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Full text of "Adalbert Stifter und die romantik"

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PRAGER 


DEUTSCHE  STUDIE? 


HHRArSGKGEBEX 


CARL  VON  KRAUS  und  AUGUST  SAUER. 


ERSTES  HEFT. 


ADALBERT  STIFTER  UND  DIE  ROMANTIK. 


PRAG. 

DRUCK  UND  VERLAG  VOM  CARL  BELLMANN. 


1905. 


AÜALBERT   STIFTER 


\ 


UND  DIE  ROMANTIK. 


VON 


DR-  WILHELM  KOSCH. 


t>0ls^ 


PRAG. 
DRUCK  UND  VERLAG  VON  CARL  BELLMANN. 


1905. 


Printed  in  Czecho-SlovakiÄ 


DEM  ANDENKEN 


MEINER  UNVERGEvSSLICHEN   MUTTER. 


INHALT. 


I.  Stifters  X'erliältuis  zur  deutschen    Literatur  .    .    .    .    i —  23 

IT.    Cliarakter  und  Weltanschauung 24 —  44 

111.    Kuustanscluiuung 45 —   z^j 

W.    Äussere  Motive •   .    .    .  58 —  71 

V.    Innere  Motive .  72 —  96 

VI.    Technik  und  vStil 97-118 

Register 119—123 


Ich  zitiere  nach  folo-enden  Ausgaben: 

E.  T.  A.  Hoffmanns  Werke  (in  15  Bänden).  Berlin,  Hempel 
1879-83. 

Jean  Pauls  Werke  (in  33  Bänden).  Berlin,  Reimer  1S4.0 — 42. 

Adalbert  Stifters  vSämtliclie  Werke.  (Bibliothek  deutscher  Schrift- 
steller aus  Böhmen.  Herausgegeben  im  Auftrage  der  Ge- 
sellschaft zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst 
und  Literatur  in  Böhmen.)  Prag,  Calve  1901  ff.  Band  I 
und  XIV  (soweit  erschienen),  sonst 

Adalbert  Stifters  Ausgewählte  Werke  (Volksausgabe  in  4  Bän- 
den). Leipzig,  Amelang  1897. 

Adalbert  Stifters  Briefe  (in  3  Bänden).  Herausgegeben  von  Jo- 
hannes Aprent.  Pest,  Heckenast  1869. 

Ludwig  Tiecks  Gesammelte  Novellen  (Vollständige  Ausgabe  in 
12  Bänden).  Berlin,  Reimer  I852— 54. 


I.    Stifters  Verhältnis  zur  deutschen  Literatur. 

In  demselben  Jahre,  da  Schiller  seine  Aug-en  zum 
letzten  Schlummer  scliloss  und  Jean  Paul  das  Hauptwerk 
seines  Lebens  »Die  Flegeljahre  lierauso;ab,  wurde  Adal- 
bert  Stifter  geboren.  Drei  Generationen  treffen  in  die- 
sem Zeitraum  zusammen:  der  scheidende  Klassizismus, 
die  entwickelte  Frühromantik  -und  ihr  später  Erbe. 

Naturgemäss  stand  die  literarische  Entwicklung 
des  Dichters  aus  dem  Böhmerwald  unter  dem  Einfluss 
der  vorangegangenen  Perioden.  Auf  dem  geistlichen 
Gymnasium  zu  Kremsmünster,  das  Stifter  besuchte, 
mögen  neben  Goethe  von  deutschen  Klassikern  Schil- 
ler und  Klopstock  am  meisten  gelesen  worden  sein.  In 
Stifters  erster,  uns  freilich  nur  bruchstückweise  erhal- 
tenen Jugenderzählung  »Julius  ')  disputieren  zwei 
Freunde  über  die  Kunst.  Der  Dialog  erinnert  lebhaft 
an  Schillers  philosophischen  Briefwechsel  zwischen  zwei 
Jünglingen  Namens :  Raphael  und  Julius.  Ein  glück- 
licher Zufall  wollte  es,  dass  Stifters  erste  Liebe  Fanni 
hiess  und  er  also  Klopstocks  Vorbild  nachstreben  konnte, 
indem  er  eine  »Ode  an  Fanni«  schrieb.  Auch  mit 
einem  späten  Epigonen  der  Haller  und  Kästner  war 
er  vertraut.  Ein  Zitat  aus  Tiedges  »Urania ',  das  sich 
unter   seinen  Aufzeichnungen    aus  jener  Zeit  vorfindet. 


1)  Archiv;    Bruchstücke    auch    bei   A.   R.    Hein.    Adalbert 
Stifter.    Sein  Leben  iind  seine  Werke.    Prag  1904,  50  ff. 

Kosch,  Stifter.  j 


gibt  uns  liievon  Kunde.  Leider  wissen  wir  über  Stif- 
ters einflussreiclien  Lehrer  P.  J^na.7.  Reischl, ')  der  am 
Gymnasium  zu  Kremsmünster  den  Unterricht  im  Deut- 
schen erteilte  und  ein  hochgebildeter  Mann  gewesen 
sein  soll,  soviel  wie  nichts.  Doch  ist  bekannt,  dass 
unter  seiner  Leitung  Goethes  »Hermann  und  Dorothea« 
und  auch  »Iphigenie<'  gelesen  wurden. 

1826  kam  Stifter  nach  Wien,  und  es  begann  nun 
eine  zweite,  die  wichtigste  Epoche  in  dem  Leben  des 
werdenden  Dichters.  Eine  neue  Welt  öffnete  sich  seinen 
Auofen  und  seiner  Seele.  Der  im  Wesen  Stifters  be- 
schlossene  Keim  entfaltete  sich  zur  Blüte.  Xeue  Strö- 
mungen gewannen  über  die  alten  die  Oberhand.  Stifter 
reifte  äusserlich  und  innerlich,  als  Mensch  und  als 
Dichter.  Er  tritt  in  den  Bannkreis  Shakespeares  und 
Jean  Pauls.  Der  grosse  englische  Tragiker  vermittelt  den 
Überofang-  vom  Klassizismus  zur  Romantik.  Stifter  be- 
sucht  das  Burgtheater,  das  Shakespeares  Stücke  zur 
Aufführung  bringt,  er  kauft  -)  und  liest  sie.  Noch  mehr 
aber  fesselt  ihn  Jean  Paul. 

Wohl  schreibt  er  auch  noch  1830  in  einem  Briefe 
an  ^Mathias  Greipl,  den  Bruder  seiner  Geliebten,  von 
dem  freundlichen  Himmel,  seinem  Goethe,  dessen 
oTossartig-e  »Ruhe  und  Heiterkeit  den  Streit  der  blinden 
Leidenschaften  in  edle  Harmonie  auflöset«,^)  aber  be- 
reits in  demselben  Schreiben  zitiert  er  Jean  Paul.  Und 
in  den  nächsten  Jahren  steigert  sich  seine  Liebe  für 
diesen  Dichter  zur  Schwärmerei. 

1832,  als  Stifter  in  den  Ferien  zu  Hause  verweilte, 
klaofte  er  seinem  Freunde    Adolf  Freiherrn  von  Brenner 


1)  Briefe  I.  vS.  XXII.  Die  freundlichen  Bemühungen  P.  Th. 
Lehners  O.  S.  B.  in  Kremsmünster,  über  P.  Reischl  etwas  Nä- 
heres in  Erfahrung  zu  bringen,  blieben  erfolglos. 

-)  Vgl.  ein  Verzeichnis  gekaufter  Stücke  Shakespeares 
im  Archiv. 

3)  Zeitschrift  für  die  österr.  G3-mnasien   IVS95.  S6S. 


über  die  Geistesöde,  die  in  seiner  Heimat  auch  seinen 
Geist  .i^efanf^cn  halte.  >Hätt'  ich  nur  um  Gotteswillcn 
einige  Jean  Paule  da,  aber  so  lieg'  ich  oft  stundenlang 
unter  wehenden  Föhren  oder  blätternden  Birken  und 
lese  nichts  als  mich  selber  ...  Es  sind  viele  vStudierende 
in  Oberplan  .  .  .  und  alle  sagen  viel  über  ein  Einleuch- 
tendes und  wiederholen  es  dann,  und  wenn  mir  ein 
Hoffmann'scher  oder  Jean  PauPscher  Gedanke  entfährt, 
so  preist  sich  jeder  in  seinem  Herzen  und  ist  froh,  dass 
er  gescheiter  ist  und  gesetzter  und  solider  als  ich,  der 
absurde  Dinge  sagt  und  satirisch  ist  und  wieder  schwer- 
mütig.«   (Briefe  I,  3.) 

Als  vStifter  endlich  1840  als  Dichter  auftrat,  zeigte 
sich  öffentlich,  was  er  bereits  dem  erwähnten  Freunde 
anvertraut  hatte,  dass  sein  Liebling  Jean  Paul  und 
wiederum  Jean  Paul  sei.  Der  schwärmerische  Idea- 
lismus liebender  und  leidender  Herzen,  die  innigste 
Zuneigung  für  das  Schlichte  und  Kleine,  der  aphori- 
stische, überladene  Stil,  alles  Eigenheiten  des  älteren 
Kleisters,  zogen  Stifter  unendlich  an.  Seine  »Feld- 
blumen« sind  der  sprechendste  Beweis  dafür.  Auch  in 
der  Verwendung  mancher  äusserer  Motive  bekundete 
der  Verfasser  der  »Studien«,  deren  erste  Bände  1844 
erschienen,  eine  zweifellose  Abhängigkeit  von  Jean  Paul, 
so  dass  man  sagen  kann :  Kein  Dichter  hat  Stifter 
in  der  Frühzeit  seines  Schaffens  so  stark 
beeinflusst  wie  Jean  Paul.') 


1)  Ranzoni  überliefert  die  folgende  mündliche  ^Mitteilung 
Stifters  (Concordiakalender  11,  220):  Ich  hatte  schon  mit  einigen 
zwanzig  Jahren  die  Neigung,  schriftstellerisch  zu  schaffen,  es 
war  das  die  Zeit,  da  ich  den  Jean  Paul  zum  ersten  Male  las, 
und  da  machte  ich  die  seltsame  Erfahrung;  »Alles,  was  ich 
schreiben  wollte,  hatte  er  schon  geschrieben«:.  Sauer  meint 
mit  Recht,  dass  die  Lektüre  Jean  Pauls  erst  nach  der  Abfas- 
sung des  Fragments  Julius;  (1827)  anzusetzen  sei  (Stifters  Sämt- 
liche Werke  I.  S.  XXXI II). 


—   4   — 

vSein  Leben  lang,  selbst  noch  in  seinem  Alter,  da 
die  Sterne  der  Romantik  auch  ihm  zu  erblassen  schienen, 
vermochte  sich  Stifter  \on  dem  Lieblingsdichter  seiner 
Studentenzeit  nicht  loszureissen. 

Hatte  er  1842  eine  Nachricht  an  L.  v.  Collin  mit 
den  Worten  eingeleitet:  »Erschrecken  Sie  nicht,  es  ist 
kein  Unglück  geschehen,  dass  Sie  diese  Schriftzüge 
sehen,  sondern  ich  habe  mich  bloss  niedergesetzt  und 
tunke  ein  (Jean  Paulisch  zu  reden)  und  schreibe  an  Sie<' 
(Briefe  I,  48),  so  gebraucht  er  noch  1854  in  einem 
Briefe  an  Gustav  Heckenast  eine  Wendung^  aus  dem  rei- 
chen  Wortschatz  Jean  Pauls.  Er  teilt  dem  befreundeten 
Verleger  seine  Lieblingswünsche  in  Betreff  der  eigenen 
Lebensführung  mit  und  fährt  fort:  »Ich  darf  nicht  daran 
denken,  sonst  ergrimmt  der  Gott  im  Menschen,  wie 
Jean  Paul  sagt«  (II,  51).  Und  einige  Jahre  vor  seinem 
Tode,  1865,  schreibt  Stifter  im  Anschluss  an  eine  Bespre- 
chung »Witikos«  dem  Freiherrn  Sigmund  von  Handel : 
:>Wie  weit  die  sachliche  Wirklichkeit  in  einem  Kunst- 
werke zu  geben  ist,  hat  die  Wissenschaft  noch  nicht 
ermittelt.  Ganz  darf  sie  gar  nicht  gegeben  werden, 
sonst  entstünde  ein  mathematischer  Satz  und  ein  sinn- 
lich hervorspringendes  Kunstwerk,  und  es  müssten,  um 
mit  Jean  Paul  zu  reden,  die  dichterischen  Blumen  so 
langsam  wachseh,  wie  die  wirklichen  und  noch  dazu 
unter  so  viel  Gras.  Ganz  darf  sie  nicht  fehlen,  sonst 
malt  man,  wie  wieder  Jean  Paul  sagt,  den  Äther  mit 
Äther  in  Äther.«  (Briefe  II,  158.  Vgl.  Jean  Paul 
XVIII,  26.) 

Diese  Beispiele,  aus  dem  intimen  Gedankenaus- 
tausch Stifters  hervorgeholt,  beweisen  zur  Genüge  den 
fortlaufenden  Zusammenhang  seiner  Geistes-  und  Stil- 
richtung mit  der  seines  Kleisters,  als  den  man  Jean  Paul 
bezeichnen  kann.  Bilden  die  Werke  dieses  frühroman- 
tischen Erzählers  und  Theoretikers  in  g-ewissem  Sinn 
das  dichterische  Evangelium  für  Stifters  erste  Schaffens- 


—  5  — 

zeit,  so  bedeuten  die  Schöpfungen  K.  T.  A.  Hoffmanns 
und  Tiecks  dessen  notwendig-e  Ergänzung. 

Mit  ungemeinem  Scharfblick  wies  ein  zeitgenössi- 
scher Kritiker,  L.  Schücking,  gleich  nach  Erscheinen 
der  ersten  Bände  der  >>Studien<;  auf  die  Vorbilder  des 
jungen  Autors  hin.  Er  gibt  ihm  dabei  den  Rat,  vor 
den  Novellen  Tiecks,  deren  Figuren  halb  Marionetten, 
halb  Tollhäusler  seien,  an  welche  der  Verfasser  das  Gold 
und  die  Perlen  seiner  Gedanken  vergeude,  auf  der  Hut 
zu  sein,  ferner  vor  Hoffmanns  kapriziösen  Ungeheuer- 
lichkeiten und  Fratzen,  am  meisten  aber  vor  der  ver- 
seil wiramenden  Weichheit  Jean  Pauls,  die  jeden  pla- 
stisch festen  Umriss  einer  Gestalt  mit  dem  Tränen- 
tuche verwische  und  unsauber  mache. ') 

Wie  sehr  Stifter  den  Xovellendichter  L.  Tieck 
schätzen  musste,  geht  schon  aus  einer  Äusserung  her- 
vor, die  er  unmittelbar  nach  Vollendung  seines  »Hoch- 
walds« machte:  ^Das  weiss  ich  mit  Gewissheit,  dass 
diese  Dichtung  innig  und  warm  ist,  und  das  weiss  ich 
auch,  dass  sie  ausser  Tieck  niemand  schreiben  kann.<; 
(Briefe  I,  44.) 

Ohne  vorläufig  auf  die  Ausführung  dessen,  was 
Stifter  in  seinen  Erzählungen  an  äusseren  und  inneren 
Motiven  von  Jean  Paul,  Hoffmann  und  Tieck  entlehnt 
oder  mindestens  mit  ihnen  gemeinsam  hat,  einzu- 
gehen, sei  an  dieser  Stelle  nur  noch  auf  einige  Ver- 
bindungsmomente hingewiesen,  die  das  Leben  und 
Schaffen  der  genannten  Dichter  in  Parallelen  zu  ziehen 
ermöglicht. 

Um  die  Wende  des  18.  zum  19.  Jahrhundert  ver- 
kehrten Jean  Paul  und  Tieck  viel  miteinander.  Und  noch 
1834  schreibt  Tieck  in  seiner  »Sommerreise«  von  »unse- 
rem lieben,  wunderlichen  Jean  Paul.«  »Man  sprach  viel 
über  diese  echt  deutsche  Natur  und  seine  wundersamen 
Werke,    deren    Ruhm    sich    in    jedem    Jahr    mehr    in 

')    Beilag-e  zur  ^Allgemeinen  Zeitung«    vom  10.  Jan.  1845. 


—   6   — 

Deutschland  verbreitet  hatte.  (VII,  44.)  Hoffmann 
wiederum,  dessen  Hterarische  Jug-endentwicklung  ganz 
tinter  dem  Einflüsse  Jean  Pauls  stand,  erhielt  für  sein 
erstes  orrösseres  Werk:  die  »Phantasiestücke  in  Callots 
Manier<  eine  Vorrede  des  geliebten  Meisters. ')  Und 
auch  Tieck,  der  zwar  das  Karrikierte  und  Fratzenhafte 
an  Hoffmann  unangenehm  empfand,  kam  seiner  dichte- 
rischen Gesamtpersönlichkeit  freundlich  entgegen,  indem 
er  ihn  über  einen  romantischen  Führer  der  Weltliteratur, 
über  Viktor  Hugo  stellte.  -) 

Als  Stifter  mit  seinen  Dichtungen  in  die  Öffent- 
lichkeit trat,  waren  Jean  Paul  und  Hoffmann  längst  ge- 
storben, Tieck  aber  lebte,  literarisch  nur  mehr  \venig 
tätig,  als  vergrämter  Einsiedler  zu  Dresden  und  schliess- 
lich zu  Potsdam  bis  1853.  Persönliche  Beziehungen 
zwischen  ihm  und  Stifter  sind  nirgends  nachzuweisen. 
Da^esren  bietet  ihre  Lebens-  und  Charakterentwicklung 
manche  gemeinsame  Züge. 

Wie  Jean  Paul  wuchsen  beide  in  kleinbürgerlichen 
Verhältnissen  auf,  wie  Hoffmann  standen  beide  früh- 
zeitig- musikalischen  Kreisen  und  der  bildenden  Kunst 
nahe.  Tiecks  Bruder  Friedrich  war  Bildhauer,  Hoff  mann 
]Musiker  und  Zeichner  zugleich.  Stifter  hinwieder  fühlte 
sich  als  ]^Ialer  so  sehr,  dass  er  lange  daran  zweifelte,  ob 
Poesie  oder  Malerei  seinen  Hauptberuf  bilde.  Ebenso 
verkehrten  alle  viel  in  vornehmer  Gesellschaft.  Was 
für  Jean  Paul  etwa  das  Gut  Venzka  und  Leipzig,  für 
Tieck  das  Schloss  Ziebingen,  für  Hoffmann  Bamberg  war, 
dasselbe  bedeutete  "für  Stifter  sein  Wiener  Aufenthalt. 
Das  Leben  jener  feinen  Kreise  spiegelt  sich  in  ihren 
Dichtungen  Avieder.  Aber  auch  in  ihren  Anschauungen 
bekunden  sie  eine  gewisse  Ähnlichkeit.  Gemeinsam  ist 
ihnen  ihre  hohe  Verehrung  für  Shakespeare.  Eine  ein- 


1)  G.  Ellinger.  E.  T.  A.  Hoffmann,  Hamburg  und  Leipzig 
1S94,  77. 

*)  Ebd.  182. 


—  7  — 

zige  Stelle  im  >Sturin  schuf  nach  Jean  Pauls  eio^ener 
Angabe  ganze  Bücher  von  ihm. ')  Tiecks  erster  dichte- 
rischer Versuch  behandelte  in  Form  eines  Zaubermär- 
chens die  Dicliterweihe  des  Knaben  vShakespeare.  Später 
beschäftigte  er  sich  eingehend  mit  den  Materialien 
über  dessen  Leben  und  Werke  und  schrieb  endlich  in 
seiner  Novelle  »Dichterleben«  vShakespeare  selbst,  nicht 
über  Shakespeare.  >Seine  Freunde  erkannten  hier  Tiecks 
Geist  am  eigentümlichsten  wieder:  Immermann  wurde 
hier  das  geheimnisvolle  vSchaffen  der  Tieck'schen  Phan- 
tasie am  klarsten  .  .  .  A.  W.  Schlegel  aber  fand  es  hin- 
reissend und  meinte,  dass  es,  ins  Englische  übersetzt, 
Furore  machen  würde.«-)  Auch  Hoff  mann  pries  Shake- 
speares »die  Romantik  im  höchsten  Sinn  aussprechen- 
den«-') Trauerspiele  und  wählte  ihn  sowie  die  Dar.stel- 
lung  seiner  Stücke  zum  Vorwurf  scharfsinniger  Unter- 
suchungen. 

Stifters  Begeisterung  für  Shakespeare,  diesen  Lieb- 
lino-  der  p-esamten  Romantik,  äussert  sich  am  deutlich- 
sten  in  seinem  Nachsommer.  Er  beschreibt  darin  eine 
Musteraufführung  des  »Königs  Lear«,  der  er  beiwohnt : 
»Mein  Herz  war  .  .  .  gleichsam  zermalmt,  ich  wusste 
mich  vor  Scham  kaum  mehr  zu  fassen  .  .  .  das  hatte 
ich  nicht  geahnt  .  .  .  der  günstige  Ausgang,  welchen 
man  den  Aufführungen  dieses  Stücks  zu  jener  Zeit  gab, 
um  die  fürchterlichen  Gefühle,  die  diese  Begebenheit 
erregt,  zu  mildern,  tat  auf  mich  keine  Wirkung  mehr, 
mein  Herz  sagte,  dass  das  nicht  möglich  sei  und  ich 
wusste  beinahe  nicht  mehr,  was  \-or  mir  und  um  mich 
herging«  .■*) 


*)  F.  J.  Schneider.  Jean  Pauls  Altersdichtung-,  Berlin  1901.  4. 
-)   J.  Minor,   Tieck    als    Novellendichter   in    den  »Akade- 
mischen Blättern«.  Braunschweig'  18S4,  150. 
•>}    Ellinger,  72. 
♦)    Nachsommer.  2.  Auflage.  1S65,  I.  304. 


Aber  auch  an  anderen  Stellen  seiner  Werke,  wenn 
er  etwa  den  Helden  im  Nachsommer <  sogar  Englisch 
treiben  lässt,  damit  dieser  Shakespeare  in  der  Ursprache 
lesen  könne  ')  oder  in  den  » Feldblumen  <  von  einer 
»romantischen  Shakespearsgestalt<  (I,  8i)  spricht,  be- 
weist Stifter  seine  Hochschätzung  und  Liebe  dieses 
Dichters.  Und  ebenso  wie  Hoffmann  die  Stellung 
Schillers  als  die  eines  lange  unangefochtenen  deutschen 
Tragikers  zugibt,  dagegen  dessen  allzustark  hervor- 
tretende Rhetorik  und  den  Phrasenschwall  seiner  Nach- 
ahmer tadelt,  -)  so  teilt  auch  Stifter  in  seiner  Reifezeit 
die  rückhaltlose  Bewunderung  seiner  Jugend  für  Schiller 
nicht.  Über  den  ;.  Wallensteine  sagt  er  in  einem  Briefe 
an  P.  J.  N.  Geiger:  Sie  vermögen  gar  keine  solchen 
Phrasenfiguren  zu  machen,  wie  Schiller.  (Ich  will  darum 
Schiller  nicht  überhaupt  tadeln,  ich  tadle  nur  dieses 
Stück  an  ihm,  begreife,  wie  er  unserem  Phrasenzeit- 
alter so  gefallen  konnte,  dass  es  ihn  zu  oberst  setzen 
wollte,  und  dass  er  selber  wäeder  sehr  viel  zum  Phrasen- 
tume  der  neuen  Zeit  beitrug,  das  sich  in  jüngster  Zeit 
völlig  ekel  machte.«)  (Briefe  I,  37).  Dieses  Urteil 
schrieb  Stifter  1854,  also  zu  einer  Zeit,  wo  er  bereits 
an  seinem  Nachsommer«  zu  arbeiten  begann  und  dem 
Klassizismus  sich  wiederum  näherte.  Stifter  war  eben 
früher  so  sehr  im  Bann  der  Romantik  gestanden,  dass 
er  in  seinem  Alter  wohl  wieder  ein  glühender  Verehrer 
Goethes,  niemals  aber  ein  solcher  Schillers  werden 
konnte. 

Stifter  war  nicht  bloss  Dichter,  sondern  auch  Theo- 
retiker. Wie  Jean  Paul  w^ollte  auch  er  Volkserzieher 
im  engeren  Sinn  des  Wortes  sein.  Dem  Verfasser  der 
»Levana«  tritt  Stifter  mit  seinen  zahlreichen  Aufsätzen, 
die  zu  den  einschneidendsten  Frasfen  der  Zeit  Stellunsr 


1)  Nachsommer  I.  308. 

2)  EUinger,  127. 


—  9  — 

nehmen,    an    die  Seite.     Ebenso    bctätij^te    er   sich    als 
Kunstschriftsteller,  wie  seinerzeit  Hoffniann  und  Tieck. 

SchHessIich  erübrio;-t  nocli  die  Frage:  Wie  fassten 
die  genannten  Romantiker  den  Katholizismus  auf,  der 
in  ihrer  Zeit  zur  Mode  geworden  war,  und  wie  ergriff 
sie  die  national  bedrängte  Lage  ihres  Vaterlandes,  dessen 
Wiedererhebung  mit  den  Trägern  der  Romantik  un- 
lösbar verknüpft  erscheint?  Bei  Jean  Paul  machen  sich 
katholische  Elemente  noch  am  wenigsten  fühlbar.  In 
dieser  Hinsicht  war  sein  Zusammenhang  mit  dem 
Klassizisnnis  wirksamer  geblieben,  als  bei  den  meisten 
seiner  literarischen  Zeitgenossen.  Und  doch  stand  auch 
er  ihren  katholisierenden  Tendenzen  nicht  fremd  gegen- 
über. Im  »Komischen  Anhang  zum  Titan '  betont  er 
selbst,  dass  er  sich  für  den  Katholizisnms  zwar  nicht 
als  ein  in  der  Gegenwart  fortwirkendes  Prinzip,  wohl 
aber  als  historische  Erscheinung  erwärmen  könne.  Und 
in  Bezug  auf  die  romantische  Dichtung  äussert  er  sich 
in  der  Vorschule  der  Ästhetik«  :  »Ursprung  und  Cha- 
rakter der  ganzen  neueren  Poesie  lässt  sich  so  leicht 
aus  dem  Christentum  ableiten,  dass  man  die  roman 
tische  ebensogut  die  christliche  nennen  könnte«  (XVIII, 
loi).  Diese  Formel  drückt  ungefähr  dasselbe  aus,  was 
der  katholische  Literarhistoriker  der  Romantik,  Eichen- 
dorff,    einige  Jahrzehnte    später  näher  ausführen  sollte. 

Von  Tieck  ist  bekannt,  dass  anlässlich  seiner  Rück- 
kehr aus  Rom  1806  das  Gerücht  entstand,  er  sei  dort 
katholisch  geworden.  ')  Seine  Beziehungen  zu  Wacken- 
roder,  sowie  die  Mitherausgabe  der  katholisierenden 
»Herzensergiessungen  eines  kunstliebenden  Kloster- 
bruders«; hatten  die  Möglichkeit  eines  solchen  Schrittes 
wohl  von  vornherein  glaubhaft  gemacht.  Tieck  bestritt 
das     Gerücht,     obgleich    sich    andererseits    gewichtige 


»)  Ct.  Klee,  Tiecks  Leihen  und  Werke  (Meyers  Volksbücher 
Nr.  1028 — 29)  S.  69. 


lü 


Stimmen  genug  erhoben,  welche  die  Wahrheit  der 
Nachricht  zu  erhärten  suchten.  Immerhin  ist  gewiss, 
dass  seine  Frau  und  seine  Töchter  zum  KathoHzismus 
übertraten,  und  dass  Tieck  nach  wie  vor  die  poetischen 
vSchönheiten  der  alten  Kirche  seinem  dichterischen 
Schaffen  zu  nutze  machte. 

In  noch  ausgiebigerer  Weise  tat  dies  E.  T.  A. 
Hoffmann.  Freilich  konnte  bei  ihm  von  einem  inneren 
Erfassen  des  Katholizismus  durchaus  nicht  die  Rede  sein. 
Er  kam  darin  über  die  dekorativen  Elemente  nicht 
hinaus.  Doch  kam  er  dem  Geist  seiner  Zeit,  der  an 
Einsiedeleien  und  Klöstern,  Mönchen  und  Nonnen,  ge- 
heimnisvollen Reliquien  und  mystischen  Kultvorgän- 
gen ein  staunenswertes  Interesse  hatte,  willig  entgegen. 

Hand  in  Hand  mit  dem  innigen  Gefallen  an  der 
mächtigsten  Religion  des  INIittelalters  ging  damals  die 
Begeisterung  für  die  deutsche  Vorzeit,  die  in  dem 
Hass  wider  Napoleon  auch  einen  politischen  Ausdruck 
fand.  Der  Jubel  der  Befreiungskriege  klingt  in  den 
Dichtungen  der  gesamten  Romantik  wieder.  Jean  Paul 
schrieb  flammende  Worte  für  die  deutsche  Freiheit, 
Tieck  begrüsste  den  Sieg  der  deutschen  Waffen  und 
nahm  sich  vor,  eine  Reihe  Dramen  aus  der  vaterlän- 
dischen Geschichte  zu  schreiben ')  —  ein  Plan,  der 
später  freilich  nicht  zur  Ausführung  kam  —  und  sogar 
Hoffmann,  der  sich  rühmte,  er  habe  niemals  politische 
Blätter  gelesen  und  sich  überhaupt  um  Politik  nicht  ge- 
kümmert, zeichnete  wenigstens  Karrikaturen  auf  die 
Franzosen  und  komponierte  ein  grosses  Gemälde  »Die 
Schlacht  bei  Leipzig.  <-)  —  Inwiefern  der  katholische 
und  deutschnationale  Wesensgehalt  der  Romantik  mit 
Stifter  als  Menschen  und  Dichter  im  Zusammenhang 
steht,    soll   in    der  Folge  gezeigt  werden ;    hier  genüge 


I)  Klee,  73. 
-)  EUinger.  Sy. 


—    II    — 

die  Feststellung  der  Tatsache,  dass  vStifter  infolge  seiner 
Abstamniiing  und  Erzieliung  wie  aus  Überzeugung  Ka- 
tholik war,  dabei  aber  das  deutsche  Volk  für  das  > erste 
an  Geist  und  Seele«  ')  hielt  und  nach  dem  Voigang  der 
Romantik  bestrebt  war,  die  deutsche  Sprache  zu  bilden. 
Wie  Jean  Paul  sucht  auch  er  Fremdwörter  zu  ver- 
deutschen und  einen  neuen  Stil  zu  schaffen.  Und  noch 
im  Alter  bewundert  er  das  eigentlich  erst  durch  die 
Romantik  der  Literatur  wiedergewonnene  Nibelungen- 
lied, »das  unausstaunbare  Werk  der  alten  Deutschen«, 
das  er  weit  über  die  Ilias  und  Odyssee  zu  setzen  bereit 
war  (Briefe  III,  158). 

Blieb  es  Stifter  auch  versagt  mit  jenen  Roman- 
tikern in  Verkehr  zu  treten,  die  für  ihn  von  grösstem 
Einfluss  waren,  so  hatte  er  doch  persönliche  Beziehungen 
zu  namhaften  Vertretern  der  Spätromantik,  zu  Eichen- 
dorff,  Justinus  Kerner,  Lenau  und  Zedlitz. 

Eichendorff,  dessen  Schwester  Luise  in  Baden 
bei  Wien  wohnte  und  mit  Stifter  durch  ein  überaus 
inniges  und  ideales  Freundschaftsverhältnis  verbunden 
war,  lernte  den  Dichter  der  »vStudieU';  kennen,  als  er 
1846  eine  Reise  an  die  Donau  unternahm.  ^)  Obwohl 
eine  direkte  Einwirkung  auf  Stifter  seinerseits  nicht 
nachweisbar  ist,  kamen  sich  beide  in  ihren  Grund- 
ansichten und  dem  lyrischen  Zug  ihrer  Novellen  nahe. 
Als  Eichendorff  1857  gestorben  war,  schrieb  Stifter  an 
Luise:  »Ich  achtete  und  liebte  ihn  als  iVIenschen  sehr 
und  denke  mit  Freude  und  Trauer  an  jene  Zeit,  in 
welcher  er  öfter  meine  Schwelle  betreten  hatte,  und  in 
welcher  ich  an  anderen  Orten  mit  ihm  zusammen  war. 
Als  Dichter  herrlicher  Lieder  und  so  manches  anderen, 
und  als  Vorkämpfer  für  das  Reine  und  Schöne  ist  er 
mir  nicht  gestorben.     (Briefe  II,  245.) 


1)  Briefe  II.  265. 

-)  H.  Keiter.   Joseph  von    Eichendorff.     .Sein  Leben    und 
seine  Dichtungen,  Köln  1887,  97. 


—     12    — 

ISIit  Zedlitz,  dem  österreichischen  Epigonen  der 
Romantik,  wurde  Stifter  zu  Beginn  seiner  dichterischen 
Tätigkeit  im  Hause  der  Baronin  Pereira  zu  Wien  be- 
kannt. (Briefe  I,  S.  XXXIII.)  Auch  dieser  ältere  Dichter 
\ermochte  auf  ihn  keinen  Uterarischen  Einfluss  zu  ge- 
winnen, wenigstens  läs.st  sich  ein  solcher  gleichfalls 
nirgends  feststellen. 

Dagegen  finden  sich  bei  Stifter  Stimmungen  und 
Gedanken  aus  den  Werken  Justinus  Kerners  wieder. 
Dieser  selbst  schätzte  ihn  hoch.  Am  24.  Februar  1855 
übersandte  er  ihm  seinen  Gruss:  Dem  edlen  vortreff- 
lichen von  Stifter  sagt  seine  innigste  Liebe  und  Ver- 
ehrung der  alte,  halbblinde  Justinus  Kerner.  <-')  Von 
den  Phantasien  des  schwäbischen  Geistersehers  ist  nur 
ein  Schritt  in  das  Bereich  jener  \'erirrungen  der  Ro- 
mantik, die  in  ihrer  Gesamtheit  die  Pseudo-Romantik 
bilden.  Ob  Stifter  Apels  Gespensterbuch«  oder  eine 
andere  dieser  Sammlung  zugrunde  liegende  Schrift-) 
bekannt  war,  konnte  nicht  ermittelt  werden.  Dagegen 
dürfte  Webers  Freischütz:  mit  dem  Text  von  Kind 
Stifters  Kenntnis  nicht  entgangen  sein.  Dass  seine  Sage 
vom  Wildschützen  im  :  Hochwald-  auf  eine  dieser 
Quellen  zurückzuführen  ist,  erscheint  bei  der  innigen 
Verwandtschaft  der  ]\Iotive  ausser  Zweifel.  Aber  auch 
sonst  blieben  Stifter  die  tiefsten  Nachtseiten  der  roman- 
tischen Anschauungsweise  nicht  fremd.  Von  dem  Vor- 
handensein innerer  geheimnisvoller  Tatsachen,  die  dem 
Somnambulismus  und  der  Geisterfurcht  zugnmde  liegen 
sollen,  war  auch  er  überzeugt. 

Um  das  Jahr  1S50  vollzog  sich  allmählich,  aber 
nachhaltend  ein  Umschwung  im  Leben  und  Streben 
des  Dichters.  Langsam  entfernte  er  sich  von  dem 
Zaubero-arten    der    Romantik    und    klomm    die    steilen 


')    E.  Andrass}-.    Briefe  an  Stifter   in    der  »Österr.  Rund- 
schauc   1883,  6ig. 

-)  H.  A.  Krüger,  Pseudoromantik.  Leipzig  1904.  100. 


—   13   — 

Höhen  des  Klassizismus  hinan.  Es  ma<^  sein,  dass  der 
Verkehr  mit  Grillparzer  ihm  neue  Bahnen  wies.  Jahre 
lang-  hatte  Stifter  das  berühmte  Literatenkafe  Neuner 
zu  besuchen  Gelegenheit  gehabt,  kein  leuchtender  Stern 
am  damaligen  Wiener  Dichterhinmiel  blieb  ihm  ver- 
borgen, wenn  er  auch  nicht  mit  allen  sympathisierte. 
Aber  Grillparzer  verehrte  er  hoch.  Ob  nicht  die  Er- 
zählung »Der  arme  Wohltäter«,  die  später  als  -Kalk- 
stein« in  den  »Bunten  Steinen-  Aufnahme  fand,  auf 
Grillparzers  Novelle  »Der  arme  Spielmaun  zurück- 
zuführen ist?  Im  Druck  erschienen  beide  etwa  um  die- 
selbe Zeit:  Ende  1847,  ^^^^  zwar  veröffentlichte  Grill- 
parzer seine  Dichtung  in  dem  Taschenbuch  »Iris«, 
dessen  Mitarbeiter  seit  Jahren  Stifter  war.  (Briefe  I, 
S.  XXXI  u.  XXXV.)  Die  Ähnlichkeit  liegt  nicht  bloss 
im  Äusseren  der  Hauptpersonen,  auch  ihr  Charakter  als 
Kinderfreunde  und  ihre  merkwürdigen  Lebensumstände 
ähneln  einander  so  sehr,  dass  ein  Zusammenhang  beider 
Erzählungen  auch  ohne  denselben  Aufbau  und  die  glei- 
che Führung  der  Handlung  offenbar  würde.  Stifters 
menschliches  Verhältnis  zu  Grillparzer  beruhte  auf  Ge- 
genseitigkeit. Zu  dessen  70.  Geburtstag  übersandte 
Stifter  ein  Glückwunschschreiben,  worin  er  den  bedeu- 
tenden Einfluss  Grillparzers  auf  seine  Charakterent- 
wicklung besonders  hervorhebt  (Grillparzer-Jahrbuch  I, 
412),  und  dieser  nennt  in  der  Antwort  Stifter  seinen 
»edlen  Freund«  (Andrassy,  62 ij. 

1857  erschien  Stifters  lange  vorbereiteter  grosser 
Bildungsroman  »Der  Nachsommer«.  Und  in  diesem 
zeigte  sich  vollends,  wessen  Spuren  Stifter  nunmehr 
zu  wandeln  gewillt  war.  Eigentlich  musste  er  auf 
Goethes  »Wilhelm  Meister«  zurückgreifen,  wenn  er  in 
seinen  früheren  Werken  so  vieles  von  den  Romantikern 
angenommen  hatte.  »Wilhelm  Meister«  galt  der  Früh- 
romantik als  Evangelium  der  epischen  Muse  und 
durfte    darum    ganz    folgerichtig    ein    Halbjahrhundert 


—    14   — 

später  das  Ideal  eines  Ausläufers  jener  Bewegung  sein. 
Stifter  ähnelt  in  dieser  Beziehung  wiederum  Tieck, 
dessen  Denken  und  Dichten  nicht  ausschliesslich  roman- 
tisch war.  »Unsere  Schriftsteller  suchen  immer  das  so- 
genannte Poetische  abzusondern  und  zu  einem  für  sich 
bestehenden  Stoff  zu  machen,  sie  trennen  dadurch  die 
Einheit  und  können  uns  nur  einen  einseitigen  Genuss 
verschaffen ;  denn  wem  ist  unter  den  Deutschen  gegeben 
wie  Goethe  zu  schreiben.  So  meint  schon  der  junge 
Tieck  in  seinem  »Peter  Leberecht  \  Auch  in  späteren 
Novellen,  wie  im  » Mondsüchtigen <  spielt  Goethe  dem 
jungen  Deutschland  zum  Trotz  eine  glänzende  Rolle. 
Ja  Tieck  wählte  ihn  oft  zu  seinem  direkten  Vorbild. 
»Sternbald«  und  »Der  junge  Tischlermeister«  enthalten 
manche  Züge  aus  »Wilhelm  Meister«. 

Stifter  freilich  ging  in  seiner  Bewunderung  für 
Goethe  noch  weiter.  Wenn  er  in  seinem  späteren  Brief- 
wechsel zitiert,  dann  sind  es  zumeist  Zitate  aus  dessen 
Werken.  Sogar  der  Liebling  seiner  Jugend,  der  ver- 
ehrte »Vater  Hans  Paul« ')  in  den  »Feldblumen«  hatte 
schon  in  der  Buchausgabe  dem  A'ater  Goethe«  (I,  47) 
weichen  müssen. 

War  Stifter  Goethes  Dichtungsgestalten  nahe- 
getreten, noch  bevor  sein  »Nachsommer«  herauskam, 
indem  er  im  »Katzensilber«  der  »Bunten  Steine«  die 
unvergänglich  nachwirkende  Mignonfigur,  die  in  der 
Erzählung  »Der  Waldbrunnen«  nochmals  wiederkehrt, 
herübernahm:  so  suchte  er  jetzt  auch  den  Geist  der 
Sprache  Goethes  zu  ergründen  und  seiner  Menschlichkeit 
immer  näher  zu  kommen.  Goethes  Stil  und  praktische 
Anschauung  vom  Leben  ging  auf  Stifters  Altersdich- 
tung über.  Die  klassische  Ruhe  eines  zwar  auf  Erden 
wirkenden,  aber  erdentrückten  erhabenen  Charakters 
schwebt  fortan  über  den  still  gewordenen  Fluten  seiner 

')  Iris.  1841,  238. 


—   15  — 

früher  so  schwäniieriscli-beredtGii  Poesie.  Das  <j;ill  auch 
von  seinem  1S65  erschienenen  historischen  Roman  »Wi- 
tiko<  ,  der  trotz  der  Ik-handluno:  eines  romantischen  vStof- 
fes  zu  der  deutschen  Romantik  keine  P>eziehun<^en  mehr 
hat.  Ob  und  inwiefern  Walter  vScott  die  vSchaffensweise 
des  alten  Stifter  mitbestinmite,  entzieht  sich  dem  Rah- 
men dieser  Untersuchuno. 

Das  junge  Deutschland  war  der  Romantik  als  Tod- 
feind g-egenübergetreten.  Es  hatte  die  letzten  Reste  aus 
jener  Zeit  gewaltsam  zu  vernichten  getrachtet.  Sogar 
der  sonst  so  wandlungsfähige  Tieck  hatte  als  Zielscheibe 
des  Spottes  herhalten  müssen,  wofür  er  freilich  seine 
Abneig-ung  wider  den  neuen  literarischen  Hexensabbat 
unverhohlen  zum  Ausdruck  brachte.  Mit  Stifter  machte 
das  junge  Deutschland  noch  kürzeren  Prozess,  es  schwiege 
ihn  einfach  tot.  Für  die  Propheten  einer  radikalen 
Zukunft  hatte  ein  Mann,  der  so  wenig  Stürmer  und 
Dränger  war  wie  Stifter,  eben  gar  keine  Existenz- 
berechtigung. Andererseits  waren  auch  ihm  die  zeit- 
genössischen Verhältnisse  in  der  deutschen  Literatur 
recht  widerwärtig.  »Unsere  Literatur«,  schreibt  er  1855 
an  Heckenast,  »liegt  im  Argen,  und  ein  Mann,  der  mit 
mir  die  Einfachheit  und  das  sittliche  Bewusstsein  ge- 
mein hätte,  mir  aber  an  Dichterbegabung  weit  über- 
legen wäre,  sollte  aufstehen,  er  würde  der  Erneuerer 
unserer  gesunkenen  Kunst  sein  und  die  Ehre  des  Jahr- 
hunderts retten.  Den  grossen  Grillparzer  rechne  ich 
noch  zu  der  früheren  Zeit.  Seit  er  schweigt,  ist  der 
Unfug  erst  recht  losgegangen.  Halm  schwankt  und  ist 
zu  wenig  streng,  selbst  im  »Fechter«,  obwohl  dieser 
ein  Riesenfortschritt  ist.  Schiller,  so  gross  er  ist,  hat 
durch  den  falschen  Glanz,  den  er  der  keuschen  Muse 
geben  zu  müssen  geglaubt  hat,  viel  zu  dem  nachfol- 
genden Übel  beigetragen,  noch  immer  wird  Götzen- 
dienst mit  Schiller  getrieben,  und  ich  fürchte,  nicht 
mit  dem  grossen  Schiller,  sondern  mit  dem  flittern- 


—    i6   — 

den.  Heine  mit  der  Haltlosigkeit  seines  Gewissens  und 
dem  Prunk  seines  Talents  hat  unendlich  «geschadet. 
Da/.u  kam  der  einseitige,  oberflächliche  Liberalisnms, 
der  die  echte  Freiheit  ebenso  schändete  wie  die  paus- 
backige Poesie  die  Kunst,  und  auf  diese  Weise  kamen 
die  Zustände,  die  sich  im  neuesten  Leben,  in  der  Kunst 
und  im  Staate,  namentlich  in  der  sogenannten  Revolu- 
tion so  erbärmlich  zeigten.«  (Briefe  H,  97  ff.)  Ahnlich 
absprechend  lautete  Stifters  Urteil  über  Hebbel.  Das 
hängt  wohl  mit  der  durchaus  verschiedenen  Charakter- 
anlage der  beiden  zusammen.  Denn  obgleich  man 
Hebbel  Gemüt  und  Mitgefühl  auch  für  die  Kleinwelt 
eines  bescheidenen  Horizonts  nicht  absprechen  kann  — 
das  tiefinnige,  rührende  Gedicht:  »Schau  ich  in  die 
tiefste  Ferne  ...»')  mag  als  Beispiel  für  andere  gelten  — 
dennoch  überwog  in  seinem  dichterischen  Charakter 
das  herrisch-gewaltsame  und  philosophisch-konstruie- 
rende  Element  so  sehr,  dass  er  in  der  deutschen  Lite- 
ratur lange  eine  vielumstrittene  Persönlichkeit  war. 
Stifter  und  Hebbel  wird  man  am  besten  als  Antipoden 
erfassen.-)  Beide  gehen  auf  innere  Seelenregungen  ein, 
nur  dass  der  eine  mit  der  Feinheit  des  Anatomen  die 
Wurzeln  des  Gemütslebens  aufzudecken  bemüht  ist,  die 
bei  seinen  Charakteren  so  stark  sind,  dass  sie  das  ru- 
helose Herz  den  Sturm  der  Leidenschaft  überstehen 
lassen,  während  der  andere  die  Seele  und  alle  ihre  Be- 
ziehungen, als  Ganzes  betrachtet,  dem  Kampfe  des  Le- 
bens aufopfert.  Stifter  stellt  das  Werden  des  in  sich 
einigen  Menschen  dar,  Hebbel  löst  die  gewordene  Ein- 
heit in  der  Vernichtung  durch  die  Leidenschaft  auf. 
Ein  Bild   mag;  diese  Auffassung;    erklären.    Aus  Stifters 


•)  Fr.  Hebbel,  Sämtliche  Werke.  Hist.-krit.  Ausgabe.  Berlin 
1902,  VI,  40S. 

-)  Vgl.  hiezu  E.  Th.  Bratranek  in  der  xÖsterr.  Revue«, 
Wien  1863  und  E.  Kuh.  Zwei  Dichter  Österreichs  II.  Teil: 
A.  Stifter,  Pest  1872. 


—   17  — 

Dichtungen  strahlt  uns  ein  milder  leuchtender  Sonuner- 
tag  entgegen,  Hebbels  Muse  verkörpert  die  dunkle, 
stürmische  Gewitternacht.  Diese  Elemente  des  Erden- 
laufs werden  mit  einander  immer  im  Widerstreit  stehen, 
solange  es  ein  All  gibt,  und  der  unergründliche  Ouell 
der  Poesie  seine  verschiedenen  Ströme  ins  Leben  ent- 
sendet. Wie  sehr  man  Unrecht  täte,  vStifters  ableh- 
nende Haltung  Hebbel  gegenüber  auf  persönliche  oder 
subjektive  Gründe  zurückzuführen,  dass  vielmehr  das 
Prinzipielle  des  Gegensatzes  darin  zi:m  Ausdruck  kommt, 
geht  schon  aus  einem  am  2t.  August  1847  abgesandten 
Schreiben  an  den  Redakteur  der  »Allgemeinen  Zeitung  , 
Buddeus,  hervor:  »Das  Grosse  posaunt  sich  nie  aus,  es 
i  s  t  bloss  und  wirkt  so.  Meist  weiss  der  Grosse  n  i  c  h  t, 
dass  es  gross  ist,  daher  die  grössten  Künstler  der  Welt 
die  lieblichste  kindlichste  Naivetät  haben  und  dem  Ideale 
gegenüber,  das  sie  einmal  leuchten  sehen,  stets  demütig 
sind.  Als  ich  Hebbels  Sachen  zuerst  las,  legte  ich  sie 
als  unbedeutendes  schwaches  Gemache  von  Seite  einer 
Unkraft,  die  sich  nur  bläht  und  sittlich  widerwärtig 
tut,  um  gross  zu  scheinen,  bei  Seite ;  aber  in  welches 
Erstaunen  geriet  ich,  als  ich  hörte,  dass  man  ihn  einen 
Dichter  nannte,  ja  als  man  Grösse  in  ihm  fand.  Es 
kam  mir  ein  Wehe  an  um  meine  Landsleute  —  aber 
ich  begriff  es,  als  ich  jene  Gattung  Wiener  kennen 
lernte,  die  ihn  priesen.  Meine  Ansicht  ist  die  aller 
meiner  literarischen  Freunde:  Grillparzer  an  ihrer 
Spitze.  Wenn  man  daher  auswärts  meint,  Hebbel  habe 
es  Wien  angetan,  so  irrt  man  sehr.  Selbst  manche  Fa- 
milien kenne  ich,  die  nur  ihr  einfaches  Gefühl  fragen 
und  diese  Dichtungen  entschieden  von  sich  weisen. 
Der  grösste  Teil  unserer  Wiener  (die  lesenden)  ist  zu 
gesund,  um  diese  Verrenkungen  anzunehmen.«') 


')  Brief  im  JJesitz  des  Hr.  AI.  Me3-er-Colin  in  I]erliii.  teil- 
weise gedruckt  in  dessen  Autograplien-Katalog. 

Kose  h,  Stifter.  2 


iS 


Hebbel  hinwieder  hielt  von  Stifter  ebensowenig. 
In  einem  Epigramm  »Die  alten  Naturdichter  und  die 
neuen«  stellt  er  ihn  an  die  vSeite  von  Brockes  und 
Oessner.  Mit  beissender  Ironie  weist  er  alle  ab : 
»Wisst  ihr,  warain  euch  die  Käfer,  die  Butterblumen  so  glücken, 
Weil  ihr  die  Menschen   nicht  kennt,   weil   ihr  die  vSterne  nicht 

seht. 
Schautet  ihr  tief  in  die  Herzen,  wie  könntet  ihr  schwärmen  für 

Käfer? 
Säht  ihr  das  Sonnens^-stem.  Sagt  doch,  was  war'  euch  ein 

vStrauss  ? 
Aber  das  niusste  so  sein;   damit  ihr  das  Kleine  vortrefflich 
Liefertet,  hat  die  Natur  klug  euch  das  Grosse  entrückt.   ') 

Liess  schon  dieses  Epigramm  nichts  an  Deutlich- 
keit übrig,  so  fasste  sich  Hebbel  noch  ausführlicher  in 
einer  Rezension  von  Stifters:  :>Nachsommer< ,  »Drei 
starke  Bände!«  beginnt  Hebbels  Klage.  »Wir  glauben 
nichts  zu  riskieren,  wenn  wir  demjenigen,  der  beweisen 
kann,  dass  er  sie  ausgelesen  hat,  ohne  als  Kunstrichter 
dazu  verpflichtet  zu  sein,  die  Krone  von  Polen  ver- 
sprechen. Wir  machen  jedoch  den  Verfasser  nur  in  ge- 
ringem Grade  für  das  missratene  Buch  verantwortlich; 
er  war  sogleich  bei  seinem  ersten  Auftreten  Manierist 
und  muste,  verhätschelt  wie  er  war,  zuletzt  natürlich 
alles  Mass  verlieren.«-)  Anfangs  noch  durch  die  Erinne- 
rung an  Lessings  »Laokoon«  im  Zaume  gehalten,  habe 
er  nun  in  der  Gewissheit,  dass  dieser  Kritiker  heute 
niemand  mehr  schade,  das  Äusserste  seiner  Richtung 
erreicht.  Gessner  hätte  doch  wenigstens  gemalt,  Stifter 
aber  habe  sich  damit  begnügt,  nur  Farben  zu  reiben, 
ja  oft  sogar  nur  Farbstoffe  zusammenzutragen. 

Wie  merkwürdig  nehmen  sich  neben  diesem  Urteil 
Hebbels,  der  am  » Nachsommer  ^  überhaupt  nichts  Gutes 


1)  Hebbel  VI,  349.  Vgl.  hiezu  noch  die  Verspottung 
Richtung  im  Vorwort  zur  »Julia«  (II,  380)  und  in  der  Satire 
-Das  Komma  im  Frack.<  (XII,  189). 

2)  Ebd.  XII,  182. 


—     19    — 

und  nur  Schlechtes  fand,  die  Worte  eines  anderen  Über- 
niensclien  im  deutschen  Geistesleben  des  neunzehnten 
Jahrhunderts  aus:  »Wenn  mau  von  Ooethes  »Schriften 
absieht,  .  . .  was  bleibt  eigentlich  \on  der  deutschen 
Prosaliteratur  übrig-,  das  verdiente,  wieder  und  wieder 
gelesen  zu  werden?  Lichtenbergs  Aphorismen,  das  erste 
Buch  von  Jung  Stillings  Lebensgeschichte,  x\dalbert 
Stifters  »Nachsommer«  und  Gottfried  Kellers  »Leute 
von  Seldwyla«  —  und  damit  wird  es  einstweilen  zu 
Ende  sein.«')  Aber  nicht  nur  Nietzsche,  auch  Raabe, 
Storm,  Adolf  Pichler,-)  Emil  \on  Schönaich-Carolath , 
Marie  von  Ebner-Eschenbach,  um  nur  einige  Namen 
zu  nennen,  standen  unter  Stifters  Einfluss.  Und  in 
einem  Brief  Roseggers  vom  3.  Januar  1875  findet  sich 
das  Bekenntnis,  sein  Liebling,  den  er  immer  und  immer 
wieder  lese,  sei  Stifter.    (Vgl.  auch  Hein,  583.) 

Von  den  hervorragenden  literarischen  Persönlich- 
keiten, mit  denen  der  Dichter  aus  dem  Böhmerwald  als 
Freund  und  Berater  in  Fühlung  trat,  sind  noch  zu 
erwähnen:  Franz  Stelzhammer  und  Betty  Paoli.  Den  ober- 
österreichischen Dialektdichter  förderte  er  als  Mitarbeiter 
an  dem  Unternehmen  »Wien  und  die  Wiener«,  das 
1841  begonnen  wurde.  Betty  Paoli  hatte  Stifter  bei  der 
geistreichen  Fürstin  Schwarzenberg,  deren  Wiener  Salon 
er  oft  besuchte,  frühzeitig  kennen  gelernt.  In  der  Vor- 
leserin des  adeligen  Hauses  im  »Nachsommer  tritt  uns 
ihre  Gestalt  entgegen.  (Briefe  I,  S.  XXXH.) 


1)  Fr.  Nietzsche.  ]Menschliches  und  Allzumeuschliches. 
Leipzig  1904.  II.  257;  vgl.  hiezu  den  Aufsatz  von  R.  M.  Meyer. 
Stifters  »Nachsommer«  in  der  Wiener  Wochenschrift  »Zeit« 
XXXIV,  53  ff.,  66  ff .  Ferner  A.  Hauffen.  Stifters  Nachsommer« 
in  der  »Deutschen  Arbeit«,  Prag,  II.  Bd. 

-)  In  den  »Tagebüchern«  A,  Pichlers  (München  1905,  106) 
lautet  eine  Stelle  über  Stifter:  »Seine  Werke  gehören  zu  den 
schönsten  Erinnerungen  meiner  Jugend,  ich  komme  aber  auch 
im  Alter  gern  darauf  zurück.  Wenn  er  auch  von  Jean  Paul 
ausging,   überragt  er  ihn  doch  als  Künstler . . .« 


2ü 


Wenn  wir  uns  nun  die  Frage  stellen,  in  welchem 
Verhältnis  Stifter  zur  deutschen  Literatur  stehe,  so 
wäre  es  verfehlt,  sie  bloss  im  Hinblick  auf  die  zu  seiner 
Zeit  mächtigste  Literaturströmung  beantworten  zu 
wollen. 

Stifter  stand  nicht  ausserhalb  der  literarischen 
Entwicklung,  wie  es  auf  den  ersten  Blick  scheinen 
konnte,  sondern  vielmehr  mitten  in  ihr. 

Abseits  von  der  grossen  Strasse,  auf  der  die  wilde 
Jagd  des  jungen  Deutschland  vertobte,  bereitete  ein  dichte- 
risches Ewigkeitsgeschlecht  seine  stillen  Siege  vor: 
Neben  Stifter  und  Eichend orff  Mörike  und  Annette  von 
Droste-Hülshoff,  nach  einem  Ausspruch  Betty  Paolis 
die  grösste  Dichterin  aller  Länder  und  aller  Zeiten,  von 
denen  wir  wissen. ')  Alle  diese  Dichtergestalten,  die 
uns  heute  als  kraftvolle  Ausläufer  einer  unvergänglichen 
Blütezeit  deutscher  Dichtung  erscheinen,  überleitend  zu 
neuen  Verkündern  der  alten  Ideale,  gingen  bei  ihrem 
ersten  Auftreten  fast  spurlos  unter.  Für  das  grosse 
Volksganze  lebten  sie  noch  nicht.  Ihre  Nachwirkung 
zeigt  sich  vielfach  erst  heute. 

Hatte  Immermanns  »Münchhausen«  (1839)  ^^"^ 
ersten  Male  wieder  im  Grossen  auf  die  unveräusser- 
lichen Rechte  der  heimatlichen  Landschaft  hingewiesen, 
war  die  bodenständige  Lyrik  in  Lenaus  Pussta-  und 
Schilfliedern  {1832)  entdeckt  und  in  Droste-Hülshoffs 
westfälischen  Heidebildern  (1837)  für  Deutschland 
dauernd  erobert  worden,  so  konnte  vStifters  Schilderung 
des  heimischen  Böhmerwalds  nicht  mehr  völlig  über- 
raschend wirken. 

Sowohl  er  als  auch  seine  Vorläufer  bringen  die 
leblose  Natur  mit  den  [Mensch enschicksalen  in  Zusammen- 


')  Vgl.  Annette  Freiin  von  Droste-Hülslioffs  gesammelte 
Schriften  in  drei  Bänden.  Stnttgart,  Cotta.  Einleitung  von 
Levin  Scliücking.  7. 


21 


lianj4,  beseelen  sie,  ja  gehen  /um  Teil  nocli  weiter. 
NicliL  nur  Stifter,  auch  Mörike  und  Droste-Hülshoff 
verlieren  sich  voll  Liebe  im  Naturdetail.  Sie  über- 
l  ragen  diese  Vorliebe  auf  die  scheinbar  unbedeu- 
tendsten Taten  und  Regungen  des  Menschenherzens. 
Sie  stehen  mit  ihren  Ansichten  nicht  allein  und  ge- 
winnen immer  mehr  literarische  Gesinnungsgenossen. 
Und  ehe  noch  Stifter  in  der  Vorrede  zu  seinem  >  Fest- 
geschenk« der  Bunten  Steine«  (1852)  die  Grösse  des 
angeblich  Kleinen  auseinandersetzte,  hatte  bereits 
J.  Gotthelf  in  seiner  >Gabe  für  Dienstboten  und  Meister- 
leute« wie  er  ähnlich  bescheiden  Uli  den  Knecht" 
(1841  und  1849)  bezeichnet,  >das  sogenannte  Kleine, 
aber  für  den  Weisen  das  Wichtigste« ')  darzustellen 
versucht.  Dieser  Hinweis  möge  zeigen,  dass  die 
Darstellung  von  Stifters  Verhältnis  zur  Romantik  nur 
ein  Bruchstück  seines  literarischen  Gesamtbildes  be- 
deuten kann.  Allerdings,  jene  Dichtungen,  die  seinen 
Ruhm  begründeten,  führen  uns  vor  Allem  auf  die 
romantische  Periode  zurück.  Aber  auch  in  diesem  be- 
schränkten vSinne  als  Dichter  der  Studien v  darf  man 
ihn  weder  als  Spätromantiker  noch  als  blossen  Epi- 
gonen der  Romantik  auffassen.  Um  als  Spätromantiker 
zu  srelten,  war  er  von  ihr  sowohl  zeitlich  wie  örtlich 
zu  weit  geschieden.  Aber  seine  literarische  Erscheinung 
war  auch  neu  und  eigenartig  genug,  den  Vorwurf  des 
Epigonentums  von  ihm  für  -inniier  abzuwehren.  Wie 
Grillparzer  ein  Klassiker  nach  dem  Klassizismus,  ist 
der  Dichter  der  »Studien«  ein  Romantiker  nach  der 
Romantik.  Eine  Reihe  wesentlicher  Momente  verknüpft 
Stifter  auch  als  Gesamtper.sönlichkeit  mit  dieser  Periode. 
Stifters  Verehrung  des  Katholizismus,  seine  nationale 
Begeisterung  und  seine  Kunstanschauung,  die  der  Ro- 
mantik entsprechend  gern  mittelalterliche  Vorbilder  hat, 

»)   Jereiiiias   Gotthelf.    Volksansgabe    seiner   Schriften    im 
Urtext.  Bern  1S99,  VI.  394. 


—      22      — 

bringen  ihn  als  Menschen  und  Kunsttheoretiker  den 
romantischen  Kreisen  geistig  nahe.  In  seinen  Erzäh- 
lungen kehren  alte  Märchenmotive  wieder,  und  die  kUn- 
gende  Sprache  aus  dem  Reich  der  blauen  Blume  tönt 
überall  durch.  Wenn  er  auch  Mass  hält  im  Gebrauch 
eingestreuter  Lieder,  seine  Novellen  sind  doch  so  lyrisch 
gehalten,  dass  wir  die  Worte  des  Komponistenpaares 
Robert  und  Klara  Schumann  begreifen:  »Soviel  Musik 
erklingt  aus  Ihren  Dichtungen«,  heisst  es  in  einem 
Briefe  der  Beiden  an  Stifter,  in  dem  sie  ihn  zu  einem 
ihrer  Konzerte  laden,  dass  wir  Sie  gewiss  nicht  mit 
Unrecht  für  einen  Freund  auch  unserer  Kunst  halten.« 
Und  sie  schliessen  mit  dem  Wunsche :  Könnten  wir 
Ihnen  im  Konzert  nur  einen  Teil  jener  Freuden  zu- 
rückgeben, die  Sie  uns  verschafft«  (Andrassy,  624). 

Doch  in  vielem,  und  zwar  gerade  in  dem,  was 
seine  Bedeutung  ausmacht,  ging  Stifter  über  die  Ro- 
mantik hinaus.  Seine  Phantasie  ist  gezügelt,  manchmal 
glühend,  geheimnisvoll  und  tiefsinnig,  niemals  aber 
verworren.  Seine  Naturanschauung  ist  klar  und  unbe- 
irrt, die  aus  ihr  hervorquellende  Schilderung  der  Wirk- 
lichkeit entsprechend,  plastisch  und  lebensvoll.  Mit  den 
wunderlichen  Versuchen  der  Romantik,  die  Natur  in 
die  Handlung  zu  verweben,  ist  sie  nicht  zu  vergleichen, 
nur  ihre  Ahnung  und  Sehnsucht  erfüllt  sie.  Stifter 
schuf,  freilich  von  Jean  Paul  und  später  von  Goethe  be- 
einflusst,  einen  neuen  Stil  des  Wohlklangs  und  der 
höchsten  Ausdrucksfähigkeit.  Aus  den  sprachbildendsten 
Elementen  der  Romantik  imd  des  Klassizismus  fügte 
er  seine  Wurzeln  zusammen  imd  pfropfte  dem  blü- 
henden Stamm  sein  eigenes  schöpferisches  Reis  auf. 
Dieser  Stil  war  geeignet,  die  kleinsten  und  feinsten  De- 
tails aller  äussern  und  innern  Vorgänge  wiederzugeben. 
Und  auf  diesem  Wege  wurde  Stifter  auch  zum  eigent- 
lichen und  bahnbrechenden  Schöpfer  der  modernen,  hn 
engsten  Sinn  psychologischen  No\'elle. 


Freilich,  der  Nährboden  seiner  Kraft,  soweit  sie 
nicht  in  ihm  selbst  lag,  war  in  erster  Linie  die  roman- 
tische Poesie,  vor  allem  Jean  Pauls,  Hoffmanns  und 
Tiecks. 

Auf  der  Schule  begann  Stifter  die  Klassiker  zu 
lesen,  im  Alter  kehrte  er  zum  Klassizismus  wieder  zu- 
rück, was  aber  dazwischen  liegt,  die  Blütezeit  seines 
Lebens  und  Schaffens,  gehört  der  Romantik.  Kein 
besserer  Zeuge  mag  dies  bestätigen,  als  der  unvergess- 
lichc  Freiherr  von  Eichendorff,  der  als  der  letzte  aus 
dem  Heidelberger  Kreise  derer  um  Görres,  Arnim  und 
Brentano  in  eine  neue  Zeit  herüberragte. 

In  den  »Historisch -politischen  Blättern;  vom  Jahre 
1846  (XVII,  439  ff)  wies  er  auf  einen  hoffnungsvollen 
Erneuerer  der  deutschen  Dichtung  hin :  Wir  meinen 
Adalbert  vStifter,  dessen  Novellen  sich  eben  durch  das 
auszeichnen,  was  sie  von  der  jetzigen  Modeliteratur 
unterscheidet.  Sie  können  und  wollen  sämtlich  ihre 
romantische  Abkunft  nicht  verleugnen,  aber  es  ist  eine 
der  vSchule  entwachsene  Romantik,  welche  das  ver- 
brauchte mittelalterliche  Rüstzeug  abgelegt,  die  katho- 
lische Spielerei  und  mystische  Überschwenglichkeit  ver- 
gessen und  aus  den  Trümmern  jener  Schule  nur  die 
religiöse  Weltansicht,  die  geistige  Auffassung  der  Liebe 
und  das  innige  Verständnis  der  Natur  sich  glücklich 
herübergerettet  hat.  Nicht  eine  Spur  von  moderner 
Zerrissenheit,  von  selbstgefälliger  Frivolität  oder  mo- 
ralisch experimentierender  Selbstquälerei  ist  in  dieser 
gesunden  Poesie.  Die  irdische  Liebe,  obgleich  in  kräftig 
sinnlicher  Schönheit,  erinnert  überall  an  ihren  himmli- 
schen L^rsprung;  fromm,  heiter  und  einfach  hat  sie 
ihren  bunten  Brautkranz  auf  den  Zinnen  der  »Narren- 
burg« ausgehängt,  während  sie  mit  ihrer  Wehmut  den 
o-anzen  »Hochwald«    wie   in   tiefes  Abendrot  versenkt. c 


II.    Charakter  und  Weltanschauung. 

Stifter  war  ein  tief  leidenschaftlicher 
Charakter. 

Es  mag  vielleicht  wundernehmen,  diesen  Satz  apo- 
diktisch an  die  Spitze  einer  Erörterung  gestellt  zu  sehen, 
die  Stifters  menschliche  Eigenart  darzustellen  versuchen 
will.  Allein  um  jener  jahrzehntelang  eingewurzelten 
Meinung,  Stifter  sei  ein  »Fanatiker  der  Ruhe«:,  wirk- 
sam entgegenzutreten,  bedarf  es  eines  kräftigen  und 
zweifellosen  Widerspruchs.  In  Verbindung  mit  dem 
zweiten  Satze :  Stifter  war  ein  tief  religiöser 
Charakter,  dessen  Frömmigkeit  immer 
stärker  zur  Entwicklung  kam,  bedeutet  er  den 
besten  Schlüssel  für  die  Erkenntnis  der  Schaffensweise 
unseres  Dichters. 

Schon  der  Knabe  Stifter  war  nicht  so  überaus 
sanft  und  ruhig,  als  er  vielen  erscheinen  möchte. 
Masslos  betrieb  er  den  Meisenfang  und  liebte  mitunter 
recht  grausame  Scherze.  Nach  dem  Tod  seines  innigst 
geliebten  Vaters  war  er  so  leidenschaftlich  erregt,  dass 
er  sich  vornahm,  Hungers  zu  sterben.  Der  Vorsatz 
blieb,  da  der  Knabe  nach  längerem  Fasten  doch  wieder 
Lebenslust  bekam,  unausgeführt  (Hein,  31  ff). 

Sein  unruhiges  schwärmerisches  Wesen  behielt  er 
auch  in  seinen  Jünglingsjahren.  Und  noch  1837,  un- 
mittelbar vor  seiner  Hochzeit,  schreibt  er  seinem  Freunde 
Sigmund  Freiherm  von  Handel :  »Dass  ich  ein  Narr 
bin,  weisst  Du  ohnehin,  dass  ich  ein  Narr  voll  unsäg- 
licher Liebe   zu  Dir    und    den    andern    des    eewesenen 


—     -^n     — 

Rundkreises  bin,  wirst  Du  ja  doch  endlich  anch 
wissen  —  —  dass  ich  ferner  ein  Narr  l)in,  der  sicli 
nur  ein  einzig  Mal  recht  überschwenglich  mit  univer- 
sumsgrosseni  Herzen  werfen  möchte  an  ein  eben  solches 
unermessliches  Weiberherz,  das  fähig  wäre,  einen  gei- 
stigen Abgrund  aufzutun,  in  den  man  sich  mit  Lust 
und  (rrausen  stürzte  und  eine  Trillion  Engel  singen 
hörte  Jesus  Maria!  ich  könnte  mich  mit  ihr  Arm  in 
iVrm  in  den  Niagarafall  stürzen  —  —  —  aber  sie  sind 
(ränse,  die  derlei  für  Phantasterei  ausgeben  imd  bei 
Ypsilanti  nette  Schnuseln  kaufen.  ^    (Briefe  I,  34.) 

Stifter  hatte  als  Hofmeister  in  adeligen  Familien 
Wiens  sicher  viel  Gelegenheit,  mit  schönen  und  vor- 
nehmen Frauen  bekannt  zu  werden.  In  welche  Auf- 
regungen musste  da  sein  stürmisches,  überwallendes 
Herz  geraten,  das  solche  Empfindungen,  wie  die  eben 
mitgeteilten,  hegen  konnte?  Er  lernte  sich  überwinden. 
In  seiner  > wüsten  Lage«  schöpfte  er  den  »grössten 
Trost«  ■ —  »ja  gewissermassen  die  Liebe  einer  Ge- 
liebten« —  in  dem  »edlen  Weisen«  Ph.  C.  Hartmann, 
dessen  ethische  Werke  »»Geist  des  Menschen«  und 
»Glückseligkeitslehre*:  er  mit  Begeisterung  las  und 
weiterempfahl. ')  Seine  grosse,  unvergessliche  Jugend- 
liebe Fanni  Greipl  war  ihm  genommen  w^orden.  Er 
überwand  auch  diesen  Schmerz.  Ja  er  ging  so  w^eit, 
dass  er  selbst  ein  ungeliebtes  Weib  zur  Gattin  nahm 
und  es  endlich  doch  liebte,  weil  er  sich  durch  das  Ge- 
setz der  Ehe  verpflichtet  fühlte,  es  zu  lieben.  Nach 
dem  Verlöbnis  mit  Amalia  Mohaupt  war  ihm  sein  Un- 
glück völlig  klar.  Wenn  er  Amalia  küsste,  musste  er 
sich  immer  Fannis  Lippen  vorstellen,  um  sie  küssen 
zu  können.  Noch  einmal,  wohl  das  letzte  Mal,  schreibt 
er  am  20.  August  1835  an  Fanni:  »Es  gibt  nur  eine, 
eine  einzige  Liebe  und  nach  der  keine  mehr.  Gekränkte 
Eitelkeit  war  es  — ■  zeigen  wollte  ich,  dass  ich  doch  ein 

')  Zeitschrift  für  die  österr.  Gymnasien.  1895,  868. 


—      26      — 

schönes,  wohlhabendes  und  edles  Weib  zu  finden 
wüsste  —  —  —  ach  ich  hätte  über  dem  Experimente 
bald  mein  Herz  gebrochen.  Je  weiter  zur  Vermählung 
ich  es  mit  Amalia  kommen  Hess,  desto  unruhiger  und 
unglücklicher  war  ich.  Dein  Bild  stand  so  rein  und 
mild  im  Hintergnmd  vergangener  Zeiten,  so  schön  war 
die  Erinnerung  und  ?o  schmerzlich,  dass  ich,  als  ich 
Amalia  das  Wort  künftiger  Ehe  gab,  nach  Hause  ging 
und  auf  dem  Kissen  meines  Bettes  unendlich  weinte  — 
um  Dich':  (Hein,  89).  Er  macht  ihr  schliesslich  den 
Vorschlag,  ihre  Verlobung,  wenn  möglich,  rückgängig 
zu  machen,  damit  er  noch  Hoffnung  haben  könne,  sie 
einst  als  Gattin  heimzuführen.  Es  war  vergebens,  Fanni 
Greipl  wurde  nie  die  Seine. 

»Im  Menschen  wallt  und  wogt  die  Flut  der  Leiden- 
schaft.« Es  ist  wohl  kein  Zufall,  dass  sich  diese  Worte 
Tiedges  in  Stifters  Jugendfragment  »Julius«  finden 
(Hein,  51).  Alle  die  seelischen  Vorgänge,  die  Stifter 
selbst  erlebt  hatte,  das  tiefe  Aufflammen  seines  schwärme- 
risch leidenschaftlichen  Gemütes  und  der  äussere  Zwang, 
den  er  ihm  auferlegen  musste,  offenbart  er  gleich  in 
jener  ersten  Erzählung,  durch  die  er  sich  einen  Namen 
erwarb,  im  »Kondor«.  Die  Szene,  in  welcher  Albrecht, 
der  junge  Maler  seine  geheimste  und  glühendste  Ge- 
sinmmg  dem  liebenden  Weibe  mitteilt,  ist  zugleich  das 
erste  dichterische  Zeugnis,  dass  Stifter  die  Leidenschaft 
in  ihrer  vollen  Grösse  kannte. 

»Wie  so  oft  der  Geist  des  Zwiespalts  zwischen 
Menschen  tritt,  anfangs  als  ein  so  kleines,  wesenloses 
Ding,  dass  sie  es  nicht  sehen,  oder  nicht  wert  halten, 
es  mit  einem  Hauch  des  Mundes,  mit  einer  Falte  des 
Gewandes  wegzufegen  —  wie  es  dann  heimlich  wächst 
und  endlich  als  unangreifbarer  Riese  wolkig,  dunkel 
zwischen  ihnen  steht:  so  war  es  auch  hier.  Einstens, 
ja  in  einem  schönen  Traume  war  es  ihm  gewesen,  als 
zittre    auch   in    ihr   der  Anfang  jenes    heissen  Wesens, 


das  so  dunkel  über  seiner  Seele  lao-,  einstens  in  einem 
schönen  Traume;  aber  dann  war  ihr  Stolz  wieder  da, 
ihr  Freiheitsstreben,  ihr  Wagen  -  Alles,  Alles  so  ganz 
anders,  als  ihm  sein  schüchtern  wachsendes,  schwellendes 
Herz  sagte,  dass  es  sein  solle  —  so  ganz  anders,  ganz 
anders,  dass  er  plötzlich  knirschend  Alles  hinter  sich 
geworfen  und  nun  dastand,  wie  Einer,  der  verachtet  — 
und  wie  sie  immer  fortmalte  und  auch  nicht  eine 
Seitenbewegung  ihres  Hauptes  machte  und  auch  nicht 
e  i  n  Wort  sagte :  da  presste  er  die  Zähne  seines  Mundes 
auf  einander  und  dachte,  er  hasse  dieses  Weib  recht 
inbrünstiglich!«  Der  Dichter  hat  die  Tiefe  von  Al- 
brechts Leidenschaft  erfasst,  er  hat  uns  ihre  Entwick- 
lung vorgeführt  und  treibt  sie  nun  dem  Höhepunkte 
zu.  Und  wie  Stunde  um  Stunde  des  Vormittasrs  floss 
—  wie  er  ihren  Athem  hörte,  und  wie  doch  keine 
Sekunde  etwas  anderes  brachte,  als  immer  dasselbe 
Bild:  -  da  wurde  es  schwül  im  Zimmer,  und  auf 
einmal  -  er  wusste  nicht  warum  —  trat  er  an  das 
Fenster  und  sah  hinaus.«  Die  Ruhe,  die  Stifter  seinen 
Helden  bewahren  lässt,  ist  nur  äusserlich  und  scheinbar, 
wenn  sie  auch  schliesslich  in  ethischer  Selbstbeherr- 
schung gipfelt.  Es  war  draussen  still,  wie  drinnen; 
ein  traurig  blauer  Himmel  zog  über  reglose  grüne 
Bäume  -  der  Jüngling  meinte,  er  ringe  mit  einer 
Riesenschlange,  um  sie  zu  zerdrücken.  Plötzlich  war 
es,  als  höre  er  hinter  sich  einen  dumpfen  Ton,  wie 
wenn  etwas  niedergelegt  würde  —  er  sah  um :  wirklich 
waren  Palette  und  Malerstab  weggelegt,  und  die  Jung- 
frau .sass  im  Stuhle  rückgelehnt,  die  beiden  Hände  fest 
vor  ihr  Antlitz  drückend.  Einen  Moment  schaute  er 
auf  sie  und  begann  zu  beben;  —  dann  ging  er  leise 
näher  sie  regte  sich  nicht  —    dann   noch  näher 

sie  regte  sich  nicht  —  er  hielt  den  Atem  an,  er  sah  auf 
die  schönen  Finger,  die  sich  gegen  die  Blüte  des  Ant- 
litzes drückten  —  und  da  sah  er  endlich,  wie  quellend 


28 


Wasser  zwischen  ihnen  vordrani^  —  mit  Eins  la^  er 
auf  seinen  Knieen  vor  ihr .  .  .  Da  pressten  seine  Lippen 
das  heisse  Wort  heraus:  > Liebe,  teure  Cornelia!«  Sie 
drückte  ihre  Hände  nur  noch  fester  gegen  das  Ge- 
sicht, und  nur  noch  heisser  und  nur  noch  reichHcher 
flössen  die  Tränen  hervor.  Ihm  aber  —  wie  war 
ihm  denn?  Angst  des  Todes  war  es  über  diese  Trä- 
nen, und  dennoch  rollte  jede  wäe  eine  Perle  jauch- 
zenden Entzückens,  über  sein  Herz  —  —  wo  ist  die 
Schlange  am  Fenster  hin?  wo  der  drückende  blaue 
Himmel?  —  Ein  lachendes  Gewölbe  sprang  über  die 
Welt,  und  die  grünen  Bäume  wiegten  ein  Meer  von 
(rlanz  und  Schimmer!«    (I,  27  ff.) 

Keine  Phase  der  dauernden  inneren  Erreofunsf 
bleibt  unerwähnt:  die  dunkle  Ahnung  der  Liebe,  ihr 
Bewusstsein,  ihre  Verachtung,  ihr  Hass.  Im  entschei- 
denden Augenblick  der  Gewitterschwüle,  der  höchsten 
seelischen  Spannung,  da,  wo  bei  anderen  Dichtern 
die  Affekte  losbrechen,  tritt  die  unerwartete  Wendung 
ein.  Ein  Tränenstrom  der  Geliebten  löst  die  aufgespei- 
cherte Leidenschaft  des  Helden,  die  tobende  Riesen- 
schlange in  seinem  Innern  ist  gebändigt  und  selige 
Ruhe  in  seine  Seele  zurückgekehrt.  ;>Er  hatte  noch 
immer  ihren  Arm  gefasst,  aber  suchte  nicht  mehr  ihn 
herabzuziehen  —  sie  ward  ruhiger  • —  endlich  stille.« 
(i,  29.) 

Gustav  und  Kornelia  finden  das  Glück  der  Ehe 
nicht.  Beide  entsagen,  wie  Stifter  seiner  Liebe  entsagte 
und  wie  .später  Felix  im  > Heidedorf«  entsagen  sollte. 
Die  Leidenschaft  findet  nirgends  einen  Ausweg,  sie 
vergräbt  sich  in  das  Innere;  sie  erlischt  nicht,  aber  sie 
schweigt. 

Überaus  charakteristisch  hiefür  erscheint  die  Stelle 
im  »Hochwald«,  da  Clarissa  den  Tod  ihres  Geliebten 
erfährt:  ^Clari.ssas  Antlitz  zuckte...  und  haschte  nach 
Athem ;  ein  massloser  Schmerz  lag  darauf,  ja  sogar  etwas, 


—      29      — 

wie  Griiiini,  als  sie  das  Auo^e  g'ef^en  das  Fenster  wandte, 
wie  gen;^en  einen  blinden  Himmel  —  und  sckundcnlan.i; 
starrte,  weil  sie  kämpfte.  —  Noch  war  es  fast  wie  Hohn- 
lächeln in  ihren  Züg-en,  unheimlich  anzusehen,  als  sie 
das  Angesicht  zurückwendete  und  mit  fast  ruhiger 
Stimme  sagte:  <Ritter,  wenn  Ihr  etwas  Näheres  wisset, 
so  sagt,  so  erzählt  es  uns .  .  .  woher  wisst  Ihr  das 
Nähere? 

<Ich  war  dabei.' 

Jhr  wäret  dabei,  Bruno ?>  schrie  Johanna  auf- 
springend, Ihr  seid  dabei  gewesen,  Bruno> ,  rief  sie  mit 
den  schmerzlichsten  Tönen  ihrer  Seele,  —  <Um  Gottes- 
willen, o  so  saget,  wie  war  es,  erzählt  —  nehmt  diese 
furchtbare  Last  von  meinem  Herzen;  mir  ist,  als  wäre 
mir  leichter,  wenn  ich  alles  wüsste.>  <-  (1,317.)  Und  end- 
lich, als  auch  Clarissa  alles  wusste,  da  überkam  sie 
ein      >Unmass    des    Schmerzes    und    der    Zärtlichkeit v. 

(I,  321.) 

1837  hatte  vStifter  Amalia  !Mohaupt  als  Gattin 
heimgeführt.  Sie  war  arm  und  nur  wenig  gebildet. 
Dass  die  Ehe  anfangs  glücklich  sein  konnte,  ist  nach 
dem  Vorstehenden  sehr  zu  bezweifeln.  Stifter  hatte  eine 
Sehnsucht  darnach,  Kinder  sein  eigen  zu  nennen.  Allein 
der  Wunsch  des  jungen  Gatten  blieb  sein  Leben  lang 
unerfüllt. 

Nacheinander  nahm  er  drei  Ziehtöchter  an.  Alle 
starben  frühzeitig.  Die  letzte,  Juliane,  deren  Bild  er  im 
»Waldbrunnen«  festhält,  endete  durch  Selbstmord. 
Manche  Bitterkeit  erfüllte  so  des  Dichters  Leben.  Am 
schwersten  aber  empfand  er  die  Misskennung  seines 
Strebens,  die  auch  ihm  nicht  immer  erspart  blieb. 
Allein  er  bezwang  alle  einstürmenden  widrigen  Mächte, 
so  wie  er  diese  auch  von  den  Helden  seiner  Dichtungen 
bezwingen  Hess. 

Keinen,  auch  nicht  den  heikelsten  Problemen  des 
Geschlechtslebens    (jino-  Stifter   in  seinen  Novellen    aus 


—    3t'    — 

dem  Wege.  Die  erschütternde  Eliebruchsszeiie  Chelions 
in  der  »Narrenburg«  zeugt  davon.  Ebenso  leidenschaft- 
Jich  wirkt  Cölestens  Geständnis  des  Ehebruchs  im 
»-•Uten  Siegel«.  »Hugo  antwortete  nicht,  sondern  er 
presste  die  Hände  aneinander,  und  in  dem  Bau  seines 
Körpers  war  eine  Erschütterung,  wie  wenn  Tränen  aus- 
brechen sollten.  Sie  sah  ihn  einiore  Augenblicke  mit 
den  grossen  Augen  an  —  dann  aber  sagte  sie  ernst: 
•^Ich  habe  dich  nicht  umsonst  gefürchtet  —  gehe  — 
möge  dir  Gott  im  Himmel  diese  harte  Tugend  lohnen, 
aber  mein  Herz  verflucht  sie:  denn  es  wird  gebro- 
chen. —  Ja,  ich  war  eine  Sünderin,  aber  die  Sünde 
wurde  mir  nicht  leicht ;  Du  hast  nur  ihre  holde  Frucht 
gesehen,  ihre  Kämpfe  trug  ich  allein.  ISIeine  Sünde 
ist  menschlicher  als  deine  Tugend  —  geh  —  solange 
die  Erde  steht,  wurde  niemand  abgöttischer  geliebt 
als  du  —  —  Nun  gehe.  Mann,  gehe;><'     (II,   124). 

Eine  ähnliche  tragische  Erregung  durchwühlt 
?Brigittas<  Herz.  »Es  war  ein  Weltball  von  Scham  in 
ihrem  Busen  emporgewachsen  .  .  .  Aber  endlich  nahm 
sie  das  aufgequollene,  schreiende  Herz  gleichsam  in 
die  Hand  und  zerdrückte  es«  (II,  163).  Die  menschlich 
erschütternde  Wirkung  dieser  Novelle  bezeugte  auch 
ein  Psychologe,  Hieronymus  Lorm.  Ihr  Eindruck  sei 
nicht  derselbe  gewesen,  den  er  im  »Hochwald,  oder 
beim  Auflesen  der  »Feldblumen  empfangen  habe,  denn 
so  herrlich  und  erschütternd  Stifter  auch  die  Bewe- 
gung der  seelenlosen  Natur  wiederzuspiegeln  und  un- 
sere innigste  Verwandtschaft  mit  den  Schrecken,  wie 
mit  den  Schönheiten  der  Natur  nachzuweisen  wisse, 
bleibe  uns  doch  immer  der  Mensch  das  Nächste,  und 
Lenz,  Nacht,  Sonne,  Wintersturm  im  Menschenherzen, 
die  ganze  psychologische  Welt,  die  er  in  seiner  »Bri- 
gitta«  umsegle  und  erforsche,  wirke  tiefer  und  nach- 
haltender    (Hein,  292). 


—    3-1     — 

Eines  ist  sicher:  Stifter  lä.sst  bei  seinen  Helden 
leidenscliaftlichf  Affekte  selten  hervorbrechen,  ihre 
Leidenschaft  bleibt  fast  innner  verhalten.  Stifter  be- 
schwört in  seinen  Novellen  die  schwersten  Konfhkte 
des  Lebens  herauf,  um  sie  dann  mit  un.t>laublicher  Ge- 
walt wieder  zurück/Aidrängen,  er  offenbart  die  höchste 
Leidenschaft  in  ihrem  Auf-  und  Niederwogen,  während 
andere  Dichter  sich  mit  der  Schilderung  ihres  blossen 
Ausbruchs  begnügen.  Derjenige  freilich,  der  allein  in 
äusserlich  wildbewegten  Handlungen  oder  Personen 
Leidenschaft  sieht,  wird  diese  bei  Stifter  vergeblich 
suchen.  Dann  dürfte  man  dem  Dichter  der  »Studien« 
auch  Phantasie  nicht  zuerkennen,  weil  sie  bei  ihm  im 
Gegensatz  zur  Romantik  gezügelt  war,  wollte  man 
seiner  dichterischen  Individualität  Leidenschaft  abspre- 
chen, weil  sie  bei  ihm  keine  Orgien  feierte. 

Stifter  sagt  einmal:  »Das  Sittengesetz  allein  ist 
in  seiner  Anwendung  Kraft.  (Darum  weil  es  in  Shake- 
speares Stücken  über  den  Leidenschaften  thront,  sind 
sie  gross,  nicht  weil  Leidenschaften  darin  sind.)<^ 
(Briefe  II,  211.)  Dasselbe  kann  man  von  seinen  »Stu- 
dien« sagen. 

Dass  Stifter  eine  dramatische  .Vder  besass,  geht 
auch  aus  seiner  Absicht  hervor,  eine  »Nausikaa«  und 
einen  »Maximilian  Robespierre«  zu  schreiben.  »Im 
Verbrechen«,  so  äussert  er  sich,  »und  in  seinem  Sturze 
trotz  aller  übermenschlichen  Kraft  liegt  eine  erschüt- 
ternde moralische  Grösse,  und  der  Weltgeist  schaut  uns 
mit  den  ernstesten  Augen  an«  (Hein,  287).  Auch  diese 
Stelle  weist  auf  eine  volle  Erkenntnis  der  Leidenschaft 
als  des  entscheidenden  Hebels  für  das  menschliche  Tun 
und  Lassen  hin. 

In  seinen  Ansichten  über  die  Leidenschaft  steht 
Stifter  nicht  vereinzelt  da.  Er  trifft  hierin  gleichfalls 
mit  der  Frühromantik  zusammen.  Schon  Jean  Paul  be- 
kämpfte  die    »unmoralische  Unruhe   und  Leidenschaft- 


3^ 

lichkeit«  (XIX,  352)  der  neueren  Dichter,  die  im  Gegen- 
satz zur  Ruhe  des  klassischen  Altertums  stünde.  Die 
erste  Eigenschaft  des  Genius  sei  Besonnenheit:  »Nur 
der  unverständige  Jüngling  kann  glauben,  geniales 
Feuer  brenne  als  leidenschaftliches.«  (XVIII,  58.)  Und 
in  der  »Seiina«  heisst  es:  »Jeder  x\ffekt,  z.B.  der  Zorn, 
ist  bloss  die  Übertreibung  eines  sittlichen  Gefühls.  Der 
Zorn  ist  eine  nur  zu  irrige  Zusammenfassung  der  irrigen 
Unmoralität.«  (XXXIII,  198.)  Ebenso  urteilt  Tieck: 
In  aller  aufgespannten  Leidenschaft  wird  der  Mensch 
in  ein  unerklärliches,  aber  meist  schreckliches  Wunder 
verwandelt.  Hüte  sich  jeder  vor  diesen  Zuständen,  noch 
weniger  suche  er  sie  .  .  .*  (X,  89.)  Was  Tieck  im  Fol- 
genden ausspricht,  führt  Stifter  im  Leben  seiner  »Stu- 
dien aus:  »Jede  Leidenschaft  in  uns,  die  es  wirklich 
ist,  niuss  wachsen,  reifen  und  sich  selber  erkennen 
lernen.  Der  Mensch  muss  sie  dann  aus  eigener  Kraft, 
nicht  bloss  durch  fremde  Hilfe  zu  überwinden  ver- 
mögen. Dann  wird  das,  was  wohl  als  Torheit  erscheinen 
mochte,  oft  Kraft  und  Charakter,  und  der  IVIann  ge- 
winnt in  dieser  Schule  gerade  seinen  edelsten  Besitz.« 
Wohl  seit  seiner  Beschäftigung  mit  dem  Drama 
wandte  Tieck  sein  besonderes  Interesse  der  Läuterungs- 
idee zu  imd  venvendete  sie  praktisch  in  seinen  No- 
vellen, so  in  den  » Gemälden <,  im  »Geheimnisvollen«, 
^'or  allem  aber  im  »Dichterleben«  und  im  »Aufruhr  in 
den  Cevennen«.  Wohltun,  Vergeben  und  Entsagen,  also 
die  idealsten  Ergebnisse  in  dem  allgemein  menschlichen 
Streben  nach  Veredlung  und  Frieden,  erreicht  in  einem 
schweren,  .  selbstüberwindenden  Kampfe,  sucht  auch 
Stifter  als  Ausfluss  seiner  Persönlichkeit  in  die  Dich- 
tung umzusetzen.  Der  Arzt  Augustinus  in  der  »Mappe 
meines  Urgrossvaters < ,  der  Major  in  der  »Brigitta«, 
am  schönsten  vielleicht  der  Holzhauer  Hans  im  »Be- 
schriebenen Tännling  fallen  in  dieser  Hinsicht  als 
dramatische    Helden     auf.     Tieck     und    Stifter,     beide 


käm])fen  auch  als  Dichter  gegen  die  Leidenschaft,  aber 
oline  ihre  Versuchung  lassen  sie  keinen  zum  Helden 
werden.  Dann  freilich  erstrahlt  die  tiefe  Festigkeit  dieser 
Gemüter  in  einem  noch  helleren  Glänze.  Darin  äussert 
sich  wieder  eine  Charakterähnlichkeit  Tiecks  und 
vStifters.  >Das  Gefühl  des  Mitleidens  in  der  höchsten 
Liebe,  dass  wir  durch  Selbstaufopferung  das  Opfer  der 
Liebe  vergüten  möchten,  diese  schönsten  Gefühle  sind 
es  gerade,  die  die  meisten  Menschen  von  sich  abweisen 
oder  die  Härteren  als  Unglück  verdammen .  .  .  Der 
Vers  eines  Liedes  aber,  unter  einem  Kruzifix  still  und 
andächtig  gesungen,  der  Blick  des  betenden  Greises 
auf  einsamem  Waldplatz  zum  sterbenden  Heiland  hin- 
auf, der  Kuss,  den  das  Kind  auf  einen  Rosenkranz 
drückt,  die  Träne  der  !\Iutter,  welche  auch  den  Sohn 
verlor,  vor  der  IMater  Dolorosa  sagen  mehr  als  alle 
kalte  Weisheit  verkündigen  und  lehren  kann«  (VII,  91). 
Die  gleiche,  gemütsinnige  Auffassung  wie  hier  Tieck 
bekundet  Stifter  im  :>Turmalin",  wenn  er  sagt:  Die 
grösste  Begabung,  der  höchste  Glanz  des  Geistes,  der 
die  Menschen  in  Staunen  setzt,  ist  ein  Sandkorn,  ja  ist 
nichts  gegen  die  tiefe  Liebe  und  Reinheit  des 
Gemütes.  <- 

Die  auf  die  Spitze  getriebene  Leidenschaft  ver- 
äusserlicht,  das  vertiefte  Gemüt  verinnerlicht.  Diese 
Elemente  der  menschlichen  Natur  bilden  in  ihrer  im- 
vermischten  Entfaltung  die  schärfsten  Gegensätze  her- 
aus. Stifters  Wesen  strebte  darnach,  die  menschliche 
Natur  in  Fesseln  zu  schlagen,  sie  zu  ^•ertiefen  und  zu 
vergeistigen. 

Wie  Tieck  die  rein  QreistiQ;e  Liebe  über  die  sinn- 
liehe  stellt  und  davor  warnt,  > durch  die  trübenden 
Leidenschaften  diese  Seligkeit«  zu  verscherzen,  so  stellt 
schliesslich  auch  Stifter  am  Ende  seines  Lebens  dis 
von  der  Sinnlichkeit  befreite  Gattenliebe  über  die  Ge- 
liebtenliebe (Briefe  III,  2''^4).    In  jener  Zeit,  da  er  seinen 

Kosch,  Stifter.  -< 


—     34    — 

»Nachsommer  und  den  »Witiko«  sclirieb,  hatte  er  alle 
Leidenschaft  bereits  überwunden.  Von  nun  an  mag^  er 
als  Fanatiker  der  Ruhe«:  gelten.  Die  vStudien  in  der 
Ausgabe  letzter  Hand  erscheinen  merklich  umgearbeitet. 
Stellen,  die  das  Wort  Leidenschaft  enthielten,  sind  gänz- 
lich ausgemerzt.  Wenn  er  in  der  ersten  Fassung  des 
»Abdias«  dessen  köstlichsten  Besitz  Ditha  nennt,  jenes 
Wesen,  »das  allein  er  auf  der  ganzen  Erde  liebte,  das 
seine  einzige,  furchtbare,  innige  Leidenschaft <  ')  sei,  so 
fehlt  diese  Charakterisierung  des  Verhältnisses  zwischen 
dem  alten  Juden  und  seiner  Tochter  später  gänzlich. 
Als  »Brigitta«  zum  ersten  Mal  erschien,  liiess  darin 
eine  Stelle :  »Ja,  es  war  in  der  Tat  eine  ernste,  merk- 
würdige Leidenschaft.  Nie  habe  ich  ein  ähnliches  Ver- 
hältnis gesehen.«-)  Die  spätere  Fassung  erzählt  davon 
nichts  mehr. 

Der  grösste  Gegensatz  zwischen  der  Auffassung 
des  jugendlichen  und  der  des  alten  Stifter  wird  einem 
klar,  wenn  man  etwa  das  Ehepaar  in  der  »Brigitta« 
mit  dem  im  »Frommen  Spruch«  vergleicht.  Hier  stehen 
keine  Menschen  vor  uns,  sondern  Puppen,  deren  schnar- 
rendes Räderwerk  mit  dem  wirklichen  Leben  nichts 
mehr  gemein  hat.  Den  verknöcherten  blutleeren  Alten 
Dietwin  und  Gerlint  entspricht  das  junge  Paar  gleichen 
Namens.  Ihr  unglaublicher  Verkehr,  ihre  unmögliche 
Redeweise  wird  schon  durch  die  folgende  Stelle  genü- 
gend charakterisiert.  »Trinke  nicht  viel  Wein,  enthalte 
dich  der  Leidenschaften  und  sei  massig .  .  .«  sprach 
der  Oheim.  »Ich  trinke,  wie  du  weisst,  nicht  viel 
Wein«,  antwortete  der  Neffe,  »bin  auch  sonst  massig, 
habe  gar  keine  Leidenschaften,  nur  Gefühle,  und  da 
sind  die  für  dich  und  die  Tante  am  mächtigsten« 
(IV,  309). 


1)  Novellen-Almanach  1843,  318. 

2)  Gedenke  Mein  1S44,  44. 


—  35  — 

Wie  nun  kann  man  diese  auffallende  Wandlnn.ii: 
in  Stifters  Schaffen  erklären?  Gewiss,  das  Alter  ist 
nihiger  als  die  stürmische  Jugend,  zumal  wenn  eine 
If'Hliche  Krankheit  an  seinem  Lebensmarke  zehrt.  Aber 
dieser  Erklärimgsgrund  kann  nicht  ausreichen,  da 
Stifter  noch  als  rüstiger,  völlig  gesunder  Mann  seinen 
Nachsommer-  schrieb  und  bereits  auch  in  diesem 
Werke  die  Existenz  einer  Leidenschaft  kaum  mehr 
durchschinnnern  Hess.  Auch  sein  Hang  zur  Pedanterie, 
sein  Behagen  an  breiten,  lehrhaften  Erörterungen  mag 
eingewirkt  haben,  dass  Stifters  früher  so  leidenschaft- 
licher Charakter  seine  innerste  Glut  ^•on  Jahr  zu  Jahr 
dämpfen  und  mindern  konnte.  Dennoch  ist  darin  ebenso 
wenig  die  Hauptiirsache  dieser  schwersten  Selbstent- 
äusserung  zu  suchen.  Stifter,  war  im  Tiefsten  seines 
Innern  religiös  gestimmt.  In  der  mit  dem  zunehmenden 
Alter  gesteigerten  Frömmigkeit  beruht  der  Hebel  auch 
für  seinen  dichterischen  Wandlung.sprozess.  Schliesslich 
ging  er  noch  weiter  als  seine  Religion.  In  seiner  Jugend 
hatte  er  die  Berechtigung  der  Leidenschaft  geleugnet, 
im  Alter  suchte  er  sogar  ihr  Vorhandensein  ausseracht- 
zulassen.  Stifter  kannte  in  dem  Kampf  gegen  die  wilden 
Mächte  des  Daseins  kein  Mass :  als  er  sie  menschlich 
überwunden  hatte,  schloss  er  dichterisch  auch  den 
letzten  Rest  ihrer  Behandlung  aus. 

Stifter  galt  zeitlebens  als  Katholik.  Von  katho- 
lischen Eltern  geboren,  wuchs  er  inmitten  einer  Bauern- 
bevölkerung im  Böhmerwald  nahe  der  Grenze  Ober- 
österreichs auf,  das  neben  Tirol  auch  heute  noch  den 
konservativsten  Grundstock  für  den  Katholizismus  in  den 
Alpenländern  bildet  und  ihn  damals  in  noch  höherem 
Grade  bilden  musste.  Einen  grossen  Einfluss  auf  Stifters 
Jugend  übte  seine  Grossmutter  aus.  Ihre  bibelfeste  Ge- 
sinnung verkörperte  der  Enkel  in  der  frommen  Alten  des 
»Heidedorfs  .  Die  Bibel  spielt  in  diesem  Werke  überhaupt 
eine  grosse  Rolle.    vSeinen  Helden  m")chte   der  Dichter, 


-   36   - 

wenn  es  ihm  erlaubt  wäre,  -mit  jenem  Hirtenknaben 
aus  den  heiligen  Büchern;  (I,  177)  vergleichen,  »der 
auch  auf  der  Heide  vor  Betlehem  sein  Herz  fand,  seinen 
Gott  und  die  Träume  der  künftigen  Königsgrösse.  Er 
lässt  ihn  auf  eine  Steinplatte  steigen,  unten  sieht  dieser 
dann  im  Geiste  die  Könige  und  Richter  und  das  Volk 
und  die  Heerführer  und  Kinder  und  Kindeskinder,  zahl- 
reich wie  der  Sand  am  Meere.  Felix  beschreibt  ihnen 
»das  gelobte  Land  ,  verheisst  ihnen  Heldentaten  und 
zeigt  ihnen  endlich  das  ganze  Land  der  Väter;  ') 
oder  baut  aus  den  kleinen  Steinen  des  Rossbergs  Ba- 
bylon und  verkündet  den  Heuschrecken  und  Käfern 
seinen  Untergang,  wie  es  ja  Daniel  längst  vorher- 
gesagt hat< .  Oder  er  gräbt  den  Tordan  ab,  d.  i.  den 
Bach  der  von  der  Quelle  fliesst. 

Eine  wunderliche  Liebe  hegt  er  zur  Grossmutter. 

>Das  alte  Weib  hatte  in  ihrem  Leben  voll  harttr 
Arbeit  nur  ein  einziges  Ruch  gelesen,  die  Bibel.  Aber 
in  diesem  Buche  las  und  dichtete  sie  siebenzig  Jahre. 
Jetzt  tat  sie  es  zwar  nicht  mehr,  verlangte  auch  nicht 
mehr,  dass  man  ihr  vorlese,  aber  ganze  Prophetenstellen 
sagte  sie  laut  her,  und  in  ihrem  Wesen  war  Art  und 
Weise  jenes  Buches  ausgeprägt,  so  dass  zuletzt  selbst 
ihre  gewöhnliche  Redeweise  etwas  Fremdes  und  gleich- 
sam Morgenländisches  zeigte.'  (I,  183).  Als  Felix  von 
der  Grossmutter  Abschied  nimmt,  ruft  sie  ihm  wie 
ihrem  Sohne  zu :  Ich  habe  dich  mit  Schmerzen  gebo- 
ren, aber  dir  auch  Gaben  gegeben,  zu  werden,  wie 
einer  der  Propheten  und  vSeher  —  ziehe  mit  Gott,  Jako- 
bus!« (1,^184).  FeHx  zieht  nach  Ägypten  und  in  die 
Wüste.  Heimgekehrt  bringt  er  Grüsse  von  Jerusalem 
und  von  der  Heide  des  Jordans.  Den  Nachbarn  erzählt 
er  von  dem  gelobten  Lande,  wie  er  dort  gewesen,  wie  er 
Jerusalem  und  Betlehem  gesehen  habe,  wie  er  auf  dem 
Tabor  gesessen,  sich  in  dem  Jordan  gewaschen.    —  — 

1)  Vgl.  Deuteron.  XXXII— XXXI\'. 


Den  Sinai  habe  er  gesehen,  den  hirchtbar  zerklüfteten 
Ber<r  •  •  .  y:ctrocknete  IJhimen  liabe  er  und  Kräuter  aus 
jenem  Lande  und  Fusstritte  des  Herrn  ...  (I,  194.) 
Dereinst  aber  soll  er  vor  den  ewi^^en  Richter  treten 
und  sagen  können:  >Herr,  ich  konnte  nicht  anders, 
als  dein  Pfund  pflegen,  das  du  mir  anvertraut  hast. 
(I,  207).    Vgl.  Lukas  XIX.   12  ff. 

In  den  meisten  Dichtungen  Stifters  schimmert  sti- 
listisch die  Einwirkung  der  Bibel  durch.  Manchmal 
entlehnt  er  ihr  Zitate,  so  im  Hochwald  :  Wehe  dem, 
der  eines  dieser  Kleinen  ärgert!  (I,  225).')  Sie  ist 
seinem  Gedächtnis  immer  gegenwärtig.  ]\Iitten  in  der 
Beschäftigung  mit  geschichtlichen  vStudien  zum  Witiko^ 
schreibt  er  am  24.  September  1865  an  seinen  Freund 
Freiherrn  von  Handel:  Im  Buche  der  Richter  .steht: 
Helis  Söhne  haben  das  Opferfleisch  mit  Gabeln  aus 
den  Töpfen  genommen.«  > Haben  diese  ,  fügt  er  humo- 
ristisch hinzu,  »auch  einen  Verstoss  gegen  die  Kultur- 
geschichte gemacht?«    (Briefe  HI,   175). 

Schon  aus  diesen  Beispielen  kann  man  ersehen, 
wie  sehr  die  Bibel  in  allen  ihren  Teilen  Stifter  bekannt 
sein  musste.  Nicht  nur  als  Dichter,  sondern  auch  als 
Menschen  ergriff  sie  ihn. 

Die  religiöse  Erziehung  im  Elternhause  war  von 
den  Mönchen  Kremsmünsters,  wo  Stifter  in  den  Jahren 
1818  bis  1826  das  Gymnasium  besuchte,  nur  noch  ge- 
fördert worden.  An  der  Universität,  die  vom  Geiste  des 
Vormärz  beherrscht  war,  machten  sich  revolutionäre 
Einflüsse  wie  später  im  Jahre  1848  sicher  nicht  geltend. 
So  ist  es  leicht  erklärlich,  dass  unser  Dichter  mit  seinen 
bisherigen  Grundsätzen  nicht  ins  Wanken  geriet,  ja  im 
Gegenteil,  zumal  durch  die  Berührung  mit  dem  Feudal- 
adel in  ihnen  äusserlich  wenigstens  bestärkt  werden 
musste. 

')  Vg-1.    Lukas   XVII.    2.    Mark.    IV.    41.    Matth.  XVIII.  ö. 


-    38   - 

In  der  Folgezeit  veröffentlichte  Stifter  mehrere 
Aufsätze,  in  denen  er  zu  öffentlichen  Fragen  seiner  Zeit 
Stellung  nahm  und  ihre  Lösung  auf  Grundlage  seiner 
bisherigen  Ansichten  versuchte. 

»Wer  sind  die  Feinde  der  Freiheit?  behandelt 
das  Problem,  ob  die  Revolution  zulässig  sei.  Die  Frage 
wird  entschieden  verneint. 

»Die  Sprachenverwirrung  ergänzt  die  Antwort 
dahin,  dass  ein  gesamtes  Volk  zur  Regierung  nicht  be- 
rufen sei.  Im  »Census<:  empfiehlt  er  das  Klassenwahl- 
system. Noch  deutlicher  tritt  Stifters  konservative  Natur 
in  seinen  »Mitteln  gegen  den  sittlichen  Verfall  der 
Völker«  hervor.  Die  zwei  Hauptmittelwege; ,  meint  er, 
»sind  Kirche  und  Schule.  Die  Kirche  gibt  dem 
Menschen  das  heilige  Gut  der  Religion,  das  Beste,  was 
die  Erde  hat,  oder  eigentlich  den  Himmel,  der  auf  die 
Erde  gekommen  ist.  Aus  Religion  folgt  Tugend  \on 
selber,  und  alle  Wege,  die  zu  Ordnung  und  Recht 
führen.  Daher  ist  ein  religiöses  Gemüt  nicht  nur  das 
Heil  des  Einzelnen,  sondern  es  führt  auch  zum  Wohle 
aller.  Unsere  gesamte  Priesterschaft  hat  daher  den  hei- 
ligen, verantwortlichsten  Beruf,  durch  die  eindringendste 
Lehre  und  namentlich  durch  das  edelste  Beispiel 
die  echte  Religiosität  zu  begTÜnden  und  zu  verbreiten.« 
(XV,  317). 

Im  Alter  steigerte  sich  diese  kirchengläubige  Ge- 
sinnung Stifters  in  hohem  Grade.  Ist  es  schon  sehr 
auffällig,  dass  Stifter  den  scheinbar  ohne  jeden  Grund 
protestantischen  Pfarrer  im  »Kalksteine  der  ersten  Fas- 
sung später  durch  einen  katholischen  ersetzt,  so  sind 
Stifters  Briefe  an  seine  Gattin  vollends  beweiskräftig. 
Nirgends  tritt  sein  persönlichster  Katholizismus  so 
deutlich  hervor  wie  jetzt  am  Ende  seines  Lebens. 
Gebet  und  Arbeit  ist  die  Losung  des  alten  Stifter. 
Am  12.  November  1865  schreibt  er  der  Gattin  in 
Erinnerung     an     den     Jahrestag     ihrer     \'ermählung : 


—  39  — 

»Ich  will  an  clciii  für  uns  so  wiclitif^en  Festtage  für 
uns  beten  und  dann  recht  fleissi.«^  für  Dich  arbeiten  ') 
und  am  15.  November  1S65:  >Ich  sage  Dir  den  innig- 
sten, treuherzigsten  und  heissesten  Dank  für  Deine 
Hebevolle,  feierliche  und  fromme  Gesinnung,  und  ich 
glaube  ausser  dem  Gebete  zu  Gott,  das  ich  heute  für 
Dich  verrichtet  habe,  den  Tag  nicht  besser  begehen  zu 
können,  als  dass  ich  Dir  den  Dank  für  Dein  schönes 
Herz  in  diesen  Zeilen  ausdrücke.  Ich  habe  eigens  diesen 
Tag  für  die  Darlegung  meines  Herzens  bestimmt  .  .  . 
Wenn  Du  Gott  anrufst,  dass  er  uns  noch  eine  Zeit  mit 
einander  vereint  leben  lassen  möchte,  so  ist  dies  auch 
mein  Anliegen  an  den  allmächtigen  Herrn  des  Him- 
mels . .  .  Lasse  uns  aber  bei  unseren  Bitten  an  Gott 
immer  dazu  sagen :  Dein,  nicht  unser  Wille,  Herr,  ge- 
schehe. Was  er  über  uns  verfügt,  ist  zu  unserem  Heile, 
und  ich  empfinde  an  diesem  feierlichen  Tage  recht 
lebhaft,  dass  meine  lange  Krankheit  und  unsere  Tren- 
nung, womit  uns  der  Vater  im  Himmel  heimgesucht 
hat,  auch  zu  unserem  Heile  ist.<  (HI,  189  ff.)  Einige 
Tage  später,  am  20.  November  1865  spricht  Stifter  von 
dem  Kranksein  in  der  gleichen  religiösen  Gesinnung: 
>Die  lange  Krankheit  ist  eine  Heimsuchung,  die  den 
Übermut  und  die  Sorglosigkeit,  in  die  uns  lange  Ge- 
sundheit und  lange  glückliche  Tage  einwiegen,  unter- 
bricht, unseren  Blick  auf  uns  selbst  und  auf  Gott 
wendet,  uns  unsere  Fehler  einsehen  lässt  und  uns  auf 
die  Bahn  des  Besseren  bringt.«  Die  kirchlichen  Feier- 
tage hält  Stifter  genau  ein.  Am  6.  Januar  1866  teilt  er 
seiner  Gattin  mit:  >Heute  ist  Festtag  der  hl.  Drei 
Könige.  Ich  will  alle  Arbeit  ruhen  lassen  und  den  Tag 
festlich  begehen.  Die  heilige  Pflicht  ist  ein  guter  Ge- 
danke an  Gott,  und  das  höchste  Vergnügen,  welches 
ich  mir  bereiten  kann,  ist :  an  Dich  schreiben.  Den  Ge- 
danken an  Gott  habe  ich  am  frühesten  Morosen  darjre- 


1)  Nach  einem  iingedruckteu  Briefe   im  Archiv 


—   40   — 

bracht.'  Und  am  folgenden  Tage  mahnt  er  die  Gattin : 
.Bete  zuweilen  in  einigen  Gedanken  zu  Gott  für  mich, 
wie  ich  zu  Gott  für  Dich  flehe,  dass  er  Dich  erhalte  . . . 
und  dass  er  uns  in  der  Ewigkeit  nicht  trennen  möge.<' 
Ein  anderes  Mal  wieder  preist  Stifter  die  Wunder  der 
vSchöpfung:  »Ich  dachte  an  Gott  ,  schreibt  er  am 
19.  März  1866,  -der  das  alles  gemacht  hat,  iind  es  war 
mir  ein  heiliges  Gebet  in  meinem  Innern.«  ')  Am  14.  No- 
vember 1866  als  dem  eigentlichen  Gedenktag  der  \'er- 
mählung  richtet  er  ein  Schreiben  an  die  Gattin.  Den 
Morosen  des  Festtag-s  beschreibt  er  also:  Ich  machte 
Licht  und  tat  ein  warmes  Gebet  zu  Gott,  ihm  dan- 
kend, was  er  uns  durch  unseren  Ehebund  gegeben 
und  ihn  bittend,  dass  er  dieses  Band  noch  eine  Zeit 
erhalten  möge.  Ich  betete  für  Dich,  dass  er  Dich  be- 
wahre, schütze,  segne,  und  ich  bat  ihn,  dass  er  mir 
Kraft  gebe,  alles  zu  sein,  was  meine  Pflicht  ist .  .  .  Ich 
habe  mir  den  Schlüssel  zur  Kapelle  geben  lassen,  werde 
hinabgehen  und  allein  noch  in  dem  Kirch  lein 
meine  kirchlichen  Gedanken  h  a  b  e  n. -  1  Brief e 
III,    279.. 

Politisch  trat  Stifter  eigentlich  nie  her\-or  und  die 
Geschichte  keiner  politischen  Partei  wird  ihn  für  sich 
in  Anspruch  nehmen  können.  Auch  der  Umstand,  dass 
Stifter  ein  Exemplar  seines  Witiko;  dem  streitbaren 
Bischof  Rudig^ier  von  Linz  widmete  und  dafür  von 
diesem  ein  eigenhändiges  Schreiben  bekam,  vermag  an 
dieser  Auffassung  nichts  zu  ändern.  Als  Mensch  und 
als  Dichter  stand  er  über  den  Parteien  des  Tages,  in 
seiner  Weltanschauung  aber  war  er  religiöser  Katholik. 
Der  Katholizismus  durchtränkt  seine  Dichtungen  und 
Theorien,  wenn  auch  seine  Ansichten  über  Literatur 
und  Kunst  weitherziger  sind,  als  die  so  mancher  seiner 
Glaubensgenossen.     Ein   Brief  Stifters    an  Eichendorffs 


1)  Die  letzten  Stellen  sind  .sänitlicli  iingedruckten  Briefen 
im  Archiv  entnommen. 


—   41    — 

vSchwester  enthält  die  folgende  charakteristische  Stelle: 
>Das  Buch  Ihres  herrlichen  r>ruders  zur  neuen  Literatnr- 
ji^eschichte  'i  hat  mir  ausserordentliche  Freude  gemacht, 
wenn  ich  auch  über  ^Manches  mit  ihm  streiten  mcichte, 
falls  wir  beisammen  wären.  Ich  mag  Unrecht  haben, 
aber  in  der  Kunst  erscheint  mir  der  katholische  Stand- 
])unkt  doch  nur  einer,  ich  glaube,  die  Kunst  soll  das 
Leben  der  gesamten  Menschheit  fassen,  vielleicht  heisst 
er  das  katholisch ;  dann  habe  ich  von  katholisch  nicht 
den  rechten  Begriff.     (Briefe  II,  169). 

Stifter  war  eben  eine  praktische  und  im  späteren 
Leben  sehr  besonnene  Xatur.  Nicht  umsonst  verehrte 
er  in  Goethe  mehr  als  den  blossen  Dichtergenius,  er 
suchte  ihn  auch  als  Menschen  zu  verstehen.  Stifters 
Meinung  ging  dahin,  der  Mensch  lebe  nur  ein  einziges 
Menschenleben.  In  demselben  solle  er  vor  seinem  Ootte 
den  ganzen  Kreis  menschlicher  Pflichten  und  mensch- 
licher Freuden  erfüllen.  'Das  Erste  ist  ja  doch  immer, 
dass  der  Mensch  in  der  vollsten  Bedeutung  Mensch 
sei.«  (IV,  278).  Darin  berührt  sich  seine  Lebensauffa.s- 
sung  mit  der  Goethes,  der  im  »Wilhelm  Meister«  sagt : 
»Was  ist  das  höchste  Glück  des  Menschen,  als  dass  wir 
das  ausführen,  was  wir  als  recht  und  gut  ansehen,  dass 
wir  wirklich  Herren  über  die  ]Mittel  zu  unseren  Zwecken 
sind.«  Stifter  war  Optimist  in  dem  gleichen  Sinne,  in 
dem  es  Tieck  und  Jean  Paul  waren.  Auch  ihre  Welt- 
anschauung war  ja  Goethes  Geistesriclitung  verwandt. 
Im  > Aufruhr  in  den  Cevennen  findet  Tieck  für  seinen 
Optimismus  die  schönen  W^orte:  >Ganz  schlecht  ist 
nichts  in  der  Welt  1 X,  2491,  während  Stifter,  dem  alles 
Werden  als  Offenbarung  eines  persönlichen  Gottes  gilt, 
im  > Hagestolz«  sagt:  »Alles,  was  Gott  sendet,  ist  schön, 
wenn  man  es  auch  nicht  begreift,  und  wenn  man  nur 
recht    nachdenkt,    so    sieht   man,    dass    es   bloss    lauter 

')  Josef  Freiherr  von  Eichendorff,  (beschichte  der  poeti- 
schen Iviteratnr  Deutschlands.  2.  Anfl.  1861. 


—  42   — 

Freude  ist,  was  er  gibt ;  das  Leid  legen  wir  uns  selber 
dazu.«  (II,  187).  Nur  Tatenfreude  kann  ihm  Glück 
schaffen,  denn  das  ist  »Leben  und  Genuss«,  dass  wir 
dieses  »Leben  ausschöpfen  bis  zum  Grunde.«    (II,  258). 

Von  dichterischen  Charakteren  ist  jedoch  Stifter 
eigentlich  niemand  ähnlicher  als  Eduard  Mörike. 

Schon  ihre  Lebensläufe  verraten  eine  gewisse  Ähn- 
lichkeit. Auch  Mörike  empfing  in  einer  weltabgeschie- 
denen Klosterschule,  die  trotz  ihres  protestantischen 
Grundcharakters  von  konservativem  Geist  beseelt  war, 
seine  erste  wissenschaftliche  Ausbildung.  Auch  Mörike 
hatte  eine  tief  unglückliche  Jugendliebe,  deren  unver- 
gängliche Nachwirkung  nicht  nur  seine  Peregrina- 
Lieder,  sondern  auch  andere  seiner  Dichtungen  offen- 
baren. Mörikes  Studentenbude  in  Tübingen,  die  er  mit 
seinem  Freunde  Buttersack  teilte,  erinnert  mit  ihrem 
ganzen  humoristisch -philiströsen  ^Milieu  lebhaft  an 
Stifters  Reminiszenzen  aus  seiner  Wiener  Studentenzeit. 
Die  Berufslosigkeit,  die  Mörike  von  Stellung  zu  Stellung, 
von  Ort  zu  Ort  trieb,  wie  lange  Hess  sie  auch  Stifter 
keine  eigene  Heimstatt  finden!  Und  ebenso  entzog  ein 
frühzeitiger  Ruhestand  beide  sehr  rasch  dem  öffent- 
lichen Leben. 

Beide  besassen  eine  starke  Neigung  für  die  bil- 
dende Kunst,  sie  pflegten  und  übten  sie  selbst.  Die 
Karrikaturen  Mörikes  sind  ebenso  bezeichnend  wie  Stif- 
ters Gemälde  und  geben  eine  vortreffliche  Erklärung 
der  malerischen  Anlagen  ihrer  Dichtungen.  Mörike 
hatte  eine  wunderliche  Leidenschaft  für  das  Kimst- 
gewerbe,  in  der  ihn  Stifter  nur  noch  übertraf.  Und 
die  mineralogische  Sammelwut  des  schwäbischen  Dich- 
ters passt  nicht  minder  zu  Stifters  Kakteenschwärme- 
rei. Beide  liebten  die  Tierwelt  mit  einer  innigen  Teil- 
nahme, wie  wir  sie  sonst  nur  in  den  Kreisen  der  frü- 
heren Romantik  wiederfinden.  Wenn  Mörike  oder  Stifter 
nach  Hause    schrieb,    waren    Grüsse    an    den  Lieblings- 


—   43    — 

luiiid  iiiclit  seReii.  Ein  starkes  vStück  deutschen  l'lii- 
listevtunis  barg-  ihr  auffallender  Ilanj^-  nach  häuslicher 
Bequemlichkeit  und  Ruhe.  Dennoch  waren  sie  in  ihren 
künstlerischen  Neigungen  überaus  vielseitig.  Nicht  nur 
ihre  malerischen  Nebeninteressen,  sondern  auch  musi- 
kalische Freuden  füllten  ihre  Mussestunden. 

In  seiner  poetischen  Vorliebe  für  Tieck,  Jean  Paul, 
Hoff  mann  und  vor  Allem  für  (Toethe  stimmt  Mörike 
mit  vStifter  völlig  überein.  Auch  ihm  ist  Heine  höchst 
widerwärtig  und  über  die  Literatur  der  Revolutions- 
jalirc  drückt  er  sich  ähnlich  wie  Stifter  aus:  »So  arg 
war  doch  die  Affenschande  mit  dem  Musendienst  in 
Kammern  und  Unzucht  noch  zu  keiner  Zeit.« ') 

Das  tragische  Los,  ein  Jugendwerk  stets  umarbeiten 
zu  müssen,  ohne  es  je  zu  eigener  Befriedigung  ab- 
schliessen  zu  können,  ^•erfolgte  beide  bis  in  den  Tod  : 
Mörikes  Maler  Nolten«  erlebte  ein  ähnliches  Geschick 
wie  Stifters    »Mappe  meines  Urgrossvaters«. 

Auch  Mörike  sali  und  schilderte  im  Mikrokosmos 
den  Makrokosmos,  auch  seine  dichterische  Stärke  war 
mehr  lyrisch  als  episch. 

Mörikes  Charakter  war  tief  leidenschaftlich.  Er 
erfasste  die  weibliche  Natur  in  der  Fülle  ihrer  sinn- 
lichen Elementar  kraft  ebenso  stark  wie  Stifter.  iVuch 
seine  Dichtung  lässt  die  Leidenschaft  tief  innen  spüren, 
aber  nach  aussen  hin  ist  sie  abgedämpft;  sie  blitzt 
nicht  empor  in  schnellem  verderblichen  Feuer,  son- 
dern wetterleuchtet  nur  aus  der  Ferne  der  Erinne- 
rung. -) 

Auch  in  seinen  religiösen  Anschauungen  stand  der 
ehemalige  protestantische  Pastor  ]\Iörike  dem  Katho- 
liken Stifter  nicht  allzufern.   Harry  Maync,  der  Mörike 


1)  ^lörikes  Briefe,  Ausgewählt  und  herausgegeben  von 
Karl  Fischer  und  Rudolf  Kraus.  Berlin  1904,  II,  14g. 

-)  Harry  Maync.  Eduard  Mörike,  Sein  Leben  und  Dichten 
Stuttgart  1902,  228. 


—   44   — 

am  eindringendsten  behandelt  hat,  erbringt  für  des 
Dichters  offenbare  Hinneigung  zu  den  Formen  des 
KathoUzismus  mehr  als  einen  Beweis !  Zu  kirchlichen 
Streitfragen  nahm  er  keine  Stellung.  Extremen  war  er 
entschieden  abhold,  seine  unpolitische,  irenische  Gesin- 
nung verleugnete  er  nie.  Auch  Stifters  religiöse  An- 
schauungswelt war  keineswegs  beschränkt.  Trotz  der 
Pedanterie  seines  rasch  alternden  Wesens  war  er  nie- 
mals Zelot  oder  Splitterrichter  und  bewahrte  sich  ein 
grosses,  weites  und  klares  Herz. 

Keiner  von  seinen  Zeitgenossen  hat  Stifters  vStel- 
lung  so  richtig  und  umfassend  beurteilt,  wie  J.  Freiherr 
von  Eichendorff,  der  über  die  ersten  Bände  der  Stu- 
dien geschrieben  hatte:  Vom  Katholizismus  ist  unseres 
Erinnerns  in  dem  Buche  nirgends  ausdrücklich  die 
Rede;  aber  eine  allem  Unkirchlichen  durchaus  fremde 
(rcsinnung,  die  alles  Leben  nur  an  dem  misst,  das 
allein  des  Lebens  wert  ist,  und  die  wir  heutzutage  ge- 
trost eine  katholische  nennen  dürfen,  umgibt  das  Ganze, 
wie  die  unsichtbare  Luft,  die  jeder  atmet,  ohne  es  zu 
merken.  Und  das  ist  ja  eben  das  poetische  Geheimnis 
des  religiösen  Gefühls,  dass  es  wie  ein  Frühlingshauch 
Feld  und  Wald  und  die  Menschenbrust  erwärmend 
durchleiichtet,  um  sie  alle  von  der  harten  Erde  blühend 
imd  klineend  nach  oben  zu  wenden.<  ') 


>)  Hist.-pol.  Blätter  XVII,  442  ff. 


III.    Kunstanschauung. 

Wie  bereits  früher  zur  Zeit  des  Klassizismus  in 
Deutschland  die  Literatur  auf  die  bildenden  Künste 
ihren  ursprün.y^lichsten  und  nachhaltigsten  Einfluss  aus- 
geübt hatte,  war  es  auch  in  der  romantischen  Periode 
der  Fall.  Das  1795  von  Tieck  und  seinem  Erlanger 
Studiengenossen  Wackenroder  herausgegebene  Schrift- 
chen :  Herzensergiessungen  eines  kunstliebenden  Klo- 
sterbruders stellt  jenes  wunderliche  erste  Gemisch  einer 
neuen  Dichtung  und  Kunsttheorie  dar,  deren  praktische 
Ver^\ertung  in  der  Malerei  allerdings  erst  viel  später 
zum  Durchbruch  gelangen  sollte.  Die  »Herzensergies- 
.sungen«  enthalten  keine  geschlossene  Erzählung,  son- 
dern vielmehr  eine  Sammlung  doktrinärer  Gemüts- 
ergüsse über  die  Kunst  und  ihr  Erfassen  nebst  einigen 
Anekdoten  aus  dem  Leben  bedeutender  Künstler,  gleich- 
sam als  Illustration  zu  dem  trotz  der  vielen  vSchwär- 
merei  dürftigen  Texte.  Der  Grundgedanke,  wenn  man 
von  einem  solchen  überhaupt  reden  will,  äussert  sicli 
in  einer  seltsamen  Verquickung  religiöser  und  künstle- 
rischer Begriffe,  von  einer  abnormen  Gefühlsmystik  er- 
zeugt und  ernährt.  Er  setzt  der  .Antike  das  deutsche 
Mittelalter,  dem  heidnischen  Geist  des  Klassizisnms  das 
Christentum,  der  geleckten  modernen  Malerei  des 
XVIII.  Jahrhunderts  Raphael,  Lionardo  da  Vinci  imd 
vor  allem  Albrecht  Dürer  entgegen.  Sie  werden  ge- 
priesen als  Künstler,  welche    >die  von  Gott  empfangene 


-   46   - 

Geschicklichkeit  ihrer  Hand  auch  bloss  göttlichen  und 
heiligen  Geschichten  widmeten  und  so  einen  ernsthaften 
und  heiligen  Geist  und  so  eine  demütige  Einfalt  in 
ihre  Werke  brachten,  wie  es  sich  zu  geweiheten  Gegen- 
ständen schickt.  Sie  machten  die  ]\Ialerkunst  zur  treuen 
Dienerin  der  Religion  und  wussten  nichts  von  eitlem 
Farbenprunk.  ')  Die  \''erf asser  vergleichen  ferner  den 
Genuss  der  edleren  Kunstwerke  dem  Gebet,  ja  sie  gehen 
in  ihrer  eigenartigen  Kunstverehrung  soweit,  zu  be- 
haupten, dass  manche  Gemälde  das  Gemüt  mehr  ge- 
säubert und  dem  inneren  Sinn  tugendseligere  Gesin- 
nungen eingeflösst  hätten  als  S^'^steme  der  Moral  und 
christliche  Betrachtungen.  Die  alte  deutsche  Baukunst 
wird  gefeiert  und  schliesslich  in  einer  als  Anhang  ge- 
druckten Biographie  des  Kapellmeisters  Berlinger  der 
Lebensgang  Wackenroders  selbst  erzählt.  Bereits  in  den 
:^Herzensergiessungen  machen  sich  also  jene  roman- 
ti.schen  Bestrebungen  geltend,  die  auf  ein  möglichst  ein- 
heitliches Erfassen  der  drei  Kunstgattungen:  Poesie, 
Musik  und  bildende  Kunst  hinzielen  und  in  der  ineinan- 
derfliessenden  Behandlung  ihrer  Stoffgebiete  sich  auch 
bei  Stifter  wirksam  erweisen. 

Vor  allem  galt  seine  Lieblingsneigung  neben  der 
Dichtung  der  ISIalerei,  ja  es  gab  eine  Zeit,  wo  er  von 
sich  sagte:  »Als  Schriftsteller  bin  ich  nur  Dilettant, 
und  wer  weiss,  ob  ich  es  auf  diesem  Felde  weiter 
bringen  würde,  aber  als  ]\Ialer  werde  ich  etwas  er- 
reichen.«: -)  Bis  an  sein  Lebensende  blieb  er  seiner  Lieb- 
haberei ein  treuer  Anhänger.  Inwiefern  auch  die  Musik 
in  seinem  Leben  und  Dichten  zur  Geltung  kam,  wird 
.später  zu  zeigen  sein.  Seine  kunsttheoretischen  Ansichten, 
die  er  wie  Tieck  vielfach  in  seinen  poetischen  Werken 


1)  L.  Tieck  und  W.  Wackeuroder,  Herzensergiessungen 
eines  kunstliebenden  Klosterbruders,  Berlin  (ohne  Datum).   223. 

')  "^  gl-  J-  Neuwirth.  Stifter  und  die  bildende  Kunst 
1903.  38. 


—  47  — 

xuni  direkten  Ausdruck  brin.i^t  oder  wenigstens  durch- 
leuchten lässt,  stehen  mit  unter  dem  Einfluss  der  »Her- 
zensergiessungen  und  >Pliantasien  über  die  Kunst  für 
Freunde  der  Kunst  . ') 

Wie  Stifter  als  Dichter  die  Einflüsse  zweier  Pe- 
rioden auf  sich  wirken  Hess  imd  nur  einen  Teil  der 
romantischen  Elemente  ganz  in  sich  vereinigte,  gehörte 
er  auch  als  Kunsttheoretiker  nicht  ungeteilt  der  Ro- 
mantik an.  Im  Gegenteil !  In  der  bildenden  Kunst  mag 
ihn  der  Klassizismus  stärker  bewegt  haben,  gestand  er 
doch  selbst,  dass  seine  Kunstbildung  hauptsächlich  auf 
der  griechischen  beruhe.  (Briefe  II,  125).  Aber  wie  im 
Dichter  Hölderlin  die  Anschauungs weiten  zw^eier  Zeiten 
harmonisch  ineinander  \vebten,  so  fühlte  auch  Stifter 
keinen  Widerspruch  in  ihnen,  sondern  verband  ihre 
durch  Jahrhunderte  geschiedenen  Kulturen  in  seiner 
ausgeglichenen  Persönlichkeit.  Bestimmend  für  seine 
gesamte  Kunstanschauung  war  seine  Erziehung  in  einer 
geistlichen  Anstalt.  Sie  war  religiös  im  katholischen 
Sinn  und  hatte  so  von  vorneherein  die  gleichen  Ideale 
wie  die  Romantik  auch  der  bildenden  Künste. 

»Im  zwölften  Jahre  kam  ich«,  schreibt  Stifter  1866 
an  G.  F.  Richter  >in  die  Benediktinerabtei  Krems- 
münster in  die  lateinische  Schule.  Dort  hörte  ich  zum 
ersten  ]\Iale  den  Satz :  das  Schöne  sei  nichts  anderes 
als  das  Göttliche  im  Kleide  des  Reizes  dargestellt,  das 
Göttliche  aber  sei  in  dem  Herrn  des  Himmels  ohne 
Schranken,  im  ]\Ienschen  beschränkt ;  aber  es  sei  sein 
eigentlichstes  Wesen  und  strebe  überall  und  unbedingt 
nach  beglückender  Entfaltung  als  Gutes,  Wahres, 
Schönes  in  Religion,  Wissenschaft,  Kunst,  Lebens- 
wandel. Dieser  Spruch,  so  ungefähr  oder  anders  aus- 
gesprochen, traf  den  Kern  meines  Wesens  mit  Gewalt, 
und    all    mein   folgendes  Leben,    ein    zweiundzwanzig- 


1)  Neudruck  in  Kürschners  D.  X.  L.  Bd.  69. 


-   4«   - 

jähriger  Aufenthalt  in  Wien,  Bestrebungen  in  Kunst 
und  Wissenschaft,  im  Umgange  mit  Menschen,  in 
Amtstätigkeit  führten  mich  zu  demselben  Ergebnisse, 
und  jetzt  im  neunundfünzigsten  Jahre  meines  Lebens 
habe  ich  den  Glauben  noch ;  aber  er  ist  mir  kein 
Glauben  mehr,  sondern  eine  Wahrheit  wie  die  Wahr- 
heiten der  iMathematik ;  ja  noch  mehr,  denn  die  Wahr- 
heiten der  Mathematik  sind  nur  die  unseren  Verstands- 
gesetzen entsprechenden  Gesetze,  Diese  Wahrheit  aber 
ist  unbedingt  oder  Gott  ist  nicht  Gott.<:  (Briefe  III, 
240).  Mit  dem  grossen  Vorbild  Tiecks  und  Wacken- 
roders,  mit  Raphael  Santi  aus  Urbino  machte  sich 
Stifter  frühzeitig  vertraut.  In  den  Dreissigerjahren  ko- 
pierte er  die  Madonna  im  Grünen^  von  Raphael  und 
eine  > Flucht  nach  Ägypten  von  einem  seiner  italie- 
nischen Epigonen.  Allmählich  wandte  sich  Stifter  jedoch 
den  Niederländern  zu.  Wie  Shakespeare  für  seine  dichte- 
rische Entwicklung  den  Übergang  von  den  Klassikern 
zur  Romantik  und  von  dieser  zum  Klassizismus  Goethes 
vermittelte,  standen  jene  nordischen  Kün.stler  zwischen 
seinen  Neigungen  in  der  Kunst.  In  der  ersten  Fassung 
der  > Feldblumen <',  wo  der  von  den  antiken  Anschauungen 
des  alten  Goethe  noch  unberührte  Stifter  zu  uns  spricht, 
heisst  es  von  einem  begeisterten  Verehrer  der  Kun.st: 
;>Wenn  er  in  Bildergalerien  wandelt,  wo  die  frommen 
Herzen  alter  Meister  aus  den  zarten  Wangen  leuchten, 
die  sie  bildeten,  und  wenn  er  so  vor  manchem  selt- 
samen Engelsköpfchen  steht,  das  ihn  aus  steifer,  wunder- 
licher Tracht  so  .sittsam  anstarrt,  und  wenn  er  sich  in 
so  verschiedene  Augen  senket,  die  van  Dyk,  Rubens, 
Dürer  rundeten,  in  ihnen  liegt  noch  jetzt  dort  Hoff- 
nung und  Entsagung,  hier  Unschuld,  dann  Andacht, 
dann  Jugendfreude,  Brautglanz,  jene  prahlen  mit 
Schmuck  und  Reichtum,  diese  erzählen  dem  Spätling 
ihr  unbekanntes  Weh  —  und  wenn  er  über  diese  Stoffe 
blickt  in  abenteuerlichen  Mustern  und  Zuschnitten,  solid 


—  49  — 

und  schwer  mil  den  sehleppciideii  [•"alten,  über  jene 
Rüstungfen  und  Waffen  der  Männer  mit  den  starken 
Lichtblicken  von  derselben  Sonne  entzündet,  die  heut' 
die  Fenster  dieses  Saales  erglänzen  macht,  so  sieht  er 
in  ein  wunderbares  Stück  Vergangenheit,  und  wenn  es 
in  dem  Saal  einsam  ist,  so  ist  es  ihm,  als  flüsterten 
rings  alle  Seelen  dieser  Bilder  durcheinander  und  er- 
zählten sich  ihre  Leiden  und  ihr  Glück;  die  ganze 
Bilderwand  ist  eine  ausgestorbene  Geisterstadt,  und  von 
den  verfallenden  Palästen  rät  man  auf  die  einstigen 
Bewohner.«  ')  vSo  phantastisch  wie  hier  äussert  sich 
Stifter  zwar  nirgends  über  die  Kunst,  wie  sich  denn 
auch  diese  Stelle  in  der  späteren  Fassung  der  »Feld- 
blumen« nicht  mehr  vorfindet.  Allein  wesentliche  Ele- 
mente der  romantischen  Kunstanschauung  lassen  sich 
bei  ihm  bis  in  sein  Alter  hinein  verfolgen.  Wenn  er  in 
den  »Zwei  vSchw^estern  die  Kunst  als  »irdische  Schwester 
der  Religion,  die  uns  auch  heiligt«-)  bezeichnet  und  im 
»Nachsommer«  die  Kunst  direkt  als  einen  »Zweig  der 
Religion  x^)  erklärt,  in  deren  Dienste  sie  ihre  schönsten 
Tage  bei  allen  Völkern  zugebracht  habe,  so  spricht  er 
an  einer  anderen  Stelle  dieses  Romans  von  dem  »lieben, 
einfachen,  arglosen  Gemüt«  der  mittelalterlichen  Kunst") 
und  sagt  dann  später :  »Jene  Zeit  war  in  der  Richtung 
grosser  Kräfte  nach  grossen  Zielen  weit  grösser  als  die 
unsrige,  ihr  Streben  war  ein  höheres,  es  war  die  Ver- 
herrlichung Gottes  in  seinen  Tempeln,  während  wir 
jetzt  hauptsächlich  auf  den  stofflichen  Verkehr  sehen,  :^) 
und  noch  an  einem  anderen  Orte:  »Die  mittelalterliche 
Kunst  steht  wohl  höher  als  die  neue.  In  ihr  ist  ein 
grösserer  Reichtum    schöner  Werke    vorhanden    als    in 


')  Iris  1841.  233  ff. 

-)  Stifters  Werke,  Volksausgabe  IL  417. 

•>)  Stifter,  Nachsommer  II,  220. 

*)  Ebd.  II,  141. 

■)  Ebd.  III,  89. 

Koich,  Stifter. 


—   50  — 

der  neuen;  es  ist  daher  leichter  mogHch,  ein  fehlerfreies 
altes  Bild  zu  erwerben  als  ein  neues.  Daher  ist  es  <^e- 
konunen,  dass  ich  lauter  alte  Bilder  besitze.  Es  war  ein 
kräftiges  und  gewaltiges  Geschlecht,  das  damals  wirkte, 
dann  kam  eine  schwächliche  und  entartete  Zeit.  Sie 
meinte  es  besser  zu  machen,  wenn  sie  heftiger  in  der 
Farbe  und  weniger  tief  im  Schatten  wurde.  Sie  lernte 
das  Alte  nach  und  nach  missachten,  daher  Hess  sie  das- 
selbe verfallen  ;  ja  die  mit  Unkenntnis  eintretende  Roheit 
zerstörte  manches,  besonders  wenn  wilde  und  verwor- 
rene Zeitläufe  eintraten.  Man  wendete  dann  wieder  um 
und  achtete  das  Alte  .  .  .  Man  suchte  sogar  nachzu 
ahmen,  nicht  bloss  in  der  Malerkunst,  sondern  auch, 
und  zwar  noch  mehr,  in  der  Baukunst  ...  Es  ist 
langsam  besser  geworden,  was  sich  eben  in  dem  Zeichen 
kundtat,  dass  man  alte  Bauwerke  besser  schätzte  —  ich 
selber  weiss  noch  eine  Zeit,  in  welcher  Reisende  und 
Schriftsteller,  die  man  für  gelehrt  und  sprachberechtigt 
achtete,  die  gotische  Bauweise  für  barbarisch  und  ver- 
altet erklärten  —  dass  man  alte  Bilder  her\'orzog,  ja 
alte  Gemälde  sammelte,  in  dem  Schnitt  alter  Kleider 
alte  Gebilde  und  Wendungen  herbeiführte.  Möge  man 
auf  diesem  Wege  zum  Besseren  fortfahren.    ') 

Die  Schönheit  und  Schlichtheit,  die  geheimnis- 
volle Grösse  der  mittelalterlich  deutschen  Kunst  schätzte 
Stifter  überhaupt  so  hoch,  dass  er  ihr  hierin  nur  die 
altgriechische  an  die  Seite  zu  setzen  vermochte.  Die  der 
Renaissance  folgenden  Stilformen  verachtete  auch  er 
als  den  sogenannten  Zopfstil,  der  es  sich  habe  angelegen 
sein  lassen  »die  edelsten  Kunstbildungen  des  Mittel- 
alters zu  beseitigen  und  dafür  oder  daneben  ihre  unge- 
heuerlichen Erzeugungen  hinzustellen.«-) 

Noch  mehr  ruft  uns  eine  in  Stifters  Briefwechsel 
aus    dem  Jahr    1852    enthaltene  Stelle   die    »Herzenser- 


>)  Stifter.  Xaclisoniiner  II,  232  ff. 
>)  Vgl.  Xeuwirth.  57. 


—     5f     — 

i^i essungen <•  von  Tieck  nnd  Wackenrodcr  ins  (xedädit- 
nis  zurück:  Religion  und  Kunst,  auf  der  höchsten 
vStufe  in  eins  zusaninienfalknd,  sind  das  einzige  Out 
des  Menschen,  alles  andere:  Wissenschaft,  Gewerbe,  der 
Staat  selbst  sind  nur  Mittel  <  (Briefe  I,  244).  Sie  findet 
ihre  Ergänzung  in  der  1858  entstandenen  Abhandlung 
Über  das  Hauptaltarblatt  für  das  vStift  Schlägl  von 
A.  Palme,'  die  den  Satz  enthält:  Im  Dienste  des 
Christentums  haben  die  Künste  ihre  iKichste  Höhe  er- 
reicht, und  in  dieser  Höhe  haben  sie  auch  der  Religion 
würdig  gedient<^  (XIV,  333).  In  der  Malerei  stellte 
Stifter  jene,  die  religiöse  Stoffe  behandelt,  am  höchsten, 
an  zweiter  Stelle  bevorzugte  er,  wie  es  die  Romantik 
getan  hatte,  die  Historienmalerei  (XIV,  224).  Die 
Überzeugung  Stifters  von  dem  erhabensten  Beruf  der 
Kunst  als  »Dienerin  der  Religion«  (XIV,  143)  beein- 
flusste  auch  seine  Auffassung  von  der  Landschaftsma- 
lerei. :>  Selbst  das  Landschaftsbild  ist  als  Bild  eines  gött- 
lichen Werkes  religiös,  und  es  wird  es  desto  mehr  und 
desto  schöner,  je  tiefer  es  göttliches  W^alten  darzustellen 
imstande  ist  (XIV,  205).  Von  den  Landschaftsmalern 
interessierte  Stifter  wie  auch  Jean  Paul  und  Hoff  mann 
der  Franzose  Claude  Lorrain,  w^ährend  dessen  übrige 
Landsleute  bei  Stifter  ebenso  wenig  wie  bei  der  Früh- 
romantik Cruade  fanden. 

1847  überreichte  Stifter  ein  Gesuch  um  Bewilli- 
gung öffentlicher  Vorträge  über  Ästhetik  an  das  »Vize- 
direktorat der  philosophischen  Studien«  in  W^ien.  (XIV,  5). 
Die  Vorlesungen  sollten  Personen  beiderlei  Geschlechts 
zugänglich  sein.  Zur  Ausführung  des  Planes  kam  es 
allerdings  nicht. 

In  der  Folgezeit  veröffentlichte  er  nun  eine  Reihe 
\  on  kunstkritischen  Aufsätzen,  die  seine  eigenen  ästhe- 
tischen Grundsätze  mitteilten.  Ausser  Jean  Pauls 
>Vorschule  zur  Ästhetik«  sind  Einflüsse  der  Frühroman- 
tik weiter  nicht  nachweisbar.  Zu  Jean  Paul  kehrt  Stifter 


—     52     — 

noch  in  seinem  Alter  gern  zurück.  Die  Abschnitte  in 
der  » Vorschule <,  die  über  das  Lächerliche  und  den 
Humor  handeln,  zählt  er  zu  dem  tiefsten,  das  je  über 
diese  Gegenstände  geschrieben  worden  sei  (XIV,  217). 
Mit  Jean  Paul  bekämpft  Stifter  den  blossen  Realismus, 
der  nur  für  die  Naturwissenschaft  Wert  besitzen  könne, 
als  blosse  Last  ebensosehr  wie  den  blossen  Idealismus 
als  unsichtbaren  Dunst  oder  Narrheit  (XIV,  218). 

Muss  man  Nürnberg  die  Wiege  der  Romantik 
heissen,  hatte  sie  doch  von  den  hier  erweckten  »Her- 
zensergiessungen«  ihren  Ausgang  genommen,  so  mag 
die  Grösse  der  Bewunderung,  die  Nürnberg  dem  ein- 
zelnen einflösst,  als  Mass  für  sein  romantisches  Empfin- 
dungsvermögen gelten. 

Wie  ein  Begeisterungsausfluss  aus  jenem  wunder- 
baren Büchlein  klingt  es,  wenn  man  die  Einleitung  zu 
Hoffmanns  Erzählung  »Meister  Martin,  der  Küfner, 
und  seine  Gesellen«  liest.  Nürnberg,  »wo  die  herrlichen 
Denkmäler  altdeutscher  Kunst  wie  beredte  Zeugen  den 
Glanz,  den  frommen  Fluss,  die  Wahrhaftigkeit  einer 
schönen  vergangenen  Zeit  verkünden«  (H,  188)  und 
>Albreclit  Dürers  tiefsinnige  ^Meisterwerke«  (II,  189) 
weiss  er  nicht  genug  zu  preisen.  Auch  in  den  Tagen 
der  Spätromantik  erlosch  diese  Bewunderung  Dürers 
nicht.  Noch  Justinus  Kerner,  dessen  Lyrik  Stifter 
verehrte,  schreibt:  »Es  hat  mich  bei  Gott  nichts  so  — 
nichts  und  aber  nichts,  nicht  die  Umarmung  der  Ge- 
liebten, nicht  der  Blick  von  einem  Berg,  nicht  Poesie, 
nicht  Tonkunst,  nicht  Sonn'  und  nicht  Mond  so  hinge- 
rissen, als  der  Anblick  des  ersten  Gemäldes  von  Dürer«. ') 

Und  Stifter?  Als  er,  mit  Studien  zum  »Witiko« 
beschäftigt,  den  Herzenswunsch  seiner  vaterländischen 
Reisesehnsucht     endlich     erfüllt    sah,     schrieb     er    am 


1)  J.  Kerner,  Briefwechsel   mit   seinen  Freunden,   heraus- 
gegeben von  Theobald  Kerner  1S97.  I,  126. 


—    53     — 

7-  Juli  1865  an  Gustav  Pleckcnast:  ^Nürnberg  hat  auf 
mich  einen  ungeheueren  Eindruck  gemacht,  ich  ging 
nach  meiner  Ankiinft  in  der  Stadt  herum,  bis  es  finster 
wurde,  und  kam  völHg  berauscht  nach  Hause.  Das 
ganze  Ding  war  mir  wie  feenhaft,  ich  war  wie  eine 
Gestalt  auf  einem  Albrecht  Dürer'schen  Bilde.  Nürnberg 
ist  die  schönste  Stadt,  die  ich  je  gesehen  habe,  sie  ist 
in  ihrer  Ganzheit  ein  wahrhaftiges  Kimstwerk.  Die 
Zierlichkeit,  Heiterkeit  und  Reinheit  dieser  mannig- 
faltigsten Schönheitslinien  füllte  mich  mit  den  wohl- 
tuendsten Empfindungen.  Was  ist  unser  Volk  für  ein 
herrliches  Volk  gewesen  und  was  ist  es  heute?«  (Briefe 

^n,  154). 

Damals  und  dort  fesselte  Stifter  sogar  Kaulbachs 
symbolisierende  Art  zu  malen,  die  dieser  von  Cornelius 
gelernt  hatte.  Das  Bild  des  romantischen  Epigonen  im 
Germanischen  Museum  erschien  ihm  wie  ein  Riese  im 
Vergleich  zu  den  schalen,  kindischen  Anläufen  der  Ge- 
genwart, ein  rechtes  Kunstwerk  zu  schaffen, 

Dass  Stifters  Abneigung  gegen  Cornelius  diesem 
selbst  und  nicht  der  von  ihm  mitbegründeten  Richtung 
der  Romantik  in  den  bildenden  Künsten  galt,  beweist 
die  Freude,  die  Stifter  andererseits  an  den  Schöpfun- 
gen seiner  österreichischen  Landsleute  Schwind  und 
Führich  hatte.  Wenn  er  Arbeiten  des  liebenswürdigen 
Schöpfers  der  Melusina«  zu  besprechen  hatte,  wusste 
er  die  Eigenart  dieses  spätromantischen  Meisters  vollends 
zu  würdigen.  Man  merkt  es  Stifters  Urteil  an,  dass  er 
Schwind  nicht  als  kühl  abwägender  Kritiker  gegen- 
überstand,   sondern  sein  Herz  mitsprechen  Hess. 

Schwinds  Märchen  wirken  auf  ihn  durch  das  »Phan- 
tastische, Schalkhafte,  Märchenhafte  und  Zauberische- 
(XIV,  173)  vor  allem  ihrer  Zeichnung,  also  gerade  durch 
die  rein  romantischen  Elemente  in  Schwinds  Künstler- 
natur. Beim  Anblick  der  photographischen  Wiedergabe 
der  Schwindschen  Märchen  meint  Stifter:     >In  solchen 


—    54    -- 

Dingen  ist  Schwind  kaum  zu  übertreffen,  und  die  Nach- 
bilder erregen  in  uns  nur  die  grösste  Sehnsucht  nach 
der  Anschauung  des  Urbilds.«  (XIV,  173).  Und  ,in 
einer  Besprechung  des  Bildes  »Rübezahl«,  das  von  dem 
gleichen  Maler  185 1  in  Linz  ausgestellt  wurde,  schätzt 
Stifter  dessen  Schöpfung  so  hoch,  dass  er  daran  zwei- 
felt, ob  es  vom  Publikum  nach  Verdienst  könne  ge^ 
würdigt  werden«  (XIV,  19). 

Als  ]\Ialer  selbst  hatte  Stifter  für  die  Mondland- 
schaft eine  besondere  Vorliebe,  wie  er  auch  als  Dichter 
nächtliche  Schilderungen  liebte  (XIV,  S.  XXXVIII). 
Das  magische  Silberlicht  des  Tvlondes,  das  so  viele 
Stimmungen  Schwinds  durchleuchtet,  hielt  mit  seinem 
Zauber  vStifter  bis  in's  Alter  gefangen. 

Führich  wieder  musste  ihn  durch  seine  religiösen 
Bilder  in  der  Art  Albrecht  Dürers  gewinnen.  Überaus 
lobend  hebt  Stifter  in  einem  Bericht  über  den  ober- 
österreichischen  Kunstverein  Führichs  Komposition  »die 
klugen  und  törichten  Jungfrauen<  hervor.  »Die  Grup- 
pen <:,  heisst  es  u.  a.,  ;4ösen  sich  und  binden  sich  auf 
ernste,  feierliche,  religiöse  und  künstlerisch  gerundete 
Weise  und  sind  anmutig  und  würdig  in  die  Architektur 
verteilt,  welche  durch  ein  Stück  Nachthimmel  und  den 
Mond  sehr  edel  gemildert  wird.  Der  Ausdruck  in  den 
Gestalten  und  Angesichtern  ist  jener  erhabene  und  reli- 
giöse Ernst,  der  in  den  weiblichen  Angesichtern  zur 
holden  Sittlichkeit  wird  und  der  so  sehr  das  Wesen  der 
religiösen  Kunst  ausmacht.  Neben  diesem  inneren  Mo- 
mente ist  auch  das  Äussere  der  sehr  reinen  mannig- 
faltigen und  in  schöner  Harmonie  geführten  Linien  zu 
beachten«  (XIV,  83  ff.). 

Diese  Stelle  ist  charakteristisch  genug,  Stifters 
künstlerisches  Wesen  mit  dem  Führichs  in  Vergleich  zu 
ziehen. 

Beide  sind  Deutschböhmen  und  Zeitgenossen,  beide 
mit    der    Natur    ihrer    Heimat    auf    das     Innigste    ver* 


—     55     — 

wachsen.  Was  l'^üliriclis  Ju^^eiid')  bildete:  Dürer,  die 
Italiener  und  von  den  Niederländern  vor  allem  Rubens 
deckt  sich  grösstenteils  mit  »Stifters  malerischen  Jugend- 
idealen. Und  wie  Führichs  dichterische  Veranlagung 
zur  Vertiefung  in  die  Lehren  der  Religion,  der  Ge- 
schichte und  Philosophie  drängt,  ist  Stifter  wiederum 
in  seiner  Dichtung  Maler.  Beider  Kunst  ist  bodenstän- 
dig in  hohem  ( rrade.  Deutsch  wie  des  Heliandsängers 
Natur  und  Menschen  tritt  uns  das  Leben  bei  Fülirich 
und  vStifter  entgegen,  auch  dort,  wo  sie  unter  Palmen 
wandeln.  P>ergc  und  Täler,  Wälder  und  Wiesen  der 
Heimat  schildern  sie  -jeder  in  seiner  Kunst  —  immer 
so,  als  ob  diese  durch  geheimnis\'olle  Fäden  mit  der 
dargestellten  Handlung  verknüpft  wären.  Wir  ver- 
spüren nur  ein  Ganzes,  e  i  n  Lebendiges,  wenn  wir 
etwas  von  Stifter  oder  Fülirich  zu  seilen  bekommen. 
Echt  deutsch  ist  ihre  Vorliebe  für  das  tierische  Symbol 
der  Treue :  der  Hund,  der  auf  den  Bildern  Führichs 
immer  und  immer  wiederkehrt,  begleitet  gern  auch 
des  Dichters  Helden.  Im  »Hagestolz-:  und  im  »xVbdias« 
finden  Stifters  innige  Beziehungen  zum  !\Ienschen  ihren 
rührenden  Ausdruck.  »Stifters  Freude  an  dem  Kleinen 
in  der  Natur  teilte  auch  Führich.  Liebevoll  zeichnet 
er  die  kleinsten  Kräuter,  Muscheln  und  Würmchen. 
Überwältigende  Züge  äusserer  Grösse  und  majestätische 
Ausblicke  finden  sich  bei  ihm  ebensowenig-  wie  bei 
Stifter.  Beide  sind  fromme  Naturen  von  einer  schlichten, 
fast  schüchternen,  kindlichen  Naivetät,  dabei  aber  von 
grosser  ethischer  Klarheit  und  Kraft.  Ihr  Katholizisnms 
endlich  bindet  sie  als  Glaubensgenossen  ohne  Über- 
hebung und  Unduldsamkeit,  als  Ireniker,  die  auch  den 
Andersdenkenden  nicht  abstossen  können. 

Obwohl    vStifter    in    der   Tonkunst    als  Komponist 
nie   hervortrat    im  Gegensatz    zu  seinem    dichterischen 
1)  Vgl.  K.   Krattiier.  J.  von   Führich.  Prag  1903. 


-    56    - 

Vorbild  Hoffmann,  besass  er  für  sie  ein  hohes  Ver- 
ständnis. Immer,  wenn  er  von  IMusik  redet,  weiss  er 
ihren  intimsten  Stimmungsgehalt  poetisch  wiederzuge- 
ben. Das  hängt  freilich  mit  der  h'rischen  Seite  seines 
Wesens  aufs  Engste  zusammen. 

Wie  Hoffmann  verehrte  auch  er  Beethovens  ro- 
mantischen Genius.  In  ihren  Erzählungen  lieben  beide 
Abendgesellschaften  darzustellen,  die  zum  Teil  von 
Konzerten  ausgefüllt  werden.  Dabei  lassen  sie  auch 
musiktheoretische  Fragen  erörtern.  Anlässlich  einer 
solchen  Unterhaltung  in  den  Feldblumen«  wird  der 
alte  Streitpunkt,  ob  Mozart  oder  Beetho\en  vorzüglicher 
sei,  angeregt.  -Alle  Damen  waren  ]\Iozartistinnen,  und 
ein  grosser  Teil  der  Männer.  Angela  stand  für  Beetho- 
ven, unterstützt  von  dem  greisen  Violoncellisten  und 
mir«  (I,  80).  Und  in  der  Begründung  ihrer  Vorliebe 
sagt  sie :  »INIich  reisst  es  hin,  wo,  wie  in  der  Natur,  gross- 
artige Verschwendung  ist.  Mozart  teilt  mit  freundlichem 
Angesichte  unschätzbare  Edelsteine  aus  und  schenkt 
jedem  etwas ;  Beetho\en  aber  stürzt  gleich  einem  Wol- 
kenbruch von  Juwelen  über  das  Volk;  dann  hält  es  sich 
die  Hände  vor  den  Kopf,  damit  es  nicht  blutig  ge- 
schlagen wird  und  geht  am  Ende  fort,  ohne  den  klein- 
sten Diamanten  erhascht  zu  haben<    (I,  80). 

Dieselbe  Bevorzugung  Beethovens  und  dieselbe 
Begründung  nur  mit  anderen  Worten  findet  sich  bereits 
bei  Hoffmann  in  den  Phantasiestücken  in  Callots  Ma- 
nier.« Beethovens  Instrumentalmusik  öffne  das  Reich  des 
Ungeheuren  und  Unendlichen  in  allem,  auch  in  der 
Sehnsucht,  die  das  Wesen  der  Romantik  sei.  ^ Mozart 
und  Haydn  .  .  .  zeigten  uns  zuerst  die  Kunst  in  ihrer 
vollen  Glorie;  wer  sie  da  mit  voller  Liebe  anschaute 
und  eindrang  in  ihr  innerstes  Wesen  ist  —  Beethoven« 
(V,  39).  :>Den  mu.sikalischen  Pöbel  drückt  Beethovens 
mächtiger  Genius ;  er  will  sich  vergebens  dagegen  auf- 
lehnen.    Aber    die    weisen  .  .  .  Richter    versichern,    es 


—  57  — 

fehle  dem  guten  Beethoven  nicht  im  mindesten  au 
einer  sehr  reichen  lebendigen  Phantasie;  aber  er  ver- 
stehe sie  nicht  zu  zügehi.  Wie  ist  es  aber,  wenn  nur 
Eurem  schwachen  BHck  der  innere  tiefe  Zusammenhang 
jeder  Beethovcnschen  Komposition  entgeht?«  (V,  40  ff.). 
Fand  mm  die  Romantik,  dass  in  Beethovens  Wer- 
ken der  überschäumende  Quell  ihrer  Tonkunst  entsie- 
gelt sei,  so  galt  ihrer  geheimnis\'ollen  dunklen  Sehn- 
sucht als  Lieblingsinstrimient  in  der  Poesie  die  ton- 
schwere Äolsharfe.  In  Justinus  Kerners  »Reiseschatten« 
ist  von  einer  Äolsharfe  die  Rede,  »die  vor  einem  Neben- 
fenster in  I)lumen  stand.  So  war  es,  als  strömten  die 
Blumen  tönende  Düfte  aus  und  sangen  einander  in 
tönenden  Wechselchören  zu.« 'j  Hoffmann  wieder  bringt 
sie  in  seiner  Erzählung  »Die  Automaten«  —  typisch 
für  andere  Fälle  —  mit  der  Handlung  in  einen  mys- 
tischen Zusammenhang.  Auch  Stifter  steht  in  dem 
Bann  des  geheimnisvollen,  tief  durchdringenden  Rau- 
schens und  Klingens  der  Äolsharfe.  In  der  »Narren- 
burg« fluten  ihre  Töne  in  den  tiefen  Abgrund  eines 
unerbittlichen,  traurigschönen,  romantischen  Geschicks. 


1)  J.  Kerner,  Dichtungen,   dritte  Auflage  II.  Band  (Reise- 
schatten) 1 841,  139. 


IV.  Äussere  Motive. 

Einflüsse  einer  literarischen  Periode  auf  spätere 
Dichter  lassen  sich  am  einfachsten  und  sichersten  nach- 
weisen, wenn  sie  auf  einer  gemeinsamen  Vorliebe  für 
bestimmte  Motive  beruhen.  Die  vergleichende  Unter- 
suchung, die  in  dieser  Hinsicht  zu  führen  ist,  muss 
zweierlei  vor  Augen  haben.  Zunächst  muss  sie  darüber 
im  Klaren  sein,  welche  Ähnlichkeitsmomente  nicht  nur 
den  zu  vergleichenden  Dichtungen,  sondern  bereits 
solchen  aus  früheren  Perioden  innewohnen,  und  diese 
von  den  neu  auftretenden  gemeinsamen  Motiven  sorg- 
fältig scheiden.  Andererseits  werden  auch  diese  nicht 
in  ihrer  Gesamtheit  auf  direkte  Einflüsse  zurückzufüh- 
ren sein.  Die  gleiche  Anschauungsweise  einer  Zeit 
kann  auch  den  verschiedenartigsten  Dichtern,  die  weder 
örtlich,  noch  persönlich,  noch  geistig  miteinander  in 
irgendwelcher  Beziehung  stehen,  gemeinsame  Elemente 
vermitteln.  Ist  das  in  Frage  stehende  Material  endlich 
soweit  gesichtet,  dass  eine  Täuschung  für  den  Forscher 
schwer  möglich  erscheint,  und  verbleibt  dann  noch  immer 
ein  Rest  von  Ähnlichkeiten,  die  auf  ein  ganz  bestimmtes 
Vorbild  und  nur  auf  dieses  hinweisen,  so  wird  die  An- 
nahme berechtigt,  dass  direkte  Einflüsse  dieses  \^or- 
bilds  auf  den  zu  erforschenden  Dichter  nachweisbar 
seien.  Stifters  dichterische  Ideale,  an  denen  er  sich 
bildete,  waren,  soweit  die  Romantik  gemeint  wird,  vor 
allem  Jean  Paul,  Tieck  und  Hoffmann.  Direkte  Ein- 
flüsse der  übrigen  Romantiker,  wie  Kleist,  Achim  von 
Arnim,  Brentano,  Fouque  und  Eichendorff  sind  nirgends 


—     59    — 

nachweisbar,  höchstens  Justiims  Kerner  kommt  noch 
in  Betracht.  In  der  folo-enden  Darstelhm^^,  die  sich  daranf 
beschränkt,  das  vorg-efundene  nnd  durchforschte  Material 
gesammelt  vorzuleo^en,  werden  die  eijs^entlichcn  1 'Ein- 
flüsse oft  neben  bloss  gemeinsamen  Anffassunj^en  zu 
stehen  kommen,  um  den  formellen  Zusannnenhan^ 
nicht  zu  stören ;  doch  wird  sie  bemüht  sein,  den  \er- 
schiedenen  Wert  der  ins  Aui^e  orefassten  Beziehun<j;^en 
deutlich  zu  machen. 

Trotz  aller  Phantasie,  die  Jean  Paul  in  seinen 
Dichtuno;-en  so  reichlich  zu  Gebote  steht,  liebt  er  es, 
die  Handlunit^  an  ihm  bekannten  Orten  vor  sich  gehen 
zu  lassen.  So  steht  er  im  >  Siebenkäs <  ganz  auf  dem 
Boden  seiner  voigtländischen  Heimat,  die  Parkanlagen 
Fantaisie  nennt  er  den  ersten,  die  Eremitage  den  zwei- 
ten Himmel  um  Baireuth,  wo  er  einen  grossen  Teil 
seines  Lebens  verbrachte,  ähnlich  wie  Stifter  die  Hand- 
lung der  »Feldblumen«  zumeist  in  dem  aus  seiner  Hof- 
mei.sterzeit  bekannten  Wien  und  seinen  gepriesenen 
Ziergärten  sich  abspielen  lässt.  Wenn  von  Jean  Paul 
der  Ort  Hof,  wo  er  seine  erste  Jugend  verlebte,  so  oft 
genannt  wird  (z.  B.  im  >Quintus  Fixlein  ),  so  harmoniert 
damit  die  Vorliebe  Stifters,  seine  Heimat  Oberplan  und 
den  Böhmer\vald  überhaupt  zur  Geltung  zu  bringen. 
Heide  sind  also  Heimatdichter  im  eigentlichsten  Sinne. 
Beide  haben  eine  Freude  an  vSeen  und  Inseln,  an 
abgeschiedenen  Orten,  wo  die  Seele  träumen  und  in 
Bildern  scliwelgen  kann.  In  Jean  Pauls  »Hesperus«  imd 
Stifters  -Hagestolz  gelangt  der  Held  nach  beschwer- 
licher Überfahrt  zu  einem  solchen  Eiland,  wo  er  sein 
Schicksal  erfährt. 

Das  Kleinbürgertum  mit  der  behaglichen  Ruhe 
seiner  bescheidenen  Existenz,  daneben  wieder  hoch- 
adelige Kreise,  voll  exzentrischer  Gefühlsschwärmerei 
bilden  das  Milieu,  aus  dem  Jean  Paul  seine  Ge- 
stalten   schöpft.     Der    Armenadvokat  »Siebenkäs-,    das 


—    6o    — 

;> Schulmeisterlein  Wuz«  haben  ihr  Gegenbild  in  dem 
gutmütig  beschränkten  Bürger  Tibiirius  Kneigt  iu 
Stifters  »Waldsteig«,  ebenso  wie  die  biederen  Pastors- 
figuren Jean  Pauls  in  dem  wohltätigen  Pfarrer  des 
»Kalksteins«,  der  in  der  ersten  Fassung  auch  protestan- 
tischer Geistlicher  ist;  der  Arzt  Augustinus  in  der 
»Mappe«  erinnert  wieder  an  den  Arzt  Viktor  in  Jean 
Pauls  »Hesperus«,  ihr  sonderbar  zurückhaltender  Cha- 
rakter lässt  sie  ihr  längst  gefundenes  Glück  erst  spät 
besitzen.  Andererseits  sind  die  geheimnisvollen  Personen 
der  Fürstin  in  Jean  Pauls  >Titan«  und  des  Lords  Ho- 
rion  im  »Hesperus«  mit  der  russischen  Fürstin  und 
dem  reichen  Engländer  Aston  in  Stifters  Feldblumen« 
zum  Verwechseln  ähnlich. 

Das  Interesse  an  der  Künstlerwelt,  die  seit  dem 
Erscheinen  von  Goethes  >Wilhelm  INIeister«  die  Dich- 
tungen der  neuen  Zeit  belebte  und  sich  vor  allem  im 
Schaffen  Tiecks  wirksam  erwies,  macht  sich  noch  bei 
Stifter  geltend.  Während  er-  dem  Maler  im  ^Kondor« 
und  Albrecht  in  den  > Feldblumen«,  der  auch  Künstler 
ist,  Züge  seiner  eigenen  Persönlichkeit  mitteilt,  gilt  das- 
selbe von  dem  Dichter  im  »Heidedorf«,  vor  allem  der 
ersten  Fassung.  Hierin  konnte  ihm  Tieck  leicht  vor- 
bildlich sein.  Der  träumerische  Charakter,  die  inmitten 
einer  dörflichen  Gemeinde  unverstandene  Grösse  des 
Helden  besitzt  eine  Parallele  äusserster  Ähnlichkeit  in 
dem  jugendlichen  Shakespeare  des  »Dichterlebens«  von 
Tieck.  Auch  noch  in  dessen  Altersdichtung  »Vittoria 
Accorombona«  spielen  poetische  Persönlichkeiten  eine 
Hauptrolle.  Die  Vorliebe  für  Malerhelden  hingegen 
findet  sich  bereits  in  einem  seiner  frühesten  Werke,  in 
»Franz  Sternbalds  Wanderungen.« 

Die  Romantik  mit  ihrer  Tendenz,  alle  Gattungen 
der  Kunst  zu  umfassen  und  zu  vereinen,  stand  natür- 
lich auch  der  Musik  sehr  nahe.  In  den  »Musikalischen 
Leiden  und  Freuden«  wählt  sich  Tieck  die  Darstellung 


—    6i     — 

von  Vertretern  der  Tonkunst,  wie  es  früher  besonders 
E.  T.  A.  Hoffniann  geliebt  hatte,  Musiker  in  den  Mittel- 
punkt einer  Handlung  zu  stellen.  Stifter  folgte  dem 
gleichen  Zuge.  In  seinen  »Zwei  vSchwestern«  ruft  er 
uns  das  weibliche  Künstlerpaar  aus  Hoffmanns  wimder- 
licher  Novelle     Die  Fermate«  in  Erinnerung. 

Das  Spiel  mit  dem  Geheimnisvollen,  das  der  ge- 
samten Romantik  eignet  und  wohl  von  dem  Geheim- 
bund, der  Wilhelm  Meisters  Schicksale  lenkt,  ange- 
regt wurde,  benutzt  auch  Jean  Paul  als  damals  geläu- 
figes Auskunftsmittel,  Verwicklungen  zu  schaffen  und 
zu  lö.sen.  In  der  »Unsichtbaren  Loge  nimmt  der  Held 
an  einer  Gesellschaft  teil,  die  in  einer  Höhle  unttr  der 
Erde  ihre  Versammlungen  abhält,  um  unerkannt  zu 
bleiben.  Eine  ähnliche  Figur,  die  sich  von  unerklär- 
lichen Geheimnissen  umringt  sieht,  die  Rätin  Benzon 
im  »Kater  Murre ,  tritt  uns  bei  Hoffmann  entgegen.  In 
Tiecks  »Vittoria  Accorombona^  treibt  wieder  ein  ver- 
borgener Bund  sein  wunderliches  Spiel  mit  einer  der 
Hauptpersonen  der  Handlung.  Eine  Art  Geheimbund 
stellt  auch  Stifter  in  den  »Feldblumen«  mit  dem  Eng- 
länder Aston  und  seiner  engeren  Umgebung  dar. 
Albrecht  schreibt  darüber  an  seinen  Freund  Titus:  -Son- 
derbar ist  mir  .  .  .,  dass  ich  mich  .  .  .  schon  seit  eini- 
ger Zeit  mit  einem  Netze  von  Heimlichkeiten  umgeben 
fühle,  dessen  Fäden  ich  oft  sichtbar  vor  mir  zu  haben 
wähne,  und  wenn  ich  darnach  greife,  so  ist  nichts  da. 
Gestalten  von  Bedeutung  sind  zuweilen  in  meinem  Be- 
reiche, wiederholen  sich  und  verlieren  sich.  Wünsche, 
die  ich  nie  ausgesprochen  habe,  finde  ich  oft  in  mei- 
nem Zimmer  verwirklicht.  Nachfragen  werden  gehalten, 
Bestellungen  gemacht,  von  denen  ich  nicht  weiss,  für 
wen,  und  so  andere  Dinge,  die  ich  fühle,  aber  für  den 
Augenblick  nicht  darstellen  kann«   (I,  72). 

Personen,  über  deren  Abkunft  ein  geheimnisvolles 
Dunkel   schwebt  oder   die  in  Wirklichkeit    andere  sind 


—      62      - 

als  jene,  für  die  sie  ^-ehalten  werden,  treten  in  den 
Dichtungen  Jean  Pauls  häufig  auf.  Flamin,  der  unter- 
geschobene Sohn  des  Kaplans  im  Hesperus«,  entpuppt 
sich  schliesslich  als  Fürstenkind,  Cora  im  >  Heimlichen 
Klaglied«,  die  den  (reliebten  nicht  heiraten  darf,  weil 
sie  am  Ende  erfährt,  dass  sie  dessen  Halbschwester  sei, 
ebenso  Albano  und  Linda  im  >Titan«  führen  eigentlich 
wieder  auf  ^vlotive  im  Wilhelm  Meister-  zurück.  In 
»Franz  Sternbalds  Wanderungen  bemächtigt  sich 
ihrer  auch  Tieck,  der  die  Familie  des  Helden  und  seine 
Abkunft  mit  dem  wunderbaren  Reize  des  Unbekannt- 
seins umhüllt.  Ähnliche  Beispiele  bei  Hoffmann  bietet 
Antonio  in  Doge  und  Dogaressa«  und  Ang^ela  im 
»Kater  Murr«.  Ihr  entsj^richt  die  rätselhafte  Angela  in 
Stifters  j- Feldblumen^ . 

Eine  geheimnisvolle  Begebenheit  aus  der  Zeit  der 
Befreiungskriege  behandeln  Hoff  mann  und  Tieck  in 
zwei  Novellen,  die  ihnen  zugleich  Gelegenheit  geben, 
ihre  warme  nationale  Gesinnung  zu  bekunden.  Mehr 
als  Hoffmanns  »Erscheinungen«  muss  >der  Geheimnis- 
volle« von  Tieck  Stifter  beeinflusst  haben.  In  den 
»Wirkungen  eines  weissen  Mantels«  wird  auch  mit 
Zuhilfenahme  des  zeitlichen  Hintergrunds  der  deutschen 
Freiheitskriege  ein  Unbekannter  vorgeführt,  dessen  Ab- 
kunft ebenfalls  erst  am  Ausgang  der  Handlung  klar- 
gestellt erscheint  und  eine  glückliche  Lösung  herbei- 
führt. Bereits  in  seiner  fragmentarischen  Jugender- 
zählung :> Julius«  verwendet  Stifter  ein  ähnliches  Motiv 
zum  ersten  Male.  Sogar  die  Art  und  Weise  einer  Er- 
rettung aus  Lebensgefahr  werden  hier  nach  Tiecks 
»Geheimnisvollem«  wiederholt.  In  den  ;?  Wirkungen 
eines  weissen  Mantels <  findet  sich  ein  entsprechendes 
ähnliches  Motiv.  Die  innige  Teilnahme  Stifters  an  den 
Geschicken  des  Vaterlandes  im  Kampf  wider  Napoleon 
stellt  diese  (später  >Bergmilch<  betitelte)  Dichtung  als 
nationales  Zeitbild  schon  aus  diesem  Grunde  an  die 
Seite  der    genannten  Novellen  Hoffmanns    und  Tieckg. 


-     ^^3     - 

Die  Ab.siclit,  dureli  Vcrweiulun.i;-  eines  von  vorne- 
herein gelieininisvollen  Motivs  die  vSpannuno-  des  Lesers 
'/AI  steij^ern,  artet  bei  Iloffniann  zur  phantastischen 
Manier  aus.  Stifter  in  seinem  >Ahen  Siej^el«  erweckt 
einen  ähnlichen  Eindruck.  Er  nberninimt  darin  zahh-eiclie 
Motive  aus  Hoffmanns  >Odem  Haus<  und  Oeh'ibde  . 
Der  merkwürdij^e  Eindruck,  den  das  scheinbar  unbe- 
wohnte Gartenhaus  macht,  die  wunderHche  (xcstalt  des 
alten  Pförtners  daselbst  haben  ihre  Ebenbilder  bei 
Hoffmann.  Die  weibliche  Hauptperson  im  >Gelübde<' 
heisst  Cölestine,  im  .Alten  Sieo-el«  Celeste,  beide  wohnen 
in  einer  fremden  Stadt,  igelten  als  unbekannt,  <;-ehen 
täglich  zur  Messe  und  sind  nur  zu  dieser  Zeit,  stets  schwarz 
verschleiert,  auf  der  Strasse  sichtbar.  Eine  geheinmis- 
volle  ungeheure  Täuschimg  in  der  Liebe  veranlasst 
beider  Alleinsein.  Der  Liebhaber  ist  hier  wie  dort  Offi- 
zier. Im  »Gelübde«  bilden  die  polnischen,  im  »Alten 
Siegel-  die  deutschen  Befreiungskriege  den  nationalen 
und  historischen  Hintergrund.  In  beiden  Fällen  be- 
schliesst  der  Offizier  sein  Leben  als  stiller  Siedler. 

Da.s  tolle  Spiel,  das  die  Doppelgänger  in  Hoffmanns 
Dichtungen  treiben,  ist  im  Grund  auf  Jean  Paul  zurück- 
zuführen. In  den  »Doppelgängern«  von  Hoffmann  und 
im  »Siebenkäs«  von  Jean  Paul  steht  eine  Natalie  im 
Vordergrunde,  mit  der  zwei  männliche  Doppelgänger 
in  Beziehung  treten.  Die  sentimentale  Entsagung  und 
der  trotzdem  glückliche  Abschluss,  der  bei  Hoffmann 
sonst  nicht  allzuhäufig  ist,  bringt  diese  Erzählung  aus 
der  Spätzeit  seines  Schaffens  der  rührselig  optimisti- 
schen Darstellung  Jean  Pauls  nahe.  Weit  charakteri- 
stischer für  Hoffmanns  spezielle  Auffassung  sind  der 
Bruder  Medardus  und  sein  Ebenbild  in  den  »Eli- 
xieren des  Teufels.«  Die  Figur  eines  Doppelgängers 
verwendet  er  auch  im  »Artushof  .  Hier  weiss  sich  der 
trostlose  Geliebte,  der  ebenso  wie  in  Stifters  Feldblu- 
men«   ein    Maler    ist,    vor    lauter  Wirrunsren    nicht    zu 


-    64     - 

helfen.  Bei  Stifter  heisst  es:  ; Diese  Doppelgängerei«  — 
Angela  ist  gemeint  —  »fing  nun  an  etwas  Unlieini- 
liches  zu  gewinnen.  Wie  in  Hoffmanns  ^Doppelgän- 
gern«  und  Jean  Pauls  ^^ Siebenkäs <  kommt  auch  in  der 
wunderlichen  Gesellschaft  der  > Feldblumen«  eine  Na- 
talie  vor. 

Eine  eigenartige  Mischung  von  Zügen,  die  teils 
der  wunderbaren  Mignonfigur  im  »Wilhelm  !Meister- 
eignen,  teils,  dem  deutschen  Märchenschatz  entnommen, 
in  Tiecks  »Elfen«  und  Hoffmanns  »Fremdem  Kind« 
verwendet  erscheinen,  gestaltet  sich  bei  Stifter  zweimal, 
zunächst  im  braunen  Mädchen  seines  »» Katzen silbers«, 
dann  in  dem  wilden  Naturkind  des  >»Waldbrunnens^ , 
das  unter  Berücksichtigung  verschiedener  Begleitum- 
stände sehr  an  jenes  in  Justinus  Kerners  »»Reiseschatten ') 
erinnert. 

In  dem  oben  genannten  ^Märchen  Tiecks  spielt 
ein  geheimnisvolles  Kind  die  Hauptrolle.  Es  ist  eine 
Elfe,  die,  als  sie  profane  Augen  entdeckt  haben,  ihre 
Heimstätte  nahe  den  INIenschen  —  vom  Volk  als  Zi- 
geunerlager aufgefasst  —  für  immer  verlässt.  Noch 
stärker  scheint  Hoffmann  mit  seinem  Märchen  Das 
fremde  Kind«  eingewirkt  zu  haben.  Hier  wie  im  Katzen- 
silber ^  spielen  Kinder  im  Walde;  eines  Tages  gesellt 
sich  ein  fremdes,  unbekanntes  zu  ihnen,  es  kommt  und 
verschwindet  immer  von  neuem,  niemand  kann  seine 
Spur  verfolgen.  Einmal  überrascht  sie  ein  starkes  Ge- 
witter. Das  fremde  Kind  rettet  sie.  Überhaupt  bringt 
es  mannigfachen,  wunderbaren  Segen.  Ein  Todesfall 
führt  jedoch  die  Trennung  herbei.  Im  »»Katzensilber« 
verliert  sich  hierauf  das  unbekannte  Mädchen  imd 
kehrt  nie  wieder,  bei  Hoffmann  müssen  die  Kinder  die 
Heimat  verlassen. 

Noch  eine  weitere  auf  Hoff  mann  speziell  hinwei- 
sende Stelle    findet    sich    im  »Katzensilber«.     Von  den 


')  J.  Kemer,  Dichtungen  II.  135. 


-    65    - 

Kindern  bekommen  nämlich  zwei  je  eiiien  Nussknacker, 
»Dlondköpfchen  einen  grösseren  und  ernsteren,  Schwarz- 
köpfclien  einen  kleineren  und  närrischeren,  der  einen 
drolligen  Mund  hatte  und  fürchterliche  Augen  machte  . .  . 
In  die  Mäuler  der  Nussknacker  taten  sie  Nüsse  .  .  .  und 
zerbrachen  die  Nüsse,  indem  die  Knacker  gewaltig  die 
Kinnladen  zusammentaten  und  erschreckliche  Gesichter 
erzeugten.« ')  Hoffmanns  Märchen  vom  »Nussknacker 
und  Mausekönig-:-  enthält  Szenen,  worin  die  Phantasie 
des  kleinen  Mariechens  von  einem  ähnlichen  komischen 
Grausen  erfüllt  wird. 

Die  Voriiebe  für  das  Seltsame,  Wunderliche,  Ba- 
rocke teilt  schon  Jean  Paul.  Das  Abenteuer,  das  er  den 
Advokaten  ^Si ebenkäs <;  im  Park  Fantaisic  bei  Baireuth 
erleben  lässt,  ist  in  seiner  Nachwirkung  auf  Stifter  be- 
sonders bedeutsam.  Firmian  sieht  seine  spätere  GeHebte 
Natalie  zum  ersten  ^lal  vor  einem  Spiegel,  wie  Albrecht 
in  den  »Feldblunien<  seine  Angela.  Bei  Jean  Paul  heisst 
es:  »An  der  ausgemauerten  Bucht  stand  nämlich,  ganz 
schwarz  gekleidet,  eine  mit  einem  weissen  Flor  be- 
zogene weibliche  Gestalt  .  .  .  Sie  war  von  ihm  abge- 
kehrt gegen  x\bend  .  .  .  Indes  er  langsam  \'or  ihr  vor- 
überging, sah  er  von  der  Seite,  dass  sie  eine  Blume 
nicht  sowohl  nach  als  über  ihn  warf,  gleichsam  als 
sollte  dieses  Ausrufzeichen  einen  Zerstreuten  aufwecken. 
Er  sah  sich  leicht  um  .  .  .  und  ging  an  die  Glaspforte 
des  künstlich  baufälligen  Tempels  hinan,  um  sich  neben 
dem  Rätsel  zu  verweilen.  Drinnen  stand  ihm  gegen- 
über ein  Pfeilerspiegel,  der  den  ganzen  !\Iittel-  und 
Vordergrund  hinter  ihm  samt  der  weissen  Unbekannten 
in  die  grüne  Perspektive  eines  langen  Hintergrundes 
herumdrehte.  Firmian  ersah  im  Spiegel,  dass  sie  den 
ganzen  Strauss  gegen  ihn  werfe ...  Er  wandte  sich 
lächelnd  um  .  .  .  Eine  sanfte,  aber  hastisre  Stimme  saete : 


1)  vStifters  Werke,  \'olksausg-abe  III,  I6S. 
K  o  s  c  h,  Stifter. 


—    66    — 

Keimen  Sie  mich  nicht,  .  .  .  nnd  ein  weiblicher  Kopf, 
der  vom  Halse  des  vatikanischen  Apollo  abgesäot  und 
nur  mit  acht  oder  zehn  weiblichen  Zügen  und  mit  einer 
schmalen  Stirn  gemildert  war,  glänzte  vor  ihm  wie  ein 
Marmorkopf  vor  der  Lohe  einer  Fakel.  Aber  indem  er 
hinzusetzte,  er  sei  ein  Fremder  —  und  indem  die  Ge- 
stalt ihn  näher  und  unvergittert  anblickte,  und  indem 
sie  das  Flor-Fallgatter  wieder  niederliess  ...  so  kehrte  sie 
sich  weg.«  (XII,  103).  Fast  dieselbe  wunderliche  Situa- 
tion, nur  mit  dem  Unterschied,  dass  der  Held  derjenige 
ist,  welcher  aufzufallen  sucht,  bieten  die  ;^ Feldblumen«. 
vStatt  des  Parks  Fantaisie  ist  hier  das  Lokal  der  Para- 
diesgarten bei  Wien.  Ich  weiss  nicht,«  schreibt  Albrecht 
an  Titus,  -ob  damals,  als  wir  beide  zugleich  in  Wien 
waren,  in  der  Mitte  des  Paradiesgartens  ein  schwarzer 
erhabener  Spiegel  auf  einem  Untersatze  angebracht 
war  .  .  .  kurz,  jetzt  ist  ein  solcher  Spiegel  da,  und  ein 
Teil  der  Stadt,  die  grünen  Bäume  und  die  Rasenplätze 
vor  derselben  und  der  Ring  der  Vorstädte  steht  in  un- 
endlicher Kleinheit  darinnen  .  .  .  An  diesem  Spiegel 
stand,  als  mich  heute  mittags  .  .  .  meine  gewöhnliche 
Frühlingsspaziersucht  \orbeiführte,  ein  Weib,  durch 
ihren  Bau  .  .  .  grosse  vSchönheit  versprechend,  und  sah 
hinein.  Ich  stellte  mich  ruhig  hinter  sie,  um  ihr  Weg- 
gehen zu  erwarten.  Denn  mich  ihr  gegenüberzustellen 
war  ich  nicht  dreist  genug.  Als  sie  immer  und  immer 
stehen  blieb,  malte  ich  in  Gedanken  die  lächerliche 
Gruppe,  die  wir  bildeten  und  hierdurch  kam  mir  der 
Mut,  sie  zum  Umsehen  zu  zwingen,  nämlich  ich  sagte 
plötzlich  :  :  Eine  wahre  Unterweltbeleuchtung  schwebt 
über  diesem  kleinen  Xachbilde<.  Sie  sah  auch  um  — 
und  ich  prallte  fast  zurück. •  —  Yon  meiner  Kind- 
heit an  war  immer  etwas  in  mir,  wie  eine  schwermütig 
schöne  Dichtung,  dunkel  und  halbbewusst,  in  Schön- 
heitsträumen mich  abmühend  —  oder  soll  ich  es  anders 
nennen,  ein  ungeborner  Engel,    ein  unhebbarer  Schatz, 


-  6;   - 

den  selber  die  Musik  nicliL  liob in  diesem  Auj^er.- 

blicke  hatte  ich  das  Dinjj;-  zwei  Spannen  breit  meinen 
Angen  sichtbar  gegenüber.  Sie  sah  micli  ernst  und  un- 
\erwirrt  an  inid  hess  einen  dichten  vSchleier  lierab- 
fallen«   (I,  59  ff.). 

Bei  Jean  Paul  wie  bei  vStifter  überwindet  das 
dringende  \'erlangen  der  Liebe  die  innere  Scham,  doch 
gleich  nach  dem  ersten  Anblick  zieht  sich  die  auf- 
keimende Neigung  verschlossen  und  sich  selbst  ver- 
bergend zurück.  Die  apollinische  Schönheit  des  Weibes 
wird  schwärmerisch  geschildert  und  dennoch  gleich  mit 
einer  mathematischen  Realität  in  Beziehung  gesetzt: 
Jean  Paul  mildert  den  klassischen  Kopf  mit  acht  oder 
zehn  weiblichen  Zügen <,  Stifter  hat  das  Wunderding 
:>zwei  Spannen  breit«  gegenüber. 

Eine  auffallende  Ähnlichkeit  weist  auch  die  Stelle 
im  »Hesperus«,  die  uns  mitteilt,  wie  Viktor  das  Schick- 
sal seiner  Geliebten  erfährt,  mit  jener  im  > Hagestolz« 
auf,  wo  der  Held,  der  ebenfalls  Viktor  heisst,  über  ge- 
heimgehaltene Ereignisse  aus  der  Familie  des  von  ihm 
verehrten  Mädchens  unterrichtet  wird.  Beide  Male  ist 
eine  wunderliche  Insel  der  Ort,  an  dem  ein  Greis,  dort 
der  Lord,  Viktors  \'ater,  hier  der  Hagestolz,  Viktors 
Oheim,  sein  Geheimnis  mitteilt.  Auf  beiden  Inseln  er- 
hebt sich  ein  sonderbares  Gebäude,  dessen  mystisches 
Aussehen  schon  der  Eingang  erhöhen  muss.  »Ehe  sie 
an  das .  .  .  Tor  hintraten,  drehte  sich  von  innen  ein 
Schlüssel  um  und  sperrte  auf,  und  die  Tür  klaffte«  er- 
zählt Jean  Paul  (V,  227),  während  bei  Stifter  der  Be- 
gleiter des  Helden  einen  gellenden  Pfiff  ausstösst:  »So- 
gleich öffnete  sich  das  Tor  von  unsichtbaren  Händen  — 
Viktor  begriff  es  gar  nicht«.') 

Auf  die  \'orliebe  für  einen  Spitzhund,  der  hier 
wie    dort    als    bedeutsames  Tierwesen    den    Gan«:    der 


•)  vSliflers  A\'erke,  Volksausgabe  IL  225. 


—   68   — 

Handlung  beeinflusst,  sei  nebenbei  hingewiesen.  Ebenso 
dürfte  das  Wort  ;;  Nachsommer«,  das  von  Jean  Paul 
im  ;>Siebenkäs<:  in  den  verschiedenartigsten  Bedeutungen 
gebraucht  wird  —  auch  als  Xachsommer  des  Lebens  — 
in  Verbindung  mit  den  darin  vorkommenden  Haupt- 
personen Heinrich  und  Natalie  Stifters  ;>Nachsommer<< 
mit  seinen  gleichfalls  Heinrich  und  Natalie  benannten 
Helden  ins  Gedächtnis  rufen. 

Jean  Paul  liebt  es,  wichtige  Wendepunkte  in  seinen 
Erzählungen  oft  von  Zufällen  abhängig  zu  machen,  wie 
solche  etwa  das  Reisen  mit  sich  bringt.  Wenn  es  im 
»Kampanertal«  heisst:  :  Nur  Reisen  ist  Leben,  wie  um- 
gekehrt das  Leben  nur  Reisen  ist<  (XIII,  29),  so  steht 
diese  Anschauung  nicht  vereinzelt  da,  der  gesamten 
Romantik  bis  auf  Stifter  gehört  sie  an.  In  den  »Zwei 
Schwestern«,  wo  ähnlich  wie  im  »Titan«  eine  Alpen- 
fahrt berichtet  und  die  Schönheit  des  Gardasees,  den 
Stifter  ebensowenig  kannte,  wie  Jean  Paul  den  von  ihm 
gerühmten  Lago  Maggiore,  gefeiert  wird,  steht  das 
Land  der  deutschen  Sehnsucht  Italien  im  Hintergrund. 
Der  Held  trifft  in  beiden  Erzählungen  plötzlich  mit 
jenem  Wesen  zusammen,  das  ihm  zwar  früher  in  der 
Heimat  begegnet  ist,  erst  jetzt  aber  seine  Liebe  erregt 
und  für  sein  weiteres  Leben  von  entscheidendem  Ein- 
fluss  wird.  Nach  dem  gelobten  Lande  der  Kunst  zielte 
auch  Hoffmanns  Sehnsucht.  Neben  »Ignaz  Denner«  und 
den  »Elixieren  des  Teufels  spielt  auch  »Die  Jesuiter- 
kirche«  zum  Teil  in  Italien.  Wie  Stifters  »Zwei  Schwe- 
stern ist  auch  diese  Erzählung  eine  Künstlemovelle. 
Äussere  Zufälligkeiten,  wie  z.  B.  Namensgleichheit  bringt 
Hoffmann  gern  mit  gleichen  Schicksalen  in  Verbindung. 
Im  »Majorat«  erfüllt  sich  am  Enkel  Roderich  das  Ge- 
schick des  Ahnherrn  Roderich.  Ebenso  absichtlich 
nimmt  es  sich  aus,  wenn  in  Stifters  Erzählung  »Der 
fromme  Spruch«  das  adelige  Geschwisterpaar  Dietwin 
und    Gerlint    einen   Neffen   Diet%vin    imd    eine    Nichte 


-  69  - 

Oerlint  besitzt.  ^Wunderbar  sind  die  Namen  der 
Kinder,  wunderbar  ihr  (gleicher  Altersunterschied, 
wunderbar  die  Verhältnisse,  die  sie  zu  uns  j^-ebraeht 
haben,  wunderbar  ihre  Ähnlichkeit  mit  uns,  und  am 
wunderbarsten,  dass  wir  beide  unabhängig  von  ein- 
ander den  Gedanken  ihrer  Verehelichung  fassten.«  ') 

Die  geringsten  Zufälle  bedeutend  werden  zu  lassen, 
liebt  ebenso  Tieck  entsprechend  seiner  Theorie  über 
die  Novelle.  So  bewirken  auch  bei  ihm  häufig  Reise- 
erlebnisse den  entscheidenden  Umschwung  (z.  B.  in  der 
> »Sommerreise  ).  Aber  auch  die  unerwartete  Auffindung 
wertvoller  Papiere  (z.  B.  in  der  »Klausenburg«,  mit 
Stifters  Erzählungen  >Die  Narrenburg«  und  »Der  Kuss 
von  vSentze«  vergleichbar)  und  ähnliche  rein  äusserliche 
^Momente  ersetzen  mitunter  die  psychologische  Ent- 
wicklung. Hierher  gehören  Verwechslungen,  die  ver- 
kehrte Heiraten  herbeiführen,  wie  in  Tiecks  :>Verlobten<c 
und  Stifters  »Feldblumen«.  Ganz  in  der  Art  Tiecks 
und  Hoffmanns  ist  die  Erzählimg  »Die  drei  Schmiede 
des  vSchicksals«    von  Stifter. 

Der  stete  die  Spannung  erhaltende  Szenenwechsel, 
der  stark  ironisierende  Ton  dieser  Dichtung  sticht  von 
seinen  übrigen  Werken  auffallend  ab.  Ein  eigenartiger 
Freundschaftsbund  —  seit  Goethes  »Wilhelm  Meister«, 
Tiecks  vSternbald«  und  Hoffmanns  »Serapionsbrüdern« 
ein  bekanntes  Motiv,  —  Gespräche  über  Gespenster,  die 
Erscheinung  einer  weissen  Frau,  die  aber  in  Wirklich- 
keit eine  Nachtwandlerin  ist,  ein  höchst  überflüssiger 
Zweikampf  bilden  den  Apparat,  mit  dem  hier  der 
Dichter,  u.  zw.  wenig  innerlich  vertieft  arbeitet.  Einiges 
weist  direkt  auf  Hoffmanns  »Fragment  aus  dem  Leben 
dreier  Freunde«  hin.  Schon  im  Titel  erweist  sich  eine 
Ähnlichkeit  mit  »den  drei  Schmieden  des  Schicksals«- 
Die  Gesellschaft    lustiger  Männer,    in    der    die    Haupt- 


«)  Stifters  Werke,  \olks;uisj^ahe  III. 


—   70  — 

geschichte  erzählt  wird,  findet  sich  hier  wie  dort.  Der 
Besuch,  die  Einquartierung  desselben  in  einem  Zimmer, 
wo  des  Nachts  eine  weisse  Dame  umgehen  soll,  die 
anfängliche  Furchtlosigkeit  des  Gastes,  sein  vSchrecken, 
als  nach  Mitternacht  die  Erscheinung  wirklich  naht, 
sind  Motive,  die  sich  bei  Stifter  wiederholen.  In  beiden 
Erzählungen  ist  der  Abschluss  fröhlich,  indem  der  Held 
heitere  Hochzeit  feiert.  Der  mehr  als  grotesken  Fabel 
entspricht  der  leichte,  nirgends  eindringende  Ton  der 
Sprache.  Lasse  inich  doch  wenigstens  aus  deinem 
Munde  nicht  das  Wort  vSchicksal  vernehmen,«  sagt  der 
eine  der  vSchicksalsschmiede  bei  Stifter  zum  andern, 
»es  ist,  als  sei  es  unmöglich,  dass  du  es  solltest  aus- 
sprechen können. <  *Noch  vielmehr,-  erhält  er  zur 
Antwort,  »ich  will  dich  lehren,  dass  es  einen  Zufall 
gibt,  und  dass  wir  nur  weise  sind,  wenn  wir  ihn  be- 
herrschen. «  ') 

Wie  der  junge  Tieck  und  Wackenroder,  die  Be- 
gründer der  Romantik  und,  wenn  man  so  sagen  will, 
des  ästhetischen  Katholizismus,  brachte  auch  Hoff  mann, 
der  ja  von  beiden  vieles  gelernt  hatte,  der  Kirche  und 
ihrem  Kultus  nicht  nur  Interesse  entgegen,  sondern  er 
suchte  und  fand  gerade  in  ihnen  viel  Dekoratives  für 
seine  jDoetischen  Geheimnisse.  Bei  Stifter  ging  der 
Katholizismus  allerdings  tiefer,  er  verkörperte,  wie  be- 
reits früher  gezeigt  wurde,  seinen  persönlichen  Glauben, 
den  Wesensinhalt  einer  Religion,  die  ihm  mehr  galt 
sogar  als  die  Kunst,  deren  glühender  Verehrer  er  war. 
Stifter  mit  seiner  ganzen  Vergangenheit,  als  gereifter 
]\Iensch  eher  Pedant  als  Phantast,  musste  katholische 
Motive  viel  klarer  schauen  und  natürlicher  \'erwerten 
können  als  der  katholisierende  Protestant  Hoffmann. 
In  seinem  »Majorat«  wählt  dieser  mit  Absicht  kirch- 
liche Kulissen,  weil  Mönch  und  Nonne  damals  in  Mode 


')  Stifters  Werke.  Volksausg-abe  IV,  63. 


waren.  Der  Verfasser  des  --Allen  Siegels<'  verselzl  uns 
mitten  in  einen  katholischen  Gottesdienst,  schon  aus 
dem  Grunde,  weil  er  ein  Lebenselcment  seiner  Umi^e- 
buno;-  bildet  und  er  realistisch  zeichnen  will,  andererseits 
weil  er  keinen  anderen  Gottesdienst  als  diesen  kennt. 
Darin  etwa  liegt  der  Unterschied  in  der  Verwertun«- 
des  katholischen  Milieus  bei  Stifter  und  bei  Hoffmann, 
sowie  bei  der  Frühromantik  überhaupt.  Immerhin  steht 
Hoffmanu  in  seiner  Weise  vStiftcr  nahe,  indem  er  das 
ästhetisch  Wirksame  nir.G^ends  \on  einer  falschen  Ten- 
denz überwuchern  lässt.  Von  den  äusserlich  katholischen 
Zügen,  die  einer  Reihe  Hoffmann'scher  Erzählungen 
ihr  eigenartiges  Gepräge  verleihen,  seien  einige  erwähnt. 
Der  Serapionsbruder  Cyprian  hat  ein  »auf  dem  tiefsten 
katholischen  Mystizismus  basiertes  Buch«  (I,  28)  heraus- 
gegeben. Erzählungen,  wie  »Das  Sanktus«  und  »Die 
Jesuiterkirche«  sind  völlig  in  katholische  Verbrämung 
gefasst.  Die  im  »Kater  Murr'  erzählte  Liebfrauenlegende 
erinnert  an  die  Marienverehrung,  wie  sie  auch  Tieck 
poetisch  verwertet.  Die  Rahmenerzählung,  die  in  seinem 
^Aufruhr  in  den  Cevennen«  die  Entstehung  der  Kapelle 
des  armen  Priesters  erklärt,  findet  bei  Stifter  ihre 
Parallele  im  »Beschriebenen  Tännling<,  wo  die  Grün- 
dung des  Marienkirchleins  bei  Obeq^lan  gleichfalls 
legendenmässig  erzählt  wird. 

Wie  sich  die  Verwendung  katholischer  Motive  bis 
in  Hoffmanns  letzte  vSchaffenszeit  verfolgen  lässt  — 
noch  in  seinen  »Räubern«  tritt  ein  Mönch  in  den  Vor- 
dergrund —  so  lassen  sich  auch  bei  vStifter  Anspie- 
lungen auf  das  kirchliche  Leben  in  allen  Zeiten  seiner 
dichterischen  Entwicklung  nachweisen.  Das  Pfingstfest 
im  »Heidedorf«,  der  Beichttag  des  Mädchens  im  »Be- 
schriebenen Tännling« ,  der  Exkurs  über  die  drei  kirch- 
lichen Festkreise  im  »Bergkristalh  ,  der  Gang  durch  die 
Katakomben  von  St.  Stefan  in  Wien«,  der  katholische 
Pfarrer  in  der  zw^eiten  Fassung  des  »Kalksteins-  bieten 
nur  Beispiele  dafür. 


V.  Innere  Motive. 

Der  Typus  des  Lebens-  oder  Bildungsromans,  wie 
er  uns  vorzüglich  in  ^Wilhelm  Meister<  entgegentritt, 
kehrt  in  den  Tagen  der  Romantik  öfter  wieder  und 
findet  nicht  einmal  bei  Stifter  den  Abschluss  seiner 
Entwicklung.  Das  eigene  Leben  in  der  Dichtung  zu 
offenbaren,  diesen  realistischen  persönlichen  Zug  Goethes 
teilten  die  meisten  Romantiker  mit  ihm. 

Sowohl  Jean  Paul  und  Tieck  wie  spater  Stifter 
kamen  ihrem  Verlangen,  dichterisch  möglichst  die  Wirk- 
lichkeit zu  erfassen,  von  einer  neuen  Seite  entgegen, 
indem  sie  die  eigenen  Lebensschicksale  in  die  erzählte 
Handlung  verwoben. 

Erlebnisse  aus  der  Jugendzeit  füllen  die  verhältnis- 
mässig gross  angelegte  Novelle  Tiecks  »Der  junge 
Tischlermeister«,  eigentlich  sein  Lebenswerk,  das  er, 
angeregt  durch  »Wilhelm  Meister«  gleichzeitig  mit  dem 
»Sternbald«  1795  begonnen  hatte.  41  Jahre  später  lag 
es  vollendet  im  Drucke  \"or.  Die  Reise  des  Helden 
nach  dem  Gut  eities  Freundes,  auf  dem  sich  der  grösste 
Teil  der  Handlung  abspielt,  und  von  da  zurück  in  die 
Heimat,  gibt  dem  Dichter  Gelegenheit,  Reiseerinne- 
ningen  aus  der  mit  Wackenroder  gemeinsam  verlebten 
Studentenzeit  zurückzurufen.  Die  Begeisterung  für 
Shakespeare,  Homer  und  vor  allem  für  die  altdeutsche 
Baukunst,  jene  schwärmerischen  Gefühle,  die  ihm  damals 


in  so  lioheni  (»radc  /u  einen  waren,  brinj^t  er  darin 
zu  lebendifi-eni  Ausdruck. ') 

l')ic  bleichen  Ideale  beseelen  die  Helden  des 
>Nachsonnners<  ,  den  junf^en  Heinrich  und  den  alten 
Freilierrn  von  Risach,  dessen  Jugendschicksale  jene 
Stifters  selber  sind.  Minder  zahlreich  als  hier,  aber 
immerhin  deutlich  erkennbar  finden  sich  Selbsterleb- 
nisse Stifters  bereits  in  seinen  Novellen,  wie  im 
»Kondore,  im  »Heidedorf,  in  den  »Nachkommen- 
schaften . 

Ein  küntemplali\er  und  meditierender  Zug  eignet 
allen  seinen  Dichtungen.  Sein  gesprächiges  Gemüt,  sein 
lehrhafter  Charakter  barg  eine  Fülle  seelischer  Anre- 
gungen, die  er  in  ihnen  zu  \er\verten  und  auszusprechen 
bemüht  ist,  Dieses  pädagogische  bildende  Moment  tritt 
auch  bei  Ticck  stark  hervor,  der  mit  den  aufdringlichen 
Gesprächen  schwatzhafter  Weiber  und  Bedientenseelen 
(z.  B.  im  Geheimnisvollen«)  ein  karrikiertes  Grenz- 
gebiet der  Didaktik  streift;  aber  auch  in  durchaus 
ernsthaften  Reflexionen  des  eigenen  Seelenlebens  vor 
allem  seinen  Shakespeare-Novellen  eine  auch  innerlich 
individuelle  Färbung  verleiht.  Ebenso  benutzt  Jeau 
Paul  Erfahrungen  aus  seinem  reichen  Lebensgeschick 
in  hervorstechender  Weise.  In  der  »Unsichtbaren  Loge^, 
dann  besonders  in  der  Levana«  spricht  Jean  Paul 
seine  pädagogischen  Ansichten  aus,  die  ihn  mit  der 
didaktischen  Natur  des  späteren  Schulrats  Stifter  nahe 
zusammenführen.  Ein  Beispiel  für  die  ähnliche  pädago- 
gische iVnschauungsweise  Jean  Pauls  und  Stifters  bietet 
ein  Vergleich  ihrer  Ansichten  über  Mädchenerziehung. 
Kräuterlehre,  Sternkunde,  Mathematik,  Geschichte, 
Musik,  Englisch,  Italienisch  und  Latein,  Deutsch  sollte 
das  gebildet  sein  wollende  Mädchen  lernen,  lieisst  es  in 
der  »Levana«  (XVII,  240  ff.).  Angela  in  Stifters  »Feld- 


1)  \'g-l.  auch   -Minor,  Tieck  als  XciveUeiidichter  215. 


bluinen«  entspricht  dieser  Erziehungslehre  vollends.  — 
vSein  Hass  wider  den  »ewigen  Strickstrum])f,  an  dem 
unsere  Juni^frauen  nagen<  (I,  115),  gleicht  wieder  der 
Anschaunngsweise  des  jungen  Tieck,  der  in  seinem 
»Däumchen«  gegen  die  übertriebene  Nützlichkeitsarbeit 
der  Frauen,  vor  allem  gegen  das  Strickzeug  zu  Felde 
zieht. ') 

Interessant  sind  die  zahlreichen  Beziehungen,  die 
Stifters  Darstellung  des  Liebeslebens  zu  der  Jean  Pauls 
und  Tiecks  hat.  Tragischen  Konflikten  blieb  Jean  Paul 
im  allgemeinen  abgeneigt.  Die  wenigen,  die  sein  quieti- 
stisches  Wesen  zulässt,  verlegt  er  jedoch  nicht  in  die 
Aussenwelt,  sondern  stets  in  den  einzelnen  und  inneren 
Menschen. 

Helden  der  Resignation  sind  bei  Jean  Paul  sehr 
beliebt.  Auch  bei  Stifter  erzeugt  der  Liebes  verzieht 
teils  mit  vorangegangener  Verschuldung,  teils  ohne 
diese  eigene  Charaktere.  Ausser  Hugo  im  .Alten  Siegeh  , 
dessen  Fehltritt  mit  dem  Lianens  im  »Titan  Ähnlich- 
keit hat,  kann  man  vom  Maler  im  »Kondor  bis  zum 
alten  Freiherrn  im  .Nachsommer«  eine  ganze  Gruppe 
solcher  Gestalten  zusammenstellen,  die  nach  Art  des 
Liebespaares  in  Jean  Pauls  »Jubelsenior«  und  anderer 
Genossen  (etwa  im  »Titan«)  in  der  selb.stlosen  Nieder- 
werfung der  heissesten  Wünsche  ihren  Frieden  finden. 
Der  alte  Spener  im  Titan  ,  der  an  Emanuel  im 
»Hesperus«  erinnert  und  zu  seinen  Schützlingen  von 
dem  Nichtigen  aller  menschlichen  Freundschaft  und 
Liebe,  von  der  Versenkung  in  die  Fülle  alles  Guten' 
und  vSchönen,  in  die  uneigennützige,  unbegrenzte  All- 
Liebe  redet,-)  besitzt  sein  Ebenbild  in  Stifters  wun- 
derlichem   greisen    »Hagestolz«,    der    an    keine    Einzel- 

»)     H.  Gschwiud.    Die   ethischen    Neiierung-ea    der    Fri'ih-' 
romantik.  Bern  1903,  75. 

2)  P.  Nerrlich,  Jean  Paul.  P>erlin  18S9,  399. 


liebe  «glaubt  und  seinen  Xefl'en  nuihnt :  Icli  sage  dir, 
dass  die  Hing-abe  seiner  selbst  für  andere  selber  in 

den  Tod,  wenn  ich  den  Ausdruck  gebrauchen  darf, 
gerade  nichts  anderes  ist,  als  das  stärkste  Aufplat/.en 
der  Blume  des  eigenen  Lebens.  ')  Der  sanfte  Christ 
in  der  >]\Iappe<  trägt  ähnliche  Züge  einer  hyper- 
humanen, Jean  Paul'schen  Enipfindungsweise. 

Die  edle  Resignation,  das  stille  Sich-Bescheiden 
bildet  entsprechend  Stifters  Eigenart  auch  den  Grund- 
zug von  Tiecks  dichterischem  Ideencharakter.  Die 
meisten  seiner  Helden  erdulden  ihr  herbes  Los  wie 
Vittoria  Accorombona  in  Tiecks  gleichnamigem  Roman  : 
.^Vittoria«,  heisst  es  darin,  ertrug  ihren  vSchmerz,  wie 
grosse  Seelen  fast  immer  die  herbsten  Verluste  zu  tragen 
pflegen.  Man  sah  sie  nicht  klagen  und  weinen,  ihr 
Unglück  war  zu  gross,  um  sich  in  solchen  Leiden 
kundzutun. 

vStifters  schon  früher  erwähnter  Verkehr  mit  der- 
höheren  Gesellschaft,  vor  Allem  in  seiner  Wiener  Hof- 
meisterzeit, befähigte  den  Dichter  umsomehr,  das  Standes- 
problem zu  behandeln.  Im  ;>Kondor«,  im  »Heidedorf«, 
im  :>  Nachsommer  <  begegnet  man  seiner  Absicht,  das 
Scheitern  des  Ausgleichs  zweier  Gesellschaftsklassen 
darzustellen.  In  Tiecks  »Ahnenprobe«,  wo  gleichfalls' 
ein  soziales  Thema  der  Handlung  als  Grundlage  dient, 
erfolgt  zwar  eine  glückliche  Lösung,  doch  wird  auch 
hier  die  freiwillige  Entsagung  von  Liebenden  aus  ver- 
schiedenen  Ständen  als  Idealverhältnis  hinsfestellt. 

Um  seinen  Dichtungen  einen  tiefen,  geistigen  Gehalt 
zu  verleihen,  scheut  Tieck  nicht  davor  zurück,  noch 
schwierigere  Probleme  aufzurollen  und  ihre  Lösung  in 
der  Wirklichkeit  des  Lebens  zu  versuchen.  Die  ele- 
mentare Natur  der  Geschlechterliebe,  in  ihrem  innersten 
Wesen  durch  Goethes  »Werther«  dichterisch  aufs  Neue 


1)     L.    Tieck.     Vittoria     Accorombona.     Zweite     Auflage. 
Breslaii  1841.     IT,  247. 


-   76   - 

erkannt,  sucht  Tieck  mit  Vorliebe  zu  behandeln,  um 
die  Verwicklungen  und  Verheerungen  dieser  Leiden- 
schaft aufdecken  zu  können.  Er  fasst  ihre  übersinnliche 
und  darum  stärkste  Seite  auf,  indem  er  die  verzückte 
Seligkeit  unabsehbarer  Trennung,  die  echt  romantische 
Liebe,  die  nur  Sehnsucht  ist,  zum  Ausdruck  bringt. 
Das  Liebespaar  Jeoffroy  und  Melisende  im  ;>Sternbald« 
verkörpert  die  grenzenlose  Verquickung  von  irdischer 
und  himmlischer  Liebe.  Der  Troubadour  geht  über  das 
Meer  zu  der  fernen  Schönen,  von  deren  wundervoller 
Anmut  er  viel  vernommen  hat,  und  der  er  nun,  ohne 
sie  selbst  gesehen  zu  haben,  mit  der  vollen  Glut  seines 
Herzens  angehört.  Dieselbe  schemenhafte  Schwärmerei 
charakterisiert  bei  Jean  Paul  am  besten  Albano  im 
»Titan«,  der  Liane  ebenfalls  bereits  liebt,  bevor  er  sie 
persönlich  kennen  gelernt  hat ;  er  hat  sie  preisen  und 
rühmen  gehört  und  glaubt  demnach  in  ihr  das  Urbild 
der  Romanheldinnen,  die  ihn  entzückt  haben,  zu  finden ; 
er  sehnt  sich  nach  Liebe  und  wähnt  darum  in  Liane  sein 
erträumtes  Ideal  vor  Augen  zu  haben.  So  nimmt  auch 
in  der  Phantasie  Albrechts,  des  Helden  in  Stifters 
»Feldblumen«,  die  verschleierte  Unbekannte  »ordentlich 
eine  rührende  Miene«  (I,  56)  an,  bloss  w^eil  er  mit 
seinem  Freunde  solansre  von  ihr  oreredet  hat.  Seine 
nach  Liebe  heiss  verlangende  Seele  drängt  ihn  zu  einem 
vollendeten  Gefühl.  »Aber  in  der  Tat,  so  ist  unsVe  Ein- 
bildung und  meine  erst  vollends,  wenn  wir  einen 
Menschen  in  nahen  Verhältnissen  mit  uns  dichten,  so 
wird  er  uns  fast  lieb,  besonders  wenn  er  ein  schönes 
Mädchen  ist  und  wir  eben  fünfundzwanzig  Jahre  alt 
werden.  Ich  gehöre  da  zu  den  Narren,  die  so  sehr 
aus  dem  Häuschen  sind,  dass  sie  die  Sache  auch  gar 
noch  glauben«  (I,  56).  Als  er  Angela  zum  ersten  Mal 
für  einen  Augenblick  gesehen  hat,  schwärmt  er  erst 
recht:  »Ob  ich  in  sie  verliebt  wurde? —  Nein,  in  die.se 
war  ich  es  seit  meinem  ganzen  Leben  schon  gewesen« 
(I,  60). 


_   77  — 

Das  Für  und  Wider  der  llhe,  die  in  dem  Leben 
so  mancher  Romantiker  wnnderliche,  ja  oft  unselig-e 
Schicksale  znr  Folge  hatte,  erörtern  Tieck  und  Stifter 
in  verschiedenen  ihrer  Dichtungen.  Die  Heldin  in  Tiecks 
»Vittoria  Accoronibona«  behandelt  dieses  Problem  vom 
Standpunkt  der  krassesten  Verachtung  jegHcher  ehe- 
lichen Gemeinschaft,  bis  sie  schliesslich  in  einer  unbe- 
schränkten, willenlosen  Hingabe  das  Aufgehen  alles 
Wünschens  und  Tuns  in  die  beseligende  Einheit  der 
Liebe  erblickt.  Die  widernatürliche,  unverstandene 
Gemeinschaft  der  Gatten,  der  Ehebruch  selbst  in  den 
verschiedensten  Formen  und  Folgen  kommt  bei  Tieck 
zur  Darstellung,  psychologisch  vertiefter  auch  bei  Stifter, 
der  trotz  seiner  unendlich  keuschen  und  zarten  Behand- 
lung sinnlicher  Elemente  die  heikelsten  Probleme  dieser 
Art  zu  lösen  versucht.  Im  »Alten  Siegel«  feiert  der 
Wahlspruch:  Servandus  tantummodo  bonos!  einen 
vollen  Sieg  über  alle  Schwachheit  einer  befleckten 
Liebe,  ähnlich  wie  in  Tiecks  »Hexensabbat«  der  Ehe- 
bruch seine  Sühnung  erfährt,  indem  die  untreue  Gattin 
zu  ihrem  Schmerz  am  Ende  auch  den  Verlust  des  Ge- 
liebten beklagen  muss. 

Gleich  dem  jungen, Tieck  (in  seinem  »Sternbald« 
hauptsächlich)  fasst  denn  auch  Jean  Paul,  wie  eben 
gezeigt  wurde,  die  Liebe  durchaus  romantisch,  mehr 
übernatürlich  als  irdisch  auf.  Seinem  Ideal  entsprechen 
platonische  Neigungen ;  die  wahrhaft  sinnliche  Liebe 
endet  zumeist  mit  einer  Katastrophe,  dem  Ehebruch 
oder  einer  ähnlichen  Verschuldung.  Deutlicher  als  bei 
Tieck,  dessen  »Junger  Tischlermeister«  im  »Siebenkäs« 
vorgebildet  ist,  indem  auch  dieser  als  Ehemann  auf 
Reisen  geht  und  dabei  in  Liebe  für  ein  anderes  Weib 
entbrennt,  schliesslich  aber  heimgekehrt  im  Anblick  der 
eigenen  Gattin  seine  zum  Glück  mehr  schwärmerische 
als  unerlaubte  sündige  Liebe  vergessen  lernt,  treten  Jean 
Pauls  Einflüsse  dieser  Art  auf  Stifter   zu  Tage.   In  der 


—   7^  - 

»Brij^itta  venvendet  dieser  ein  almliclies  Motiv  in  der 
Darstellung  einer  unverstanden  geglaubten  Ehe  und 
ihres  endlichen  Zusammenschlusses. 

Auffallend  ist  die  Vorliebe  beider  Dichter  für  un- 
schuldige Jungfrauen  und  Jünglinge,  die  sie  gern  in 
den  Mittelpunkt  der  Handlung  stellen.  Amandus  in 
der  »Unsichtbaren  Loge,  Viktor  im  :>Hesperus<-, 
Albano  im  >Titan<:  haben  ihre  Gegenstücke  in  Beate, 
Klotilde,  Liane.  Der  ]^Ialer  Gustav  und  Kornelia  in 
Stifters  »Kondor«,  Albrecht  und  Angela  in  den  »Feld- 
bhmien«,  der  Schwedenjüngling  und  Klarissa  im 
» Hochwald <: ')  sind  Beispiele  dafür,  hyperideale  Ge- 
stalten mit  einem  mehr  wehmütigen  als  freudigen 
Liebesgeschick.  Jean  Paul  meint  in  dem  Heimlichen 
Klaglied  der  jetzigen  INIänner«  :  Das  ist  der  Gang  des 
Schicksals.  Wie  nur  die  fallenden  ]\Ienschen,  aber  nicht 
die  fallenden  Engel  einen  Erlöser  bekamen:  so  wird 
der  Fehltritt  eines  Heiligen  härter  gestraft  als  der  Fall 
eines  Sünders,  und  ein  einziger  Fehler  trägt  in  das 
Leben  einer  edeln  Natur  eine  fortfressende  Pest,  indes 
die  unedle  in  der  Schlangenhöhle  ihres  Lebens  unter 
den  giftigen  Taten,  die  sie  umgeben,  ungestochen 
wohnt«  (XVII,  317  ff.).  Diese  Anschauung  äussert  auch 


')  In  Ergänzung  der  Einleitung  zu  Stifters  Sämtlichen 
Werken  (von  A.  Sauer,  S.  LXI)  sei  hier  erwähnt,  dass  der  seiner- 
zeit vielgelesene  Roman  Die  Schweden  vor  Prag;:  von  Karo- 
line Pichler  (Wien,  1S27)  mit  Stifters  später  erschienenem  yHoch- 
wald«  manche  Berührungspunkte  hat.  Zwei  böhmische  Edel- 
fräulein  stehen  auch  dort  im  Mittelpunkte  der  Handlung,  das 
eine  Fräulein  unterhält  geheimnisvolle  Beziehungen  zu  eineiu 
schwedischen  Spion,  er  wird  getötet  und  sie  gerät  in  tiefes 
Unglück.  Das  andere  Fräulein,  eine  Johanna,  ist  der  heldenhaf- 
tere Charakter,  sie  liebt  einen  blondlockigen  edelmütigen  Jüng- 
ling, dessen  Wesen  Stifters  Ronald  im  ;^Hochwald<:  ähnelt.  (>e- 
heime  Erkennungszeichen,  Beobachtungen  eines  geliebten  Ortes 
durch  ein  Fernrohr,  sogar  die  Figur  des  biederen  Hausver- 
walters finden  sich  auch  in     Den  Schweden  vor  Prag  . 


—   79  — 

Stifter  in  bcdeiitsaiiicr  Weise.  Sehr  oft  büsseii  seine 
Helden  einen  einziehen  Fehltritt  ihr  fj^anzes  Leben  hin- 
chircli.  Zu  jenen  Charakteren  orehört  bei  Jean  Paul 
Linda  im  -Titan  ,  der  ebenso  wie  Hujj^o  im  Alten 
Sieo^el'  die  Tm'jIIc  der  persönliehen  Schuld  erst  später 
bewusst  wird.  Geläutert  verbriuf^en  beide  das  fernere 
Leben  in  sühnender  Resignation.  Im  ^Alten  Siegel« 
verwendet  Stifter  wie  Jean  Paul  im  > Heimlichen  Klag- 
lied« ein  dem  Ehebruch  ähnliches  Motiv,  zudem  fällt 
der  Abschluss  der  Handlung  in  beiden  Dichtungen  in 
die  Zeit  der  Befreiungskriege. 

Der  glühende  Sinnenrausch  der  leidenschaftlichen 
Liebe  gilt  beiden  Dichtern  keineswegs  als  das  Höchste, 
im  Gegenteil,  sie  feiern  die  abgeklärte  Ruhe  der  Reife. 
Wenn  Jean  Paul  im  Siebenkäs«  sagt:  »Nur  eine 
Mutter  kann  liebenc  (XI,  328),  ergänzt  diese  Worte 
Stifter  im  Heidedorf«  :  >Das  Mutterherz  ist  der  schönste 
und  unverlierbarste  Platz  des  Sohnes,  selbst  wenn  er 
schon  graue  Haare  trägt  —  und  ein  jeder  hat  im 
ganzen  Weltall  nur  ein  einziges  solches  Herz« 
(I,  189). 

In  Jean  Pauls  »Briefen  und  bevorstehendem  Le- 
benslauf meint  der  Dichter,  dass  die  höchste  Liebe  die 
der  alten  Gatten  sei,  ähnlich  wie  der  alternde  Stifter 
an  seine  Gattin  schreibt:  >Icli  liebe  Dich  jetzt  weit 
mehr  als  da  Du  ein  zweiundzwanzigj ähriges,  blühendes, 
unbeschreiblich  schönes  Mädchen  warst,  und  Du  liebst 
mich  alten  ]Mann  mit  allen  seinen  Wunderlichkeiten 
und  Grillen  mehr  als  den  jungen,  kräftigen,  gleichsam 
Himmel  und  Erde  stürmenden.  Und  diese  Liebe  wird 
wachsen,  und  im  Hochalter  werden  wir  völlig  eins  in 
dem  andern  und  gleich  sein  (Briefe  III,  284).  Dass 
bei  einem  derartigen  Zurückdrängen  der  jugendlichen 
Geschlechtsliebe  —  schon  aus  den  >Studien«  wird  einem 
dieses  Bestreben  klar  —  Stifter  ebenso  wie  Jean  Paul 
der    Freundschaft    einen    grossen  Wirkungskreis    zuge- 


So 


steht,  ihre  Erscheinung-  und  Kraft  ideaUsiert,    lie.i^t  auf 
der  Hand. 

Das  schwärmerische  Freundschaftsgefühl  ist  ein 
überhaupt  romantischer  Charakterzug.  Bei  Hoff  mann 
j^eht  dies  sehr  hübsch  aus  seinem  Briefwechsel  mit 
Hippel  hervor:  ;Wenn  ich  Dir  sage,<  schreibt  er  ein- 
mal, dass  Du  mich  mehr  interessierst,  dass  Du  mir 
mehr  am  Herzen  liegst  als  alles  übrige  in  der  Welt, 
dass  ich  alles  aufopfern  möchte,  um  Dir  zu  folgen,  mit 
Dir  zusammen  den  ganzen  Umkreis  des  beseligenden 
Olückes  der  Freundschaft  geniessen  zu  können,  dann 
sage  ich  Dir  eine  heilige,  unzählbare,  oft  empfundene, 
durch  keine  unedle  Einwirkung  entweihte  Wahrheit.« ') 
Und  in  einem  anderen  Briefe  finden  sich  die  Worte : 
;>Wenn  ich  alles  verlieren  sollte,  so  bin  ich  doch  noch 
sehr  reich,  ich  habe  ein  köstliches  Kleinod  aus  dem 
Schiffbruch  gerettet,  das  ist  Deine  Freundschaft.  <-) 
Noch  schwärmerischer  lauten  Jean  Pauls  Freund- 
schaftsergüsse, der  ohne  Freund  überhaupt  nicht  zu 
leben  vermag.  Stifter  kommt  ihm  auch  hierin  nahe. 
Wohl  ist  die  Liebe  für  Stifter  die  höchste  Poesie,  '>sie 
ist  die  weinende,  jauchzende,  spielende  Musik«,  doch 
»die  Männerfreundschaft  ist  die  schweigsame,  edle, 
klare  Plastik:  jene  gibt  einen  Himmel  selig  und 
trunken,  diese  stellt  erst  die  schönen,  aber  ruhigen 
Göttergestalten  hinein«  (Briefe  I,  8).  Dies  erinnert  an 
Jean  Pauls  Auffassung,  Liebe  und  Freundschaft  seien 
die  zwei  Brennpunkte  in  der  Ellipse  der  Lebensbahn. 
Beide  entsprechen  dieser  Gesinnung  auch  als  Dichter. 
Amandus  im  »Hesperus«,  der  vor  dem  Tod  die  Geliebte 
bittet,  seinen  Freund  zu  erhören,  ähnelt  in  mancher 
Beziehung  Eustachius  in  der  dritten  Fassung  der  -  Mappe 
meines  Urgrossvaters«,    wo  crleichfalls  der  eine  Freund 


1)  Ellinger  13. 
*)  Ebd. 


—   8i    — 

dem  andern  die  Treliebte  überlä.sst,  als  er  aus  der  Heimat 
scheiden  miiss. 

Richendorffs  Literaturj^eschichte  nennt  Jean  Paul 
den  eigentlichen  Hiimanitätsdichter  und  weist  darauf 
hin,  wie  die  liebenswürdige  Natur  dieses  Dichters  mit 
einer  hervorragenden  sittlichen  Kraft  ausgerüstet  und 
gegen  alle?  Schlechte  gewendet  war.  Daher  stünden 
auch  alle  seine  Romanhelden  im  Jünglingsalter,  wo  die 
Unschuld  und  Reinheit  der  Mcnschenseele  noch  unbe- 
fleckt in  ihrer  ursprünglichen  Schönheit  erscheine. ') 

Damit  hängt  wohl  die  übergrosse  Weichheit  der 
Gefühle,  ja  Tränenseligkeit  zusammen,  über  die  Jean 
Pauls  Menschen  in  reichem  Mass  verfügen.  Hypo- 
chonder und  hysterische  Frauen  finden  sich  bei  ihm 
und  auch  bei  Stifter  sehr  häufig.  Beispiele  für  jene  ent- 
halten »Die  unsichtbare  Loge«  und  »Der  Waldsteig«. 
Die  Frauengestalten  Stifters  tragen  noch  deutlicher  das 
Gepräge  Jean  Paul'scher  Empfindsamkeit  und  Aus- 
drucksblässe. Die  des  Augenlichts  beraubte  Liane  im 
»Titan«  ist  eine  Vorläuferin  des  blindgeborenen  Mäd- 
chens Ditha  in  Stifters  »Abdias«.  Beide  sind  gleichsam 
für  das  Erdenleben  nicht  geboren.  Eine  dunkle  Schwer- 
mut lastet  seit  der  Geburt  auf  ihrem  Dasein.  Das  Ge- 
schwisterpaar im  »Hochwald«  und  die  »Zwei  Schwe- 
stern« tragen  Spuren  davon  —  ihre  Kraft  ist  mehr 
passiv  als  aktiv.  Die  unglückliche  Künstlerin  in  Stifters 
»Kondor«  ist  ein  Epigonengebilde,  das  in  den  fassungs- 
losen und  tränenreichen,  einer  beglückenden  Ehe  gleich- 
falls unteilhaften  weiblichen  Wesen  bei  Jean  Paul  seine 
Muster  hat.  Wie  Julienne  im  Titan«  —  eine  Gestalt, 
die  in  ihrer  Verachtung  der  Ehe  und  den  Gesprächen, 
die  sie  darüber  mit  anderen  führt,  an  die  spätere 
»Vittoria  Accorombona«  Tiecks  erinnert  —  meint,  dass 
Liebe    ohne    Freiheit    und    aus    Pflicht    nichts    sei    als 


1)  Eichendorff  I,  93. 
Kosch,  Stifter. 


82 


Heuchelei  und  Hass,  verurteilt  auch  Albrecht  in  den 
»Feldblumen<  die  Ehe,  sobald  sie  Pflicht  ohne  Herzens- 
glut sei,  ihm  graut  vor  jenen  »Eheleuten,  die  mit  aus- 
geleerten Herzen  bloss  nebeneinander  leben,  bis  eines 
stirbt«  (I,  65),  und  er  tritt  für  Phantasie-Ehen  ein,  die 
der  Überschwenglichkeit  vollen  Raum  gewähren  und, 
im  Augenblick  des  Überdrusses  lösbar,  nur  eine  ange- 
nehme Erinnerung  zurücklassen. 

Einen  sentimentalen  Zug  verleugnet  Stifter  selbst 
in  den  Werken  seiner  Reifezeit  nicht.  Das  Weinen 
spielt  bei  seinen  Helden  eine  grosse  Rolle,  es  soll  nach 
Jean  Pauls  Vorbild  die  unermessliche  Grösse  des  Leids 
bekunden ;  leider  wenden  beide  dieses  äussere  Hilfs- 
mittel zur  Erzielung  eines  tieferen  Eindrucks  allzu 
häufig  an,  um  in  dem  modernen  Leser  einen  anderen 
als  den  Eindruck  der  Übertreibung  hervorrufen  zu 
können.  In  der  ersten  Fassung  \on  Stifters  »Kondor  ^ 
heisst  es  besonders  bezeichnend  für  den  Überschwang 
seines  jugendlichen  Gefühls  :  >Ein  Strom  heisser  Tränen 
brach  aus  den  schönen  Augen  —  aber  man  wusste 
nicht,  waren  es  Tränen  der  Reue  oder  Tränen  der  Sehn- 
sucht, die  über  den  atlantischen  Ozean  gingen,  wo  nun 
der  Künstler  weilt«  (I,  346).  Fast  grundlos  muss  einem 
jeden  der  Jammer  erscheinen,  mit  dem  Albrecht  in  den 
»Feldblumenc  seiner  Wehmut  stünnischen  Ausdruck  ver- 
leiht, da  er  aus  dem  Tanzsaal,  in  dem  er  die  Geliebte 
zurücklässt,  heraustritt:  »Unter  allen,  die  da  freudig  zu- 
sahen, ist  nur  ein  Herz,  mein  Herz  ist  es,  das  bitterlich 
weinen  möchte.  Sie  ist  der  unschuldige  Gegenstand, 
dass  eine  Empfindung  in  mir  emporschnellt,  ungeheuer, 
riesig,  wohl-  und  wehmütig,  verwaist  und  einsam  im 
Herzen  liegend«  (I,  87).  Im  »Katzensilber«  wieder  bleibt 
die  tiefe  Erschütterung  des  braunen  Mädchens,  das- 
schliesslich  für  immer  verschwindet,  gleichfalls  fast  gänz- 
lich unmoti\-iert.  Alle  merken  seine  Trauer,  die  Frau  des 
Hauses  fordert  es  auf,  für  immer  bei  ihnen  zu  bleiben. 


-     -^3     - 

>Rei  diesen  Worten  brach  das  Mädchen  in  ein  Schkichzen 
aus,    das  so   heftig-  war,    dass   es    dasselbe   erschütterte 
und   dass   es   schien,    als   müsse    es   ihm  das  Herz   zer- 
stossen.  Es  fiel  plötzlich  mit  dem  Anj^resicht  gegen  den 
Sand  nieder . . .    Da  es  nach  einem  Weilchen  die  Hand 
der  Frau  auf  seinen  dichten,  dunkeln,  schönen  Locken 
spürte,    die  dort  ruhte    und    freundlich  drückte,    sj)ran.L;- 
es  auf,  hob  die  Arme...  schlang  sie  fest  um  den  Nacken 
der  Frau . . .  und  weinte  fort,  dass  die  Tränen  über  die 
Wangen     der    Frau    herabflossen    und    ihr    Kleid     be- 
netzten . . .   Als  das  Mädchen  ihr  Haupt  zurückbog  und 
nach  dem  Vater  sah,  als  es  merkte,    dass  es  dieser  bei 
der  Hand    halte,    dass    er   aber   nicht   sprechen   könne, 
weil  seine  Augen  in  Wasser  schwammen :  da  konnte  es 
auch  nicht  mehr  sprechen;^  ')  ähnlich  masslos  und  tränen- 
reich ist  der  Gefühlsausbruch  Albanos  im  »Titan«,  der 
als  Beispiel    für   viele    ähnliche   Szenen    bei    Jean  Paul 
gelten  kann.     » >  Sie  ist  nun  gestorben,  Vater,  <  sagt'  er 
erstickt,    imd   nun   zerriss   sein  Schmerz   am  Vater  wie 
ein  Gewölke  am  Himmel  in  eine  unaufhörliche  Träne  — 
sie  strömte  fort,    als  wollte  sich  die  innerste  Seele  ver- 
bluten   aus    allen     offnen   Adern    —    aber    das  Weinen 
wühlte    nur    die  Adern    auf   wie    ein  Wolkenbruch    ein 
Schlachtfeld,    er   wurde  trostloser  und  ungestümer  und 
wiederholte  dumpf  das  alte  Wort«  (XVI,  231). 

Keine  allgemeinen  Typen,  sondern  nur  die  Eigen- 
art menschlicher  Charaktere  sucht  Stifter  zu  zeichnen. 
Merkwürdig  ist  die  Vorliebe  vieler  seiner  Helden  für 
die  Einsamkeit.  Des  ^Abdias«  verlassene  Gattin,  er 
selbst  nach  dem  Tode  seines  einzigen  Kindes,  die  zwei 
Schwestern  im  »Hochwald«,  Cöleste  im  »Alten  Siegel« 
sind  solche  Gestalten  voll  innerer  Lebenserfahrung  und 
Zurückgezogenheit,  der  Marquisin  in  Tiecks  »Tod  des 
Dichters«    vergleichbar,    welche    die   Einsamkeit    liebt. 


I)  Stifters  Werke,  Volksausgabe  III,  112. 

6* 


—     84    — 

weil  sie  ihr  eine  liebe  Gespielin,  eine  Freundin  sei. 
Nicht  alle  Menschen  verstünden  mit  ihr  zu  leben,  die 
Unwürdigsten  am  wenigsten.  Und  wenn  der  Oraf 
Christophoro  in  derselben  Novelle  die  Ansicht  aus- 
spricht: »Nicht  bloss  der  ist  Held,  der  Schlachten 
schlägt  und  den  Feind  besiegte  (III,  358),  und  dann  zu 
einem  solchen  sagt:  »So  standest  du  in  deiner  innersten 
Kraft  unberührt,  in  deiner  Ruhe  und  Seelenstärke  er- 
haben, wenn  deine  Freunde  gering,  dein  verfolgender 
Dämon  armselig  erschien.  So  warst  du  ein  echter  Held 
und  einer  der  grössten,  den  die  Welt  sah,«  da  ist  es 
immer  der  Dichter  selbst,  der  auf  diese  Weise  seine 
eigene  Meinung  kundtut.  Solche  Charaktere  durchaus 
verinnerlichter  Helden  sind  bei  Stifter  sehr  häufig:  der 
Maler  im  »Kondor«,  Felix  in  der  zweiten  Fassung  des 
Heidedorfs«,  Hugo  im  »Alten  Siegel«  erschöpfen  ihre 
Reihe  nicht.  Schon  aus  diesen  Beispielen  ersehen  wir, 
dass  die  menschliche  Eigenart  nicht  erst  Stifter,  son- 
dern bereits  auch  die  Novellisten  der  Romantik  beson- 
ders zur  Darstellung  reizte.  Je  extremer  ein  Charakter 
zu  sein  schien,  desto  liebevoller  wurde  er  behandelt. 

Um  nun  von  der  häufigsten  menschlichen  Ab- 
normalität,  dem  Typus  des  Sonderlings,  auszugehen,  sei 
vor  allem  auf  die  vorbildliche  Ähnlichkeit  des  Pere- 
grinus  Tyss  in  Hoffmanns  »Meister  Floh«  mit  Tiburius 
Kneigt  in  Stifters  »Waldsteig«  hingewiesen.  Die  Ten- 
denz der  beiden  Erzählungen  ist  gleich  :  ihre  menschen- 
scheuen Helden  werden  durch  die  Liebe  dem  Leben 
wiedergewonnen. 

Den  seltenen  Namen  Peregrinus  ersetzt  Stifter  durch 
den  gänzlich  ungebräuchlichen  und  absonderlichen  Namen 
Tiburius.  Bei  beiden  ist  der  Vater  ein  reicher  Kaufmann. 
Sowohl  Peregrinus  wieTiburius  wachsen  ohne  Geschwister 
auf  und  sind  schon  in  ihrer  frühesten  Jugend  wunderliche 
Käuze,  gar  nicht  so,  wie  andere  Kinder.  Der  kleine 
Tyss   scheint   eine  leblose  Puppe   zu  sein,   bis   er  eines 


-     B5     - 

Tages  einen  hasslichen  Harlekin  bekommt.  Da  endlich 
verzieht  sich  sein  Mund  zum  sanften  Lächeln,  er  drückt 
das  Ding  zärtlich  an  sich,  tnid  Verstand  und  Empfin- 
dung scheinen  im  Knaben  zu  erwachen.  Ähnlich  be- 
nimmt sich  der  junge  Kneigt,  kein  Spielzeug  vermag 
ihn  zu  fesseln,  niemand  kann  sein  seltsames  Wesen  be- 
greifen. Auch  er  hat  mehr  eine  Mädchennatur,  die  sich 
darin  äussert,  dass  er  allemal  den  Stiefelknecht  seines 
Vaters  nimmt,  ihn  in  Windeln  wickelt  und  liebkost. 
Als  die  Zeit  zum  Lernen  kommt,  zeigt  sich  von  neuem 
die  sonderbare  Eigenart  der  beiden  Jungen.  Hofmeister 
unterrichten  sie  mit  schwerer  Mühe.  Bei  Peregrinus  ist 
»an  ein  eigentliches,  systematisches  Lernen  gar  nicht  zu 
denken«  (XIV,  13),  Tiburius  wieder  hasst  alle  Wissen- 
schaft und  alles  Lernen  überhaupt.  Beide  sind  Träumer, 
jedes  praktischen  vSinnes  bar;  auch  in  der  Fremde, 
Tyss  auf  Reisen,  Kneigt  bei  seinem  Oheim,  bleiben 
sie  die  alten,  unverständlichen  Naturen.  Nacheinander 
sterben  j)lötzlich  beiden  die  Eltern.  Dadurch  werden 
Peregrinus  und  Tiburius  sehr  begütert,  viele  Mädchen 
wünschen  sich,  die  Ehe  mit  ihnen  einzugehen,  doch 
beide  sind  in  höchstem  Grade  weiberscheu.  Sie  ziehen 
sich  mm  erst  recht  ziirück  und  führen  einen  äusserst 
reichen,  aber  ebenso  wunderlichen  Haushalt.  Erst  durch 
die  Liebe,  zu  der  sie  zufällig  gelangen,  werden  sie 
brauchbare  Menschen. 

Eine  ähnliche  Figur  wie  Tiburius  Kneigt  in  Stif- 
ters »W^aldsteig«  bildet  »Der  Gelehrte«  Tiecks.  Ein 
Vergleich  zeigt,  dass  der  genannte  Sonderling  auch  mit 
diesem  Sprossen  der  Romantik  wesensverwandt  sei.  Als 
ungesellige  Hypochonder  fühlen  sich  beide  allen  ärzt- 
lichen Ratschlägen  zum  Trotz  in  der  Stubenluft  wohler 
als  in  Gottes  freier  Natur.  Beide  sind  innerlich  nicht 
krank,  doch  klagen  sie  beständig  über  Mangel  an  Ge- 
sundheit, ohne  Hilfe  zu  finden,  bis  ihnen  von  einem 
befreundeten  Arzt  als  bestes  Heilmittel  für  ihre  Grillen 


—    86     — 

die  Ehe  empfohlen  wird.  Durch  Zufall  lernt  der  Ge- 
lehrte seine  künftige  Gattin,  ein  von  der  überfeinerten 
Kultur  unberührtes,  jugendfrisches  Mädchen  kennen,  das 
er  schon  früher  in  einem  Traumbild  im  Wald  gesehen 
hat.  Bei  Stifter  findet  der  hypochondrische  Sonderling 
seine  Braut  gleichfalls  zufällig,  u.  zw.  auf  einem  ein- 
samen Waldsteig. 

Eine  andere  harmlose  Abnormität  vertritt  der 
exzentrische  Bilderliebhaber  in  Tiecks  -Gemälden«,  der 
um  den  Preis  einer  Bereicherung  seiner  Bildersammlung 
bereit  ist,  die  einzige  Tochter  zu  verheiraten.  DerlMaler 
Roderich  in  Stifters  »Nachkommenschaften«,  der  sein 
Künstlergut  mit  einem  eigenen  Apparat  eiserner  Ver- 
schlüsse absperrt,  damit  niemand  seine  Werke  sehen 
könne,  und  durch  sein  weltscheues  Wesen  die  Hoch- 
achtung eines  ähnlich  gearteten  Sonderlings  erwirbt, 
dessen  Eidam  er  wird,  ist  eine  ebenso  wunderliche  Er- 
scheinung. In  Tiecks  Novelle  »Der  Alte  vom  Berge« 
wird  uns  wieder  ein  grundsätzlicher  Menschenfeind  vor- 
geführt, der  aber  in  der  Tat  ein  Menschenfreund  ist 
und  an  einem  Jüngling,  den  er  immer  mehr  in  sein 
Vertrauen  zieht,  seine  Erziehungskünste  aufwendet. 
T^asselbe  tut  der  »Hagestolz«  mit  seinem  Neffen.  Beide 
Greise  hat  getäuschte  Jugendliebe  zu  verbitterten  Son- 
derlingen gemacht,  nachdem  ihre  Geliebten  von  Ver- 
wandten waren  weggeheiratet  worden.  Und  doch  sehnen 
sie  sich  darnach,  ihre  scheinbar  kalten,  innerlich  aber 
nach  reiner  Liebe  verlangenden  Herzen  an  dem  Sonnen- 
glanz der  in  ihrer  Nähe  weilenden  Jugend  zu  erwärmen. 
Schliesslich  versöhnen  sich  die  beiden  mit  dem  Leben, 
und  ihr  reiches  Vermögen  verhilft  den  jungen  Paaren 
zur  Ehe. 

Der  Typus  des  Hagestolzen  findet  sich  übrigens 
auch  schon  bei  Hoffmann  als  Pasquale  Capuzzi  in 
»Signore  Formica«.  Wie  der  »Hagestolz«  bei  Stifter 
die  Neigung    imd    dauernde  Gesellschaft   seines  Neffen 


-   87   - 

zu  erzwingen  sucht,  trachtet  dieser  vergrämte  Jung- 
geselle die  Liebe  seines  Mündels  gewaltsam  zu  ge- 
winnen. 

Die  dunklen  Beziehungen  der  menschlichen  vSeele 
zum  Körper  bilden  das  eigentliche  Gebiet  des  Magne- 
tismus, der  zur  Zeit  der  Romantik,  mit  einem  wissen- 
schaftlichen Nimbus  versehen,  alle  Kreise  zu  berücken 
wusste  und  seinen  Niederschlag  auch  in  der  Dichtung 
hatte.  Hoff  mann  bringt  in  den  vSerapionsbrüdern"^  eine 
ganze  Diskussion  über  diesen  Gegenstand.  Seine  No- 
velle 'Der  Magnetiseur«  ist  der  gleichen  Ideenwelt 
entnonnnen.  In  ähnlicher  Weise  behan'delt  Tieck  im 
»Schutzgeist«  das  Problem  der  übernatürlichen,  verbor- 
genen Einflüsse  auf  den  irdischen  Menschen.  Eine  hell- 
seherische Gräfin  unterhält  sich  mit  ihrem  Geistlichen 
über  die  erlaubte  Seite  der  Mystik  und  des  Wunder- 
glaubens, die  das  Geheimnisvolle  des  Unendlichen  dem 
beschränkten  Menschenverstand  näher  zu  bringen  be- 
müht ist.  Am  meisten  ausgebildet  erscheint  jene  Rich- 
tung in  dem  Spätromantiker  Justinus  Kerner,  dessen 
magisches  Werk  »Die  Seherin  von  Prevorst«  die  wun- 
derlichsten Elemente  der  Dichtkunst,  Philosophie  und 
Medizin  durcheinandermischt. 

Auch  hierin  weist  Stifter  einen  der  Romantik  ver- 
wandten Zug  auf,  indem  er  z.  B.  in  der  :  Brigitta<  von 
dem  Gutsherrn  erzählt,  er  habe  in  einem  bestimmten 
Fall,  wie  die  Leute  sagten,  die  Heilkraft  des  Magne- 
tismus angewendet  und  in  der  Einleitung  zu  derselben 
Novelle  über  die  dunkeln  Dinge  und  Beziehungen  im 
menschlichen  Leben  eine  längere,  in  der  zweiten  Fassung 
freilich  gekürzte,  Betrachtung  anstellt. 

Es  ist  bezeichnend,  wie  sehr  vor  allem  der  junge 
Stifter  sich  in  seinem  Element  zu  fühlen  scheint,  wenn 
er  es  mit  den  Nachtseiten  der  seelischen  Empfindungen 
zu  tun  hat.  Das  geheimnisvolle  Spiel  mit  dem  unab- 
wendbaren Schicksal    eines  Geschlechts    oder  einer  be- 


—    88    — 

stimmten  Person  war  in  der  Literatur  seit  Schillers 
»Braut  von  Messina<  und  Jean  Pauls  Titan«  (wo 
Roquairol  die  dunkle  vernichtende  Gewalt  des  Fatums, 
der  die  menschliche  Kraft  nicht  zu  widerstehen  vermag, 
darstellt)  oft  genug;  \'on  neuem  aufgetaucht.  Auch  in 
Stifters  Dichtungen  kehrt  diese  Lieblingsneigung  der 
Romantik  wieder. 

Ein  unnatürlicher  Bann  bedingt  den  Verfall  der 
Schamarsts  in  Stifters  >Narrenburg< .  Der  Ahnherr  des 
Hauses  hat  den  Besitz  des  Gutes  testamentarisch  an 
die  Ablegung  und  Erfüllung  eines  doppelten  Schwures 
geknüpft,  dass  sich  nämlich  jeder  Erbe  verpflichte,  seine 
Lebensgeschichte  eigenhändig  aufzuzeichnen,  ohne 
irgend  ein  nennenswertes  Ereignis  zu  unterdrücken; 
ferner  sämtliche  vorhandenen  Biographien  der  Vor- 
gänger zu  lesen  und  aufzubewahren.  Dies  alles  sollte 
für  die  Nachkommen  eine  Art  Erziehungsmittel  be- 
deuten, um  sie  durch  die  Erkenntnis  der  Fehler  ihrer 
Vorfahren  stets  zu  veredeln.  Allein  das  Gegenteil  trifft 
ein,  da  die  Jüngeren  von  ihren  Ahnen  die  grössten 
Tollheiten  kennen  lernen  und  es  darin  noch  weiter 
bringen  als  jene  selbst. 

Die  darauf  bezügliche  Stelle  aus  der  ersten  Fas- 
sung: »Aber  rollen  muss  das  ungeheure,  das  unenthüll- 
bare,  das  unerbittliche  Schicksal« ')  fehlt  bezeichnender- 
weise in  der  zweiten  gänzlich.  Die  Burg  verfällt.  Das 
Geschlecht  gerät  in  Vergessenheit.  Sein  letzter  Spross 
ist  aus  engen  bürgerlichen  Verhältnissen  hervorgegangen 
und  kommt  zufällig  zu  dem  ihm  unbekannten,  ver- 
witterten Haus  seiner  Ahnen,  von  denen  er  gleichfalls 
nichts  mehr  weiss;  aus  dem  Archiv  erfährt  er  nun, 
dass  er  der  rechtmässige  Besitzer  der  Burg  sei,  wo- 
durch er  in  die  Lage  versetzt  wird,  eine  glückliche  Ehe 
einzugehen.     Den    gleichen  günstigen  Abschluss   findet 

I)  Iris  1843.  337- 


-    89    - 

die  >> Klausenburg«,  mit  der  sich  Tieck,  wie  beispiels- 
weise im  >Scluitzgeist«  und  im  »Weihnachtsabend«,  der 
Idee  der  Schicksalstragödie  bedenklich  nähert.  Durch 
die  vSchuld  des  Ahnherrn  liegt  ein  Fluch  auf  allen 
seinen  Nachkommen,  bis  der  letzte  durch  ein  zufälliges 
wunderbares  Ereignis  im  \erfallenen  Schloss  seines 
Hauses  die  Dokumente  erhält,  die  ihm  eine  reiche  Erb- 
schaft sichern.  Und  wie  in  der  »Narrenburg«,  so  wird 
auch  hier  aus  dem  infolge  seiner  Mittellosigkeit  ur- 
sprünglich unbeachteten  jungen  Mann  eine  überaus  ge- 
achtete Persönlichkeit.  Nebenbei  sei  darauf  hingewiesen, 
dass  eine  ähnliche  Situation,  wie  sie  die  von  leiden- 
schaftlichen Affekten  durchwühlte  Ehebruchsszene  in 
der  »Narrenburg«  bietet,  auch  in  Tiecks  Jugenddrama 
»Der  Abschied«  vorkommt.  »Es  ist,«  sagt  Hayni, 
»wesentlich  eine  Stimmungstragödie,  die  Luft  ist  schwül 
und  bang,  die  Beleuchtung  düster  und  grausig,  der 
zurückkehrende  Geliebte  vor  allem  ist  eine  düstere, 
hypochondrische  Natur.«  ') 

Das  Motiv  der  Ausführung  eines  unsinnigen  Te- 
staments findet  sich  übrigens  auch  in  der  1798  ver- 
öffentlichten Erzählung  »Tagebuchblätter«  von  Tieck. 
Ebenso  ähneln  die  in  der  Familie  des  »Blonden  Eck- 
berts« sich  planmässig  folgernden  Gräuel  der  wild- 
phantastischen Tragödie  des  Geschlechts  auf  der  »Narren- 
burg«. In  Stifters  »Nachkommenschaften«,  seinem  »Kuss 
von  Sentze«  und  »Frommen  Spruch«  werden  gleichfalls 
Motive  der  Vererbungstheorie  entlehnt,  die  geeignet 
sind,  den  natürlichen  Gang  der  Handlung  zu  beein- 
flussen. Geschlechtliche  Verirrungen,  die  in  unerbitt- 
licher Konsequenz  ihr  Opfer  heischen,  eignen  bereits 
Hoffmanns  traditionellen  Familiengeschichten.  Jener 
hypernaturalistische  Zug,  den  Tieck  im  »Blonden  Eck- 


1)    R.  Hayni,    Die    romantische  Schule.     Ein  Beitrag-    zur 
Geschichte  des  deutschen  Geistes.     1870,  38. 


—    90    — 

bert«  wirksam  macht,  Hoffmann  etwa  in  den  ■> Elixieren 
des  Teufels«  ausgestaltet  und  Stifter  in  der  »Narren- 
burg« mehr  zum  Seltsamen,  aber  trotzdem  noch  natür- 
lich Möglichen  zurückentwickelt,  bildet  eine  genetisch 
interessante  Kette  in  dem  Darstellungsinhalt  der  Nacht- 
seiten des  menschlichen  Lebens. 

Wie  sehr  übrigens  einerseits  Hoffmanns  Geister- 
spuk, gepaart  mit  glühendster  Sinnlichkeit,  auf  den 
jungen  Stifter  eingewirkt  haben  muss,  andererseits  aber 
der  ältere  Stifter,  wohl  im  Bewusstsein  dieser  Beein- 
flussung, klarer  und  selbständiger  zu  werden  sucht,  in- 
dem er  hyperromantische  Überbleibsel  jener  Art  nach 
Möglichkeit  abstreift,  zeigt  ein  Vergleich  der  ersten  mit 
der  zweiten  Fassung  des    > Alten  Siegels  < . 

In  der  ersten  Fassung  lautet  eine  charakteristische 
Stelle:  »Wenn  er  (Hugo)  zu  Hause  sass,  war  alles  schal 
und  elend,  zitternd  wartete  er  auf  den  Glockenschlag, 
zitternd  stieg  er  die  Treppe  hinauf,  und  zitternd  schloss 
er  sie  (Cöleste)  in  die  Arme  —  ach !  sie  war  so  schön, 
ihre  Stimme  bebte  durch  seine  Nerven,  und  wenn  er 
durch  die  zarte  seidene  Umhüllung  ihre  Glieder  fühlte, 

so  floss  es  wie  ein  Wunder  durch  sein  Leben  — 

er  begriff  es  nicht,  es  war,  als  eilte  etwas  mit  ihm  fort, 
-aber  auch  immer  höher  stieg  die  Unruhe,  immer  dunkler 
die  Angst,  gegen  die  er  rang;  oft  war  ihm,  als  müsse 
plötzlich  ein  Tränenstrom  kommen  und  der  ganze  Spuk 
vorüber  sein.  Er  dachte  manchmal  wieder,  sie  sei  wahn- 
sinnig; ja  es  zuckte  sogar  einmal  der  tolle  Gedanke 
auf,  er  liebe  eine  längst  Abgeschiedene,  die  nur  ihren 
Leib,  nicht  ihre  Tracht  verjüngen  konnte,  mit  der  sie 
vor  dem  Altar  des  Herrn  knien  musste.  Auch  fielen 
ihm  endlich  Dinge  seltsamer  Art  auf :  die  Stickerei  am 
Rahmen  schritt  nicht  ^'orwärts.  —  Nachts,  wenn  ihn 
die  Unstetigkeit  trieb  und  er  an  ihrem  Fenster  vor- 
überging, sah  er  nie  ein  Licht  in  den  Fenstern  —  alles 
in  der  Wohnunsr  las:  immer  an  demselben  Platze  —  nie 


—     Ol     — 

hatte  er  Rauch  aufsteigen  oder  Küchenfeuer  gesehen, 
als  bedürfe  sie  nicht  irdischer  Nahrung  —  oft  war  eine 
Luft  drinnen,  nicht  wie  die  der  WohnHchkeit,  sondern 
wie  in  verschlossenen,  verschollenen  Ritterschlössern  — 
von  Dienern  sah  er  nur  das  gespenstige  weisse  Mäd- 
chen und  im  Stübchen  des  Erdgeschosses  einen  alten 
widrigen  Mann.«  ') 

Von  der  stark  sinnlichen  Lust,  dem  Eindruck  eines 
Spuks,  dem  Gedanken  an  eine  Wahnsinnige  oder  Ab- 
geschiedene, an  verschlossene,  verschollene  Ritterschlösser 
ist  nun  in  der  zweiten  Fassung  des  > Alten  Siegels« 
nirgends  mehr  die  Rede.  Jenes  »gespenstige,  weisse 
Mädchen«  ist  hier  bloss  ein  »Mädchen,  welches  sonst 
in  grauer  Kleidung  der  Gebieterin  aus  der  Kirche  ore- 
folgt  war.<-)  Der  Alte,  den  Hugo  als  Boten  Cölestens 
kennen  gelernt  hat,  wird  an  einer  späteren  Stelle  der 
ersten  Fassung  als  wahnsinniger  Greis  bezeichnet,  in 
der  zweiten  wird  von  Wahnsinn  nicht  einmal  andeu- 
tungsweise gesprochen.  Auch  in  der  »Narrenburg«  ist 
der  Diener  irrsinnig.  Diese  Figur  stammt  zweifellos  von 
Hoffmann,  wie  überhaupt  die  ganze  Novelle  von  Hoff- 
manns »Majorat«  beeinflusst  erscheint.  In  beiden  Er- 
zählungen bildet  die  Durchführung  eines  fatalistischen 
Prinzips  die  Grundlage.  Wunderliche  Ahnen,  eine  ge- 
heinmisvolle,  halbzerfallene  Burg,  eine  verführerische 
Gutsfrau,  ein  feindliches  Brüderpaar,  die  sträfliche  Nei- 
gung des  einen  zur  Gattin  des  andern,  ein  wahnsinniger 
Kastellan  sind  beiden  gemeinsam.  Hier  wie  dort  wird 
der  bürgerliche  letzte  Sprosse  des  Hauses  unerwartet 
in  die  Kenntnis  seiner  Abkunft  gesetzt  und  erhält  das 
Erbe  seiner  vornehmen  Ahnen.  Im  »Majorat«  klärt 
schliesslich  eine  schwarze  Mappe  alles  auf,  mit  ihr 
kontrastiert  das  g-eheime  Archiv  auf  der  ^Narrenbure«. 


1)  Novellen-Almanach  1S44.  149. 

-}  Stifters  Werke.  Volksausgabe  II,  105. 


—  92   — 

Die  Vorliebe  eines  Ahnherrn  für  die  Sternkunde, 
das  astronomische  Zimmer,  der  astronomische  Turm, 
die  Teleskope,  Quadranten,  Globen  und  Nachtspieg-el 
im  Majorat«  finden  sich  beiläufig  auch  in  Stifters  Er- 
zählung »Prokopus«  wieder,  deren  Titelheld  ein  Mit- 
glied des  Geschlechts  auf  der  »Narrenburg«  ist.  Drei 
Tage,  nachdem  er  die  geheimnisvollen  Worte  »Zirkel- 
odem der  Sterne«  ')  in  seine  Biographie  geschrieben, 
stirbt  dieser  mystische  Sonderling. 

Hier  sei  auch  an  den  wunderlichen  Schlossherrn 
in  Stifters  Bergmilch«  erinnert,  dessen  Einbildungs- 
kraft »sich  in  struppigen,  wirren  und  zackigen  Dingen 
Luft«'')  macht,  so  dass  er  Dinge  sagt,  die  niemand  ver- 
steht, und  der  einmal  in  Gesellschaft  vieler  Menschen 
durch  seine  Reden  und  Wortsprünge  so  lächerlich«') 
erscheint,  dass  er  am  andern  Tage  von  der  eigenen 
Braut  sich  loszusagen  gedrängt  sieht.  Solche  Menschen, 
die,  ohne  ihrer  Sinne  völlig  oder  auch  nur  teilweise  be- 
raubt zu  sein,  doch  eine  gewisse  Abnormalität  zur  Schau 
tragen,  zeichnet  Hoffniann  gerne.  Ein  Beispiel  ist 
Hermogen  auf  dem  Schloss  zu  B.  in  den  »Elixieren 
des  Teufels«. 

Die  wahnsinnigen  Gestalten  Stifters  fallen  minder 
auf  als  die  Hoffmanns,  sie  sind  massvoller  aufgefasst 
und  weniger  exzentrisch  gezeichnet,  jedenfalls  lässt  sich 
aber  auch  aus  Stifters  geistig  zerrütteten  Charakteren 
eine  ganze  Galerie  zusammenstellen.^) 

Der  Figur  des  wahnsinnigen  Pförtners,  die  Stifter 
einigemal   verwendet,   wurde    bereits    gedacht.     Einige 


1)  Stifters  Werke,  Volksausgabe  IV.  51. 

2)  Ebd.  III,  216. 

3)  Ebd.  III,  217. 

')  Bei  Jean  Paul  (Schoppe  im  »Titan«,  der  Wahnsinnige 
im  »Hesperus«)  undTieck  (>Der  blonde  Eckbert«,  das  Waldweil 
im  ^^Hexensabbat<,  Ophelia  in  der  Jugenderzählung  Die  Rei- 
senden«) kommen  solche  Gestalten  zwar  auch,  aber  mehr  ver- 
einzelt vor. 


—    93     — 

andere  Typen  seien  hier  angereiht.  Das  blöde  Mädchen 
im  »Turmalinv ,  vom  wunderlichen  Vater  in  einem  stillen, 
düstern  Hause  eingeschlossen,  erinnert  an  Ophelia  in 
Hoffmanns  »Sandmann«,  nur  stellt  sich  bei  dieser  am 
Ende  heraus,  dass  sie  bloss  eine  Puppe  ist.  Das  irr- 
sinnige Flötenspiel  des  Vaters,  eines  geheimnisvollen, 
einsamen  Hausbesorgers,  hat  seine  Parallelen  bei  Hoff- 
niann,  der  überhaupt  närrische  Musik  und  Musiker 
liebt.  »Rat  Krespeh-,  »Ritter  Gluck«,  vor  allem  aber 
^Kapellmeister  Kreisler«  sind  Beispiele  dafür. 

Die  blödsinnige  Grossmutter  im  »Heidedorf«  mit 
ihrem  visionär  prophetischen  Gebaren ')  —  bei  Hoff- 
mann sei  auf  die  wunderlichen  Reden  der  Alten  in  der 
Novelle  »Doge  und  Dogaressa«  verwiesen,  »die  sie  mit 
ganz  seltsamer,  fremder  Stimme  unter  beständigem 
Kichern  hermurmelte;  (H,  139)  —  ebenso  die  tolle 
Ahne  mit  dem  wilden,  braunen  Mädchen  in  Stifters 
» Waldbrunnen <  erinnern  an  Figuren  Hoffmanns.  Die 
sonderbare  Erscheinung  der  Zigeunerin  in  derselben 
l^rzählung  gestattet  einen  noch  deutlicheren  Hinweis, 
u.  zw.  auf  eine  Stelle  im  > Kater  Murr«,  wo  gleichfalls 
eine  Zigeunerin  vorkommt:  »Chiara  und  ihre  alte  Gross- 
mutter fingen  an  zu  heulen  und  zu  schreien  und  wollten 
sich  nicht  trennen«  (XI,  180).  Auch  die  kleine  Juliane 
im  »Waldbrunnen«  vermag  ihre  Ahne  um  keinen  Preis 
zu  verlassen. 

Hoffmann  begnügt  sich  nicht,  in  der  Darstellung 
des  Wahnsinnigen  und  Seltsamen  bloss  die  innere  Seite 
zu  erfassen,  die  zerrüttete,  geheimnisvolle  Seele  muss 
auch  in  einem  wunderlichen  Körper  wohnen,  sogar  die 
Kleidung   sticht  von  der  normaler  Menschen  völlig  ab. 


1)  Einen  ähnlichen  Typus  stellt  die  wunderliche  Gross- 
mutter  in  Cl.  Brentanos  »Geschichte  vom  braven  Kasperl  und 
dem  schönen  Annerl«  dar.  Doch  dürfte  die  Annahme  einer 
besonderen  Beeinflussung  Stifters  durch  Brentano  gewagt  er- 
scheinen. 


—     94     - 

Dieselbe  Absicht,  den  mystischen,  grauenvollen  Ein- 
druck, den  solche  Personen  machen,  auch  äusserlicli 
wirksam  zu  gestalten,  führt  Stifter  durch,  indem  er 
z.  B.  im  Turmalin«  das  blöde  Mädchen  und  ihren 
Vater  folgendermassen  schildert :  Ein  Mann  .  .  .  mit 
einem  dünnen,  gelben  Moldonröckchen,  blassblauen 
Beinkleidern,  grossen  Schuhen  und  einem  kleinen, 
runden  Hütchen  angetan,  ging  auf  der  Strasse  dahin; 
er  führte  ein  Mädchen,  das  ebenso  seltsam  gekleidet 
war  in  einen  braunen  Überwurf,  der  ihr  fast  wie  eine 
Toofa  um  die  Schultern  lag.  Das  Mädchen  aber  hatte 
einen  so  grossen  Kopf,  dass  es  zum  Erschrecken  ge- 
reichte, und  dass  man  immer  nach  demselben  hinsah.«  ') 
Der  tolle  Coppelius  im  Sandmann«  »mit  unförmig 
dickem  Kopf«  und  ähnliche  Figuren  Hoffmanns  mögen 
vorbildlich  gewesen  sein.  Coppelius  erschien  immer  in 
einem  altmodisch  zugeschnittenen  aschgrauen  Rocke, 
ebensolcher  Weste  und  gleichen  Beinkleidern,  aber  dazu 
schwarze  Strümpfe  und  Schuhe  mit  kleinen  Bein- 
schnallen <  (VH,  7).  Stifter  wieder  schildert  die  Klei- 
dung der  wahnsinnigen  Grossmutter  im  »Waldbrunnen«; 
also:  »Das  alte  Weib  hatte  einen  roten  Latz,  einen  zer- 
rissenen grünen  Rock  und  ein  Linnenhemd  um  Schulter 
und  Hals,  das  aus  Alter  grau  war  ...  in  den  weissen 
Haaren  hatte  das  alte  Weib  auch  Blumen,  gefärbte 
Papierstreifen,  einen  Büschel  Hahnenfedern,  und  es  hing 
das  rosenrote  Seidenband  von  den  Haaren  hernieder, 
das  der  alte  Stephan  dem  wilden  Mädchen  gegeben 
hatte.«-) 

Von  den  Papieren  des  blöden  Kindes  im  Tur- 
malin« berichtet  der  Erzähler:  Ich  würde  sie  Dich- 
tungen nennen,  wenn  Gedanken  in  ihnen  gewesen 
wären    oder   wenn  man  Grund,    L^rsprung  und  Verlauf 


1)  Stifters  Werke,  Volksausgabe  III,  94. 
■"-)  Ebd.  IV,  94. 


—  95   — 

des  Ausj^esprocheiicn  hätte  enträtseln  können  .  .  .  Der 
Ausdruck  war  klar  und  bündig,  die  Worte,  obwohl 
sinnlos,  waren  erhaben.«")  Die  ^Kreisleriana«  Hoff- 
manns, aus  den  Papieren  des  tollen  Kapellmeisters  zu- 
sammengestellt, bilden  dazu  ein  Seitenstück. 

Gleichfalls  romantisch  ist  die  Auffassung,  die  den 
Leib  des  ^Menschen  mit  geheimnisvollen  Naturvorgängen 
in  eine  ebensolche  geheimnisvolle  Beziehung  setzt.  Ditha 
im  >Abdias  ,  von  der  ein  merkwürdiges  Leuchten  aus- 
geht, die  durch  einen  Blitz  ihr  Augenlicht  erhält  und 
durch  einen  Blitz  getötet  wird,  bringt  uns  Nikolaus 
aus  Jean  Pauls  >Kometen^  in  Erinnerung.  Der  Heiligen- 
schein, der  sich  im  Zustande  der  Erregung  um  Niko- 
laus' Haupt  ausbreitet,  wird  von  Jean  Paul  mit  einem 
physikalischen  Vorgang  in  Zusammenhang  gebracht, 
u.  zw.  mit  dem  elektrischen  Schimmer  des  Menschen, 
nur  vollziehe  sich  bei  Nikolaus  das  elektrische  Laden 
und  Ausstrahlen  ohne  direkten  Anlass. 

Die  Romantik  liebte  jedoch  nicht  bloss  das  Ab- 
sonderliche und  Wunderbare  im  Menschen,  sondern 
suchte  auch  die  Tiei^velt  mit  einem  übernatürlichen, 
in  diesem  Fall  menschlichen  Element  zu  beseelen.  Der 
romantische  Philosoph  Gotthilf  Schubert  schreibt  dem 
Tier  eine  unsterbliche  Seele  zu,  Kerners  »Seherin  von 
Prevorst'  erblickt  im  rechten  Auge  der  Tiere  ein  blaues 
Flämmchen,  nach  ihrer  Meinung  das  Unsterbliche  der- 
selben,-') Hoffmann  vermenschlicht  sie  vollends.  Es  ist 
das  eine  Eigentümlichkeit,  die  auf  die  Tierfabel  zurück- 
zuführen ist,  und  die  auch,  das  Volksmärchen  mit  ihr 
gemeinsam  hat.  Vor  allem  >  Kater  Murr«  —  Tiecks 
»Gestiefelter  Kater«  wird  darin  ausdrücklich  erwähnt; 
als  Zwischenglied  gehört  er  in  diese  Entwicklungsreihe 
—   und    der   redende   Hund   Bersfanza   der    »Phantasie- 


-)  Stifters  Werke,  Volksausgabe  III,  104. 
=>)    Vgl.  Ricarda  Huch,    Ausbreitung  und  Verfall   der  Ro- 
mantik.    1902,  126. 


-   96   - 

stücke    in    Callots    Manier«    nach    Cervantes'    Vorgang 
liaben  wohl  auf  Stifter  eingewirkt. 

Im  »Kondor«  unterhält  sich  der  Held  mit  seinem 
»alten  Spiel-  und  Stubengenossen«,  dem  Kater  Hinze, 
:>er  aber,«  heisst  es  darin,  >drehte  seine  Augen,  als  ver- 
stände er  meine  Rede,  noch  einmal  so  gross  und 
noch  einmal  so  freundlich  gegen  mich«  (I,  12).  Die 
ganze  Mondnachtszenerie  ist  hier  dieselbe  wie  im 
>Kater  Murr«.  Die  gleiche  magische  Stimmung 
strömt  durch  Licht  und  Luft.  »Über  mir,<  lautet 
die  entsprechende  Stelle  bei  Hoff  mann,  »wölbt  sich' 
der  weite  Sternenhimmel,  der  Vollmond  wirft  seine 
funkelnden  Strahlen  herab,  und  im  feurigen  Silberglanz 
stellen  Dächer  und  Türme  um  mich  her.  Mehr  und 
raehr  verbraust  das  lärmende  Gewühl  unter  mir  in  den 
Strassen,  stiller  und  stiller  wird  die  Nacht  —  die 
Wolken  ziehen  .  .  .«  (XI,  10),  und  bei  Stifter:  >Der 
Mond  hatte  sich  endlich  von  den  Dächern  gelöset  und 
stand  hoch  im  Blau  —  ein  Glänzen  und  ein  Flimmern 
und  ein  Leuchten  durch  den  ganzen  Himmel  begann, 
durch  alle  Wolken  schoss  Silber,  von  allen  Blechdächern 
rannen  breite  Ströme  desselben  nieder,  und  an  die 
Blitzableiter,  Dachspitzen  und  Turmkreuze  waren  Funken 
geschleudert.  Ein  feiner  Silberrauch  ging  über  die 
Dächer  der  weiten  Stadt  .  .  .<  (I,  13).  Sinnend  und 
spinnend  schreitet  Kater  Hinze  dahin  wie  bei  Hoffmann 
Kater  Murr. 

Interessant  ist  nun  festzustellen,  wie  sehr  sieb  der 
ältere  Stifter  auch  in  der  Behandlung  des  Tierproblems 
von  seinen  romantischen  Jugendansichten  zu  emanzi- 
pieren suchte.  Während  er  in  der  ersten  Fassung  des 
»Abdias«  etwa  nach  dem  Vorbild  Hoffmanns,  der  auch 
im  »Kater  Murr«  sprechende  Hunde  wie  den  Pudel 
Skaramuz  oder  den  Pudel  Ponto  einführt,  dem  getreuen 
Philo  Menschenverstand  zuspricht,  ist  davon  in  der 
zweiten  Fassung  nicht  mehr  die  Rede. 


VI.    Technik  und  Stil. 

Die  folgenden  Zeilen  wollen  nur  als  Ansätze  zu 
einer  umfassenden  Darstellung  von  Stifters  Stil  und 
Novellentechnik  im  Verhältnis  zur  romantischen  Dich- 
tung- angesehen  werden.  Denn  abgesehen  davon,  dass 
eine  solche  eingehende  Untersuchung  nicht  zu  der  ur- 
sprünglichen Aufgabe  des  vorliegenden,  eigentlich  stoff- 
geschichtlichen Themas  gehört,  es  fehlen  die  nötigsten 
Vorarbeiten.  Petris  >Drei  Kapitel  vom  romantischen 
Stil«  (Leipzig  1S78)  sind  bis  heute  weder  allgemein 
ergänzt,  noch  innerhalb  ihres  beschränkten  Umfangs 
vertieft  worden.  Einige  vorzügliche  Spezialarbeiten  ver- 
mögen diesen  Mangel  nur  teilweise  zu  ersetzen. 

Der  Name  Tieck  ist  mit  der  deutschen  Novellen- 
dichtung unlösbar  verknüpft.  Tieck  brach  ihr  Bahn 
für  eine  neue  Entwicklung  im  neunzehnten  Jahrhun- 
dert. Nicht  nur  praktisch,  sondern  auch  theoretisch 
suchte  er  die  Grundsätze  hiefür  festzulegen.  Im  11.  Band 
seiner  »Gesammelten  Schriften«  beschäftigt  er  sich  ein- 
gehend mit  der  Theorie  der  Novelle  :  -> Eine  Begegnung 
sollte  anders  vorgetragen  werden  als  eine  Erzählung, 
diese  sich  von  Geschichte  unterscheiden  und  die  No- 
velle sich  dadurch  aus  allen  andern  Aufgaben  hervor- 
heben, dass  sie  einen  grossen  oder  kleinen  Vorfall  ins 
rechte  Licht  setzt,  der,  so  leicht  er  sich  ereignen 
kann,  doch  wunderbar,  vielleicht  einzig  ist. 
Diese   Wendung   der  Geschichte,    dieser  Punkt, 

K  o  R  c  U    Stifter.  7 


-   98   - 

von  welchem  aus  sie  sich  unerwartet  umkehrt,  und 
doch  natürhch,  dem  Charakter  und  den  Umständen 
angemessen,  die  Folge  entwickelt,  wird  sich  der  Phan- 
tasie des  Lesers  umso  fester  einprägen,  als  die  Sache 
selbst  im  Wunderbaren  unter  andern  Umständen  wie- 
der alltäglich  sein  könnte  ...  Bizarr,  eigensinnig, 
phantastisch,  leicht  witzig,  geschwätzig  und  sich 
ganz  in  der  Darstellung  auch  von  Nebensachen  verlie- 
rend, tragisch  wie  komisch,  tiefsinnig  wie  neckisch,  alle 
diese  Farben  und  Charaktere  lässt  die  echte  Novelle  zu, 
nur  wird  sie  immer  jenen  sonderbaren,  auf- 
fallenden Wendepunkt  haben,  der  sie  von 
allen  anderen  Gattuno-en  der  Erzählunor  un- 
terscheidet<:  (Minor,  Akademische  Blätter  T,   135  ff.). 

Ähnlich  wie  Novalis  in  dem  Gewöhnlichsten  und 
Nächsten  das  Wunder,  im  Fremden  und  Übernatürlichen 
etwas  Gewöhnliches  zu  erblicken  gewohnt  ist,  hält  Tieck 
das  Gesetzmässige  in  der  Natur  für  die  wunderbarste 
Tatsache  und  ihre  Folgeerscheinungen  für  merkwürdige 
Ereignisse.  In  analoger  Weise  glaubt  auch  Stifter  in 
dem  Wehen  der  Luft,  dem  Rieseln  des  Wassers,  dem 
Wachsen  des  Getreides,  dem  Wogen  des  Meeres,  dem 
Grünen  der  Erde, ')  mit  einem  Wort :  in  dem  natür- 
lichen Gesetz  des  Uni\  ersums  in  Verbindung  mit  dem 
unabänderlichen  Sittenkanon  der  Menschheit,  nicht  in 
der  Ausnahme  des  xAussergewöhnlichen  das  Grosse  und 
Darstellungswerte  zu  erkennen.  Nichtsdestoweniger  ver- 
mögen die  Novellen  Stifters  gleich  denen  Tiecks,  wie 
bereits  gezeigt  wurde,  auf  die  Darstellung  des  Wunder- 
lichen und  Sonderbaren  nicht  immer  zu  verzichten.  Aus 
den  phantastischen  \'erirrungen  seiner  ersten  Schaffens- 
zeit musste  Tieck  zunächst  durch  die  Beschäftigung 
mit  dem  Drama  seinen  Blick  für  das  wirkliche  Leben 
schärfen,  ehe  er  zur  sicheren  Erkenntnis  des  Natürlichen 


')  Vgl.  die  Einleitung  zu  den  ;  Bunten  vSteinen: 


—    99   — 

gelangte;  Spuren  des  bizarren  Wesens  der  Frühroniantik 
blieben  jedoch  stets  in  ihm  zurück.  Stifter  wiederum, 
der  freilich  gleich  zu  Beginn  seines  dichterischen  vSchaf- 
fens  auf  dem  Boden  der  ihn  umgebenden  Wirklichkeit 
festen  Fuss  zu  fassen  vermochte,  hatte  in  seiner  Jugend 
viel  zu  viel  in  den  Büchern  der  Indianer-  und  Ritter- 
romantik gelesen  und  sich  dann  ebenso  gern  mit  E.  T. 
A.  Hoffmann  beschäftigt. 

So  ist  leicht  erklärlich,  dass  Stifter  auch  in  seiner 
Technik  mit  den  romantischen  Erzählern  mannigfache 
Berührungspunkte  aufweist. 

Von  Reiseerlebnissen  den  Gang  der  Handlung  ab- 
häno-io-  zu  machen  und  auf  diese  Weise  dem  merk- 
würdisfen  Zufall  Einlass  und  Raum  zu  gewähren,  liebt 
schon  Tieck.  Nicht  minder  gern  greift  Stifter  zu  die- 
sem gefälligen  und  wirkungsvollen  Aushilfsmittel,  um 
den  Wendepunkt  —  nach  Tiecks  Theorie  das  zweite 
Erkennungszeichen  der  Novelle  —  herbeizuführen.  Dem 
Höhepunkt  im  Drama  vergleichbar  bedeutet  es  die  un- 
erwartete Umkehr,  die  sogar  dem  Anfang  der  Erzählung 
wider.sprechen  darf.  So  sieht  in  den  > Feldblumen«-  ein 
junger  Maler  auf  seinem  Spaziergang  ein  Mädchen,  für 
das  er  bald  eine  heisse,  aber  wenig  aussichtsvolle  Nei- 
gung fasst.  Er  kennt  weder  dessen  Eltern  noch  son- 
stige Familienverhältnisse.  Ein  plötzliches  Missver- 
ständnis führt  die  Trennung  des  Paares  herbei.  Der 
]Maler  beschliesst  voll  Unmut,  zumal  da  er  über  den  Ver- 
bleib seiner  Geliebten  durchaus  im  Unklaren  ist,  eine 
Reise  in  die  Alpen  zu  unternehmen.  Hier  trifft  er  zu- 
fällig mit  einem  Herrn  zusammen,  der  sich  später  als 
Bruder  des  ^Mädchens  entpuppt.  Weitere  imerwartete 
Begegnungen  mit  den  übrigen  Angehörigen  ihrer  Fa- 
milie folgen,  bis  endlich  alles  aufgeklärt  ist.  Die  glän- 
zende Stellung,  in  der  die  verloren  geglaubte  Geliebte 
nunmehr  erscheint,  hindert  sie  jedoch  nicht,  den  Maler 
zu  heiraten.    »Wie  der  Witz  des  Zufalls  zuweilen  spitzig 


T  0(3 

sein  kann!«  (I,  153)  lauten  die  bezeichnenden  Worte, 
die  dem  Dichter  im  entscheidenden  AugenbHck,  beim 
Wendepunkt  der  Novelle  entschlüpfen. 

Bei  Tieck  entwickelt  sich  die  Handlung  oft  aus 
dem  Dialog,  ebenso  bei  Hoffmann.  Nicht  selten,  so  in 
der  Erzählung  »Der  Dichter  und  der  Komponist«  aus 
dem  Zyklus  »Die  Serapionsbrüder«,  der  ja  unter  dem 
äusseren  Einfluss  von  Tiecks  »Phantasus-  entstanden 
ist,  wird  die  Erzählung  zur  Theaterszene.  Hier  stellt 
Hoffmann  ähnlich  dem  älteren  Dichter  die  redenden 
Personen  wie  im  Drama  einander  gegenüber.  Sehr 
deutlich  ist  die  Nachwirkung  auf  Stifter  zu  erkennen, 
wenn  z.  B.  im  »Hochwald«  der  Höhepunkt  in  einem 
längeren  Zwiegespräch  gipfelt,  wobei  eine  Rede  un- 
mittelbar neben  der  anderen  steht.  Um  die  Handlung 
in  Fluss  zu  bringen,  lässt  Stifter  nach  Tiecks  Vorgang 
sogar  Tischgespräche  einsetzen,  so  im  »Kalkstein«,  im 
»Frommen  Spruch«  und  vor  allem  im  »Nachsommer«, 
der  schon  aus  diesem  Grunde  ein  entsprechendes  Seiten- 
stück zu  Tiecks  i\ltersdichtung  »Vittoria  Accorombona« 
bildet,  wo  gleichfalls  Unterredungen  eine  besonders 
grosse  Rolle  spielen. 

Allein  Hoffmann  und  nach  ihm  Stifter  gehen  mit- 
unter noch  weiter  als  Tieck.  Beide  lieben  es,  den 
Leser  gleich  »medias  in  res^:  ')  zu  führen.  Der  Anfang 
der  Handlung  und  ihre  ursächliche  Entwicklung  wer- 
den nachträglich  durch  einen  längeren  Bericht  mitge- 
teilt, der  zumeist  in  der  Form  der  Ich-Erzählung  nach 
Art  dramatischer  Monologe  von  der  übrigen  Handlung 
eingeschlossen  wird.  Das  Geständnis  des  Goldschmied- 
gesellen in  Hoffmanns  »Fräulein  von  Scuderi«,  die  Er- 
zählung Cölestens  in  Stifters  >Altem  Siegel«  sind  Bei- 
spiele dafür.  Erst  durch  diese  Berichte  wird  der  Gang 
der  Haupthandlung,  der  sonst  unverständlich  bliebe, 
aufgehellt. 

1)  Bei  Hoffmann  findet  sich  dieser  Ausdruck  XIV,  5. 


TOI     — 

Aber  aiich  Jean  Pauls  Technik  weist  mit  der  vStifters 
manche  Berührungspunkte  auf.  Jean  Paul  erscheint  als 
Meister  der  Kunst  zu  dezentralisieren,  ohne  dabei  den 
Faden,  der  ihn  immer  wieder  zur  Haupthandlun«^  zu- 
rückleitet, "gänzlich  ausseracht  zu  lassen.  Mögliches  und 
Unmögliches  stellt  er  dicht  nebeneinander,  er  gestattet 
sich,  abstrus,  ja  absurd  zu  werden  und  hält  trotzdem 
gleich  wieder  die  reinste  Klarheit  im  Gedanken  fest. 
Er  verwendet  die  Form  der  Ich-Erzählung,  des  tage- 
buchartigen Briefes  imd  der  Rahmenerzählung  überaus 
häufig.  Der  abwechselnde  Gebrauch  aller  dieser  Formen 
kommt  dem  sprunghaften  Charakter  eines  Erzählers  wie 
Jean  Paul  sehr  zu  statten,  obgleich,  er  rein  künstle- 
risch genommen  einen  Fehler  bedeutet. 

Als  Beispiele  für  die  tagebuchartige  Briefform,  die 
wir  übrigens  auf  Goethes  >Werther«  zurückzuführen 
haben,  stellen  sich  »Jean  Pauls  Briefe  und  bevorste- 
hender Lebenslauf«,  sowie  seine  »Konjekturalbiographie« 
dar.  Häufiger  ist  dieselbe  Art  der  Technik  bei  Tieck 
in  »William  Lovell«  dem  »Roman  in  Briefen«,  der 
»Sommerreise«,  ähnlich  auch  in  der  »Waldeinsamkeit« 
(das  Tagebuch  des  Wahnsinnigen).  Stifter  versvendet 
sie  in  der  ersten  und  dritten  Fassung  der  »Mappe«  (die 
Liebesgeschichte  Christinens),  besonders  aber  in  den 
»Feldblumen«.  Eingestreute  Briefe,  die  vollinhaltlich 
zitiert  der  Entwickhmg  der  Handlung  förderlich  sind, 
indem  sie  gewöhnlich  einen  noch  nicht  aufgeklärten 
Vorgang  ins  helle  Licht  setzen,  finden  sich  ebenso  bei 
Jean  Paul  wie  bei  Stifter  (»Hesperus«  und  »Die  Narren- 
burg«). 

In  der  »Mappe«  und  in  der  »Narrenburg«  erzählt 
der  Dichter  aus  aufgefundenen  Maniiskripten  nach  dem 
Vorbild  Hoffmanns,  der  die  »Elixiere  des  Teufels«  unter 
nachgelassenen  Papieren  des  Bruders  Medardus  vor- 
findet. Die  »Lebensansichten  des  Katers  Murr  nebst 
fragmentarischer  Biographie  des  Kapellmeisters  Kreisler« 


I02 


sind  »zufälligen  ]\Iakulaturblättern«  entnommen.  Ihr 
entspricht  die  fragmentarische  Lebensbeschreibung  des 
Grafen  Jodok  in  der  »Narrenburg«:. 

Die  sogenannte  Rahmenerzählung  ist  der  gesamten 
Romantik  geläufig.  Tiecks  ;>Phantasus<:  bereitet  die 
Form  der  Rahmenerzählung  vor.  Wir  müssen  dabei 
unterscheiden  eine  solche,  die  nur  lose,  also  bloss 
äusserlich  mit  der  Haupthandlung  verknüpft  erscheint, 
und  eine  solche,  die  mit  ihr  zu  einer  Art  Doppelhand- 
lung innerlich  verbunden  diese  aufh-ellt  und  am  Ende 
mit  ihr  auch  äusserlich  verschmilzt.  Die  erste  Gattung 
ist  schon  bei  Jean  Paul  vertreten.  Beispiele  dafür  sind 
>Der  doppelte  Schwur  der  Besserung«  und  >Die  Neu- 
jahrsnacht eines  Unglücklichen«  aus  den  »Briefen  und 
bevorstehendem  Lebenslauf«,  »Die  Mondfinsternis«  im 
»Quintus  Fixlein«  und  das  erste  und  zweite  »Blumen- 
stück« im  »Siebenkäs«.  Von  Tiecks  Novellen  ist  hier 
zu  nennen  vor  allem  die  gänzlich  selbständige,  in  das 
»Zauberschloss«  eingeschaltete  Erzählung  »Die  wilde 
Engländerin«.  Bei  Stifter  gehören  hieher  die  zwei  Sagen 
aus  der  Gegend  des  Dreisesselberges  im  »Hochwald«, 
die  der  sagenhaften  Geschichte  des  Felsens  in  Tiecks 
»Prolog  zum  Dichterleben«  ähnlich  sind.  Ebenso  findet 
die  Marienlegende,  die  im  »Aufruhr  in  den  Cevennen« 
die  Entstehungsgeschichte  der  Kapelle  des  einsamen 
Priesters  erklären  soll,  ihre  Parallele  im  »Beschriebenen 
Tännling'  Stifters,  wo  die  Gründung  der  ^larienkirche 
zu  Oberplan  gleichfalls  legendenmässig  erzählt  und  un- 
abhängig von  der  eigentlichen  Handlung  der  Novelle 
in  diese  eingeflochten  erscheint. 

In  die  zweite  Gruppe  der  Rahmenerzählung,  die 
sowohl  bei  Tieck,  als  auch  bei  Stifter  am  stärksten  ver- 
treten ist,  fallen  Tiecks  »Sommerreise«  und  »Musika- 
lische Leiden  und  Freuden«.  Die  »Sommerreise«  for- 
dert nicht  bloss  in  dieser  Hinsicht  einen  Vergleich  mit 
den  »Feldblumen«  heraus,  denen  sich  neben  den  »Nach- 


—    103    — 

komnienschatten  ,  hier  vor  allem  Der  Nachsommer^' 
anreiht,  wo  oleichfalls  eine  Familiengeschichte  (die  des 
Freiherrn)  in  eine  andere  (die  Heinrichs)  überleitet. 

Die  Ich-Erzählung  in  ihren  verschiedenen  Abarten, 
wie  sie  mit  Vorliebe  von  Jean  Paul  gebraucht  wird, 
kann  man  bei  Stifter  ebenso  gut  verfolgen.  Bisweilen 
greift  eine  Ich-Erzählung  in  eine  andere  über,  ohne  dass 
deshalb  eine  Rahmenerzählung  entsteht,  vielmehr  wird 
die  unvollendete  Selbstgeschichte  des  Helden  bloss  pe- 
riodisch unterbrochen  oder  aber  zum  direkten  Abschluss 
gebracht.  In  der  Erzählung  »Des  Luftschiffers  Giannozzos 
Seebuch  <  beschliesst  Jean  Paul  selbst  die  Ich-Erzählung 
der  Hauptperson,  wie  Stifter  in  den  >Zwei  Schwestern« 
oder  in  den  >Feldblumen«.  Beachtenswert  ist  der  stete 
Wechsel  in  der  Art  der  Darstellung  im  > Kondor <.  Das 
erste  Kapitel  (Nachtstück)  besteht  aus  einem  Tagebucli- 
blatt  des  Helden,  im  zweiten  (Tagstück)  folgt  eine 
objektive  Ich-Erzählung,  die  der  Verfasser  der  Haupt- 
person in  den  Mund  legt,  ohne  selbst  in  die  Handlung 
einzugreifen,  im  dritten  (Blumenstück)  erzählt  dieser 
selbst,  um  im  vierten  (Fruchtstück)  der  Handlung  auch 
persönlich  nahe  zu  treten.  In  der  Ich-Erzählung  »He- 
sperus  tritt  wiederum  Jean  Paul  teils  als  blosser  Be- 
richterstatter, teils  aktiv  mit  der  Handlung  verknüpft 
hervor,  teils  werden  ausführliche  Briefe  zitiert,  so  dass 
diese  Dichtung  ebenfalls  zu  den  wunderlichsten  Mi- 
schungsprodukten der  Erzählungskunst  gehört.  Eine 
Menge  Noten,  Extrablätter,  Postskripte,  Appendixe, 
Epiloge  subjektivster  Art  beeinträchtigen  die  Einheit 
der  Darstellung  formell  in  hohem  Grade.  In  ähnlicher 
Weise  abrupt  ist  oft  auch  Hoffmann  (»Kater  Murr«). 
»Anmerkungen  des  Herausgebers  mitten  im  Text  sind 
nicht  selten.  In  den  »Phantasiestücken«  findet  sich 
sogar  ein  »Postskript«  mit  Namensnennung  des  Ver- 
fassers. Die  »Geheimnisse«  sind  eine  »merkwürdige 
Korrespondenz  des  Autors  mit  verschiedenen  Personen*, 


—    I04   — 

hinzugefügt  sind  etliche  >Blättlein«,  alles  in  der  Art 
Jean  Pauls.  Auch  Hoffmann  verlässt  häufig  genug  die 
objektive  Darstellung,  fährt  mit  seiner  eigenen  Person 
dazwischen  und  macht  den  Leser  zum  Objekt,  dessen 
Willensrichtung  er  direkt  zu  beeinflussen  sucht. 

Eine  ähnliche  Manieriertheit  findet  man  in  Stifters 
ersten  Novellen  wieder.  So  fügt  er  in  der  ersten  Fas- 
sung der  »Feldblumen«  einzelnen  Kapiteln  Noten  bei. 
In  der  einen  zum  »kleinwinzigen  Zentunkel<  sucht  er 
allerdings  den  Verdacht  abzuwehren,  als  ob  er  in  dieser 
Hinsicht  Jean  Paul  nachahme,  stellt  sich  aber  gerade 
durch  diesen  Exkurs  als  dessen  Epigone  dar.  Die  Note 
lautet :  ;- Überhaupt  muss  sich  der  Referent  dieser  Blätter 
das  Recht  ersitzen,  derlei  Noten  an  kleinen  »Feld- 
blumen« anzuhängen,  damit  er  in  denselben  sagen 
könne,  was  sich  in  seinem  Kopfe  während  des  Abschrei- 
bens  und  Sortierens  der  vorhandenen  Aktenstücke  sam- 
melt und  ihn  zu  drücken  anfängt  oder  was  er  im  Band- 
gras zu  sagen  vergessen  hat.  Man  wird  ihn  anfahren, 
er  ahme  in  solchen  Spässen  Jean  Paul  nach,  aber  man 
irrt,  es  sind  nur  die  Verhältnisse  imd  Sachlagen  dar- 
gestellt, so  und  nicht  anders.  Hier  muss  er  sagen,  dass 
der  Künstler  und  Philosoph  etc.  . . .  (ich  weiss  eigent- 
lich nicht,  was  er  ist)  Albrecht  *******^  der  die  Tage- 
buchblätter schrieb,  dieselben  nicht  >  Feldblumen  <  be- 
titelte, sondern  dass  dieser  gute  Gedanke  von  dem 
Referenten  kam.  Leider  numerierte  er  auch  das  Band- 
gras, was  zur  Folge  hat,  dass  der  Leser  bei  der  nten 
Feldblume  eigentlich  erst  die  (n — i)te  hat,  was  er  immer 
bedenke.  Ich  hoffe,  die  Note  war  nicht  zu  gross«. 
(Iris  1843,  244  ff-)- 

In  ähnlicher  Weise  erklären  im  »Kondor«  die  vom 
Autor  ganz  überflüssig  hinzugefügten  »Anmerkungen« 
eine  Reihe  physikalischer  Vorgänge  nach  dem  Vorbild 
Jean  Pauls.  In  dessen  »Papieren  des  Teufels«,  im 
»Kampanertal«,  im  »Siebenkäs«  finden  sich  solche  An- 
merkungen zahlreich  genug. 


—    i«5   — 

Das  ausgehende  i8.  Jahrhundert  stand  bereits 
unter  dem  Einfhiss  der  aufblühenden  Naturphilosophie. 
Der  junge  Schelling  hatte  sich  mit  Eifer  auf  physika- 
lische Studien  geworfen  und  1797  die  »Ideen  zur  Philo- 
sophie der  Natur«  erscheinen  lassen.  Und  schon  kurze 
Zeit  darauf  fand  Novalis  die  merkwürdige  Anschauung : 
>Die  Physik  ist  nichts  anderes  als  die  Lehre  der  Phan- 
tasie.« ')  Tieck  und  die  beiden  Schlegel  entzogen  sich 
dem  allgemeinen  Umschwuns^  in  dem  Werturteil  der 
exakten  Wissenschaften  ebensowenig.  Auch  Jean  Paul, 
der  grollende  Antipode  der  Klassiker,  nahm  die  mo- 
dernen Ansichten  bereitwillig  auf.  Zweierlei  vor  allem 
ergab  sich  aus  alledem  für  den  romantischen  Stil :  die 
mystische  Betrachtung  der  Natur  als  Sprache  Gottes 
und  die  intime  Behandlung  mathematischer  und  natur- 
wissenschaftlicher Probleme  innerhalb  der  Poesie.  Der 
erste  Umstand  musste  zu  einer  unklaren  Bildlichkeit 
führen,  der  zweite  zu  einer  übertriebenen  dichterisch- 
wissenschaftlichen Spielerei.  Aber  die  grosse  Beachtung 
der  realen  Fächer  hatte  dennoch  ihr  Gutes,  wenigstens 
für  die  Nachblüte  der  Romantik.  Stifter  wurde  von 
seinen  Sympathien  für  Mathematik  und  Naturwissen- 
schaften allmählich  zur  klaren  Anschauung  der  Dinge 
in  uns  und  ausser  uns  geleitet.  In  seiner  Jugend  liebt 
er  noch  die  überladenen  Metaphern  Jean  Pauls  und 
ahmt  sie  nach.  Später  sucht  er  immer  mehr  durch 
Ruhe,  Einfachheit  und  vor  allem  sinnenfällige  Aus- 
drücke zu  wirken.  Die  physikalischen  Ausblicke  werden 
immer  geringer  und  hören  im  »Witiko«  gänzlich  auf. 
Am  stärksten  erweisen  sich  seine  Beziehungen  zum  ro- 
mantischen Stil  im  »Kondor«  imd  in  den  »Feldblumen«. 
Einige  Beispiele  werden  dies  beweisen. 

Zur  Zeit  Jean  Pauls  war  die  Frage  der  Luftschiff- 
fahrt aktuell  greworden    und    blieb  auch  für  die  Folge- 


1)    XovalivS  Schriften.     Herausgegeben  von  L.  Tieck    und 
Friedrich  Schlegel.     4.  Auflage.     Berlin  1S26.     II,  iii. 


To6 


zeit  von  andauerndem  Interesse.  Aufstiege  in  die  Luft 
schildert  er  einigemal,  so  im  »Kampanertal'  und  vor 
allem  in  »des  Luftschiffers  Giannozzo  Seebuch«.  Hier 
fällt  eine  Reihe  von  Bildern  auf,  denen  wir  bei  Stifter 
\on  neuem  begegnen.  Auf  der  elften  Fahrt  Das  Meer 
und  die  Sonne«  wird  das  Tagesgestirn  also  apostro- 
phiert:  »Die  Blasse  im  Rosenkleide,  wo  ist  sie  jetzt? 
Wird  sie  in  ein  warmes  Auge  schimmern  zwischen  den 
Eisfeldern?«  (XVII,  94).  Vergleicht  man  damit  die  Dar- 
stellung der  Luftfahrt  über  das  Mittelmeer  in  Stifters 
Kondor«,  so  ergibt  sie  eine  grosse  Ähnlichkeit  in  der 
Wahl  des  Ausdrucks :  »Die  Schiffenden  stiegen  eben 
einem  Archipel  von  Wolken  entgegen,  die  der  Erde 
eben  in  demselben  Augenblicke  ihre  Morgenrosen 
sandten ,  hier  oben  aber  weisschimmernde  Eisländer 
waren«  (I,  19).  Dasselbe  gilt  auch  von  der  Schilderung 
des  düstergrausigen  Abstiegs  im  »Kondor«  und  der 
»Letzten  Fahrt«  in  Giannozzos  Seebuch«.  Hier  »gfähnt 
ein  Wolkenrachen  vor  der  Sonne«  (XVII,  216),  dort 
»glotzte  sie  mit  vernichtendem  Glänze  aus  dem  Schlünde« 
(I,  22),  bei  Jean  Paul  heisst  es  ferner:  »Sterne  quellen 
oben  heraus  und  mir  ist,  als  schwämmen  ihre  matten 
Spiegelbilder  als  silberne  Flecken  auf  dem  düstem 
Grund«  (XVII,  216)  und  bei  Stifter:  »Wie  zum  Hohne 
wurden  alle  Sterne  sichtbar,  winzige,  ohnmächtige 
Goldpunkte,  verloren,  durch  die  Öde  zerstreut  (I,  22), 
ferner  bei  Jean  Paul:  »Unter  dem  schwarzen  Leichen- 
tuch regnet  es  laut  unten  auf  der  Erde«  (XVII,  216) 
und  bei  Stifter:  »Um  das  Schiff  herum  wallten  weithin 
weisse,  dünne,  sich  dehnende  und  regende  Leichen- 
tücher« (I,  21). 

Ein  anderes  Beispiel  für  bildliche  Ausdrücke,  die 
Stifter  von  Jean  Paul  herübernimmt,  bieten  »die  Pfingst- 
feste  seines  Herzens«  (I,  69)  in  den  »Feldblumen  analog 
den  »Festtagen  der  Seele«  (XIV,  341)  in  der  »Konjek- 
turalbiographie«.  In  der  »Vorschule  der  Ästhetik«  sagt 


T07     — 

Jean  Paul:  »Jeder  Oenuss  hatte  auf  dem  Olymp  seinen 
Verklärungstabor  gefunden <  fXVIII,  79),  iind  an  einer 
anderen  vStelle  :  .>In  anderer  Zeit  kann  der  vStand  der 
li^rniedrigung  (der  Dichtkunst)  schon  auf  dem  Berge 
Tabor  anfangen  und  die  Verklärung  auf  einer  Sonne 
vorgehen  und  blenden:  (XVIII,  looff.);  in  den  »Flegel- 
jahren^  wieder  lautet  eine  ähnliche  Stelle:  »Wie  oft,  sagt' 
ich  da  droben,  wirst  du  dich  nicht  künftig  auf  diesen 
Tabors  verklären<-  (XX,  18).  Der  gleiche  Sprachgebrauch 
findet  sich  bei  Stifter  in  den  »Feldblumen  :  ».  .  .  und 
in  das  Antlitz  der  schönsten  Gestalt  wirft  er  (der 
Hinniiel)  ein  ganzes,  sanftes  Tabor  von  rosenfarbener 
Verklärung«  (I,  105). 

Der  tuchene,  altmodische  Stuhl  mit  hoher  Lehne 
(aus  dem  »Tagstück';  des  »Kondors«)  mit  den  unzäh- 
Hgen  gelben  Nägeln,  die  im  »Frühlichte  einen  gleis- 
senden vSternenbogen  um  ihn  spannten«  (I,  16)  bringt 
ims  fihnliche  Prunkstücke  aus  Jean  Pauls  »Schulmeister- 
lein Wuz«  in  Erinnerung;  das  Bild  ist  fast  dasselbe: 
»Milchstrassen  von  gelben  Nägeln  sprangen  auf  gelben 
Schnüren  als  Blitze  herum'    (II,  269). 

Auch  in  Überschriften  für  einzelne  Teile  seiner 
Erzählungen,  sowie  in  den  Titeln  für  diese  selbst  kehrt 
die  Bildersprache  Jean  Pauls  bei  Stifter  wieder.  Der 
»Kondor  besteht  aus  einem  >Nachtstück«,  einem  »Tag- 
stück«, einem  »Blumenstück«  und  einem  »Fruchtstück« 
und  erinnert  so  an  die  »Blumen-,  Frucht-  und  Dornen- 
stücke <    des  Untertitels  von  Jean  Pauls    >  Siebenkäs  <. 

Die  Kapitelüberschriften  »Die  erhabene  Vormitter- 
nacht«, »Die  selige  Nachmitternacht«,  »Der  sanfte  Abend« 
in  Jean  Pauls  »Hesperus  bringen  die  gleichfalls  nach 
Tageszeiten  (»Am  Morgen  ,  >Der  Mittag«,  »Der  Abend«) 
eingeteilte  Erzählung  »Prokopus«  von  Stifter  in  Er- 
innerung. Dabei  haben  alle  diese  Bezeichnungen  in 
echt  romantischer  Eigenart  ihre  symbolische  Bedeu- 
tung. 


—     T08     — 

Ähnlich  wie  Stifters  >  Bunte  Steine  sind  auch  die 
einzelnen  Abschnitte  in  Jean  Pauls  Fleg-eljahren«  be- 
titelt: bei  beiden  finden  sich  vBleiglanz<  und  >Katzen- 
silber< .  Die  Überschrift  ^Nachtviole«  einer  der  >Ge- 
danken Visionen«  Jean  Pauls  ist  auf  das  >5.  Tagebuch- 
blatt« der  »Feldblumen«  übergegangen. 

Stifter  war  ein  Meister  der  realistischen  Darstel- 
lungsweise und  hat  auch  hierin  von  Jean  Paul  gelernt. 
Ein  Beispiel  dafür  enthält  der  :-/ Titan«  in  der  Beschrei- 
bung der  Junggesellenstube  des  Hauptmanns:  ^>Als 
Albano  das  erstemal  in  dessen  Sommerstube  trat  —  so 
hatte  er  freilich  darin  eine  Bedienten-,  eine  theatra- 
lische Anziehstube  und  ein  Offizierszelt  vor  sich.  Auf 
der  Tafel  lagen  ver^'orrene  \'ölkerschaften  von  Büchern 
wie  auf  einem  Schlachtfeld  und  auf  Schillers  Tragödien 
das  hippokratische  Gesicht  von  der  Redoute  und  auf 
dem  Hofkalender  eine  Pistole  —  das  Bücherbrett  be- 
wohnte die  Degenkuppel,  neben  ihr  eine  Seifenkugel 
aus  Kreide,  ein  Schokoladenquerl,  ein  leerer  Leuchter, 
eine  Pomadenbüchse,  Fidibus,  das  nasse  Handtuch  und 
die  abgetrocknete  Mundtasse,  das  Glashaus  der  abge- 
laufenen Sanduhr,  der  Wasch-  und  Schreibtisch  standen 
offen«  (XV,  308).  Stifter  in  den  Feldblumen«  wieder 
beschreibt  das  Zimmer  seines  Helden  also:  »Vier 
Treppen  hoch  liegt  eine  Stube  —  Schreib-,  Wohn-, 
Schlaf-  und  Kunstgemach  —  lächerlich  sieht  es  drinnen 
aus !  Dichter,  Geschichtschreiber,  Philosophen,  auch  Ma- 
thematiker liegen  broschiert  auf  dem  ungeheuren  Schreib- 
tische —  dann  Rechentafeln  —  Griffel,  Federn,  Messer, 
ein  Kinderballen  .  .  .  ein  Fidibusbecher,  Handschriften, 
Tintenkleckse  —  —  - —  daneben  zwei  bis  drei  Staffe- 
leien in  voller  Rüstung;  an  den  Wänden  Bilder,  auf 
den  Fenstern  Blumen  und  noch  eigens  eine  Meng-e  der- 
selben  auf  einem  Gestelle ;  dann  eine  Geige .  .  .  und 
rings  Studien,  Skizzen,  Papiere,  Folianten  —  Fuggers 
Ehrenspiegel    des   Erzhauses    Österreich    mit    Stichen« 


—   I09   — 

n.  s.  w.  (i,  69).  Eine  ähnliche  Jungjj^esellenstube,  eben- 
falls die  eines  Militärs,  schildert  yStifter  im  >  Alten  Sie<(el''. 
Auch  »die  Studentenbude  auf  dem  Tandelmarkt'  in 
der  Sammlung  »Wien  und  die  Wiener  hat  mit  ihr 
manches  gemein. 

Auch  in  der  eigentlichen  Naturbeschreibung  fin- 
den sich  bereits  bei  Jean  Paul  objektive  Schilderun- 
gen des  Naturlebens,  wie  sie  später  Stifter  zu  ent- 
werfen sucht.  Der  »Titan«  enthält  zwei  Stellen,  die 
von  einem  solchen  tiefen  und  einheitlichen  Natur- 
gefühl Zeugnis  geben:  »Das  Abendrot  des  Jahres, 
das  rotglühende  Laub  zog  von  Berg  zu  Berg  —  auf 
den  übersponnenen  Stoppeln  arbeiteten  noch  Spinnen 
am  fliegenden  Sommer  und  richteten  einige  Fäden  als 
die  Taue  und  Segel  auf,  womit  er  entfloh  -  der  weite 
Luft-  und  Erdkreis  war  still,  der  ganze  Himmel  wolken- 
los —  und  die  Seele  des  Menschen  schwer  bewölkt < 
(XVI,  223).  »Da  war  ihm,  als  rühre  sich  die  weite 
hinabliegende  Landschaft  wie  ein  stürmendes  Meer 
durcheinander  mit  wogenden  Feldern  und  schwimmen- 
den Bergen  und  der  Himmel  schaute  still  und  hell  auf 
das  Bewegen  nieder.  Nur  unten  am  westlichen  Horizonte 
schlief  eine  lange  dunkle  Wolke«  (XVI,  223  ff.). 

Freilich  sind  solche  Anwandlungen  Jean  Pauls, 
seiner  zerrissenen,  wunderlichen,  geistsprühenden,  aber 
vielfach  noch  unplastischen  Manier  in  der  Naturbeschrei- 
bung zu  entsagen,  selten  genug,  andererseits  folgt  je- 
doch Stifter  in  seinen  frühesten  Dichtungen  nicht  immer 
seiner  nach  Klarheit  und  Plastik  strebenden  stilistischen 
Eigenart.  »Höher  hängt  in  dem  Laubwerk  das  blaue 
Email  des  Himmels,  in  tausend  Stücke  zerschnitten 
wie  lauter  Vergissmeinnicht«  (I,  loi),  heisst  eine  Stelle 
aus  den  »Feldblumen«.  Und  wie  Jean  Paul  im  »Sieben- 
käs« für  den  abendUchen  Himmel  den  Ausdruck  »er- 
höhte Abendglocke;-  gebraucht,  so  nennt  Stifter  im 
j>  Kondor  <      das     Himmelsgewölbe     »die     schöne     blaue 


HO 


Glocke  unserer  Erde«  (I,  22).  Wirkt  ferner  auf  Jean 
Paul  die  Natur  mit  ihrer  ganzen,  für  ihn  nia<:i^ischen 
Beleuchtung,  mit  ihrem  detaillierten  Farbenkomplex,  so 
kann  sich  auch  Stifter  in  seinen  ersten  Werken  noch 
nicht  entschliessen,  auf  die  unverwickelte,  stark  kontra- 
stierende Xebeneinandersetzung  der  verschiedensten 
Farbentöne,  die  oft  das  wunderlichste  Gemisch  einer 
Naturbeschreibung  im  Stile  Jean  Pauls  zutage  fördert, 
zu  verzichten.  So  schildert  er  in  den  »Feldblumen'?: 
einen  Frühlingstag:  Das  Zittern  der  anbrütenden 
Lenzwärme  über  den  noch  schwarzen  Feldern  — 
die  schönen  grünen  Streifen  der  Wintersaat  da- 
zwischen —  dann  waren  die  rötlich  fahlen  Wälder, 
die  an  den  Bergen  hinanziehen ,  mit  dem  sanften 
blauen  Lufthauch  darüber,  und  überall  auf  der  farb- 
losen Erde  die  geputzten  Menschen  wandelnd«  (T, 
44).  Dieses  zerstückte,  keinen  momentanen  Gesamt- 
eindruck erzeugende  Naturgemälde,  mehr  mit  den 
Augen  der  Erkenntnis  als  mit  den  Augen  der  Empfin- 
dung geschaut,  mit  seiner  absichtlichen  Farben  nen- 
nung  statt  Farbenwirkung  charakterisiert  den  Ein- 
fluss  der  älteren  Naturbeschreibung  auf  Stifter. 

Das  Gefühl  für  das  Kleine  in  der  Natur,  wodurch 
Stifter  zum  poetischen  Detailmaler  wird,  besitzt  schon 
Jean  Paul,  der  im  »Titane  sagt:  »Diese  Schöpfung  ist 
...  so  kostbar  und  aus  Gottes  Hand,  und  das  noch  so 
klein  gestaltete  Herz  hat  ja  doch  sein  Blut  und  seine 
Sehnsucht  und  in  das  Pünktchen  unter  dem 
Blatte  kehrt  ja  doch  die  ganze  Sonne  und 
ein  kleiner  Frühling  eine  Dasselbe  Gefühl  für 
das  Kleine  verrät  auch  Tieck,  wenn  er  in  den  » Abend- 
gespräch en<  schreibt:  »Im  Einzelnen  erzählt  und 
bildet  eine  jede  Woge  eine  besondere  Geschichte. 
Wie  sie  sich  wälzt,  näher  schwebt,  überstürzt,  sich 
wieder  hebt  und  zuletzt  am  Ufer  zerbricht  und 
eine    andere    und    wieder    eine    folgt,    die    eine    ruhig, 


—    III    — 

jene  schäumend,  eine  dritte  hochaufbauschend,  wiedcr 
die  andere  frühzerplatzend.  Und  dann  dieses  Mnrmchi, 
Plaudern,  Schwatzen,  Greinen  und  Toben,  je  naclulein 
sie  der  spielende  oder  zürnende  Wind  erregt«  (IX,  2U)). 
Tieck  und  Stifter,  beide  nährten  bereits  in  der 
Jugend  ihren  Sinn  für  die  Natur.  Tieck  las  in  den 
Reisebeschreibungen  von  Olearius  und  Mandelsloh, 
Stifter  verschlang  Coopers  Romane,  von  denen  er  die 
stärksten  Anregungen  zu  seinen  späteren  Naturschil- 
derungen, vor  allem  im  »Hochwald«  empfangen  hat.') 
Tiecks  früheste  Dichtungen,  in  erster  Linie  sein 
»Sternbald«,  widmen  der  Darstellung  von  Naturein- 
drücken einen  breiten  Raum.  Über  den  ersten  Teil 
urteilte  Goethe  selbst,  es  wären  viele  hübsche  Sonnen- 
aufgänge darin,  an  denen  man  sehe,  dass  sich  des 
Dichters  Auge  wirklich  recht  eigentlich  an  den  Farben 
gelabt,  nur  kämen  sie  zu  oft  wieder.")  Vom  zweiten 
meinte  Karoline  Schlegel:  »Viele  liebliche  Sonnen- 
aufgänge und  Frühlinge  sind  wieder  da;  Tag  und 
Nacht  wechseln  fleissig,  Sonne,  Mond  und  Sterne  ziehen 
auf,  die  Vöglein  singen.  Es  ist  alles  sehr  artig,  aber 
doch  leer,  und  ein  kleinlicher  Wechsel  von  Stimmungen 
und  Gefühlen  im  »Sternbald<  kleinlich  dargestellt«."') 
Ob  nicht  gerade  diese  minutiöse  Schilderungsweise  die 
Natur  Stifters  in  ihrer  detailmalerischen  Anlage  be- 
stärken musste?  Tiecks  »Waldeinsamkeit«  spinnt  ihren 
heimlichen  Zauber  auch  um  Stifters  empfängliche  Seele, 
ja  hier  feiert  sie  sogar  ihren  schönsten  Triumph.  In 
den  »Feldblumen«  erblicken  wir  sie  bei  ihm  zum  ersten 
Male  (I,  loo),  sie  grüsst  uns  da  nur  ab  und  zu  aus  dem 
Hintergründe,  aber  bereits  der  »Hochwald«  ist  nichts 
anderes     als     eine    Apotheose     der    »Waldeinsamkeit«. 


')  Vgl.  Stifters  sämtliche  ^^'erke  I,  S.  XLVI  ff. 
2)  Tieck   und  Wackenroder.     Herausgegeben   von   Minor 
in  Kürschners  Deutscher  National-Literatur,  loS. 
»)  Ebd. 


112 


Hundert  andere  Zusammensetzungen  treten  diesem 
romantischen  Lieblingsworte  an  die  Seite. ')  Und  so 
erwies  sich  Tieck  auch  in  dieser  Hinsicht  als  einfluss- 
reich. Freilich  schildert  Stifter  ganz  anders  als  Tieck. 
Sein  Auge  sieht  plastisch  und  klar,  während  es  sich 
Tieck  darum  handelt,  das  Individuelle  der  Natur  auf- 
zufangen und  in  Ideal  zu  verwandeln,  in  ihr  das  Unsag- 
bare der  Ahnung  und  Stimmung  zu  erfassen,  wozu  von 
der  sinnlichen  Welt  am  ehesten  das  Unsinnliche  brauch- 
bar ist.  Den  Abend  mit  der  darauf  folgenden  phan- 
tastisch-magischen Nacht  liebt  Tieck  im  »Sternbald« 
besonders,  nicht  minder  jedoch  Stifter,  der,  z.  B.  in 
der  verhältnismässig  kurzen  Novelle  »Der  Hagestolz« 
viermal  den  Sonnenuntergang  schildert.  Er  weist  hierin 
auch  auf  Jean  Paul  zurück,  der  die  Nacht,  den  Mond 
und  die  Sterne  schwärmerisch  liebt.  Die  Variationen 
dieses  Naturmotives  sind  bei  beiden  Dichtern  zahlreich. 
Die  Nacht  ist  ihnen  vor  allem  die  ernste  Zeit  zum 
Nachsinnen,  zum  Festhalten  der  Vergangenheit  in 
Erinnerungsbildern  und   zu  Ausblicken  in  die  Zukunft. 

Aber  auch  unheimliche  Situationen,  die  uns  die 
gewaltige  Grösse  der  Natur  in  ihrem  übermenschlichen 
Wesen  zeigen  sollen,  wissen  Jean  Paul  und  Stifter  zur 
Darstellung  zu  bringen,  so  Jean  Paul  in  der  »Christ- 
nacht«, einem  »Appendix  zum  Jubelsenior«  und  Stifter 
im  »Weihnachtsabend«  (später  »Bergkristall«  betitelt). 
Dort  versetzt  sich  der  Dichter  auf  den  höchsten  Eis- 
berg der  Erde  und  verlebt  da  die  Zeit  vom  Christ- 
abend bis  zum  Morgen,  der  ihn  von  den  Schrecknissen 
der  Nacht  erlöst,  ähnlich  wie  die  beiden  Kinder  im 
»Weihnachtsabend« . 

Dass  auch  Tieck  einer  scharf  realistischen  Natur- 
betrachtung fähig  war,  möge  eine  Stelle  aus  dem  »Auf- 
ruhr  in    den  Cevennen«   erweisen:     »In  diesem  Aueen- 


1)  Stifters  sämtliche  Werke.  I,  S.  XVIII  ff. 


—    TI3    — 

blicke  liss  unten  am  Horizont  die  Wolkendecke  und 
im  Sinken  warf  die  Sonne  plötzlich  eine  Purpur^lut  in 
den  schwarzen  Himmel  über  sich,  ein  rotes  Feuer  <»-oss 
sich  über  die  Wolkenberge,  Baum  und  Busch  und  Rebe 
funkelten  im  Brand,  dahinten  glänzten  die  Wälder,  und 
wie  der  Blick  sich  erhob,  standen  im  Rosenlicht  die 
( Tipfei  der  fernen  Cevennen«   (X,   105). 

Trotz  dieser  Anläufe  zum  Realisnms  konnte  die 
Romantik  über  ihr  innerstes  Wiesen  natürlich  nicht 
hinauskommen,  und  dieses  war  und  blieb  phantastisch. 
Tieck  fühlte  es  genau.  In  seinen  späteren  Dichtungen 
verwirft  er  demnach  ausdrücklich  die  häufige  und  über- 
flüssige Verwendung  der  Naturbeschreibung  und  er- 
kennt im  Gegensatz  zu  seiner  Jugendperiode  immer 
mehr  den  greifbaren  Schönheitsgehalt  der  landschaft- 
lichen Reize.  So  sagt  er  in  seiner  »Gesellschaft  auf 
dem  Lande« :  »Die  Natur  rührt  uns  immer  durch  ihre 
unverfälschte  Wahrheit.  Sie  ist  und  bleibt  die  schönste 
Kinder-  und  Erziehungsstube«    (VIH,  407). 

Die  Ansicht,  dass  man  in  der  leblosen  Natur  das 
Göttliche  erkennen  müsse,  bilden  Tieck,  Jean  Paul  und 
Stifter  in  durchaus  romantischer  Weise  aus.  Schon 
»vSternbald«  wird  belehrt,  dass  sich  der  grossmächtige 
Schöpfer  heimlich-  und  kindlicherweise  durch  seine  Natur 
unseren  schwachen  Sinnen  geoffenbart  habe ;  er  sei  es 
nicht  selbst,  der  zu  uns  spräche,  weil  wir  dermalen  zu 
schwach  seien,  ihn  zu  verstehen ;  aber  er  winke  uns  zu 
sich  aus  jedem  Moose,  in  jeglichem  Gestein  sei  eine 
geheime  Ziffer  verborgen,  die  sich  nie  hinschreiben,  nie 
völlig  erraten  Hesse.  In  Tiecks  »Gesellschaft  auf  dem 
Lande«  heisst  es :  »Was  sind  denn  Früchte  und  Blu- 
men, Wald,  Feld  und  Meer  anderes  als  deutungsvolle 
Zeichen  und  Chiffern,  in  welche  die  ewig  schaffende 
Kraft  ihre  Gedanken  geschrieben  und  in  sie  nieder- 
gelegt hat.« 

Koscli.  Stifter.  8 


-     IT4     — 

Auch  Jean  Paul  hält  die  Natur  für  die  Sprache 
Gottes  (»Hesperus<').  In  «-leicher  Weise  spricht  Stifter 
in  den  »Feldblumen«  von  dem  Buche  Gottes  und  den 
Sternen,  Blumen  und  Lüften  als  seinen  Buchstaben,  und 
dann  in  den  »Zwei  Schwestern« ;  »Die  Natur  im  g-an- 
zen  .  .  .  ist  das  Höchste.  Sie  ist  das  Kleid  Gottes,  den 
wir  anders  als  in  ihr  nicht  zu  sehen  vermögen,  sie  ist 
die  Sprache,  wodurch  er  einzig-  zu  uns  spricht«.  ') 

Eine  andere  merkwürdige  Stilgewohnheit  Stifters, 
die  er  gleichfalls  mit  Jean  Paul  teilt  und  wohl  den 
eigenen  mathematischen  Neigungen  mitverdankt,  be- 
deutet der  häufige,  \ielfach  masslose  Gebrauch  von 
Zahlen,  teils  aus  Gründen  der  Anordnung,  teils  direkt 
infolge  einer  gewissen  rechnerischen  Effekthascherei. 
Aus  Jean  Pauls  »Ouintus  Fixlein«:  »Erstlich  muss 
der  Begriff  von  Uneigennützigkeit,  wenn  er  kein  aus- 
gehöhltes Vexierwort  sein  soll,  ja  bloss  der  Abdruck 
eines  uneigennützigen  Zustandes  in  uns  sein.  Zwei- 
tens setzet  das  Gefühl  des  Eigennutzes  das  seines 
Gegenteils  voraus.  .  .  Drittens  frag  ich  u.  s.  w.« 
In  Stifters  »Feldblumen«  rühmt  Albrecht  die  Vorzüge 
seiner  Geliebten:  Erstens  weiss  sie  Latein  und  Grie- 
chi.sch,  .  .  .  zweitens  weiss  sie  soviel  Mathematik  als 
zum  Verständnis  einer  allgemeinen  Naturlehre  nötig  ist, 
.  .  .  drittens,  dass  sie  Bücher  über  Seelenkunde  und 
Naturlehre  studierte  u.  s.  w.«  Diese  Vorliebe  für  Zahlen 
äussert  sich  auch  in  dem  oft  bis  ins  Masslose  gestei- 
gerten hyperbolischen  Gebrauch  derselben,  was  wieder 
auf  die  Sucht  zu  Übertreibungen  hinweist.  In  »Jean 
Pauls  Briefen  und  bevorstehendem  Lebenslauf«  wird 
die  Hyperbel  von  »Trillionen  Gleichnissen«  gebraucht, 
während  Stifter  in  den  »Feldblumen«  von  »tausend 
Millionen  Augen«  spricht. 


')  Stifters  Werke,  \'olksausgabe  II,  431. 


T  i; 


Noch  mehr  charakteristisch  finden  wir  in  der  ersten 
Fassung  der  »Feldblumen  :  »Das  ist  der  Sarkasmus 
des  Zufalls,  dass  unter  den  dreimalhundcrttausend 
Menschen  Wiens  gerade  ich,  unter  den  sechsundachtzig- 
tausend  und  vierhundert  Sekunden  des  Tages  gerade 
in  dieser,  unter  den  tausend  Millionen  Plätzen  gerade 
zum  Obeliskus  konnnen  musste.-  Von  den  zahlreichen 
vorbildlichen  Stellen  bei  Jean  Paul  sei  eine  aus  dem 
»Titan«  erwähnt.  Nach  einer  Regriffserklärung  des  als 
Überschrift  für  seine  Abschnitte  gewählten  Ausdrucks 
der  Jobelperiode,  die  von  ihrem  Stifter  Franke  in 
152  Zvkel  und  jeder  von  diesen  wieder  in  49  tro- 
pische Mondsonnenjahre  eingeteilt  worden  sei,  fährt  er 
fort:  »Die  siebentausend  vierhundert  und  achtundvierzig 
Mondsonnenjahre,  die  eine  Franke'sche  Jobelperiode 
enthält,  sind  auch  in  meiner  vorhanden,  aber  nur  dra- 
matisch, weil  ich  dem  Leser  in  jedem  Kapitel  soviel 
Ideen  —  -  und  die  sind  ja  das  Längen-  und  Kubikmass 
der  Zeit  —  vortreiben  w^erde,  bis  ihm  die  kurze  Zeit 
so  lang  geworden  als  das  Kapitel  verlangte«  (XV,  62). 
Bei  dieser  Vorliebe  für  Zahlen,  diese  trockensten  Ver- 
treter unserer  Vorstellungswelt,  kann  es  widersprechend 
erscheinen,  dass  gerade  Jean  Paul  und  die  gesamte 
Romantik  bis  auf  Stifter  mit  der  Musik  und  den  musi- 
kalischen Elementen  in  der  Sprache  die  innigste  Fühlung 
suchen.  Allein  der  mathematische  Unendlichkeitsbegriff 
war  ihrem  Verstand  dasselbe,  was  die  Musik,  diese 
eigentlich  »romantische  Kunst,«  'j  die  den  »geheimnis- 
vollen Strom  in  den  Tiefen  des  menschlichen  Gemüts« 
»selber  vorströmt«,-)  ihrem  Herzen. 

Das  Tönende  in  der  Bildersprache  Jean  Pauls  mag 
mit    auf    seine   musikalische  Begabung   zurückzuführen 


>)  Friedrich  vSchlegels  Lucinde  (Neudruck),  Koburg 
1868,  93. 

*)  Phantasien  über  die  Kunst  für  Freunde  der  Kunst. 
Herausgegeben  von  L.  Tieck,   Ilaniburg,  1799,  193  ff. 


—    ii6   - 

sein,  sagt  er  doch  selbst :  »Wenn  mich  eine  Empfindung 
ergreift,  so  dringt  sie  nicht  nach  Worten,  sondern  nach 
Tönen  und  ich  will  auf  dem  Klavier  sie  aussprechen!« 
Und  in  der  »Unsichtbaren  Loge<',  welche  Dichtung 
ähnlich  wie  Tiecks  :>Sternbald«  von  der  jNIusik  des 
Waldhorns  erfüllt  ist,  spricht  er  von  der  »geliebten 
Tonkunst < ,  im  »Hesperus«  wieder  schildert  er  eine 
mystisch-musikalische  Nacht,  jener  vergleichbar,  die 
später  der  Held  von  vStifters  »Zwei  Schwestern«  im 
Hause  Rikars  verlebt.  Ebenso  schwärmerisch-musikalisch 
klingt  auch  die  Sprache  der  an  Hoffmann  erinnernden 
Abendszene,  die  Albrecht  in  den  »Feldblumen«  beim 
Engländer  Aston  mitmacht. 

Auch  direkt  lyrische  Anklänge  machen  sich  in 
Jean  Pauls  Dichtungen  bisweilen  geltend.  Im  »Titan« 
»taumelnd  vom  Schlangenhauch  der  Angst  fing  die 
irre  Natur  zu  singen  an,  aber  lauter  Anfänge< .  »Freude, 
schöner  Götterfunken <  —  Jcli  bin  ein  Deutsches  Mäd- 
chen« —  Sie  lief  herum  und  sang  wieder:  »Kennst  Du 
das  Land?«  —  »Du  böser  Geist«  (XVI,  146),  während 
in  vStifters  »Waldbrunnen«  das  seltsam  ungewöhnliche 
braune  Mädchen  abgebrochene  Verszeilen  singt,  dar- 
unter gleichfalls  aus  Goethes  »Wilhelm  ]\Ieister<  :  »Heiss 
mich  nicht  reden,  heiss  mich  schweigen.«  ') 

Für  Justinus  Kerners  Lieder  war  Stifter  sehr 
empfänglich.  In  den  »Feldblumen«  klingt  »das  Alp- 
horn« des  schwäbischen  Sängers  wieder  (I,  145).  Und 
sogar  in  einer  der  lyrischen  Schilderungen  aus  dem 
Zyklus  »Wien  und  die  Wiener«  scheint  Justinus  Kemer 
nachzuwirken.  Hier  hält  nämlich  Stifter  ebenso  wie 
sein  Vorläufer  in  dem  18 10  entstandenen  Gedicht  »Der 
Stefansturm«')  im  Geiste  Umschau.  Es  ist  die  Zeit  von 
Mittemacht  zum  Morgen.  Beide  Male  befindet  sich  der 
Dichter    auf    der  Spitze   des  Wiener  Wahrzeichens;    da 


I)  Stifters  Werke,  Volksausgabe  III,  106  ff. 


—    Ti;    — 

er  die  Stadt  selbst  in  der  Dunkelheit  nicht  g-ut  sehen 
kann,  schweifen  seine  (jcdanken  in  die  Vero^an<>-enheit 
zurück,  bis  ihm  der  jun^^c  Tas;-  die  Oej:^enwart  der  stol- 
zen Kaiserstadt  \-on  neuem  vor  Augen  führt. 

Seine  sprachliche  Gewalt  beweist  Stifter  in  der 
Verdeutschung  der  Fremdwörter,  ganz  besonders  aber 
darin,  dass  er  auch  die  Mittel  der  Sprache  zu  ideali- 
sieren sucht.  Mit  der  Tendenz,  die  deutsche  Sprache 
möglichst  rein  zu  erhalten,  steht  er  freilich  nicht  \er- 
einzelt  da.  Sein  nächster  Vorläufer  ist  wiederum  unter 
den  Romantikern  zu  suchen.  Schon  Jean  Paul  äiissert 
sich  nämlich  in  der  »Vorschule  der  Ästhetik«  im  Sinne 
der  neuen  Bestrebungen,  altdeutsche  Wörter  zu  ver- 
jüngen und  mögliche  Verdeutschungen  einzuführen, 
obwohl  er  selbst  früher  sehr  häufig  überflüssige  Fremd- 
wörter gebraucht  habe.  Er  trete  aber  nunmehr  gern 
für  verständliche  deutsche  Ausdrücke  ein,  die  solche 
aus  anderen  Sprachen  übernommene  überflüssig  mach- 
ten. So  erkennt  er  z.  B.  Messkunst  für  Geometrie, 
Schneesturz  für  Lawine,  Zerrbild  für  Karrikatur  als 
passende  Verdeutschungen  an  (XVIII,  377),  die  später 
auch  Stifter  in  seine  Werke  übernimmt.  Auch  er  ge- 
braucht ursprünglich  sehr  viele  Fremdwörter,  die  er 
aber  in  den  späteren  Fassungen  möglichst  auszumerzen 
trachtet.  In  dieser  Hinsicht  fallen  besonders  die  »Feld- 
blumen« auf,  deren  Umarbeitungen  zahlreiche,  mitunter 
auch  gewagte  deutsche  Ausdrücke  statt  der  anfangs 
gebrauchten  fremdsprachigen  enthält  (z.  B.  Staatsver- 
handlungsreden statt  Parlamentsreden).  Gleichwohl  er- 
weist sich  Stifter  auf  dem  Gebiet  des  Fremdwörter- 
wesens    ebensowenig    wie    Jean    Paul    als    Fanatiker. ") 


')  Justinus  Kerner  I,  88. 

-)  A.  Sauer,  Stifter  als  Stilkünstler  in  der  Festschrift  des 
Vereins  für  (leschiclite  der  Deutschen  in  Böhmen,  1902,  116 
und  Sauers  1  Anleitung-  zu  Stifters  sämtlichen  Werken  1904. 
S.  LXI  ff. 


—    ii8    — 

Noch  in  den  Ausgaben  letzter  Hand  findet  sich  da  und 
dort  ein  Fremdwort,  für  das  Stifter  eben  keinen  pas- 
senderen deutschen  x\usdruck  wusste,  hatte  ja  doch 
auch  der  sprachschöpferische  Genius  eines  Jean  Paul 
desgleichen  getan  und  in  diesem  Masshalten  gezeigt, 
dass  er  ein  Meister  der  deutschen  Prosa  sei. 


REGISTER. 


(Aus  den  Aiunerkungeu  ist  nur  das  Wesentlichste  aufgenom- 
men. —  Die  zitierten  Werke  Stifters  sind  in  chronologischer,  die 
der   iibrigen  Dichter  in   alphabetischer  Reihenfolge  mitgeteilt.) 


Apel,  Johann  August  12. 

( iespensterbuch  12. 
Arnim,     Ludwig     Achim    von 

23,  58- 

Beethoven,  Ludwig  van    56  ff. 

Brenner,  Adolf  Freiherr  von  2. 

Brentano  Clemens  23,  58,  93. 
(beschichte  vom  braven  Kas- 
jicrl  und  der  schönen  Annerl 
93- 

Brockes,  Barthold  Heinrich   iS. 

Buddeus  17. 

Cervantes.  Miguel  de  96. 
Claude,  Lorrain  51. 
Collin,  Ludwig  von  4. 
Cooper,  James  iii. 
Cornelius.  Peter  von  (Maler)  53. 

Droste-Hülshoff ,  Annette  Freiin 

von  20. 
Dürer,  Albrecht  45,  48,  52 — 55. 
Dyk,  Anthonis  van  48. 

Ebner-Kschenbach,    Marie 

Freiin  von  19. 
Eichendorff,     Luise    Baroness 

von  11,  40. 
Eichendorff,  Josef  Freiherr  von 

9,  II,   20,    23,   41,  44,  58,  81. 

( xeschichte    der   poetischen 

Literatur  Deutschlands    41, 

81. 


Foucjue,  Heinrich  August  Frei- 
herr de  la  Motte  58. 
Führich,       Josef      Ritter    von 

53—55- 

Geiger,      Peter     Johann      Xe- 

pomuk  8. 
Gessner,  Salomon  18. 
Görres,  Josef  von  23. 
Goethe.  Johann  Wolfgang  von 

I   ff.,  8,  13  ff.,   19,  22,  41,  43. 

48,    60,    64,    69,    72,    75,    lOI, 

116. 

Hermann  und  Dorothea    2. 

Iphigenie  2. 

Werther  75,  loi. 

Wilhelm  Meister   13  ff.,    41, 

60,  62,  64,  69,  yi,  1x6. 
Gotthelf,  Jeremias  21. 

Uli  der  Knecht  21. 
Greipl,  Fanni  i,  25  ff. 

Mathias  2. 
(irillparzer,  Franz  13,15,17,21. 

Der  arme  Spielmann  13. 

Halm,  Friedrich  15. 

Der  Fechter   von    Ravenna 

15- 
Handel,  Sigmund  Freiherr  von 

4.  :-,7- 

Hartmann,  Philipp  Carl  2^. 
Geist  des  Menschen  25. 
Glückseligkeitslehre  25. 


—     I20 


IIa\ni,  Rudolf  89. 
Hebbel,  Friedrich  16  — iS. 

Die  alten  Naturdichter  und 

die  neuen  iS. 

Julia  18. 

Das  Komma  im  Frack  18. 
Hecken ast,  Gustav  4.  15,  53. 
Hein,     Alois    Raimund     i,    19. 

26,  30  ff..  46. 
Heine,  Heinrich  16,  43. 
Hippel,  Karl  von  80. 
Hölderlin,  Friedrich  47. 
Hoffmann,  Ernst  Theodor  Ama- 

däus    3,  5  —  10.  23.  43.  51  ft., 

56—58.61-65,68—71.84-87, 

90—96,  99 — 104.  116. 

Artushof  63. 

Automaten  57. 

Der  Dichter  und  der  Koni- 

ponist  100. 

Doge    und    Dogaressa    62, 

93- 

Doppelgänger  64. 

Elixiere  des  Teufels  63,  68, 

90,  92,   lOI. 

Erscheinungen  62. 

Fermate  61. 

Fräulein    von   Scuderi    100. 

Fragment    aus    dem  Leben 

dreier  Freunde  69. 

Geheimnisse  103. 

Gelübde  63. 

Das  öde  Haus  63. 

Ignaz  Denner  68. 

Jesuiterkirche  68,  71. 

Kapellmeister   Kreisler     93, 

95- 

Kater   Murr     61  ff.,    93,    95, 

101  —  103. 

Das  fremde  Kind  64. 

Magnetiseur  87. 

Majorat  70,  91  ff. 

Meister  Floh  84  ff. 


Hoff  mann.  Mei.ster  .Martin,  der 

Küfer  52. 

Nu.ssknacker     und    Mause- 
könig 65. 

Phantasiestücke    in    Callots 

Manier  8,  56,  96  ff.,  loi,  103. 

Räuber  71. 

Rat  Krespel   93. 

Ritter  Gluck  93. 

Sandmann  93  ff. 

vSanktus  71. 

SerapioUvSbrüder  69,  87,  100. 

Signore  Formica  86. 
Homer  11,  ■]2. 

Ilias  ii.r 

Odyssee  11. 
Hugo,  Viktor  6. 

Immermann.  Karl  20. 
Münchhausen  20. 

Jean  Paul  (Friedrich  Richter) 
I- — II,  14.  22  ff.,  31  ff..  43, 
51  ff..  58— 68.  72—74.  76—82, 
S8,  92,  95,  loi — 110,  112 — 118. 
Briefe  und  bevorstehender 
Lebenslauf  102,  114. 
Christnacht  112. 
Doppelter  Schwur  der  Besse- 
rung 102. 

Flegeljahre  i.  107  ff. 
Gedankenvisioneu   108. 
Hesperus  60,    62,  67,  74,  78, 
80,  92,  loi,  107,  114. 
Jubelsenior  74.  112. 
Kampanertal  104.  106. 
Heimliches  Klaglied  62,  78. 
Komet  95. 
Levana  73. 
Unsichtbare  Loge  61,  78,  81, 

Des  Luftschiffers  Giannozzo 
Seebuch  103,  106. 
Mondfinsternis  102. 


—     121     — 


Jean  Piuil,  Neiijahrsnaclit  eines 

rnglückliclien  102. 

l'apiere  des  Teufels  104. 

Ouiiitus  Fixlein  59,  102,  114. 

Schnlnieisteilein    Wuz     60, 

107. 

Seiina  32. 

Siebenkäs      59,    63 — 66.    6.S, 

78,  102.  104,   107,  109  ff. 

Titan  9,  60.  62,  74,  76,  ~^  ff., 

Si,  88,  92,  108  ff.,  115  ff. 

Vorschule     der  Ästhetik    9, 

51  ff.,  106  ff.,   117. 
Jung-,    Johann     Heinrich,    ge- 
nannt vStilling  19. 

Kaulbacli,   Wilhelm  53. 
Keller,  Gottfried  19. 

Die  Leute  von  vSeldw^da  19. 
Kerner,    Justinus    11  ff.,  52,  57, 

59,  64,  87,  95,   u(x 

Alphorn   116. 

Reiseschatten  57,  64. 

vSeherin  von  Prevorst  Sj.  95. 

Stefansturni  ii6. 
Kind,  Friedrich  12. 

Freischütz  12. 
Kleist,  Heinrich  von  58. 
Klopstock,  Friedrich  ( rottlieb  i . 

Ode  an  Fanni  i. 

Lenau,  Nikolaus  11,  20. 
Lessing,  Gotthold  Fphraim  18. 

Laokoon  18. 
Lichtenberg.    Georg  Christoph 

U). 

Lionardo  da  Vinci  45. 
Lonn,  llieronynius  30. 

Mandelsloh  iii. 
Ma\-nc,  Harry  43  ff. 
Minor,  Jakob  7,  98. 
Mörike,  Eduard  20  ff..  42  ff. 
Mozart,  Wolfgang  Aniadäus  56. 


Nietzsche,   l'"'riedrich   19. 

Menschliches      und      Allzu- 

nienschliches  19. 
Novalis,     Friedrich    von    ilar- 

denberg  98,  105. 

Olearius  iii. 

Palme.  August  51. 

i'aoli,  Hetty  19. 

Pereira.   Henriette  Paroniu   12. 

Petrich,   Hermann  97. 

Pichler,  Adolf  19. 

Aus  Tagebüchern  19. 
Pichler,   Karoline  78. 

Schweden  vor  Prag-  78. 

Raabe,  Wilhelm   19. 

Ranzoni  3. 

Raphael  Santi  45,  48. 

^Madonna  im  Grünen  48. 
Reischl.  P.   Ignaz  2. 
Richter,  (i.   F.  47. 
Roseg-ger.  l'etri  Ketteufeier  19. 
Rubens,  Peter  i'aul  48,  55. 
Rudigier,  F^ranz  Josef  40. 

Sauer,  August  3,  78. 
vSchelling,    Friedrich   Wilhelm 

Josef  von  105. 

Ideen   zur   Philosophie   der 

Natur  105. 
vSchiller.  Friedrich  von  i,  8,  15, 

88. 

Braut  von  Messina  88. 

Wallenstein  8. 
Schlegel.  Brüder  105. 
vSchlegel.  August  Wilhelm  7. 
vSchlegel.  Friedrich  115. 

Lucinde  115. 
Schlegel.  Karoline   xxi. 
Schönaich  Carolath,  Prinz  Fmil 

von  19. 
Schubert,   Giotthilf  von  9.5. 


—     122 


Schücking,  Levin  5. 
Schumann.    Robert  und  Klara 

22. 
Schwarzenberg-,    Fürstin  Anna 

von  19. 
Schwind.  ^loriz  von  53  ff. 
Scott.  Walter  15. 
Shakespeare.  Wilhelm  2,  6— S. 

31,  48,  60.  72  ff. 
König  Lear  7. 
Sturm  7. 

Stelzhammer.  Franz  ig. 
Stifter.  Adalbert.  Werke. 

Ode  an  Fanni  i. 

Julius  I.  3.  26,  62. 

Kondor    26 — 28.   60.    73.    75. 

yS,  81  ff..  84.  96.  103 — 107. 

Feldblumen  8.  14,  48  ff..  56, 

59-66.   69,  73  «■■    76.  78.  82. 

99  ff..  loi— iio.  114— 117. 

Heidedorf  35 — 37.  60.  71.  73. 

84,  93- 

Hochwald   5.    12.  28.  37.  78, 

^i.  100.  102.  III. 

Narrenburg  30,  57.  69.  88  ff.. 

90.  91  ff.,  lOI  ff. 

klappe    meines    Urgrossva- 

ters  32.  43,  60.  75.  79.  loi. 

Abdias  55,  81,  95  ff. 

Das   alte   Siegel   30.   63.  71. 

74.  77.  79.  83  ff..  90  ff..  100. 

Brigitta  30,  34,  87. 

Hagestolz  41.  55.  59.  67.  74. 

86  ff..  112. 

Waldsteig  60.  81.  84  ff. 

Zwei  Schwestern  49.  61.  Si, 

103.  114,  116. 

Der  beschriebene  Tännling 

32.  71.  102. 

Kalkstein  13,  38,  60.  71.  100. 
Turmalin  33,  93—95. 
Bergkristall  71,  112. 
Katzensilber  14.  64  ff.,  82  ff. 


vStifter  Adalbert.  Bergmilch  62, 

92. 

I'rokopus  92.  107. 

1  )rei  Schmiede  ihres  Schick- 
sals 69  ff. 

Waldbrunnen    14,    29.  93  ff.. 

116. 

Nachkommenschaften  73, 86, 

89,   103. 

Gang  durch   die  Katakom- 
ben 71. 

Der  fromme  Spruch  34.  68, 

89,  100. 

Kuss  von  Sentze  69.  89. 

Nachsommer  8,  13  ff..  18  ff., 

34,   49—50.    68.   73—75-    100. 

103. 

Witiko  15.  34.  37.  40,  52.  105. 

Wien   und    die  Wiener  109. 

116. 
Stifter   Amalia.    geb.  Mohaujjt 

25.  29,  38—40. 
Storni.  Theodor  19. 

Tieck.  Ludwig  5 — 7,  9  ff.,  14  ff., 
23.    32  ff..    41.    43.    45  ff-    48, 
51.    58,    60-62.    64.    69—77, 
81 — 87,   89,   92.  97 — 102.  105, 
IIO— 113,  115  ff. 
Abendgespräche  iio. 
Abschied  89. 
Ahnenprobe  75. 
Der  Alte  vom  Berge  86. 
Aufruhr    in    den    Cevennen 
32.  41.  71.  J02.   112  ff. 
Däumchen  74. 
Dichterleben  7.  60,  73. 
Der  blonde  Eckbert   89,  92. 
Elfen  64. 

Die  wilde  Engländerin  102. 
Franz     Stembalds    Wande- 
rungen  14.  60,  62,  ■/2,  76  ff., 
III  ff..  115. 
DerGeheimnisvolle  32. 62. 73. 


—     123 


Tieck.  Ludwig  Der  Gelehrte  s's- 
(ieinälde  32,  86. 
Gesellschaft  auf  dem  Laiule 

ii3- 

Herzenserj^iL'Ssuugeii    eines 
kuuKtliebendeu   Klosterbru- 
ders 9,  45—47.  51- 
Hexensabbat  ^-j,  92. 
Der  gestiefelte  Kater  95. 
Klauseuburg  89. 
Der  Mondsüchtige  14. 
Musikalische     Leiden     und 
Freuden  60,  102. 
Peter  Leberecht  14. 
Phantasien  über  die  Kunst 
für  Freunde    der  Kunst   47, 

Phantasus  100,  102. 
Die  Reisenden  92. 
Roman  in  Briefen  loi. 
Schutzgeist  87,  89. 
Sommerreise  5.  69,  loi  ff. 
Tagebuchblätter  89. 


Tieck,  Ludwig  DeriungeTisch- 

lermeister  14,  72,  •]']. 

ToiS.  des  Dichters  83  ff. 

Die  Verlobten  69. 

\ittoria  Accorombona  6r)ff., 

75.  Tj,  Si.  100. 

Waldeinsamkeit   loi.  11 J. 

Weihnachtsabend  89. 

William  Lovell  101. 

Zauberschloss  102. 
Tiedge,  Christo])h  .Vugust  i,  26. 

Urania  i. 

Wackenroder.  Wilhelm  Hein- 
rich 9,  45—47-  48.  51-  70.  72- 
I  Ier/,ensergie.ssungen  eines 
kunstliebeuden  Klosterbru- 
ders 9.  45—47.  51- 

Weber,  Karl  Maria  von  12. 
Freischütz  12. 

Zedlitz,  Josef  Christian  Frei- 
herr von   1 1  ff . 


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