist in seinem Körper sehr kurz, hat aber einen verhältnissmässig langen
und schmalen, aber stark gebogenen Fersenfortsatz.
Der Talus ist sehr pronirt und mit seinem Hals und Kopf nach innen und abwärts
gesenkt. (In Fig. 11 zeigt sich rechts vom Meniscus der Hals und links und über der
Tibia der Kopf des Talus). Durch die starke Pronation des Talus ist dessen Gelenk-
fläche für die Fibula gehoben und mehr horizontal gelegt, die Gelenkfläche für die
Tibia aber stark nach innen schräg geneigt. Zwischen diesen beiden Gelenkflächen und den
Köpfen der beiden Schenkelknochen läuft ein Meniscus von hinten nach vornen über den
Talus (Taf. I. Fig. 11 gg). Vorn ist er an die äussere obere Fläche des Calcaneus
befestigt, nach hinten wird er zwischen Tibia und Fibula breiter und befestigt sich nach
beiden Seiten über dem Talus ausstrahlend an das hintere untere Ende der Tibia und
der Fibula. Von hinten angesehen hat er die Form eines Kreuzes, welchem die untere
längere Stütze genommen ist. !)
Der Kopf des Talus hat bei diesem Thiere nicht, wie wir es doch immer noch
bei den Affen (Cynocephalus) fanden, seine grösste Ausdehnung horizontal, sondern
mehr senkrecht. Er bildet eine grosse und lange, von oben u. aussen nach unten u. innen
sich ausbreitende Rolle, welche in der gleichfalls ziemlich steil liegenden Hohlrolle des
Naviculare articulirt. Zwischen diesen beiden Knochen findet ein Verschiebung von
oben und aussen, nach innen und unten statt. Unmittelbar neben dieser Verbindung
liegt die artiel. cale.-cuboid., (Fig. 11h) welche am Calcaneus eine ausgehöhlte, am Cuboid.
eine gewölbte Gelenkfläche hat. Erstere zeigt eine scharf gezeichnete Grube, welche
lateral-medianwärts aufsteigt. Durch diese Grube wird die Gelenkfläche in zwei Ab-
theilungen gebracht. Die obere ist flach ausgehöhlt und correspondirt mit einer oberen
flachgewölbten Fläche des Cuboideum. Die untere ist gewölbt und entspricht einer
ausgehöhlten Gelenkfläche am Cuboideum. Ein stark vorspringender gleichfalls lateral-
medianwärts aufsteigender Grat am Cuboideum scheidet jene beiden Flächen von ein-
ander.
1) Carl Langer, über das Sprunggelenk des Menschen und der Säugethiere pg. 10 Wiener Denkschriften
Bd. XII., beschreibt ähnliche Bildungen an der Hinterextremität von Didelphis virginiana.
2) Mein werther Freund Herr Prof. W, Henke äussert sich in folgender Weise über dieses Gelenk:
„Hier kommt ebenfalls ein drittes Gelenk des Fusses zu den zwei gewöhnlichen; aber es folgt nicht auf
sie, sondern geht ihnen vorher, Es bewegt den Fuss nicht um eine horizontal durch ihn, sondern um eine
— 3 —
Die Verbindung des Calcaneus und Talus mit den vorderen Tarsalen (mittleres Fuss-
gelenk Meyer’s) zeigt uns also ein Rotations-Gelenk, dessen Achse zwischen beiden
Knochen horizontal läuft. Bemerkt sei noch, dass das Naviculare mit dem Cuboideum
in Berührung tritt und dass bei der Rotation eine senkrecht gewölbte Fläche am Cuboi-
senkrecht durch den Unter- Femur.
schenkel gehende Achse, Diese
liegt in der Tibia, deren un-
teres Ende, wie das der Ulna,
einen drehrunden Kopf bildet
Calcan.
mit überragender Knöchelspitze.
Aus dieser tritt die Achse nach
unten neben dem Talus herab
und um diese dreht sich der
Talus mit dem Fusse. Dieser
Drehung muss die Fibula, "wel- Fibnla Tibia.
ae . Fibula Tibia.
che am Talus seitwärts anliegt
mit einer Bewegung nach vorn
folgen und dies müsste, wenn
sie rein dem Talus folgte auch
für sie eine einfache Drehung
um die Achse der Tibia sein.
(Wie der Pfeil in dem Hori-
zontalschema, wenn der Fuss
von A nach B geht.) Sie Gm
macht aber keine solche gegen |
Tibia und Femur, sondern
mehr nur eine Art Drehung Talup:
um die quere Achse im Knie und kommt so nach vorn mit dem Talus. Nun muss sie aber, wenn ihre Vor-
derseite gerade nach vorn gekehrt bleiben soll, gegen den Talus eine seiner entgegengesetzte Drehung (im Sinne
des kleinen Pfeiles) um eine senkrechte Achse machen, Diese liegt in ihr, indem sie ebenfalls wie die Ulna
unten einen Gelenkkopf bildet.
Die beiden Gelenkköpfe der Unterschenkelknochen artikuliren also mit dem Talus so, dass er sich um ihre
Achsen wie eine Pfanne drehen kann, Er hat aber keine ihnen entsprechend ausgehöhlte Pfanne, sondern auch
wieder wie beim Menschen und bei anderen Thieren einen Gelenkkopf mit querer Achse (des Sprunggelenks)
um die es sich auch an ihnen dreht. Er bildet also mit beiden Unterschenkelknochen eine ähnliche Verbindung,
wie der obere Rand des Capitulum radii beim Menschen mit dem Seitenrande der Trochlea (Vgl. Henke Ana-
tomie u. Mech. d. Gelenke S, 151.), in welchen zwei convexe Flächen sich nur streifend berühren und doch
fest gleitend aufeinander bewegen, indem immer bei der Drehung um die Achse der einen der minimale, sie
gerade berührende Theil der anderen sich als Pfanne verhält. Ein festerer Schluss (wie ihn dort die Ver-
bindung des Radius und Humerus mit der Ulna ergänzt) ist hier nur noch als Ergänzung dieses offenen Contactes
zwischen allen drei Knochen und einem zwischen sie eingekeillen Fersenknorpel, welcher für jeden, eine
Pfanne trägt.
_— 36 —
deum auf einer ausgehöhlten am Naviculare sich verschiebt. (Auch bei den Cynocephalen
fand eine Berührung beider Knochen statt) Auch die vorderen Tarsalknochen zeigen
eine grössere Verschiebbarkeit als wie bisher wahrgenommen. Auch ihre Keilform, die
ihren Namen bis hierher rechtfertigte, und die zur lateral-medianen Wölbung des Men-
schenfusses beiträgt, verschwindet hier und mit ihr jene Wölbung. Zwischen Cunei-
forme I und II ist eine flach gewölbte Berührungsebene, welche gegen I convex
wird. Zwischen Cuneiforme II und III und zwischen Cuneif. III und Cuboid. ist sie
analog der ersten. Doch auch in den Tarso-Metatarsalgelenken kommt eine grössere
Bewegung vor. Der grosse Metatars. IV und V artieulirt mit grossem Gelenkkopf
auf der Hohlrolle des Cuboideum. Bei IV ist Flexion und Extension und bei V auch
noch Rotation. Ganz analog sind die Gelenkflächen zwischen den kleineren Metatars.
II und III und dem Cuneif. II und III. Auch hier ist
Schema für das Sattelgelenk am Dau-
men der Phelaueist ursina der Hinter-- Flexion und Extension. Das Cuneif. I aber ist stark
usse,
medianwärts gebogen und artikulirt in einem Sattel-
Schrauben-Gelenk mit dem dicken Metatarsus I, in wel-
chem Flexion und Extension (durch die quer unter der
Fusssohle zum Fortsatz des Metatarsus I laufende Sehne
des Peroneus long.) sowie Abduction und Adduction
A. B Die Achs g i ee: . :
ne Ace Ar neugung bein möglich ist.!) Vid. Tafel I, Fig. 13. In den schmalen
’ > »"
Ausserdem ist Abduction um die Achsen
im Metacarpus nach der Biegung,
welche hier als Profil erscheint. a. b.
aber scharf ausgeprägten Gelenkköpfen der Metatarsen ist
Fiexion und Extension jedoch keine Arthrodie. In den
Phalangen ebenso. Die Metatarsen und Phalangen der vierten und fünften Zehe sind
unverhältnissmässig gross und dick.
Hand. Von nicht geringerem Interesse als am Fuss zeigen sich die Verhältnisse
der Hand. Der knopfförmige Proc. stiloideus der Ulna artieulirt auf einer Hohlfläche
des grossen Os triquetrum. (Fig. 16 c.) An der Seite beider Knochen liegt in Be-
rührung mit ihnen ein sehr kleines verkümmertes Os pisiforme (Fig. 16 zwischen a
und c). Ein analoges Gebilde wie die Cartilago triangularis findet sich zwischen dem
Radius und dem Os triquetrum. Das Os lunatum fehlt ganz und gar. Zwischen Os
naviculare (Fig. 16 b) und dem Radius findet sich eine abgeschlossene Synovialhöhle.
Die hintere gewölbte Fläche dieses Knochen bildet mit dem Capitatum und Hamatum
einen nach hinten gegen das Triquetrum und den Radius gerichteten gewölbten Ge-
1) Cuneif, I ab. die Achse. Bei 13 verbindet sich dieser Knochen mit dem Naviculare. Fig. 14 zeigt
den Metatarsus I mit seiner schrägen Hohlrolle.
—_ 37 —
lenkkopf, welcher mit jenen eine Arthrodie zu Stande bringt. Das Os centrale fehlt
und es bleibt das Naviculare zu den Metacarpen der zweiten Reihe in einem ähnlichen
Verhältniss wie bei dem Menschen. Auch die Verbindung zwischen der zweiten
Reihe und den Metacarpen scheint wie beim Menschen eine Amphiarthrose. Das Os
multangulum majus (Fig. 15 b) ist zwar ulnar -radialwärts schr breit, dagegen aber
von hinten nach vornen sehr kurz; sein Tuberculum radiale ist ein selbständiger
Knochenkern wie bei dem Orang. Das Gelenk zwischen multangulum majus (Fig. 15, b)
und Metacarpus I (Fig. 15 c) kann ich nicht als ein Sattelgelenk ansehen, sondern
es zeigt eine Verbindung, bei welcher ulnarwärts der Metacarpus in dem Multangulum,
radialwärts aber das Multangulum in dem Metacarpus liegt und es scheint höchstens
eine beschränkte Rotation möglich. Zugleich steht der Metacarpus I dem II dicht an
(Fig. 16). Die Metacarpen sind sehr kurz und dick und schwellen mit Ausnahme
des ersten stark nach vornen an und tragen schön ausgebildete Capitula. Der Meta-
carp. III ist der längste, der M. I der breiteste. Sein Metacarpo -phalangeal- Gelenk
scheint nur eine Flexion und Extension zu haben, während die andern eine Ginglymo-
arthrodie zu haben scheinen.
Phaseolaretos einereus.
Was den Fuss dieses Thieres betrifft, so finden sich im Ganzen, so weit ich das
Skelett untersuchen konnte, ziemlich ähnliche Verhältnisse. Das Cuneiforme I hat eine
sehr starke, medianwärts abgerückte Gelenkfläche; sie zeigt sich abwärts laufend ver-
tieft und in dieser Vertiefung gleitet eine entsprechende Erhöhung am Metatarsus I,
lateralwärts ist sie dagegen erhöht und auf dieser gleitet der Metatarsus mit einer
Vertiefung. Dieser rechtwinklich von den übrigen Metatarsalen abgewendete Knochen
zeigt hier eine Amphiarthrose und kann nur dorsal- und volarwärts verschoben werden.
Da diese Verschiebung aber in einem ziemlich spitzen Winkel zur Ebene der übrigen
Metatarsen steht, so wird der I diesen genähert und wieder von ihnen entfernt. Der
grosse Metatarsus. IV scheint mit dem V auf der breiten glatten Fläche des Cuboideum
sehr leicht rotiren zu können. Die zweite und dritte Zehe sind an der zweiten Phalanx
aneinander befestigt.
Auch an dem Carpus erscheinen die Verhältnisse ganz wie bei dem vorher-
gehenden Beutelthier. Auch hier fehlt das Os lunare. Was die Verbindung des
Metacarpus I und des Multangulum betrifft, so zeigt sich allerdings in ersterem ulnar-
radialwärts eine flache Aushöhlung und ebenso am Metacarpus dorsal-volarwärts,
— 32383 —
allein von einem Sattelgelenk ist hier nicht zu sprechen und eine Opposition ganz un-
möglich. Das Ablenken der beiden inneren Zehen von den drei grösseren äussern,
wie es bei diesen Thieren vorkömmt, scheint mir durch eine seitliche Gelenkverbin-
dung zwischen dem Metacarpus II und III, in dem der II einen Ausschnitt hat, in
welchem eine gewölbte Gelenkfläche des III vor und rückwärts gleitet, unterstützt. Ein
ähnliches Verhältniss kommt nun noch zwischen dem III und IV vor, wobei der III
die Vertiefung, der IV die Erhöhung hat. Von einer Opposition wie bei dem Daumen
der Affen, kann hier bei diesen Thieren durchaus keine Rede sein, es ist mehr ein
seitliches Auseinanderspreitzen möglich. Ich gebe übrigens zu bemerken, dass ich ein
noch nicht ausgewachsenes, mangelhaft mit Bändern erhaltenes getrocknetes Skelet
vor mir habe.
Aus vorhergehender Zusammenstellung sehen wir also den Daumen und die Hand-
bildung bei den Beutelthieren zuerst an der Hinterextremität beginnen, ') während die
Vorderextremität durchaus keine Andeutung von einer Hand zeigt. Bei Phalangista
ursina ist am Fuss schon auf das Deutlichste das zweiachsige Gelenk (Sattelgelenk)
ausgesprochen. Erst bei den Halbaffen erscheint auch die Daumenbildung an der
Vorderextremität; doch ist sie hier noch nicht so vollkommen, als an der Hinter-
extremität. Bei den geschwänzten Affen ist nun Greiffuss und Hand neben ein-
ander entwickelt, doch ist ersterer constanter in seinen Theilen als letztere. Der Car-
pus hat hier einen Os centrale erhalten und bei den Ateles und Colobus-Arten ist der
Daumen in hohem Grade verkümmert. Der Greiffuss bleibt sich dagegen stets gleich.
Der Metatarsus I articulirt stets auf einer etwas ausgehöhlten Rolle, hat Flexion und
Extension, weniger Ahduetion und Adduction. Bei den Ungeschwänzten ändert
sich in dem Fusse im Ganzen nichts, der Daumen ist meist rücksichllich der Grösse
1) Auch bei Chiromys madagascariensis zeigt sich nach Herrn Professor Owen an der Hinterextremität
ein Daumen. „On the Aye-aye‘‘ by Professor Owen. Transaclions of the Zoological society of London.
NOISEVSEnE DA:
— 329 —
weiter entwickelt und freier abgerückt. Der Greiffuss bisher stets grösser als die
Hand, wird jetzt der Hand gegenüber zierlicher, ja selbst kleiner. Die Hinterextremität
bisher länger als die Vorderextremität wird jetzt kürzer. An der Hand ist das Sattel-
gelenk schön ausgebildet, aber bei Hylobates erscheint wieder eine Aenderung, indem
statt des Sattels am Multangulum majus eine Arthrodie.
Das Centrale bei den Vorhergehenden noch vollständig vorhanden, verschwindet
und das Pisiforme, bisher mit Ulna und Triquetrum artieulirend und eine Art Fersenfort-
satz für den Flex. ulnaris darstellend, verliert diesen und legt sich seitlich dem Tri-
queirum.
Endlich erscheint der menschliche Fuss mit der ungleich stark verlänger-
ten Unterextremität. Der Metatarsus I und das Cuneiforme I haben ihr freies Gelenk
verloren, das erste Fussglied ist nicht mehr abgerückt, sondern mit den Nachbarn fest
verbunden. Das Endglied wird zum Gewölbe, welches mit Leichtigkeit allein die Last
des aufrechtstehenden Körpers trägt. Somit sind denn allein bei dem Menschen
die Endglieder der Extremitäten in Hand und Fuss vollständig geschie-
den und in ihren Funktionen vollkommen getrennt.
Abhandl. der Senckenb. naturf. Ges. Bd. V. 42
Erklärung der Tafeln.
Die Zeichnungen sind geometrisch und wenn ich auch die Contouren als vollständig genau bezeichnen
darf, so bin ich doch mit manchen der schattirten Stellen nicht zufrieden. Mehrere der Steine waren zu grob
gekörnt und daher wollte es mir nicht gelingen manche der feineren Punkte, sowie es sich gehört hätte, dar-
zustellen. Namentlich gilt dieses von einigen Figuren auf Tafel I.
Tafel I.
Fig. 1 und 2 stellt den Fuss eines Neger dar. a. b. ist die Axe des unteren Astragalus-Gelenk.
Fig. 3 bis 6 ist Hand und Fuss von Colobus Guereza.
Fig. 3. Hand. Die erste Reihe der Carpalen ist abwärts geschlagen und man sieht auf ihre Gelenk-
flächen. d. Centrale. ce. Naviculare. b, Lunatum. a. Triquetrum zeigen ihre vordere Ge-
lenkfläche. & Phalanx I des Daumens.
Fig. 5. * * Knochenkerne am Rande der Gelenkfläche.
Fig. 6, Der Tarsus von Unten gesehen; das Tarso-metatarsal-Gelenk der ersten Zehe ist geöffnet
und zurückgeschlagen. a. ist die gewölbte Gelenkfläche von Cuneiforme I; die helle Contour
stellt den Verlauf der geöffneten Capsel vor. c. c. sind die beiden hinten und oben liegenden
Knochenkerne. Zwischen ihnen und der gewölbten Gelenkfläche des Cuneiforme I ist die helle
Stelle b. der Meniscus, dessen scharfer glänzender Rand uns entgegen tritt.
Fig. 7 bis 9. Cynocephalus hamadrias.
Fig, 7. Tarsus von Oben, a. zeigt die Wölbung der Rolle am Cuneiforme I. b. der Metatarsus I
in der Lage zu ihr.
g. 8. Metacarpus II a, mit Os capitatum b. im Profil, um die abgerundeten Gelenkflächen zu
zeigen.
. 9. Metatarsus IV, auch hier die gewölbte Gelenkfläche sichlbar.
Der Fuss von Otolienus senegalensis. a. Calcaneus. b. Talus. c. Naviculare. d, Cuboideum.
e, Cuneiforme I.
I. Axe für das Sprunggelenk, II, Axe für das untere Tarsalgelenk, II. Axe des mittleren Fuss-
gelenks (Meyer).
Fig. 11 bis 16. Fuss und Hand von Phalangista ursina,
Fig. 11. Fuss vom Rücken. a. Tibia. b. Fibula, g.g. Meniscus, h. Calcaneus, rechts von ihm sieht
man das vordere Ende des Talus. I. Axe im Sprunggelenk. U. und Ill. Axen für die
Rotation zwischen Tarsus und Unterschenkel.
Fig. 12, Fuss von Aussen,
Fig, 13. Gelenkfäche des Cuneiforme I (die der Ziffer 13 weggewendete Seite) mit ihrer Axe a,b.
. 14. Metatarsus I mit seiner Gelenkfläche.
. 15. Hand von der Daumenseite. a, Naviculare. b. Multangulum I. c, Gelenkfläche des abge-
wendeten Metatarsus I,
Fig.
Fig.
Fig,
Fig.
— 331 0 —
Fig. 16 Hand von oben. a. die Ulna mit ihrem proc. spinos, c. triquetrum. b. Naviculare zwischen
b. und c, ein Knorpel statt dem lunatum,
Tafel H.
1 bis 10. Troglodytes Gorilla- Fuss,
Fig. 4 zeigt die Basis der Metatarsen von vornen angesehen. Der Metatarsus F ist‘ entfernt und
man sieht auf die vordere Gelenkfläche des Os cuneiforme I, Die nebenstehenden Striche (au. b)
sollen die Richtung der Gelenkaxe bezeichnen.
Fig. 5 ist die Gelenkfläche des Metatarsus I, Diese Ansicht übrigens ist nicht. durch den Spiegel
auf den Stein gezeichnet, entspricht daher a und b auf dem vorhergehenden.
Fig, 6 zeigt das Os cuneiforme I, Il, III und die Basis der Metatarsen IIL—YV von der Plantar-
seite. Man sieht die Gelenkfläche für den Metatarsus I (vornen neben b der Fig. 4.) im Profi.
Fig. 7 das Os cuneiforme I von der Medianseite betrachtet, Der Metatarsus I ist entfernt und man
sieht die gewölbte Gelenkfläche in ihrer ganzen Höhe, Vor ihr sieht man den Metatarsus II.
Hinter dem Cuneiforme I ist das os naviculare.
Fig. 8 der Metatarsus I im Profil von der medianen Seite.
Fig. 9 der Metatarsus I von der lateralen Seite.
Fig. 10 die Plantar-Seite des Capituli Metatarsi II.
11 und 12. Der Fuss eines Eingeborenen der Insel Rotti bei Java, welcher 26 Jahre alt im
Hospital zu Soerabaya an Dysenterie starb. Das Skelet wurde der Senckenbergischen Anatomie von
Dr. C. F. Schmitt auf Java geschenkt.
Tafel III.
1 und 4. Fuss eines ausgewachsenen Troglodytes niger fem.
Fig 3. Ansicht des Os cuneiforme I von vornen. Man sieht die gewölbte Gelenkfläche, a. b. Axe
des Ginglymus. Neben ihm die Basis Metacarpus II—V,
Fig. 4. Os cuneiforme I mit seiner Gelenklläche von der Medianseite wie Fig. 7 der vorhergehenden
Tafel.
5 bis 9. Der Fuss und die Hand eines ausgewachsenen weiblichen Simia satyrus.
Fig. 5. Fuss.
Fig. 6- Ansicht der Basis der Metalarsen und des Cuneiforme I von vornen. Der Metatarsus I ist
zurückgeschlagen und man sieht die Rollläche mit ihrer Axe a. b. Sie bildet einen viel spitzeren
Winkel mit den Axen der übrigen Tarso-Metalarsalen als bei dem Gorilla und Chimpance.
Fig. 7. Ansicht des auf die Dorsalfläche umgelegten Tarso-Metalarsus von der Medianseite. b. der
Metatarsus I ist in die Höhe geschlagen und man sieht seine Hohlfläche, Unter ihr a. wölbt sich
die gewölbte Gelenkfläche des Cuneiforme I im Profil. ec, ist der Metalarsus II. d. Os Cunei-
forme II, e. Os naviculare.
Fig. 8. Carpus. a. Os Centrale.
Fig. 9. Hand des Orang, a. Os Centrale,
Fig, 10 und 11. Hylobates leuciscus, Fuss.
Fig, 11 der Tarso-Metalarsus von der Median-Seite, Der Tarsus I ist abgezogen, so dass man
etwas in das Innere des Tarso-Metatarsal-Gelenk hineinsieht, a. b ist die Axe desselben.
—_— 332 —
Tafel M.
Fig. 1 bis 4. Hand des Troglodytes Gorilla fem,
Fig. 3. Mittelfinger nebst Metatarsus von Innen,
Fig. 4. Sattelgelenk zwischen Metacarpus I und Multangulum majus von der Volar-Seite gesehen,
Fig. 5. Hand des Eingeborenen der Insel Rotti.
Fig. 6. Hand eines Troglodytes niger fem.
Fig. 7 und 8. Hand eines Hylobates leueiscus.
Fig. 8. Carpus von der Volarseite, Der Metatarsus I ist zurückgeschlagen und das Carpo-metacar-
pal-Gelenk geöffnet, um den runden Gelenkkopf am Os multangulum majus und die Pfanne am
Metatarsus zu zeigen,
Y
Zur Entwicklungsgeschichte des Ascobolus pulcherrimus Cr.
und einiger Pezizen
von
M. Woronim.
Taf, XXXIX bis XLII.
Vor zwei Jahren hat Professor A. de Bary besondere Organe (eigenthümliche
Zellpaargruppen) bei Peziza confluens Pers. gefunden, ') welche beständig
als erste Entwicklungsstadien dieses Pilzes auftreten. Eine ähnliche Erscheinung
ist mir in diesem Frühjahre gelungen bei Ascobolus pulcherrimus aufzufinden. ?)
Ich fand diesen Pilz auf Pferdemist; es gelang mir, ihn auf Objectplatten mehrere
Wochen lang zu cultiviren und dabei die ganze Entwicklungsgeschichte desselben
Schritt für Schritt zu verfolgen. — Ueber die Gattung Ascobolus besitzen wir blos zwei
kurze Notizen von den Gebrüdern Crouan °) und eine etwas ausführlichere Abhandlung
von E. Coemans. *)
Das Mycelium unseres Pilzes bildet einen gelblich-weissen Filz und besteht aus
starken, unregelmässig-verzweigten, mit Querwänden versehenen Fäden. Die Dicke
der einzelnen Hyphen ist gewöhnlich 0,0059 —0.0118 Millimeter.
Der plasmatische, feinkörnige und vacuolenhaltige Inhalt dieser Fäden ist stel-
lenweise völlig farblos, meistens aber erscheint er hellgelb oder manchmal selbst sehr
intensiv orangegelb gefärbt. In jeder Zelle der septirten Fäden dieses Myceliums
I) De Bary. Ueber die Entwickelung der Ascomyceten. 1863. Leipzig.
2) Den von mir untersuchten, Pferdemist bewohnenden Ascobolus beschreibe ich hier einstweilen unter
dem Namen Ascobolus pulcherrimus Cr., obgleich er durch seine weiter zu beschreibenden Merkmale
mir eine intermediäre Form zwischen Ascobolus pulcherrimus Cr. und Ase, insignis Cr, zu sein
scheint. Die Form des Ascobolus pulcherrimus in Rabenh. Herb. Fung. Europ, cent. IV, No. 385 scheint
mit der von mir untersuchten völlig identisch zu sein
3) Ann, des Sc, natur. Serie IV, tom. 7: „Note sur quelques Ascobolus nouveaux etc.“
p. 173—177. Tom. 10: „Note sur neuf Ascobolus nouveaux“ p. 193—197.
1) Bulletins de la societ€ royale de Botanique de Belgique, Premiere annee, tom. I, p. 76 —91.
Spicilege mycologique I. „Notice sur les Ascobolus de la flore belge.“
Abh. d. Senckenb. naturf. G. Bd. V. 43
— 334 —
(XXXIX, Fig. 3, 4. XLII, Fig.8— 13), den Querwänden beinahe unmittelbar anliegend, fin-
den sich kleine Körnchen, deren Umrisse immer viel schärfer und dunkler erscheinen als
bei den übrigen Plasmakörnchen; und dabei liegen in den meisten Fällen auf der einen
Seite der Querwand zwei oder drei solcher Körnchen, während auf der anderen Seite
sich blos eines derselben findet; viel seltener dagegen liegen diese Körnchen auf jeder
Seite der Querwand in gleicher Zahl oder fehlen ganz. — Die nebeneinander verlau-
fenden Hyphen dieses Ascobolus-Myceliums (Tab. XL. Fig. 9, 10) haben häufig,
wie bei vielen anderen Pilzen, das eigenthümliche Vermögen, untereinander direct oder
mittelst kurzer, an einander stossender Nebenzweige völlig zu verwachsen. Das auf-
fallendste ist hierbei, dass die Zellmembran an den Berührungsstellen sehr bald ver-
schwindet (sich wahrscheinlich auflöst), so dass die Inhalte zweier auf solche Art
in Verbindung tretender Pilzfadenzellen mit einander in unmittelbarer Communication
stehen, und die allen den lebendigen Zellen dieses Myceliums zukommende, der Wand
entlang verlaufende Plasmaströmung hier nun aus einer Zelle in die andere übergeht.
Auf dem so beschaffenen Mycelium erscheinen nun die orangegelb- bis dunkel-
ziegelroth gefärbten, im erwachsenen Zustande 1—2 Millim. grossen, paukenförmigen
Becherchen des Pilzes (Taf. XL. Fig. 6. Taf. XLI. Fig. 1); ihr Rand ist vorragend und
äusserlich mit mehreren Reihen steifer, zugespitzter, hellbrauner Borsten versehen. —
Durch das MHerauspräpariren und das Durchmustern des Myceliums lassen sich
sehr leicht die jüngsten Anlagen der Becherchen auffinden. Der erste Entwicklungs-
zustand eines solchen Becherchens erscheint in Form eines meistens krummgebogenen,
seltener aufrechtstehenden, seitlichen Myceliumzweiges (Taf. XXXIX, Fig. 1, 2); er hat
immer eine mehr oder minder wurmförmige Gestalt, und besteht aus mehreren, meistens
5 bis 12 Zellen, welche von einander durch parallele Querwände getrennt sind. Jedes
einzelne Glied (jede Zelle) eines solchen wurmförmigen Körpers ist an beiden Enden
plattgedrückt, an den Seiten dagegen etwas angeschwollen und abgerundet; der In-
halt derselben ist von dem der übrigen Myceliumfadenzellen nicht wesentlich verschie-
den; — charakteristisch ist aber für ihn das Dasein einer oder 2 bis 3 grösserer
Vacuolen. Diese Körper sitzen auf dem Mycelium entweder unmittelbar (Taf. XXXIX,
Fig. 1, 3) oder mittelst eines besonderen 2—Szelligen Trägers (Taf. XXXIX, Fig. 2, 4).
Die daneben verlaufenden Hyphen desselben Myceliums sowohl wie der Faden,
auf welchem eine solche wurmförmige Zellengruppe aufsitzt, treiben nun kurze, farb-
lose, hakenförmige Zweiglein (Taf. XXXIX, Fig. 3). deren jedes sich bald nach seiner
Entstehung durch eine Querwand in zwei Zellchen ungleicher Grösse theiit; — die un-
— 3 —
tere, die Tragzelle, ist meistens etwas kleiner als die obere. Die meisten, wenn nicht
alle diese hakenförmigen Seitenzweiglein legen sich mit der concaven Seite ihrer
oberen Zelle an die Zellen des wurmförmigen Körpers, und dabei findet zwischen
denselben eine so innige Verwachsung statt, dass sie sich in den meisten Fällen nicht
von einander losreissen lassen. Bald nachher wird der wurmförmige Zellkörper sammt
den an denselben sich anlegenden hakenförmigen Seitenzweiglein vollkommen von
einem Fadengellecht umwachsen (Taf. XXXIX, Fig. 4), welches aus zahlreichen kurz-
und vielgliedrigen Verzweigungsläden derselben Myceliumshyphen gebildet wird. In den
Fällen, wo der betreffende Zellkörper mit einem Träger versehen ist, wachsen aus
den einzelnen Gliedern des letzteren Hyphen hervor, welche gleichfalls sich verzwei-
gen und mit den übrigen Fäden des immer grösser und dichter werdenden Knäuels
sich verflechten (Taf. XXXIX, Fig. 4). Die kugligen Zellen des wurmförmigen Körpers
treiben dagegen, so viel ich es sehen konnte, niemals dergleichen Fäden aus. An-
fangs lässt sich der Verlauf der einzelnen Pilzfäden eines solchen Knäuels ziemlich
genau verfolgen, später wird aies aber völlig unmöglich, denn die Zellen der meistens
kurzgliedrigen Fäden des Geflechtes werden nun rundlich aufgeblasen oder nehmen
durch gegenseitigen Druck eine polyedrische Form an. Die Zellen, welche an die
Peripherie dieses filzigen Geflechtes zu liegen kommen (Taf. XL, Fig. 4). sind zum
grossen Theil von rundlich-blasiger Form; viele derselben aber, besonders diejenigen,
welche an der unteren, dem Substrate zunächst zugekehrten Seite liegen, treiben Fäden,
die sich allmählich verlängern, verzweigen, und somit eine Art secundäres Mycelium
bilden, welches mit den Fäden des primären sich verllicht. Die anfangs schmutzig
blassgelbe Farbe dieser aus einem verfilzten Fadengeflechte bestehender Klumpen geht
in eine dunkle, orangegelbe Färbung über.
Ein jedes solche filzige Fadenknäuel entwickelt sich nun zu einem Ascobolus-
Fruchtträger (Becher, Perithecium). So lange die Zellen des wurmförmigen Körpers noch
nicht vollständig von dem Fadengeflechte umwachsen sind (Taf. XXXIX, Fig. 4), lassen
sie sich ohne alle Schwierigkeiten genau beobachten; von Veränderungen in denselben
ist kaum etwas zu bemerken, im Umfange sind sie nur ganz unbedeutend grösser ge-
worden; die centralen Vacuolen der einzelnen Zellen sind auch manchmal noch da.
obgleich deren Umrisse nicht mehr so deutlich erscheinen wie früher. Sobald aber
das Fadengeflecht dichter und umfangreicher geworden ist, erscheint das Ganze in
Form eines so dicht filzigen und völlig undurchsichtigen Klumpens, dass man die von
demselben jetzt vollständig umwachsenen Zellen des anfangs wurmförmie erscheinen-
43%
— 336 0 —
den Körpers nicht anders untersuchen kann, als unter leichtem Druck auf das Deck-
glas und gleichzeitiger einige Zeit lang andauernder Einwirkung einer nicht zu
starken Aetzkalilösung oder stark diluirten Glycerins. Durch ein solches Behandeln dazu
geeigneter Präparate (Taf. XXXIX, Fig. 5} ersieht man, dass mehrere, in den meisten
Fällen aber nur die 3—5 einander berührenden Endzellen des wurmförmigen Kör-
pers ungemein gross geworden sind. ') Mehrmals sah ich, dass sie mit einem kör-
nigen, etwas feil- oder gallertartig aussehenden Plasmainhalte dicht erfüllt waren,
in einzelnen dieser Zellen schien ein nucleus-artiges Gebilde vorhanden zu sein.
Der Inhalt mancher derselben zeigte sich ausserdem in Form eines zierlichen, netzar-
tigen Maschenwerks (Taf. XXXIX, Fig. 5). In etwas späteren, durch Glycerin gleichfalls
durchsichtig gemachten Entwicklungsstadien, in welchen schon die Anfänge des Hyme-
niums vorhanden sind (Taf. XL, Fig. 5), findet man in dem unteren Theile des Frucht-
trägers noch sehr deutlich den wurmförmigen Zellkörper, von dem einzelne, meistens 1—3
Glieder an die untere Fläche des Hymeniums sich unmittelbar anlegen. Wie aber diese
grossen, blasigen Zellen zu den Elementen des Hymeniums eigentlich sich verhalten,
konnte ich nicht entscheiden. — Entstehen die senkrecht und gleich hoch sich
erhebenden dicht gedrängten Fäden des jugendlichen *Hymeniums mit dessen zartem
zelligem Boden aus diesen Zellen, und hat man dann die letzteren, auf die Analogie mit
Erysiphe?) sich stützend, als die Eizellen und die an dieselben sich fest anschmie-
genden hakenförmig gekrümmten seitlichen Zweiglein als die männlichen Zellen, als
die Antheridien zu beirachten; — oder, entspricht vielleicht das um die Eizellen-
Colonie (um den wurmförmigen Zellkörper) sich bildende Fadengeflecht der Hülle der
Coleochaeten- oder Üharafrüchte,. und sind dann die hakenförmigen Zweiglein blos
als die ersten Anlagen dieser Hülle zu betrachten. die männlichen Organe dagegen
irgendwo anders aufzusuchen; oder ist endlich (was mir aber höchst unwahr-
scheinlich vorkommt) die Entwicklung der Ascobolus-Fruchtträger zu den geschlechts-
1) Diese jüngeren Entwicklungszustände der Ascobolus-Becherchen sind schon früher von E, Coemans
beobachtet worden. Auf der Seite 79 seines Spieiläge mycologique I. sagt er darüber folgendes
„Quant au developpement des Ascobolus, il est simple. Les filaments myceliens, d’abord continus, commeu-
cent par se cloisonner; ensuile & certains endroils, la surtout oü plusieurs filaments s’anastomosent, les cellules
formees par les cloisons de ces filaments se multiplient en tous sens et forment de pelites masses ou pelotes
destinees ä devenir les cupules. Le centre de ces pelotes reste en communication avec le mycelium du cham-
pignon et est occupe par quelques cellules plus grandes, regorgeant de sucs gelatineux:; ces cellules represen-
I
tent les premiers rudiments de l’hymenium.«
2) De Bary I. c, p- S—A0.
—_— 37 0 —
losen Fortpflanzungen zu rechnen, — alles das sind Fragen, die sich jetzt nicht be-
antworten lassen; es liessen sich leider darüber keine weiteren Versuche anstellen. In
den völlig erwachsenen Fruchiträgern des betreffenden Pilzes ist mir nie gelungen
elwaige Spuren der fraglichen Eizellen auffinden zu können. Ganz der nämliche Fall
findet sich auch bei Peziza confluens Pers. Der erste Entwicklungszustand der
Becherchen dieses Pilzes, den ich zu beobachten gleichfalls Gelegenheit hatte, zeigt
sich, wie es ja aus den De Bary’schen Untersuchungen schon bekannt ist, beständig
in Form einer Rosette, welche aus mehreren eigenthümlich construirten Zellpaaren be-
steht und die in den erwachsenen Zuständen gleichfalls nicht mehr aufzufinden sind.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die von de Bary beschriebenen Zellpaar- Ge-
bilde der Peziza confluens den jüngsten Entwicklungszuständen der von mir
untersuchten Ascobolus-Becherchen entsprechen; dieses gab mir den Gedanken, dass
die Entwickelung der meisten, wenn nicht aller Becherpilzen in analoger Weise ge-
schehen muss. Und in der That fand ich denn auch beinahe ganz dieselben Vorgänge
bei zwei anderen Objecten auf, nämlich bei Peziza granulata Bull. und Peziza
sceutellata Linn.
Da eine Beschreibung der vollständigen Entwicklungsgeschiehte dieser beiden
Pezizen uns zu weit führen und sich ausserdem nur als eine Wiederholung der eben
geschilderten herausstellen würde, so will ich mich ganz kurz fassen und bios das-
jenige hier hervorheben, wodurch sich die ersten Stadien der beiden soeben genannten
Pezizen von denen des Ascobolus pulcherrimus unterscheiden.
Wie es schon aus den beigelegten Zeichnungen (Taf. XXXIX, Fig. 6, 7. Taf. XL,
Fig. 1, 2, 3) zu sehen ist, sind die vielfach und unregelmässig verzweigten Mycelium-
fäden dieser beiden Pezizen denen des Ascobolus ungemein ähnlich: es finden
sich auch bier in jeder Zelle, den Querwänden sehr nah anliegend,. mehrere kleine,
glänzende und scharf contourirte farblose Körnchen. Die ersten Entwicklungsstadien
der Becherchen zeigen sich auch hier in beiden Fällen in Form meistens ziemlich
stark gekrümmter, seitlicher Myceliumzweiglein, welche gleichfalls aus mehreren Glie-
dern bestehen; von diesen letzteren ist aber immer blos das eine Endglied als die
funetionirende, als die eigentliche Eizelle, zu betrachten, während alle anderen, unter-
halb derselben sich befindenden Zellen dieses Zweigleins miteinander einen Träger der
Eizelle bilden.
Dieser Träger besteht bei Peziza scutellata (Tafel XL, Fig. 1, 2, 3) meistens
nur aus 2 oder 3 Zellen, viel seltener sah ich ihn 4- oder Ögliederig; das Endglied
— 333 —
des ganzen Zweiges (die eigentliche Eizelle) erscheint in Form einer länglich-
ovalen. nach einer Seite krummgebogenen Zelle; — der protoplasmatische Inhalt ist
mit 1—3 ziemlich grossen Vacuolen und kleinen orangeroth gefärbten Körnchen ver-
sehen. — Bei Peziza granulata (Taf. XXXIX, Fig. 6, X) zeichnet sich immer die
Eizelle durch ihren grösseren Umfang und ihre kuglig-elliptische Form aus; ihr blass-
orangegelb gefärbter Inhalt erscheint in der Mitte der Zelle in Form eines körnigen
Klumpens, nach der Peripherie zu ist derselbe dagegen sehr reich an zartumschrie-
benen Vacuolen. Der Tragfaden besteht bei dieser Pezize gewöhnlich aus 3—6
Gliedern, von welchen das untere immer am meisten in die Länge gestreckt ist und
lediglich als eine Ausstülpung der es tragenden Myceliumfadenzelle sich erweist; die
übrigen (2—5) Zellen dieses Fadens, welche zwischen der Eizelle und dem unteren
ausgestreckten Gliede zu liegen kommen, sind im Ganzen viel kürzer und haben alle
ungefähr dieselbe Gestalt und Grösse. Das nächste unter der Eizelle liegende und oft
sogar das zweitfolgende Glied des Tragfadens treiben nun kleine, dünne, farblose, cey-
lindrische Schläuche. welche sich sogleich an die Basis der Eizelle fest anlegen (Taf.
XXXINX, Fig. 7). Ob sich dieselben aber von ihrer Mutterzelle durch etwaige Querwände
abtrennen. sich weiter verlängern und ob sie darnach über den Scheitel der muthmass-
lichen Eizelle oder dicht unter diesem quer um die Seitenwand verlaufen, wie es de
Bary für die Peziza confluens beschreibt, und wie ich es selbst mehrmals bei
Peziza scutellata gesehen habe (Taf. XL, Fig. 1, 2), ist mir bei Peziza gra-
nulata allerdings nicht gelungen direct zu beobachten.
Die weitere Entwicklung der beiden von mir untersuchten Pezizen (Pez. gra-
nulata und Pez. scutellata) stimmt in den Hauptmerkmalen mit derjenigen des As-
cobolus pulcherrimus völlig überein: sehr bald nach dem Anlegen der Antheri-
dien(?) an die Eizellen(?) werden diese letzteren von einem dicht, verfilzien Hy-
phengeflecht völlig umsponnen, und dadurch wird leider ihr weiteres Schicksal unseren
Augen völlig entzogen.
Jetzt kehre ich zur Darstellung der weiteren Entwicklungsstadien des Ascobo-
lus puleherrimus zurück. Nach dem ersten Anlegen des Hymeniums nimmt der ju-
sendliche Fruchtträger sehr bald seine definitive Grösse, Form und Struktur an. Das
Pilzfadengewebe, aus welchem der Körper eines völlig ausgebildeten Fruchtirägers
(Taf. XLI, Fig. 1) besteht, hat eine grosse Aehnlichkeit mit einem gewöhnlichen Zell-
parenchym; zwischen den aufgeblasenen oder durch gegenseitigen Druck theilweise
polyedrisch gewordenen Elementen desselben lassen sich aber noch stellenweise ein-
—_— 39 —
zelne Hyphen verfolgen. Den oberflächlichen Zellen dieses quasi-parenchymatischen Ge-
webes kommt immer die Form völlig abgerundeter Blasen zu, besonders aber den-
jenigen. welche den hervorragenden und ziemlich dieken, polsterartigen, und über dem
Hymenium sich etwas einbiegenden Rand des Fruchtträgers bilden. Die Zellen der
unteren, dem Substrate zugekehrten Fläche des Fruchtträgers treiben Fäden, welche
sich verlängernd und sich verzweigend ein secundäres Mycelium darstellen. Die Seiten
des Fruchiträgers, besonders nach oben zu, sind mit ziemlich langen und steifen, zuge-
spitzten Borsten versehen, welche gleichfalls aus den oberflächlichen Zellen ihren Ur-
sprung nehmen (Taf. XLI,. Fig. 1). Diese Borsten stehen um den Fruchtträger in
mehreren unregelmässig verlaufenden Reihen, °) sind hellbrauner Farbe und derbwan-
dig; dieselben sind ausserdem durch Querwände in mehrere Zellen getheilt und es
finden sich dabei auch hier in jeder einzelnen Zelle der Borsten ein oder zwei kleine,
aber sehr scharf contourirte Körnchen, welche den Querwänden sehr nahe anliegen,
Dasjenige Gewebe, aus welchem der Boden des Hymeniums besteht, ist immer aus
sehr kurz- und zartzelligen, dichtgedrängten Hyphen gebildet.
In den Fruchtträgern, welche erst % ihrer definitiven Grösse erreicht haben
(Taf. XL, Fig. 5), bildet das Hymenium ein Büschel,. welches nur aus zarten, auf-
rechtstehenden, sehr feinen, eylindrischen Schläuchen besteht; diese letzteren sind die
ersten Paraphysen. Erst nachdem der Fruchtträger seine definitive Grösse erreicht
hat, wachsen aus dem Boden des Hymeniums, zwischen den Paraphysen, Asei hervor,
deren Zahl sich sehr rasch vergrössert (Taf. XLI, Fig. 1).
Die Paraphysen (Taf. XLi, Fig. 2,7. Taf. XLII, Fig. 1. 2) sind einfache oder ver-
zweigte schmal-eylindrische Fäden, mit mehreren Querwänden versehen und an der
Spitze meistens verlängert- keulenförmig angeschwollen. Ausser dem Endgliede der
Paraphysen ist auch in einzelnen Fällen das nächst untere Glied gleichfalls an seinem
oberen Ende angeschwollen. Die Körnchen des schleimigen, vacuolenhaltigen Plasma-
inhaltes der Paraphysen sind orangegelb oder selbst ziegelroth gefärbt.
Was nun die Entwicklung der Aseci und Sporen des Ascobolus pulcher-
rimus anbelangt, so geschieht dieselbe, wie es schon aus den beigelegten Ab-
bildungen (Taf. XLI, Fig. 1—6) zu sehen ist, in ganz analoger Weise, wie es Herr
') Die beiden mit braunen Borsten versehenen Ascobolus-Arten: Asc. pulcherrimus Cr. und
Asc. insignis Er, unterscheiden sich nach Crouan’s Angaben, unter anderm dadurch, dass bei dem ersten
die Borsten in mehreren, bei dem zweiten dagegen in zwei Reihen stehen.
— 340 ° —
Prof. A. de Bary für manche andere Ascomyceten beschrieben hat, Der in den
mit doppelt-contourirter Membran versehenen Schläuchen noch vor der Sporenbildung
leicht nachzuweisende primäre Zellkern erscheint immer in dem oberen Theile des
Schlauches und besteht aus einem homogenen nucleus (oder nucleolus?), der in
einem durchsichtigen, kugligen Raum suspendirt is. Wie aber aus diesem primären
Zellkerne acht Kerne für die 3 Sporen entstehen, ob es durch eine sich wiederholende
Zwei- oder eine simultane Achttheilung geschieht, dieses konnte ich nicht entscheiden.
Wenn die Sporen noch sehr jung sind, so ist in den Schläuchen das Epiplasma immer
sehr leicht von dem Protoplasma zu unterscheiden, indem diese beiden Substanzen
segen Jod in der von de Bary angegebenen Weise sehr verschieden sich ver-
halten. (Vergl. de Bary: „Ueber die Fruchtentwicklung der Ascomyceten.“
und meine Zeichnungen, Taf. XLI, Fig. 4—8, nebst der dazu gehörenden Beschrei-
bung.)
Diejenigen Asci, in welchen die Sporenbildung noch nicht beendet ist, sind immer
etwas kürzer oder nur eben so lang als die Paraphysen (Taf. XLI, Fig. 1); sind aber
einmal die Sporen reif, so schwellen die Schläuche beträchtlich an, indem sie sich stark
in die Länge strecken, und ragen dann, wie es bei allen Ascoboli der Fall ist,
mit ihren Spitzen über das Niveau des Hymeniums hervor (Taf. XLI, Fig. 2, 3). In
diesen älteren Entwicklungsstadien liegen die acht Sporen in dem oberen Theile des
Ascus in einer unregelmässigen Längsreihe. Der übrige Raum des während der gan-
zen Zeit mit einem wandständigen Primordialschlauche versehenen Ascus ist nun mit
einer völlig farblosen, durchsichtigen, wässerigen Flüssigkeit erfüllt. Zum Zwecke der
Sporenentleerung brechen die Asci mittelst eines meistens sehr kleinen Deckelchens
(Taf. XLI, Fig. 2. Taf. XLII, Fig. 3, 4) auf; die Sporen werden auf eine Höhe von unge-
fährr 6—8 oder selbst 10 Centim. herausgeschleudert. Nach der Entleerung schrum-
pfen die Schläuche zusammen und darnach erscheinen sie wiederum kürzer als die sie
umgebenden Paraphysen (Taf. XLI, Fig. 2). Coemans Angaben nach sollen die
Schläuche bei Ascobolus, noch lange vor der Entleerung, sich von dem Hypo-
thecium (dem Boden des Hymeniums) lösen (l. ec. p. 84); dieses scheint mir aber
eine nicht völlig normale und constanle Erscheinung zu sein, denn obgleich es mir
auch mehrmals vorgekommen ist, dergleichen freiliegende sporenenthaltende asci in
dem Hymenium aufzufinden, fand ich daneben noch öfter leere Schlauchmembranen,
welche fest dem Hypothecium aufsassen (Taf. XLI, Fig. 2).
Die völlig entwickelten Sporen des Ascobolus pulcherrimms sind elliptisch-
— 341 —
eiförmig, meistens 0,.0080—0.0096 Millim. breit, bei einer Länge von 0,0144— 0,0160
Millim.; anfangs sind sie immer farblos; bei ihrer vollen Reife bekommen dieselben
sehr oft eine sehr blasse bläulich-grüne Färbung. Die Sporenmembran ist glatt und
sehr dünn; sie erscheint erst bei einer 600 —620fachen Vergrösserung deutlich doppelt-
eontourirt. Der Inhalt ist ziemlich stark lichtbrechend und erscheint dabei von gelatinös-
ölartiger Consistenz; ausser einigen sehr feinen Körnchen und kleinen undeutlichen
Vacuolen,. die manchmal hier auftreten, findet sich noch in jeder Spore immer ein
grösserer, centraler, heller kuglicher Raum, — Vacuole oder Zellkern bleibt noch zu
entscheiden. — Durch Jod werden die Sporen zu allen Zeiten, gleich dem Protoplas-
ma, gelb gefärbt; die Paraphysen, besonders ihre gefärbten aufgetriebenen Spitzen
und die gleichfalls orangegelb oder selbst ziegelroth gefärbten Elemente des Hypo-
theciums nehmen dagegen durch Jod die für die gelben pflanzlichen Farbstoffe cha-
rakteristische grüne Färbung an.
Die Sporen dieses Pilzes zum Keimen zu bringen, ist mir leider nicht ein ein-
ziges Mal gelungen, wenngleich von E. Coemans !) angegeben wird. dass
alle Ascobolus-Sporen gewöhnlich sehr leicht in Wasser auf Objectträgeru keimen,
und dass ihre Keimfäden eine bemerkenswerthe Neigung zu einer Torula- oder Pe-
nieillium-ähnlichen Conidienbildung zeigen.
Am Schlusse dieses Beitrages muss ich noch eine zweite Fructificationsform des
Ascobolus pulcherrimus erwähnen, welche, meines Wissens, bis jetzt noch völlig
unberücksichtigt geblieben ist.
Die Fäden desselben Myceliums, auf welchem die oben geschilderten Fruchtbecher-
chen des Ascobolus entstehen, tragen in sehr reichlicher Menge eine besondere
Form von Sporen, welche zu den Chlamydosporen zu rechnen sind.
Dieselben entstehen auf seitlichen, kurzen, meistens nur zwei- oder dreizelligen.
seltener längeren, vier- bis fünfgliedrigen Zweiglein (Tafel XLII, Fig. 6—13;
Taf. XL, Fig. 4, 5). Von den gewöhnlichen Verzweigungen des Myceliums unter-
scheiden sich diese schon von Anfang an dadurch, dass sie an ihren Spitzen sich
hakenförmig krümmen; — ganz aufrecht kommen sie dagegen nur sehr selten vor. —
Die in den meisten Fällen etwas in die Länge gezogene Endzelle eines jeden solchen
Seitenzweigleins, welche sich nicht nur nach unten, sondern auch manchmal derart seitwärts
krümmt, dass sie dadurch einer Vaucheria- Antheridie einigermassen ähnlich wird,
schwillt nach und nach beträchtlich an und wird dadurch kuglig-elliptisch oder eiförmig.
Dalcan9)
Abh, d. Senkenb. nat. G. Ba. V. 44
—_— 3412 ° —
Ihr anfangs sehr blass gefärbter plasmatischer Inhalt wird jetzt mehr dicht und grobkör-
nig, ist hie und da mit mehr oder minder grossen ölarligen Tröpfchen und einzelnen
Vacuolen versehen, und bekommt zuletzt eine intensive, dunkle, orangegelbe Färbung.
Nach der Mitte der Spore zu erscheint der Inhalt immer viel dichter, so dass er nicht
selten in Form eines unebenen und undeutlich begrenzten centralen Klumpens auftritt,
welcher von der Sporenmembran ziemlich weit absteht. Diese letztere ist anfangs dünn
und einfach, später erscheint sie deutlich doppelt contourirt. Auch bei der Reife lässt
sich aber an diesen Sporen nie Exosporium und Endosporium unterscheiden.
Durch Jod färben sich die Chlamydosporen gewöhnlich gleich den Mycelium-
fäden und dem Epiplasma der Sporenschläuche rothbraun; im Anfange der Reac-
tion sieht man in denselben nicht selten ausserdem eine etwas undeutliche grüne Färbung
auftreten, welche aber bei etwas längerem Einwirken des Jods bald verschwindet,
Die jugendlichen, meistens mit orangegelbem Plasma dicht erfüllten Spitzen der Myce-
liumhyphen des in Rede stehenden Ascobolus bekommen gleichfalls durch Jod dieselbe
grünliche Färbung.
Der Keimung nach sind die dem Mycelium fest ansitzenden und von demselben
sich schwer ablösenden Chlamydosporen des Ascobolus pulcherrimus als Ruhe-
sporen oder Dauerzellen zu betrachten; ihre Keimfähigkeit fängt nämlich erst dann
an, wenn die Myceliumfäden längst abgestorben und völlig leer sind. Ich habe sie z. B.
in einem mässig trocken gehaltenen Substrate während eines ganzen Winters, vom
Spätherbste bis zum Frühjahre, beinahe völlig unverändert aufbewahrt; — im April
angefeuchtet fingen dieselben an zu keimen (Taf. XL, Fig. 7, 8). Das dick- und derb-
wandige, hell bräunlich-gelb gefärbte Exosporium wird an irgend einer Stelle unregel-
mässig von einem nun unterscheidbaren dünneren, farblosen Endosporium zerrissen,
welches alsdann in einen Schlauch auswächst (Taf. XL, Fig. 7, 8). Dieser Keimschlauch
verlängert sich. wird durch Querwände in mehrere Zellen gelheilt, verzweigt sich
und sieht von Anfang an den oben beschriebenen Myceliumhyphen völlig gleich.
Bei anderen becherförmigen Pilzen (Ascobolus und Peziza) sind mir bis jetzt
keine dergleichen Chlamydosporen vorgekommen.
St. Petersburg, 15./27. Juni 1865.
— 393 —
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XXXIX.
Fig. 3 bei 620facher, die übrigen bei 320facher Vergrösserung mit Hülfe der Camera lucida gezeichnet,
Fig. 1 bis 5 Ascobolus/pulcherrimus Cr.
Fig. 1. 2, Anfänge von Fruchtträgern, — wurmförmige, vielzellige Myceliumseitenzweiglein. Jede
Zelle eines solchen Körpers ist meistens mit einer grossen, centralen Vacuole versehen; in einzelnen fin-
den sich dagegen zwei bis drei einzelne Vacuolen. Die zwei unteren Zellen des Zweigleins in Fig. 2 sind
den Zellen des Myceliumfadens gleich.
Fig. 3. Weitere Entwickelung des Fruchtträgers: An die Zellen des wurmförmigen Körpers legen sich
kurze, hakenförmige Seitenzweiglein fest an, welche von anderen, daneben verlaufenden Fäden desselben Myce-
liums ihren Ursprung nehmen.
Fig. 4. Anfang des um den wurmförmigen Zellkörper sich bildenden Fadengeflechts,
Fig. 5. Etwas weiter vorgerücktes Entwickelungsstadium eines Ascobolus-Becherchens unter Deck-
plättchen betrachtet und mittelst Glycerin durchsichtig gemacht. Der wurmförmige Zellkörper nimmt jetzt die
Mitte eines sehr dicht verfilzien Klumpens ein, Die vier Endzellen dieser central gewordenen Zellreihe erscheinen
hier in Form grosser kugliger Blasen; in einer derselben, (in der zweiten von oben) sieht man ein nu cleus-
artiges Gebilde; — der Inhalt einer anderen (der dritten von oben) erscheint in Form eines netzarligen
Maschenwerks,
Fig. 6 und 7 Peziza granulata Bull.
Anfänge des Fruchtträgers, Blos die Endzelle des wurmförmigen Körpers ist hier als die funktionirende,
als die muthmassliche Eizelle zu betrachten; — die übrigen Zellen dieses Körpers bilden für diese Eizelle
einen besonderen Träger.
-
In Fig. 7 sieht man, wie die zwei oberen Glieder des Tragfadens kleine eylindrische, farblose Schläuche
treiben, welche sich an die Basis der Eizelle fest anlegen,
Tafel XL,
Fig. 1 bis 3 Peziza scutellata Linn.
Anfänge der Fruchtträger. Vergr. 320,
Fig. 1. Junger wurmförmiger Zellkörper, bei welchem das Endglied (die Eizelle?) noch nicht vollig
ausgewachsen ist,
Fig, 2 und 3. Etwas ältere Zustände. Die Eizelle (?) erscheint etwas länglich und ist dabei ein
wenig seitwärts gekrümmt. Die an dieselbe sich fest anlegenden , dünnen, ceylindrischen Schläuche (die An-
theridien?) erstrecken sich bis über den Scheitel der Eizelle, oder verlaufen unter diesem quer um die
Seitenwand.
Fig. 4 bis 10 Aseobolus pulcherrimus Cr.
Fig. 4. (160fach vergrössert) Junger Fruchtträger mit den dazu gehörenden Myceliumfäden vom Sub-
strate frei abpräparirt und unverletzt auf die Objectplatte gelegt. Dieselben Myceliumlhyphen tragen auch die
Ascobolus-Chlamydosporen (chl, sp.); m. Mycelium,
44*
— 344 —
Fig. 5. (160fach vergrössert), Aelterer Zustand. Das Exemplar ist durch leichten Druck auf das
Deckglas etwas ausgebreitet und mittelst Glycerin durchsichtig gemacht worden. 5 — Borsten; 3 — Hymenium ;
chl. sp. — Chlamydosporen ; m = Myceliumfäden ; x — ein kleiner Rest des Substrates (des Pferdemistes.)
Fig. 6 a Zwei beinahe völlig reifen Fruchtträger in natürlicher Grösse gezeichnet,
Fig. 6 db, Einer von denselben mit der Loupe betrachtet,
Fig. 7 und 8, (320fach vergrössert). Keimende Chlamydosporen.
Fig. 9 und 10. (620fach vergrössert). Sich verzweigende und Anastomosen bildende Myceliumsfäden.
Die in Fig. 8 gezeichneten kleinen Pfeile sollen den Verlauf der Plasmaströmung andeuten.
Tafel XLI.
Ascobolus pulcherrimus Cr.
Fig, 1. 160mal, Fig. 4 620mal, die übrigen 320mal vergrössert,
Fig. 1. Längsschnitt durch einen entwickelten, aber noch ziemlich jugendlichen Becher. Die von dem-
selben getragenen Asci sind noch nicht völlig reif und erscheinen kürzer als die Paraplıysen, m — Mycelium;
b = Borsien,
Fig. 2. und 3. Stücke des hymeniumtragenden Gewebes, von welchem mehrere Paraphysen, zwei ganz
junge, drei völlig reife und ein schon ausgeleerter Ascus entspringen. Die reifen Asci ragen mit ihren
Spitzen über das Niveau der Paraphysen hervor.
Fig. 4. Junger Ascus. Die Jodreaktion zeigt, dass er mit Epiplasma (ep.) erfüllt ist; von Proto-
plasma (pr) findet sich in demselben nur eine sehr schmale Querzone, in deren Mitte der primäre Zell-
kern (n) enthalten ist.
Fig. 5 bis 6. Weiter entwickelte Asci. Die Sonderung des Inhaltes in Epiplasma (ep) und Proto-
plasma (pr) tritt hier viel schärfer auf. Die Protoplasmaportion enthält hier 8 junge Sporen ; durch
Jod wird sie gelb, das Epiplasma dagegen lebhaft rothbraun gefärbt.
Fig. 7 Paraphysen. Ausser den Paraphysen entspringen aus dem hymeniumtragenden Gewebe
zwei junge Asci. — n — primärer Zellkern.
Tafel XLIE.
Asscobolus pulcherrimus Cr.
Fig. 6 und 7 90mal, Fig 5, 10 und 11 620mal die übrigen 320mal vergrösserl.
Fig. 1. 2 Paraphysen. ;
Fig. 3 und 4, Reife Asci, ihre Sporen ausschleudernd.
Fig. 5. Reife Sporen.
Fig. 6 und 7. Chlamydosporentragende Myceliumfäden.
Fig. 8 bis 13. Chlamydosporen, in verschiedenen Entwickelungsstadien dargestellt.
Zur Kenntniss der Mucorinen.
I. Mucor Mucedo.
Tafel XLIN. Fig. 1—19 und Tafel XLIV.
Der Pilz, dessen Entwicklungsgeschichte in Folgendem beschrieben wird, stimmt
jedenfalls mit demjenigen überein, welchen Fresenius in seinen Beiträgen zur Myco-
logie als Mucor Mucedo beschreibt. Er soll daher mit diesem Namen bezeichnet
werden.
Die Exemplare desselben, welche zuerst zur Untersuchung kamen, wuchsen auf
Mist von Pferden, Kühen, Kaninchen und Meerschweinchen. Durch Aussaat liess sich
der Pilz leicht auf anderes Substrat, wie Eiweiss, Eidotter, Pasteur’sche eiweisshaltige
Zuckerauflösung,') Brot, Kirschen, Vogelbeeren u. s. w. übertragen.
Sein Mycelium wuchert auf der Oberfläche und im Innern des Substrats. Es be-
steht bei jugendlichen kräftigen Exemplaren aus dicken, reich und wiederholt verzweig-
ten, zunächst querwandlosen protoplasmareichen Schläuchen, deren Aeste früherer Ord-
nung den Hauptstämmen gleichdick sind, während die der höheren Ordnungen sich in
ganz feine Zweige spalten. Im Alter treten in den Myceliumschläuchen mehr oder minder
zahlreiche, anscheinend ordnungslos gestellte Querwände auf. Alle diese Erscheinungen
kommen den meisten Mucor- und Mucorinen-Mycelien zu.
Von dem Mycelium erheben sich, als senkrecht über das Substrat hervortretende
Zweige, die Fruchtträger, Fruchthyphen („Stiele“). Die bekannteste Form dieser, welche
zunächst allein betrachtet werden soll, sind die Träger der für die Gattung Mucor
charakteristischen Sporangien, dicke, anfangs immer unverzweigte, in ein Sporan-
gium endigende, in der Jugend mit farbloser und durch Jod und Schwefelsäure hell-
blau werdender Membran versehene querwandlose Schläuche. Dieselben bleiben entweder
ganz unverzweigt oder bilden meistens nach Anlage oder Ausbildung des ersten termi-
1) 10 Theile Zucker, 0,2—07 Theile wässerigen Extractes aus Bierhefe auf 100 Wasser, vergl,
Flora 1862, p. 359,
— 346 —
nalen Sporangiums Zweige in verschiedener Zahl, Grösse und Stellung, welche wie-
derum mit einem Sporangium endigen. Was die Stellung der Zweige betrifft, so ist
diese entweder eine ganz unregelmässig zerstreute, oder es entspringen nicht selten
dicht unter dem terminalen Sporangium zwei opponirte, kurze, Sporangien tragende
Aeste, so dass der Fruchtträger einer gabeligen eymösen Inflorescenz gleicht, wie
schon Fresenius angibt; auch einseitig ausgezweigte Cymen kommen vor. Diese Aus-
zweigung ist immer nur eine spärliche, ein- oder zweifache. Mit der Verzweigung
oder auch in älteren einfachen Trägern treten Querwände in wechselnder Zahl und
Stellung auf. Die Grösse der Sporangiumträger ist überaus verschieden. Magere,
mangelhaft ernährte Exemplare werden, wie unten beschrieben werden wird,
kaum 1 Millim. hoch, kräftige erreichen, bei Borstendicke, eine Länge von 10, 20,
30. Millim.
Der Bau und die Entstehung der Mucor-Sporangien kann nach zahlreichen älte-
ren Beschreibungen, und besonders nach der von Fresenius (l. ec.) und den im ersten
Hefte dieser Beiträge für Syzygites megalocarpus gegebenen Darstellung als, allgemein
bekannt betrachtet werden. Die typischen Sporangien des Mucor Mucedo sind kuge-
lig, zur Zeit der Reife für das blosse Auge braun bis schwärzlich. Ihre Wand (Zellen-
membran) ist, was Fresenius zuerst fand, häufig auf der Aussenfläche mit dichtge-
stellten feinen Stachelchen besetzt (Taf. XLIH, Fig. 14, 16), eine übrigens nicht constante
Erscheinung; es kommen auch ganz glatte, hyaline Sporangiumwände vor, und solche,
die in der Flächenansicht fein granulirt oder punclirt aussehen, wie es Fresenius für
seinen Mucor racemosus angibt, ohne aber in der Profilansicht prominirende Stachel-
chen zu zeigen. Die stachelige Wand der Sporangien ist zur Zeit der Reife überaus
brüchig; in Wasser gebracht zerfällt sie alsbald in kleine, allmählich verschwindende
Körnchen (Taf. XLII, Fig. 12). Die glatten Membranen dagegen sind oft sehr derb, selbst
durch starkes Drücken und Zerren nur schwer zerreissbar und im Wasser wochenlang
unverändert bleibend. Wie für Mucor allgemein bekannt ist, ragt die das Sporangium
von seinem Träger trennende Querwand in Form einer kugeligen oder breit ovalen
Blase — Columella — ins Innere des Sporangiums. Bei der in Rede stehenden Art
geht die Columella plötzlich in den cylindrischen Träger über und die Insertionsstelle
der Aussenwand, die nach dem Zerfallen des grössten Theiles dieser durch ein kleines,
stehenbleibendes, ringförmiges Stück bezeichnet wird, befindet sich unmittelbar unter
der Columella.
Die zahlreichen reifen Sporen der beschriebenen Sporangien (Taf. XLIH, Fig. 1, 2, 12)
sind oval oder länglich, einzeln betrachtet farblos, mit zarter, glatter Membran. Ihre Länge
schwankte bei den gemessenen Exemplaren zwischen "453 und %3 Millim. Sie sind von
dem Zeitpunkt der Reife an keimfähig. In reinem Wasser keimen sie nicht. Setzt
man dagegen zu diesem Zuckerlösung, Eiweiss, Traubensaft, Mist u. s. w. oder bringt
man sie auf ein entsprechend zusammengesetztes Substrat '), so findet man schon einige
Stunden nach der Aussaat die Mehrzahl angeschwollen, mehr oder minder kugelig, mit
wandständigem Protoplasma und einer centralen Vacuole versehen, und alsbald beginnt
das Austreiben von Keimschläuchen nach einer oder zwei Seiten hin. Diese erreichen
schon in 24 Stunden eine beträchtliche Länge, nach 48 Stunden sind sie zu einem (auf
den Objeetträgern meist septirten) Mycelium berangewachsen, von dem sich nun frucht-
tragende Hyphen, entweder wiederum die beschriebenen Sporangien oder die alsbald zu
erwähnende zweite Fruchtform bildend, in die Luft erheben.
Es ist bemerkenswerth, dass die Sporen bei der Keimung ihren Protoplasmagehalt
nicht zu Gunsten der Keimschläuche verlieren, sondern lange Zeit und oft andauernd
gleich Myceliumfäden mit einer mächtigen wandständigen Protoplasmaschicht versehen
bleiben. Hieraus und aus den erwähnten Keimungsbedingungen ist zu schliessen, dass mit
dem Anfange der Keimung schon Nahrungsaufnahme und Assimilation eintritt, was, wie unten
gezeigt werden wird, in derselben Weise auch bei anderen Mucorinensporen der Fall ist.
Bei den Aussaaten auf Mist entwickeln sich nach 48 Stunden aus dem septirten
Mycelium oft nur sehr zarte, kurze, einfache oder wenig verzweigte Fruchtträger, welche
auf ihren Enden sehr kleine Sporangien bilden (Taf. XLII, Fig. 4— 10). Diese haben zarte,
farblose, meist glatte Membran und entbehren der Columella, sie sin von ihrem Trä-
ger durch eine ebene kleine Querwand abgegrenzt und in einigen, allerdings seltenen
Fällen war selbst diese nicht zu finden. Sie enthalten nur 2—10 Sporen, welche oft
nur schwer keimen, im Uebrigen den oben beschriebenen in allen Stücken, auch in der
Grösse gleich sind.
Zwischen den soeben erwähnten kleinen Sporangien und den grossen vielsporigen,
mit Columella versehenen lassen sich oft auf einem und demselben Mycelium alle mögli-
chen Uebergangsformen finden (Taf. XLIIL, Fig. 10—12). Jene werden daher nicht für beson-
dere typische Reproductionsorgane zu halten sein, sondern nur für Zwerg- oder Krüppel-
exemplare der ersten, Sporangien bildenden Form von Mucor Mucedo.
Eine wirklich eigenthümliche zweite Form fruchtiragender Hyphen unseres Pilzes
I) Die Aussaaten wurden theils auf den Objectträger, theils in kleine, leicht controlirbare Glasschalen
gemacht.
—_— 3485 —
ist dagegen diejenige, welche von Link als Thamnidium, von Corda als Asco-
phora elegans beschrieben worden ist '). Mit diesen Namen sind aufrechte Frucht-
hyphen unseres Pilzes bezeichnet worden, welche auf ihrer Spitze in der Regel ein
Sporangium von der oben beschriebenen Beschaffenheit tragen, in ihrem mittleren oder
unteren Theile aber kurze, horizontal abstehende Seitenzweige, die bis 5- und 10 mal
gabelig getheilt sind und auf jeder Enddichotomie ein kleines Sporangium (Sporangio-
lum) tragen. (Taf. XLIV. Fig. I.)
Die Länge der ganzen dichotomen Seitenästchen ist im Vergleich mit den Haupt-
fäden sehr gering, oft kaum 10mal grösser als der Querdurchmesser der letztern. Die
Gabelungen divergiren stumpfwinkelig und die Verzweigungsebenen aufeinanderfolgender
Ordnungen schneiden sich unter ungefähr rechtem Winkel. Die Seitenästchen stehen zu-
weilen einzeln, zerstreut, meistens jedoch zu 2—4—5 wirtelig beisammen, die Wirtel
entweder einzeln am Hauptfaden oder zwei und mehrere über einander. Zuweilen fin-
det man den Hauptfaden mit einem solchen Wirtel oder alsdann richtiger einer Art
Cyma geendigt, ohne dass diese von einem grossen Sporangium überragt wird. (Vgl.
Tat OXbIIL AS EXKLIV,. 1.09):
Die den Enddichotomien aufsitzenden Sporangiolen sind kugelrunde, einer ins Innere
ragenden Columella stets entbehrende Zellchen mit völlig glatter farbloser und durch-
sichtiger Membran, welche zwar zart, aber weit dauerhafter als die der stacheligen
Sporangien ist, und nach der Reife auch im Wasser oft lange Zeit unverändert bleibt.
Die Entwicklung der Sporangiolen ist der der grossen Sporangien im Wesentlichen
gleich; in einer jeden werden mehrere Sporen (Gemmen, Gongyli nach Corda) durch
Theilung des Protoplasma simultan gebildet, meistens 4, seltener uur 2—3 oder bis zu 6
und selbst 8. Sie füllen zur Zeit der Reife den Innenraum des Sporangiolum locker
aus, sind oval und ziemlich constant Yıoo—%» Millm. lang, ihre Struktur ist der von
den oben beschriebenen Sporen gleich. Zur Zeit der Reife fallen die Sporangiolen
leicht ab, wobei ihre Wand verschlossen bleibt oder unregelmässig aufreisst.
Die sporangiolentragenden Fäden erschienen in unseren Culturen in der Regel
erst, nachdem die Entwicklung von nur Sporangien tragenden einige Tage gedauert halte,
und immer in nicht grosser Zahl zwischen den letzteren.
Da beide aus dem gleichen Mycelium entspringen und meist genau die gleichen
grossen Sporangien tragen, so liegt die Annahme, dass beide Organe einer und der-
») Link, Observ, in ord, nat. plant. Dissert. 1. (1816). Corda, Icon. fungor. Bd. Ill, Taf. II
Fig. 43.
’
— 349 —
selben Species sind, sehr nahe. Doch könnte man, nach dem bisher Angegebenen,
noch begründete Zweifel biergegen erheben, zumal da Mucor Mucedo (auch in unseren
Culturen) sehr oft nur mit Sporangien und ohne die Thamnidiumform vorkommt, und
da Präparate, in welchen beide Formen einem und demselben Myceliumfaden aufsitzen,
bis jetzt niemanden gelungen sind.
Durch Aussaat reifer Sporangiolen lassen sich die Zweifel leicht beseitigen. Die
Sporangiolensporen keimen in gewöhnlichem Trinkwasser (unter dem Deckglas blieb
jedoch die Keimung in dieser Flüssigkeit aus), in den oben erwähnten Flüssigkeiten
und auf den Körpern, welche dem spontanen Pilze als Boden dienen. Die Keimungs-
erscheinungen sind, wie schon Bail dargestellt hat (Flora 1857), die nämlichen, wie
bei den Sporen der grossen Sporangien. In geeignetem Substrat wachsen die Keim-
schläuche zu einem Mycelium heran, welches alsbald aufrechte, fruchttragende Fäden
bildet, und zwar theils solche mit nur terminalen grossen Mucorsporangien (Taf. XLIV, Fig.
6, 10), theils solche mit endständigen Sporangiolenzweigen (Fig. ”—9), theils Formen
mit beiderlei Fructification oder deutlichen Zwischenformen zwischen beiden (Fig. 5).
Die Cultur gelingt nicht schwer auf dem Objectträger, zumal in der Pasteur’schen Zucker-
lösung, und der ganze Entwicklungsgang lässt sich hier lücken- und zweifellos ver-
folgen.
Uebergangsformen zwischen den nur einzelne terminale Sporangien tragenden Exem-
plaren und der typischen Thamnidiumform lassen sich übrigens zuweilen auch in anderen
als den reinen Sporangiolumaussaaten finden. Besonders schön beobachteten wir solche
bei einem Mucor, welchen uns Dr. Itzigsohn freundlichst mittheilte und welchen wir auf
Eiweiss und Eidotter cultivirten (Taf. XLIIL, 13— 16). Derselbe zeichnete sich hier von dem
gewöhnlichen M. Mucedo durch gedrungenern Wuchs, dunklere Farbe der Sporangien und
häufig schön violette Columella aus, nahm jedoch auf anderem Substrat, zumal auf Mist,
die gewöhnliche Form an und ist daher wohl nur als eine Varietät zu betrachten. In den
Eiweissculturen trugen seine aufrechten Fruchthyphen theils nur einzelne terminale Spo-
rangien, theils typische Sporangiolenwirtel, theils hatten sie eine kurze Strecke unter dem
grossen endständigen Sporangium einen oder zwei opponirte abstehende Aeste, die einige-
mal dichotom oder auch trichotom getheilt waren und auf den Zweigenden kleine
runde Sporangien trugen. Die reicher verzweigten sahen den Sporangiolenträgern
sehr ähnlich. Ihre kleinen Sporangien unterscheiden sich aber von den typischen Spo-
rangiolen durch weit grössere, bis auf 40, 50 und mehr steigende Zahl der Sporen
(Fig. 16) und einzelne derselben waren mit einer kleinen Columella versehen.
Abh. d. Senckenb, naturf, G. Bd. V. 45
— 350 —
In Beeleitung des mistbewohnenden Mucor Mucedo findet sich öfters eine dritte
Pilzform, welche Berkeley und Bi’oome!) zuerst als Botrytis Jonesii beschrieben, Fre-
senius?) kürzlich in eine besondere Gattung, Chaetocladium, gestellt haben. Diese Form
erscheint — so weit unsere Beobachtungen reichen — gleichfalls erst, wenn die Bil-
dung der Mucorsporangien mehrere Tage gedauert hat und im Abnehmen begriffen ist,
entweder gleichzeitig mit der Thamnidiumform oder noch später als diese. Sie tritt ver-
einzelt, oft aber auch massenhaft auf, in letzterem Falle erhält der Mucorrasen ein
durchaus verändertes Ansehen, indem die geraden, aufrechten, stattlichen Sporangien-
träger theilweise collabiren und zwischen ihnen zahlreiche kürzere und zärtere auf-
rechte Hyphen von schneeweisser Farbe auftreten, an welchen schon das unbewallnete
Auge bei einiger Uebung eine reiche rispige Verzweigung erkennen kann. (Vgl. Taf. XLIV).
Stärkere Vergrösserung lässt in diesen Fäden einen Stamm unterscheiden. der
sich entweder nur an seinem oberen Ende in mehrere Hauptäste gabelt oder von
letzteren zwei, drei und vielleicht noch mehr übereinander stehende Wirtel trägt.
Die Wirtel bestehen aus 2 bis 6. sehr oft aus drei Aesten (vgl. Fig. 11). Jeder
Hauptast theilt sich nach kurzem Verlauf in 3 oder 4 abstehende ausgespreizte Aeste
zweiter Ordnung, deren jeder in eine lange borstenförmige Spitze ausläuft und etwa
in seiner Mitte einen Wirtel von 2 bis 3 Aestchen dritter Ordnung trägt. Diese sind
wiederum borstenförmig zugespitzt und tragen über ihrer Mitte einen meist drei- bis
viergliedrigen Wirtel von Aestchen vierter Ordnung, welche kurz, fast rechtwinkelig
ausgespreizt und abermals in 2—3 ganz kurze, etwas angeschwollene, unregelmässig
wirtelig oder gabelig geordnete Zweiglein getheilt sind. An jedem dieser Endzweige
werden auf kurzen Stielchen einige Sporen simultan neben einander abgeschnürt, die-
selben können daher als Basidien bezeichnet werden. Jeder Zweig vierter Ordnung
bildet durchschnittlich 15 bis 20 Sporen, die in trockenem Zustande sein Ende als ein
von der borstenförmigen Spitze überragtes Köpfchen bedecken (vgl. Fig. 11—15).
Nimmt man alle Auszweigungen als dreizählig, und auf jedem Aste vierter Ordnung
15 Sporen an, so trägt jeder Hauptfaden nicht weniger als 1215 Sporen.
Es braucht kaum gesagt zu werden, dass von diesem bereits von Fresenius be-
schriebenen typischen Verzweigungsschema nicht selten einzelne Abweichungen vor-
I) Ann, Mag. of Nat. history, 2 Ser. vol. 13. pl. XV (1854).
?) Beiträge, Seite 97, (1863).
— 3 —
kommen. Besonders endigen zuweilen auch die Zweige dritter Ordnung gleich den
quartären mit Basidien und nicht mit einer Borste (Fig. 13).
Der Hauptstamm ist mitsammt seinen Aesten der ersten Ordnungen ein zartwan-
diger, unseptirter, in seiner Jugend reichliches wandständiges Protoplasma enthaltender
Schlauch. Querwände treten regelmässig unter den sporenabschnürenden Enden, zuwei-
len auch in den borstenförmigen Spitzen auf (Fig. 12, 14, 15).
Die reifen Sporen sind kugelrund, meist %5e—Y2: Millim. gross, einzelne noch
grösser (%s). Ihre Membran ist dünn, zart und bei manchen Exemplaren glatt und
farblos, bei andern, wie sie auch Fresenius beschreibt, durchscheinend bräunlich und
auf der Oberfläche äusserst fein punktirt-warzig. Sie umschliesst einen stark licht-
brechenden, farblosen. homogenen oder bei ganz starker Vergrösserung sehr feinkörnigen
Protoplasmakörper (Fig 16).
Die Sporen der Botrytis Jonesii sind von ihrer Reife an keimfähig. Säet man
sie in Wasser aus, so bleiben sie selbst Wochen- und Monate lang total unverändert.
Auf eine der bei den obigen Keimungsbeschreibungen genannten Flüssigkeiten gesäet
(die besten Resultate wurden mit Traubensaft erhalten) sinken sie in den ersten 12
bis 24 Stunden zu Boden, schwellen auf etwa das doppelte ihrer ursprünglichen Grösse
an, in ihrer Mitte erscheint eine grosse Vacuole (vgl. Fig. 17). Nach weiteren 12
bis 24 Stunden findet man sie noch bedeutend vergrössert, aus der kugelförmigen in
birnförmige, längliche u. s. w. Form übergegangen und die Austreibung von Keim-
schläuchen beginnend (vgl. Fig. 18—20). Diese wachsen, in derselben Weise wie es
für die oben besprochenen Formen angegeben wurde, binnen 1—2 Tagen zu reich ver-
ästelten Myceliumfäden aus, welche denen von Mucor Mucedo völlig gleichen und als-
bald aufrechte, auf ihrer Spitze Mucor-Sporangien bildende Zweige treiben. Diese
letzteren sowohl, wie ihre Träger, haben genau die oben für Mucor Mucedo beschrie-
benen Eigenschaften.
Wir erhielten aus der Botrytis-Aussaat nie andere Exemplare als solche mit ty-
pischen grossen Mucor-Sporangien. Die Entwicklung dieser Exemplare aus den Bo-
Irylissporen liess sich auf dem Objeetträger leicht durch alle Stadien verfolgen. Es
ist daher unzweifelhaft, dass Botrytis Jonesii nicht ein Begleiter, sondern eine dritte
Fructificationsform des Mucor Mucedo ist, welche den vorliegenden Daten zufolge nur
dann zur Entwicklung kommt, wenn dieser Pilz auf Mist vegetirt.
Im Anschlusse an die bei den Pilzen anderweitig gebräuchliche Terminologie (vgl.
45*
Flora 1862 p. 61) würden die von diesen Fructificationsorganen abgeschnürten Sporen
als Conidien zu bezeichnen sein.
Nach dem Mitgetheilten ist nicht zu bezweifeln. dass bei dem spontanen Mucor
Mucedo die Conidienträger mit den Sporangienträgern aus demselben Mycelium entsprin-
gen. Präparate, an welchen dieses direct sichtbar gewesen wäre, konnten wir aus
dem dichten Gewirr zarter Hyphen, welches die Basis älterer Mucorrasen bildet, nicht
darstellen. und Fruchthyphen, welche gleichzeitig Conidien und Sporangien tragen,
konnten wir so wenig wie Fresenius auffinden.
Bail') und Zabel?) haben für Mucor Mucedo ferner Gonidien beschrieben. In
alten Fäden, zumal solchen, deren Inhalt grossentheils zur Sporangienbildung verwen-
det worden ist, sammelt sich das Protoplasma in kurze Querzoren an, die sich durch
Querwände zu allmählich ziemlich derbwandig werdenden Zellen abgrenzen. Diese
Zellen liegen meist einzeln und zerstreut in der Continuität der alten, leeren und
collabirten Fäden. Ebenfalls ziemlich derbwandige, von Protoplasma strotzende eylin-
drisch-eiförmige Zellen bilden sich oft in langen Ketten durch gewöhnliche Zellthei-
lung an den Zweigenden solcher Mycelien, bei denen die Bildung der Sporangienträger
gehindert ist, sei es durch unzureichende Ernährung oder besonders durch Abschluss
der Luft. Berkeley hat solche Zustände schon 1838 (Magaz. of Zool. and Bot. Vol.
II. p. 340) für eine jedenfalls dem M. Mucedo wenigstens nahestehende Form be-
schrieben. In günstige Medien gebracht, wachsen die beiderlei eben erwähnten Zellen
zu einem Sporangien bildenden Mucormycelium aus. Die beschriebenen Zellen dürften
kaum den typischen Fortpflanzungsorganen zuzurechnen sein, eher vielmehr accessori-
schen Brutknospen höherer Gewächse vergleichbar. Sie mögen daher, und um Ver-
wechselung mit den Conidien zu vermeiden, statt. Gonidien Brutzellen genannt
werden. (Vgl. Taf. XLIV, Fig. 21, 22.)
Bei der Untersuchung der Entwicklungsgeschichte von Mucor Mucedo waren zwei
weitere Fragen zu prüfen. Bail”) hat erstlich behauptet, aus den in gährungsfähige
Zuckerlösungen ausgesäeten Brutzellen des Mucor Mucedo Fres. entwickelten
sich die Zellen des Hormiscium Cerevisiae, der Bierhefe. Und er ging zweitens
später noch viel weiter. indem er angab, Bierhefe, Mucor Mucedo, Achlya, Sapro-
leenia sammt Entomophthora Muscae Fres. (Empusa Muscae Cohn) seien alle nur
I) Flora 1857 p. 417.
2) Einiges über die Gonidien der Pilze. Melanges biolog. St. Petersbourg. T. III.
3) Flora 1857 1. ce, und Verhandl. d. D. Naturforschervers. zu Königsberg.
_— 353 —
Formen einer Species: die Hefezellen werden von den Stubenfliegen gefressen, entwickeln
sich in der Leibeshöhle dieser zu den blasigen Schläuchen, welche man durch Cohn und
Lebert als die Anfänge von Entomophthora kennt, und je nachdem die Fliege, welche
diese enthält, in Wasser oder auf einen feuchten, von Luft umgebenen Boden kommt,
wachsen jene Schläuche zu Achlya und Saprolegnia oder (je nach ihrem Alter) zu Mucor
und Entomophthora aus.
Was die erste dieser Behauptungen betrifft, so bedauern wir, trotz einiger bestä-
tirenden Aeusserungen von anderer Seite, unsererseits nur negative Resultate berich-
ten zu können. In zahlreichen und mannichfach variirten Aussaaten von Mucorsporen
ist es uns nie gelungen, die Entwicklung von Gährung erregenden Hefzellen aus diesen
Organen sicher zu constatiren. Von der zweiten Bail’schen Angabe ist jeder einzelne
Satz besonders zu prüfen und zu beurtheilen. ‘
Dass erstens die jugendlichen Schläuche der Entomophthora Muscae in Wasser zu
Achlya prolifera Nees oder anderen grösseren Saprolegnieen auswachsen, während sie
sich in der Luft zu den nach dem Tode des Thieres aus der Körperoberfläche hervor-
brechenden sporenabschürenden kurzen Fäden entwickeln, welche Cohn, Lebert und
Fresenius beschrieben haben, ist von Cienkowski (Bot. Zeitg. 1853) bereits angegeben
worden. Woronin konnte die Richtigkeit dieser Angaben bestätigen. '). Entomophthora
Muscae stellt hiernach einen Entwicklungszustand von Achlya prolifera, und wohl die
ganze Reihe der Entomophthora-Formen Entwicklungsglieder der verschiedenen
Saprolegnieenspecies dar. Die vollständige Verfolgung ihres Entwicklungskreislaufes
bleibt ferneren Untersuchungen vorbehalten.
Was zweitens die Verwandlung der Hefezellen in Entomophthoraschläuche be-
trifft. so findet man jene reichlich im Schlunde, Magen und Darm der Fliege, wenn
man diese reichlich mit Hefe gefüttert oder Hefe anderweitiger Nahrung beigemengt
hat. Aber die Hefezellen blieben in unseren Versuchen Hefezellen; auch nach wochen-
langer Cultur und Zucht konnten wir sie weder in dem lebenden noch in dem ge-
tödteten. in Wasser oder auf feuchten Boden gebrachten Thiere zu Entomophthora-
oder Achlya- oder Mucorschläuchen auswachsen sehen. Es wäre zwecklos, alle ein-
zelnen Versuche ausführlich zu beschreiben. da alle das nämliche negative Resultat
ergeben haben.
») Ich referire dieses einfach, weil ich an der betreifenden Untersuchung nicht Theil genommen habe,
d. By.
— 354 —
Der dritte Satz, demzufolge Mucor Mucedo so zu sagen nur eine Luftform, von
Achlya prolifera sein soll, wurde nach Feststellung der so eben mitgetheilten negativen
Resultate auf zweierlei Wegen weiter geprüft. In einer Reihe von Versuchen wurden
Sporangium- und Sporangiolum- (Thamnidium-) Sporen des Mucor Mucedo auf frisch
getödtete, Entomophthorafreie Fliegen gesäet, welche in reinem, vorher ausgekochtem
Wasser lagen, und dafür gesorgt, dass die Sporen unter Wasser keimten. Resultat
immer nur Mucormycelium, das unter Wasser steril blieb oder Brutzellen entwickelte,
nie Achlya. Dasselbe Resultat ergab eine Reihe von Versuchen, welche sich von
den ersten nur dadurch unterschied, dass die Mucorsporen nicht auf Fliegen gesäet,
sondern in Collodiumsäckchen eingeschlossen ins Wasser versenkt wurden. Die Säck-
chen enthielten theils nur Wasser, theils Eiweiss, Amylum u. s. w.
Umgekehrt wurde ferner gefragt: Kann Achlya die Form von Mucor Mucedo an-
nehmen unter denjenigen äusseren Bedingungen, welche der Entwicklung des letzteren
besonders günstig sind? Fliegen, auf welchen in Wasser die Entwicklung von Achlya
eben begann, wurden zu wiederholten Malen auf gut ausgekochten Mist von Kaninchen
und Meerschweinchen gebracht und unter Glasglocken in feuchter Atmosphäre gehalten.
Die Achlyaschläuche trieben zahllose Zweige, welche sich in dem Miste kriechend aus-
breiteten, auch einzelne aufrechte Aeste in die Luft treten liessen, aber während der
durchschnittlich einen Monat lang fortgeführten Culturen durchaus steril blieben und
zuletzt abstarben.
In Pasteur’sche eiweisshaltige Zuckerlösung wurden theils auf Objectträgern, theils
in Glasschälchen, reife Oosporen von Achlya') gesäet. Schon nach 24 Stunden reich-
liche Keimung, und zwar theils Austreibung von Keimschläuchen, theils Bildung von
Schwärmsporen, welche schnell zu Ruhe kamen und keimten. Beiderlei Keimschläuche
wuchsen nun beträchtlich in die Länge, trieben zahlreiche schlanke Zweige, blieben
aber arm an Protoplasma und stets durchaus steril.
Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass in unseren Versuchen einigemal auch
auf Achlya tragenden oder nicht besäeten Fliegen Mucor Mucedo mit Sporangien und
zuweilen auch Sporangiolen auftrat, wenn sich dieselben in feuchter Luft befanden.
Es war aber in allen diesen Fällen nachweisbar, dass die Entwicklung seines Myceliums
aussen auf der Fliege begann und nicht aus im Innern befindlichen Entomophthora-
!) Ob von Achlya prolifera Nees oder einer nächstverwandten Form war nicht völlig genau bestimmbar;
nach Bail ist dies ja aber gleichgültig.
— 355 -—
oder Achlya-Schläuchen hervorging, und die ganze Erscheinung leicht zu erklären, da
sie in einem zahlreiche Mucoreulturen enthaltenden Lokale stattfand.
Nach allen diesen Thatsachen wird es wohl erlaubt sein, die Saprolegnieenformen
und Entomophthoren aus dem Entwicklungskreise unseres Mucor Mucedo auszuschliessen.
Es bleiben für denselben die drei beschriebenen Formen übrig, die Sporangientragende,
die Sporangiolentragende, die Conidienträger nebst den Brutzellen.
Die Bedenken, welche Fresenius früher über Thamnidium, Chaetocladium und ihre
Beziehungen zu Mucor Mucedo aussprach, sind durch das Mitgetheilte erledigt worden
(vgl. Bot. Zeitung 1864 p. 154). Dafür fragt es sich aber jetzt, ob jener dritte Be-
gleiter der typischen Sporangienträger, dessen Fresenius in seiner eben cilirten Mitthei-
lung erwähnt, nicht auch, als vierte Fruchtform, in den Entwicklungskreis des Mucor
Mucedo gehört. Wir fanden diese Pilzform zweimal in wenigen vereinzelt stehenden
Exemplaren und zwar beidemale bei einer Cultur auf Pferdemist, bei welcher Sporan-
gien- und Conidienträger schon gröstentheils überreif und vertrocknet waren. Wie
Fresenius schon zum grössten Theile beschrieben hat, erheben sich von dem Substrat
aufrechte, erst farblose, dann (durch Färbung ihrer Membran) hellbraune Fäden, deren
von unten nach oben an Dicke zunehmender und bis über 5 Millim. langer Hauptstamm
sich 6—8 Mal dichotom theilt. Die Gabelungen jeder höheren Ordnung sind beträcht-
lich kürzer als die der vorhergehenden, ihre Verzweigungsebene schneidet die vorher-
gehende nahezu rechtwinkelig. Unter den Gabelungsstellen, auch wohl hie und da in
den primären Aesten und dem Hauptstamme stehen öfters, doch nicht immer, Querwände.
Die oft sehr kurzen letzten Dichotomieen tragen auf ihren Enden sämmtlich eine durch
eine Querwand abgegrenzte Zelle — Basidie — von breit-obeonischer, daher im Profil
dreieckiger Gestalt. (Taf. XLINI. Fig. 17, 18.)
Die obere Fläche dieser Basidie ist an ihrem Rande unregelmässig ausgebuchlet
und stumpflappig eingeschnitten, und dicht besetzt mit radial divergirenden, zusammen
ein strahliges Köpfehen bildenden Sporenreihen. Jede der letzteren bestand in den unter-
suchten Exemplaren aus vier, drei oder zwei Sporen von länglich-cylindrischer Form
(Länge "aso— zo Mm., Breite %s0— 0» Mm.).
Mit der Reife fallen die Sporen ab; da nur reife Exemplare zur Untersuchung
kamen, ist es daher wohl möglich, dass die Reihen ursprünglich immer aus mehr als
3 oder 2 Gliedern bestehen. Noch leichter als die Sporen trennt sich die Basidie selbst
von ihrem Träger los. Bringt man ganz reife Exemplare in Wasser, so findet man
daher oft sämmiliche Basidien in der Flüssigkeit zerstreut, theils noch ihre Sporen
— 556 —
tragend, theils ohne diese oder nur noch mit vereinzelten Sporen oder Reihen besetzt,
die Enddichotomien aber abgerundet oder abgestutzt endigend (vgl. Fig. 17, 18).
Die Entwicklung dieser sonderbaren Pilzform konnte bis jetzt nicht verfolgt wer-
den; mehrfache Versuche, ihre Sporen zur Keimung zu bringen, blieben resultatlos; auch
eine genaue Untersuchung des Myceliums war bis jetzt nicht möglich. Ein organischer
Zusammenhang mit einem der oben beschriebenen Fortpflanzungsorgane des Mucor Mucedo
konnte, wie auch Fresenius angibt, nicht gefunden werden. Es muss somit zur Zeit
dahingestellt bleiben, ob der Fresenius’sche Pilz zu Mucor Mucedo gehört oder nicht, und
mag derselbe einstweilen mil einem besonderen Namen, Piptocephalis Freseniana
benannt werden.
— 3517 —
I. Mucor stolonifer.
(Tafel XLIN, Fig. 2022 und Tafel XLV.)
Ein ebenso verbreiteter Pilz wie Mucor Mucedo ist als Rhizopus nigricans Ehrbg.
(Epist. de Mycetogen.), Ascophora Mucedo Tode, Mucor stolonifer Ehrbg. (Silv. Mycolog.)
bekannt. Er sei hier mit dem letztgenannten Namen bezeichnet, weil dieser eine Haupt-
eigenthümlichkeit desselben anzeigt und zugleich die Species in die Gattung Mucor stellt,
von der, wie Fresenius schon vor 15 Jahren gezeigt hat, die Genera Rhizopus und
Ascophora dermalen nicht getrennt werden können.
Mucor stolonifer bewohnt todte oder absterbende organische Körper verschiedenster
Art; am schönsten entwickelt er sich auf fleischigen Früchten, welche unter der Ein-
wirkung seiner Vegetation rasch in Fäulniss übergehen.
Aus den keimenden Sporen entwickeln sich reıchverästelte, wellig gebogene, meist
unseptirte Myceliumschläuche, welche sich in und auf dem organischen Substrate aus-
breiten. Bei normal entwickelten Exemplaren erheben sich von dem Mycelium dicke
aber zartwandige Aeste, Stolonen, welche aus bogig aufsteigender Basis eine der
Oberfläche des Substrats ungefähr parallele Richtung annehmen, ihre Spitze aber wiederum
gegen dieses hinneigen; oder, dem Substrat locker anliegend, kriechend über dasselbe
hinwachsen, oder endlich, wo sie keine feste Stütze finden, senkrecht in die Luft hinab-
hängen. Die Stolonen erreichen eine Länge von 1—3 Cm. und darüber; sie sind ein-
fach oder mit zerstreuten Aesten versehen, oder, zumal bei bedeutender Länge, in zwei
bis mehrere strahlig divergirende Gabeläste getheilt, (XLV, 1.)
Die Sporangienbildung findet an den auf das Substrat geneigten Enden der Stolonen
statt. Hinter der anfangs stumpf abgerundeten Spitze des Stolo treten dicht bei einander
stehende Zweiganlagen auf, je nach der Kräftigkeit der Exemplare in verschiedener
Zahl. Eine Anzahl dieser Zweige, und zwar solche, die seitlich und auf der Unter-
fläche entspringen, wachsen, nebst dem Ende des Stolo selbst zu Wurzelhaaren aus,
reich dichotomen oder zerstreut ästigen kurzen Schläuchen, deren Endramificationen haar-
förmig ausgezogen und dem Substrat fest angelegt sind. Die Wurzelhaare bilden mit-
einander ein oft sehr dichtes reichfädiges Büschel. Andere, auf der Oberfläche des Stolo
über oder dicht hinter dem Wurzelbüschel entspringende, gleichzeitig mit den Wurzel-
haaren oder wenig früher angelegte Aeste entwickeln sich theils zu Sporangienträgern,
Abh. d. Senckenb. nat. G. Bd. V.
— 9358 —
theils wieder zu Stolonen. Jene erheben sich senkrecht oder spitzwinklig zu der
Fläche des Substrats in Form durchaus einfacher, meist 2—3 Millim. hoher, straff auf-
rechter Schläuche, die auf ihrem Scheitel ein Sporangium bilden. Ihre Zahl beträgt auf
einem Stolonenende bei kräftigen Exemplaren meist 3—5, oft auch nur 1—2, manch-
mal 6—10; wo mehrere vorhanden sind, entspringen sie immer ganz dicht bei einan-
der und divergiren spitzwinklig. Die Stolonen höherer Ordnung entspringen unmittel-
bar neben oder zwischen den Sporangienträgern, einzeln oder zu 2 und selbst 3, sie
verhalten sich wie für die Stolonen im Allgemeinen angegeben wurde, ihr Ende bildet
wiederum ein Wurzelbüschel und Sporangienlräger; sehr oft werden die beiden letzt-
genannten Organe ohne neue Stolonen von einem Stolonenende erzeugt (vgl. XLV, 1).
Die Stolonen wachsen keineswegs nur über das von dem Mycelium bewohnte
und dem Pilz Nahrung gebende Substrat, sondern vielmehr über jeden beliebigen festen
Körper hin. Der Pilz kann sich daher weit über den Ort seiner eigentlichen Vegetation
hinaus ausbreiten.
Ausser diesen charakterisiischen Verzweigungen entspringen immer auch einzelne
Sporangienträger direct von den Myceliumfäden. Sie sind den von den Stolonen ge-
triebenen gleich oder höchstens hier und da an der Basis mit einem Zweige versehen.
Schlecht ernährte kümmerliche Exemplare haben diese solitären Sporangienträger oft
ausschliesslich oder vorzugsweise, und wenige oder keine Stolonen. Auch an solchen
Stolonen, die in die Luft hinabhängen, werden Sporangien auf einzelnen zerstreuten
Zweigen gebildet.
Der Bau der Stolonen ist der eines zarlwandigen, in der Jugend protoplasmareichen
unseptlirten Schlauches. Die Wurzelhaare zeigen in der Jugend die nämliche Beschaffen-
heit, später oft zahlreiche Querwände und, zumal an der Basis, verdickte, braun ge-
färbtle Membran.
Die Sporangiumträger sind einfache, querwandlose Schläuche. Ihre Spitze schwillt
zu dem kugeligen Sporangium an, welches bei kräftigen Exemplaren einen Durchmesser
von Y, Mm. bis % Mm., bei schwachen manchmal nur %; Mm. erreicht und sich durch
eine hoch-kuppelförmige, manchmal fast kugelige, bei kümmerlichen Exemplaren weniger
gewölbte Querwand oder Columella von seinem Träger abgrenzt. (XLIII,. 20). Die Inser-
tionslinie dieser in die Aussenwand liegt bei der in Rede stehenden Species stets etwas
über dem Punkte, wo die kuglige Anschwellung des Trägers beginnt, letztere ist somil
unter dem Sporangium zu einer breit-obeonischen Apophyse verbreitert. Diese durch-
aus constante, auch nach dem Zerfallen des Sporangiums und an den kümmerlichsten
— 359 —
Exemplaren erkennbare Eigenthümlichkeit unterscheidet den Mucor stolonifer von den
meisten mir bekannten Mucorinen, besonders Mucor Mucedo, Die Aussenwand des
Sporangiums erscheint schon frühe ziemlich grob körnig-warzig, zuerst farblos, später diluirt
schwärzlich blau (die Farbe von blasser Galläpfeltinte). Der Raum zwischen ihr und
der Columella wird von einer wie es scheint homogenen, feinkörnigen, in reflectirtem Licht
weissen oder blassgelblichen Protoplasmamasse ausgefüllt, welche, soweit dies bei der
Dicke und Undurchsichtigkeit der Sporangien erkannt werden kann, simultan in zahl-
reiche, zu mehreren unregelmässig concentrischen Schichten geordnete Sporen zerfällt.
Die Zahl dieser beträgt bei kümmerlichen Exemplaren nur etwa 20 bis 40, bei starken
jedenfalls einige Hundert. Mit der Reife der Sporen nimmt das Sporangium eine (von
den Sporenmembranen herrührende) schwarze Farbe an; die anfangs farblose, durch Jod
und Schwefelsäure nie blau werdende Wand des Trägers und der Columella wird ziem-
lich beträchtlich verdickt, rigid, hellbraun oder diluirt blauschwarz, die Aussenwand des
Sporangiums zerfällt, auch im nicht befeuchteten, völlig unversehrten Zustande; bringt man
sie in Wasser, so vertheilen sich ihre Körnchen und Wärzchen in diesem, die hyaline
Substanz, welche ursprünglich zwischen diesen liegt, wird völlig unkenntlich. Die In-
serlionslinie der Aussenwand bleibt, wie schon oben angedeutet wurde, über der Apo-
physe sichtbar (XLV, 4).
Sporangium und Columella sind im feuchten Zustande prall angeschwollen und von
der angegebenen Kugel- und Kuppelform. Bei Abnahme des Wassergehalts durch Ver-
dunstung oder wasserentziehende Reagentien (Glycerin, Alkohol) collabiren beide mitein-
ander, oder nach Abfallen des Sporangiums und der Sporen der Columella für sich allein,
derart, dass sie die Form eines dem Träger aufsitzenden, stumpfrandigen Agaricushutes
erhalten — eine Erscheinung, die bei allen uns bekannten Mucorinen wiederkehrt, viel-
fach beschrieben und missverstanden, und unseres Wissens zuerst von Fresenius klar
dargestellt worden ist.
Diereifen Sporen (XLIN, 21) sind kugelig oder breit oval, oft miteiner oder zwei spitzi-
gen Kanten oder Ecken versehen. Ihre Grösse ist ziemlich ungleich in demselben Sporan-
gium und etwa zwischen Yıs;s Mm. uud %o Mm. schwankend. Ein Grössenunterschied
zwischen solchen die in kleinen oder die in kräftigen Sporangien gebildet sind, ist nicht zu
bemerken. Sie besitzen einen homogenen farblosen Protoplasmakörper und eine dünne, aber
deutlich in Endo- und Episporium gesonderte Membran. Jenes ist eine sehr zarte homo-
gene farblose, das Protoplasma umschliessende Haut; das Episporium ist gleichfalls sehr
dünn, aber fest, an der einzeln betrachteten Spore diluirt blaugrau gefärbt und mit
46 *
— 360 —
feinen meridianarlig verlaufenden Streifchen gezeichnet, welche bei Behandlung mit
Schwefelsäure deutlich als zarte nach aussen vorspringende Leistchen erkennbar sind.
Die Keimfähigkeit der Sporen dauert, soweit die Erfahrungen reichen, vom Augen-
blick der Reife an ohngefähr ein Jahr lang; viele sind nach Ablauf dieser Frist schon
nicht mehr zur Keimung zu bringen. Auch die keimfähigsten Exemplare bleiben im
Wasser unverändert, ebenso in reiner Rohrzuckerlösung. In Pasteurscher Lösung und auf
den Körpern. welche der fruchttragende Pilz bewohnt, keimen sie bei hinreichender
Feuchtigkeit leicht schon nach wenigen Stunden. Wie die Bedingungen so entsprechen
auch die Entwicklungserscheinungen bei der Keimung den oben für Mucor Mucedo
beschriebenen. Das Episporium wird von dem anschwellenden und die Keimschläuche
direct austreibenden Endosporium gesprengt (XLIN. 21).
Mucor stolonifer besitzt eine zweite Art von Fortpflanzungsorganen, nämlich Zygo-
sporen, deren Bau und Entwicklung denen von Syzygites megalocarpus sehr ähnlich
sind. Ihre Beschreibung kann daher mit Verweisung auf die in der ersten Reihe dieser
Beiträge (pag. 74) von Syzygites gegebene kurz gefasst werden. Vorausgeschickt sei
derselben die Angabe, dass die Zygosporen unseres Mucor in dem Freiburger botani-
schen Laboratorium von Herrn A. Janowitsch zuerst gefunden worden sind. (Vgl. Taf. XLV.)
Ihre Bildung findet an cylindrischen, niederliegenden, unregelmässig verästelten
Schläuchen stalt, welche den Stolonen ähnlich von dem Mycelium ausgehen. Die Zweige
derselben schieben sich ordnungslos zwischen- und übereinander und die Zygosporen ent-
wickeln sich an ihren Berührungs- und Kreuzungsstellen. Hier treibt zuerst ein Schlauch
eine kurze cylindrische seitliche Ausstülpung senkrecht gegen den andern; dieser treibt
eine ebensolche da wo er von der ersten berührt wird. Beide Ausstülpungen erhalten
alsbald gleiche, den Querdurchmesser der Schläuche zunächst nicht übertreffende Grösse,
richten sich nahezu geradlinig gegeneinander und verwachsen miteinander fest in ihren
breiten etwas abgerundeten Endflächen. Diese Verbindung beibehaltend vergrössert
sich eine jede zu einer Copulations- oder Fruchtkeule, beide stellen zusammen einen
spindelföürmigen um die Berührungsfläche etwas eingeschnürlen Körper dar, welcher
quer zwischen den zwei copulirenden Schläuchen steht und diese in dem Maasse als
er wächst von einander entfernt. Häufig biegen sich die Schläuche gegen die Keulen
hin leicht knieförmig ein. (Fig. 2.)
Die Keulen erreichen eine bedeutende Grösse, sie bleiben zunächst mit ihren
Trägern in offener Communication und von diesen aus strömt langsam reichliches Pro-
toplasma in sie ein, welches entweuer gleichförmig gelblich oder von grösseren gel-
— 361 —
ben Oeltropfen durchsät ist und, soweit dies entschieden werden kann, wenigstens den
Gipfel der Keule vollständig ausfüllt. Beide Keulen eines Paares sind zunächst entweder
gleich gross oder zeigen durchaus unbeständige Grössenunterschiede.
Zuletzt grenzt sich das gegen die andere gekehrte breite Ende jeder Keule von
ihrem unteren kegelförmigen Theile (Suspensor) durch eine Querwand zur gerundet
cylindrischen Fruchtzelle oder Copulationszelle ab. Die Querwand wird an-
gelegt als ein ringförmige, sich zur kreisförmigen Lamelle centripetal verbreiternde und
schliessende Leiste; die Abgrenzung der beiden Copulationszellen eines Paares erfolgte
in den beobachteten Fällen nicht ganz gleichzeitig. In der weitaus grösseren Mehrzahl
der Fälle sind beide Copulationszellen eines Paares ungleich gross: die eine so hoch
wie breit, die andere nur etwa halb so hoch. Ein dieser Differenz entsprechender
Grössenunterschied der beiden Suspensoren ist, wie schon aus dem oben angegebenen
hervorgeht, zunächst nicht immer wahrzunehmen. (Fig. 3, 5—7.)
Die nächste Veränderung besteht darin, dass die Querwand zwischen beiden Copu-
lationszellen, die den Endflächen der ursprünglichen Keulen entspricht, aufgelöst wird und
verschwindet, und zwar wie bei Syzygites megalocarpus von der Mitte gegen den Rand
hin fortschreitend (Fig. 3,7). Beide Copulationszellen verschmelzen somit zu einer Zygospore.
Diese hat zunächst eine tonnenförmige Gestalt. Ihre an die Suspensoren angrenzenden
Endflächen sind eben oder leicht nach aussen gewölbt, ihre Seitenwand leicht convex,
und die der Berührungsstelle der ursprünglichen Keulen entsprechende Einschnürung an
derselben noch eine Zeit lang erkennbar; auch von der früheren Zwischenwand bleibt
der peripherische Theil nicht selten in Form einer schmalen Ringleiste erhalten. Die
Zygospore nimmt nun noch elwa um das zwei- bis dreifache im Volumen zu und
erhält allmählich ziemlich regelmässige Kugelform, ihr Durchmesser beträgt zuletzt
bei starken Exemplaren meist % Mm. bis % Mm. Individuelle Verschiedenhei-
ten sind jedoch zahlreich, auch kommen nicht selten viel kleinere vor, welche die
ursprüngliche Tonnenform beibehalten. Der Inhalt der Zygospore nimmt in gleichem
Maasse wie das Volumen an Menge zu. Er bleibt immer eine dichte grobkörnige, und
mit vielen grossen farblosen oder gelben Oeltropfen durchsetzte Protoplasmamasse. Die An-
fangs einfache und farblose Membran der Zygospore verdickt sich beträchtlich und sondert
sich wie bei Syzygites in zwei Häute: eine derbe, anfangs schwarzblaue zuletzt schwarz-
braune und undurchsichtige Aussenhaut, die auf den Endflächen glatt, auf der Seiten-
fläche mit dicken stumpfen unregelmässigen, innen ausgehöhlten warzenförmigen Vor-
sprüngen bedeckt ist; und eine farblose. dieke geschichtete Innenhaut, welche wie
— 362 —
bei Syzygites auf der Seitenwand Warzen trägt, die in die Aushöhlungen der Aussen-
haut eingepasst sind. Eine innerste dünne Schicht der Innenmembran ist von den übrigen
besonders scharf abgesetzt (vgl. Fig. 4, 8, 9.)
Mit der Zygospore nehmen ihre beiden Suspensoren an Grösse zu und zwar in
sehr ungleicher Weise. Der ursprünglich an die grössere Copulationszelle grenzende
wächst nur wenig,
der kleineren Copulationszelle entsprechende schwillt zu einer kugeligen der Zygospore
behält kegelige Form und zarte farblose Membran. Der andere,
oft nahezu gleich grossen Blase an, die dem tragenden Schlauche mittelst eines schmalen
eylindrisch-kegelförmigen Stieles ansitzt, lange Zeit reichliches wandständiges Protoplasma
enthält, und deren Membran erst diluirt blauschwarze, dann hellbraune Farbe und punktirt-
körnige Oberfläche annimmt. In beiden Suspensoren, zumal dem grossen, tritt später
oft, doch keineswegs immer eine Querwand auf, in beiden trocknet das Proloplasma
zuletzt der Wand an.
Kleine schwächliche Zygosporen machen von der beschriebenen Regel oft in so-
fern eine Ausnahme, als zu keiner Zeit zwischen den beiden Suspensoren ein Grössen-
unterschied besteht.
Azygosporen, wie sie bei Syzygites häufig sind, wurden bei der in Rede stehen-
den Species unter Tausenden von Zygosporen niemals beobachtet.
Die Zygosporen kommen theils ganz vereinzelt, theils in grosser Zahl und dicht
bei einander an ibren Tragfäden vor, und sind oft die einzigen von diesen entwickelten
Fortpflanzungsorgane. Zuweilen treiben jedoch jene, gleichzeitig mit der Zygosporen-
bildung oder nachher, einzelne Sporangienträger von der oben beschriebenen typischen
Beschaffenheit und manchmal treten diese dicht neben den Suspensoren auf. Fälle
dieser Art, von denen einer in Fig. 4 abgebildet ist, sind geeignet um jeden etwaigen
Zweifel an dem Zusammengehören von Sporangien und Zygosporen zu beseitigen.
Die ganze Entwicklung einer Zygospore ist innerhalb 24 Stunden vollendet; an
kräftigen Exemplaren werden oft mehrere Tage lang immer neue von den neuent-
stehenden Zweigen der Tragfäden gebildet.
Ihre Keimung konnte bis jetzt nicht beobachtet werden, weder an frisch gereiften,
noch an Exemplaren, welche einige Wochen, Monate und selbst über ein Jahr lang
rein und trocken aufbewahrt worden waren.
Die Zygosporenbildung von Mucor stolonifer wurde beobachtet in den Monaten
Mai, Juni und Juli bei heisser und warmer Witterung und in Culturen des Pilzes auf
fleischigen, reifen und besonders unreifen Früchten (Kirschen, Stachelbeeren, Johannis-
— 363 —
beeren, Vogelbeeren) sowie auf Brot. Auf anderem Substrat und zur Winterszeit wur-
den nur Sporangien beobachtet.
Erzieht man den Pilz aus seinen Sporen, so trelen entweder zuerst Sporangien-
träger und Stolonen auf und später erst. unterhalb des von diesen gebildeten weissen
Filzes, die zygosporenbildenden Fäden. Diese Succession fand sich in allen grösseren,
an freier Luft oder unter geräumigen Glasglocken stehenden Culturen. Die Oberfläche
bedeckt sich zunächst mit den erstgenannten Organen, und nachher treten unter diesen,
zumal in den Zwischenräumen zwischen den einzelnen Frucht- oder Brotstückchen und
auf der unteren Seite dieser die Zygosporen auf, theils für sich allein, theils mit ein-
zelnen Sporangienträgern.
Umgekehrt trieb das Mycelium sofort zygosporenbildende Fäden, welche gleich-
zeitig mit den Copulationsorganen oder erst nach diesen einzelne Sporangienträger ent-
wickelten. wenn die Culturen in einem engen abgeschlossenen Raume, theils in v. Reck-
lingshausen’s feuchter Kammer auf dem Objectträger') theils in kleinen fest verschlossenen
Reagenzgläsern gehalten wurden. Diese Beobachtungen machen es möglich, über die
für die Zygosporenbildung förderlichen äusseren Bedingungen wenigstens eine Vermuthung
zu begründen. Da der Pilz und das sich unter seiner Einwirkung zersetzende Substrat
aus der umgebenden Luft Sauerstoff absorbiren und Kohlensäure abgeben, so muss sowohl
unter dem Geflecht von Sporangiumträgern und Stolonen der grösseren Culturen, als
auch in dem abgeschlossenen engen Raume die Luft sauerstoffärmer werden als das
atmosphärische Gasgemenge; und dieser Umstand dürfte, wahrscheinlich indem er den
Oxydationsprocess in dem Pilze verlangsamt, der für die Zygosporenbildung massgebende
sein, denn stoflliche Zusammensetzung des Substrats, Wasserzufuhr und wohl auch Tem-
peratur waren in den offenen Culturen die gleichen wie in dem abgeschlossenen Raume
Schliesslich mag noch auf eine physiologische Eigenthümlichkeit des Mucor stolonifer
aufmerksam gemacht werden, nämlich den schon von Spallanzani ®) erwähnten gänz-
lichen Mangel geocentrischer oder durch Lichteinwirkung verursachter Krümmungen.
Die Stolonen verbreiten sich immer in der beschriebenen Weise über das Substrat und
I) Vgl Virchows Archiv, Bd. 28. 1863. p. 162. Eine auf dem Objectträger (am besten einer malt-
geschliffenen und an der Aufsetzungsstelle gefetleten Glasplatte) fest aufsitzende, kurze weite Glasröhre, die oben
mit dem Tubus des Mikroskops durch einen Kautschukschlauch so verbunden wird, dass Objectiv und Object
zusammen in dem engen Raume eingeschlossen sind. Je nach Bedarf wird die Glasröhre mil feuchlem
Löschpapier ausgekleidet,
2) Opuse. physiol, ed. Senebier, Tom, Il. p. 398.
— 364 —
die Sporangienträger stehen immer senkrecht, oder wenn mehrere divergirend von einem
Stolonenende ausgehen, spitzwinklig zu seiner Oberfläche, bei jeder beliebigen Stellung
und Beleuchtung, auch bei völligem Lichtabschluss. Die Sporangienträger von Mucor
Mucedo zeigen dagegen sehr entschiedene geocentrische Aufwärtskrümmungen und Nei-
gung ihres oberen Endes gegen einseitig einfallende Lichtstrahlen. Sie sind krüm-
mungsfähig in jugendlichem Zustande, bis zur Bildung des Sporangiums. Ist diese vol-
lendet, so strecken sie sich noch bedeutend in die Länge, oft noch um mehr als das
doppelte der ursprünglichen Grösse, und mit der Streckung erlischt die Krümmungs-
fähigkeit.
Auf das Mitgetheilte beschränken sich unsere Beobachtungen über die Mucor
stolonifer. Von den Organen, welche als dessen Pyceniden, Conidien und Chlamydo-
sporen durch Coemans ') beschrieben sind, haben wir die letztgenannten allerdings
auch manchmal beobachtet, sie entsprachen den Brutzellen des Mucor Mucedo. Ueber
die beiden erstgenannten Organe können wir zur Zeit noch kein sicheres Urtheil ab-
geben, möchten jedoch, nach den Darstellungen von Coemans, deren ausführliche Be-
sprechung nicht hieher gehört, sehr bezweifeln, dass sie in der That normale Organe
der in Rede stehenden Mucorinenspecies sind.
Es mag erlaubt sein, hier schliesslich einige Bemerkungen über den Systematik
der Mucorinen anzuknüpfen.
Nachdem Zygosporen, wie sie lange Zeit für Syzygites megalocarpus allein be-
kannt waren, auch bei Mucor stolonifer aufgefunden sind, ist es wohl mehr als wahr-
scheinlich, dass diese, oder ihnen entsprechende Organe allen Mucorinenspecies zu-
kommen. Bei der nahen Verwandtschaft der Mucorinenformen untereinander, und bei
der offenbaren Analogie sowohl ihres Entwicklungsganges mit dem der Peronosporeen
und Saprolegnieen, als auch ihrer Zygosporen mit den Sexualorganen dieser Familien.
liegt dieses zu sehr auf der Hand, um ausführlicher Auseinandersetzung zu bedürfen.
Für die Systematik thut es daher gegenwärtig vor allem Noth, die Zygosporen der
einzelnen Arten aufzusuchen; erst wenn dieses in einiger Ausdehnung geschehen ist,
wird von einer sicheren Umgrenzung der Arten und Gattungen die Rede sein können.
1) Spieilege mycolog. No. 7. Bull, Acad. roy. Belg. 2e Ser, T. XV.
— 365 —
Hält man sich an die gegenwärtig bekannten Thatsachen, so umfasst die Mucorinen-
gruppe wie mir scheint zwei oder drei Gattungen: Mucor, Pilobolus. und vielleicht
Azygites (Tulasne, Carpolog. I p. 64). In die erste sind zu vereinigen die Genera
Ascophora, Pleurocystis Bon., Thamnidium, Chaetocladium, wie theils aus Obigem
hervorgeht, theils von Anderen, zumal Fresenius und Coemans längst anerkannt ist.
Auch Hydrophora gehört hierher, wenn man nicht mit Bonorden unter diesem Namen
die Mucorformen absondern will, welche statt der gewölbten Columella eine kleine
ebene Querwand als Basis des Sporangiums haben. Auch Phycomyces Kunze ist,
nach dem Urtheil von Berkeley und nach den Kunze’schen Originalexemplaren, einst-
weilen hierher zu stellen. Andere Formen, wie Thelactis Mart., Diamphora, Melidium,
Helicostylum Cord. u. s. w. sind am besten vorläufig ganz in Suspenso zu lassen.
Auch von Mortierella Coemans (Spieilöge No. 4) mag es dahingestellt bleiben, ob sie
der Typus einer besonderen Gattung oder nur eine ausgezeichnete Mucor- resp. Hydro-
phora-Species ist. Aber auch Ehrenbergs Syzygites megalocarpus und Rhizopus nigri-
cans müssen nach den dermaligen Kenntnissen in die Gattung Mucor gestellt werden,
denn sie haben mit den typischen Formen dieses Genus, wie Mucor Mucedo, den ein-
zigen durchgreifenden Gattungscharacter, die Structur der Sporangien vollkommen
gemein und sind nur durch besondere Gestalt und Verzweigungsweise ausgezeichnet,
welch letztere bei Rhizopus nicht einmal ganz constant ist. Erst fernere Untersuchun-
gen müssen lehren, in wie weit diese Genera bestehen oder restituirt werden können.
Was die Arten von Mucor betrifft. so muss ihr Studium von vorne angefargen
werden, denn von den vorhandenen Beschreibungen ist der grösste Theil entweder
unvollständig, oder hebt inconstante und unwesentliche Erscheinungen als Species-
charactere hervor. Zur Zeit dürften folgende Arten unterscheidbar sein:
1) Mucor Syzygites (Syzygites megalocarpus Ehr.)
2) Mucor stolonifer Ehrb. Silv. myc. — Rhizopus nigricans Ehr. — Ascophora
Mucedo Tode. Nach Corda’s Beschreibungen und Abbildungen ist es kaum zweifel-
haft, dass Ascoph. Mucedo Cord., A. nucuum Cord,, A. Todeana C., Rhizopus nigricans
Cord. zu dieser Art gehören.
3) Mucor Mucedo Fresenius. Hierzu gehören, wie oben gezeigt wurde, M. ele-
gans Fr., Thamnidium, Ascophora elegans Link, Corda. Botrytis, Chaetocladium Jonesii
Berk. et Br. Ferner wohl ohne Zweifel M. racemosus Fresenius — Formen, welche
diesem genau entsprechen, sind in den Culturen auf Objeetträgern häufig —, wohl auch
M. bifidus Fres. Ferner dürfte ohne Fehler hierher zu stellen sein das Meiste, was
Abh. d. Senkenb. nat. G. Bd. V. 47
— 366 —
beschrieben ist als M. stercoreus, nebst den verschiedenen nach den einzelnen Koth-
sorten bezeichneten Arten, Corda’s Ascophora fructicola, A. subtilis, A. Candelabrum,
A. Florae, A. stercorea, A. Rhizopogonis u. s. f.
4) M. Phycomyces Berkeley (Outlines p. 28 u. 407) = Phycomyces nitens Kunze
Mycol. Hefte. Mir nur in den defecten Originalexemplaren des Kunze’schen Herbars
bekannt. Ausgezeichnet durch die colossal grossen, wenn reif und trocken glänzend
schmutziggrünen Sporangienträger und Columellen. Auf Fässern und Mauern in Oel-
mühlen und auf Fettfässern nach Berkeley nicht selten vorkommend. ')
5) M. macrocarpus Corda, Icon. II. p. 21 und
6) M. fusiger Lk. sind sehr scharf unterschiedene Arten. Beide sind nur auf fau-
lenlen Agarieis, zumal Mycenen (Ag. purus P. galericulatus, laevigatus) beobachtet.
zu einem von beiden (nach Fries, nicht aber nach der Originaldiagnose zu M. fusiger)
gehöhrt Ehrenbergs (Silv. mycol. p. 25) M. rhombosporus. Beide haben stattliche,
stralfe, einfache oder unten einzelne Zweige treibende, am Grunde spindel- oder
zwiebelförmig aufgetriebene Sporangiumträger (M. macrocarpus stärkere als die andere
Art), grosse kugelige, mit der Reife schwarze Sporangien, und grosse spindelförmige
Sporen. Sie unterscheiden sich von einander durch die Beschaffenheit der letzteren
und des Myceliums. Die reifen Sporen von M. macrocarpus sind breit spindelförmig.
meist %4—%ı Mm. lang, in der Mitte %s—%ı Mm. breit (Abweichungen von der
durchschnittlichen Grösse kommen, wie bei allen Mucorinen vielfach vor), ihre Enden
ziemlich spitz, ihr Episporium gelbbraun und glatt. Das reich verzweigte Mycelium
dieser Species vegelirt nur im Innern des von ihm befallenen Schwammes, die Frucht-
träger treten wie dicke Borsten über die glatte Oberfläche des letztern hervor. (Verel.
Corda’s Abbildungen leon. Fung. Il Fig. 84) Die Sporen von M. fusiger sind schmal
spindelförmig (Länge etwa Yo Mm., grösste Breite %s Mm.), an den Enden stumpf
und mit glaltem graublauem Epispor versehen. Das Mycelium vegetirt auf der Ober-
fläche des befallenen Agaricus und zwar, soweit meine Erfahrung reicht, auf und
zwischen den Lamellen. Es stellt daselbst einen lockern, in der Jugend weissen. nach
der Reife nebst den Sporangiumträgern graüviolett und braun werdenden Filz dar.
Ueber die zahlreichen anderen Formen, welche besonders in feuchten Waldungen
auf faulenden Körpern aller Art vorkommen, wird erst durch fernere Beobachtungen
ein Urtheil möglich werden.
Y) Hantzschia Phycomyces Auerswald in Rabenh. Fung. Europ. 441 hat mit Kunze’s Phycomyces nichts
gemein. Ihres Autors Bedauern über das Fehlen der Kunze’schen Art in Kunze’s Herbar ist, wie das oben
Gesaglte zeigt, unbegründet.
Zur Kenntniss der Peronosporeen.
(Tafel VI).
I. Die Conidienbildung von Peronospora infestans.
(Fig, 1 bis 9.)
Die überaus zahlreichen Beschreibungen des Kartoffelpilzes — Peronospora in-
festans Mont. — haben zwar sämmtlich die Frage nach seinen Geschlechtsorganen
unbeantwortet gelassen, im übrigen aber so Ausführliches und Uebereinstimmendes an-
gegeben, dass wohl niemand von einer neuen Untersuchung ein nennenswerthes Re-
sultat erwarten wird.
In Beziehung auf die Geschlechtsorgane kann ich zur Zeit dem in meiner aus-
führlichen Arbeit über die Peronosporeen (Ann. sc. nat. 4. Ser. Tom. XX) Gesagten,
auf welches ich hier verweise, nichts hinzufügen. Dagegen haben fortgesetzte Unter-
suchungen eine Eigenthümlichkeit in der Entwicklung der conidientragenden Zweige
auffinden lassen, welche der Mittheilung nicht unwerth sein dürfte.
Man kann den Entwicklungsverlauf dieser Organe lückenlos beobachten, wenn
man den Pilz in einem wasserdunstgesättigten Raum auf dem Objectträger des Mikro-
skops eultivirt. Zu diesem Behufe kann man von dem massigen Mycelium, welches
sich auf der Schnittfläche feucht gehaltener kranker Knollen entwickelt, nehmen. Cul-
tivirt man es auf dem feuchten Objectträger, so treibt es leicht einzelne conidien-
tragende Aeste oder setzt die Entwicklung vorhandener fort. Am besten aber schneidet
man aus einer kranken Kartoffel einen bis einige Millimeter dicke eckige Plättchen des
myceliumhaltenden Gewebes aus und bringt diese, mässig befeuchtet, in den feuchten
Raum unter das Mikroskop. Nach einiger Zeit treibt das intercellulare Mycelium allent-
halben über die freie Oberfläche tretende Conidienträger. Diese stellen sich immer
senkrecht zur Oberfläche, ohne geocentrische oder Lichtkrümmung. Von den verticalen
Flächen aus ragen sie daher in horizontaler Stellung frei in die Luft und können so-
mit in Profilansicht auf hellem Gesichtsfeld genau beobachtet werden. Um sicher zu
gehen ist es nothwendig, die Culturen ganz ruhig in dem feuchten Raume liegen zu
lassen, denn die Entwicklung der Conidienträger oder einzelner Aeste derselben
47*
— 368 —
steht häufig für immer still, wenn sie auch nur vorübergehend in trockne Luft ge-
bracht werden, in welcher sie wie andere Pilzfäden collabiren und sich um die eigene
Längsaxe drehen; sie wird oft selbst durch leise Erschütterungen, wie die Berührung
durch einen benachbarten Conidienträger, ein für allemal sistirt. (Vergl. die Erklärung
von Figur 2).
Der Conidienträger tritt über die Oberfläche des Substrats in Form eines straffen
eylindrischen Schlauches mit stumpf abgerundetem Ende. Sein Längenwachsthum schreitet
rasch fort; nach einiger Zeit wird durch eine allmähliche Verschmälerung des Endes
das bevorstehende Stillestehen des Längenwachsthums angezeigt. Etwas unterhalb des
verschmälerten Endes treten dann, als kleine Aussackungen, die Anfänge der Seiten-
zweige auf, deren Zahl bekanntlich in der Regel zwei bis drei beträgt. Sie erscheinen
rasch nacheinander, aber doch in sehr deutlich basifugaler Folge. Jeder Zweig wächst
schnell zu pfriemenförmig spitzer Form heran, das über dem obersten befindliche Ende
des Hauptstammes streckt sich gleichzeitig zu der nämlichen Gestalt aus; die zwischen
den Zweigen liegenden Stücke des Hauptstammes dehnen sich gleichzeitig noch um
weniges in die Länge. (Fig. 1.)
Nach Vollendung aller Längsstreckung beginnt die Entwicklung einer Conidie auf
der Spitze des Hauptstammes sowohl wie jedes Zweiges; alle diese Spitzen, wie sie
der’ Kürze halber genannt werden mögen, zeigen fernerhin gleiches Verhalten. Die
Conidienbildung beginnt auf der untersten und schreitet allmählich auf die nächsthöhern
fort, doch ist die Anlage der obersten Conidie höchstens 10 Minuten später als die
unterste vorhanden, die weiteren Entwicklungserscheinungen erfolgen, wenn nicht
Störung eintritt, an allen Spitzen genau oder nahezu gleichzeitig. Die Entwicklung der
Conidien selbst ist bekannt: auf jeder Spitze erscheint eine anfangs kleine, kugelige.
protoplasmaerfüllte Anschwellung, welche zu der Grösse und ovalen oder citronen-
förmigen Gestalt der Conidie heranwächst und sich dann durch eine Querwand ab-
gliedert. Diese liegt etwas unterhalb der Anschwellung, so dass das oberste Ende
der Spitze mit abgegliedert wird, als ein kurzes die Conidie tragendes Stielchen.
Die Conidie steht zuerst verlical auf ihrem Träger, ihre Längsachse setzt die des
Letzteren fort. Sobald ihre Abgliederung vollendet ist, sieht man sie eine Schwenkung
machen, um aus der verticalen Stellung rasch d. h. binnen 8—10 Minuten, in eine
horizontale. zu dem Träger rechtwinkelige überzugehen. Die Schwenkung kömmt,
wie geeignete Präparate zeigen, dadurch zu Stande, dass die Spitze dicht unter der
— 369 —
Ansatzstelle der Conidie auf einer Seite in die Länge wächst und sich etwas aussackt,
auf der anderen nicht; die Conidie wird hierdurch auf die nicht wachsende Seite ge-
schoben und kömmt alsbald neben das Ende der Spitze zu stehen (Fig. 5 bis 8).
Dieses fährt nun fort in die Länge zu wachsen, nimmt wiederum pfriemenförmige Ge-
stalt an. während zugleich neben der Ansatzstelle der Conidie eine schmal flaschen-
förmige Anschwellung des Trägers entsteht. Nach Verlängerung um 1— 2 Conidien-
längen erzeugt jede Spitze wiederum eine neue Conidie, genau auf die gleiche Weise
wie die erste, und der nämliche Process kann sich nun noch mehrmals, bei sehr üppigen
Exemplaren auf Knollen bis zu 8, 10 und 16mal wiederholen. Aeltere intacte Coni-
dienträger zeigen daher ihre Aeste mit 2, 3 bis 16 horizontal abstehenden Conidien in
regelmässigen Abständen besetzt, neben der Ansatzstelle einer jeden flaschenförmig ange-
schwollen,. auf den Enden eine in Bildung begriffene Conidie, sämmtliche Aeste und das
Ende des Hauptstammes in gleicher Entwicklung und mit gleicher Conidienzahl (Fig. 2—4).
So lange die Bildung neuer Conidien erfolgt, ist der Träger von Protoplasma erfüllt,
mit dem Auftreten der letzten ist dieses grösstentheils verschwunden. In der Stellung,
welche die horizontalen Conidien eines Astes zu einander einnehmen, ist keine be-
stimmte Regel zu erkennen. Manchmal stehen alle in einer Reihe übereinander, andere
Male alterniren sie regelmässig mit Divergenz von 180°, oft stehen sie unregelmässig
nach verschiedenen Seiten gewendet.
Sowie eine Conidie ihre Schwenkung gemacht hat, ist sie der Oberfläche ihres
Trägers nur angeklebt. In dem Stielchen ist zur Zeit der Reife die Membran bis
zum Verschwinden des Lumens verdickt und dabei entweder nur an der Basis oder in
dem ganzen untern und axilen Theile des Stieles von gallertiger Beschaffenheit, in
Wasser sofort bis zur Unkenntlichkeit quellend. Trocken oder bei vorsichtiger Be-
handlung mit Alkohol sitzt daher die Conidie ihrem Träger an; in einigermassen feuch-
tem Zustand fällt sie bei leiser Erschütterung leicht ab, nach Befeuchtung mit Wasser
sind sofort alle reifen Conidien abgelöst, nur die unentwickelten bleiben auf dem
Scheitel der Tragzweige sitzen.
Diesen letzteren Zustand schildern alle bisherigen Beschreibungen der Perono-
spora infestans. Die Fehler derselben finden in dem Mitgetheilten ihre Berichtigung.
Die successive Entwicklung von zwei bis drei und selbst vielen Conidien auf
jedem Tragzweige, welche angezeigt wird durch die bisher unverstandenen flaschen-
förmigen Auftreibungen und den reichlichen Protoplasmagehalt offenbar älterer Coni-
dienträger, unterscheiden Peronospora infestans von allen ihren bisherigen Gatlungsge-
— 370 —
nossen. Bei diesen wird, wie ich an Peronospora parasitica, Alsinearum, effusa
bei Cultur im feuchten Raume auf dem Objecttische direct beobachtet habe, nur eine
Conidie auf jeder Spitze gebildet, jene Anschwellungen fehlen, und nach der einmaligen
Conidienentwicklung ist das Protoplasma aus dem Träger ganz oder grösstentheils
verschwunden. Peronospora infestans dürfte hiernach vielleicht den Typus einer beson-
deren Gattung der Peronosporeen darstellen.
—_— 31 —
I. Keimung der Oosporen von Peronospora Valerianellae.
(Figur 10 bis 13.) °
In der oben eitirten Entwicklungsgeschichte der Peronosporeen habe ich die Kei-
mung der Oosporen von Cystopus candidus beschrieben, welche darin besteht, dass die
Oospore zu einem vielsporigen Zoosporangium wird. Versuche, die Oosporen anderer
Arten zur Keimung zu bringen, sind mir mehrfach misslungen, erst neuerdings glückte
es, den Vorgang bei Peronospora Valerianellae zu beobachten.
Die untersuchten Oosporen waren im Juni 1864 in den Blättern von Valerianella
olitoria gereift. Letztere wurden einige Zeit trocken liegen gelassen, am 23. Juli auf
feuchtes Löschpapier gelegt. Es trat langsame Fäulniss der Blattsubstanz ein, aber bis
zum 6. August keine Keimung der Oosporen, auch nicht solcher, die aus den macerirten
Blättern herauspräparirt und auf reine feuchtgehaltene Objectträger gebracht wurden.
Am 6. August liess ich die ziemlich grosse Menge freipräparirter, von dem zersetzten
Blattgewebe möglichst gereinigter Oosporen auf den Objectträgern eintrocknen. Erst
am 20. October wurden sie wieder befeuchtet. Bei täglicher Musterung war in der
nächsten Zeit keine weitere Veränderung zu bemerken, als die, dass das Protoplasma
in vielen Oosporen trüber, undurchsichtiger zu werden schien. Am 1. November
waren viele Keimungen vorhanden: das Episporium der keimenden Exemplare war
an irgend einer Stelle gesprengt und aus dem klaffenden Riss trat ein dicker, stumpfer,
in einem Falle (Fig. 11) kurz-gabeliger Schlauch hervor, dessen Länge allerhöchstens
dem Durchmesser der Oospore gleichkam. Die zarte in die innerste Schichte des Endo-
sporiums übergehende Cellulosemembran des Schlauches umschliesst homogenes, wenig
körniges Protoplasma, während der Sporenraum durch zahlreiche Körner (Fett?) un-
durchsichtig ist. Auf dem Objectträger entwickelte sich keiner der Keimschläuche wei-
ter. Binnen 24 Stunden waren alle, auch die an den folgenden Tagen auftreten-
den, an der Spitze geplatzt. der Inhalt theils entleert, theils im Inneren zu formlosen
Klumpen zusammengeballt, gleichviel ob die Oosporen unter Wasser gehalten oder nur
angefeuchtet worden waren.
Auf die befeuchtete Oberfläche von Blättern der Valerianella gebracht, wuchsen
— 3N —
dagegen die Keimschläuche gewaltig in die Länge und trieben nach allen Seiten hin
zahlreiche lange, wiederum verästelte Zweige. Das Protoplasma der Oosporen rückt
in die Schläuche ein, jene sind alsbald nur von wasserheller Flüssigkeit, höchstens
noch unter der Basis des Schlauches von Protoplasma erfüllt. Die Schläuche selbst
enthalten zahlreiche Vacuolen, und sind oft auf lange Strecken grösstentheils wasser-
hell. Die Gestalt der Schäuche ist unregelmässig cylindrisch, die Enden stumpf, oder
bei alten Exemplaren manchmal blasig oder varicös aufgetrieben. Die Enden lagen
immer der Blattoberfläche an, ein Eindringen derselben konnte ich jedoch, theilweise
weil das Untersuchungsmaterial bald zu Ende ging. nicht beobachten. Die Membran
der Schläuche zeigte, gleich dem Endosporium, in Jod und Schwefelsäure und Chlorzink-
jodlösung schöne Blau- und Violettfärbung. (Vgl. Fig. 12, 13).
Wenn die mitgetheilten Beobachtungen auch noch nicht ganz abgeschlossen sind,
so geht aus ihnen doch mit Bestimmtheit hervor, dass die durch Fäulniss ihres Wirths
frei gewordenen reifen Oosporen der Peronospora Valerianellae nach mehrmonatlichem
Ruhezustand keimen, dass der Anfang der Keimung auf jeglichem feuchten Substrat
eintritt. die Weiterentwicklung der Keimanfänge aber auf anorganischem Boden nicht
stattfindet. Es ist ferner unzweifelhaft, dass die Oosporen keine Schwärmsporen ent-
wickeln, sondern, unter den bezeichneten Bedingungen, langästige, dem Mycelium der
Species durchaus ähnliche Keimschläuche. Dass diese unter günstigen Bedingungen wie-
derum ins Innere der Nährpflanze eindringen, um hier zum fruchttragenden Mycelium
heranzuwachsen, wird gleichfalls mit Sicherheit angenommen werden dürfen, und nicht
minder, dass die beschriebene Keimung der Oosporen allen denjenigen Peronospora-Arten
zukömmt, welche mit P. Valerianellae die Gruppe bilden, die ich als Effusae bezeich-
net habe.
— 373 —
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XLHEN.
Fig. 1—16. Mucor Mucedo.
Fig. 1—13. Von Culturen auf Mist.
Fig. 1. (Vergr. 195) Derbwandiges Sporangium, durch Druck gesprengt, ein Theil seiner Sporen
ausgetreten daneben liegend.
Fig. 2. Sporen aus dem Sporangium von Fig. 1, a 610fach vergr., b und ce keimende, 24 Stunden
nach Aussaat auf Pferdemist, 195fach vergr.
Fig. 3 bis 9. Sporangiumtragende Zwergexemplare, aus Sporangiumsporen (sp.) erwachsen, 48 Stunden
nach Aussaat letzterer. Myceliumfäden septirt. Fig. 4 a und 5b unentwickeltes Sporangium. Die übrigen reif;
in Flg. 6 und 7 keine Querwand an der Basis des Sporangiums. Fig. 3, 4a, 6, 8 bei 110facher, Fig. 4b,
5, 7 bei 540facher Vergr, gezeichnet,
Fig. 10 bis 12. Sporangien von derselben Aussaat, mit deutlicher, doch kleiner Columella.. 11, 12
mit körniger Wand, die bei 12 in Körnchen zerfällt, 10 mit derber, glatter, in Wasser nicht zerfallender
Wand, s Sporen. Vergr. 310.
Fig. 13. Junger Wirtel von sporangiolentragenden Zweigen. Vergr. 100.
Fig. 14—16. Auf Hühnereiweiss cultivirte von Itzigsohn mitgetheilte For m,
Fig. 14. (Vergr. 200). Reifes terminales Sporangium. Unterhalb ein dichotomer Seitenast mit noch un-
entwickelten kleineren Sporangien,
Fig. 15, (Vergr. 200), Violette Columella eines reifen, entleerten Sporangiums,
Fig. 16. (Vergr. etwa 120) Terminales grosses Sporangium und kleine, mit kleiner Columella und 40 — 50
Sporen versehene, auf zwei gegenständigen dichotomen Seitenästen,
Fig. 17—19. Piptocephalis Freseniana, (Vergr. 390).
Fig. 17. Enddichotomien eines reifen Exemplars. Die Basidien an zwei Enden noch aufsitzend, an den
übrigen abgefallen. Fig. 18, Abgefallene Basidien. a von der Seite, b von oben gesehen. Fig. 19 abge-
fallene Sporen,
Fig. 20—22. Mucor stolonifer.
Fig. 20, (Vergr. 90), Junges Sporangium, nach Anlegung der Sporen, in Glycerin; optischer Längs-
schnitt, von der Oberfläche ist nur die quere Insertionslinie der Aussenwand gezeichnet.
Fig. 21. (Vergr, 390), Reife Sporen in Wasser, zwei ausgeführt, die übrigen nur im Umriss, Fig. 22
(Vergr. 390). Keimende Sporen, 18 Stunden nach Aussaat in Fruchtsaft. a angeschwollen, Episporium ge-
sprengt; b Keimschlauch treibend.
Abhandl. der Senckenb, naturf, Ges. Bd. V. 48
— 3714 —
Tafel XLIV.
Mucor Mucedo.,
Fig. 1. (Etwa 20fach vergr,). Aestiger Sporangiumträger, mit terminalen grossen Sporangien und an
einem Hauptaste 5 sporangiolentragenden Wirteln,
Fig. 2. (Vergr. 200). Ende eines dichotomen Sporangiolenzweiges. 4 Sporen in jedem Sporangiolum,
Fig. 3, 4. (Vergr. 390), Sporangiolumsporen, noch in ihrem Behälter, keimend in diluirter Zuckerlösung.
Fig. 5—10. Sporangien- und sporangiolentragende Fäden aus den Sporangiolensporen (sp.) auf dem
Objectträger in Zuckerlösung erzogen.
Fig. 8 200-, die übrigen etwa 100fach vergr.
Fig. 11. (Vergr. 90). Conidientragender Faden: Botrytis Jonesii Berk. Von den 6 Hauptästen des
Wirtels sind, der Deutlichkeit halber, 2% nicht ausgeführt, «a Aeste erster, b zweiter, c dritter, d vierter
Ordnung.
Fig. 12. (Vergr, 200). Stück eines Conidientragenden Astes, Buchstaben wie bei Fig. 11.
Fig. 13. (Vergr. 390), Zweig dritter Ordnung eines Conidienträgers, mit einer Basidie (statt einer
Borste) endigend,
Fig. 14 und 15. Basidien nach Ablösung der reifen Sporen. Vergr. 390,
Fig, 16. (Vergr. 200). Reife, abgefallene Conidien, trocken betrachtet.
Fig, 17. (Vergr., 200), Solche 12—18 Stunden nach Aussaat in verdünnten Traubensaft,
Fig. 18, (Vergr, 200) Conidie von derselben Aussaat wie Fig, 17, 6 bis S Stunden später, Keim-
schläuche treibend.
Fig. 19, 20. (Vergr. 195). Conidien in gekochtem Miste keimend.
Fig. 21, 22. (Vergr. 195). Mycelium mit terminalen, einzelnen und reihenweise verbundenen Brutzellen;
Fig. 22 in 10procenliger Traubenzuckerbildung unter dem Deckglase erzogen,
Tafel XLV,
Mucor stolonifer.
Fig. 1, (schwach vergr.). Verzweigung der Stolonen; schwaches Exemplar. a Stolo erster, b Stolonen
zweiter Ordnung s Sporangienträger (s* ein verkrüppelter) @ Wurzelhaare. Nach einem in Glycerin liegenden
Präparate.
Fig. 2. (Vergr. 90). Gruppe copulirender Fäden, völlig intact, von einer Cultur im feuchten Raume auf
dem Objeecttisch.
Fig, 3. (Vergr, 90). Fruchtkeulenpaar, im feuchten Raume beobachte. a um 8 Uhr, 5b um 10),
Uhr Vormittags.
Fig. 4. (Vergr, 90). Reife Zygospore. Neben dem kleinen Suspensor ein, neben dem grossen zwei
Sporangiumlräger. Sporangien und Sporen schon zerfallen, Columellen allein übrig.
Fig. 5 bis 7. (Vergr, 195). Fruchtkeulenpaare in Glycerin durchsichtig gemacht, und Protoplasma zum
N
Theil von der Membran zurückgezogen, In 5 Abgrenzung der einen Copulationszelle beginnend; 6. beide ge-
bildet; 7. Copulalion nahezu fertig, nur noch ein dünner Ring von der Scheidewand übrig.
Fig. 8. (Vergr. 195). Halbreife, sehr kleine und flachwarzige Zygospore, in Glycerin.
Fig. 9. (Vergr, 195). Endosporium einer reifen Zygospore, frei präparirt.
Tafel XLVE.
Fig. 1—9. Peronospora infestans.
Fig, 1. (Vergr, etwa 50). Successive Entwicklungszustände eines Conidienträgers der im Gesichtsfeld
des Mikroskops eultivirtt wurde. Die Beobachtung begann 7 Uhr 45 Minuten Vormittags. Die Beobachtungs-
zeit (Stunde und Minute) bei jeder Figur angegeben. Von 3 Uhr an trat keine Veränderung mehr ein.
Fig. 2. (Vergr, etwa 50). Aehnliche unter dem Mikroskop direct beobachtete Entwicklungsreihe eines
Conidienträgers. Beobachtung um 10 Uhr 30 beginnend. Nach 8 Uhr Abends keine Weiterentwicklung.
An die Conidie z legte sich nach 10 Uhr 30 ein Zweig von einem benachbarten Träger an; hiermit war ihre
und ihres Tragzweiges Entwicklung sistirt.
Fig. 3. (Vergr. gegen 90). Conidienträger mit je 6 Conidien, trocken betrachtet.
Fig. 4. Im Wachsen begriffener Träger, im feuchten Raume beobachtet. 195mal vergrössert.
Fig. 5—9. Verschiedene Stadien der Conidienentwicklung, nach in Alkohol liegenden Präparaten bei
390facher Vergr. gezeichnet,
Fig. 10. Peronospora Valerianellae Vergr. 390.
Fig. 10, 11. Oosporen im Beginn der Keimung auf dem Objectträger.
Fig 12. Oospore mit reichverzweigtem Keimschlauch, von der Aussaat auf Blätter der Valerianella.
Fig. 13 Torulöses Zweigende von einem anderen Keimschlauch.
H. L. Brönner’s Druckerei in Frankfurt a. M.
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Gedruckt bei J. Jung. Krankfurı 'M
V.Bi. Tat.IA.
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XXI. 6.
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Photographie.
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LUCAE , MORPHOLOGIE etc.Taf.24 V.Ba. Taf. All.
Geometrische Zeichnung
Gedruckt bei J. Jung. Frankfirt *M.
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Senekend.Abhdl.BaV. Taf. XIV.
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»enckend. Adndl. Ba. V. lat.Avll. Becken des Eunuchen Skelets.
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Decken eines Jungen Negers
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Becken eines schwarzen Eunuchen.
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Kreuzbein des Beckens des schwarzen Eunuchen
Senckenb. Abhal. Bd.V. Taf. XXl. »enade:ı A. BIMUCHEN - »,KELEIS.
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Finzelner Eunuchen Schädel.
Senckenb. Abhdl. Ba. V. Taf. XXI. Schädel d Eunuchen-Skelets.
Einzelner Bunuchen Schädel.
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Senckenb.Abhal. BaN. TERN.
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Lich. Ansk von Goar.Haas in Frankfurt ®M
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Senokenb.Ahhdl. Pd.V. Taf. XXY.
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Senokenh.Abhdl. Ba.V. Tarc-MT.
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Senckenb.Abhdl. Be.V-TaENNVIL.
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Senckenb. Abhdl. Bd V. Taf. XXI.
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N:6.
b. Ges. Bd.V Taf. X.
fig.l:8. Bisenglanz
Abh.d Senckenb. Ges. Bd V Taf. XXX
Abh.d.Denckenb. Ges. Bd.V Taf. XXXIV.
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Pig H- 10. Vhalanyistu ursına
Ziy. 10, Otolsen. senegalensis
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Fig. 7
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Lucae, Hand u. Fuß 2
#19 7_10, Troglodytes Gorilla, Sem.
Fig. IH u. 12, Eingeborener der Jnsel Rotti.
Druck 5.5 Jung. HanklureM.
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Zuenue. Hand n.Bufs, 2
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Fig. Wu. H Hylobates leucı
Pig. 5_I. Sımia Satyrus
mb. bes V Bel. Taf: KOT.
219. I_4, Traglodıytes niger, ‚em
Zueae, Hand u Ph, A
fig I 4 Traglodytes Gorilla:
Fig. 5, Bingeborener der Insel Rotti.
Lig. 0. Vioglodytes niger
Fig Fu. 8 Hylobates leuciscus
Abhandl. V Ra. Taf. AR.
Lith.Anst van Gonr.Haas in Frankfurtäta,
Kbhandl.V Bd.Taf Ab. NT.
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Lith. Anstvon Conr.Haas.in Frankfurt !m,
Abhandl.V Da. lal.All.
Lith AnstvonConrHaasıin Frankfurt M.
Abhandl.V Bd. Taf XLIL NW.
Lith .Anst.von Conı.Haas in FrankfurtiM
Abhandl.V Bd. Taf. ALIL. NY.
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Fig: IE.
Lith.Anst.von Conr. Haas in Frankfurl® M.
Abhandl.V Bd. Taf XLV. NOT
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Fig.1.
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