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PRAGER
DEUTSCHE STUDIE?
HHRArSGKGEBEX
CARL VON KRAUS und AUGUST SAUER.
ERSTES HEFT.
ADALBERT STIFTER UND DIE ROMANTIK.
PRAG.
DRUCK UND VERLAG VOM CARL BELLMANN.
1905.
AÜALBERT STIFTER
\
UND DIE ROMANTIK.
VON
DR- WILHELM KOSCH.
t>0ls^
PRAG.
DRUCK UND VERLAG VON CARL BELLMANN.
1905.
Printed in Czecho-SlovakiÄ
DEM ANDENKEN
MEINER UNVERGEvSSLICHEN MUTTER.
INHALT.
I. Stifters X'erliältuis zur deutschen Literatur . . . . i — 23
IT. Cliarakter und Weltanschauung 24 — 44
111. Kuustanscluiuung 45 — z^j
W. Äussere Motive • . . . 58 — 71
V. Innere Motive . 72 — 96
VI. Technik und vStil 97-118
Register 119—123
Ich zitiere nach folo-enden Ausgaben:
E. T. A. Hoffmanns Werke (in 15 Bänden). Berlin, Hempel
1879-83.
Jean Pauls Werke (in 33 Bänden). Berlin, Reimer 1S4.0 — 42.
Adalbert Stifters vSämtliclie Werke. (Bibliothek deutscher Schrift-
steller aus Böhmen. Herausgegeben im Auftrage der Ge-
sellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst
und Literatur in Böhmen.) Prag, Calve 1901 ff. Band I
und XIV (soweit erschienen), sonst
Adalbert Stifters Ausgewählte Werke (Volksausgabe in 4 Bän-
den). Leipzig, Amelang 1897.
Adalbert Stifters Briefe (in 3 Bänden). Herausgegeben von Jo-
hannes Aprent. Pest, Heckenast 1869.
Ludwig Tiecks Gesammelte Novellen (Vollständige Ausgabe in
12 Bänden). Berlin, Reimer I852— 54.
I. Stifters Verhältnis zur deutschen Literatur.
In demselben Jahre, da Schiller seine Aug-en zum
letzten Schlummer scliloss und Jean Paul das Hauptwerk
seines Lebens »Die Flegeljahre lierauso;ab, wurde Adal-
bert Stifter geboren. Drei Generationen treffen in die-
sem Zeitraum zusammen: der scheidende Klassizismus,
die entwickelte Frühromantik -und ihr später Erbe.
Naturgemäss stand die literarische Entwicklung
des Dichters aus dem Böhmerwald unter dem Einfluss
der vorangegangenen Perioden. Auf dem geistlichen
Gymnasium zu Kremsmünster, das Stifter besuchte,
mögen neben Goethe von deutschen Klassikern Schil-
ler und Klopstock am meisten gelesen worden sein. In
Stifters erster, uns freilich nur bruchstückweise erhal-
tenen Jugenderzählung »Julius ') disputieren zwei
Freunde über die Kunst. Der Dialog erinnert lebhaft
an Schillers philosophischen Briefwechsel zwischen zwei
Jünglingen Namens : Raphael und Julius. Ein glück-
licher Zufall wollte es, dass Stifters erste Liebe Fanni
hiess und er also Klopstocks Vorbild nachstreben konnte,
indem er eine »Ode an Fanni« schrieb. Auch mit
einem späten Epigonen der Haller und Kästner war
er vertraut. Ein Zitat aus Tiedges »Urania ', das sich
unter seinen Aufzeichnungen aus jener Zeit vorfindet.
1) Archiv; Bruchstücke auch bei A. R. Hein. Adalbert
Stifter. Sein Leben iind seine Werke. Prag 1904, 50 ff.
Kosch, Stifter. j
gibt uns liievon Kunde. Leider wissen wir über Stif-
ters einflussreiclien Lehrer P. J^na.7. Reischl, ') der am
Gymnasium zu Kremsmünster den Unterricht im Deut-
schen erteilte und ein hochgebildeter Mann gewesen
sein soll, soviel wie nichts. Doch ist bekannt, dass
unter seiner Leitung Goethes »Hermann und Dorothea«
und auch »Iphigenie<' gelesen wurden.
1826 kam Stifter nach Wien, und es begann nun
eine zweite, die wichtigste Epoche in dem Leben des
werdenden Dichters. Eine neue Welt öffnete sich seinen
Auofen und seiner Seele. Der im Wesen Stifters be-
schlossene Keim entfaltete sich zur Blüte. Xeue Strö-
mungen gewannen über die alten die Oberhand. Stifter
reifte äusserlich und innerlich, als Mensch und als
Dichter. Er tritt in den Bannkreis Shakespeares und
Jean Pauls. Der grosse englische Tragiker vermittelt den
Überofang- vom Klassizismus zur Romantik. Stifter be-
sucht das Burgtheater, das Shakespeares Stücke zur
Aufführung bringt, er kauft -) und liest sie. Noch mehr
aber fesselt ihn Jean Paul.
Wohl schreibt er auch noch 1830 in einem Briefe
an ^Mathias Greipl, den Bruder seiner Geliebten, von
dem freundlichen Himmel, seinem Goethe, dessen
oTossartig-e »Ruhe und Heiterkeit den Streit der blinden
Leidenschaften in edle Harmonie auflöset«,^) aber be-
reits in demselben Schreiben zitiert er Jean Paul. Und
in den nächsten Jahren steigert sich seine Liebe für
diesen Dichter zur Schwärmerei.
1832, als Stifter in den Ferien zu Hause verweilte,
klaofte er seinem Freunde Adolf Freiherrn von Brenner
1) Briefe I. vS. XXII. Die freundlichen Bemühungen P. Th.
Lehners O. S. B. in Kremsmünster, über P. Reischl etwas Nä-
heres in Erfahrung zu bringen, blieben erfolglos.
-) Vgl. ein Verzeichnis gekaufter Stücke Shakespeares
im Archiv.
3) Zeitschrift für die österr. G3-mnasien IVS95. S6S.
über die Geistesöde, die in seiner Heimat auch seinen
Geist .i^efanf^cn halte. >Hätt' ich nur um Gotteswillcn
einige Jean Paule da, aber so lieg' ich oft stundenlang
unter wehenden Föhren oder blätternden Birken und
lese nichts als mich selber ... Es sind viele vStudierende
in Oberplan . . . und alle sagen viel über ein Einleuch-
tendes und wiederholen es dann, und wenn mir ein
Hoffmann'scher oder Jean PauPscher Gedanke entfährt,
so preist sich jeder in seinem Herzen und ist froh, dass
er gescheiter ist und gesetzter und solider als ich, der
absurde Dinge sagt und satirisch ist und wieder schwer-
mütig.« (Briefe I, 3.)
Als vStifter endlich 1840 als Dichter auftrat, zeigte
sich öffentlich, was er bereits dem erwähnten Freunde
anvertraut hatte, dass sein Liebling Jean Paul und
wiederum Jean Paul sei. Der schwärmerische Idea-
lismus liebender und leidender Herzen, die innigste
Zuneigung für das Schlichte und Kleine, der aphori-
stische, überladene Stil, alles Eigenheiten des älteren
Kleisters, zogen Stifter unendlich an. Seine »Feld-
blumen« sind der sprechendste Beweis dafür. Auch in
der Verwendung mancher äusserer Motive bekundete
der Verfasser der »Studien«, deren erste Bände 1844
erschienen, eine zweifellose Abhängigkeit von Jean Paul,
so dass man sagen kann : Kein Dichter hat Stifter
in der Frühzeit seines Schaffens so stark
beeinflusst wie Jean Paul.')
1) Ranzoni überliefert die folgende mündliche ^Mitteilung
Stifters (Concordiakalender 11, 220): Ich hatte schon mit einigen
zwanzig Jahren die Neigung, schriftstellerisch zu schaffen, es
war das die Zeit, da ich den Jean Paul zum ersten Male las,
und da machte ich die seltsame Erfahrung; »Alles, was ich
schreiben wollte, hatte er schon geschrieben«:. Sauer meint
mit Recht, dass die Lektüre Jean Pauls erst nach der Abfas-
sung des Fragments Julius; (1827) anzusetzen sei (Stifters Sämt-
liche Werke I. S. XXXI II).
— 4 —
vSein Leben lang, selbst noch in seinem Alter, da
die Sterne der Romantik auch ihm zu erblassen schienen,
vermochte sich Stifter \on dem Lieblingsdichter seiner
Studentenzeit nicht loszureissen.
Hatte er 1842 eine Nachricht an L. v. Collin mit
den Worten eingeleitet: »Erschrecken Sie nicht, es ist
kein Unglück geschehen, dass Sie diese Schriftzüge
sehen, sondern ich habe mich bloss niedergesetzt und
tunke ein (Jean Paulisch zu reden) und schreibe an Sie<'
(Briefe I, 48), so gebraucht er noch 1854 in einem
Briefe an Gustav Heckenast eine Wendung^ aus dem rei-
chen Wortschatz Jean Pauls. Er teilt dem befreundeten
Verleger seine Lieblingswünsche in Betreff der eigenen
Lebensführung mit und fährt fort: »Ich darf nicht daran
denken, sonst ergrimmt der Gott im Menschen, wie
Jean Paul sagt« (II, 51). Und einige Jahre vor seinem
Tode, 1865, schreibt Stifter im Anschluss an eine Bespre-
chung »Witikos« dem Freiherrn Sigmund von Handel :
:>Wie weit die sachliche Wirklichkeit in einem Kunst-
werke zu geben ist, hat die Wissenschaft noch nicht
ermittelt. Ganz darf sie gar nicht gegeben werden,
sonst entstünde ein mathematischer Satz und ein sinn-
lich hervorspringendes Kunstwerk, und es müssten, um
mit Jean Paul zu reden, die dichterischen Blumen so
langsam wachseh, wie die wirklichen und noch dazu
unter so viel Gras. Ganz darf sie nicht fehlen, sonst
malt man, wie wieder Jean Paul sagt, den Äther mit
Äther in Äther.« (Briefe II, 158. Vgl. Jean Paul
XVIII, 26.)
Diese Beispiele, aus dem intimen Gedankenaus-
tausch Stifters hervorgeholt, beweisen zur Genüge den
fortlaufenden Zusammenhang seiner Geistes- und Stil-
richtung mit der seines Kleisters, als den man Jean Paul
bezeichnen kann. Bilden die Werke dieses frühroman-
tischen Erzählers und Theoretikers in g-ewissem Sinn
das dichterische Evangelium für Stifters erste Schaffens-
— 5 —
zeit, so bedeuten die Schöpfungen K. T. A. Hoffmanns
und Tiecks dessen notwendig-e Ergänzung.
Mit ungemeinem Scharfblick wies ein zeitgenössi-
scher Kritiker, L. Schücking, gleich nach Erscheinen
der ersten Bände der >>Studien<; auf die Vorbilder des
jungen Autors hin. Er gibt ihm dabei den Rat, vor
den Novellen Tiecks, deren Figuren halb Marionetten,
halb Tollhäusler seien, an welche der Verfasser das Gold
und die Perlen seiner Gedanken vergeude, auf der Hut
zu sein, ferner vor Hoffmanns kapriziösen Ungeheuer-
lichkeiten und Fratzen, am meisten aber vor der ver-
seil wiramenden Weichheit Jean Pauls, die jeden pla-
stisch festen Umriss einer Gestalt mit dem Tränen-
tuche verwische und unsauber mache. ')
Wie sehr Stifter den Xovellendichter L. Tieck
schätzen musste, geht schon aus einer Äusserung her-
vor, die er unmittelbar nach Vollendung seines »Hoch-
walds« machte: ^Das weiss ich mit Gewissheit, dass
diese Dichtung innig und warm ist, und das weiss ich
auch, dass sie ausser Tieck niemand schreiben kann.<;
(Briefe I, 44.)
Ohne vorläufig auf die Ausführung dessen, was
Stifter in seinen Erzählungen an äusseren und inneren
Motiven von Jean Paul, Hoffmann und Tieck entlehnt
oder mindestens mit ihnen gemeinsam hat, einzu-
gehen, sei an dieser Stelle nur noch auf einige Ver-
bindungsmomente hingewiesen, die das Leben und
Schaffen der genannten Dichter in Parallelen zu ziehen
ermöglicht.
Um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert ver-
kehrten Jean Paul und Tieck viel miteinander. Und noch
1834 schreibt Tieck in seiner »Sommerreise« von »unse-
rem lieben, wunderlichen Jean Paul.« »Man sprach viel
über diese echt deutsche Natur und seine wundersamen
Werke, deren Ruhm sich in jedem Jahr mehr in
') Beilag-e zur ^Allgemeinen Zeitung« vom 10. Jan. 1845.
— 6 —
Deutschland verbreitet hatte. (VII, 44.) Hoffmann
wiederum, dessen Hterarische Jug-endentwicklung ganz
tinter dem Einflüsse Jean Pauls stand, erhielt für sein
erstes orrösseres Werk: die »Phantasiestücke in Callots
Manier< eine Vorrede des geliebten Meisters. ') Und
auch Tieck, der zwar das Karrikierte und Fratzenhafte
an Hoffmann unangenehm empfand, kam seiner dichte-
rischen Gesamtpersönlichkeit freundlich entgegen, indem
er ihn über einen romantischen Führer der Weltliteratur,
über Viktor Hugo stellte. -)
Als Stifter mit seinen Dichtungen in die Öffent-
lichkeit trat, waren Jean Paul und Hoffmann längst ge-
storben, Tieck aber lebte, literarisch nur mehr \venig
tätig, als vergrämter Einsiedler zu Dresden und schliess-
lich zu Potsdam bis 1853. Persönliche Beziehungen
zwischen ihm und Stifter sind nirgends nachzuweisen.
Da^esren bietet ihre Lebens- und Charakterentwicklung
manche gemeinsame Züge.
Wie Jean Paul wuchsen beide in kleinbürgerlichen
Verhältnissen auf, wie Hoffmann standen beide früh-
zeitig- musikalischen Kreisen und der bildenden Kunst
nahe. Tiecks Bruder Friedrich war Bildhauer, Hoff mann
]Musiker und Zeichner zugleich. Stifter hinwieder fühlte
sich als ]^Ialer so sehr, dass er lange daran zweifelte, ob
Poesie oder Malerei seinen Hauptberuf bilde. Ebenso
verkehrten alle viel in vornehmer Gesellschaft. Was
für Jean Paul etwa das Gut Venzka und Leipzig, für
Tieck das Schloss Ziebingen, für Hoffmann Bamberg war,
dasselbe bedeutete "für Stifter sein Wiener Aufenthalt.
Das Leben jener feinen Kreise spiegelt sich in ihren
Dichtungen Avieder. Aber auch in ihren Anschauungen
bekunden sie eine gewisse Ähnlichkeit. Gemeinsam ist
ihnen ihre hohe Verehrung für Shakespeare. Eine ein-
1) G. Ellinger. E. T. A. Hoffmann, Hamburg und Leipzig
1S94, 77.
*) Ebd. 182.
— 7 —
zige Stelle im >Sturin schuf nach Jean Pauls eio^ener
Angabe ganze Bücher von ihm. ') Tiecks erster dichte-
rischer Versuch behandelte in Form eines Zaubermär-
chens die Dicliterweihe des Knaben vShakespeare. Später
beschäftigte er sich eingehend mit den Materialien
über dessen Leben und Werke und schrieb endlich in
seiner Novelle »Dichterleben« vShakespeare selbst, nicht
über Shakespeare. >Seine Freunde erkannten hier Tiecks
Geist am eigentümlichsten wieder: Immermann wurde
hier das geheimnisvolle vSchaffen der Tieck'schen Phan-
tasie am klarsten . . . A. W. Schlegel aber fand es hin-
reissend und meinte, dass es, ins Englische übersetzt,
Furore machen würde.«-) Auch Hoff mann pries Shake-
speares »die Romantik im höchsten Sinn aussprechen-
den«-') Trauerspiele und wählte ihn sowie die Dar.stel-
lung seiner Stücke zum Vorwurf scharfsinniger Unter-
suchungen.
Stifters Begeisterung für Shakespeare, diesen Lieb-
lino- der p-esamten Romantik, äussert sich am deutlich-
sten in seinem Nachsommer. Er beschreibt darin eine
Musteraufführung des »Königs Lear«, der er beiwohnt :
»Mein Herz war . . . gleichsam zermalmt, ich wusste
mich vor Scham kaum mehr zu fassen . . . das hatte
ich nicht geahnt . . . der günstige Ausgang, welchen
man den Aufführungen dieses Stücks zu jener Zeit gab,
um die fürchterlichen Gefühle, die diese Begebenheit
erregt, zu mildern, tat auf mich keine Wirkung mehr,
mein Herz sagte, dass das nicht möglich sei und ich
wusste beinahe nicht mehr, was \-or mir und um mich
herging« .■*)
*) F. J. Schneider. Jean Pauls Altersdichtung-, Berlin 1901. 4.
-) J. Minor, Tieck als Novellendichter in den »Akade-
mischen Blättern«. Braunschweig' 18S4, 150.
•>} Ellinger, 72.
♦) Nachsommer. 2. Auflage. 1S65, I. 304.
Aber auch an anderen Stellen seiner Werke, wenn
er etwa den Helden im Nachsommer < sogar Englisch
treiben lässt, damit dieser Shakespeare in der Ursprache
lesen könne ') oder in den » Feldblumen < von einer
»romantischen Shakespearsgestalt< (I, 8i) spricht, be-
weist Stifter seine Hochschätzung und Liebe dieses
Dichters. Und ebenso wie Hoffmann die Stellung
Schillers als die eines lange unangefochtenen deutschen
Tragikers zugibt, dagegen dessen allzustark hervor-
tretende Rhetorik und den Phrasenschwall seiner Nach-
ahmer tadelt, -) so teilt auch Stifter in seiner Reifezeit
die rückhaltlose Bewunderung seiner Jugend für Schiller
nicht. Über den ;. Wallensteine sagt er in einem Briefe
an P. J. N. Geiger: Sie vermögen gar keine solchen
Phrasenfiguren zu machen, wie Schiller. (Ich will darum
Schiller nicht überhaupt tadeln, ich tadle nur dieses
Stück an ihm, begreife, wie er unserem Phrasenzeit-
alter so gefallen konnte, dass es ihn zu oberst setzen
wollte, und dass er selber wäeder sehr viel zum Phrasen-
tume der neuen Zeit beitrug, das sich in jüngster Zeit
völlig ekel machte.«) (Briefe I, 37). Dieses Urteil
schrieb Stifter 1854, also zu einer Zeit, wo er bereits
an seinem Nachsommer« zu arbeiten begann und dem
Klassizismus sich wiederum näherte. Stifter war eben
früher so sehr im Bann der Romantik gestanden, dass
er in seinem Alter wohl wieder ein glühender Verehrer
Goethes, niemals aber ein solcher Schillers werden
konnte.
Stifter war nicht bloss Dichter, sondern auch Theo-
retiker. Wie Jean Paul w^ollte auch er Volkserzieher
im engeren Sinn des Wortes sein. Dem Verfasser der
»Levana« tritt Stifter mit seinen zahlreichen Aufsätzen,
die zu den einschneidendsten Frasfen der Zeit Stellunsr
1) Nachsommer I. 308.
2) EUinger, 127.
— 9 —
nehmen, an die Seite. Ebenso bctätij^te er sich als
Kunstschriftsteller, wie seinerzeit Hoffniann und Tieck.
SchHessIich erübrio;-t nocli die Frage: Wie fassten
die genannten Romantiker den Katholizismus auf, der
in ihrer Zeit zur Mode geworden war, und wie ergriff
sie die national bedrängte Lage ihres Vaterlandes, dessen
Wiedererhebung mit den Trägern der Romantik un-
lösbar verknüpft erscheint? Bei Jean Paul machen sich
katholische Elemente noch am wenigsten fühlbar. In
dieser Hinsicht war sein Zusammenhang mit dem
Klassizisnnis wirksamer geblieben, als bei den meisten
seiner literarischen Zeitgenossen. Und doch stand auch
er ihren katholisierenden Tendenzen nicht fremd gegen-
über. Im »Komischen Anhang zum Titan ' betont er
selbst, dass er sich für den Katholizisnms zwar nicht
als ein in der Gegenwart fortwirkendes Prinzip, wohl
aber als historische Erscheinung erwärmen könne. Und
in Bezug auf die romantische Dichtung äussert er sich
in der Vorschule der Ästhetik« : »Ursprung und Cha-
rakter der ganzen neueren Poesie lässt sich so leicht
aus dem Christentum ableiten, dass man die roman
tische ebensogut die christliche nennen könnte« (XVIII,
loi). Diese Formel drückt ungefähr dasselbe aus, was
der katholische Literarhistoriker der Romantik, Eichen-
dorff, einige Jahrzehnte später näher ausführen sollte.
Von Tieck ist bekannt, dass anlässlich seiner Rück-
kehr aus Rom 1806 das Gerücht entstand, er sei dort
katholisch geworden. ') Seine Beziehungen zu Wacken-
roder, sowie die Mitherausgabe der katholisierenden
»Herzensergiessungen eines kunstliebenden Kloster-
bruders«; hatten die Möglichkeit eines solchen Schrittes
wohl von vornherein glaubhaft gemacht. Tieck bestritt
das Gerücht, obgleich sich andererseits gewichtige
») Ct. Klee, Tiecks Leihen und Werke (Meyers Volksbücher
Nr. 1028 — 29) S. 69.
lü
Stimmen genug erhoben, welche die Wahrheit der
Nachricht zu erhärten suchten. Immerhin ist gewiss,
dass seine Frau und seine Töchter zum KathoHzismus
übertraten, und dass Tieck nach wie vor die poetischen
vSchönheiten der alten Kirche seinem dichterischen
Schaffen zu nutze machte.
In noch ausgiebigerer Weise tat dies E. T. A.
Hoffmann. Freilich konnte bei ihm von einem inneren
Erfassen des Katholizismus durchaus nicht die Rede sein.
Er kam darin über die dekorativen Elemente nicht
hinaus. Doch kam er dem Geist seiner Zeit, der an
Einsiedeleien und Klöstern, Mönchen und Nonnen, ge-
heimnisvollen Reliquien und mystischen Kultvorgän-
gen ein staunenswertes Interesse hatte, willig entgegen.
Hand in Hand mit dem innigen Gefallen an der
mächtigsten Religion des INIittelalters ging damals die
Begeisterung für die deutsche Vorzeit, die in dem
Hass wider Napoleon auch einen politischen Ausdruck
fand. Der Jubel der Befreiungskriege klingt in den
Dichtungen der gesamten Romantik wieder. Jean Paul
schrieb flammende Worte für die deutsche Freiheit,
Tieck begrüsste den Sieg der deutschen Waffen und
nahm sich vor, eine Reihe Dramen aus der vaterlän-
dischen Geschichte zu schreiben ') — ein Plan, der
später freilich nicht zur Ausführung kam — und sogar
Hoffmann, der sich rühmte, er habe niemals politische
Blätter gelesen und sich überhaupt um Politik nicht ge-
kümmert, zeichnete wenigstens Karrikaturen auf die
Franzosen und komponierte ein grosses Gemälde »Die
Schlacht bei Leipzig. <-) — Inwiefern der katholische
und deutschnationale Wesensgehalt der Romantik mit
Stifter als Menschen und Dichter im Zusammenhang
steht, soll in der Folge gezeigt werden ; hier genüge
I) Klee, 73.
-) EUinger. Sy.
— II —
die Feststellung der Tatsache, dass vStifter infolge seiner
Abstamniiing und Erzieliung wie aus Überzeugung Ka-
tholik war, dabei aber das deutsche Volk für das > erste
an Geist und Seele« ') hielt und nach dem Voigang der
Romantik bestrebt war, die deutsche Sprache zu bilden.
Wie Jean Paul sucht auch er Fremdwörter zu ver-
deutschen und einen neuen Stil zu schaffen. Und noch
im Alter bewundert er das eigentlich erst durch die
Romantik der Literatur wiedergewonnene Nibelungen-
lied, »das unausstaunbare Werk der alten Deutschen«,
das er weit über die Ilias und Odyssee zu setzen bereit
war (Briefe III, 158).
Blieb es Stifter auch versagt mit jenen Roman-
tikern in Verkehr zu treten, die für ihn von grösstem
Einfluss waren, so hatte er doch persönliche Beziehungen
zu namhaften Vertretern der Spätromantik, zu Eichen-
dorff, Justinus Kerner, Lenau und Zedlitz.
Eichendorff, dessen Schwester Luise in Baden
bei Wien wohnte und mit Stifter durch ein überaus
inniges und ideales Freundschaftsverhältnis verbunden
war, lernte den Dichter der »vStudieU'; kennen, als er
1846 eine Reise an die Donau unternahm. ^) Obwohl
eine direkte Einwirkung auf Stifter seinerseits nicht
nachweisbar ist, kamen sich beide in ihren Grund-
ansichten und dem lyrischen Zug ihrer Novellen nahe.
Als Eichendorff 1857 gestorben war, schrieb Stifter an
Luise: »Ich achtete und liebte ihn als iVIenschen sehr
und denke mit Freude und Trauer an jene Zeit, in
welcher er öfter meine Schwelle betreten hatte, und in
welcher ich an anderen Orten mit ihm zusammen war.
Als Dichter herrlicher Lieder und so manches anderen,
und als Vorkämpfer für das Reine und Schöne ist er
mir nicht gestorben. (Briefe II, 245.)
1) Briefe II. 265.
-) H. Keiter. Joseph von Eichendorff. .Sein Leben und
seine Dichtungen, Köln 1887, 97.
— 12 —
ISIit Zedlitz, dem österreichischen Epigonen der
Romantik, wurde Stifter zu Beginn seiner dichterischen
Tätigkeit im Hause der Baronin Pereira zu Wien be-
kannt. (Briefe I, S. XXXIII.) Auch dieser ältere Dichter
\ermochte auf ihn keinen Uterarischen Einfluss zu ge-
winnen, wenigstens läs.st sich ein solcher gleichfalls
nirgends feststellen.
Dagegen finden sich bei Stifter Stimmungen und
Gedanken aus den Werken Justinus Kerners wieder.
Dieser selbst schätzte ihn hoch. Am 24. Februar 1855
übersandte er ihm seinen Gruss: Dem edlen vortreff-
lichen von Stifter sagt seine innigste Liebe und Ver-
ehrung der alte, halbblinde Justinus Kerner. <-') Von
den Phantasien des schwäbischen Geistersehers ist nur
ein Schritt in das Bereich jener \'erirrungen der Ro-
mantik, die in ihrer Gesamtheit die Pseudo-Romantik
bilden. Ob Stifter Apels Gespensterbuch« oder eine
andere dieser Sammlung zugrunde liegende Schrift-)
bekannt war, konnte nicht ermittelt werden. Dagegen
dürfte Webers Freischütz: mit dem Text von Kind
Stifters Kenntnis nicht entgangen sein. Dass seine Sage
vom Wildschützen im : Hochwald- auf eine dieser
Quellen zurückzuführen ist, erscheint bei der innigen
Verwandtschaft der ]\Iotive ausser Zweifel. Aber auch
sonst blieben Stifter die tiefsten Nachtseiten der roman-
tischen Anschauungsweise nicht fremd. Von dem Vor-
handensein innerer geheimnisvoller Tatsachen, die dem
Somnambulismus und der Geisterfurcht zugnmde liegen
sollen, war auch er überzeugt.
Um das Jahr 1S50 vollzog sich allmählich, aber
nachhaltend ein Umschwung im Leben und Streben
des Dichters. Langsam entfernte er sich von dem
Zaubero-arten der Romantik und klomm die steilen
') E. Andrass}-. Briefe an Stifter in der »Österr. Rund-
schauc 1883, 6ig.
-) H. A. Krüger, Pseudoromantik. Leipzig 1904. 100.
— 13 —
Höhen des Klassizismus hinan. Es ma<^ sein, dass der
Verkehr mit Grillparzer ihm neue Bahnen wies. Jahre
lang- hatte Stifter das berühmte Literatenkafe Neuner
zu besuchen Gelegenheit gehabt, kein leuchtender Stern
am damaligen Wiener Dichterhinmiel blieb ihm ver-
borgen, wenn er auch nicht mit allen sympathisierte.
Aber Grillparzer verehrte er hoch. Ob nicht die Er-
zählung »Der arme Wohltäter«, die später als -Kalk-
stein« in den »Bunten Steinen- Aufnahme fand, auf
Grillparzers Novelle »Der arme Spielmaun zurück-
zuführen ist? Im Druck erschienen beide etwa um die-
selbe Zeit: Ende 1847, ^^^^ zwar veröffentlichte Grill-
parzer seine Dichtung in dem Taschenbuch »Iris«,
dessen Mitarbeiter seit Jahren Stifter war. (Briefe I,
S. XXXI u. XXXV.) Die Ähnlichkeit liegt nicht bloss
im Äusseren der Hauptpersonen, auch ihr Charakter als
Kinderfreunde und ihre merkwürdigen Lebensumstände
ähneln einander so sehr, dass ein Zusammenhang beider
Erzählungen auch ohne denselben Aufbau und die glei-
che Führung der Handlung offenbar würde. Stifters
menschliches Verhältnis zu Grillparzer beruhte auf Ge-
genseitigkeit. Zu dessen 70. Geburtstag übersandte
Stifter ein Glückwunschschreiben, worin er den bedeu-
tenden Einfluss Grillparzers auf seine Charakterent-
wicklung besonders hervorhebt (Grillparzer-Jahrbuch I,
412), und dieser nennt in der Antwort Stifter seinen
»edlen Freund« (Andrassy, 62 ij.
1857 erschien Stifters lange vorbereiteter grosser
Bildungsroman »Der Nachsommer«. Und in diesem
zeigte sich vollends, wessen Spuren Stifter nunmehr
zu wandeln gewillt war. Eigentlich musste er auf
Goethes »Wilhelm Meister« zurückgreifen, wenn er in
seinen früheren Werken so vieles von den Romantikern
angenommen hatte. »Wilhelm Meister« galt der Früh-
romantik als Evangelium der epischen Muse und
durfte darum ganz folgerichtig ein Halbjahrhundert
— 14 —
später das Ideal eines Ausläufers jener Bewegung sein.
Stifter ähnelt in dieser Beziehung wiederum Tieck,
dessen Denken und Dichten nicht ausschliesslich roman-
tisch war. »Unsere Schriftsteller suchen immer das so-
genannte Poetische abzusondern und zu einem für sich
bestehenden Stoff zu machen, sie trennen dadurch die
Einheit und können uns nur einen einseitigen Genuss
verschaffen ; denn wem ist unter den Deutschen gegeben
wie Goethe zu schreiben. So meint schon der junge
Tieck in seinem »Peter Leberecht \ Auch in späteren
Novellen, wie im » Mondsüchtigen < spielt Goethe dem
jungen Deutschland zum Trotz eine glänzende Rolle.
Ja Tieck wählte ihn oft zu seinem direkten Vorbild.
»Sternbald« und »Der junge Tischlermeister« enthalten
manche Züge aus »Wilhelm Meister«.
Stifter freilich ging in seiner Bewunderung für
Goethe noch weiter. Wenn er in seinem späteren Brief-
wechsel zitiert, dann sind es zumeist Zitate aus dessen
Werken. Sogar der Liebling seiner Jugend, der ver-
ehrte »Vater Hans Paul« ') in den »Feldblumen« hatte
schon in der Buchausgabe dem A'ater Goethe« (I, 47)
weichen müssen.
War Stifter Goethes Dichtungsgestalten nahe-
getreten, noch bevor sein »Nachsommer« herauskam,
indem er im »Katzensilber« der »Bunten Steine« die
unvergänglich nachwirkende Mignonfigur, die in der
Erzählung »Der Waldbrunnen« nochmals wiederkehrt,
herübernahm: so suchte er jetzt auch den Geist der
Sprache Goethes zu ergründen und seiner Menschlichkeit
immer näher zu kommen. Goethes Stil und praktische
Anschauung vom Leben ging auf Stifters Altersdich-
tung über. Die klassische Ruhe eines zwar auf Erden
wirkenden, aber erdentrückten erhabenen Charakters
schwebt fortan über den still gewordenen Fluten seiner
') Iris. 1841, 238.
— 15 —
früher so schwäniieriscli-beredtGii Poesie. Das <j;ill auch
von seinem 1S65 erschienenen historischen Roman »Wi-
tiko< , der trotz der Ik-handluno: eines romantischen vStof-
fes zu der deutschen Romantik keine P>eziehun<^en mehr
hat. Ob und inwiefern Walter vScott die vSchaffensweise
des alten Stifter mitbestinmite, entzieht sich dem Rah-
men dieser Untersuchuno.
Das junge Deutschland war der Romantik als Tod-
feind g-egenübergetreten. Es hatte die letzten Reste aus
jener Zeit gewaltsam zu vernichten getrachtet. Sogar
der sonst so wandlungsfähige Tieck hatte als Zielscheibe
des Spottes herhalten müssen, wofür er freilich seine
Abneig-ung wider den neuen literarischen Hexensabbat
unverhohlen zum Ausdruck brachte. Mit Stifter machte
das junge Deutschland noch kürzeren Prozess, es schwiege
ihn einfach tot. Für die Propheten einer radikalen
Zukunft hatte ein Mann, der so wenig Stürmer und
Dränger war wie Stifter, eben gar keine Existenz-
berechtigung. Andererseits waren auch ihm die zeit-
genössischen Verhältnisse in der deutschen Literatur
recht widerwärtig. »Unsere Literatur«, schreibt er 1855
an Heckenast, »liegt im Argen, und ein Mann, der mit
mir die Einfachheit und das sittliche Bewusstsein ge-
mein hätte, mir aber an Dichterbegabung weit über-
legen wäre, sollte aufstehen, er würde der Erneuerer
unserer gesunkenen Kunst sein und die Ehre des Jahr-
hunderts retten. Den grossen Grillparzer rechne ich
noch zu der früheren Zeit. Seit er schweigt, ist der
Unfug erst recht losgegangen. Halm schwankt und ist
zu wenig streng, selbst im »Fechter«, obwohl dieser
ein Riesenfortschritt ist. Schiller, so gross er ist, hat
durch den falschen Glanz, den er der keuschen Muse
geben zu müssen geglaubt hat, viel zu dem nachfol-
genden Übel beigetragen, noch immer wird Götzen-
dienst mit Schiller getrieben, und ich fürchte, nicht
mit dem grossen Schiller, sondern mit dem flittern-
— i6 —
den. Heine mit der Haltlosigkeit seines Gewissens und
dem Prunk seines Talents hat unendlich «geschadet.
Da/.u kam der einseitige, oberflächliche Liberalisnms,
der die echte Freiheit ebenso schändete wie die paus-
backige Poesie die Kunst, und auf diese Weise kamen
die Zustände, die sich im neuesten Leben, in der Kunst
und im Staate, namentlich in der sogenannten Revolu-
tion so erbärmlich zeigten.« (Briefe H, 97 ff.) Ahnlich
absprechend lautete Stifters Urteil über Hebbel. Das
hängt wohl mit der durchaus verschiedenen Charakter-
anlage der beiden zusammen. Denn obgleich man
Hebbel Gemüt und Mitgefühl auch für die Kleinwelt
eines bescheidenen Horizonts nicht absprechen kann —
das tiefinnige, rührende Gedicht: »Schau ich in die
tiefste Ferne ...»') mag als Beispiel für andere gelten —
dennoch überwog in seinem dichterischen Charakter
das herrisch-gewaltsame und philosophisch-konstruie-
rende Element so sehr, dass er in der deutschen Lite-
ratur lange eine vielumstrittene Persönlichkeit war.
Stifter und Hebbel wird man am besten als Antipoden
erfassen.-) Beide gehen auf innere Seelenregungen ein,
nur dass der eine mit der Feinheit des Anatomen die
Wurzeln des Gemütslebens aufzudecken bemüht ist, die
bei seinen Charakteren so stark sind, dass sie das ru-
helose Herz den Sturm der Leidenschaft überstehen
lassen, während der andere die Seele und alle ihre Be-
ziehungen, als Ganzes betrachtet, dem Kampfe des Le-
bens aufopfert. Stifter stellt das Werden des in sich
einigen Menschen dar, Hebbel löst die gewordene Ein-
heit in der Vernichtung durch die Leidenschaft auf.
Ein Bild mag; diese Auffassung; erklären. Aus Stifters
•) Fr. Hebbel, Sämtliche Werke. Hist.-krit. Ausgabe. Berlin
1902, VI, 40S.
-) Vgl. hiezu E. Th. Bratranek in der xÖsterr. Revue«,
Wien 1863 und E. Kuh. Zwei Dichter Österreichs II. Teil:
A. Stifter, Pest 1872.
— 17 —
Dichtungen strahlt uns ein milder leuchtender Sonuner-
tag entgegen, Hebbels Muse verkörpert die dunkle,
stürmische Gewitternacht. Diese Elemente des Erden-
laufs werden mit einander immer im Widerstreit stehen,
solange es ein All gibt, und der unergründliche Ouell
der Poesie seine verschiedenen Ströme ins Leben ent-
sendet. Wie sehr man Unrecht täte, vStifters ableh-
nende Haltung Hebbel gegenüber auf persönliche oder
subjektive Gründe zurückzuführen, dass vielmehr das
Prinzipielle des Gegensatzes darin zi:m Ausdruck kommt,
geht schon aus einem am 2t. August 1847 abgesandten
Schreiben an den Redakteur der »Allgemeinen Zeitung ,
Buddeus, hervor: »Das Grosse posaunt sich nie aus, es
i s t bloss und wirkt so. Meist weiss der Grosse n i c h t,
dass es gross ist, daher die grössten Künstler der Welt
die lieblichste kindlichste Naivetät haben und dem Ideale
gegenüber, das sie einmal leuchten sehen, stets demütig
sind. Als ich Hebbels Sachen zuerst las, legte ich sie
als unbedeutendes schwaches Gemache von Seite einer
Unkraft, die sich nur bläht und sittlich widerwärtig
tut, um gross zu scheinen, bei Seite ; aber in welches
Erstaunen geriet ich, als ich hörte, dass man ihn einen
Dichter nannte, ja als man Grösse in ihm fand. Es
kam mir ein Wehe an um meine Landsleute — aber
ich begriff es, als ich jene Gattung Wiener kennen
lernte, die ihn priesen. Meine Ansicht ist die aller
meiner literarischen Freunde: Grillparzer an ihrer
Spitze. Wenn man daher auswärts meint, Hebbel habe
es Wien angetan, so irrt man sehr. Selbst manche Fa-
milien kenne ich, die nur ihr einfaches Gefühl fragen
und diese Dichtungen entschieden von sich weisen.
Der grösste Teil unserer Wiener (die lesenden) ist zu
gesund, um diese Verrenkungen anzunehmen.«')
') Brief im JJesitz des Hr. AI. Me3-er-Colin in I]erliii. teil-
weise gedruckt in dessen Autograplien-Katalog.
Kose h, Stifter. 2
iS
Hebbel hinwieder hielt von Stifter ebensowenig.
In einem Epigramm »Die alten Naturdichter und die
neuen« stellt er ihn an die vSeite von Brockes und
Oessner. Mit beissender Ironie weist er alle ab :
»Wisst ihr, warain euch die Käfer, die Butterblumen so glücken,
Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die vSterne nicht
seht.
Schautet ihr tief in die Herzen, wie könntet ihr schwärmen für
Käfer?
Säht ihr das Sonnens^-stem. Sagt doch, was war' euch ein
vStrauss ?
Aber das niusste so sein; damit ihr das Kleine vortrefflich
Liefertet, hat die Natur klug euch das Grosse entrückt. ')
Liess schon dieses Epigramm nichts an Deutlich-
keit übrig, so fasste sich Hebbel noch ausführlicher in
einer Rezension von Stifters: :>Nachsommer< , »Drei
starke Bände!« beginnt Hebbels Klage. »Wir glauben
nichts zu riskieren, wenn wir demjenigen, der beweisen
kann, dass er sie ausgelesen hat, ohne als Kunstrichter
dazu verpflichtet zu sein, die Krone von Polen ver-
sprechen. Wir machen jedoch den Verfasser nur in ge-
ringem Grade für das missratene Buch verantwortlich;
er war sogleich bei seinem ersten Auftreten Manierist
und muste, verhätschelt wie er war, zuletzt natürlich
alles Mass verlieren.«-) Anfangs noch durch die Erinne-
rung an Lessings »Laokoon« im Zaume gehalten, habe
er nun in der Gewissheit, dass dieser Kritiker heute
niemand mehr schade, das Äusserste seiner Richtung
erreicht. Gessner hätte doch wenigstens gemalt, Stifter
aber habe sich damit begnügt, nur Farben zu reiben,
ja oft sogar nur Farbstoffe zusammenzutragen.
Wie merkwürdig nehmen sich neben diesem Urteil
Hebbels, der am » Nachsommer ^ überhaupt nichts Gutes
1) Hebbel VI, 349. Vgl. hiezu noch die Verspottung
Richtung im Vorwort zur »Julia« (II, 380) und in der Satire
-Das Komma im Frack.< (XII, 189).
2) Ebd. XII, 182.
— 19 —
und nur Schlechtes fand, die Worte eines anderen Über-
niensclien im deutschen Geistesleben des neunzehnten
Jahrhunderts aus: »Wenn mau von Ooethes »Schriften
absieht, . . . was bleibt eigentlich \on der deutschen
Prosaliteratur übrig-, das verdiente, wieder und wieder
gelesen zu werden? Lichtenbergs Aphorismen, das erste
Buch von Jung Stillings Lebensgeschichte, x\dalbert
Stifters »Nachsommer« und Gottfried Kellers »Leute
von Seldwyla« — und damit wird es einstweilen zu
Ende sein.«') Aber nicht nur Nietzsche, auch Raabe,
Storm, Adolf Pichler,-) Emil \on Schönaich-Carolath ,
Marie von Ebner-Eschenbach, um nur einige Namen
zu nennen, standen unter Stifters Einfluss. Und in
einem Brief Roseggers vom 3. Januar 1875 findet sich
das Bekenntnis, sein Liebling, den er immer und immer
wieder lese, sei Stifter. (Vgl. auch Hein, 583.)
Von den hervorragenden literarischen Persönlich-
keiten, mit denen der Dichter aus dem Böhmerwald als
Freund und Berater in Fühlung trat, sind noch zu
erwähnen: Franz Stelzhammer und Betty Paoli. Den ober-
österreichischen Dialektdichter förderte er als Mitarbeiter
an dem Unternehmen »Wien und die Wiener«, das
1841 begonnen wurde. Betty Paoli hatte Stifter bei der
geistreichen Fürstin Schwarzenberg, deren Wiener Salon
er oft besuchte, frühzeitig kennen gelernt. In der Vor-
leserin des adeligen Hauses im »Nachsommer tritt uns
ihre Gestalt entgegen. (Briefe I, S. XXXH.)
1) Fr. Nietzsche. ]Menschliches und Allzumeuschliches.
Leipzig 1904. II. 257; vgl. hiezu den Aufsatz von R. M. Meyer.
Stifters »Nachsommer« in der Wiener Wochenschrift »Zeit«
XXXIV, 53 ff., 66 ff . Ferner A. Hauffen. Stifters Nachsommer«
in der »Deutschen Arbeit«, Prag, II. Bd.
-) In den »Tagebüchern« A, Pichlers (München 1905, 106)
lautet eine Stelle über Stifter: »Seine Werke gehören zu den
schönsten Erinnerungen meiner Jugend, ich komme aber auch
im Alter gern darauf zurück. Wenn er auch von Jean Paul
ausging, überragt er ihn doch als Künstler . . .«
2ü
Wenn wir uns nun die Frage stellen, in welchem
Verhältnis Stifter zur deutschen Literatur stehe, so
wäre es verfehlt, sie bloss im Hinblick auf die zu seiner
Zeit mächtigste Literaturströmung beantworten zu
wollen.
Stifter stand nicht ausserhalb der literarischen
Entwicklung, wie es auf den ersten Blick scheinen
konnte, sondern vielmehr mitten in ihr.
Abseits von der grossen Strasse, auf der die wilde
Jagd des jungen Deutschland vertobte, bereitete ein dichte-
risches Ewigkeitsgeschlecht seine stillen Siege vor:
Neben Stifter und Eichend orff Mörike und Annette von
Droste-Hülshoff, nach einem Ausspruch Betty Paolis
die grösste Dichterin aller Länder und aller Zeiten, von
denen wir wissen. ') Alle diese Dichtergestalten, die
uns heute als kraftvolle Ausläufer einer unvergänglichen
Blütezeit deutscher Dichtung erscheinen, überleitend zu
neuen Verkündern der alten Ideale, gingen bei ihrem
ersten Auftreten fast spurlos unter. Für das grosse
Volksganze lebten sie noch nicht. Ihre Nachwirkung
zeigt sich vielfach erst heute.
Hatte Immermanns »Münchhausen« (1839) ^^"^
ersten Male wieder im Grossen auf die unveräusser-
lichen Rechte der heimatlichen Landschaft hingewiesen,
war die bodenständige Lyrik in Lenaus Pussta- und
Schilfliedern {1832) entdeckt und in Droste-Hülshoffs
westfälischen Heidebildern (1837) für Deutschland
dauernd erobert worden, so konnte vStifters Schilderung
des heimischen Böhmerwalds nicht mehr völlig über-
raschend wirken.
Sowohl er als auch seine Vorläufer bringen die
leblose Natur mit den [Mensch enschicksalen in Zusammen-
') Vgl. Annette Freiin von Droste-Hülslioffs gesammelte
Schriften in drei Bänden. Stnttgart, Cotta. Einleitung von
Levin Scliücking. 7.
21
lianj4, beseelen sie, ja gehen /um Teil nocli weiter.
NicliL nur Stifter, auch Mörike und Droste-Hülshoff
verlieren sich voll Liebe im Naturdetail. Sie über-
l ragen diese Vorliebe auf die scheinbar unbedeu-
tendsten Taten und Regungen des Menschenherzens.
Sie stehen mit ihren Ansichten nicht allein und ge-
winnen immer mehr literarische Gesinnungsgenossen.
Und ehe noch Stifter in der Vorrede zu seinem > Fest-
geschenk« der Bunten Steine« (1852) die Grösse des
angeblich Kleinen auseinandersetzte, hatte bereits
J. Gotthelf in seiner >Gabe für Dienstboten und Meister-
leute« wie er ähnlich bescheiden Uli den Knecht"
(1841 und 1849) bezeichnet, >das sogenannte Kleine,
aber für den Weisen das Wichtigste« ') darzustellen
versucht. Dieser Hinweis möge zeigen, dass die
Darstellung von Stifters Verhältnis zur Romantik nur
ein Bruchstück seines literarischen Gesamtbildes be-
deuten kann. Allerdings, jene Dichtungen, die seinen
Ruhm begründeten, führen uns vor Allem auf die
romantische Periode zurück. Aber auch in diesem be-
schränkten vSinne als Dichter der Studien v darf man
ihn weder als Spätromantiker noch als blossen Epi-
gonen der Romantik auffassen. Um als Spätromantiker
zu srelten, war er von ihr sowohl zeitlich wie örtlich
zu weit geschieden. Aber seine literarische Erscheinung
war auch neu und eigenartig genug, den Vorwurf des
Epigonentums von ihm für -inniier abzuwehren. Wie
Grillparzer ein Klassiker nach dem Klassizismus, ist
der Dichter der »Studien« ein Romantiker nach der
Romantik. Eine Reihe wesentlicher Momente verknüpft
Stifter auch als Gesamtper.sönlichkeit mit dieser Periode.
Stifters Verehrung des Katholizismus, seine nationale
Begeisterung und seine Kunstanschauung, die der Ro-
mantik entsprechend gern mittelalterliche Vorbilder hat,
») Jereiiiias Gotthelf. Volksansgabe seiner Schriften im
Urtext. Bern 1S99, VI. 394.
— 22 —
bringen ihn als Menschen und Kunsttheoretiker den
romantischen Kreisen geistig nahe. In seinen Erzäh-
lungen kehren alte Märchenmotive wieder, und die kUn-
gende Sprache aus dem Reich der blauen Blume tönt
überall durch. Wenn er auch Mass hält im Gebrauch
eingestreuter Lieder, seine Novellen sind doch so lyrisch
gehalten, dass wir die Worte des Komponistenpaares
Robert und Klara Schumann begreifen: »Soviel Musik
erklingt aus Ihren Dichtungen«, heisst es in einem
Briefe der Beiden an Stifter, in dem sie ihn zu einem
ihrer Konzerte laden, dass wir Sie gewiss nicht mit
Unrecht für einen Freund auch unserer Kunst halten.«
Und sie schliessen mit dem Wunsche : Könnten wir
Ihnen im Konzert nur einen Teil jener Freuden zu-
rückgeben, die Sie uns verschafft« (Andrassy, 624).
Doch in vielem, und zwar gerade in dem, was
seine Bedeutung ausmacht, ging Stifter über die Ro-
mantik hinaus. Seine Phantasie ist gezügelt, manchmal
glühend, geheimnisvoll und tiefsinnig, niemals aber
verworren. Seine Naturanschauung ist klar und unbe-
irrt, die aus ihr hervorquellende Schilderung der Wirk-
lichkeit entsprechend, plastisch und lebensvoll. Mit den
wunderlichen Versuchen der Romantik, die Natur in
die Handlung zu verweben, ist sie nicht zu vergleichen,
nur ihre Ahnung und Sehnsucht erfüllt sie. Stifter
schuf, freilich von Jean Paul und später von Goethe be-
einflusst, einen neuen Stil des Wohlklangs und der
höchsten Ausdrucksfähigkeit. Aus den sprachbildendsten
Elementen der Romantik imd des Klassizismus fügte
er seine Wurzeln zusammen imd pfropfte dem blü-
henden Stamm sein eigenes schöpferisches Reis auf.
Dieser Stil war geeignet, die kleinsten und feinsten De-
tails aller äussern und innern Vorgänge wiederzugeben.
Und auf diesem Wege wurde Stifter auch zum eigent-
lichen und bahnbrechenden Schöpfer der modernen, hn
engsten Sinn psychologischen No\'elle.
Freilich, der Nährboden seiner Kraft, soweit sie
nicht in ihm selbst lag, war in erster Linie die roman-
tische Poesie, vor allem Jean Pauls, Hoffmanns und
Tiecks.
Auf der Schule begann Stifter die Klassiker zu
lesen, im Alter kehrte er zum Klassizismus wieder zu-
rück, was aber dazwischen liegt, die Blütezeit seines
Lebens und Schaffens, gehört der Romantik. Kein
besserer Zeuge mag dies bestätigen, als der unvergess-
lichc Freiherr von Eichendorff, der als der letzte aus
dem Heidelberger Kreise derer um Görres, Arnim und
Brentano in eine neue Zeit herüberragte.
In den »Historisch -politischen Blättern; vom Jahre
1846 (XVII, 439 ff) wies er auf einen hoffnungsvollen
Erneuerer der deutschen Dichtung hin : Wir meinen
Adalbert vStifter, dessen Novellen sich eben durch das
auszeichnen, was sie von der jetzigen Modeliteratur
unterscheidet. Sie können und wollen sämtlich ihre
romantische Abkunft nicht verleugnen, aber es ist eine
der vSchule entwachsene Romantik, welche das ver-
brauchte mittelalterliche Rüstzeug abgelegt, die katho-
lische Spielerei und mystische Überschwenglichkeit ver-
gessen und aus den Trümmern jener Schule nur die
religiöse Weltansicht, die geistige Auffassung der Liebe
und das innige Verständnis der Natur sich glücklich
herübergerettet hat. Nicht eine Spur von moderner
Zerrissenheit, von selbstgefälliger Frivolität oder mo-
ralisch experimentierender Selbstquälerei ist in dieser
gesunden Poesie. Die irdische Liebe, obgleich in kräftig
sinnlicher Schönheit, erinnert überall an ihren himmli-
schen L^rsprung; fromm, heiter und einfach hat sie
ihren bunten Brautkranz auf den Zinnen der »Narren-
burg« ausgehängt, während sie mit ihrer Wehmut den
o-anzen »Hochwald« wie in tiefes Abendrot versenkt. c
II. Charakter und Weltanschauung.
Stifter war ein tief leidenschaftlicher
Charakter.
Es mag vielleicht wundernehmen, diesen Satz apo-
diktisch an die Spitze einer Erörterung gestellt zu sehen,
die Stifters menschliche Eigenart darzustellen versuchen
will. Allein um jener jahrzehntelang eingewurzelten
Meinung, Stifter sei ein »Fanatiker der Ruhe«:, wirk-
sam entgegenzutreten, bedarf es eines kräftigen und
zweifellosen Widerspruchs. In Verbindung mit dem
zweiten Satze : Stifter war ein tief religiöser
Charakter, dessen Frömmigkeit immer
stärker zur Entwicklung kam, bedeutet er den
besten Schlüssel für die Erkenntnis der Schaffensweise
unseres Dichters.
Schon der Knabe Stifter war nicht so überaus
sanft und ruhig, als er vielen erscheinen möchte.
Masslos betrieb er den Meisenfang und liebte mitunter
recht grausame Scherze. Nach dem Tod seines innigst
geliebten Vaters war er so leidenschaftlich erregt, dass
er sich vornahm, Hungers zu sterben. Der Vorsatz
blieb, da der Knabe nach längerem Fasten doch wieder
Lebenslust bekam, unausgeführt (Hein, 31 ff).
Sein unruhiges schwärmerisches Wesen behielt er
auch in seinen Jünglingsjahren. Und noch 1837, un-
mittelbar vor seiner Hochzeit, schreibt er seinem Freunde
Sigmund Freiherm von Handel : »Dass ich ein Narr
bin, weisst Du ohnehin, dass ich ein Narr voll unsäg-
licher Liebe zu Dir und den andern des eewesenen
— -^n —
Rundkreises bin, wirst Du ja doch endlich anch
wissen — — dass ich ferner ein Narr l)in, der sicli
nur ein einzig Mal recht überschwenglich mit univer-
sumsgrosseni Herzen werfen möchte an ein eben solches
unermessliches Weiberherz, das fähig wäre, einen gei-
stigen Abgrund aufzutun, in den man sich mit Lust
und (rrausen stürzte und eine Trillion Engel singen
hörte Jesus Maria! ich könnte mich mit ihr Arm in
iVrm in den Niagarafall stürzen — — — aber sie sind
(ränse, die derlei für Phantasterei ausgeben imd bei
Ypsilanti nette Schnuseln kaufen. ^ (Briefe I, 34.)
Stifter hatte als Hofmeister in adeligen Familien
Wiens sicher viel Gelegenheit, mit schönen und vor-
nehmen Frauen bekannt zu werden. In welche Auf-
regungen musste da sein stürmisches, überwallendes
Herz geraten, das solche Empfindungen, wie die eben
mitgeteilten, hegen konnte? Er lernte sich überwinden.
In seiner > wüsten Lage« schöpfte er den »grössten
Trost« ■ — »ja gewissermassen die Liebe einer Ge-
liebten« — in dem »edlen Weisen« Ph. C. Hartmann,
dessen ethische Werke »»Geist des Menschen« und
»Glückseligkeitslehre*: er mit Begeisterung las und
weiterempfahl. ') Seine grosse, unvergessliche Jugend-
liebe Fanni Greipl war ihm genommen w^orden. Er
überwand auch diesen Schmerz. Ja er ging so w^eit,
dass er selbst ein ungeliebtes Weib zur Gattin nahm
und es endlich doch liebte, weil er sich durch das Ge-
setz der Ehe verpflichtet fühlte, es zu lieben. Nach
dem Verlöbnis mit Amalia Mohaupt war ihm sein Un-
glück völlig klar. Wenn er Amalia küsste, musste er
sich immer Fannis Lippen vorstellen, um sie küssen
zu können. Noch einmal, wohl das letzte Mal, schreibt
er am 20. August 1835 an Fanni: »Es gibt nur eine,
eine einzige Liebe und nach der keine mehr. Gekränkte
Eitelkeit war es — ■ zeigen wollte ich, dass ich doch ein
') Zeitschrift für die österr. Gymnasien. 1895, 868.
— 26 —
schönes, wohlhabendes und edles Weib zu finden
wüsste — — — ach ich hätte über dem Experimente
bald mein Herz gebrochen. Je weiter zur Vermählung
ich es mit Amalia kommen Hess, desto unruhiger und
unglücklicher war ich. Dein Bild stand so rein und
mild im Hintergnmd vergangener Zeiten, so schön war
die Erinnerung und ?o schmerzlich, dass ich, als ich
Amalia das Wort künftiger Ehe gab, nach Hause ging
und auf dem Kissen meines Bettes unendlich weinte —
um Dich': (Hein, 89). Er macht ihr schliesslich den
Vorschlag, ihre Verlobung, wenn möglich, rückgängig
zu machen, damit er noch Hoffnung haben könne, sie
einst als Gattin heimzuführen. Es war vergebens, Fanni
Greipl wurde nie die Seine.
»Im Menschen wallt und wogt die Flut der Leiden-
schaft.« Es ist wohl kein Zufall, dass sich diese Worte
Tiedges in Stifters Jugendfragment »Julius« finden
(Hein, 51). Alle die seelischen Vorgänge, die Stifter
selbst erlebt hatte, das tiefe Aufflammen seines schwärme-
risch leidenschaftlichen Gemütes und der äussere Zwang,
den er ihm auferlegen musste, offenbart er gleich in
jener ersten Erzählung, durch die er sich einen Namen
erwarb, im »Kondor«. Die Szene, in welcher Albrecht,
der junge Maler seine geheimste und glühendste Ge-
sinmmg dem liebenden Weibe mitteilt, ist zugleich das
erste dichterische Zeugnis, dass Stifter die Leidenschaft
in ihrer vollen Grösse kannte.
»Wie so oft der Geist des Zwiespalts zwischen
Menschen tritt, anfangs als ein so kleines, wesenloses
Ding, dass sie es nicht sehen, oder nicht wert halten,
es mit einem Hauch des Mundes, mit einer Falte des
Gewandes wegzufegen — wie es dann heimlich wächst
und endlich als unangreifbarer Riese wolkig, dunkel
zwischen ihnen steht: so war es auch hier. Einstens,
ja in einem schönen Traume war es ihm gewesen, als
zittre auch in ihr der Anfang jenes heissen Wesens,
das so dunkel über seiner Seele lao-, einstens in einem
schönen Traume; aber dann war ihr Stolz wieder da,
ihr Freiheitsstreben, ihr Wagen - Alles, Alles so ganz
anders, als ihm sein schüchtern wachsendes, schwellendes
Herz sagte, dass es sein solle — so ganz anders, ganz
anders, dass er plötzlich knirschend Alles hinter sich
geworfen und nun dastand, wie Einer, der verachtet —
und wie sie immer fortmalte und auch nicht eine
Seitenbewegung ihres Hauptes machte und auch nicht
e i n Wort sagte : da presste er die Zähne seines Mundes
auf einander und dachte, er hasse dieses Weib recht
inbrünstiglich!« Der Dichter hat die Tiefe von Al-
brechts Leidenschaft erfasst, er hat uns ihre Entwick-
lung vorgeführt und treibt sie nun dem Höhepunkte
zu. Und wie Stunde um Stunde des Vormittasrs floss
— wie er ihren Athem hörte, und wie doch keine
Sekunde etwas anderes brachte, als immer dasselbe
Bild: - da wurde es schwül im Zimmer, und auf
einmal - er wusste nicht warum — trat er an das
Fenster und sah hinaus.« Die Ruhe, die Stifter seinen
Helden bewahren lässt, ist nur äusserlich und scheinbar,
wenn sie auch schliesslich in ethischer Selbstbeherr-
schung gipfelt. Es war draussen still, wie drinnen;
ein traurig blauer Himmel zog über reglose grüne
Bäume - der Jüngling meinte, er ringe mit einer
Riesenschlange, um sie zu zerdrücken. Plötzlich war
es, als höre er hinter sich einen dumpfen Ton, wie
wenn etwas niedergelegt würde — er sah um : wirklich
waren Palette und Malerstab weggelegt, und die Jung-
frau .sass im Stuhle rückgelehnt, die beiden Hände fest
vor ihr Antlitz drückend. Einen Moment schaute er
auf sie und begann zu beben; — dann ging er leise
näher sie regte sich nicht — dann noch näher
sie regte sich nicht — er hielt den Atem an, er sah auf
die schönen Finger, die sich gegen die Blüte des Ant-
litzes drückten — und da sah er endlich, wie quellend
28
Wasser zwischen ihnen vordrani^ — mit Eins la^ er
auf seinen Knieen vor ihr . . . Da pressten seine Lippen
das heisse Wort heraus: > Liebe, teure Cornelia!« Sie
drückte ihre Hände nur noch fester gegen das Ge-
sicht, und nur noch heisser und nur noch reichHcher
flössen die Tränen hervor. Ihm aber — wie war
ihm denn? Angst des Todes war es über diese Trä-
nen, und dennoch rollte jede wäe eine Perle jauch-
zenden Entzückens, über sein Herz — — wo ist die
Schlange am Fenster hin? wo der drückende blaue
Himmel? — Ein lachendes Gewölbe sprang über die
Welt, und die grünen Bäume wiegten ein Meer von
(rlanz und Schimmer!« (I, 27 ff.)
Keine Phase der dauernden inneren Erreofunsf
bleibt unerwähnt: die dunkle Ahnung der Liebe, ihr
Bewusstsein, ihre Verachtung, ihr Hass. Im entschei-
denden Augenblick der Gewitterschwüle, der höchsten
seelischen Spannung, da, wo bei anderen Dichtern
die Affekte losbrechen, tritt die unerwartete Wendung
ein. Ein Tränenstrom der Geliebten löst die aufgespei-
cherte Leidenschaft des Helden, die tobende Riesen-
schlange in seinem Innern ist gebändigt und selige
Ruhe in seine Seele zurückgekehrt. ;>Er hatte noch
immer ihren Arm gefasst, aber suchte nicht mehr ihn
herabzuziehen — sie ward ruhiger • — endlich stille.«
(i, 29.)
Gustav und Kornelia finden das Glück der Ehe
nicht. Beide entsagen, wie Stifter seiner Liebe entsagte
und wie .später Felix im > Heidedorf« entsagen sollte.
Die Leidenschaft findet nirgends einen Ausweg, sie
vergräbt sich in das Innere; sie erlischt nicht, aber sie
schweigt.
Überaus charakteristisch hiefür erscheint die Stelle
im »Hochwald«, da Clarissa den Tod ihres Geliebten
erfährt: ^Clari.ssas Antlitz zuckte... und haschte nach
Athem ; ein massloser Schmerz lag darauf, ja sogar etwas,
— 29 —
wie Griiiini, als sie das Auo^e g'ef^en das Fenster wandte,
wie gen;^en einen blinden Himmel — und sckundcnlan.i;
starrte, weil sie kämpfte. — Noch war es fast wie Hohn-
lächeln in ihren Züg-en, unheimlich anzusehen, als sie
das Angesicht zurückwendete und mit fast ruhiger
Stimme sagte: <Ritter, wenn Ihr etwas Näheres wisset,
so sagt, so erzählt es uns . . . woher wisst Ihr das
Nähere?
<Ich war dabei.'
Jhr wäret dabei, Bruno ?> schrie Johanna auf-
springend, Ihr seid dabei gewesen, Bruno> , rief sie mit
den schmerzlichsten Tönen ihrer Seele, — <Um Gottes-
willen, o so saget, wie war es, erzählt — nehmt diese
furchtbare Last von meinem Herzen; mir ist, als wäre
mir leichter, wenn ich alles wüsste.> <- (1,317.) Und end-
lich, als auch Clarissa alles wusste, da überkam sie
ein >Unmass des Schmerzes und der Zärtlichkeit v.
(I, 321.)
1837 hatte vStifter Amalia !Mohaupt als Gattin
heimgeführt. Sie war arm und nur wenig gebildet.
Dass die Ehe anfangs glücklich sein konnte, ist nach
dem Vorstehenden sehr zu bezweifeln. Stifter hatte eine
Sehnsucht darnach, Kinder sein eigen zu nennen. Allein
der Wunsch des jungen Gatten blieb sein Leben lang
unerfüllt.
Nacheinander nahm er drei Ziehtöchter an. Alle
starben frühzeitig. Die letzte, Juliane, deren Bild er im
»Waldbrunnen« festhält, endete durch Selbstmord.
Manche Bitterkeit erfüllte so des Dichters Leben. Am
schwersten aber empfand er die Misskennung seines
Strebens, die auch ihm nicht immer erspart blieb.
Allein er bezwang alle einstürmenden widrigen Mächte,
so wie er diese auch von den Helden seiner Dichtungen
bezwingen Hess.
Keinen, auch nicht den heikelsten Problemen des
Geschlechtslebens (jino- Stifter in seinen Novellen aus
— 3t' —
dem Wege. Die erschütternde Eliebruchsszeiie Chelions
in der »Narrenburg« zeugt davon. Ebenso leidenschaft-
Jich wirkt Cölestens Geständnis des Ehebruchs im
»-•Uten Siegel«. »Hugo antwortete nicht, sondern er
presste die Hände aneinander, und in dem Bau seines
Körpers war eine Erschütterung, wie wenn Tränen aus-
brechen sollten. Sie sah ihn einiore Augenblicke mit
den grossen Augen an — dann aber sagte sie ernst:
•^Ich habe dich nicht umsonst gefürchtet — gehe —
möge dir Gott im Himmel diese harte Tugend lohnen,
aber mein Herz verflucht sie: denn es wird gebro-
chen. — Ja, ich war eine Sünderin, aber die Sünde
wurde mir nicht leicht ; Du hast nur ihre holde Frucht
gesehen, ihre Kämpfe trug ich allein. ISIeine Sünde
ist menschlicher als deine Tugend — geh — solange
die Erde steht, wurde niemand abgöttischer geliebt
als du — — Nun gehe. Mann, gehe;><' (II, 124).
Eine ähnliche tragische Erregung durchwühlt
?Brigittas< Herz. »Es war ein Weltball von Scham in
ihrem Busen emporgewachsen . . . Aber endlich nahm
sie das aufgequollene, schreiende Herz gleichsam in
die Hand und zerdrückte es« (II, 163). Die menschlich
erschütternde Wirkung dieser Novelle bezeugte auch
ein Psychologe, Hieronymus Lorm. Ihr Eindruck sei
nicht derselbe gewesen, den er im »Hochwald, oder
beim Auflesen der »Feldblumen empfangen habe, denn
so herrlich und erschütternd Stifter auch die Bewe-
gung der seelenlosen Natur wiederzuspiegeln und un-
sere innigste Verwandtschaft mit den Schrecken, wie
mit den Schönheiten der Natur nachzuweisen wisse,
bleibe uns doch immer der Mensch das Nächste, und
Lenz, Nacht, Sonne, Wintersturm im Menschenherzen,
die ganze psychologische Welt, die er in seiner »Bri-
gitta« umsegle und erforsche, wirke tiefer und nach-
haltender (Hein, 292).
— 3-1 —
Eines ist sicher: Stifter lä.sst bei seinen Helden
leidenscliaftlichf Affekte selten hervorbrechen, ihre
Leidenschaft bleibt fast innner verhalten. Stifter be-
schwört in seinen Novellen die schwersten Konfhkte
des Lebens herauf, um sie dann mit un.t>laublicher Ge-
walt wieder zurück/Aidrängen, er offenbart die höchste
Leidenschaft in ihrem Auf- und Niederwogen, während
andere Dichter sich mit der Schilderung ihres blossen
Ausbruchs begnügen. Derjenige freilich, der allein in
äusserlich wildbewegten Handlungen oder Personen
Leidenschaft sieht, wird diese bei Stifter vergeblich
suchen. Dann dürfte man dem Dichter der »Studien«
auch Phantasie nicht zuerkennen, weil sie bei ihm im
Gegensatz zur Romantik gezügelt war, wollte man
seiner dichterischen Individualität Leidenschaft abspre-
chen, weil sie bei ihm keine Orgien feierte.
Stifter sagt einmal: »Das Sittengesetz allein ist
in seiner Anwendung Kraft. (Darum weil es in Shake-
speares Stücken über den Leidenschaften thront, sind
sie gross, nicht weil Leidenschaften darin sind.)<^
(Briefe II, 211.) Dasselbe kann man von seinen »Stu-
dien« sagen.
Dass Stifter eine dramatische .Vder besass, geht
auch aus seiner Absicht hervor, eine »Nausikaa« und
einen »Maximilian Robespierre« zu schreiben. »Im
Verbrechen«, so äussert er sich, »und in seinem Sturze
trotz aller übermenschlichen Kraft liegt eine erschüt-
ternde moralische Grösse, und der Weltgeist schaut uns
mit den ernstesten Augen an« (Hein, 287). Auch diese
Stelle weist auf eine volle Erkenntnis der Leidenschaft
als des entscheidenden Hebels für das menschliche Tun
und Lassen hin.
In seinen Ansichten über die Leidenschaft steht
Stifter nicht vereinzelt da. Er trifft hierin gleichfalls
mit der Frühromantik zusammen. Schon Jean Paul be-
kämpfte die »unmoralische Unruhe und Leidenschaft-
3^
lichkeit« (XIX, 352) der neueren Dichter, die im Gegen-
satz zur Ruhe des klassischen Altertums stünde. Die
erste Eigenschaft des Genius sei Besonnenheit: »Nur
der unverständige Jüngling kann glauben, geniales
Feuer brenne als leidenschaftliches.« (XVIII, 58.) Und
in der »Seiina« heisst es: »Jeder x\ffekt, z.B. der Zorn,
ist bloss die Übertreibung eines sittlichen Gefühls. Der
Zorn ist eine nur zu irrige Zusammenfassung der irrigen
Unmoralität.« (XXXIII, 198.) Ebenso urteilt Tieck:
In aller aufgespannten Leidenschaft wird der Mensch
in ein unerklärliches, aber meist schreckliches Wunder
verwandelt. Hüte sich jeder vor diesen Zuständen, noch
weniger suche er sie . . .* (X, 89.) Was Tieck im Fol-
genden ausspricht, führt Stifter im Leben seiner »Stu-
dien aus: »Jede Leidenschaft in uns, die es wirklich
ist, niuss wachsen, reifen und sich selber erkennen
lernen. Der Mensch muss sie dann aus eigener Kraft,
nicht bloss durch fremde Hilfe zu überwinden ver-
mögen. Dann wird das, was wohl als Torheit erscheinen
mochte, oft Kraft und Charakter, und der IVIann ge-
winnt in dieser Schule gerade seinen edelsten Besitz.«
Wohl seit seiner Beschäftigung mit dem Drama
wandte Tieck sein besonderes Interesse der Läuterungs-
idee zu imd venvendete sie praktisch in seinen No-
vellen, so in den » Gemälden <, im »Geheimnisvollen«,
^'or allem aber im »Dichterleben« und im »Aufruhr in
den Cevennen«. Wohltun, Vergeben und Entsagen, also
die idealsten Ergebnisse in dem allgemein menschlichen
Streben nach Veredlung und Frieden, erreicht in einem
schweren, . selbstüberwindenden Kampfe, sucht auch
Stifter als Ausfluss seiner Persönlichkeit in die Dich-
tung umzusetzen. Der Arzt Augustinus in der »Mappe
meines Urgrossvaters < , der Major in der »Brigitta«,
am schönsten vielleicht der Holzhauer Hans im »Be-
schriebenen Tännling fallen in dieser Hinsicht als
dramatische Helden auf. Tieck und Stifter, beide
käm])fen auch als Dichter gegen die Leidenschaft, aber
oline ihre Versuchung lassen sie keinen zum Helden
werden. Dann freilich erstrahlt die tiefe Festigkeit dieser
Gemüter in einem noch helleren Glänze. Darin äussert
sich wieder eine Charakterähnlichkeit Tiecks und
vStifters. >Das Gefühl des Mitleidens in der höchsten
Liebe, dass wir durch Selbstaufopferung das Opfer der
Liebe vergüten möchten, diese schönsten Gefühle sind
es gerade, die die meisten Menschen von sich abweisen
oder die Härteren als Unglück verdammen . . . Der
Vers eines Liedes aber, unter einem Kruzifix still und
andächtig gesungen, der Blick des betenden Greises
auf einsamem Waldplatz zum sterbenden Heiland hin-
auf, der Kuss, den das Kind auf einen Rosenkranz
drückt, die Träne der !\Iutter, welche auch den Sohn
verlor, vor der IMater Dolorosa sagen mehr als alle
kalte Weisheit verkündigen und lehren kann« (VII, 91).
Die gleiche, gemütsinnige Auffassung wie hier Tieck
bekundet Stifter im :>Turmalin", wenn er sagt: Die
grösste Begabung, der höchste Glanz des Geistes, der
die Menschen in Staunen setzt, ist ein Sandkorn, ja ist
nichts gegen die tiefe Liebe und Reinheit des
Gemütes. <-
Die auf die Spitze getriebene Leidenschaft ver-
äusserlicht, das vertiefte Gemüt verinnerlicht. Diese
Elemente der menschlichen Natur bilden in ihrer im-
vermischten Entfaltung die schärfsten Gegensätze her-
aus. Stifters Wesen strebte darnach, die menschliche
Natur in Fesseln zu schlagen, sie zu ^•ertiefen und zu
vergeistigen.
Wie Tieck die rein QreistiQ;e Liebe über die sinn-
liehe stellt und davor warnt, > durch die trübenden
Leidenschaften diese Seligkeit« zu verscherzen, so stellt
schliesslich auch Stifter am Ende seines Lebens dis
von der Sinnlichkeit befreite Gattenliebe über die Ge-
liebtenliebe (Briefe III, 2''^4). In jener Zeit, da er seinen
Kosch, Stifter. -<
— 34 —
»Nachsommer und den »Witiko« sclirieb, hatte er alle
Leidenschaft bereits überwunden. Von nun an mag^ er
als Fanatiker der Ruhe«: gelten. Die vStudien in der
Ausgabe letzter Hand erscheinen merklich umgearbeitet.
Stellen, die das Wort Leidenschaft enthielten, sind gänz-
lich ausgemerzt. Wenn er in der ersten Fassung des
»Abdias« dessen köstlichsten Besitz Ditha nennt, jenes
Wesen, »das allein er auf der ganzen Erde liebte, das
seine einzige, furchtbare, innige Leidenschaft < ') sei, so
fehlt diese Charakterisierung des Verhältnisses zwischen
dem alten Juden und seiner Tochter später gänzlich.
Als »Brigitta« zum ersten Mal erschien, liiess darin
eine Stelle : »Ja, es war in der Tat eine ernste, merk-
würdige Leidenschaft. Nie habe ich ein ähnliches Ver-
hältnis gesehen.«-) Die spätere Fassung erzählt davon
nichts mehr.
Der grösste Gegensatz zwischen der Auffassung
des jugendlichen und der des alten Stifter wird einem
klar, wenn man etwa das Ehepaar in der »Brigitta«
mit dem im »Frommen Spruch« vergleicht. Hier stehen
keine Menschen vor uns, sondern Puppen, deren schnar-
rendes Räderwerk mit dem wirklichen Leben nichts
mehr gemein hat. Den verknöcherten blutleeren Alten
Dietwin und Gerlint entspricht das junge Paar gleichen
Namens. Ihr unglaublicher Verkehr, ihre unmögliche
Redeweise wird schon durch die folgende Stelle genü-
gend charakterisiert. »Trinke nicht viel Wein, enthalte
dich der Leidenschaften und sei massig . . .« sprach
der Oheim. »Ich trinke, wie du weisst, nicht viel
Wein«, antwortete der Neffe, »bin auch sonst massig,
habe gar keine Leidenschaften, nur Gefühle, und da
sind die für dich und die Tante am mächtigsten«
(IV, 309).
1) Novellen-Almanach 1843, 318.
2) Gedenke Mein 1S44, 44.
— 35 —
Wie nun kann man diese auffallende Wandlnn.ii:
in Stifters Schaffen erklären? Gewiss, das Alter ist
nihiger als die stürmische Jugend, zumal wenn eine
If'Hliche Krankheit an seinem Lebensmarke zehrt. Aber
dieser Erklärimgsgrund kann nicht ausreichen, da
Stifter noch als rüstiger, völlig gesunder Mann seinen
Nachsommer- schrieb und bereits auch in diesem
Werke die Existenz einer Leidenschaft kaum mehr
durchschinnnern Hess. Auch sein Hang zur Pedanterie,
sein Behagen an breiten, lehrhaften Erörterungen mag
eingewirkt haben, dass Stifters früher so leidenschaft-
licher Charakter seine innerste Glut ^•on Jahr zu Jahr
dämpfen und mindern konnte. Dennoch ist darin ebenso
wenig die Hauptiirsache dieser schwersten Selbstent-
äusserung zu suchen. Stifter, war im Tiefsten seines
Innern religiös gestimmt. In der mit dem zunehmenden
Alter gesteigerten Frömmigkeit beruht der Hebel auch
für seinen dichterischen Wandlung.sprozess. Schliesslich
ging er noch weiter als seine Religion. In seiner Jugend
hatte er die Berechtigung der Leidenschaft geleugnet,
im Alter suchte er sogar ihr Vorhandensein ausseracht-
zulassen. Stifter kannte in dem Kampf gegen die wilden
Mächte des Daseins kein Mass : als er sie menschlich
überwunden hatte, schloss er dichterisch auch den
letzten Rest ihrer Behandlung aus.
Stifter galt zeitlebens als Katholik. Von katho-
lischen Eltern geboren, wuchs er inmitten einer Bauern-
bevölkerung im Böhmerwald nahe der Grenze Ober-
österreichs auf, das neben Tirol auch heute noch den
konservativsten Grundstock für den Katholizismus in den
Alpenländern bildet und ihn damals in noch höherem
Grade bilden musste. Einen grossen Einfluss auf Stifters
Jugend übte seine Grossmutter aus. Ihre bibelfeste Ge-
sinnung verkörperte der Enkel in der frommen Alten des
»Heidedorfs . Die Bibel spielt in diesem Werke überhaupt
eine grosse Rolle. vSeinen Helden m")chte der Dichter,
- 36 -
wenn es ihm erlaubt wäre, -mit jenem Hirtenknaben
aus den heiligen Büchern; (I, 177) vergleichen, »der
auch auf der Heide vor Betlehem sein Herz fand, seinen
Gott und die Träume der künftigen Königsgrösse. Er
lässt ihn auf eine Steinplatte steigen, unten sieht dieser
dann im Geiste die Könige und Richter und das Volk
und die Heerführer und Kinder und Kindeskinder, zahl-
reich wie der Sand am Meere. Felix beschreibt ihnen
»das gelobte Land , verheisst ihnen Heldentaten und
zeigt ihnen endlich das ganze Land der Väter; ')
oder baut aus den kleinen Steinen des Rossbergs Ba-
bylon und verkündet den Heuschrecken und Käfern
seinen Untergang, wie es ja Daniel längst vorher-
gesagt hat< . Oder er gräbt den Tordan ab, d. i. den
Bach der von der Quelle fliesst.
Eine wunderliche Liebe hegt er zur Grossmutter.
>Das alte Weib hatte in ihrem Leben voll harttr
Arbeit nur ein einziges Ruch gelesen, die Bibel. Aber
in diesem Buche las und dichtete sie siebenzig Jahre.
Jetzt tat sie es zwar nicht mehr, verlangte auch nicht
mehr, dass man ihr vorlese, aber ganze Prophetenstellen
sagte sie laut her, und in ihrem Wesen war Art und
Weise jenes Buches ausgeprägt, so dass zuletzt selbst
ihre gewöhnliche Redeweise etwas Fremdes und gleich-
sam Morgenländisches zeigte.' (I, 183). Als Felix von
der Grossmutter Abschied nimmt, ruft sie ihm wie
ihrem Sohne zu : Ich habe dich mit Schmerzen gebo-
ren, aber dir auch Gaben gegeben, zu werden, wie
einer der Propheten und vSeher — ziehe mit Gott, Jako-
bus!« (1,^184). FeHx zieht nach Ägypten und in die
Wüste. Heimgekehrt bringt er Grüsse von Jerusalem
und von der Heide des Jordans. Den Nachbarn erzählt
er von dem gelobten Lande, wie er dort gewesen, wie er
Jerusalem und Betlehem gesehen habe, wie er auf dem
Tabor gesessen, sich in dem Jordan gewaschen. — —
1) Vgl. Deuteron. XXXII— XXXI\'.
Den Sinai habe er gesehen, den hirchtbar zerklüfteten
Ber<r • • . y:ctrocknete IJhimen liabe er und Kräuter aus
jenem Lande und Fusstritte des Herrn ... (I, 194.)
Dereinst aber soll er vor den ewi^^en Richter treten
und sagen können: >Herr, ich konnte nicht anders,
als dein Pfund pflegen, das du mir anvertraut hast.
(I, 207). Vgl. Lukas XIX. 12 ff.
In den meisten Dichtungen Stifters schimmert sti-
listisch die Einwirkung der Bibel durch. Manchmal
entlehnt er ihr Zitate, so im Hochwald : Wehe dem,
der eines dieser Kleinen ärgert! (I, 225).') Sie ist
seinem Gedächtnis immer gegenwärtig. ]\Iitten in der
Beschäftigung mit geschichtlichen vStudien zum Witiko^
schreibt er am 24. September 1865 an seinen Freund
Freiherrn von Handel: Im Buche der Richter .steht:
Helis Söhne haben das Opferfleisch mit Gabeln aus
den Töpfen genommen.« > Haben diese , fügt er humo-
ristisch hinzu, »auch einen Verstoss gegen die Kultur-
geschichte gemacht?« (Briefe HI, 175).
Schon aus diesen Beispielen kann man ersehen,
wie sehr die Bibel in allen ihren Teilen Stifter bekannt
sein musste. Nicht nur als Dichter, sondern auch als
Menschen ergriff sie ihn.
Die religiöse Erziehung im Elternhause war von
den Mönchen Kremsmünsters, wo Stifter in den Jahren
1818 bis 1826 das Gymnasium besuchte, nur noch ge-
fördert worden. An der Universität, die vom Geiste des
Vormärz beherrscht war, machten sich revolutionäre
Einflüsse wie später im Jahre 1848 sicher nicht geltend.
So ist es leicht erklärlich, dass unser Dichter mit seinen
bisherigen Grundsätzen nicht ins Wanken geriet, ja im
Gegenteil, zumal durch die Berührung mit dem Feudal-
adel in ihnen äusserlich wenigstens bestärkt werden
musste.
') Vg-1. Lukas XVII. 2. Mark. IV. 41. Matth. XVIII. ö.
- 38 -
In der Folgezeit veröffentlichte Stifter mehrere
Aufsätze, in denen er zu öffentlichen Fragen seiner Zeit
Stellung nahm und ihre Lösung auf Grundlage seiner
bisherigen Ansichten versuchte.
»Wer sind die Feinde der Freiheit? behandelt
das Problem, ob die Revolution zulässig sei. Die Frage
wird entschieden verneint.
»Die Sprachenverwirrung ergänzt die Antwort
dahin, dass ein gesamtes Volk zur Regierung nicht be-
rufen sei. Im »Census<: empfiehlt er das Klassenwahl-
system. Noch deutlicher tritt Stifters konservative Natur
in seinen »Mitteln gegen den sittlichen Verfall der
Völker« hervor. Die zwei Hauptmittelwege; , meint er,
»sind Kirche und Schule. Die Kirche gibt dem
Menschen das heilige Gut der Religion, das Beste, was
die Erde hat, oder eigentlich den Himmel, der auf die
Erde gekommen ist. Aus Religion folgt Tugend \on
selber, und alle Wege, die zu Ordnung und Recht
führen. Daher ist ein religiöses Gemüt nicht nur das
Heil des Einzelnen, sondern es führt auch zum Wohle
aller. Unsere gesamte Priesterschaft hat daher den hei-
ligen, verantwortlichsten Beruf, durch die eindringendste
Lehre und namentlich durch das edelste Beispiel
die echte Religiosität zu begTÜnden und zu verbreiten.«
(XV, 317).
Im Alter steigerte sich diese kirchengläubige Ge-
sinnung Stifters in hohem Grade. Ist es schon sehr
auffällig, dass Stifter den scheinbar ohne jeden Grund
protestantischen Pfarrer im »Kalksteine der ersten Fas-
sung später durch einen katholischen ersetzt, so sind
Stifters Briefe an seine Gattin vollends beweiskräftig.
Nirgends tritt sein persönlichster Katholizismus so
deutlich hervor wie jetzt am Ende seines Lebens.
Gebet und Arbeit ist die Losung des alten Stifter.
Am 12. November 1865 schreibt er der Gattin in
Erinnerung an den Jahrestag ihrer \'ermählung :
— 39 —
»Ich will an clciii für uns so wiclitif^en Festtage für
uns beten und dann recht fleissi.«^ für Dich arbeiten ')
und am 15. November 1S65: >Ich sage Dir den innig-
sten, treuherzigsten und heissesten Dank für Deine
Hebevolle, feierliche und fromme Gesinnung, und ich
glaube ausser dem Gebete zu Gott, das ich heute für
Dich verrichtet habe, den Tag nicht besser begehen zu
können, als dass ich Dir den Dank für Dein schönes
Herz in diesen Zeilen ausdrücke. Ich habe eigens diesen
Tag für die Darlegung meines Herzens bestimmt . . .
Wenn Du Gott anrufst, dass er uns noch eine Zeit mit
einander vereint leben lassen möchte, so ist dies auch
mein Anliegen an den allmächtigen Herrn des Him-
mels . . . Lasse uns aber bei unseren Bitten an Gott
immer dazu sagen : Dein, nicht unser Wille, Herr, ge-
schehe. Was er über uns verfügt, ist zu unserem Heile,
und ich empfinde an diesem feierlichen Tage recht
lebhaft, dass meine lange Krankheit und unsere Tren-
nung, womit uns der Vater im Himmel heimgesucht
hat, auch zu unserem Heile ist.< (HI, 189 ff.) Einige
Tage später, am 20. November 1865 spricht Stifter von
dem Kranksein in der gleichen religiösen Gesinnung:
>Die lange Krankheit ist eine Heimsuchung, die den
Übermut und die Sorglosigkeit, in die uns lange Ge-
sundheit und lange glückliche Tage einwiegen, unter-
bricht, unseren Blick auf uns selbst und auf Gott
wendet, uns unsere Fehler einsehen lässt und uns auf
die Bahn des Besseren bringt.« Die kirchlichen Feier-
tage hält Stifter genau ein. Am 6. Januar 1866 teilt er
seiner Gattin mit: >Heute ist Festtag der hl. Drei
Könige. Ich will alle Arbeit ruhen lassen und den Tag
festlich begehen. Die heilige Pflicht ist ein guter Ge-
danke an Gott, und das höchste Vergnügen, welches
ich mir bereiten kann, ist : an Dich schreiben. Den Ge-
danken an Gott habe ich am frühesten Morosen darjre-
1) Nach einem iingedruckteu Briefe im Archiv
— 40 —
bracht.' Und am folgenden Tage mahnt er die Gattin :
.Bete zuweilen in einigen Gedanken zu Gott für mich,
wie ich zu Gott für Dich flehe, dass er Dich erhalte . . .
und dass er uns in der Ewigkeit nicht trennen möge.<'
Ein anderes Mal wieder preist Stifter die Wunder der
vSchöpfung: »Ich dachte an Gott , schreibt er am
19. März 1866, -der das alles gemacht hat, iind es war
mir ein heiliges Gebet in meinem Innern.« ') Am 14. No-
vember 1866 als dem eigentlichen Gedenktag der \'er-
mählung richtet er ein Schreiben an die Gattin. Den
Morosen des Festtag-s beschreibt er also: Ich machte
Licht und tat ein warmes Gebet zu Gott, ihm dan-
kend, was er uns durch unseren Ehebund gegeben
und ihn bittend, dass er dieses Band noch eine Zeit
erhalten möge. Ich betete für Dich, dass er Dich be-
wahre, schütze, segne, und ich bat ihn, dass er mir
Kraft gebe, alles zu sein, was meine Pflicht ist . . . Ich
habe mir den Schlüssel zur Kapelle geben lassen, werde
hinabgehen und allein noch in dem Kirch lein
meine kirchlichen Gedanken h a b e n. - 1 Brief e
III, 279..
Politisch trat Stifter eigentlich nie her\-or und die
Geschichte keiner politischen Partei wird ihn für sich
in Anspruch nehmen können. Auch der Umstand, dass
Stifter ein Exemplar seines Witiko; dem streitbaren
Bischof Rudig^ier von Linz widmete und dafür von
diesem ein eigenhändiges Schreiben bekam, vermag an
dieser Auffassung nichts zu ändern. Als Mensch und
als Dichter stand er über den Parteien des Tages, in
seiner Weltanschauung aber war er religiöser Katholik.
Der Katholizismus durchtränkt seine Dichtungen und
Theorien, wenn auch seine Ansichten über Literatur
und Kunst weitherziger sind, als die so mancher seiner
Glaubensgenossen. Ein Brief Stifters an Eichendorffs
1) Die letzten Stellen sind .sänitlicli iingedruckten Briefen
im Archiv entnommen.
— 41 —
vSchwester enthält die folgende charakteristische Stelle:
>Das Buch Ihres herrlichen r>ruders zur neuen Literatnr-
ji^eschichte 'i hat mir ausserordentliche Freude gemacht,
wenn ich auch über ^Manches mit ihm streiten mcichte,
falls wir beisammen wären. Ich mag Unrecht haben,
aber in der Kunst erscheint mir der katholische Stand-
])unkt doch nur einer, ich glaube, die Kunst soll das
Leben der gesamten Menschheit fassen, vielleicht heisst
er das katholisch ; dann habe ich von katholisch nicht
den rechten Begriff. (Briefe II, 169).
Stifter war eben eine praktische und im späteren
Leben sehr besonnene Xatur. Nicht umsonst verehrte
er in Goethe mehr als den blossen Dichtergenius, er
suchte ihn auch als Menschen zu verstehen. Stifters
Meinung ging dahin, der Mensch lebe nur ein einziges
Menschenleben. In demselben solle er vor seinem Ootte
den ganzen Kreis menschlicher Pflichten und mensch-
licher Freuden erfüllen. 'Das Erste ist ja doch immer,
dass der Mensch in der vollsten Bedeutung Mensch
sei.« (IV, 278). Darin berührt sich seine Lebensauffa.s-
sung mit der Goethes, der im »Wilhelm Meister« sagt :
»Was ist das höchste Glück des Menschen, als dass wir
das ausführen, was wir als recht und gut ansehen, dass
wir wirklich Herren über die ]Mittel zu unseren Zwecken
sind.« Stifter war Optimist in dem gleichen Sinne, in
dem es Tieck und Jean Paul waren. Auch ihre Welt-
anschauung war ja Goethes Geistesriclitung verwandt.
Im > Aufruhr in den Cevennen findet Tieck für seinen
Optimismus die schönen W^orte: >Ganz schlecht ist
nichts in der Welt 1 X, 2491, während Stifter, dem alles
Werden als Offenbarung eines persönlichen Gottes gilt,
im > Hagestolz« sagt: »Alles, was Gott sendet, ist schön,
wenn man es auch nicht begreift, und wenn man nur
recht nachdenkt, so sieht man, dass es bloss lauter
') Josef Freiherr von Eichendorff, (beschichte der poeti-
schen Iviteratnr Deutschlands. 2. Anfl. 1861.
— 42 —
Freude ist, was er gibt ; das Leid legen wir uns selber
dazu.« (II, 187). Nur Tatenfreude kann ihm Glück
schaffen, denn das ist »Leben und Genuss«, dass wir
dieses »Leben ausschöpfen bis zum Grunde.« (II, 258).
Von dichterischen Charakteren ist jedoch Stifter
eigentlich niemand ähnlicher als Eduard Mörike.
Schon ihre Lebensläufe verraten eine gewisse Ähn-
lichkeit. Auch Mörike empfing in einer weltabgeschie-
denen Klosterschule, die trotz ihres protestantischen
Grundcharakters von konservativem Geist beseelt war,
seine erste wissenschaftliche Ausbildung. Auch Mörike
hatte eine tief unglückliche Jugendliebe, deren unver-
gängliche Nachwirkung nicht nur seine Peregrina-
Lieder, sondern auch andere seiner Dichtungen offen-
baren. Mörikes Studentenbude in Tübingen, die er mit
seinem Freunde Buttersack teilte, erinnert mit ihrem
ganzen humoristisch -philiströsen ^Milieu lebhaft an
Stifters Reminiszenzen aus seiner Wiener Studentenzeit.
Die Berufslosigkeit, die Mörike von Stellung zu Stellung,
von Ort zu Ort trieb, wie lange Hess sie auch Stifter
keine eigene Heimstatt finden! Und ebenso entzog ein
frühzeitiger Ruhestand beide sehr rasch dem öffent-
lichen Leben.
Beide besassen eine starke Neigung für die bil-
dende Kunst, sie pflegten und übten sie selbst. Die
Karrikaturen Mörikes sind ebenso bezeichnend wie Stif-
ters Gemälde und geben eine vortreffliche Erklärung
der malerischen Anlagen ihrer Dichtungen. Mörike
hatte eine wunderliche Leidenschaft für das Kimst-
gewerbe, in der ihn Stifter nur noch übertraf. Und
die mineralogische Sammelwut des schwäbischen Dich-
ters passt nicht minder zu Stifters Kakteenschwärme-
rei. Beide liebten die Tierwelt mit einer innigen Teil-
nahme, wie wir sie sonst nur in den Kreisen der frü-
heren Romantik wiederfinden. Wenn Mörike oder Stifter
nach Hause schrieb, waren Grüsse an den Lieblings-
— 43 —
luiiid iiiclit seReii. Ein starkes vStück deutschen l'lii-
listevtunis barg- ihr auffallender Ilanj^- nach häuslicher
Bequemlichkeit und Ruhe. Dennoch waren sie in ihren
künstlerischen Neigungen überaus vielseitig. Nicht nur
ihre malerischen Nebeninteressen, sondern auch musi-
kalische Freuden füllten ihre Mussestunden.
In seiner poetischen Vorliebe für Tieck, Jean Paul,
Hoff mann und vor Allem für (Toethe stimmt Mörike
mit vStifter völlig überein. Auch ihm ist Heine höchst
widerwärtig und über die Literatur der Revolutions-
jalirc drückt er sich ähnlich wie Stifter aus: »So arg
war doch die Affenschande mit dem Musendienst in
Kammern und Unzucht noch zu keiner Zeit.« ')
Das tragische Los, ein Jugendwerk stets umarbeiten
zu müssen, ohne es je zu eigener Befriedigung ab-
schliessen zu können, ^•erfolgte beide bis in den Tod :
Mörikes Maler Nolten« erlebte ein ähnliches Geschick
wie Stifters »Mappe meines Urgrossvaters«.
Auch Mörike sali und schilderte im Mikrokosmos
den Makrokosmos, auch seine dichterische Stärke war
mehr lyrisch als episch.
Mörikes Charakter war tief leidenschaftlich. Er
erfasste die weibliche Natur in der Fülle ihrer sinn-
lichen Elementar kraft ebenso stark wie Stifter. iVuch
seine Dichtung lässt die Leidenschaft tief innen spüren,
aber nach aussen hin ist sie abgedämpft; sie blitzt
nicht empor in schnellem verderblichen Feuer, son-
dern wetterleuchtet nur aus der Ferne der Erinne-
rung. -)
Auch in seinen religiösen Anschauungen stand der
ehemalige protestantische Pastor ]\Iörike dem Katho-
liken Stifter nicht allzufern. Harry Maync, der Mörike
1) ^lörikes Briefe, Ausgewählt und herausgegeben von
Karl Fischer und Rudolf Kraus. Berlin 1904, II, 14g.
-) Harry Maync. Eduard Mörike, Sein Leben und Dichten
Stuttgart 1902, 228.
— 44 —
am eindringendsten behandelt hat, erbringt für des
Dichters offenbare Hinneigung zu den Formen des
KathoUzismus mehr als einen Beweis ! Zu kirchlichen
Streitfragen nahm er keine Stellung. Extremen war er
entschieden abhold, seine unpolitische, irenische Gesin-
nung verleugnete er nie. Auch Stifters religiöse An-
schauungswelt war keineswegs beschränkt. Trotz der
Pedanterie seines rasch alternden Wesens war er nie-
mals Zelot oder Splitterrichter und bewahrte sich ein
grosses, weites und klares Herz.
Keiner von seinen Zeitgenossen hat Stifters vStel-
lung so richtig und umfassend beurteilt, wie J. Freiherr
von Eichendorff, der über die ersten Bände der Stu-
dien geschrieben hatte: Vom Katholizismus ist unseres
Erinnerns in dem Buche nirgends ausdrücklich die
Rede; aber eine allem Unkirchlichen durchaus fremde
(rcsinnung, die alles Leben nur an dem misst, das
allein des Lebens wert ist, und die wir heutzutage ge-
trost eine katholische nennen dürfen, umgibt das Ganze,
wie die unsichtbare Luft, die jeder atmet, ohne es zu
merken. Und das ist ja eben das poetische Geheimnis
des religiösen Gefühls, dass es wie ein Frühlingshauch
Feld und Wald und die Menschenbrust erwärmend
durchleiichtet, um sie alle von der harten Erde blühend
imd klineend nach oben zu wenden.< ')
>) Hist.-pol. Blätter XVII, 442 ff.
III. Kunstanschauung.
Wie bereits früher zur Zeit des Klassizismus in
Deutschland die Literatur auf die bildenden Künste
ihren ursprün.y^lichsten und nachhaltigsten Einfluss aus-
geübt hatte, war es auch in der romantischen Periode
der Fall. Das 1795 von Tieck und seinem Erlanger
Studiengenossen Wackenroder herausgegebene Schrift-
chen : Herzensergiessungen eines kunstliebenden Klo-
sterbruders stellt jenes wunderliche erste Gemisch einer
neuen Dichtung und Kunsttheorie dar, deren praktische
Ver^\ertung in der Malerei allerdings erst viel später
zum Durchbruch gelangen sollte. Die »Herzensergies-
.sungen« enthalten keine geschlossene Erzählung, son-
dern vielmehr eine Sammlung doktrinärer Gemüts-
ergüsse über die Kunst und ihr Erfassen nebst einigen
Anekdoten aus dem Leben bedeutender Künstler, gleich-
sam als Illustration zu dem trotz der vielen vSchwär-
merei dürftigen Texte. Der Grundgedanke, wenn man
von einem solchen überhaupt reden will, äussert sicli
in einer seltsamen Verquickung religiöser und künstle-
rischer Begriffe, von einer abnormen Gefühlsmystik er-
zeugt und ernährt. Er setzt der .Antike das deutsche
Mittelalter, dem heidnischen Geist des Klassizisnms das
Christentum, der geleckten modernen Malerei des
XVIII. Jahrhunderts Raphael, Lionardo da Vinci imd
vor allem Albrecht Dürer entgegen. Sie werden ge-
priesen als Künstler, welche >die von Gott empfangene
- 46 -
Geschicklichkeit ihrer Hand auch bloss göttlichen und
heiligen Geschichten widmeten und so einen ernsthaften
und heiligen Geist und so eine demütige Einfalt in
ihre Werke brachten, wie es sich zu geweiheten Gegen-
ständen schickt. Sie machten die ]\Ialerkunst zur treuen
Dienerin der Religion und wussten nichts von eitlem
Farbenprunk. ') Die \''erf asser vergleichen ferner den
Genuss der edleren Kunstwerke dem Gebet, ja sie gehen
in ihrer eigenartigen Kunstverehrung soweit, zu be-
haupten, dass manche Gemälde das Gemüt mehr ge-
säubert und dem inneren Sinn tugendseligere Gesin-
nungen eingeflösst hätten als S^'^steme der Moral und
christliche Betrachtungen. Die alte deutsche Baukunst
wird gefeiert und schliesslich in einer als Anhang ge-
druckten Biographie des Kapellmeisters Berlinger der
Lebensgang Wackenroders selbst erzählt. Bereits in den
:^Herzensergiessungen machen sich also jene roman-
ti.schen Bestrebungen geltend, die auf ein möglichst ein-
heitliches Erfassen der drei Kunstgattungen: Poesie,
Musik und bildende Kunst hinzielen und in der ineinan-
derfliessenden Behandlung ihrer Stoffgebiete sich auch
bei Stifter wirksam erweisen.
Vor allem galt seine Lieblingsneigung neben der
Dichtung der ISIalerei, ja es gab eine Zeit, wo er von
sich sagte: »Als Schriftsteller bin ich nur Dilettant,
und wer weiss, ob ich es auf diesem Felde weiter
bringen würde, aber als ]\Ialer werde ich etwas er-
reichen.«: -) Bis an sein Lebensende blieb er seiner Lieb-
haberei ein treuer Anhänger. Inwiefern auch die Musik
in seinem Leben und Dichten zur Geltung kam, wird
.später zu zeigen sein. Seine kunsttheoretischen Ansichten,
die er wie Tieck vielfach in seinen poetischen Werken
1) L. Tieck und W. Wackeuroder, Herzensergiessungen
eines kunstliebenden Klosterbruders, Berlin (ohne Datum). 223.
') "^ gl- J- Neuwirth. Stifter und die bildende Kunst
1903. 38.
— 47 —
xuni direkten Ausdruck brin.i^t oder wenigstens durch-
leuchten lässt, stehen mit unter dem Einfluss der »Her-
zensergiessungen und >Pliantasien über die Kunst für
Freunde der Kunst . ')
Wie Stifter als Dichter die Einflüsse zweier Pe-
rioden auf sich wirken Hess imd nur einen Teil der
romantischen Elemente ganz in sich vereinigte, gehörte
er auch als Kunsttheoretiker nicht ungeteilt der Ro-
mantik an. Im Gegenteil ! In der bildenden Kunst mag
ihn der Klassizismus stärker bewegt haben, gestand er
doch selbst, dass seine Kunstbildung hauptsächlich auf
der griechischen beruhe. (Briefe II, 125). Aber wie im
Dichter Hölderlin die Anschauungs weiten zw^eier Zeiten
harmonisch ineinander \vebten, so fühlte auch Stifter
keinen Widerspruch in ihnen, sondern verband ihre
durch Jahrhunderte geschiedenen Kulturen in seiner
ausgeglichenen Persönlichkeit. Bestimmend für seine
gesamte Kunstanschauung war seine Erziehung in einer
geistlichen Anstalt. Sie war religiös im katholischen
Sinn und hatte so von vorneherein die gleichen Ideale
wie die Romantik auch der bildenden Künste.
»Im zwölften Jahre kam ich«, schreibt Stifter 1866
an G. F. Richter >in die Benediktinerabtei Krems-
münster in die lateinische Schule. Dort hörte ich zum
ersten ]\Iale den Satz : das Schöne sei nichts anderes
als das Göttliche im Kleide des Reizes dargestellt, das
Göttliche aber sei in dem Herrn des Himmels ohne
Schranken, im ]\Ienschen beschränkt ; aber es sei sein
eigentlichstes Wesen und strebe überall und unbedingt
nach beglückender Entfaltung als Gutes, Wahres,
Schönes in Religion, Wissenschaft, Kunst, Lebens-
wandel. Dieser Spruch, so ungefähr oder anders aus-
gesprochen, traf den Kern meines Wesens mit Gewalt,
und all mein folgendes Leben, ein zweiundzwanzig-
1) Neudruck in Kürschners D. X. L. Bd. 69.
- 4« -
jähriger Aufenthalt in Wien, Bestrebungen in Kunst
und Wissenschaft, im Umgange mit Menschen, in
Amtstätigkeit führten mich zu demselben Ergebnisse,
und jetzt im neunundfünzigsten Jahre meines Lebens
habe ich den Glauben noch ; aber er ist mir kein
Glauben mehr, sondern eine Wahrheit wie die Wahr-
heiten der iMathematik ; ja noch mehr, denn die Wahr-
heiten der Mathematik sind nur die unseren Verstands-
gesetzen entsprechenden Gesetze, Diese Wahrheit aber
ist unbedingt oder Gott ist nicht Gott.<: (Briefe III,
240). Mit dem grossen Vorbild Tiecks und Wacken-
roders, mit Raphael Santi aus Urbino machte sich
Stifter frühzeitig vertraut. In den Dreissigerjahren ko-
pierte er die Madonna im Grünen^ von Raphael und
eine > Flucht nach Ägypten von einem seiner italie-
nischen Epigonen. Allmählich wandte sich Stifter jedoch
den Niederländern zu. Wie Shakespeare für seine dichte-
rische Entwicklung den Übergang von den Klassikern
zur Romantik und von dieser zum Klassizismus Goethes
vermittelte, standen jene nordischen Kün.stler zwischen
seinen Neigungen in der Kunst. In der ersten Fassung
der > Feldblumen <', wo der von den antiken Anschauungen
des alten Goethe noch unberührte Stifter zu uns spricht,
heisst es von einem begeisterten Verehrer der Kun.st:
;>Wenn er in Bildergalerien wandelt, wo die frommen
Herzen alter Meister aus den zarten Wangen leuchten,
die sie bildeten, und wenn er so vor manchem selt-
samen Engelsköpfchen steht, das ihn aus steifer, wunder-
licher Tracht so .sittsam anstarrt, und wenn er sich in
so verschiedene Augen senket, die van Dyk, Rubens,
Dürer rundeten, in ihnen liegt noch jetzt dort Hoff-
nung und Entsagung, hier Unschuld, dann Andacht,
dann Jugendfreude, Brautglanz, jene prahlen mit
Schmuck und Reichtum, diese erzählen dem Spätling
ihr unbekanntes Weh — und wenn er über diese Stoffe
blickt in abenteuerlichen Mustern und Zuschnitten, solid
— 49 —
und schwer mil den sehleppciideii [•"alten, über jene
Rüstungfen und Waffen der Männer mit den starken
Lichtblicken von derselben Sonne entzündet, die heut'
die Fenster dieses Saales erglänzen macht, so sieht er
in ein wunderbares Stück Vergangenheit, und wenn es
in dem Saal einsam ist, so ist es ihm, als flüsterten
rings alle Seelen dieser Bilder durcheinander und er-
zählten sich ihre Leiden und ihr Glück; die ganze
Bilderwand ist eine ausgestorbene Geisterstadt, und von
den verfallenden Palästen rät man auf die einstigen
Bewohner.« ') vSo phantastisch wie hier äussert sich
Stifter zwar nirgends über die Kunst, wie sich denn
auch diese Stelle in der späteren Fassung der »Feld-
blumen« nicht mehr vorfindet. Allein wesentliche Ele-
mente der romantischen Kunstanschauung lassen sich
bei ihm bis in sein Alter hinein verfolgen. Wenn er in
den »Zwei vSchw^estern die Kunst als »irdische Schwester
der Religion, die uns auch heiligt«-) bezeichnet und im
»Nachsommer« die Kunst direkt als einen »Zweig der
Religion x^) erklärt, in deren Dienste sie ihre schönsten
Tage bei allen Völkern zugebracht habe, so spricht er
an einer anderen Stelle dieses Romans von dem »lieben,
einfachen, arglosen Gemüt« der mittelalterlichen Kunst")
und sagt dann später : »Jene Zeit war in der Richtung
grosser Kräfte nach grossen Zielen weit grösser als die
unsrige, ihr Streben war ein höheres, es war die Ver-
herrlichung Gottes in seinen Tempeln, während wir
jetzt hauptsächlich auf den stofflichen Verkehr sehen, :^)
und noch an einem anderen Orte: »Die mittelalterliche
Kunst steht wohl höher als die neue. In ihr ist ein
grösserer Reichtum schöner Werke vorhanden als in
') Iris 1841. 233 ff.
-) Stifters Werke, Volksausgabe IL 417.
•>) Stifter, Nachsommer II, 220.
*) Ebd. II, 141.
■) Ebd. III, 89.
Koich, Stifter.
— 50 —
der neuen; es ist daher leichter mogHch, ein fehlerfreies
altes Bild zu erwerben als ein neues. Daher ist es <^e-
konunen, dass ich lauter alte Bilder besitze. Es war ein
kräftiges und gewaltiges Geschlecht, das damals wirkte,
dann kam eine schwächliche und entartete Zeit. Sie
meinte es besser zu machen, wenn sie heftiger in der
Farbe und weniger tief im Schatten wurde. Sie lernte
das Alte nach und nach missachten, daher Hess sie das-
selbe verfallen ; ja die mit Unkenntnis eintretende Roheit
zerstörte manches, besonders wenn wilde und verwor-
rene Zeitläufe eintraten. Man wendete dann wieder um
und achtete das Alte . . . Man suchte sogar nachzu
ahmen, nicht bloss in der Malerkunst, sondern auch,
und zwar noch mehr, in der Baukunst ... Es ist
langsam besser geworden, was sich eben in dem Zeichen
kundtat, dass man alte Bauwerke besser schätzte — ich
selber weiss noch eine Zeit, in welcher Reisende und
Schriftsteller, die man für gelehrt und sprachberechtigt
achtete, die gotische Bauweise für barbarisch und ver-
altet erklärten — dass man alte Bilder her\'orzog, ja
alte Gemälde sammelte, in dem Schnitt alter Kleider
alte Gebilde und Wendungen herbeiführte. Möge man
auf diesem Wege zum Besseren fortfahren. ')
Die Schönheit und Schlichtheit, die geheimnis-
volle Grösse der mittelalterlich deutschen Kunst schätzte
Stifter überhaupt so hoch, dass er ihr hierin nur die
altgriechische an die Seite zu setzen vermochte. Die der
Renaissance folgenden Stilformen verachtete auch er
als den sogenannten Zopfstil, der es sich habe angelegen
sein lassen »die edelsten Kunstbildungen des Mittel-
alters zu beseitigen und dafür oder daneben ihre unge-
heuerlichen Erzeugungen hinzustellen.«-)
Noch mehr ruft uns eine in Stifters Briefwechsel
aus dem Jahr 1852 enthaltene Stelle die »Herzenser-
>) Stifter. Xaclisoniiner II, 232 ff.
>) Vgl. Xeuwirth. 57.
— 5f —
i^i essungen <• von Tieck nnd Wackenrodcr ins (xedädit-
nis zurück: Religion und Kunst, auf der höchsten
vStufe in eins zusaninienfalknd, sind das einzige Out
des Menschen, alles andere: Wissenschaft, Gewerbe, der
Staat selbst sind nur Mittel < (Briefe I, 244). Sie findet
ihre Ergänzung in der 1858 entstandenen Abhandlung
Über das Hauptaltarblatt für das vStift Schlägl von
A. Palme,' die den Satz enthält: Im Dienste des
Christentums haben die Künste ihre iKichste Höhe er-
reicht, und in dieser Höhe haben sie auch der Religion
würdig gedient<^ (XIV, 333). In der Malerei stellte
Stifter jene, die religiöse Stoffe behandelt, am höchsten,
an zweiter Stelle bevorzugte er, wie es die Romantik
getan hatte, die Historienmalerei (XIV, 224). Die
Überzeugung Stifters von dem erhabensten Beruf der
Kunst als »Dienerin der Religion« (XIV, 143) beein-
flusste auch seine Auffassung von der Landschaftsma-
lerei. :> Selbst das Landschaftsbild ist als Bild eines gött-
lichen Werkes religiös, und es wird es desto mehr und
desto schöner, je tiefer es göttliches W^alten darzustellen
imstande ist (XIV, 205). Von den Landschaftsmalern
interessierte Stifter wie auch Jean Paul und Hoff mann
der Franzose Claude Lorrain, w^ährend dessen übrige
Landsleute bei Stifter ebenso wenig wie bei der Früh-
romantik Cruade fanden.
1847 überreichte Stifter ein Gesuch um Bewilli-
gung öffentlicher Vorträge über Ästhetik an das »Vize-
direktorat der philosophischen Studien« in W^ien. (XIV, 5).
Die Vorlesungen sollten Personen beiderlei Geschlechts
zugänglich sein. Zur Ausführung des Planes kam es
allerdings nicht.
In der Folgezeit veröffentlichte er nun eine Reihe
\ on kunstkritischen Aufsätzen, die seine eigenen ästhe-
tischen Grundsätze mitteilten. Ausser Jean Pauls
>Vorschule zur Ästhetik« sind Einflüsse der Frühroman-
tik weiter nicht nachweisbar. Zu Jean Paul kehrt Stifter
— 52 —
noch in seinem Alter gern zurück. Die Abschnitte in
der » Vorschule <, die über das Lächerliche und den
Humor handeln, zählt er zu dem tiefsten, das je über
diese Gegenstände geschrieben worden sei (XIV, 217).
Mit Jean Paul bekämpft Stifter den blossen Realismus,
der nur für die Naturwissenschaft Wert besitzen könne,
als blosse Last ebensosehr wie den blossen Idealismus
als unsichtbaren Dunst oder Narrheit (XIV, 218).
Muss man Nürnberg die Wiege der Romantik
heissen, hatte sie doch von den hier erweckten »Her-
zensergiessungen« ihren Ausgang genommen, so mag
die Grösse der Bewunderung, die Nürnberg dem ein-
zelnen einflösst, als Mass für sein romantisches Empfin-
dungsvermögen gelten.
Wie ein Begeisterungsausfluss aus jenem wunder-
baren Büchlein klingt es, wenn man die Einleitung zu
Hoffmanns Erzählung »Meister Martin, der Küfner,
und seine Gesellen« liest. Nürnberg, »wo die herrlichen
Denkmäler altdeutscher Kunst wie beredte Zeugen den
Glanz, den frommen Fluss, die Wahrhaftigkeit einer
schönen vergangenen Zeit verkünden« (H, 188) und
>Albreclit Dürers tiefsinnige ^Meisterwerke« (II, 189)
weiss er nicht genug zu preisen. Auch in den Tagen
der Spätromantik erlosch diese Bewunderung Dürers
nicht. Noch Justinus Kerner, dessen Lyrik Stifter
verehrte, schreibt: »Es hat mich bei Gott nichts so —
nichts und aber nichts, nicht die Umarmung der Ge-
liebten, nicht der Blick von einem Berg, nicht Poesie,
nicht Tonkunst, nicht Sonn' und nicht Mond so hinge-
rissen, als der Anblick des ersten Gemäldes von Dürer«. ')
Und Stifter? Als er, mit Studien zum »Witiko«
beschäftigt, den Herzenswunsch seiner vaterländischen
Reisesehnsucht endlich erfüllt sah, schrieb er am
1) J. Kerner, Briefwechsel mit seinen Freunden, heraus-
gegeben von Theobald Kerner 1S97. I, 126.
— 53 —
7- Juli 1865 an Gustav Pleckcnast: ^Nürnberg hat auf
mich einen ungeheueren Eindruck gemacht, ich ging
nach meiner Ankiinft in der Stadt herum, bis es finster
wurde, und kam völHg berauscht nach Hause. Das
ganze Ding war mir wie feenhaft, ich war wie eine
Gestalt auf einem Albrecht Dürer'schen Bilde. Nürnberg
ist die schönste Stadt, die ich je gesehen habe, sie ist
in ihrer Ganzheit ein wahrhaftiges Kimstwerk. Die
Zierlichkeit, Heiterkeit und Reinheit dieser mannig-
faltigsten Schönheitslinien füllte mich mit den wohl-
tuendsten Empfindungen. Was ist unser Volk für ein
herrliches Volk gewesen und was ist es heute?« (Briefe
^n, 154).
Damals und dort fesselte Stifter sogar Kaulbachs
symbolisierende Art zu malen, die dieser von Cornelius
gelernt hatte. Das Bild des romantischen Epigonen im
Germanischen Museum erschien ihm wie ein Riese im
Vergleich zu den schalen, kindischen Anläufen der Ge-
genwart, ein rechtes Kunstwerk zu schaffen,
Dass Stifters Abneigung gegen Cornelius diesem
selbst und nicht der von ihm mitbegründeten Richtung
der Romantik in den bildenden Künsten galt, beweist
die Freude, die Stifter andererseits an den Schöpfun-
gen seiner österreichischen Landsleute Schwind und
Führich hatte. Wenn er Arbeiten des liebenswürdigen
Schöpfers der Melusina« zu besprechen hatte, wusste
er die Eigenart dieses spätromantischen Meisters vollends
zu würdigen. Man merkt es Stifters Urteil an, dass er
Schwind nicht als kühl abwägender Kritiker gegen-
überstand, sondern sein Herz mitsprechen Hess.
Schwinds Märchen wirken auf ihn durch das »Phan-
tastische, Schalkhafte, Märchenhafte und Zauberische-
(XIV, 173) vor allem ihrer Zeichnung, also gerade durch
die rein romantischen Elemente in Schwinds Künstler-
natur. Beim Anblick der photographischen Wiedergabe
der Schwindschen Märchen meint Stifter: >In solchen
— 54 --
Dingen ist Schwind kaum zu übertreffen, und die Nach-
bilder erregen in uns nur die grösste Sehnsucht nach
der Anschauung des Urbilds.« (XIV, 173). Und ,in
einer Besprechung des Bildes »Rübezahl«, das von dem
gleichen Maler 185 1 in Linz ausgestellt wurde, schätzt
Stifter dessen Schöpfung so hoch, dass er daran zwei-
felt, ob es vom Publikum nach Verdienst könne ge^
würdigt werden« (XIV, 19).
Als ]\Ialer selbst hatte Stifter für die Mondland-
schaft eine besondere Vorliebe, wie er auch als Dichter
nächtliche Schilderungen liebte (XIV, S. XXXVIII).
Das magische Silberlicht des Tvlondes, das so viele
Stimmungen Schwinds durchleuchtet, hielt mit seinem
Zauber vStifter bis in's Alter gefangen.
Führich wieder musste ihn durch seine religiösen
Bilder in der Art Albrecht Dürers gewinnen. Überaus
lobend hebt Stifter in einem Bericht über den ober-
österreichischen Kunstverein Führichs Komposition »die
klugen und törichten Jungfrauen< hervor. »Die Grup-
pen <:, heisst es u. a., ;4ösen sich und binden sich auf
ernste, feierliche, religiöse und künstlerisch gerundete
Weise und sind anmutig und würdig in die Architektur
verteilt, welche durch ein Stück Nachthimmel und den
Mond sehr edel gemildert wird. Der Ausdruck in den
Gestalten und Angesichtern ist jener erhabene und reli-
giöse Ernst, der in den weiblichen Angesichtern zur
holden Sittlichkeit wird und der so sehr das Wesen der
religiösen Kunst ausmacht. Neben diesem inneren Mo-
mente ist auch das Äussere der sehr reinen mannig-
faltigen und in schöner Harmonie geführten Linien zu
beachten« (XIV, 83 ff.).
Diese Stelle ist charakteristisch genug, Stifters
künstlerisches Wesen mit dem Führichs in Vergleich zu
ziehen.
Beide sind Deutschböhmen und Zeitgenossen, beide
mit der Natur ihrer Heimat auf das Innigste ver*
— 55 —
wachsen. Was l'^üliriclis Ju^^eiid') bildete: Dürer, die
Italiener und von den Niederländern vor allem Rubens
deckt sich grösstenteils mit »Stifters malerischen Jugend-
idealen. Und wie Führichs dichterische Veranlagung
zur Vertiefung in die Lehren der Religion, der Ge-
schichte und Philosophie drängt, ist Stifter wiederum
in seiner Dichtung Maler. Beider Kunst ist bodenstän-
dig in hohem ( rrade. Deutsch wie des Heliandsängers
Natur und Menschen tritt uns das Leben bei Fülirich
und vStifter entgegen, auch dort, wo sie unter Palmen
wandeln. P>ergc und Täler, Wälder und Wiesen der
Heimat schildern sie -jeder in seiner Kunst — immer
so, als ob diese durch geheimnis\'olle Fäden mit der
dargestellten Handlung verknüpft wären. Wir ver-
spüren nur ein Ganzes, e i n Lebendiges, wenn wir
etwas von Stifter oder Fülirich zu seilen bekommen.
Echt deutsch ist ihre Vorliebe für das tierische Symbol
der Treue : der Hund, der auf den Bildern Führichs
immer und immer wiederkehrt, begleitet gern auch
des Dichters Helden. Im »Hagestolz-: und im »xVbdias«
finden Stifters innige Beziehungen zum !\Ienschen ihren
rührenden Ausdruck. »Stifters Freude an dem Kleinen
in der Natur teilte auch Führich. Liebevoll zeichnet
er die kleinsten Kräuter, Muscheln und Würmchen.
Überwältigende Züge äusserer Grösse und majestätische
Ausblicke finden sich bei ihm ebensowenig- wie bei
Stifter. Beide sind fromme Naturen von einer schlichten,
fast schüchternen, kindlichen Naivetät, dabei aber von
grosser ethischer Klarheit und Kraft. Ihr Katholizisnms
endlich bindet sie als Glaubensgenossen ohne Über-
hebung und Unduldsamkeit, als Ireniker, die auch den
Andersdenkenden nicht abstossen können.
Obwohl vStifter in der Tonkunst als Komponist
nie hervortrat im Gegensatz zu seinem dichterischen
1) Vgl. K. Krattiier. J. von Führich. Prag 1903.
- 56 -
Vorbild Hoffmann, besass er für sie ein hohes Ver-
ständnis. Immer, wenn er von IMusik redet, weiss er
ihren intimsten Stimmungsgehalt poetisch wiederzuge-
ben. Das hängt freilich mit der h'rischen Seite seines
Wesens aufs Engste zusammen.
Wie Hoffmann verehrte auch er Beethovens ro-
mantischen Genius. In ihren Erzählungen lieben beide
Abendgesellschaften darzustellen, die zum Teil von
Konzerten ausgefüllt werden. Dabei lassen sie auch
musiktheoretische Fragen erörtern. Anlässlich einer
solchen Unterhaltung in den Feldblumen« wird der
alte Streitpunkt, ob Mozart oder Beetho\en vorzüglicher
sei, angeregt. -Alle Damen waren ]\Iozartistinnen, und
ein grosser Teil der Männer. Angela stand für Beetho-
ven, unterstützt von dem greisen Violoncellisten und
mir« (I, 80). Und in der Begründung ihrer Vorliebe
sagt sie : »INIich reisst es hin, wo, wie in der Natur, gross-
artige Verschwendung ist. Mozart teilt mit freundlichem
Angesichte unschätzbare Edelsteine aus und schenkt
jedem etwas ; Beetho\en aber stürzt gleich einem Wol-
kenbruch von Juwelen über das Volk; dann hält es sich
die Hände vor den Kopf, damit es nicht blutig ge-
schlagen wird und geht am Ende fort, ohne den klein-
sten Diamanten erhascht zu haben< (I, 80).
Dieselbe Bevorzugung Beethovens und dieselbe
Begründung nur mit anderen Worten findet sich bereits
bei Hoffmann in den Phantasiestücken in Callots Ma-
nier.« Beethovens Instrumentalmusik öffne das Reich des
Ungeheuren und Unendlichen in allem, auch in der
Sehnsucht, die das Wesen der Romantik sei. ^ Mozart
und Haydn . . . zeigten uns zuerst die Kunst in ihrer
vollen Glorie; wer sie da mit voller Liebe anschaute
und eindrang in ihr innerstes Wesen ist — Beethoven«
(V, 39). :>Den mu.sikalischen Pöbel drückt Beethovens
mächtiger Genius ; er will sich vergebens dagegen auf-
lehnen. Aber die weisen . . . Richter versichern, es
— 57 —
fehle dem guten Beethoven nicht im mindesten au
einer sehr reichen lebendigen Phantasie; aber er ver-
stehe sie nicht zu zügehi. Wie ist es aber, wenn nur
Eurem schwachen BHck der innere tiefe Zusammenhang
jeder Beethovcnschen Komposition entgeht?« (V, 40 ff.).
Fand mm die Romantik, dass in Beethovens Wer-
ken der überschäumende Quell ihrer Tonkunst entsie-
gelt sei, so galt ihrer geheimnis\'ollen dunklen Sehn-
sucht als Lieblingsinstrimient in der Poesie die ton-
schwere Äolsharfe. In Justinus Kerners »Reiseschatten«
ist von einer Äolsharfe die Rede, »die vor einem Neben-
fenster in I)lumen stand. So war es, als strömten die
Blumen tönende Düfte aus und sangen einander in
tönenden Wechselchören zu.« 'j Hoffmann wieder bringt
sie in seiner Erzählung »Die Automaten« — typisch
für andere Fälle — mit der Handlung in einen mys-
tischen Zusammenhang. Auch Stifter steht in dem
Bann des geheimnisvollen, tief durchdringenden Rau-
schens und Klingens der Äolsharfe. In der »Narren-
burg« fluten ihre Töne in den tiefen Abgrund eines
unerbittlichen, traurigschönen, romantischen Geschicks.
1) J. Kerner, Dichtungen, dritte Auflage II. Band (Reise-
schatten) 1 841, 139.
IV. Äussere Motive.
Einflüsse einer literarischen Periode auf spätere
Dichter lassen sich am einfachsten und sichersten nach-
weisen, wenn sie auf einer gemeinsamen Vorliebe für
bestimmte Motive beruhen. Die vergleichende Unter-
suchung, die in dieser Hinsicht zu führen ist, muss
zweierlei vor Augen haben. Zunächst muss sie darüber
im Klaren sein, welche Ähnlichkeitsmomente nicht nur
den zu vergleichenden Dichtungen, sondern bereits
solchen aus früheren Perioden innewohnen, und diese
von den neu auftretenden gemeinsamen Motiven sorg-
fältig scheiden. Andererseits werden auch diese nicht
in ihrer Gesamtheit auf direkte Einflüsse zurückzufüh-
ren sein. Die gleiche Anschauungsweise einer Zeit
kann auch den verschiedenartigsten Dichtern, die weder
örtlich, noch persönlich, noch geistig miteinander in
irgendwelcher Beziehung stehen, gemeinsame Elemente
vermitteln. Ist das in Frage stehende Material endlich
soweit gesichtet, dass eine Täuschung für den Forscher
schwer möglich erscheint, und verbleibt dann noch immer
ein Rest von Ähnlichkeiten, die auf ein ganz bestimmtes
Vorbild und nur auf dieses hinweisen, so wird die An-
nahme berechtigt, dass direkte Einflüsse dieses \^or-
bilds auf den zu erforschenden Dichter nachweisbar
seien. Stifters dichterische Ideale, an denen er sich
bildete, waren, soweit die Romantik gemeint wird, vor
allem Jean Paul, Tieck und Hoffmann. Direkte Ein-
flüsse der übrigen Romantiker, wie Kleist, Achim von
Arnim, Brentano, Fouque und Eichendorff sind nirgends
— 59 —
nachweisbar, höchstens Justiims Kerner kommt noch
in Betracht. In der folo-enden Darstelhm^^, die sich daranf
beschränkt, das vorg-efundene nnd durchforschte Material
gesammelt vorzuleo^en, werden die eijs^entlichcn 1 'Ein-
flüsse oft neben bloss gemeinsamen Anffassunj^en zu
stehen kommen, um den formellen Zusannnenhan^
nicht zu stören ; doch wird sie bemüht sein, den \er-
schiedenen Wert der ins Aui^e orefassten Beziehun<j;^en
deutlich zu machen.
Trotz aller Phantasie, die Jean Paul in seinen
Dichtuno;-en so reichlich zu Gebote steht, liebt er es,
die Handlunit^ an ihm bekannten Orten vor sich gehen
zu lassen. So steht er im > Siebenkäs < ganz auf dem
Boden seiner voigtländischen Heimat, die Parkanlagen
Fantaisie nennt er den ersten, die Eremitage den zwei-
ten Himmel um Baireuth, wo er einen grossen Teil
seines Lebens verbrachte, ähnlich wie Stifter die Hand-
lung der »Feldblumen« zumeist in dem aus seiner Hof-
mei.sterzeit bekannten Wien und seinen gepriesenen
Ziergärten sich abspielen lässt. Wenn von Jean Paul
der Ort Hof, wo er seine erste Jugend verlebte, so oft
genannt wird (z. B. im >Quintus Fixlein ), so harmoniert
damit die Vorliebe Stifters, seine Heimat Oberplan und
den Böhmer\vald überhaupt zur Geltung zu bringen.
Heide sind also Heimatdichter im eigentlichsten Sinne.
Beide haben eine Freude an vSeen und Inseln, an
abgeschiedenen Orten, wo die Seele träumen und in
Bildern scliwelgen kann. In Jean Pauls »Hesperus« imd
Stifters -Hagestolz gelangt der Held nach beschwer-
licher Überfahrt zu einem solchen Eiland, wo er sein
Schicksal erfährt.
Das Kleinbürgertum mit der behaglichen Ruhe
seiner bescheidenen Existenz, daneben wieder hoch-
adelige Kreise, voll exzentrischer Gefühlsschwärmerei
bilden das Milieu, aus dem Jean Paul seine Ge-
stalten schöpft. Der Armenadvokat »Siebenkäs-, das
— 6o —
;> Schulmeisterlein Wuz« haben ihr Gegenbild in dem
gutmütig beschränkten Bürger Tibiirius Kneigt iu
Stifters »Waldsteig«, ebenso wie die biederen Pastors-
figuren Jean Pauls in dem wohltätigen Pfarrer des
»Kalksteins«, der in der ersten Fassung auch protestan-
tischer Geistlicher ist; der Arzt Augustinus in der
»Mappe« erinnert wieder an den Arzt Viktor in Jean
Pauls »Hesperus«, ihr sonderbar zurückhaltender Cha-
rakter lässt sie ihr längst gefundenes Glück erst spät
besitzen. Andererseits sind die geheimnisvollen Personen
der Fürstin in Jean Pauls >Titan« und des Lords Ho-
rion im »Hesperus« mit der russischen Fürstin und
dem reichen Engländer Aston in Stifters Feldblumen«
zum Verwechseln ähnlich.
Das Interesse an der Künstlerwelt, die seit dem
Erscheinen von Goethes >Wilhelm INIeister« die Dich-
tungen der neuen Zeit belebte und sich vor allem im
Schaffen Tiecks wirksam erwies, macht sich noch bei
Stifter geltend. Während er- dem Maler im ^Kondor«
und Albrecht in den > Feldblumen«, der auch Künstler
ist, Züge seiner eigenen Persönlichkeit mitteilt, gilt das-
selbe von dem Dichter im »Heidedorf«, vor allem der
ersten Fassung. Hierin konnte ihm Tieck leicht vor-
bildlich sein. Der träumerische Charakter, die inmitten
einer dörflichen Gemeinde unverstandene Grösse des
Helden besitzt eine Parallele äusserster Ähnlichkeit in
dem jugendlichen Shakespeare des »Dichterlebens« von
Tieck. Auch noch in dessen Altersdichtung »Vittoria
Accorombona« spielen poetische Persönlichkeiten eine
Hauptrolle. Die Vorliebe für Malerhelden hingegen
findet sich bereits in einem seiner frühesten Werke, in
»Franz Sternbalds Wanderungen.«
Die Romantik mit ihrer Tendenz, alle Gattungen
der Kunst zu umfassen und zu vereinen, stand natür-
lich auch der Musik sehr nahe. In den »Musikalischen
Leiden und Freuden« wählt sich Tieck die Darstellung
— 6i —
von Vertretern der Tonkunst, wie es früher besonders
E. T. A. Hoffniann geliebt hatte, Musiker in den Mittel-
punkt einer Handlung zu stellen. Stifter folgte dem
gleichen Zuge. In seinen »Zwei vSchwestern« ruft er
uns das weibliche Künstlerpaar aus Hoffmanns wimder-
licher Novelle Die Fermate« in Erinnerung.
Das Spiel mit dem Geheimnisvollen, das der ge-
samten Romantik eignet und wohl von dem Geheim-
bund, der Wilhelm Meisters Schicksale lenkt, ange-
regt wurde, benutzt auch Jean Paul als damals geläu-
figes Auskunftsmittel, Verwicklungen zu schaffen und
zu lö.sen. In der »Unsichtbaren Loge nimmt der Held
an einer Gesellschaft teil, die in einer Höhle unttr der
Erde ihre Versammlungen abhält, um unerkannt zu
bleiben. Eine ähnliche Figur, die sich von unerklär-
lichen Geheimnissen umringt sieht, die Rätin Benzon
im »Kater Murre , tritt uns bei Hoffmann entgegen. In
Tiecks »Vittoria Accorombona^ treibt wieder ein ver-
borgener Bund sein wunderliches Spiel mit einer der
Hauptpersonen der Handlung. Eine Art Geheimbund
stellt auch Stifter in den »Feldblumen« mit dem Eng-
länder Aston und seiner engeren Umgebung dar.
Albrecht schreibt darüber an seinen Freund Titus: -Son-
derbar ist mir . . ., dass ich mich . . . schon seit eini-
ger Zeit mit einem Netze von Heimlichkeiten umgeben
fühle, dessen Fäden ich oft sichtbar vor mir zu haben
wähne, und wenn ich darnach greife, so ist nichts da.
Gestalten von Bedeutung sind zuweilen in meinem Be-
reiche, wiederholen sich und verlieren sich. Wünsche,
die ich nie ausgesprochen habe, finde ich oft in mei-
nem Zimmer verwirklicht. Nachfragen werden gehalten,
Bestellungen gemacht, von denen ich nicht weiss, für
wen, und so andere Dinge, die ich fühle, aber für den
Augenblick nicht darstellen kann« (I, 72).
Personen, über deren Abkunft ein geheimnisvolles
Dunkel schwebt oder die in Wirklichkeit andere sind
— 62 -
als jene, für die sie ^-ehalten werden, treten in den
Dichtungen Jean Pauls häufig auf. Flamin, der unter-
geschobene Sohn des Kaplans im Hesperus«, entpuppt
sich schliesslich als Fürstenkind, Cora im > Heimlichen
Klaglied«, die den (reliebten nicht heiraten darf, weil
sie am Ende erfährt, dass sie dessen Halbschwester sei,
ebenso Albano und Linda im >Titan« führen eigentlich
wieder auf ^vlotive im Wilhelm Meister- zurück. In
»Franz Sternbalds Wanderungen bemächtigt sich
ihrer auch Tieck, der die Familie des Helden und seine
Abkunft mit dem wunderbaren Reize des Unbekannt-
seins umhüllt. Ähnliche Beispiele bei Hoffmann bietet
Antonio in Doge und Dogaressa« und Ang^ela im
»Kater Murr«. Ihr entsj^richt die rätselhafte Angela in
Stifters j- Feldblumen^ .
Eine geheimnisvolle Begebenheit aus der Zeit der
Befreiungskriege behandeln Hoff mann und Tieck in
zwei Novellen, die ihnen zugleich Gelegenheit geben,
ihre warme nationale Gesinnung zu bekunden. Mehr
als Hoffmanns »Erscheinungen« muss >der Geheimnis-
volle« von Tieck Stifter beeinflusst haben. In den
»Wirkungen eines weissen Mantels« wird auch mit
Zuhilfenahme des zeitlichen Hintergrunds der deutschen
Freiheitskriege ein Unbekannter vorgeführt, dessen Ab-
kunft ebenfalls erst am Ausgang der Handlung klar-
gestellt erscheint und eine glückliche Lösung herbei-
führt. Bereits in seiner fragmentarischen Jugender-
zählung :> Julius« verwendet Stifter ein ähnliches Motiv
zum ersten Male. Sogar die Art und Weise einer Er-
rettung aus Lebensgefahr werden hier nach Tiecks
»Geheimnisvollem« wiederholt. In den ;? Wirkungen
eines weissen Mantels < findet sich ein entsprechendes
ähnliches Motiv. Die innige Teilnahme Stifters an den
Geschicken des Vaterlandes im Kampf wider Napoleon
stellt diese (später >Bergmilch< betitelte) Dichtung als
nationales Zeitbild schon aus diesem Grunde an die
Seite der genannten Novellen Hoffmanns und Tieckg.
- ^^3 -
Die Ab.siclit, dureli Vcrweiulun.i;- eines von vorne-
herein gelieininisvollen Motivs die vSpannuno- des Lesers
'/AI steij^ern, artet bei Iloffniann zur phantastischen
Manier aus. Stifter in seinem >Ahen Siej^el« erweckt
einen ähnlichen Eindruck. Er nberninimt darin zahh-eiclie
Motive aus Hoffmanns >Odem Haus< und Oeh'ibde .
Der merkwürdij^e Eindruck, den das scheinbar unbe-
wohnte Gartenhaus macht, die wunderHche (xcstalt des
alten Pförtners daselbst haben ihre Ebenbilder bei
Hoffmann. Die weibliche Hauptperson im >Gelübde<'
heisst Cölestine, im .Alten Sieo-el« Celeste, beide wohnen
in einer fremden Stadt, igelten als unbekannt, <;-ehen
täglich zur Messe und sind nur zu dieser Zeit, stets schwarz
verschleiert, auf der Strasse sichtbar. Eine geheinmis-
volle ungeheure Täuschimg in der Liebe veranlasst
beider Alleinsein. Der Liebhaber ist hier wie dort Offi-
zier. Im »Gelübde« bilden die polnischen, im »Alten
Siegel- die deutschen Befreiungskriege den nationalen
und historischen Hintergrund. In beiden Fällen be-
schliesst der Offizier sein Leben als stiller Siedler.
Da.s tolle Spiel, das die Doppelgänger in Hoffmanns
Dichtungen treiben, ist im Grund auf Jean Paul zurück-
zuführen. In den »Doppelgängern« von Hoffmann und
im »Siebenkäs« von Jean Paul steht eine Natalie im
Vordergrunde, mit der zwei männliche Doppelgänger
in Beziehung treten. Die sentimentale Entsagung und
der trotzdem glückliche Abschluss, der bei Hoffmann
sonst nicht allzuhäufig ist, bringt diese Erzählung aus
der Spätzeit seines Schaffens der rührselig optimisti-
schen Darstellung Jean Pauls nahe. Weit charakteri-
stischer für Hoffmanns spezielle Auffassung sind der
Bruder Medardus und sein Ebenbild in den »Eli-
xieren des Teufels.« Die Figur eines Doppelgängers
verwendet er auch im »Artushof . Hier weiss sich der
trostlose Geliebte, der ebenso wie in Stifters Feldblu-
men« ein Maler ist, vor lauter Wirrunsren nicht zu
- 64 -
helfen. Bei Stifter heisst es: ; Diese Doppelgängerei« —
Angela ist gemeint — »fing nun an etwas Unlieini-
liches zu gewinnen. Wie in Hoffmanns ^Doppelgän-
gern« und Jean Pauls ^^ Siebenkäs < kommt auch in der
wunderlichen Gesellschaft der > Feldblumen« eine Na-
talie vor.
Eine eigenartige Mischung von Zügen, die teils
der wunderbaren Mignonfigur im »Wilhelm !Meister-
eignen, teils, dem deutschen Märchenschatz entnommen,
in Tiecks »Elfen« und Hoffmanns »Fremdem Kind«
verwendet erscheinen, gestaltet sich bei Stifter zweimal,
zunächst im braunen Mädchen seines »» Katzen silbers«,
dann in dem wilden Naturkind des >»Waldbrunnens^ ,
das unter Berücksichtigung verschiedener Begleitum-
stände sehr an jenes in Justinus Kerners »»Reiseschatten ')
erinnert.
In dem oben genannten ^Märchen Tiecks spielt
ein geheimnisvolles Kind die Hauptrolle. Es ist eine
Elfe, die, als sie profane Augen entdeckt haben, ihre
Heimstätte nahe den INIenschen — vom Volk als Zi-
geunerlager aufgefasst — für immer verlässt. Noch
stärker scheint Hoffmann mit seinem Märchen Das
fremde Kind« eingewirkt zu haben. Hier wie im Katzen-
silber ^ spielen Kinder im Walde; eines Tages gesellt
sich ein fremdes, unbekanntes zu ihnen, es kommt und
verschwindet immer von neuem, niemand kann seine
Spur verfolgen. Einmal überrascht sie ein starkes Ge-
witter. Das fremde Kind rettet sie. Überhaupt bringt
es mannigfachen, wunderbaren Segen. Ein Todesfall
führt jedoch die Trennung herbei. Im »»Katzensilber«
verliert sich hierauf das unbekannte Mädchen imd
kehrt nie wieder, bei Hoffmann müssen die Kinder die
Heimat verlassen.
Noch eine weitere auf Hoff mann speziell hinwei-
sende Stelle findet sich im »Katzensilber«. Von den
') J. Kemer, Dichtungen II. 135.
- 65 -
Kindern bekommen nämlich zwei je eiiien Nussknacker,
»Dlondköpfchen einen grösseren und ernsteren, Schwarz-
köpfclien einen kleineren und närrischeren, der einen
drolligen Mund hatte und fürchterliche Augen machte . . .
In die Mäuler der Nussknacker taten sie Nüsse . . . und
zerbrachen die Nüsse, indem die Knacker gewaltig die
Kinnladen zusammentaten und erschreckliche Gesichter
erzeugten.« ') Hoffmanns Märchen vom »Nussknacker
und Mausekönig-:- enthält Szenen, worin die Phantasie
des kleinen Mariechens von einem ähnlichen komischen
Grausen erfüllt wird.
Die Voriiebe für das Seltsame, Wunderliche, Ba-
rocke teilt schon Jean Paul. Das Abenteuer, das er den
Advokaten ^Si ebenkäs <; im Park Fantaisic bei Baireuth
erleben lässt, ist in seiner Nachwirkung auf Stifter be-
sonders bedeutsam. Firmian sieht seine spätere GeHebte
Natalie zum ersten ^lal vor einem Spiegel, wie Albrecht
in den »Feldblunien< seine Angela. Bei Jean Paul heisst
es: »An der ausgemauerten Bucht stand nämlich, ganz
schwarz gekleidet, eine mit einem weissen Flor be-
zogene weibliche Gestalt . . . Sie war von ihm abge-
kehrt gegen x\bend . . . Indes er langsam \'or ihr vor-
überging, sah er von der Seite, dass sie eine Blume
nicht sowohl nach als über ihn warf, gleichsam als
sollte dieses Ausrufzeichen einen Zerstreuten aufwecken.
Er sah sich leicht um . . . und ging an die Glaspforte
des künstlich baufälligen Tempels hinan, um sich neben
dem Rätsel zu verweilen. Drinnen stand ihm gegen-
über ein Pfeilerspiegel, der den ganzen !\Iittel- und
Vordergrund hinter ihm samt der weissen Unbekannten
in die grüne Perspektive eines langen Hintergrundes
herumdrehte. Firmian ersah im Spiegel, dass sie den
ganzen Strauss gegen ihn werfe ... Er wandte sich
lächelnd um . . . Eine sanfte, aber hastisre Stimme saete :
1) vStifters Werke, \'olksausg-abe III, I6S.
K o s c h, Stifter.
— 66 —
Keimen Sie mich nicht, . . . nnd ein weiblicher Kopf,
der vom Halse des vatikanischen Apollo abgesäot und
nur mit acht oder zehn weiblichen Zügen und mit einer
schmalen Stirn gemildert war, glänzte vor ihm wie ein
Marmorkopf vor der Lohe einer Fakel. Aber indem er
hinzusetzte, er sei ein Fremder — und indem die Ge-
stalt ihn näher und unvergittert anblickte, und indem
sie das Flor-Fallgatter wieder niederliess ... so kehrte sie
sich weg.« (XII, 103). Fast dieselbe wunderliche Situa-
tion, nur mit dem Unterschied, dass der Held derjenige
ist, welcher aufzufallen sucht, bieten die ;^ Feldblumen«.
vStatt des Parks Fantaisie ist hier das Lokal der Para-
diesgarten bei Wien. Ich weiss nicht,« schreibt Albrecht
an Titus, -ob damals, als wir beide zugleich in Wien
waren, in der Mitte des Paradiesgartens ein schwarzer
erhabener Spiegel auf einem Untersatze angebracht
war . . . kurz, jetzt ist ein solcher Spiegel da, und ein
Teil der Stadt, die grünen Bäume und die Rasenplätze
vor derselben und der Ring der Vorstädte steht in un-
endlicher Kleinheit darinnen . . . An diesem Spiegel
stand, als mich heute mittags . . . meine gewöhnliche
Frühlingsspaziersucht \orbeiführte, ein Weib, durch
ihren Bau . . . grosse vSchönheit versprechend, und sah
hinein. Ich stellte mich ruhig hinter sie, um ihr Weg-
gehen zu erwarten. Denn mich ihr gegenüberzustellen
war ich nicht dreist genug. Als sie immer und immer
stehen blieb, malte ich in Gedanken die lächerliche
Gruppe, die wir bildeten und hierdurch kam mir der
Mut, sie zum Umsehen zu zwingen, nämlich ich sagte
plötzlich : : Eine wahre Unterweltbeleuchtung schwebt
über diesem kleinen Xachbilde<. Sie sah auch um —
und ich prallte fast zurück. • — Yon meiner Kind-
heit an war immer etwas in mir, wie eine schwermütig
schöne Dichtung, dunkel und halbbewusst, in Schön-
heitsträumen mich abmühend — oder soll ich es anders
nennen, ein ungeborner Engel, ein unhebbarer Schatz,
- 6; -
den selber die Musik nicliL liob in diesem Auj^er.-
blicke hatte ich das Dinjj;- zwei Spannen breit meinen
Angen sichtbar gegenüber. Sie sah micli ernst und un-
\erwirrt an inid hess einen dichten vSchleier lierab-
fallen« (I, 59 ff.).
Bei Jean Paul wie bei vStifter überwindet das
dringende \'erlangen der Liebe die innere Scham, doch
gleich nach dem ersten Anblick zieht sich die auf-
keimende Neigung verschlossen und sich selbst ver-
bergend zurück. Die apollinische Schönheit des Weibes
wird schwärmerisch geschildert und dennoch gleich mit
einer mathematischen Realität in Beziehung gesetzt:
Jean Paul mildert den klassischen Kopf mit acht oder
zehn weiblichen Zügen <, Stifter hat das Wunderding
:>zwei Spannen breit« gegenüber.
Eine auffallende Ähnlichkeit weist auch die Stelle
im »Hesperus«, die uns mitteilt, wie Viktor das Schick-
sal seiner Geliebten erfährt, mit jener im > Hagestolz«
auf, wo der Held, der ebenfalls Viktor heisst, über ge-
heimgehaltene Ereignisse aus der Familie des von ihm
verehrten Mädchens unterrichtet wird. Beide Male ist
eine wunderliche Insel der Ort, an dem ein Greis, dort
der Lord, Viktors \'ater, hier der Hagestolz, Viktors
Oheim, sein Geheimnis mitteilt. Auf beiden Inseln er-
hebt sich ein sonderbares Gebäude, dessen mystisches
Aussehen schon der Eingang erhöhen muss. »Ehe sie
an das . . . Tor hintraten, drehte sich von innen ein
Schlüssel um und sperrte auf, und die Tür klaffte« er-
zählt Jean Paul (V, 227), während bei Stifter der Be-
gleiter des Helden einen gellenden Pfiff ausstösst: »So-
gleich öffnete sich das Tor von unsichtbaren Händen —
Viktor begriff es gar nicht«.')
Auf die \'orliebe für einen Spitzhund, der hier
wie dort als bedeutsames Tierwesen den Gan«: der
•) vSliflers A\'erke, Volksausgabe IL 225.
— 68 —
Handlung beeinflusst, sei nebenbei hingewiesen. Ebenso
dürfte das Wort ;; Nachsommer«, das von Jean Paul
im ;>Siebenkäs<: in den verschiedenartigsten Bedeutungen
gebraucht wird — auch als Xachsommer des Lebens —
in Verbindung mit den darin vorkommenden Haupt-
personen Heinrich und Natalie Stifters ;>Nachsommer<<
mit seinen gleichfalls Heinrich und Natalie benannten
Helden ins Gedächtnis rufen.
Jean Paul liebt es, wichtige Wendepunkte in seinen
Erzählungen oft von Zufällen abhängig zu machen, wie
solche etwa das Reisen mit sich bringt. Wenn es im
»Kampanertal« heisst: : Nur Reisen ist Leben, wie um-
gekehrt das Leben nur Reisen ist< (XIII, 29), so steht
diese Anschauung nicht vereinzelt da, der gesamten
Romantik bis auf Stifter gehört sie an. In den »Zwei
Schwestern«, wo ähnlich wie im »Titan« eine Alpen-
fahrt berichtet und die Schönheit des Gardasees, den
Stifter ebensowenig kannte, wie Jean Paul den von ihm
gerühmten Lago Maggiore, gefeiert wird, steht das
Land der deutschen Sehnsucht Italien im Hintergrund.
Der Held trifft in beiden Erzählungen plötzlich mit
jenem Wesen zusammen, das ihm zwar früher in der
Heimat begegnet ist, erst jetzt aber seine Liebe erregt
und für sein weiteres Leben von entscheidendem Ein-
fluss wird. Nach dem gelobten Lande der Kunst zielte
auch Hoffmanns Sehnsucht. Neben »Ignaz Denner« und
den »Elixieren des Teufels spielt auch »Die Jesuiter-
kirche« zum Teil in Italien. Wie Stifters »Zwei Schwe-
stern ist auch diese Erzählung eine Künstlemovelle.
Äussere Zufälligkeiten, wie z. B. Namensgleichheit bringt
Hoffmann gern mit gleichen Schicksalen in Verbindung.
Im »Majorat« erfüllt sich am Enkel Roderich das Ge-
schick des Ahnherrn Roderich. Ebenso absichtlich
nimmt es sich aus, wenn in Stifters Erzählung »Der
fromme Spruch« das adelige Geschwisterpaar Dietwin
und Gerlint einen Neffen Diet%vin imd eine Nichte
- 69 -
Oerlint besitzt. ^Wunderbar sind die Namen der
Kinder, wunderbar ihr (gleicher Altersunterschied,
wunderbar die Verhältnisse, die sie zu uns j^-ebraeht
haben, wunderbar ihre Ähnlichkeit mit uns, und am
wunderbarsten, dass wir beide unabhängig von ein-
ander den Gedanken ihrer Verehelichung fassten.« ')
Die geringsten Zufälle bedeutend werden zu lassen,
liebt ebenso Tieck entsprechend seiner Theorie über
die Novelle. So bewirken auch bei ihm häufig Reise-
erlebnisse den entscheidenden Umschwung (z. B. in der
> »Sommerreise ). Aber auch die unerwartete Auffindung
wertvoller Papiere (z. B. in der »Klausenburg«, mit
Stifters Erzählungen >Die Narrenburg« und »Der Kuss
von vSentze« vergleichbar) und ähnliche rein äusserliche
^Momente ersetzen mitunter die psychologische Ent-
wicklung. Hierher gehören Verwechslungen, die ver-
kehrte Heiraten herbeiführen, wie in Tiecks :>Verlobten<c
und Stifters »Feldblumen«. Ganz in der Art Tiecks
und Hoffmanns ist die Erzählimg »Die drei Schmiede
des vSchicksals« von Stifter.
Der stete die Spannung erhaltende Szenenwechsel,
der stark ironisierende Ton dieser Dichtung sticht von
seinen übrigen Werken auffallend ab. Ein eigenartiger
Freundschaftsbund — seit Goethes »Wilhelm Meister«,
Tiecks vSternbald« und Hoffmanns »Serapionsbrüdern«
ein bekanntes Motiv, — Gespräche über Gespenster, die
Erscheinung einer weissen Frau, die aber in Wirklich-
keit eine Nachtwandlerin ist, ein höchst überflüssiger
Zweikampf bilden den Apparat, mit dem hier der
Dichter, u. zw. wenig innerlich vertieft arbeitet. Einiges
weist direkt auf Hoffmanns »Fragment aus dem Leben
dreier Freunde« hin. Schon im Titel erweist sich eine
Ähnlichkeit mit »den drei Schmieden des Schicksals«-
Die Gesellschaft lustiger Männer, in der die Haupt-
«) Stifters Werke, \olks;uisj^ahe III.
— 70 —
geschichte erzählt wird, findet sich hier wie dort. Der
Besuch, die Einquartierung desselben in einem Zimmer,
wo des Nachts eine weisse Dame umgehen soll, die
anfängliche Furchtlosigkeit des Gastes, sein vSchrecken,
als nach Mitternacht die Erscheinung wirklich naht,
sind Motive, die sich bei Stifter wiederholen. In beiden
Erzählungen ist der Abschluss fröhlich, indem der Held
heitere Hochzeit feiert. Der mehr als grotesken Fabel
entspricht der leichte, nirgends eindringende Ton der
Sprache. Lasse inich doch wenigstens aus deinem
Munde nicht das Wort vSchicksal vernehmen,« sagt der
eine der vSchicksalsschmiede bei Stifter zum andern,
»es ist, als sei es unmöglich, dass du es solltest aus-
sprechen können. < *Noch vielmehr,- erhält er zur
Antwort, »ich will dich lehren, dass es einen Zufall
gibt, und dass wir nur weise sind, wenn wir ihn be-
herrschen. « ')
Wie der junge Tieck und Wackenroder, die Be-
gründer der Romantik und, wenn man so sagen will,
des ästhetischen Katholizismus, brachte auch Hoff mann,
der ja von beiden vieles gelernt hatte, der Kirche und
ihrem Kultus nicht nur Interesse entgegen, sondern er
suchte und fand gerade in ihnen viel Dekoratives für
seine jDoetischen Geheimnisse. Bei Stifter ging der
Katholizismus allerdings tiefer, er verkörperte, wie be-
reits früher gezeigt wurde, seinen persönlichen Glauben,
den Wesensinhalt einer Religion, die ihm mehr galt
sogar als die Kunst, deren glühender Verehrer er war.
Stifter mit seiner ganzen Vergangenheit, als gereifter
]\Iensch eher Pedant als Phantast, musste katholische
Motive viel klarer schauen und natürlicher \'erwerten
können als der katholisierende Protestant Hoffmann.
In seinem »Majorat« wählt dieser mit Absicht kirch-
liche Kulissen, weil Mönch und Nonne damals in Mode
') Stifters Werke. Volksausg-abe IV, 63.
waren. Der Verfasser des --Allen Siegels<' verselzl uns
mitten in einen katholischen Gottesdienst, schon aus
dem Grunde, weil er ein Lebenselcment seiner Umi^e-
buno;- bildet und er realistisch zeichnen will, andererseits
weil er keinen anderen Gottesdienst als diesen kennt.
Darin etwa liegt der Unterschied in der Verwertun«-
des katholischen Milieus bei Stifter und bei Hoffmann,
sowie bei der Frühromantik überhaupt. Immerhin steht
Hoffmanu in seiner Weise vStiftcr nahe, indem er das
ästhetisch Wirksame nir.G^ends \on einer falschen Ten-
denz überwuchern lässt. Von den äusserlich katholischen
Zügen, die einer Reihe Hoffmann'scher Erzählungen
ihr eigenartiges Gepräge verleihen, seien einige erwähnt.
Der Serapionsbruder Cyprian hat ein »auf dem tiefsten
katholischen Mystizismus basiertes Buch« (I, 28) heraus-
gegeben. Erzählungen, wie »Das Sanktus« und »Die
Jesuiterkirche« sind völlig in katholische Verbrämung
gefasst. Die im »Kater Murr' erzählte Liebfrauenlegende
erinnert an die Marienverehrung, wie sie auch Tieck
poetisch verwertet. Die Rahmenerzählung, die in seinem
^Aufruhr in den Cevennen« die Entstehung der Kapelle
des armen Priesters erklärt, findet bei Stifter ihre
Parallele im »Beschriebenen Tännling<, wo die Grün-
dung des Marienkirchleins bei Obeq^lan gleichfalls
legendenmässig erzählt wird.
Wie sich die Verwendung katholischer Motive bis
in Hoffmanns letzte vSchaffenszeit verfolgen lässt —
noch in seinen »Räubern« tritt ein Mönch in den Vor-
dergrund — so lassen sich auch bei vStifter Anspie-
lungen auf das kirchliche Leben in allen Zeiten seiner
dichterischen Entwicklung nachweisen. Das Pfingstfest
im »Heidedorf«, der Beichttag des Mädchens im »Be-
schriebenen Tännling« , der Exkurs über die drei kirch-
lichen Festkreise im »Bergkristalh , der Gang durch die
Katakomben von St. Stefan in Wien«, der katholische
Pfarrer in der zw^eiten Fassung des »Kalksteins- bieten
nur Beispiele dafür.
V. Innere Motive.
Der Typus des Lebens- oder Bildungsromans, wie
er uns vorzüglich in ^Wilhelm Meister< entgegentritt,
kehrt in den Tagen der Romantik öfter wieder und
findet nicht einmal bei Stifter den Abschluss seiner
Entwicklung. Das eigene Leben in der Dichtung zu
offenbaren, diesen realistischen persönlichen Zug Goethes
teilten die meisten Romantiker mit ihm.
Sowohl Jean Paul und Tieck wie spater Stifter
kamen ihrem Verlangen, dichterisch möglichst die Wirk-
lichkeit zu erfassen, von einer neuen Seite entgegen,
indem sie die eigenen Lebensschicksale in die erzählte
Handlung verwoben.
Erlebnisse aus der Jugendzeit füllen die verhältnis-
mässig gross angelegte Novelle Tiecks »Der junge
Tischlermeister«, eigentlich sein Lebenswerk, das er,
angeregt durch »Wilhelm Meister« gleichzeitig mit dem
»Sternbald« 1795 begonnen hatte. 41 Jahre später lag
es vollendet im Drucke \"or. Die Reise des Helden
nach dem Gut eities Freundes, auf dem sich der grösste
Teil der Handlung abspielt, und von da zurück in die
Heimat, gibt dem Dichter Gelegenheit, Reiseerinne-
ningen aus der mit Wackenroder gemeinsam verlebten
Studentenzeit zurückzurufen. Die Begeisterung für
Shakespeare, Homer und vor allem für die altdeutsche
Baukunst, jene schwärmerischen Gefühle, die ihm damals
in so lioheni (»radc /u einen waren, brinj^t er darin
zu lebendifi-eni Ausdruck. ')
l')ic bleichen Ideale beseelen die Helden des
>Nachsonnners< , den junf^en Heinrich und den alten
Freilierrn von Risach, dessen Jugendschicksale jene
Stifters selber sind. Minder zahlreich als hier, aber
immerhin deutlich erkennbar finden sich Selbsterleb-
nisse Stifters bereits in seinen Novellen, wie im
»Kondore, im »Heidedorf, in den »Nachkommen-
schaften .
Ein küntemplali\er und meditierender Zug eignet
allen seinen Dichtungen. Sein gesprächiges Gemüt, sein
lehrhafter Charakter barg eine Fülle seelischer Anre-
gungen, die er in ihnen zu \er\verten und auszusprechen
bemüht ist, Dieses pädagogische bildende Moment tritt
auch bei Ticck stark hervor, der mit den aufdringlichen
Gesprächen schwatzhafter Weiber und Bedientenseelen
(z. B. im Geheimnisvollen«) ein karrikiertes Grenz-
gebiet der Didaktik streift; aber auch in durchaus
ernsthaften Reflexionen des eigenen Seelenlebens vor
allem seinen Shakespeare-Novellen eine auch innerlich
individuelle Färbung verleiht. Ebenso benutzt Jeau
Paul Erfahrungen aus seinem reichen Lebensgeschick
in hervorstechender Weise. In der »Unsichtbaren Loge^,
dann besonders in der Levana« spricht Jean Paul
seine pädagogischen Ansichten aus, die ihn mit der
didaktischen Natur des späteren Schulrats Stifter nahe
zusammenführen. Ein Beispiel für die ähnliche pädago-
gische iVnschauungsweise Jean Pauls und Stifters bietet
ein Vergleich ihrer Ansichten über Mädchenerziehung.
Kräuterlehre, Sternkunde, Mathematik, Geschichte,
Musik, Englisch, Italienisch und Latein, Deutsch sollte
das gebildet sein wollende Mädchen lernen, lieisst es in
der »Levana« (XVII, 240 ff.). Angela in Stifters »Feld-
1) \'g-l. auch -Minor, Tieck als XciveUeiidichter 215.
bluinen« entspricht dieser Erziehungslehre vollends. —
vSein Hass wider den »ewigen Strickstrum])f, an dem
unsere Juni^frauen nagen< (I, 115), gleicht wieder der
Anschaunngsweise des jungen Tieck, der in seinem
»Däumchen« gegen die übertriebene Nützlichkeitsarbeit
der Frauen, vor allem gegen das Strickzeug zu Felde
zieht. ')
Interessant sind die zahlreichen Beziehungen, die
Stifters Darstellung des Liebeslebens zu der Jean Pauls
und Tiecks hat. Tragischen Konflikten blieb Jean Paul
im allgemeinen abgeneigt. Die wenigen, die sein quieti-
stisches Wesen zulässt, verlegt er jedoch nicht in die
Aussenwelt, sondern stets in den einzelnen und inneren
Menschen.
Helden der Resignation sind bei Jean Paul sehr
beliebt. Auch bei Stifter erzeugt der Liebes verzieht
teils mit vorangegangener Verschuldung, teils ohne
diese eigene Charaktere. Ausser Hugo im .Alten Siegeh ,
dessen Fehltritt mit dem Lianens im »Titan Ähnlich-
keit hat, kann man vom Maler im »Kondor bis zum
alten Freiherrn im .Nachsommer« eine ganze Gruppe
solcher Gestalten zusammenstellen, die nach Art des
Liebespaares in Jean Pauls »Jubelsenior« und anderer
Genossen (etwa im »Titan«) in der selb.stlosen Nieder-
werfung der heissesten Wünsche ihren Frieden finden.
Der alte Spener im Titan , der an Emanuel im
»Hesperus« erinnert und zu seinen Schützlingen von
dem Nichtigen aller menschlichen Freundschaft und
Liebe, von der Versenkung in die Fülle alles Guten'
und vSchönen, in die uneigennützige, unbegrenzte All-
Liebe redet,-) besitzt sein Ebenbild in Stifters wun-
derlichem greisen »Hagestolz«, der an keine Einzel-
») H. Gschwiud. Die ethischen Neiierung-ea der Fri'ih-'
romantik. Bern 1903, 75.
2) P. Nerrlich, Jean Paul. P>erlin 18S9, 399.
liebe «glaubt und seinen Xefl'en nuihnt : Icli sage dir,
dass die Hing-abe seiner selbst für andere selber in
den Tod, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf,
gerade nichts anderes ist, als das stärkste Aufplat/.en
der Blume des eigenen Lebens. ') Der sanfte Christ
in der >]\Iappe< trägt ähnliche Züge einer hyper-
humanen, Jean Paul'schen Enipfindungsweise.
Die edle Resignation, das stille Sich-Bescheiden
bildet entsprechend Stifters Eigenart auch den Grund-
zug von Tiecks dichterischem Ideencharakter. Die
meisten seiner Helden erdulden ihr herbes Los wie
Vittoria Accorombona in Tiecks gleichnamigem Roman :
.^Vittoria«, heisst es darin, ertrug ihren vSchmerz, wie
grosse Seelen fast immer die herbsten Verluste zu tragen
pflegen. Man sah sie nicht klagen und weinen, ihr
Unglück war zu gross, um sich in solchen Leiden
kundzutun.
vStifters schon früher erwähnter Verkehr mit der-
höheren Gesellschaft, vor Allem in seiner Wiener Hof-
meisterzeit, befähigte den Dichter umsomehr, das Standes-
problem zu behandeln. Im ;>Kondor«, im »Heidedorf«,
im :> Nachsommer < begegnet man seiner Absicht, das
Scheitern des Ausgleichs zweier Gesellschaftsklassen
darzustellen. In Tiecks »Ahnenprobe«, wo gleichfalls'
ein soziales Thema der Handlung als Grundlage dient,
erfolgt zwar eine glückliche Lösung, doch wird auch
hier die freiwillige Entsagung von Liebenden aus ver-
schiedenen Ständen als Idealverhältnis hinsfestellt.
Um seinen Dichtungen einen tiefen, geistigen Gehalt
zu verleihen, scheut Tieck nicht davor zurück, noch
schwierigere Probleme aufzurollen und ihre Lösung in
der Wirklichkeit des Lebens zu versuchen. Die ele-
mentare Natur der Geschlechterliebe, in ihrem innersten
Wesen durch Goethes »Werther« dichterisch aufs Neue
1) L. Tieck. Vittoria Accorombona. Zweite Auflage.
Breslaii 1841. IT, 247.
- 76 -
erkannt, sucht Tieck mit Vorliebe zu behandeln, um
die Verwicklungen und Verheerungen dieser Leiden-
schaft aufdecken zu können. Er fasst ihre übersinnliche
und darum stärkste Seite auf, indem er die verzückte
Seligkeit unabsehbarer Trennung, die echt romantische
Liebe, die nur Sehnsucht ist, zum Ausdruck bringt.
Das Liebespaar Jeoffroy und Melisende im ;>Sternbald«
verkörpert die grenzenlose Verquickung von irdischer
und himmlischer Liebe. Der Troubadour geht über das
Meer zu der fernen Schönen, von deren wundervoller
Anmut er viel vernommen hat, und der er nun, ohne
sie selbst gesehen zu haben, mit der vollen Glut seines
Herzens angehört. Dieselbe schemenhafte Schwärmerei
charakterisiert bei Jean Paul am besten Albano im
»Titan«, der Liane ebenfalls bereits liebt, bevor er sie
persönlich kennen gelernt hat ; er hat sie preisen und
rühmen gehört und glaubt demnach in ihr das Urbild
der Romanheldinnen, die ihn entzückt haben, zu finden ;
er sehnt sich nach Liebe und wähnt darum in Liane sein
erträumtes Ideal vor Augen zu haben. So nimmt auch
in der Phantasie Albrechts, des Helden in Stifters
»Feldblumen«, die verschleierte Unbekannte »ordentlich
eine rührende Miene« (I, 56) an, bloss w^eil er mit
seinem Freunde solansre von ihr oreredet hat. Seine
nach Liebe heiss verlangende Seele drängt ihn zu einem
vollendeten Gefühl. »Aber in der Tat, so ist unsVe Ein-
bildung und meine erst vollends, wenn wir einen
Menschen in nahen Verhältnissen mit uns dichten, so
wird er uns fast lieb, besonders wenn er ein schönes
Mädchen ist und wir eben fünfundzwanzig Jahre alt
werden. Ich gehöre da zu den Narren, die so sehr
aus dem Häuschen sind, dass sie die Sache auch gar
noch glauben« (I, 56). Als er Angela zum ersten Mal
für einen Augenblick gesehen hat, schwärmt er erst
recht: »Ob ich in sie verliebt wurde? — Nein, in die.se
war ich es seit meinem ganzen Leben schon gewesen«
(I, 60).
_ 77 —
Das Für und Wider der llhe, die in dem Leben
so mancher Romantiker wnnderliche, ja oft unselig-e
Schicksale znr Folge hatte, erörtern Tieck und Stifter
in verschiedenen ihrer Dichtungen. Die Heldin in Tiecks
»Vittoria Accoronibona« behandelt dieses Problem vom
Standpunkt der krassesten Verachtung jegHcher ehe-
lichen Gemeinschaft, bis sie schliesslich in einer unbe-
schränkten, willenlosen Hingabe das Aufgehen alles
Wünschens und Tuns in die beseligende Einheit der
Liebe erblickt. Die widernatürliche, unverstandene
Gemeinschaft der Gatten, der Ehebruch selbst in den
verschiedensten Formen und Folgen kommt bei Tieck
zur Darstellung, psychologisch vertiefter auch bei Stifter,
der trotz seiner unendlich keuschen und zarten Behand-
lung sinnlicher Elemente die heikelsten Probleme dieser
Art zu lösen versucht. Im »Alten Siegel« feiert der
Wahlspruch: Servandus tantummodo bonos! einen
vollen Sieg über alle Schwachheit einer befleckten
Liebe, ähnlich wie in Tiecks »Hexensabbat« der Ehe-
bruch seine Sühnung erfährt, indem die untreue Gattin
zu ihrem Schmerz am Ende auch den Verlust des Ge-
liebten beklagen muss.
Gleich dem jungen, Tieck (in seinem »Sternbald«
hauptsächlich) fasst denn auch Jean Paul, wie eben
gezeigt wurde, die Liebe durchaus romantisch, mehr
übernatürlich als irdisch auf. Seinem Ideal entsprechen
platonische Neigungen ; die wahrhaft sinnliche Liebe
endet zumeist mit einer Katastrophe, dem Ehebruch
oder einer ähnlichen Verschuldung. Deutlicher als bei
Tieck, dessen »Junger Tischlermeister« im »Siebenkäs«
vorgebildet ist, indem auch dieser als Ehemann auf
Reisen geht und dabei in Liebe für ein anderes Weib
entbrennt, schliesslich aber heimgekehrt im Anblick der
eigenen Gattin seine zum Glück mehr schwärmerische
als unerlaubte sündige Liebe vergessen lernt, treten Jean
Pauls Einflüsse dieser Art auf Stifter zu Tage. In der
— 7^ -
»Brij^itta venvendet dieser ein almliclies Motiv in der
Darstellung einer unverstanden geglaubten Ehe und
ihres endlichen Zusammenschlusses.
Auffallend ist die Vorliebe beider Dichter für un-
schuldige Jungfrauen und Jünglinge, die sie gern in
den Mittelpunkt der Handlung stellen. Amandus in
der »Unsichtbaren Loge, Viktor im :>Hesperus<-,
Albano im >Titan<: haben ihre Gegenstücke in Beate,
Klotilde, Liane. Der ]^Ialer Gustav und Kornelia in
Stifters »Kondor«, Albrecht und Angela in den »Feld-
bhmien«, der Schwedenjüngling und Klarissa im
» Hochwald <: ') sind Beispiele dafür, hyperideale Ge-
stalten mit einem mehr wehmütigen als freudigen
Liebesgeschick. Jean Paul meint in dem Heimlichen
Klaglied der jetzigen INIänner« : Das ist der Gang des
Schicksals. Wie nur die fallenden ]\Ienschen, aber nicht
die fallenden Engel einen Erlöser bekamen: so wird
der Fehltritt eines Heiligen härter gestraft als der Fall
eines Sünders, und ein einziger Fehler trägt in das
Leben einer edeln Natur eine fortfressende Pest, indes
die unedle in der Schlangenhöhle ihres Lebens unter
den giftigen Taten, die sie umgeben, ungestochen
wohnt« (XVII, 317 ff.). Diese Anschauung äussert auch
') In Ergänzung der Einleitung zu Stifters Sämtlichen
Werken (von A. Sauer, S. LXI) sei hier erwähnt, dass der seiner-
zeit vielgelesene Roman Die Schweden vor Prag;: von Karo-
line Pichler (Wien, 1S27) mit Stifters später erschienenem yHoch-
wald« manche Berührungspunkte hat. Zwei böhmische Edel-
fräulein stehen auch dort im Mittelpunkte der Handlung, das
eine Fräulein unterhält geheimnisvolle Beziehungen zu eineiu
schwedischen Spion, er wird getötet und sie gerät in tiefes
Unglück. Das andere Fräulein, eine Johanna, ist der heldenhaf-
tere Charakter, sie liebt einen blondlockigen edelmütigen Jüng-
ling, dessen Wesen Stifters Ronald im ;^Hochwald<: ähnelt. (>e-
heime Erkennungszeichen, Beobachtungen eines geliebten Ortes
durch ein Fernrohr, sogar die Figur des biederen Hausver-
walters finden sich auch in Den Schweden vor Prag .
— 79 —
Stifter in bcdeiitsaiiicr Weise. Sehr oft büsseii seine
Helden einen einziehen Fehltritt ihr fj^anzes Leben hin-
chircli. Zu jenen Charakteren orehört bei Jean Paul
Linda im -Titan , der ebenso wie Hujj^o im Alten
Sieo^el' die Tm'jIIc der persönliehen Schuld erst später
bewusst wird. Geläutert verbriuf^en beide das fernere
Leben in sühnender Resignation. Im ^Alten Siegel«
verwendet Stifter wie Jean Paul im > Heimlichen Klag-
lied« ein dem Ehebruch ähnliches Motiv, zudem fällt
der Abschluss der Handlung in beiden Dichtungen in
die Zeit der Befreiungskriege.
Der glühende Sinnenrausch der leidenschaftlichen
Liebe gilt beiden Dichtern keineswegs als das Höchste,
im Gegenteil, sie feiern die abgeklärte Ruhe der Reife.
Wenn Jean Paul im Siebenkäs« sagt: »Nur eine
Mutter kann liebenc (XI, 328), ergänzt diese Worte
Stifter im Heidedorf« : >Das Mutterherz ist der schönste
und unverlierbarste Platz des Sohnes, selbst wenn er
schon graue Haare trägt — und ein jeder hat im
ganzen Weltall nur ein einziges solches Herz«
(I, 189).
In Jean Pauls »Briefen und bevorstehendem Le-
benslauf meint der Dichter, dass die höchste Liebe die
der alten Gatten sei, ähnlich wie der alternde Stifter
an seine Gattin schreibt: >Icli liebe Dich jetzt weit
mehr als da Du ein zweiundzwanzigj ähriges, blühendes,
unbeschreiblich schönes Mädchen warst, und Du liebst
mich alten ]Mann mit allen seinen Wunderlichkeiten
und Grillen mehr als den jungen, kräftigen, gleichsam
Himmel und Erde stürmenden. Und diese Liebe wird
wachsen, und im Hochalter werden wir völlig eins in
dem andern und gleich sein (Briefe III, 284). Dass
bei einem derartigen Zurückdrängen der jugendlichen
Geschlechtsliebe — schon aus den >Studien« wird einem
dieses Bestreben klar — Stifter ebenso wie Jean Paul
der Freundschaft einen grossen Wirkungskreis zuge-
So
steht, ihre Erscheinung- und Kraft ideaUsiert, lie.i^t auf
der Hand.
Das schwärmerische Freundschaftsgefühl ist ein
überhaupt romantischer Charakterzug. Bei Hoff mann
j^eht dies sehr hübsch aus seinem Briefwechsel mit
Hippel hervor: ;Wenn ich Dir sage,< schreibt er ein-
mal, dass Du mich mehr interessierst, dass Du mir
mehr am Herzen liegst als alles übrige in der Welt,
dass ich alles aufopfern möchte, um Dir zu folgen, mit
Dir zusammen den ganzen Umkreis des beseligenden
Olückes der Freundschaft geniessen zu können, dann
sage ich Dir eine heilige, unzählbare, oft empfundene,
durch keine unedle Einwirkung entweihte Wahrheit.« ')
Und in einem anderen Briefe finden sich die Worte :
;>Wenn ich alles verlieren sollte, so bin ich doch noch
sehr reich, ich habe ein köstliches Kleinod aus dem
Schiffbruch gerettet, das ist Deine Freundschaft. <-)
Noch schwärmerischer lauten Jean Pauls Freund-
schaftsergüsse, der ohne Freund überhaupt nicht zu
leben vermag. Stifter kommt ihm auch hierin nahe.
Wohl ist die Liebe für Stifter die höchste Poesie, '>sie
ist die weinende, jauchzende, spielende Musik«, doch
»die Männerfreundschaft ist die schweigsame, edle,
klare Plastik: jene gibt einen Himmel selig und
trunken, diese stellt erst die schönen, aber ruhigen
Göttergestalten hinein« (Briefe I, 8). Dies erinnert an
Jean Pauls Auffassung, Liebe und Freundschaft seien
die zwei Brennpunkte in der Ellipse der Lebensbahn.
Beide entsprechen dieser Gesinnung auch als Dichter.
Amandus im »Hesperus«, der vor dem Tod die Geliebte
bittet, seinen Freund zu erhören, ähnelt in mancher
Beziehung Eustachius in der dritten Fassung der - Mappe
meines Urgrossvaters«, wo crleichfalls der eine Freund
1) Ellinger 13.
*) Ebd.
— 8i —
dem andern die Treliebte überlä.sst, als er aus der Heimat
scheiden miiss.
Richendorffs Literaturj^eschichte nennt Jean Paul
den eigentlichen Hiimanitätsdichter und weist darauf
hin, wie die liebenswürdige Natur dieses Dichters mit
einer hervorragenden sittlichen Kraft ausgerüstet und
gegen alle? Schlechte gewendet war. Daher stünden
auch alle seine Romanhelden im Jünglingsalter, wo die
Unschuld und Reinheit der Mcnschenseele noch unbe-
fleckt in ihrer ursprünglichen Schönheit erscheine. ')
Damit hängt wohl die übergrosse Weichheit der
Gefühle, ja Tränenseligkeit zusammen, über die Jean
Pauls Menschen in reichem Mass verfügen. Hypo-
chonder und hysterische Frauen finden sich bei ihm
und auch bei Stifter sehr häufig. Beispiele für jene ent-
halten »Die unsichtbare Loge« und »Der Waldsteig«.
Die Frauengestalten Stifters tragen noch deutlicher das
Gepräge Jean Paul'scher Empfindsamkeit und Aus-
drucksblässe. Die des Augenlichts beraubte Liane im
»Titan« ist eine Vorläuferin des blindgeborenen Mäd-
chens Ditha in Stifters »Abdias«. Beide sind gleichsam
für das Erdenleben nicht geboren. Eine dunkle Schwer-
mut lastet seit der Geburt auf ihrem Dasein. Das Ge-
schwisterpaar im »Hochwald« und die »Zwei Schwe-
stern« tragen Spuren davon — ihre Kraft ist mehr
passiv als aktiv. Die unglückliche Künstlerin in Stifters
»Kondor« ist ein Epigonengebilde, das in den fassungs-
losen und tränenreichen, einer beglückenden Ehe gleich-
falls unteilhaften weiblichen Wesen bei Jean Paul seine
Muster hat. Wie Julienne im Titan« — eine Gestalt,
die in ihrer Verachtung der Ehe und den Gesprächen,
die sie darüber mit anderen führt, an die spätere
»Vittoria Accorombona« Tiecks erinnert — meint, dass
Liebe ohne Freiheit und aus Pflicht nichts sei als
1) Eichendorff I, 93.
Kosch, Stifter.
82
Heuchelei und Hass, verurteilt auch Albrecht in den
»Feldblumen< die Ehe, sobald sie Pflicht ohne Herzens-
glut sei, ihm graut vor jenen »Eheleuten, die mit aus-
geleerten Herzen bloss nebeneinander leben, bis eines
stirbt« (I, 65), und er tritt für Phantasie-Ehen ein, die
der Überschwenglichkeit vollen Raum gewähren und,
im Augenblick des Überdrusses lösbar, nur eine ange-
nehme Erinnerung zurücklassen.
Einen sentimentalen Zug verleugnet Stifter selbst
in den Werken seiner Reifezeit nicht. Das Weinen
spielt bei seinen Helden eine grosse Rolle, es soll nach
Jean Pauls Vorbild die unermessliche Grösse des Leids
bekunden ; leider wenden beide dieses äussere Hilfs-
mittel zur Erzielung eines tieferen Eindrucks allzu
häufig an, um in dem modernen Leser einen anderen
als den Eindruck der Übertreibung hervorrufen zu
können. In der ersten Fassung \on Stifters »Kondor ^
heisst es besonders bezeichnend für den Überschwang
seines jugendlichen Gefühls : >Ein Strom heisser Tränen
brach aus den schönen Augen — aber man wusste
nicht, waren es Tränen der Reue oder Tränen der Sehn-
sucht, die über den atlantischen Ozean gingen, wo nun
der Künstler weilt« (I, 346). Fast grundlos muss einem
jeden der Jammer erscheinen, mit dem Albrecht in den
»Feldblumenc seiner Wehmut stünnischen Ausdruck ver-
leiht, da er aus dem Tanzsaal, in dem er die Geliebte
zurücklässt, heraustritt: »Unter allen, die da freudig zu-
sahen, ist nur ein Herz, mein Herz ist es, das bitterlich
weinen möchte. Sie ist der unschuldige Gegenstand,
dass eine Empfindung in mir emporschnellt, ungeheuer,
riesig, wohl- und wehmütig, verwaist und einsam im
Herzen liegend« (I, 87). Im »Katzensilber« wieder bleibt
die tiefe Erschütterung des braunen Mädchens, das-
schliesslich für immer verschwindet, gleichfalls fast gänz-
lich unmoti\-iert. Alle merken seine Trauer, die Frau des
Hauses fordert es auf, für immer bei ihnen zu bleiben.
- -^3 -
>Rei diesen Worten brach das Mädchen in ein Schkichzen
aus, das so heftig- war, dass es dasselbe erschütterte
und dass es schien, als müsse es ihm das Herz zer-
stossen. Es fiel plötzlich mit dem Anj^resicht gegen den
Sand nieder . . . Da es nach einem Weilchen die Hand
der Frau auf seinen dichten, dunkeln, schönen Locken
spürte, die dort ruhte und freundlich drückte, sj)ran.L;-
es auf, hob die Arme... schlang sie fest um den Nacken
der Frau . . . und weinte fort, dass die Tränen über die
Wangen der Frau herabflossen und ihr Kleid be-
netzten . . . Als das Mädchen ihr Haupt zurückbog und
nach dem Vater sah, als es merkte, dass es dieser bei
der Hand halte, dass er aber nicht sprechen könne,
weil seine Augen in Wasser schwammen : da konnte es
auch nicht mehr sprechen;^ ') ähnlich masslos und tränen-
reich ist der Gefühlsausbruch Albanos im »Titan«, der
als Beispiel für viele ähnliche Szenen bei Jean Paul
gelten kann. » > Sie ist nun gestorben, Vater, < sagt' er
erstickt, imd nun zerriss sein Schmerz am Vater wie
ein Gewölke am Himmel in eine unaufhörliche Träne —
sie strömte fort, als wollte sich die innerste Seele ver-
bluten aus allen offnen Adern — aber das Weinen
wühlte nur die Adern auf wie ein Wolkenbruch ein
Schlachtfeld, er wurde trostloser und ungestümer und
wiederholte dumpf das alte Wort« (XVI, 231).
Keine allgemeinen Typen, sondern nur die Eigen-
art menschlicher Charaktere sucht Stifter zu zeichnen.
Merkwürdig ist die Vorliebe vieler seiner Helden für
die Einsamkeit. Des ^Abdias« verlassene Gattin, er
selbst nach dem Tode seines einzigen Kindes, die zwei
Schwestern im »Hochwald«, Cöleste im »Alten Siegel«
sind solche Gestalten voll innerer Lebenserfahrung und
Zurückgezogenheit, der Marquisin in Tiecks »Tod des
Dichters« vergleichbar, welche die Einsamkeit liebt.
I) Stifters Werke, Volksausgabe III, 112.
6*
— 84 —
weil sie ihr eine liebe Gespielin, eine Freundin sei.
Nicht alle Menschen verstünden mit ihr zu leben, die
Unwürdigsten am wenigsten. Und wenn der Oraf
Christophoro in derselben Novelle die Ansicht aus-
spricht: »Nicht bloss der ist Held, der Schlachten
schlägt und den Feind besiegte (III, 358), und dann zu
einem solchen sagt: »So standest du in deiner innersten
Kraft unberührt, in deiner Ruhe und Seelenstärke er-
haben, wenn deine Freunde gering, dein verfolgender
Dämon armselig erschien. So warst du ein echter Held
und einer der grössten, den die Welt sah,« da ist es
immer der Dichter selbst, der auf diese Weise seine
eigene Meinung kundtut. Solche Charaktere durchaus
verinnerlichter Helden sind bei Stifter sehr häufig: der
Maler im »Kondor«, Felix in der zweiten Fassung des
Heidedorfs«, Hugo im »Alten Siegel« erschöpfen ihre
Reihe nicht. Schon aus diesen Beispielen ersehen wir,
dass die menschliche Eigenart nicht erst Stifter, son-
dern bereits auch die Novellisten der Romantik beson-
ders zur Darstellung reizte. Je extremer ein Charakter
zu sein schien, desto liebevoller wurde er behandelt.
Um nun von der häufigsten menschlichen Ab-
normalität, dem Typus des Sonderlings, auszugehen, sei
vor allem auf die vorbildliche Ähnlichkeit des Pere-
grinus Tyss in Hoffmanns »Meister Floh« mit Tiburius
Kneigt in Stifters »Waldsteig« hingewiesen. Die Ten-
denz der beiden Erzählungen ist gleich : ihre menschen-
scheuen Helden werden durch die Liebe dem Leben
wiedergewonnen.
Den seltenen Namen Peregrinus ersetzt Stifter durch
den gänzlich ungebräuchlichen und absonderlichen Namen
Tiburius. Bei beiden ist der Vater ein reicher Kaufmann.
Sowohl Peregrinus wieTiburius wachsen ohne Geschwister
auf und sind schon in ihrer frühesten Jugend wunderliche
Käuze, gar nicht so, wie andere Kinder. Der kleine
Tyss scheint eine leblose Puppe zu sein, bis er eines
- B5 -
Tages einen hasslichen Harlekin bekommt. Da endlich
verzieht sich sein Mund zum sanften Lächeln, er drückt
das Ding zärtlich an sich, tnid Verstand und Empfin-
dung scheinen im Knaben zu erwachen. Ähnlich be-
nimmt sich der junge Kneigt, kein Spielzeug vermag
ihn zu fesseln, niemand kann sein seltsames Wesen be-
greifen. Auch er hat mehr eine Mädchennatur, die sich
darin äussert, dass er allemal den Stiefelknecht seines
Vaters nimmt, ihn in Windeln wickelt und liebkost.
Als die Zeit zum Lernen kommt, zeigt sich von neuem
die sonderbare Eigenart der beiden Jungen. Hofmeister
unterrichten sie mit schwerer Mühe. Bei Peregrinus ist
»an ein eigentliches, systematisches Lernen gar nicht zu
denken« (XIV, 13), Tiburius wieder hasst alle Wissen-
schaft und alles Lernen überhaupt. Beide sind Träumer,
jedes praktischen vSinnes bar; auch in der Fremde,
Tyss auf Reisen, Kneigt bei seinem Oheim, bleiben
sie die alten, unverständlichen Naturen. Nacheinander
sterben j)lötzlich beiden die Eltern. Dadurch werden
Peregrinus und Tiburius sehr begütert, viele Mädchen
wünschen sich, die Ehe mit ihnen einzugehen, doch
beide sind in höchstem Grade weiberscheu. Sie ziehen
sich mm erst recht ziirück und führen einen äusserst
reichen, aber ebenso wunderlichen Haushalt. Erst durch
die Liebe, zu der sie zufällig gelangen, werden sie
brauchbare Menschen.
Eine ähnliche Figur wie Tiburius Kneigt in Stif-
ters »W^aldsteig« bildet »Der Gelehrte« Tiecks. Ein
Vergleich zeigt, dass der genannte Sonderling auch mit
diesem Sprossen der Romantik wesensverwandt sei. Als
ungesellige Hypochonder fühlen sich beide allen ärzt-
lichen Ratschlägen zum Trotz in der Stubenluft wohler
als in Gottes freier Natur. Beide sind innerlich nicht
krank, doch klagen sie beständig über Mangel an Ge-
sundheit, ohne Hilfe zu finden, bis ihnen von einem
befreundeten Arzt als bestes Heilmittel für ihre Grillen
— 86 —
die Ehe empfohlen wird. Durch Zufall lernt der Ge-
lehrte seine künftige Gattin, ein von der überfeinerten
Kultur unberührtes, jugendfrisches Mädchen kennen, das
er schon früher in einem Traumbild im Wald gesehen
hat. Bei Stifter findet der hypochondrische Sonderling
seine Braut gleichfalls zufällig, u. zw. auf einem ein-
samen Waldsteig.
Eine andere harmlose Abnormität vertritt der
exzentrische Bilderliebhaber in Tiecks -Gemälden«, der
um den Preis einer Bereicherung seiner Bildersammlung
bereit ist, die einzige Tochter zu verheiraten. DerlMaler
Roderich in Stifters »Nachkommenschaften«, der sein
Künstlergut mit einem eigenen Apparat eiserner Ver-
schlüsse absperrt, damit niemand seine Werke sehen
könne, und durch sein weltscheues Wesen die Hoch-
achtung eines ähnlich gearteten Sonderlings erwirbt,
dessen Eidam er wird, ist eine ebenso wunderliche Er-
scheinung. In Tiecks Novelle »Der Alte vom Berge«
wird uns wieder ein grundsätzlicher Menschenfeind vor-
geführt, der aber in der Tat ein Menschenfreund ist
und an einem Jüngling, den er immer mehr in sein
Vertrauen zieht, seine Erziehungskünste aufwendet.
T^asselbe tut der »Hagestolz« mit seinem Neffen. Beide
Greise hat getäuschte Jugendliebe zu verbitterten Son-
derlingen gemacht, nachdem ihre Geliebten von Ver-
wandten waren weggeheiratet worden. Und doch sehnen
sie sich darnach, ihre scheinbar kalten, innerlich aber
nach reiner Liebe verlangenden Herzen an dem Sonnen-
glanz der in ihrer Nähe weilenden Jugend zu erwärmen.
Schliesslich versöhnen sich die beiden mit dem Leben,
und ihr reiches Vermögen verhilft den jungen Paaren
zur Ehe.
Der Typus des Hagestolzen findet sich übrigens
auch schon bei Hoffmann als Pasquale Capuzzi in
»Signore Formica«. Wie der »Hagestolz« bei Stifter
die Neigung imd dauernde Gesellschaft seines Neffen
- 87 -
zu erzwingen sucht, trachtet dieser vergrämte Jung-
geselle die Liebe seines Mündels gewaltsam zu ge-
winnen.
Die dunklen Beziehungen der menschlichen vSeele
zum Körper bilden das eigentliche Gebiet des Magne-
tismus, der zur Zeit der Romantik, mit einem wissen-
schaftlichen Nimbus versehen, alle Kreise zu berücken
wusste und seinen Niederschlag auch in der Dichtung
hatte. Hoff mann bringt in den vSerapionsbrüdern"^ eine
ganze Diskussion über diesen Gegenstand. Seine No-
velle 'Der Magnetiseur« ist der gleichen Ideenwelt
entnonnnen. In ähnlicher Weise behan'delt Tieck im
»Schutzgeist« das Problem der übernatürlichen, verbor-
genen Einflüsse auf den irdischen Menschen. Eine hell-
seherische Gräfin unterhält sich mit ihrem Geistlichen
über die erlaubte Seite der Mystik und des Wunder-
glaubens, die das Geheimnisvolle des Unendlichen dem
beschränkten Menschenverstand näher zu bringen be-
müht ist. Am meisten ausgebildet erscheint jene Rich-
tung in dem Spätromantiker Justinus Kerner, dessen
magisches Werk »Die Seherin von Prevorst« die wun-
derlichsten Elemente der Dichtkunst, Philosophie und
Medizin durcheinandermischt.
Auch hierin weist Stifter einen der Romantik ver-
wandten Zug auf, indem er z. B. in der : Brigitta< von
dem Gutsherrn erzählt, er habe in einem bestimmten
Fall, wie die Leute sagten, die Heilkraft des Magne-
tismus angewendet und in der Einleitung zu derselben
Novelle über die dunkeln Dinge und Beziehungen im
menschlichen Leben eine längere, in der zweiten Fassung
freilich gekürzte, Betrachtung anstellt.
Es ist bezeichnend, wie sehr vor allem der junge
Stifter sich in seinem Element zu fühlen scheint, wenn
er es mit den Nachtseiten der seelischen Empfindungen
zu tun hat. Das geheimnisvolle Spiel mit dem unab-
wendbaren Schicksal eines Geschlechts oder einer be-
— 88 —
stimmten Person war in der Literatur seit Schillers
»Braut von Messina< und Jean Pauls Titan« (wo
Roquairol die dunkle vernichtende Gewalt des Fatums,
der die menschliche Kraft nicht zu widerstehen vermag,
darstellt) oft genug; \'on neuem aufgetaucht. Auch in
Stifters Dichtungen kehrt diese Lieblingsneigung der
Romantik wieder.
Ein unnatürlicher Bann bedingt den Verfall der
Schamarsts in Stifters >Narrenburg< . Der Ahnherr des
Hauses hat den Besitz des Gutes testamentarisch an
die Ablegung und Erfüllung eines doppelten Schwures
geknüpft, dass sich nämlich jeder Erbe verpflichte, seine
Lebensgeschichte eigenhändig aufzuzeichnen, ohne
irgend ein nennenswertes Ereignis zu unterdrücken;
ferner sämtliche vorhandenen Biographien der Vor-
gänger zu lesen und aufzubewahren. Dies alles sollte
für die Nachkommen eine Art Erziehungsmittel be-
deuten, um sie durch die Erkenntnis der Fehler ihrer
Vorfahren stets zu veredeln. Allein das Gegenteil trifft
ein, da die Jüngeren von ihren Ahnen die grössten
Tollheiten kennen lernen und es darin noch weiter
bringen als jene selbst.
Die darauf bezügliche Stelle aus der ersten Fas-
sung: »Aber rollen muss das ungeheure, das unenthüll-
bare, das unerbittliche Schicksal« ') fehlt bezeichnender-
weise in der zweiten gänzlich. Die Burg verfällt. Das
Geschlecht gerät in Vergessenheit. Sein letzter Spross
ist aus engen bürgerlichen Verhältnissen hervorgegangen
und kommt zufällig zu dem ihm unbekannten, ver-
witterten Haus seiner Ahnen, von denen er gleichfalls
nichts mehr weiss; aus dem Archiv erfährt er nun,
dass er der rechtmässige Besitzer der Burg sei, wo-
durch er in die Lage versetzt wird, eine glückliche Ehe
einzugehen. Den gleichen günstigen Abschluss findet
I) Iris 1843. 337-
- 89 -
die >> Klausenburg«, mit der sich Tieck, wie beispiels-
weise im >Scluitzgeist« und im »Weihnachtsabend«, der
Idee der Schicksalstragödie bedenklich nähert. Durch
die vSchuld des Ahnherrn liegt ein Fluch auf allen
seinen Nachkommen, bis der letzte durch ein zufälliges
wunderbares Ereignis im \erfallenen Schloss seines
Hauses die Dokumente erhält, die ihm eine reiche Erb-
schaft sichern. Und wie in der »Narrenburg«, so wird
auch hier aus dem infolge seiner Mittellosigkeit ur-
sprünglich unbeachteten jungen Mann eine überaus ge-
achtete Persönlichkeit. Nebenbei sei darauf hingewiesen,
dass eine ähnliche Situation, wie sie die von leiden-
schaftlichen Affekten durchwühlte Ehebruchsszene in
der »Narrenburg« bietet, auch in Tiecks Jugenddrama
»Der Abschied« vorkommt. »Es ist,« sagt Hayni,
»wesentlich eine Stimmungstragödie, die Luft ist schwül
und bang, die Beleuchtung düster und grausig, der
zurückkehrende Geliebte vor allem ist eine düstere,
hypochondrische Natur.« ')
Das Motiv der Ausführung eines unsinnigen Te-
staments findet sich übrigens auch in der 1798 ver-
öffentlichten Erzählung »Tagebuchblätter« von Tieck.
Ebenso ähneln die in der Familie des »Blonden Eck-
berts« sich planmässig folgernden Gräuel der wild-
phantastischen Tragödie des Geschlechts auf der »Narren-
burg«. In Stifters »Nachkommenschaften«, seinem »Kuss
von Sentze« und »Frommen Spruch« werden gleichfalls
Motive der Vererbungstheorie entlehnt, die geeignet
sind, den natürlichen Gang der Handlung zu beein-
flussen. Geschlechtliche Verirrungen, die in unerbitt-
licher Konsequenz ihr Opfer heischen, eignen bereits
Hoffmanns traditionellen Familiengeschichten. Jener
hypernaturalistische Zug, den Tieck im »Blonden Eck-
1) R. Hayni, Die romantische Schule. Ein Beitrag- zur
Geschichte des deutschen Geistes. 1870, 38.
— 90 —
bert« wirksam macht, Hoffmann etwa in den ■> Elixieren
des Teufels« ausgestaltet und Stifter in der »Narren-
burg« mehr zum Seltsamen, aber trotzdem noch natür-
lich Möglichen zurückentwickelt, bildet eine genetisch
interessante Kette in dem Darstellungsinhalt der Nacht-
seiten des menschlichen Lebens.
Wie sehr übrigens einerseits Hoffmanns Geister-
spuk, gepaart mit glühendster Sinnlichkeit, auf den
jungen Stifter eingewirkt haben muss, andererseits aber
der ältere Stifter, wohl im Bewusstsein dieser Beein-
flussung, klarer und selbständiger zu werden sucht, in-
dem er hyperromantische Überbleibsel jener Art nach
Möglichkeit abstreift, zeigt ein Vergleich der ersten mit
der zweiten Fassung des > Alten Siegels < .
In der ersten Fassung lautet eine charakteristische
Stelle: »Wenn er (Hugo) zu Hause sass, war alles schal
und elend, zitternd wartete er auf den Glockenschlag,
zitternd stieg er die Treppe hinauf, und zitternd schloss
er sie (Cöleste) in die Arme — ach ! sie war so schön,
ihre Stimme bebte durch seine Nerven, und wenn er
durch die zarte seidene Umhüllung ihre Glieder fühlte,
so floss es wie ein Wunder durch sein Leben —
er begriff es nicht, es war, als eilte etwas mit ihm fort,
-aber auch immer höher stieg die Unruhe, immer dunkler
die Angst, gegen die er rang; oft war ihm, als müsse
plötzlich ein Tränenstrom kommen und der ganze Spuk
vorüber sein. Er dachte manchmal wieder, sie sei wahn-
sinnig; ja es zuckte sogar einmal der tolle Gedanke
auf, er liebe eine längst Abgeschiedene, die nur ihren
Leib, nicht ihre Tracht verjüngen konnte, mit der sie
vor dem Altar des Herrn knien musste. Auch fielen
ihm endlich Dinge seltsamer Art auf : die Stickerei am
Rahmen schritt nicht ^'orwärts. — Nachts, wenn ihn
die Unstetigkeit trieb und er an ihrem Fenster vor-
überging, sah er nie ein Licht in den Fenstern — alles
in der Wohnunsr las: immer an demselben Platze — nie
— Ol —
hatte er Rauch aufsteigen oder Küchenfeuer gesehen,
als bedürfe sie nicht irdischer Nahrung — oft war eine
Luft drinnen, nicht wie die der WohnHchkeit, sondern
wie in verschlossenen, verschollenen Ritterschlössern —
von Dienern sah er nur das gespenstige weisse Mäd-
chen und im Stübchen des Erdgeschosses einen alten
widrigen Mann.« ')
Von der stark sinnlichen Lust, dem Eindruck eines
Spuks, dem Gedanken an eine Wahnsinnige oder Ab-
geschiedene, an verschlossene, verschollene Ritterschlösser
ist nun in der zweiten Fassung des > Alten Siegels«
nirgends mehr die Rede. Jenes »gespenstige, weisse
Mädchen« ist hier bloss ein »Mädchen, welches sonst
in grauer Kleidung der Gebieterin aus der Kirche ore-
folgt war.<-) Der Alte, den Hugo als Boten Cölestens
kennen gelernt hat, wird an einer späteren Stelle der
ersten Fassung als wahnsinniger Greis bezeichnet, in
der zweiten wird von Wahnsinn nicht einmal andeu-
tungsweise gesprochen. Auch in der »Narrenburg« ist
der Diener irrsinnig. Diese Figur stammt zweifellos von
Hoffmann, wie überhaupt die ganze Novelle von Hoff-
manns »Majorat« beeinflusst erscheint. In beiden Er-
zählungen bildet die Durchführung eines fatalistischen
Prinzips die Grundlage. Wunderliche Ahnen, eine ge-
heinmisvolle, halbzerfallene Burg, eine verführerische
Gutsfrau, ein feindliches Brüderpaar, die sträfliche Nei-
gung des einen zur Gattin des andern, ein wahnsinniger
Kastellan sind beiden gemeinsam. Hier wie dort wird
der bürgerliche letzte Sprosse des Hauses unerwartet
in die Kenntnis seiner Abkunft gesetzt und erhält das
Erbe seiner vornehmen Ahnen. Im »Majorat« klärt
schliesslich eine schwarze Mappe alles auf, mit ihr
kontrastiert das g-eheime Archiv auf der ^Narrenbure«.
1) Novellen-Almanach 1S44. 149.
-} Stifters Werke. Volksausgabe II, 105.
— 92 —
Die Vorliebe eines Ahnherrn für die Sternkunde,
das astronomische Zimmer, der astronomische Turm,
die Teleskope, Quadranten, Globen und Nachtspieg-el
im Majorat« finden sich beiläufig auch in Stifters Er-
zählung »Prokopus« wieder, deren Titelheld ein Mit-
glied des Geschlechts auf der »Narrenburg« ist. Drei
Tage, nachdem er die geheimnisvollen Worte »Zirkel-
odem der Sterne« ') in seine Biographie geschrieben,
stirbt dieser mystische Sonderling.
Hier sei auch an den wunderlichen Schlossherrn
in Stifters Bergmilch« erinnert, dessen Einbildungs-
kraft »sich in struppigen, wirren und zackigen Dingen
Luft«'') macht, so dass er Dinge sagt, die niemand ver-
steht, und der einmal in Gesellschaft vieler Menschen
durch seine Reden und Wortsprünge so lächerlich«')
erscheint, dass er am andern Tage von der eigenen
Braut sich loszusagen gedrängt sieht. Solche Menschen,
die, ohne ihrer Sinne völlig oder auch nur teilweise be-
raubt zu sein, doch eine gewisse Abnormalität zur Schau
tragen, zeichnet Hoffniann gerne. Ein Beispiel ist
Hermogen auf dem Schloss zu B. in den »Elixieren
des Teufels«.
Die wahnsinnigen Gestalten Stifters fallen minder
auf als die Hoffmanns, sie sind massvoller aufgefasst
und weniger exzentrisch gezeichnet, jedenfalls lässt sich
aber auch aus Stifters geistig zerrütteten Charakteren
eine ganze Galerie zusammenstellen.^)
Der Figur des wahnsinnigen Pförtners, die Stifter
einigemal verwendet, wurde bereits gedacht. Einige
1) Stifters Werke, Volksausgabe IV. 51.
2) Ebd. III, 216.
3) Ebd. III, 217.
') Bei Jean Paul (Schoppe im »Titan«, der Wahnsinnige
im »Hesperus«) undTieck (>Der blonde Eckbert«, das Waldweil
im ^^Hexensabbat<, Ophelia in der Jugenderzählung Die Rei-
senden«) kommen solche Gestalten zwar auch, aber mehr ver-
einzelt vor.
— 93 —
andere Typen seien hier angereiht. Das blöde Mädchen
im »Turmalinv , vom wunderlichen Vater in einem stillen,
düstern Hause eingeschlossen, erinnert an Ophelia in
Hoffmanns »Sandmann«, nur stellt sich bei dieser am
Ende heraus, dass sie bloss eine Puppe ist. Das irr-
sinnige Flötenspiel des Vaters, eines geheimnisvollen,
einsamen Hausbesorgers, hat seine Parallelen bei Hoff-
niann, der überhaupt närrische Musik und Musiker
liebt. »Rat Krespeh-, »Ritter Gluck«, vor allem aber
^Kapellmeister Kreisler« sind Beispiele dafür.
Die blödsinnige Grossmutter im »Heidedorf« mit
ihrem visionär prophetischen Gebaren ') — bei Hoff-
mann sei auf die wunderlichen Reden der Alten in der
Novelle »Doge und Dogaressa« verwiesen, »die sie mit
ganz seltsamer, fremder Stimme unter beständigem
Kichern hermurmelte; (H, 139) — ebenso die tolle
Ahne mit dem wilden, braunen Mädchen in Stifters
» Waldbrunnen < erinnern an Figuren Hoffmanns. Die
sonderbare Erscheinung der Zigeunerin in derselben
l^rzählung gestattet einen noch deutlicheren Hinweis,
u. zw. auf eine Stelle im > Kater Murr«, wo gleichfalls
eine Zigeunerin vorkommt: »Chiara und ihre alte Gross-
mutter fingen an zu heulen und zu schreien und wollten
sich nicht trennen« (XI, 180). Auch die kleine Juliane
im »Waldbrunnen« vermag ihre Ahne um keinen Preis
zu verlassen.
Hoffmann begnügt sich nicht, in der Darstellung
des Wahnsinnigen und Seltsamen bloss die innere Seite
zu erfassen, die zerrüttete, geheimnisvolle Seele muss
auch in einem wunderlichen Körper wohnen, sogar die
Kleidung sticht von der normaler Menschen völlig ab.
1) Einen ähnlichen Typus stellt die wunderliche Gross-
mutter in Cl. Brentanos »Geschichte vom braven Kasperl und
dem schönen Annerl« dar. Doch dürfte die Annahme einer
besonderen Beeinflussung Stifters durch Brentano gewagt er-
scheinen.
— 94 -
Dieselbe Absicht, den mystischen, grauenvollen Ein-
druck, den solche Personen machen, auch äusserlicli
wirksam zu gestalten, führt Stifter durch, indem er
z. B. im Turmalin« das blöde Mädchen und ihren
Vater folgendermassen schildert : Ein Mann . . . mit
einem dünnen, gelben Moldonröckchen, blassblauen
Beinkleidern, grossen Schuhen und einem kleinen,
runden Hütchen angetan, ging auf der Strasse dahin;
er führte ein Mädchen, das ebenso seltsam gekleidet
war in einen braunen Überwurf, der ihr fast wie eine
Toofa um die Schultern lag. Das Mädchen aber hatte
einen so grossen Kopf, dass es zum Erschrecken ge-
reichte, und dass man immer nach demselben hinsah.« ')
Der tolle Coppelius im Sandmann« »mit unförmig
dickem Kopf« und ähnliche Figuren Hoffmanns mögen
vorbildlich gewesen sein. Coppelius erschien immer in
einem altmodisch zugeschnittenen aschgrauen Rocke,
ebensolcher Weste und gleichen Beinkleidern, aber dazu
schwarze Strümpfe und Schuhe mit kleinen Bein-
schnallen < (VH, 7). Stifter wieder schildert die Klei-
dung der wahnsinnigen Grossmutter im »Waldbrunnen«;
also: »Das alte Weib hatte einen roten Latz, einen zer-
rissenen grünen Rock und ein Linnenhemd um Schulter
und Hals, das aus Alter grau war ... in den weissen
Haaren hatte das alte Weib auch Blumen, gefärbte
Papierstreifen, einen Büschel Hahnenfedern, und es hing
das rosenrote Seidenband von den Haaren hernieder,
das der alte Stephan dem wilden Mädchen gegeben
hatte.«-)
Von den Papieren des blöden Kindes im Tur-
malin« berichtet der Erzähler: Ich würde sie Dich-
tungen nennen, wenn Gedanken in ihnen gewesen
wären oder wenn man Grund, L^rsprung und Verlauf
1) Stifters Werke, Volksausgabe III, 94.
■"-) Ebd. IV, 94.
— 95 —
des Ausj^esprocheiicn hätte enträtseln können . . . Der
Ausdruck war klar und bündig, die Worte, obwohl
sinnlos, waren erhaben.«") Die ^Kreisleriana« Hoff-
manns, aus den Papieren des tollen Kapellmeisters zu-
sammengestellt, bilden dazu ein Seitenstück.
Gleichfalls romantisch ist die Auffassung, die den
Leib des ^Menschen mit geheimnisvollen Naturvorgängen
in eine ebensolche geheimnisvolle Beziehung setzt. Ditha
im >Abdias , von der ein merkwürdiges Leuchten aus-
geht, die durch einen Blitz ihr Augenlicht erhält und
durch einen Blitz getötet wird, bringt uns Nikolaus
aus Jean Pauls >Kometen^ in Erinnerung. Der Heiligen-
schein, der sich im Zustande der Erregung um Niko-
laus' Haupt ausbreitet, wird von Jean Paul mit einem
physikalischen Vorgang in Zusammenhang gebracht,
u. zw. mit dem elektrischen Schimmer des Menschen,
nur vollziehe sich bei Nikolaus das elektrische Laden
und Ausstrahlen ohne direkten Anlass.
Die Romantik liebte jedoch nicht bloss das Ab-
sonderliche und Wunderbare im Menschen, sondern
suchte auch die Tiei^velt mit einem übernatürlichen,
in diesem Fall menschlichen Element zu beseelen. Der
romantische Philosoph Gotthilf Schubert schreibt dem
Tier eine unsterbliche Seele zu, Kerners »Seherin von
Prevorst' erblickt im rechten Auge der Tiere ein blaues
Flämmchen, nach ihrer Meinung das Unsterbliche der-
selben,-') Hoffmann vermenschlicht sie vollends. Es ist
das eine Eigentümlichkeit, die auf die Tierfabel zurück-
zuführen ist, und die auch, das Volksmärchen mit ihr
gemeinsam hat. Vor allem > Kater Murr« — Tiecks
»Gestiefelter Kater« wird darin ausdrücklich erwähnt;
als Zwischenglied gehört er in diese Entwicklungsreihe
— und der redende Hund Bersfanza der »Phantasie-
-) Stifters Werke, Volksausgabe III, 104.
=>) Vgl. Ricarda Huch, Ausbreitung und Verfall der Ro-
mantik. 1902, 126.
- 96 -
stücke in Callots Manier« nach Cervantes' Vorgang
liaben wohl auf Stifter eingewirkt.
Im »Kondor« unterhält sich der Held mit seinem
»alten Spiel- und Stubengenossen«, dem Kater Hinze,
:>er aber,« heisst es darin, >drehte seine Augen, als ver-
stände er meine Rede, noch einmal so gross und
noch einmal so freundlich gegen mich« (I, 12). Die
ganze Mondnachtszenerie ist hier dieselbe wie im
>Kater Murr«. Die gleiche magische Stimmung
strömt durch Licht und Luft. »Über mir,< lautet
die entsprechende Stelle bei Hoff mann, »wölbt sich'
der weite Sternenhimmel, der Vollmond wirft seine
funkelnden Strahlen herab, und im feurigen Silberglanz
stellen Dächer und Türme um mich her. Mehr und
raehr verbraust das lärmende Gewühl unter mir in den
Strassen, stiller und stiller wird die Nacht — die
Wolken ziehen . . .« (XI, 10), und bei Stifter: >Der
Mond hatte sich endlich von den Dächern gelöset und
stand hoch im Blau — ein Glänzen und ein Flimmern
und ein Leuchten durch den ganzen Himmel begann,
durch alle Wolken schoss Silber, von allen Blechdächern
rannen breite Ströme desselben nieder, und an die
Blitzableiter, Dachspitzen und Turmkreuze waren Funken
geschleudert. Ein feiner Silberrauch ging über die
Dächer der weiten Stadt . . .< (I, 13). Sinnend und
spinnend schreitet Kater Hinze dahin wie bei Hoffmann
Kater Murr.
Interessant ist nun festzustellen, wie sehr sieb der
ältere Stifter auch in der Behandlung des Tierproblems
von seinen romantischen Jugendansichten zu emanzi-
pieren suchte. Während er in der ersten Fassung des
»Abdias« etwa nach dem Vorbild Hoffmanns, der auch
im »Kater Murr« sprechende Hunde wie den Pudel
Skaramuz oder den Pudel Ponto einführt, dem getreuen
Philo Menschenverstand zuspricht, ist davon in der
zweiten Fassung nicht mehr die Rede.
VI. Technik und Stil.
Die folgenden Zeilen wollen nur als Ansätze zu
einer umfassenden Darstellung von Stifters Stil und
Novellentechnik im Verhältnis zur romantischen Dich-
tung- angesehen werden. Denn abgesehen davon, dass
eine solche eingehende Untersuchung nicht zu der ur-
sprünglichen Aufgabe des vorliegenden, eigentlich stoff-
geschichtlichen Themas gehört, es fehlen die nötigsten
Vorarbeiten. Petris >Drei Kapitel vom romantischen
Stil« (Leipzig 1S78) sind bis heute weder allgemein
ergänzt, noch innerhalb ihres beschränkten Umfangs
vertieft worden. Einige vorzügliche Spezialarbeiten ver-
mögen diesen Mangel nur teilweise zu ersetzen.
Der Name Tieck ist mit der deutschen Novellen-
dichtung unlösbar verknüpft. Tieck brach ihr Bahn
für eine neue Entwicklung im neunzehnten Jahrhun-
dert. Nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch
suchte er die Grundsätze hiefür festzulegen. Im 11. Band
seiner »Gesammelten Schriften« beschäftigt er sich ein-
gehend mit der Theorie der Novelle : -> Eine Begegnung
sollte anders vorgetragen werden als eine Erzählung,
diese sich von Geschichte unterscheiden und die No-
velle sich dadurch aus allen andern Aufgaben hervor-
heben, dass sie einen grossen oder kleinen Vorfall ins
rechte Licht setzt, der, so leicht er sich ereignen
kann, doch wunderbar, vielleicht einzig ist.
Diese Wendung der Geschichte, dieser Punkt,
K o R c U Stifter. 7
- 98 -
von welchem aus sie sich unerwartet umkehrt, und
doch natürhch, dem Charakter und den Umständen
angemessen, die Folge entwickelt, wird sich der Phan-
tasie des Lesers umso fester einprägen, als die Sache
selbst im Wunderbaren unter andern Umständen wie-
der alltäglich sein könnte ... Bizarr, eigensinnig,
phantastisch, leicht witzig, geschwätzig und sich
ganz in der Darstellung auch von Nebensachen verlie-
rend, tragisch wie komisch, tiefsinnig wie neckisch, alle
diese Farben und Charaktere lässt die echte Novelle zu,
nur wird sie immer jenen sonderbaren, auf-
fallenden Wendepunkt haben, der sie von
allen anderen Gattuno-en der Erzählunor un-
terscheidet<: (Minor, Akademische Blätter T, 135 ff.).
Ähnlich wie Novalis in dem Gewöhnlichsten und
Nächsten das Wunder, im Fremden und Übernatürlichen
etwas Gewöhnliches zu erblicken gewohnt ist, hält Tieck
das Gesetzmässige in der Natur für die wunderbarste
Tatsache und ihre Folgeerscheinungen für merkwürdige
Ereignisse. In analoger Weise glaubt auch Stifter in
dem Wehen der Luft, dem Rieseln des Wassers, dem
Wachsen des Getreides, dem Wogen des Meeres, dem
Grünen der Erde, ') mit einem Wort : in dem natür-
lichen Gesetz des Uni\ ersums in Verbindung mit dem
unabänderlichen Sittenkanon der Menschheit, nicht in
der Ausnahme des xAussergewöhnlichen das Grosse und
Darstellungswerte zu erkennen. Nichtsdestoweniger ver-
mögen die Novellen Stifters gleich denen Tiecks, wie
bereits gezeigt wurde, auf die Darstellung des Wunder-
lichen und Sonderbaren nicht immer zu verzichten. Aus
den phantastischen \'erirrungen seiner ersten Schaffens-
zeit musste Tieck zunächst durch die Beschäftigung
mit dem Drama seinen Blick für das wirkliche Leben
schärfen, ehe er zur sicheren Erkenntnis des Natürlichen
') Vgl. die Einleitung zu den ; Bunten vSteinen:
— 99 —
gelangte; Spuren des bizarren Wesens der Frühroniantik
blieben jedoch stets in ihm zurück. Stifter wiederum,
der freilich gleich zu Beginn seines dichterischen vSchaf-
fens auf dem Boden der ihn umgebenden Wirklichkeit
festen Fuss zu fassen vermochte, hatte in seiner Jugend
viel zu viel in den Büchern der Indianer- und Ritter-
romantik gelesen und sich dann ebenso gern mit E. T.
A. Hoffmann beschäftigt.
So ist leicht erklärlich, dass Stifter auch in seiner
Technik mit den romantischen Erzählern mannigfache
Berührungspunkte aufweist.
Von Reiseerlebnissen den Gang der Handlung ab-
häno-io- zu machen und auf diese Weise dem merk-
würdisfen Zufall Einlass und Raum zu gewähren, liebt
schon Tieck. Nicht minder gern greift Stifter zu die-
sem gefälligen und wirkungsvollen Aushilfsmittel, um
den Wendepunkt — nach Tiecks Theorie das zweite
Erkennungszeichen der Novelle — herbeizuführen. Dem
Höhepunkt im Drama vergleichbar bedeutet es die un-
erwartete Umkehr, die sogar dem Anfang der Erzählung
wider.sprechen darf. So sieht in den > Feldblumen«- ein
junger Maler auf seinem Spaziergang ein Mädchen, für
das er bald eine heisse, aber wenig aussichtsvolle Nei-
gung fasst. Er kennt weder dessen Eltern noch son-
stige Familienverhältnisse. Ein plötzliches Missver-
ständnis führt die Trennung des Paares herbei. Der
]Maler beschliesst voll Unmut, zumal da er über den Ver-
bleib seiner Geliebten durchaus im Unklaren ist, eine
Reise in die Alpen zu unternehmen. Hier trifft er zu-
fällig mit einem Herrn zusammen, der sich später als
Bruder des ^Mädchens entpuppt. Weitere imerwartete
Begegnungen mit den übrigen Angehörigen ihrer Fa-
milie folgen, bis endlich alles aufgeklärt ist. Die glän-
zende Stellung, in der die verloren geglaubte Geliebte
nunmehr erscheint, hindert sie jedoch nicht, den Maler
zu heiraten. »Wie der Witz des Zufalls zuweilen spitzig
T 0(3
sein kann!« (I, 153) lauten die bezeichnenden Worte,
die dem Dichter im entscheidenden AugenbHck, beim
Wendepunkt der Novelle entschlüpfen.
Bei Tieck entwickelt sich die Handlung oft aus
dem Dialog, ebenso bei Hoffmann. Nicht selten, so in
der Erzählung »Der Dichter und der Komponist« aus
dem Zyklus »Die Serapionsbrüder«, der ja unter dem
äusseren Einfluss von Tiecks »Phantasus- entstanden
ist, wird die Erzählung zur Theaterszene. Hier stellt
Hoffmann ähnlich dem älteren Dichter die redenden
Personen wie im Drama einander gegenüber. Sehr
deutlich ist die Nachwirkung auf Stifter zu erkennen,
wenn z. B. im »Hochwald« der Höhepunkt in einem
längeren Zwiegespräch gipfelt, wobei eine Rede un-
mittelbar neben der anderen steht. Um die Handlung
in Fluss zu bringen, lässt Stifter nach Tiecks Vorgang
sogar Tischgespräche einsetzen, so im »Kalkstein«, im
»Frommen Spruch« und vor allem im »Nachsommer«,
der schon aus diesem Grunde ein entsprechendes Seiten-
stück zu Tiecks i\ltersdichtung »Vittoria Accorombona«
bildet, wo gleichfalls Unterredungen eine besonders
grosse Rolle spielen.
Allein Hoffmann und nach ihm Stifter gehen mit-
unter noch weiter als Tieck. Beide lieben es, den
Leser gleich »medias in res^: ') zu führen. Der Anfang
der Handlung und ihre ursächliche Entwicklung wer-
den nachträglich durch einen längeren Bericht mitge-
teilt, der zumeist in der Form der Ich-Erzählung nach
Art dramatischer Monologe von der übrigen Handlung
eingeschlossen wird. Das Geständnis des Goldschmied-
gesellen in Hoffmanns »Fräulein von Scuderi«, die Er-
zählung Cölestens in Stifters >Altem Siegel« sind Bei-
spiele dafür. Erst durch diese Berichte wird der Gang
der Haupthandlung, der sonst unverständlich bliebe,
aufgehellt.
1) Bei Hoffmann findet sich dieser Ausdruck XIV, 5.
TOI —
Aber aiich Jean Pauls Technik weist mit der vStifters
manche Berührungspunkte auf. Jean Paul erscheint als
Meister der Kunst zu dezentralisieren, ohne dabei den
Faden, der ihn immer wieder zur Haupthandlun«^ zu-
rückleitet, "gänzlich ausseracht zu lassen. Mögliches und
Unmögliches stellt er dicht nebeneinander, er gestattet
sich, abstrus, ja absurd zu werden und hält trotzdem
gleich wieder die reinste Klarheit im Gedanken fest.
Er verwendet die Form der Ich-Erzählung, des tage-
buchartigen Briefes imd der Rahmenerzählung überaus
häufig. Der abwechselnde Gebrauch aller dieser Formen
kommt dem sprunghaften Charakter eines Erzählers wie
Jean Paul sehr zu statten, obgleich, er rein künstle-
risch genommen einen Fehler bedeutet.
Als Beispiele für die tagebuchartige Briefform, die
wir übrigens auf Goethes >Werther« zurückzuführen
haben, stellen sich »Jean Pauls Briefe und bevorste-
hender Lebenslauf«, sowie seine »Konjekturalbiographie«
dar. Häufiger ist dieselbe Art der Technik bei Tieck
in »William Lovell« dem »Roman in Briefen«, der
»Sommerreise«, ähnlich auch in der »Waldeinsamkeit«
(das Tagebuch des Wahnsinnigen). Stifter versvendet
sie in der ersten und dritten Fassung der »Mappe« (die
Liebesgeschichte Christinens), besonders aber in den
»Feldblumen«. Eingestreute Briefe, die vollinhaltlich
zitiert der Entwickhmg der Handlung förderlich sind,
indem sie gewöhnlich einen noch nicht aufgeklärten
Vorgang ins helle Licht setzen, finden sich ebenso bei
Jean Paul wie bei Stifter (»Hesperus« und »Die Narren-
burg«).
In der »Mappe« und in der »Narrenburg« erzählt
der Dichter aus aufgefundenen Maniiskripten nach dem
Vorbild Hoffmanns, der die »Elixiere des Teufels« unter
nachgelassenen Papieren des Bruders Medardus vor-
findet. Die »Lebensansichten des Katers Murr nebst
fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Kreisler«
I02
sind »zufälligen ]\Iakulaturblättern« entnommen. Ihr
entspricht die fragmentarische Lebensbeschreibung des
Grafen Jodok in der »Narrenburg«:.
Die sogenannte Rahmenerzählung ist der gesamten
Romantik geläufig. Tiecks ;>Phantasus<: bereitet die
Form der Rahmenerzählung vor. Wir müssen dabei
unterscheiden eine solche, die nur lose, also bloss
äusserlich mit der Haupthandlung verknüpft erscheint,
und eine solche, die mit ihr zu einer Art Doppelhand-
lung innerlich verbunden diese aufh-ellt und am Ende
mit ihr auch äusserlich verschmilzt. Die erste Gattung
ist schon bei Jean Paul vertreten. Beispiele dafür sind
>Der doppelte Schwur der Besserung« und >Die Neu-
jahrsnacht eines Unglücklichen« aus den »Briefen und
bevorstehendem Lebenslauf«, »Die Mondfinsternis« im
»Quintus Fixlein« und das erste und zweite »Blumen-
stück« im »Siebenkäs«. Von Tiecks Novellen ist hier
zu nennen vor allem die gänzlich selbständige, in das
»Zauberschloss« eingeschaltete Erzählung »Die wilde
Engländerin«. Bei Stifter gehören hieher die zwei Sagen
aus der Gegend des Dreisesselberges im »Hochwald«,
die der sagenhaften Geschichte des Felsens in Tiecks
»Prolog zum Dichterleben« ähnlich sind. Ebenso findet
die Marienlegende, die im »Aufruhr in den Cevennen«
die Entstehungsgeschichte der Kapelle des einsamen
Priesters erklären soll, ihre Parallele im »Beschriebenen
Tännling' Stifters, wo die Gründung der ^larienkirche
zu Oberplan gleichfalls legendenmässig erzählt und un-
abhängig von der eigentlichen Handlung der Novelle
in diese eingeflochten erscheint.
In die zweite Gruppe der Rahmenerzählung, die
sowohl bei Tieck, als auch bei Stifter am stärksten ver-
treten ist, fallen Tiecks »Sommerreise« und »Musika-
lische Leiden und Freuden«. Die »Sommerreise« for-
dert nicht bloss in dieser Hinsicht einen Vergleich mit
den »Feldblumen« heraus, denen sich neben den »Nach-
— 103 —
komnienschatten , hier vor allem Der Nachsommer^'
anreiht, wo oleichfalls eine Familiengeschichte (die des
Freiherrn) in eine andere (die Heinrichs) überleitet.
Die Ich-Erzählung in ihren verschiedenen Abarten,
wie sie mit Vorliebe von Jean Paul gebraucht wird,
kann man bei Stifter ebenso gut verfolgen. Bisweilen
greift eine Ich-Erzählung in eine andere über, ohne dass
deshalb eine Rahmenerzählung entsteht, vielmehr wird
die unvollendete Selbstgeschichte des Helden bloss pe-
riodisch unterbrochen oder aber zum direkten Abschluss
gebracht. In der Erzählung »Des Luftschiffers Giannozzos
Seebuch < beschliesst Jean Paul selbst die Ich-Erzählung
der Hauptperson, wie Stifter in den >Zwei Schwestern«
oder in den >Feldblumen«. Beachtenswert ist der stete
Wechsel in der Art der Darstellung im > Kondor <. Das
erste Kapitel (Nachtstück) besteht aus einem Tagebucli-
blatt des Helden, im zweiten (Tagstück) folgt eine
objektive Ich-Erzählung, die der Verfasser der Haupt-
person in den Mund legt, ohne selbst in die Handlung
einzugreifen, im dritten (Blumenstück) erzählt dieser
selbst, um im vierten (Fruchtstück) der Handlung auch
persönlich nahe zu treten. In der Ich-Erzählung »He-
sperus tritt wiederum Jean Paul teils als blosser Be-
richterstatter, teils aktiv mit der Handlung verknüpft
hervor, teils werden ausführliche Briefe zitiert, so dass
diese Dichtung ebenfalls zu den wunderlichsten Mi-
schungsprodukten der Erzählungskunst gehört. Eine
Menge Noten, Extrablätter, Postskripte, Appendixe,
Epiloge subjektivster Art beeinträchtigen die Einheit
der Darstellung formell in hohem Grade. In ähnlicher
Weise abrupt ist oft auch Hoffmann (»Kater Murr«).
»Anmerkungen des Herausgebers mitten im Text sind
nicht selten. In den »Phantasiestücken« findet sich
sogar ein »Postskript« mit Namensnennung des Ver-
fassers. Die »Geheimnisse« sind eine »merkwürdige
Korrespondenz des Autors mit verschiedenen Personen*,
— I04 —
hinzugefügt sind etliche >Blättlein«, alles in der Art
Jean Pauls. Auch Hoffmann verlässt häufig genug die
objektive Darstellung, fährt mit seiner eigenen Person
dazwischen und macht den Leser zum Objekt, dessen
Willensrichtung er direkt zu beeinflussen sucht.
Eine ähnliche Manieriertheit findet man in Stifters
ersten Novellen wieder. So fügt er in der ersten Fas-
sung der »Feldblumen« einzelnen Kapiteln Noten bei.
In der einen zum »kleinwinzigen Zentunkel< sucht er
allerdings den Verdacht abzuwehren, als ob er in dieser
Hinsicht Jean Paul nachahme, stellt sich aber gerade
durch diesen Exkurs als dessen Epigone dar. Die Note
lautet : ;- Überhaupt muss sich der Referent dieser Blätter
das Recht ersitzen, derlei Noten an kleinen »Feld-
blumen« anzuhängen, damit er in denselben sagen
könne, was sich in seinem Kopfe während des Abschrei-
bens und Sortierens der vorhandenen Aktenstücke sam-
melt und ihn zu drücken anfängt oder was er im Band-
gras zu sagen vergessen hat. Man wird ihn anfahren,
er ahme in solchen Spässen Jean Paul nach, aber man
irrt, es sind nur die Verhältnisse imd Sachlagen dar-
gestellt, so und nicht anders. Hier muss er sagen, dass
der Künstler und Philosoph etc. . . . (ich weiss eigent-
lich nicht, was er ist) Albrecht *******^ der die Tage-
buchblätter schrieb, dieselben nicht > Feldblumen < be-
titelte, sondern dass dieser gute Gedanke von dem
Referenten kam. Leider numerierte er auch das Band-
gras, was zur Folge hat, dass der Leser bei der nten
Feldblume eigentlich erst die (n — i)te hat, was er immer
bedenke. Ich hoffe, die Note war nicht zu gross«.
(Iris 1843, 244 ff-)-
In ähnlicher Weise erklären im »Kondor« die vom
Autor ganz überflüssig hinzugefügten »Anmerkungen«
eine Reihe physikalischer Vorgänge nach dem Vorbild
Jean Pauls. In dessen »Papieren des Teufels«, im
»Kampanertal«, im »Siebenkäs« finden sich solche An-
merkungen zahlreich genug.
— i«5 —
Das ausgehende i8. Jahrhundert stand bereits
unter dem Einfhiss der aufblühenden Naturphilosophie.
Der junge Schelling hatte sich mit Eifer auf physika-
lische Studien geworfen und 1797 die »Ideen zur Philo-
sophie der Natur« erscheinen lassen. Und schon kurze
Zeit darauf fand Novalis die merkwürdige Anschauung :
>Die Physik ist nichts anderes als die Lehre der Phan-
tasie.« ') Tieck und die beiden Schlegel entzogen sich
dem allgemeinen Umschwuns^ in dem Werturteil der
exakten Wissenschaften ebensowenig. Auch Jean Paul,
der grollende Antipode der Klassiker, nahm die mo-
dernen Ansichten bereitwillig auf. Zweierlei vor allem
ergab sich aus alledem für den romantischen Stil : die
mystische Betrachtung der Natur als Sprache Gottes
und die intime Behandlung mathematischer und natur-
wissenschaftlicher Probleme innerhalb der Poesie. Der
erste Umstand musste zu einer unklaren Bildlichkeit
führen, der zweite zu einer übertriebenen dichterisch-
wissenschaftlichen Spielerei. Aber die grosse Beachtung
der realen Fächer hatte dennoch ihr Gutes, wenigstens
für die Nachblüte der Romantik. Stifter wurde von
seinen Sympathien für Mathematik und Naturwissen-
schaften allmählich zur klaren Anschauung der Dinge
in uns und ausser uns geleitet. In seiner Jugend liebt
er noch die überladenen Metaphern Jean Pauls und
ahmt sie nach. Später sucht er immer mehr durch
Ruhe, Einfachheit und vor allem sinnenfällige Aus-
drücke zu wirken. Die physikalischen Ausblicke werden
immer geringer und hören im »Witiko« gänzlich auf.
Am stärksten erweisen sich seine Beziehungen zum ro-
mantischen Stil im »Kondor« imd in den »Feldblumen«.
Einige Beispiele werden dies beweisen.
Zur Zeit Jean Pauls war die Frage der Luftschiff-
fahrt aktuell greworden und blieb auch für die Folge-
1) XovalivS Schriften. Herausgegeben von L. Tieck und
Friedrich Schlegel. 4. Auflage. Berlin 1S26. II, iii.
To6
zeit von andauerndem Interesse. Aufstiege in die Luft
schildert er einigemal, so im »Kampanertal' und vor
allem in »des Luftschiffers Giannozzo Seebuch«. Hier
fällt eine Reihe von Bildern auf, denen wir bei Stifter
\on neuem begegnen. Auf der elften Fahrt Das Meer
und die Sonne« wird das Tagesgestirn also apostro-
phiert: »Die Blasse im Rosenkleide, wo ist sie jetzt?
Wird sie in ein warmes Auge schimmern zwischen den
Eisfeldern?« (XVII, 94). Vergleicht man damit die Dar-
stellung der Luftfahrt über das Mittelmeer in Stifters
Kondor«, so ergibt sie eine grosse Ähnlichkeit in der
Wahl des Ausdrucks : »Die Schiffenden stiegen eben
einem Archipel von Wolken entgegen, die der Erde
eben in demselben Augenblicke ihre Morgenrosen
sandten , hier oben aber weisschimmernde Eisländer
waren« (I, 19). Dasselbe gilt auch von der Schilderung
des düstergrausigen Abstiegs im »Kondor« und der
»Letzten Fahrt« in Giannozzos Seebuch«. Hier »gfähnt
ein Wolkenrachen vor der Sonne« (XVII, 216), dort
»glotzte sie mit vernichtendem Glänze aus dem Schlünde«
(I, 22), bei Jean Paul heisst es ferner: »Sterne quellen
oben heraus und mir ist, als schwämmen ihre matten
Spiegelbilder als silberne Flecken auf dem düstem
Grund« (XVII, 216) und bei Stifter: »Wie zum Hohne
wurden alle Sterne sichtbar, winzige, ohnmächtige
Goldpunkte, verloren, durch die Öde zerstreut (I, 22),
ferner bei Jean Paul: »Unter dem schwarzen Leichen-
tuch regnet es laut unten auf der Erde« (XVII, 216)
und bei Stifter: »Um das Schiff herum wallten weithin
weisse, dünne, sich dehnende und regende Leichen-
tücher« (I, 21).
Ein anderes Beispiel für bildliche Ausdrücke, die
Stifter von Jean Paul herübernimmt, bieten »die Pfingst-
feste seines Herzens« (I, 69) in den »Feldblumen analog
den »Festtagen der Seele« (XIV, 341) in der »Konjek-
turalbiographie«. In der »Vorschule der Ästhetik« sagt
T07 —
Jean Paul: »Jeder Oenuss hatte auf dem Olymp seinen
Verklärungstabor gefunden < fXVIII, 79), iind an einer
anderen vStelle : .>In anderer Zeit kann der vStand der
li^rniedrigung (der Dichtkunst) schon auf dem Berge
Tabor anfangen und die Verklärung auf einer Sonne
vorgehen und blenden: (XVIII, looff.); in den »Flegel-
jahren^ wieder lautet eine ähnliche Stelle: »Wie oft, sagt'
ich da droben, wirst du dich nicht künftig auf diesen
Tabors verklären<- (XX, 18). Der gleiche Sprachgebrauch
findet sich bei Stifter in den »Feldblumen : ». . . und
in das Antlitz der schönsten Gestalt wirft er (der
Hinniiel) ein ganzes, sanftes Tabor von rosenfarbener
Verklärung« (I, 105).
Der tuchene, altmodische Stuhl mit hoher Lehne
(aus dem »Tagstück'; des »Kondors«) mit den unzäh-
Hgen gelben Nägeln, die im »Frühlichte einen gleis-
senden vSternenbogen um ihn spannten« (I, 16) bringt
ims fihnliche Prunkstücke aus Jean Pauls »Schulmeister-
lein Wuz« in Erinnerung; das Bild ist fast dasselbe:
»Milchstrassen von gelben Nägeln sprangen auf gelben
Schnüren als Blitze herum' (II, 269).
Auch in Überschriften für einzelne Teile seiner
Erzählungen, sowie in den Titeln für diese selbst kehrt
die Bildersprache Jean Pauls bei Stifter wieder. Der
»Kondor besteht aus einem >Nachtstück«, einem »Tag-
stück«, einem »Blumenstück« und einem »Fruchtstück«
und erinnert so an die »Blumen-, Frucht- und Dornen-
stücke < des Untertitels von Jean Pauls > Siebenkäs <.
Die Kapitelüberschriften »Die erhabene Vormitter-
nacht«, »Die selige Nachmitternacht«, »Der sanfte Abend«
in Jean Pauls »Hesperus bringen die gleichfalls nach
Tageszeiten (»Am Morgen , >Der Mittag«, »Der Abend«)
eingeteilte Erzählung »Prokopus« von Stifter in Er-
innerung. Dabei haben alle diese Bezeichnungen in
echt romantischer Eigenart ihre symbolische Bedeu-
tung.
— T08 —
Ähnlich wie Stifters > Bunte Steine sind auch die
einzelnen Abschnitte in Jean Pauls Fleg-eljahren« be-
titelt: bei beiden finden sich vBleiglanz< und >Katzen-
silber< . Die Überschrift ^Nachtviole« einer der >Ge-
danken Visionen« Jean Pauls ist auf das >5. Tagebuch-
blatt« der »Feldblumen« übergegangen.
Stifter war ein Meister der realistischen Darstel-
lungsweise und hat auch hierin von Jean Paul gelernt.
Ein Beispiel dafür enthält der :-/ Titan« in der Beschrei-
bung der Junggesellenstube des Hauptmanns: ^>Als
Albano das erstemal in dessen Sommerstube trat — so
hatte er freilich darin eine Bedienten-, eine theatra-
lische Anziehstube und ein Offizierszelt vor sich. Auf
der Tafel lagen ver^'orrene \'ölkerschaften von Büchern
wie auf einem Schlachtfeld und auf Schillers Tragödien
das hippokratische Gesicht von der Redoute und auf
dem Hofkalender eine Pistole — das Bücherbrett be-
wohnte die Degenkuppel, neben ihr eine Seifenkugel
aus Kreide, ein Schokoladenquerl, ein leerer Leuchter,
eine Pomadenbüchse, Fidibus, das nasse Handtuch und
die abgetrocknete Mundtasse, das Glashaus der abge-
laufenen Sanduhr, der Wasch- und Schreibtisch standen
offen« (XV, 308). Stifter in den Feldblumen« wieder
beschreibt das Zimmer seines Helden also: »Vier
Treppen hoch liegt eine Stube — Schreib-, Wohn-,
Schlaf- und Kunstgemach — lächerlich sieht es drinnen
aus ! Dichter, Geschichtschreiber, Philosophen, auch Ma-
thematiker liegen broschiert auf dem ungeheuren Schreib-
tische — dann Rechentafeln — Griffel, Federn, Messer,
ein Kinderballen . . . ein Fidibusbecher, Handschriften,
Tintenkleckse — — - — daneben zwei bis drei Staffe-
leien in voller Rüstung; an den Wänden Bilder, auf
den Fenstern Blumen und noch eigens eine Meng-e der-
selben auf einem Gestelle ; dann eine Geige . . . und
rings Studien, Skizzen, Papiere, Folianten — Fuggers
Ehrenspiegel des Erzhauses Österreich mit Stichen«
— I09 —
n. s. w. (i, 69). Eine ähnliche Jungjj^esellenstube, eben-
falls die eines Militärs, schildert yStifter im > Alten Sie<(el''.
Auch »die Studentenbude auf dem Tandelmarkt' in
der Sammlung »Wien und die Wiener hat mit ihr
manches gemein.
Auch in der eigentlichen Naturbeschreibung fin-
den sich bereits bei Jean Paul objektive Schilderun-
gen des Naturlebens, wie sie später Stifter zu ent-
werfen sucht. Der »Titan« enthält zwei Stellen, die
von einem solchen tiefen und einheitlichen Natur-
gefühl Zeugnis geben: »Das Abendrot des Jahres,
das rotglühende Laub zog von Berg zu Berg — auf
den übersponnenen Stoppeln arbeiteten noch Spinnen
am fliegenden Sommer und richteten einige Fäden als
die Taue und Segel auf, womit er entfloh - der weite
Luft- und Erdkreis war still, der ganze Himmel wolken-
los — und die Seele des Menschen schwer bewölkt <
(XVI, 223). »Da war ihm, als rühre sich die weite
hinabliegende Landschaft wie ein stürmendes Meer
durcheinander mit wogenden Feldern und schwimmen-
den Bergen und der Himmel schaute still und hell auf
das Bewegen nieder. Nur unten am westlichen Horizonte
schlief eine lange dunkle Wolke« (XVI, 223 ff.).
Freilich sind solche Anwandlungen Jean Pauls,
seiner zerrissenen, wunderlichen, geistsprühenden, aber
vielfach noch unplastischen Manier in der Naturbeschrei-
bung zu entsagen, selten genug, andererseits folgt je-
doch Stifter in seinen frühesten Dichtungen nicht immer
seiner nach Klarheit und Plastik strebenden stilistischen
Eigenart. »Höher hängt in dem Laubwerk das blaue
Email des Himmels, in tausend Stücke zerschnitten
wie lauter Vergissmeinnicht« (I, loi), heisst eine Stelle
aus den »Feldblumen«. Und wie Jean Paul im »Sieben-
käs« für den abendUchen Himmel den Ausdruck »er-
höhte Abendglocke;- gebraucht, so nennt Stifter im
j> Kondor < das Himmelsgewölbe »die schöne blaue
HO
Glocke unserer Erde« (I, 22). Wirkt ferner auf Jean
Paul die Natur mit ihrer ganzen, für ihn nia<:i^ischen
Beleuchtung, mit ihrem detaillierten Farbenkomplex, so
kann sich auch Stifter in seinen ersten Werken noch
nicht entschliessen, auf die unverwickelte, stark kontra-
stierende Xebeneinandersetzung der verschiedensten
Farbentöne, die oft das wunderlichste Gemisch einer
Naturbeschreibung im Stile Jean Pauls zutage fördert,
zu verzichten. So schildert er in den »Feldblumen'?:
einen Frühlingstag: Das Zittern der anbrütenden
Lenzwärme über den noch schwarzen Feldern —
die schönen grünen Streifen der Wintersaat da-
zwischen — dann waren die rötlich fahlen Wälder,
die an den Bergen hinanziehen , mit dem sanften
blauen Lufthauch darüber, und überall auf der farb-
losen Erde die geputzten Menschen wandelnd« (T,
44). Dieses zerstückte, keinen momentanen Gesamt-
eindruck erzeugende Naturgemälde, mehr mit den
Augen der Erkenntnis als mit den Augen der Empfin-
dung geschaut, mit seiner absichtlichen Farben nen-
nung statt Farbenwirkung charakterisiert den Ein-
fluss der älteren Naturbeschreibung auf Stifter.
Das Gefühl für das Kleine in der Natur, wodurch
Stifter zum poetischen Detailmaler wird, besitzt schon
Jean Paul, der im »Titane sagt: »Diese Schöpfung ist
... so kostbar und aus Gottes Hand, und das noch so
klein gestaltete Herz hat ja doch sein Blut und seine
Sehnsucht und in das Pünktchen unter dem
Blatte kehrt ja doch die ganze Sonne und
ein kleiner Frühling eine Dasselbe Gefühl für
das Kleine verrät auch Tieck, wenn er in den » Abend-
gespräch en< schreibt: »Im Einzelnen erzählt und
bildet eine jede Woge eine besondere Geschichte.
Wie sie sich wälzt, näher schwebt, überstürzt, sich
wieder hebt und zuletzt am Ufer zerbricht und
eine andere und wieder eine folgt, die eine ruhig,
— III —
jene schäumend, eine dritte hochaufbauschend, wiedcr
die andere frühzerplatzend. Und dann dieses Mnrmchi,
Plaudern, Schwatzen, Greinen und Toben, je naclulein
sie der spielende oder zürnende Wind erregt« (IX, 2U)).
Tieck und Stifter, beide nährten bereits in der
Jugend ihren Sinn für die Natur. Tieck las in den
Reisebeschreibungen von Olearius und Mandelsloh,
Stifter verschlang Coopers Romane, von denen er die
stärksten Anregungen zu seinen späteren Naturschil-
derungen, vor allem im »Hochwald« empfangen hat.')
Tiecks früheste Dichtungen, in erster Linie sein
»Sternbald«, widmen der Darstellung von Naturein-
drücken einen breiten Raum. Über den ersten Teil
urteilte Goethe selbst, es wären viele hübsche Sonnen-
aufgänge darin, an denen man sehe, dass sich des
Dichters Auge wirklich recht eigentlich an den Farben
gelabt, nur kämen sie zu oft wieder.") Vom zweiten
meinte Karoline Schlegel: »Viele liebliche Sonnen-
aufgänge und Frühlinge sind wieder da; Tag und
Nacht wechseln fleissig, Sonne, Mond und Sterne ziehen
auf, die Vöglein singen. Es ist alles sehr artig, aber
doch leer, und ein kleinlicher Wechsel von Stimmungen
und Gefühlen im »Sternbald< kleinlich dargestellt«."')
Ob nicht gerade diese minutiöse Schilderungsweise die
Natur Stifters in ihrer detailmalerischen Anlage be-
stärken musste? Tiecks »Waldeinsamkeit« spinnt ihren
heimlichen Zauber auch um Stifters empfängliche Seele,
ja hier feiert sie sogar ihren schönsten Triumph. In
den »Feldblumen« erblicken wir sie bei ihm zum ersten
Male (I, loo), sie grüsst uns da nur ab und zu aus dem
Hintergründe, aber bereits der »Hochwald« ist nichts
anderes als eine Apotheose der »Waldeinsamkeit«.
') Vgl. Stifters sämtliche ^^'erke I, S. XLVI ff.
2) Tieck und Wackenroder. Herausgegeben von Minor
in Kürschners Deutscher National-Literatur, loS.
») Ebd.
112
Hundert andere Zusammensetzungen treten diesem
romantischen Lieblingsworte an die Seite. ') Und so
erwies sich Tieck auch in dieser Hinsicht als einfluss-
reich. Freilich schildert Stifter ganz anders als Tieck.
Sein Auge sieht plastisch und klar, während es sich
Tieck darum handelt, das Individuelle der Natur auf-
zufangen und in Ideal zu verwandeln, in ihr das Unsag-
bare der Ahnung und Stimmung zu erfassen, wozu von
der sinnlichen Welt am ehesten das Unsinnliche brauch-
bar ist. Den Abend mit der darauf folgenden phan-
tastisch-magischen Nacht liebt Tieck im »Sternbald«
besonders, nicht minder jedoch Stifter, der, z. B. in
der verhältnismässig kurzen Novelle »Der Hagestolz«
viermal den Sonnenuntergang schildert. Er weist hierin
auch auf Jean Paul zurück, der die Nacht, den Mond
und die Sterne schwärmerisch liebt. Die Variationen
dieses Naturmotives sind bei beiden Dichtern zahlreich.
Die Nacht ist ihnen vor allem die ernste Zeit zum
Nachsinnen, zum Festhalten der Vergangenheit in
Erinnerungsbildern und zu Ausblicken in die Zukunft.
Aber auch unheimliche Situationen, die uns die
gewaltige Grösse der Natur in ihrem übermenschlichen
Wesen zeigen sollen, wissen Jean Paul und Stifter zur
Darstellung zu bringen, so Jean Paul in der »Christ-
nacht«, einem »Appendix zum Jubelsenior« und Stifter
im »Weihnachtsabend« (später »Bergkristall« betitelt).
Dort versetzt sich der Dichter auf den höchsten Eis-
berg der Erde und verlebt da die Zeit vom Christ-
abend bis zum Morgen, der ihn von den Schrecknissen
der Nacht erlöst, ähnlich wie die beiden Kinder im
»Weihnachtsabend« .
Dass auch Tieck einer scharf realistischen Natur-
betrachtung fähig war, möge eine Stelle aus dem »Auf-
ruhr in den Cevennen« erweisen: »In diesem Aueen-
1) Stifters sämtliche Werke. I, S. XVIII ff.
— TI3 —
blicke liss unten am Horizont die Wolkendecke und
im Sinken warf die Sonne plötzlich eine Purpur^lut in
den schwarzen Himmel über sich, ein rotes Feuer <»-oss
sich über die Wolkenberge, Baum und Busch und Rebe
funkelten im Brand, dahinten glänzten die Wälder, und
wie der Blick sich erhob, standen im Rosenlicht die
( Tipfei der fernen Cevennen« (X, 105).
Trotz dieser Anläufe zum Realisnms konnte die
Romantik über ihr innerstes Wiesen natürlich nicht
hinauskommen, und dieses war und blieb phantastisch.
Tieck fühlte es genau. In seinen späteren Dichtungen
verwirft er demnach ausdrücklich die häufige und über-
flüssige Verwendung der Naturbeschreibung und er-
kennt im Gegensatz zu seiner Jugendperiode immer
mehr den greifbaren Schönheitsgehalt der landschaft-
lichen Reize. So sagt er in seiner »Gesellschaft auf
dem Lande« : »Die Natur rührt uns immer durch ihre
unverfälschte Wahrheit. Sie ist und bleibt die schönste
Kinder- und Erziehungsstube« (VIH, 407).
Die Ansicht, dass man in der leblosen Natur das
Göttliche erkennen müsse, bilden Tieck, Jean Paul und
Stifter in durchaus romantischer Weise aus. Schon
»vSternbald« wird belehrt, dass sich der grossmächtige
Schöpfer heimlich- und kindlicherweise durch seine Natur
unseren schwachen Sinnen geoffenbart habe ; er sei es
nicht selbst, der zu uns spräche, weil wir dermalen zu
schwach seien, ihn zu verstehen ; aber er winke uns zu
sich aus jedem Moose, in jeglichem Gestein sei eine
geheime Ziffer verborgen, die sich nie hinschreiben, nie
völlig erraten Hesse. In Tiecks »Gesellschaft auf dem
Lande« heisst es : »Was sind denn Früchte und Blu-
men, Wald, Feld und Meer anderes als deutungsvolle
Zeichen und Chiffern, in welche die ewig schaffende
Kraft ihre Gedanken geschrieben und in sie nieder-
gelegt hat.«
Koscli. Stifter. 8
- IT4 —
Auch Jean Paul hält die Natur für die Sprache
Gottes (»Hesperus<'). In «-leicher Weise spricht Stifter
in den »Feldblumen« von dem Buche Gottes und den
Sternen, Blumen und Lüften als seinen Buchstaben, und
dann in den »Zwei Schwestern« ; »Die Natur im g-an-
zen . . . ist das Höchste. Sie ist das Kleid Gottes, den
wir anders als in ihr nicht zu sehen vermögen, sie ist
die Sprache, wodurch er einzig- zu uns spricht«. ')
Eine andere merkwürdige Stilgewohnheit Stifters,
die er gleichfalls mit Jean Paul teilt und wohl den
eigenen mathematischen Neigungen mitverdankt, be-
deutet der häufige, \ielfach masslose Gebrauch von
Zahlen, teils aus Gründen der Anordnung, teils direkt
infolge einer gewissen rechnerischen Effekthascherei.
Aus Jean Pauls »Ouintus Fixlein«: »Erstlich muss
der Begriff von Uneigennützigkeit, wenn er kein aus-
gehöhltes Vexierwort sein soll, ja bloss der Abdruck
eines uneigennützigen Zustandes in uns sein. Zwei-
tens setzet das Gefühl des Eigennutzes das seines
Gegenteils voraus. . . Drittens frag ich u. s. w.«
In Stifters »Feldblumen« rühmt Albrecht die Vorzüge
seiner Geliebten: Erstens weiss sie Latein und Grie-
chi.sch, . . . zweitens weiss sie soviel Mathematik als
zum Verständnis einer allgemeinen Naturlehre nötig ist,
. . . drittens, dass sie Bücher über Seelenkunde und
Naturlehre studierte u. s. w.« Diese Vorliebe für Zahlen
äussert sich auch in dem oft bis ins Masslose gestei-
gerten hyperbolischen Gebrauch derselben, was wieder
auf die Sucht zu Übertreibungen hinweist. In »Jean
Pauls Briefen und bevorstehendem Lebenslauf« wird
die Hyperbel von »Trillionen Gleichnissen« gebraucht,
während Stifter in den »Feldblumen« von »tausend
Millionen Augen« spricht.
') Stifters Werke, \'olksausgabe II, 431.
T i;
Noch mehr charakteristisch finden wir in der ersten
Fassung der »Feldblumen : »Das ist der Sarkasmus
des Zufalls, dass unter den dreimalhundcrttausend
Menschen Wiens gerade ich, unter den sechsundachtzig-
tausend und vierhundert Sekunden des Tages gerade
in dieser, unter den tausend Millionen Plätzen gerade
zum Obeliskus konnnen musste.- Von den zahlreichen
vorbildlichen Stellen bei Jean Paul sei eine aus dem
»Titan« erwähnt. Nach einer Regriffserklärung des als
Überschrift für seine Abschnitte gewählten Ausdrucks
der Jobelperiode, die von ihrem Stifter Franke in
152 Zvkel und jeder von diesen wieder in 49 tro-
pische Mondsonnenjahre eingeteilt worden sei, fährt er
fort: »Die siebentausend vierhundert und achtundvierzig
Mondsonnenjahre, die eine Franke'sche Jobelperiode
enthält, sind auch in meiner vorhanden, aber nur dra-
matisch, weil ich dem Leser in jedem Kapitel soviel
Ideen — - und die sind ja das Längen- und Kubikmass
der Zeit — vortreiben w^erde, bis ihm die kurze Zeit
so lang geworden als das Kapitel verlangte« (XV, 62).
Bei dieser Vorliebe für Zahlen, diese trockensten Ver-
treter unserer Vorstellungswelt, kann es widersprechend
erscheinen, dass gerade Jean Paul und die gesamte
Romantik bis auf Stifter mit der Musik und den musi-
kalischen Elementen in der Sprache die innigste Fühlung
suchen. Allein der mathematische Unendlichkeitsbegriff
war ihrem Verstand dasselbe, was die Musik, diese
eigentlich »romantische Kunst,« 'j die den »geheimnis-
vollen Strom in den Tiefen des menschlichen Gemüts«
»selber vorströmt«,-) ihrem Herzen.
Das Tönende in der Bildersprache Jean Pauls mag
mit auf seine musikalische Begabung zurückzuführen
>) Friedrich vSchlegels Lucinde (Neudruck), Koburg
1868, 93.
*) Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst.
Herausgegeben von L. Tieck, Ilaniburg, 1799, 193 ff.
— ii6 -
sein, sagt er doch selbst : »Wenn mich eine Empfindung
ergreift, so dringt sie nicht nach Worten, sondern nach
Tönen und ich will auf dem Klavier sie aussprechen!«
Und in der »Unsichtbaren Loge<', welche Dichtung
ähnlich wie Tiecks :>Sternbald« von der jNIusik des
Waldhorns erfüllt ist, spricht er von der »geliebten
Tonkunst < , im »Hesperus« wieder schildert er eine
mystisch-musikalische Nacht, jener vergleichbar, die
später der Held von vStifters »Zwei Schwestern« im
Hause Rikars verlebt. Ebenso schwärmerisch-musikalisch
klingt auch die Sprache der an Hoffmann erinnernden
Abendszene, die Albrecht in den »Feldblumen« beim
Engländer Aston mitmacht.
Auch direkt lyrische Anklänge machen sich in
Jean Pauls Dichtungen bisweilen geltend. Im »Titan«
»taumelnd vom Schlangenhauch der Angst fing die
irre Natur zu singen an, aber lauter Anfänge< . »Freude,
schöner Götterfunken < — Jcli bin ein Deutsches Mäd-
chen« — Sie lief herum und sang wieder: »Kennst Du
das Land?« — »Du böser Geist« (XVI, 146), während
in vStifters »Waldbrunnen« das seltsam ungewöhnliche
braune Mädchen abgebrochene Verszeilen singt, dar-
unter gleichfalls aus Goethes »Wilhelm ]\Ieister< : »Heiss
mich nicht reden, heiss mich schweigen.« ')
Für Justinus Kerners Lieder war Stifter sehr
empfänglich. In den »Feldblumen« klingt »das Alp-
horn« des schwäbischen Sängers wieder (I, 145). Und
sogar in einer der lyrischen Schilderungen aus dem
Zyklus »Wien und die Wiener« scheint Justinus Kemer
nachzuwirken. Hier hält nämlich Stifter ebenso wie
sein Vorläufer in dem 18 10 entstandenen Gedicht »Der
Stefansturm«') im Geiste Umschau. Es ist die Zeit von
Mittemacht zum Morgen. Beide Male befindet sich der
Dichter auf der Spitze des Wiener Wahrzeichens; da
I) Stifters Werke, Volksausgabe III, 106 ff.
— Ti; —
er die Stadt selbst in der Dunkelheit nicht g-ut sehen
kann, schweifen seine (jcdanken in die Vero^an<>-enheit
zurück, bis ihm der jun^^c Tas;- die Oej:^enwart der stol-
zen Kaiserstadt \-on neuem vor Augen führt.
Seine sprachliche Gewalt beweist Stifter in der
Verdeutschung der Fremdwörter, ganz besonders aber
darin, dass er auch die Mittel der Sprache zu ideali-
sieren sucht. Mit der Tendenz, die deutsche Sprache
möglichst rein zu erhalten, steht er freilich nicht \er-
einzelt da. Sein nächster Vorläufer ist wiederum unter
den Romantikern zu suchen. Schon Jean Paul äiissert
sich nämlich in der »Vorschule der Ästhetik« im Sinne
der neuen Bestrebungen, altdeutsche Wörter zu ver-
jüngen und mögliche Verdeutschungen einzuführen,
obwohl er selbst früher sehr häufig überflüssige Fremd-
wörter gebraucht habe. Er trete aber nunmehr gern
für verständliche deutsche Ausdrücke ein, die solche
aus anderen Sprachen übernommene überflüssig mach-
ten. So erkennt er z. B. Messkunst für Geometrie,
Schneesturz für Lawine, Zerrbild für Karrikatur als
passende Verdeutschungen an (XVIII, 377), die später
auch Stifter in seine Werke übernimmt. Auch er ge-
braucht ursprünglich sehr viele Fremdwörter, die er
aber in den späteren Fassungen möglichst auszumerzen
trachtet. In dieser Hinsicht fallen besonders die »Feld-
blumen« auf, deren Umarbeitungen zahlreiche, mitunter
auch gewagte deutsche Ausdrücke statt der anfangs
gebrauchten fremdsprachigen enthält (z. B. Staatsver-
handlungsreden statt Parlamentsreden). Gleichwohl er-
weist sich Stifter auf dem Gebiet des Fremdwörter-
wesens ebensowenig wie Jean Paul als Fanatiker. ")
') Justinus Kerner I, 88.
-) A. Sauer, Stifter als Stilkünstler in der Festschrift des
Vereins für (leschiclite der Deutschen in Böhmen, 1902, 116
und Sauers 1 Anleitung- zu Stifters sämtlichen Werken 1904.
S. LXI ff.
— ii8 —
Noch in den Ausgaben letzter Hand findet sich da und
dort ein Fremdwort, für das Stifter eben keinen pas-
senderen deutschen x\usdruck wusste, hatte ja doch
auch der sprachschöpferische Genius eines Jean Paul
desgleichen getan und in diesem Masshalten gezeigt,
dass er ein Meister der deutschen Prosa sei.
REGISTER.
(Aus den Aiunerkungeu ist nur das Wesentlichste aufgenom-
men. — Die zitierten Werke Stifters sind in chronologischer, die
der iibrigen Dichter in alphabetischer Reihenfolge mitgeteilt.)
Apel, Johann August 12.
( iespensterbuch 12.
Arnim, Ludwig Achim von
23, 58-
Beethoven, Ludwig van 56 ff.
Brenner, Adolf Freiherr von 2.
Brentano Clemens 23, 58, 93.
(beschichte vom braven Kas-
jicrl und der schönen Annerl
93-
Brockes, Barthold Heinrich iS.
Buddeus 17.
Cervantes. Miguel de 96.
Claude, Lorrain 51.
Collin, Ludwig von 4.
Cooper, James iii.
Cornelius. Peter von (Maler) 53.
Droste-Hülshoff , Annette Freiin
von 20.
Dürer, Albrecht 45, 48, 52 — 55.
Dyk, Anthonis van 48.
Ebner-Kschenbach, Marie
Freiin von 19.
Eichendorff, Luise Baroness
von 11, 40.
Eichendorff, Josef Freiherr von
9, II, 20, 23, 41, 44, 58, 81.
( xeschichte der poetischen
Literatur Deutschlands 41,
81.
Foucjue, Heinrich August Frei-
herr de la Motte 58.
Führich, Josef Ritter von
53—55-
Geiger, Peter Johann Xe-
pomuk 8.
Gessner, Salomon 18.
Görres, Josef von 23.
Goethe. Johann Wolfgang von
I ff., 8, 13 ff., 19, 22, 41, 43.
48, 60, 64, 69, 72, 75, lOI,
116.
Hermann und Dorothea 2.
Iphigenie 2.
Werther 75, loi.
Wilhelm Meister 13 ff., 41,
60, 62, 64, 69, yi, 1x6.
Gotthelf, Jeremias 21.
Uli der Knecht 21.
Greipl, Fanni i, 25 ff.
Mathias 2.
(irillparzer, Franz 13,15,17,21.
Der arme Spielmann 13.
Halm, Friedrich 15.
Der Fechter von Ravenna
15-
Handel, Sigmund Freiherr von
4. :-,7-
Hartmann, Philipp Carl 2^.
Geist des Menschen 25.
Glückseligkeitslehre 25.
— I20
IIa\ni, Rudolf 89.
Hebbel, Friedrich 16 — iS.
Die alten Naturdichter und
die neuen iS.
Julia 18.
Das Komma im Frack 18.
Hecken ast, Gustav 4. 15, 53.
Hein, Alois Raimund i, 19.
26, 30 ff.. 46.
Heine, Heinrich 16, 43.
Hippel, Karl von 80.
Hölderlin, Friedrich 47.
Hoffmann, Ernst Theodor Ama-
däus 3, 5 — 10. 23. 43. 51 ft.,
56—58.61-65,68—71.84-87,
90—96, 99 — 104. 116.
Artushof 63.
Automaten 57.
Der Dichter und der Koni-
ponist 100.
Doge und Dogaressa 62,
93-
Doppelgänger 64.
Elixiere des Teufels 63, 68,
90, 92, lOI.
Erscheinungen 62.
Fermate 61.
Fräulein von Scuderi 100.
Fragment aus dem Leben
dreier Freunde 69.
Geheimnisse 103.
Gelübde 63.
Das öde Haus 63.
Ignaz Denner 68.
Jesuiterkirche 68, 71.
Kapellmeister Kreisler 93,
95-
Kater Murr 61 ff., 93, 95,
101 — 103.
Das fremde Kind 64.
Magnetiseur 87.
Majorat 70, 91 ff.
Meister Floh 84 ff.
Hoff mann. Mei.ster .Martin, der
Küfer 52.
Nu.ssknacker und Mause-
könig 65.
Phantasiestücke in Callots
Manier 8, 56, 96 ff., loi, 103.
Räuber 71.
Rat Krespel 93.
Ritter Gluck 93.
Sandmann 93 ff.
vSanktus 71.
SerapioUvSbrüder 69, 87, 100.
Signore Formica 86.
Homer 11, ■]2.
Ilias ii.r
Odyssee 11.
Hugo, Viktor 6.
Immermann. Karl 20.
Münchhausen 20.
Jean Paul (Friedrich Richter)
I- — II, 14. 22 ff., 31 ff.. 43,
51 ff.. 58— 68. 72—74. 76—82,
S8, 92, 95, loi — 110, 112 — 118.
Briefe und bevorstehender
Lebenslauf 102, 114.
Christnacht 112.
Doppelter Schwur der Besse-
rung 102.
Flegeljahre i. 107 ff.
Gedankenvisioneu 108.
Hesperus 60, 62, 67, 74, 78,
80, 92, loi, 107, 114.
Jubelsenior 74. 112.
Kampanertal 104. 106.
Heimliches Klaglied 62, 78.
Komet 95.
Levana 73.
Unsichtbare Loge 61, 78, 81,
Des Luftschiffers Giannozzo
Seebuch 103, 106.
Mondfinsternis 102.
— 121 —
Jean Piuil, Neiijahrsnaclit eines
rnglückliclien 102.
l'apiere des Teufels 104.
Ouiiitus Fixlein 59, 102, 114.
Schnlnieisteilein Wuz 60,
107.
Seiina 32.
Siebenkäs 59, 63 — 66. 6.S,
78, 102. 104, 107, 109 ff.
Titan 9, 60. 62, 74, 76, ~^ ff.,
Si, 88, 92, 108 ff., 115 ff.
Vorschule der Ästhetik 9,
51 ff., 106 ff., 117.
Jung-, Johann Heinrich, ge-
nannt vStilling 19.
Kaulbacli, Wilhelm 53.
Keller, Gottfried 19.
Die Leute von vSeldw^da 19.
Kerner, Justinus 11 ff., 52, 57,
59, 64, 87, 95, u(x
Alphorn 116.
Reiseschatten 57, 64.
vSeherin von Prevorst Sj. 95.
Stefansturni ii6.
Kind, Friedrich 12.
Freischütz 12.
Kleist, Heinrich von 58.
Klopstock, Friedrich ( rottlieb i .
Ode an Fanni i.
Lenau, Nikolaus 11, 20.
Lessing, Gotthold Fphraim 18.
Laokoon 18.
Lichtenberg. Georg Christoph
U).
Lionardo da Vinci 45.
Lonn, llieronynius 30.
Mandelsloh iii.
Ma\-nc, Harry 43 ff.
Minor, Jakob 7, 98.
Mörike, Eduard 20 ff.. 42 ff.
Mozart, Wolfgang Aniadäus 56.
Nietzsche, l'"'riedrich 19.
Menschliches und Allzu-
nienschliches 19.
Novalis, Friedrich von ilar-
denberg 98, 105.
Olearius iii.
Palme. August 51.
i'aoli, Hetty 19.
Pereira. Henriette Paroniu 12.
Petrich, Hermann 97.
Pichler, Adolf 19.
Aus Tagebüchern 19.
Pichler, Karoline 78.
Schweden vor Prag- 78.
Raabe, Wilhelm 19.
Ranzoni 3.
Raphael Santi 45, 48.
^Madonna im Grünen 48.
Reischl. P. Ignaz 2.
Richter, (i. F. 47.
Roseg-ger. l'etri Ketteufeier 19.
Rubens, Peter i'aul 48, 55.
Rudigier, F^ranz Josef 40.
Sauer, August 3, 78.
vSchelling, Friedrich Wilhelm
Josef von 105.
Ideen zur Philosophie der
Natur 105.
vSchiller. Friedrich von i, 8, 15,
88.
Braut von Messina 88.
Wallenstein 8.
Schlegel. Brüder 105.
vSchlegel. August Wilhelm 7.
vSchlegel. Friedrich 115.
Lucinde 115.
Schlegel. Karoline xxi.
Schönaich Carolath, Prinz Fmil
von 19.
Schubert, Giotthilf von 9.5.
— 122
Schücking, Levin 5.
Schumann. Robert und Klara
22.
Schwarzenberg-, Fürstin Anna
von 19.
Schwind. ^loriz von 53 ff.
Scott. Walter 15.
Shakespeare. Wilhelm 2, 6— S.
31, 48, 60. 72 ff.
König Lear 7.
Sturm 7.
Stelzhammer. Franz ig.
Stifter. Adalbert. Werke.
Ode an Fanni i.
Julius I. 3. 26, 62.
Kondor 26 — 28. 60. 73. 75.
yS, 81 ff.. 84. 96. 103 — 107.
Feldblumen 8. 14, 48 ff.. 56,
59-66. 69, 73 «■■ 76. 78. 82.
99 ff.. loi— iio. 114— 117.
Heidedorf 35 — 37. 60. 71. 73.
84, 93-
Hochwald 5. 12. 28. 37. 78,
^i. 100. 102. III.
Narrenburg 30, 57. 69. 88 ff..
90. 91 ff., lOI ff.
klappe meines Urgrossva-
ters 32. 43, 60. 75. 79. loi.
Abdias 55, 81, 95 ff.
Das alte Siegel 30. 63. 71.
74. 77. 79. 83 ff.. 90 ff.. 100.
Brigitta 30, 34, 87.
Hagestolz 41. 55. 59. 67. 74.
86 ff.. 112.
Waldsteig 60. 81. 84 ff.
Zwei Schwestern 49. 61. Si,
103. 114, 116.
Der beschriebene Tännling
32. 71. 102.
Kalkstein 13, 38, 60. 71. 100.
Turmalin 33, 93—95.
Bergkristall 71, 112.
Katzensilber 14. 64 ff., 82 ff.
vStifter Adalbert. Bergmilch 62,
92.
I'rokopus 92. 107.
1 )rei Schmiede ihres Schick-
sals 69 ff.
Waldbrunnen 14, 29. 93 ff..
116.
Nachkommenschaften 73, 86,
89, 103.
Gang durch die Katakom-
ben 71.
Der fromme Spruch 34. 68,
89, 100.
Kuss von Sentze 69. 89.
Nachsommer 8, 13 ff.. 18 ff.,
34, 49—50. 68. 73—75- 100.
103.
Witiko 15. 34. 37. 40, 52. 105.
Wien und die Wiener 109.
116.
Stifter Amalia. geb. Mohaujjt
25. 29, 38—40.
Storni. Theodor 19.
Tieck. Ludwig 5 — 7, 9 ff., 14 ff.,
23. 32 ff.. 41. 43. 45 ff- 48,
51. 58, 60-62. 64. 69—77,
81 — 87, 89, 92. 97 — 102. 105,
IIO— 113, 115 ff.
Abendgespräche iio.
Abschied 89.
Ahnenprobe 75.
Der Alte vom Berge 86.
Aufruhr in den Cevennen
32. 41. 71. J02. 112 ff.
Däumchen 74.
Dichterleben 7. 60, 73.
Der blonde Eckbert 89, 92.
Elfen 64.
Die wilde Engländerin 102.
Franz Stembalds Wande-
rungen 14. 60, 62, ■/2, 76 ff.,
III ff.. 115.
DerGeheimnisvolle 32. 62. 73.
— 123
Tieck. Ludwig Der Gelehrte s's-
(ieinälde 32, 86.
Gesellschaft auf dem Laiule
ii3-
Herzenserj^iL'Ssuugeii eines
kuuKtliebendeu Klosterbru-
ders 9, 45—47. 51-
Hexensabbat ^-j, 92.
Der gestiefelte Kater 95.
Klauseuburg 89.
Der Mondsüchtige 14.
Musikalische Leiden und
Freuden 60, 102.
Peter Leberecht 14.
Phantasien über die Kunst
für Freunde der Kunst 47,
Phantasus 100, 102.
Die Reisenden 92.
Roman in Briefen loi.
Schutzgeist 87, 89.
Sommerreise 5. 69, loi ff.
Tagebuchblätter 89.
Tieck, Ludwig DeriungeTisch-
lermeister 14, 72, •]'].
ToiS. des Dichters 83 ff.
Die Verlobten 69.
\ittoria Accorombona 6r)ff.,
75. Tj, Si. 100.
Waldeinsamkeit loi. 11 J.
Weihnachtsabend 89.
William Lovell 101.
Zauberschloss 102.
Tiedge, Christo])h .Vugust i, 26.
Urania i.
Wackenroder. Wilhelm Hein-
rich 9, 45—47- 48. 51- 70. 72-
I Ier/,ensergie.ssungen eines
kunstliebeuden Klosterbru-
ders 9. 45—47. 51-
Weber, Karl Maria von 12.
Freischütz 12.
Zedlitz, Josef Christian Frei-
herr von 1 1 ff .
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