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SAMMLUNG WISSENSCHAFTLICHER KOMMENTARE
zu GRIECHISCHEN UND RÖMISCHEN SCHRIFTSTELLERN.
(5..<=-.- —
R VERGILIUS MARO
AENEIS BUCH VI
ERKLÄRT VON
EDUARD NORDEN.
LEIPZIG,
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.
1903.
O degli altri poeti ouore e lume,
Vagliami il lungo studio e U grande amore
Che mi ha fatto cercar lo tuo yolume.
DANTE.
ALLE RECHTE, EINSCHLIESZIjICH DES ÜBEBSETZÜNGSEECHTS , VOBBEHALTEN.
FRIEDRICH LEO
ZUGEEIGNET
VOßEEDE.
Im Jahre 1898 erging von Georg Kaibel an mich die Auf-
forderung, einen lateinischen Schriftsteller für die damals unter
seinen Auspizien erscheinende Sammlung wissenschaftlicher Kom-
mentare zu bearbeiten. Meine Wahl der Aeneis und grade des
VI. Buches, das durch seine Eigenart besonderes Interesse zu bieten
schien, fand Kaibels Zustimmung. Auch während der Arbeit hat er
mich öfters beraten. Meinen Dank dafür sollte ich dem Lebenden
nicht mehr abstatten dürfen.
Während des Drucks erschien Heinzes Buch „Die epische Technik
Virgils", dessen Resultate ich nur noch in einer 'Schlußbetrachtung'
(Seite 342 — 355) habe verwerten können. Heinze hat, mit Rücksicht
auf das bevorstehende Erscheinen meines Kommentars, das VI. Buch
von seiner Darstellung ausgeschlossen: so ergänzen sich unsere Werke.
Sie ergänzen sich auch nach einer anderen Richtung hin. Heinze
ist an der poetischen Analyse im Großen gelegen und sein Blick
ist auf das Ganze gerichtet; mir kam es neben der sachlichen Exe-
gese vor aUem auch auf das Einzelne an, auf die Erkenntnis auch
der kleinen Materialien, aus denen der Dichter sein bedeutendes
Gebäude errichtet hat. So steht für mich teils die QueUenanalyse,
teils das formal- technische Element im Mittelpunkt des Interesses:
was übernahm Vergil der Überlieferung, was tat er selbst hinzu
und wie hat er dies Entlehnte oder Eigene gestaltet? das sind für
mich die entscheidenden Fragen.
Die Möglichkeit der Beantwortung dieser Fragen ist nun aber
eine durchaus beschränkte, und je klarer ein Exeget das Ideal eines
Vergilkommentars mit seinem geistigen Auge sieht, um so deuthcher
wird er erkennen, daß es jenseits der Grenzen des uns Erreichbaren
liegt. Von der gewaltigen FüUe des Stoffes, der den Dichtem der
bilinguen und sehr komplizierten Kultur des augusteischen Zeitalters
vorlag, besitzen wir nur einen verschwindend kleinen Teil, und grade
die Literatur der hellenistischen Epoche, die auf diese Dichter in-
VI VORREDE.
folge ihrer zeitliclien Nähe und sachlichen Verwalidtschaft besonders
stark gewirkt hat, ist uns in einzelnen entscheidenden Gattungen
nicht erhalten. Bei der Exegese des VI. Buches der Aeneis steigert
sich die Schwierigkeit der allgemeinen Verhältnisse im besonderen
noch dadurch, daß von der üppig wuchernden transzendentalen Prosa
und Poesie, die Vergil benutzte, uns nur sehr wenige Ranken er-
kennbar sind, die freizulegen in der Einleitung und an einzelnen
Stellen des Kommentars der Versuch gemacht worden ist, ein Ver-
such, der notwendigerweise unvollkommen bleiben mußte: sollte es
mir gelungen sein, einiges Sichere oder Wahrscheinliche z. B. über
die eschatologische Poesie der Griechen (die Kaxdßaaic des Herakles
und die des Orpheus) sowie über eine apokalyptische Schrift des
Poseidonios ermittelt zu haben, so muß ich nach Lage der Dinge
zufrieden sein. — Die Bedingtheit unserer Erkenntnis gilt nun aber
nicht bloß für die Quellenanalyse, sondern auch für die sprachliche
Einkleidung des Stoffes. Denn von den Literaturgattungen, an denen
Vergil seinen Stil, seine Sprache und seine poetische Technik sich
vornehmlich gebildet hat, dem ennianischen Epos und den repu-
blikanischen Tragödien, besitzen wir nur Trümmer. Um so mehr
galt es hier, durch eine Reihe von Kombinationen das dürftige
Material zu vermehren: das ist speziell für Ennius im Kommentar
von Fall zu Fall und zusammenfassend im Anhang I versucht worden,
selbst auf die Gefahr hin, neben sicheren auch bloß problematische
Resultate zu erzielen.
Für die grammatisch-lexikalische Erklärung im Einzelnen, die
in einem Kommentar zu dem großen Neuerer Vergil stark betont
werden muß, bietet der Thesaurus linguae latinae ein Hilfsmittel
ersten Ranges; wenn dieses großartige Werk einst vollständig vor-
liegt, so werden unsere Kommentare zu lateinischen Autoren in
dieser Hinsicht eine Vollendung erreichen, die sich vorläufig kaum
ahnen läßt. Bis dahin ist Resignation auch auf diesem Gebiete eine
der ersten Pflichten des Vergilinterpreten: das Erreichte muß nach
Art und Umfang hinter dem Erreichbaren notwendigerweise zurück-
bleiben. — Die Vergilzitate oder Nachahmungen bei späteren latei-
nischen Dichtern sind nur insoweit berücksichtigt worden, als sie
für Kritik oder Exegese etwas auszugeben schienen; darin eine —
mehr der Geschichte als der Erklärung Vergils dienende — Voll-
ständigkeit zu erzielen, lag zudem außerhalb der Grenzen meines
Könnens. Dagegen habe ich versucht, für die von Vergil seinerseits
benutzten Stellen älterer Dichter größere Vollständigkeit zu erzielen, als
das in den dankenswerten Listen W. Ribbecks bisher geschehen ist.
VORREDE. VII
Aucli die sehr ausgedehnte Vergilliteratur habe ich mit mög-
lichster Sorgfalt gesammelt und da, wo ich sie benutzte, jedesmal
zitiert, um den Lesern auch äußerlich zu zeigen, wieviel ich meinen
bis in die Zeit der Renaissance zurückreichenden Vorgängern ver-
danke. Im allgemeinen bin ich aber meine eigenen Wege gegangen:
denn dieser Kommentar ist, wie alle in derselben Sammlung er-
scheinenden, nach den Intentionen des einstigen Leiters dieser Samm-
lung nicht dazu bestimmt, die früheren zu ersetzen, sondern sie auf
Grund neuer, durch die allgemeinen Fortschritte unserer Wissenschaft
inzwischen gewonnener Gesichtspunkte zu ergänzen. Daher habe
ich Polemik nur in den seltenen FäUen üben zu sollen geglaubt, wo
sie durch die besondere Lage eines Problems sachlich unumgänglich
war; sonst habe ich die mir richtig erscheinende Erklärung teils in
eigenem Namen teils mit demjenigen ihres ersten Finders ohne
weiteres hingestellt und so die entgegengesetzten oder abweichenden
Erklärungen stillschweigend abgelehnt. Es sei noch ausdrücklich
hervorgehoben, daß ich von meinen großen Vorgängern besonders
früherer Jahrhunderte auch da, wo ich glaubte von ihnen abweichen
zu müssen, vieles mit Bewunderung und Dankbarkeit gelernt habe.
Dazu kommt, daß wir über viele grundlegende Prinzipien, die für
die Exegese römischer Dichter der augusteischen Zeit maßgebend
sein müssen, erst durch Leos Untersuchungen aufgeklärt worden
sind; aus ihnen habe ich für die ganze Art und Anlage dieses
Kommentars so viel gelernt, daß ich Leo bat, die Widmung ent-
gegenzunehmen.
Bei der Konstituierung des Textes konnte ich für M die aus-
gezeichnete Kollation Max HoflPmanns (Progr. Pforta 1889) benutzen,
für F das photographische Faksimile (Rom 1899): wie notwendig
auch für diese Handschrift eine Revision der Angaben 0. Ribbecks
ist, zeigt die Tatsache, daß an einer entscheidenden Stelle (Vers 255)
die von Ribbeck notierte Lesart durch das Faksimile widerlegt wird.
Für GPR standen neue Hilfsmittel nicht zur Verfügung. Am
linken Rande des Textes sind jedesmal diejenigen Hss. notiert, in
denen die betreffenden Perikopen erhalten sind. In der adnotatio
critica ist alles Nebensächliche ausgeschlossen, insbesondere Ortho-
graphisches nur insoweit berücksichtigt worden, als es zu besonderen
Bemerkungen im Kommentar Veranlassung bot.
Etwas ausführlicher muß hier auf die beigegebene Übersetzung
eingegangen werden. Sie zu veröffentlichen habe ich mich nur
zögernd entschlossen; ich tat es hauptsächlich in der Erkenntnis,
daß auch sie insofern ein Stück des Kommentars ist, als sie die
Vin VORREDE.
Grenzen des in den verschiedenen Sprachen Möglichen zum Bewußt-
sein bringt: an vielen Stellen sah sich der Übersetzer gezwungen,
die Prägnanz dieses Stils zu mildern, um nicht dunkel, den Pomp,
um nicht überladen, das archaisierende Kolorit, um nicht affektiert,
die Kühnheit der grammatischen Konstruktionen und Figuren, um
nicht gewalttätig zu erscheinen; manche Stellen lassen sich leichter
griechisch als deutsch denken, und an solchen ist in der Einleitung
oder im Kommentar gelegentlich der Versuch einer griechischen Prosa-
paraphrase oder metrischen Übersetzung gemacht worden. Schwierig-
keiten bereitete für die deutsche Übersetzung die Wahl des Metrums.
Vom Hexameter glaubte ich absehen zu sollen; denn selbst wenn
ich so vorzügliche Hexameter zu bauen verstanden hätte, wie Hans
Georg Meyer in seinem Epyllion 'Eros imd Psyche' oder Max Seydel
in seiner Übersetzung des Lucrez, so würde ich sie doch für eine
Vergilübersetzung nicht verwendet haben. Schiller, der im Alter
von 21 Jahren den 'Sturm auf dem Tyrrhener Meer' (aen. I 34—156)
hexametrisch übersetzt hatte, erklärte in der Vorrede zu der 12 Jahre
später erschienenen Übersetzung des IL und IV. Buches, daß der
deutsche Hexameter nicht fähig sei, diejenige Biegsamkeit, Harmonie
und Mannigfaltigkeit zu erlangen, die Vergil seinem Übersetzer zur
ersten Pflicht mache; und ich meine, daß selbst diejenigen, die noch
gegenwärtig für den deutschen Hexameter im Prinzip eintreten, ihn
für eine Vergilübersetzung nicht postulieren dürfen. Denn der deutsche
Hexameter hat für unser Ohr homerisches Ethos, dieses aber ist,
wie von mir im Anhang VII zu zeigen versucht wurde, dem Verse
Vergils fremd, der mit ganz anderen Mitteln operiert. Wenn nun
selbst Scherer, der den Hexameter in deutschen Gedichten verteidigt,
zugeben muß, daß er „niemals dem Eindrucke eines griechischen
oder lateinischen gleichkommen könne" und daß „die unmittelbare
Verständlichkeit, die ungezwungene Einstimmung mit dem Geist
unserer Sprache durchaus das Hauptaugenmerk jedes Übersetzers
sein muß, dem er im Notfalle alles andere aufzuopfern hat" (Kleine
Schriften H 371. 373), so galt es, den Hexameter durch einen anderen
Vers zu ersetzen. Schiller plante, auch das von ihm besonders ge-
schätzte VI. Buch in den freien Stanzen des H. und IV. zu über-
setzen (P. V. Boltenstem, Schillers Vergilstudien I, Cöslin 1894); die
Absicht des Meisters haben andere auszuführen unternommen —
mir sind zwei Versuche dieser Art bekannt — , aber ihr vergebliches
Bemühen hat nur bewiesen, daß zu einer solchen Nachdichtung der
Genius und die souveräne Formengewandtheit eines wahren Dichters
erforderlich ist. Einen Vers nun, der dem vergilischen Hexameter
VORREDE. IX
durchaus aequivalent wäre, habe ich nicht gefunden. Vergil hat
seinen Vers vor allem durch die Wahl besonderer Caesuren und die
Abwechslung von Daktylen mit Spondeen zum Träger der ver-
schiedenartigsten Stimmungen gemacht, gleich geeignet — um nur
einige der in diesem Buche vorkommenden Motive zu nennen —
für das schmelzende Ethos der Liebe wie das Pathos des Hasses,
für wehmutvolle Klage wie jauchzenden Dithyrambus, für inniges
Gebet wie prophetische Ekstase, für das Säuseln des Windes wie das
Krachen des Donners, für die Lieblichkeit des Paradieses wie die
Schrecknisse der Hölle. Um nun wenigstens einen Ersatz für diese
wundervolle Einheitlichkeit des Metrums innerhalb der Vielheit der
Stimmungen zu erhalten, entschloß ich mich zu einem Verzicht auf
die metrische Einheitlichkeit. Für die erzählenden Teile wählte ich
den fünffüßigen lambus, den auch v. Wilamowitz in einer kleinen
Übersetzungsprobe grade aus diesem Buch (Vers 847 — 853) an-
gewendet hat (Reden und Vorträge S. 270). An Stellen, die der
Dichter selbst durch besonderes Ethos oder Pathos über das Niveau
der einfachen epischen Erzählung in die Sphäre dramatischer Hand-
lirng oder lyrischer Stimmung emporgehoben hat, durchbrach ich den
ruhigen Fluß der lamben episodisch durch Trochaeen oder durch
freie Anapaeste (Verse mit vier Hebungen und freien Senkungen),
bei deren Auswahl ich mich durch die an solchen Stellen domi-
nierenden Rhythmen der vergiKschen Hexameter selbst leiten ließ.
Ich bin mir natürlich bewußt, daß diese TroXu)LieTpia ein bloßes Sur-
rogat für das beständige Auf- und Abwogen der vergilischen Hexa-
meter ist, aber durch das schwere Opfer der strengen metrischen
Geschlossenheit gewann ich Freiheit für die Reproduktion der Stim-
mungen; ob das Opfer sich lohnte, das zu entscheiden ist nicht
meine Sache. Von der Alliteration ist im Sinn des Dichters be-
sonders an pathetischen Stellen reichlich Gebrauch gemacht worden;
den Reim hatte ich in einer früheren Fassung meines Versuchs an
lyrischen Stellen ebenfalls stark verwendet: jetzt ist er nur bei
einem von mir im sogenannten modernen Nibelungenverse wieder-
gegebenen märchenhaften Motiv stehen geblieben, das uns, wie im
Kommentar gezeigt ist, mehr germanisch als antik anmutet. Alles
in allem bitte ich meine Übersetzung nur als ein dYU)Vi(J|Lia an-
zusehen und sie gelten zu lassen, wie Goethe von seiner Über-
setzungsprobe des Byronschen Don Juan sagt: „Nicht als Muster
sondern zur Anregung für andere Übersetzer."
Li den Anhängen ist eine Reihe stilistisch-metrischer Fragen
systematisch behandelt worden, um den Kommentar, der durch die
X VORREDE.
vielen, mir bei der Exegese grade dieses Dichters notwendig er-
scheinenden Zitate ohnehin stark belastet ist, etwas übersichtlicher
zu gestalten. — Als die Nachträge bereits gedruckt waren, erhielt
ich durch die Liebenswürdigkeit des Verfassers die Abhandlung:
„Die Nekyia im sechsten Buche der Aeneide Vergils von Walther
Volkmann. Sonderabdruck aus dem Jahresbericht der Schlesischen
Gesellschaft für vaterländische Kultur. Breslau 1903" (11 Seiten).
Ich konstatiere mit Freude, daß wir z. T. auf Grund der gleichen
Argumente unabhängig von einander zu dem Resultat gelangt sind,
daß der vermutliche Gewährsmann der philosophisch-eschatologischen
Stücke des VI. Buches Poseidonios gewesen ist.
Für den Kommentar schulde ich der Gelehrsamkeit und un-
ermüdlichen, selbstlosen Hilfsbereitschaft meines Freundes Richard
Wünsch, der mit mir die Korrektur las, vielen Dank, insbesondere bei
der Behandlung mythologischer Fragen; vor allem die 'Nachträge'
enthalten eine Reihe wichtiger Bemerkungen und Verbesserungen
aus seiner Feder; noch öfters aber als mit seinem Namen rede ich
mit und in seinem Geist. Bei der Behandlung topographischer
Einzelheiten (Cuma e contomi) hat mich Julius Beloch in dankens-
wertester Weise unterstützt: so hat er das Innere des Burgfelsens
von Kyme neu durchforscht und es mir dadurch ermöglicht, eine
exegetische Kontroverse zu entscheiden; Nissens italische Landes-
kunde II habe ich leider nicht mehr benutzen können. Die Über-
setzung hat sich des liebevollen Interesses und sachverständigen
Rates meines Schwagers Friedrich Vogt zu erfreuen gehabt; für sie
verdanke ich auch meinem Vetter cand. theol. et phil. Johannes
Weber eine Reihe nützlicher Winke und Vorschläge.
Breslau, April 1903.
E. N.
INHALTSVERZEICHNIS.
Seite
I. Einleitnng. Die Eschatologie des sechsten Buches und
ihre Quellen 8—48
A. Vorbemerkungen 6 — 10
B. Die Komposition 11 — 16
C. Die Lehre von der Seelenwandening 16 — 19
D. Die Quellenfrage (Poseidonios) 19 — 48
II. Text und Übersetzung 49—103
m. Kommentar 105—341
Schlußbetrachtung über die Gesamtkomposition . . 342 — 355
IV. Stilistisch-metrische Anhänge 367—468
I. Ennianische Reminiszenzen bei Vergil .... 359 — 368
n. Periodik 369—381
III. Einiges über Wortstellung 382—396
IV. Gleicher Auslaut aufeinander folgender Worte . 396 — 398
V. Der sogenannte Tropus der Synekdoche .... 399 — 400
VI. Griechische Deklinationsformen im sechsten
Buch 401—403
Vn. Die malerischen Mittel des vergilischen Hexa-
meters 404 — 424
Vin. Spondeische Worte im ersten Fuß 426—426
IX. Unregelmäßig gebildete Versschlösse 427 — 438
X. Irrationale Längungen 439 — 441
XL Bemerkenswerte Synaloephen in VI 442—458
Nachträge 469—466
Register 466—483
Druckfehler 484
L
EINLEITUNG
Vkbgii. Buch vi, von Norden.
Die Eschatologie des sechsten Buches und ihre Quellen.
Daß Vergil die KttraßacTic Aiveiou vor allem in der Absicht ge-
dichtet hat, ein Gegenstück zur KaTdßaffic 'Obvaoiwc zu schaffen,
bedarf keines Beweises. Aber die Konzeption einer KaxdßacJic hat, wie
aus der Ankündigung in den Georgica III 34 ff. folgt, bereits dem ersten
Entwurf eines Epos angehört, in dem Aeneas noch nicht den Mittelpunkt
bildete. Es muß also neben dem JÜfiXoc 'OjiripiKÖc noch ein anderer
Faktor wirksam gewesen sein, der bei der Frage nach dem Zweck dieses
Buches in Rechnung zu ziehen ist.
Wir müssen, um das Buch aus seiner Zeit heraus zu begi-eifen, uns
vergegenwärtigen, daß der Frage nach dem Schicksal der Seele damals
das größte Interesse entgegengebracht wurde. Die Jahre der Revolution
hatten dem alten Problem, ob nicht wenigstens nach dem Tode ein
Ausgleich durch die göttliche Gerechtigkeit stattfinden werde, einen neuen
tatsächlichen Untergrund verliehen: je mehr sich die irdischen Begriffe
des Rechts und der Moral verschoben (tibi fas versum atque nefas . . .,
tarn multae scelerum fades georg. I 505 f.) und je stärker das Gefühl
der allgemeinen Verschuldung wurde (Horaz epod. 16. carm. DI 6), lun
so fester ragte der Fels des Erlösungsglaubens empor {spes melior mo-
riendi Cic. de leg. 11 36). An die Märchen von der Unterwelt glaubte
damals kein Gebildeter mehr (Cic. de d. nat. 11 5. Tusc. I lOf. Hör.
carm. I 4, 16), sondern man hielt sie höchstens zu Nutz und Frommen
der ungebildeten Masse aufrecht.^) Wer aus dem Chaos aller Welt-
verhältnisse nicht die Folgerung zog, daß Epikur mit seiner Negierung
sowohl der TTpövoia als auch der Vergeltung im Jenseits Recht habe, gab
sich mystischen Grübeleien hin. Diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen,
war die positivistische Religionsphilosophie der jüngeren, mit pytha-
goreischen Elementen durchsetzten Stoa durch das Dämmerlicht, mit dem
sie die transzendenten Dinge halb verschleierte und halb enthüllte, mehr
als irgend ein anderes System berufen. Mächtig muß auch auf diesem
Gebiet die Einwirkung des Poseidonios gewesen sein^); die lebhaft be-
triebene transzendente Schriftstellevei operierte mit seinen Argumenten,
so wahrscheinlich Nigidius, sicher Vafto im ersten Buch der divinae
1) Vergl. Diodor I 2 i^ tujv ^v ähox) |uu0o\oYxa rfyv uTTÖGemv TreirXaaijdvriv
?XOw<Jct TToXXä 0U)Lißä\XeTai toTc övSpiiiTroic irpöc cOöeßeiav Kai 6iKaiooüvr]v.
Dieser stoische Gedanke ist etwa gleichzeitig mit der Aeneis geschrieben;
discite iustitiam moniti et non temnere divos läßt auch Vergil einen Büßer
im Tartarus sagen (620).
2) Vergl. auch A. Schmekel, Philos. d. mittl. Stoa (Berlin 1892) 460 f.
1*
4 EINLEITUNG.
Cicero im ersten der Tusculanen; beide verfaßten auch, wie Poseidonios,
eigene Apokalypsen, Varro in einigen Satiren (vergl. Diels, Rh. Mus. XXXIV
1879, 488, 1 über die 'Endymiones', sowie fr. 560 Buch.), Cicero im
somnitun; dieser ließ sich auch zwei transzendente Schriften des Dikai-
archos (KaraßaCTic und rrepi vpuxfic) von Atticus schicken (ad Att. XIII
31, 2. 32, 2). Aus Cicero wissen wir ferner, daß man damals in einer
Art von spiritistischen Zirkeln Geisterbeschwörung betrieb (in Vatin. 14
Tusc. I 37. de div. I 132); selbst Varro behandelte diese Geheim Wissen-
schaft (August, de civ. dei VII 35), Laberius verfaßte einen Mimus 'Necyo-
mantia', nicht lange nachher Horaz seine Canidia-Gedichte. In die
exaltierte Revolutionszeit fiel Vergils Jugend; damals glaubte er wie
tausende im Hafen der epikureischen Philosophie Ruhe vor den Stürmen
des Lebens zu finden (catalept. 7). Aber durch die augusteische Restaura-
tion schien die Festigkeit des Weltgebäudes, das in der Revolutionszeit
aus den Fugen zu gehen drohte, gesichert, der Welt ein (TouTrip geschenkt
und das von Epikur geleugnete planvolle Walten der Vorsehung von
neuem garantiert zu sein. So machte Vergil, abermals mit vielen, die
Schwenkung von der Negation zum Positivismus. Es drängte ihn, der
der Philosophie Zeit seines Lebens großes Interesse entgegenbrachte
(Sueton-Donat, vita Verg. p. 62 Reif.), im Rahmen seines auf homerische
Nachahmung begründeten Epos philosophisch-theologische Gedanken über
das Schicksal der Seele niederzulegen, wohl in bewußtem Gegensatz zu
dem Gedicht des Lucrez (s. zu 723 ff.), jener Offenbarung für alle die-
jenigen, die wie Horaz auch in der neuen Weltlage an dem Glaubens-
bekenntnis ihrer sturmbewegten Jugend festhielten. An einzelnen Stellen
hört man die Stimmung der Revolutionszeit dumpf nachklingen: die
große Sünde findet im Jenseits ihre Sühne (s. zu 2 73 ff. 608 ff.); aber
Gott führt mit weiser Vorsehung durch das Chaos des Bürgerkrieges
(826 ff.) zur Ordnung und zum Frieden des Weltreichs (851 ff.), wie die
in Augustus gipfelnde 'Heldenschau' lehren soll, mit welcher der Dichter
den kunstvollen Bau seines Werkes krönt.
Für die poetische Behandlung war das Thema schwierig genug.
Denn auf der einen Seite waren die seit Homer konventionellen Ornamente
dieses Stoffes für jeden Nachdichter verbindlich, aber andererseits ließen
die Gebildeten sich diese fabulosen Dinge wohl noch in den leicht-
geschürzten erotischen Elegieen (wie Tibull I 10, vergl. Prop. IH 5, 39 ff.)
gefallen, aber von einem feierlichen Epos verlangte man einen höheren
Ton.^) Daß Vergil sich diesem Zwang unterwarf, darin liegt zugleich ein
Nachteil und ein Vorzug dieses Buches: ein Nachteil, insofern als, wie
wir sehen werden, die künstliche Verbindung der mythologischen und
philosophischen Vorstellungen über das Leben nach dem Tode die Ein-
heitlichkeit der Komposition vielfach gesprengt hat; ein Vorzug, insofern als
er durch die religionsphilosophisdhen Elemente dem Ganzen ein erhabenes
Gepräge verlieh, das dem ernsten christlichen Dichter die Möglichkeit
einer Umprägung im Geist und im Stil des Originals gegeben hat. Dieser
1) Besonders charakteristisch als die Äußerung eines ungefähren Zeit-
genossen Vergils ist das wegwerfende Urteil, das der Verfasser des ,Aetna'
Vers 74 ff. über die ünterweltsmärchen fäUt.
A. VORBEMERKUNGEN. 5
Vorzug des Buches, dem es eine Art von weltgeschichtlicher Bedeutung
verdankt, wird von G. Boissier, La religion romaine d' Auguste aux
Antonius I (Paris 1874) 295 ff. in folgenden Worten treffend charakterisiert:
Virgile nous fait toucher le point oü Fesprit antique parvenu a sa
maturite, eclaire par l'experience, epure par la philosophie, plein du
sentiment des instincts et des besoins nouveaux de l'humanite, donnait
la main a l'esprit moderne et conduisait au Christianisme.^)
Im folgenden sollen die Fragen nach Art und Ursprung der von
Vergil befolgten eschatologischen Vorstellungen im Zusammenhang er-
örtert werden. Einige allgemeine Bemerkungen über die Gesichtspunkte,
nach denen das geschehen soll, mögen vorausgeschickt werden.
A. Vorbemerkimgeii.
1. Überblickt man die vergilische Eschatologie in ihren wesent-
lichen Zügen, so sondern sich deutlich zwei Bestandteile, die der Dichter
teils selbst in einander schob, teils aber auch in dieser Verbindung
bereits vorfand: eine mythologische und eine philosophische, besser theo-
logische Eschatologie. Die erstere wird im folgenden nur gelegentlich
herangezogen werden; denn es empfiehlt sich, sie im Kommentar von
Fall zu Fall zu behandeln. Ich glaube daselbst den Nachweis erbracht
zu haben, daß (außer der homerischen Nekyia) noch eine Kardßaffic
des Herakles und eine des Orpheus für die mythologische Rahmen-
erzählung benutzt worden sind, jene — der schon Bakchylides, Sophokles
und Aristophanes einzelne Züge entnahmen — möglicherweise nur nach
einem mythographischen Handbuch, diese — die dank ihrer Verbindung
von Mythologie und Theologie in den religiös interessierten Kreisen bis
zum Ende des Hellenismus ein fast kanonisches Ansehen besessen zu
haben scheint — sicher direkt.^) Hier werden wir uns daher in der
Hauptsache nur mit dem theologischen Teil der Eschatologie zu befassen
haben.
2. Die von Vergil unmittelbar benutzten theologischen Schriften sind
uns teils überhaupt nicht, teils nur in dürftigsten Fragmenten erhalten,
denn es ist eine trügerische Illusion, wenn man Pindar, Piaton, Ciceros
somnium Scipionis als Vergils direkte Vorlagen bezeichnen zu dürfen glaubt:
die Divergenzen sind nach Zahl und Art stärker als die wenigen Kon-
kordanzen, und die meisten vergilischen Motive finden sich bei den ge-
nannten Autoren überhaupt nicht. Nach dieser Lage der Dinge wird
bei der bestimmten Benennung der benutzten Quellen die größte Vor-
sicht zu beobachten sein; meist muß es genügen, die allgemeine Sphäre
zu bezeichnen, in der die von Vergil befolgten Ideen zu suchen sind.
3. Um wenigstens innerhalb dieser eng gezogenen Grenzen sich mit
Sicherheit bewegen zu können, müßte man die Literaturgattung, von
der V'.s Nekyia eine Spezies ist, völlig zu beherrschen, d. h. die Geschichte
1) Vergl. auch H. Weil, Etudes snr l'antiquitö (Paris 1900) 87.
2) Vergl. unten bei D 2, 7 und für die orphische Katabasis den Kommentar
zu 120. 264ff.(?). 384—416 (bei 2). 548—627 (bei 1. 3. 5); für die des Herakles
zu 131 f. 260. 309—12. 384—416 (bei 4. 5). 477—93. 548—627 (bei 2?). 666—78.
6 EINLEITUNG.
der apokalyptisclien Literatur vom VI/V. vorchristl. Jahrhundert (in
welches die von Pindar und Piaton benutzten Schriften fallen) bis Dante
zu übersehen in der Lage sein. Das ist vorläufig noch nicht möglich,
da die von Diels (Parmenides, Berlin, 1897, 9) postulierte Geschichte
der poetischen Vision noch nicht geschrieben ist, wenn wir sie auch, wie
ich höre, erwarten dürfen: hoffentlich in nicht zu ferner Zeit. Immerhin
habe ich versucht, mich über das Material zu orientieren.
a) Die eschatologische Literatur des Altertums und der christlichen
Kirche in den ersten Jahrhunderten glaube ich vollständig zu kennen.
Die jüdische Apokalyptik kommt für unsem Zweck nur in den seltenen
Fällen in Betracht, wo sie hellenische Motive übernahm^): es ist charak-
teristisch, daß aus der Apokalypse des Johannes (einer nur oberflächlich
christianisierten, von jüdischem Geiste getragenen Schrift^), sowie denen
des Elias ^), Henoch^) und Baruch^) kaum ein Motiv angeführt werden
kann (vergl. den Kommentar zu 666 ff.), das sich mit einem vergilischen
berührte, im Gegensatz zu den von griechischen oder lateinischen Christen
verfaßten Apokalypsen, angefangen von der des Petrus bis auf die
Dialoge Gregors des Großen: ein deutliches Zeichen für die Richtigkeit
des von Dieterich 1. c. erbrachten Nachweises, daß die christliche Apo-
kalyptik ein Glied der hellenischen ist und von der jüdischen nur gering
beeinflußt wurde.^)
b) Über die Apokalyptik des lateinischen Mittelalters') gibt es
einige nützliche Arbeiten, in denen freilich gerade dasjenige Moment, auf
das es m. E. bei dieser Frage ankommt, die Geschichte der Motive^),
außer Betracht gelassen ist: Th. Wright, St. Patricks purgatory, London
1843; A. d'Ancona, I precursori di Dante, Florenz 1874; C. Fritzsche,
Die lateinischen Visionen des Ma. bis zur Mitte des XII. Jahrh. (Romanische
Forsch, herausg. von Vollmöller H 1886, 247 ff. III 1887, 337 ff.). Die
in diesen Schriften erwähnten vordantischen Apokalypsen des lateinischen
1) Daß dies stattgefunden hat, ist von Dieterich, Nekyia (Leipzig 1893)
33, 1. 214 ff. bewiesen worden.
2) Vergl. H. Gunkel, Schöpfung und Chaos (Göttingen 1895) 282 ff.
3) Ed. Steindorff in: Texte u. Unters, hrgs. von Gebhardt-Harnack N. F. II 2
(1897) ; das griechische Original des koptischen Textes setzt Harnack bei Steindorff
p. 19, 1 um 100 vor Chr. an.
4) Ed. Flemming-ßadermacher, Leipzig 1901; vergl. Gunkel 1. c. 286, 1.
5) In lateinischer Übersetzung aus dem Syrischen ed. Fritzsche in: Libri
apoeryphi V. T. Leipzig 1871, ein Stück des griechischen Textes ed. James in:
Texts and studies hrgs. von Robinson V 1 (Cambridge 1897) 84 ff. Über
orientalische Elemente dieser Apokalypse vergl. jetzt auch Fr. Cumont, Textes
et monuments relatifs aux mysteres de Mithra I (Brüssel 1899) 44.
6) So erklärt es sich auch, daß die johanneische Apokalypse, obwohl eine
kanonische Schrift, in der jüngeren Apokalyptik unverhältnismäßig wenig be-
nutzt ist, wie sie denn noch gegenwärtig dem modernen Kulturmenschen das
fremdartigste Buch des N. T. ist (Goethe hat in Briefen an Lavater seine Ab-
neigung unverhohlen ausgesprochen).
7) Im griechischen Ma. scheint dieser Literaturzweig zu fehlen, wenn man
von den spätbyzantinischen Imitationen der lukianischen Nekyomanteia absieht
(vergl. Krumbacher, Gesch. d. byz. Lit.^ p. 495).
8) Vergl. Dieterich 1. c. 196, 1 „Vielleicht wird sich noch einmal beweisen
lassen, daß von der Petrusapokalypse aus durch die Paulusapokalypse diese
Dinge in die christliche Literatur des Mittelalters überliefert sind."
A. VORBEMERKUNGEN. 7
Mittelalters habe ich gelesen, eine unerfreuliche Arbeit, die aber aus
folgendem Grunde nicht ganz nutzlos war. Bei der zentralen Stellung,
die Vergil im Ma. einnahm, erwartete ich auch die mittetalterliche
Apokalyptik aufs stärkste durch die vergilische Nekyia beeinflußt zu
sehen. Das ist aber durchaus nicht der Fall: von zwei nebensächlichen,
rein stilistischen Reminiszenzen^) abgesehen, zeigt diese Literatur, so
weit mir bekannt, keine direkte Berührung mit Vergil^), sondern ist der
letzte, trübe Ausläufer jenes langen Stromes apokalyptischer Schrift-
stellerei, in dem Vergil selbst steht. Die alten Motive konnten sich mit
solcher Zähigkeit deshalb erhalten, weil die altgriechischen Theologen, in
deren apokalyptischen Schriften sie zuerst niedergelegt waren, sie in engem
Anschluß an den Volksglauben aus der Tiefe des menschlichen Bewußtseins
selbst geschöpft hatten: so überdauerten sie den Sturz des Hellenismus und
der Nationen des Altertums, wurden von den hellenisierten Christen der
alten Kirche, dann von den christlichen Völkern des Mittelalters über-
nommen und bilden zum teil noch gegenwärtig einen integrierenden Teil
der katholischen Dogmatik. Sind diese Gesichtspunkte zutreffend^) —
1) Baeda schreibt in einer von ihm erzählten Vision des J. 696 (hist.
eccl. V 12): cum progrederemur sola sub nocte per umbras nach Aen. VI 268
ibant obscuri sola sub nocte per umbras. — Visio Tundali (vom J. 1149): ed.
Albr. Wagner, Erlangen 1882 p. 35 quanta et qualia et quam inaudita ibi
viderit tormenta, si centum capita et in uno qtioque capite centum Unguis haberet,
recitare nullo modo posset nach Aen. VI 625 ff. non mihi si linguue centum sint
oraque centum, \ ferrea vox, omnis scelerum comprendere formas, \ omnia poenarum
percwrere nomina possim.
2) Am augenscheinlichsten ist das bei der poetischen Paraphrase der unten
(S. 9) zitierten Visio Wettini von J. 824; der Verf. dieser Paraphrase, Walah-
fridus Strabo, der seine Verse mit Vergil- (und Ovid-)reniiniszenzen spickt, hat
in seinem langen Gedicht — fast 1000 Verse — kein Zitat aus der Nekyia des
VI. Buches der Aeneis.
3) Wer auf religionsgeschichtlichem Gebiete gearbeitet hat, weiß, daß nur
zu oft ein vermeintlich historischer Zusammenhang sich als trügerischer
Schein erweist und dem farblosen Begriff einer durch spontanes Entstehen zu
erklärenden bloßen Analogie weichen muß. Je umfassendere Kenntnisse
jemand in der Relionsgeschichte auch von Völkern, die der antiken Kultur
fernstehen, besitzt, um so zurückhaltender wird er mit der Behauptung einer
historisch nachweisbaren Kontinuität operieren. Aber diese Skepsis muß auch
ihre Grenzen haben; dafür zwei Beispiele, die mit den von mir zu führenden
Untersuchungen in Zusammenhang stehen. 1. Die Lehre von der Kraft der
Fürbitte Überlebender für arme Seelen Verstorbener zum Zweck ihrer Erlösung
von der jenseitigen Verdammnis ist nachweislich altorphisch; E. Rohde, der
das zugibt (Psyche II* 128, 5), bestreitet dennoch (auf Grund einer sehr entfernt
verwandten Lehre im Rigveda), daß die identische Lehre der christlichen Kirche
mit derjenigen der orphischen in historischem Zusammenhang stehe, da religiöse
Werkheiligkeit solche Gedanken überall leicht hervorzurufen scheine. Nun
aber hat G. Anrieh in seinem bekaimten Buche, in dem er viel nützliches
Material für Fragen dieser Art gesammelt hat (Das antike Mysterienwesen in
seinem Einfluß auf das Christentum, Göttingen 1894), S. 87, 4. 94, 4. 119, 3,
bemerkt, daß dieselbe Lehre sich auch in einem gnostischen System findet.
Angesichst der Richtlinie : altgriechische theologische Lehre — Gnosis — katho-
lisches Dogma wird niemand, der diese Verhältnisse überschaut, einen historischen
Zusammenhang leugnen wollen. 2. Zwei in der occidentalischen Apokalyptik
erst seit den Dialogen Gregors des Gr. begegnende Motive sind der Kampf der
guten und der bösen Dämonen um den Besitz der Seele, sowie die Brücke,
welche die Seele zur Prüfung zu überschreiten hat. Beide finden sich in yoU
8 EINLEITUNG
wie ich glaube und wie man sich durch die Lektüre der erwähnten
apokalyptischen Literatur überzeugen kann — , dann gewinnen Berührungen
zwischen Vergil und diesen späten Apokalypsen für unsere Quellen-
analyse einen objektiven Wert, insofern als dadurch bewiesen wird, daß
die betreffenden Motive Vergils nicht von ihm erfunden, sondern einer
Überlieferung entnommen sind, die schon zu seiner Zeit eine gewisse
Konstanz und Verbindlichkeit gehabt zu haben scheint. Li diesem Sinn
sollen in den folgenden Untersuchungen sowie im Kommentar selbst ge-
legentlich analoge Vorstellungen aus diesen späten Apokalypsen zitiert
werden. — Noch einen weiteren Gewinn für Vergil hat mir die Lektüre
dieser Schriften gebracht. Jedem Leser der vorstehenden Zeilen wird
sich die Frage aufgedrängt haben, wie sich in den gezeichneten Rahmen
Dantes unsterbliches Gedicht einfüge. Es wird nicht viel literarische
Genüsse geben, die an Unmittelbarkeit und Stärke demjenigen gleich-
kommen, den man empfindet, wenn man sich durch das Dunkel abstruser
Phantastik, die in den genannten Apokalypsen ihre Orgien feiert, zu
Dante hindurchgerungen hat, der auch die Nachtseiten des Daseins mit
dem Schimmer gestaltender Phantasie zu verklären, altüberlieferte Motive
zu adeln weiß. Gewiß gelingt ihm das vor allem kraft seines über-
ragenden Genius, aber bei aller Ehrfurcht vor diesem darf ein wichtiges
Moment nicht außer acht gelassen werden, das ich sogar in den besten
mir bekannten Kommentaren nicht erwähnt gefunden habe: Dante ist
der Erste gewesen, der die ihm vorliegende und nachweislich von ihm
1 stark benutzte mittelalterliche Apokalyptik mit Motiven der vergilischen
iNekyia verbunden hat, und ein gutes Teil von der Wirkung seines
Gedichts wird dieser Verbindung verdankt, neben Einzelheiten, die im
Kommentar verzeichnet sind, vor allem das ernste Pathos und die dramatisch
bewegte Darstellung. So wichtig dies Verhältnis nun auch für die
Wertung vergilischer Kunst ist, die die Probe auf ihre Stärke dadurch
abgelegt hat, daß sie einen der größten Dichter aller Zeiten inspirieren
und bei einer der erhabensten Schöpfungen menschlichen Geistes die Paten-
rolle spielen durfte: so vermindert sich dadurch die Bedeutung des dantischen
Werkes für den speziellen Zweck der nachfolgenden Untersuchungen.
' Denn da Dante den Vergil intensiv benutzt hat, so darf er — im Gegen-
satz zu der mittelalterlichen Apokalyptik — von uns nur selten und in
ausgeprägter Form schon in der Eschatologie der Parsen, vergl. Hübschmann,
Die parsische Lehre vom Jenseits in Jahrb. f. prot. Theol. V 1879, 216 ff., Brandt,
Das Schicksal der Seele nach mandäischen und parsischen Vorstellungen ibid.
XVIII 1892, 422 ff. Obwohl sich nun das Motiv einer Brücke als Passage in
das Jenseits auch bei Völkern getrennter Kulturkreise findet (vergl. J. Zemmrich
in seiner ausgezeichneten Schrift 'Toteninseln', Leiden 1891, 20), so würde
doch die Annahme eines spontanen Auftretens dieser Vorstellung, noch dazu
verquickt mit dem besonderen Motiv vom Kampf der bösen und guten Geister,
in der spätchristlichen lateinischen Apokalyptik höchst unwahrscheinlich sein.
Wenn wir vielmehr bedenken, daß die Mithrasreligion lange Zeit mit dem
Christentum rivalisierte und noch im fünften Jahrh. gerade unter den Gebildeten
Roms Anhänger fand, so werden wir uns berechtigt halten dürfen zu der
Annahme, daß jene beiden Motive auf erkennbar historischem Wege in die
lateinische christliche Apokalyptik des ausgehenden Altertums gelangt sind,
voi} wo sie die des Mittelalters übernahm.
A. VORBEMERKUNGEN. , 9
besonderen Fällen für die Analyse der Quellen Vergils benutzt werden
(vergl. unten bei C 2, Ic, d; C 2, 3; C 2, 8).
c) Zur Bequemlichkeit des Zitierens gebe ich ein Verzeichnis der mir
bekannten christlichen Apokalypsen, aber nur insoweit aus ihnen in den
folgenden Untersuchungen sowie im Kommentar Stellen angeführt sind,
mit ihren Publikationsorten. Die Ordnung ist eine nach Möglichkeit
chronologische.
Pastor des Hermas saec. II ed. Hamack, Leipzig 1877.
Apokaljrpse des Petrus saec. II (Bruchstücke des Evang. und der
Apok. des Petrus ed. Harnack^ Leipzig 1893).
Pistis Sophia saec. U/HI aethiopisch mit lateinischer Übersetzung
ed. Petermann, Berlin 1851.
Zweites Buch Jeu saec. II/III aethiopisch mit deutscher Übersetzung
ed. C. Schmidt in: Texte u. Unters. IH 1892.
Ascensio Jesajae saec. II/III aethiopisch mit lateinischer Übersetzung
ed. Dillmann, Leipzig 1877^).
Aia6r|Kri 'Aßpadju saec. II/III? ed. James in: Texts and studies 11
Cambridge 1892.
.Acta S. Perpetuae vom J. 203/2 ed. 0. v. Gebhardt in: Ausgewählte
Märtyrerakten, Berlin 1902.
Historia Josephi fabri lignarii saec. III/TV? arabisch mit lateinischer
Übersetzung herausg. von Thüo im Codex apocryphus N. T. I
Leipzig 1832.
Apokalypsen des Esra und Paulus saec. IV/V in: Apocalypses apo-
cryphae ed. Tischendorf, Leipzig 1866.
Vision des h. Antonius saec. IV in der Historia Lausiaca bei Migne,
patrol. scr. gr. vol. 34.
^ Vision des Karpos saec. VI bei Ps.-Dionysios Areopagita ep. 8, 6
(Migne vol. 3).
Vision des Iren Furseus saec. VII in: Acta sanctorum Hibemiae
ed. Smedt-Backer, Edinburg 1888.
Vision des Drihthelm von Northumberland vom J. 696 bei Baeda
bist. eccl. V 12.
Visionen in Briefen des Bonifatius saec. VHI ed. GUes, vol. I London
1844.
Vision des h. Barontus saec. Vm in: Acta sanctorum Boll. Mart. IH
5 70 ff.
Visio Wettini vom J. 824 in: Poetae lat. aevi Carolini ed. Dümmler 11
Berlin 1884.
Visio Tundali vom J. 1149 ed. Albr. Wagner, Erlangen 1882.
Henricus Salteriensis de purgatorio S. Patricii vom J. 1153 bei
Migne scr. lat. vol. 180.
Vision des Albericus, Mönchs von Monte Cassino, geb. imi 1101 in:
Dante- Ausgabe Padua 1822 vol. V.
1) Das kürzlich in Ägypten gefundene Stück des griechischen Originals
(Amherst Papyri ed. Grenfell-Hunt I London 1900) umfaßt nur einen Teü des
der eigentlichen ascensio vorangestellten jüdischen Schriftwerks.
10 EINLEITUNG.
Vision eines Mönchs von Evesham vom J. 1196 in: Roger de
Wendower, Flores Historiarum ed. Hewlett, London 1886 vol. I.
Vision des Thurcill vom J. 1206 ib. vol. II London 1887.
Gervasius von Tilbury, Otia imperialia, verfaßt 1211 — 14 in: Scriptores
rerum Brunsvicensium cura Leibnitii, Hannover 1707.
Dante ed. Scartazzini Leipzig 1874. 1875.
B. Die Komposition.
Die Frage, ob die Darstellung Vergils vom Schicksal der Seelen
von einem einheitlichen Grundgedanken getragen oder ob vielmehr ver-
schiedene Ideen zu einem nicht widerspruchslosen Ganzen vereinigt worden
seien, ist viel behandelt worden. Von den Vertretern der letzteren
Ansicht (Conington in seiner Ausgabe vol. II*, London 1884, 423 fP.
480; G. Boissier, La religion romaine d' Auguste aux Antonius I, Paris
1874, 263fF.; E. Sabbadini, Studi critici sulla Eneide, Lonigo 1889,
79 ff; H. Weil, Etudes sur Fantiquite grecque, Paris 1900, 86 ff.) wird
mit Übereinstimmung in den Hauptpunkten behauptet, Vergil habe die
populären Vorstellungen von einer Unterwelt, in der den ünbeerdigten
(315 — 36), den Säuglingen, Hingerichteten, Selbstmördern und den im
Kriege Gefallenen (426 — 547) gesonderte Plätze angewiesen seien und
in der die Frevler im Tartarus bestraft (548 — 627), die Guten im
Elysium belohnt würden (637 — 702), mit einer philosophischen Lehre
verbunden, nach der alle Seelen einer Läuterung unterzogen würden
(702 — 892), also von einem besonderen Schicksal gewisser, der all-
gemeinen Läuterung nicht unterworfener Seelenklassen (Unbeerdigte, Säug-
linge u. s. w.), sowie von einer Bestrafung der Bösen (im Tartarus) und
einer Belohnung der Guten (im Elysium) nicht die Rede sein könne.
Auch A. Dieterich, Nekyia (Leipzig 1893) 150ff. kommt auf Grund seiner
Analyse zu einem verwandten Resultat, nur rechnet er (der Wahrheit,
wie sich zeigen wird, näher kommend) die Schilderung des Tartanis
und des Elysiums vielmehr zur zweiten (philosophischen) Unterwelt,
setzt also die Grenze der beiden von Vergil befolgten Darstellungen bei
/547 (statt bei 702) an. Die Tatsache eines Mangels strenger Ge-
* schlossenheit ist nun ohne Bedenken zuzugeben, aber es läßt sich zeigen,
daß diese Kontamination heterogener Elemente in der Hauptsache nicht
erst von Vergil vollzogen wurde, sondern auf viel frühere Zeit zurück-
zuführen ist, da sie bereits von (Pindar und) Piaton in ihren eschato-
logischen Mythen als gegeben übernommen wurde.
1. 329 heißt es, daß die Ünbeerdigten 100 Jahre umherschweifen
müssen, bevor sie von Charon übergesetzt werden (centum errant annos
volitantque haec litora drcum). 'Nescio an de suo posuerit Virgilius'
Heyne; 'it is not known whether this specification of 100 years is due
to any earlier authority or to V.'s invention' Conington. Nun aber
bemerkt Servius z. d. St.: centum annos ideo dicit, quia Jii sunt Icgitimi
vitae humanae, quibus completis potest anima transire ripas, id est ad
locum purgationis venire, ut redeat rursus in corpora. Das sieht
nach mehr aus als einer bloßen Scholiastenweisheit, und wirklich lesen
wir bei Piaton Rep. X 61 5 AB: das Verweilen der Seele unter der Erde
B. DIE KOMPOSITION. H
vor ihrem Eingang in einen neuen Leib dauert 1000 Jahre, denn als
hauptsächliche Bestimmung gelte, daß zehnfache Buße getan und das
menschliche Leben als hundertjährig angesetzt werde. ^) Auf diese
platonische Stelle hat bereits Gerda in seiner Ausgabe Yergils (1608 f.)
hingewiesen, ohne Berücksichtigimg zu finden. Nun aber müssen auch
nach Vergil (748) die Seelen, bevor sie in neue Körper eingehen,
1000 Jahre im Jenseits geläutert werden. So ergibt sich auf Grund
der platonischen Stelle eine Vei'bindung zwischen Anfang und Schluß
der vergilischen Eschatologie, während nach der Ansicht der genannten
Gelehrten jener der 'poetischen', dieser der 'philosophischen' Unterwelt
angehören soll.
2. Die zweite von Vergil genannte Seelenklasse ist die der vorzeitig
gestorbenen Kinder (426 — 29). Sie schließt sich sachlich an die Klasse
der aiacpoi (315 — 83) unmittelbar an, denn die dazwischen stehenden
Verse (384 — 425) führen nur die äußere Handlung weiter (Aeneas'
Begegnung mit Charon und dem Cerberus). Auch bei Piaton heißt es
in Fortsetzung der zitierten Stelle 615 C: „hinsichtlich derjenigen, die
nach der Geburt nur eine kleine Zeit lebten und dann starben, berichtete
er anderes, das keine Ei-wähnung verdient." Welcher Art diese Lehre
war, die Piaton in seiner Quelle fand, ohne sie wiederzugeben, wissen
wir nicht; aber aus dem Zusammenhang, in dem er diese Notiz bringt,
wird man es wenigstens als denkbar bezeichnen dürfen, daß es eine
Vorstellung war analog derjenigen, die Tertullian de anima 56 f. (eben-
falls von Gerda angeführt) aus alter Tradition^) referiert: „sie sagen,
daß die vorzeitig Gestorbenen umherschweifen müssen, bis diejenige
Altersgrenze erreicht sei, zu der sie gelangt sein würden, wenn sie
nicht vorzeitig gestorben wären." Wie dem aber sei: die Erwähnung
der ampoi in Piatons 'theologischer' Eschatologie beweist, daß wir
nicht berechtigt sind, sie von dem 'theologischen' Teil der vergilischen
Eschatologie zu trennen, zumal sie, wie wir sehen werden, sich auch
in einer plutarchischen fast mit denselben Ausdrücken wie bei Vergil
wiederfindet.
3. Weiterhin zählt Vergil (430 — 547) mehrere Seelenklassen auf,
die er mit den aujpoi und unter sich selbst örtlich in Verbindung setzt
(430 hos iuxta, 434 proxima loca, 440 nee proeul Jiinc). Es sind lauter
ßiaioödvaxoi, nämlich: a) die unschuldig Hingeiichteten (430 — 33),
b) die Selbstmörder, die, um der Armut und Not zu entgehen, ihr Leben
1) Dieser Maximalansatz, den Piaton bereits als gegeben übernimmt (un-
richtig hält ihn P. Natorp, Hermes XXXV 1900, 435 für eine Erfindung Piatons,
es ist eine echt pythagoreische Zahlenbestünmung), blieb auch später üblich,
vergl. Varro 1. 1. VI 11 saeeulum spatium annorum C vocarunt, dictum a sene,
quod longissimum spatium senescendorum homimim id putarunt und mehr bei
Sahnasius, Plinianae exercitationes 787 f.
2) Er sagt nur, die Magie sei auctrix harum opinionum gewesen (was uns
für die ätupoi und ßiaioedvoToi ja durch die Zauberpapyri und Devotionen be-
stätigt wird); wegen des grade auch bei christlichen Autoren typischen Neben-
einanders Pythagoreus et magus darf man vermuten, daß die pythagoreische »
Philosophie die inventrix war, zumal Piaton in seinen Eschatologieen sicher
von ihr abhängt; genaueres darüber unter C 2, 7. — Vergl. über die Stelle auch
C. Dilthey, Rh. Mus. XX VE 1872, 386f., Rohde, Psyche H« 411.
12 EINLEITUNG.
ein Ende machten (434 — 39), c) die Opfer des epuüc, die teils durch
eigene Hand, teils durch die Rache anderer fielen (440 — 76), d) die im
Kriege Gefallenen (477 — 547). Diese Klassifizierung übernahm Vergil als
eine gegebene. Denn Tertullian 1. c. fährt, nachdem er die Sonder-
stellung der äujpoi widerlegt hat, so fort^): „ebensowenig werden wir
glauben, daß von der Unterwelt ausgeschlossen werden die Seelen der
ßiaioGdvaioi, d. h. hauptsächlich die der Hingerichteten, mögen sie un-
schuldig sein oder schuldig", also die von Vergil unter a) genannten.
Wenn Tertullian diese Klasse als die „hauptsächliche" der ßiaioödvaTOi
bezeichnet, so deutet er damit an, daß seine Quelle unter dieser Rubrik
auch andere Erlassen befaßte, und zwar wahrscheinlich, wie schon Sal-
masius 1. c. (11, l) vermutete, vor allem die Selbstmörder, also Vergils
Klasse b sowie einen Teil der Klasse c. Die Vorstellung wird außer
durch Macrobius (in somn. Scip. I 13, 10 sie [durch Selbstmord] extortae
animae diu circa corpus eiusve sepulturam vel locum in quo iniecta manus
est pervagantur) durch Vergil selbst bezeugt: von Dido, die er hier vmter c)
eigens nennt (450ff.), erzählt er IV 693ff., daß sie, weil sie nicht fato
peribat, sed misera ante diem, nicht sterben kann und erst durch eine
besondere Gnade der Juno dem Hades geweiht wird. Weiter nennt
Lukian (Katapl. 5 f.) unter den von Hermes hinabgeführten Seelen neben-
einander die duupoi und die ßiaioGdvaxoi, und zwar unter den letzteren
u. a. folgende Spezies: Touc ek biKacTiripiujv, touc bi' epuDia arro-
acpdHavxac eauiouc, touc TioXeiaoOvTac, also die von Vergil unter a, c, d
genannten Klassen, und Olympiodor (zu Plat. Phaed. p. 207 ed. Finckh)
bezeichnet im Gegensatz zu den eijuap)iievoi TpÖTioi öavdxou als ge-
waltsame die durch Richterspruch, Krieg und Selbstmord in Überein-
stimmung mit Vergils Klassen a, b, d. Am auffälligsten ist bei dieser
abstrusen Lehre, daß man durch den Zwang des Systems veranlaßt wurde,
auch den Tod im Kriege dem ei)iiapjnevoc Gdvaioc entgegenzusetzen.
Diese Vorstellung ist Homer noch unbekannt; so spricht Hektor, bevor
er in die Schlacht geht, die Worte (Z 487 f.) ou yäp Tic ju' UTiep aiaav
dvf]p "Aiöi Trpoidi|jei | inoTpav b' ou Tivd qprijLii Tre9UY|Lievov e')Li|Lievai
dvbpuiv, und überhaupt sind ihm Ausdrücke wie 'die |iAoTpa ergrifi",
fesselte, verhüllte ihn' ganz geläufig vom Tode des Kriegers, und Vergil
selbst folgt ihm X471f. etiam sua Turnum | fata vocant metasque dati
pervenit ad aevi. Aber daß die entgegengesetzte Anschauung wenigstens
relativ alt ist, zeigt Demosthenes de cor. 205: 6 juev toTc TOveöcTi
vo)LiiIujv iLiövov TCTevricTGai, töv Tfic ei)nap)nevr|c Km töv auTÖ)LiaTov
edvaTOV TTcpiiLxevei. 6 be Kai Trj TiaTpibi, uirep toO |ufi TauTriv CTTibeiv
bouXeuoucrav diroGvricrKeiv ßouXeTai. Diese Stelle wird von Gellius XHI 1
ausführlich behandelt; er findet darin richtig die Anschauung von dem
Gegensatz eines SdvaTOC naturalis et fatalis und eines extrinsecus vi
coactus, und führt zur Erläuterung die oben zitierte Stelle der Dido-
Episode Vergils an: Vergilius quoque id ipsum , . . de fato opinatus est,
cum hoc in quarto libro dixit de Elissa, quae mortem per vim potita est
^nam quia nee fato, merita nee morte peribaf, tamquam in faciendo fine
vitae quae violenta sumt non videantur e fato venire. Für dieselbe Vor-
1) Die Stelle wird richtig behandelt von H. Weil 1. c. (o. S. 10) 88, 1.
B. DIE KOMPOSITION. 13
Stellung kann ich aus älterer Zeit nur noch Ps.-Lysias, Epitaph. 79 an-
führen: man müsse die Gefallenen glücklich preisen, die nicht auf den
natürlichen Tod gewartet, sondern den schönsten sich erwählt hätten.
Vergil selbst nennt den Tod im Ej-iege eine immatura mors XI 166 f. und
wenn er in unserm Buch 481 die im Kriege Gefallenen hello caducos
nennt, so liegt auch darin, wie im Kommentar z. d. St. gezeigt werden
wird, der Begriff des Vorzeitigen; Properz HI 5, 18 optima mors, Parcae
quae venu acta die im Gegensatz zum Tod in der Schlacht (ib. 12), Ovid
tr. I 2, 53 fatove suo ferrove cadentem genau wie Trogus- Justin IX 8, 3
qui partim fato partim ferro periere. — Das gemeinsame Band, das alle
Klassen der ßiaioGdvaxoi verknüpft, ist die Vorstellung, daß sie wegen
ihres vorzeitigen Todes so lange von der Grabesnihe ausgeschlossen bleiben,
bis sie dem Leben den schuldigen Eest an Jahren abgezahlt haben, oder,
um es mit den Worten des Macrobius (1. c. 11) zu sagen: constat nume-
rorum certam constitutamque rationem animas sociare corporibus. hi mrnieri
dtmi super sunt, perseverat corpus animari: cum vero deföciunt, mox arcana
illa vis solvitur, qua societas ipsa constabat, et hoc est quod fatum et
fatalia vitae tempora vocamus. — Da also diese Gruppe sachlich und formell
mit den auJpoi eng verknüpft ist, so hat auch von ihr zu gelten, daß sie
von dem theologischen Teil der Eschatologie nicht getrennt werden darf.
4. Als weitere Gruppe folgt bei Vergil die der Büßer im Tartarus
(548 — 627). Diese Gruppe haben die meisten Vertreter der Ansicht
einer mangelnden Einheit (außer Dieterich) besonders für sich verwertet.
Denn die Ewigkeit der Strafen im Tartarus (vergl. 617 aeternum) schien
ihnen zu dem letzten Teil der Darstellung (724 ff.), wonach alle, durch
das Eingehen in die Körperwelt mit Schuld behafteten Seelen eine
Wanderung in neue Leiber antreten müssen, unvereinbar und ein be-
sonders deutlicher Beweis dafür zu sein, daß Vergil eine 'poetische' Escha-
tologie mit einer 'philosophischen' roh kontaminiert habe. Nun aber
bilden auch nach Piaton (bezw. seiner Quelle) die Seelen der größten
Frevler innerhalb der allgemeinen menschlichen Sündhaftigkeit eine be-
sondere Gruppe, die von der Wanderung und Erlösungsfähigkeit der
übrigen Seelen ausgeschlossen ist und ewig im Tartarus büßen muß
(Rep. 615 E oöc oio)Lievouc fjbri dvaßr|aecr9ai ouk ebexeio t6 cttöiliiov,
ctXX' €|LiuKäTO, OTTÖTe TIC TU)v ouToic dviotTUJC exövTUüv . . . eTTixeipoT
avievai. Phaed. 113 E o'i b' av böHujCTiv dviaxujc exeiv bid id laeTeÖri
TU)v d|uapTTi|LidTUüv . . . f] TTpo(Tr|KOuffa jLioTpa pmTei eic töv Tdpiapov.
oöev ouTTOxe eKßaivoucriv. Gorg. 525C).
5. Nach einer kurzen Fortführung der Handlung (628 — 36: Aeneas
heftet den goldenen Zweig auf die Schwelle des unterirdischen Palastes)
folgt als weitere Gruppe die der Seligen des Elysiums (637 — 702).
Gegen sie wurde das gleiche Bedenken erhoben wie gegen die vorige
Gruppe: die Exzeption von der Seelenwanderung schien unmöglich.
Allein Piaton (Rep. 614C — 615 A) bestätigt diese Exzeption, wie für die
ganz Bösen im Tartarus, so für die besonders Guten an einem Ort
der Freude. —
Wenn wir mithin die Darstellung Vergils von den Schicksalen der
Seelen überblicken, so unterscheiden wir nach seinen eigenen Angaben
folgende Gruppen (ich setze gleich die griechischen Termini ein):
14 EINLEITUNG.
I. Diesseits des Acheron: die aiacpoi, die hier 100 Jahre umher
schweifen müssen.
n. Jenseits des Acheron:
A. Im Zwischenraum zwischen Acheron und Hadesinnerem.
1 T)'p amooi f^^® ^^^^ warten müssen, bis die ihnen
' „ „ , \ vom Schicksal bestimmte Lebenszeit er-
2. Die ßiaioGavaxoi £-^j^ ^g^
a) Ol biet KpicTiv Te0vr|KÖTec,
b^ Ol auTÖxeipec
c) Ol utt' ^pujToc Te0vr|KÖTec,
d) Ol Tro\€|LioOvTec
B. Im Hadesinnern:
1. Im Tartarus: oi ecaei dviotTuuc ^xovtec,
2. Im Elysium: oi ecaei |uaKdpioi
3. Im Lethehain: Ol bid TraXiTTCveCTiac dvaßiuüaö)Lievoi.
Daß diesem System^) keine einheitliche Vorstellung, sondern ein
zwischen volkstümlichem Glauben und theologischer Lehre geschlossenes
Kompromiß zugrunde liegt, gebe ich jetzt zu (im Gegensatz zu meiner
flüher im Hermes XXVIII 1893, 372 ff. XXIX 1894, 313 ff. aufgestellten
Behauptung), glaube aber durch obiges bewiesen zu haben, daß diese
Kontamination heterogener Motive nicht erst von Vergil vollzogen, sondern
schon von Piaton als gegeben übernommen worden ist. —
Durften wir also bei der Analyse im großen den gegen Vergil er-
hobenen Vorwurf einer widerspruchsvollen Komposition vielmehr auf die
von ihm benutzte Quelle schieben, so müssen wir ihn allerdings beschuldigen,
in Einzelheiten die Widersprüche noch gesteigert zu haben. Es bedurfte
einer bedeutenden Gestaltungskraft, wie wir sie an Piaton bewundem,
um die Fugen der Komposition durch die Kunst der Darstellung zu ver-
kleiden: gelang selbst ihm das nicht völlig, wie viel weniger dürfen wir
es von Vergil erwarten. Gegen die obige Analyse, soweit sie von mir
bereits im Hermes 1. c. gegeben war, haben nämlich Dieterich, 1. c. 151, 2
und P. Deutike (Jahresb. d. phüol. Vereins XXI 1895, 258) zwei beachtens-
werte Einwände erhoben.
1. Innerhalb der Gruppe der ßiaioGdvaTOi läßt Vergil bei den
Klassen c und d den Aeneas Heroinen und Heroen einer weit zurück-
1) Einzelne Motive dieses Systems sind von der christlichen Eschatologie
rezipiert worden. Die antiken ätupoi sind meist umgeprägt zu den ungetauft
gestorbenen Kindern (vergl. darüber auch C. Dilthey, Rhein. Mus. XXV 334),
so in der von Bonifatius 1. c. (o. S. 9) p. 269 berichteten Vision: infantium
numerosam multitudinem . . . sine haptismo morientiuni tristem et moerentem
aspexit formulam; etwas anders in der Vision des Albericus saec. XII, 1. c.
p. 294: primum itaque locum quendam igneis prunis . . . aestuantem vidi, in
quo parvulorum unius anni animae purgabantur ; wohl erst scholastischer
Theologie gehört die Bezeichnung limbus infantium an. Bemerkenswert ist,
daß Dante eine Anzahl von Seelen in ein Vorpurgatorium versetzt, da sie zur
Aufnahme in das eigentliche Purgatorium noch nicht reif seien, nämlich: 1. die
im Kirchenbann Gestorbenen Purg. III 136 ff.; 2. diejenigen, die aus Nach-
lässigkeit die Buße versäumt haben ib. IV 130 ff. ; 3. die gewaltsam Getöteten
ib. V 52ff. ; dazu 4. in der Vorhölle der limbus infantium und der limbus
patrum ib. VII 28 ff.
B. DIE KOMPOSITION. 15
liegenden Epoche treffen, die, wenn sie nur auf die Erfüllung ihrer ihnen
vom Schicksal bestimmten Lebenszeit warteten, damals längst in das
Innere des Hades hätten zugelassen sein müssen, z. B. Pasiphae (447)
und die Helden der thebanischen Sage (479 f.). Dieser handgreifliche
Widersprach erklärt sich, um es kurz zu formulieren, daraus, daß Vergil
die theologische Eschatologie mit einer mythologischen Katabasis ver-
bunden hat^): jene behandelte, wie wir das noch an den platonischen und
plutarchischen Eschatologieen erkennen, die einzelnen Seelenklassen, ohne
Figuren der Sage einzuführen; aber das genügte Vergil nicht, da er nicht
philosophisch irepi TUJv ev abou zu handeln, sondern eine Nekyia home-
rischen Stils zu dichten hatte, zu der er Heroen imd Heroinen brauchte.
So verfuhr er folgendermaßen. Die theologische Quelle gab ihm als eine
Klasse von ßiaioGdvaxoi die im Kriege Gefallenen; um sie zu füllen, zog
er eine mythologische Quelle heran (und zwar, wie wir im Kommentar
sehen werden, wahrscheinlich die KaTdßa(Tic 'HpanXeouc), aus der er die
Helden der thebanischen Sage (479 f.) entnahm. Femer: als eine andere
Klasse von ßiaioödvaioi überlieferte ihm die theologische Quelle die
Selbstmörder, und zwar wohl schon mit den Spezies der Selbstmörder
teils bid ireviav (436 f. quam vellent aethere in alto \ nunc et pauperiem
et duros perferre labores) und derjenigen bi' epuuxa (442 quos durus amor
crudeli tobe peredit), da Lukian 1, c. xouc bi' epuura dirocTqpdHavTac eauTOuc
ausdrücklich nennt. Diese zweite Spezies der Selbstmörderklasse gab ihm
nun Gelegenheit, den für eine Nekyia homerischen Stils typischen xaid-
XoYOC fipuuivuiv zu bringen; das mythologische Material übernahm er
teils aus Homer selbst teils aus alexandrinischen Dichtem und fügte
seinerseits Dido hinzu (vergl. den Kommentar). Diese Kontamination
hatte nicht bloß den erwähnten prinzipiellen Fehler zur Folge, daß
Aeneas in dieser Region mit ßiaioGdvaioi zusammentrifft, die nach dem
Sinn der theologischen Quelle außer Dido sämtUch bereits aus ihrer
Sonderstellimg hätten erlöst sein müssen, sondern noch eine weitere kleine
Inkonvenienz. Die mythologischen Quellen kannten nicht bloß solche
Heroinen, die sich aus Liebesgram selbst den Tod gegeben hatten, sondern
neben diesen auch solche , die von anderen aus Eifersucht oder Rache
getötet worden waren; so nennt denn auch Vergil beide Gattungen und
muß daher, um den Widerspruch zu verdecken, statt einer speziellen
Überschrift wie ''qui se ob amarem interfecertmt^ (Lukians oi bi' Ipiuia
dTTOCTqpdHavTec eauToOc) die allgemein gehaltene ^qiws durus amor crudeli
tobe peredif wählen^).
2. Auf Grund der Tatsache, daß Vergil eine theologische Darstellung
mit einer mythologischen kontaminiert hat, läßt sich auch der zweite
von den genannten Forschem erhobene Einwand beseitigen. Während
1) Treffend wird dieser Dualismus von Macrobius (nach einem auch sonst
von ihm benutzten Spezialkommentar zum VI. Buch) bezeichnet in somn.
Scip. I 9, 8 Vergilius . . . licet argumenta suo serviens her aas in inferos relegave-
rit (637 ff.), non tarnen eos abducit a caelo sed aethera his deputat largiorem (640).
et nasse eas salem suum ac sua sidera prafitettir (641), ut geminae doctrinae ob-
servationes praestiterit, et paeticae figmentum et philosophiae veritatem.
2) In der Beurteilung und zum teil auch in der Erklärung des Widerspruchs
bin ich mit Kroll, Jahrb. f. Phil. Suppl. XXVII (1900) 143, 2 zusammengetroffen.
16 EINLEITUNG.
Vergil nämlich von den äiacpoi sagt, daß sie nacli einer gewissen'Zeit aus
ihrer Sonderstellung erlöst werden (329 f.), findet sich bei den unter sich,
wie bemerkt, eng verbundenen diupoi und ßmioGotvaioi keine derartige
Bestimmung. Das erklärt sich nun leicht: mit einer solchen hätte der
gesamte mythologische Apparat fallen müssen, weil der Widerspruch,
daß Aeneas in dieser Region mythischen ßiaioGdvaxoi längst vergangener
Mythenepochen begegnete, sonst zu handgreiflich gewesen wäre. So
hat also Vergil die Kontamination heterogener Vorstellungen dadurch
zu verbergen gesucht, daß er das Motiv der einen (theologischen)
Quelle fallen ließ, imi ein für seinen Zweck wesentlicheres Motiv der
zweiten (mythologischen) Quelle beibehalten zu können: ein Verfahren,
das sehr charakteristisch ist für die Art seiner Quellenbenutzung und
seiner mehr auf poetische Illusion als logische Geschlossenheit bedachten
Kompositionsweise.
C. Die Lehre von der Seelenwanderung (724 — 51)
Die Verse lassen sich leichter griechisch als deutsch paraphrasieren;
in der folgenden Paraphrase sind die den mythischen Ausdrücken, wie
wir sehen werden, zugrunde liegenden kosmischen Vorstellungen gleich
in Klammem beigefügt worden.
Tot |aev xecraapa cTTOixeTa, TiOp übiup dfip ffi, iÜujOTToieTTai Kai
xpecpexai irveujuaTi, ö bid toO Travröc bitiKov Kai öXov öi' öXou KCKpa-
l^evov KiveT iiiev xöv kö(T)liov ujaTtepel auj)ua ejavpuxov, dTroTevva be Kai
Td Ma rd xe ev f^ Kai depi Kai ttövxlu. xd be (TirepiLiaxa irupiubri
qpücTei urrdpxovxa Kai auvxova Kai xiij öeuj cruTTevfi, Gvj\ia(Si cpvaei
(p6apxoTc Ktti vouöpoTc oucTiv ÜJCT-rrep eipKxaic xicTi (JKOxeivaTc cTuYKXei-
(Töevxa dtraiaßXiJvexai Kai dTTÖ xfic TTpöc xaöxa aujUTiaGeiac kXycei d
br] TtdÖTi KaXoO|Liev qpößov eTTi9u|Liiav XuTrriv fibovriv. 'AXX' ou lafiv
oub' eireibdv ai ipuxai xuJv Kaxd adpKa becrinujv dveGuKTi, xujv je
|iiacr|iidxuuv diraXXdxxovxai, ÖTrep eK ttoXXou -rrpocTTreqpuKÖxa Kai irriHiv
eiXricpöxa auxaic ejKaQilei. 'Avxi be xauxric xf]c KaKÖxrjxoc Trpujxov luev
beivai auxdc dva/aevoucTi iroivai (ev xuj urrep fiinuJv depi iruKVOxdxLu),
Kai f] |Liev TTupi r\ be übaxi r] be dvejuoic KoXaZiojaevri bkriv bibuudi
xiijv iraXaiuJv |Lir|Vi)LidxiJUv, Kaxd xöv bai)Liova öc eKdcTxriv eiXrixev. "Gireixa
irepaiiuGeTaai eic xd 'HXiJCTia XeYÖ|neva irebia (i'va be cpucTiKUJC Xeyuj-
|Liev, eic xrjv creXr|vriv, lueGöpiov oucrav xoO koG' fijuäc iraGrixoO Kai
xoO Kax' aiGepa dcpGdpxou xöttou), öXiTai |uev xivec, ai je br] ini-
eiKeaxepov biriyatov, laevoucriv auxöGi, euuc dv xoO lueTdXou laupiuiv
eviauxüjv diroxeXecjGevxoc kOkXou dTTOKXuaGrj )aev ö ttoXuc cru|Li(puö-
ILievoc puTTOc, exKaxaXeiqpGfi be x6 xe rrveOina Xeirxöxaxov Kai TiOp
eiXiKpivec (ö XaßoOffai Tiepaixepiu xujpoOmv eic xöv aiGepa, öGev rjXGov)'
xdc be TToXXdc KaGaipeffGai xpeiJuv ev 'HXucriou fiuxuj xivi (aivixxöjLieGa
be xöv 1JTTÖ creXr|vr|V depa )iavuüxaxov) , ^vGev xoO xi^iefoOc Ttepiax-
Gevxoc kukXou eic dXXa iraXivbpoinoOcTi (Tuj)Liaxa, djavrnnovoOaai bid
xö ArjGric KaXou)Lievov übujp, o ev abou bidYoucrai ^ttiov.
Mit dieser Paraphrase verbinden wir gleich diejenige der bekannten
Stelle der Georgica (IV 21 9 ff.): xouxoic xoTc armeioic xeK)uaipö)ievoi
eiTTÖv xivec xaTc jueXicTcJaic Geiou xe iiiexeTvai Xöyou Kai dvanvoric
C. DIE LEHRE VON DER SEELENWANDERUNG. 17
aiGepiou.^) Geöv |Liev xdp biä toO öXou bir|Keiv, yf[C xe xai ttövtou xai
aiGe'poc" toO b' aiGe'poc dTT0(T7rd(T)LiaTa övta Tidvia Z^ujOTTOieTcrGai, touc
t' dvGpujTTOuc Ktti xd Gripia, Kai eic xoOxov öGevirep Kai fiKev Trdvxa
xd Ziuja öiaXuGevxa eiraveXGeiv, ^vGa dcTxpoic eYKpivö^eva ^aKaplou
aiuivoc dTToXaueaGai.
Daß diese Paraphrasen uns in die Sphäre der durch Pythagoreismus
und Piatonismus beeinflußten Stoa fahren, ist ohne weiteres klar (Belege
im Hermes 1. c. 3950"., für einige Ausdrücke im Kommentar ergänzt).
Es handelt sich für uns aber noch nicht um die Quellenfrage, sondern
zunächst nur um die Interpretation der Verse 740 — 51, die zu den
kontroversesten der Aeneis gehören und von mir jetzt richtiger behandelt
werden können als früher 1. c. 39 9 ff. ^)
Nachdem ausgeführt ist, daß jede Seele nach dem Tode Buße zu
zahlen hat für die Sünden des Lebens im Körper, wird so fortgefahren:
äliae pandimtur inanes 740
suspensae ad ventos, aliis sub gurgite vasto
mfectum eluitur scelus aut exuritur igni:
quisque suos patimur manis. exinde per amplum
■ mittimur Elysium et pauci laeta arva tenemus,
donec longa dies, perfecto iemporis orhe, 745
concretam exemit Idbem purumque relinquit
aetherium sensum atque aurai simpUcis ignem;
has omnis, uhi mille rotam volvere per annos,
Lethaeum ad fluvium deus evocat agmine magno,
scilicet immemores supera ut convexa revisant 750
rursus et incipiant in corpora velle reverti.
Die Portsetzung einer Läuterung im Elysium, die bei der über-
lieferten Eeihenfolge der Verse 744 ff. angenommen werden muß, erschien
so unerhört, daß bereits seit der Humanistenzeit Umstellungen vor-
genommen wurden (zuerst in der editio Paimensis vom J. 1475, die auch
Vm 654 falsch umgestellt hat), denen in der Neuzeit Annahme von
Dittographieen oder Literpolationen, Text- und Interpunktionsänderungen
hinzugefügt worden sind, Mittel, die teils zu gewaltsam teils sprachwidrig
sind. Eine genauere Betrachtung einzelner Sätze aus der Lehre von
der Seelenwanderung wird den Beweis erbringen, daß jede Korrektur der
Überlieferung eine Verschlechterung ist.
1) Für die Sache wird von Gerda angeführt Aristoteles de gen. anim. III 10.
761a 5 oö Y^P ^xovaiv (näml. die Wespen und Drohnen) ou6^v Oeiov, üjoirep
TÖ Y^voc Td)v iLieXiTTUJV. Wichtig ist noch, weil die Biene dort in Verbindung
mit der Seelenwandervmg gebracht wird, Plotinos enn. III 4 p. 284 ö rf\v tto-
XiTiKi^v dpexriv xripriaac, ävOpuJTTOC (sc. Yi^verai). 6 bi f\TTOv dperfic iroXiTiKfic
luex^X^v, TToXiTiKÖv ^Oüov, iLi^XiTTO f\ Tct ToiaöTO. Vcrgl. auch den Kommentar
zu 707 ff.
2) Wie ich sehe, waren schon G. Niemeyer, De locis quibusdam Aeneidis
(Leipzig 1872) 26 ff. und J. Le Grom, De VI Aeneidis libri natura et fontibus,
ZwoUe 1898 auf dem richtigen Weg; doch fehlte ihnen das Material, ihre
Auffassung zu beweisen. Auch E. Maaß, Orpheus (München 1895) 230 f. und
R. Hehn, Berl. phil. Wochenschr. 1901, 331 haben den wahren Sachverhalt
kurz bezeichnet, wäbrend E. Rohde, Psyche n* 165, 2 mit den anderen irrt.
Vkboil Buch VI. von Norden. 2
18 EINLEITUNG.
Das Eingehen der Seele in einen Leib ist nach der bei Empedokles,
Pindar und Piaton (d. h. also den Orphikern und Pythagoreem) vor-
liegenden Lehre ein Sündenfall, der freilich durch den bitteren Spruch
der Notwendigkeit erfolgt. Nach der Trennung vom Leibe muß die
Seele dafür büßen. Eine Ttepioboc von 1000 Jahren (abzüglich des
Verweilens im Körper) wird sie im Hades geläutert, dann wird sie ge-
zwungen, noch neunmal in andere Leiber einzugehen und nach jedem
leiblichen Tod wiederum 1000 Jahre sich der Läuterung zu unterziehen;
bei dem Eingang in die Leiber hat sie freie Wahl: wählt sie schlecht,
so kann sie eine Tier- oder Pflanzenseele werden. Erst wenn sie den
großen kükXoc von 10 000 Jahren gebüßt hat, ist sie frei und kehrt in
ihren Ursprung, d. h. den Äther, zu den Göttern zurück, erst dann ist
der ßapuTrevGfic kukXoc fevlaewc beendet.
Diese theologische Lehre ist, wie es scheint, von Anfang an (Rohde,
Psyche 11^ 165, 2) mit einem ethischen Element verbunden worden. Inner-
halb der durch das Eingehen in die Körperwelt erfolgten allgemeinen
Verschuldung aller Seelen sollte nämlich die Schuld einzelner Seelen
eine größere oder geringere sein können, und demgemäß sollten die-
jenigen Seelen, die sich von der Befleckung durch die Körperwelt mehr
als andere frei gehalten hatten, indem sie gegen die Affekte ankämpften,
durch Verkürzung der Läuterungszeit eines besseren Loses teilhaftig
werden können. Diese ethische Wendung der Lehre finden wir schon
bei Pindar und Piaton bezw. deren Quellen. In Einzelheiten weichen
sie von einander ab, teils weil sie nicht dieselben Quellen (theologische
Gedichte) benutzen, teils weil sie selbst mit dem, phantastischer Aus-
dichtung überaus fähigen Stoffe frei schalten, teils endlich weil der eine
diese, der andere jene für ihn nebensächliche Momente ausläßt. Die für
uns in betracht kommenden Züge sind die folgenden.
Durch das Hinabsinken zur Körperwelt verfallen die reinen, gött-
lichen Seelen der Sünde; aber der Grad der Ansteckung durch die
Körper ist verschieden. Es gibt (nach Piaton) vier Kategorieen: die
(relativ) Besten, die (relativ) Guten, die Mittelmäßigen, die Schlechtesten.
Nach dem Grad ihrer Schuld ist ihr Los nach dem körperlichen Tode
verschieden.-^) Die Besten sind nach der einen Fassung von jeder
Wanderung befreit und kehren nach dem Tode gleich zu den Sternen
zurück (Plat. Tim. 42 B), nach der anderen brauchen sie doch nur
einen Kreislauf von dreimal 1000 Jahren durchzumachen, um dann zu
ihrem reinen himmlischen Ursprung (Plat. Phaedr. 298 E Phaed. 114C)
oder, wie es auch mit Herübemahme der volkstümlichen Terminologie
heißt, zu der Insel (bezw. den Inseln) der Seligen (Pind. 0. 2, 75 ff.
Plat. Gorg. 523 B 524A) zurückzukehren. Die Schlechtesten sind un-
heilbar, sie werden im Tartarus ewig bestraft (Plat. Gorg. 525 C, Phaed.
1) Der älteste Zeuge für diese Relativität des Strafmaßes ist Heraklit,
dessen Psychologie, wie Diels in den Anmerkungen seines 'Herakleitos von
Ephesos' (Berlin 1901) gelehrt hat, aufs stärkste von derjenigen der Orphiker
beeinflußt ist. Vergl. besonders fr. 25 (Diels) luöpoi fäp jui^Sovec; yLiZovac; ixoipac,
XaTx<ivouai (dies Fragment hat E. Rohde 1. c. 150, 2 bei seiner Darstellung der
Eschatologie Heraklits nicht berücksichtigt und sie daher falsch beurteilt) und
die Anm. zu fr. 63.
D. DIE QUELLENTRAGE. 19
113 E, Rep. X 615 DE, vergl. Piadar 1. c. 74). Die Guten und die Mittel-
mäßigen haben das Gemeinsame, daß ihnen die Rückkehr an den Ort
ihres Ursprungs erst nach einem Kreislauf von zehnmal 1000 Jahren
zuteil wird, unterscheiden sich aber durch den Ort, an dem sie nach
ihrem jedesmaligen körperlichen Tod bis zum Wiedereintritt in neue
Körper verweilen: die Mittelmäßigen kommen jedesmal an den Ort der
unterirdischen Strafen, die Guten nach Piaton an einen bestimmten Ort
des Himmels, wo sie in seliger Ruhe verweilen (Phaedr. 249 A, Rep.
614C— 615A), nach Pindar in das Elysium (1. c. 67 — 74). Vor der
jedesmaligen Rückkehr in einen neuen Leib trinkt die Seele den Trunk
der Vergessenheit (Plat. Rep, 621 A).
Zu diesen Darstellungen Pindars und Piatons kommt als dritte, mit
Abweichungen in Einzelheiten, aber durchaus auf gleicher Grundlage, die-
jenige Vergils bezw. seiner Quelle. Nach seiner Darstellung wird 1. an
den irdischen Seelen nach ihrem Austritt aus dem Körper eine Läuterung
durch eins der Elemente Wind, Wasser oder Feuer, je nach dem Grad
ihrer Schuld, vollzogen (740 — 43). Dieser Läuterungsprozeß wird von
Pindar und Piaton nicht erwähnt, aber er paßt in das System und ist,
wie wir nachher sehen werden, in anderen Quellen nachweisbar. 2. Nach
dieser Läuterung durch eins der Elemente werden die Seelen durch das
Elysium gesandt (743 f. exinde per amplum mittimur Elysitm), wo eine
Sonderung stattfindet, a) Wenige (die Besten) bleiben dauernd im Elysium
und erlangen hier im Kreislauf des großen Weltjahrs (= 10 000 Erden-
jahre) die ursprüngliche volle Reinheit wieder (744 — 47). b) Die meisten
Seelen bleiben in einem an das Elysium angrenzenden Talkessel (vergl.
679), wo sie in der am Elysium vorbeifließenden Lethe (705) Vergessenheit
trinken, um dann nach 1000 Jahren in einen neuen Leib als Wohnung
zurückzukehren (748 — 50, vergl. 713 — 15)^).
Jetzt wissen wir, daß das Bedenken, das die meisten Interpreten
(und früher mich selbst) an der Richtigkeit der überlieferten Reihenfolge
der Verse zweifeln ließ, unbegmndet ist: der Aufenthalt von Seelen im
Elysium zum Zweck ihrer Läuterung ist nichts Ungehöriges, sondern, wie
wir sahen, läßt auch Pindar Seelen zu dem gleichen Zweck im Elysium,
Piaton in einem entsprechenden Teil des Himmels verweilen. Ein weiterer
Beleg für diese Vorstellung wird später hinzugefügt werden.
D. Die Quellenfrage.
Da wir die unmittelbar von Vergil benutzte theologische Literatur
gar nicht oder nur ganz fragmentarisch besitzen, und mithin im wesent-
lichen auf ihre mehr oder weniger deutlichen Reflexe bei späteren Autoren
1) Wir werden weiter unten (D 2, 1) sehen, daß diesen phantastischen Vor-
stellungen ein ganz bestimmter Glaube zugrunde liegt: die erste Station der
Seelen nach ihrem Austritt aus dem Körper ist die sublunare Atmosphäre, in
der die Elemente regieren; sind die Seelen durch eines dieser für die be-
gangenen Sünden gestraft, so steigen sie zur zweiten Station empor, der Mond-
region, und zwar kommen die besten auf den Mond selbst (= Elysium), von wo
sie nach 10 000 Jahren in den Äther, ihre Heimat, zurückkehren, während die
anderen in der feinsten atmosphärischen Luft unter dem Monde (= Talkessel
am Elysium) 1000 Jahre verweilen, um dann in neue Körper zurückzukehren.
2*
20 EINLEITUNG.
angewiesen sind, so ist die Wahrscheinlichkeit, hier zu sicheren Resultaten
zu gelangen, von vornherein gering. Ich stelle daher die folgende Unter-
suchung weniger in der Absicht an, die Quellenfrage zu beantworten,
als in der Hoffnung, eine Anzahl dunkler Stellen des VI. Buches erklären
und dadurch zugleich wenigstens die Sphäre zeigen zu können, innerhalb
derer die Vorlagen Vergils zu suchen sind.
1. Prosaische oder poetische Quelle?
Es fragt sich zunächst: war es eine prosaische oder poetische
Eschatologie, die Vergil benutzte? Beide Ansichten haben ihre Vertreter
gefunden. An Poseidonios dachte zuerst A. Schmekel (Philos. d. mittl.
Stoa, Berlin 1892, 451), ihm folgend E. Agahd (Varronis antiqu. rer. div.,
Leipzig 1898, 111). Sie argumentieren dabei etwa so. Zu 703, dem
Verse, mit welchem der Abschnitt über die Seelenwanderung beginnt,
bemerkt Servius: Mrmos est hoc loco, id est unus sensus protentus per
multos versus (nämlich bis 751), in quo tractat de Piatonis dogmate, quod
in Phaedone positum est rrepi ipuxfic, de qux) in georgicis (IV 219 — 27)
strictim, liic latius loquitur. de qua re etiam Varro in primo divi-
narum plenissime tractavit. Der Name Varros erscheint im Kom-
mentar dieser Partie bei Servius noch zu 733 {hinc metuunt cupiuntque
dolent gaudentque) : Varro et omnes philosophi dicwnt quattuor esse pas-
siones. Besonders auf Grund des ersten dieser beiden Zitate hat Schmekel
1. c. 104 ff. und schon in seiner Diss. de Ovidiana Pythagoreae doctrinae
adumbratione (Greifswald 1885) 26ff. bewiesen, daß Varro im ersten
Buch seiner divinae ausführlich über das Wesen der Seele und ihre
Schicksale nach der Trennung vom Körper gehandelt hat und daß er
darin dem Poseidonios gefolgt ist. An Schmekel hat sich, mit Be-
richtigungen im einzelnen, Agahd 1. c. 106 ff angeschlossen. Es darf
danach als sicher gelten, daß die von Vergil 724 — 51 vorgetragene
Lehre von der Seelenwanderung auf derselben Argumentation beruht, deren
sich auch Varro bedient hat: die reine Seele, ein Teil des die Welt
durchdringenden feui-igen Hauchs, wird durch die Berührung mit der
Körperwelt von deren Affekten befleckt und muß auf ihrer Wanderung
Läuterungsprozesse durchmachen, bis sie endlich als reines Ätherwesen
wieder zu ihrem Ursprung zurückkehrt. Hieraus schlössen Schmekel imd
Agahd, daß Poseidonios wie Varros so auch Vergils Gewährsmann gewesen sei;
ihnen stimmte bei E. Badstübner, Beitr. zur Erkl. u. Krit. d. philos. Schriften
Senecas (Progr. des Johanneums, Hamburg 1901) 4; auch P. Deuticke 1. c.
(o. S. 14) 256 vermutete „Benutzung eines jüngeren Philosophen".
Dieser Argumentation schließe ich mich an, aber mit einer gewissen
Modifikation. Tatsache ist nämlich, daß die Lehre von der Seelen-
wanderung ein beliebter Stoff auch der Poesie war. Es hat ein altes
orphisch-pythagoreisches Gedicht (saec. VI) gegeben, in dem die Eschato-
logie mit Einschluß der Seelenwanderungslehre behandelt war; wir kennen
es aus der Benutzung des Pindar (Ol. 2 und den Fragmenten des Threnos)
und Empedokles (115 Diels), sowie aus den platonischen Mythen.-^)
1) Ob in dem alten, auf Epicharms Namen gesetzten Lehrgedicht (Comicor.
graec. fragm. ed. Kaibel p. 134 tf.) gerade auch die Wanderung der Seelen ge-
D. DIE QÜELLENFRAGE. 21
Bruchstücke eines stofflich nahverwandten Gedichts sind auf den drei
Goldtäfelchen von Thurii und Petelia (saec. IV/III) zum Vorschein ge-
kommen. Die orphische KOtraßaCTic, die von Yergil, wie ich im Kommentar
(s. 0. S. 5, 2) glaube bewiesen zu haben, benutzt worden ist, handelte, wie
die Fragmente lehren, eingehend von diesen Dingen, ebenso andere,
wahrscheinlich jüngere orphische Gedichte (fr. 222ff. Abel, imd Kroll,
Rh. Mus. LH 1897, 340).^) Von lateinischen Dichtem wurde der Stoff
früh übernommen, schon von Ennius im Eingang der Annalen^); Lucrez
bekämpft die Lehre, Ovid vertritt sie und Vergü selbst hat schon in den
Georgica ihre Hauptpunkte kurz zusammengefaßt (IV 21 9 ff.). Auf Grund
dieser Tatsachen haben Dieterich (Nekyia 158) und gleichzeitig ich selbst
(Hermes XXVHI 405) für Vergil eine poetische Vorlage annehmen zu
müssen geglaubt.^) In dieser Annahme wurde ich bestärkt, als ich auf
griechische Verse nachchristlicher Zeit aufmerksam wurde, die sachlich
mit Vergü sich auffällig berühren. Aeneas fragt seinen Vater nach dem
Schicksal der Seelen (719ff.), worauf An chises ihm antwortet (724—51).
Damit vergleiche man im Orakel des didymaeischen ApoUon, das Lactantius
div. inst. VH 13 und der Verfasser der von Buresch (Klaros 106) edierten
Theosophie wahrscheinlich aus Porphyrios^) überliefert haben: OTi ttuGo-
liievou Tivöc TÖv 'AiTÖXXuuva, iroTepov )nevei fi ipuxr) juexa öctvarov f^
biaXueiai, äneKpiQr] outujc, worauf sechs Hexameter folgen, die sich
in dem allgemeinen Gedanken (Leiden der Seelen im Körper und endliehe
Rückkehr in den Äther) wie in einzelnen Ausdrücken mit den Versen
Vergils berühren (vergl. v. 1 f. H^uxri, M^XPi M^v ou be(T|HoTc TTpöc auj|Lia
KpateiTai, cpGapTÖv eoöa'dTraöric, xaic Toöb' d\Tr|öö(Jiv ekeimit 730ff.).^)
Auch der Gedanke, mit dem Vergil seine Darstellung der Metempsychose
eröffnet, von dem die ganze Welt, Sonne, Mond und Erde schaffenden
und beseelenden Feuergeist hat seine Analogie in einem (christianisierten)
Orakel der genannten Theosophie (S. 98 u. 101), das beginnt mit dem
ewigen lebenschaffenden Feuer, das alles wachsen läßt und Sterne, Mond
und Sonne erleuchtet, ganz wie Vergil 724 ff. Fragmente der sogenannten
chaldäischen Orakel, deren Zeit Kroll (Breslauer philologische Abhand-
lungen Vn 1894, 71) in den Anfang des HI. Jahrh. p. Chr. setzt, be-
lehrt wurde, steht nicht fest; jedenfalls wurde das Schicksal der Seelen aus-
führlich dargelegt.
1) Die hypothetische Kaxdßaöic unter Pythagoras' Namen (Rohde, Rh. Mus.
XXVI 557, 1) ist nach Diels' Ausführungen Arch. f Gesch. d. Philcs. HI 469
fernzuhalten.
2) Das ennianische Prooemium, d. h. das was wir über dessen ungefähren
Inhalt wissen, hat Vahlen praef p. XXI f. mit dem vergilischen Xöyoc irepl H'^x^ic
verglichen; eine Abhängigkeit Vergils von Ennius, die C. Pascal, Commentationes
Virgilianae, Mailand 1900 behauptet, ist unerweislich: es ist vielmehr das
gleiche griechische ydvoc, dem beide folgten. Vergl. auch R. Helm, 1. c.
(o. S. 17, 2) 330.
3) Wenn ich dort als Argument for eine poetische Quelle den alexan-
drinischen Katalog der öua^purrec (440 ff.) verwertete, so nehme ich das jetzt
auf Grund der obigen Ausführungen (S. 14 f) zurück.
4) Vergl. G. Wolff, Porphyrii de philos. ex oraculis haurienda librorum
reliquiae (Berlin 1856) 177 f
5) Vergl. hiermit auch den Anfang von Ciceros Urania, den er selbst de
div. I 17 mitteilt.
22 EINLEITUNG.
rühren sich ebenfalls mit Vergil (Feuergeist, Befleckung der Seele,
Belohnung oder Strafe im Jenseits, Seelenwanderung); Ki-oll selbst (1. c.
67, 2) hat sie m. E. treffend mit unsem Vergilversen verglichen. Diese
und ähnliche^) pythagoreisch-orphische Offenbarungspoesie ^) später Zeit
ist ein letztes Glied einer langen Kette, in die wir Vergils Verse ein-
zugliedern haben.
Aus Vorstehendem ergibt sich, daß für den tÖttoc Trepi MJUXnc keines
der beiden Ycvri, Poesie und Prosa, ausschließlich gültig war, sondern
daß diu-ch Piatons Autorität neben die ältere poetische Behandlung dieses
Stoffes die prosaische trat, freüich eine Prosa von der erhabenen Art,
wie sie die der transzendentalen platonischen Mythen war, die ihren
Zusammenhang mit der Poesie auch bei den Nachahmern nie verleugnet
hat. Hiernach ist die Quellenfrage vermutlich etwa so zu beantworten:
Vergil hat eine apokalyptische Schrift des Poseidonios ^) zugrunde gelegt
und sie in dem konventionellen Stil der ihm bekannten (wahrscheinlich
auch von Poseidonios selbst benutzten) transzendenten Offenbarungspoesie
bearbeitet. Diese Annahme findet eine Bestätigung in der gewöhnlich
von ihm befolgten Praxis. So nahm er den Stoff der technischen
Partieen der Georgica aus prosaischen Fachschriftsteilem, für die poetische
Formgebung waren Nikanders Georgica und Lucrez maßgebend. Viele
Gründungslegenden der Aeneis stammen dem Material nach aus Varro,
lehnen sich in der Form an die poetische KTiCTeic- Literatur helleni-
stischer Zeit an. Analog denke ich mir also den Hergang auch im
vorliegenden Fall. Doch liegt mir, wie gesagt, weniger an der Ent-
scheidung dieser prinzipiellen Frage als daran, Poseidonios, d. h. die mit
Wahrscheinlichkeit auf ihn zurückzuführenden Autoren, für die Inter-
pretation dunkler Stellen des VI. Buches auszunutzen.
1) Bei Philostratos vit. Apoll. VIII 31 erscheint der tote Apollonios und hält
einen Xö^oc irepl M;uxfic in Versen, wie bei Vergil Anchises.— Lukian, Alex. 25
dpo|Li^vou Tivöc t( irpciTTei iv äbou 6 '€iT{KOupoc, äcpY] ktX. (folgt ein ditn. iamb.
acat. -f- catal.). — Auf die Übereinstimmung eines Ausdrucks in der über die
Schicksale der Seele philosophierenden griechischen Grabschrift 594 (nach Kaibel
kaum älter als s. IV p. Chr.) mit Vergil macht Rohde, Psyche 11^ 386, 3 auf-
merksam. — Porphyrios vit. Plotini 22 überliefert ein Orakel über das Schicksal
der Seele Plotins, wiederum mit bemerkenswerten Anklängen an Vergil (vergl.
besonders den Gedanken des Orakels: 'Plotins Seele, obwohl begraben im ofnxa
des Körpers, sah durch die Umhüllung hindurch' mit den Worten Vergils 733 f.
neque auras | dispiciunt (sc. animae) clausae tenebris et carcere caeco). — Pseudo-
pythagoreisches irepl HJUxric in Versen wird bei Diog. L. VIII 7 erwähnt, und
eine dunkle Kunde solcher Poesie drang zu dem späten Verfasser der sog.
Xpoöä Itzy] V. 70 f (ed. Nauck hinter lamblich. de vit. Pyth. p. 207). — Stobaeus
ecl. I 49, 46 überliefert ein Orakel von sechs Hexametern irepl ttic tOüv v|juxu)v
öiOTiUTnc luera xi'iv äirö toO oib^xaroc äiobov.
2) Als solche bezeichnen Vergil und Ovid die ihrige : V. 723 ordine singula
pandit (pandere typisch für das spätere revelare, vergl. in unserem Buch 267
pandere res alta terra et cdligine mersas, femer HI 179. 252. 479), Ovid XV 145
augustae reseräbo oracula mentis. Auch eins der unteritalischen Goldblättchen
kleidet seine eschatologische Weisheit in Orakelform (IGSi 642, vergl. den
Anfang äW öirörav).
3) Möglicherweise einen Xötoc TTpoxpeTTTiKÖc, der mit einer Apokalypse
schloß: s. unten S. 35, 3. 48.
D. DIE QUELLENFRAGE (POSEIDONIOS). 23
2. Interpretation einzelner Stellen auf Grund eschatologischer
Vorstellungen besonders des Poseidonios.
1.
Der Aufenthaltsort der zur Rückkehr in die Körperwelt sich vor-
bereitenden Seelen wird 887 aeris campt genannt. Kein neuerer Inter-
pret hat den Ausdruck gedeutet, aber die alten waren auf dem rechten
Wege. Servius: locutus est secundum eos qui putant Elysium lunarem
esse circulum (ähnlich derselbe schon zu V 735), Ps. Probus p. 12 Keil:
quibusdam videtur, aera qui et summa montium et ima terrarum saepius
lateat, reliquA) qui desuper incubat esse öbtusiorem atque ita vicem in-
fernorum obtinere. hoc adnotasse Vergilium aiunt in VI Uota passim
regione vagantur aeris in campis atque onmia lustrant/ ut post mortem
soluto corpore . . . animue ultimo aeri ut puriori transmittantur. Die
Vorstellung vom Mond als dem Aufenthaltsort der Seelen nach dem Tode
gehört zu den 'Völkergedanken', die in den verschiedensten Kultur-
kreisen durch spontane Entstehung nachgewiesen sind. In griechischem
Glauben ist er so alt wie die Identifikation der Mondgöttin Hekate
mit Hekate als Königin der Geister und des Hades, die schon im Demeter-
hynmus vollzogen ist.^) Aus dem Volksglauben übernahm die Vorstellung
wie so vieles die orphisch-pythagoreische Theologie, aus der sie über
Piatons Schule und die pythagoreisierende Stoa zu den Neuplatonikem
kam; so erklärt es sich, daß, wie so oft, die meisten äußeren Zeugnisse
für einen hochaltertümlichen Glauben uns erst verhältnismäßig spät, auf
der Peripherie der griechischen Philosophie, begegnen.^) Ein Haupt-
vermittler zwischen jenen alten GeoXÖTOi (bis einschließlich Piaton und
Xenokrates) und denen des späten Altertums ist Poseidonios gewesen,
dessen Bedeutung auch als Religionsphilosophen man nicht hoch genug
wird schätzen können; denn obgleich er auf diesem Gebiet kein eigentlich
selbständiger Forscher war, so machte ihn doch gerade seine eklektische
Richtung, die aus pythagoreischen, platonischen und stoischen Elementen
ein neues Ganze schuf, für eine Vermittlerrolle besonders geeignet. So
läßt sich auch hier aus ihm die Scholiastenerklärung von Vergils aeris
campi rechtfertigen.
Plutarch führt in einem seiner eschatologischen Mythen folgendes
aus (de facie in orbe lunae 28, 943 C — 945 D).^) Jede Seele, die un-
vernünftige wie die vernünftige, muß nach dem Tode des Körpers längere
oder kürzere Zeit im Hades, d. h. der Sphäre zwischen Erde und Mond,
umherirren. Die ungerechten und ausschweifenden Seelen büßen dort für
1) Unrichtig also Rohde, Psyche II* 122, 2 „Die Emporhebung des Seelen-
reiches in das Luftmeer ist unter Griechen überall Ergebnis verhältnismäßig
später, sehr nachträglich erst angestellter Spekulation". Richtiger Dieterich
1. c. 24, 1.
2) Das meiste Material bei Röscher, Selene (Leipzig 1890) 90 f 122, sowie
in den Nachträgen dazu, Progr. Würzen 1895; auch Fr. Cumont 1. c. (o. S. 6, 5).
Vergl. schon Wyttenbach in den adnot. zu Boissonades Eunapios (Amsterdam 1822)
p. 117. Eine Hauptstelle noch: Hermes trismeg. bei Stob. ecl. phys. I 41, 68.
3) Ich exzerpiere nur das für den vorliegenden Zweck Nötige, lasse vor
allem das von Plutarch hinzugefügte spezifisch Neuplatonische fort. Eine genaue
Analyse gibt R. Heinze, Xenokrates (Leipzig 1892) 123 ff.
24 EINLEITUNG.
ihre Freveltaten, aber auch „die guten müssen, um die ihnen vom Körper
wie einer schlechten Dunsthülle anhaftenden Miasmen durch Reinigung
zu entfernen, im mildesten Teil der Luffc, die man Hadeswiesen nennt
(tö TTpaöraiov toö depoc 8v \ei)nüjvac abou KaXoOm),^) eine be-
stimmte Zeit verweilen", um dann in das Elysium, d. h. den Mond, zu
gelangen. Von hier zieht es einige wieder in neue Geburten herab,
andere steigen von hier zur Sonne empor. Diese Eschatologie ist für
uns in zweifacher Hinsicht wichtig. Zunächst rechtfertigt sie die antike
Erklärung der aeris campi: es ist, mythologisch gesprochen, ein im
Hintergrund des Elysiums befindlicher Hain (vergl. 679 penitus convaUe^)
virenti inclusas animas, 703 f. in volle reducta seclusum nevmis), kosmisch
gesprochen die oberste Grenze der atmosphärischen Luftschicht unter dem
Monde^) oder, um es mit den Worten des Poseidonios (bei Sext. Emp.
IX 71 f.) auszudrücken: ai i|juxai rruptjubeic oöaai ...TÖvuiTÖaeXriVTiv
oiKoOai TÖTTOV ev9dbe te biä xfiv eiXiKpiveiav toO depoc TrXeiova
Trpöc bmiiiovfiv Xajußdvouai xpovov. Zweitens haben wir in dieser
Eschatologie die Vorstellung, die wir oben (S. 19) in Pindars und
Piatons Eschatologieen nicht ausgesprochen fanden, aber für das System
postulieren mußten, daß nach dem Austritt aus dem Körper zunächst
alle Seelen, ob gut oder schlecht, einer Läuterung von den Schlacken
unterzogen werden, die ihnen allen durch das Zusammenwohnen mit dem
Körper anhaften (739 f ergo exercentur poenis veterumque malorum | sup-
plicia expendunt '^'Plnt 943 C Tidaav vjjuxr|v, dvouv xe Kai (Tuv viu,
ovj\xaToc eKTTcaoOaav ei|Liap|uevov eaxiv ev xlu inexalu ^y\q Kai aeXr|vric
Xujpiuj TTXavr|0fivai).
Nun steht fest, daß Plutarch die Grundvorstellung dieser Eschatologie
aus Poseidonios hat*), der sich seinerseits in Einzelheiten an Xenokrates
angeschlossen zu haben scheint (vergl. Heinze 1. c. 123 ff. mit meiner
Bemerkung im Hermes XXVUI 1893, 398, 1). Dieselbe Lehre hat aus
Poseidonios Cicero übernommen (vergl. P. Corssen, De Posidonio etc. 45 ff.)
Tusc. I 42 f. necesse est ferantw ad caehim (sc. animae) et ab iis perrum-
patur et dividatur crassus hie et concretus aer qui est terrae proximus . . .,
1) Dies im Gegensatz zu der dicken Luft der irdischen Atmosphäre: Comutus
de nat. deor. 5 (p. 4 Lang) 6 ä6r]c döxiv 6 Traxunep^öxaxoc koI irpoö-
Yeiöxaxoc äripoo Cicero-Poseidonios an der gleich anzuführenden Stelle: crassus
Jiic et concretus aer qui est terrae proximus.
2) Vergl. die KOiXuüjuaxa öeXrivric, derer größtes '€KdiTric luuxöc hieß, bei
Plutarch 944 C, sowie die jnuxol Kai ßö9poi koI ävrpa des Pherekydes von Syros
bei Porphyr, de antr. Nymph. 31 (vergl. 29).
3) Wohl mit gelehrter Anspielung sagt Silius XIII 557 (in der Nachbildung
der vergilischen Nekyia) von der Pforte des Elysiums: admoto splendet ceu
sidere lunae. Vergl. für die Vorstellung aus späterer Zeit etwa noch Porphyrios
bei Stob. ecl. I 14, 61 aivirröiuevoc (nämlich Homer) öti toic xOjv euaeßOüc ße-
ßiuuKÖTiuv ipuxaTc |Liexä xi'iv reXeuTi^v oiKeiöc ^öxi töttoc ö irepl rriv oeXriviiv,
iLiTreöriXuuaev ei-rruüv "äWct o' ^c 'HXOoiov irebiov . . . äedvaroi ir^iuvpouGi" (6 563 f.),
'HXuaiov |Li^v Trebiov eiKÖxiuc Trpoöenribv xiqv rx\c aeXrjvTic ^iti-
cpöveiav ktX.
4) Dies mit Rohde 1. c. 324, 1 zu bezweifeln sehe ich keinen Grund; ein
bestimmtes Argument für seine Skepsis hat Rohde selbst nicht anzuführen
vermocht. Jetzt hat K. Praechter, Hierokles der Stoiker (Leipzig 1901) 109 ff.
die Benutzung des Poseidonios auch für andere Teüe der plutarchischen Schrift
D. DIE QUELLENFRAGE (POSEmONIOS.) 25
m quo nubes, imbres ventique coguntur . . .; quam regionem cum superavit
animus naturamque sui similem contigit et adgnovit, iundis ex anima
tenui et ex ardore sölis temperato ignibus msistit; mit letzteren Worten
wird meteorologisch genau das confinium zwischen irdischer Atmosphäre
und himmlischem Äther, d. h. die Mondregion, bezeichnet (Diels, Eh ein.
Mus. XXXrV 1879, 488f.).i) Femer Seneca (vergL Heinze 1. c. 127) cons.
ad Marc. 25, integer üle (sc. animus) nihilque in terris relinquens fugit
et totus excessit paulumque supra nos commoratus dum expurgatur et
inhaerentia vitia situmque omnem mortalis aevi excutit, deinde ad excelsa
suhlatus inter felices currit animas.
Dieselbe Vorstellung findet sich in einem orphischen Gedicht,
das wahrscheinlich von Poseidonios benutzt wurde, vielleicht der Kaxd-
ßa(Tic, zitiert von Proklos zu Plat. Eep. vol. 11 340 Kroll (= fr. 154 Abel):
o'i |uev k' euaTeuKTiv ijtt' autac ^eXioio,
auTic dTToqp6i|Lievoi luaXaKiwrepov oTtov ^xo^criv
Iv KaXuJ XeimJJvi ßaGOppov d|U(p' 'Axepovra.
Da nun in diesem Gedicht der Acheron dr|p, der Acherusische See eine
Xi|avTi depia genannt war (fr. 155 f.), so haben wir hier eine genaue
Entsprechung zu Vergils aeris campi als Aufenthaltsort der Seelen.^)
Es ist von Interesse, das Fortleben dieser Vorstellungen im Christen-
tum zu verfolgen.
a) Zunächst darf als feststehend betrachtet werden die Tatsache,
daß der Begriff einer Läuterung der Seelen nach dem Tode vor ihrer
Rückkehr zu Gott, kurz gesagt der Begriff des Purgatoriums, der christ-
lichen Lehre ursprünglich durchaus gefehlt hat: die Schriften des neuen
Testaments wissen nichts davon, ebensowenig die des alten. ^) Die ersten,
die den Begriff haben, sind Origenes (wir werden die Zeugnisse aus ihm
gleich kennen lernen) und der Verfasser der griechischen Pistis Sophia.*)
1) Cicero fährt gleich darauf (45) so fort: praecipu^ vero fruentur ea (der
Erkenntnis des Übersinnlichen nach dem Tode), qui tum etiam cum hos terras
incolentes circumfusi erant caligine, tamen acte mentis dispicere cupiebant,
ein Gledanke, der, wie das Vorhergehende, ebenfalls aus Poseidonios stammt
(Schmekel 1. c. [o. S. 20] 132 ff.). Vergil sagt von den Seelen im allgemeinen
733f. neque auras dispieiunt clau^ae tenebris. Beide übersetzen 6u6eiv.
Denselben Gedanken drückt Cicero im somn. Scip. 29, ebenfalls nach Posei-
donios, so aus : animus velocius in hane sedem pervolabit . . ., si iam tum cum
erit inclusus in corpore, eminebit foras: hier übersetzt er IHuu Trpojanrreiv.
2) Formell besonders ähnlich noch Plutarch, Amatorius 20, 766B die Xei-
|uu)V€c CeXT]vric, auf denen die Seelen bis zu ihrer Wiedergeburt schlafen.
3) Diese Tatsache wird nicht bloß von der protestantischen Kirche anerkannt,
sondern auch von der griechisch-katholischen: ouöe|Liia Tpa^P^ öiaXaiußdvei irepi
aÖToO (sc. Toö TTupöc ToO KaeapTiKoö), vä eüpiöKerai briXabi^ köv |uiia irpöcKaipoc
KÖXaoic KoGapTiKri tOüv vyuxtJuv üOT^pa duö töv Oavarov heißt es in der Haupt-
schrift dieser Kirche, der Confessio orthodoxa (verf. s. XVH), 1 46 (das Citat nach
W. Gass, Symbolik der griechischen Kirche, Berlin 1872, 340). — Vergl. auch
Anrieh 1. c. (o. S. 7, 3) 94, 4 188f ; Dieterich 1. c. 186. 201 (wo unsere Verse
richtig beurteilt werden); Maaß, Orpheus (München 1895) 231 f. Der Einwand
Rohdes, Kl. Schriften 11 308 f., Maaß habe die Vorstellung eines Fegefeuers
nicht als 'orphisch' erwiesen, kann höchstens die Bezeichnung als solche treffen:
alttheologische griechische Lehre ist es sicher.
4) Pag. 380 ff. Bevor die Seele ins Pleroma eintritt oder ins Leben zurück-
kehrt, wird sie geführt ad aquam quae est infra a9aipav, ut fumus (bez. ignis)
26 EINLEITUNG.
Diese Namen sagen genug: der in den Kreisen platonisierender Hellenen
geläufige Begriff ist von der platonisierenden christlichen Theologie über-
nommen worden. Dann^) kennt ihn Augustinus de civ. dei XXI 13;
bezeichnend ist, daß er ihn dort im Anschluß an unsere Vergilverse
(VI 733 — 742) erörtert, die er als 'platonisch' bezeichnet.
b) Wir haben soeben festgestellt, daß nach der konsequenten Lehre
griechischer Theologen, der Vergil folgte, jede Seele, ob gut oder schlecht,
nach dem Tode des Körpers einen Läuterungsprozeß durchzumachen hat,
mittels dessen ihr die durch den Kontakt mit dem Körper inhärierenden
Flecken entfernt werden, und daß nur der Grad der Läuterung je nach
dem Grade der Befleckung ein verschiedener ist. Diese Lehre finden
wir dann wieder in dem gnostischen System, das der Verfasser des
zweiten Buches Jeu darlegt (1. c. [S. 9] 403 ff.): die Sündhaftigkeit aller
Menschen bedingt eine Bestrafung aller Seelen nach dem Tode. Dieses
gnostische System kennt auch die Seelenwanderung und den Lethestrom:
ein direkter Zusammenhang mit hellenischer Eschatologie ist also un-
abweisbar. Daher ist auch nicht zu verwundern, daß Origenes dieselbe
Lehre vertritt^), hom. in Numeros 25 (vol. 11 p. 369 Delarue): e'crojaai
)Liev inaKotpioc biet tö KaTaTrarficrai töv koköv bai)Liova" dKdGapTOC b'
lUV Ktti |Lie|aiacr)Lievoc, bid tö dirö toö dkaGdprou |Liiaa)ia KaGdpcTeuuc
beo|Liai. Kai bid toöto kqi f] TPtt<pi1 "fic Tdp, cprjCTi, KaGapöc ecTxai
ttTTÖ puTTOu (Hiob 14, 4)"; TtdvTec dpa KaGdpcreuuc beö|ue8a, ludXXov be
KaGdpaeujv TroXXai ydp fnndc juevoucTi Kai bidqpopoi KaGdpcreic. dXXd
TOI |Liu(TTiKd TauTa f' et^Ti Kai d7TÖppr|Ta. Tic ydp dv r]\xiv dirocpai-
voi, ÖTTOiai KaGdpcreic eicTiv aic KaGaipovTai TTaOXoc f| TTcTpoc f|
dXXoi TOiouTOi, Ol Tivec irap' oXov töv ßiov dGXr|CTavTec TOcrauTa |Liev
iGvri ßapßapiKd KaTeTroXe)LiTi<^«v, toctoutouc b' dvTiirdXouc KaTCTrdXai-
(Jav; ktX. Derselbe hom. 3 in psalm. 36 (ibid. p. 663): TrdvTUUC fi)iiäc
liievei TÖ TTup TÖ ToTc d|LiapTuuXoTc KaTecTKeuaaiuevov Kai fiHo|Liev eic tö
TTup 8 "iKOLürox) tö ^pyov ottoTöv edTi boKijudcrei (Paul. ad. Cor. I 3, 13)".
Kai ujc eTLU|nai irdvTac eic tö rrOp fiKeiv bei. KaiTtep fdp oiv Tic
ibc TTaOXoc f| TTe'Tpoc, öpnuc eic tö uOp fiHei. dXX' outoi |Liev
TOioÖToi Tivec ficTav tc Kai ujvoiadJÜovTO , irepi a)v x] TPa^P^I "Kai edv,
(pricri, bieXGrjc bid rrupöc, ou |iifi KaTOKauGfic (Jesaias 43, 2)". iäv be
TIC d|uapTU)Xöc u)v Tuxr], ottoToc ctiu, fiEei iiiev Kai outoc eic tö itöp
ibc TTeTpoc Kai TTaOXoc, dXX' ou biri^ei iLc TTeTpoc Kai TTaOXoc. Diese
Vorstellung blieb dann die übliche. In der Eschatologie des zweiten
ehulliens comedat intus in eam, usgue dum KaBapiart eam valde (Zitat bei
Anrieh 1. c).
1) Ein paar Belege aus griechischen Vätern vom IV. Jahrh. an bei V. Loch,
Das Dogma der griech. Kirche vom Purgatorium (Regensburg 1842) 8fiF. ; doch
sind die wenigsten beweiskräftig: der Verfasser bemüht sich vergeblich, das
Purgatorium auch für die griechisch-katholische Kirche zu erweisen, der es
vielmehr schon in alter Zeit gerade durch seine Aufnahme in die origenistische
Häresie verdächtig geworden war, um dann später, wie bemerkt, ganz auf-
gegeben zu werden.
2) Die folgenden zwei Origeneszitate fand ich bei R. Hofmann in seinem
Artikel 'Fegefeuer' (Realencycl. f. prot. Theol. V* Leipzig 1898). Beide nur
in der lateinischen Übersetzung erhaltene Stellen habe ich ins Griechische
zurückübersetzt.
D. DIE QUELLENFRAGE (POSEIDONIOS).' 27
Sibyllinenbuchs (252 f.) heißt es: Kai töt€ bfj 7rdvT€C bia baiO)ievou
7TOTa)iOio I Ktti qpXoTÖc daßecTiou bieXeucTovG'' oi re bkaioi | irdviec
auuGriaovT', dcreßeic b' em toTctiv oXoövxai, und nachdem die Klassen
der Verdammten aufgezählt sind, wird von den Guten gesagt: tovjc b'
dXXouc, ÖTTÖcToic Te bxKX] KttXd t' epT« )Lie')iil^€, | ccttc^oi aip6|Lievoi
bid baio|Lievou TroraiiioTo | ec qpdoc dHoucTiv xai ec Jluufiv d|Liepi|avov.
Lactantius div. inst. VII 21, 4 sed et iustos cum iudicaverit, etiam igni
eos examinahit.^)
c) Auch die alte Vorstellung, daß die Lage des Purgatoriums in
der Atmosphäre zu suchen sei, ist vom Christentum übernommen worden
und bis tief ins Mittelalter hinein geläufig geblieben. In einer gnostisch
gefärbten griechischen Schrift etwa des II./III. Jahrh. n. Chr., die ims
aethiopisch erhalten ist, der sogenannten Ascensio Jesaiae 1. c. (o. S. 9)
c. 7 p. 29 schwebt Jesajas mit dem ihn führenden Engel zum Firmament,
an dessen Grenze die Hölle liegt — die dort weilenden Dämonen werden
angeli aeris genannt (c. 10 p. 53) — und erst als sie über das Firmament
emporschweben, gelangen sie in den Himmel. In der Vision des Iren
Furseus saec. VH 1. c. (o. S. 9) p. 81 ff. 95 f. liegt die Hölle in der Eegion
zwischen Erde und Himmel; der Visionär muß sie zweimal passieren, beim
Aufstieg zum Himmel und beim Abstieg zur Erde. Das Purgatorium finden
wir in die Region der feurigen Luft verlegt in der soeben (Anm. 1) erwähnten,
i. J. 1153 verfaßten Schrift des Henricus Salteriensis p. 995 dum unde
veniat . . . inquiritur, respondit se in aere mansionem inter spiritus habere et
poenas ignis pwgatoni sustinere (vergl. ib. 997 damnandi non intrant pur-
gatorium nee inferum inferiorem usque ad diem iudicii, sed in aere poenas
sustinent infernales). Noch Dante ist von diesem Glauben beherrscht: er
läßt das Purgatorium beginnen in dem Feuerkreise zwischen der Erden-
hemisphäre und dem Monde (Purg. IX 30 mit den Kommentaren); ober-
halb des Purgatoriums liegt das 'irdische Paradies', welches nach der
Lehre des Thomas von Aquino, dem Dante folgt, pertingit usque ad
lunarem dradum (vergleiche Scartazzini zu Purg. XXVIII Iff.).
1) Später wurde diese extreme Formulierung gemäßigt: vergl. Henricus
Salteriensis in seiner im Jahre 1153 verfaßten eschatologischen Schrift 1. c.
(o. S. 9) p. 997 interrogatus respondit, quod omnes animae salvandae intrant
purgatorium praeter anitnas sanctorum, qtii statim coelum suum intrant,
quia in hoc corpore mortali suum egerunt purgatorium (die letztere Formulierung
ganz analog im späteren Neuplatonismus : Maaß 1. c. 231, 44). Beide Ansichten
übernahm aus der christlichen Theologie die jüdische des Mittelalters, vergl.
Joh. Eisenmenger, Entdecktes Judentum 11 (Königsberg 1711) 337f. [Zitat nach
R. Hofmann 1. c.]; eine der von ihm dafür zitierten Stellen des Talmud lautet
in seiner Übersetzung so : „die Seele wird wegen ihrer Missethat beflecket und
ihre Sünden machen ein Zeichen an ihr und kan sie von der Unsauberkeit
anderster nicht als in der Hölle gereinigt werden. Es ist aber diese Straffe
nicht allen Menschen gleich, denn es ist gibt Gerechte, welche auch ein oder
zwey mahl nach den Wercken der Gottlosen thun, denn es ist kein Gerechter
auff Erden, der gutes thue und nicht sündige : und diese haben nur vonnöthen,
daß sie im Wasser abgewaschen werden, und halten sich nicht lange in der
Hölle auff, sondern gehen nur geschwind dadurch. Es seynd auch unsere
Cabbalisten der Meinung, daß schier alle Heiligen, die auff der Erde seynd,
solche Straffe ausstehen müssen, auff daß die Seele von ihren Flecken in der
Hölle gereiniget werde." Ib. p. 346 aus einem andern Tractat: „Alle Gerechte,
welche sterben, müssen in dem Fluß des Feuers gesäubert werden."
28 EINLEITUNG.
d) Wir haben gesehen (S. 18 f.), daß Pindar und Piaton einen doppelten
Aufenthaltsort der Seligen kennen, den einen, an dem sie nur vorläufig
weilen, den anderen als endliches Ziel, und daß auch Vergil das Elysium
nur als Zwischenstation auf dem Wege der Seele zum Himmel, ihrem
Ausgangsort, nennt. Wenn Maaß 1. c. 276 vermutet, diese „Verdoppelung
des Elysiums" sei Pindars eigenes Werk, so erweist sich das als un-
richtig schon durch die wesentliche Gleichheit des Motivs bei Piaton und
Vergil. Es kommt hinzu, daß auch diese Vorstellung von der christlichen
Apokalytik beibehalten worden ist: was bei Pindar Elysium und Insel
der Seligen, bei Piaton ein Vorraum des Himmels und der höchste
Himmel selbst, bei Vergil Elysium und Äther ist, dem entsprechen bei
den Christen zwei Regionen, die in den Quellen verschieden bezeichnet
werden, am bekanntesten aber unter den von Dante übernommenen
Namen des irdischen und des himmlischen Paradieses sind. Wir finden
diese Doppelung schon in der Paulus- Apokalypse (saec. IV/V) 1. c. (o. S. 9)
p. 49 — 56. 64 — 69, und auch hier hat, wie Maaß bei Pindar, ein modemer
Beurteiler (Fritzsche 1. c. [o. S. 6] H 261) Anstoß genommen: „Merk-
würdigerweise wird dann noch das Paradies erwähnt, in welches zum teil
dieselben Personen versetzt werden wie in die Umgebung der Stadt
Gottes . . . Man könnte daher vermuten, daß der das Paradies beschreibende
Abschnitt ein fremder Zusatz sei." Diese Vermutung widerlegt sich
durch das, was der Verfasser selbst an einer späteren Stelle (p. 276)
über eine von Bonifatius berichtete Vision schreibt: „So ei'hält Bonifatius
zwei Stätten der Seligen, erstens die liebliche Gegend (amoenitatis locus)
imd zweitens das himmlische Jerusalem." Es lassen sich noch folgende
Zeugnisse für diesen Glauben hinzufügen. In einer von Baeda bist. eccl.
V 12 erzählten Vision des Jahres 696 kommt der Visionär mit dem ihn
geleitenden Engel an einen Ort, der deutlich als Elysium (Vorhimmel)
beschrieben wird (campus laetissimus tantaque fragrantia vernantium flos-
culorum plenus, ut omnem mox faetorem tenebrosae fornads effugaret
admirandi huius suavitas odoris. tanta autem lux cwnda ea loca per-
fuderat, ut omni splendore diei . . . videretur esse praeclarior. erantque
in hoc campo innu/mera hominum albatorum conventicula sedesque phirimae
agminum laetcmtium). Der Visionär glaubt, das sei der Himmel (cumque
inter choros felicium incolarum medios me duceret, cogitare coepi quod hoc
fortasse esset regnum caelorum), wird aber von dem Engel eines besseren
belehrt: respondit üle cogitatui meo ^non, vnquiens, non hoc est regnum
caelorum quod autumas.^ Darauf zeigt er ihm aus der Feme den Himmel
selbst, der mit denselben Farben wie jener Vorhimmel geschildert wird,
nur mit dem Unterschied, daß die Blumen schöner duften und das Licht
heller ist. Der Engel deutet ihm die beiden Orte: der Vorhimmel sei
bestimmt für die Guten, die aber doch non sunt tantae perfectionis , ut
in regnum caelorum statim mereantur introdud, der Himmel selbst für die
absolut Guten zum sofortigen Eintritt. Dieselbe Vorstellung findet sich
in der vorhin (S. 27, l) zitierten apokalyptischen Schrift des Jahres 1153
(p. 998f.). Ein Bewohner des 'paradisus terrestris' gibt dem Visionär
folgende Aufklärung: ecce a poenis liberi sumus et magna quiete per-
fruimur, nondwm tarnen ad supernam sanctorum laetitiam ascendere digni
sumus, di&mque et terminum nostrae promationis in melius nemo nostrum
D. DIE QUELLENFRAGE (POSEIDONIOS). 29
novit, sed post terminum singuUs constitutum in maiorem requiem transiM-
mus. quotidie societas nostra quodammodo crescit et decrescit, dwm smgulis
diebus et ad nos a poenis et a nohis in caelestem paradisum quidam as-
cendwnt, Die scholastische Theologie übernahm diesen Glauben, und ihr
ist Dante gefolgt.-^)
Von der Styx heißt es, nach einer sonst nicht überlieferten Vor-
stellung, Vers 439
noviens Styx interfusa.
Servius (zu 127. 439) erklärt die neun Windungen als die neun Sphären,
welche den Hades, d. h. die irdische Atmosphäre, umgeben, und beruft
sich dafür auf diejenigen, qui altius de mundi ratione quaesiverunt. Genauer
werden diese Philosophen bezeichnet von Favonius Eulogius (dem Schüler
des Augustinus) in seinem Kommentar zu Ciceros somnium Scipionis
p. 13 f. Holder: ex quo mihi videtur Maro . . . dixisse iWud ^novies Styx
interfusa coercet\ terra enim nona est, ad quam Styx illa protenditur:
mystice ac Platonica dictum esse sapientia non ignores. Also stammt
diese Auslegimg aus jenen neuplatonischen quaestiones, die jemand,
wie deutliche Spuren bei Servius, Macrobius und Augustinus zeigen,
zu diesem Buch verfaßt hat.^) Das wird jeden zunächst argwöhnisch
gegen die Erklärung machen. Aber sie ist dennoch richtig. Cicero
läßt den Scipio im Traiim (17) die novem orbes sehen, aus denen
sich das Weltgebäude zusammensetzt; die äußerste Sphäre ist die des
höchsten Himmels, wo Gott und die Seligen wohnen, dann kommen
die Sphären des Saturn, Juppiter, Mars, Sonne, Venus, Mercur, Mond,
1) Das spätere Judentum entlehnte der christlichen Theologie auch diese
Vorstellung; vergl. Eisenmenger l. c. (o. S. 27, 1), 296 ff., wo u. a. folgende tal-
mudische Stelle angeführt wird (p. 318) : „Die Seele erhebt sich alsobald hinauff
in das obere Paradeiß, dieweil sie bißhero des Leibes und dessen Finstemiß
und Dimckelheit ist gewohnt gewesen, und kan dieselbe das grosse obere Licht
nicht stracks begreiffen und ertragen, bis daß sie hierunten in dem untern
Paradeiß darzu gewöhnet wird, welches das Mittel zwischen dieser leiblichen
Welt und jener geistlichen klaren und reinen Welt ist."
2) Es wäre erwünscht, diese quaestiones, soweit es die Zitate ermöglichen,
rekonstruiert zu sehen. Zu den zahlreichen Anführungen bei Servius, den
Commenta Bemensia zu Lucanus, Macrobius (in somn. Scip.), Favonius imd
Augustinus (de civ. dei) kommt bei letzterem hinzu eine wichtige Stelle der
Schrift de consensu evangelistarum I 22, 31. Als Verfasser möchte man an
Marius Victorinus denken, den von Augustinus (conf. 8, 2 f.) hochgerühmten
Neuplatoniker und späteren Christen. Diese Vermutung liegt um so näher, als
in dem Kommentar des Victorinus zu dem Brief an die Ephesier eine Erklärung
von Verg. aen. I 58 f gegeben wird (Migne ser. lat. vol. VliL p. 1254), die
freilich, weil die Verse keine Verardassung dazu boten, nichts spezifisch Neu-
platonisches enthält. Ich denke mir diese quaestiones des Neuplatonikers nach
der Art der ZrirriinaTa '0|UTipiKä des Porphyrios, aus denen Servius zu V 735
eine Notiz bringt (vergl. über dies Zitat: Porphyr, quaest. Hom. ad II. pert. ed.
Schrader p. 352 ff.). Eine nach diesen Gesichtspimkten versuchte Rekonstruktion
würde mithin ein wichtiger Beitrag nicht bloß zu der Geschichte der Vergil-
exegese sondern auch zu der Geschichte des Neuplatonismus im Occident sein,
die wir noch nicht besitzen, so wichtig sie auch für die Erkenntnis der religiösen
Strömungen jener Zeit ist {Plotini schola Bomae floruit hdbuitque condiscipulos
multos, acutissimos et sollertissimos viros schreibt Augustinus ep. 118).
30 EINLEITUNG.
unterhalb des letzteren beginnt die Sphäre des Todes, die bis zur untersten
Sphäre, der Erde, reicht. Hier ist die Vorstellung, daß die Unterwelt in
der irdischen Atmosphäre sei, deutlich ausgesprochen, vergl. auch 14 m
viwmt qui e corporum vinculis tamquam e carcere evölaverunt, vestra vero
quae dicitur vita mors est. Diese Vorstellung ist bekanntlich sehr alt,
schon Empedokles bezeugt sie, Piaton benutzt sie an mehreren Stellen,
und sie wurde dann von den verschiedensten Phüosophenschulen über-
nommen; genauere Nachweise dafür habe ich in den Jahrbüchern f. Phil.
Suppl. XVIII (1892) 330ff. gegeben, die von Heinze 1. c. 136 vermehrt
sind. Daß Cicero diese Lehre aus Poseidonios vorträgt, würde bei
der bekannten Abhängigkeit seines 'Traums' von diesem schon an sich
wahrscheinlich sein; nun begegnet sie wieder in einer der ebenfalls von
Poseidonios beeinflußten plutarchischen Visionen: de genio Soor. 22,
591 AC wird nämlich gleichfalls die Styx erwähnt und in Anlehnung
an alte pythagoreisch-orphische Terminologie^) als der 'Weg zum Hades'
erklärt, da sie die Seelen aus höheren Sphären in neue irdische Geburten
hineinziehe. — Auch hier sehen wir Poseidonios, den vermutlichen Gewährs-
mann des Cicero und Plutarch, sich wieder (wie oben S. 25) an eine als
orphisch bezeugte Vorstellung anlehnen; denn in einem orphisehen
Gedicht, wahrscheinlich wieder der KttiaßaCTiC, waren die Unterweltsströme
kosmisch gedeutet, und zwar entsprach die Styx der Erde (fr. 156 Abel).
Aus diesen Gründen halte ich die kosmische Bedeutung der Vergil-
stelle mit den antiken Exegeten für sicher, ihre Zurückführung auf
Poseidonios aus folgendem Grunde für um so wahrscheinlicher. Vergil
erwähnt die neunfachen Windungen der Styx bei den Selbstmördern, die
durch sie gebunden werden. Auch Cicero knüpft die Lehre von den
neun Sphären an dasselbe Motiv an; als nämlich Scipio die Absicht aus-
sprochen hat, von diesem Leben, wenn es der Tod sei, so bald wie
möglich sich zu befreien, wird ihm geantwortet (15): nisi deus . . . te
corporis custodiis liberaverit, liiic tibi aditus patere non potest; Jiomines
enim sunt hac lege generati, qui tuerentur ülu/m glohum . . ., quae terra
dicitur iisque animus datus est ex Ulis sempiternis ignibus quae sidera et
Stellas vocatis, quae ... circulos suos orbisque conficiwnt celeritate mira-
biU, worauf die erwähnte genauere Darlegung der neun Weltsphären
folgt. Poseidonios wird also, wie oft in analogen Fällen, die altstoische
Lehre, die den Selbstmord erlaubte, durch die orphisch-pythagoreisch-
platonische, die ihn verbot (Orph. fr. 221 Abel, Philolaos bei Plat. Phaed.
62 B, Athenaeus IV 157C), ersetzt haben.
Wenn diese Interpretation richtig ist, so gewinnen wir dadurch ein
neues Argument für die relative Einheitlichkeit der verg. Eschatologie
(s. 0. S. lOfi".). Denn die kosmische Bedeutung der Styx in ihrem ersten
Teil (der Zwischenregion) hängt mit der kosmischen Bedeutung der
aeris campi in ihrem letzten (dem Raum beim Elysium) zusammen.
1) Vergl. die Aiöc 65öc Pindars Ol. 2, 70 (77) mit den Bemerkungen Rohdea,
Psyche^ 505, 1 und Usener, Göttemamen 208; Varros drei Wege zum Himmel
sat. fr. 560 Buch, (aus Herakleides Pont.); die via in caelum und den limes ad
caeli aditum bei Cicero somn. Scip. 16. 26 (nach Poseidonios); ferner den Kom-
mentar unten zu 540 flf.
D. DIE QUELLENFRAGE (POSEIDONIOS). 31
Die Strafen, die die irdischen Seelen, je nach dem Grad ihrer
Schuld, für die alte Erbsünde zu leiden haben, werden 740 — 42 so
beschrieben:
aliae pandwntur inanes
suspensae ad ventos, aliis sub gurgite vasto
mfectum eVuitur scelus aut exuritur igni.
Die qualvolle Läuterung der Seelen von der irdischen Kontagion wird
also vollzogen in einem der drei Elemente der überirdischen Sphäre,
Luft, Wasser oder Feuer. So wird der Sinn richtig gedeutet von dem
Exegeten, den Augustinus de civ. dei XXI 13 benutzt hat: qui hoc
opmantur (nämlich was Vergil 736 — 42 ausführt), nullas poenas nisi
purgatorias volunt esse post mortem, ut, quoniam terris superiora
sunt elementa aqua aer ignis, ex aliquo istorum mundetur per
expiatorias poenas quod terrena contagione contractum est.^)
Eben diese Läuterung in der Atmosphäre meint Cicero, wenn er an der
oben (S. 24f.) angeführten Stelle der Tusculanen nach Poseidonios die
Seelen nach ihrem körperlichen Tode sich eine Zeit lang aufhalten läßt
an dem Orte, wo nubes imbres ventique cogimtur; denn hier sind die
neben Wasser und Luft genannten Wolken als Träger der feurigen Er-
scheinungen der Atmosphäre gedacht nach der geläufigen Vorstellung
(Diels, Doxogr. 367 ff.), der sich auch Poseidonios anschloß (Ps. Aristo t.
TT. KÖcr|Liou 2 = Apul. de mundo 3, vergl. E. Martini, Quaestiones Posi-
donianae in: Leipz. Stud. XVII 1896, 355). Auch diese theologische
Läuterungslehre ^ ist sehr alt: wir können sie vom V. Jahrb. v. Chr.
(Empedokles fr. 115 Diels) bis in die Zeit der Gnosis und des Neu-
platonismus hinab verfolgen. Aus der Fülle dieses späten Materials sei
hier nur ein Beleg angeführt; Apuleius sagt von seiner Einweihung in
die Isismysterien met. XI 23 aceessi confinium mortis et calcato Proser-
pinae limine per omnia vectus elementa remeavi.
Die christliche Theologie hat diese drei Strafarten für ihr Purgatorium
übernommen, dessen Begriff durch die Vorstellung des 'Fegfeuers' nicht
erschöpft wird. Esra - Apokalypse 1. c. (o. S. 9) p. 30 eibov CKei toO
depoc ir\\ KÖXacriv Kai tx\v nvoriv tujv dveinijuv. Paulus -Apokalypse
(ibid.) p. 50 ÖTttv TIC |aeTavor|(Jri . . ., irapabiboxai tu» MixarjX" Kai
ßdWouaiv auTÖv eic 1^\ 'Axepoudiav Xi^vriv^), Kai Xomöv eicrq)€pei
auTÖv eic Tf]v ttöXiv toO öeoO rrXricriov xdiv biKaiiuv. Visio Wettini
vom J. 824 1. c. (o. S. 9) p. 270: ibi etiam ostensa est ei cuiusdam
montis altitudo. et dictum est ab angelo de quodam abbate amte decen-
nium defuncto, quod in summitate eius esset deputatus ad purgationem
suam, non ad damnationem perpetuam; ibidem eum omnem inclementiam
aeris et ventorum incommoditatem imbriumque pati. Visio Tundali vom
J. 1149 1. c. (ibid.) p. 40 phirima multitudo virorum ac mulierum pluviam
1) Ähnlich (aus derselben Quelle) die Commenta Bemensia zu Lucan p. 291
üsener: aliae ventis, aliae igni, aliae aqua pur gantur. hoc est: aliae ventis per
aeretn traducuntur, ut purgatae aeris tractu in naturam suam reverti possint.
2) Sie knüpft an volkstümlichen Glauben an, vergl. Rohde, Psyche^ 29, 4.
393, 1. KroU, Bresl. phil. Abb. VE 53, 2.
3) Von Maaß 1. c. 254 wohl richtig auf eine Purgation durch Wasser gedeutet.
32 EINLEITUNG.
ac ventum sustinentium. Vision vom J. 1196 1. c. (ibid.) p. 255 quibus
(den Seelen im Purgatorium) hoc fuit generale supplicium, quod nunc in
anme faetido mergebantur, nunc inde erumpentes hinc ohviis ignium volu-
minibus vorabantur, ac demum . . . turbinibus ventorum , . . reddebantu/r . . .
Quosdam flammae, quosdam f rigor a diutius cruciabantur et quidam in
amnis faetore moram ducebant largiorem. Vision vom J. 1206 1. c. (ibid.)
p. 22 animas maculis albis et nigris r esper sas . . . beatus Petrus intro-
d/uci feeit in ignem purgatorium, ut a maculis quas a contagione pecca-
torum contraxerant per adustionem possent emundari. Vergl. auch Dante
Inf. V 50 f. (Winde). Purg. XXV 12 (Feuer). XXXI 94 ff. (Wasser).
4.
Nachdem in den Versen 740 — 42 ausgeführt ist, daß je nach dem
Grad ihrer Schuld die eine Seele sich diesem, die andere jenem Läuterungs-
prozeß zu unterwerfen hat, wird dieser Gedanke abgeschlossen durch die
Worte 743:
quisque suos patimur manes.
Uni den Sinn dieses ebenso berühmten wie umstrittenen Ausdrucks^) zu
verstehen, braucht man sich ihn nur griechisch zu denken: TÖV lauToO
?Ka(TTÖc TIC bai|Liova naöxo^ev. Damit haben wir bis auf die Worte
genau die alte theologische Vorstellung, die schon Piaton Phaed. 107 D ff.
übernahm: Xe^eiai be oütujc, ujc apa leXeuiriaavTa CKaffiov ö eKotcT-
Tou öai|aujv, öffTTep Z^ujvra elXrjxei. outoc äyeiv errixeipei eic ör| Tiva
TÖTTOV (des Hades) . . ., wobei die sündige Seele iToWd nciOxei, vergl.
113Dff.. Während Piaton aber im einzelnen seiner Phantasie freies
Spiel läßt, finden wir dieselbe Vorstellung genau in dem Zusammenhang,
in dem sie Vergil hat, in dem apokalyptischen Mythus Plutarchs de
genio Socr. 22, 592BC: im Jenseits wird jede Seele von ihrem bai|Liu)V
dafür gestraft, daß sie sich an die Affekte des Körpers gebunden und
sich dadurch ihrer Natur entfremdet hat, aber je nachdem dieses Band
loser oder fester gewesen ist, vollzieht der baijuujv die Strafe milder
oder strenger. Die psychologischen und ethischen Grundlagen dieses
plutarchischen Mythus gehen, wie Heinze 1. c. 130 f. wahrscheinlich ge-
macht hat, auf Poseidonios zurück^), der als Ursache der Affekte
erklärte TÖ \xr\ KttTot Ttäv eixeoQai tu» ev auTUj baiiiiovi cfuYTeveT (Galen
de Hipp, et Plat. dogm. 1. V p. 449 Müller) und die Seelen nach dem
Tode des Körpers zu Dämonen werden ließ (Sext. Emp. IX 74).
1) Zuletzt hat S. Reinach in der Revue arch. ser. III vol. XXXEK (1901)
231 ff. darüber gehandelt, aber m. E. nicht richtig: er faßt suos manes als
'Aecusativ der Relation', und übersetzt: 'nous souffrons chacun suivant le degrö
de souillure de nos ämes'; aber er sagt selbst (p. 236, 3): 'il faut dire que
raccusatif de relation ainsi employe est tout ä fait exceptionneP. Die von
mir im Text begründete Erklärung hat schon Servius in seinem zweiten Scholion,
das er selbst als verius bezeichnet: cum nascimur, duos genios sortimur: unus
est qui hortatur ad bona, alter qui depravat ad mala, quibus adsistentibus post
mortem aut adserimur in meliorem vitam aut condemnamur in deteriorem . . .
ergo 'manes' genios dicit, quos cum vita sortimur; diese Erklärung
scheint mir Reinach mit Unrecht als 'absurde' und als eine 'ineptie' zu be-
zeichnen. Schon Maaß 1. c. 231 sagt richtig: „Jeder einzelne hat seinen Straf-
geist wie seinen Genius."
2) Vergl. Dieterich 1. c. 145.
D. DIE QUELLENFRAGE (POSEIDONIOS). 33
Auch diese Vorstellung ist vom Christentum beibehalten worden.
Mit starkem Realismus wird sie, noch mit Hembemahme der Lehre von
der Seelenwanderung, in der gnostischen Pistis Sophia 1. c. (o. S. 9)
p. 379 ff. ausgemalt, wo die einzelnen Dämonen, denen die Seele je
nach ihrer Verschuldung anheimfällt, aufgezählt werden (Synkretismus
mit den jüdischen afTC^O*)- ^ ^^^ merkwürdigen sog. Historia Josephi
fabri lignarii 1. c. (ibid.), die nur arabisch erhalten ist, aber auf ein
griechisches Original älterer Zeit zurückgeht (vergl. Hamack, Gesch. d.
altchr. Litt. I Leipzig 1893, 20), betet Joseph, als er seinen Tod nahen
fühlt (c. 13 p. 25): mmc igitur, o domine et deus mi, adsit auocilio suo
angelus tuus sanctiis animae meae et corpori, donec a se invicem dissol-
ventur. neque fades angelt mihi ad custodiam inde a formationis meae
die designati aversa sit a me, verum praeheat se milii itineris socium,
usque dum me ad te perduxerit. sit vultus eins mHii amoenus et hilaris
et comitetur me in pace. ne autem permittas, ut daemones adspectu formi-
dabiies accedant ad me in via qua iturus sum, donec ad te feliciter
perveniam . . . Neque prius submergant a/nimam meam flu^tus maris ignei —
Jioc enim omnis pertransire debet anima — , quam gloriam divinitaUs tuae
conspexero. Wie lang dieser Glaube sich erhielt, zeigt die auch sonst
interessante Vision, die Gervasius von Tilbury in seinen um 1210 ver-
faßten Otia imperialia beschreibt 1. c. (ibid.) p. 994 ff.: jede Seele erhält
ihren custos, d. h. einen guten oder bösen Dämon, von dem sie im
Purgatorium je nach dem Grad ihrer Schuld gestraft wird.
5.
Nach Vers 6 60 ff. weilen im Elysium folgende Klassen von Seligen:
hie manus ob patriam pugnando volnera passi,
quique sacerdotes casti, dum vita manebat,
quique pii vates et Phoebo digna locuti,
inventas aut qui vitam excoluere per artis,
quique sui memores aliquos fecere merendo.
a) Der Glaube, daß den Vaterlandsverteidigem im Elysium ein
seliges Dasein bereitet sei, ist so verbreitet und bekannt, daß er keiner
Belege bedarf.^)
b) Vergils Priestern und Sängern entsprechen die |LidvTeic Ktti
iL))üivOTröXoi des Empedokles fr. 146 Diels; nur deutet dieser den Volks-
1) Die ältesten (bei Rohde, Psyche P 304, 1. n 203, 3 fehlenden) Zeugnisse
sind Tyrtaeus 12, 31 ff. (wo auch der Ausdruck ff\c ir^pi |aapvd|aevov dem ver-
gilischen ob patriam pugnando entspricht) imd Heraklit fr. 24. 25 Diels. Früher
(Hermes 1. c. 394) bezog ich hierauf auch die irpönoi des Empedokles (fr. 146
Diels), die ich ö|Lir]piKU)c als Trpö)iiaxoi verstand; aber Diels hat durch Hinweis
auf p 382 ff. gezeigt, daß hier vielmehr die 'Fürsten' gemeint sind (vergl. Rohde
l. c. n 181, 4); Empedokles ist danach also der erste, der das Wort in einem
andern Sinn als Homer (Aristarch zu H 75, M. Bodenheimer, De Homericae
interpretationis antiquissimae vestigiis, Straßburg 1890, 70) gebraucht hat. — Im
Jenseits der von hellenisch-christlicher Kultur noch unberührten Germanen sind es,
genau so wie im Jenseits anderer kulturloser Völker (vergl. J. Zemmrich, Toten-
inseln, Leiden 1891, 23 f.), nur die Waffenhelden, die von dem allgemeinen trüben
Lose befreit sind, aber der Hellene hatte eine Kultur, deren erlesenste Ver-
treter über das Grab hinaus irdiivj/uxoi dvacroouaiv.
VsKOiL Buch VI, von Norden. 3
34 EINLEITUNG.
glauben vom Elysium in seiner Weise um, wenn er diese Berufsarten
von den besten Seelen auf ihrer Wanderung durch die Körperwelt
zuletzt erwählt werden läßt, bevor sie in ihren göttlichen Ursprung zu-
rückkehren. ^)
c) Es folgen diejenigen qui per inventas artes vitam excöluere. Daß
Vergil unter den 'Civilisatoren des ßioc' die Philosophen verstanden hat,
würden wir wissen, auch wenn Servius es nicht ausdrücklich sagte (signi-
ficat pMlosophos)^) ; denn daß diese durch die Erfindung der Künste die
Kultur den Menschen gebracht haben, war die Lehre des Poseidonios,
die aus diesem (wahrscheinlich dem Protrepticus) von Ps. Manilius I 66 ff.
und Seneca ep. 90 berichtet wird^); 'Philosophen' versteht auch Cicero
Tusc. I 62 unter jenen ersten Weisen, qui cultum vitae invenerunt;
diese auch in den Worten mit Vergil sich nahe berührende Stelle ist
von P. Hartlich in den Leipz. Stud. XI 1889, 287 wegen ihrer genauen
Übereinstinmiung mit jenem Briefe Senecas mit Sicherheit auf Poseidonios
zurückgeführt worden. Für den Zusammenhang aber, in dem wir bei
Vergil diese Gruppe erwähnt finden, ist eine andere Stelle Ciceros von
Bedeutung: im somn. Scip. 18 nennt er diejenigen, qui praestantihus
ingeniis in vita humana divina studia colueruMt*^, unter den seligen Geistern
im Himmel: es sind die 'Philosophen' des vergilischen Elysiums. Daß
Poseidonios hier wie oft pythagoreischer Weisheit folgt, ergibt sich aus einer
Äußerung des Lactantius (de ira dei I 11, 7 f.), die deshalb für uns von
Wichtigkeit ist, weil er sich in den Ausdrücken an unsern Vergilvers
anschließt, ohne ihn doch stofflich als Quelle zu haben ^): eos (die ver-
götterten Menschen) ob virtutem qua profuerant hommwm generi divinis
1) Die ausdrückliche Beschränkung der Seligkeit auf diejenigen vates, die
pii et Phoebo digni waren, scheint einen alten Zug zu bewahren: die Minyas
ließ den thrakischen Sänger Thamyris wegen seines frevelhaften Prahlens
gegenüber den Musen im Hades bestraft werden (Pausan. IV 33, 7), in einem
Epigramm A. P. VII 377 wird ein Dichter, der gegen die Musen gefrevelt hat,
im Hades von den Erinyen gepeinigt, und mit extremer Formulierung dieser
Vorstellung ließ die 'pythagoreische' Koxäßaöic sogar Homer und Hesiod be-
straft werden dvB' iBv eTirov uepl 6ea)v (Hieronymos bei Diog. L. VDI 21).
2) Auch Valerius Flaccus versteht in seiner Nachbildung dieser Versreihe
I 836 ff. unter den Bewohnern des Elysiums, (quibus) Studium mortales pellere
curas, culta fides, longe metus atque ignota cupido Philosophen, die er mit den
Farben des Lucrez schildert (Lucr. V 43 ff.).
3) Vergl. Fr. Boll in Jahrb. f. Phil. Suppl. XXI (1894) 221 ff.
4) Ähnlich sagt Cicero in der consolatio (nach Lactant. div. inst. IE 19, 6)
sapientes (Pythagoreer, wie das folgende beweist) . . . vitiis et sceleribus con-
taminatos deprimi in tenebras atque in caeno iacere docu^runt, castos autem puros
integros incorruptos , bonis etiam studiis atque artibus expolitos . . . ad
de OS . . . pervolare. Deshalb läßt Piaton seinen Sokrates wissen, daß er ins
Elysium kommen werde (apol. 40. 41); der Verf. des Axiochos 37 iC nennt als
Bewohner des Elysiums neben Dichtem und Musikern ausdrücklich die qpiXö-
aoqpoi; nach dem oben (S. 22, 1) zitierten Orakel wird Plotin im Jenseits mit
Pythagoras und Piaton zusammenleben; noch in dem Grabepigramm des
Praetextatus (f 384) heißt es, daß dem Philosophen eaeli porta patet (carm.
epigr. 111, 9 Buech.).
5) D. h. also: er benutzt einen Vergilkommentar. Das ergibt sich aus
einer zweiten Stelle, wo wir sein Verfahren noch an dem dürftigen Kommentar
des Servius kontrollieren können. Er bespricht div. inst. VI 3 das Gleichnis
von den zwei Wegen, quas philosophi in disputationibus suis induxerunt . . .
D. DIE QUELLENFRAGE (POSEIDONIOS). 35
Jionoribus affedos esse post mortem aut oh henefida ei Hnventa quibus
humanam vitam excolueranf immortälitatis memoriam consecutos quis
ignorat? . . . quod cum vetustissimi Graeciae scriptores quos Uli
theolog OS nuncupant tum etiam Homani Graecos secuti docent (er nennt
Euhemeros - Ennius , die sich des alten Glaubens bemächtigt hatten);
unter den 'alten Theologen' werden bekanntlich nach fester Termino-
logie (seit Philolaos bei Clem. AI. III 3, 17) Pythagoreer und Orphiker
verstanden.*)
d) Es folgen diejenigen, qui sui memores aliquos fecere merendo,
d. h. Wohltäter.^) Dem allgemein gehaltenen Ausdruck entspricht genau,
daß auch nach Piaton (Rep. X615B), d. h. also der von ihm hier
benutzten pythagoreisch-orphischen Quelle, die Tivac euepYeffiac
euep^CTTiKÖTec, sowie nach den vetustissimi theologi (also ebenfalls Pytha-
goreer n) des Lactantius (1. c.) die 'Wohltäter des Menschengeschlechts'
ihren Lohn im Jenseits finden. Dieselbe Vorstellung hat Pindar in
der zweiten Olympischen Ode aus derselben Quelle entnommen, wie weiter
unten genauer dargelegt werden soll. Auch hier läßt sich wieder zeigen,
daß Poseidonios diese pythagoreische Vorstellung übernahm. Die
Pflicht des Wohltuns ist von der Stoa unter die Hauptsätze ihrer populären
Moral aufgenommen worden (vergl. den Kommentar zu 6 10 ff.). Nun ist
nach dem Stoiker bei Cicero de ofl". I 57 der höchste Grad der Wohl-
tätigkeit die gegenüber dem Vaterland, und im somn. Scip. 13, der von
Poseidonios stark beeinflußten Schrift, läßt er grade diese Wohltäter im
Jenseits belohnt werden: omnibus qui patriam conservaverint adiuverint
auxerint certum esse in caelo definitum locum, ubi beati aevo sempiterno
fruantur. Auch eine zweite Schlußreihe führt uns auf Poseidonios. Er
hatte nach dem Zitat des Seneca (ep. 90, 5 f.) behauptet, daß die
Philosophen die ersten Könige, Staatsmänner und Gesetzgeber gewesen
seien, deren Wohltaten das Glück der Menschen erhöht hätten, und
dafür auf Lykurg, Solon und die pythagoreischen Staatsmänner und
Gesetzgeber Großgriechenlands verwiesen; zum Lohn für ihre menschen-
freundliche Tätigkeit ließ er sie der ewigen Seligkeit teilhaftig werden,
wie sich aus einer von Diels, Rhein. Mus. XXXIV (1879) 487 mit Sicher-
heit auf Poseidonios zurückgeführten Stelle des sog. ManiliusI 754 ff.
ergibt (dort werden Lykurg und Solon genannt).^) — Wenn mithin
Dicunt enim humanae vitae cursum Y litter ae esse similem, quod unusquisque
hominum, cum . . . in eum locum venerit, 'partes ubi se via findit in
ambas\ haereat nutabundus etc.: vergl. Serv. zu VI 136 und den Kommentar
zu 430. Ganz analog sind die Zitate des Augustinus aus Vergil mit ihrem
gelehrten Apparat zu beurteilen (s. o. S. 29, 2) sowie ein gleich anzuführendes des
Macrobius. Die Frage scheint mir eine genauere Untersuchung zu verdienen.
1) Ein paar Belege, die sich besonders aus späteren Neuplatonikern leicht
vermehren ließen, bei C. Wachsmuth, Ansichten der Stoiker über Mantik und
Dämonen (Berlin 1860) 32, 40.
2) Vergl. aen. IV 539 bene apud memores veteris stat gratia facti. Val.
Max. V 2 ext. 3 memor beneficii animus. Seneca de ben. HI c. Iff. betont
das memorem esse als wesentlich nach Empfang von Woltaten.
3) Außer Cicero, Ps. Manilius, Seneca und Lucan IX 1 ff. übernahm auch
Sallust Gedanken aus dieser jedenfalls berühmten Schrift des Poseidonios; denn
das Prooemium des Catilina zeigt deutliche Anklänge an eine von BoU 1. c, 147.
228 f. als poseidonisch erwiesene Partie des Ps. Manilius IV 876 ff. Die Art, wie
3*
36 EINLEITUNG.
Macrobius im Kommentar zu der soeben zitierten Stelle yon Ciceros
somnium die Worte Ciceros mit unserm Vergilvers erläutert (in somn.
Scip. I 8, 6), so zeigt auch diese evident richtige Interpretation die Ver-
wandtschaft oder Identität der von Cicero und Vergil benutzten Vorlage;
Macrobius scheint seine Weisheit einem erlesenen Vergilkommentar zu
verdanken, von dem auch Silius (XIII 533 f.) abhängig sein kann, wenn
er in seiner Nachbildung dieser Stelle den allgemein gehaltenen Aus-
druck Vergils^) durch folgenden speziellen ersetzt: zur ewigen Seligkeit
des Elysiums gehen ein qui leges posuere atque inclufa iura \ gentibus et
primas fimdarimt moenibus urhes.^)
So gibt uns diese Versreihe eine Anzahl sicherer Beweise für die
These, daß Vergils Eschatologie sei es direkt durch Poseidonios, sei es
durch die von Poseidonios selbst benutzte altpythagoreische Vorlage stark
beeinflußt worden ist. Für die zuletzt besprochene Vorstellung von dem
seligen Lose der 'Wohltäter der Menschen' gibt es nun noch einen be-
sonders wichtigen Beleg aus alter Zeit, dessen Erörterung einen kleinen
Exkurs für sich beansprucht.
Exkurs über die Apokalypse in Pindars zweiter olympischer
Ode (Vers 58 ff. Böckh = 53 ff. Bergk).
Die Frage, welchen Zweck die apokalyptische Darstellung von den
Schicksalen der Seele im Zusammenhang der Ode habe, ist oft gestellt,
aber noch nicht befriedigend beantwortet worden. Die einzelnen Lösungs-
versuche stellt Fr. Mezger, Pindars Siegeslieder (Leipzig 1880) 153 ff.
zusammen. Seitdem ist zwar die Einzelinterpretation dieser Partie von
E. Rohde, Psyche^ (Freiburg 1894) 500 f. (= 11^ 208 f.), E. Maaß, Orpheus
(München 1895) 271 ff. und 0. Schroeder in seiner Ausgabe (Leipzig 1900)
sehr gefördert, aber jene prinzipielle Frage nicht erledigt worden. Nur
ein negatives Moment ist seitdem wichtig geworden; da durch den
Olympionikenindex aus Oxyrhynchos endgültig entschieden ist, daß der
Sieg Therons ol. 76,1 (= 476 v. Chr.), nicht ol. 77, 1 (= 472) stattfand,
so hat die Behauptung, daß die Apokalypse mit „Todesahnungen" im
Sallust die Motive benutzt, ist eine Stütze für BoUs Vermutung (1. c. 221, 1.
231, 1), daß die betr. Schrift des Poseidonios der Protreptikos war; diese Ver-
mutung halte ich deshalb für ziemlich glaublich, weil große Teile des cicero-
nianischen somnium Scip., in dem Poseidonios so stark benutzt ist, unverkennbar
protreptischen Charakter zeigen, ohne doch aus dem aristotelischen Protreptikos
zu stammen (vergl. P. Hartlich 1. c. 252 f., der jedoch diese ciceronianische
Schrift zu kurz erledigt). Eine genauere Begründung dieser Hypothese ver-
spricht Edwin Müller am Schluß seiner Diss. de Posidonio Manilii auctore,
spec. I, Leipzig 1901. Siehe auch unten S. 48.
1) Die Überlieferung schwankt zwischen aliquos (F'MPR) und dlios (F*,
Donat, Macrobius, Augustinus). Abgesehen davon, daß alios etwas Selbst-
verständliches sagen würde, spricht auch die oben gegebene Erklärung für das
limitierende aliquos: die patriotischen Wohltäter machen sich bloß um ihr
engeres Vaterland, die Erfinder um den ßioc, das heißt die ganze Kulturwelt
verdient.
2) Im christlichen Himmel treten an die Stelle der hellenischen Philosophen
die christlichen, d. h. die Mönche', qui caelestia dum sunt in corpore sapiunt
(Visio Tundali vom Jahre 1149 1. c. [o. S. 9] p. 40).
D. DIE QUELLENFEAGE (POSEIDONIOS). 37
Zusammenhang stehe, die Theron (f 472/1) gehabt haben soll, noch
geringere Wahrscheinlichkeit, als ihr von vornherein zukam.
Im ersten Teil des Gedichtes führt der Dichter nach dem kon-
ventionellen TTpooi)Liiov (1 — 8 [7]) den ihm sehr vertrauten Gedanken
aus, daß ungetrübtes Lebensglück keinem Menschen beschieden sei: die
Ahnen des Theron und Theron selbst haben diese allgemeine Wahrheit
erfahren müssen. Jetzt aber hat der olympische Sieg das Leid der
Vergangenheit in Freude verkehrt. Mit diesem Satz (56 f. [51 f.]), der,
wie P. das liebt, direkt an den Ausgangspunkt (dS. [8 ff.]) anknüpft,
ist der erste Teil des Gedichts zu Ende. Mit 58 [53] beginnt also der
zweite Teil, der uns hier vor allem angeht. Sein Gedankengang ist
folgender.
1. Einleitung mit propositio. Theron verdankt den Sieg seinem
mit dpetai geschmückten ttXoOtoc, dieser Quelle aller großen Pläne und
Taten (58 — 60 [53 — 54]). Ist so der ttXoOtoc überhaupt die wahre
Leuchte des Lebens: wie viel mehr, wenn sein Besitzer die Zukimft
kennt (61—62 [55—56]).
2. Thema. Das Jenseits bringt Vergeltung für Gut und Böse
(63 — 74 [57 — 67]). Den Besten wird nach dreimaliger Wanderung die
ewige Seligkeit zuteil (75—91 [68—83] Aieiorra).^)
3. Schluß. Für die wahren CToqpoi genügt das: sie wissen, daß
diese Andeutungen auf Theron zielen, denn er ist, so lange Akragas
steht, der freigebigste eiiepYeTac gewesen, und, um dui-ch zu großes Lob
nicht den Neid herauszufordern, will ich nur sagen: die Freuden, die
er andern bereitet hat, sind unzählig wie der Sand am Meer (91 [83]
TToXXd — Ende).
Pindar pflegt seine Mythen selbst zu erklären durch die Worte,
mit denen er sie einleitet oder schließt, oder durch beides^); so auch
hier die den Mythus ersetzende Apokalypse. Nun ist der Einleitung
1) 63 [57] ÖTi öavövTuuv |li^v ivQ&b' oCitik' dud\a)ivoi qpp^vec ttoivöc ereioav.
Die Worte sind nach andern von Rohde 1. c. 500, 2 richtig erklärt (trotz
A. Drachmann, B. ph. W. 1901, 646); ich würde nicht darauf zurückkommen,
wenn nicht selbst Schroeder die richtige Überlieferung für korrupt erklärte.
Also ^v6d6e heißt sicher 'hienieden', vergl. Plat. Rep. I 330 D oi Xe^öiuevoi
)Liö0oi irepl Tiüv ^v äbov, mc töv ^v6ä6e dbiKriöavTa öei äaei 6ibövai bkriv. Es
wird gleich nachher durch ^v Tq.be Aiöc dpxct spezialisiert und erhält in Kord
Ydc seinen Gegensatz. Aütiko wird als richtig ei-wiesen sowohl durch Selon,
Mvriiaoaüvric 29 dXA' 6 jn^v outik' ^Teicrev als durch Vergüs continuo in unserm
Buch 570. — 65 [59 f.] hätte Schroeder die La. des cod. A: ömdZei Tic ^x^P« Xö^ov
(ppäaaic 'AvdyKa aufnehmen müssen, nachdem Maaß 1. c. 272 sie als richtig
erwiesen hat; für Tic vergl. z. B. p 449. o 382. — Daß 71 [65] unter den Ti|iioi
6eu)v, bei denen im Elysium die Frommen zwischen den einzelnen Wanderungen
sich aufhalten, Pluton und Persephone verstanden sind, wissen schon die Schollen.
Wenn Christ aber dazu bemerkt (Ausgabe Leipzig 1896): 'tiiliioi illi non tarn
quod honorati inter deos sunt appellantur, sed peculiari usu quod rmäc äiiovl-
[xovai ToTc Gavouai', so ist das grammatisch unmöglich; vielmehr lehrt diese
Bezeichnung, daß wir uns hier in Kreisen befinden, für die diese Götter
wirklich die höchste thxx] haben.
2) So Ol. 1, 23 f. Xdju-rtei 6^ oi (dem Hieron) xXeoc ^v eudvopi AuöoO TT^Xo-
uoc diToiKicji, dann der den Ruhm eines olympischen Sieges verherrlichende
Mythus 25—96, endlich 96f. tö bi kX^oc TTiXöSev ö^öopKe töv 'OXu|UTnd&iuv ^v
ööfioic TT^Xoiroc.
38 EINLEITUNG.
und dem Schluß gemeinsam der Gedanke: Theron hat seinen ttXoOtoc
richtig verwendet; dank seiner hat er in Olympia gesiegt und ist der
größte euepYtTac geworden. Mithin hat nur diejenige Erklärung Anspruch
auf Glaubwürdigkeit, welche die im Thema niedergelegte JenseitsoiFenbarung
mit dem Begriff des ttXoOtoc in Zusammenhang bringt. Nun ist bekannt,
welche Bedeutung der ttXoOtoc für die eleusinischen Mysterien hatte.
„Hochselig — heißt es im Hymnus auf Demeter 486 ff. — der irdische
Mensch, den die beiden Göttinen gnädig lieben: schnell senden sie ihm
ins Haus als Herdgenossen den Plutos, den Segenspender." Plutos ist
in eleusinischer Sage der Sohn der Demeter und des lasion (Preller-
Robert I 776) und die Annahme Prellers, daß die Bezeichnung des Hades
als Pluton, die zuerst bei Sophokles begegnet, aus Eleusis stamme, darf
als sehr wahrscheinlich gelten.
Nun stammt Pindars Apokalypse freilich nicht aus den eleusinischen,
sondern den orphischen Mysterien; aber wie das Ceremoniell der ver-
schiedenen Mysterien überhaupt in Wechselwirkung stand (vergl. Diels in
der Festschrift für Gomperz, Wien 1902, 11), so hatten grade auch die
eleusinischen und orphischen viele Berührungen miteinander (vergl. Rohde
1. c.^ 262 und den Kommentar unten zu 548 ff.); speziell für den Begriff
des ttXoOtoc kann auf den von Diodor I 12 aus 'Orpheus' (fr. 165 Abel)
angeführten Vers rfj |Lir|Trip TrdvTUJV ArmriTTip TrXouxobÖTeipa verwiesen
werden. Wenn es richtig ist, daß der in der Einleitung und dem Schluß
hervorgehobene Begriff des irdischen „Segens" (ttXoOtoc) den Schlüssel
zum Verständnis der segenverheißenden Offenbarungen der Eschatologie
gibt, so begreifen wir auch, weshalb der Dichter den ttXoOtoc in der
Einleitung, unmittelbar vor Beginn des Themas, mit Attributen versieht,
die, wie Maaß 1. c. bemerkt, sich deutlich an die Mysteriensprache an-
lehnen: afftfip dpiZriXoc, eTU)iiu)TaTOV dvbpl (peYfOC, vergl. Aristoph.
Frösche 342ff. vuKxepou TeXerfic cpuü(Tcp6poc dcTirip (von lakchos).
q)XoTi cpeTTCTai be Xeijuiov, 454ff. liövoic ydp fiiaiv fiXioc Kai (pe^TOC
iXapöv eCTTiv, 8(Toi )ae)Liuri)ae6a. Entscheidend ist dann vor allem der
Schluß, der Theron als den größten euepTCTac preist. Es ist oben (S. 35)
nachgewiesen, daß in den Seligpreisungen der orphisch -pythagoreischen
Kirche die eiiepfCTai einen Platz einnahmen: Piaton, Vergil und Lactantius
haben es uns bezeugt. Wenn letzterer aus seiner erlesenen Quelle dafür
die vetustissimi fheologi zitiert, so deutet dieser Ausdruck auf die Sphäre,
in welcher die Vorlage Pindars zu suchen ist.-^)
„Dein Erdenglück, Theron," — dies ist der Gedankengang des
Gedichts — „hat viele Trübungen erfahren, wie das Glück aller Menschen
und so auch das deiner erlauchten Ahnen. Jetzt leuchtet dir wieder
die Sonne, doch wir Menschen wissen nicht, ob uns die Sonne, die
morgens so strahlend aufgegangen ist, noch am Abend in ungetrübtem
Glanz scheinen wird. Aber du hast ein Großes, das höher ist als das
wechselnde irdische Glück: die Aussicht auf die ewige Seligkeit im
Jenseits, wo den Guten die Sonne ewig scheint. Diese Aussicht verdankst
du deinem mit edler Sinnesart gepaarten Reichtum. Denn von diesem.
1) Unteritalische und sicilische Verfasser orphisch-pythagoreischer Gedichte
zählt Rohde 1. c.^ 398, 2 auf.
D. DIE QUELLENFRAGE (POSEIDONIOS). 39
deinen XpY\}ia.Ta, machst du, wie die Mysterien befehlen, in die du ein-
geweiht bist, die richtige xpr\Cf\c: du bist ein Giiep^erac *), ein Stifter
unzähliger Freuden." Der Dichter ist ein wahrer Trpoqpdxac gewesen,
der zu sein er überzeugt war: das Volk hat seinem Wohltäter Theron
nach seinem Tode mit heroischen Ehren gelohnt (Timaios-Diodor XI 53).
6.
Vergil stellt die wenigen Seelen, die, von Wanderungen befreit, im
Mysium nach langer Zeit ihre völlige Reinheit wieder erlangen, der
großen Zahl der anderen, die in neue Körper wandern müssen, gegen-
über mit den Worten 744ff. pauci laeta arva fenemus, donec longa
dies . . . purum relmquit acthcrium sensum und 748f. 7ms omnes . . .
deus evocat..., rursus ut incipiant in corpora velle reverti. Dieselbe
Gegenüberstellung finden wir mit ganz ähnlichen Ausdrücken in einer
von Plutarch referierten Lehre, die Heinze 1. c. 133 f. auf Poseidonios
zurückgeführt hat: de def. or. 10, 415 BC Ik jLiev dvOpiuTruüv eic fipiuac
(Vergil nennt dafür die laeta arva, auf denen er 644 eben die Jieroes
weilen läßt), EK b' fipuuujv eic baijLiovac (diese Unterscheidung wird von
Vergil ignoriert) al ßeXxiovec ij/uxcxi ty\v iLieTaßoXriv XajLißdvoucTiv ck
be öaijuövuuv oXiTai |Liev ev xpovuj ttoXXuj bi dpeTfic Ka6apGeT(Tai
TTavidTTaffi 9eiÖTr|T0C jaeiecrxov. eviaic be (mit schärferem, der Quelle
wohl näher stehendem Gegensatz sagt Vergil has omnes) cTu)iißaivei . . .
evbuo|U€vaic irdXiv 6w\xa(Ji GvriToTc dXaiiTrfi Zujfiv i(Txeiv. Die
Unterscheidung der beiden Klassen von Seelen hat auch Piaton Tim. 42 B
(nach der alten, von ihm dort benutzten theologischen Lehre), aber bei
ihm fehlen gerade diejenigen Ausdrücke, in denen Vergil sich mit Plutarch
so auffällig berührt.
7.
Die Schwierigkeit, die innerhalb der Lehre von der Seelenwanderung
die Sonderstellung der ctuupoi und ßiaioGdvaxoi (426 — 547) bereitet,
hatten wir oben (S. 11) durch eine Äußerung Tertullians de anima
c. 56 zu heben versucht, wonach diese beiden Klassen, deren Lebensdauer
wider das Geschick verkürzt ist, so lange vom Jenseits ausgeschlossen
werden, bis die ihnen vom Geschick bestimmte Zeit erfüllt ist. Tertullian
erwähnt diese Vorstellung im Zusammenhang seiner Ausführungen (c. 46 ff.)
über die letzten Schicksale der Seele, und diese wiederum behandelt er
zusammen mit der Kraft der natürlichen Weissagung, welche nach der
Lehre von Philosophen der Seele im Schlaf, dem Spiegelbild des Todes,
kurz vor dem Tode selbst und nach dem Tode eigen sei; die genannten
beiden Seelenklassen nämlich, sowie die der Unbegrabenen, hätten deshalb
für Zwecke der Divination als besonders wirksam gegolten, weil sie noch
nicht an die Unterwelt gebunden seien (vergl. c. 57 Anf.). Für diesen
1) Man beachte auch Pyth. 2, 24 töv eöepY^TOv ÖTavaic d^Gißatc TxveaQai:
diese öiboxri wird nach einer Tradition (qpavTi) dem Ixion in den Mund gelegt.
Daß sie derselben Sphäre religiöser Dichtung wie die Eschatologie von Ol. 2
angehört, wird unten im Kommentar zu 618 ff. gezeigt werden.
40 EmLEITUNG.
speziellen Abschnitt führt er keine Gewährsmänner an, sondern sagt nur
allgemein creditum est, aiunt, arbitrantur (c. 56) und nennt die Magie
als aucirix opinionum istarum (c, 57 Anf.). Für die umgebenden Kapitel,
in denen er die Divination behandelt (46 — 55. 57 Schi.), nennt er als
eine seiner Quellen den ihm zeitlich nahestehenden Hermippos von Berytos:
c. 46 g. E. cetera (oracula) cum suis et origmibus et ritibus et relatoribus,
cum omni deinceps Mstoria somniorum Hermippus Berytensis quinione
voluminum satiatissime exhibebit; mit den Exzerpten aus diesem Werk
hat er sicher noch Soranos Trepi vpuxfic zusammengearbeitet (Diels,
Doxogr. 203 ff.). Daß unter den Gewährsmännern dieser beiden das grund-
legende Werk des Poseidonios irepi juavTiKf^c gewesen ist^), läßt sich
erweisen aus der Parallelüberlieferung besonders bei Cicero de div.,
mit der sich Tertullian oft nahe berührt, aber so, daß er oft viel mehr,
und zwar sehr Erlesenes, hat als dieser; daraus folgt also, daß Cicero
und der Gewährsmann Tertullians einer gemeinsamen Quelle folgen.*)
Sie genauer zu bestimmen ermöglicht zunächst die Darstellung der ver-
schiedenen Arten von Traumorakeln c. 46 f. Sie sollen entspringen
entweder a deo oder a daemanio oder ab anima; das berichtet Cicero I 64
aus Poseidonios: tribus m^dis censet (Posidonius) deorum adpulsu homines
somniare, uno quod provideat animus ipse per sese . . ., altero quod plenus
aer sit immortaUum animorum .... tertio quod ipsi di cum dormientibus
conloquantur ; bei Tertullian ist also nur die Eeihenfolge geändert. Die
erste Art dieser Divination (qu^d provideat animus ipse per se) definiert
Cicero an einer späteren Stelle (125) nach (dem wieder ausdrücklich
genannten) Poseidonios genauer so: sie ergebe sich durch ein Eindringen
des Geistes in den Zusammenhang der immanenten Naturgesetze, denn
das Fatum sei die causa aeterna rerum, cur et ea quae praeteriertmt
facta sint et quae instant fia/nt et quae sequentur futura sint; ita fit ut
observatione notari possit quae res quamque causam consequatur. Dem
entspricht bei Tertullian (c, 47): tertia species erunt somnia quae sibimet
ipsa anima videtur inducere ex intentione circumstantiarum , denn daß er
in die beiden letzten Worten das zusammendrängt, was Cicero umschreibt,
zeigt Quintilian V 10, 102f., der als die argumenta ex circumstantia (eK
irepiCTTdcreuJc) diejenigen bezeichnet, die ex antecedentibus et iunctis et
insequentibus gezogen werden (rrepicrTaffic als Terminus der jungstoischen
Logik bei Sext. Emp. VII 253). Von der dritten Art dieser Divination
(quod ipsi di cum dormientibus conloquantur) sagt Cicero 117, sie folge
aus der Vorsehung der Götter, denn da diese feststeht, profecto homi-
nibus a dis futura significari necesse est; vergl. Tertull. c. 46 Stoici deum
malunt providentissimum humanae institutioni inier cetera praesidia divimor
tricum artium et disciplinarum somnia quoque nobis indidisse. Wenn
endlich Tertullian (c. 47) sagt, die Tatsache, daß diese Art der Divi-
nation a deo stamme, gelte den meisten Menschen auch umgekehrt als
Beweis für die Existenz Gottes (maior paene vis Jiominum ex visionibus
1) Zitiert wird er von Tertullian c. 14 in einer sicher aus Soranos stam-
menden Partie (Diels 205).
2) In den mir bekannten Untersuchungen über stoische Mantik sowie den
Quellenanalysen der ciceronianischen Schrift ist Tertullian nicht benutzt worden.
D. DIE QUELLENFRAGE (POSEIDONIOS). 41
deum discimt), so wird das als stoische Lehre kurz auch von Cicero 10,
ausführlicher von Sextus Emp. IX 132 aus Poseidonios erwähnt, bei
diesem gerade auch mit Berufung auf den allgemeinen Glauben der
Menschen. Die prophetische Kraft von Sterbenden berichtet Cicero 63 f.
kurz aus Poseidonios, ausführlicher mit Berufung auf Piaton und Dichter
Tertullian c. 53. Andere Übereinstimmungen zwischen Cicero (bezw.
dessen Quelle) und Tertullian seien nur kurz notiert: vergl. Cicero 91
mit Tert. 46 Anf., Cic. 37. 96 mit Tert. 46 g. E., Cic. 60. 62. 115 mit
Tert. 48 Mitte. Bemerkenswert ist noch, daß die bei Cicero für das Ein-
treffen von Weissagungen genannten Gewährsmänner Herodot, Herakleides
Pont., Philochoros und Kallisthenes auch bei Tertullian vorkommen, bei
diesem außerdem noch Charon von Lampsakos, Ephoros und Theopompos.
Diese erlesenen Zitate verdankte also der Gewährsmann Tertullians dem
Poseidonios.
Daher liegt die Vermutung nahe, daß auch der in die Darstellimg
Tertullians fest eingefügte Abschnitt über die in der Mantik eine Rolle
spielenden Seelen der doupoi und ßmioödvaTOi aus derselben Quelle
stammt. Hierfür lassen sich noch folgende Argumente geltend machen.
1. Tertullian nennt, wie bemerkt, die Magie die auctrix dieser Lehre.
Nun ist Poseidonios auf die Lehren der mdgi über die Mantik ein-
gegangen, wie aus mehreren, mit Sicherheit auf Poseidonios zurück-
gehenden Stellen der ciceronianischen Schrift hervorgeht (46 f. 90 f.) Der
von der Magie übernommene Glaube galt als pythagoreische Lehre, denn
Lukian Philops. 29 legt ausdrücklich einem Pythagoreer (im Gegensatz
zu anderen) die Worte in den Mund TCtc ßiaiujc dTToGavövTUJV [növac
ij;uxdc irepivocTTeiv, Tctc be Kaiot inoipav dTToGavövTiuv ouKeii, vergl.
auch oben S. 11, 1. 2. Poseidonios mußte in seinem Werk über die Mantik
auf die schon in homerischer Zeit gebräuchliche, von Äschylos in den
Persem und den ipuxciYUUTOi verwertete und gerade zu seiner Zeit in
spiritistischen Zirkeln beliebte Nekyomantie (s. o. S. 2) eingehen. Daß
er es wirklich getan, folgt aus Cicero 1. c. 132. Cicero verwirft hier
diese Art der Mantik (während er Tusc. I 115 einen Beweis aus ihr
nach Krantor anführt), natürlich auch der Christ Tertullian, der hier
(c. 56) eine Livektive gegen die Magie seiner Zeit einlegt; wie sich
Poseidonios dazu verhielt, ist ungewiß (vergl. Aetius p. 415, 14 Diels von
den Stoikern: ouTOi xd TrXeTcTTa \iip\\ if\Q |navTiKfic eYKpivoucTi, ebenso
Cic. acad. H 107), Varro scheint daran geglaubt zu haben (Augustinus
de civ. dei VH 35 Varro . . . adhihito sanguine etiam inferos perhibet
sdscitari et veKuo)LiavTeiav graece dicit vocari), wie die Neuplatoniker
(Porphyr, de abst. H 47). 3. Daß Poseidonios wenigstens in einer
anderen Schrift (Protreptikos? s. o. S. 35, 3) auf die duupoi Bezug nahm,
folgt aus einer Stelle des von Heinze (I.e. 128 ff.) auf ihn zurück-
geführten apokalyptischen Mythus in Plutarchs Schrift de genio
Socr. 22, 590F Kdxuu ö' dTTibövii (paiveaGai (ecpn) Xöö"^ci \ilyoL . . .
TToWoö (TKOTOuc irXfipec . . ., 69ev dKOueaGai . . . jaupiuuv K\auG|iöv
ßpeqpujv, was sich auch formell mit Vergil 426 f. auffällig berührt:
conünuo auditae voces vagitus et ingens | infantumque animae flerdes, in
limine primo | qtios dulds vitae exsortes et ab ubere raptos | abstulit atra
dies et funere mersit acerbo.
42 EINLEITUNG.
Die Rolle, die Vergil seine Sibylle im Hades spielen läßt, ist nicht
einwandfrei. Sie weiß Bescheid in der Region diesseits des Acheron
(268 — 416), dann auch in der 'Vorhölle' jenseits desselben (417 — 547),
endlich auch im Tartarus (548 — 627); daß sie, die Reine, die Sünder
und Strafen des Tartarus kennt, wird damit motiviert, daß sie als
Priesterin am Avemersee von Hekate durch die ganze Hölle geführt sei
(5 6 4 f.). Im Elysium fällt sie aber aus der Rolle der allwissenden
Prophetin: sie muß sich an Musaeus wenden, um von diesem zu erfahren,
wo Anchises wohne (669 — 71), und sich von diesem über die Frei-
zügigkeit der Seligen belehren lassen (672 — 75). Aber diesen Dialog
würde man sich zur Not aus dem Bestreben erklären können, die Erzählung
dramatisch zu beleben. Als nun aber Anchises gefunden ist (679), tritt
die Sibylle völlig in den Hintergrund: sie wird von jetzt an nicht mehr
gefragt, sondern ihr wird zugleich mit Aeneas die Offenbarung der
höchsten Dinge zuteil, d. h. also: sie, die Prophetin, hat ihre Rolle an
Anchises abgegeben und ist nur mehr ein KUjqpöv TtpödiUTTOV, nur noch
dazu gut genug, mit Aeneas zu schauen (752), mit ihm sich zu wundern
(854) und mit ihm aus dem Hades entlassen zu werden (897). "Wir
müssen die Frage also folgendermaßen formulieren: wie erklärt sich die
Teilung der Apokalypse zwischen Sibylle und Anchises?
Die Apokalypse Plutarchs de sera n. v. 22, in der alte theologische
Motive reichlich benutzt sind (Dieterich 147), besteht aus vier Teilen:
1. dem TÖTTOC Ka9ap)LioO, an dem sich die Läuterung der Seelen vollzieht
(563 E — 565 E), 2. dem töttoc Ar|6ric, an dem sie sich zur Wiedergeburt
vorbereiten (565 E — 566 A), 3. dem xpaifip oveipuuv (566 B — E), 4. dem
TÖTTOC KoXdcreuJC (566E — 567F). An den drei ersten Orten wird
Thespesios geführt von der Seele eines verstorbenen Verwandten, der
sich als Perieget zu ihm gesellt hat (5640). Als sie aber an dem
Ort der Verdammnis angelangt sind, verschwindet dieser Begleiter und
Thespesios wird von schrecklichen Gestalten vorwärtsgestoßen, um auch
diesen Ort zu schauen (56 7 A). Hier haben wir also ebenfalls eine
doppelte Führung und Offenbarung: wie der Verwandte des Thespesios
diesem die Läuterung der Seelen und ihre Vorbereitung zur Wiedergeburt
erklärt, so Anchises dem Aeneas; die Tartarus- Apokalypse geschieht bei
Plutarch durch Höllendämonen, bei Vergil durch die Sibylle, die er —
mit einem für die Situation geschickt erfundenen Motiv — - von der
Höllenfürstin Hekate hier orientiert sein läßt.^) Nun verstehen wir, wie
es kommt, daß die Sibylle im letzten Teil der vergilischen Eschatologie
ihre Rolle ausgespielt hat: die Verteilung der Apokalypse auf zwei
Propheten war ein überliefertes Motiv. Im Sinn der Vorlage wäre es
gewesen, die Teilung nun auch streng durchzuführen, d. h. die Sibylle,
nachdem sie ihres Amtes gewaltet hat, verschwinden zu lassen. Das
konnte Vergil wegen der zentralen Stellung, die er der Sibylle in dem
. 1) 564 f. sed me cum lucis Hecate praefecit Ävernis (= 118), ipsa deum poenas
docuit perque omnia duxit. Es sei an Artemis (Hekate) 'Hteihövii erinnert, deren
chthonischen Charakter S. Wide, Lakon. Culte 110 f. wohl erwiesen hat, sowie an
die Führerrolle, die Hekate bei der Kdeoboc und ävoboc der Kora auf Vasen-
bildem gegeben ist (Petersen, Arch.-epigr. Mitt. aus österr. IV (1880) 142 f.).
D. DIE QÜELLENFRAGE (POSEIDONIOS). 43
ganzen Buch, auch dessen erstem Teil, anwies, nicht wohl ausführen;
daher läßt er 'sie den Aeneas weiter begleiten und muß sie aus einer
Prophetin zu einer fast störenden Nebenfigur degradieren.
In einer zweiten Apokalypse Plutarchs finden wir das Motiv
wenigstens angedeutet: de genio Socr. 22, 591 A: „Nach einiger Zeit habe
er eine unsichtbare Stimme fragen hören 'Timarch, was willst du erfahren?'
worauf er geantwortet habe 'alles, denn jegliches ist hier wunderbar'.
Darauf die Stimme: 'von den höchsten Dingen wissen wir nur wenig,
das ist Sache anderer, göttlicher Wesen; willst du aber den Bezirk der
Persephone, unsere Eegion, schauen, so kann dir dieser Wunsch erfüllt
werden'."
Da in dieser zweiten Apokalypse Plutarchs Poseidonios benuzt
ist (s. o. S. 32), so kann das Motiv ihm gehören. Das scheint durch
Ciceros somnium Scipionis bestätigt zu werden, dessen Komposition eben
infolge dieses fest überlieferten Motivs eine ähnliche Ungeschicklichkeit
zeigt, wie wir sie soeben für Vergil festgestellt haben. Auch Cicero
verteilt die Apokalypse auf zwei Propheten, den älteren Scipio und den
Vater des jüngeren; die Hauptrolle, die OfFenbarung der höchsten Dinge,
ist jenem zugewiesen, Paulus redet einige Worte über Tod und Leben
sowie über den Selbstmord (14 — 16), um dann völlig vergessen zu
werden; die Schrift schließt mit den Worten ille (Africanus) discessit,
ego somno solutus sum, als ob Paulus gar nicht dabei gewesen wäre.
Also Vergil behält die unbequeme Nebenfigur im weiteren bei, Cicero
kümmert sich, nachdem sie ihre Rolle ausgespielt hat, überhaupt nicht
mehr um sie: ein verwandter Kompositionsmangel infolge ungenügender
Verwertung eines überlieferten Motivs.
Wir können noch einen Schritt weiter gehen: auch das spezielle
Motiv Vergils, daß die Offenbarung gerade über die Seelen Wanderung
dem Sohn vom Vater zuteil wird, muß auf Überlieferung beruhen. Denn
nur unter dieser Voraussetzung erklärt sich die Einkleidung zweier
hermetischen Schriften. Das vorletzte Kapitel des Poimandres (ed.
Parthey p. 114ff.) trägt die Überschrift: '€p^oO toO Tpi(T|ueTi<^TOU irpöc
TÖv uiov TotT ev öpei Xötoc dTroKpuqpoc irepi TraXiYTevetTiac, und
aus einer anderen Schrift dieser Art hat Stobaeus ecl. phys. I 41, 68 f.
eine Rede der Isis an ihren Sohn Horus erhalten, der ebenfalls rrepi
einvpuxiucyeujc xai laeTemjiux^cr^ujc handelt und sich stellenweise auch
sachlich mit der von Vergil vorgetragenen Darstellung der Lehre berührt;
das ist begreiflich, da die hermetischen Schriften dieselbe Fusion von
pythagoreischer, platonischer und stoischer Philosophie repräsentieren wie die
für Vergil vorauszusetzende Quelle. ^) Da nun dieselbe eklektische Haltung
für Poseidonios charakteristisch ist, so werden wir vermuten dürfen, daß
das von Cicero, Vergil und dem Verfasser der hermetischen Schriften ver-
wendete Motiv aus Poseidonios stammt, und das um so mehr, als Benutzung
des Poseidonios in den hermetischen Schriften ohnehin feststeht (vergl.
Reitzenstein , Zwei religionsgeschichtliche Fragen, Straßburg 1901, 93).
Das Motiv, die Prophetie über die letzten Dinge nicht einer ein-
1) Eine Berührung zwischen Vergils Apokalypse und einer hermetischen
Schrift ist im Kommentar zu Vers. 264 ff. notiert worden.
44 EINLEITUNG.
zigen Person zu übertragen, blieb noch in der mittelalterlichen Apo-
kalyptik geläufig. In der Visio S. Baronti (f um 700 in Pistoja) 1. c
(o. S. 9) 570fF. wird der Visionär von dem Erzengel Eaphael im Paradies
geführt; darauf bestimmt Petrus zwei Knaben, die ihm die Hölle zeigen.
In zwei Visionen, der von Baeda bist. eccl. V 12 erzählten des J. 696
sowie der des Tundalus vom J. 1149 1. c. (ibid.) p. 32f. wird das Motiv
so gewendet, daß der Führer, der den Visionär durch das Purgatorium
geleitet hat, vor der Hölle verschwindet und sich erst nachher wieder
zu der Seele gesellt. Besonders lehrreich ist, wie Dante sich des Motivs
bedient. Durch Hölle und Purgatorium läßt er sich von Virgil geleiten,
bis dieser am Eingang des Paradieses verschwindet und Beatrice an
seine Stelle tritt. Dante läßt dies Programm von Virgil gleich zu
Anfang darlegen (Inf. I 112ff.): 'ich werde dich durch Hölle und Pur-
gatorium führen; willst du die Sitze der Seligen schauen, so werde ich
dich einer anima piü degna di me überlassen, denn dorthin habe ich
keinen Zutritt', womit man, um die Identität des Motivs zu erkennen,
die vorhin aus Plutarchs Apokalypse de genio Socr. zitierten Worte
vergleiche; aus der wenig glücklichen Wendung, die Vergil selbst in
seiner Nekyia dem Motiv gegeben hat, konnte Dante seine Darstellung
unmöglich entnehmen: er darf hier also als unabhängiger Zeuge ver-
wertet werden (vergl. oben S. 8 f.).
Die große Prophezeiung des Anchises 756 — 892 ist kunstvoll dis-
poniert. Das Thema gibt der Eedende selbst in der propositio an
(756 — 59): dem Aeneas sollen seine Nachkommen gezeigt und seine
persönlichen Schicksale offenbart werden (Dardaniam prolem quae deinde
sequatur \ gloria, • • • | inlustris animas nostrumque in nomen ituras \ ex-
pediam dictis et te tua fata docebo). Das erste geschieht in der so-
genannten Heldenschau (760 — 887), das zweite durch folgende, die
Prophezeiung abschließende Verse (890 — 92):
exim bella viro memorat quae deinde gerenda
Laurentisque docet populos urhemque Latvni
et quo quemque modo fugiatque feratque laborem.
Dieser Teil der Prophezeiung des Anchises ist anerkanntermaßen
eine Dublette zu derjenigen Prophezeiung, die Aeneas vor der KaiaßaCTic
von der Sibylle erhalten hatte (83 ff.): hier wie dort handelt es sich
um die bevorstehenden Kriege (vergl. 86 bella) und Leiden (vergl. 103
laborum)^ sowie um die Verhältnisse, die Aeneas in Latium antreffen
werde (vergl. 88 ff.). Wer sich nicht damit begnügen will, einen 'Irrtum'
Vergils anzunehmen (so Noack, Hermes XXVH 1892, 409), wird angesichts
der Tatsache einer mangelnden Redaktion des Gedichts die Frage viel-
mehr so formulieren: welche von diesen beiden Fassungen beabsichtigte
der Dichter zu Gunsten der anderen fallen zu lassen? Daß wir diese
Frage beantworten können, verdanken wir zwei sich gegenseitig stützenden
und ergänzenden Parallelstellen im IH. und V. Buch." In jenem (III 458 ff)
rät Helenus dem Aeneas, die Sibylle aufzusuchen und sie um ein Orakel
zu bitten,
D. DIE QUELLENTRAGE (POSEIDONIOS). 45
üla tibi Itäliae populos venturaque bella
et quo quemque modo fugiasque ferasque lahorem
expediet,
Verse, die sachlich genau und zum teil auch wörtlich mit jenen des
VI. Buchs übereinstimmen. Also sollte nach der Intention von Buch III
die Sibylle, und nicht Anchises, dem Aeneas seine persönlichen Schicksale
offenbaren. Im fünften Buch (7 2 2 ff.) erscheint Anchises dem Aeneas im
Traume und fordert ihn auf, unter Führung der Sibylle in den Hades
zu steigen; als Grund gibt er an (737):
tum genus omme tuum et quae dentur moenia disces.
Dieser Vers enthält in aller Kürze eine vollständige Inhaltsangabe der
sogenannten Heldenschau des VI. Buches (mit den moenia meint er die
innerhalb der Heldenschau VI 766. 781 ff genannten Städte Alba und
Rom); während er also in jener propositio, von der wir ausgingen, dem
Aeneas die Heldenschau und die Verkündigung seiner persönlichen Schick-
sale verheißt, spricht er hier nur von ersterer. Nun ist es ein — von
dem uns beschäftigenden Problem unabhängig gefundenes — m. E. sicheres
Ergebnis der Analyse des Gedichts, daß III und V, oder mit vorsichtigerer
Formulierung Teile von III und V später geschrieben sind als VI.-^) Wir
sehen also, daß der Dichter beabsichtigt hatte, die Dublette der Prophe-
zeiungen in VI zu beseitigen: die Sibylle sollte dem Aeneas prophezeien,
Anchises ihm die Helden Albas und Roms zeigen; mit anderen Worten:
die Verse 890 — 92 (Prophezeiung des Anchises von den persönlichen
Schicksalen des Aeneas) mitsamt dem auf sie hinweisenden Vers der
propositio 759 soUten zu Gunsten von 8 3 ff. (Prophezeiung der Sibylle von
demselben Gegenstand) fallen. Im wesentlichen zu demselben Resultat ist
auch R. Sabaddini, Studi critici suUa Eneide (Lonigo 1889) 104 gelangt.
Nun genügt es aber noch nicht, die Dublette als solche und die
Absicht des Dichters sie zu beseitigen erkannt zu haben, sondern es
erhebt sich die weitere Frage nach ihrer Genesis: wie war es möglich,
daß der Dichter zu irgend einer Zeit seines Schaffens die zwei Prophe-
zeiungen so, wie wir sie lesen, nebeneinander stellen konnte?
Wenn Aeneas überhaupt mit der Sibylle zusammentreffen sollte, so
war es selbstverständlich, daß er von ihr ein Orakel erhalten mußte; ja
es scheint sich sogar beweisen zu lassen (vergl. den Kommentar zu 83 ff),
daß Vergil ein ganz bestimmtes, dem Aeneas von der cumanischen Sibylle
gegebenes Orakel in kurzen Zügen referiert. Also die eine Prophezeiung
war durch eine feste Tradition gegeben; nun aber die zweite, die des
Anchises? Man wird zunächst an die dem Odysseus von Teiresias ge-
gebene Prophezeiung X 100 — 37 denken und es ist allerdings sehr wahr-
scheinlich, daß dem Dichter für die Situation diese Episode der
homerischen Nekyia vorschwebte. Aber das Entscheidende ist doch, daß
die Prophetie des Anchises aus zwei Teüen besteht: einem langen philo-
sophisch-eschatologischen (724 — 51 -f- 756 — 886) und einem ganz kurzen
persönlichen (890 — 92), während bei Homer jener ganz fehlt, dieser sehr
ausführlich ist. Dagegen finden wir eine völlige Analogie wiederum in
1) Vergl. den Kommentar zu 110 ff.
46 EINLEITUNG.
Cicero s somnium Scipionis. Auch die Prophezeiung, die dort dem
älteren Scipio in den Mund gelegt wird, ist zweiteilig. Während der
zweite, umfangreichere Teil die philosophische Darlegung von den höchsten
Dingen enthält, werden in dem ersten, kürzeren (11 f.) dem jüngeren
Scipio seine persönlichen Schicksale ge weissagt: Sieg in zwei Kriegen,
Intriguen gegen seine Person. Bei Vergil ist die Stellung der beiden
Teile umgekehrt, aber sachlich entsprechen den dem Scipio geweissagten
Kriegen und Intriguen die dem Aeneas geweissagten hella et labores.
Die Dublette der zwei Prophezeiungen in der vorläufigen Fassung
des VI. Buchs erklärt sich also aus der Kombination zweier Quellen:
einer apokalyptischen (auch von Cicero benutzten) Schrift vermutlich
des Poseidonios und einem durch die Legende gegebenen sibyllinischen
Orakel; in der definitiven Fassung beabsichtigte der Dichter, die literarische
Analogie gegenüber der legendarischen, mit Aeneas eng verknüpften sibyl-
linischen Überlieferung fallen zu lassen.
10.
Die Seelenwanderungslehre ist bei Vergil nur Mittel zum Zweck des
letzten großen Abschnitts der Nekyia, der Heldenschau (756 — 887):
Anchises zeigt dem Aeneas die Seelen seiner Nachkommen bis auf Augustus
und dessen Neffen Marcellus. Für diese Fiktion bedient Vergil sich einer
höchst phantastischen Vorstellung. Jede zur Rückkehr in einen neuen
Köi-per bestimmte Seele (animae quibus altera fato \ corpora debentur
7 13 f.) soll während der 1000 Jahre, die sie im Jenseits zubringen muß,
ihr künftiges Erdenleben gewissermaßen antizipieren: der Scheinkörper,
in den sie sich kleidet, trägt bereits jetzt die Gestalt (809. 856. 861
vergl. 771), den Charakter (816. 817. 827), ja die Insignien (760. 772.
779f. 808. 826. 855) des künftigen Erdendaseins. Diese phantastische
Erfindung ist in keiner anderen Eschatologie nachweisbar, sondern die
Vorstellung ist sonst überall die, daß die Seelen während ihrer Läuterungs-
zeit im Jenseits die eibujXa ihres früheren Erdendaseins sind. Aber
hier sah sich Vergil zu einer Änderung gezwungen, denn die Zeit, in
die er seine Eschatologie rückte, lag ja in den Anfängen der Geschichte
oder gehörte vielmehr noch der mythischen Periode an, und er wollte
doch eine Prophetie der Zukunft geben. Wir sehen also wieder die
philosophisch -theologische Lehre mit der poetisch -mythologischen Ein-
kleidung in Konflikt kommen (s. o. S. 15 f.), was hier zu der grotesken
UnWahrscheinlichkeit einer Präexistenz des individuellen Körpers im
Hades, antik gesprochen zu einem diriGavov n\&(Sixa geführt hat. Hier-
aus mag es sich auch wohl erklären, daß Ovid in seinem sonst genauen
allgemeinen Überblick über den Inhalt des VI. Buchs (met. XIV 116 ff.)
diese Erfindung fast ostentativ mit Stillschweigen übergeht, wenn er den
Aeneas nur sehen läßt atavosque suos umbramque senilem Anchisae (11 7 f.),
obwohl die Vorfahren von Vergil im Gegensatz zu der langen Reihe der
Nachkommen doch nur ganz nebenbei (648 — 50) genannt sind. Lehr-
reich ist auch die Art, wie Ps. Manilius in der von Diels 1. c. (o. S. 35)
auf Poseidonios zurückgeführten Partie I 754 ff. mit dessen theologischer
Lehre die Erfindung Vergils verbunden hat: 'die Seelen der Guten, sagt
er, wandern von der Erde dorthin (auf die Milchstraße, vergl. Cicero,
D. DIE QUELLENFRAGE (POSEIDONIOS). 47
somn. Scip. 16); dort weilen sie, die wir verehren' und nun folgt eine
lange Reihe von Namen bis auf Augustus in deutlicher Nachahmung
Vergils. Da er also den Zeitpunkt seiner Eschatologie nicht wie Vergil in
die mythische Zeit zurückverlegt, so kann er die theologische Lehre
seiner Quelle reiner reproduzieren und doch das Motiv der berühmten
vergilischen Heldenschau verwerten; er korrigiert also, um es so aus-
zudrücken, das poetische TrXdcTjLia Vergils an der q)iXo(JO(pia der ihnen
beiden gemeinsamen Quelle.
11.
Am Schluß des VI. Buches (893 ff.) wird Aeneas (und die Sibylle) von
Anchises aus einem Tor der Träume an die Oberwelt entlassen. Das
Motiv kommt üben-aschend und unvermittelt, widerspricht auch der
Lokalisation der Träume am Hadeseingang (282 ff.). ^) Es läßt sich durch
den Vergleich mit anderen apokalyptischen Schriften noch zeigen, wie
Vergil zu diesem Motiv geführt wurde.
Völlig motiviert ist der Aufstieg zur Oberwelt durch das Traum-
orakel des Trophonios bei Plutarch de genio Socr, 22, 592 E, weil
dort auch die KttiaßacTic durch dieses stattgefunden hatte (21, 590A).
Diese Eschatologie Plutarchs ist zwar, wie bemerkt (vergl. o. S. 43), von
Poseidonios beeinflußt; ob freilich gerade dies Motiv aus ihm stammt, ist
ganz ungewiß: E. Rohde, Roman^ 260, 3 dachte an Dikaiarchs eic
Tpoqpuuviou Kardßacric, was ebenso unsicher ist. — Durch das unter-
irdische Heiligtum des Trophonios läßt auch Lukian seinen Menipp aus
der Unterwelt zurückkehren (nekyom. 22). — Auch in einem orphischen
Gedicht (Kpaxrip? vergl. Dieterich 1. c. 147) scheint das Motiv vor-
gekommen zu sein. Denn Plutarch spricht in einer anderen Eschato-
logie (de sera n. v. 22, 566 Bff.) von dem großen Krater, in dem die
Träume gemischt würden und aus dem sie zu den Menschen aufstiegen;
bis zu diesem sei Oi^pheus gelangt, als er die Seele seiner Gattin holte,
und habe darüber den Menschen einen (von Plutarch korrigierten) Bericht
erstattet. Die Worte axpi toutou (toO Kpaxfipoc) TÖv '0p9ea irpoeX-
GeTv scheinen zu bedeuten, daß die Rückkehr des Orpheus eben durch
diesen Kpairip erfolgte (so auch 0. Gruppe bei Röscher s. v. Orpheus 1130).
Vor allem wichtig ist dann aber, daß das Motiv in analoger Form
begegnet in Ciceros somnium Scipionis. Einzelne Motive aus dieser
apokalyptischen Schrift, die erwiesenermaßen aufs stärkste durch Posei-
donios beeinflußt ist, sind für die Exegese Vergils schon von älteren
Interpreten (seit Macrobius) und oben von mir verwertet worden. Aber
auch in ihrer ganzen Anlage zeigt sie Ähnlichkeiten mit Vergil, ohne
daß dieser direkt von ihr abhängig sein könnte, da er gerade die philo-
sophischen Stücke, die Cicero kürzt oder ganz fortläßt, ausführlich bringt.
Dem träumenden Scipio wird von dem älteren Afrikanus zunächst (11 — 13)
sein Schicksal prophezeit (Kriege, Ruhm, Hindeutung auf die Todesart).
So verspricht Anchises dem Aeneas 759 te ttia fata docebo und erfüllt
das 890 ff.: Kriege, Mühsale (siehe über dies Motiv oben bei 9). Auch
1) Zuletzt ist der Widerspruch scharf hervorgehoben von A. Gercke, Neue
Jahrb. f. d. klass. Alt. 1901, 110 f.
48 EINLEITUNG.
das bei Cicero stark ausgeprägte protreptische Element (13 quo sis
alacrior ad tutandam rempuUicam; 16 iustitiam cole; 29) durchzieht,
wie im Kommentar näher gezeigt werden wird, die große Rede des
Anchises und wird vom Dichter selbst 889 durch incendit (AncMses)
animum {Aeneae) als das reXoc hervorgehoben. Darauf erscheint bei
Cicero Scipios Vater (14), der für kurze Zeit sich mit dem älteren
Africanus in die Prophetenrolle teilt (siehe darüber oben bei 8). Scipio
fragt seinen Vater: 'wenn, wie Africanus mir soeben sagte, unser Leben
in Wahrheit Tod, unser Tod Leben ist, warum eile ich dann nicht zu
sterben?' ein Gedanke, den Paulus mit kurzem Hinweis auf Natur und
Bestimmung der Seele verwirft (15 f.). Aeneas fragt seinen Vater (7 19 ff.),
wie es möglich sei, daß Menschen, einmal gestorben, noch den schreck-
lichen Wunsch {dira cupido) hegen könnten, wieder lebendig zu werden,
was ihm Anchises durch eine ausführliche Belehrung über Natur und
Schicksale der Seele erklärt (722 ff.). Der Pessimismus in dieser Frage
des Aeneas ist durch die Situation nicht begründet, während Scipio die
Frage stellt, weil er soeben von Africanus die pessimistische Auffassung
des irdischen Lebens vernommen hat. Im einzelnen gehen dann die
Darlegungen auseinander, da für Cicero der töttoc rrepi TraXiTTeveaiac
Nebensache, für Vergil wesentlich ist; daß er in Ciceros Quelle aus-
führlicher behandelt war, zeigen die nur andeutenden Worte, mit denen
Cicero den Africanus schließen läßt (29): die Guten kehren gleich nach
dem körperlichen Tode, die Bösen erst multis exagitaH saeculis in den
Himmel zurück; dieser Gedanke wird von Vergil (733 ff.) ausführlich
dargelegt, auch mit genauerer Definition der ciceronianischen multa saecula
(745. 748). Die ganze Handlung nun läßt Cicero den Scipio mit den
Worten abschließen: ille (Africanus) discessit, ego somno solutus sum;
bei Vergil endet das Buch damit, daß Aeneas von Anchises aus der
ehurna somni porta entlassen wird (893 ff.): sachlich ist beides identisch,
nur kleidet der Dichter die Vorstellung in das durch Homer gegebene
Bild von den Toren der Träume ein.
Die aus diesen Prämissen sich ergebende Folgerung, daß Poseidonios
seine Apokalypse in die Form einer Traumvision eingekleidet hat, wird
bestätigt durch Philon de somniis I 22 (p. 641 f. M.), der den Jakob in
seinem Traum von der Himmelsleiter die Wanderung der Seelen schauen
läßt; die Lehre selbst trägt er, wie Heinze 1. c. 112 f. bemerkt, un-
verkennbar nach Poseidonios vor.^)
1) Vergl. z. B. die schwungvollen, ganz an Poseidonios' glänzende (platonische)
Diktion erinnernden Worte: toOtujv (tujv vjjuxüüv) ai )li^v to auvTpoqpa koI auviP|6ri
Tou övriToO ßiou TroeoOoai iraXivbpoiLioOaiv aÖTic, ai 5^ iroXXi^v qpXuapiav auToO
KaTaYvoOoai beö|au)Tripiov |a^v xai TÜ)Lißov ^KÜXeoav tö avjixa, qpuYoOaai hä lüairep
äl eipKxfic f\ |Livri|aaToc ävu) Koüqpoic itTepoic irpöc aiG^pa ^EapBeioai lucTeuipo-
iroXoOai TÖv aiüuva. In den Worten: öttö Tf]C oeXriviaKfjc öqpaipac, f^v i.axäTr\v
^iv TÜJv kot' oupavöv kükXuuv -rrpiürriv b^ tuiv -rrpöc fi|uac ävoYpötqpouöiv oi
(ppovTiOTal tAv luexeuOpiiuv, äxpi yf\c iax&Tr\c ö äi]p irdvxrj TaBelc gqpöaKev
ouTOC bi kati vpuxuJv äauj^&Twv oTkoc sind mit den Metereologen Aristoteles
und Poseidonios gemeint, deren Lehre das war. — Die Erklärung des Gesichts
im Monde c. 22 i. f. ist stoisch (nach Plutarch de fac. 5 p. 921 F). Anderes bei
Heinze 1. c.
n.
TEXT
UOT) ÜBERSETZUNG
VEBori. Buch VI, von Korden.
MPR Sic fatur lacrimalis , classique immittit habenas,
et tandem Euboicis Cumarum adlabitur oris.
obvertunt pelago proras, tum dente tenaci
ancora fundabat navis, et litora curvae
6 praetexunt puppes. iuvenum manus emicat ardens
litus in Hesperium, quaerit pars semina flammae,
abstrusa in venis silicis, pars densa ferarum
tecta rapit silvas, inventaque flumina monstrat.
at pius Aeneas arces quibus altus Apollo
10 praesidet, horrendaeque procul secreta Sibyllae
antrum immane petit, magnam cui mentem animumque
Delius inspirat vates aperitque futura.
iam subeunt Triviae lucos atque aurea tecta.
Daedalus ut fama est fugiens Minoia regna,
16 praepetibus pinnis ausus se credere caelo,
insuetum per iter gelidas enavit ad arctos,
Chalcidicaque levis tandem super adstitit arce.
redditus bis primum terris, tibi Phoebe sacravit
remigium alarum, posuitque immania templa.
20 in foribus letum Androgeo, tum pendere poenas
Cecropidae iussi — miserum — septena quotannis
Corpora natorum, stat ductis sortibus uma.
contra elata mari, respondet Gnosia tellus:
bic crudelis amor tauri, suppostaque furto
25 Pasiphae, mixtum que genus prolesque biformis
Über die Interptmhtion des Textes vergl. Anhang II 4.
1 2 im Manuskript Vergils am Schluß von Buch F, von Varius hierher
gestellt 20 Androgeo Grammatiker sitate, Androgei Ess. 23 Cnosia P
So spracli er weinend, ließ dem Wind die Segel
Und lief das Ufer Kymes endlich an.
Sie drehten seewärts ihrer Schiffe Schnäbel,
Verzahnten sie im Meeresgrund mit Ankern,
Daß Heck an Heck die Küste ragend säumte.
Die junge Mannschaft sprang mit Feuereifer
Flugs auf Hesperiens Strand; sie suchten Steine,
Die im Geäder Feuerkeime bargen,
Sie rafften Reisig aus des Urwalds Dickicht
Und zeigten Quellen, die sie aufgefunden.
Jedoch Aeneas strebte frommen Sinnes
Zur Burg, die Phoebus auf der Warte schirmt,
Und zur geheimnisvollen Riesengrotte
Der schauerlichen Seherin Sibylla:
Ihr hauchte des Prophetengeistes Odem
Der Gott ins Herz, daß sie die Zukunft schaute.
Schon barg der Hain der Hekate die Mannen,
Sie nahten sich Apollos güldnem Haus.
Aus Minos' Reich entfloh'n — so geht die Sage
Vertraute Daedalus sich breiten Fittigs
Dem Athermeer: so schwamm er wagemutig
Auf fremder Bahn zum eis'gen Himmelspol.
Auf Kymes Warte schwebt' er endlich nieder
Und weihte, hier zurückgeschenkt der Erden,
Apollo, dir die leichten Ruderschwingen
Und ließ ersteh'n des Tempels Riesenbau.
Auf dessen Flügeltoren bildet' er
Androgeos' Ermordung und die Buße
Der Bürger von Athen, jahraus jahrein
Ach sieben ihrer Kinder auszuliefern;
Die Losung ist vollbracht: die Urne ruht.
Als Gegenbild sah man am andren Tor
Das Eüand Kreta aus den Fluten ragen:
Pasiphae, die sich in grauser Brunst
52 TEXT.
FMPR Minotaurus inest, Veneris monimenta nefandae.
hie labor ille domus et inextricabilis error:
magnum reginae sed enim miseratus amorem,
Daedalus ipse dolos tecti ambagesque resolvit,
30 caeca regens filo vestigia. tu quoque magnam
partem opere in tanto, sineret dolor, Icare haberes;
bis conatus erat casus effingere in auro,
bis patriae cecidere manus. quin protinus omnia
perlegerent oculis, ni iam praemissus Achates
86 adforet, atque una Phoebi Triviaeque sacerdos
Deiphobe Glauci, fatur quae talia regi.
'non hoc ista sibi tempus spectacula poscit,
nunc grege de intacto Septem mactare iuvencos
praestiterit, totidem lectas de more bidentis.'
40 talibus adfata Aenean — nee sacra morantur
iussa viri — Teucros vocat alta in templa sacerdos.
Excisum Euboicae latus ingens rupis in antrum,
quo lati ducunt aditus centum ostia centum,
unde ruunt totidem voces responsa Sibyllae.
46 ventum erat ad limen, cum virgo 'poscere fata
tempus' ait, 'deus ecce deus'. cui talia fanti
ante fores, subito non voltus, non color unus,
non comptae mausere comae, sed pectus anhelum,
et rabie fera corda tument, maiorque videri,
50 nee mortale sonans, adflata est numine quando
MPR iam propiore dei. 'cessas in vota precesque
Tros ait Aenea cessas? neque enim ante dehiscent
attonitae magna ora domus'; et talia fata
33 omne B omnem die meisten Serviushss. im Lemma 37 poscunt M^B,
poscit neben poscunt Servius 39 ex für de F
ÜBERSETZUNG. 53
Heimlich dem Stier gesellte, schuf er hier
Und Minotaur, halb Mensch- halb Tiergebilde,
Der sünd'gen Liebe zwitterhaftes Mal.
Hier schaute man des Labyrinthes Maschen,
Li die der Weg sich unentwirrbar fing;
Doch ob der großen Liebe der Prinzessin
Erfaßte Mitleid Daedalus: so löste
Er selbst des Baus verschlung'ne Rätselgänge
Und lenkt' im Dunkel ihren Schritt am Garn.
Auch dir war, Ikarus, ein Ehrenplatz
In solchem Künstlerwerke zugedacht;
Der Schmerz verbot es ihm: er hatte zweimal
Die Hand gerührt, den Sturz in Gold zu büden,
Zweimal ließ sinken er die Vaterhand.
Die Troer hätten alles gern betrachtet
Der Reihe nach, jedoch schon war Achates
Zurückgekommen mit der Priesterin
Apolls und Hekates, Deiphobe,
Des Glaukus Tochter, die zum König sprach:
„Nicht frommt es jetzt, dies Kunstwerk zu betrachten;
Erkiese dir aus unberührter Herde
Je sieben Farren und volljähr'ge Lämmer
Und bringe sie nach Brauch als Opfer dar."
Sprach's; schnell vollzogen, dem Befehl gehorsam.
Das heil'ge Werk die Troer. Dann entbot
Die Priesterin sie iu den hohen Tempel.
Die Seite des gewalt'gen Bergs von Kyme
Ist ausgehauen tief zu einer Grotte;
In sie hernieder führen hundert Schachte,
Aus deren Schlünden die Prophetensprüche
Sibyllas aufwärts roUen hundertfältig.
Sie standen auf der Schwelle vor der Pforte,
Da rief die Jungfrau: „Jetzo gilt's zu flehen
Um Schicksalsspruch. Der Gott! ha sieh, der Gott!"
Sie rollt die Augen, sie wechselt die Farbe,
Es flattert ihr Haar, es keucht ihre Brust.
Im Wahnsinn wild wallet ihr Herz.
Es wächst die Gestalt, ihr Rufen erhallt
Nicht irdischen Klangs: es umweht sie der Odem
Des nahenden Gotts. „Du säumst zu beten,
Gelübde zu bringen, Trojaner Aeneas?
Du säumest? Nicht eher erschließt dir die Schlünde
Donnererdröhnend das riesige Haus."
54 TEXT.
conticuit. gelidus Teucris per dura cucurrit
55 ossa tremor, funditque preces rex pectore ab imo.
Thoebe gravis Troiae semper miserate labores,
Dardana qui Paridis direxti tela manusque
corpus in Aeacidae, magnas obeuntia terras
tot maria intravi duce te, penitusque repostas
60 Massylum gentis, praetentaque Syrtibus arva:
iam tandem Italiae fugientis prendimus oras,
bac Troiana tenus fuerit fortuna secuta,
vos quoque Pergameae iam fas est parcere genti,
dique deaeque omnes quibus obstitit Ilium et ingens
65 gloria Dardaniae. tuque o sanctissima vates
praescia venturi, da — non indebita posco
regna meis fatis — Latio considere Teueres,
errantisque deos, agitataque numina Troiae.
tum Pboebo et Triviae solido de marmore templum
70 instituam, festosque dies de nomine Phoebi.
te quoque magna manent regnis penetralia nostris,
bic ego namque tuas sortes arcanaque fata
dicta meae genti ponam, lectosque sacrabo
alma viros. foliis tantum ne carmina manda,
75 ne turbata volent rapidis ludibria ventis,
ipsa canas oro'. finem dedit ore loquendi.
At Phoebi nondum patiens, immanis in antro
bacchatur vates, magnum si pectore possit
excussisse deum: tanto magis ille fatigat
80 OS rabidum, fera corda domans, fingitque premendo.
Ostia iamque domus patuere ingentia centum
sponte sua, vatisque ferunt responsa per auras.
'o tandem magnis pelagi defuncte periclis —
sed terrae graviora manent — in regna Lavini
85 Dardanidae venient — mitte hanc de pectore curam -
sed non et venisse volent. bella, horrida bella,
et Tbybrim multo spumantem sanguine cerno.
84 terra B, terrae nehen terra Serviu>s Latini Variante bei Servius
ÜBERSETZUNG. 55
Darauf verstummte sie. Ein eis'ges Beben
Durchlief der harten Troer Mark und Bein,
Und ein Grebet entquoll der Brust des Königs:
„Phoebus, mitleidvoll hast stets du Troja
Leiden seh'n, hast Hand und Pfeil des Paris
Auf Achill gelenkt und uns geleitet
Durch der Ozeane weite BaluJen,
Durch Nomadenvolk und ferne Wüsten;
Endlich haben wir Italiens Küste,
Die uns floh, erreicht: o gib, daß endlich
Trojas böser Dämon von uns weiche.
Gnädig dürft auch ihr jetzt unser schonen,
Götter, Götthinen, die ihr den Troern
Ihre hochberühmte Stadt geneidet.
Hehre Priesterin, so laß in Gnaden
Fleh'n mich um das Reich, das mir verheißen;
Ruhen laß in Latium die Troer,
Ruhen auch, die in dem Meeresbrausen
Umgetrieben, Trojas hehre Götter.
Phoebus und Dianen will ich stiften
Dankbar dann aus Marmor einen Tempel
Und ein hohes Fest auf Phoebus' Namen.
Deiner harrt in meinem Reiche, Jungfrau,
Eine heil'ge Klause für die Sprüche,
Die du meinem Volk prophetisch kündest;
Priester werd' ich, Herrin, dir erkiesen.
Schreibe nur auf Blätter nicht die Sprüche,
Daß der Wind sie spielend nicht verwirre:
Künd' uns das Geschick mit deinem Mund."
Er schwieg. Doch die Prophetin in der Grotte
Gab sich noch nicht dem mächt' gen Gotte hin;
Sie tobte furchtbar, ob sie nicht vermöchte
Ihn abzuschütteln von der Brust: er zäumte
Nur schärfer ihr den Mund und bändigte
Ihr wildes Herz mit festem Zügelgriff.
Jetzt endlich taten sich die hundert Schlünde
Des Riesenbaus von selber auf und trugen
Die Antwort der Prophetin durch die Luft:
„Der riefe gewalt'gen Gefahren entrannst du.
Doch wartet zu Land schwereres Leid.
Lavinium harrt der Troer als Herren, —
Deß härme dich nicht — ; doch wünschen sie einst,
Sie wären ihm fem.
Krieg, Kriege voU Graus schau' ich im Geist,
56 TEXT.
non Simois tibi, nee Xanthus, nee Dorica eastra
defueriat, alius Latio iam partus Achilles
90 natus et ipse dea, nee Teueris addita Inno
usquam aberit, cum tu supplex in rebus egenis,
quas gentis Italum aut quas non oraveris urbes.
causa mali tanti eoniunx iterum hospita Teueris,
extemique iterum thalami.
96 tu ne eede malis, sed contra audentior ito,
quam tua te Fortuna sinet. via prima salutis,
quod minime reris, Graia pandetur ab urbe'.
Talibus ex adyto dietis Cymaea Sibylla
horrendas canit ambages, antroque remugit,
100 obseuris vera involvens, ea frena furenti
coneutit, et stimulos sub pectore vertit Apollo,
ut primum eessit furor, et rabida ora quierunt,
ineipit Aeneas beros. 'non ulla laborum
0 virgo nova mi facies inopinave surgit,
106 omnia praeeepi atque animo mecum ante peregi.
unum oro: quando hie infemi ianua regis
dicitur, et tenebrosa palus Acberonte refuso,
ire ad eonspeetum eari genitoris et ora
eontingat, doceas iter, et sacra ostia pandas.
110 illum ego per flammas et mille sequentia tela
eripui bis umeris, medioque ex hoste recepi;
ille meum eomitatus iter, maria omnia mecum
atque omnis pelagique minas eaelique ferebat,
invalidus, viris ultra sortemque senectae.
116 quiu ut te supplex peterem, et tua limina adirem,
idem orans mandata dabat. gnatique patrisque
alma precor miserere — potes namque omnia nee te
nequiquam lueis Hecate praefeeit Avernis — :
si potuit manis arcessere coniugis Orpheus,
120 Thraeicia fretus cithara fidibusque canoris;
si fratrem Pollux altema morte redemit,
itque reditque viam totiens — quid Thesea magnum,
quid memorem Aleiden — : et mi genus ab love summo.'
96 qua Seneca ep. 82, 18 105 percepi Servius 109 contingam PB
113 eaelique minas pelagique M 116 natique E
ÜBEESETZUNG. 57
Wogen der Tiber wallend von Blut.
Dort findest du wieder die Flüsse der Heimat,
Simois und Xanthus, heUenische Heere;
In Latium wartet deiner schon wieder
Der Sohn einer Göttin, ein neuer Achill.
Nie rastet den Troern die Rache der Juno,
Magst flehend du nahen in Fährnis und Nöten
Italiens Stämmen, Italiens Städten.
Es bringt dies Weh wieder ein Weib,
Den Troern zu Gaste, wieder die Gattin
Aus fremdem Geblüt.
Weiche dem Leid nicht, weise die Stirn ihm
Fortuna zum Hohn: zum Pfade des Heils
Hüft dir zuerst — du hoffest es nicht —
Die hellenische Stadt."
So schollen aus dem Allerheiligsten
Gar schauerlich die Sprüche der Prophetin,
Wahrheit in dunkler Worte Flor gehüllt;
Ihr Mund erdröhnten mächtig zog der Gott
Den Zaum und bohrt' ihr tief ias Herz den Sporn.
Sobald ihr Mund vom Sturm des Wahnsüms ruhte,
Hub Held Aeneas so zu reden an:
„Keine Leidensbilder, Jungfrau, steigen neu mir vor die Seele:
Alles seh' im Geist ich kommen, bin auf jegliches gefaßt.
Bitten will ich nur um eines. Hier ist Plutos Königspforte
Und der Pfuhl des finstren Stromes, der aus Höllentiefen brandet:
Laß mich hier zum Vater kommen, seh'n ihm in die lieben Augen,
Öffne die geweihte Pforte, sei des Weges Weiserin!
Hab' ich ihn auf meinen Schultern durch die Flammen doch getragen,
Pfeil- und speerumsch wirrt gerettet mitten aus der Feinde Reihen;
Allerwege mein Begleiter überstand er Meeres Tosen
Und des Himmels grimmes Dräuen, er, ein altersmüder Greis.
Ja, mit Bitten wies er selbst mich, aufzusuchen deine Schwelle,
Dir zu nahen mit Gebet.
Beten wül ich drum: erbarme gnädig mein dich und des Vaters,
Hehre, denn du bist allmächtig: in den Hainen des Avemus
Hat die Königin der HöUe dich zur Herrin eingesetzt.
Wenn die Seele seiner Gattin Orpheus sich errang vom Tode,
Weil er seiner Melodieen Zauberkräften fromm vertraute.
Wenn den Weg zum Licht, zum Dunkel PoUux Tag um Tag zu
wandern
Und durch seinen Tod dem Bruder Leben einzulösen wußte — ,
Herkules, wozu ihn nennen, nennen noch den großen Theseus?
Ist doch auch mein eigner Ahne Jupiter, der Herr der Welt."
58 TEXT.
Talibus orabat dictis, arasque tenebat^
126 cum sie orsa loqui vates. 'säte sanguine divom
Tros Anchisiade, facilis descensus Avemi —
noctes atque dies patet atri ianua Ditis — :
sed revocare gradum superasque evadere ad auras,
hoc opus hie labor est. pauci quos aequus amavit
130 luppiter, aut ardens evexit ad aethera virtus,
dis geniti potuere: tenent media omnia silvae,
Cocytusque sinu labens circumvenit atro.
quod si tantus amor menti, si tanta cupido,
bis Stygios innare lacus, bis nigra videre
136 Tartara, et insano iuvat indulgere labori,
accipe quae peragenda prius. latet arbore opaca
aureus et foliis et lento vimine ramus,
lunoni infemae dictus sacer, hunc tegit omnis
lucus et obscuris claudunt convallibus umbrae.
140 sed non ante datur telluris operta subire,
auricomos quam qui decerpserit arbore fetus.
hoc sibi pulchra suum ferri Proserpina munus
instituit: primo avolso, non deficit alter
aureus, et simili frondescit virga metallo.
146 ergo alte vestiga oculis, et rite repertum
carpe manu; namque ipse volens facilisque sequetur,
si te fata vocant; aliter non viribus uUis
vincere, nee duro poteris convellere ferro,
praeterea iacet exanimum tibi corpus amici —
160 heu nescis — totamque incestat funere classem,
dum eonsulta petis, nostroque in limine pendes:
sedibus hunc refer ante suis, et conde sepulcro.
duc nigras peeudes, ea prima piacula sunto.
sie demum lucos Stygis et regna invia vivis
155 aspicies.' dixit, pressoque obmutuit ore.
Aeneas maesto defixus lumina voltu
ingreditur, linquens antrum, caecosque volutat
eventus animo secum; cui fidus Achates
126 Anchisiada M^ Averno MP^, Avemi neben Averno Servius est
nach Averno Jf* 132 Cocytos M 133 cupido est M^B 141 quis PB
144 similis M
ÜBERSETZUNG. 59
So betet' er, die Hand auf dem Altare;
Darauf hub also an die Seherin:
„Edler Sproß von Trojas Ahnen, Fürst aus göttlichem Geblüte:
Leicht und mühlos ist's, zu steigen abwärts in der Hölle Tiefen,
Denn die finstre Grabespforte stehet offen Tag und Nächte;
Doch die Wiederkehr nach oben, an des Himmels lichte Lüfte
Führt auf leidensschwerer Bahn.
Nur die wen'gen Auserwählten, die der Himmelsvater liebte,
Göttersöhne, die ihr Adel flammend trug zu den Gestirnen,
Konnten solche Tat vollbringen: Wälder wehren undurchdringlich.
Und in schwarzen Wirbeln windet sich der Tränenstrom vorbei.
Sehnst du dich jedoch so brünstig, LeidensfüUe zu bestehen.
Zweimal auf dem Styx zu fahren, zweimal Höllennacht zu schauen:
Höre denn, was zu vollbringen dir zuvor befohlen ist.
An einem schattigen Baume ein Zweig verborgen blüht.
Die schwanke Gerte gülden, gülden sein Laub erglüht.
Der Königiu der Tiefen ist heilig er und geweiht,
Verschlossen im Tale deckt ihn Waldesdunkelheit.
Doch wer den Zweig nicht pflückte, der goldigen Laubes sprießt,
Deß Augen der Erden Dunkel nimmer sich erschließt.
Proserpina die vielschöne hat so es eingeführt.
Daß er als Ehrengabe zu eigen ihr gebührt.
Und ist ein Zweig gebrochen, dann säumt das Sprossen nicht:
In gleichem Schimmer knospend herfür ein zweiter bricht.
Drum spähe tief ins Dunkel; wenn recht du fandest ihn.
So pflück' ihn ab vom Baume : leicht läßt er und willig sich zieh'n,
Bist du vom Schicksal berufen; sonst keine Ejaft ihn zwingt.
Auch nicht mit hartem Eisen ihn loszureißen gelingt.
Femer liegt dir unbegraben — weh, nicht weißt du's — ein Genosse:
Fluch bringt das der ganzen Flotte, während du dir Rat erholest.
Säumend weüst an meiner Schwelle. Gib ihm seine Ruhestätte,
Daß ihm werde Grabesfrieden; bringe darauf schwarze Tiere
Am Altare dar als Sühne: schauen magst du dann die Reiche,
Die den Lebenden verschlossen, schauen dann den Hain der Nacht."
So sprach die Priesterin, dann schwieg ihr Mund.
Aeneas schritt aus ihrer Grotte; trauernd
Hielt auf den Boden er den Blick gesenkt,
Erwog im Sinn des Schicksals dunkles Walten.
Achates ging bedächtig ihm zur Seite
Und teilte treuen Herzens seine Sorgen.
Sie sannen hin und her im Zwiegespräch,
Wer von den Freunden tot und zu bestatten
Nach dem Orakelwort der Priesterin.
60 TEXT.
it comes, et paribus curis vestigia figit;
160 multa inter sese vario sermone serebant,
quem socium exanimem vates, quod corpus humandum
diceret. atque illi Misenum in litore sicco
ut venere vident, indigna morte peremptum,
Misenum Aeoliden, quo non praestantior alter
165 aere eiere viros, Hartem que accendere cantu.
Hectoris hie magni fuerat comes, Hectora circum
et lituo pugnas insignis obibat et hasta.
postquam illum vita victor spoliavit Achilles,
Dardanio Aeneae sese fortissimus heros
170 addiderat socium, non inferiora secutus.
sed tum forte cava dum personat aequora concha —
demens — et cantu vocat in certamina divos,
aemulus exceptum Triton — si credere dignum est —
inter saxa virum spumosa immerserat unda.
176 ergo omnes magno circum clamore fremebant,
praecipue pius Aeneas. tum iussa Sibyllae
haud mora festinant flentes, aramque sepulcri
congerere arboribus, caeloque educere certant.
itur in antiquam silvam, stabula alta ferarum;
180 procumbunt piceae, sonat icta securibus ilex,
fraxineaeque trabes, cuneis et fissile robur
scinditur, advolvont ingentis montibus ornos.
nee non Aeneas opera inter talia primus
hortatur socios, paribusque aceingitur armis.
185 atque haee ipse suo tristi cum corde volutat,
aspeetans silvam immensam, et sie forte preeatur.
'si nunc se nobis ille aureus arbore ramus
ostendat nemore in tanto, quando omnia vere —
heu nimium — de te vates Misene locuta est.'
190 vix ea fatus erat, geminae cum forte columbae
ipsa sub ora viri caelo venere volantes,
et viridi sedere solo; tum maximus heros
matemas agnovit aves, laetusque preeatur.
'este duees, o si qua via est, eursumque per auras
161 exanimum PR 177 sepulchro P 186 voce preeatur B 193 agno-
scit PB
ÜBERSETZUNG. 61
Da sahen sie am Strand Misenus liegen,
Der keines ehrenvollen Tods gestorben,
Den wackren Sohn des Aeolus. Kein Zweiter
Verstand's wie er mit der Drommete Schmettern
Zum heißen Strauß die Mannen zu entbieten.
Er war zuvor Trabant des edlen Hektor,
Mit Hektor war er in den Kampf gestürmt:
Man kannt' ihn an dem Speer, der Kriegstrompete.
Als jenen dann Achill, der Held, getötet.
Gab der vieltapfre Kämpe sich Aeneas
Zum Kampfgesellen, keinem schlecht'ren Herrn.
Doch weil zum Wettkampf Grötter er entboten,
Der Tor, und weithin übers Meer geblasen
Auf einer hohlen Muschel, hatte Triton —
So geht die Sage — neidisch ihn gepackt
Und zwischen Klippen in dem Gischt versenkt.
Um ihn erhüben aUe laute Klagen,
Voran Aeneas, treugesinnt dem Freund.
Sie eilten weinend dann, das Flammengrab
Zu rüsten, wie geheißen die Sibylle,
Aus Scheitern himmelwärts es aufzutürmen.
Sie schritten in den Urwald, wilder Tiere
Hochragende Behausung; dröhnend stürzten
Beim Schlag der Äxte Kiefern, Eichen, Eschen,
Mit Keilen ward das harte Holz gespalten.
Und Rieseneschen roUten sie vom Berge.
Aeneas, auch bei solchem Werk der erste.
Griff selbst mit zu und trieb die Mannen an.
Als auf des Waldes Tiefen fiel sein Blick,
Kam ihm ein Wunsch im kummervollen Herzen,
Und unwillkürlich sprach er dies Gebet:
„0 wenn sich jetzt der goldne Zweig mir zeigte
Im dichten Wald! Hat ach doch nur zu wahr
Von dir, Misen, die Seherin geredet!"
Kaum hatt' er dieses Wort gesprochen, siehe.
Da kam vom Himmel her ein Taubenpaar
Ihm grade zu Gesicht; das setzte sich
Auf grünem Grunde. Froh erkannt' Aeneas
Der Mutter Vögel und er betete:
„0 gibt es einen Weg, seid ihr die Führer
Und lenkt die Flügel zu des Haines Grunde,
Den segensreich der gold'ne Zweig beschattet.
Und du, — versage deinem Sohne nicht,
Mutter im Himmel, Beistand in der Not!"
Dann blieb er steh'n und prüfte, was für Zeichen
62 TEXT.
196 derigite in lucos, ubi pinguem dives opacat
ramus humum, tuque o dubiis ne defice rebus
diva parens'. sie effatus, vestigia pressit,
observans quae signa ferant, quo tendere pergant:
pascentes illae tantum prodire volando,
200 quantum acie possent oculi servare sequentum.
inde ubi venere ad fauces graveolentis Avemi,
tollunt se celeres, liquidumque per aera lapsae,
sedibus optatis, gemina super arbore sidunt,
discolor unde auri per ramos aura refulsit.
206 quäle solet silvis brumali frigore viscum
fronde virere nova, quod non sua seminat arbos,
et croceo fetu teretis circumdare truncos:
talis erat species auri frondentis opaca
ilice, sie leni erepitabat brattea vento;
210 corripit Aeneas extemplo, avidusque refringit
cunctantem, et vatis portat sub teeta Sibyllae.
Nee minus tnterea Misenum in litore Teucri
flebant, et cineri ingrato suprema ferebant.
prineipio pinguem taedis et robore secto
216 ingentem struxere pyram, cui frondibus atris
intexunt latera, et feralis ante cupressos
eonstituunt, decorantque super fulgentibus armis.
pars calidos latices et aena undantia flammis
FMPR expediunt, corpusque lavant frigentis et ungunt.
220 fit gemitus. tum membra toro defleta reponunt,
purpureasque super vestes, velamina nota,
coniciunt; pars ingenti subiere feretro,
triste ministerium, et subieetam more parentum
aversi tenuere facem; congesta eremantur
225 turea dona, dapes, fuso crateres olivo.
postquam conlapsi cineres, et flamma quievit,
reliquias vino et bibulam lavere favillam,
ossaque leeta eado texit Corynaeus aeno.
idem ter socios pura cireumtulit unda,
230 spargens rore levi et ramo felicis olivae,
203 geminae R
ÜBERSETZUNG. 63
Die Vögel gäben und wohin sie flögen.
Sich atzend flogen sie nur so weit vor,
Daß er beim Folgen stets sie schauen konnte.
An des Avemus dunsterfülltem Schlünde
Erhoben sie sich leichtbeschwingt vom Boden
Und schwebten durch des Äthers reine Lüfte
Zu dem erkor'nen Platz, wo sie sich setzten.
Mit doppelfarbenem Laube ein Baum im Walde steht,
Durch seine grünen Blätter güldenes Flimmern weht.
Es schmückt sich in den Wäldern bei Mittwinters Frost
Mit frischem Grün die Mistel, aus fremdem Samen entsproßt,
Umschlingt die zarten Stämme mit safranfarbigem Flaum:
So blüht' am goldgelaubten dunkelen Eichenbaum
Der Zweig, es knisterten linde mit dem Metall die Winde.
Begierig griff Aeneas nach dem Zweige,
Der leise nur sich sträubte, brach ihn los
Und trug ihn zur Behausung der Sibylle.
Am Strand bejammerten derweil die Troer
Misenus und erwiesen seiner Asche
Die undankbaren letzten Ehrenspenden.
Sie richteten zunächst aus fettem Kiene
Und Kernholz riesenhoch den Scheiterhaufen;
Seitwärts ward er mit dunklem Laub verkleidet,
Cypressen standen vom, die Totenbäume,
Und blanke Waffenstücke krönten ihn.
Dann machten warmes Wasser sie bereit
Auf Kesseln, die in Flammenlohe wallten.
Zum Bad der eis'gen Leiche, salbten sie
Und legten unter lauten Klagerufen
Den Körper nieder auf den Katafalk,
In seine Purpurkleider eingehüllt.
Die einst ihm lieb im Leben. And're hüben —
Ein trauervoller Dienst — die große Bahre
Und hielten nach dem alten Brauch der Väter
Die Fackel abgekehrten Blicks ans Holz.
Aufflammten da die Graben hochgeschichtet,.
Weihrauch und Opferspeisen, Ol und Krüge.
Die Glut verglomm, es senkte sich die Asche:
Da netzten sie mit Wein den durst'gen Staub,
Und Corynaeus barg in eh'mer Urne
Die aufgelesenen Gebeine; dreimal
Umwandelt er mit reinem Naß die Freunde,
Besprengte weihend sie mit Tropfen Taus
64 TEXT.
lustravitque viros, dixitque novissima verba.
at pius Aeneas ingenti mole sepulcrum
imponit, suaque arma viro, remumque tubamque,
monte sub aerio, qui nunc Misenus ab illo
235 dicitur, aetemumque tenet per saecula nomen.
His actis, propere exequitur praeeepta Sibyllae.
spelunca alta fuit, vastoque immanis hiatu,
scrupea, tuta lacu nigro nemorumque tenebris:
quam super haud ullae poterant impune volantes
240 tendere iter pinnis: talis sese halitus atris
faucibus effundens, super ad convexa ferebat.
R [unde locum Graii dixerunt nomine Aomon.]
FMPR quattuor hie primum nigrantis terga iuvencos
constituit, frontique invergit Tina sacerdos,
245 et summas carpens media inter comua saetas,
ignibus inponit sacris libamina prima,
voce vocans Hecaten caeloque Ereboque potentem,
supponunt alii cultros, tepidumque cruorem
succipiunt pateris ; ipse atri velleris agnam
260 Aeneas matri Eumenidum magnaeque sorori
ense ferit, sterilemque tibi Proserpina vaccam;
tum Stygio regi nocturnas incohat aras,
et solida imponit taurorum viscera flammis,
pingue super oleum infundens ardentibus extis.
266 ecce autem primi sub limina solis et ortus,
sub pedibus mugire solum, et iuga coepta moveri
silvarum, visaeque canes ululare per umbram,
adventante dea. 'procul o procul este profani'
conclamat vates, 'totoque absistite luco;
260 tuque invade viam, vaginaque eripe ferrum;
nunc animis opus Aenea, nunc pectore firmo.'
tantum effata, furens antro se immisit aperto,
ille ducem haud timidis vadentem passibus aequat.
241 supera FM^P^ 254 superque die alten Hss., super korrigiert in
jungen fundens FPB 255 lumina PR
ÜBERSETZUNG. 65
Von des Olivenzweigs gefeitem Wedel,
Entsühnte sie und sprach „es ist vollbracht."
Aeneas türmte seinem Freund zu Ehren
Ein riesenhohes Hügelgrab und barg
Ihm seine Waffen, Ruder und Trompete
Tief in dem luft'gen Berge, der nach ihm
Misenus heißt und ewig wahrt den Namen.
Hierauf voUzog er schnell Sibyllas Yorschrift.
Es war dort eine Höhle, wild zerklüftet.
Aus weitem Rachen gähnend, eng umschlossen
Vom schwarzen See und Waldesfinstemis.
Aus ihren düstem Schlüften stieg ein Brodem
Empor zu Himmelshöhen: weh dem Vogel,
Der über ihn die Schwingen streifen ließ.
Vier schwarze Stiere führte her der Priester,
Er neigt' auf ihre Stirn den Kelch mit Wein,
Zog aus dem Scheitel ihrer Haare Spitzen,
Die er aufs Feuer legt' als erste Spenden,
Und rief mit lauter Stimme Hekate,
Des Himmels und der HöUe mächt'ge Herrin.
Von unten setzten andre Messer an
Und fingen warm das Blut in Schalen auf.
Aeneas selber schlug mit Schwertes Schneide
Ein schwarzes Lamm zum Opfer für die Nacht,
Der Eumeniden Mutter, und die Erde,
Der Nacht gewalt'ge Schwester; eine Kuh,
Die niemals warf, für dich, Proserpina.
Um Mittemacht errichtet' er dem König
Des Dunkels eiuen Brandaltar; er legte
Der Stiere ganzes Fleisch und Fett aufs Feuer
Und ließ die Eingeweide glüh'n in Öl.
Es nahet die Sonne den Toren des Lichts:
Da brüllt der Boden, da grollt der Grund;
Zu beben beginnt auf den Bergen der Wald;
Durch Schatten erhallt Hundegeheul:
Die Göttin erscheint. Die Priesterin ruft:
„Hebe dich fort, unheiliges Volk,
Räume den Haia! Aeneas heran.
Wohlan auf den Weg, aus der Scheide das Schwert,
Mit mannhaftem Mut härte das Herz!"
Sprach's, stürmte rasend in die offne Höhle;
Furchtlos blieb er der Führerin zur Seite.
Vbboil Buch vi, von Norden.
66 TEXT.
Di quibus imperium est animarum, umbraeque silentes,
265 et Chaos et Phlegethon, loca nocte tacentia late:
sit mihi fas audita loqui, sit numine vestro
pandere res alta terra et caligine mersas.
Ibant obscuri sola sub nocte per umbram,
perque domos Ditis vacuas, et inania regna^
270 quäle per incertam lunam sub luce maligna
est iter in silvis, ubi caelum condidit umbra
luppiter^ et rebus nox abstulit atra colorem.
MPR vestibulum ante ipsum, primisque in faucibus Orci
Luctus et ultrices posuere cubilia Curae,
276 paUentesque habitant Morbi, tristisque Senectus,
et Metus, et malesuada Fames, ac turpis Egestas —
terribiles visu formae — Letumque Labosque,
tum consanguineus Leti Sopor, et mala mentis
Gaudia, mortiferumque adverso in limine Bellum,
280 ferreique Eumenidum thalami, et Discordia demens,
vipereum crinem vittis innexa cruentis.
in medio ramos annosaque bracchia pandit
ulmus opaca ingens, quam sedem Somnia volgo
vana teuere ferunt, foliisque sub omnibus haerent.
286 multaque praeterea variarum monstra ferarum
Centauri in foribus stabulant, Scyllaeque biformes,
et centumgeminus Briareus, ac belua Lemae
horrendum stridens, flammisque armata Chimaera,
Grorgones Harpyiaeque et forma tricorporis umbrae.
290 corripit hie subita trepidus formidine ferrum
Aeneas, strictamque aciem venientibus offert;
et ni docta comes tenuis sine corpore vitas
admoneat volitare, cava sub imagine formae,
inruat, et frustra ferro diverberet umbras.
267 alias M^ 270 incertum F^, inceptam Variante hei Servius 273 pri-
mis in P
ÜBEESETZÜNG. 67
Gotter, die ihr gebeut im Reich der Toten;
Ihr stillen Schatten; Urwelt, Flammenströme;
Du grenzenloser Raum des ew'gen Schweigens:
Laßt gnädig offenbaren mich die Kunde,
Was Erde birgt im düstren Grabesschoß.
Sie schritten in der Einsamkeit der Nacht
Durch Plutos ödes hohles Königreich:
Wie in den Wäldern wohl der Wandrer wallet
Beim fahlen Dämmerschein des kargen Mondes,
Wenn Gott das Firmament mit Schatten deckt.
Die Welt sich farblos hüllt in nächt'gen Flor.
Im Vorhof, noch im Höllenschlunde, lagern
Die Trauer, des Gewissens Folterqualen,
Und bleiche Krankheit, finst'res Greisenalter,
Furcht, Hunger, der zu bösen Taten rät.
Häßlicher Mangel — grause Schreckgespenster -
Und Not und Tod, und, diesem anverwandt,
Schlaftrunkenheit und arge Sinnenlust;
Am Tore lauert Krieg, des Todes Scherge,
Die Furien in ihren eh'men Kammern,
Wahnsinn'ge Zwietracht, der das Vipemhaar
Durchflochten ist mit blutgetränkten Binden.
Inmitten dann des Vorhofs selber breitet
Weithin beschattend eine Riesenulme
Die Arme von der Jahre Last beschwert.
Dort, heißt es, haben tief im Blätterwerk
Die falschen Träume scharweis ihren Horst.
Viel Ungeheuer hausen an der Pforte:
Der Skyllen und Kentauren Zwitterleiber,
Briareus hundertarmig, und der Lindwurm
Des tiefen Pfahls, der schrecklich fauchende,
Chimaera brandgewappnet, die Gorgonen,
Harpyien und des Riesen Drillingskörper.
Da griff, von jähem Graus gepackt, Aeneas
Zu seinem Schwerte, zückte, da sie nahten.
Des Eisens Schneide wider die Gespenster;
Und hätt' ihn die Sibylle nicht belehrt,
Daß es nur schemenhafte Wesen seien,
Die ihn Phantomen gleich umflatterten.
So war' er auf sie losgestürmt, zu spalten
Die Schatten mit dem Stahl — vergeblich Tun.
68 TEXT.
296 Hinc via Tartarei quae fert Acherontis ad undas;
turbidus hie caeno vastaque voragine gurges
aestuat, atque omnem Cocyto eructat arenam.
portitor has horrendus aquas et flumina servat
terribiK squalore Charon^ cui plurima mento
300 canities inculta iacet, stant lumina flamma,
sordidus ex umeris nodo dependet amictus.
ipse ratem conto subigit, velisque ministrat, . ,
et ferruginea subvectat Corpora cumba;«
iam senior, sed cruda deo viridisque senectus.
305 huc omnis turba ad ripas effusa ruebat:
matres atque viri, defunctaque Corpora vita
magnanimum heroum, pueri innuptaeque puellae,
impositique rogis iuvenes ante ora parentum;
quam multa in silvis autumni frigore primo
310 lapsa cadunt folia, aut ad terram gurgite ab alto
quam multae glomerantur aves, ubi frigidus annus
trans pontum fugat, et terris inmittit apricis.
stabant orantes, primi transmittere cursum,
tendebantque manus ripae ulterioris amore:
315 navita sed tristis nunc hos nunc accipit illos,
ast alios longe summotos arcet harena.
Aeneas miratus enim motusque tumultu,
'die ait o virgo, quid volt coneursus ad amnem,
quidve petunt animae, vel quo discrimine ripas
320 hae linquunt, illae remis vada livida verrunt?'
olli sie breviter fata est longaeva sacerdos.
'Anchisa generate, deum certissima proles,
Coeyti stagna alta vides Stygiamque paludem,
di cuius iurare timent et fallere numen.
325 haee omnis quam cernis, inops inhumataque turba est,
portitor ille Charon; hi quos vehit unda, sepulti.
nee ripas datur horrendas et rauea fluenta
transportare prius, quam sedibus ossa quierunt:
centum errant annos volitantque haee litora circum,
380 tum demum admissi, stagna exoptata revisunt.'
300 flamiJÄae M^P^B, flamma zitiert Servius z. I 646
ÜBERSETZUNG. 69
Hier geht's zum Acheron, dem Höllenstrom.
Der brandet schlammgetrübt in wüden Wirbeln
Und speit in den Cocyt all seinen Sand.
Der grasse Fährmann hütet diese Wasser,
Charon von Schmutze starrend; auf dem Kinn
Liegt ungepflegt des grauen Bartes Fülle,
Stier flammen ihm die Augen, garstig hangt
Ein Überwurf geknotet von der Schulter.
Er zwängt das dunkle Boot mit einer Stange
Stromaufwärts und bedienet es mit Segeln;
So fährt ins Jenseits er die Schar: ein Greis,
Doch jugendfrisch ist auch als Greis ein Gott.
Ans Ufer drängten sich zuhauf die Seelen:
Mütter und Gatten; hochgemute Helden,
Die nun des Lebens ledig; Kinder, Bräute,
Jünglinge, die vor ihrer Eltern Augen
Gebettet waren in das Flammengrab:
So viele Blätter von den Bäumen rauschen
Im Walde bei des Herbstes erstem Frost,
Und so viel Vögel sich vom Meer des Nordes
Am Strande scharen, wenn die Winterkälte
Sie fern in sonnenwarme Lande scheucht.
Sie standen da und flehten: alle möchten
Zuerst hinüberfahren in das Jenseits
Und streckten sehnsuchtsvoll die Arme hin.
Jedoch der finstre Ferge ließ nicht jeden
Zum Kahne: manchem wehrt er und verwies
Ihn ferne von dem sand'gen Uferrand.
Aeneas, gar verwundert und bewegt
Ob dem Tumulte, frag die Seherin:
„Sprich, Jungfrau, was bedeutet das Gedränge
Am Flusse dort? was ist der Wunsch der Seelen?
Weshalb der Unterschied, daß hüben diese
Das Ufer meiden müssen, jene drüben
Die dunklen Fluten mit den Rudern furchen?"
Kurz gab Bescheid die greise Priesterin:
„Anchises' Sohn, du echter Sproß der Götter:
Du schaust den Sumpf des Tränenstromes, dorten
Den Höhlenpfuhl, bei dessen Majestät
Meinschwur zu leisten Götter selbst erbeben.
Dies ist die Schar, die keiner barg im Grabe,
Der Ferge dort ist Charon; die er fährt.
Sind die Begrab'nen: denn vom grausen Ufer
Darf er durch Stromesbrausen keine fahren.
Eh' ihr Gebein in Grabesfrieden ruht:
70 TEXT.
constitit Anchisa satus, et vestigia pressit,
multa putans, sortemque animi miseratus iniquam.
Cemit ibi maestos et mortis honore carentis,
Leucaspim et Lyciae ductorem classis Oronten,
335 quos simul ab Troia ventosa per aequora vectos,
obruit auster aqua involvens navemque virosque.
ecce gubemator sese Palinurus agebat^
qui Libyco nuper cursu dum sidera servat,
exciderat puppi, mediis eflftisus in undis.
340 hunc ubi vix multa maestum cognovit in umbra,
sie prior adloquitur. *quis te Palinure deorum
eripuit nobis, medioque sub aequore mersit?
die age. namque mihi, fallax haud ante repertus,
hoc uno responso animum delusit Apollo,
346 qui fore te ponto incolumem, finisque eanebat
venturum Ausonios. en haee promissa fides est.'
ille autem 'neque te Phoebi cortina fefellit,
dux Anehisiade, nee me deus aequore mersit.
namque gubemaclum multa vi forte revolsum,
860 cui datus haerebam custos eursusque regebam,
praeeipitans traxi mecum. maria aspera iuro
non ullum pro me tantum eepisse timorem,
quam tua ne spoliata armis, excussa magistro,
defieeret tantis navis surgentibus undis.
366 tris notus hibemas immensa per aequora noctes
vexit me violentus aqua, vix lumine quarto
prospexi Italiam, summa sublimis ab unda.
paulatim adnabam, terrae iam tuta tenebam,
ni gens erudelis madida cum veste gravatum,
360 prensantemque uncis manibus capita aspera montis,
ferro invasisset praedamque ignara putasset.
nunc me fluetus habet, versantque in litore venti.
quod te per caeli iucundum lumen et auras,
per genitorem oro, per spes surgentis luli,
366 eripe me his invicte malis; aut tu mihi terram
ioiee — namque potes — portusque require Velinos ;
aut tu si qua via est, si quam tibi diva ereatrix
332 animo PB, aniin|miseratus M^ 334 Orontem MB 335 a MP^B
ÜBERSETZUNG. 71
Sie flattern unstät, irren hundert Jahre
Hier um das Ufer, dann erst dürfen sie
Die Fluten ihrer Sehnsucht wiederschauen."
Tief in Gedanken blieb Aeneas stehen,
Das Herz voll Mitleid mit dem harten Los.
Dort sah er, bar der letzten Ehren, traurig
Leukaspis und der Lykierflotte Herzog
Orontes, die aus Troja ihn begleitet
Durch Meerestosen, bis die Windesbraut
Mannschaft und Schiff im Wogenberg begrub.
Sieh, dort erging sich trauernd Palinurus
Der Steuermann; als unlängst auf der Fahrt
Von Afrika er in den Sternen las.
War er von Bord gestürzt auf hoher See.
Kaum hatte durch die schattendunkle Nacht
Aeneas den erkannt, sprach er ihn an:
„Welcher Grott, mein Palinurus, sage, hat dich uns entrissen.
Hat versenkt dich in die Fluten? Phoebus' Spruch, sonst lautre
Wahrheit,
Trog mich hier: er prophezeite, tragen sollten dich die Wogen
Glücklich an Italiens Grenze: sieh, so hielt der Gott sein Wort!"
„Phoebus' Spruch," gab er zur Antwort, „trog dich nicht, erhab'ner
König:
Nimmer in des Meeres WeUen ließ der Gott mich untergehen.
Fest hing ich am Steuerruder, dem als Hüter überwiesen
Ich den Kurs des Schiffes lenkte; plötzlich ward es losgerissen,
Zog mich jählings in die Tiefe. Bei dem wilden Meere schwör' ich:
Miader um das eigne Leben bangt' ich als um deine Flotte,
Die nun ohne Herrn und Steuer kämpfte mit dem Schwall der Wogen.
Durch die ungeheuren Fluten trug der Föhn, der Herr der Wasser,
Mich drei finstre Sturmesnächte: da, beim Licht des vierten Morgens
Sah ich von dem Kamm der Woge winken fem Italien.
Langsam schwamm ich ans Gestade, fühlte mich schon fast geborgen.
Griff mit angekraUten Händen eines Felsenriffes Zacken:
Stürzten da sich auf mich Armen, den die nassen Kleider drückten,
Wilde Horden mit dem Schwerte, wähnten einen Fang zu tun. —
Jetzo wälzen Wind und Wogen ruhelos mich an dem Strande.
Bei dem Heben Lichte droben bitt' ich dich, bei deinem Vater,
Held, so wahr sich soll erfüllen deines Sohnes hohe Zukunft:
Löse mich — dir ist's ein Leichtes — von dem Leiden hier und segle
Wieder heim gen Velias Hafen, decke meinen Leib mit Erde;
Oder, wenn zum Heü dir weiset einen Weg die hehre Mutter —
Und sie wird's: wie dürftest hoffen sonst du ohne Schutz vom
Himmel
72 TEXT.
ostendit — neque enim credo sine numine divom
flumina tanta paras Stygiamque innare paludem —
370 da dextram misero et tecum me tolle per iindas,
sedibus ut saltem placidis in mörte quiescam.'
taKa fatus erat, coepit cum talia vates.
'unde haec o Palinure tibi tarn dira cupido?
tu Stygias inbumatus aquas amnemque severum
376 Eumenidum aspicies, ripamve iniussus adibis?
desine fata deum flecti sperare precando.
sed cape dicta memor, duri solacia casus:
nam tua finitimi longe lateque per urbes
prodigiis acti caelestibus, ossa piabunt,
380 et statuent tumulum, et tumulo sollemnia mittent,
aetemumque locus Palinuri nomen habebit.'
bis dictis curae emotae, pulsusque parumper
corde dolor tristi: gaudet cognomine terrae.
Ergo iter inceptum peragunt fluvioque propinquant;
385 navita quos iam inde ut Stygia prospexit ab unda,
per tacitum nemus ire pedemque advertere ripae,
sie prior adgreditur dictis, atque increpat ultro.
'quisquis es armatus qui nostra ad flumina tendis,
fare age quid venias, iam istinc, et comprime gressura.
390 umbrarum hie locus est, Somni Noctisque soporae,
Corpora viva nefas Stygia vectare carina.
nee vero Aleiden me sum laetatus euntem
FMPR accepisse lacu, nee Thesea Pirithoumque,
dis quamquam geniti, atque invicti viribus essent.
395 Tartareum iUe manu custodem in vincla petivit,
ipsius a solio regis, traxitque trementem;
bi dominam Ditis tbalamo deducere adorti.'
quae contra breviter fata est Ampbrysia vates.
'nullae hie insidiae tales — absiste moveri —
400 nee vim tela ferunt. licet ingens ianitor antro
376 abibis Variante bei Servius tmd Bonatm 383 terra Servius 385 con-
spexit M 389 iam stinc M^
ÜBERSETZUNG. 73
Über die gewalt'gen Wasser in der Hölle Reich zu dringen —
0, dann reiche mir die Rechte, nimm mich mit dir durch die Wogen,
Daß ich Unglückserger finde Rast und Ruhe doch im Tod!"
So sprach er; da begann die Seherin:
„Wie kam der frevle Wunsch dir, Palinurus,
Ein Unbegrab'ner den gestrengen Strom
Der Furien und den Styx zu schau'n, ans Ufer
Zu schreiten ungerufen? Hoflfe nimmer.
Zu beugen Grottes WiUen durch Gebet!
Doch merke dies zum Trost in deinem Unglück:
Die Siedler jenes Landes, weit und breit
Geschreckt durch Himmelszeichen, werden schichten
Zu ihres Frevels Sühnung einen Hügel
Und dort dir opfern, daß in Ewigkeiten
Die Stätte Palinurus' Namen trägt."
Dies Wort vertrieb für eine kurze Weile
Aus seinem Herzen allen Schmerz und Gram:
Er freute sich des Lands mit seinem Namen.
So wallten sie denn fürder ihres Wegs
Zum Totenfluß. Als schon vom Wasser aus
Der Ferge sah, wie sie zum Strande schritten
Durch Waidesschweigen, fuhr er barsch ihn an:
„Halt, wer du auch seist, der da in Waffen
Seine Schritte lenkt zu meinem Strome:
Auf der Stelle sprich, wozu du kommest.
Dieses sind der Schatten und des Schlafes,
Dies der schlummertrunk'nen Nacht Bezirke:
Körper der Lebend'gen aufzunehmen
In den Totenkahn ist mir versagt. —
Gut ist mir's wahrhaftig nicht bekommen.
Daß ich einst zum Strome zugelassen
Selbst die reckenhaften Göttersöhne
Herkules, Pirithous und Theseus.
Heischte sich doch gar vom Herrscherthrone
Herkules in seiner Fäuste Fesseln
Unsem Höllenwart, und mit sich zerrte
Er den Zitternden. Aus Plutos Kammer
Wollten jene rauben unsre Frau."
Kurz sprach darauf Apollos Seherin:
„Rege dich nicht weiter auf: wir planen
Keinen solchen Anschlag noch Gewalttat.
Mag der ungeheure Wart des Tores
Ewiglich in seiner Höhle heulen
74 TEXT.
aetemum latrans, exsanguis terreat umbras,
casta licet patrui servet Proserpina limen:
Troius Aeneas pietate insignis et armis,
ad genitorem imas Erebi descendit ad umbras.
405 si te nuUa movet tantae pietatis imago,
at ramum hunc — aperit ramum qui veste latebat —
adgnoscas' — tumida ex ira tum corda residunt —
nee plura bis. ille admirans venerabile donum
fatalis virgae, longo post tempore visum,
410 caeruleam advertit puppim ripaeque propinquat.
inde alias animas quae per iuga longa sedebant
deturbat laxatque foros, simul accipit alveo
ingentem Aenean: gemuit sub pondere cumba
sutilis, et multam aceepit rimosa paludem.
416 tandem trans fluvium incolumis vatemque virumque,
informi limo glaucaque exponit in ulva.
Cerberus haec ingens latratu regna trifauci
personat; adverso recubans immanis in antro;
cui vates borrere videns iam coUa colubris,
420 melle soporatam et medicatis frugibus offam
obicit. üle fame rabida tria giittura pandens,
corripit obiectam, atque immania terga resolvit
fusus bumi, totoque ingens extenditur antro.
MPR occupat Aeneas aditum custode sepulto,
426 eyaditque celer ripam inremeabilis undae.
Continuo auditae voces, vagitus et ingens,
infantumque animae flentes, in limine primo
quos dulcis vitae exsortis et ab ubere raptos,
abstulit atra dies et fonere mersit acerbo.
4S0 bos iuxta falso damnati crimine mortis;
nee vero bae sine sorte datae, sine iudiee sedes:
quaesitor Minos urnam movet, iUe süentum
ÜBERSETZUNG. 75
Und die wesenlosen Schatten schrecken.
Mag Proserpina als keusche Gattin
Hüten des Gestrengen Haus und Herd.
Wisse denn: Aeneas der Trojaner,
Er, die Zier der Tapferkeit und Treue,
Steigt zum Vater in die Todestiefe. —
Rührt dich nicht solch Büd von Sohnesliebe?
Schau' denn her: erkenne diesen Zweig!"
Sie wies den Zweig, den sie im Kleide barg.
Gleich ließ vom Grimm sein zomgemutes Herz:
Ehrfürchtig staunt' er ob der Wundergabe
Des Zauberstabes, den er lang nicht schaute.
Und drehte seinen dunklen Kahn zum Ufer.
Dann jagt' er von den langen Ruderbänken
Die Seelen, machte frei des Bootes Gänge
Und nahm Aeneas den gewalt'gen auf.
Es ächzte vom Gewicht das Binsenboot
Und zog in Menge Wasser durch das Leck.
Dann ließ er unversehrt am Jenseitsufer
In häßlichem Morast und fahlem Riede
Aeneas landen mit der Priesterin.
Vom in der Höhle lag der Riesenleib
Des Cerberus; aus seinen dreien Kehlen
SchoU schauerlich das Heulen durch den Hof.
Als die Sibylle sah, wie schon ihm schwoU
Der Drachenkamm, warf sie den Kloß ihm vor,
Getränkt mit Honig und mit Zaubersäften.
Aufsperrt' er, toU vor Hunger, seine Schlünde
Und packt' ihn, dehnte dann den grausen Rücken
Und streckte riesenhaft sich durch die Höhle.
Aeneas nahm den Zugang, da der Wächter
Wie tot im Schlafe lag, und floh den Strand
Der Flut, von wannen niemand wiederkehrt.
Gleich klang zum Ohr ein endlos Weh und Wimmern
Von Kinderseelen: an des Lichtes Schwelle,
Noch ehe sie des Lebens Süße schmeckten.
Hat von der Mutterbrust die Todesstunde
Sie hingerafft ins frühe Kindergrab. —
Daneben, die ein falscher Spruch der Fehme
Dem Tod geweiht; doch über diese Plätze
Entscheidet erst ein förmliches Gericht:
Minos beruft die stüle Schar des Beirats,
Den er, der Richter, selbst durchs Los sich kürte.
76 TEXT.
consiliumque vocat, vitasque et crimina discit.
proxima deinde tenent maesti loca, qui sibi letum
435 insontes peperere manu, lucemque perosi
proiecere animas; quam vellent aethere in alto
nunc et pauperiem et duros perferre labores:
fas obstat, tristisque palus inamabilis undae
alligat, et noyiens Styx interfusa coercet.
440 nee procul hinc partem fusi monstrantur in omnem
lugentes campi, sie iUos nomine dicunt.
hie quos durus amor crudeli tabe peredit
secreti celant calles, et murtea circum
Silva tegit, curae non ipsa in morte relinquont.
445 bis Phaedram Proerimque locis, maestamque Eripbylen
crudelis nati monstrantem vokiera cemit,
Euadnenque et Pasipbaen; bis Laodamia
it comes, et iuvenis quondam nunc femina Caeneus,
rursus et in veterem fato revoluta figuram.
450 inter quas Pboenissa recens a volnere Dido
errabat silva in magna; quam Troius heros
ut primum iuxta stetit, adgnovitque per umbras —
obscuram, qualem primo qui Bürgere mense
aut videt aut vidisse putat per nubila lunam —
465 demisit lacrimas, dulcique adfatus amore est.
*infelix Dido, verus mihi nuntius ergo
venerat, extinctam ferroque extrema secutam;
funeris heu tibi causa fui; per sidera iuro,
per superos, et si qua fides tellure sub ima est:
460 invitus regina tuo de litore cessi.
sed me iussa deum quae nunc has ire per umbras,
per loca senta situ cogunt noctemque profundam,
imperiis egere suis; nee credere quivi,
hunc tantum tibi me discessu ferre dolorem.
465 siste gradum, teque adspectu ne subtrahe nostro:
quem fugis? extremum fato quod te adloquor hoc est'.
433 conciliumque MB 438 unda B, Servius 445 Procrin PB
447 Euhadnenque P (Heuhadnenque B) 452 umbram M
ÜBERSETZUNG. 77
Und prüft, ob jene Seelen schuldlos lebten. —
Die nächsten Plätze nehmen trauernd ein,
Die frei von Schuld den Tod sich selber gaben
Und lebensmüde schieden von dem Licht.
Wie trügen gern sie jetzt im Äther droben
Die harte Frohn und Not! Das Schicksal wehrt's:
Der Strom der Trauer schlingt die trüben Wogen
Neunmal um sie mit unbarmherz'gem Bann. —
Nicht fem von dieser Stätte dehnet sich
Nach allen Seiten weit das 'Trauerfeld'.
Verschwieg'ne Triften und ein Myrtenwald
Hegt hier die Armen, denen Liebeskummer
Grausam am Leben fraß: sie siechten hin.
Und noch im Tode läßt sie nicht der Gram.
Hier sah er Phaedra, Prokris, Eriphyle —
Sie wies die Todeswunde, die der Sohn,
Der grimme, schlug — , Pasiphae, Euadne,
Zu ihr geseilt Laodamia, Kaenis:
Sie war auf Erden einst zum Mann verwandelt,
Doch jetzt zur Jungfrau wieder umgeschaffen.
Vereint mit diesen irrte durch die Weite
Des Waldes Dido die Karthagerin
Mit offner Wunde. Kaum stand ihr zur Seite
Aeneas und erkannte sie im Schatten —
Nur dunkel, wie man wohl nach Monats Anfang
Sieht oder doch vermeint zu sehen Luna,
Wenn sie emporsteigt in dem Flor der Wolken — ,
Sprach weinend er ein süßes Lieb es wort:
„Arme Dido, ach so ist es Wahrheit:
Hin bist du, von eigner Hand gefallen.
Mein die Schuld, daß in den Tod du gingst!
Schwören aber darf ich's bei den Göttern,
Bei den Sternen, und so wahr die Eide
Auch hienieden gelten in der Tiefe:
Schwer ward mir das Scheiden, Königin.
Götterwille trieb mich streng von dannen,
Wie er jetzo mich den Weg des Todes
Wandern heißt durch nächtig dumpfe Grüfte.
Nimmer hätt' ich doch auch ahnen können.
Daß mein Scheiden bräche dir das Herz! —
Bleib', o flieh' nicht meinen Blick! Ich bin es:
Meiden willst du mich? Des Schicksals Gnade
Gönnet mir mit dir ein letztes Wort!"
Durch solche Rede wollt' er sänftigen
78 TEXT.
talibus Aeneas ardentem et torva tuentem
lenibat dictis animum, lacrimasque ciebat.
illa solo fixos oculos aversa tenebat,
470 nee magis incepto voltum sermone movetur,
quam si dura silex aut stet Marpesia cautes.
tandem corripuit sese, atque inimica refugit
in nemus umbriferum, coniunx ubi pristinus illi
respondet curis, aequatque Sychaeus amorem.
476 nee minus Aeneas casu concussus iniquo,
prosequitur lacrimis longe et miseratur euntem.
Inde datum molitur iter, iamque arva tenebant
ultima, quae bello clari secreta frequentant.
hie illi occurrit Tydeus, hie inclutus armis
480 Partbenopaeus, et Adrasti palleutis imago.
hie multum fleti ad superos belloque caduci
Dardanidae, quos ille omnis longo ordine cemens,
ingemuit, Glaucumque Medontaque Thersilochumque,
tris Antenoridas, Cererique sacrum Polyboten,
485 Idaeumque etiam currus etiam arma tenentem.
circumstant animae dextra laevaque frequentes;
nee vidisse semel satis est, iuvat usque morari,
et conferre gradum, et veniendi discere causas.
at Danaum proceres Agamemnoniaeque phalanges,
490 ut videre virum fulgentiaque arma per umbras,
FMPR ingenti trepidare metu; pars vertere terga,
ceu quondam petiere rates, pars tollere vocem
exiguam: inceptus clamor frustratur biantis.
Atque hie Priamiden laniatum corpore toto
496 - Deiphobum vidit, lacerum crudeliter ora,
ora manusque ambas, populataque tempora raptis
auribus, et truncas inhonesto volnere naris.
vix adeo adgnovit pavitantem, et dira tegentem
supplicia, et notis compellat vocibus ultro.
477 tenebat P 484 Polyboeten MP^B (Poleboeten Nonius 397) 486 fre-
mentes P 495 videt lacerum FPB, vidit et lacerum (et dwrchgestrichen) M,
vidit lacerum junge Hss.\ videt et Heinsius
ÜBERSETZUNG. 79
Den starren Trutz ^ der ihr im Busen glomm.
Ihm flössen Tränen: sie hielt abgewendet
Die Wimpern stier am Boden, und ihr Antlitz
Blieb bei den Worten regungslos wie Marmor
Von Faros' Felsen oder wie Granit.
Jetzt raflPte sie sich auf und floh, ihm gram.
Von hinnen in den schattendunklen Hag,
AUwo Sychaeus, weiland ihr Gemahl,
Ihr Treue hielt und Liebe gab um Liebe.
Aeneas folgte, von dem harten Lose
Erschüttert, weithin ihr mit nassem Blick.
Dann eilt' er fürder den gewies'nen Pfad.
Schon war erreicht das äußerste Gefilde,
Das abgegrenzt der Streiter Scharen faßt.
Hier traf er Tydeus und den wackren Recken
Parthenopaeus und Adrast den bleichen.
Hier Trojas Söhne, die der Krieg einst fällte.
Und die er viel beweint am Licht der Welt.
Er stöhnte, da er sah die langen Reihen,
Den Glaukus, Medon und Thersilochus,
Die drei Antenoriden und den Priester
Der Ceres, Polybotes, und Idaeus,
Der noch den Wagen, noch die Waffen hielt.
In hellen Haufen standen sie um ihn,
Sie konnten ihn nicht oft genug betrachten.
Gern säumten lang sie, gaben ihm Geleite
Und fragten ihn nach seines Kommens Grund.
Doch als der Griechen Edle, die Geschwader
Des Agamemnon, ihn in Waffen sahen.
Die in dem Dunkel blitzten, da ergriff
Sie ungeheurer Schreck: die einen flohen
Wie einst, da sie zu ihren Schiffen rannten.
Andre versuchten Zeterruf — vergebens:
Klanglos entfuhr dem offuen Mund der Ton.
Da sah er Priams Sohn Deiphobus,
Am ganzen Leib zerfleischt; sein edles Antlitz,
Die beiden Arme grausam zugerichtet;
Die Schläfen arg verstümmelt; abgerissen
Die Ohren, und die Nase wundentsteUt.
Mit Mühe nur erkannt' er ihn, der bebend
Zu bergen suchte seine grausen Wunden,
Und sprach zu ihm mit brüderlicher Stimme:
„Troerheld aus fürstlichem Geblüte,
Sage mir, wer hat sich unterstanden.
80 TEXT.
600 'Deiphobe armipotens, genus alto a sanguine Teucri,
quis tarn crudelis optavit sumere poenas,
cui tantum de te licuit. mihi fama suprema
nocte tulit, fessum vasta te caede Pelasgum
procubuisse super confusae stragis acervom.
606 tunc egomet tumulum Rhoeteo litore inanem
constitui, et magna manis ter voce voeavi.
nomen et arma locum servant: te amice nequivi
conspicere, et patria decedens ponere terra.'
ad quae Priamides. 'nihil o tibi amice relictum,
610 omnia Deiphobo solvisti et funeris umbris;
sed me fata mea et scelus exitiale Lacaenae
his mersere malis, illa haec monimenta reliquit;
namque ut supremam falsa inter gaudia noctem
egerimus nosti, et nimium meminisse necesse est.
616 cum fatalis ecus saltu super ardua venit
Pergama, et armatum peditem gravis attulit alvo,
illa chorum simulans, euhantis orgia circum
ducebat Phrygias, flammam media ipsa tenebat
ingentem, et summa Danaos ex arce vocabat.
620 tum me confectum curis somnoque gravatum
infelix habuit thalamus, pressitque iacentem
dulcis et alta quies placidaeque simiUima morti.
egregia interea coniunx arma omnia tectis
emovet — et fidum capiti subduxerat ensem — :
626 intra tecta vocat Menelaum, et limina pandit:
scilicet id magnum sperans fore munus amanti,
et famam extingui veterum sie posse malorum.
quid moror, inrumpunt thalamo, comes additur una
hortator scelerum Aeolides: di talia Grais
680 instaurate, pio si poenas ore reposco.
sed te qui vivom casus, age fare vicissim
attulerint. pelagine venis erroribus actus,
505 in litore iJfP* 524 etmovet P\ amovet F^MF^ 528 additus PR
ÜBERSETZUNG. 81
Also grausam sicli an dir zu almden!
In der Schicksalsnacht kam mir die Kunde,
Müde durch den Massenmord von Griechen
Habest du den Heldentod gefunden.
Darauf richtet' ich am Strand Rhoeteums
Dir ein hohles Hügelgrab, und dreimal
Rief mit lautem Ruf ich deine Seele.
Waffen nur und Namensaufschrift zeichnen
Jenes Grab: dich selbst könnt' ich, mein Lieber,
Schauen nirgend, als ich scheiden mußte.
Bergen nicht im Boden unsrer Väter."
„Nichts, mein Lieber," sprach der Priamide,
„Unterließest du: die letzten Ehren
Gäbest du Deiphobus im Tode.
In dies Leid hat mich versenkt mein Dämon
Und die unheilvolle Tat der Dirne:
Sie ist's, der ich diese Male danke.
Weißt du doch, wie wir die Nacht des Schicksals
Hingebracht im falschen Freudentaumel:
Ach, zu sehr nur müssen deß wir denken!
Es sprengt' im Sprung das dämonische Roß
Über Bergamos' Wehr: Waffengewalt
Barg es im Bauch.
Da führt wie zum Feste des Bacchus die Böse
In rauschendem Reigen die phrygischen Frauen,
Sie selbst in der Mitte winkt von der Warte
Dem Feind mit der Fackel Flammenfanal.
Unterdessen barg in Schlummers Banden
Sorgenmüde mich die ünglückskammer,
Süße tiefe Ruhe lag gebreitet
Über mir gleichwie der Schlaf des Todes.
Derweilen entfernt mein wackeres Weib
Aus der Wohnung die Wehr. Kaum hatte mein Schwert,
Das treue, sie mir zu Häupten gerafft,
Da ruft sie herein Menelaus, erschließt
Ihm die Schwelle zum Haus: traun hoffend, ein großes
Geschenk ihrem Buhlen zu bieten, zu löschen
Die Schmach ihrer Schuld. Doch kurz: sie kommen
Gestürmt in die Kammer, zur Seite gesellt
Odysseus der Schleicher, der Mahner zum Mord.
Götter, den Griechen gebt Gleiches zum Lohne,
Falls fromm mein Mund Vergeltung verlangt!
Aber künde nun auch mir hinwieder.
Welch Geschick hieher dich lebend führte.
War's ein Meeressturm, der dich verschlagen?
Veroii, Buch VI, von Norden. 6
82 TEXT.
an monitu divum, an quae te Fortuna fatigat,
ut tristis sine sole domos, loca turbida adires?'
535 hac vice sermonum, roseis Aurora quadrigis
iam medium aetherio cursu traiecerat axem;
et fors omne datum traherent per talia tempus,
sed comes admonuit breviterque adfata Sibylla est.
'nox ruit Aenea: nos flendo ducimus boras;
540 bic locus est partis ubi se via findit in ambas:
dextera quae Ditis magni sub moenia tendit,
bac iter Elysium nobis; at laeva malorum
exercet poenas, et ad impia Tartara mittit.'
Deipbobus contra 'ne saevi magna sacerdos:
645 discedam, explebo numerum, reddarque tenebris;
i decus i nostrum: melioribus utere fatis.'
tantum effatus, et in verbo vestigia torsit.
Respicit Aeneas, subito et sub rupe sinistra
moenia lata videt, triplici circumdata muro;
550 quae rapidus flammis ambit torrentibus amnis,
Tartareus Phlegethon, torquetque sonantia saxa.
porta adversa ingens, solidoque adamante columnae;
vis ut nulla virum, non ipsi excindere bello
caelicolae valeant; stat ferrea turris ad auras,
555 Tisipboneque sedens, palla succincta cruenta,
vestibulum exsomnis servat noctesque diesque.
hinc exaudiri gemitus, et saeva sonare
verbera, tum Stridor ferri, tractaeque catenae:
constitit Aeneas, strepituque exterritus baesit.
560 MPR 'quae scelerum facies, o virgo effare, quibusve
urgentur poenis, quis tantus plangor ad auras?'
tum vates sie orsa loqui. 'dux inclute Teucrum,
nuUi fas casto sceleratum insistere limen,
sed me cum lucis Hecate praefecit Avemis,
565 ipsa deum poenas docuit perque omnia duxit.
Gnosius baec Rbadamantbus habet durissima regna^
castigatque auditque dolos, subigitque fateri,
547 pressit ME 553 ferro M 556 insomnis JR 559 strepitumque
FP^E Servius hausit F^P^ Servius 561 qui P^E clangor ad auris P
566 Cnosius P
ÜBERSETZUNG. 83
Waren's Götter, die es dir geboten?
Oder trieb ein Dämon dich zu suchen
Diese sonnenlose wüste Stätte?"
Dieweil sie so der Wechselrede pflagen,
War Eos mit dem ros'gen Viergespann
Hernieder schon am Firmament gefahren.
So wäre wohl die ganze Frist verstrichen,
Da sprach Sibylla kurz ein mahnend Wort:
„Es naht die Nacht, Aeneas: wir verschwenden
Die Zeit mit Klagen! Hier am Scheidewege
Geh'n rechts wir zum Palast des hehren Pluto
Und zum Elysium; der Weg dort links
Führt die Verfehmten zu der HöUenqual!"
„Erhab'ne Priesterin," entgegnete
Der Priamide, „grolle nicht: ich scheide
Ins Dunkel, mache voll die Zahl der Toten. —
Du, unser Stolz, zeuch bess'rem Los entgegen!"
Mit diesem Worte macht' er Kehrt sogleich.
Aeneas blickt um und plötzlich erschaut
Zur Linken am Fuße des Felsens er Burgen
Dreifältig ummauert, tosend umstürmt
Von Flammen der Hölle, Phlegethons Flut:
Sausende Steine wälzt sie in Wirbeln.
Dort ragt entgegen ein riesiges Tor,
Von Säulen gestützt gediegenen Stahls:
Nicht brächen es los Mächte der Menschen,
Nicht selber im Krieg das himmlische Heer.
Eisern dräut nach droben ein Tum,
Tisiphone gürtet ihr blutig Gewand,
Wacht tags, wacht nächtens, hütet den Hof.
Von hier schallt Stöhnen, Sausen der Schläge,
Eisengerassel, Kettengeklirr.
Aeneas machte Halt, vom Lärm erschreckt.
„Welches sind der Frevel Arten, Jungfrau,
Was für Strafen lasten auf den Sündern,
Welch ein Jammern klingt so an die Lüfte?"
Da hub die Seherin zu reden an:
„Edler Fürst, auf die verfehmte Schwelle
Darf den Fuß ein Frommer nimmer setzen,
Doch die Herrscherin der Höllen selber.
Die mir überwies die nächt'gen Haine,
Führte mich durch das Gericht der Götter.
Rhadamanth von Kreta ist der König
Dieses Reichs der Pein: er prüft die Frevel
6*
84 TEXT.
quae quis apud superos, farto laetatus inani,
distulit in seram commissa piacula mortem.
670 continuo sontis ultrix accincta flagello
Tisiphone quatit insultans, torvosque sinistra
intentans anguis, vocat agmina saeva sororum.
tum demum horrisono stridentes cardine, sacrae
panduntur portae; cernis custodia qualis
676 vestibulo sedeat, facies quae limina servet:
quinquaginta atris immanis hiatibus hydra
saevior intus habet sedem. tum Tartarus ipse
bis patet in praeceps tantum tenditque sub umbras,
quantus ad aetherium caeli suspectus Olympum.
680 hie genus antiquom Terrae, Titania pubes,
fulmine deiecti, fundo volvontur in imo.
hie et Aloidas geminos immania vidi
Corpora, qui manibus magnum rescindere caelum
adgressi, superisque lovem detrudere regnis.
686 vidi et crudelis dantem Salmonea poenas,
dum flammas lovis et sonitus imitatur Olympi.
quattuor hie luvectus equis, et lampada quassans,
per Graium populos, mediaeque per Elidis urbem
FMPR ibat ovans, divomque sibi poscebat honorem:
690 demens, qui nimbos et non imitabile fulmen,
aere et eomipedum pulsu simularet equorum.
at pater omnipotens densa inter nubila telum
contorsit — non ille faces nee fumea taedis
lumina — praeeipitemque immani turbine adegit.
696 nee non et Tityon, Terrae omniparentis alumnum
cemere erat, per tota novem cui iugera corpus
porrigitur; rostroque immanis voltur obuneo
immortale iecur tondens, feeundaque poenis
viscera, rimaturque epulis, habitatque sub alto
600 pectore, nee fibris requies datur ulla renatis.
quid memorem Lapithas Ixiona Pirithoumque,
quos super atra silex iam iam lapsura cadentique
586 flammam P 591 cursu F'M*B 597 abunco FB adunco P
602 quo JB quod F^
ÜBERSETZUNG. 85
Im Verhör und peinigt zu gestehen,
Wer Bekenntnis seiner Sünden aufschob
In den Tod, umsonst des Truges froh:
Tisiphone springt sofort auf den Sünder,
Sie hetzt ihn zur Strafe geißelgewappnet,
Sie schwingt in der Linken schaurige Schlangen,
Sie ruft ihrer Schwestern schreckliche Schar.
Grausig in den Angeln kreischend öffnet
Dann sich erst die Pforte der Verdammnis.
Draußen siehst Tisiphone du wachen.
Siehst ihr Schreckgesicht am Tore lauem:
Teuflischer, mit fünfzig schwarzen Rachen
Hält im Innern Wacht ein grauser Drache.
Grählings gähnt darauf die HöUe selber.
Dehnet zwiefach sich so tief zum Dunkel,
Als zu Himmelshöhen trägt der Blick.
Hier wälzt sich die Brut, die alte der Erde,
Titanen zur Tiefe gewirbelt vom Blitz.
Hier sah ich das Paar der Kinder Aloeus',
Die Leiber der Riesen: die himmlischen Burgen
Zu stürmen, zu stoßen vom Throne des Lichtes
Den König der Götter, das griffen sie an.
Ich schaute Salmoneus' furchtbare Strafe,
Der Jupiters Flammen und Donner nachahmte.
Auf Vierergespanne durchfuhr er die Völker
Der Griechen, die Straßen der heiligen Veste,
Er schwenkte die Fackel im Jubeltriumphe
Und heischte sich selber der Himmlischen Ehren:
Der Tor, daß er äffte die wabernden Wolken
Und ewigen Donner durch Rasseln der Räder,
Durch Stampfen der Rosse mit hörnernem Huf.
Da schwang in schwerem Wettergewölke
Allvater den Keil — traun keine von Kien
Schwelende Fackel — und schmetterte häuptlings
Hinab ihn zur Höllen in wirbelndem Wind.
Auch Tityos sah ich, den Zögling der Erde,
Der Mutter des AUs; es deckt der Leib
Des Riesen gedehnt neun Hufen der Flur.
Es nagt an der Leber der grausige Geier
Gebogenen Schnabels — nachwächst sie und wuchert
Ohn' Ruhen und Rasten zur ewigen Strafe — :
Er hascht nach der Atzung, haust in der Höhle
Des riesigen Rumpfs. Was nenn' ich das Paar
Der Lapithen Ixion, Pirithous dir?
Ihm hangt zu Häupten das schwarze Gestein:
86 TEXT.
imminet adsimilis; lucent genialibus altis
aurea fulcra toris, epulaeque ante ora paratae
605 regifico luxu; Furiarum maxima iuxta
accubat, et manibus probibet contingere mensas,
exsurgitque facem attollens, atque intonat ore.
bic quibus invisi fratres, dum vita manebat;
pulsatusve parens, et fraus innexa clienti;
610 aut qui divitiis soll incubuere repertis,
nee partem posuere suis — quae maxima turba est — ;
quique ob adulterium caesi; quique arma secuti
impia, nee veriti dominorum f allere dextras;
inclusi poenam exspectant: ne quaere doceri
616 quam poenam, aut quae forma viros fortunave mersit.
saxum ingens volvont alii, radiisque rotarum
districti pendent; sedet aetemumque sedebit
infelix Theseus; Pblegyasque miserrimus omnis
admonet, et magna testatur voce per umbras:
620 "discite iustitiam moniti, et non temnere divos."
vendidit bic auro patriam, dominum que potentem
imposuit, fixit leges pretio atque refixit;
hie tbalamum invasit natae vetitosque hymenaeos;
ausi omnes immane nefas, ausoque potiti.
625 non mihi si linguae centum sint oraque centum,
ferrea vox, omnis scelerum comprendere formas,
omnia poenarum percurrere nomina possim.'
Haec ubi dicta dedit Phoebi longaeya sacerdos,
'sed iam age carpe viam, et susceptum perfice munus,
630 acceleremus' ait. 'Cyclopum edueta caminis
moenia conspicio, atque adverso fomice portas,
haec ubi nos praecepta iubent deponere dona.'
dixerat, et pariter gressi per opaca viarum,
corripiunt spatium medium, foribusque propinquant,
635 occupat Aeneas aditum, corpusque recenti
spargit aqua, ramumque adverso in limine figit.
607 increpat P 630 ducta FPB
ÜBERSETZUNG. 87
Im Nu wird's kommen, es dräut wie zum Fall.
Es funkeln zum Fest an hohen Divanen
Güldene Lehnen; schon stehet gerüstet
Mit Königsgepränge das Mahl Tor dem Munde:
Da lagert zu Tisch sich der Furien ält'ste,
Sie wehrt, nach den Speisen mit Händen zu haschen,
Sie hebt sich, sie schwingt die Fackel empor.
Es erdonnert ihr Mund. —
Wer gehaßt den Bruder im irdischen Leben;
Greechlagen die Eltern; betrogen den Schützling;
Und alle die Scharen, die einsam gebrütet
Auf Gütern des Glücks und den Lieben die Hilfe
Verwehrt in der Not; wer erschlagen ob Ehbruchs;
Rebellisch gebrochen den Herren die Treue:
Sie alle harren im Kerker der Strafe,
Frage nicht welcher, noch welches Gericht
Zur Pein sie begrub. —
Die wälzen hinauf den wuchtigen Fels;
Die hangen gespannt auf Speichen von Rädern;
Li Ewigkeit sitzt der unselige Theseus;
Durch Schatten schallen des Phlegyas Rufe:
Zur Mahnung für alle bekennet der Ärmste
'Wandelt, gewarnt, gerecht vor den Menschen,
Gottfürchtigen Sinns!' —
Für Gold verkaufte das Reich ein Tyrann,
Er gab, hob auf Gesetze für Gold;
Der drang in der Tochter Gemach zum Genuß
Verbot'ner Verbindung: was jeder gewagt
Li sündlichem Wunsch, ein jeder gewann's.
Wenn hart mir wie Stahl hallte die Stimme
Aus hundert der Kehlen, von hundert der Zungen,
Nicht könnt' ich fassen die Formen der Frevel,
Nicht nennen dir alle Namen der Not."
So sprach Apollos greise Priesterin,
Dann fuhr sie fort: „Doch jetzt frisch auf den Weg,
Erfülle schnell den übemomm'nen Auftrag:
Dort liegt, geschmiedet in Kyklopenessen,
Der Burgring, gradeaus des Tores Wölbung,
Wo dies Geschenk wir niederlegen sollen."
Sprach's; gleichen Schrittes eüten sie hinüber
Auf dunklem Pfad. Aeneas nahm den Zugang
Des Tors, besprengte sich mit lautrem Wasser
Und steckte vom am Eingang fest den Zweig.
88 TEXT.
His demum exactis, perfecto munere divae,
devenere locos laetos, et amoena virecta
fortunatorum nemorum, sedesque beatas.
640 largior hie campos aether, et lumine vestit
purpureo, solemque suum, sua sidera norunt.
pars in gramineis exercent membra palaestris,
contendunt ludo, et fulva luctantur harena;
pars pedibus plaudunt choreas, et carmina dicunt.
645 nee non Thraeieius longa cum veste sacerdos.
obloquitur numeris Septem diserimina vocum,
iamque eadem digitis, iam peetine pulsat ebumo.
hie genus antiquum Teucri, pulcherrima proles,
magnanimi heroes, nati melioribus annis,
650 Ilusque Assaraeusque, et Troiae Dardanus auctor.
arma procul eurmsque vimm miratur inanis;
stant terra defixae hastae, passimque soluti
per eampum pascuntur equi; quae gratia currum
armorumque fuit vivis, quae cura nitentis
666 pascere equos, eadem sequitur tellure repostos.
conspicit eece alios dextra laevaque per herbam
veseentis, laetumque choro paeana canentis,
inter odoratum lauri nemus, unde supeme
plurimus Eridani per silvam volvitur amnis.
660 hie manus ob patriam pugnando volnera passi;
quique sacerdotes casti, dum vita manebat;
quique pii vates, et Phoebo digna loeuti;
inventas aut qui vitam excoluere per artis;
quique sui memores aüquos feeere merendo:
665 Omnibus his nivea cinguntur tempora vitta.
quos circumfusos sie est adfata Sibylla,
Musaeum ante omnis, medium nam plurima turba
hune habet, atque umeris exstantem suspicit altis.
'dicite felices animae, tuque optime vates:
651 mirantur MB 652 terrae F 664 alios JP*
ÜBERSETZUNG. 89
Erst als hiedurch die Weihung für die Göttin
Vollbracht war, kamen sie zum Ort der Freude,
Zu lieblich grünen Auen in dem Haine
Des Paradieses, wo die Sel'gen weilen.
Ätherfülle liegt ob den Gefilden
Und umkleidet sie mit Purpurglanze,
Eigne Sonnen, Sterne strahlen dorten.
Auf den Rasenplätzen übt sich turnend
Eine Gruppe, mühet sich im Wettlauf
Oder ringet in dem gelben Sande;
Andre tanzen Reigen zu Gesängen.
Orpheus im Talare läßt zum Takte
Seine Leier in Akkorden klingen,
Greift mit seinen Fingern in die Saiten,
Schlägt sie mit dem Stab aus Elfenbein.
Hier verweilen sich die Heldensöhne
Aus dem alten Adelsstamme Trojas,
Hochgemute Recken aus der weiland
Guten Zeit, Assarakus und Ilus
Und der Gründer Trojas Dardanus.
Staunend sah Aeneas in der Nähe
Ihre Wehr und führerlosen Wagen;
In der Erde stunden fest die Gere,
Auf den Wiesen grasten frei die Pferde:
Wagen, Waffen, blanker Rosse Züchten,
AUes was sie einst im Leben liebten.
Durften hegen sie im Erdenschoß.
Da gewahrt' er rechts und links im Grase
Andre schmausen: Dankeshymnen schallen
Heiter durch des Haines Lorbeerdüfte,
Und zum Himmelslicht empor durch Wälder
WaUt Eridanus, der heil'ge Strom.
Hier verweilt die Heldenschar, die kämpfend
Fiel zu Schirm und Schutz des Vaterlandes;
Hier die reinen Priester; fromme Sänger,
Deren Lieder Phoebus wert befunden;
Hier die Weisen, die durch neue Künste
Die Kultur gehoben; hier die Herrscher,
Deren dankerfüllt die Welt gedachte:
AUer Schläfen kränzt ein schneeweiß Band.
Umdrängt von ihnen wandte die Sibylle
Das Wort an sie, vor allen an Musaeus,
Der hochgeschultert aus den Scharen ragte
Und rings die Augen aUer zu sich hob.
„Sagt, sel'ge Geister, lieber Priester, sage:
90 TEXT.
670 quae regio Anchisen, quis habet locus? illius ergo
venimus, et magnos Erebi tranavimus amnis.'
atque huic responsum paucis ita reddidit heros.
'nulli certa domus, lucis habitamus opacis,
riparumque toros et prata recentia rivis
675 incolimus. sed vos si fert ita corde voluntas,
hoc superate iugum, et facili iam tramite sistam.'
dixit et ante tulit gressum, camposque nitentis
desuper ostentat; dehinc summa cacumina linquont.
At pater Anchises penitus convalle virenti
680 inclusas animas, superumque ad lumen ituras
lustrabat studio recolens, omnemque suorum
forte recensebat numerum, carosque nepotes,
fataque fortunasque virum, moresque manusque.
isque ubi tendentem adversum per gramina vidit
685 Aenean, alacris palmas utrasque tetendit,
effusaeque genis lacrimae, et vox excidit ore.
Venisti tandem, tuaque exspectata parenti
FGMPR vicit iter durum pietas, datur ora tueri
nate tua et notas audire et reddere voces.
690 sie equidem ducebam animo rebarque futurum,
tempora dinumerans, nee me mea cura fefellit.
quas ego te terras et quanta per aequora vectum
accipio, quantis iactatum nate periclis;
quam metui ne quid Libyae tibi regna nocerent.'
695 ille autem 'tua me genitor tua tristis imago
saepius occurrens, haec limina tendere adegit,
stant sale Tyrrheno classes; da iungere dextram,
da genitor, teque amplexu ne subtrahe nostro.'
sie memorans, largo fletu simul ora rigabat.
700 ter conatus ibi collo dare bracchia circum,
ter frustra comprensa, manus effugit imago,
par levibus ventis, volucrique simillima somno.
Interea videt Aeneas in vaUe reducta
seclusum nemus, et virgulta sonantia silvae.
702 fehlt in P»
ÜBERSETZUNG. 91
Wo weilt Anchises? seinetwegen kamen
Hieher wir ob der Hölle großen Schlund."
Der Edle gab in Kürze so Bescheid:
„Ein festes Haus hat keiner: wir bewohnen
Der Ufer Pfühle, schattenreiche Haine
Und quellenfrische Triften. Überschreitet,
So dieses euer Wunsch, die Höhen hier:
Ich bring' euch fürder auf bequemen Pfad."
So sprach er, schritt sodann fürbaß und wies
Hernieder auf die glänz erfüllten Auen.
Darauf verließen sie des Hanges Gipfel.
Vater Anchises mustert' eben emsig
In eines grünen Tales Hintergrunde
Die eingeschloss'nen Seelen, die das Schicksal
Zur Wiederkehr ans Licht erkoren hatte.
Als er die Seinen just besichtigte.
Und an der lieben Enkel Schicksal dachte,
An ihren Edelsinn und Heldenmut,
Sah querfeldein er stracks Aeneas eilen.
Da streckt' er rasch die Arme nach ihm aus
Und sprach ihn an, die Augen voller Tränen:
„Kamst du also doch! ob Müh' und Fährde
Siegte die bewährte Sohnesliebe!
Darf ich Aug' in Auge seh'n und tauschen
Worte mit dir wohlbekannten Klanges!
Ja, ich überzählte mir die Stunden:
Meiner Rechnung Treue trog mich nicht.
Welche Lande, welche weiten Meere
Führten dich zu mir; in was für Fährnis
Kamst du, lieber Sohn; wie ich mich sorgte,
Unheil brächte dir Karthagos Reich!"
Jener sprach: „Dein Schatten, lieber Vater,
Trat mir trauernd offcen vor die Seele,
Ließ hieher mich meine Schritte lenken;
Im Tyrrhenermeere liegt die Flotte.
Laß mich meine Hand in deine legen,
Fliehe deines Sohns Umarmung nicht!"
Er sprach's mit tränenüberströmtem Antlitz
Und suchte dreimal zu umfah'n den Vater,
Umsonst: das Schattenbild entglitt ihm immer
Wie lindes Windeswehn und Schlafesschwingen.
Da sah Aeneas in dem Hintergrunde
Des Tales einen abgeschloss'nen Hain.
92 TEXT.
706 Lethaeumque doraos placidas qui praenatat amnem.
hunc circum innumerae gentes populique volabant,
ac velut in pratis ubi apes aestate serena
floribus insidunt variis, et Candida circum
lilia funduntiir: strepit omnis murmure campus.
710 horrescit visu subito, causasque requirit
inscius Aeneas, quae sint ea flumina porro,
quive viri tanto complerint agmine ripas.
tum pater Anchises 'animae quibus altera fato
Corpora debentur, Lethaei ad fluminis undam
715 securos latices et longa oblivia potant.
has equidem memorare tibi atque ostendere coram,
iampridem hanc prolem cupio enumerare meorum,
quo magis Italia mecum laetere reperta.'
'o pater anne aliquas ad caelum hinc ire putandum est
720 sublimis animas, iterumque ad tarda reverti
Corpora? quae lucis miseris tam dira cupido?'
'dicam equidem, nee te suspensum nate tenebo,'
suscipit Ancbises, atque ordine singula pandit.
'principio caelum ac terras, camposque liquentis,
FMPR lucentemque globum Lunae, Titaniaque astra,
726 Spiritus intus alit, totamque infusa per artus
mens agitat molem, et magno se corpore miscet.
inde hominum pecudumque genus, vitaeque volantum,
et quae marmoreo fert monstra sub aequore pontus.
780 igneus est ollis vigor et caelestis origo
seminibus, quantum non noxia corpora tardant,
terrenique bebetant artus, moribundaque membra.
binc metuunt cupiuntque, dolent gaudentque, neque auras
dispiciunt, clausae tenebris et carcere caeco.
736 quin et supremo cum lumine vita reliquit,
non tamen omne malum miseris, nee funditus omnes
corporeae excedunt pestes, penitusque neeesse est
multa diu conereta, modis inolescere miris.
ergo exercentur poenis, veterumque malorum
740 supplicia expendunt: aliae panduntur inanes
707 veluti FGM 719 est fehlt in F 721 cupido est F^ 724 ter-
ram F^PB
ÜBERSETZUNG. 93
Im Buschwerk lispelt's und der Lethe Woge
Rauscht am Gefild der Sel'gen leis dahin.
Den Strom umflattern ungezählte Scharen,
Gleichwie an sonn'gen Sommertagen Bienen
Sich auf die bunten Wiesenblumen setzen
Und um die silberweißen Liljen schwärmen:
Von ihrem Summen saust es durch die Au.
Ein Schauer überkam ihn bei dem Anblick,
Er heischte Kunde, welcher Fluß das sei
Und was für Scharen dessen Borde füllten.
Anchises sprach: „Aus Lethes Bronnen schlürfen
Die Seelen, die in neue Körper wandern.
Erlösenden Vergessens Labetrunk.
Ja, lange wünscht' ich schon sie dir zu nennen,
Der Uns'ren Schar, und sichtbar sie zu zeigen.
Damit noch größer werde deiue Freude,
Daß uns gefunden ward Italien."
„So ist's denn, Vater, wahr, daß Seelen wandern
Von hier zur obem Welt in träge Körper?
Was sehnen so die armen sich zum Lichte?"
„Nicht soUst du länger dich mit Zweifeln quälen,"
Sprach er und offenbart' ihm jegliches.
„Beseelend nährt den Himmel und die Erde,
Die Meeresauen und die Strahlenkugel
Des Mondes und den Riesenstem der Sonne
Eiu Lebenshauch, und die Materie
Bewegt der Geist: der flutet durch die Glieder
Und bindet ganz sich mit dem Leib der Welt.
Er zeugt mit ihr die Menschen, das Getier
Des Landes und der Luft, die Ungeheuer,
Die unter'm Marmorglast die Tiefe birgt.
Vom Himmel stammt sein Same: Himmelsfeuer
Verleiht ihm Lebenskraft, solang kein Körper
Ihn schadvoU lähmt, kein irdisches Gelenk
Ihn abstumpft und dem Tod verfall'ne GKeder.
Die bringen Furcht, Begierde, Schmerz und Lust,
Und in des Körpers Grabesnacht gekettet
Dringt nimmermehr zum Himmelslicht der Geist.
Ja, wenn des Lebens letzter Schimmer floh,
Weicht doch nicht alles Leid, nicht alles Siechtum
Des Körpers völlig von den armen Seelen:
Viel Keime mußten, wuchernd mit der Zeit,
Einwachsen tief in wunderbarer Art.
So werden sie mit Marterqual gepeinigt
Zur Buße für die altererbte Schuld.
94 TEXT.
suspensae ad ventos, aliis sub gurgite vasto
infectum eluitur scelus, ant exuritur igni:
quisque suos patimur manis. exinde per amplum
mittimur Elysium, et pauci laeta arva tenemus,
745 donec longa dies, perfecto temporis orbe,
concretam exemit labern, purumque relinquit
aetberium sensum atque aurai simplicis ignera.
has omnis, ubi mille rotam volvere per annos,
^ Letbaeum ad fluvium deus evocat agmine magno,
760 scilicet immemores super ut convexa revisant,
rursus et incipiant in corpora velle reverti.'
Dixerat Ancbises, natumque unaque SibyUam
conventus trabit in medios turbamque sonantem,
et tumulum capit, unde omnis longo ordine posset
765 adversos legere, et venientum discere vultus.
MPR 'Nunc age Dardaniam prolem quae deinde sequatur
gloria, qui maneant Itala de gente nepotes,
inlustris animas nostrumque in nomen ituras,
expediam dictis, et te tua fata docebo.
760 ille vides pura iuvenis qui nititur basta,
proxima sorte tenet lucis loca, primus ad auras
aetberias Italo commixtus sanguine surget,
Silvius, Albanum nomen, tua postuma proles:
quem tibi longaevo serum Lavinia coniunx
766 educet silvis regem, regumque parentem,
unde genus Longa nostrum dominabitur Alba,
proximus iUe Procas, Troianae gloria gentis,
et Capys, et Numitor, et qui te nomine reddet
Silvius Aeneas, pariter pietate vel armis
770 egregius, si umquam regnandam acceperit Albam.
qui iuvenes, quantas ostentant adspice viris,
atque umbrata gerunt civili tempora quercu:
bi tibi Nomentum et Gabios urbemque Fidenam,
bi Collatinas imponent montibus arces,
775 Pometios Castrumque Inui Bolamque Coramque:
746 reliquit PB 747 aurae die Hss., aurai Servius 750 supera ut
F^M^M (superant P, supera aut F^)
ÜBERSETZUNG. 95
Die einen schweben ausgespannt im Winde,
Den andren wird der Sünde Keim geläutert
Im Wasserwirbel oder Feuerbrand:
Ein jeder büßt, wie es sein Dämon heischt.
Dann wallen wir durch Paradiesesauen;
Jedoch nur wen'ge dürfen dort verbleiben,
Bis ganz der Kreis der Zeit erfüllet ist
Und nach Äonen ihrer Sünde Flecken
Erloschen sind und wieder rein erstrahlt
In lautrer Feuerluft der Himmelgeist.
Die meisten ruft, wann erst ein tausend Jahre
Das Zeitenrad gerollt, ein Gott in Scharen
Zu Lethes Fluten, daß sie mählich wieder
Verlangen spüren, einzugeh'n in Körper,
Und wiederseh'n die Welt erinn'rungslos."
Sprach's, zog den Sohn und die Sibylle mitten
Durch das Gewirr der Schar auf einen Hügel,
Auf daß sie deutlich schauten die Gesichter
Der Mannen, die in langem Zuge nahten.
„Jetzt wiU ich dir erklären, welcher Ruhm
Der Troer wartet, was für edle Seelen
ItaKschen Geblütes imsem Namen
Einst tragen, will dein eignes Los dir künden.
Da sieh, auf einen Herrscherstab gestützt,
Den Jüngling, der sich einen Platz erkieste
Zunächst dem Licht: er wird als erster steigen
Ans Tageslicht, italischer Mutter Blut,
Mit dem Albanemamen Silvius;
Ihn, deines Alters Spätling, wird erziehen
Lavinia, deine Gattin, in den Wäldern
Zum König und zum Ahn von Königen:
Er gründet uns das Reich von Alba Longa.
Der nächste, der Trojaner Stolz, ist Prokas,
Der Kapys, dieser Numitor, und jener.
In dem dein Name neu erstehen wird,
Aeneas Silvius, gleich ausgezeichnet
Durch Frömmigkeit und seiner Waffen Ruhm,
Wenn er das Reich von Alba einst erhält.
Wie prangen sie in Jugendkraft, die Schläfen
Vom Bürgerkranz aus Eichenlaub beschattet!
Sie werden dir Nomentum, Gabii,
Die Stadt Fidena gründen und die Berge
Dir krönen mit der Burg Collatia,
Pometii und Inuus' Kastell,
96 TEXT.
haec tum nomina erunt, nunc sunt sine nomine terrae,
quin et avo comitem sese Marortius addet
Romulus, Assaraci quem sanguinis Ilia mater
educet: viden ut geminae stant vertice cristae,
780 et pater ipse suo superum iam signat honore?
en huius nate auspiciis illa incluta Roma
imperium terris, animos aequabit Olympo,
septemque una sibi muro circumdabit arces,
felix prole Tirum: qualis Berecyntia mater
786 invehitur curru Phrygias turrita per urbes,
laeta deum partu, centum complexa nepotes,
omnis caelicolas, omnis super alta tenentis.
huc geminas nunc flecte acies, hanc aspice gentem
Romanosque tuos; hie Caesar et omnis luli
790 progenies, magnum caeli Ventura sub axem.
hie vir hie est tibi quem promitti saepius audis,
Augustus Caesar divi genus, aurea eondet
saecula qui rursus Latio regnata per arva
Satumo quondam, super et Garamantas et In dos
796 proferet imperium — iacet extra sidera tellus,
extra anni solisque vias, ubi caelifer Atlans
axem umero torquet, stellis ardentibus aptum — :
huius in adventum iam nune et Caspia regna
responsis horrent divom, et Maeotia tellus,
800 et septemgemini turbant trepida ostia Nili.
nee vero Aleides tantum telluris obivit,
fixerit aeripedem cervam licet, aut Erymanthi
paearit nemora, et Lemam tremefecerit areu;
nee qui pampineis vietor iuga flectit habenis,
805 Liber agens celso Nysae de vertice tigris.
et dubitamus adhue virtutem extendere factis
• aut metus Ausonia prohibet eonsistere terra.
787 supera alta ilf * 806 virtute extendere vires PB
ÜBERSETZUNG. 97
Bola und Cora: Namen einst von Klang,
Noch sind es unbenannte Strecken Lands.
Ja, dann wird seinem Ahne sich gesellen
Als Helfer Romulus, der Sohn des Mars,
Von seiner Mutter Ilia erzogen,
Der Fürstin aus trojanischem Geblüt.
Zu Häupten sieh den Doppelbusch ihm ragen
Wie ein Symbol der künft'gen Majestät,
Mit dem schon jetzt der Vater selbst ihn krönt.
In seinem Zeichen dehnt dereinst ihr Reich
Die stolze Roma bis zum Weltenende,
Hoch bis zum Himmel ihren Heldenmut,
Und faßt, die eine, sieben Vesten sich
In einem Mauerkranze, reich gesegnet
Mit Heldensippen, wie die Göttermutter,
Die turmgekrönt durch Asiens Städte fährt
Voll Mutterstolz auf ihre Götterkinder,
Auf ihrem Schoß die ganze Schar der Enkel,
Die in den hohen Himmelssälen thront.
Nun schaue her auf deiner Römer Stamm,
Auf Caesar und des Julus ganz Geschlecht,
Das einst emporsteigt zu des Himmels Sternen
Ja er, er ist's, der oft schon dir verheißen,
Augustus, des verklärten Caesar Sohn.
Die goldnen Zeiten wird er wiederbringen
Den Auen Latiums, wo Saturn einst herrschte;
Des Reiches Mehrer wird er sein bis jenseits
Der Wüstenvölker und der Inder Grenzen:
Das Land liegt außerhalb der Sonnenjahrbahn
Und unsrer Himmelszonen, dort wo Atlas
Auf Riesenschultem dreht das Firmament,
Das in der Sterne Flammenschmuck erstrahlt.
Schon zittern vor dem Nahen des Gewalt'gen,
Durch der Orakel Götterspruch geschreckt.
Die Völker in des hohen Nordens Steppen,
Und bange bebt der siebenarm'ge Nil.
Nicht Hercules durchzog so weite Lande,
Der Friedenstifter in Arkadiens Bergen,
Deß Pfeil die Hindin mit den eh'men Hufen
Erlegt, vor dem der Wurm des Pfuhls erbebte.
Nicht Bacchus, der von Himalajas Firnen
Mit weinumrankten Zügeln sein Gespann
Von Tigern im Triumph hemiederlenkte.
Da zagen wir noch, unsem Heldenadel
Durch Taten zu bewähren, oder Furcht
Vk R G 1 1, Buch VI, von Norden. 7
98 TEXT.
quis procul ille autem, ramis insignis olivae,
Sacra ferens? nosco crinis incanaque menta
810 regis Romani, primam qui legibus urbem
fundabit, Curibus parvis et paupere terra
missus in imperium magnum. cui deiade subibit
otia qui rumpet patriae, residesque movebit
Tullus in arma viros et iam desueta triumphis
815 agmina. quem iuxta sequitur iactantior Ancus,
nunc quoque iam nimium gaudens popularibus auris.
vis et Tarquinios reges animamque superbam,
ultoris Bruti fascesque videre receptos?
consulis imperium hie primus saevasque secures
820 accipiet, natosque pater nova bella moventis,
ad poenam pulchra pro libertate vocabit,
infelix, utcumque ferent ea facta minores:
vincet amor patriae, laudumque immensa cupido.
quin Decios Drusosque procul, saevomque securi
825 aspice Torquatum, et referentem signa Camillum.
ülae autem paribus quas fulgere cernis in armis,
concordes animae nunc et dum nocte premuntur,
heu quantum inter se bellum, si lumina vitae
attigerint, quantas acies stragemque ciebunt,
830 aggeribus socer Alpinis atque arce Monoeci
descendens, gener adversis instructus eois.
ne pueri ne tanta animis adsuescite beUa,
neu patriae validas in viscera vertite viris,
tuque prior tu parce genus qui ducis Olympo,
835 proice tela manu sanguis mens.
ille triumphata Capitolia ad alta Corintho
victor aget currum, caesis insignis Achivis;
eruet ille Argos Agamemnoniasque Mycenas,
ipsumque Aeaciden, genus armipotentis Achilli,
840 ultus avos Troiae, templa et temerata Minervae.
839 Achillei P
ÜBERSETZUNG. 99
Läßt uns Italiens Erde nicht betreten? —
Wen seh' ich dort die Opfergaben tragen,
Das Haupt mit dem Olivenlaub gekränzt?
Am weißen Haar erkenn' ich und am Barte
Den Römerkönig, der den jungen Staat
Uns durch Gesetze festigt: Cures sendet,
Der dürft'ge Flecken, in die Hauptstadt ihn.
Nach ihm kommt Tullus, der dem Vaterlande
Die Muße bricht und zu den Waffen ruft
Die trägen, schon triumphentwöhnten Scharen.
Auf ihn folgt Ancus, der schon jetzt zu sehr
Nach wind'ger BeifaUsgunst der Massen hascht.
Willst du auch sehen des Tarquinierkönigs
Hoffärt'ge Seele, seh'n die Rutenbündel,
Die Brutus ihm, der Rächer, wieder nimmt?
Die Macht des Konsuls über Tod und Leben
Wird er zuerst erhalten, wird — der Vater! —
Die eignen Söhne für Rebellion
Dem Tode weih'n, ein Hort der heil'gen Freiheit:
Unglücklich, ob auch noch so sehr die Nachwelt
Die Tat einst rühmt-, es siegt La ihm die Liebe
Zum Vaterland und mächt'ge Ruhmbegier.
Dort hinten sieh die Decier und die Druser,
Torquatus mit dem grimmen Beil, Camillus,
Der die verlor'nen Banner wiederbringt.
Doch jene, die in gleicher Rüstung funkeki,
Einträchtig jetzt, da noch die Nacht sie deckt, —
Weh, welchen Bürgerkrieg auf blut'ger Walstatt
Entfachen sie dereinst am Licht der Welt,
Der Schwäher, der vom Mauerwall der Alpen,
Der Burg des Hercules, zu Tale steiget.
Der Eidam mit der Wehr des Orients.
Nein, Kinder, richtet euem Sinn doch nicht
Auf solche Fehde, kehrt die Wehr der Waffen
Nicht wider eures Vaterlandes Herz.
Du, Caesar, dessen Ahnin wohnt im Himmel,
Meiu Anverwandter, lasse Gnade walten.
Wirf du zuerst die Waffen aus der Hand!
Der dort, ein großer Held in Griechenschlachten,
Bezwingt dereinst Korinth imd lenkt den Wagen
Zum First des Kapitoles im Triumph.
Der stürzt Mykenae, Agamemnons Reich,
Und Argos, stürzt den Makedonenkönig,
Der von Achill, dem Helden, stammt: so rächt er
Uns, seine Troerahnen, an den Griechen,
100 TEXT.
quis te magne Cato tacitum aut te Gösse relinquat,
quis Gracchi genus, aut geminos duo fulmina belli
Scipiadas, cladem Libyae, parvoque potentem
Fabricium, vel te sulco Serrane serentem?
845 quo fessum rapitis Fabii? tun Maximus ille es,
unus qui nobis cunctando restituis rem?
excudent alii spirantia mollius aera —
Credo equidem —, vivos ducent de marmore voltus;
orabunt causas melius, caelique meatus
850 describent radio, et surgentia sidera dicent:
tu regere imperio populos Romane memento —
haec tibi erunt artes — pacique inponere morem,
parcere subiectis, et debellare superbos.'
Sic pater Anchises, atque haec mirantibus addit.
856 'aspice ut insignis spoliis Marcellus opimis
ingreditur, victorque viros supereminet omnis.
hie rem Romanam magno turbante tumultu
FMPR sistet eques, stemet Poenos Grallumque rebellem,
tertiaque arma patri suspendet capta Quirino.'
860 atque hie Aeneas — una namque ire videbat
egregium forma iuvenem et fulgentibus armis,
sed frons laeta parum, et deiecto lumina voltu —
'quis pater ille virum qui sie comitatur euntem?
filius, anne aliquis magna de stirpe nepotum?
865 qui strepitus circa comitum, quantum instar in ipso,
sed nox atra caput tristi circumvolat umbra.'
tum pater Anchises lacrimis ingi-essus obortis.
'o gnate ingentem luctum ne quaere tuorum:
ostendent terris hunc tantum fata, nee ultra
870 esse sinent; nimium vobis Romana propago
visa potens superi, propria haec si dona fuissent.
MFR quantos ille virum magnam Mavortis ad urbem
845 tu MP^R 846 restitues R 848 cedo P» 852 hae MP^R pacis
Sermus 865 quis F^MR 868 nate FPR
ÜBERSETZUNG. 101
Die unsrer Pallas Heiligtum entweiht.
Wer könnte, großer Cato, dich vergessen,
Und Cossus dich; wer Gracchus' edle Söhne;
Die Scipionen, Afrikas Verderben,
Zween Schlachtenblitze; wer Fabricius,
So arm wie mächtig; wer, Serranus, dich.
Den Rom vom Pflug sich holen wird zum Schwert?
Was bannt ihr, Fabier, meinen müden Blick?
Du also bist der Einz'ge, bist der Große,
Durch zähes Zaudern uns'res Reiches Retter!
Traun andre werden wohl mit weicher'm Schmelze
Ein atmend Kunstgebild aus Erz gestalten,
Dem Marmor lebenswarme Züge geben
Und besser reden vor Gericht und Volk,
Mit ihrem Stab des Himmels Bahnen zeichnen
Und künden, wie an ihm die Sterne zieh'n;
Du bist ein Römer, dies sei dein Beruf:
Die Welt regiere, denn du bist ihr Herr,
Dem Frieden gib Gesittung und Gesetze,
Begnad'ge, die sich dir gehorsam fügen.
Und brich in Kriegen der Rebellen Trutz."
So sprach er, staunend hörten sie ihm zu.
Dann fuhr er fort: „Sieh, wie Marcellus dort.
Der Held, im Glanz der Siegstrophäen wallet
Und wie er alle Mannen überragt.
In tosendem Tumulte wird er schirmen
Als Reisiger das Reich, wird niederstrecken
Die Punier und die gallischen Rebellen,
Zum drittenmal Trophäen weih'n dem Mars."
Da sah bei ihm Aeneas einen Jüngling
Von einz'ger Schönheit und im Glanz der Waffen,
Doch ernst die Stirn, am Boden hing sein Blick.
„Wer Vater, ist's, der so ihm geht zur Seiten?
Sein Sohn? vom großen Stamm der Enkel einer?
Wie jauchzt sein Troß, wie stattlich ist er selbst.
Doch schwarzbeschwingt umschattet Nacht sein Haupt."
Da hub Anchises unter Tränen an:
„Ach, mein Sohn, von der gewalt'gen Trauer
Deines Volks verlange keine Kunde:
Zeigen nur wird ihn der Welt ein Dämon,
Wird nicht länger ihn dem Lichte gönnen.
Romas Söhne däuchten euch zu mächtig,
Götter, bliebe solch Geschenk ihr eigen.
Welches Stöhnen wird zu großen Marsstadt
102 TEXT.
Campus aget gemitus, vel quae Tiberine videbis
funera, cum tumulum praeterlabere recentem.
875 nee puer Iliaca quisquam de gente Latinos
in tantum spe tollet avos, nee Romula quondam
uUo se tantum tellus iactabit alumno.
heu pietas, heu prisca fides, invictaque hello
FMPR dextera: non iUi se quisquam impune tulisset
880 ohvius armato, seu cum pedes iret in hostem,
seu spumantis equi foderet calcaribus armos.
heu miserande puer; si qua fata aspera rumpas,
tu MarceUus eris. manibus date lilia plenis,
purpureos spargam flores, animamque nepotis
885 his saltem adcumulem donis, et fungar inani
munere.' sie tota passim regione vagantur,
aeris in campis latis, atque omnia lustrant.
quae postquam Anchises natum per singula duxit,
incenditque animum famae venientis amore,
890 exin beUa viro memorat quae deinde gerenda,
Laurentisque docet populos urbemque Latini,
et quo quemque modo fugiatque feratque laborem.
Sunt geminae Somni portae; quarum altera fertur
Cornea, qua veris facilis datur exitus umbris;
895 altera candenti perfecta nitens elephanto,
sed falsa ad caelum mittunt insomnia manes.
his ubi tum natum Anchises unaque Sibyllam
prosequitur dictis, portaque emittit ebuma,
iUe viam secat ad navis, sociosque revisit;
900 tum se ad Caietae recto fert litore portum.
[ancora de prora iacitur, stant litore puppes.]
876 spes B 890 exim F^ 897 ibi FPB 901 fehlt im Text von
MPB, getilgt von Benlley.
ÜBERSETZUNG. 103
Hallen von dem Anger, welch' Gefolge
Schaust du einst, wenn du vorüberwallest,
Gott des Tiberstroms, am frischen Grab!
Hoffiaungsvoller den Latinerahnen
Wird kein Kind vom Troerstamm erblühen.
Keines Sohns wird sich mit gleichem Stolze
Rühmen je das Land des Romulus.
Fromm sein Sinn, von alter Art die Treue,
Unbesiegbar seine Faust in Waffen:
Jeder war' verloren, dem im Kriege
Er begegnen würde, mag er stürmen
Auf den Feind zu Fuß, mag er die Sporen
Geben seinem schaumbespritzten Roß.
Weh dir, armes Kind! Daß dir's gelänge,
Deines Dämons Fesseln doch zu brechen:
Was für ein Marceller würdest du!
Reicht mir Lilien her mit vollen Händen,
Daß ich ihre Purpurblüten streue:
Diese letzten, undankbaren Spenden
Will ich meines Enkels Seele weih'n."
So schweiften allerwege sie umher
Im Luftgefilde, wo sie jedes schauten.
Als so Anchises überall den Sohn
Geleitet und sein Herz begeistert hatte
Mit glüh'nder Liebe für den Ruhm der Zukunft,
Sprach von dem Krieg er ihm, der seiner harre
Mit den Italervölkem vor der Stadt
Königs Latinus, von Gefahr und Leiden,
Die er besteh'n und die er meiden solle.
Es gibt — so geht die Mär — zwei Traumespforten
Aus Hom die eine: mit beschwingtem Flug
Enteilen ihr zum Licht die wahren Träume;
Die andre schimmert weiß von Elfenbein:
Aus ihr entsenden Geister falsche Träume.
Anchises gab dem Sohn und der Sibylle
Mit seinen Worten das Geleit und ließ
Sie durch das Tor von Elfenbein hinaus.
Aeneas eilte grades Wegs zur Flotte,
Wo er die Freunde wiederfand, und fuhr
Dem Strand entlang zum Hafen von Cajeta.
m.
KOMMENTAR
Alphabetisches Verzeichnis der im Kommentar öfters zitierten
Ausgaben und Abhandinngen.
1. Ausgaben:
Gerda, Madrid 1612.
Conington-Nettleship ü, London 1884.
Foggini, Codex Mediceus, Florenz 1741.
Forbiger, Leipzig 1873.
Fragmenta et picturae Vergiliana co-
dicis Vaticani 3225, Rom 1899.
Germanus, Antwerpen 1577.
Gossrau, Quedlinburg-Leipzig 1846.
Heinsius-Burmann, Amsterdam 1746.
Heyne-Wagner 11^ Leipzig 1832.
Ladewig-Deuticke, Berlin 1889.
Ladewig -Schaper-Deuticke II, Berlin
1891.
Peerlkamp, Leyden 1843.
Ribbeck\ Leipzig 1860.
Ribbeck*, Leipzig 1895.
Sabaddini, Turin 1898.
Thiel, Berlin 1834—38.
2. Abhandlnngen:
Diels , Sibyllinische Blätter , Berlin
1890.
Dieterich, Nekyia, Leipzig 1893.
Henry, Aeneidea HI, Dublin 1881.
Köne, Die Sprache der römischen
Epiker, Münster 1840.
Ladewig, De Vergilio verborum no-
vatore, Neustrelitz 1870.
W. Ribbeck, Vergilii auctores et imita-
tores, Leipzig 1862.
Ursinus, Virgilius collatione scriptorum
graecorum illustratus, Antwerpen
1568.
Wagner, Quaestiones Virgilianae (in
Heynes Ausgabe IV ^), Leipzig 1832.
Erster Hauptabschnitt: Aeneas und die
Sibylle 1—155.
I. Ankunft in Cumae 1 — 8.
A. Fahrt u. Landung 1 — 5 (puppes).
B. Erste Unternehmungen am Land
5 (iuvenum) — 8.
II. Besuch bei der Sibylle 9 — 41.
A. Weg bis zur Tür des Tempels
9—13.
B. Beschreibung des Tempels 14
bis 33 (manus).
C. Begegnung mit der Sibylle und
Eintritt in den Tempel B3(quin)
bis 41.
in. Befragung und Bescheid der Sibylle
42—155.
A. Beschreibung des Lokals 42 - 44.
B. Epiphanie des Apollo 45 — 55.
C. Zwei Wechselreden des Aeneas
und der Sibylle 56 — 155.
1. Gebet u. Gelübde des Aeneas
56—76.
2. Prophezeiung der Sibylle 77
bis 97.
Disposition des VI. Baches.
8. Bitte des Aeneas um Erlaub-
nis zur Kardßaaic 98 — 123.
4. AntwortderSibyUe 124—155.
Zweiter Hauptabschnitt: Vorbereitung
zur Kaxdßaoic 156—263.
I. Tod des Misenus u. Vorbereitungen
zu seiner Bestattung; damit ver-
knüpft die Gewinnung des goldnen
Zweiges 156—211.
A. Tod des Misenus 156—174.
B. Vorbereitungen zur Bestattung
175—184.
C. Gewinnung des goldnen Zweiges
185—211.
Et. Bestattung des Misenus 212 — 235.
III. Opfer für die Unterirdischen 236
bis 263.
Dritter Hauptabschnitt: die KaräßacTic
264—900.
Prooemium 264—267.
Tractatio 268—886 (mwmre).
I. Region zwischen Oberwelt und
Acheron 268—416.
108
DISPOSITION.
A. Eingang des Hades 268—294.
B. Gegend am Acheron 295 — 416.
1. Charon und die Seelen am
Acheron 295—332.
2. Begegnung des Aeneas mit
einzelnen Seelen 333—383.
8. Charon, Aeneas u. die Sibylle
383—416.
IL Region zwischen Acheron und Tar-
tarüs-Elysium 417—547.
A. Cerberus 417—425.
B. Seelenklassen dieser Kegion 426
bis 547.
1. Säuglinge 426—429.
2. Unschuldig Verurteilte 430
bis 433.
3. Selbstmörder 434—439.
4. Liebende auf den Trauer-
gefQden 440-476.
a) Allgemeines 440 — 444.
b) Einzelne Bewohner 445 bis
449.
c) Begegnung des Aeneas
mit Dido 450—476.
5. Im Kriege Gefallene 477 bis
547.
a) Einzelne Kriegergruppen
477-493.
b) Begegnung des Aeneas
mit Deiphobus 494 — 547.
m. Tartarus 548—627.
A. Einleitung (iKcppaöic töttou) 648
bis 561.
B. Apokalypse der Sibylle 562 bis
624.
1. Prooemium 562 — 565.
2. Tractatio 566—624.
a) Richter und Schergen 566
bis 579.
b) Sünder und Strafen 580
bis 624.
3. Conclusio 625—627.
rV. Palast des unterirdischen Herr-
scherpaars 628—636.
V. Elysium 637—678.
A. Schilderung des E. und seiner
Bewohner 637—665.
B. Begegnung mit Musaeus 666
bis 678.
VI. Lethehain 679—886 (munere).
A. Wiedersehen mit Anchises 679
bis 702.
B. Lehre von der Seelenwanderung
703—751.
C. Die große Rede des Anchises
(„Heldenschau") 752—886 (mu-
nere).
Conclusio 886(sic)—900.
Ein Blick auf vorstehende Inhaltsübersicht zeigt, daß der von Vergil
in dieses Buch verarbeitete Stoff ein besonders reicher war: daher ist be-
greiflich, daß es, wie Servius in den Einleitungsworten seines Kommentars
zu diesem Buche bemerkt, viele Sonderabhandlungen über einzelne Ab-
schnitte dieses Buches gegeben hat. So haben wir hier Gelegenheit, die
Kunst des Dichters zu bewundem, mit der er das weitschichtige, aus
gelehrten Studien aller Art mühsam erworbene Material poetisch gestaltet
hat. Epische Handlung, Reden und Beschreibungen wechseln sich kunst-
reich ab; die Handlung selbst erfährt von Anfang bis Schluß eine wirk-
same Steigerung, genau in der Mitte des Ganzen steht die von dem
weichgestimmten Dichter mit besonderer Liebe ausgeführte Episode von
dem Wiedersehen des Aeneas mit Dido. Licht und Schatten ist weise
verteilt: heitere Bilder wechseln mit traurigen, groteske Schilderungen
mit idyllischen; in der großen, das ganze Gebäude krönenden Rede des
Anchises, der sogenannten „Heldenschau", ringt sich die bange Stimmung,
die über dem Anfang dieses Buches lagert, triumphierend durch zu einer
gehobenen, siegesgewissen, zukunftsfreudigen: wie Aeneas, so wird Roma
durch Nacht zum Lichte vordringen, und, mag ihr auch Leiden nicht
erspart bleiben, TÖ b' eu viKr|aei. Eine solche Konzeptionskraft und
Kunst episch großzügiger, dramatischer bewegter Darstellung hat außer
Vergil unseres Wissens kein lateinischer Dichter besessen; und auch
darin fand er wenige seinesgleichen, daß trotz mühevoller Arbeit, trotz
DISPOSITION. 109
gelegentlicher Khetorik doch das Feuer wahrer Begeisterung seine Verse
durchdringt und das nationale Empfinden von griechischen Gedanken
und griechischer Technik nicht völlig überwuchert ist, sondern gelegent-
lich in stolzen Worten seinen monumentalen Ausdruck findet. Solchen
Vorzügen gegenüber wird man geneigt sein, die Fehler milde zu be-
urteilen, die der Dichter mit den meisten und größten seines Volkes
teilt. Gewiß ist es etwas in seiner Art Bewundernswertes, wenn Ovid
auch in großen Kompositionen seine Quellen in so vollendeter Weise zu
verbinden versteht, daß man die Fugen kaum merkt, während es sogar
einem Horaz nicht einmal in den kleinen poematia und sermones immer
gelungen ist, ein widerspruchsloses ev zustande zu bringen. Aber trotz-
dem läßt uns das glatte Virtuosentum Ovids, dem das Dichten ein
tändelndes Spiel war, kalt, während wir Vergil auch in den zahlreichen
Fällen Anerkennung zollen, wo es ihm nicht gelungen ist, die Fülle des
Stoffes ganz zu bewältigen, wo er überlieferte Motive wenig glücklich
verwendet und sich in Widersprüche mit sich selbst verwickelt, die ihrer
Art nach auch bei einer endgültigen Redaktion kaum beseitigt worden
wären, da sie auf dem für die lateinische Poesie überhaupt so verhäng-
nisvollen Prinzip der ^i)iir|(Tic beruhen. Es liegt in der Natur der Sache,
daß in einem von Vers zu Vers fortschreitenden Kommentar grade diese
für den Dichter ungünstigen Einzelheiten stärkere Betonung finden
müssen als die schwer in Worte zu fassenden und logisch zu beweisenden
Vorzüge der Gesamtkomposition, die die Probe auf ihre Güte in der
Wirkung auf die Jahrtausende bestanden hat.
Für die Komposition im großen ist, wie das Schema der Disposition
zeigt, triadische Gliederung bevorzugt worden; neben dieser kommen
Tetraden oder deren Hälften vor. Nur einmal findet sich eine Fünfzahl
(426 — 547), aber diese Ausnahme erklärt sich daraus, daß die Gruppen 1,
2, 3 unter sich eng zusammenhängen, die Gliederung also auch hier in
Wahrheit triadisch ist. Dies Priazip des pyramidalen Aufbaus war für
die antike Kunstübung in Poesie und Prosa überhaupt üblich: als Typen
seien die pindarischen Hymnen und die demosthenische Kranzrede sowie
die horazischen Oden genannt. Im Kommentar und zusammenfassend im
Anhang H 1 wird ausgeführt werden, daß sich diese Architektonik auch
auf das Einzelne des Periodenbaus erstreckt.
Erster Hauptabschnitt: Aeneas und die Sibylle.
1—155.
I. Ankunft in Ciunae 1 — 8.
A. Fahrt und Landung 1 — 5 (puppes). Periodisierung (vergl. über
das von mir befolgte Prinzip der Periodenanalyse, der die Interpunktion des
Textes entspricht: Anhang 11 1 und 4): zwei xpiKUüXa (1. sie — lacrimans,
classi — habenas., et — oris; 2. öbvertwnt — proras, tum — navis, et — puppes).
If. Als Vergil das sechste Buch begann, lag der Schluß des fünften
noch nicht vor; er ließ das sechste also mit der Schilderung der Landung
in Cumae anfangen: obvertunt pelago proras etc. (Vers 3 ff.). Als er
dann, nach Beendigung von VI, den Schluß von V gedichtet hatte,
nämlich die Klage des Aeneas um den auf der Fahrt nach Cumae ver-
luiglückten Palinurus (V 870f), fügte er in seinem Manuskript diesem
Schluß zwei Verse hinzu, die bestimmt waren, die Handlung von V mit
der von VI zu verknüpfen: sie fatur lacrimans, classique immittit habe-
nas, I et tandem Euboicis Cumarum adlabitur oris. Diese beiden Verse
sollten in der definitiv redigierten Ausgabe statt wie im Manuskript den
Schluß von V vielmehr den Anfang von VI bilden, nach Analogie der
homerischen Buchanfänge H : uüc eiirtuv und v : tüC ecpato. Dieser Intention
des Dichter entsprechend rückte Varius die beiden Verse von der Stelle,
wo er sie im Manuskript vorfand, dem Schluß von V, an den Anfang
von VI, wo sie denn auch in imseren Hss. stehen. Dieser Sachverhalt
ist aus dem Scholion des Servius von Conrads, Quaest. Virgilianae
(Trier 1863) p. XXIV richtig erschlossen. Wie das Buch mit der Imitation
eines homerischen Buchanfangs beginnt, so endigt es mit derjenigen
eines homerischen Buchschlusses (s. zu 900).
Die beiden Verse sind von echt vergilischer Prägnanz. Die Klage
um den verlorenen Freund weicht der Sehnsucht nach dem nahen Ziel
der Irrfahrt; daher setzt Aeneas alle Segel auf und jagt über die nächt-
lichen Fluten (vergl. V 868); bei Morgengrauen kommt die Küste in
Sicht, die Fahrt wird verlangsamt und endlich (tandem, vergl. Servius:
ad Aeneae desiderium retulit olim ad Italiam venire cupientis, vergl. 61
und III 131 f mit Servius' Bemerkung) gleitet die Flotte dem Gestade
zu. Das alles liegt in den beiden Versen, aber der Dichter ist ndt
Worten sparsam, um . die selbsttätige Phantasie des Lesers zu erregen.
Solche dem alten Epos unbekannte Sparsamkeit stammt aus der zeit-
genössischen Rhetorik, durch welche gedankenschwere Kürze zum stili-
stischen Prinzip erhoben war (V.'s 'brevitas' und 'celeritas' wird gelobt
in den Schollen zu a.^ HI 291. XI 756. XII 754). Vergil hat, seiner
VERS 1—5. lil
ganzen poetischen Haltung entsprechend, die moderne Technik mit der
durch das alte Epos sanktionierten behaglichen Breite verbunden. So
huldigt er dem letzteren Prinzip in den gleich folgenden Versen 3 ff., wo
er die nautischen Manöver mit dem im griechischen und römischen Epos
(Ennius a. 491) traditionellen Detail beschreibt. Der Brauch war so
konstant geworden, daß Vergil, seiner sonstigen Praxis zuwider (s. zu
5 — 8), dabei technische Bezeichnungen wie ohvertere proras nicht meidet
(so notieren die Scholien ^nautica vocabula' zu a. I 244. IH 291. V 1.
159. IX 97. XI 327). — Die in römischer Poesie seit Lucrez V 787 oft
begegnende und fast entwertete Metapher hdbenas immittere stammt aus
dem Griechischen, kein griechischer oder älterer lateinischer Dichter
stimmt aber so genau mit dem vergilischen classi immittit hahenas wie
Oppian hal. 229 f (angeführt von Gerda): 7TpiJ|nvri b' ein irdvTa x«^iva
iöuvxfip dviT](Ti: die Übereinstimmung Vergils mit einem von hellenistischer
Poesie so stark beeinflußten Dichter wie Oppian läßt auf diese als ge-
meinsames Vorbild schließen, so gut wie wir denselben Schluß aus einer
Übereinstimmung zwischen Oppian mit Horaz (Lambin zu od. IV 5, 9 ff.)
ziehen müssen. — Die Verlangsamimg der Fahrt in der Nähe der Küste,
ein Moment, das anderswo genauer hervorgehoben ist (HE 207. 532),
wird hier durch die Wahl von adlabi bloß angedeutet (vergl. m 5681),
wie es V 3 3 f. fertur dta gurgite classis, \ et tandem laeti notae advertuntur
harenae durch den starken Wechsel der Rhythmen malerisch veran-
schaulicht wird (s. Anhang VII B 1). — Das nun folgende Manöver (3 — 5)
entspricht dem TtpujLivav KpoOecTGai (beschrieben schol. Aristoph. Av. 398):
da Wind und Strömung das Schiff dem Ufer zutreiben, muß es vor dem
Ankern wenden (vergl. J. Segebade, Vergil als Seemann, Oldenburg
1895, 17). — Die Schilderung der Schiffsmanöver wird, wie sie mit
einer Metapher begann, so durch eine solche abgeschlossen: Uttora curvae
praetexunt puppes, die am Ufer verankerten Schiffe bilden dessen Saum,
wie sonst die harundo (b. 7, 12 praetexit harundine ripas Mincius) und
wie die ora selbst der 'Saum' des Landes ist. — Zu der Plastik, die
die ganze SteUe auszeichnet, gehört endlich auch die Wahl der sinnlichen
Ausdrücke dens ancorae (ebenso das Griechische) und puppes curvae
(d)aq)ie\icrcrai).
Kunstvoll ist auch die Periodisierung. Die eigentliche Landung wird
in einem TpiKuuXov beschrieben, das deutlich hervorgehoben ist sowohl
dadurch, daß jedes küjXov mit einem Verseinschnitt endigt, als dadurch,
daß innerhalb der Glieder ziemliche Responsion der Begriffe herrscht:
pelago öbvertuM proras
ancora dente tenaci fimdahat naves
puppes curvae praetexunt litora.
Derartiges gehört auch in der Poesie zu den Mitteln gehobener Diktion;
bei Vergil werden wir es, enstsprechend seiner Neigung zu einer ge-
mäßigten Rhetorik, oft finden (s. auch Anhang 11 3) ; unserer SteUe be-
sonders nahe verwandt ist 11 235 ff.:
accinguMt omnes operi, \ pedibusque rotarum
subidunt lapsus, | et stuppea vincula collo
intendimt 1 ,
112 KOMMENTAR
ein TpiKUuXov, wo die Responsion durch die Homoioteleuta der Verben
noch gehoben wird. — Kunstvoll endlich ist das malerische Moment, das
in der Auswahl sowohl der Rhythmen wie der Laute hervortritt. Das
durch Rudern ausgeführte Manöver des Schiffwendens ist schwer und
geht langsam von statten: daher überwiegen in den Worten obvertunt
pelago proras imd litora curvae praetexunt puppes die Spondeen; im
Kontrast zu diesen stehen im folgenden (5 ff.) die das emsige Treiben
am Land malenden Dalitylen, die nur unterbrochen werden durch die
schweren Spondeen 6 f. quaerit pars semina flammae \ dbstrusa in venis
silicis, auch dies absichtlich, denn das Feuerschlagen ist eine mühsame
Arbeit: Soph. Phü. 296f. ev Treipoicri irerpov eKTpißuuv |uö\ic | eqpriv'
acpavTOV irOp. Die Lautmalerei ist deutlich in der Alliteration pelago
proras — praetexunt puppes^ sowie der klingenden Verbindung dente tenaci.
Näheres über diese malerischen Elemente der vergilischen Poesie im
Anhang VIIAB.
2 Euboicis Cumarum oris. Die bekannte sogenannte Enallage des
Adjektivs ist aus dem Griechischen in die lateinische Poesie übemonmien,
und zwar, da sie besonders häufig in der griechischen Tragödie ist
(E. Bruhn im VIII Bd. des Schneidewin-Nauck'schen Sophokles, Berlin 1899,
7 ff.), möglicherweise durch das Medium der Tragödienübersetzungen, an
denen Ennius sich seinen hohen Stil auch für das Epos bildete. Für
uns ist sie wohl zuerst belegbar bei Lucrez I 475 Alexandri Phrygio suh
pectore, V 24 f. Nemeaeus . . . Malus leonis. Die lateinischen Dichter siad
sich der für ihre Sprache großen Kühnheit stets als solcher bewußt
geblieben: sie verwenden sie im Vergleich zu den griechischen überhaupt
nur selten und dann mit Vorliebe bei Eigennamen und an Stellen von
großem Pathos. Vergil steigert die Kühnheit in den letzten Büchern;
XI 35 maestum Iliades crinem de more solulae (TpaYiKUJc), XII 739 post-
quam arma dei ad Volcania ventum est. Oft dient die Figur nur zur
Umgehung metrisch unbequemer oder unbrauchbarer Formen, so in vor-
liegendem Vers und IX 719 m Euboico Baiarum litore (denn Euhoicarum
war als fünfsilbiges Wort vom Schluß des kunstgemäßen Hexameters
ausgeschlossen [s. Anhang VIII] und im Innern nur mit einer wenig
graziösen Synaloephe brauchbar) sowie unten 57 Dardana . . . Paridis
tela {Dardani _ u _ unbrauchbar), vergl. g. I 309 stuppea verbera fundae.
Gelegentlich soll dadurch auch die unbeliebte Wiederholung gleich-
lautender Endungen (s. Anhang IV) vermieden werden, so in dem an-
geführten Beispiel des Lucrez (statt Alexandri Phrygii) und a. VIII 526
Tyrrhenusque tubae . . . clangor (statt Tyrrhenaeque tuhae). — Die ge-
lehrte Bezeichnung des 'euböischen' Cumae ziemt dem doctus poeta; der
Anachronismus (%p6\riv|Jic Mstoriae' Hygin bei Gellius X 16, 8) wie 17
CJialcidica arce. Über solche Anachronismen bei Vergil stellte Hygin
Untersuchungen an, die uns teils bei Gellius 1. c. teils in den Schollen
vorliegen; er entschied sich dafür, daß dergl. erlaubt sei, wo der Dichter
in eigener Person spreche (so hier; I 2 Aeneas kommt Lavinia litora;
vergl. Vin 3 60 f.), aber fehlerhaft, wo er eine seiner Personen sprechen
lasse, wie unten 366 (Palinurus bittet Aeneas, ihn in Velia zu begraben,
vergl. III 703 f.). Wenn Hygin glaubt, Vergil würde Stellen der letzteren
Art geändert haben, so ist das pedantisch gedacht, wie die Beispiele
VERS 1—4. 113
anderer Dichter beweisen (vergl. Jacob, Quaest. epicae, Leipzig 1839,
186f., A. Ebert, Der Anachronismus in Ovids Met., Ansbach 1888, 33f.),
Hygin hat diese Art von Kritik übrigens aus Kommentaren zu griechischen
Dichtern (z. B. schol. Eurip. Phoen. 6 x] OoiviKiT TTpoXriTTTiKÖc 6 XÖYOC,
oiibeTTUü fäp eKaXeiTO O. u. dgl. oft, schol. Apollon. Arg. IV 553: er nenne
Italien falsch Ausonien, epoO|nev be öti eirei auTÖc 6 iroiriTfic outujc
ujvö)iaaev, €1 Ktti |ufi Karct toOc eKeivtuv xpovouc fjv).
3 ff. Die Wahl der Tempora öbvertunt und praetexunt neben /tm-
dabat erfolgte hier mit Absicht: die begleitende gleichzeitige Handlung
steht im Imperfectum (Ladewig). Im allgemeinen aber lassen die
lateinischen Epiker im Gegensatz zu den griechischen praesentische
Tempora sehr willkürlich mit Praeteritis wechseln, und zwar (gegen den
epischen Stil) zu Gunsten der Praesentia (vergl. für Vergil die Scholien
zu a. m3. IV 200 und J. Ley, Progr. Saarbrücken 1877, 2 f.). So
stehen in den ersten 100 erzählenden Versen von II. A 107 Praeterita,
kein Praesens, dagegen in der gleichen Zahl von erzählenden Versen
unseres Vergilbuchs nur 33 Praeterita neben 52 Praesentia. Dies Ver-
hältnis ist nur wenig bedingt durch den stärkeren rhetorischen Charakter
des römischen Epos, vielmehr vor allem durch das spezifisch lateinische
Sprachgut: die lateinischen Praeterita würden fast durchweg lange, für
den Vers unbequeme oder unbrauchbare Formen ergeben, man vergleiche
dafür etwa den regellosen Wechsel unten 212 ff.: flebant ferebant struxere
intexu/nt constituunt dec&rant expediunt lavant ungunt fit reponunt coni-
ciunt suhiere tenuere cremantur, worunter intexebant (intexuere -tmt)^ con-
stituebomt (consütuerunt), decorabant, expediebant (expedierunt), reponebant
(reposuere -v/nt), coniciebant (coniecerunt) teils überhaupt teils für den
klassischen Hexameter unbrauchbar gewesen wären. Aus demselben Grunde
war der Conjunctiv plusq. sehr unbeliebt, der entweder durch den des
Imperf. (31 sineret, haberes) oder gar den des Praes. ersetzt wurde
(293 f. admoneat, inruat, diverberet).
4 ancora fundabat naves künstlich für naves ad ancoras deligabantur
(Caes. b. G. V 9, l), aber von ancora war im Hexameter keine pluralische
Form und vom Srugvilar außer dem Nom. nur der Acc. (und dieser nur
mit ungewöhnlicher Synaloephe eines daktylischen Wortes auf -in) an-
wendbar. Aus analogem Grund steht z. B. XI 135 fraxinus sing, neben
pinos plur. (s. z. 181) und XI 600 sonipes neben equites. Für den Einfluß
des MetiTims auf die Sprache der lateinischen Dichter, den schon antike
Exegeten gelegentlich notierten (z. B. unsere Vergilscholien zu b. 8, 75.
aen. H 365. VII 181. VHI 642. XI 468. 886; Corp. gloss. V 248, 16 über
g. III 53. aen. X 210) und den wir soeben auch im Gebrauch der Enallage
von Adjektiven und der praesentischen Tempora feststellten, ist noch
immer J. Könes bekanntes Buch über die Sprache der röm. Epiker
(Münster 1840) die Grundlage; Einzelheiten notieren Hultgren, Jahrb. f.
Phil. 1873, 76'6ff.; Hosius ib. 1895, 93ff.; Häfuer, Die Eigennamen bei
den lat. Hexametrikern, München 1895; Leo in den Phil. Unters. H 26 f.,
Nachr. d. Gott. Ges. 1895, 420, 2, Arch. f. Lex. X 1898, 275. 436;
Weise, Charakteristik d. lat. Spr.^ Leipz. 1899, 103; Wölfflin, Arch. f.
Lex. rV 1887, 220f. XI 1900, 503 ff. Eine systematische Untersuchung
wäre dringend erwünscht, da unter diesem Gesichtspunkt viele Er-
Vkbgil Buch VI, von Norden. 8
114 KOMMENTAR
scheinungen, die wir uns gewöhnt haben mit dem farblosen Wort 'poetisch'
zu bezeichnen, sich vielmehr als konventionelle metrische Surrogate er-
weisen uud als solche stets für die formale, oft auch für die sachliche
Exegese von Wichtigkeit sind; eine fast immer untrügliche Norm ist der
Vergleich des Wortschatzes der epischen Dichter mit demjenigen der
lyrischen und dramatischen, also etwa Vergils mit dem des Horaz, Lucans
mit dem des Seneca, Statins' lyrischer Silven mit den epischen. Nach
Beendigung also des Thesaurus 1. 1., dessen Bearbeiter selbst in einzelnen
Artikeln auf diese Erscheinung gelegentlich hindeuten, werden Kom-
mentare zu lateinischen Dichtern nach dieser Richtung hin eine Vollendung
erreichen, die ihnen zu geben vorläufig nur für die bereits erschienenen
Artikel möglich ist: so wird unter ancora eine pluralische Form aus der
poetischen Sprache nur für Naevius (com.) und Seneca (trag.) zitiert
und bemerkt, daß Statins den Plural einmal durch unca retinacula er-
setzt. Im Verlauf dieses Kommentars ist wenigstens der Versuch ge-
macht, den allgemeinen Gesichtspunkt für eine Reihe von Fällen praktisch
zu verwerten, soweit das ohne eine Sammlung des vollständigen Materials
vorläufig angängig war: vergl. die Stellen im Register unter 'Sprache
und Metrum'. — Eine dem singularischen ancora verwandte Erscheinung
finden wir in der zweiten Hälfte unseres Verses: litora (curvae \ prae-
texunt puppes), denn hier ist umgekehrt der Plural auf -a rein metrisch
zu beurteilen: der dadurch geschalfene Daktylus war im fünften Fuße
äußerst bequem (dagegen gleich in Vers 6 litus in Hesperium am Vers-
anfang). Meine Auffassung des sogenannten 'poetischen' Plurals habe
ich im Anhang V kurz dargelegt und daselbst meine Übereinstimmung
mit P. Maas (Archiv f. Lex. XII 1902, 479 ff.) nachträglich noch kon-
statieren können; im Kommentar wird auf dieses sprachliche Spezifikum
des epischen Verses daher nur bei besonders bemerkenswerten Fällen
hingewiesen zu werden brauchen.
B. Erste Unternehmungen an Land 6 (iuvenum) — 8. Periodisierung:
ein TpiKiüXov (iuvenum — Hesperium, quaerit — silicis, pars — monstrat), das
zweite und dritte küüXov mit je zwei KÖmiiaTa.
Es folgt das Feuermachen sowie die lignatio und aquatio. Der
Dichter verweilt mit verhältnismäßiger Ausführlichkeit dabei; ist es doch
auch das erste Mal, daß die Trojaner italische Erde betreten: das macht
auch triviale Dinge bedeutsam. Überhaupt mußte bei der Lektüre des
ersten Teils dieses Buches gerade auch das Lokal auf den antiken Leser
eine bedeutende Wirkimg ausüben: die Legende von den Ahnen Roms
verband sich hier in Cumae mit der ältesten griechischen Kolonisation
auf italischem Boden, einer Gegend, in der die römische Kultur ihre
Wurzeln hatte; und an dem Orte, wo die Trojaner nach schwieriger
Landung sich in unwirtlicher Gegend mühsam Feuer, Holz und Wasser
verschaffen mußten, begann man damals, als der Dichter diese Verse
schrieb, luxTiriöse Villen zu erbauen und eine lateinische Kolonie und
eine Flottenstation zu gründen. Je trivialer nun aber diese ersten Ver-
richtungen der Trojaner sind, Tim so mehr bemüht sich der Dichter, sie
durch die Kunst des Ausdrucks über die alltägliche Sphäre in die durch
den konventionellen Stil gebotene emporzuheben, wie er überhaupt, um
die Würde des epischen Stils zu wahren, dem Gewöhnlichen sorgfältig
VERS 4—8. 115
aus dem Wege geht}) Während daher Lucilius, der sich vor 'sordida
vocabula' nicht zu scheuen brauchte, in analoger Situation sagt Student
hi ligna videre (118 L.), nennt Vergil gerade diejenigen Ausdrücke, auf
die es ankommt, ignis, ligna, aqua nicht, sondern umschreibt sie mit
einem Pathos, das uns befremdet, dem antiken Leser mit seiner Ab-
neigung gegen alles Gewöhnliche vermutlich sympathisch war. Alit der
TTepiq)pa(Jic des an Land Springens iuvenum manus eniicat ardens kommt
auch unser Gefühl noch mit, und wir lassen es uns gefallen, daß der
Dichter, um die damals schon verblaßte Metapher (üsener, Eh. Mus. XLES
469 ff. Lni 347) des von ihm aus archaischer Poesie entnommenen und
mit Vorliebe gebrauchten emicare zu beleben, ardens hinzufügt (ähnlich
n 173 ff. V 319 Xn 325ff.). Auch die Umschreibung der primitiven
Art des Feuermachens quaerit pars semina flammae abstrusa in venis
silicis (vergl. M. Planck, Die Feuerzeuge der Griechen und Römer,
Stuttgart 1884) geht noch an, obwohl die Phrase in den Georgica I 135
sachlich besser motiviert ist (Jupiter verbarg des Feuer, damit die Not
silicis venis dbstrusum excuderet ignem). Aber pars densa ferarum tecta
rapit Silvas für corripit ligna steht für unser Gefühl auf der Grenze
zwischen uvjjoc und KttKOlriXia, und um den Dichter von diesem Vorwurf
zu befreien, hat Heyne ihn lieber mißverstehen wollen ('rapido cursu
perlustrant Silvas, ut ferarum praedam ad epulas exquirant')^ jedoch hat
schon ein nüchterner Mann wie Agrippa den Vorwurf der KaKoZ!r|Xia
gegen Vergil erhoben (novae cacozeliae repertorem, non tumidae nee exilis
sed ex communibus verhis atque ideo latentis Sueton-Donat S. 65 Reiff.),
1) Vergl. für die Theorie Aristoteles Poet. c. 22. Seneca contr. VE pr. 3.
Quintilian VLH 2, 2. Unsere Scholien machen über die Praxis Vergils eine Reihe
treffender Bemerkungen, die hier wegen ihrer Wichtigkeit für die Interpretation
unseres Dichters angeführt werden mögen, a. I 177 Cerealiaque armaj fugiens
vilia ad generalitatem transiit propter carminis dignitatem et rem vilem auxit
honestate sermonis, ut alibi (g. I. 391), ne lucernam diceret, ait 'testa cum ardente
viderent scintillare oleum'. 726 lychni] graeco sermone usus est, ne vile aliquid
introferret. DI 217 proluviesj vitavit ne diceret 'stercus'. 466 lebetasj ollas
aereas. graece dixit. IV 254 avi similis] incongruum heroo credidit carmini, si
m^rgum diceret, ut alibi (g. 11 320) ciconiam per periphrasin posuit 'candida
venit avis longis invisa colubris' . XI 244 casus superavimus omnesj vilitatem
singularum rerum generalitate vitavit, ne diceret flumina, latrones et cetera. 723
eviscerat] ne vulgari verbo uteretur dicens 'exenteraf, ait ^pedibusqae evisceraf.
xn 170 saetigeri fetum suis] nonnulli porcum, non porcam in foederibus adserunt
mactari, sed poetam periphrasi usum propter nominis humilitatem. g. I 274 lapi-
dem incusumj molam munvulem cudendo asperatam. et bene verbum vulgare
vitavit. 391 testa cum ardente] propter vilitatem Iticernam noluit dicere, nee
iterum lychnum, sicut in heroo carmine, ut 'dependent lychni' (a. I 726): medius
enim in his libris est stilus. Ein Tadel wegen (angeblicher) Übertretung des
Gesetzes findet sich wohl nur zu a. DI 343 avunculus] quidam 'avunculus' hu-
militer in heroieo carmine dictum accipiunt und IX 411 ligno] quidam humiliter
dictum accipiunt. Wo V"ergil eigentliche 'sordida vocabula' in der Aeneis ge-
braucht, verbindet er eine besondere Absicht damit. So steht unten 297.
ni 576. 632 eructare überall der 'atrocitas rei' zuliebe, ebenso VIII 253 das
nur einmal gebrauchte evomere von Cacus: diese Episode ist Ennius nach-
gedichtet, für den das Wort bezeugt ist: ann. 246. Auf das Vorbild des En-
nius, dem das fastidium der späteren Poesie noch fremd war, wird auch der
Gebrauch von fimus V 333 concidit immundoque fimo sacroque cruore 357 f.
udo I turpia membra fimo zurückzuführen sein, denn Vers 358 schließt ganz
ennianisch: risit pater optimus olli.
8»
116 KOMMENTAR
ein Urteil, dessen wenigstens bedingte und relative Eichtigkeit man an
der viel behutsameren, darum im ganzen aber auch weniger bedeutenden
XeSiC der horazischen Oden, sowie beispielsweise an Katachresen wie
aen. X 681 se mucrone induere und 895 clamore caelum incendere ermesse;
s. auch Tinten z. 204. 321. 595 ff. übrigens hat der Ausdruck r apere
Silvas für corripere ligna gerade wegen seiner Ungewöhnlichkeit viele
Nachahmungen zur Folge gehabt, die J. Henry in seinen ausgezeichneten,
im folgenden oft von mir zitierten Aeneidea III (Dublin 1881) 217 f.
sammelte.
6 Mus in Hesperium. Hesperia als Bezeichnung Italiens ist von
Ennius (a. 23) aus junger griechischer Poesie eingeführt (Italia machte
prosodische Schwierigkeiten: s. z. 61); Verg. a. VII 601 mos erat Hesperio
in Latio mit schwerer, an dieser Versstelle seltener Elision von ö, also
stammt die Verbindung Hesperium Latium möglicherweise aus Ennius
(s. über Schlüsse dieser Art den Anhang I). — 7 f. densa ferarum tecta
Silvas. Die Stellung der Apposition ist eine der normalen (vergl. 179
silvam, stahula alta ferarum) entgegengesetzte, wie gleich 10 f. secreta
Sibyllae, antrum. Diese Künstlichkeit kam in der neoterischen Poesie
auf (nach griechischem Vorgang, vergl. schon Eurip. Herc. 1377), Vergil
ist in ihrer Anwendung (z. B. b. 2, 11. g, II 442 f. a. X 601) ziemlich zu-
rückhaltend wie Horaz (Kießling zu od. I 1, 6), während Properz und
Ovid weiter gehen (Rothstein zu Prop. IV 9, 4). Auch mit einer noch
künstlicheren Verschränkung (b. 1, 57 raucae, tua cura, palvmbes), eben-
falls einer Erfindung der modernen Poesie nach griechischem Muster
(H. Boldt, De liberiore graec. et lat. colloc. verb. Göttingen 1884, 100 ff.
Leo zum Culex S. 37), wirtschaftet Vergil sparsamer als Properz und
Ovid (der her. 7, 1^5 f. beide Formen hintereinander hat) und zwar pro-
portional mit seinem reifenden Kunsturteil: in den Bucolica fünfmal
(1, 57. 2, 3. 3, 3. 5, 71. 9, 9), in den Georgica dreimal (II 146. IV 168.
246), in der Aeneis wohl nur unten 842 f. geminos, duo fulmina belli,
Scipiadas, um die Zahlbegriffe zusammentreten zu lassen.
n. Besuch bei der Sibylle 9 — 41.
Im schönen Kontrast {at 9) zu dem eiligen Durcheinander der mit
alltäglichen Verrichtungen beschäftigten Mannschaft folgt nun das Bild
des Aeneas, der ruhig und sicher seinem großen Ziel entgegenschreitet:
dieselbe Technik I 180, wo Servius gut bemerkt: merita personarum vilihus
ofßcüs Interesse non debent: quod hene servat ubique Vergilius, ut hoc loco,
item in sexto cum diversis officiis Troianos diceret occupatos, ait 'at pius
Aeneas arces quibus altus Apollo praesidef : nisi cum causa pietatis inter-
venit, ut ad sepeliendum socium Misenum de Aenea dixit 'paribusque
accingitur armis' (unten 184). Die Erzählung umfaßt drei Absätze:
A. Der Weg bis zur Tür des Tempels 9 — 13, B. Beschreibung des
Tempels 14 — 33 manus, C. Begegnung mit der Sibylle und Eintritt in
den Tempel 33 quin — 41.
A. Weg bis zur Tür des Tempels 9 — 13. Periodisierung: ein
xpiKUjXov 9 — 12 (at — praesidet, horrendae — petit, magnam — futura) und ein
abschließender Vers (13). — Das Topographische nach J. Beloch, Campanien^
VERS eflf. 117
(Breslau 1890) 159 flF. (mit dem Atlas PI. IV). Die Burghöhe gipfelt in
zwei Hügeln (arces 9), einem größeren und höheren westlich dem Meere
zu und einem kleineren östlich am Aufgang. Auf dem östlichen stand
der Apollotempel. Der Fels stürzt, kaum 100 m. entfernt vom Strand
(daher 13 iam)^ fast senkrecht in die Ebene ab. Der ganze Fels ist
unten von Grotten durchhöhlt (vergl. 10); der Eingang ist auf der Süd-
ostseite, da wo man zur Burg aufsteigt, unweit des Apollotempels.
Den Kult des ApoUon 'ApxriTeTTic (er hatte sie durch eine Taube
geführt: Velleius I 4 u. a.) brachten die Chalkidier aus ihrer Heimat nach
Kyme herüber; hier bauten sie ihm einen Tempel, wie einen Altar in
Naxos auf Sizilien (Thukyd. VI 3, l); der Tempel auf der Burghöhe war
zugleich ein Wahrzeichen für Schiffer (vergl. A. P. VI 251). Aus Chalkis
(bezw. dem gegenüberliegenden Anthedon) scheint auch, wie E. Maaß,
Comment. mythogr. (Greifswald 1886/7) XVf. bemerkt, der weissagende
Meergott Glaukos herübergekommen zu sein, dessen Kunst sich auf seine
Tochter Deiphobe vererbte {Deiphöbe Glauci 36). Der Name dieser weis-
sagenden vujLiqpri wurde, wie derselbe annimmt, auf die Sibylle übertragen,
die erst später aus der Fremde nach Kyme kam; aus dieser Übertragung
wird es sich erklären, daß sich der Name Deiphobe für eine Sibylle nur
hier findet (die Verfasser der Sibyllenkataloge im schol. Plat. Phaedr.
244 B und in der anonymen, von K. Buresch, Klaros 121 edierten
Theosophie zitieren dafür Vergil). Etwas Besonderes ist es, daß die Sibylle
ausdrücklich Priesterin des Apollo und der Hekate genannt wird, die
also durch Kultgemeinschaft verbunden zu denken sind, vergl. 13. 35. 38 f.
Maaß vermutet, daß diese Verbindung schon aus Chalkis stamme; hierüber
urteile ich anders und glaube dadurch zugleich eine topographische
Schwierigkeit der vergilischen Darstellung erledigen zu können. Vergil läßt
nämlich, wie schon Cluverius, Italia antiqua H 1107 ff. scharf betont hat,
die Sibylle nicht auf dem cumanischen Burgberge bei dem Apollotempel
wohnen, obwohl sie doch dort in ihrem antrum weissagt (42 ff.), sondern
bei der Hekatehöhle am Avemersee, die 237 ff. beschrieben wird. Daß
hier in der Tat ihre Wohnung ist, hat E. Cocchia, L'Avemo Virgiliano
(in: Atti della R. accademia di archeoL, lettere e belle arti XVTH 1896/7
nr. 7 p. 35 f.) richtig daraus geschlossen, daß sie von Hekate als die
Hüterin des Haines eben am Avernersee eingesetzt ist (118 lucis Hecate
praefecit Avernis = 564), und vor allem aus den 211 erwähnten tecta
Sibyllae, in die Aeneas den am Avemersee gefundenen goldnen Zweig
bringt (201); es kommt hinzu, daß Aeneas vor seinem Besuch des
Apollotempels (9 ff.) den Achates abschickt, um die Sibylle zu holen (34):
würde sie beim Tempel wohnen, so wäre die Mission des Achates weniger
verständlich. Wenn nun aber Cocchia die örtliche Trennung der Wohnung
der Sibylle von ihrer Orakelstätte durch die Annahme auszugleichen sucht,
daß von der Orakelstätte im Burghügel ein unterirdischer Gang zu der
Höhle am Avemersee geführt habe, so wird man dieser äußerst gewagten
Annahme, die nicht den geringsten Anhalt an inneren oder äußeren In-
dizien hat, schon deshalb nicht beistimmen können, weil die verschiedene
Lage beider Örtlichkeiten dadurch noch keineswegs erklärt wird. Vielmehr
ist die topographische Dublette als der äußerliche Ausdruck einer Dublette
des Kults aufzufassen. Als die griechischen Kolonisten, geführt von ihrem
118 KOMMENTAR
ApoUon, in diese Gegend kamen, fanden sie am Avemersee ein uraltes
jnavTcTov xöoviov vor, wie Ephoros (bei Strabo V 244) berichtet, der
als Bürger der kleinasiatiscben Schwesterstadt des italischen Kyme allen
Glauben verdient. Damals also wiesen sie ihrem Himmelsgott als Wohn-
sitz und Orakelstätte die Warte des Burgfelsens an, wagten es aber
nicht — in echt hellenischer Scheu vor einem Eingriff in altersessene
Rechte der Götter — , jenes Erdorakel am Avernersee, beim Eingang
zur Unterwelt, einfach zu kassieren — es bestand noch im UI. Jahrb.
V. Chr.: Liv. XXIV 12, 4 — , sondern vereinigten die alte einheimische
Erdgöttin, die sie wegen ihres Sitzes am See der Tiefe notwendiger-
weise mit Hekate identifizieren mußten, mit dem neuen, übers Meer
gekommenen Gott durch Kultgemeinschaft: so wurde der chthonischen
'GKdxTi neben dem 'goldnen Hause' ihres himmlischen Bruders "€KaTOC
auf dem Hügel ein Hain geweiht (13 Triviae lucos atgue aurea teda),
wie sie einen solchen auch am Avernersee, ihrem ursprünglichen Sitze,
besaß (238. 259), und der Dienst beider Gottheiten wurde einer Priesterin
übertragen, deren Wohnung bei dem alten Sitze der Göttin war, während
die Orakelstätte in das Gotteshaus auf der Burghöhe verlegt wurde.
9 f. altus Apollo, das Epitheton nicht in übertragener Bedeutung
wie X 875 (sie pater ille deum faciat^ sie altus Apollo), sondern topo-
graphisch genau: Apollo ist als (Jkottöc K\J|litic gedacht, wie ihn Pindar
0. 6, 59 AdXou (Jkottov nennt. Zugleich dient altus dazu, den Kontrast
mit dem folgenden procul secreta zu steigern. Die sachlich wahre
Antithese hat Vergil als bedeutendes Mittel zur Hebung der Illusion zu
würdigen verstanden (vergl. Servius zu Vin 366 ea? eontrarietate quaesitus
ornatus; schol. Dan. zu XH 139); so liebt er in diesem Buch besonders
die Kontraste von Licht und Dunkel, vergl. 13 Triviae lueos atque aurea
templa 136 f arhore opaeä aureus . . . ramus 140 f. telluris operta . . .
auricomos fetus 208 auri frondentis opaeä iliee 21 5 ff. frondihus atris . . .
fulgentibus armis 300 f. stant lumina flammä, sordidus . . . amictus 403 f.
insignis armis . . . imas ad umhras 490 fulgentia arma per unibras 592 ff.
densa nuhila . . ., lumina 602 ff. atra silex . . . lucent aurea fulera; Kälte
und Wärme: 218 f. corpus frigentis . . . flammis] Lärm und Ruhe: 327 f.
rau^a fluenta . . . quierunt 265 Phlegefhon (rapidus 550) — loca tacentia,
386 f. taeitum — inerepat'^ Schön und Häßlich: 729 monstra — marmoreo
sub aequore; vergl. zu 783. 820. Auch für die Komposition im großen
liebt er Kontraste: so läßt er auf das ruhige Gebet 5 6 ff. die aufgeregte
Prophezeiung 8 3 ff. und auf diese wieder eine ruhig gehaltene, in ein
Gebet auslaufende Rede 103 ff. folgen, auf das Heulen des Cerberus 41 7 ff.
das Wimmern der Kinder 426 ff., auf die Schilderung des Tartarus 548 ff.
die des Elysium 637 ff. Durch diese Kunst vermeidet er die Monotonie
und regt die Phantasie an. — Apollo in konstanter Stellung am Vers-
ende, erst Statins wagte es, den Namen mit o in die Mitte zu setzen
(Diehl im Thes. 1. 1. s. v. p. 244).
9 ff. haben, um die Feierlichkeit der Gedanken zu heben, jeder eine
bestimmte Art kunstvoller Alliteration: 2 at — Aeneas arees — altus
Apollo, 10 praesidet — procul secreta Sibyllae (ßchemaij Si&hh), 11 antrum —
magnum — mentem animumque (Schema abba). — 10 proeul secreta:
procul nicht ^fern', was der Topographie widerspräche; richtig (nur mit
VERS 9—13. 119
falscher Etymologie) Servius: 'procuV haud longe, procul mim est et
quod prae oculis est et quod porro ah oculis, unde duplicem habet signi-
ficationem, iuxta et longe (ähnlich zu V 124). Es heißt zunächst nur
'seitab' und wird daher auch von etwas Nahem, aber seitab Gelegenem
gebraucht, z. B. b. 6, 16. a. X 835, unten 651 (vergl. Leo zum Culex 109):
hier verstärkt es also den Begriff des secreta. — 10 f. Sibyllae antrum
immane: Lykophron 1279 (Ttutvöv CißuXXric oiKr|Tr|piov. Die Grotte
der Sibylle nennt Vergil stets antrum (42. 77. 99. 157), dagegen die Höhle
der Hekate am Avemersee sowohl antnmi (262) als spelunca (237). Uns
begegnet antrum zuerst in V.'s buc. 1, 75; da es aber für Vergil und die
anderen Augusteer schon ganz geläufig ist, wird es von den Neoterikern
aus der zierlichen hellenistischen Poesie, in der die aVTpa ja eine große
Rolle spielten, übernommen worden sein (vergl. auch C. Prinz im Thesaurus
1. 1., s. V.). Dadurch wurden specus und spelimca degradiert, genau wie
unser 'Höhle', seitdem im XVil. Jahrb. 'Grotte' aus dem Italienischen
entlehnt war; so sagt Vergil a. Vlil 630 Mavortis in antra, während seine
Quelle (Fabius Pict. bei Serv. Dan. 1. c.) spelunca Martis gab. Früher
(b. 10, 52) hatte Vergil versucht, spelaeum in die Poesie einzuführen, ohne
damit viel Beifall zu finden (Ciris 467, dann wohl erst wieder Claudian,
für den das Wort durch den Mithraskult neuen Klang gewonnen hatte).
— mentem animu/mque. Diese Verbindung, in der die Spezies und das
Genus koordiniert werden (Cic. de rep. H 67 ea quae latet in animis
hominum quaeque pars animi mens vocatur, vergl. Heinze zu Lucr. IH 94),
muß älterer Poesie angehören, da sowohl die Synaloephe an dieser Vers-
stelle als der Bau des Versschlusses in Vergils eigener Praxis singxilär
sind (vergl. Anhänge IX 2 und XI 1). Da nim Lucrez I 74 mente animoque
und ni 142 mens animusque est hat, so hat wahrscheinlich schon Ennius
diesen Versschluß nach Analogie von Kard q)peva Kai Kaid Gujuöv ge-
prägt {mentem atque animum hat er tr. 186): vergl. über die relative
Sicherheit solcher Kombination Anhang I. — inspirat (vergl. 50 adflata
est) paßt genau nur zu mentem: O 510 e|i7Tveucre \ii\OQ |LieTCt OoTßoc
'AttöXXuuv ; animus ist aber passend hinzugefügt, weü die Weissagung
nicht bloß auf der mens beruht, kraft derer der Seher, indem er die
Zukunft durch göttliche Eingebung vorausfühlt, monet (b. 9, 15. a. HI 712
vergl. XI 795), sondern auch auf der Stärke des animus, der ihn die
Zukunft dm-ch Erkennen wissen läßt; daher sagt Demosthenes de cor. 80
(nur mit anderer Ordnung der Begriffe) q)povijUOuc ctvbpac Kai judvieic,
vergl. Soph. El. 472 f. mit Kaibels Bemerkung,
13 iam subewnt Triviae lucos atque aurea tecta. Also ist Aeneas
nicht allein (vergl. auch 41 viri, Teuer os)'^ der Wechsel des Numerus
(9 petii) genau wie VTL 664, wo Peerlkamp ändert und ßibbeck eine Lücke
annimmt. Auch daß Aeneas, wie wir aus 34 (praemissus Achates) ent-
nehmen, den Achates vorausgesandt hat, brauchte nicht eigens gesagt zu
werden: Katct TÖ (JiuJTriJuiievov intelligimus (Serv.). Analoges s. zu 77. —
suhire mit Entfaltung seiner beiden Begriffsnuancen: subeunt lucos 'sie treten
in den Hain', subeunt tecta 'sie nähern sich dem Tempel', denn in diesen
treten sie erst 41. — Über die Plurale lucos und aurea tecta s. Anhang V.
B. Beschreibung des Tempels 14 — 33 manus in drei Abschnitten:
Einleitung 14 — 19 (Tempelbau), Hauptteil 20 — 30 vestigia (Darstellungen
120 KOMMENTAR
auf der Tür), Schluß 30 tu — 33 manus (Icarus). Periodisierung. 1. Die
Einleitung in zwei Perioden, die erste ein TerpdKiJuXov (14 — 17: der
Schluß jedes Gliedes mit dem Versschluß zusammenfallend), die zweite
ein TpiKUiXov (18 — 19: redditus — terris, tihi — alarum, posuit — templa).
2. Der Hauptteil hat zwei Unterabteilungen (20 — 22, 23 — 30 vestigia).
a) Die erste dieser wird durch ein TpiKUuXov gebildet (in — Ändrogeo,
Ulm — natorum, stat — urna). b) Die zweite ist so periodisiert: a) 1 Vers
(23) mit zwei KÖ)H)LiaTa -f" TerpdKUüXov 24 — 26 (hie — tauri, supposta —
Pasiphae, mixtum — inest, Veneris — nefandae) ß) 1 Vers (27) -|- TpiKcuXov
27 — 30 vestigia (hie — error, magnum — amorem, Daedalus — resölvit).
3. Der Schluß wird durch ein TerpdKUüXov gebildet (30 tu — 33 manus),
dessen beide ersten Glieder durch ein Satzgefüge, und dessen beide
letzten Glieder durch Anapher (bis) unter sich verknüpft sind.
14 ff. Die Legende von der Erbauung des cumanischen Apollotempels
durch Daedalus berichtet Servius z. d. St. aus Sallust (hist. II 6 Kr.):
Daedalus primo Sardiniam, ut didt Sallustius, post delatus est Cumas et
templo Apollini condito in forihus haec tmiversa depinxit (die letzten
Worte setzt Servius aus Vergil hinzu). Wahrscheinlich berichtete das
Gleiche schon Timaios (J. Geffcken, T'. Geographie d. Westens, Berlin 1892,
5 7 ff. 170), aus dem es Sallust unmittelbar oder durch Varros Vermittlung
entnommen haben kann (Varro sprach über Daedalus auch in den Heb-
domades: Auson. Mos. 300); aus Varro konnte auch Vergil diese Legende,
wie andere KTiCfeic dieses Buchs (s. z. 156 ff. 337 ff.), entnehmen (Geffcken
1. c. 79; R. Ritter, De Varrone Vergilii in narrandis urbium populorumque
Italiae originibus auctore, Diss. Halenses XIV parsIV, 1901, 308 ff.). Durch
die Worte 18 redditus his primum terris tritt Vergil mit gelehrter An-
spielung der abweichenden Sagenversion entgegen, nach der Daedalus
nicht zuerst oder überhaupt nicht nach Kyme gekommen war. Tatsäch-
lich lassen ihn Diodor IV 7 7 f. und Pausanias VII 4, 6 f., ohne Kyme zu
erwähnen, nach Sizilien gelangen, von wo ihn nach Diodor IV 30 lolaos
nach Sardinien holt. Dagegen ist er nach der von Sallust benutzten
Quelle zuerst nach Sardinien und von da nach Kyme gelangt; Varro
wird in seiner Art die Varianten gegeben haben, darunter die hier von
Vergil befolgte lokalpatriotische von Kyme. Wie diese Stadt dazu kam,
sich diese Ehre zu usurpieren, ist wohl noch durchsichtig. Daedalus war,
wie J. Toepffer, Attische Genealogie (Berlin 1889) 168 gezeigt hat, durch
genealogisierende Sage eng an das euböische Chalkis, die Mutterstadt
von Kyme, gebunden. Deshalb also ließ man ihn, wie Vergil sich aus-
drückt, Chälcidica super arce zuerst festen Fuß fassen und dem Gott, der
die Chalkidier einst dorthin führen sollte, einen Tempel bauen.
Das retardierende Motiv der Beschreibung des Tempels und der auf
seinen Toren dargestellten Kunstwerke wirkt störend. In dem Momente,
da Aeneas, dem Sturm glücklich entronnen (VI 354 f.) und dem Ziel seiner
Wünsche nahe ist, versinkt er, während seine Mannschaft in freudiger
Erregung ist, in sinnende Betrachtung einer ihn nichts angehenden Dar-
stellung und muß erst durch ein scheltendes Wort der Sibylle an seine
Aufgabe erinnert werden (3 7 ff. non hoc ista sibi tempus spedacula poscit
e. q. s., wo iste, ein im hohen Stil nicht häufiges und z. B. von Horaz in
den Oden nicht gebrauchtes Wort, verächtlich gesagt ist wie 11 521.
VERS 14 fF. 121
V 397. XI 390). Das ist eine psychologische ünwahrscheinlichkeit, die
Vergil selbst gefühlt hat, denn er sucht sie zu motivieren: Aeneas hat den
Achates vorausgeschickt (34), um die Sibylle zu holen, und während er
auf beider Ankunft wartet, betrachtet er die Darstellung (33). Das
Eesultat dieser dürftigen Motivierung ist aber nur, daß die Absicht des
Dichters, eine prunkvolle eKqppacTic einzulegen, xun so deutlicher hervor-
tritt: der Übergang von der CKcppacTic zmt Handlung in 33 ist so hart,
daß Usener (nach Eibbeck ^) hier eine Lücke vermutete. Ganz analog
wird die Beschreibung der "IXiou ä\u)(Jic I441flf. eingekleidet (Aeneas,
auch dort nach einem Sturm glücklich gelandet, betrachtet das Gemälde
reginam opperiens 454), doch ist sie besser motiviert, da die Darstellung
den Aeneas angeht. Die Wiederholung des auffälligen Motivs und seine
wenig geschickte Verwendung in vorliegendem Fall läßt vermuten, daß
Vergil diese Technik nicht selbst erfand; wirklich gibt es Spuren eines
ähnlichen Verfahrens auch sonst. Der alexandrinische Dichter, dem
Kolluthos sein Epyllion vom Eaube der Helena nachgedichtet hat, ließ
den Paris nach seiner Ankunft in Sparta die dortigen Tempel betrachten,
wobei er ähnKch wie hier Vergil die Sagen kurz referierte (Kolluthos
236 ff.^. Der Eoman des Achilles Tatios läßt den Helden gleich zu
Beginn der Handlung nach einem Sturm landen und dann ein Gemälde
betrachten (I 1); ebenso an einer anderen Stelle des Eomans (HI 6)
daiiievoi yfic \aßö|uevoi touc Geoiic dveuqprmoOiLiev (das Gebet folgt bei
Vergil 56 ff., es enthält auch den Dank für die glückliche Landung) . . ,
TTpocTeuHd)Li€Voi hr\ tlu Geuj . . . Trepirieijuev töv veuuv (folgt Beschreibung
der Gemälde). Auch der Eoman des Longos geht von einer solchen
Beschreibung aus, ebenso die Handlung in Varros Büchern de r. r. (I 2).
Wir werden also zu schließen haben, daß diese Form der Einkleidung
aus hellenistischer Erzählungskunst stammt, die ihre Wxurzeln hatte in
T] 81ff. (Odysseus vor dem Palast des Alkinoos) und Euripides Ion 184 ff.
(die Athenerinnen vor dem Tempel in Delphi), vgl. Apollon. Ehod. HI 21 5 f.
Während das Motiv aber da, wo es am Platze ist, gute Wirkung übt,
hat Vergil es für eine Situation verwertet, in der es weniger angemessen
ist und daher stört.
Ob Vergil etwas beschreibt, was er mit Augen oder bloß in seiner
Phantasie sah, läßt sich, wie gewöhnlich in solchen Fällen, nicht mit
Sicherheit sagen. Für die Eealität der Darstellung entschied sich 0. Jahn
(Arch. Beitr. 239 ff.), während in dieser Art von Poesie bloße Fiktion
a priori wahrscheinlicher ist (C. Eobert bei Ehwald im Anhang zu Ovid
met. Xni 680). Die Gruppierung der dargestellten Stoffe ist übersicht-
lich. Auf den Flügeltüren (fores 20, vergl. Properz 11 31, 12 ff.) sind je
zwei Szenen dargestellt, die deutlich geschieden werden (tum 20 wie
VTH 660 und Prop. 1. c. 9; hie — Mc 24. 27) und wohl übereinander
zu denken sind. Auf der einen Tür Attika und zwar oben der Ort
der Ermordung des Androgeos (Marathon?), unten Athen. Auf der
anderen Tür Kreta, und zwar oben Pasiphae und Miuotaurus, unten
das Labyrinth. — Die bekannte Sage (27 ille) wird nur in einigen Haupt-
zügen angedeutet, dagegen dem sentimental-reflektierenden Element viel
Spielraum gegeben (21. 30ff.), beides durchaus in alexandrinischer Manier
(lehrreich das Epyllion von Orpheus g. TV 45 3 ff., wo die Handlung nur
122 KOMMENTAR
flüchtig skizziert ist; vgl. Servius zu b. 8, 47 fabulam omnibus notam
per transitum tetigit, schol. Dan. zu georg. III 258). Das Ethos der
Verse 30 ff. {tu quoque magnam \ partem opere in tcmto, sineret dolor,
Icare haheres: \ his conaius erat casus ef fingere m auro, | bis patriae
cecidere manus) fühlten schon die antiken Leser, wie die Nachahmungen
Ovids (R. Ehwald, O.'s 14. Heroide, Gotha 1900, 17) und Späterer zeigen.
""EoiKCV 6 TTOirirfic (JuvdxOecröai" (schol. B zu IL N 178 ff.) oder ^spm-
pathiam poeta ex sua persona fecif (schol. Dan. zu IX 424, vgl. ib. 397
'mire adfectum suum poeta interposuit') würde man das Ethos antik
formulieren, zu dessen Steigerung Vergil sich hier der dtTTOCTTpocpri {Icare)
bedient. Während diese Figiu- (7rpocr(puüvr|(Tic genarmt vom schol. Dan.
zu X 139. 302. 791) in altgriechischer Poesie durch den objektiven Zu-
sammenhang motiviert zu sein pflegt (vgl. Pindar P. 7, 10 und dazu
V. Wilamowitz, Aristot. u. Athen II 326, 5), dient sie in der rhetorischen
Poesie der Späteren, insofern sie nicht bloß metrisch konventionell ist
(s. u. z. 18), meist nur dem Ausdruck subjektiver Anteilnahme, und kam
so zu den Römern, die seit der neoterischen Poesie starken Gebrauch
davon machten (Catull, Calvus, Varro v. Atax, dann Properz und Ovid);
Vergil ist dem Stil des Epos gemäß sparsam damit (vergl. noch VIII 643).
In 30 dient auch die durch die starke Interpunktion markierte bukolische
Diaerese zur Steigerung des Ethos, denn das schließende Kolon _ u u _ o
(oLi TÖv "Abujviv, uiXero Adcpvic) gibt hier wie oft dem Gedanken einen
weichen, klagenden Ausdruck, vergl. b. 3, 58 heu heu quid volui misero
mihi? II floribus austrum Perditus et liquidis immisi fontibus apros 5, 25
(in der Klage um Daphnis), Ovid m. XI 52 fleibile nescio quid queritur
lyra, \\ flebile lingua Murmurat 720 et tamquam ignoto lacrimam dar et jj
'heu miser' inquit 684 nuUa est Alcyone, nuUa est, ait. || occidit una Cum
Ceyce suo (vergl. A. P. VII 366 cpeO ttöctov aX^oc 373 Xeiipava b'aiai
383 (peO lUttKapiaToi). Der Schluß bis conatus erat casus ef fingere in auro, \
bis patriae cecidere manus ist ganz epigrammatisch, durch anaphorische
Antithese (bis — bis, dies nach X 206 f.) und Wortspiel (casus — cecidere)
gewürzt; man glaubt das griechische Kolorit zu fühlen, wenn man sich
die Worte griechisch denkt: bic )uev e9Ujp|uri9ri biaTrXdacTeiv AaibaXoc
möv, I ujc eirecrev, X^iP^c bic h'ineöov Trarpiai (Philippos Thess. A. P.
VII 554 nennt die Hand eines Steinmetzen, der seinem Sohn das Grab-
denkmal selbst gefertigt hatte, TrarpiÜTi X^^P)-
14: ut fama est. Auf diesen Ausdruck und ähnliche (ferwnt unten
284, ferunt famä VHI 765, fertur I 15) wurden die antiken Interpreten
Vergils aufmerksam: das sei, sagten sie, das Zeichen der diffidentia des
Dichters (vergl. H. Georgii, Antike Aeneiskritik, Stuttgart 1891, 179).
Eine genauere Prüfung der Ausdrucksweise zeigt aber, daß diese Formu-
lierung zu eng ist. 1. An sich kann der )Li06oc, XÖYOC, die dvGpdiTTiJüV
cpdxic, die 'Sage' oder 'Legende' wahr sein und vom Dichter, ohne Kritik
daran zu üben, als solche referiert werden. In diesem Sinne steht qpaCTi
einigemale in den homerischen Epen (z. B. B 783 6 638 Z 100, y 245
I 42) und in einem alten Stück der hesiodischen Theogonie 306, 9a)Ltev
cpavTi everroiCJi XeYOvri qpdxo Xe^exai bei Pindar auf Grund sowohl
literarischer Tradition (0.2,28. 6,29. P. 4, 33. 88. 6,21. 12,17.
N. 9, 39. I. 7 [8], 47) als mündlicher (0. 7, 54. N. 6, 59. 7, 84, besonders
VERS 14. 123
0. 9, 49 cpavTi b'dvGpiUTtuuv TtaXaiai pr|(Tiec, dazu schol.: irpö TTivbdpou
be toOto OUX i(TTÖpr|TO; wo Pindar einmal für die Wahrheit nicht ein-
steht und bloß seine xva)|Lia gibt, sagt er böHa 0. 6, 82), cpaffi bei Bak-
chylides 5, 155, öfters dergl. bei den Tragikern (z. B. XÖTOC Aesch.
Ag. 722 K. Eum. 4 Suppl. 220. 284. Sept. 200, cpotTic Suppl. 283, Soph.
Ant. 828, Eurip. Ion 225. 507, qpaai Aesch. Suppl. 281. 289), cpaai und
XeTOUCTi in einem attischen und einem aeginetischen Skolion (Athen.
XV 695 B), sowie in dem Anhang zum Theognis 1287; lehrreich ist
Isyllos S. 13 Wil. a)be fäp cparic evetroucr' fiXuö' ec dKodc TrpoYOVuuv
djuerepiuv, worauf Xe^erai folgt. 2. Aus der Gedankensphäre dieser
griechischen Ausdrücke brauchen die lateinischen an sich noch nicht
herauszutreten; wenn sie sich seit der neoterischen Poesie häufen (Catull
dicuntur perhibent ferimt fertur, Properz ferunt fertur dicitur ut aiunt u. s. w.),
so ist das alexandrinische Manier: die Dichter betonen, daß sie das, was
sie vortragen, überliefert fanden (vergl. Kallimachos fr. 252 Sehn, tujc 6
YCT^ioc [d. i. dpxaioc] ex^i Xöfoc); wenn Catull 68, 109 gar fertmt
Grat, Cicero Aratea (de nat. deor. II 107) und Vergil a. VIII 135
ut Grai perhibent sagen (letztere Floskel wegen der Übereinstimmung
zwischen Cicero und Vergil möglicherweise schon ennianisch: s. Anhang I),
oder wenn Vergil g. IV 507 sogar den redenden Proteus sich auf eine
Tradition berufen läßt (perhibent), so ist das die reine Buchpoesie, wie
die Berufung auf die fides vetustatis bei Ovid m. I 400, f. IV 203 (vergl.
aen. X 792). 3. Besonders gern wenden diese Dichter diese Form der
Berufung da an, wo die SagenüberUeferung schwankte, verworfen oder
rationalistisch umgedeutet wurde, so VergU X 189 ferunt (abweichend
von Phanokles-Ovid m. H 367ff.), HI 121 fama volat, TU. 578. IV 179.
Vn 409 fama est, buc. 6, 74 quam (ScyUam) fama secuta est (überall bei
Sagenvarianten), und so auch an vorliegender Stelle: denn Timaios, auf
den sie vermutlich zurückgeht (s. o.), hat nach Diodor IV 77 erst eine
rationalistische Umdeutung der Sage von Daedalus gegeben, dann diese
selbst erzählt mit der Bemerkung, sie sei unwahrscheinlich. Sei-vius hat
also Recht, wenn er zu unserem Verse bemerkt (p. 7, 5 Thilo): dicendo
autem Vergilius 'ut fama esf, ostendit reguirendam esse veritatem (folgt
eine rationalistische Deutung). 4. Die letztere Gruppe bildet den Über-
gang zu Ausdrücken eigentlicher 'diffidentia\ wie unten 173 ^ g. III 391
si credere dignum est VIII 140 auditis si quicquam credimus III 551 si
Vera est fama, Lydia 25 si fdbula non vana est, Ovid f. 11 113 fide
m^ius met. XilL 732 si non omnia vates ficta reliquerwnt XV 282 nisi
vatibus omnis eripienda fides. Auch solche eigentliche dirKTTia ist in
griechischer Poesie alt: im Prooemium der hesiodischen Theogonie (27 f.)
sagen die Musen, daß sie neben Wahrem auch Falsches, d .h. neben echter
Sage auch novellistisch Fingiertes, verkünden (ein Maßstab, an dem Xeno-
phanes und Pindar, jeder in seiner Art, die Überlieferung messen), Solon
(fr. 20) zitiert als Sprichwort TToXXd vjieObovTai doiboi (danach Eurip.
Herc. 1315 doibujv eiTiep ou vpeubeTc Xöyoi, vergl. dort v. Wilamowitz),
und besonders skeptisch verhalten sich (uneingedenk der aristotelischen
Lehre von der Poesie: eq) oTc dTTicrToO)iev oux fiböjueGa probl. 917b 15)
die alexandrinischen Dichter, z. B. Kallimachos h. 1, 60 f., fr. 76. Apollo-
nios I 153 ei ereöv fC ireXei kXgoc, aus deren Einfluß sich die zitierten
124 KOMMENTAR
Floskeln Vergils und anderer lateinischer Dichter erklären (s. auch
u. z. 441).
15 praepetihus pinnis. Die Akten über den von Hygin eingeleiteten
Streit hinsichtlich der Bedeutung von praepes geben auf Grund eines
erlesenen Kommentars Gellius VII 6 und Servius Dan. z. d. St. Das
Richtige steht bei Gellius § 12: praepes sei ein Wort der Augural-
sprache, in der es das Epitheton eines mit breiten [patulis) Schwingen
fliegenden Vogels sei, entsprechend M 237 oiujvoT(Ji Tavuirrepu Ye(J(ri ;
also Veit geöffnet', 'ausgebreitet'. Diese Ableitung vom St. pat- ist
nicht bloß lautlich die glaublichste, sondern auch deshalb, weil nur so
sich zwei bei Gellius angeführte ennianische Verbindungen erklären:
Brundusium pulcro praecmdum praepete portu (a. 478) und praepetihus
sese pulcrisque locis dant (a. 97, sc. die Auguralvögel). Da nun auch
Cicero in einem von ihm selbst (de div. I 106) zitierten Vers seines
Marius praepetihus pirmis sagt, so werden wir aus Vergils Überein-
stimmung mit ihm schließen dürfen, daß die Verbindung von beiden
älterer Poesie entnommen wurde, vermutlich also aus Ennius: vergl.
Anhang I. Daß in unserem Verse Ennius die Vorlage Vergils war,
dürfen wir aber mit um so größerer Bestimmtheit vermuten, als III 361
die Worte praepetis omina pivmae in einem Zusammenhang stehen
(III 359 — 380), der voll von feierlichen, z. T. als ennianisch überlieferten
Wendungen ist (vergl. 359 Troiugena, interpres divom 360 sidera sentis
364 repostas 367 obscenamque famem 369 de more 370 exorat pacem
divom 374 f. maiorihiis auspidis 375 deum rex 380 Saturnia luno u. a.).
Die Herübernahme eines Worts der Auguralsprache ist für die lateinische
Poesie, deren primitivste Keime in den nationalen sacra lagen, charakte-
ristisch: sie hat ein bekanntes Analogon in extemplo. Servius zu I 92
' extemplo' ilico. et est augurum sermo e. q. s., vergl. auch u. z. 191. Die
Feierlichkeit wird durch die gewählte Alliteration praepetihus pinnis —
credere caelo (Schema aabb) gesteigert. Für Ovid war der Begriff von
praepes bereits so entwertet, daß er den Amor einen deu/m praepetem
nennen konnte (h. 8, 36).
16 insuetum per iter gelidas enavit ad arctos (Daedalus). Die auch
uns geläufige Metapher, die sich in 19 remigium alarum fortsetzt, ist
in griechischer Poesie sehr alt und beliebt, ins Lateinische eingeführt
schon von Ennius a. 21 transnavit {Venus) cita per teneras caliginis auras.
Der spezielle Ausdruck remigium pinnarum ist für ims zuerst bei Lucrez
VI 743 überliefert, aber er ist wohl älter, denn Lucrez hat ihn im
Genetiv mit einer Licenz (remigt ohUtae pinnarum, vergl. Lachmann),
die sich doch wohl daraus erklärt, daß er die Phrase als eine in älterer
Poesie geprägte seinerseits übernahm. Quintilian VIII 6, 18 nennt den
Ausdruck eine speciosissima translatio, verbietet ihn aber für die Prosa,
d. h. er hatte damals bereits Eingang gefimden; für uns in Prosa wohl
erst bei Appuleius m. V 25 nachweisbar. Durch den Gebrauch, den
Vergil hier, wo er den Mythus von Daedalus skizziert, von der Metapher
macht, erweckt er in dem Hörer eine bedeutende cpavTacTia, die durch
die Hyperbel gelidas ad arctos (d. h. Daedalus schwamm emporrudernd
durchs Äthermeer zum Pol) noch erhöht wird. Dieser Ausdruck wurde
schon im Altertum mißdeutet, indem einige darunter die nördliche
VERS 15-19. 125
EicMung des Fluges verstanden (vergl. Servius) ; richtig, aber mit schwäch-
licher jLieiuJcric schon Silius Xu 94 f. media inter nubila . . . enavit. Daß
Vergil, wie ein Scholion des interpolierten Servius meint, den hyper-
bolischen Ausdruck gewählt habe, um auf die Gefahr anzuspielen, der
das Wachs bei zu großer Wärme ausgesetzt war, ist sehr glaublich:
denn solche 'compendia fabulae', die das Denken des sagenkundigen
Lesers reizen sollten, waren ja gerade in demjenigen poetischen y^voc,
von dem Vergil hier eine Probe gibt, außerordentlich beliebt.
17 Chalcidicaque levis tandem super astitit arce. Attribut und
Substantive rahmen den Vers ein; vergl. über diese bei Vergil sehr be-
liebte Wortsynometrie Anhang. III A 1. — Mit super astitit arce (wo
super Adverb ist, vergl. Boltenstem, Stellung der Praeposition bei Vergil,
Progr. Dramburg 1880, 12) vergl. IV 252 f. Mc (auf dem Atlas) primum
parihus nitens Gyllenius älis \ constitit; das Motiv ist also von dem Flug
eines Gottes auf den des Daedalus übertragen. Vergils Ausdruck super
astitit arce stimmt so genau überein mit Pindar, der von Apollon, nach-
dem er über Länder und Meere geflogen ist, sagt: aKOTTiaidiv <(dKpaic)>
opeuuv uirep ^cria (fr. 101 Bgk.), daß man doch wohl eine unmittel-
bare Eeminiscenz an diese, wie es scheint, berühmte pindarische Stelle
anzunehmen haben wird.
18 f. tibi Phoebe sacravit \ remigium alarum posuitque immania templa.
Erst baut er den Tempel, in dem er dann die Flügel dediziert: also
sog. liffTcpov TTpÖTepov, s. Anhang 11 2. — Die Apostrophe des Gottes
ist hier aus dem Stil der Dedikationsepigramme zu erklären ((Toi . .
ct)oiße . . bujpa Tdbe Kpejuaiai A. P. V 9 u. dgl.), denn Daedalus weiht
nach seiner glücklichen Fahrt durch das Luftmeer seine 'ßuderflügel'
wie ein dem Sturm entronnener Schiffer seine Ruder (vergl. aen. XII 768 ff.).
Meist aber ist diese Figur als eine rein konventionelle zu beurteilen:
der Vokativ ist wegen seiner kurzen Silbe besonders an vorletzter Vers-
stelle sehr bequem (vergl. Köne 31. 47. 119. 206 und 0. Keller, Gramm.
Aufsätze, Leipz. 1895, 198f.). Wenn Vergil z. B. unten 250f. sagt
Äeneas matri Eumenidum magnaeque sorori \ ense ferit (sc. agnam)^
sterilemque tibi Proserpina vaccam, so wechselt er, weil Proserpinae metrisch
unbrauchbar gewesen wäre (erst seit Properz wird Persephone freigegeben;
ganz isoliert scheint Proserpinae bei Horaz carm. 11, 13, 21 zu sein);
ebenso wird III 119 f. (mactavit) taurum Neptuno, taurum tibi, pulcher
Apollo, I nigram Hiemi pecudem, Zephyris felicibus albam die Form
Äpollini umgangen, und den metrischen Zwang gesteht Vergil selbst mit
einer für solche Dinge seit Alters konventionellen Phrase ein g. II 95 f.
purpureae (sc. uvae) preciaeque, et quo te carmine dicam, \ Baetica?
Während aber Vergil in der Aeneis die Figur nur da zuläßt, wo das
Ethos sie wenigstens nicht ausschließt (in den Georgica I 215 wagte er
es noch, eine Kleeart medica zu apostrophieren), überschreiten andere
Dichter diese Grenze, z. B. redet Properz III 11, 68 den Bosporus,
Ovid tr. I 10, 26 Lampsacus und f. 11 392 gar den Circus maximus an;
Ovid gebraucht wohl auch zuerst in der Apostrophe metrisch bequeme
Verbalformen der zweiten Person wie m. XIII 925 f. quas neque corni-
gerae morsu laesere iuvencae, | nee placidae carpsistis oves hirtaeve capeUae
(vergl. Ehwald zu m. IX 185).
126 KOMMENTAR
20 Zu letum ist aus posuit (19) das für künstlerisclie Darstellung
allgemeinste Wort fecit zu entnehmen, von dem auch der folgende In-
finitiv abhängt, vergl. VIII 630 (dazu schol. Dan.: elegans figura ^ecerat
procuhuisse'). Prop. 11 12, 6. Ovid m. VI 75 u. ö. — Über das Schwanken
der Überlieferung zwischen Ändrogeo und Ändrogei s. Anhang VI 3. —
21. Cecropidae. KaUim. 4, 315 KeKpoTtibai an gleicher Versstelle in
gleichem Zusammenhang. Die gelehrte Bezeichnung hatten die Neoteriker
(vergl. CatuU 64, 79 u. ö.) von den Alexandrinern um so lieber auf-
gegriffen, weil sie das übliche Wort im Hexameter nicht brauchen
konnten; Athenaeus scheint nur Lucr. VI 749 gewagt zu haben und kein
Dichter nach ihm. Thesidae sagt Vergil g. II 383. — 21 f. septena
quotannis \ corpora natorum. In der gewöhnlichen Überlieferung sind es
sieben Söhne und sieben Töchter, die dem Minos jährlich ausgeliefert
werden mußten. Daß aber Vergil nicht ohne Autorität davon abgewichen
ist, zeigt eine von Servius D. zu 14 (p. 6, 16 Th.) mitgeteilte Version,
wonach es nur sieben Söhne waren. — corpora natorum von den antiken
Erklärern als TTcpicppaCFiC notiert; sie ist bei Vergil, wie bei griechischen
Dichtem be)aac und (Taiiua, sehr häufig (besonders corpora virum, was
archaisches Gepräge trägt), wird von ihm aber nie ohne Ethos gebraucht
(abgegriffen Prop. III 17, 25 curva delpMnum corpora)^ hier Hhre sieben
leiblichen Söhne' (vergl. Henry 232). — 22 stat ductis sortibus urna.
Stat in seiner Bedeutung nach Servius von den alten Exegeten umstritten,
neben vielem Falschen richtig: stat post diictas sortes. Beim Losen ist
das irdXXeiv, movere der Urne das Wesentliche: das konnte der Künstler
nicht darstellen, aber die stehende Urne sagte dem antiken Betrachter,
daß das Losen vollzogen war. stare prägnant vom unbeweglichen Stehen
auch 471. Horaz od. I 9, 1. Properz IV 5, 12. — sortes ducere tech-
nischer Ausdruck der alten Sprache (vergl. J. Schmalz, Arch. f. Lex.
rX 1896, 578).
23 Gnosia MR, Cnosia P; auch an vier anderen Stellen (g. I 222.
a. in 115. V 306. VI 566) schwanken unsere Majuskelhss. begreiflicher-
weise, aber stets zu Gunsten der von M. Haupt (bei Beiger 251)
empfohlenen Schreibung GN] IX 305 geben alle (MPR) Gnosius. An
diesen sechs Stellen steht es viermal am Versanfang, zweimal nach Kon-
sonant im Versinnern, so daß die Schreibung GN prosodisch überall
möglich und daher (gegen Ribbeck, vergl. prol. crit. 392, aber mit
Deuticke) wohl überall einzusetzen ist. Im Wortinnern geben die
Hss. (MPR) VIII 425 Pyragmon (und so las Commodian nach der maß-
gebenden Überlieferung instr. I 5, 4), X 198 Ognus MP Ocnus VR (ö),
g. IV 15 alle (MPR) Procne (ö); in cygnus hat das g nur cod. M an
drei Stellen (b. 8, 55. a. I 393. XH 250), an den übrigen sechs hat er
mit den anderen codd.: c (das y ist an allen neun Stellen lang, die
Schreibung mit gn also überall möglich gegen Horaz od. IV 3, 20 cyoni
wie I 30, 1 reginä Cnidi). Eine definitive Entscheidung ist vor Samm-
lung des Materials aus allen maßgebenden Hss. unmöglich. — elata mari
(Kreta) plastisch für alta (so von Kreta V 588, vergl. Mela II 7, 12
super eas [Kykladen] sita est Greta).
24 supposta. Die synkopierten Formen der Composita von ponere finden
sich, wie aus der Sammlung von K. Wotke (Wien. Stud. VIII 1886, 146)
VERS 20—25. 127
hervorgellt, mit einer Ausnahme (g. III 527 repostae), nwx in der Aeneis,
und zwar stets bis auf einen Fall des I. Buchs (249 Traia, nunc pla-
cida compostus pace quiescit) so, daß die Formen den fünften oder sechsten
Fuß ausfüllen (X 694 expostaque ponto IX 716 inposta Typlweo VI 24
suppostaque furto; g. HI 527 nocuere repostae a. 1 26 mente repostum
III 364 temptare repostas VI 59 penitusque repostas 655 tellure repostos).
Also war metrische Bequemlichkeit (neben dem archaisierenden Kolorit)
für Vergil der Hauptgrund, die Formen beizubehalten; das ergibt sich
auch daraus, daß er von denjenigen Composita, die sich sowohl ohne
als mit Synkope in den Vers bringen ließen, nur je ein Beispiel mit
Synkope hat (compostus, exposta, inposta, suppostd), aber von demjenigen,
das für den Hexameter ohne Synkope überhaupt nicht brauchbar war,
fünf Formen (repostum, repostae, repostas zweimal, repostos). Daß re-
postos aus Ennius stamme, bezeugt Servius zu I 26 (vergl. unten z. 328).
Für uns ist Lucrez der Hauptvertreter dieser Formen, der sie auch
schon zumeist auf die metrisch bequemen Stellen beschränkt. Im Gegen-
satz zu Lucrez verpönen die Neoteriker diese Formen (Catull hat sie
sogar nicht in den kleinen Gedichten, wo er doch sonstige Synkopen
nicht meidet, s. u. z. 57), nur Varro der Ataciner, der überhaupt eine
Zwischenstellung zwischen der alten und neuen Richtung einnahm, hat
fr. 7 Baehr. placida composta quiete, was Vergil in der zitierten Stelle
des I. Buchs nachgeahmt hat, wenn es nicht älteres Gut ist. Von den
Augusteem außer Vergil werden diese Formen nur je einmal von Horaz
und Properz gebraucht, von jenem in einem sehr frühen Gedicht unter
dem Einfluß des Lucrez (epod. 9, 1 repostum; über das unmögliche postos
epod. 2, 65 vergl. Leo, Göttinger Prooemium 1900, 18), von diesem in
einem sehr späten (IV 2, 29 imposta Corona), das bereits unter dem
Einfluß Vergils steht. Öfters begegnen die Formen dann erst wieder bei
den Epikern seit Valerius Flaccus, die ganz von Vergil abhängig sind.
Vergl. auch zu 57 direxti.
24 f. amor tauri suppostaque Pasiphae. Dargestellt war Pasiphae
propter amorem tauro supposita, aber der Dichter legt die logisch sub-
ordinierten BegrüBfe parataktisch auseinander, um sie einzeln deutlicher her-
vortreten zu lassen (Figur der eTxelr]fr\üic, vergl. Servius zu I 27. XI 260).
Dieser auch der Prosa beider Sprachen nicht fremde Gebrauch wird von
allen Dichtern gepflegt, aber Vergil hat ihn fast zur Signatur seines Stils
gemacht (Lucrez, Catull und die Augusteer außer Vergil sind darin viel
zurückhaltender), vergl. z. B. unten 57 Dardana Paridis tela manusque
227 reliquias et hibulam favillam 230 spargens rore levi et ramo felicis
olivae, 282 ramos annosaque braccliia 715 securos latices et longa oblivia
potant (dagegen Süius XIH 555 mit appositioneller Hypotaxe Lethaeos
potant latices, ohlivia mentis) 788 ha/nc gentem Romanosque tuos 831
a^geribus Älpinis atque arce Monoeci, I 258 urhem et promissa Lavini
moenia IH 222 vocare in partem praedamque (dagegen Liv. V 21, 5 in
partem praedae vocare) V 647 f. divini signa decoris ardentisque oculos
Vn 50 filius prolesque virilis XI 22 socios inJiumataque corpora; auch das
oft mißdeutete penatihus et magnis dis (EU 12) ist danach zu beurteilen
(die di magni sind eben Axq penates: vergl. Wissowa, Hermes XXH 1887, 32),
und für das Verständnis von VI 273 wird uns dieser Sprachgebrauch,
128 KOMMENTAR
den auch Servius zu XI 260 notiert, wichtig sein. In vielen Fällen ist
er bloß durch das Bestreben des Dichters, einen Ausdruck stilistisch zu
variieren, hervorgerufen (s. z. 25) und durch Floskeln aus archaischer Poesie
beeinflußt, so nach Ausweis des Metrums in dem Versschluß magnis dis
(s. Anhang IX 2). — amor wie gleich (26) Venus KaT'euq)ri|Liicr)iiöv.
25 Pasiphae mixtumque genus prolesque iiformis. Mit pröles hifor-
mis wird mixtum genus stilistisch variiert: eine bei Vergil sich großer
Beliebtheit erfreuende rhetorische Figur (exomatio), für die wir noch
zahlreiche Beispiele finden werden (s. besonders auch zu 268 ff. 638 ff.).
Wenn wir mit mehr Vergleichsmaterial aus alter Poesie operieren könnten,
so würde sich herausstellen, daß Vergil den einen der beiden Ausdrücke,
mit dem er den anderen variiert, oft aus einem Vorgänger entlehnt hat,
wie er gleich 27 die fast genau dem CatuU entnommene Floskel inextri-
cabilis error neben sein labor domus stellt (s. auch z. 68. 152. 165. 178.
218. 387. 435). Auch in unserem Verse macht proles hiformis einen
archaischen Eindruck: vergl. für pröles unten zu 784; hiformis scheint
für uns freilich vor der augusteischen Poesie nicht belegt zu sein, doch
hat Cicero in seinen Versen Tusc. II 20 (Vers 13 f) hiformato impetu \
Centaurus und da er zu dieser Bildung durch das von ihm übersetzte
sophokleische Original gar keine Veranlassung hatte (Trach. 1059 0r|peioc
ßia), so nahm er sie wohl, wie so vieles in seinen Versen, aus einem
lateinischen Tragiker; so übersetzt er gleich darauf (Vers 38) den sopho-
kleischen biqpufi (TTparöv (ib. 1095) mit hicorporem nmnum, und da haben
wir das Adjektiv zufällig für Naevius und Accius bezeugt. — 26 moni-
menta poetischer Plural (s. z. 4), deshalb bemerkenswert, weil er ihn sogar
als Apposition zu einem singularischen Nomen (Minotaurus) gebraucht;
ähnlich schon 10 secreta Apposition zu antrum. — 27 läbor domus vom
Labyrinth. Die Wahl der nicht ganz gewöhnlichen Ausdrucks weise
erklärt sich vielleicht aus spielerischer Anlehnung an das etymologisch
im Altertum viel diskutierte läbyrintlms (mittelalterliche Schreibung eben
deswegen laborintus: Th. Birt, Rh. Mus. LII Suppl. 139). Als oiKia (domus,
vergl. 29 tecti) wird es auf Vasen und Münzen dargestellt. — 27 inex-
tricahilis error, 29 dolos tecti amhagesque. Die Irrwege des Labyrinths
in Versen malerisch zu schildern, reizte die hellenistischen Dichter (vergl.
Kallim. h. 4, 311) und nach ihnen CatuU 64, 112 ff. (errahunda regens
tenui vestigia filo, \ ne lahyrintheis e flexibus egredientem | tecti frustrare-
tur inobservahilis error), an den sich Vergil deutlich anlehnt (ürsinus).
Auch an einer wohl später als die vorliegende Stelle geschriebenen
Partie V 588 ff. macht Vergil dem Catull das Kunststück nach, dort
schließt er: qua signa sequendi \ frangeret indeprensus et inremeabilis
error. Die Wahl der sechssilbigen Worte (sowie des viersilbigen am-
hagesque), die den vierten und fünften Versfuß ausfüllen (eine metrische
Besonderheit, s. z. 9 9 f. und 617), beruht auf Absicht: die Länge des
error soll dadurch gemalt werden (ähnlich 11 324 venit summa dies et
ineluctdbile tempus), s. Anhang IX 3 b. In der Wahl des Wortes inex-
tricabiUs (vom Labyrinth auch Varro bei Plin. n. h. XXXVI 91) ist Vergil
hier vorsichtiger als Catull, wagt dagegen an der Stelle des fünften Buchs
nach Catulls inobservabilis gegen seine Gewohnheit (s. z. 141) eine eigene
Neubildung (inremeabilis).
VERS 24—32. 129
28 magwam regmae sed enini miseratus amorum. In vdrkungs-
voUem Kontrast (s. z. 9 f.) zu der nefanda Venus der Pasiphae folgt hier
der magnus amor Äriadnae. Der Name war in den obliquen Casus im
Versinnem nur mit schweren Elisionen, am Versschluß nach den strengen
Gesetzen des lat. Hexameters überhaupt nicht brauchbar; er wird daher
hier von Vergil durch regina ('Königstochter': abusive ait more poetico
Servius zu I 273), von anderen Dichtem meist durch Minois oder Crnosia
ersetzt (vergl. Thes. 1. 1. 11 561). Kunstvoll ist die Verteilimg der Worte
über den Vers: die Hauptbegriffe, darunter das schwere, den ersten Fuß
füllende spondeische magnum (s. Anhang VIII) , rahmen ihn ein (s. ebenda
in A l), dagegen sind die Partikeln in der Mitte wie versteckt: über
diese Freiheit in der Stellung der Partikeln s. ebenda DI B 3. Die Ver-
bindung sed enim (auch I 19. H 164. V 395) wird von Quintil. IX, 3, 14
als Archaismus bezeichnet, zu ihrer Konservierung trug wohl dXXct ydp
bei (danach at enim in der occupatio); enim behielt in ihr seine ursprüng-
liche Bedeutung (br|, 'ja', vergl. Bücheier, Lexicon Italicum p. Vm), die
es noch im Vulgärlatein hat (öfters bei Commodian). Altertümlich enim
auch g. in 6 9 f. semper erimt, quarmn mutari corpora malis: | semper
enim reßce ('und so' wie altlat. einom), a. VIII 84 qimm (suem) pius
Aeneas tibi enim, tibi, maxima luno j mactat sacra ferens et cum grege
sistit ad aram (ffoi y^ örj; in der Umgebung von lauter feierlichen
Worten). Ahrüich schillert zwischen Versicherung und Begründung
namque X 614. — 30 caeca vestigia. Dieser sinnliche Gebrauch von
caecus ist eine besondere Liebhaberei Vergils, wofür er reichliches Material
außer in der Umgangssprache {caeca nox, caeci parietes wie Tuq)Xoi ToTxoi,
'blinde Fenster') auch in griechischer Poesie fand, so hier caeca vestigia
wie TuqpXoi TTÖbec Eurip. Phoen. 834 (djuaupöv kiIiXov Soph. 0. C. 182),
X 733 caecum dare cuspide volnus wie TuqpXoTc ourddac ToHeu)Lia(Jiv
Eurip. Herc. 199, DI 200 caecae undae g. 11 503 freta caeca a. IH 706
caeca saxa wie TucpXöv KÖ^ia A. P. VII 400, 2 TuqpXai a-mXdbec
ib. Vn 275, 2. — Über die Bildung des Versschlusses tu quoque magnam
_ I «^ ^j I _ ö s. Anhang IX 4 a. — 31 partem, sineret dolor, haheres. Die
Auslassung der Kondizionalpartikel ist vor dem Konjunktiv des Präteri-
tums viel seltener als vor dem des Präsens (für letzteres vergl. Leo,
Seneca I 224, Analecta Plaut. I 30, l); zu den wenigen, von ß. Kühner,
Gramm, d. lat. Spr. 11 2, 761 angeführten Belegen kommt ein besonders
genaues Analogon bei Ovid m. IX 490 &mnia di facerenf^ essent communia
nobis, woraus sich ergibt, daß P. Cauer, Grammatica militans (Berlin
1898) 136 die Auslassung der Partikel in imserem Verse richtig aus
der Idee eines Wunsches erklärt ('ließe es der Schmerz nur zu'). —
32 (bis) conatus erat Übersetzung von (rpic |uev) eq)UJp|Lir|0Ti X 506;
conari gibt den Begriff genau wieder, denn M. Haupt (bei Beiger 253)
bemerkt, daß es nicht 'versuchen', sondern 'sich anschicken' heißt; tat-
sächlich ist es oft kaum verschieden von coepisse, vergl. bell. Afr. 14, 2.
15, 2 (dazu Wölfflin) und besonders Ovid m. Vlll 462f. conata quater . . .
imponere, coepta quater tenuit.
C. Begegnung mit der Sibylle und Eintritt in den Tempel
(33 quin — 41). Abgebildet cod. F, fol. XLW. Periodisierung: drei
TpiKujXa: 1. quin 33 — regi 36 (a. quin — oculis, b. ni — Glaud mit zwei
Vkkgil Buch VI, von Norden. 9
130 KOMMENTAR
KÖmaaTa, c. fatur — regt) 2. rwn 37 — bidentis 39 (a,.non — possit, b. nunc —
praestiterit^ c. totidem — bidentis) 3. talibus 40 — sacerdos 41 (a. talibus —
Aenean, b. nee — viri, c. Teuoros — sacerdos).
33 protinus omrna. Protinus hier, wie bei Vergil noch oft (Schol.
z. 11 437. VII 601), räumlich: biriV€KU)C. — Für omnia (Versschluß) gibt
R omne (das Lemma des Servius omnem, d. h. omne mit falschem Strich),
eine oflPenbare Interpolation, denn nach Maerob. V 14, 1 wurde die
Synizese ia von einigen getadelt. Kein Vers, in dem Vergil diese Synizese
hat, ist völlig intakt geblieben: VII 237 verba precantia FMP, v. pre-
ccmtwm R; g. IV 221 deum namque ire per omnis alle Hss. (MPR), aber
Ambrosius las richtig omnia:, a. I 2 ist das Schwanken sowohl der
direkten als der indirekten Überlieferung zwischen Laviniaque venu (litora)
und Lavinaque v. l. wohl zu Gunsten der besseren hs. Überlieferung
Laviniaque (M^V gegen RM^ [Hand des Schreibers von M^]) zu unter-
scheiden trotz des ältesten, etwa noch dem I. Jh. p. Chr. angehörigen
Zeugnisses für Lavinaque auf einem Ziegel von Italica CIL II 4967, 31.
Die lateinischen Dichter haben diese Art der Synizese nach der Lehre
griechischer Metriker zugelassen: Hephaest. euch. 2 belegt den xpÖTTOC
Tfjc (TuveKqpuüvriffeuJC von zwei kurzen Vokalen zu einem kurzen (TTriXidba
_ w w, f| biaveKUJC _ u w _, dXXa leöv ^ ^ J) für verschiedene Gattungen
^er Poesie, darunter ausdrücklich auch die epische. In lateinischer Poesie
ist dieser xpÖTTOC für uns belegt zuerst aus Lucüius (Lachmann zu Lucr.
I 1106. II 719) aber, wie wir auch sonst bei Übereinstimmungen zwischen
Vergil und Lucilius auf Ennius schließen dürfen (s. Anhang I 2), so hier
um so mehr, als 1. in den Georgica 1. c. gleich eine zweite Besonderheit
folgt: terrasque tractusque; diese ist zuerst nachweisbar in einem Hexa-
meter des Accius (bei Festus 146) metallique caculaeque, d. h. sie wurde
von Ennius auf Grund des homerischen le — te (B 495) eingeführt und
von Accius übernommen (s. Anhang X); und als 2. der Abschnitt, in
dem jenes precantia vorkommt, auch sonst durch Ennius beeinflußt ist.
Im Gegensatz zu dem archaisierenden Vergil hat Ovid die Licenz nur
einmal, im letzten am wenigsten gefeilten Buch der Met. 718 spissi litoris
Antium, d. h. bei einem Eigennamen, den er nach seiner Elisionspraxis
(vergl. L. Müller de re metr. ^ 347) sonst überhaupt nicht hätte verwenden
können (dieses zweisilbige Antium ist also gewissermaßen ein Vorläufer
der Assibilation zu Anzo, vergl. Bantia-Bansa). In der 11. Heroide
V. 6 9 hat Ovid den vergilischen Versschluß verba precantia durch die Um-
stellung precantia verba reguliert. — 37 non hoc ista sibi tempus specta-
it
cula poscit. So FP, poscunt M, poscwnt R. Servius erwähnt beides, zieht
aber poscit vor, mit Recht, denn wie der folgende Vers nwm grege de
imtacto Septem mactare iuvencos | praestiterit zeigt, ist gemeint: hoc tempus
non spectacula poscit sed sacrificium, vergl. XII 156 non lacrimis hoc
tempus; auch der Verfasser des Vergilcentos 'Medea' (um 200) zitiert den
Vers mit poscit (PLM IV 225, 160 Baehr.). Die Korruptel erklärt sich
aus Angleichung des Verbalnumerus an das zunächst stehende Substantiv,
wofür Wagner 399 ff. viele Belege aus der Vergilüberlieferung gibt. —
hoc ista — tempus spectacula. Über die verschränkte Wortstellung, die
hier gewählt ist, um die Gegensätze scharf hervortreten zu lassen, s. An-
VERS 33—38 131
hang DI A 3. — 38 de intacto keine Synaloephe, sondern Synizese,
s. Anhang XI 2 Ab.
38 ff. Vor der Befragung des Orakels muß geopfert werden, und
zwar Ttpö bö)iiujv (an den ßujjiioi Trpövaoi), wie in Delphi (Herod. VII 140.
Eurip. Ion 226ff., 419f. Plut. de def. or. 49, 437ß, daher rTueuu jiiTiXobÖKOC
Find. P. 3, 27, vergl. auch Hiller v. Gaertringen in der Eealencycl. III 2534)
und in dem italischen ij/uxo)iavTeTov bei Ps. Plut. cons. ad Apoll. 14, 109 C.
— Dem sakralen Charakter seines Epos und dem Vorbild des Ennius
entsprechend legt Vergil großes Gewicht auf Genauigkeit des Opferrituals.
Während daher andere Dichter gelegentliche Abweichungen vom strengen
Ritual haben (C. Krause, De ßomanorum hostiis, Marburg 1894, 23), ist
Vergil, um mit dem Autoritätenglauben des Macrobius zu reden, hierin
wirklich erroi'is ignarus. Als einzige Ausnahme (denn g. IV 546 stammt
aus der griechischen Quelle) galt schon im Altertum VIII 641 (vergl.
auch Xn 170), wo Romulus und Tatius am Altar Jupiters das Bündnis
schließen caesa porca, also einem weiblichen Tier, was die alten Kom-
mentatoren tadelten oder wunderlich erklärten (Quintil. VIII 3, 19. Serv.
z. d. St.); aber diese Ausnahme scheint im Ritual begründet gewesen zu
sein, denn im Bündnisopfer der Fetialen wird die porca auch sonst er-
wähnt (Suet. Claud. 25 und Bücheier zu Seneca apoc. 9 p. 57), und auch
im Opfer an Terminus kann die porca den agnus vertreten (Ovid f. 11 656,
vergl. auch Petron 133). Wir sind daher auch an vorliegender Stelle
zur Prüfung des Details verpflichtet: nunc grege de intacto Septem mactare
iuvencos | praestiterit, totidem lectas de more bidentis. Das Opfer wird
hier wie unten 153 von der Sibylle befohlen, für die ein solcher Auf-
trag ja typisch war (vergl. z. B. Liv. XLII 2, 6 und Phlegon mir. 10).
Daß es einem Gott und einer Göttin, also hier Apollo und Hekate,
gilt, folgt aus der Sonderung männlicher und weiblicher Tiere (iuvencos —
lectas bidentis). Nach der Strenge des Rituals, für welches das Alter
der Tiere als etwas Wesentliches gilt (Servius zu HI 21, Cicero de
leg. n 29), gehören beide hier genannten Tierklassen zu den maiores
hostiae: vergl. für die iuvenci Varro r. r. 11 5, 6 und für die bidentis
besonders Gellius XVI 6, wo auf Grund von Hygins Vergiluntersuchungen
die richtige Erkläning des für die Augusteer bereits dunklen Wortes
aus dem ius pontificium gegeben wird (bestätigt durch einen modernen
Fachmann: Nehring im Jahrb. f. Phil. 1893, 64ff.): bidens ist ein Tier
mit 8 Schneidezähnen in der unteren Kinnlade, von denen zwei bereits
gewechselt, d. h. durch größere und stärkere ersetzt sind, was beim Schaf
ungefähr mit lYg Jahren der Fall ist. Das adjektivische Wort (sc. Jiostia)
war also ursprünglich durchaus nicht auf Schafe beschränkt, denn acht
Schneidezähne in der unteren Kinnlade haben aUe Wiederkäuer, also
auch Kühe und Ziegen, im Gegensatz z. B. zum Pferd, das oben und
unten Schneidezähne hat; daher lesen wir bei Plinius n. h. VllI 206 aus
Coruncanius (cos. 280, erstem plebeischen pont. max.) ganz allgemein:
Conmcanius ruminales Jiostias, donec bidentes fierent, puras negavit. Aber,
wie so oft in der Sprache, trat eine Bedeutimgsverengerung ein: von
einem anderen Tier als vom Schaf braucht das Wort nur der Atellanen-
dichter Pomponius bei Gellius 1. c. bidenti verre facere. Vergl. die
Analogie des indischen Opferritus bei H. Zimmer, Altindisches Leben
9*
132 KOMMENTAR
(Berlin 1879) 74 f. — Für grege de intado s. Macrobius III 5, 5: hostiae
iniuges (vergl. db )Lir|TOi) vocantur quae numquam domitae aut iugo suh-
ditae sunt, wo er außer auf unsere Stelle auf g. IV 540 verweist. —
lectae wird durch das bei Macrobius folgende erläutert: eximiae hostiae,
quae ad sacrificiu/m destinatae eximantur a grege, was sich auf die Stelle
der Georgica bezieht: quattuor eximios praestanti corpore tauros delige,
vergl. egregius, eHaiperoc. — Septem: die Siebenzahl war gerade auch
in apollinischer Religion sakrosankt (Diels in der Festschr. f. Gomperz,
Wien 1902, 9). — de more gehört zu mactare (nicht zu lectas), vergl. V 96
caedit hinas de more bidentis, ähnlich IV 57. VII 93; es ist also dirö
KOivoö auch zum vorhergehenden Satzglied zu ziehen. Statt de gibt
F ex, was sich in dieser Verbindung bei Vergil zweimal findet gegen-
über sehr häufigem de; das könnte für F zu sprechen scheinen, wenn
auf eine isolierte Lesart dieser Hs. mehr zu geben wäre als auf den
Consensus von drei anderen. Die Verbindung de more kommt III 369
innerhalb eines stark durch Ennius beeinflußten Abschnittes vor (s. z. 15),
die Versschlüsse lectas de more bidentis VIII 544 und rite bidentis VII 93
in Zusammenhängen mit ebenfalls ennianischem Kolorit.
III. Befragung und Bescheid der Sibylle. 42 — 155.
A. Beschreibung des Lokals 42 — 44. B. Epiphanie des Apollo
45 — 55. C. Zwei Wechselreden des Aeneas und der Sibylle 56 — 155.
A. Beschreibung des Lokals 42 — 44 in einem TpiKUjXov, dessen
drei KUÜXa mit je einem Vers zusammenfallen.
42 ff. Die e'Kqppaffic tÖttou wird verselbständigt und asyndetisch an das
vorhergehende angeschlossen, wie unten 237 ff. 893 fl'. I 5 30 ff. II 7 13 ff.
und besonders ähnlich g. IV 418 ff.; vergl. Servius z. X 653 descriptio per
parecbasin facta, non enim a superioribus pendet^ sed ante dictis adiungitur.
Dieselbe Technik bei Properz IV 4, 3 ff. und besonders oft bei Ovid.
1. Die beste Beschreibung dieses antrum (11. 42. 77. 99. 157;
domus 53 ; adytum 98) der Sibylle bei Agathias I 10 (angeführt von
Gerda zu 11): ev Ttu irpöc fiXiov dvicTxovTa toö Xöcpou Terpamueviu
dYKuJvi dvTpov Ti u7Te(TTiv djLiqpripeqpec xe Kai Y^ciqpupiJUTaTOV , ibc
döutd xe l\'^\v auxöjuaxa Kai kuxoc eupu Kai ßapa9pajb6C" evxaOGa hx\
TtaXai (pa(Ti xfiv CißuXXav xfiv irdvu . . . qpoißöXriTTxöv xe eivai Kai
evGouv, Kai irpoaTopeüeiv xd ecröineva xoic 7Tuv0avo|uevoic. Wie im
Altertum, reizte die Höhle auch seit der Eenaissancezeit die Neugierde.
Auf eine interessante Beschreibung dieser Höhle macht mich R. Wünsch
aufmerksam: J. F. Breithaupt, Christlicher Helden Insel Malta (Frank-
furt a. M. 1632) 204 f., dort heißt es u, a.: „Das innwendige Theil ist
anfänglich gar weit und hoch, in die Vierung gestellet, mit vierecketen
steinern Seulen . . ., hernach gleichsam in eine Ebene auszgebreitet,
dessen Lenge sechzig Schritt und Breite von zehen. Folgends kommet
mann in gar seltzsame . . . Kammern . . ., sind denen vorigen gantz
ungleich, auch viel gröszer und höher als dieselbe . . . Unter andern
ist daselbst eine Kammer, in welcher die Sibyllinische Weissagerin von
Cuma soll gewohnet haben: ist vierecket mit Griechischer Arbeit ausz-
gemacht auff die Art wie der Heidnische Tempel desz Weingötzens
VERS 38—42. 133
Bacchi zu Rom . . . Soll dieses Ohrts wegen vieler Gespenste . . . weiter
einzugehen gefährlich seyn . . . Insgemein sind vorgedachte Kammern
oben alle offen, auch mit Wänden und Mauern unterschieden . . . Das
gemeine Landvolck stehet in denen Gedancken, als ob an diesem Ort
der Herr Christus von der Hellen aufgefahren und der alten Vätter
Seelen daraus erlöset hette. Von vielen der Berg Christi genennet."
Noch heute ist nach Beloch 1. c. [o. S. 116f.] 161 „der ganze Fels unten von
Grotten durchhöhlt. Es ist ein System in drei Stockwerken, vielfach
verzweigt und z. T. verschüttet und unerforscht. Der Eingang ist auf
der Südseite, da, wo man zur Burg aufsteigt, unterhalb des Apollo-
tempels." Eine dieser Grotten heißt noch heute 'grotta della Sibilla',
vergl. E. Cocchia 1. c. (o. S. 117). — 2. Das ine^apov im Felsinnern ist
die Wohnung des Gottes (vergl, E. Rohde, Psyche ^ 119 ff. A. Körte in:
Athen. Mitteil. XXm 1898, 94f.), mit dem also die Sibylle 77 ff. in
unmittelbaren Kontakt tritt. Lehrreich sind Analogieen anderer Orakel-
stätten. Apollo selbst weissagte aus einer Grotte (vergl. v. Wilamowitz,
Aristot. u. Athen H 44, 17) im milesischen Branchidenorakel (Eusebios
V. Const. II 50 TÖv 'AiTÖXXuuva eqpaffav eH avxpou tivöc Kai (Tkotiou
|iuxo0, ouxi b'eH dvöpiUTTOU XP^crcii) und auch in Delphi dachte man
es sich so, wenigstens in späterer Zeit (Lucan V 84 f. sacris se condidit
antris j incubuitque adyto vates ibi (actus Apollo)^ die Orakelhöhle des
klarischen Apollon lag wie die cumanische in einem Felsen unweit vom
Meer bei einem Hain (C. Schuchardt in: Athen. Mitt. XI 1886, 429ff.),
diejenige der Sibylle von Erythrae am Ostfuß des Burgbergs (K. Buresch
ib. XVn 1892, 16ff.). — 3. Dagegen ist infolge der Gleichgültigkeit des
Dichters, topographische Situationen genau zu zeichnen (er teilt diese
Gleichgültigkeit mit rhetorisierenden Historikern wie Tacitus), die Lage
der Grotte zum Tempel kontrovers. Heyne hatte angenommen, daß die
Grotte vom Tempel getrennt war und einen eigenen Eingang von außen
hatte. Letzteres ist richtig, wie die angeführten Worte Belochs zeigen,
aber durch diesen Eingang von außen können die Sibylle und Aeneas
die Grotte nicht betreten (45 ff.), denn der dem Betreten der Grotte
vorangehende Eintritt in den Tempel (41 Teticros vocat alia in templa
sacerdos) hat nur unter der Voraussetzung einen Zweck, wenn die Troer
durch den Tempel in die Grotte gelangen. Darum muß die geltende
Anschauung, daß vom Tempel ein unterirdischer Gang in die Grotte
geführt habe (vergl. z. B. Cocchia 1. c. 36), richtig sein. Die Tatsache,
daß ein solcher existierte, ergibt sich aus folgender Mitteilung Belochs,
der die Güte hatte, im Oktober 1900 an Ort und Stelle nachzuforschen:
„Der Eingang zur Grotte liegt an der Westseite des Burgfelsens, also
dem Meere zu, unterhalb des Eingangs zur Burg, da, wo auf meinem
Plane (PI. IV) grotta della Sibilla steht. An der Decke der Grotte,
immittelbar am Eingang, sind in flachem Relief Opfergeräte ausgemeißelt,
ein Beil (hipennis), ein Opfermesser etc. Es wird dadurch wohl unzweifel-
haft, daß wir es wirklich mit der Grotte der Sibylle zu thun haben.
Unmittelbar neben dieser Grotte, die sehr geräumig ist, liegt eine zweite
Grotte, aus deren Hintergrund ein in den Felsen gehauener
Gang mit Treppenstufen scharf in die Höhe führt. Ich bin
darin hinaufgestiegen, soweit es möglich war, es mochten etwa 100 Schritt
134 KOMMENTAE
sein, vielleicht auch mehr, doch ühemehme ich für die Distanz keine
Gewähr; dann war der Gang verschüttet. Ich halte es aber für unzweifel-
haft, daß er auf die Burghöhe hinaufführte, dorthin, wo auf
meinem Plane der Tempel des Apollon gezeichnet ist.... Wir
werden nach diesem Tatbestand annehmen müssen, daß die Sibylle
Aeneas durch den Tempel und den unterirdischen Gang in die
Grotte geführt hat." — 4. Diese Auffassung wird durch die Lage des
delphischen abuTOV gestützt. Auch dieses lag tiefer als der Tempel,
denn Kaxaßaiveiv eic xö juavteTov (abuxov) ist der übliche Ausdruck, z. B.
Pindar P. 4, 55. Plutarch Timol. 8 eic AeXqpouc TTOpeuGeic eGucJe xiu Geo»
(wie hier 37 ff. Aeneas) Kai Kaxaßaivovxoc eic xö |LiavxeTov auxoO yivexai
(TriineTov, eine literarische Überlieferung, die durch die Ausgrabungen
Foucarts und Pomtows bestätigt worden ist (vergl. H. Pomtow, Beitr. z.
Topogr. von Delphi, Berlin 1889, 31 f.). Ebenso war in Trikka das
Kttxaßaiveiv eic ctbuxov (des Asklepios) typisch und zwar mußte, wie
in Delphi und hier in Kyme, ein Opfer an Apollon vorangegangen sein
(Isyllos p. 11 Wil.). Auch bei der Beschreibung eines Isisheiligtums von
Tithorea in Phokis braucht Pausanias X 32, 9 den Ausdruck Kaxaßaiveiv
ec xö dbuxov. Daß abuxa dieser Art durch unterirdische Gänge betreten
wurden, liegt in der Natur der Sache und ist für ein dbuxov des Pa-
laimon in Korinth von Pausanias 11 2, 1 bezeugt: KOtGoboc be ec auxö
uuÖTeuJc; auch an die Kd6oboc uiroTaioc auxojadxri sei erinnert, durch
die in Athen an den Errephorien Jungfrauen vom Tempel der Athene
Polias zur Stadt hinabstiegen (Pausan. I 27, 4); Analogieen aus späterer
Zeit (z. B. Damascius vit. Isidori, Phot. 344^ 35 ev 'leparröXei xfic OpuTiac
iepöv fjv 'AttöXXujvoc, iittö be xöv vaöv Kaxaßdffiov iiireKeixo) bei
E. Maaß, Orpheus (München 1895) 176, 3. Cumont, Texts et monuments
relat. au culte de Mithra I (Brüssel 1899) 59. — 5. In die Grotte tritt
die Sibylle über das Urnen (45) durch die fores (47 vergl. III 449),
während Aeneas und seine Begleiter die Grotte nicht betreten, sondern
auf der Schwelle bleiben (151). Vor dieser Tür (ante fores) ist die
Sibylle noch 47, dagegen ist sie 77 in antro, also ist sie, während
Aeneas betet (56 — 76), in die Grotte hineingegangen, was der Dichter
als selbstverständlich den Leser ergänzen läßt (s. über diese Technik
z. 13 und 77). Streng zu scheiden von den fores sind die 43 genannten
lau acutus centwm, ostia centum (= ostiorum centum totidem aditus,
vergl. Henry 230): sie dienen nicht als Eingänge in die Grotte, sondern,
wie 44. 81 f. gesagt wird, als Kommunikationswege für die Stimme der
Sibylle mit dem außerhalb der Grotte stehenden Befrager; daher öffnen
sich diese ostia auch erst, als die Sibylle durch die fores bereits in die
Grotte gegangen ist, und zwar öffnen sie sich sua sponie (81), d. h. auf
übernatürliche Art, kraft des Gebetes des Aeneas (52 f). Durch diese
ostia dröhnt die Stimme der Sibylle in der Grotte mit starkem Echo
(99 antro remugit-, über einen ähnlichen Effekt in Delphi vergl. Justin
XXIV 6, 8); es hat also den Anschein, als ob die Grotte selbst ihre
ungeheuren (81) Schlünde öffne (ora dehiscent 52f.).
B. Epiphanie des Apollo 45—55. Periodisierung in vier Absätzen:
1. Erste Aufforderung der Sibylle an Aeneas 45 — 46 deus (xexpdKUjXov :
venttim — Urnen, cum — virgo ait, poscere — tempus, deus — deus). 2» Äußerer
VERS 42—45. 135
Eindruck auf die Sibylle 46 cui — 51 dei (TerpdKuuXov: a. cui 46 — fores 47,
b. subito 47 — comae 48 in drei durch Anapher bezeichneten KÖmiiaTa,
c. sed 48 — sonans 50 in vier durch et que nee getrennten KÖ|Li)uaTa,
d. adflata 50 — dei 51). 3. Wiederholung der Aufforderung 51 cessas —
54 — conticuit (xpiKUjXov: cessas 51 — cessas 52, neque 52 — domus 53, et
53 — conticuit 54). 4. Eindruck auf Aeneas und seine Begleiter 54 gelidus —
55 imo (biKUjXov: gelidus 54 — tremor 55, fundit 55 — imo 55).
45. J. Kvicala, Neue Beiträge zur Erklärung der Aeneis (Prag 1881)
26 5 ff. hat beobachtet, daß die römischen Epiker (seit Ennius, z. B.
ann. 386) unbedenklich Reden im Versinnern beginnen und schließen
lassen (Vergil in diesem Buche noch neunzehnmal, z. B. 51, 103, 125 etc.;
46, 53, 76 etc.), während Homer, Hesiod, ApoUonios sowie die meisten
Epiker des IV/V Jh. n. Chr. Anfang und Schluß der Rede mit Vers-
anfang bezw. Versschluß zusammenfallen lassen, bis zu dem Grade, daß
sie gelegentlich den vorhergehenden Vers mit mehr oder minder über-
flüssigen Zusätzen füllen (z. B. H 278 vergl. 276, A 346 vergl. 314); nur
Nonnos hat das Gesetz übertreten, aber auch er nur bei Ausrufen u. dgl.,
nie bei eigentlichen Reden. Der Grund dieser Erscheinung, die richtig
beobachtet sein wird, selbst wenn eine oder die andere Ausnahme vor-
handen sein sollte (z. B. notierte ich mir aus Kallimachos' Hymnen als
Ausnahme von der auch von ihm befolgten Regel 4, 150. 162 sowie aus
Theokrit 7, 27. 91. 16, 18. 67; umgekehrt läßt Catull in den gelehrten
gräzisierenden Gedichten 63. 64 durchaus griechische Technik herrschen,
scheint sich also der Verschiedenartigkeit griechischer und lateinischer
Praxis bewußt gewesen zu sein), ist vielleicht in dem ausgeprägteren
griechischen Stilgefühl zu suchen, das eine so starke Unterbrechung des
Rhjrthmus und des Vortrags, wie sie durch Anfang oder Schluß einer
Rede bedingt wurden, im Versinnern instinktiv mied. Goethe folgt in der
Achilleis völlig der Praxis Homers; in Hermann und Dorothea meidet
er den Anfang von Reden im Versinnern nicht ängstlich, während er
den Schluß der Reden fast immer mit dem Versschluß zusammenfallen
läßt (Ausnahmen: Gesang II und V die vorletzten Verse, VI 215. VH 43
zwei ganz kurze Bemerkungen); dagegen entspricht dem anderen Ethos
des Reineke Fuchs eine ganz freie Technik etwa im Stil der horazischen
Sermonen.
Mit poscere fata schließt VII 272 ein Vers in archaischer Umgebung;
da auch fata 'Schicksalssprüche' (wie 67. 72; III 456 durch oracüla
ersetzt) altertümlich und für Ennius bezeugt ist (a. 19 tr. 43), darf die
Phrase vermutungsweise als ennianisch bezeichnet werden. Poscere, die
italische Bezeichnung für den Inhalt des Gebets (Bücheier, Lex. ital. XXI),
hat Vergil noch oft (z. B. I 666 supplex tua numina posco) aus Ennius
übernommen, während sich im allgemeinen die religiöse Bedeutung fester,
wie so oft, in der Komposition erhielt (exposcere Cic. Liv., wie effatum
geläufiger blieb als fatum in dem besprochenen Sinn); wenn er unten
66 non indehita posco regna verbindet, so zeigt er, daß ihm die Vor-
stellung des Begriffs noch geläufig war: denn da mit dem Gebet stets
ein Gelöbnis verbunden war, so faßte es der praktische Geist der Italiker
als einen Kontrakt mit den Göttern auf (Hör. od. I 24, 11 non ita cre-
ditum posco Quintilium deos, HI 29, 59 votis pacisci).
136 KOMMENTAR
46 ff. Die viTTOTUTTDuaic der rasenden Seherin, ein berühmtes Vorbild
für die Späteren (z. B. Lucan V 128ff. Seneca Ag. 710ff.), die aber V.'s
vornehmes Maß überschreiten, ist glänzend, ohne daß jedoch den aus
griechischer Poesie geläufigen Zügen neue hinzugefügt wären (formell
besonders nahe steht Eurip. Iph. T. 291 f. Ttapriv b' öpäv od TauTCt
liopcpfic (Tx^ctxa '^ non voltus, non cölor unus)', die Belege für das
einzelne (vergl. H. Harries, Tragici graeci qua arte usi sint in insania
describenda, Kiel 1891) sollen daher übergangen werden. — Rhetorische
Mittel sind reichlich verwendet. Auf die starke Bevorzugung des r in
dieser Partie (zur Versinnbildlichung des Tobens und des Gewaltsamen)
weist Maxa 1. c. (Anhang VII) 110 hin: 49 rabie fera corda tument
SO OS rdbidum fera corda domans fingitque premendo 100 ea frena furenti
concutit 102 cessit furor et rahida ora quierunt, wohl auch 54 f. per dura
cueurrit ossa tremor (Sprachmalerei mit r bei Horaz od. III 27, 19 ff.
notiert Kießling). Dann die Alliterationen 4 6 ff. fanti — fores^ 4 7 f.
color — cotwptae — comae^ letztere gesteigert sowohl durch Homoioteleuton,
das durch die Caesuren stark ins Ohr fällt, als auch durch das Wort-
spiel (dasselbe Spiel Tibull IV 2, 10 comptis est veneranda cotnis und
Ovid a. I 1, 20. f. H 560. Pont. III 3, 16). Ferner die Anaphern 47 f.
non — non — non, zweimal die Figur des sogenannten kukXoc (dient nach
Quint. IX 3, 29 der vehementia): 46 deus ecce deus 57 f. cessäs in vota
precesque . . . cessäs (im zweiten Fall die gleichen Worte an gleicher
Versstelle und mit gleichem Accent, dies, weil abweichend von dem
bekannten Brauch, wohl beabsichtigt). Die kommatische Periodisierung
von 47 — 50 sowie der identische Rhythmus von 48 und 49 (non comp-
tae I mansere \\ comae, \ sed pectus anhelum Et rahie \ fera corda j| tument \
maiorque videri) gibt diesen Versen etwas Aufgeregtes wie 11 309 ff. und
mit andrer Caesur IX 807 f. (dasselbe Mittel zu gleichem Zweck öfters
bei Claudian: Birt, Proleg. p. CCXII). Der abrupte Periodenschluß conti-
cuit 54 (am Versanfang) bringt hier wie oft (vergl. 421. 879) ein
besonderes Ethos in den Gedanken: Beispiele aus Vergil bei M. Krafft,
Zur Wortstellung V.'s, Goslar 1887, 27. 29, aus Ovid bei Lüdke, Rhythm.
Malerei in O.'s Met., Stralsund 1878, 33. 1879, 20 (z. B. Ovid m. I 269.
n 144. IX 78. 128).
46, Daß die Wiederholung von deus in den Worten der Sibylle
deus ecce deus auf einem Ritual beruht, scheint aus Ovid m. XV 677 ff.
zu folgen: der Priester ruft bei der Erscheinung des Asklepios en deus
est deus est und das Volk wiederholt diesen Doppelruf (verha geminata).
Ähnliches findet sich aucf sonst. An die Doppelung in äHie TttOpe, aHi€
xaOpe erinnert mich R. Wünsch. Der Bannruf lautet CKCtc CKOic, was
Vergil unten 258 procul o procul übersetzt. In den Beschwörungen
unserer Zauberpapyri ist Doppelung gewisser Worte sehr gewöhnlich,
z. B. pap. Leid. (ed. Dieterich, Jahrbuch f. Phil. Suppl. XVI 1888) p. 802
biä toOto errdKoucTÖv |uou' fibri fibri xaxu xaxu xaxu iva jur) dvaYKaaGuj
xaOxa (die ganze Beschwörung) ex beuxepou Xe^eiv, pap. Paris, ed Wessely,
Denkschr. d. Wien. Akad. XXXVI 1888) p. 69 apxi apxi f\br] r\hY\ xaxu
xaxu, ib. 59 Xete t^iT^l ^^f^ • • • ^^^ Tct dKÖXouöa (Jupicrov öic Kai
TTÖTTTruffov bic. Daher läßt Seneca Oed. 567. 622 bei einer Toten-
beschwörung den Priester die Zauberformel zweimal wiederholen und
VERS 46—53. 137
danach ist vielleicht auch Horaz epod. 17, 6 Canidia, parce vocibus tan-
deni sacris, \ citumque retro solve solve turhinem zu beurteilen. Die
überall zugrundeliegende Vorstellung ist, daß durch die Wiederholung
die Richtigkeit oder Dringlichkeit des Wortes betont werden soll. —
Mit dem Versschluß cui talia fanti vergl. 53 et ialia fata (conticuit) und
den Versanfang 372 talia fatus erat. Dergleichen Formeln hat Ennius
nach dem Vorbild des griechischen Epos geprägt, und Vergil als kon-
ventionelle Floskeln übernommen, oft in einem Zusammenhang, der auch
sonst auf Ennius weist (so V 16 ac talia fatur, worauf das ennianische
magnanimus folgt, s.z. 327); einigemale (V382. X480. XII 295) schließt
er einen Vers atque ita fatur, was sich auch durch die metrische Form
des Versschlusses (va^J_w), noch dazu mit einer an dieser Stelle seltenen
Synaloephe als nicht von ihm geprägte Floskel erweist. — Die gleiche
Art des Versschlusses (über den vergl. Anhang IX 4a) liegt auch in 47
non voltus, non color unus vor; hier ist er durch die Figur der Anapher
bedingt, wie Vergil auch sonst einer Figur zuliebe etwas von der Strenge
seiner metrischen Prinzipien opfert (s. Anhang XI 2). — 49 rahie fera
corda tument. Die Metapher vom xXiibuJV, in den der Wahnsinn die
Menschen versenkt (vergl. Demosth. 19, 314 KXubujv Kai juavia), wie
102 rabida ora quierunt (vergl. IV 523 saeva quierant aeqitora); ebenso
vom Zorn 407 tumida ex ira tum corda residunt (vergl. g. 11 479 maria
alta tumescant . . . rursusque in se ipsa residoMt), wie IL I 646 oibdveTai
Kpabiri, Aesch. Cho. 175 K. Kd)iioi irpocTeaTri Kapbict kXuöuüviov | xo^'ic.
Der bei Vergü sehr beliebte Plural corda (so unten 80. 407) aus alter
Poesie (Ennius a. 392), aber, wie es scheint (s. Maas 1. c. [zu 4] 536. 538),
mit erstmaliger Beziehung auf ein Subjekt statt auf mehrere. — 50 quando
am Versschluß ungewöhnlich, s. Anhang HIB 2, 2. — 51 cessas in vota
«v*^ wie II "4^?- andere in proelia XII 71 arder e in arma X 455 meditari in
proelia 637 ornare in fadem g. III 232 irasci in eornua mit der von
Madvig (op. acad.^ 135 f.) und Leo (zum Culex p. 86) besprochenen
Prägnanz des Ausdrucks, die uns besonders aus Sallust und Tacitus ge-
läufig ist. Servius notiert sie zu VII 445 (exarsit in iras) mit der
Bemerkung: est specialis CorneUi elocutio; da an Fronto kaum zu denken
ist (Naber p. 262, 5), so wird Tacitus gemeint sein, den Servius einmal
als Cornelius Tacitus zitiert. Ähnliche Prägnanz bei ex unten 407, bei
ad z. B. georg. III 257 liumeros ad volnera durat. — vota precesque
formelhafte Verbindung (Liv. praef. a. E. votis et precaiionihus , Hör.
od. rV 5, 13 votis . . . et precibus vocat, carm. epigr. 1549 Buch, vota
precesque, vergl. schol. zu aen. III 261. 438), in welcher der für die
Erhörung des Gebets wesentliche Begriff vorangestellt ist; in dem ge-
sprochenen Gebet kehrt sich naturgemäß die Reihenfolge um (jpreces
56 — 68, vota 69 — 74). — 52 neque enim ante: über die Synaloephen
s. Anhang XI 1.
53 attonitae domus nach Serv. facientis attonitos, ut ^mors pallida'
'iristis senecta' mit jener abscheulichen, z. B. von Lobeck (zu Soph.
Aias^ 73) und Haupt (bei Kießling zu Horaz od. 1 12, 39) bekämpften
Exegese, wonach derartige Attribute einen 'Tropus' bilden sollen. Da
diese Lehre recht alt ist (schon Quintilian VIII 6, 27 kennt sie aus
älteren Quellen, vergl. auch schol. ApoUon. Rh. HI 118), so ist möglich,
138 KOMMENTAR
daß die augusteischen Dichter, schon im Bann der Theorie stehend,
manches derartige bereits als künstliche Redewendung empfunden haben
(s. z. 420), und mit Bestimmtheit darf man das von den späteren
rhetorischen Dichtem behaupten (z. B. Persius 5, 55 cummum pallens,
Martial III 58, 24 albwm otium, Statins s. I 6, 33 marcida vma, Juvenal
7, 206 gelidae cicutae u. s. w.). Aber wie für Homer die ßeXea (TTOVÖevxa
oder die oiCTTOi (TTOVÖevTec und für Lucrez (V 745) der crepitans den-
tibus algor sinnlich vorgestellte Realitäten gewesen sind, so hat auch für
Vergil die attonita domus (wie unten 390 sopora nox 'die schlaftrunkne
Nacht') gelebt. Denn die Vorstellung, daß beim Nahen der Gottheit die
Natur selbst begeistert wird, ist uralt, unserer Stelle nahe verwandt der
berühmte Anfang des kallimacheischen Apollonhymnus, den Vergil III 90 ff.
nachahmt. Hier hat er die Beseelung der Grotte durch ora dehiscent
besonders greifbar gemacht: die Grotte, durch die göttliche Epiphanie
wie vom Donner gerührt und sprachlos, wird erst durch das Gebet des
Aeneas von dem Bann ihrer d|Li(pa(yia gelöst werden und reden (vergl.
auch Henry 240 f.); auch in Delphi war es Glaube, daß die cortina des
Gottes selbst rede (Ovid m. XV 635 ff.). — attonitus vor augusteischer
Zeit unbelegt (Ladewig 6). — Über die Synaloephe magna öra s. Anhang
XI 5. — 54 f. conticuit. gelidus Teucris per dura cucurrit \ ossa tremor.
Über die starke Interpunktion nach dem ersten Choriambus s. u. z. 155;
über die gewählte Stellung der Verben conticuit — cucurrit sowie der Sub-
stantive und Attribute gelidus dura ossa tremor s. Anhang IHA 2 und 3.
Die Worte gelidus — tremor werden fast genau so wiederholt II 120 ge-
lidusque per ima cucurrit \ ossa tremor und XII 447 f. gelidusque per ima
cucurrit \ ossa tremor; da nun VHI 389 f. notusque medullas | intravit
cälor et lahefacta per ossa cucurrit und XII 6 5 f. cui plurimus ignem \
suhiecit ruhor et ealefacta per ora cucurrit mit den sehr seltenen, unten
zu 789 notierten Caesuren gebaut sind, so liegt die Möglichkeit vor,
daß Vergil ennianische Phrasen verwertet hat, und das um so mehr, als
die sehr realistische Ausdrucksweise 'eisiges Beben lief durch die harten
Knochen' (vergl. IX 66 duris dolor ossibus ardet HI 57 pavor ossa re-
liquit V 172 exarsit dolor ossibus i/ngens) der sinnlich-drastischen Diktion
des alten Epos angemessener zu sein scheint als der polierten und mehr
vergeistigten des neuen; ein Vergleich der ähnlichen Phrase IV 101 tra-
xitque per ossa furorem mit 501 f. mente furores concipit scheint mir die
Verschiedenheit archaischen und modernen Denkens und Sprechens deutlich
zu bezeichnen. — Übrigens ist der Eindruck, den die ZißuWa )aaivo|aeviu
6r6\iaTi qpöef YO|iievri auf die Anwesenden macht, nach dem Leben geschildert:
denn derselbe Schauer durchrieselte den Hermas, als er die cumanische
Sibylle sprechen hörte: vis. I 2, 1 iLierd tö \aKY\aa\ amr]V öXoc fiiuriv
TreqjpiKUJC. III 1, 5 eK0a)nßoc eYevöjuriv Kai ibcrei Tpöjuoc lue ^Xaßev
Ktti ai Tpixec |uou 6p9al. — 55 funditque preces rex pectore ab imo.
Der Versschluß pectore ab imo (noch I 485) auch bei Lucr. HI 57 und
Catull 64, 198. Da Catull von Lucrez unabhängig ist, wird Ennius die
gemeinsame Quelle sein, und das um so mehr, als auch fundere preces
ennianisches Colorit hat; denn VH 292 folgen die Worte haec effu/ndit
pectore dicta auf eine ennianische Phrase (quassans caput vergl. Enn. a.
506 iubam quassat) und leiten eine durch Macrobius bezeugte Nach-
VERS 53—56. 139
ahmung des Ennius ein, und ebenso steht VllI 70 efpundit ad aefhera
voces vor einem Enniuszitat.
C. Zwei Wechselreden des Aeneas und der Sibylle 56 — 155,
Diese dialogische Komposition erreicht Vergil dadurch, daß er den Aeneas
einen wesentlichen Teil des Sibyllenorakels (77 ff.) durch die vota, die
er ihm in den Mund legt (6 9 ff.), vorwegnehmen läßt. Denn was Aeneas
hier im voraus gelobt — Tempel, Spiele, Deponierung der Sprüche
(unter der Statue des Apollo: Suet. Aug. 31) — , das gehört nach dem
typischen Stil der Orakelpoesie als Bedingung für die Erfüllung des
Orakels eigentlich in das Orakel selbst. So stellt Eusebios pr. ev. V 12 ff.
(aus Porphyrios) Orakel zusammen, in denen die weissagenden Gottheiten
(bezw. ihre Prophetinnen) sich Statuen ausbedingen, meist auch mit
Angabe des Materials: wie bei Euseb. 13, 4 Hekate sich ein aYaX|Lia
TTapioio Xiöou ausbedingt, so läßt Vergil den Aeneas geloben 69
soUdo de marmore templii/m. Solche Orakel haben wir noch inschriftlich
(ep. 1034, 29 f. Kaibel, und bei Buresch, Klaros 28 f.). In den Sibyllen-
orakeln bei Phlegon mir. 10 und Zosimos II 6 (= Diels p. 114, 55 f.
63 f.; p. 134) befiehlt die Sibylle selbst, den betreffenden Gottheiten ein
Standbild, einen Tempel und Spiele zu weihen, d. h. also dasjenige, was
Vergil hier den Aeneas der Sibylle im voraus geloben läßt. Durch diese
Verteilung des Stoffes auf zwei Sprechende erreicht er große dramatische
Lebendigkeit.
1. Gebet und Gelübde des Aeneas 56 — 76 in zwei Abschnitten:
a) Gebet 56 — 68, b) Gelübde 69—76. Der erste Abschnitt (das Gebet)
ist dreiteilig: a) Gebet an Apollo 56 — 62, ß) an die übrigen Götter
63 — 65 Bardaniae, y) an die Sibylle 65 tiique — 68. Der erste dieser
Teile (a) besteht, dem Gebetstil entsprechend, aus einer großen Periode:
der Vordersatz 56 — 60 ist ein rpiKuuXov (Phoebe 56 — lahores 56, Dar-
dana 57 — Äeacidae 58, magnas 58 — arva 60, das letzte kujXov mit drei
KÖ)Li|LiaTa: magnas 58 — te 59, penitus 59 — gentis 60, praetenta 60 — arva
60), der Nachsatz 61 — 62 ein bkiuXov (die Glieder mit den Versen
zusammenfallend). Der zweite dieser Teile (ß) ist ein biKUüXov (vos
63 — genti 63, di 64 — Bardaniae 65), der dritte (y) ein rpiKiuXov {tu
65 — venturi 66, non 66 — fatis 67, da 66 — Troiae 68, und zwar das zweite
kujXov als Parenthese in das dritte eingeschaltet und das dritte wieder
drei i^6\X)X(iia in sich enthaltend: Teticros^ deos, numina). Der zweite
Abschnitt (das Gelübde) ist ebenfalls dreiteilig: a) Gelübde an Apollo
und Hekate 69 — 70 (|iOVÖKUjXov mit zwei KÖ)a|LiaTa), ß) Gelübde an die
Sibylle 71 — 74 viros (ipiKUjXov: te 71 — nostris 71, hie 72 — ponam 73,
lectos 73 — viros 74), y) Bedingung für Erfüllung des Gelübdes 74
foliis — 76 oro (rpiKuuXov: foliis 74 — manda 74, ne 75 — ventis 75, ipsa
76 — oro 76). Die Partie endigt mit der Floskel 76 finem dedit ore
loquendi. — Das feierliche Ethos dieser Eede des ruhig am Altare
stehenden (124) Aeneas kontrastiert schön zu dem Pathos der sie um-
rahmenden Worte der maßlos erregten Sibylle (45 — 53, 83 — 97); auch
die Rhythmen fließen im Gegensatze zu 46 ff. ruhig dahin, und die vollen
langen Perioden bilden einen wirkungsvollen Gegensatz zu den zer-
stückelten in 83 ff.
56 Troiae wechselt mit 57 Bardana 62 Troiana 63 Pergameae
140 KOMMENTAR
64 Ilium 65 Dardaniae 72 Teucros. Dieser Wechsel ist hauptsächlich durch
metrische Bequemlichkeit bedingt, nebenbei auch durch die Absicht stili-
stischer Variation; vergl. über letzteres Moment schol. Dan. zu II 230
sacrum rohurj notandum quot nomimbus limic equum appellet: lignum,
macJiinam, monstrwm, dölum, pinea claustra, donum, molem, equum, sacrum
rohur. — 57 direxti. Die synkopierten Formen dieser Art haben für
CatuU noch volles Leben, aber sie galten ihm bereits für vulgär (vergl.
precesti = praecessisti carm. epigr. 1292 Buch.), da er sie nie im Epyllion
braucht. Auch die Augusteer müssen so geurteilt haben, denn Horaz
braucht sie nur in den Sermonen, Properz und Ovid haben sie nach der
Zusammenstellung Fr. Neues, Formenl. d. lat. Spr. IIP 500 ff. nur je ein-
mal (Prop. I 3, 37, unsicher ib. 27, Ovid her. 11, 59). Dagegen hat
Vergil sie für würdig des hohen Stils erachtet: er hat außer direxti noch:
accestisl 201 exstinxem lY QOß exstinxti lY 6S2 traxeY 7S6 vixetXIllS.
Würde er nun diese von ihm sämtlich (nachweisbar oder indirekt er-
schließbar) alter Poesie entnommenen Bildungen als vulgär empfunden
haben, so hätte er sie nicht gebraucht: er empfand sie also (wie die zu
24 besprochenen Synkopen) als archaisch, ein deutlicher Beweis für die
Tatsache, daß beides oft zusammenfällt und erst die Umgebung das eine
oder andere Kolorit bestimmt (s. z. 337. 524). Daher hat Vergil diese
Formen nur in der sprachlich archaisierenden Aeneis und zwar nur in
Reden; an unserer Stelle erhöht er durch sie, wie durch das bezeugter
Maßen aus Ennius entnommene, gleich folgende repostas 59 (s. z. 24) die
Feierlichkeit des Gebets, wie Livius grade auch in Gebeten die archaischen
Formen seiner Vorlagen oft beibehält. Analog braucht er in hochfeier-
licher Rede VIII 274 die für Ennius belegte Form porgite.
5 7 f. qui Paridis direxti tela . . . | corpus in Äeacidae. Daß Apollo
den Pfeil des Paris 'gelenkt' habe, scheint direkt nur hier zu stehen,
denn Ovid m. XII 593 ff. kann von Vergil abhängig sein; aber Vergil (oder
eine Mittel quelle) deutete damit richtig die Intention von X 359 f. öre
Kev (Je TTdpic Kai Ooißoc 'AttöWuuv | ecröXöv eövr' oXecToucTiv. — corpus in
Äeacidae. Die Stellung der Praeposition zwischen Substantiv imd (attri-
butivem) Genetiv ist ungewöhnlich, in der Aeneis nur noch IV 257 litus
harenosum ad Libyae 671 cuhnina perque hominum volvontur perque
deorum VII 234 fata per Äeneae IX 643 gente suh Assaraci (nach Bolten-
stem 1. c. [z. 17] 16), also stets am Versanfang und meist zur Schaffung
von Daktylen oder zur Vermeidung ungewöhnlicher Synaloephe. — 59 tot
maria intravi duce te. Tot rhetorisches multa; Beispiele aus Lucan bei
Diels, Abh. d. Berl. Akad. 1885, 11. — duce te ganz eigentlich: Apollo
zog dem Aeneas, den Vergil der Legende gemäß durchaus als oiKiCTTfipa
'liaXiac versteht, als dpxilTeTric (vergl. Pind. P. 5, 56) voraus. — Mas-
sylum gentes. Diesen numidischen Stamm scheint Vergil in die poetische
Sprache eingeführt zu haben (vergl. IV 483 Massylae gentis), doch wohl
nur deshalb, weil der Genitiv Numidarum ohne Synaloephe nur am
Versende brauchbar, von dort aber nach den Gesetzen des entwickelten
Hexameters verbannt war (ein anderes Ersatzmittel IV 320 Nomadumque
tyranni, wie JS'omas bei Martial für Numidia u u ^^ u). — praetenta Syr-
tihus arva. Die Nennung des verrufenen Küstenstrichs (vergl. Hör. I 22,
5, Plinius n. h. V 26) ist ein vpeOboc, das die antike Rhetorik also nicht
VERS 56—69. 141
einmal im Gebet verpönte (s. auch z. 110 ff.): Aeneas hat ihn in Wahr-
heit nicht betreten, sondern ist bei Karthago gelandet. — Syrtibus Dativ:
xd TTapareivovTa xaic Zupxiai Ttebia. — arva KaraxpriCTTiKiJUC vom
sandigen Strand wohl nicht vor Vergil (ebenso 11 209). — 61 Italiae, mit
der Messung <j <u ^ - für den Hexameter unbrauchbar, wurde nach Kalli-
machos' Vorgang (W. Schulze, Quaest. epic. 1541), mit der Messung
_ v^ w _ vielleicht erst von den Neoterikem in die lat. Poesie eingeführt
(Ersatz Hesperia: s. z. 6, und Ausonia^ z. B. unten 807); Italwum _ w _ w
CatuU 1, 5; Itala _ w u wagt Vergil erst an späten Stellen: in 185.
Vn 643. IX 698 (überall im fünften Fuß), worin ihm Ovid folgt, während
Horaz ('carm.) die Licenz auf andere Endimgen als die auf -a beschränkt.
In Sicilia wagt Vergil das gleiche Mittel nicht (so wenig wie irgend ein
lateinischer Dichter), sondern ersetzt es durch Trinacria oder umschreibt
mit Siculae telluris — orae, Siculis regionibus — arvis; dagegen nach dem
Vorgang des Epos (uü 307) Sicaniac — o — um _ «^ w _ xmd am Versschluß
mit latinisierter Paenultima w Sicäni — ae — os. Vergl. auch Hosius
1. c. (zu 4). — 62 hac — tenus in Tmesis wohl zuerst hier (dann Ovid m.
V 642). — Fortima secuta enniani scher Versschluß (a. 299). — Die
gewählte Allitteration Troiana tenus fuerit Fortuna (Schema aabb) steigert
den Affekt in diesem den ersten Teil des Gebets abschließenden Vers. —
64 dique deaeque onmes = g. I 21 (wohl daraus Prop. III 13, 41). Wegen
des bei Ennius beliebten -que -que (s. z. 336) wohl formelhaftes älteres
Gut. — 64 f. quibus öbstitit Ilium et ingens \ gloria Dardaniae. Mit ob-
stitit wählt der Betende einen vorsichtigen Ausdruck: er meint den Neid
der Götter. — Tlium. Vergil braucht nur die neutrale, dem homerischen
Epos noch fremde Form, und zwar stets mit lateinischer Endung; da-
gegen meiden die anderen Augusteer Ilium ganz zu Gunsten von Ilion,
Ilios. Aus der Art der Synaloephen, in die er Ilium zu stellen ge-
zwungen ist, wird im Anhang XI 1 Entlehnung wahrscheinlich gemacht
werden. — 66 praesda Neubildung V.'s nach inscius; neu auch indebitus,
etwa nach immeritus. — 66f. (?a . . . cansidere Teucros. Bare c. inf. wie
unten 697 u. ö., in Poesie so nicht vor V. (anders Lucr. m 1030 iter-
que dedit legionibus ire per altum\ nach griechischem Vorbild (böc
c. inf. oft grade in Gebeten), aber in der Konversationssprache schon
vor V. üblich: zu schließen aus Varro 1. 1. IX 10 dant c. inf. wechsebid
mit c&nceditur und Horaz ep. I 11, 61 da mihi f allere. Vergl. Servius zu
I 319 dederat comam diffu/ndere ventisj ut dijfunderetur. graeca autem
figura est . .. umde 'da bibere' usus obtinuit. — non indebita posco \ regna
meis fatis. Fatis Ablativ nach VII 120 fatis mihi debita tdlus (Deuticke). —
68 errantisque deos wird durch agitataque nu/mina stilistisch variiert
(s. z. 25), letztere Floskel aus diesem Grunde sowie wegen des feierlichen
numina und des bei älteren Dichtern beliebten Frequentativs agitare
möglicherweise durch archaische Poesie beeinflußt.
69 ff. Gelöbnis eines Tempels und Festes für Apollo und Diana
sowie einer Deposition der sibyllinischen Orakelsprüche daselbst. Servius:
ut solet, miscet historiam, nam hoc templum in Palatio ab Äugusto factum
est. sed quia Augustus cohaeret lulo, qui ab Aenea dudt originem, vult
Augustum parentum^ vota solvisse. Daß V. wirklich an den Palatinischen
Apollotempel denkt, nicht an den alten, infolge einer sibyllinischen
142 KOMMENTAR
Sühnung im Jahre 433 v. Chr. auf den Flaminischen Wiesen erbauten
(Livius IV 25, 3, vergl. Diels 82), beweisen die Worte soUdo de marmore
iemplum. Der Tempel war nur dem Apollo geweiht, doch stand, wie
Heyne bemerkt, nach Prop. III 31, 15 seine Statue zwischen denen der
Latona und Diana; letztere wird hier (als (Tuvvaoc) mit genannt, weil
sie in den sibyllinischen Prokurationen der gleich (73 f.) erwähnten
XVviri mit Apollo unlöslich verknüpft war (acta ephigr. VIII Z. 139 ff.). —
Auch bei den ludi Apollinares (70) dachte der zeitgenössische Leser
weniger an die im J. 212 auf Grund eines sibyllinischen Orakels ein-
gerichteten (Livius XXV 12), als an die neuen von Augustus schon
während des ganzen ersten Decenniums seines Prinzipats geplanten ludi
saeculares, die vor allem dem Apollo und der Diana galten. — Die
enge Verknüpfung der Sibylle mit Apollo wurde von Augustus auch
äußerlich dadurch hergestellt, daß er die bisher im capitolinischen Jupiter-
tempel aufbewahrten sibyllinischen Bücher nach Einweihung des Apollo-
tempels (9. Oct. 28) unter der Basis der Apollostatue deponieren ließ
(Suet. Aug. 31 vergl. Tibull II 5): das sind die 71 genannten magna
penetralia (Übersetzung von jueYCcpa). Denn mag auch die Deposition
selbst erst von Augustus als Oberpontifex vollzogen worden sein (Sueton
1. c), so haben wir doch, wie in analogen Fällen (vergl. Neue Jahrb. f.
d. klass. Altert. VII 1901, 276) das Recht, den Plan als solchen zurück-
zudatieren, um so mehr als schon Tibull II 5, 17 die sibyllinischen
Bücher in engster Verbindung mit dem neuen Apollotempel nennt. Die
ganze Partie bietet mithin besonders deutliche Beispiele für die in der
Aeneis typischen Projektionen der Vergangenheit in die Gegenwart. —
72 hie ego namque: über die Inversion der Partikel s. Anhang HIB 3.
— 7 4 ff. eine Kautel hinsichtlich der Art der erbetenen Prophezeiung;
mündlich, nicht auf Blättern. Dabei ist vorausgesetzt, daß der Leser
sich eriimert, was III 441 ff. darüber dem Aeneas von Helenus gesagt
wurde. — Ob Vergil die Losorakel auf Palmblättem noch gesehen
hat oder sie nur aus Varros antiquitates kennt, die Servius zu 74 und
in 444 dafür zitiert, läßt sich nicht sicher entscheiden, vergl. Diels
56, 4, der auch den Brauch behandelt (vergl. noch aus der Zauber-
literatur pap. Paris, v. 2206 ed. Wessely: im xpTl|iiaTi(J)uiuj €ic qpuWov
ödcpvrjc e7riYpan;ov ktX. ib. 2232 Xaßujv cpuXXa |iiupaivTic eTTiYpaqpe
ktX.). — tantum im Gebet wie VIII 78 adsis o tcmtitm ae propius tua
numina firma (dieser Vers in ennianischer Umgebung); ebenso |liövov. —
ne manda: über ne mit dem Imperativ s. z. 544. — carmma "^Orakel-
verse': Diels 26, 2. — 76 finem dedit ore loquendi ennianisierende Floskel:
s. Anhang I 2.
2. Prophezeiung der gotterfüllten Sibylle 77 — 97. Zwei
Abschnitte: a) Die eKCTTacTic 77 — 82 (a. Vergewaltigung der Sibylle
durch Apollo 77 — 80 in zwei TpiKUjXa: at — patiens, immanis — vates,
magnwm — deum; tcmto — räbidum, fera — domans, föngit — premendo. ß. Öff-
nung der Ostia 81 — 82 in einem biKiuXov: ostia — sua, vatis — auras).
b) Die Prophezeiung selbst 83 — 97 (a. TpiKiuXov 83 — 86 volenti o — peri-
clis, in — venient, sed — volent mit zwei Parenthesen: sed — manent, mitte —
euram. ß. ihovökuuXov 86 hella — 87 mit drei KO^jiaia, deren jedes das
vorhergehende mit malerischem Effekt an Länge überragt, f. xeipd-
VERS 69—77. 143
kujXov 88 — 92: non — defuerint mit den drei Begriffen Simais Xanthus
Dorica castra; alius — dea; nee — aberit; cum — urbes mit zwei KÖ)a|uaTa.
ö. juovÖKOuXov 93 — 94 mit zwei KÖ|Li)LiaTa, durch Halbvers unvollständig.
€. zwei TpiKUüXa 95 — 97: tu — malis, sed — ito, quam — sinet; via — salutis,
quod — reris, Graia — urhe).
77 — 80. Die Sehergabe ist ein Geschenk des Gottes, aber ein
furchtbares, das er dem Menschen aufdrängt (juavToaOvai dvdYKai Eurip.
Iph. A. 757). Das wird durch die Figur der dXXr|Yopia, d. h. einen
fortgesetzten Vergleich (von Cic. de or. III 167 als magnum ornamentum
orationis bezeichnet) wirkungsvoll ausgeführt. Die Sibylle wird mit einem
widerspenstigen Roß, Apollo mit dem Reiter verglichen, der es zähmt
(Sibyllam quasi equum, Apollinem quasi equitem indudt et in ea permanet
translatione , Servius); aus dieser Sphäre sind alle Ausdrücke gewählt.
Patiens 77 oft von Tieren, die sich die Zucht gefallen lassen, so VIT 490
von einem Hirsch manum patiens (x€ipor|9Tic), vom Pferd Sueton, div.
lul. 61 sessoris patiens vergl. frenos pati Phaedr. IV 4, 9 und domans
unten 80. Excutere 79 vom Abwerfen XI 615. 640. Livius VH! 7, 10.
F atigare 79 vergl. XI 714 quadrupedemque dtu/m ferrata cälce fatigat.
Fingere 80: Hör. ep. I 2, 64 fingit equum . . . magister, Varius de morte
bei Macrob. VI 2, 19 insultare docet campis föngitque morando: dieser
Versschluß des Varius, aus dem er unten 621 f. zwei ganze Verse fast
wörtlich zitiert, schwebte Vergil hier bei seinem Versschluß fingitque
premendo vor, wie schon g. H 407 fingitque putamdo. Premere vom straffen
Anziehen der Zügel, vergl. I 63 et premere et laxas sdret dare iussus
habenas XI 599 f. fremit aequore toto \ insultans sonipes et pressis pugnat
Jmbenis. Frena 100. Concutere 101 vergl. VHI 3 acris concussit eqiios,
V 147. Stimuli 101 Kevxpa. Das bedeutende Bild hat Vergü nicht
erfunden (s. auch z. 570f.^: bei den Tragikern wird der Rasende oft mit
einem gepeitschten oder gestachelten Rosse verglichen, z. B. Orestes bei
Eurip. Iph. T. 934. 10. e'fvuuKa, \xr\Tp6c a' oüveK' rjXdaxpouv Geai.
OP. uj(T6' ai|LiaTTipd CTÖ|iid y' e|nßaXeiv e)ioi, Or. 44 f.: wenn ihn die
Krankheit packt, bejuviujv drro j Tir]ba bpojuaToc, ttujXoc uüc dirö Iv^ov,
und viele andere Stellen bei v. Wilamowitz zu Eur. Her.^ S. 12. 195 f.
217, wo auch unsere Stelle zitiert ist. Der Schaum vor dem Mimde
der Kdxoxoi (z. B. Evirip. Or. 21 9 f.; Lukian, Alexand. 12) und der rasenden
Stuten (z. B. Vergil selbst g. IH 250 ff. wahrscheinlich nach Euphorien)
scheint das tertium comparationis gewesen zu sein (Vergil sagt hier mit
Zurückhaltung 80. 102 os rabidum), von dem aus der Vergleich sich zu
einem Bilde erweiterte. Nicht einmal die Übertragung des Vergleichs
grade auf die Sibylle, die |Liaivo)LievLU (JTÖ|LiaTi prophezeite, scheint Vergils
eigne Tat gewesen zu sein, denn zu Anfang des dritten Buchs unserer
Sibyllinensammlung (also des ältesten Teiles, saec. U a. Chr.) kommt das-
selbe Bild vor (4 f.) dXXd xi ^0l Kpabiri irdXi TrdXXexai r\b4. Ye eu)iiöc|
TUTTTÖiuevoc iLidffTiTi ßidZ^erai evboGev aiibfjv | dtTeXXeiv TidviecrcTiv.
Wir werden gleich noch andere Berührungen Vergils mit unserer Samm-
lung und anderer Orakelpoesie finden.
Wir haben hier der Tatsache zu gedenken, daß, wie von mir im
Hermes XXVin (1893) 506 ff. gezeigt worden ist, diese Partie einmal
eine andere Fassung gehabt hat. Aus Senecas dritter Suasorie (4 ff.)
144 KOMMENTAR
wissen wir, daß unter den Rhetoren der augusteischen Zeit sich ein
Vergilvers großer Beliebheit erfreute, der von einer fvvx] evGeoc sagte
plena deo; Ovid, der großen Gefallen daran hatte, habe diese Worte in
seine Tragödie übernommen: feror huc illiic, vae plena deo. Daß jenes
plena deo auf die Sibylle zu beziehen sei, hat schon Leo (Seneca I
166, 8) gesehen; tatsächlich tritt bei Vergil nirgends sonst eine Prophetin
auf (Kassandra wird stets nur ganz nebenbei genannt). Die Annahme,
daß der Vers ausgefallen wäre, hätte angesichts der Vorztiglichkeit unserer
Überlieferung keine Wahrscheinlichkeit; überdies wäre dem Vers in der
uns vorliegenden Passung ohne Störung des Zusammenhangs kaum eine
Stelle anzuweisen. Also hat diese Stelle einmal eine andere Passung
gehabt, die in der augusteischen Zeit durch Rezitationen vor der Edition
(solche werden für Vergil bezeugt von Sueton in der vita p. 62 ReiflF.)
bekannt und besonders berühmt war. Der Grund dieser Berühmtheit
läßt sich nur mehr vermuten. Die Sibylle, die Vergil der allgemeinen
Überlieferung gemäß virgo nennt 45. III 445, ist plena deo. Mit diesem
Ausdruck wußte ich Hermes 1. c. 510 nur zu vergleichen irepi üvpouc
13, 2 (die Pythia ist eYKU|UUJV Tf^c baijuoviou buvd|LteuJc) und einige
Stellen des Nonnos (paraphr. ev. Job. III 53 0e(yTre(Jiric ^ykuov ö|Li(pfic
u. ö.), kann das aber jetzt tiefer begründen. Der Gott 'liebt' seine
Propheten und macht sie seines Geistes voll: oubeva y^P ev6ou(Tia(y)iiöv
aveu TTic epuJTiKfic etriTTVoiac aujußaivei TeYevfidGai sagt Hermias (zu
Plat. Phaedr. p. 105 Ast) in richtiger Formulierung des platonischen
Gedankens. Daher nannte sich die erythraeische Sibylle Y^vaiKtt YöM^TtlV
Apollons (Pausan. X 12, 2) und galt die thebanische Seherin Manto
einigen als sein Weib oder seine Geliebte (Apollod. bibl. epit. p. 214
Wagn. u. a.), vergl. 0. Immisch in Roschers Lex. II 2327; den Branchos
e(pi\ricrev epaaGeic 'AttöXXujv . . ., 6 öe eH 'AttöXXujvoc eTrirrvouc |Liav-
TiKfjc Y^YOvdJC . . . e'xpa (Conon 33). Kassandra, die judvTic KÖpa (Pindar
P. 11, 33), kann ihm zwar die Gunst ihrer körperlichen Liebe verweigern,
aber dafür kommt sein Geist über sie; das gleiche Geschick ist der
cumanischen Sibylle widerfahren (Ovid m. XIV 132 ff.). Von der del-
phischen Prophetin sagt Origenes c. Geis. VII 3 (vol. XX 4 Lommatzsch)
icTTÖpTiTai irepi ific TTueiac ... öti 7repiKa9eZ;o)Lievri tö ttic KaCiaXiac
(5i6\x\ov r\ ToO 'AttöXXujvoc irpoqpfiTic bexcTai 7revO|ua biet tujv Y^vai-
Kciujv köXttuuv ou 7rXTipuj0ev(ja diroqpGeYYeTai tci . , . aejuvd Kai Geia
)LiavTeu)LiaTa, worüber er sich lustig macht, ohne zu bedenken, daß es
eine verwandte Vorstellung ist, wenn Elisabeth beim Anblick der Maria
ihr Kind im Leibe hüpfen fühlt und in prophetische Lobgesänge aus-
bricht (ev. Luc. 1, 41 ff.). Wenn Aeschylos die Semele als eine Schwangere
prophezeien und die ihren Leib berührenden Frauen ebenfalls der Gabe
der Prophetie teilhaftig werden ließ (schol. Apoll. Rh. I 636), so war das
wohl nicht bloß die Macht des mantischen Gottes, den sie trug. Denn
mit unverhüllter Deutlichkeit ruft ein yÖtic des IV Jh. n. Chr. den
Hermes an, um ihn in sich hineinzuzaubern : eXöe |aoi KUpie 'Ep)iifi ibc
xd ßpecpri eic rdc KOiXiac tujv Y^vaiKUJV (Greek papyri in the Brit. Mus.
ed. Kenyon 1893, 116). Wie geläufig der Glaube war, zeigt die Tatsache,
daß man sogar eine absurde Etymologie auf ihn bauen konnte: Cumas
vocarwnt ... a gravidae mulieris augurio quae graece ^ykuoc dicitur
VERS 77—78. 145
(Servius zu VI 2). Daher lieben es auch lateinische Dichter, epouTiKCt
övöjuaTa von der Sache zu brauchen, so Lucan V 97 von der pythischen
Priesterin: hoc uhi virgineo conceptum est pectore numen (vergl. ib. V 163 ff.
Ovid f. I 473), und das muß man im Auge halten, um einzelne Aus-
drücke an unserer Stelle zu verstehen: 77 Phoehi nondum patiens, 80
domare, premere. Da ist, wie wir sahen, die Sibylle zwar zimächst als
ungeberdiges Roß gedacht, das den Beiter nicht dulden will, aber die
Amphibolie dieser Ausdrücke ist durchsichtig und man glaubt zu erkennen,
daß von der aus Eezitationen bekannten Fassung dieser Stelle zu der
uns vorliegenden deutliche Fäden laufen.
77 m antro. Dagegen war sie 47 ante fores. Also ist sie unter-
dessen hineingegangen, was Kaia TÖ criiuTra)|Lievov zu ergänzen ist, s. o.
S. 119. Vergil macht von diesem Mittel — nach dem Prinzip, daß der
Epiker semper ad eventum festinat (Hör. a. p. 148) — oft Gebrauch, s. z.
13. 156flF. 200. 220ff. 385. 678 (lehrreich U 458, wo unerwähnt bleibt,
daß Aeneas in das Haus gegangen, und VII 667, daß ein Wagenkämpfer
vom Wagen gestiegen ist). Schon dem homerischen Epos ist diese Praxis
geläufig (vergl. E. Eohde, Kl. Schrift. U 264 f.); sie wird von Aristarch
oft notiert (z. B. zu TT 432 TToXXd KttTCt (Tu)i7repa(J|ua Xeyei 6 rroiriTric
(JiuJTTUJiievuuc fCTOVÖTa, vergl. Lehrs, De Arist. stud. Hom.^ 336), und
nach diesem Muster auch von den Vergilscholi asten (z. B. zu a. I 223.
234. II 668. X 238. 543). — 78 f. magnum si pectore possit excussisse
deum. Den perfektischen Infinitiv nennt Servius z. d. St. eine graeca
ßgura, faßt ihn also aoristisch. Das ist richtig, aber Vergil hält sich
in diesem Fall doch noch innerhalb des auch für lateinisches Fühlen
Möglichen: die Sibylle sieht im Geiste ihren Versuch, sich von dem Gott
zu befreien, bereits als gelungen, ihren Wunsch als erfüllt an. Also
nähert sich der Gebrauch des perfektischen Infinitivs hier der bekannten
echt lateinischen Konstruktion bei negiertem teile {id ne quis fedsse vellet
u. dergl.), über die nach Madwig (opusc. acad. alt. 120flF.) und Haupt
(bei Beiger 2 33 f.) besonders gut H. Ziemer, Junggramm, Streifzüge (Col-
berg 1882) 77 f. gehandelt hat (vergl. auch Köne 156. 168. 224); daher
konnte bei posse schon Plautus einmal diesen Infinitiv brauchen: aul. 828
non potes prohasse nugas. Ähnlich ist bei Vergil HI 606 si pereo, homi-
num manibus periisse iuvahit und X 625 Jiactenus induisisse vacat, wo
nicht einmal metrische Bequemlichkeit wie bei excutere die perfektische
Form empfahl. Dagegen ist ganz in griechischer Manier schon g. III 435 f.
ne mihi tum mollis sub divo carpere somnos \ neu dorso nemoris libeat
iacuisse per herhas, dies überhaupt das frühste Beispiel dieser Art, in-
sofern wichtig, als es zeigt, daß Tibull, bei dem grade auch der Wechsel
der beiden Zeitformen innerhalb eines Satzes so oft begegnet, nicht als
der Erfinder der Manier gelten darf. Vermutlich war der erste Schritt
die Übertragung von negiertem velle auf nicht negiertes: zuerst Lucrez III
69 effugisse volunt longe longeque remosse, dann Catull 69, 2 vdit tenerum
supposuisse femur^ ähnlich auch Vergil selbst unten 86 non et venisse
volent; von da griff dann die Analogie weiter. Vergil macht nur selten
Gebrauch von der Freiheit: außer an der Stelle der Georgica setzt er
perfektischen Infinitiv neben präsentischen nur noch a. III A29&.praestat ...
lustrare et circumflectere . . . quam mdisse X 14 tum certare odiis, tum
Vergil Buch VI, von Norden. IQ
146 KOMMENTAR
res rapuisse licebit 55 f. quid pestem evadere helU \ iuvit et Ärgölicos
medium fugisse per ignes.
81 f. Ostia iamque domus patuere ingentia centum \ sponte sua. Über
die Verteilung von ostia — centum auf Versanfang und Versschluß siehe
Anhang IIIAl; über die Inversion von iamque ebd. HIB 3. — sponte
sua, mit Umkehrung der in Prosa bis auf Augustus (mon. Anc. 5, 4 sponte
sua) allein üblichen Wortfolge, empfahl sich den Epikern des Daktylus
wegen, so daß es gradezu etwas Besonderes ist, wenn Lucrez 11 1092
sua per se sponte sagt (vergl. auch Wölfflin, Arch. f. Lex. X 1898, 138). —
Daß sich beim Nahen der Gottheit die Pforten des Tempels wie von
ejner unsichtbaren Hand öffnen, ist eine geläufige Vorstellung, am be-
kanntesten aus dem Prooemium des kallimacheischen Apollonhymnus (6 f.) :
auTOi vöv KttToxfiec dvaKXivecrGe rruXduuv, 1 auxai be KXrjTbec" 6 y^P
0eöc OUK eil )aaKpr|V (vergl. schon € 749. Eurip. Bacch. 447 f.); auch
in römischem Glauben: Val. Max. I 8, 1 von der aedes des Castor: nullius
homi/num manu reserata patuit, Obsequens 13 in aede penatium valvae
nocte sua sponte adapertae, id. 67. Wenn es bei Vergil ausdrücklich
heißt, daß die Pforte sich erst auf das Gebet öffne (52 f.), so macht
Servius dazu die Bemerkung: trahit hoc de matris deum templo, quod non
manu sed precihus aperiebaiur. Diese, wie es scheint, vom Kybeletempel
sonst nicht überlieferte Vorstellung hat grade in orientalischer Super-
stition ihre Analogieen: in dem großen Pariser Zauberpapyrus 1. c. (z. 46)
p. 5 9 f. findet der zum Himmel Entrückte die Tore verschlossen, die sich
erst auf die von ihm gesprochene euxn öffnen, und ähnlich hat die Seele
in der ophitischen Gnosis an jedem der sieben Sphärentore eine Gebets-
formel zu sprechen, worauf das Tor sich öffnet (Origenes c. Geis. VI 31).
Dieser Vorstellung liegt der Völkergedanke zugrunde, daß das Gebet
nichts anderes ist als eine Art von Zauberformel, durch welche die
Dämonen zu erscheinen und den Menschen zu Willen zu sein gezwungen
werden können; denn daß der Zauberer durch eine magische Formel
verschlossene Türen zu offen vermag, ist ein bekannter Aberglaube, für
den es auch antike Zeugnisse gibt (Apul. met. I 14; pap. mag. Leid.
1. c. [z. 46] p. 803; pap. mag. Berol. ed. Parthey in: Abh. d. Berl. Ak.
1865, 122).
83 — 97, Daß Vergil den Inhalt der nun folgenden Prophezeiung nicht
erfand, sondern Motive eines ihm vorliegenden Sibyllenorakels benutzte,
werden noch aus unseren Orakeln belegbare, bei den betreffenden Versen
(s. auch z. 102. 153 f.) anzuführende Züge bew'eisen. Dasselbe ergibt
sich auch aus der Tatsache, daß die Weissagung der Sibylle bei Vergil
sich nicht bloß sachlich in den Hauptpunkten (Irrfahrten, Kriege in
Italien, Bettung), sondern auch in einer zu 88 notierten Einzelheit mit
der sibyllinischen Weissagung bei Tibull II 5 eng berührt, ohne daß
eine Abhängigkeit Tibulls bestände, der die Weissagung über den Rahmen
der vergilischen ausdehnt (Roms Gründung). Dieses Orakel scheint, wie
die sachliche Übereinstimmung in den Hauptpunkten schließen läßt, auf
Grund der berühmten Episode in Lykophrons Alexandra (1226 — 1282),
wo die Irrfahrten und die Rettung des Aeneas prophezeit werden, ver-
faßt und Vergil wie Tibull aus einer gemeinsamen Quelle (Alexander
Polyhistor?) bekannt gewesen zu sein. (Bei dieser im Ganzen wohl
VERS 81—87. 147
richtigen, im Detail unsicheren Kombination lege ich die besonders von
Leo in den Philol. Unters. 11 1881, 10 vei-tretene Ansicht zugrunde, daß
auch bei Tibull die cumanische Sibylle dem Aeneas das Orakel gibt.
Die entgegenstehende, von Maaß, Hermes XVIII 1883, 324ff., vergl.
Robert ebd. XXII 1887, 454ff., aufgesteUte Behauptung, daß Tibull viel-
mehr die trojanische Sibylle meine, halte ich für unrichtig, u. a. des-
halb, weil Maaß 1. c. 337 f. und im Greifswalder Prooemium 1886/7 p. XV f.
dadurch gezwungen wird, sowohl einen Irrtum TibuUs anzunehmen, als
auch die Prophezeiung der cumanischen Sibylle an Aeneas für eine Fiktion
Vergils zu halten; beides scheint mir aber der Arbeitsweise dieser Dichter
zu widersprechen.)
83 — 86. Der durch die beiden Parenthesen aufgelöste, die Erregung
malende Satzbau gehörte zum Stil der Sibyllinen, vergl. Diels 64 über
das alte sibyllinische Orakel bei Phlegon: „Aufgeregte Stimmung spricht
sich durch Parenthesen aus." Auch Aeschylos Ag. 1061 ff. K. läßt Kassan-
dra in kurzen, abgerissenen Sätzen orakeln. Man vergleiche für den
Eindruck Ovid m. XIV 108 ff., wo er in Nachahmung unserer Stelle die
Sibylle in wohlkadenzierten Perioden sprechen läßt. Dagegen hat
Statins s. IV 3, 124 f. das Ethos dieser Stelle besser verstanden. —
83 periclis: Die Synkope ist nach K. Wotkes Zusammenstellungen
1. c. (z. 24) 137 f. in keinem Woi-t häufiger als diesem: 15 mal und zwar
stets am Versschluß. In hexametrischer Poesie für uns zuerst Lucrez,
ebenfalls mit Beschränkung auf die letzte Versstelle. — 84 sed terrae
graviora manent. Terrae MP, terra R, Servius kennt beide La. Die
zweite ist interpoliert, weil der Genitiv nicht verstanden wurde. Wagner
dachte an lokativischen Gebrauch, aber die von ihm angefahrten Bei-
spiele sind andersartig (s. z. 652). Also ergänzen andere aus den unmittel-
bar vorangehenden Worten pelagi magnis defimcte periclis zu terrae richtig
pericula auf Grund von X 57 totque mnris rasfaeque exhausfa pericula
terrae. — Lävini aus metrischer Bequemlichkeit mit Kürzimg der vor-
tonigen Silbe wie I 258. 270, stets am Versschluß, auch Tibidl 11 5, 49
(vergl. Fidena unten 773); Ovid m. XV 728 Lävini sedes am Vers-
anfang. Lävinia hat Vergil nur VJI 359 neben zehnmaligem ä (so
unten 764). — 85 [mitte hanc de) pectore cur am, konventioneller Vers-
schluß = I 227. rV 448; Lucr. VI 645 (complebani) peetora cura; Ennius
hat oft pedore, peetora an dieser Versstelle (a. 236. 312. 340. 530. 570).
— 86 f. Die Prophetie (^venient, volent) geht in Vision über (cerno)j
diese dann wieder in Prophetie (89 defuerint etc.), ebenso Horaz I 15
und Tibull 11 5, 39 ff., also nach gijechischer Technik (besonders viel
Lykophron, aber schon Pindar P. 4, 49. 8, 45 ff.). — 87 ef Thybrim
multo spumantem sanguine cerno: der spondeische Rhythmus malt das
beivöv wie Vin 7 Ol f. caelatus {JMavors) ferro iristesque ex aethere Dirae, ||
et sdssa gaudens vadit Discordia pälJa, s. z. 9 9 f. Der Gedanke kommt
aus konventionellem Orakelstil. In einem aus der Zeit Vespasians stam-
menden SibyUenorakel V 200 f. ecraerai ev BpuTxecTcri Kai ev fdXXoic
TToXuxpOcroic I 'QKeavöc KeXabuJv irXripouiuevoc ai'iLiaTi ttoXXlu, 371 f.
ecTtai b'eK bu(J)Liujv 7TÖXe^oc ttoXuc dvepcuTroicn, | peuffei b'ai'iaaTOC öxöoc
€UiC TroTa)nüJv ßaGubivuüV. Darin ist, wie so oft in dieser Sammlung,
ein älterer Zug bewahrt, denn derselbe Gedanke kommt auch im sog.
10*
148 KOMMENTAR
Carmen Marcianum (einer relativ alten Fälschung) bei Livius XXV 12, 6,
sowie einem Orakel bei Phlegon mir. c. 3 (p. 71, 14) vor. Auch die
Ei-wähnung des Tiber bei Vergil dürfte alt sein, denn er spielt in der
Prodigienliteratvir eine große Rolle (z, B. Horaz I 2); seine Nennung in
dem zitierten Sibyllenbuch (170) wird daher eine Reminiszenz sein, zu-
mal er auch in einem Orakelspruch bei Lukian Alexand. 27 und in dem
Säkularorakel p. 134, 5 Diels erwähnt wird, freilich in andrem Zusammen-
hang. — Vergil nennt den Fluß, dem griechischen Charakter der Legende
gemäß, 19 mal mit dem gräzisierten Namen (vergl. II 781 f. Lydius
Thybris), nur zweimal mit dem italischen aus bestimmtem Grund:
g. I 599 im Gebet an Vesta {quae Tuscum Tiberim et Romana Falatia
servas), a. VII 715 in der Aufzählung italischer Völker (qui Tiberim
Fabarimque bibunt). Auch Ovid hat die Nuance beider Formen für das
römische Ohr empfunden, denn während er in den Metamorphosen nur
die griechische hat, gebraucht er in den Fasten daneben sehr oft die
italische, die für Horaz und Properz die einzige ist. — Sprachlich stammt
spumare sanguine aus Ennius (tr. 106 maria spumant sanguine), wie
auch wohl der Versschluß horrida bella == VII 41, dort in wahrschein-
lich ennianischem Zusammenhang.
88 Dem Orakelstil gemäß sind die meisten geographischen und
Eigennamen für den Befrager dunkel, doch hütet sich Vergil vor den
Übertreibungen des Lykophron 1253 if. Daß mit Simois und Xanthus
der Numicus und Tiber gemeint sind (wie 89 mit Achilles Turnus), be-
merkt schon Servius. Dafür spricht, daß an den drei Stellen, wo der
Numicus erwähnt ist (VII 150. 242, 797), er jedesmal mit dem Tiber
zusammen genannt wird, ferner daß HavGöc (ßavus) ein stehendes Bei-
wort des Tiber ist (z. B. VII 31), und für den Numicus vor allem, daß
Tibull II 5, 43 die Sibylle dem Aeneas seine Vergötterung im Numicus
prophezeien läßt. Daß der Tiber einmal eigentlich (Thybris\ das andere
Mal symbolisch bezeichnet wird, kann sich aus der XoHöxTic des Orakels
erklären. — Dorica castra. Daß die tadelnde Bemerkung des Servius
(zu II 27, vergl. zu g. II 13) über die Aufeinanderfolge gleicher Schluß-
und Anfangssilben nicht zu streng genommen werden darf, hat A. Biese,
Rh. Mus. XXXVm (1883) 634fF. bewiesen (vergl. auch P. Schulze, Beitr.
z. Erkl. d. röm. Eleg., Progr. Berlin 1893, 16, Vollmer zu Statius s. III 3, 12,
Zingerle in: Festschr. f. Gomperz 353 f.). Immerhin ist aber doch so viel
daran richtig, daß sorgfältige Dichter das in der Schule der Isokrateer
aufgestellte Gesetz (Isoer. art. fr. 4, vergl. Dionys. Hai. de comp. verb. 6)
nicht gern übertreten, wenn es si(jji um harte Silben handelt (vergl. auch
Birt zu Claudian prol. S. CCXIX). So fiel mir auf, daß Vergil zweimal
das ennianische tonsa (ann. 235 f.) statt remus braucht, um das Hinter-
einander von zweimaligem re zu vermeiden; VII 28 marm^re tonsae X 299
consurgere tonsis. Daß er b. 3, 4 fovet ac 4, 9 desinet ac die von ihm
in den Bucolica sonst nicht gebrauchte Partikel ac gesetzt habe, um die
Wiederholung der Silbe et zu umgehen, bemerkt Haupt op. I 110. —
Aeneas muß die Worte von dem Griechenheer vor Troja verstehen, das
von Vergil auch a. II 27 und Prop. II 8, 32. IV 6, 34 (danach von Ovid
h. 15, 370) so genannt wird; eine gelehrte Bezeichnung, die aus helle-
nistischer Poesie stammt: Lykophr. AI. 284 (aus Euphorion?) AujpieOc
VERS 87—95. 149
(JTpaTÖc. Hier soll aber amphibolisch das Heer der Italiker unter Turnus
verstanden werden: Servius mit Hinweis auf VHSTlf. Turno, si prima
domus repetatur origo, \ Inachus Acrisiusque pafer mediaeque Mycenae. —
89 f. defucrint. Der häufige Gebrauch des zweiten Futurums im dakty-
lischen Hexameter, wo der Sinn das erste verlangt, ist rein metrisch zu
beurteilen 5 in demselben Wort noch IX 297 gleich nach erit, vergl. g. U 51
exuerint. — alius Latio iam partus ÄcJiüles. Wie aus II 783 f. illic
regia coniunx \ parta tibi richtig gefolgert wird, ist Latio Ablativ. —
Teucris addita luno. Addere in diesem Sinne aus archaischer Poesie,
s- Anhang I 1; ebenso 91 rebus egenis, s. ebendort. — 91 f. cum tu . . .
quas gentis Italum aut quas non oraveris urbis nach griechischer Aus-
drucksweise (rivac ou = d-rrdcTac). — gentis P -es MR, urbis P -es MR, wo
P beidemale die nach Vergils sonstiger Praxis besseren Formen überliefert;
über urbis berichtet Gellius XIH 21, daß Probus es an einigen Stellen
seines Vergilexemplars las; s. Ribbeck prol. 405 ff., 0. Keller, Gramm.
Aufsätze, Leipz. 1895, 318, und unten z. 720. 819. — 93f. coniunx.
Helena war in Prophezeiungen auf Trojas Fall ein seit den Kyprien
überliefertes Motiv, vergl. Bakchylides-Horaz c. I 15, Lykophr. AI. 60. —
causa mali tanti wiederholt XI 480 bei Erfüllung dieser Prophezeiung. —
Durch das Ö)lioiÖtttuutov mali tanti (s. Anhang IV) , die kunstvolle Allitera-
tion causa — tanti — coniunx — Teucris (Schema alDab), sowie die Anapher
Herum — Herum erhalten diese, den ersten Teil des Orakels abschließenden
Verse besonderes Gewicht. — externi tJialami unbestimmter Plural im
Orakelstil wie VII 98. 270. VIII 503. XII 658. Lykophron 1. c. von
Helena: XeKTpuJV ö'eKaxi tuiv t' eireicrdKTUJV töM^jv.
95 f. tu ne cede tnaUs, sed contra audentior ito, | quam tua te For-
tuna sinet. Die Hss. und Servius quam, aber in dem Zitat bei Seneca
ep. 82, 18 qun, was nach Heyne viel Beifall fand (z. B. bei Ribbeck).
Aber unsere Überlieferung ist richtig. Freilich nicht in der Deutung
von N. Heinsius {quam = quantum 'wie sehr' sc. audentem ire}^ die
grammatisch kaum zu rechtfertigen sein dürfte, auch nicht in der von
Conington (der contra — quam verbindet, wegen des dazwischen stehenden
audentior unwahrscheinlich), sondern in der des Servius, die schon Gerda
und andere vor ihm billigten (vergl. auch H. Zeyß, Rh. Mus. XIII 1864,
633 f.): ne cedas malis, sed esto audentior quam tua te Fortuna permittit.
Die mala sind persönlich gedacht, wie so oft in griechischer Poesie
(Solon 3, 26 ff. Soph. Ant. 10. Aristoph. Vesp. 1483), sie wollen den
Menschen im Kampf zum Weichen bringen, aber dieser weist der feind-
seligen TOxH. die ihm das Unglück biingt, die Stirn mit größerem Wage-
mut, als sie, die herrische Gebieterin, das dulden will. Wenn also Goethe
den Achilles sagen läßt (Achilleis 532 ff.): „Keine Tugend wird so ver-
ehrt von sämtlichen Menschen, | Als der festere Sinn, der, statt dem
Tode zu weichen, ] Selbst der Keren Gewalt zum Streite muthig heran-
ruft", so gibt er demselben echt antiken Gedanken wie hier Vergil Aus-
druck: die Tuxri, die dem Menschen wie ein persönlicher bai)LiuJV anhaftet,
will ihn durch Unglück ins Verderben stürzen (vergl. z. B. Aeschines in
Ctes. 157), aber der moralische Wille des Menschen ist stärker als die
TuxTi: KpeiTTUiV iüix xfic Tuxtic, de Fortu/na triiimphat, wie das in der
Popularphilosophie typische Axiom von den Deklamatoren formuliert
150 KOMMENTAR
wurde, vergl. Fortwia fortes metuit (Seneca Med. 159), fortes etiam contra
Fortunam insistere spei (Tacitus h. II 46). Auch wird diese Deutung
durch eine Parallelstelle gesichert: V 709 f. (ebenfalls eine Art von Weis-
sagung): nate dea, quo fata traliunt retrahwntque sequamur: \ quidquid
erit, superanda omnis fortuna f er endo est. Daß sich daneben da, wo
Fortuna ganz allgemein 'Schicksal' heißt, die Auffassung findet X 49
quamcu/mque viam dederit Fortuna sequatur u. ä. (vergl. V 22. XI 128.
XII 147), beweist für unsere Stelle nichts: denn hier ist Fortuna das
'Mißgeschick', wie 62 {Troiana Fortuna) zeigt. Wie ist nun die
Variante in den Hss. Senecas zu beurteilen? Liest man die Stelle im
Zusammenhang, so ergibt sich, daß auch er quam gelesen und im an-
gegebenen Sinn verstanden haben muß, da qua (sc. via) seine ganze
Exposition, zu deren Bekräftigung er den Vers zitiert, umwerfen würde 5
also sind nicht die Hss. Vergils, sondern die Senecas leicht verderbt.
96 f. via prima salutis | . . . Graia pandetur ah urbe. Die Prophe-
zeiung schließt, wie R. Heinze (Hermes XXXIII 1898, 478, l) bemerkte,
der Tendenz der sibyllinischen Orakel entsprechend (Diels 78. 99), mit
dem Hinweis auf griechische Hilfe (Graia urbs: das 'Pallanteum' des
Euander), wie das bei Phlegon p. 115 Diels überlieferte: Tpwc bf[T^
eKXviaei cre KaKUJV, &na b' *6\Xdboc ^k fflc.
3. Bitte des Aeneas um Erlaubnis zur Kaidßaaic 98 — 123.
Zwei Abschnitte: a) Abschluß des vorigen Teils und Übergang zum folgen-
den 98 — 103 heros in zwei TpiKUiXa: a) 98 — 101 Apollo (talibus — remugit
mit zwei KÖ)üi|LiaTa; obscuris — involvens; ea — Apollo mit zwei KÖ)Li|uaTa),
ß) 102 — 103 heros (ut — furor; et — quieru/nt; incipit — heros). b) Die Rede
des Aeneas 103 non — 123, nach den Regeln der Kunst disponiert:
1. Prooemium 103 non — 105, ein biKwXov: non 103 — surgit 104,
omnia 105 — peregi 105.
2. Propositio der Bitte 106 — 109. Nach vorausgeschicktem unum oro
106 ein xpiKUjXov: quando — refuso, ire — contingat, doceas — pandas,
jedes Glied durch et zweigeteilt.
3. Probatio der Berechtigung zu dieser Bitte 110 — 16 dabat. Zwei
Perioden: a) ein TerpdKuiXov 110 — 14: illum —recepi mit zwei
KÖ)Li|LiaTa, nie — iter, maria — ferebat, invalidus — senectae mit zwei
KÖ|U|LiaTa; b) ein biKUjXov 115 — 16 dabat: quin — adirem mit zwei
KÖ|ii)LiaTa, idem — dabat.
4. Conclusioll6 gnatique — 23: ein langer sehr kunstvoller Satzkomplex
von vier KUüXa mit zwei, dem Pathos jentsprechenden Parenthesen.
Die Conclusio umfaßt
a) eine commiseratio 116 gnatique — 18,
b) eine amplificatio 119 — 23: si potuit manis arcessere coniugis
Orpheus . . . ., si fratrem Pollux alterna morte redemit .... —
quid Thesea magnum, quid memorem Aleiden — ; et mi genus ab
love summo. Diese führt, wie es für die conclusio typisch ist,
die Sache vom speziellen Falle auf das Allgemeine hin; sie endet,
wie Quintilian VI 1, 21 für die conclusio empfiehlt, mit dem
Hinweis auf die dignitas et nobilitas. Sie ist gekleidet in das
Enthymem des sog. argumentum ex contrario (und zwar sind es
mythologische argumenta: Quintilian V 11, 17 f.), dessen Vordersatz,
VERS 95—103. 151
wie oft (vergl. Cic. pr. Caec. 43, M. Seyffert, Scholae latinae * 123 flF.)
mit si eingeleitet ist; als Nachsatz schwebte vor: quidni ego potcro,
aber dadurch, daß der Vordersatz durch die Figur der praeteritio
(wie unten 601) abgebogen ist, schließt sich der Nachsatz in
anakoluthischer Form diesem letzten Satzteüe an. Das Anakoluth
ist, wie die Parenthesen, ein Ausdruck des Affekts.
99 f. horrendas canit ambages antroque remugit j obscuris vera in-
volvens. Der schwerfällige Ehythmus soll das Grausige (s. z. 87. 288)
und SchwerentwiiTbare (z. 2 7 ff.) malen. Beide Verse haben die Heph-
themimeres (wie üblich mit Nebencaesur nach der zweiten und Diaerese
vor der dritten Hebung), wobei schon die Wiederholung dieser quantitativ
seltensten Caesur bemerkenswert ist (in diesem Buch so nur noch 41 4 f.).
Aber am meisten charakteristisch dabei ist, daß in jedem der beiden
Verse den Einschnitten Worte der Form vorhergehen: horren-
das — ambages, obscuris — involvens, während sonst entweder das eine oder
das andere oder beide Worte choriambischen Rhythmus haben (vergl.
176. 197. 222. 261. 414. 465. 571. 698. 703. 897; 236. 250. 415. 447.
529. 781; 20. 149. 345). Die hier vorliegende Form (bezw. die ver-
wandte, in welcher auf zwei Worte der Form _, oder , _
verteilt ist) verwendet er in diesem Buch nur noch sechs mal, stets zu
malerischen Zwecken: 186 aspedans silvam immensam (das Gewaltige),
831 (ebenso), 327 nee ripas datur horrendas et rauca fluenta (das
Grausige), 213 flebant et cineri mgrato suprema ferebant (Trauer), 428
(ebenso), 614 inclusi poenam exspecfant (Erwartung des Grausigen). —
In wirkungsvollem Gegensatz dazu stehen die beschleunigten Rhythmen
der folgenden Worte ea frena furenii \ concuüt et stimulos sub pectore
vertu Apollo, die auch durch sprachliche Mittel (Alliteration und Bevor-
zugung der harten Konsonanten r und t) ausgezeichnet sind (s. z. 46 ff.).
— 99 ff. ambages der Etymologie gemäß (amb — äg — es zu äfr\, genau
= Trepi — äfT] Arat 688, vergl. schol. p. 464, 18 Maaß: irepiKXacTic xai
Ka|ui7rr|; also wie an-fractus) 'Umweg', metaphorisch 'Uraschweif; von
der XoHÖTric der Orakelsprache hat es neben Vergil zuerst Livius I 55, 6,
sodaß möglicherweise bereits Ennius es so gebrauchte (vergl. S. Stacey,
Arch. f. Lex. X 1898, 36). — • antro remugit vergl. Phaedrus app. 6, 4 von
der Pytho mugit adytis; bei solchen Übereinstimmungen zwischen Vergil
und Phaedrus ist als gemeinsame Vorlage die lat. Tragödie wahrschein-
lich, die Phaedrus (meist parodierend) stark benutzte. — ea mit Emphase
wie TOia (vergl. Aristarch schol. A zu Y 16). — stimulos sub pectore
vertit, weil man sagte subdere calcaria equo (Heyne). — 102 ut primum
cessit furor et rabida ora quierunt mit Benutzung überlieferter Termino-
logie: das alte Sibyllinenbuch IHS a)LiTrau(Tov ßaiöv ne, KeK|LiriKe yotp
evboGev fJTop (rjiop wie corda 80), 297 f. rivka br| )iioi 9u)liöc eTTaucrato
^vöeou \))Livou, 1 Ktti XiTÖiUTiv Tevexfipa iLiexav TTaucrac0ai dvdTKTic.
Lykophr. AI. 3 f. ou YOtp ficTuxoc KÖpri | eXuffe XPI^^M^JV, ibc irpiv,
aiöXou aTÖjia.
103 ff. Die Einleitung der Rede gibt zu sachlichen Bedenken An-
laß. ' Aeneas hatte vorher die Sibylle gebeten , ihm seine Zukunft zu
offenbaren (76 ipsa canas oro). Diese Bitte hat die Sibylle soeben er-
füllt, indem sie ihm prophezeite, wie er sich durch Leiden zum endlichen
152 KOMMENTAR
Siege durchringen werde (83—97). Diese Prophezeiung macht auf Aeneas
keinen Eindruck; er versichert, daß ihm kein Leiden unerwartet komme,
sondern daß er sich im Geist auf alles gefaßt gemacht hahe (103 — 5 non
ulla läborum, | o virgo, nova mi fades inopinave surgit: \ omnia praecepi
atque animo mecum ante peregi). An diese Versicherung schließt er
unvermittelt die neue Bitte, die Sibylle möge ihm den Besuch seines
Vaters in der Unterwelt gestatten und selbst die Führerrolle übernehmen
(106 — 23); in den Worten, mit denen er diese zweite Bitte einleitet
unum oro (106), greift er deutlich zurück auf den Schluß seiner ersten
Bitte ipsa canas oro (76). Das ist keine in sich geschlossene, aus sich
selbst heraus verständliche Komposition, sondern man hat den Eindruck,
als ob der Dichter durch irgend ein Moment sich dazu veranlaßt gesehen
hätte. Verschiedenartiges zu verknüpfen. Von neueren Erklärern hat
m. W. keiner daran Anstoß genommen, anders die antiken. „Aeneas
sagt — heißt es bei Servius zu 105 f. — , daß er alles über seine Leiden
wisse, und unterbricht die ganze Bitte, um zu dem speziellen Punkt zu
kommen, wie er seinen Vater sehen könne. Denn wenn er sagt 'um
das Eine bitte ich', so meint er nicht 'um dies allein', sondern 'um dies
vornehmlich'." Gewiß ist diese die Fuge verdeckende Exegese ganz im
Sinne des Dichters. Das überhebt uns aber nicht der Verpflichtung, die
Frage nach dem Ursprung der mangelhaften Komposition aufzuwerfen.
Die Antwort ist einfach. Vergil hat seiner Sibylle eine zweifache Mission
übertragen, die einer Prophetin und die einer Führerin durchs Jenseits.
Das erstere war sie nach fester Tradition, aber zum letzteren hat sie
erst Vergil gemacht. Er brauchte eine Person, die den Aeneas durch
den Hades geleitete. Denn an die Stelle der homerischen Fiktion, wo-
nach Odysseus ohne Führer in die Tiefe steigt, war längst die andere
getreten, die bei einer KaiaßaCTic den Führer fast obligatorisch machte
(s. u. z. 109): dies Motiv ist von den alten theologischen Dichtungen, die
Piaton Eep. X benutzt hat, bis zu Plutarchs transzendenten Mythen xmd
den christlichen Jenseitsapokalypsen noch des späten Mittelalters, von
Menipps und Lukians Farcen bis zu denen der byzantinischen Zeit so
sehr Brauch, daß im 41. orphischen Hymnus sogar eine Göttin, die
)Lir|Tr|p 'AvTttia, von Triptolemos geführt werden muß. Vergil übertrug
also das typische Motiv auf die am Avernus wohnende Sibylle. Eine
solche Übertragung ist ganz im Stil dieser gelehrten Poesie, die jede
freie Fiktion ächtete, dafür Übertragungen aus anderen Mythenkreisen
schrankenlos gestattete: ist doch die KaraßacTic Aiveiou, im ganzen
genommen, eine Übertragung aus der KaraßacJic ' Obu(T(JeiJüC. Nun ver-
stehen wir, weshalb es dem Dichter mißlingen mußte, die zwei Bitten
des Aeneas um Prophezeiung und um Führung in befriedigende Ver-
bindung zu bringen: die Kumulation beider Ämter auf die Sibylle machte
das von vornherein unmöglich. Der Fall ist lehrreich für die Arbeits-
weise des Dichters, der gezwungen war, gegebene Motive zu kontaminieren,
was nicht immer glatt von statten gehen konnte: wir werden im folgenden.
noch eine Eeihe von Belegen hierfür finden, ein die Gesamtkomposition
dieses Buchs betreffender Fall ist in der Einleitung S. 14 ff. erörtert worden.
103 — 105 non Ulla lahorum . . nova mi facies inopinave surgit: \
onrnia praecepi atque animo mecum ante peregi. Mit dem (von Dante
VERS 103—105. 153
Inf. XV 93 verwerteten) Gedanken verglich schon Muret Aesch. Prom.
101 ff. TTCtvTa TTpouSeTricrTaiuai i CTKeGpoic tcc ineWovi', oube |lioi TTOiaiviov |
Trfiin'' oubev f^Hei. Seneca ep. 76, 33 ff. zitiert die Verse Vergils als Beweis
für das stoische Dogma, daß der Weise seit sibi omnia restare; quicquid
factum est, dicit 'seieham', vergl. die ausführliche Begründung dieses
Dogmas ep. 24 und Cicero de off. I 80 f. fortis animi et constantis est
non perturhari in rebus asperis . . . .; quamquam hoc animi, illud etiam
ingenü magni est, praecipere (irpoXaiußdveiv) cogitatione futura et ali-
quanto ante constituere, quid accidcre possit in utramque partem e. q. s.
vergl. Tusc. III 29. Wenn nun auch Seneca philosophischen Sinn in
Vergilverse oft erst hineingedeutet hat (besonders ep. 108, 24 ff., vergl.
H. Wirth, De Vergili apud Senecam usu, Freiburg 1900), so hat seine
Methode gelegentlich doch innere Berechtigung, so hier, wo Vergil seinen
Helden mit dem ganzen Ethos des stoischen 'vir bonus et sapiens' reden
und sogar einen stoischen Terminus (praecipere) gebrauchen läßt, ferner
95 f (irepi Tuxr|c). 278 f (mala mentis gaudia: irepi (piXr|boviac). Richtig
auch Servius zu Vm 334 fortuna omnipotens et ineluctabile fatum] secun-
dum stoicos locutus est qui nasci et mori fatis dant, media omnia fortunae
und zu X 467 siat siia cuique dies] stoicorum est qui dicunt fatorum
statuta servari. Erwägt man, daß die moralisierende Exegese der home-
rischen Gedichte, wie sie seit Antisthenes und Zenon üblich war, von
dem Grammatiker Ea-ates in die eigentlichen Kommentare hinein-
getragen wurde und daß die Römer Ilias und Odyssee durchaus im Bann
dieser Auffassung lasen (Hör. ep. I 2), so wird man es nur begreiflich
finden, wenn Vergil Züge des stoischen Idealmenschen auf den Helden
seines von der Idee der Gi)iap)LievTi beherrschten Epos übertrug. Sehr
deutlich noch VHI 131 f., wo Aeneas sagt: mea rjiie virtuis et sancta
oracula divom | ... fatis egere volentem, nach dem berühmten stoischen
Satz, den Seneca mit ducunt volentem fata übersetzt. Die mehr passive
Rolle, die der Dichter den Aeneas im Vergleich zu den homerischen
Helden spielen läßt — was ihm von modernen Erklärern oft zum Vor-
wurf gemacht wird — erklärt sich eben hieraus. Die Folge dieser
gelegentlich moralisierenden Haltung des Gedichts war, daß es von
Fulgentius bis Petrarca systematisch allegorisiert wurde, indem man das
Accessorische zum Wesentlichen machte.
104 mi. Diese in der alten Poesie so häufige Form hat Vergil
nur hier und merkwürdiger Weise noch einmal in derselben Rede 123
(n 738 falsche Konjektur Ribbecks), vergl. J. Krauß, Rh. Mus. XXVHI
(1873) 187. Die Form vnirde aus der hohen Poesie seit den Neoterikern
wohl deshalb fast verbannt, weil sie vulgären Charakter hatte: denn
CatuU hat sie nicht im Epyllion, aber oft in den poematia, Horaz nie
in den Oden, wohl in den Sermonen. Wenn Vergil sie hier gebraucht,
so ist das als ennianische Nachahmung aufzufassen (s. o. z. 59). — inopina
(TrapdboHa) Neubildung für inopinata, von Ovid und späterer Prosa auf-
genommen. — 105 f omnia — | unum: 'nur das Eine' wie 129. 744
pauci 'nur wenige' nach bekanntem, auch dem Griechischen geläufigen
Brauch, limitierende Partikeln durch starke Emphase zu ersetzen; durch
die signifikante Stellung an den Versanfängen kontrastieren die Begriffe.
— praecepi. Servius im Lemma und im Scholion percepi, was er erklärt
154 KOMMENTAR
ante cognovi ab Ileleno vcl a patre-, aber praecepi zitiert er zu IV 419
und XI 491, feiner außer Nonius zwei von Eibbeck übersehene Zitate:
Plin. ep. IX 13, 12 und der cento der Proba (Mitte s. IV, ed. Scbenkl
im Corp. Script, eccl. Vindob. vol. XVI) v. 514. Zu praecepi gehört
das dnö koivoO gestellte animo, vergl. Caesar b. c. III 87, 7 animo vic-
toriam praecipiehant. — 106 f. quando hie i/nferni ianua regis dicitur
eTreiTrep evTaO0a KaXoOviai "Aibou irOXai mit dem bekannten Gräzismus
(reichste SteUensammlung bei R. Unger, Paradoxa Thebana, Halle 1839,
364ff., vergl. auch W. Schulze, Graeca Latina, Göttingen 1901, 16,2).
Die weitverbreitete mythologische Vorstellung behandelt Usener, Sitzungs-
berichte d. Wien. Ak. CXXXVII (1897) 30f. — infernus als Übersetzung
von KaiaxÖGViOC auch 138 u. ö.: über das seltene Wort und seine Bildung
s. Leo, Arch. f. Lex. X 1898, 436. — tcnchrosa paliis Ächeronte refuso.
Sei*vius: Ävernum significat, quem vuU nasci de AcJicroniis aestuariis, vergl.
296 f. und Ovid m. XIV 105 (Paraphrase dieser Stelle): ad manes veniat
per Äverna paternos; einen Sumpf nennt ihn auch Dio Cass. XLVIII 50;
tenebrosa (Neubildung für die von früheren Dichtern gebrauchten, aber
im Hexameter nicht verwendbaren tcnebrica, tencbricosa) , weil dort bis
zur Abholzung durch Agrippa dichter Ui'wald war (Strabo V 244;
s. unten z. 138 f. 1790".). Die Vorstellung, daß der Sumpf gebildet werde
durch das aus dem Erdinnern zurückströmende {refuso iraXippöuj, dijioppöiu,
vergl. VII 225) und in natürlichen Kanälen nach oben geleitete Wasser
eines ünterweltsstromes , ist schon Piaton Phaed. 112 BC (zitiert von
Heyne) aus seiner Vorlage bßkannt. Den Schauer der Gegend hatte jeder
vornehme Römer bei seiaem Aufenthalt in Baiae auf sich wirken lassen,
vergl. Properz I 11. III 18 (dort 1 umbrosus Avernus). — 108 f. ire ad
conspectum cari genitoris et ora \ contingat: feierliche Spondeen im Gebet
wie 187. 313. — coniingat M Servius, contingam PR, letzteres wohl in-
folge falscher Verbindung mit dem dabeistehenden ora (vergl. Ovid m.
XIV 607 contigit os, Statins s. V 3, 275 pafrios coniingere voltus), eine
in den Vergilhss. häufige Fehlerquelle (s. z. 37); contingit c. iaf. (nach
(JujLißaivei) bürgert sich seit Vergil und Horaz auch in Prosa ein (vorher
wohl nur bei Cic. pr. Arch. 4 überliefert). — 109 doceas iter. Ent-
sprechend dieser Bitte um Angabe des Weges macht die Sibylle 125 ff.
einige allgemeine Angaben über den Weg. Aber dies Motiv steht in
Widerspruch zu dem fernerhin befolgten, daß die Sibylle vielmehr die
Führerin auf dem Wege ist. Der Widerspruch erklärt sich aus der
Kontamination zweier Arten von Karaßdcfeic: findet sie, wie üblich
(s. 0. S. 152) mit Führer statt, so bedarf es keiner vorherigen Angabe
des Weges, findet sie aber ohne Führer statt, so bedarf es einer solchen:
letzteres ist der Fall in der homerischen Nekyia, wo Kirke (k 505 ff.),
und in der aristophanischen, wo Herakles (Frösche 120 ff.) die Angabe
macht (ferner in der KaiaßaCTic AiovucTou nach Pausanias II 37, 5, in
dem Epigramm aus Petelia 1037 Kaibel und bei Apuleius met. VI 18). —
sa^ra ostia pandas als Priesterin der 'GKairj KXriboOxoc ctbou (terrae
daustra cohibens Apul. met. XI 2); die Magier vermögen dvoiYeiv toö
aöou TttC TTuXac (Lukian necyom. 6, vergl. Seneca Oed. 572 ff.). Die
Sibylle erfüllt die Bitte unten 262 (antrum aper tum).
110 ff. Die Bitte, seinen Vater sehen zu dürfen, begründet Aeneas
VERS 105—117. 155
außer mit ihrer gegenseitigen Liebe mit einem speziellen Auftrag des
Anchises: mandata dahat. Diesen Auftrag hatte ihm Anchises V 731 ff.
gegeben, während er III 441 ff. ihm vielmehr von Helenus gegeben wird:
ein Zeichen, daß Buch VI mit III noch nicht durch endgültige Redaktion
in Beziehung gesetzt ist (vergl. C. Schüler, Quaest. Verg., Greifsw. 1883, Iff.,
R. Sabaddini, Stud. critici suUa Eneide, Lonigo 1889, 101 ff., C. Häberlin
im Phüol. N. F. I 1889, 316 und die Einleitung oben S. 45). — Was
Aeneas von der Art, wie er den Vater eiTettet habe, sagt (per flammas
et mille sequentia tela eripui . . . medioque ex hoste recepi), erweist sich
durch Vergleich mit 11 172 ff. als rhetorisches vjjeOboc (vergl. Thiel und
zu 60. 774). — Die sprachliche Einkleidung des Gedankens erinnert an
n 358 f. per tela, per Jwstes vadimus, eine Phrase, bei der C. Stacey,
Arch. f. Lex. X 1898, 51 durch Vergleich mit Livius IX 39, 8 per arma,
per Corpora evaserint mit Recht Einfluß ennianischer Phraseologie an-
nimmt. Es ist daher möglich, daß auch in vorliegendem Verse die —
in diesem Buch hier zuerst vorkommende — bei Vergil nicht beliebte
Caesur nach dem vierten Trochaeus (mille \ sequentia tela) auf Benutzung
des Ennius zurückgeht, und das um so mehr, als bei dieser Annahme
das sachliche vjjeOboc noch verständlicher wird (vergl. auch Anhang VTIB 2b).
— Über die markierte Stellung von eripui — recepi zu Anfang und Schluß
des Verses s. Anhang III A 2. — meum comitatus iter wohl neu (iter inneres
Objekt) wie 260 invadere viam, was vor Vergil auch nicht belegt zu sein
scheint. — pelagique minas cacUque ferebat PR, caeUque m. pelagique f.
M irrtümlich, da pelagi von dem vorhergehenden maria, das dadurch
spezialisiert wird, nicht getrennt werden darf. — Die kunstvolle Periode
schließt 114 wirktmgsvoll mit Alliterationen, die das Ethos des Gedankens
heben sollen: invalidus viris ultra sortemque senectae (Schema aabb);
vdlidae — viris auch unten 833, als ennianisch bezeugt. — 115 supplex
peterem et tua limina adirem mit ücTrepov irpÖTepov der Begriffe (s. An-
hang n 2), das hier, wie öfters, wohl durch Herübernahme der zweiten
Phrase aus älterer Poesie bedingt ist, zumal die Sjnaloephe in limina
adirem am Versschluß nicht ganz gewöhnlich ist (s. Anhang IX l). Das
limen des Tempels ist nach altem Glauben beider Völker (I 404 Xdivoc
ouböc Ooißou, Arvallied Urnen sali) ein sakraler Begriff (so Vergil selbst
a. II 366 religiosa deorum limina, vergl. Horaz s. I 5, 99 limine sacro),
der daher auch auf den Himmel übertragen wurde (s. z. 255). —
116 gnati PM, nati R. Die alte Form nach Wagner 586 f. bei Vergil
nur mehr an Stellen des hohen Pathos (nie buc, georg.), so hier und
unten 869, der einzigen Stelle, wo das Wort im Vokativ steht: aber
das ist auch eine der feierlichsten Partieen des ganzen Gedichts. —
117 alma precor miserere Kupia (irÖTVia) eXeri(Tov, auch potes namque
omnia wohl mit Benutzung alter Gebetsformel: TT 515 bvvaOai be (Tu
irdvTOc' otKOueiv (Gebet an ApoUon, vergl. Pindar N. 7, 96), Proklos
hymn. 1, 46 böc, dvag (Helios), buvacTai t^P aTtavia xeXeffcrai. —
über nachgestelltes namque s. Anhang IH B 3. — Über die Bildung des
Versschlusses onmia nee te s. ebenda IX 4 b. — 117 f. nee — nequiquam.
Nach WölffHn, Arch. f. Lex. II 1885, 7. 11 und Ehwald ib. IX 1896, 305 f.
ist negiertes nequiquam eine außerordentliche Seltenheit, bei Vergil nur
noch Vni 370 (haud . . nequiquam exterrita mater); Vergil hat überhaupt,
156 KOMMENTAR
wie Wölfflin 1. c. feststellt, für das der Umgangssprache fernstehende,
in archaischer Poesie beliebte nequiquam gegenüber frustra eine große
Vorliebe. — 118 fast wörtlich wiederholt 564; so noch 373 vergl.
721, 465 vergl. 698 (ZifiXoc '0|uripiKÖc). — llOff. Das Satzgefüge ist
oben (S. 150f.) analysiert, ähnlich I 242ff. und besonders X 109flf. (eben-
falls in einer Rede), wo die Worte nee Butulos solvo und rex lupiter
Omnibus idem in Parenthesen stehen (Ribbeck athetiert zwei Verse und
setzt im dritten eine Korruptel der Noniushss. in den Text); auch Horaz
s. n 6, 6 fif. (wie hier im Gebet). An unserer Stelle haben (mit Servius)
die richtige Interpunktion (neuer Satz mit si beginnend) schon viele
alte Ausgaben, denen aber nicht alle neueren Editoren gefolgt sind
(z. B. nicht Ribbeck).
120 Thraeicia fretus cithara ist Orpheus in den Hades gestiegen,
um seine Gattin zu holen. Germanus zitiert aus den orphi sehen
Argonautica die Worte Vers 42: 'fijueTepri tticTuvoc KiOdpr) stieg
ich (Orpheus) in den Hades aus Liebe zu meiner Gattin'. Aber die
notwendige Folgerung, die aus dieser merkwürdigen Übereinstimmung
sich ergibt, hat weder er noch Heyne, der das Zitat wiederholt, gezogen.
Der Verfasser der Argonautica läßt in der Einleitung den Orpheus einen
langen, aus erlesensten Quellen zusammengeschriebenen Katalog derjenigen
Gedichte geben, die er (Orpheus) schon früher verfaßt habe; in diesem stehen
die Verse 40 — 42 aWa be (Toi (dem Musaeus) KareXe^, äirep eicTibov rjb'
evÖTicTa, I Taivapov tivik' e'ßiiv ctkotitiv obov "Aiboc eicTuü | fmeiepr)
TTiCTuvoc Ki0dpr], bi' epujT' dXöxoio, die in diesem Zusammenhang also ein
direktes Zitat aus der KaraßacTic 'Opqpeuuc sind; ihr entstammen die für
uns in Betracht kommenden Worte um so sicherer, als der kümmerliche
Verfasser der Argonautica sie später (265), wie eine ihm überliefeiie
Floskel, wiederholt. Wir haben hier also die erste deutliche Spur
der Benutzung der orphischen Katabasis seitens Vergils, die
wir im Verlauf des Kommentars weiter zu verfolgen haben. Es ist das-
selbe Gedicht, das er schon in den Georgica IV 467 If. benutzte, als er —
also zu einer Zeit, wo er schon an der Aeneis arbeitete — die laudes
Galli ersetzte durch xd Ttepi 'Api(TTaiov Kai 'Opqpea. Der Vers, mit
dem er dort die KaidßacJic eröffnet: Taenarias etiam fauces, alta ostia
Ditis 1 . . ingressus klingt bemerkenswert an den griechischen Taivapov
tivik' eßriv (Tkotitiv öböv "Aiboc eicruü an. Man findet zwar öfters die
Behauptung ausgesprochen, daß das Motiv der Gattenliebe in der orphi-
schen Katabasis nicht vorgekommen sei, Vergil also dieses Gedicht nur
in einer jüngeren Fassung gekannt habe: aber diese Behauptung ist ohne
jedes Beweismaterial aufgestellt und widerspricht nicht bloß dem obigen
Zitat, sondern auch einem später (zu 548 — 627) anzuführenden des
Plutarch, wo man jenes Motiv ohne Grund als eigene Zutat Plutarchs
ausscheidet (vergl. 0. Gruppe in Roschers Lex. d. Myth. s. v. 'Orpheus'
Sp. 1159; richtig A. Milchhöfer, Philol. N. F. VII 1894, 386f.). Die Zeit
dieses bis ans Ende des Hellenismus vielgelesenen Gedichts kennen wir
nicht, aber das, was wir hauptsächlich aus den Inschriften über diese
Art von theologischer Poesie wissen, macht wahrscheinlich, daß wir als
terminus ante quem etwa 300 v. Chr. anzusetzen haben. Bemerkt sei
noch, daß die Kenntnis orphischer Literatur für Vergil auch sonst fest-
VERS 117—121. 157
steht: oi"phische Hymnen auf die Eumeniden — seien es die in unserer
Hynmensammlung überlieferten nr. 68. 69 selbst oder eine ältere Vor-
lage dieser — sind aen. VII 323 — 38 benutzt, und auch IV 242 ff.
erklärt sich nach dem orphischen Hymnus auf den chthonischen Hermes
(nr. 57): s. unten zu 749.
Thraeida fretus cithara fidibusque canoris. Das altertümlich feier-
liche TTiCTuvoc (vergl, Diels 68, l) wird gut durch das ebenso feierliche,
in der lebenden Sprache damals schon ungewöhnliche fretus wieder-
gegeben: Plautus Amph. 213 (TrapaTpaYtubuJv) freti vitiute et viribus,
Naevius b. P. fr. VIH Vahl. senex fretus pietati (so Vergil selbst fretus
pietate a. XI 787 im Gebet bei Erwähnung altitalischer superstitio; vergl.
auch Bücheier, Umbrica 55). — fidibus canoris von Orpheus' Leier auch
Horaz I 12, 11 (gemeiasames Vorbild?). — Die Alliteration {Thraeida)
fretus dthara fidibusque canoris (Schema ab ab), sowie die vielen und
klangvollen Vokale (Dionys. Hai. de comp. 14 euqpuuvÖTttTOV TÖ ö.) sollen
die XiYupd doibr| malerisch zum Ausdruck bringen. Ähnliche Mittel zu
gleichem Zweck Lucr. IV 981 citharae liquidum Carmen chordasque loquentes,
Hör. IV 9, 11 f. commissi calores \ Aeoliae fidibus puellae (Dionys. ib. fibuvei
Trjv dKofiv TÖ \ Kai ecTii tOuv fi)Lii(puuvujv Y^^Kurarov): alles schwache
Versuche, dem natürlichen Wohllaut griechischer Dichter (besonders der
Bukoliker) nahezukommen, wenn sie in ihrer melodischen Sprache den
Gesang malerisch zum Ausdruck bringen; s. im Allgemeinen Anhang VII A.
— 121 f. si fratrem Pollux alterna morte redemit \ itque reditque viam
totiens. Die jüngere Fassung des Dioskurenmythus (tägliches Abwechseln)
begegnet für uns wohl zuerst hier, ist später die gewöhnliche (z. B.
Lukian dial. deor. 26), mag also auf Umbildung des alten Mythus in
hellenistischer Zeit zurückgehen. Zum Ausdruck fratrem morte redemit
vergl. Pindar P. 6, 39 irpiaro öavaroio KO)iiibdv Traxpöc. — Der Rhyth-
mus in 121 kontrastiert mit seinen feierlichen Spondeen schön zu den
Daktylen 122, deren accelerierende Wirkung durch die ziemlich seltene
Verbindimg von trochäischen Einschnitten im ersten und zweiten Fuß
(itque I reditque \ viam) noch gesteigert ist. itque reditque ist eine poetische
Variation der wohl dem Leben angehörigen asyndetischen Verbindung
it redit (Hör. ep. 17, 55 und wahrscheinlich eleg. in Maec. 1,6). —
122 f. quid TJiesea magnum, \ quid memorem Aldden. Von dem Bei-
spiel des Theseus sagt Servius, weil er als Frevler hinabstieg (s. u. 393. 617),
richtig: durum, unde nee immoratus est in eo, d. h. Vergil setzte es, wie
das ebenfalls zur Situation wenig passende des Hercules, in die Paren-
these mit der Figur der praeteritio. — Servius berichtet, daß einige
magnum nicht zu Thesea, sondern zu Aldden bezögen, was er billigt.
Auch die neueren Editoren schwanken. Sachlich ist beides angemessen
(maxime Theseu Ovid m. VII 443, andrerseits Vergil a. V 414 magnum
Aldden u. dergl. oft). Die an sich ziemlich belanglose Entscheidung
hängt von der wichtigeren Frage ab, wie Vergil sich zu einem Sinnes-
abschnitt vor dem sechsten Fuß stellt: die Prüfung (s. Anhang 11, 4, 4)
empfiehlt es, magnum nicht in den folgenden Vers hinüberzuziehen,
sondern mit cod. M nach magnum zu . interpungieren. — Älcides, zur
Umgehung der im Hexameter unbrauchbaren Formen von Hercules, be-
gegnet füi- uns zuerst bei Vergil b. 7, 61 und bei Horaz od. I 12, 25.
158 KOMMENTAR
Also wurde es (s. o. z. 10 f.) vermutlich von den Neoterikern aus der
alexandrinischen Poesie entlehnt, wo es zur Bezeichnung des Herakles
in der Poesie zuerst nachweisbar ist (Kallim. h. Dian. 145, vergl. Usener
Rh. M. LIII 1898, 337, 3). Auch die Umschreibung durch das adjek-
tivische Herculeus haben für uns zuerst Vergil g. II 66 und Horaz in
den Oden. Älter in griech. Poesie ist Amphithryoniades belegt, in latei-
nischer für uns wohl zuerst bei CatuU 68, 112; da es aber Vergil nur
in der sachlich und sprachlich stark durch Ennius beeinflußten Episode
von Hercules und Cacus in VIII hat (103. 214), so spricht die Wahr-
scheinlichkeit dafür, daß wir in diesem, den halben Hexameter füllenden
Worte den ennianischen Ersatz für Hercules zu erkennen haben. —
memorem. Memorare archaisierendes, von Vergil sehr oft (vergl. 601. 699)
nach Ennius' Vorbild (a. 2 u. ö.) gebrauchtes Wort, wie es Sallust gern
nach Cato hat; nominare war in den meisten Formen für den Daktyliker
unbrauchbar: vergl. unten 441 nomine dicimt für nominant, g. IV 272 nonien
fecere und aen. III 693 nomen dixere für nominarunt-, Lucrez half sich,
wie Wölfflin, Arch. f. Lex. IV 1887, 220f. bemerkte, mit Formen von
nominitare; appellare ist ebenso beliebt in der Umgangssprache wie
äußerst selten in der hohen Poesie (bei Vergil nur V 540. 718). —
ab love summo wegen der Art des Versschlusses (s. Anhang IX) möglicher-
weise ennianische Floskel (lupiter summe Enn. tr. 176), die hier wirkungs-
voll das Gebet beschließt.
4. Antwort der Sibylle 124—155. Die Rede zerfällt — nach den
einleitenden Worten 124 bis 125 vates (3 KÖ|U)LiaTa) und vor den schließen-
den 155 dixithisore — in drei Teile. Erster Teil 125 säte— 132: Schwierig-
keit der KttiaßaCTic (zweimal TpiKouXov-fbiKUuXov). Zweiter Teil 133 — 136
prius: Das Wagnis knüpft sich an Bedingungen (ipiKOuXov, das erste mit
zwei, das zweite mit di*ei KÖ|Li)uaTa). Dritter Teil 136 latet — 155: Die
Bedingungen: a) Erwerbung des Goldzweigs 136 latet — 148 (xpiKOüXov
-f 2 biKuuXa + TpiKiüXov, die drei letzten KUjXa mit je zwei, das viert-
letzte mit drei KÖ)ii)aaTa), b) Beerdigung des Freundes 149 — 152
(xpiKiJüXov, das erste mit drei, das zweite und dritte mit je zwei
KÖ|U)LiaTa), c) Opfer für die Unterirdischen 153 (öikujXov), d) Schluß
154 — 155 aspicies (iliovökiuXov).
124r talihus orabat dictis arasque tenebat. Die beiden ersten Worte
am Versanfang auch IV 437. X 96; da an letzterer Stelle orare alter-
tümlich 'reden' heißt und der Zusammenhang sowie die umgebende
Phraseologie ennianisches Kolorit haben, so wird diese Verbindung aus
Ennius stammen (nach uuc q)dTO, s. z. 547). Das gleiche gilt für die
sakrale Phrase arasque tenebat (vergl. aras tangere XH 201 , wie aras
contingere aet. fratr. Arv. p. 34 Henzen), die sich mit der anderen ebenso
vereinigt findet IV 219 talibus orantem dictis arasque tenentem-, worauf
gleich das ennianische (audiit) omnipotens folgt. Die Phrase ist — eine
Bestätigung dafür, daß nicht Vergil sie prägte — in unserm Vers nur
mehr floskelhaft gebraucht: es handelt sich weder um ein Opfer (wie
Xn 201), noch weiß man, wo man sich diesen Altar stehen denken soll.
Prinzipiell steht jedenfalls der Annahme, daß Vergil einen Vers aus zwei
ennianischen Hemistichien kombinierte, nichts im Wege: s. z. 445 ff. —
Über das pluralische arae s. Anhang V.
VERS 121—125. 159
125 — 32 Der erste Teil der Erwiderung der Sibylle gehört sach-
lich zu den schwächsten Partieen dieses Buches, denn er enthält eine
Reihe von Widersprüchen, die ihrer Natur nach schwerlich bei einer
endgültigen Redaktion beseitigt worden wären. Erstens der Gedanke
dieses Abschnitts als solcher. Es ist der bekannte töttoc von dem Wege,
von dem es keine Wiederkehi* gibt. Aber dieser Gedanke paßt hier
wenig, wie Conington bemerkt (vergl. auch A. Gercke in: Neue Jhb. f. d.
kl. Alt. 1901, 15). Denn bei dem allgemeinen Menschenschicksal ist
freilich facilis descensus Äverni (126) und umgekehrt operis et laboris
plena via remeandi (128 f., vergl. 135). Aber wenn jemand wie Aeneas
lebend in die Unterwelt dringen will, so ist der descemus nichts weniger
als facilis: tatsächlich weist ja die Sibylle selbst im folgenden (260ff.)
den Aeneas auf die Gefahren des descensus hin, wie überhaupt weiterhin
die Vorstellung von der Mühsal und Schwierigkeit desselben durchaus
festgehalten wird (417fF. 461 ff. 534. 671. 688 ifer durum). Auch sieht
man nicht ein, zu welchem Zweck es der 136 ff. mitgeteilten Vorbedin-
gungen für den descensus bedarf, wenn der Zugang zur Unterwelt, wie
die Sibylle hier (127) sagt, jedem offen steht. Andrerseits widerspricht
auch das, was hier (128 ff.) von der Schwierigkeit der Rückkehr zum
Licht gesagt wird, der Erzählung von dieser Rückkehr 893 ff., wonach
sie ohne irgendwelche Schwierigkeit vor sich geht. — Zweitens. Aeneas
hatte 109 die Sibylle gebeten: sacra ostia pandas, gemäß der Vorstellung,
daß die Priesterin der 'GKaTT] KXrjboöxoc abou die Schlüssel zum ver-
schlossenen Tor des Hades habe. Wenn die Sibylle nun aber ant-
wortet 127 noctes atque dies patet atri ianua Ditis, so wird mit dieser
vulgären Vorstellung jene andere wenig angemessen negiert. — Drittens
(notiert von Deuticke). Aeneas hatte 119 ff. gesagt: „wenn es Orpheus,
PoUux, Theseus und Hercules freistand, in den Hades zu steigen und
von dort zurückzukehren, warum soll das mir, einem Abkömmling Jupiters
(wie Pollux und Hercules), verboten sein?" Die Sibylle sagt mit ihrer
Erwiderung 129 ff. „aus dem Hades an die Oberwelt hinaufzusteigen
vermochten nur Göttersöhne" dem Aeneas also nicht nur nichts Neues,
sondern etwas, das er selbst sogar mit Nennung jener Gottbegnadeten
genauer gesagt hat. — Wir haben nun hier um so weniger Berechtigung
zur Annahme, daß Vergil diese Inkonvenienzen bei endgültiger Redaktion
entfernt haben würde, als — wie schon bemerkt — der feierliche Anfang
der Sibyllenrede 125 säte sanguine divom den Schluß der Rede des
Aeneas et mi genus ab love summo aufnimmt, beide Reden also mit
Bezug auf einander konzipiert \md komponiert worden sind. — Besser
als der Inhalt ihrer Worte ist das Ethos, mit dem die Sibylle redet:
das empfindet man wieder bei dem Vergleich mit Ovid (m. XIV 108 ff.),
der sie in seiner Nachbildung auch dieser Pai-tie (vergl. oben S. 147)
mit Antithesen und Wortspielen tändeln läßt; dagegen hat Dante Inf. XTV
87 f. das vergilische Ethos würdig reproduziert.
125 orsa loqui (== 562) und säte sanguine divom sind, wie die
archaische Diktion vermuten läßt, ennianisch. Dem zweiten Ausdruck ver-
wandt ist Vrn 36 0 säte gente deum (wozu das schol. Dan. eine Be-
merkung macht, die darauf schließen läßt, daß Vergil Phrasen dieser
Art nicht selbst prägte) und V 45 genus alto a sanguine divom, eine
160 KOMMENTAR
Floskel, deren ennianischer Ursprung unten zu 500 {penus alto a sangume
Teucri) wahrselieinlicli gemacht werden wird. Ganz poetisch auch Livius
XXXVIII 58, 7 non sanguine humano sed stirpe divina satum. — 126 Über
das Schwanken der Hss. zwischen Anchisiade und ÄncMsiada s. An-
hang VI 2. — facilis descemus Äverno M (est in M^ interpoliert, vergl.
die Varianten 133. 719. 721), f. d. Ävern-e- P, f. d. Äverni R, beide La.
notiert Servius, aber' zugunsten von -i (Äverni, legitur et Averno). Die
Editoren schreiben wohl sämtlich mit M Averno, fraglich ob mit Recht,
denn Vergil braucht nach den Sammlungen von Fr. Antoine, De casuum
syntaxi Vergiliana (Paris 1882) 149 ff. sonst keinen Dativ bei einem
Verbalsubstantiv der Bewegung (Averno i. e. ad Avernum Serv.); auch
müßte Avernus dann hier allgemein 'die Unterwelt' bedeuten, und das
ist nicht recht wahrscheinlich in einer Szene, die wie die vorliegende in
der Nähe des lacus Avernus spielt (vergl. 126 f. descensus Averni bez.
Averno — atri ianua Ditis ^^ 106 f. inferni ianua regis — tenehrosa
palus d. i. eben der Avernersee). Also ist vielleicht descensus Averni
richtiger, d. h. ^der Abstieg am Avernus' (vergl. Plinius n. h. XVI 110
descensus speluncae).
127 ff. noctes atque dies = Lucr. H 12. III 62 (W. Ribbeck), wohl
ennianisch, s. z. 556 noctesque diesque, und über das spondeische Wort
im 1. Fuß Anhang VIII. — ianua Ditis: Lucr. I 1112 ianua Leti. —
paud quos aequus amavit \ Jupiter vergl. hymn. in Cer. 487 f. )u^y' öXßioc
övTiv' CKeivai (m Geai) | irpocppoveujc 9iX(JuvTai. Die Worte wurden
geflügelt: Plin. ep. I 2, 2 vim tantorum virorum 'pauci quos aequus amavif
adsequi possuM. — dis geniti biOTeveic. — 130 evexit ad aethera virtus.
Der hyperbolische Ausdruck (vergl. C. Weyman in den Blatt, f. d. Gym-
nasial-Schulwesen XXXVIII 1902, 227) läßt in Verbindung mit dem in
archaischer Poesie öfters als in der vergilischen gebrauchten trochaeischen
Einschnitt nach dem vierten Trochaeus (s. Anhang VII B 2 b) die Möglich-
keit einer Anlehnung an ältere Poesie erwägen; ähnlich III 158 venturos\
tollemus I in astra nepotes mit deutlicher Reminiszenz an das berühmte
ennianische tollere in caerula caeli templa (a. 66). — 131 f. Die Rück-
kehr nach oben ist schwer, denn tenent media omnia silvae \ Cocytusque
sinu Idbens circumvenit atro im Gedanken und in einzelnen Worten
weniger nahe verwandt mit X 155 ff. xc^efTÖv be xdbe IwovOiv opcicrGai |
ILieaduj föp iLieTotXoi iroTaiLioi Kai beivd pee6pa als mit Aristoph.
Ran. 46 9 ff., wo der Torwart des Hades zu Dionysos-Herakles sagt:
vOv e'xei iixecToc' Toia Xtutöc (Je . . . Trexpa 'Axepövxiöc xe (TKÖTreXoc . . .
qppoupoOai KujKUToO le ... Kuvec. Wahrscheinlich sind die innerhalb
der überhaupt späten homerischen Nekyia besonders jungen, schon von
den alten Kritikern als Interpolation ausgeschiedenen Verse von X, Aristo-
phanes und Vergil von einer uns verlorenen KaraßaCTic (vermut-
lich 'HpaxXeouc, s. z. 260. 309ff. 384ff.) abhängig; aus derselben
Quelle wie Aristophanes die 'Hunde (Erinyen) des Kokytos' wird Vergil
auch unten 374f. den 'Strom der Eumeniden', nämlich eben den Cocytus,
kennen. — Über das Schwanken der Hss. zwischen Gocytos und Cocytus
s. Anhang VI 1.
133 ff. Der mittlere Teil der Rede (bis 136 prius) ist, je geiingeren
Umfang er hat, um so kunstvoller in der Diktion; eTravaqpopai : si tan-
VERS 125—136. 161
tus — si tanta, bis — bis, ojaoiOKaTapKTOv: msano — mdulgere (besonders
stark durch Accentuation der gleichen Silben, vergl. II 84. 93; außerdem
erhält indulgere durch den Rhythmus großen Nachdruck, s. z. 29), icTÖ-
kujXov (vergl. Anhang II 3): Stygios innare lacus = nigra videre Tartara
(je 8 Silben). — amor . . . ciipido, innare . . . videre. Ermöglicht wurde
diese Konstruktion für lateinisches Empfinden dadurch, daß amor (cupido)
est dem Sinne nach mit iuvat, libet u. dergl. zusammenfiel (Wölfflin,
Arch. f. Lex. XI 1900, 505 f.). Das älteste Beispiel Ennius, Medea fr. III
cupido cepit miscram nunc me proloqui ist bezeichnenderweise eine Über-
setzung aus dem Griechischen (Eurip. Med. 5 7 f. uj(J0' ijuepoc |U0UTrfiX9e , . .
XeHai, notiert von J. Schaf 1er, Die syntaktischen Gräzismen etc., Am-
berg 1884, 75). Nach Ennius hat diese Freiheit wohl erst Vergil wieder,
und zwar besonders da, wo das Gerundium metrisch imbrauchbar war,
wie II 10 f. amor . . . cognoscere . . et audire (vergl. Köne 15). — si
tanta cupido stilistische Variation (mit leichter Steigerung) für das
vorangehende si tantus amor, wie gleich bis nigra videre Tartara von
bis Stygios innare lacus (s. z. 25). — bis Stygios innare lacus, bis nigra
videre \ Tartara nach |n 21f. (TxeTXioi o'i JÜuuovxec uTTriXGexe bujju' 'Aibao ]
bi(T9aveec (ürsinus). — innare c. acc. nicht vor Vergil, vergl. 369 u. ö.;
hier steht innare lacus wie in sachlichem so in formalem Parallelismus
mit videre Tartara (s. Anhang 11 3). — 135 Tartara aus metrischer
Bequemlichkeit im Nom. und Acc. bei Vergil 13 mal (neben einmaligem
TaHarus unten 577); für den überhaupt unbrauchbaren Gen. und Dativ
läßt er Erebi, Erebo (unten 247. g. IV 471) oder das Adjektiv Tartareus
(unten zu 295) eintreten, vergl. Köne 31. 37. Tartara ist für uns zuerst
bei Lucr. nachweisbar, wird aber früherer Poesie angehören, da solche
Metaplasmen älter zu sein pflegen (Lucr. V 1126 Tartara taetra mit echt
ennianischer Paronomasie und einem in feiner Poesie unbeliebten Adjektiv).
— insano iuvat indulgere labori ^^ II 776 i. i. i. dolor i. Da letztere
Worte in einer Umgebung ennianischen Kolorits stehen, so wird Vergil
bloß das Schlußwort variiert haben. Auch die starke Alliteration, die
Gravität des Rhythmus Tind der sachlich für die vorliegende Situation,
wie bemerkt (S. 159), nicht recht passende Gedanke sind Instanzen für
Entlehnung der Phrase aus älterer Poesie.
136 ff. Hier beginnt die
Episode vom goldnen Zweig,
dessen Besitz den Zutritt zur Unterwelt ermöglicht. Aeneas bemächtigt
sich seiner in einem Hain am Avemus (187 ff.), wo er einer Mistel
gleich an einer Steineiche wächst, beschwichtigt durch ihn den Groll des
Charon (405 ff.) und heftet ihn an die Pforte des Palastes der Perse-
phone (630 ff.), für die er als Geschenk bestimmt ist (142. 632). Dieses
märchenhafte Motiv ist uns sonst nicht überliefert (so wenig wie
das meiste von dem Märchenhaften Trepi tdiv ev abou, das Apuleius
met. VI 19 zu berichten weiß); schon Comutus wußte nichts Besseres,
als es für eine Fiktion Vergils zu erklären (Macrob. V 19, 2, vergl.
Serv. z. HI 46. IX 81). Das auch für uns nicht mehr völlig lösbare
Problem soll nach folgenden Gesichtspunkten erörtert werden: 1. Welche
Vorstellungen liegen zugrunde? 2. Schöpft Vergil aus schriftlicher Über-
lieferung? 3. Läßt sich diese bestimmen?
Vergil Buch VI, von Norden. 11
162 KOMMENTAR
1. Für die Beantwortung der ersten Frage war entscheidend, daß
J. Grimm, Deutsche Myth. 11'^ (Berlin 1876) 1009, III* 354 (und unab-
hängig davon H. Keck, Jahrb. f. Phil. 1878, 792 ff.) auf Vers 205 fif. hin-
wies, wo der goldene Zweig mit der Mistel verglichen wird; dadurch
ist die Sphäre gegeben, innerhalb welcher die Untersuchung sich zu be-
wegen hat: Grimm selbst hat viel Material für den weitverbreiteten, an
den Mistelzweig anknüpfenden Aberglauben bei Germanen und Kelten
beigebracht. Mit teilweiser Benutzung desselben werden wir zu unter-
suchen haben, was daraus für Vergil zu lernen ist.
a) Zunächst ist zu betonen, daß Vergil den goldnen Zweig mit der
Mistel bloß vergleicht. Haben wir also überhaupt die Berechtigung,
die an die Mistel sich anschließenden abergläubischen Vorstellungen für
die Exegese Vergils zu verwerten? Diese Frage muß bejaht werden.
Denn ein Gleichnis auf mythischem Gebiet bedeutet hier wie oft das
Herabsinken einer Vorstellung von der höchsten Stufe, auf der zwei Be-
griffe sinnlich in einander geschaut werden, zu der tieferen, auf der sie
bereits verstandesmäßig auseinandergelegt und bloß mehr verglichen
werden: ein Prozeß, der so alt ist wie unsere frühsten mythologischen
Urkunden und für den Vergil selbst noch andre Beispiele bietet. So
wird Od. b 121 f. Helena mit Artemis verglichen; in Wahrheit ist jene
eine Hypostase dieser (vergl. S. Wide, Lakon. Culte, Leipz. 1893, 174 f.).
Ebendort i 191 f. wird Polyphem mit einer ragenden Bergesspitze ver-
glichen; tatsächlich sind die Kyklopen, oi y'uijiriXujv öpeujv vaioucTi KCtpriva
(113, vergl. 400) und Felsblöcke schleudern (481 f.), Personifikationen
der vulkanischen Gebirge, wie schon die Alten wußten. Bei Nikandros
(fr. im schol. Nik. Ther. 460) tanzen die bpuec oTd re Trap9eviKai; viel-
mehr sind die Bäume, d. h. die in ihnen wohnenden Nymphen, selbst
TTttpeevoi (Pausan. VIII 24, 7, vgl. Mannhardt 1. c. [S. 167] 19). Bei Verg.
V 5 22 ff. ist das brennende Geschoß, das mit einem Meteor verglichen
wird, eigentlich selbst ein Meteor (ßoXri); VI 311 ff. werden die Seelen
mit Vögeln verglichen: in Wahrheit sind sie Vögel, wie aus griechischer
Literatur und Kunst (vergl. Eohde, Psyche 11^ 371, 2), sowie aus der
gleichen Vorstellung anderer Völker ■'^) bekannt ist; vergl. ferner unten
z. 282 ff. Ein Beweis für solches Auseinanderlegen mythologischer Vor-
stellungen mag endlich noch aus einem anderen Kulturkreis angeführt
werden. Die Inder dachten sich ihren Weltheiland mit einem Schwerte
kommen, das 'wie ein Komet' strahlen werde; aber bei den Persem ist
es ein Komet selbst (bei den Christen eine besonders auffällige Planeten-
konjunktur), der sein Erscheinen begleitet (vergl. H. Luken, Traditionen
des Menschengeschlechts, Münster 1856, 320. 364).
1) Vergl. Grimm 1. c. 690 ff.; J. Zemmrich, Toteninseln (Leiden 1891) 20;
E. Samter, Familienfeste (Berlin 1901, 6, 1). Ich füge den uns erreichbar
ältesten Beleg hinzu: Höllenfahrt der Istar, eine altbabylonische Beschwörungs-
legende ed. A. Jeremias (München 1886) 9: „nach dem Lande ohne Heimkehr,
nach dem Hause der Finsternis | ... da Licht sie nicht schauen, in Finsternis
wohnen, | da sie gekleidet sind wie Vögel in ein Flügelgewand." — Auch der
Verfasser von Od. tu 5 ff. vergleicht bloß noch die Seelen mit Vögeln, woraus
E. Rieß, Rhein. Mus. XLIX (1894) 189 f. richtig auf ursprüngliche Identität
schließt.
VERS 136 ff. 163
b) Das Altertum hat die Mistel zu den repaia gerechnet. Als
Te'pac bezeichnete sie das Volk nach Theophrast de caus. pl. II 17. Als
solches muß sie auch behandelt gewesen sein von Alexander Polyhistor,
aus dem Plinius n. h. XIII 119 die Notiz übernimmt, daß das viscum
gegen Wasser und Feuer gefeit sei: denn diese Nachricht des Polyhistor
kann, ihrem Charakter nach zu urteilen, wohl nur in seiner öaujuaCTiUJV
(TuvaTOiTil gestanden haben, in der er nach Photios bibl. cod. 188 auch
TepaTuubri Kai dmcrTa irepi qpuTuJv behandelte. Auch der Vergilinterpret
Donatus nennt sie zu 208 f. miraculum.
c) Was gab nun Anlaß zu dieser Vorstellung der Mistel als xepac?
Sie sprießt ohne Zusammenhang mit dem Erdboden und scheinbar ohne
Samen aus dem Baum: Vergil 206 quod (viscum) non sua seminat arbos,
Theophrast 1. c. Sie hat femer eine für das Leben des Baumes ver-
nichtende biJva)Liic: Theophr. ib. V 15, 4 f] iHia boKei Kai öXuüc TOt
eiLißXacTTdvovTa cpGeipeiv. Sie wächst endlich — und das ist für diese
Untersuchung von besonderer Wichtigkeit — im Winter, wenn die übrige
Natur ihren Todesschlaf hält. Denn Winter und Tod sind für mythisches
Denken eins: ein Völkergedanke, den ein Orakel aus der Zeit um
Chr. Geb. (bei Labeo-Macrobius sat. I 18, 19) schlagend in die Worte
zusammendrängt: „der höchste Gott heißt im Winter Hades".
d) Demgemäß finden wir die Mistel in mehreren, von Grimm an-
geführten Sagen in Verbindung mit der Unterwelt gesetzt. Im ger-
manischen Mythus tötet Loki den Baidur durch einen Mistelzweig, d. h.
die Finsternis des Winters überwindet durch höllischen Zauber den
Lichtgott des Frühlings. Nach einigen Stellen der älteren Edda hat
Loki den Mistelzweig, der die Unterwelt öffnet, am Höllentor gebrochen,
wie Aeneas am Avernersee, wo die inferni ianua regis (106) ist. Auch
bei den Kelten, denen die Mistel vor allen heilig galt (Plinius XVI 249 ff.),
erschloß sie die Unterwelt (vergl. Grimm). ^)
e) Auch der Aberglaube, daß die Mistel nicht mit einem eisernen
Instrument abgeschnitten werden darf (Vergil 148), ist ein altes Motiv,
das wir nicht bloß in der von Grimm angeführten germanischen Vor-
stellung, wonach sie mit einem Stein abgeschlagen werden muß ^), wieder-
finden, sondern auch in der Notiz des Plinius XXIV 12, daß das viscum,
ohne Eisen von einer Eiche gewonnen, die Epilepsie heile. Die Dämonen
fürchten das Eisen (als eine Errungenschaft der Kultur): der Zauber
würde also bei dem Gebrauch von Eisen durch Gegenzauber aufgehoben
werden; s. z. 2 60 ff.
f) Wir sahen (unter c), daß die Mistel wegen ihres Blühens im
Winter als ein Symbol des Todes gelten mußte. Aber Tod und Leben
1) Nach Grimm soll sie keltisch 'pren purawr' d. i. 'Baum des reinen
Goldes' genannt worden sein. Das wäre ja eine schlagende Analogie zu Vergils
'goldnem Zweige'. Aber wie mir H. Zimmer mitteilt, ist die Beziehung jenes
Ausdrucks auf die Mistel unsicher, und darf höchstens als eine mögliche Ver-
mutung gelten.
2) Vergl. A. Kuhn, Herabkunft des Feuers (Berlin 1859) 231 f.: „Noch heute
heißt es gewöhnlich, die Pflanze (nämlich die Mistel) nvüsse gepflückt, dürfe
nicht geschnitten werden; in Schweden glaubt man, daß, wenn die Mistel ihre
gehörige Kraft haben soll, sie von der Eiche herabgeschossen oder mit Steinen
herabgeschlagen werden müsse."
11*
164 KOMMENTAR
sind für mytliisclies Denken nicM immer Gegensätze, sondern tonnen
eine Einheit bilden. Denn die Natur stirbt nur, um wieder aufzuleben:
Dionysos ist, mit Heraklit zu reden, derselbe wie Hades' und doch
zugleich der Gott des Frühlings, So war die Mistel auch umgekehrt
ein Symbol des Lebens. Denn ihre immergrünen Blätter schienen dem
sinnenden Menschen die feste Hoffnung zu geben, daß die Vegetation
von neuem erstehen werde, und so gewissermaßen das Leben in der
winterlichen Todesnacht zu repräsentieren^); immergrün ist auch der
Baum, auf dem sie hier wächst, die ilex (209), auch sie den Mächten
der Unterwelt heilig.^) Wer also diese wunderbare Pflanze in seinen
Besitz zu bringen weiß, der wird dadurch Herr über den Tod. Das
muß die zugrundeliegende Vorstellung sein, wenn wir bei Vergil lesen,
daß Charon denjenigen zu Willen ist, die ihm die Mistel zeigen: sie be-
zwingen eben den Dämon des Todes. Und wenn wir weiterhin lesen,
daß Aeneas den Zweig der Persephone zum Geschenk macht ^), so ver-
stehen wir jetzt den Sinn, der darin liegt: Persephone ist die Göttin der
Tiefe, die das Leben nicht bloß als Todesgöttin tilgt, sondern als Vege-
tationsgöttin auch von neuem hervorsprießen läßt (ßiobujTic); ihr gehört
also in Wahrheit zu eigen jenes Symbol, das, wie die Göttin selbst, die
Kräfte des Lebens und Todes in sich vereinigt und ihr die Wiederkehr
zimi Lichte des Tages gewährleistet. Sind diese Ausführungen richtig,
so fällt ein besonderes Licht auf den Vers (205), in dem der Dichter
von der Mistel sagt, sie kleide sich brumali frigore mit neuem Grün.*)
1) Vergl. J. Murr, Die Pflanzenwelt in der griech. Mythologie (Innsbruck
1890) 118: „Wie alle immergrünen Bäume, eigneten sich insbesondere auch die
Nadelhölzer für die Vorstellung der immerwährenden Fortdauer des Lebens . . .
und konnten so leicht zu den Unterirdischen in Beziehung gesetzt werden";
vergl. ib. 195 über die 'Immortelle' (^Xixpvjcfoc oder xpoadvGeiuov), die schon
im Altertum „wegen der Dauerhaftigkeit und Unverwelklichkeit der goldfarbigen
Blütenköpfchen zur Bekränzung der Gräber verwendet wurde." Eine Analogie
aus einem andren Kulturkreise bei Fr. Delitzsch, Wo lag das Paradies? (Leipzig
1881) 91 : „Der heilige Baum, welcher bei den Babyloniern wie bei den Assyrern
eine so große Rolle spielt . . . , erweist sich als Baum des Lebens, der Unsterb-
lichkeit. Ob ihm eine Pinie oder Cypresse zu Grunde liegt, läßt sich schwer
entscheiden, jedenfalls eine immergrüne Art." In dem genannten vortrefflichen
Buche Murr's ist die Mistel leider nicht mitbehandelt.
2) Vergl. Murr 1. c. 11: „Die Steineiche mit ihren dunklen, immergrünen
Blättern wurde frühe zum Trauerbaume . . . wie die Cypresse." Zu den dort
angeführten Belegen kommt noch Culex 140, wo die ilex neben der non laeta
cupressus genannt ist. Von der Cypresse sagt Seneca Oed. 632 f. cupressus . . .
virente semper trunco und Statins Theb. VI 92 (99) briimae inlaesa. Was aber
mag es mit der XeuKi^ Ku-rrdpiaooc für eine Bewandtnis haben, die nach der
Aufschrift eines der unteritalischen Goldtäfelchen (IGSi 641) im Hades bei einer
Quelle steht?
3) Vergl. munus 142, donum 632. Der Zweig wird von Aeneas vom auf
der Schwelle des Palastes der Persephone festgeheftet (636 ramum adverso in
limine figit). E. Maaß, Orpheus (München 1895) 207, 1 vergleicht mit dieser
symbolischen Handlung wohl richtig den für Griechenland und Rom bezeugten
Brauch, Tannen-, Pinien- und Cypressenschößlinge um das Wohnhaus auf-
zupflanzen; vergl. auch Murr 1. c. 119. 125, 6.
4) Vergl. Seneca. in der großen iuaYini*) upaHic der Medea 714 — 716: Medea
pflückt (quodcumque tellus vere nidifico creat) | aut rigida cum iam bruma dis-
ciissit decus | nemorum et nivali euncta constrinxit gelu, nämlich eben das vis-
cum, das er in affektiert rhetorischer Manier statt mit Namen zu neimen bloß
w*
YERS 136 ff. 165
Wir werden hrumalis ganz eigentlich (nicht allgemein = Memalis) ver-
stehen dürfen: die hruma, die Zeit der Wintersonnenwende, ist der Tag,
an dem der Dämon des Todes und der Finsternis, mit seinem höllischen
Heer am Himmel dahintosend, den Genius des Lichts zu vernichten sucht,
der aber als Sieger aus dem Kampf hervorgeht und nun von Tag zu
Tag herrlicher erstrahlt. Die hruma fiel nach cäsarischem Kalender auf
den 25. Dezember (vergl. Plinius n. h. XVHI 221, W. Tomaschek in den
Sitzungsber. d. Wien. Ak. LX 1868, 359 ff., Mommsen zum CIL I^ p. 288),
also einen Tag, den auch der heidnische Germane mit abergläubischer
Scheu heilig hielt ^), lange bevor ihn die christliche Kirche übernahm
und weihte als den Tag, an dem zum erstenmal die Finsternis er-
leuchtet ward vom Lichte Christi, des Herrn über Leben und Tod, der
wie Dionysos, Herakles und Orpheus, die hellenischen (TiUTfipec, auch
seinerseits zur Hölle niedergefahren war und ihre Schrecken überwunden
hatte. Wenn es also in unserm schönen alten Weihnachtsliede heißt:
„Es ist ein Eeis entsprungen aus einer Wurzel zart . . ., und hat ein
Blümlein bracht mitten im kalten Winter", so reproduziert der
unbekannte Dichter dieses Liedes dieselbe Vorstellung, die dem hrumale
frigus Vergils zugrunde liegt ^) und die der Weihnachtsbrauch noch
heutigen Tages mit der Mistel in England und anderwärts^) verbindet,
g) Die vorgetragenen Momente düi-fen teils als sicher, teils als
in hohem Grade wahrscheinlich gelten, während die Hypothesen von
W. Schwartz, Indogerman. Volksglaube (Berlin 1885) 64ff.*) imd^. Frazer,
The golden bough 11^ (London 1900) S. 449 ff. keine Beweiskraft haben.
Auch die Kombinationen, die A. Jacobsson, In necyiam Virgilianam studia
nonnulla (üpsala 1895) durch Vergleich mit einem isländischen Mythus
anstellt, sind haltlos, da sie, wie mir 0. Jiriczek, der erste Kenner der
nordischen Sagen, mitteilte, auf einer noch dazu unwahrscheinlichen Text-
konjektur beruhen.^)
umschreibt wie sämtliche anderen von ihm in dieser Scene genannten Kräuter.
Da Seneca hier sachlich von Vergil unabhängig ist, so darf er als selbst-
ständiger Zeuge gelten.
1) Das hat freilich A. Tille, Gesch. der deutschen Weihnacht (Leipz. 1893)
und: Jule and Christmas (London 1899) zu bestreiten gesucht, aber Fr. Vogt,
Die schlesischen Weihnachtsspiele (Leipz. 1901) 88 ff. hat nachgewiesen, daß
die traditionelle Auffassung zu Recht besteht.
2) Die hruma (25. Dez.) entspricht genau unserm 'Mittwinter,' denn sie
fällt mitten zwischen Wintersanfang (Frühuntergang der Plejaden am 11. Nov.)
und Wintersende (Eintritt des Zephyr am 8. Febr.): vergl. Plinius n. h. XVIII 222.
3) Eine interessante Überlieferung aus Deutsch-Mähren bei Vogt 1. c. 56:
dort wird der Mistelzweig kombiniert mit dem Tannenbaum, der in Deutschland
sonst die Mistel verdrängt hat.
4) Doch verdient folgende Analogie Erwähnung, die Schwartz 1. c. 83 f. für
die verg. Worte 146 ff. namque ipse (der goldne Zweig) volens facilisque sequetur,
I si te fata vocant: aliter non viribus ullis ( vincere nee duro poteris convellere
ferro aus einer Sage von der Springwurzel anführt: „Sie floh vor den Menschen
und keiner hat sie jemals gebrochen, es sei denn, daß er von der Vor-
sehung ausdrücklich dazu bestimmt gewesen wäre."
5) Dagegen sei wenigstens anmerkungsweise auf die Analogie in dem
ältesten uns bis jetzt bekannten Mythus hingewiesen: in dem altbabylonischen
Epos von Izdubar (Nimrod, Gilgames) findet sich nach der Analyse und
Übersetzung von A. Jeremias (in Roschers Lexik, d. Myth. 11 773 ff.) folgende
7.^.
166 KOMMENTAR
2. Wir kommen zur zweiten Frage: liat Vergil diesen Volksglauben
zuerst aufgegriffen und literarisch verwertet? Es mag gleich bemerkt
werden, daß wir hier ohne Vermehrung unseres Materials keine absolut
sichere Antwort zu geben in der Lage sind, doch müssen wir versuchen,
die Möglichkeiten gegen einander abzuwägen.
a) Dem Cornutus war nach seiner anfangs erwähnten Bemerkung
kein literarischer Gewährsmann bekannt, aber ich würde daraus nicht
(z. B. mit R. Ehwald im Philologus LIII 1894, 734ff.) zu schließen
wagen, daß es einen solchen nicht gegeben habe. Denn auch die Vor-
stellung von der Locke, die der sterbenden Dido abgeschnitten werden
muß, bevor sie in den Hades eingehen kann (IV 698 ff.), erklärte der-
selbe Cornutus (nach Macrobius 1. c.) für poetische Erfindung Vergils,
wogegen schon derjenige alte Exeget, dem Macrobius diese Nachricht
entnahm, auf Euripides' Alkestis 7 3 ff. verwiesen hat. Unter die ßgmenta
poetica, deretwegen Vergil getadelt wurde, fiel nach Servius zu III 46
auch die Erzählung von Polydorus (III 22 ff.): dieser war von Lanzen
überschüttet worden, die nun als Zweige aus seinem Grabe wachsen und
bluten, als Aeneas sie losreißen will. Nun aber werden von neueren
Erklärern für die Idee Stellen aus Ovids Metamorphosen (besonders
II 358ff.) angeführt, die sicher nicht aus Vergil, sondern aus Ovids
griechischer Quelle stammen. Also müssen wir schließen, daß Vergil
ein in hellenistischen Verwandlungssagen (vergl. Apollon. Eh. III 8 65 f.)
Scene. Der Held ist in die Unterwelt gestiegen und möchte wieder ans Licht
gelangen. Da wird ihm der Bescheid, er müsse zuerst die Wunderpflanze
(„ähnlich dem Stechdorn") erbeuten. Das gelingt ihm, er kommt mit der
Pflanze zu dem Fährmann der Toten und spricht zu ihm: „Diese Pflanze ist
die Pflanze der Verheißung, durch welche ein Mensch sein Leben erlangt."
Nun geht die Fahrt los, aber die Pflanze wird ihm von einem Dämon der Tiefe
geraubt [d. h. also: schon dieser uralte Mythus ist — wie für andere Teile
schon von anderen nachgewiesen worden ist — kontaminiert, denn das Motiv
wird fallen gelassen und ist zwecklos, da der Held auf andere Weise an die
Oberwelt gelangt]. — Bei dieser Gelegenheit sei auf die erstaunlichen Analogieen
hingewiesen, die dieser Mythus mit den griechischen Nekyien überhaupt hat.
So, um nur die auffälligsten Motive zu erwähnen, die die babylonische Katabasis
mit der vergilischen (bezw. deren Vorlagen) gemeinsam hat: wie Izdubar seinen
„Ahn", so will Aeneas seinen Vater besuchen; wie Aeneas der Sibylle, so trägt
Izdubar seine Bitte einer göttlichen Jungfrau vor; wie die Sibylle den Aeneaa
auf die Beschwerlichkeit und die Gefahren hinweist, die bisher nur von Götter-
lieblingen bestanden worden seien (Vers 128 ff.), so spricht die Götterjimgfrau
zu Izdubar: „Es hat niemals eine Fähre gegeben, und niemand seit ewiger
Zeit kann das Meer überschreiten; Samas der Held hat überschritten das Meer,
außer Samas wer kann es überschreiten? Schwer ist die Überfahrt, gar be-
schwerlich ihr Pfad;" wie Aeneas von Charon, so wird auch Izdubar von einem
Fährmann übergesetzt; wie Aeneas den Anchises auf den Gefilden der Seligen
trifft, so Izdubar seinen Ahn; wie Aeneas von Anchises, so bekommt Izdubar
von seinem Ahn einen lehrhaften Vortrag zu hören, der in beiden Fällen mit
dem Hinweis auf die Heroisierung des Redenden schließt. Daß die griechischen
Sagen, denen Vergil die Motive entnahm, von der semitischen beeinflußt wären,
müßte in vorliegendem Fall selbst derjenige für ausgeschlossen erachten, der
eine solche Beeinflussung prinzipiell für denkbar hielte; denn das, was Usener,
Sintflutsagen (Bonn 1899) von einer in das babylonische Epos eingefügten
Episode, dem Bericht von der großen Flut, unwiderleglich bewiesen hat, muß
auch von dem Ganzen gelten: es handelt sich um Völkergedanken, die in
dichterischer Ausgestaltung analoge Formen erhalten haben.
VERS 136 ff. 167
beliebtes echtes Sagenmotiv (vergl. "W. Mannhardt, Wald- u. Feldkulte 11
Berlin 1877, 21) auf die Sage von Polydorus übertragen und in das
in. Buch, für dessen Ausfüllung er um mythologischen Stoff verlegen
war, hineingearbeitet hat. In analoger Weise wird endlich über die
letzte 'poetische Erfindung' zu lu-teilen sein, die man ibm als solche
vorwarf (Servius zu IX 81): die Erzählung von der Verwandlung von
Schiffen in Nymphen IX 7 7 ff., eine Metamorphose, die ganz hellenistisch
aussieht und wohl nur von Griechen ausgedacht sein kann, die sich ihre
Schiffe als beseelte Wesen dachten (Aesch. Suppl. 682 K. Kai TTpuJpa
irpöcrGev ömiiacri ßXe-rrouc' öböv, Aristoph. Ritt. 1300 ff., vergl. v. Wila-
mowitz. Alistot. u. Athen II 178, 21. R. Thomas, Progr. Augsburg 1900);
von einer reinen 'Erfindung' kann schon deshalb kaum die Rede sein,
weil er sonst wohl nicht gewagt hätte, die Erzählung einzuleiten mit
den Worten prisca fides facti (IX 79), s. z. 264ff. Also beweist das
Zeugnis des Comutus (auf den überhaupt die Notierung dieser 'Er-
findungen' zurückgeht, vergl. Georgii [z. 14] 153 f.) nicht, daß unsere
Sage in der Literatur nicht vorkam. Wie wenig wir damit dem Cor-
nutus zu nahe treten, zeigt die Tatsache, daß selbst Probus die Quelle
für g. III 391 ff. (Pan und Luna) nicht anzugeben wußte, die erst ein
späterer Erklärer in Nikandros erkannte (Macrob. V 22, 9f); wir werden
daher demselben Probus auch nicht ohne Weiteres zu glauben brauchen,
daß ein spezielles Motiv in der Camillasage ein diriGavov irXdcTiaa Vergils
sei (XI 552 ff. mit Serv. D. zu 554).
b) Es ist an sich glaublicher, daß Vergil einer schriftlichen "Über-
lieferung folgt. Gilt das überhaupt für römische Dichter, so gerade
auch für ihn, dessen Sache eine einstmalige Verwendung volkstümlicher
Motive nicht gewesen ist: arbeitet er doch selbst in den Georgica, einem
Stoff, der ihm als einen Sohn der cisalpinischen Bauernschaft vertraut sein
mußte, fast durchweg nach schriftlichen Quellen. Zudem bietet gerade
unser Buch eine ^Bestätigung für diese Praxis seines Arbeitens. Den
Wunderbaum mit den Träumen im Innern der Unterwelt (282 ff.), doch
ein genaues Analogon zum Baum mit dem goldnen Zweig an der Pforte
der Unterwelt, kennt außer Vergil kein antiker Zeuge, aber es wird
z. d. St. bemerkt werden, daß wir es mit einem Rudiment ältester, eben-
falls in der nordischen Mythologie geläufigen Vorstellung zu tun haben;
diesen Wunderbaum kennt er aber aus literarischer Tradition, wie er
durch ferunt (284) andeutet.
c) Auf eine schon von M. Schmidt, Rh. M. VI (1848) 31 9 f. mit Vers
205ff. verglichene Glosse desHesychios xpucroppaxec epvoc dtreppriTMtvov
f| dTre(JTpa|Li)Lievov d-rro toO bevbpou wurde ich durch R. Wünsch hin-
gewiesen (das carpere und refringere des goldnen Zweigs hebt auch
Vergil hervor 146 ff. 210). Doch wage ich aus diesem Argument keine
Schlüsse zu ziehen.
3. Die dritte Frage, ob sich die Vorlage Vergils mit Sicherheit
bestimmen lasse, muß verneint werden. Das einzige, was mit den mir
bekannten Mitteln sicher erreicht werden kann, ist das negative Resultat,
daß zwei von dem Dichter sonst benutzte Nekyien für das Mistelmotiv
nicht in Betracht kommen.
a) Heyne hat eine Hypothese aufgestellt (Excursus zu Buch VI),
168 KOMMENTAR
für die auf den ersten Blick manches zu sprechen scheint und die früher
(Hermes XXVIII 1893, 367 f.) von mir angenommen und präzisiert wurde.
"Weiter unten (408 f.) heißt es nämlich, Charon habe sich zur Überfahrt
des Aeneas bereit finden lassen, als er den goldnen Zweig erblickte
longo post tempore visum. Also muß ihn, sollte es scheinen, schon ein
anderer KaxaßaivuJV vor Aeneas getragen und dem Charon gezeigt haben.
Herakles und Theseus können nicht gemeint sein, denn sie drangen, wie
Charon selbst sagt (392 ff.), mit Gewalt in den Hades ein. Also liegt
es nahe, an Orpheus zu denken und demgemäß die orphische KaTdßa(Tic
als Vergils Quelle zu vermuten. Dieser — von J. Six, Athen. Mitt.
XIX, 1894, 338 gebilligten und durch ein nur scheinbares Argument
gestützten — Hypothesenreihe schreibe ich jetzt keine Beweiskraft mehr
zu, seit Kroll 1. c. (zu 110 ff.) 154, 3 darauf hingewiesen hat, daß Vergil
sich durch die Situation zu jenem Zusatz longo post tempore visum ge-
zwungen sah, weil Charon, wenn er die Zauberkraft des Zweigs nicht
schon von früher her gekannt hätte, ihn jetzt in der Hand der Sibylle
nicht hätte wiedererkennen und daher den Aeneas nicht hätte übersetzen
können (vergl. auch P. Knapp, Orpheusdarstellungen, Tübingen 1895, 11).
Es mag hinzugefügt werden, daß es auch deshalb nicht wahrscheinlich
ist, an die orphische Katabasis zu denken, weil Orpheus wenigstens nach
der gesamten uns bekannten Tradition kraft seines Leierspiels und Ge-
sanges die Dämonen der Tiefe bezwungen hat, eine Tradition, der Vergil
selbst an einer früheren Stelle unseres Buches folgt (11 9 f.); man müßte
also annehmen, daß er verschiedene Fassungen des Mythus nebeneinander
gestellt hätte, eine Annahme, die freilich nicht unerhört (s. z. 601 ff.),
aber doch nicht gerade wahrscheinlich sein würde. Endlich war die
orphische Katabasis ein vielgelesenes, von Servius selbst öfters zitiertes
Gedicht (s. z. 384 ff.): wie wäre es also denkbar, daß die antiken Er-
klärer vor einem in dieser überlieferten Motiv wie vor einem Eätsel
gestanden haben sollten?
b) Ebensowenig wie die orphische Katabasis kann die des Herakles
in Betracht kommen: nicht bloß deshalb, weil Herakles, wie gesagt,
gewaltsam in den Hades eindrang, sondern auch aus folgendem Grunde.
Weiter unten (2 60 ff. 2 90 ff.) wehrt sich Aeneas auf den Befehl der
Sibylle gegen die ihn umdrängenden monstra des Hades mit seinem
Schwerte. Dies Motiv ist aus der KttiaßacTic 'HpaKXeouc direkt über-
liefert (s. z. 2 60 ff.). Unmöglich kann diese KaiaßacTic die Mistel gekannt
haben: denn wozu das Schwert, wenn die Mistel den Zutritt zur Unter-
welt gewährt, indem sie den Charon gefügig macht? Die Dublette von
Schwert und Mistel bei Vergil ist die Folge einer von ihm vollzogenen
Kontamination zweier heterogener Motive, von denen wir bei dem einen
die Quelle kennen, während sie uns bei dem zweiten verborgen ist.
c) Sind wir nun also auch nicht in der Lage, eine von Vergil
benutzte Nekyia, die das Zweigmotiv gekannt hätte, namhaft zu machen,
so läßt sich doch vielleicht noch die Sphäre vermutungsweise bezeichnen,
in die wir durch jenes Motiv geführt werden. Servius hat zu Vers 136,
mit dem das Mistelmotiv einsetzt, eine lange Bemerkung, die er nach
Scholiastenart aus mehreren älteren Kommentaren roh kontaminiert hat;
darin stehen folgende Worte: licet de hoc ramo hi qui de sacris Pro-
YERS 136 ff. 169
serpinae scripsisse dicuntur'^), quiddam esse mystimm affirment, publica
opinio hoc habet (folgt ein Exzerpt aus einer anderen Quelle, die nichts
Brauehbares gibt; dann vrieder aus der ersten): et ad sacra I^oserpinae
accedere nisi sublato ramo non poterat. inferos autem subire hoc dicit,
Sacra celeh'are Proserpinae (folgt aus einer dritten Quelle Heterogenes).
Hiernach scheint der Mistelzweig in irgendwelchen |LHJ(JTr|pia Köpric eine
Rolle gespielt zu haben, denn das müssen die sacra Proserpinae sein
(vergl. quiddam mysticurn). Diese Überlieferung verdient nach dem, was
vorhin über die 'mystische', oder — wie wir hier einmal sagen dürfen —
'symbolische' Beziehung des Mistelzweigs zu Persephone festgestellt worden
ist, allen Glauben^): von der Mistel gilt, was die Lexikographen von einer
bei Demosthenes de cor. 260 genannten Pflanze sagen: sie ist ein qpUTÖv
ILiuCTiKÖv und als solches ein aujußoXov toö ßiou xai toö 0avd-
TOU (Photios lex. I 406 Naber und Bekker, anecd. gr. p. 279, beide
Stellen in letzter Instanz auf Didymos zurückgehend). Diese Überlieferung
erhält, wenn auch nicht gerade für den Mistelzweig, so doch für einen
Zweig überhaupt^), eine nicht unbedeutende Stütze teils durch das ge-
lehrte (Didymos-)Scholion zu Aristoph Eq. 408 irdviac touc xeXoövxac
Tct öpyia ßdKxouc eKdXouv, ou juriv dXXd Kai touc xXdbouc ouc oi
|LiiJ(JTai (pepouCTi, teils durch bildliche Darstellungen. Auf einer in
Petersburg befindlichen Vase aus Unteritalien, publiziert in den Wiener Vor-
legeblättem Serie E Taf. IV, beschrieben von E. Kuhnert, Arch. Jahrb. VHI
1893, 104 f., „hält ein Jüngling in der rechten einen großen Zweig,
durch den er als flehend den Gottheiten nahend charakterisiert wird; er
blickt, der Entscheidung harrend, auf die mit ihrem Gemahl und dem
Seelengeleiter Hermes beratende Persephone". Besonders schön und deut-
lich finden wir diesen Glauben niedergelegt auf einem kürzlich publizierten
(Ephem. arch. 1901, Iff., Taf. I) eleusinischen Pinax, dessen Kenntnis ich
R. Wünsch verdanke. Hier sehen wir mehrere männliche und weibliche
Mysten mit Myrtenzweigen, die sie der Persephone entgegenstreckend
zeigen. Die Myrte, die heilige Pflanze der Demeter und ihrer Mysten
(Aristoph. Ran. 156. 330, Istros im schol. Sophocl. O.G. 681), gehört,
1) Zum Ausdruck vergl. schol. Dan. zu IV 458 ii qui de nuptiis scripsisse
dicuntur, tradunt etc.
2) Vergl. auch den Ausdruck Vers 142 f. hoc sibi pulcra suum ferri Proser-
pina mwnus I instituit: KaTaarrjcrai TeXerdc Eurip. Bacch. 21 f. Plat. Phaed. 69 C;
öpYia ö' avxi] iffh (Demeter) 6iro9fiöo|Liai hymn. in Dem. 273.
3) Erinnert sei für die Vorstellung des 'goldenen' Zweiges mit R. Wünsch
an die bekannten Goldblättchen, die in Unteritalien den in die Mysterien Ein-
geweihten mit ins Grab gegeben wurden. Solche irexaXa xpuöQ oder Xemöec
Xpucrai begegnen auch im Zauber, der so viele altertümliche, besonders chthonische
Elemente bewahrt: papyr. Paris, ed. Wessely 1218. 1812. 2227 f.; mit diesen
Ausdrücken hat der vergilische 209 crepitabat brattea (vergl. 144 frondescit
virga metallö) auffällige Ähnlichkeit. Goldblättchen als Amulete: K. Wessely,
Wiener Stud. VIII (1886) 178 ff. Über die Beziehungen des Goldes zur Unter-
welt vergl. E. ßieß 1. c. (o. S. 162, 1) 178, der u. a. zitiert Artemidor I 77 (p. 71, 26
Hercher): x^iupöc 6 xpvaöc koI ßapuc koI vpuxpöc koI öict toOto öavotTiu irpocrei-
KOöTai. Daher hat Persephone unter den Blumen die hellschimmernden, be-
sonders die goldglänzenden lieb: hymn. in Dem. 8 ff., Sophocl. 0. C. 681 ff. mit
schol., Pausanias IX 31, 9, Nikandros bei Athen. XV 684 C; auch der aus einem
Zweige umgestaltete Stab des Hermes ist golden (w 3).
170 KOMMENTAR
wie Mistel und Ölbaum, zu den deiqpuXXa (Theophr. h. pl. I 10, 3). So
reiht sich also die Mistel auch in dieser ihrer Eigenschaft dem Ölzweige
an, von deni Diels (Sib. Bl. 120) sagt: „der Ölzweig in der Hand . . .
ist das Symbol der gesuchten oder erlangten Versöhnung mit der Gott-
heit der Tiefe". Hätte mithin Servius die Erklärung seiner ersten Quelle
ausführlicher mitgeteilt, so würden wir vielleicht noch bestimmter, als
es jetzt möglich ist, die Vermutung aussprechen dürfen, daß in einer
uns unbekannten griechischen Nekyia jenes Symbol der Persephone-
Mysterien für die Katabasis eines Helden verwertet worden ist.
Den Weg zu dem goldnen Zweige zeigen dem Aeneas
zwei vorausfliegende Vögel,
indem sie sich auf den Baum setzen, an dem sich der Zweig befindet.
Daß, wie Ehwald 1. c. 737 annimmt, dieses Motiv auch in der Vorlage
Vergils mit dem Suchen des seltenen Mistelzweigs (Plinius XVI 250
viscum . . . rarum admodum inventu) verbunden war, ist glaublich, denn
es war dem Altertum bekannt, daß das viscum nullo modo nascitur nisi
per alvum avium rcdditum, maxime palumhis et turdi (Plinius 1. c. 247,
vergl. Theophrast de c. pl. II 17, 5). Auch dies Motiv der Führung
eines vom Schicksal berufenen Helden durch zwei Vögel ist uns aus
nordischen Sagen ganz geläufig. Besonders ähnlich ist ein esthnisches
Märchen (bei Schwartz 1. c. 73), in dem zwei Vögel dem Helden den
Weg zu dem Baume weisen, wo er die Höllenjungfrau treffen soll; von
dieser kann er den Zauberring erhalten, mit dem er des Drachens Herr
wird. Eigne Zutat Vergils ist es, wenn er den Aeneas gerade durch
die Vögel der Venus (maternas aves 193), also zahme Tauben, geführt
werden läßt. Daran knüpften schon antike Exegeten ein Ir|Tr||Lia, wie
H. Georgii, Die antike Aeneiskritik (Stuttgart 1891) 282 f. aus dem
Scholion des Servius zu Vers 190 mit Recht gefolgert hat; doch wurde
der Einwand, daß Tauben keine eigentlichen Auguralvögel seien, von
anderen durch die XucTic widerlegt, daß der Dichter diese Vögel dem
Aeneas als Veneris filio dienstbar sein lasse. Die Richtigkeit dieser
Xiiaic ergibt sich aus einer von L. Hopf, Tierorakel und Orakeltiere
(Stuttgart 1888) 158 angeführten (mir von R. Wünsch nachgewiesenen)
Analogie: nach Sueton div. Aug. 94 g. E. soll Caesar durch ein Pro-
digium — zahme Tauben gegen ihre Gewohnheit in einem Palmbaum
nistend — in seinem Vorsatz, den Octavian als seinen Nachfolger zu
bestimmen, bestärkt worden sein.
So vertraut uns das Motiv der pfadweisenden Vögel aus unserer
heimatlichen Märchenpoesie ist, so selten finden wir es in antiker Über-
lieferung. Mir sind nur folgende Analogieen bekannt.^) Plutarch Alex. 27
berichtet aus Kallisthenes, daß dem Alexander und seinen Begleitern der
Weg zum Orakel des Ammon durch zwei vorausfliegende Raben gezeigt
worden sei^). Auch in einer die Art der Führung betreffenden Einzelheit
berührt sich dieser Bericht mit Vergils Darstellung : ^M^ ülae (cölumhae)
tantum prodire volando \ quantum acie possent oculi servare sequentum ^»
KÖpaKec lK9avevTec uTreXdjußavov xriv f]Teiuoviav ttjc Ttopeiac (vergl.
1) Die Stelle aus Plutarch und die erste aus Pausanias bei Hopf 1. c. 112. 208.
2) Von Silius XVII 52 ff. auf Scipio übertragen.
YERS 136 ff. 171
Vergil 194 este duces o si qua via est), duoiLieviuv iuev ejuirpocTGev Treiö-
luevoi Ktti (TireObovTec, uffTepouvTac be Kai ßpabuvoviae dvaiievoviec.
Hier sehen wir auf Alexander ein Märchenmotiv übertragen, dessen Alter
uns Aristophanes verbürgt; denn daß dieser im Anfang seiner Vögel,
wo Krähe und Dohle die beiden athenischen Spießbürger ins Vogelreich
führen, volkstümlicher Überlieferung, die er seinen Zwecken entsprechend
umgestaltete, gefolgt ist, hat Th. Zielinski, Die Märchenkomödie in Athen
(Petersburg 1885) 9 ff. m. E. sicher bewiesen. — Die Kolonisten von Kyme
waren durch eine Taube geführt worden (z. B. Velleius 14,1 huius
classis cursum esse directum alii colunibae antecedentis volatu ferunt, alii
nodurno aeris sono). — Verwandt ist femer die Sage, daß der Weg zur
Höhle des Trophonios dem ersten Besucher von einem vorausfliegenden
Bienenschwarm gewiesen worden ist (Pausanias IX 40, l). — Zu dem
speziellen Motiv, daß es ein heiliger Baum ist, der durch die Vögel
bezeichnet wird, findet sich eine Analogie bei Pausanias IX 3, 3: an
einem Herafeste in Plataeae wurde das Bild der Göttin gefertigt aus
dem Holze derjenigen Eiche, auf die sich ein Rabe setzte; vergl. die
Worte Vers 203 super arbore sidunt (die Tauben) f^-» eqp' ou (sc. bevbpou)
b'av Ka9ecr6r] (sc. 6 KÖpaH). — Endlich gibt es eine Sage, die, falls sie
richtig gedeutet ist, wenigstens Vergleichbares zu enthalten scheint.
Herakles^) muß, bevor er zui* Unsterblichkeit eingehen kann, die goldnen
Äpfel vom Baum der Hesperiden holen. Auf den chthonischen Charakter
dieses Mythus weist v. Wilamowitz hin (Eurip. Her. 11^ p. 98 f., vergl.
auch ein von Usener, Rh. Mus. LVI 1901, 491f. mitgeteiltes Märchen)
und macht wahrscheinlich, daß die Hesperiden ursprünglich als Vögel
gedacht waren, die im Weltenbaum nisten und dem Herakles helfen;
wenn er bemerkt, daß dies Abenteuer des Herakles mehr germanisch als
hellenisch anmute, so gilt das in erhöhtem Maße von demjenigen Märchen,
das Vergil hier von einem uns unbekannten Helden auf Aeneas über-
tragen hat. Für die Verwandtschaft der beiden Mythen ist charakte-
ristisch, daß Lucan IX 348 ff. das Herakles-Abenteuer mit Ausdrücken
erzählt, die er z. T. der vergilischen Darstellung entnimmt (vergl. Lucan
3 60 f. fuit aurea süva \ divitiisqiie graves et fulvo germine rami, 364 rohora..
rutüo curvata metallo mit Vergil 195 dives opacat ramus humum 208 auri
frondentis opaca ilice 144 frondescit virga metallo).
136 ff. arbore opaca | aureus . . . ramus: die antithetischen Begriffe
(s. z. 9 f. und 208 f. auri frondentis opaca \ ilice) sind mit jener schönen,
den beiden alten Sprachen gewährten Freiheit der Wortfolge zur Er-
höhung des Eindrucks zusammengerückt (vergl. 820 natos pater und im
Allgemeinen Anhang III A 3). — lunoni infernae kühnes, im Griech.
nicht nachzuweisendes Femininum zu Zeuc KaxaxOöviOC (aus Vergil
wiederholt, aber mit veränderter Bedeutung, carm. epigr. 1551 Buch.,
von Ovid, Statins, Silius durch luno Stygia oder I. Averna variiert),
als Ersatz für das unbrauchbare Proserpinae, während andere Dichter
sich mit PersepJiones, Persephonae zu helfen wagten (s. z. 18, vergl. auch
Hafner 1. c. [z. 4] 12). — hu^c tegit omnis: über die Art des Vers-
1) ,,Die Heraklessage ist eine wahre Fundgrube alter Märchemnotive",
0. Crusius in den Yerh. d. 40. Philologenvers. (Leipzig 1890) 31, 1.
172 KOMMENTAR
Schlusses s. Anhang IX. — lums et öbscuris claudunt convallihus umbrae:
die Häufung des dunklen Vokals u soll die Dunkelheit malen, s. z, 238
und im Allgemeinen Anhang VII A. — 140 f. non ante datur . . .
suhire . . ., quam qui decerpserit fetus. Qui M, quis Pß, beides an sich
möglich, ersteres wegen der bestimmteren Determinierung der Person
wohl vorzuziehen. Die beiden Vorstellungen non ante datur cuiquam
suhire, quam fetus decerpserit und nemini datur suhire, nisi qui fetus
decerpserit sind zu der dritten non ante datur suhire quam qui fetus
decerpserit ausgeglichen. Liest man quis, so liegt eine Fusion vor von
non datur suhire, nisi quis ante etc. + non ante datur cuiquam suhire
quam etc., wofür mich C. F. W. Müller auf Hand, Turs. I 396 f. ver-
weist. — sed non ante datur \\ telluris \ operta \ suhire ein wegen der
doppelten weiblichen Nebencaesur sehr bemerkenswerter Vers. Nach der
Zusammenstellung bei C. Cavallin, De caesuris quarti et quinti trochae-
orum hexametri apud lat. poetas coniunctis (Lund 1896), 16 hat Vergil
in der Aeneis außer unserm Vers nur noch 20 so gebaute Verse (I 188.
11 194. 465. 470. IV 123. 335. 559. 651. V 749. 871. VI 333. VIII 34.
523. IX 63. 388. 705. 753. XI 262. 739. XII 192), wobei diejenigen
Verse, die vor den Nebencaesuren que und ve (dies nur VIII 206) haben,
nicht mitgezählt sind, da bei ihnen die Caesur vor, nicht nach que (ve)
angesetzt werden kann oder muß (also z. B. VI 366 inice namque potes ||
portusque require Velinos zu teilen nScht portusque \ , sondern mit regulärer
männlicher Nebencaesur portus\que; s. darüber Anhang VH B 2 b). Nur
in zwei dieser Verse kann malerische Absicht angenommen werden (II 465.
V 871: s. Anhang 1. c). Dagegen weisen bei vielen unverkennbare In-
dizien auf Entlehnung von Floskeln aus Ennius, der die Empfindlichkeit
der späteren Poesie noch nicht kannte (vergl. ann. 6 Homerus | adesse \
poeta 48 germana \ repente \ recessit 113 tanta \ turanne \ tulisti 252 an-
tiqua I sepulta \ vetustas 510 prognata \ Paluda \ virago), und bei einem
jener Verse ist die Entlehnung direkt bezeugt: IX 705 sed magnum
Stridens \\ contorta \ falarica \ venit -^ Ennius 534 venit || contorta | fala-
rica I missu. So liegt also auch in unserem Verse sowie in dem zweiten
so gebauten dieses Buches (333 mortis \ honore \ carentes) die Möglich-
keit vor, daß sie mit Benutzung ennianischer Phraseologie gedichtet sind.
Eine weitere Bestätigung s. unten zu 167.
141 auricomos — fetus mit wirkungsvoller Verteilung der Haupt-
begriffe auf Anfang und Schluß des Verses s. Anhang III A 1. —
auricomus hat Vergil nach xpucTOKÖ|UOC — KÖjuric entweder frei gebildet
(Germanus), oder, da er das kaum gewagt hätte (s. u.), vielmehr aus
älterer Poesie, etwa der Tpa^iKf) XeHic des Ennius, entnommen, denn
Euripides hat XP^Ö'OKÖjUOC in der aulischen Iphigenie (von Eros), die
E. übersetzte. Die besondere Verbindung auricomi. fetus (xpucroKÖ)UOi
öZ^oi) erinnert an die xpv(J0K6}JLa KXr||uaTa des Paulos Silentiarios, des
Nachahmers alexandrinischer Dichter (descr. S. Sophiae 236 im Corp.
Script, bist. Byz. XXXII 32 K\r|)uia(Ji xP^croKÖjUOicri TTepibpojuoc a|UTTe\oc
epTtei). Auch Lucrez, der VI 152 lauricomus vielleicht auf Grund des-
selben Vorbildes wie Vergil bildete, übersetzte damit wohl eine griech.
Komposition wie e\aiOKÖ|uoc, das Nonnos XIII 184. XXXVII 170, bei dem
es für uns zuerst nachweisbar ist, ebenfalls einem Alexandriner entnommen
VERS 136—142. ^ 173
haben könnte. Spätere Dichter wagen dann auf Vergils Autorität hin
albicoinus flammicomus frondicomus ignicomus süvicomus viticomus, indem
sie -comus fast zum Suffix entwerteten. Mit der freien Wortkomposition
sind die augusteischen Dichter, da die sprachschöpferischen Versuche
fiüherer Dichter (zuletzt der Neoteriker), die lateinische Sprache nach
dem Muster der griechischen zu bereichern, durch das Verdikt der Ana-
logisten, speziell Caesars, gebrandmarkt waren, äußerst zurückhaltend:
erst die zweite neoterische Schule, seit Hadrian, wird wieder freier.
Es ist genau dasselbe Verhältnis, dem wir in unserer eigenen Literatur
begegnen: Klopstock und Goethe wagen die kühnsten Kompositionen
nach griechischem Muster, die dann aber von doktrinären Grammatikern
in die Acht erklärt werden, und dieses Verdikt wurde maßgebender als
das Vorbild jener sprachgewaltigen Schöpfer (nur Hölderlin wagte wieder
Ähnliches): vergl. C. Olbrich, Goethes Sprache und die Antike (Leipzig
1891) 98 ff. (s. über diese lehrreiche Schrift: Anhang III A 3 am Ende).
Vergil hat zwar viele uneigentliche Kompositionen mit den fast zu
Suffixen herabgesunkenen Silben -fer -ger -cola und mit Zahlpräfi:sen wie
bi- tri- (vergl. Fr. Seitz, De adiectivis poet. lat. compositis, Bonn 1878,
17 f.), aber eigentliche Kompositionen übernimmt er nur auf Grund ge-
wichtiger Autoritäten (Ennius, Accius, Lucrez) und auch diese nur spär-
lich. Von kühnen Bildungen dieser Art, die für uns vor ihm nicht
nachweisbar sind, hat er außer auricomiis nur noch l) armisonus III 544,
möglicherweise von ihm^selbst nach Analogie der unten z. 573 notierten
Adjektive auf -sonus geprägt. 2) longaevus unten 321. 764 und noch
12 mal. Diese Übersetzung von luaKpaiuJV findet sich öfters in unverkenn-
barer ennianischer Umgebung (so VIII 498) und darf daher für Ennius
in Ansprach genommen werden wie das neben diesem gebrauchte grand-
aevus (aen. I 121 u. ö.), das aus Lucilius 1026 L. belegt ist (s. z. 76);
primaevus (VII 162 u. ö.) upuuerißric Catull 64,401, vielleicht ebenfalls
aus archaischer Poesie. Nach diesen Analogieen scheint dann erst Vergil
aequaevus (II 561. V 452) gebildet zu haben. 3) ignipotens (Vulcanus)
VIII 414 u. ö. Bei der großen Freiheit alter Dichter (z. B. Enn. a. 188.
Plaut, trin. 820. Accius 127) in Kompositionen mit -potens spricht alles
dafür, daß dies Wort von Vergil so gut aus Ennius entlehnt wurde
wie nachweislich omnipotens (unten 592). Horaz hat ein derartiges Com-
positum nur in einen! dithyrambischen Gedicht des letzten Odenbuchs
(14, 25 iauriformis Taupoeibr|c) gewagt. Vergl. auch zu 276. 287. 307.
573. 796ff.
142 ff. Iioc sihi pulchra suum ferri Proserpina munus \ instituit.
Über die Stellung der Attribute und Substantive s. Anhang III A 3 ; die
Alliteration sihi pulchra suum Proserpina (Schema abab) soll das Ethos
heben. — munus muß wie 632 donum ganz eigentlich verstanden werden:
die Königin der Unterwelt läßt sich ^beschenken'. Die Vorstellung ist
besonders aus sibyllinischen Prokurationen geläufig, vergl. das Orakel bei
Diels 113, 33 f. qpepedöai . . . bujpov ßaaiXriibi Koupr], Obsequens 43
Proserpinae . . . virgines dona tulerunt. Auch Properz II 13, 26 quos ego
Persephonae maxima dona feram. Daher auch das emphatisch gestellte
pulchra: die KaXXiCTTri liebt den Putz. — aureus, et simili frondescit
virga meiallo: aureus (von manchen beanstandet) mit Emphase am Vers-
174 KOMMENTAR
anfang (Conington). — simUis M für simili mit Angleichung an aureus,
Fehlerquelle ähnlich wie 37. — vestigä ccuUs: über die seltne Synaloephe
s. Anhang XI 2B4. — 147 f. Dieser Teil der Rede hat am Schluß (wie
134 f.) ein Isokolon mit Homoioteleuton: non viribus ullis vincere = nee
duro ferro convellere (je 9 Silben); poteris ist dirö KOivoO zum zweiten
Glied gestellt. Über die Figur s. Anhang II 3.
149 f. Zweite Bedingung für die KaiaßacTic: Beerdigung des Misenus,
d. h. Beseitigung des |iia(J)Lia (loO totam incestat funere classem). Ein
solcher Befehl ist für die Sibylle typisch: so wurden nach Livius XL 19
die sibyllinischen Bücher bei einer Pest befragt, die so groß war, ut
lAbitina vix sufßceret. — 149 iacet exanimum UM corpus amici nach
X 386 f. KEiTai TTOtp vriecTCTi veKuc aKXauTOC aGaTiTOC (Heyne). — corpus
'Leiche' wie cruj|ua bei Homer (Kaibel zu Soph. El. S. 189), von Vergil stets
(z. B. 161. 219) zur Vermeidung des unedlen cadaver gebraucht außer
VIII 264 von Cacus. Daneben braucht er zuerst als Ersatz funus
(150. 510 u. ö.) nach Analogie von mors ('Leiche' Cic. pr. Mil. 86 u. a.);
ebenso im griechischen Epigramm jjLÖpoc, GdvttTOC (AP. VII 404. X 439).
— 151 ff. Der Schluß der Rede (bis 155) mit zahlreichen Alliterationen:
151 petis — pendes, 152 sedibus suis — sepulchro, 153 pecudes — prima pia-
cula, 154 invia vivis (iraprixiicric). — 151 consulta petis gewählter Aus-
druck für consulis. Da dies Verbum (wie respondere) für die Befragung
(bez. den Bescheid) wie eines Orakels, so auch eines Rechtsgelehrten
typisch war (Thiel), so spielt auch die folgende Wendung nostroque in
limine pendes zwischen sakraler (limen ouböc, s. z. 115) und forensischer
Terminologie (vergl. consuUor ostia pulsat Hör. s. I 1, 10): Rechtsweisung
und Prophetie waren auch bei den Griechen in alter Zeit nicht von
einander getrennt. — 152 sedibus — sepulchro. Der Vers ist eingerahmt
von zwei Substantiven wie oft (s. Anhang HI A2), die aber in diesem
Buch nur hier alliterieren. Dadurch wird das Ethos in derselben Weise
gesteigert wie unten 213, wo in gleicher Sache die analoge Erscheinung
bei zwei Verben begegnet. — conde sepulchro, eine stilistische Variation
zu dem vorangehenden sedibus suis refer (s. z. 25), ist enaianisch: ann. 142
condebat . . sepiilcro; vergl. aen. III 6 7 f. animamque sepulchro | condimus.
— sedes von der Ruhestätte des Grabes noch 328. 371. VII 3, für uns,
wie es scheint, vor Vergil nicht nachweisbar.
153 f. Dritte Bedingung für die KaiaßacTic: Opferung von hostiae
piaculares für die Unterirdischen, in deren Reich Aeneas eindringen will.
Das Motiv ist von Kirke (k 517 ff.) auf die Sibylle übertragen worden:
s. unten z. 236 — 63, wo dieses Opfer vollzogen wird; daselbst wird auch
der Grund für die mangelhafte Verbindung dieses dritten Befehls der
Sibylle mit den beiden vorhergehenden aus der homerischen liiinriCiC ab-
geleitet werden. Im übrigen ist die Übertragung des Opferbefehls von
Kirke auf die Sibylle gut (s. z. 3 7 ff.), zumal hier, wo es sich um ein
Sühnopfer handelt; der Situation nach besonders nahe verwandt ist ein
bei Eusebios pr. ev. IV 20, 1 aus Porphyrios überliefertes Orakel, in dem
XuTpa (piacula) befohlen worden, bevor eine Totenbeschwörung statt-
finden darf, darunter wie hier (244. 253) Weinspende und aTrXdtYXva
KaiaTiGecrGai. — Die Konstruktion prima (piacula) smito — sie demum
aspicies d. h. ea piacida sunto, priusquam aspicias ist ein gutes Beispiel
VERS 142—165. 175
für die Auflösung der Periode zu Gunsten der durchsichtigeren Parataxe
(vergl. unten 537 f. und Anhang 11 2). — invius (aßaioc) vor Yergil
nicht nachweishar (Ladewig 4).
155 aspicies. Abrupter Schluß der Rede nach dem ersten Choriambus
wie XI 827 iamque vale, vergl. oben 54 conticuit; noch weniger graziös
endet eine Rede nach dem ersten Daktylus unten 886. YIII 583. XII 45.
Möglicherweise ist das durch Benutzung überlieferter Phraseologie bedingt
worden: so machen hier die folgenden Worte dixit pressoque öbmutuit
ore durch die periphrastische Bezeichnung des Redens und Schweigens
altertümlichen Eindruck, vergl. Anhang I 2.
Zweiter Hauptabschnitt: Vorbereitungen zur Kaiaßacric.
156—263.
Für die Beurteilung der folgenden Episode von Misenus, den
Triton in die Tiefe zog, weil Misenus sich mit ihm in einen Wettstreit
im Muschelblasen einließ, handelt es sich um zwei Fragen: erstens, was
übernahm Vergil als überliefert; zweitens, wie hat er das Überlieferte
seinem Plan eingefügt.
I. Daß nicht erst Vergil die ätiologische Legende vom Trompeter
Misenus aus ihrem Zusammenhang mit den Irrfahrten des Odysseus
(Strabo I 26 nach Timaios, vergL Ovid m. XIV 103) löste und auf die
des Aeneas übertrug, beweist außer der tabula Iliaca (Stesichoros?), auf
der Misenus den Aeneas bei seiner Abfahrt von Troja begleitet (Jahn-
Michaelis, Griech. Bilderchroniken, Bonn 1873, 37), die von Dionys.
Hai. 153, 3 ausgeschriebene Quelle: Kaidpaviec (nämlich Ol irepi Aiveiav)
€ic Xi)ieva ßaöuv Kai KaXöv ev 'OttikoTc, TeXeuxncravTOC auiööi MicttivoO
TU)V e7ri9ava)V xivoc, dir'dKeivou töv Xi|ueva ibvöinacTav, sow-ie die Quelle
des Solinus 2, 13 (p. 35, If. Mommsen^) a giibernatore Äeneae appellatum
Palinurum, a tuhicine Miseniim. Als den Gewährsmann des Dionysios
und Solinus hat J. Geficken, Timaios' Geographie des Westens (Berlin 1892)
29, 6. 77 vermutungsweise Varro genannt: ich halte das für um so
sicherer, als bei Solin in gleichem Zusammenhang unmittelbar hinterher
Cosconius zitiert wird, ein Autor, der nur da erscheint, wo Varro als
Quelle nachweisbar ist ( Greifswalder Programm 1895 p. IVf.). Also
hängt auch Vergil hier (wie 14 ff. und 337 ff.) von Varro ab. Daß er
einer Quelle folgt, deutet er selbst 173 durch si credere dignum est an
(vergl. zu 14 ut fama est bei der aus Timaios -Varro stammenden
Daedalus-Legende). Die Vortrefflichkeit der Misenus-Legende ergibt sich
daraus, daß die Muschel, das Instrument des Triton (Plinius n. h. IX 9.
Ovid m. I 133) und das Prototyp der Trompete (Hesych s. köxXoc" köxXoic
ToTc GaXacJcrioic exP^vro irpö xfic xuiv CaXiTiYTuuv eupecreujc), das Münz-
wappen des italischen Kyme ist (vergl. z. B. den Catalogue of the greek
coins in the Brit. Mus., Italy [London 1873] 85 ff.). Es ist mithin an-
176 KOMMENTAR
zunehmen, daß die griccliiselien Kolonisten, als sie im VIII. Jh. v. Chr. den
fernen Westen erreichten, den Triton in den klippenreichen Gewässern um
Kap Misenum lokalisierten, einer Gegend, deren chthonischer Charakter
zu dem Wesen dieses auch als Dämon der Tiefe aufgefaßten mächtigen
Wassergeistes (vergl. Pindar P. 4, 33 — 45) paßte. Die Sage jedoch, daß
Triton sich den Trompeter Misenus als sein Opfer holte, als dieser gewagt
hatte, ihn zum Wettstreit in seiner Kunst zu provozieren, setzt die
Lokalisierung der Irrfahrten des Odysseus (bez. Aeneas) im tyrrhenischen
Meere voraus, wird also nicht älter sein als etwa das VI. Jh. v. Chr. Da-
mals saßen die griechischen Kolonisten Kampaniens, speziell Kymes, mit
den Etruskern zusammen, die als Erfinder der Trompete galten: das wird
für die Entstehung dieser Sage in Betracht zu ziehen sein, die ja deutlich
eine Übertragung von dem Flötenspieler Marsyas und dem Sänger Thamyris
auf den Trompeter Misenus ist.
II. Also das Material war dem Dichter überliefert und er hatte nun
die Aufgabe, es seinem Plan einzufügen. Bei der Behandlung der Frage,
ob und wie er dieser Aufgabe gerecht geworden ist, müssen wir mehrere
Punkte in Erwägung ziehen.
1. Unleugbar geschickt und schon von Servius gelobt (zu 183) ist
die Art, wie er die Ausführung des ersten Befehls der Sibylle — Ge-
winnung des goldnen Zweigs — mit derjenigen des zweiten — Bestattung
des Misenus — verknüpft hat. Wähi-end die Trojaner unter Aeneas'
Leitung den Wald für den Scheiterhaufen abzuholzen beginnen, kommt
dem Aeneas der Wunsch, daß doch in eben diesem Wald der Baum mit
dem goldnen Zweig sein möchte, und der Wunsch geht in Erfüllung
(185 ff.). Nicht auf gleicher Höhe wie diese sachliche Ökonomie, die
ganz auf Erfindung Vergils beruht, steht ihre formelle Einkleidung.
Aeneas und seine Genossen schicken sich 177 — 84 an, den Scheiter-
haufen wetteifernd aufzutürmen, indem sie in dem nahen Wald Bäume
fällen und ans Gestade rollen; es folgt die Gewinnung des goldnen
Zweigs durch Aeneas 185 — 211; dann wird 212 an die erste Handlung
wieder angeknüpft durch nee minus interea und ihr Inhalt wiederholt,
nur mit anderen Worten (vergl. 177 f. aramque sepulchri \ congerere
arhoribus caeloque educere certant r^ 2 14 f. principio pingueni taedis et
robore secto \ ingentem struxere pyram, als ob das nicht schon vorher
gesagt wäre). Diese Äußerlichkeit wäre bei einer endgültigen Redaktion
nicht beseitigt worden, denn sie hat in den Georgica zahlreiche Ana-
logieen (vergl. N. Pulvermacher, De georgicis a Vergilio retractatis,
Berlin 1890, 82 ff.); sie erklärt sich aus der Unmöglichkeit, das aus ver-
schiedenen Quellen übernommene Material immer lückenlos und harmonisch
zusammenzufügen: so wird es hier, wie oft, durch ein interea bloß lose an-
einander gereiht. Schon die antike Exegese wurde darauf aufmerksam:
Servius zu XI 532 licd Hnterea' particula negotia semper praeteritis futura
coniimgat, tarnen ahruptus est et vituperdbilis transitus. habet autem tales
transitus et in superioribus Ubris, vergl. Georgii 1. c. (z. 4) 499 f.
2. Vergil mußte die xaqpr] Mi(yr|VOU der KaiaßacTic Aiveiou ein-
fügen. Er läßt zu dem Zweck die Beerdigung eine Vorbedingung für
die Hadesfahrt sein (149 — 52). Diese Motivierung ist innerlich gut,
denn es ist verständlich, daß die KttiaßacTic nicht stattfinden darf, bevor
VERS 156. 177
Aeneas die Seele des Misenus durch Bestattung des Leiclmains den Unter-
irdischen als ihren schuldigen Tribut zugestellt hat. Auch äußerlich ist
gegen die Einfügung der Misenus-Episode durch praeterea 149 nichts
einzuwenden: sie ist so gut, wie es bei einer Kontamination verschieden-
artiger Stoffe eben möglich war. Aber das ganze Misenus-Motiv bringt
den Dichter in Konflikt mit einer späteren Episode dieses Buches, die
hier gleich herangezogen werden muß. Schon Heyne hat kurz an-
gedeutet, daß Misenus eine Art von Doppelgänger des Paliniu-us (337 ff.)
sei, beide im Meer veranglückt, beide unbeerdigt, und es sei nicht ab-
zusehen, weshalb Aeneas 160 ff. zweifle, welchen Leichnam die Sibylle
meine, statt sofort an Palinurus zu denken, der ihm ja in der Nacht
vorher verunglückt sei. Dies haben Spätere dann weiter ausgeführt;
zuletzt hat Sabbadini p. XXIX ff. die Misenus-Episode, d. h. die Verse
149 — 52. 156—89. 212 — 36, als nachträglich von Vergil eingelegt be-
zeichnet. Aber eine so glatte Auslösung dieser Episode scheitert an der
Tatsache, daß sie, wie soeben bemerkt wurde, aufs engste und auch
äußerlich untrennbar mit der Gewinnung des goldnen Zweigs verknüpft
ist (vergl. 189 f.). Auch ist es unwahrscheinlich, daß sie nicht gleich
in der ersten Konzeption dieses Buches enthalten gewesen sein soll, da
die Gründung des nobile Misenum die berühmteste von allen auf Aeneas
zurückgeführten war. Also würde, wenn überhaupt eine der beiden
Episoden sekundär wäre, es eher die Palinurus-Episode sein. Aber diese
ganze Art von Analyse beruht auf einem Verkennen der vergilischen
Kompositionsart. Die Sage überlieferte ihm nebeneinander Tod und Be-
erdigung sowohl des Palinurus wie des Misenus: wir sehen das deutlich
aus Dionys v. Hai. I 53, 2 f. Ol be CTuv tuj Aiveict .... irpuiTOV )Liev
üjp)Lii(JavTO TTic 'IxaXiac xard XijLieva tov TTaXivoupov, 6c dcp'evöc
Tüjv Alveiou KußepvrjTUJV xeXeuiricravTOC auxöGi Tauinc luxeTv Xe-fefai
Tfic övojuaaiac. ^neiia vriffuj TTpoaecTxov, fj xoövojua ^Gevxo AeuKadiav
dirö YuvaiKÖc dvevj;iäc Aiveiou uepi xövbe xöv xöttov diroGavoucrric
(von Vergil übergangen). eKeiGev hk Kttxdpavxec eic Xijieva ßaGuv Kai
KaXöv iy 'Ottikoic, xeXeuxr|cravxoc xai aux69i MicTrivoO . . ., dir' cKei-
vou xöv Xijueva ujvöjiacrav. Also gab ihm die Legende selbst eine
Dublette, deren Spuren völlig zu verwischen ihm nicht gelungen ist.
Die Art aber, wie er den Ausgleich versucht, ist für seine Arbeitsweise
recht charakteristisch. Er verteilt das, was die homerische Nekyia von
Elpenor berichtet, auf Misenus und Palinurus: wie Elpenor vor der
Kaxdßacric des Odysseus verunglückt ist (k 551 ff.), so vor der des
Aeneas Misenus (162 ff.), und wie der unbeerdigte Elpenor dem Odysseus
in der Unterwelt als erster der Schatten begegnet (X 51 ff.), so der un-
beerdigte Palinurus dem Aeneas (33 7 ff.). Über den Widerspruch, daß
einerseits die Sibylle die Beerdigxmg eines Freimdes (des Misenus) zur
Vorbedingung der KaxdßacTic macht und daß andrerseits Aeneas nachher
in der Unterwelt doch einen andern unbeerdigten Freund (Palinurus)
trifft, haben die antiken Leser Vergils, die an äußerliche Ausgleiche
mythologischer Dubletten ja genügend gewohnt waren, wahrscheinlich
ohne Anstoß hinweggelesen.
So gibt diese ganze Episode wieder mehrere Belege dafür, daß
Vergil im Bestreben, verschiedene Sagenüberlieferungen in der Art der
VKRGiii Buch VI, von Norden. 12
178 KOMMENTAR
hellenistischen Dichter zu vereinigen und den Mangel eigner Erfindung
von Motiven durch Nachahmung zu ersetzen, nicht überall diejenige
Glätte und Geschlossenheit der Komposition erreicht hat, die nur einem
frei schaffenden Künstler zu erreichen möglich ist.
I. Tod des Misenus und Vorbereitungen zu seiner Bestattung;
der goldne Zweig. 156 — 211.
A. Tod des Misenus 156 — 74, B. Vorbereitungen zu seiner Bestattung
175—84, C. Der goldne Zweig 185—211. Der erste Teil (A) in vier
Perioden: 156 — 62 diceret (rpiKUjXov, das erste und dritte mit drei,
das zweite mit zwei KÖ)a)iaTa), 162 atque — 65 (TpiKUüXov, das erste und
dritte mit je zwei KÖjujuaTa), 166 — 70 (biKuuXov -|- rpiKuuXov), 171 — 74
(TpiKCüXov, das erste imd dritte mit je einer Parenthese). Der zweite
Teil (B) ebenfalls in vier Perioden: 175 — 76 Aeneas (zwei KÖ|U)iaTa),
176 tum — 78 (drei KomiiaTa), 179 — 82 (juovökuuXov mit zwei KÖmaata,
+ TeTpdKUuXov, das zweite mit zwei K6|Li)LiaTa) , 183 — 84 (biKUjXov).
Der dritte Teil (C) hat drei Absätze: 1. Das Gebet 185 — 89 (TpiKOuXov
+ biKUjXov, das letztere mit einer Parenthese), 2. Die Tauben 190 — 204
(a. TpiKUüXov bis precatur 193, das zweite und dritte mit je zwei KÖ)i-
ILiaia, b. TeTpdKuuXov bis parens 197, das erste mit zwei KÖ^x^aia,
c. TpiKUjXov -f biKUuXov bis sequentum 200, das dritte mit zwei KÖ|U|LiaTa,
d. TpiKUüXov bis refulsit 204, das zweite mit vier K6)Li]uaTa), 3. Der
goldne Zweig 205 — 11 (TpiKUuXov, das erste und di-itte mit je drei, das
zweite mit zwei KÖ)ii)iiaTa),
A. Tod des Misenus 156 — 74. — Von Cumae nach Misenum
führten und führen noch heute (nach Beloch 1. c. [z. 9ff.] 200) zwei
Wege: der eine, den Seneca ep. 55 beschreibt, am westlichen Ufer hart
am Meer, zwischen diesem und dem Acherusischen See (lago di Fusaro),
der andere (östlich) an dem Averner und Lucriner See über Baiae.
Aeneas und Achates gehen zunächst den ersteren (erheblich näheren), da
sie den Misenus in Utore finden (162). Aber, um in den Wald zu
kommen, gehen sie von 179 ab auf den zweiten, denn 1) ist mit süva
(179) offenbar der hart am Weg bei Baiae gelegene Wald gemeint, der
sich an den Hügeln (montes 182) hinzog und der auf einem für die
Topographie der Gegend grundlegenden Glasgefäß Silva genannt wird
(Beloch 184 f. mit Karte V), 2) kommt Aeneas zum lacus Avernus (201),
an dessen (westlichem) Ufer diese Straße vorbeiführt. Von dort geht
er mit dem goldnen Zweig in die am Avernersee gelegene Wohnung der
Sibylle (211, s. o. S. 117). Daß er darauf zur Beerdigung des Misenus
an den Strand gegangen ist, wo er sich 232 befindet, überläßt der
Dichter dem Leser, sich als selbstverständlich zu ergänzen (vergl. über
diese seine Praxis o. S. 145), wozu er hier um so mehr berechtigt
war, als jeder Gebildete diese Gegend aus Autopsie kannte (vergl.
Properz III 18).
156 ff. Die schweren Spondeen, die sich in den folgenden Versen
fortsetzen (162. 68. 74. 77 etc.), leiten den tragischen Ernst dieser Episode
malerisch ein (ähnlich unten 441. 860). Durch Unquens antrum 157
werden die Jsokola maesto defixm lumina voUu mgredüw und caecosgue
VERS 156—164. 179
volutat eventus animo secum (je 14 Silben) kunstvoll auseinandergerückt.
— Dem Gedanken nach ähnlich, gleichfalls mit den malerischen Spondeen,
V 701 f. (Aeneas) nunc huc ingentis, nunc Uluc pectore curas | mutdbat
versans, Verse, die in ennianischer Umgebung stehen. Auch an unserer
Stelle ist Ennius benutzt. Defixus lumina voitu ist freilich in der Kon-
struktion des Akkusativs neu und ein charakteristisches Beispiel für die
Freiheit, die sich Vergil in der Verwendung dieser griechischen Struktur
nimmt (vergl. XI 507 oculos in virgine ßxus, dann bei Properz und Ovid,
in Prosa m. W. erst bei Cyprian ad Don. c. 1, wo die maßgebende Über-
lieferung in me oculos tuos ßxus es gibt): s. z. 281, aber in der Phi*aseo-
logie wohl durch Ennius beeinflußt, denn VIII 520 stehen die Worte
defixique ora tenebant in ennianischem Zusammenhang und in einem
durch die Entlehnung bedingten gezwungenen Satzbau. Ingrediiur 'er
schreitet einher', gravitätisch wie VIII 309. 513 in ennianischer Um-
gebung. Volutat animo secum jedenfalls aus älterer Poesie s. z. 185.
It comes eine bei Vergil beliebte, von ihm wohl etymologisch empfundene
Verbindung, die VIII 466 in ennianischer Umgebung erscheint. Vestigia
figit nach gemeinsamem Vorbild mit Cicero Arat. (de nat. deor. 11 109)
vestigia ponit (die Phrase vestigia pressit unten 197 in sakralem Zu-
sammenhang, und auch 331 weist auf Ennius). Inter sese an gleicher
Versstelle Ennius a. 138. Sermone serebant: die gleiche etymologische
Verbindung (Varro de 1. 1. VI 64) öfters bei Plautus (z. B. Cure. 193),
also wohl ennianisch, s. Anhang II. — Über die Wortstellung it — figit
am Versanfang und -schluß ebenda HI A 2.
161 ff. exanimem M, -um PE, ersteres richtig, s. Anhang IV. —
atque hebt mit Emphase von einem neuen Moment der Handlung an,
bei Vergil gerade in der Verbindung atque ille und atque hie (adv.)
häufig (vergl. 185. 494). Das gehört der alten Sprache an, vergl. die
plautinischen Beispiele bei Leo, Nachr. d. Gott. Ges. 1895, 423. Aus der
Benutzung überlieferter Phraseologie kann sich auch die seltene starke
Interpunktion nach dem ersten Daktylus erklären: s. Anhang 11, 4, 3. —
in litore sicco = III 510, s. z. 362 und das Scholion des Ti. Donatus^)
id est in arena litoris sicci, est enim et udum litus, ubi pelagus terminatur
(so udum litus Ovid m. III 599. Statins s. III 1, 68). — morte peremp-
tum f^ Lucr. HI 1089 forte perempti (Germanus); wegen der erlesenen
Periphrase ist die vergilische Floskel vielleicht ennianisch, vergl. IX 453
caede peremptis in einer Schlachtszene, die, wie aUe vergiliscben, sich an
ennianische Vorbilder anlehnt.
164. Die dTravabiTrXujcyic am Versanfang: Misenum in litore sicco . . . [
Misenum Äeoliden (der bekannten Praxis entsprechend mit verschiedener
Betonung: Misenum, Misenum) dient zur Erhöhung des Ethos, in dem
diese ganze Stelle geschrieben ist (vergl. die eiravaqpopd 166, die Ttap-
nXTlCJiC 165. 168); zu gleichem Zweck wird die Figur 496 angewandt.
Sie findet sich schon im alten Epos: Z 3 95 f. 'AvbpOjLidxTl, GuYCtTTip )LieTa\-
riTopoc 'Heiiujvoc, | 'Heiiujv 8c ^vaiev ktX. Y 371 f. toO b' ifvj dvTioc
elm, Ktti ei TTupi x^^P^ eoixev, | ei irupi x^^P^ loixe, |nevoc h' aiGujvi
1) Der Kommentar des Ti. Donatus beginnt in unserem Buche erst bei
Vers 156.
12*
180 KOMMENTAR
aibripijj, vergl. X 127 und das im Altertum berühmte Beispiel B 671 ff.
(vergl. Demetr. de eloc. 61 f.). Ob die Figur schon von Ennius aus Homer
übernommen wurde, läßt sich nicht sicher entscheiden, doch ist es wahr-
scheinlich, weil Cicero (progn. fr. in de div. I 14 vocibus instat \ vocibus
instat, in Arat 948 erst von ihm hineingetragen) und Lucrez (z. B. V 9 50 f.)
sie haben. Großer Beliebhtheit erfreute sie sich, wie viele verwandte
Figuren (vergl. Th. Zielinski, Philol. N. F. XIV 1901, 13f.), in helleni-
stischer Poesie (vergl. v. Wilamowitz, Gott. gel. Anz. 1898, 696 f.) und
daher bei Catull und dem Verf. des Culex (Leo p. 73). Unter den
Augusteern verwendet sie besonders oft Ovid (vergl. E. Helm in der
Festschr. f. Vahlen, Berlin 1900, 359 ff.), der sie einmal ganz äußerlich
benutzt, um eine Stelle in die Fasten nachträglich einzuschalten (IV 81).
Vergil hat sie in den Bucolica und Georgica grade da, wo er ganz
griechisch fühlt, z. B. b. 6, 20 f. supervenit Aegle, \ Aegle naiadum pul-
cherrima Trpoö"epxeTai AiYXri, AiyXti vaidbuuv ttoXu qpepTdxri 55 f. dau-
dite nympliae, \ nymphae Dictaeae KXeiexe vu|Liqpai, | vu|Li(pai AiKxaTai,
vergl. 4, 5 8 f. g. III 280 ff. In der Aeneis ist er mit der Figur, weil
sie zu den amoenae repeiitiones gehört (Macrob. V 14, 6; vergl. Servius
zu g. IV 341 figura honcstissima), sehr zurückhaltend und verwendet sie,
wie bemerkt, nur um das Ethos zu steigern: so trägt er sie zu diesem
Zweck in eine Homerstelle hinein VII 586 f. vergl. 0 618. — Äeöliden.
So wird Misenus nur hier genannt (und nach dieser Stelle bei Ovid ra.
XIV 103); den Grund gibt Servius z. III 239 richtig an: Misenus dicitiir
filius fuisse Aeoli . . ., quia constat sonum omnem ex vento creari. Diese
Einreihung des Hornbläsers in das weitverzweigte Geschlecht des Wind-
gottes Aiolos weist auf die Zeit, als Misenus noch nicht aus der Ver-
bindung mit der Odysseussage gelöst war: wie Aiolos selbst auf Aiolie
(Lipara), so wurde ein Aiolide an dem nach ihm benannten Misenum
lokalisiert. Lykophron 737 ff. nennt Cap Misenum und die Aiolosinsel
nach einander. — 164 f. quo non praestaniior alter \ aere eiere viros
Martemque accendere cantu mit Eeminiscenz an B 553 f. Tiu b' ou ttu)
TIC öjnoioc emxöövioc fivex dvrip | KO(T)Lifi(Tai ittttouc re Kai dve'pac
dffTTibiuuTac (ürsinus); die dem catullischen aere ciehant (64, 262) nach-
gebildete Phrase aere eiere wird durch Martern aceendere cantu stilistisch
variiert (s. z. 25). Der malerische Vers machte Aufsehen, wie die an
seine Entstehung geknüpfte Legende zeigt (Sueton-Donat, vita p. 62 Reiff.,
vergl. Eibbeck, prol. crit. 63 f.). Sprachliche Mittel sind reichlich auf-
geboten: aere eiere, mit einem in dieser Stärke fast singulären Gleich-
klang der Silben (Anhang IV), soll malen wie die tönende 7rapr|XTlcric
in aecendere cantu; auch die Häufung der r (wie 49) ist bemerkenswert.
Ahnliche Verse II 313 exoritur clamorque virum clangor que tuharum,
VIII 2 rauco strepuerunt cornua cantu, g. IV 71 f. Martius ille aeris
rauci canor increpat, et vox \ auditur fra^tos sonitus imitata tuharum.
Trompetensignale durch malerische Mittel sprachlich zu markieren war
seit dem berüchtigten Vers des Ennius at tuta etc. (a. 452) in lateinischer
Poesie üblich; selbst Catull und Horaz, die im Gegensatz zu Vergil mit
malerischen Mitteln äußerst zurückhaltend sind, verwenden sie zu gleichem
Zweck: Catull 64, 263 raucisonos efflabant cornua bomhos, Horaz od.
I 1, 23 f. lituo tuhae \ permixtus sonitus, II 1, 17 f. iam nunc minaci mur-
VERS 164—175. 181
mure cornuum \ perstringis auris, iam litui sfreptmt (Alliteration, Häufung
von m, u, st, gleicher Auslaut auf -us). Unmittelbar von Ennius scheint
Lucrez beeinflußt zu sein 11 619 raucisonoque minantur cornica cantu,
IV 543 cum tiiba depresso gravifer sub murmure mugit. Vergl. im all-
gemeinen Anhang VTIA. — Die Metapher in (Martern) accendere cantu (für
das prosaische bellicum canere, vergl. ancentus carm. epigr. 1319 mit
Büchelers Bemerkung) ist in der TpaTiKT] XeHic häufig, aus der sie
Aristophanes in dem von Gerda verglichenen Vers Fried. 310 TÖv TTö-
XeiLiov eKluuTTupricJeT' evboGev KeKpaTÖxec übernahm. — 166 ff. Hectoris —
comes, Hectora circum Alliteration (Schema ab ab) mit Anapher zur Hebimg
des Ethos, wie 171 f. Cava — concha — demens — cantu — certamina —
divos (aabaab). — pugnas . . . öbibat. Da der von Gerda verglichene
Vers des Lucr. IV 967 induperatores pugnare ac proelia öbire ennianisches
Kolorit hat, so wird die Phrase aus E. stammen. Diese Vermutung
wird bestätigt durch die Metrik: denn die doppelte weibliche Nebencaesur
pugnas \ insignis | ohibat \ et hasta, schon an sich ungewöhnlich (s. z. 140),
ist hier um so härter, als der Vers nach et noch einen weiteren Ein-
schnitt hat. Solche Verse hat Vergil nach den Sammlungen Gavallins'
1. c. (z. 140) nur noch zwei in der Aeneis: VTE 45 rex arva \ Latinus\
et urbcs VIH 229 Jiuc ora \ ferebat \ et illuc (beide in ennianischem Zu-
sammenhang), einen in den Georgica: IH 86 iactata \ recumbit \ in armo
(s. über armus unten z. 881). — vita victor irapiixic^ic in ennianischer
Art (vergl. ann. 368 victores cordibus vivis). — heros von Misenus in
der weiteren Bedeutimg, die für Homer üblich ist nach Aristarchs Ob-
servation schol. Ven. A zu M 165 ÖTi TrdvTac koivujc Kai oii xouc fiye-
)Liövac luövouc fipujac KaXeT. — non inferiora secutus. Das Neutr. plur.
wie id fiTTUJ (Heyne); aus metrischer Bequemlichkeit (s. Anhang V).
Die (schon von Serv. notierte) Gleichsetzung des Aeneas und Hektor
hier wie XI 289 ff. nach E 467 f. P 513 (Heyne). — forte nicht 'zufällig,'
als ob keine Absicht darin läge, sondern temporal 'gerade' wie 185. 190.
m 301. IX 325 (vgl. G. Schroeter, Progr. Gr. Glogau 1885, 4). — demens ist
wie 590. IX 728 nach dem homerischen vr|TTioc mit großem Ethos an
den Versanfang gestellt; es gehört zu beiden Satzgliedern (also nicht Post-
position von et). Vergil hat diese Stellung oft (vergl. M. Krafft, Progr.
Goslar 1889, 22 f.), so in der schönen Stelle b. 8,88. — exceptum.
Donatus: ut feram venabulo. — intei' saxa: über das spondeische Wort
im 1. Fuß s. Anhang VIH. — saxa. „Die Ufer des äußeren Hafenbeckens
sind größtenteils felsig und steil abfallend" Beloch 1. c. (z. 9 f.) 196. —
virum. Eine der vielen Stellen (so unten 890), wo dies Wort zum
Ersatz für die bei den Daktylikern seit Ennius unbeliebten obliquen
Kasus von is dient. Umgekehrt steht es oft, ebenfalls nach ennianischem
Vorbild (z. B. ann. 394), mit Emphase ('Mannen'), so 553 vis . . . virum
(ennianisch: ann. 280), wo Servius es richtig erklärt (vergl. 784. Quintil.
Vni 3, 86); auch Livius XXI 4, 9 has tantas viri viiiutes, wohl im Stil
seines Gewährsmanns.
B. Vorbereitungen zur Beerdigung 175 — 84. 175ff. ergo
omne's magno circum clamore fremebant drei spondeische Worte hinter-
einander mit dieser Betonung in diesem Buch nui* noch 168 üliim vitä
Victor (ennianisches Kolorit), 320 hae Uncünt, ülde remis vada Uvida ver-
182 KOMMENTAR
runt (gemildert durch die Pause). Der wuchtige Ehythmus soll dem
Vers das pondus geben, von dem Horaz, ebenfalls malend, sagt a. p.
259 f. Enni \ in scaenäm missös cum magno pondere versus. Mit freme-
hant^ einem seiner Lieblingsworte, schließt Vergil oft Verse nach dem
Vorbild des Ennius ann. 489. 572. — praecipue pius Äeneas war für
I 220 zuerst gedichtet, wird hier nur lose angehängt. — haud mora
festinant Haud mora wie ein Wort adverbialisch, also ohne folgende
Interpunktion zu schreiben (wie in M), Noch Ausonius hat es so ge-
fühlt, denn sonst würde er, der im ersten Fuß des Hexameters, wenn
dieser aus zwei Worten besteht, keine Synaloephe zuläßt, nicht gesagt
haben Mos. 255 nee mora et excussam (vergl. Schaper, Progr. Insterbiu-g
1862, 15). Aus den Versschlüssen a. III 207 haud mora nautae X 153
haud fit mora Tarchon folgt dasselbe, da die Interpunktion nach dem
fünften Fuß sehr unbeliebt ist (s. Anhang II 4, 4). Diese Versschlüsse mit
ihrer unregelmäßigen Bildung (s. Anhang IX), sowie der in seiner ersten
Hälfte unregelmäßig gebildete Vers V 140 haud mora \ prosüuere \\ suis
(s. ebenda VII B 2d) machen zugleich wahrscheinlich, daß die Verbindung
ennianisch ist, was durch die Zusammenhänge, in denen V 368 haud
mora continuo (mit echt archaischer Verstärkung des Zeitbegriffs) und
VII 156 haud mora festinant stehen, bestätigt wird.
177 f. aramque sepulchri \ congerere arhoribus caeloque educere certant.
Scpulchri ME, Servius; sepulchro P. Ersteres ist also besser beglaubigt,
zumal da als ältester Zeuge Silius XV 38 7 f. alta sepulchri \ protinus ex-
struitur caeloque cducitur ara hinzutritt. Die Erklärung ist (für das eine
wie für das andere) kontrovers; schon Probus wußte nach Servius nichts
Sicheres: de hoc loco requirendum adhuc dixit. Freilich der Sinn steht
fest: gemeint ist die pyra wie 215 zeigt, wp die Erzählung zu dieser
Stelle zurückkehrt. Das bemerkt schon Servius richtig. Aber wie kommt
ara zu dieser Bedeutung ? Ara ist urspr. nur die 'Feuerstätte' (Varro de
1. 1. V 38, Bücheier, Lex. Ital. p. V); sie wird zu einem 'Altar' erst durch
Erhöhungen: structae diris altarihus arae Lucan IH 404 (andere Belege
bei E. Reisch s. v. altaria in Pauly-Wissowas R.-E, I 1691), wie ja über-
haupt das auger e, struere, cumulare aram donis (magmentis etc.) etwas
Wesentliches ist: vergl. Varro de 1. 1. V 112. Festus S. 310M. Verg. g.
III 533. IV 379. a. XI 50. Seneca Oed. 305. Das drückt Vergil hier in
seiner pathetischen Manier aus: aram arhoribus congestis in caelum edu-
cunt. Aber er gibt dem Wort, um es von einer gewöhnlichen ara zu
differenzieren, die nähere Bestimmung sepulchri: 'Grabaltar' (Donat: prope-
rdbant aram non saxis struere sed arhoribus, ut ipsa esset et sepulchrum),
ähnlich wie Ovid tr. III 13, 20f.: „ich kann hier dem Geburtstagsgott
keinen Altar errichten": funeris ara mihi ferali cincta cupressu | con-
venit et structis flamma parata rogis und met. VHI 480 sepulchrales arae
vom rogus. Wie diese Bezeichnung zu verstehen ist, lehrt Vergil selbst
im weitem Fortgang unserer Erzählung. Bei der Verbrennung der Leiche
2 24 f. werden mitverbrannt turea dona, dapes, fuso crateres olivo. Also
auf dem Scheiterhaufen wird geopfert wie auf einem Altar. Das Opfer
gilt den Manen des Misenus, wie V 161 ff., einer u. 21 4 f. von V. benutzten
Stelle, der Seele des Patroklos. Später opferten die Griechen dem
heroisierten Toten nur mehr am Grabe und da finden wir bei Dichtem
VERS 175—179. 183
eine der vergilischen verwandte, wenn aucli nur mehr metaphorische
Ausdrucks weise: Simonides von den heroisierten Marathonkämpfem : 'ihr
Grab ist ein Altar' (ßu)|iiöc ö' 6 Tdqpoc, bei Diodor XI 11), Aeschylos
Cho. 99K. (die Chorführerin zu Elektra, die am Grabe des heroisierten
Agamemnon opfert): ai&ou|ne'vri (Joi ßuj)növ u)C TUjiißov Traipöc („gleich
dem Altar verehr' ich deines Vaters Grab"). Der Eömer, der die roheren
Formen uralten Seelenglaubens zäher konservierte, konnte aber, wie der
Dichter der Patroklie, sogar das Opfer auf dem Scheiterhaufen, d. h. also
den Scheiterhaufen als Altar, mit sinnlicher Eealität sich vorstellen: denn
durch Catull 59 und Ovid. f. 11 566 ist die cena für den Toten auf dem
Scheiterhaufen bezeugt: das sind die von Vergü unten 225 genannten
dapes. Eine analoge Bedeutungsentwicklung wie ara machte hustum
durch. Dieses Wort, wie ara ursprüngKch die 'Feuerstätte' bedeutend,
wurde von Dichtem auf den über dieser aufgeworfenen Grabhügel (Catull
64, 363 excelso coacervatum agyere hustum, Properz II 13, 33, Vergil selbst
XI 849 f. ingens . . . terreno ex aggere hustum), dann von Vergil im
XI. Buch, wo er die Totenopfer für Pallas auf Grund der zitierten IKas-
stelle schildert (l84ff.), auf den Scheiterhaufen (201, wechselnd mit
pyras 185) übertragen. — Mit caeloque educere (cetiant) wird congerere
arhorihus stilistisch variiert und grotesk gesteigert (cf. oupavöjLiTiKec)-,
daß die Variation hier wie sonst (s. z. 25) durch eine ennianische Remi-
niszenz bedingt ist, zeigt der aus Ennius überlieferte Versschluß extollere
certant (ann. 425).
179ff. Das Baumfällen im Urwald. Nach Strabo V 244f. war hier
Urwald (dYpia ijXti laeYaXöbevbpoc Kai aßaroc) gewesen, bis er, in Zu-
sammenhang mit der systematischen Veränderung der Gegend durch
Agrippa (37 v. Chr.), kultiviert wurde. Vergil, der zu jener Zeit in
Kampanien die Georgica begann, wird ihn also noch in seiner ursprüng-
lichen Wildheit gesehen haben; die diirch Agrippa bewerkstelligte Kom-
munikation des Lucriner- und Avemersees mit dem Meer erwähnt er
bewundernd g. II 161 ff. — Die Schilderung des Baumfällens gehörte zu
den LieblingsstofFen der lateinischen Poesie, die sich darin der griechischen
überlegen fühlte (Varro sat. 389 — 392. 395 f.), wie überhaupt in dem
ponere lucum (Persius 1, 70). Während daher Homer Y 118 f. (Baum-
fällen für den Scheiterhaufen des Patroklos) mit 2 — 3 Versen sich begnügt
(ebenso Eurip. Herc. 240 f), gebraucht Ennius a. 193 ff. in seiner Nach-
ahmung der genannten homerischen Stelle (vergl. Vahlen's praefatio LII)
5 Verse, SUius X 526 ff. in Nachahmung Vergüs 6, Statins Theb. VI 90ff.
gar 20 Verse. Oder, um ein weiteres Beispiel anzuführen: der alexan-
drinische Dichter, dem Ps. Ovid seine 16. Heroide (Paris an Helena) und
Kolluthos sein Epyllion vom Eaub der Helena nachdichten, beschrieb, wie
aus Kolluthos 196 f. zu schließen ist, das Holzfällen für den Bau der
Flotte des Paris in 2 Versen, während Ps. Ovid 107 ff. vier daraus macht.
Vergil legt sich hier und an einer späteren, dieser nachgebildeten Stelle
XI 135 ff. vornehme Beschränkung auf. Die Genauigkeit in der Nach-
bildung des Ennius fiel den alten Interpreten auf: darum werden bei
Macrob. VI 2, 27 dessen Verse zitiert. Wir können hier einmal deutlich
nicht bloß den Umfang, sondern auch die Art des lf\\oc 'Evviavöc bei
Vergil erkennen: trotz detaillierter Nachbildung ist das Ganze polierter,
184 KOMMENTAR
studierter, kurz moderner, also ein guter Beleg für die Worte des alten
Kritikers bei Macrobius s. VI 1, 6 iudicio transferendi et modo imitandi
consecutus est (sc. Vergilius) ut quod apud iUum legerimus alienwm . . .,
melius Mc quam ubi natum est sonare miremur (vergl. Anhang I). Wie
von Worten und Gedanken macht Vergil hier auch von Ennius' malerischen
Mitteln Gebrauch: starke Alliterationen mit a, i, f, p, s, sowie die
Spondeen 182 advolvont ingentis montibus ornos (Ennius: perceUunt magnas
quercus und pinus proccras pervortu/nt), die er aber in effekvoUen Gegen-
satz zu den vorhergehenden Daktylen sonat icta hipennibus Hex setzt; das
Ethos der Daktylen ist hier noch gesteigert durch den malerischen Vers-
einschnitt nach icta (s. Anhang VIT B 2 b). In 181 cuneis et fissile robur
scinditur fügt er (wie VII 509) durch die Erwähnung der Keile eine
gelehrte Nuance hinzu: vergl. g. I 144 nam primi cuneis scindebant fissile
lignum: die Säge galt als eine spätere Erfindung, vergl. M. Kremer, De
catalogis heurematum, Leipz. 1890, 7 4 f. Die Kiefern, die bei Ennius
erst an letzter Stelle genannt sind, rückt er an die erste: der Grund
ist aus der schon von Gerda angeführten Stelle des Plinius n. h. XVI 40
picea feralis arbor . . . ac rogis virens ersichtlich (vergl. 214). Statt
der abies des Ennius nennt er die ornus, da sie auf den Bergen wächst
(g. n 111, Plin. XVI 73). Das ennianische fraxinu(s) (frangitur) umschreibt
er metri causa (s. z. 4) fraxineaeque trabes, wie er aus gleichem Grund
180 den Sing, ilex neben piceae setzt (so Val. Flacc. III 165 äbies neben
piceae: vergl. Leo, Gott. gel. Anz. 1897, 955). Auch der Vers 179 itur
in antiquam silvam, stabula älta ferarum, der die Schilderung des Baum-
fällens einleitet, macht durch das starke ojlioiotttujtov antiquam silväm
archaischen Eindruck (s. Anhang IV). Mit stabula alta ferarum vergleicht
Nettleship Catull 63, 53 ferarum gelida stabula. Aber beide folgen wohl
einem älteren Dichter. Denn Vergil hat denselben Ausdruck noch zweimal
in Versen, deren Struktur von seiner eignen Technik abweicht: IX 388
Alba/ni^ tum rex stabula alta Latinus habebat X 723 impastus stabula
leo ceu saepe peragrans: beide Verse mit ungewöhnlicher Synaloephe —
s. Anhang XI 2B 5 — , der erste außerdem noch mit seltnen Caesuren
— s. z. 140 — , und im zweiten folgt das archaische ceu — s. Anhang IX
2, 1 — . So hat Catull in demselben Gedicht (63, 15) sonipes, das er
und Vergil (IV 135 u. ö.) aus Ennius nahmen.
181. Donatus paraphrasiert richtig so, daß fraxineae trabes zu dem
Vorhergehenden, cimeis zu dem Folgenden gehört, und dementsprechend
ist in M richtig nach trabes interpungiert; also ist et nachgestellt, s. An-
hang niB 3. — 182. advolvont montibus. Der sogenannte ablativus
separationis kommt im alten Latein nur in äußerst seltnen Fällen außer-
halb seiner regulären Gebrauchssphäre (bei Städtenamen) vor. Die Vergil
vorausgehende Epoche beschränkt ihn ausschließlich auf letztere, denn
die aus Lucrez und Catull von Schüler 1. c. (z. llOff.) 47 f. angeführten
Beispiele sind anders zu beurteilen (Lucr. I 259. VI 1203 abl. absolut.,
V 29 abl. instrum., VI 1141 Konjektur Lachmanns; Catull 64, 298 ge-
hört caelo als Dativ zum Folgenden). Vergil hat zuerst, wie er über-
haupt gerade auch auf dem Gebiet der Kasus ein großer Neuerer war,
die Grenzen dieses Gebrauchs außerordentlich erweitert: einige Beispiele
bei Schüler 1. c. 46 f., vergl. in unserm Buch 191 caelo venere volantes
VEES 179—191, 185
(dagegen Ennlus tr. 33 volans de caelo) und zu 539. — 183 f. nee non
Äeneas opera inter talia primus \ hortatur socios paribusque accingitur
armis. Nee non und nee non et (z. B. unten 595) ist in die Poesie, wie
es scheint, erst von Yergü eingeführt worden. — Die logische Folge der
Begriffe in dem zweiten Verse wäre in Verbindung mit dem ersten:
paribus accingitur armis et hortatur socios. Läßt schon dieses ucfTepov
TTpöiepov, das sich ähnlich 11 749 ipse urbem repeto et cingor fulgentibus
armis findet, es als möglich erscheinen, daß eine der beiden Phrasen
durch Ennius beeinflußt ist (s. z. 115 und Anhang II 3), so wird das
hier für die zweite bestätigt durch die Parallele VII 640 fidoque ac-
cingitur ense, deren ennianischer Ursprung zu 524 wahrscheinlich ge-
macht werden wird; aen. 11 235 accingunt omnes operi bezeichnet Wölfflin,
Arch. f. Lex. X 1898, 3 aus anderem Grunde vermutimgsweise als en-
nianische Phrase. — arma 'Werkzeuge' ist nach dem Thes. 1. 1. II 590
für uns vor Vergil g. I 160 nicht nachweisbar, also, wie daselbst vermutet
wird, nach Analogie von OTiXa möglicherweise erst von ihm eingeführt.
Er umging durch dies Wort da, wo er es von den 'instrumenta agrestia'
gebraucht (g. I 160, vergl. a. I 177), Worte des täglichen Lebens ('sordida
vocabula' s. o. S. 115, l), und da, wo er es von den 'instrumenta nautica'
gebraucht (unten 353 spoliata armis . . . navis, V 15), das für den Vers
unbequeme lange armammtum.
C. Gewinnung des goldnen Zweigs 185 — 211. 185f. haec...
tristi cum corde volutat mit starker Benutzung ennianischer Phraseologie:
s. Anhang I 1. — 186f. aspectans silvam immensam et sie forte precatur.
Die Spondeen malen die Nachdenklichkeit (s. o. 156 ff. und Anhang VIIB l),
die zwei aufeinander folgenden starken Synaloephen die Unermeßlichkeit,
vergl. für letzteres unten 552 porta adver sa ingens HE 658 monstrum
horrendum in forme ingens IV 181 monstrum Jiorrendum ingens Vii 170
tedum augustum ingens XTT 897 saxum antiquum ingens (vergl. Wagner
zu g. n 441, H. Heibig, De synaloephae ap. epicos lat. ratione, Progr.
Bautzen 1878, 10). — forte (s. z. 171) tadelt Servius hier wie VII 112
als Flickwort, (deshalb ist in E dafür voce interpoliert aus IX 403.
XI 784). Donatus sucht es zu verteidigen: hoc sölum protulerat, ut optare
potius videretur quam rogare, und daß er damit die Intention des Dichters
trifft, macht der Anfang des 'Gebets' 187 mit si ei9e sowie die Wieder-
holung von forte 190 bei der Erfüllung wahrscheinlich. Immerhin legt
aber der Umstand, daß forte hier durch die Situation nicht bedingt ist,
die Vermutung nahe, daß die Phrase sie forte precatur von Vergil aus
einem älteren Dichter als gegeben übernommen worden ist. — 190 vix
ea fatus erat vergl. Varro sat. 494 ^vix effatus erat\ cum more maiorum
etc., sicher ein Zitat aus Ennius (vergl. Büchelers Index zu Varros sat.
p. 250), vergl. in unseren Fragmenten der Annalen 48. 60 haec effatus
(ebenfalls am Versanfang). Vergil hat die Phrase vix ea fatus erat
VILI 250 wiederholt, imd dort steht sie in ennianischer Umgebung.
191 ff. ipsa suh ora erklärt Servius aus der Auguraltechnik: die Vögel
kamen in seinen 'Gesichtskreis' {conspicio Varro 1. 1. VEI 8), und 199 f.
wird ausdrücklich gesagt, daß sie in demselben bleiben. Auch im
folgenden bringt Servius mehrfach Erklärungen aus dieser Sphäre, und
zwar mit Recht. Zu 197 vestigia pressit bemerkt er: quia ad captanda
186 KOMMENTAR
auguria post preces immohües vel sedere vel sistere consueverant ; zu 198
werden in der erweiterten Scholienfassung öbservans, zu 199 pascentes
als Worte der Auguralsprache notiert: beides richtig, und zwar dürfte
pasci von Vögeln außerhalb dieser Begriffssphäre nicht vorkommen,
während es in dieser das gebräuchliche Wort war, vergl P. Eegell,
Commentarii in libr. augural. fragm. specimen, Hirschberg 1893, p. 17,
41). Wir können noch hinzufügen: 198 quae signa ferant t. t. für die
Zeichen des Auguriums, ib. quo tendere pergant Richtung des Flugs,
200 servare, 192 sedere von den sich niederlassenden Vögeln (vergl.
Eegell 1. c. 14, 25), 193 cognoscere (vergl. XU 260, wo der Augur ein
augurium oblativum mit den Worten accipio agnoscoque deos begrüßt,
XII 861 ff., wo Turnus eine importuna avis als ein monstrum 'agnoscif),
203 optare 'erschauen' (s. den Komm, daselbst). Den auguralen Charakter
der Partie hat schon Silius erkannt, denn in einer deutlichen Nach-
ahmung derselben XVII 52 ff, (Adler zeigen dem Scipio den Weg von
Sizilien nach Afrika) heißt es Vers 55: augurium clangor laetum däbat.
Vermutlich hat Vergil die auguralen Phrasen zumeist bei Ennius ge-
funden, bei dem ja Augurien eine bedeutende Rolle spielen (s. z. 15), und
sie auf die vorliegende Situation übertragen, ohne daß es sich hier um
ein eigentliches Augurium handelte: vergl. schol. Dan. zu I 398 Jiaec
(sc. colunfibae) inter augurales aves dicuntur non inveniri, et tarnen ex Ms
augurium et postulari facit et ostendit (folgt Zitat unserer Verse).
191 venere volantcs = Lucr. VI 833, wegen der Alliteration vielleicht
ennianisch. Durch diese Alliteration und die der folgenden Verse (sedere
solo, agnoscit aves) wird die Erscheinung der Tauben als bedeutsam
hervorgehoben. — agnovit M und Servius z. I 193, agnoscit PR; letzteres
kann an das gleich folgende precatur angeglichen sein, wie umgekehrt
unten 746 reliquit durch das vorhergehende exemit verschrieben sein wird.
Vergl. 498 f. agnovit . . . et compellat. — laetusque precatur im Gegensatz
zu der traurigen Stimmung (irisfi cum corde) beim ersten Gebet; daher
sind auch die Rhythmen dieses Gebets lebhafter als die des ersten. —
195 f. pinguem dives opacat \ ramus humum: über die markierte Stellung
der Attribute und Substantive s. Anhang IIIA 3. — opacare ist, wie das
Adjektiv (s. z. 208 f.) ein Wort nur des hohen Stils, das Vergil alter
Poesie entlehnte (vergl. Pacuvius 362); vor Vergil hat es wohl nur
Cicero, und zwar nur an Stellen mit deutlichem poetischen Kolorit (de
or. I 28, de nat. d. II 49, fr. de leg. bei Macrobius s. VI 4, 8). — 196f.
tuque 0 duhiis ne defice rebus, \ diva parens. Das Gebet schließt mit den
alliterierenden Worten duhiis — defice — diva. — duhiis rebus: die gleiche
Verbindung in gleichem Sinn Plautus most. 1041; da sie sich auch XI 445
als Abschluß einer stark ennianisch gefärbten Staatsratsscene findet, so
wird Vergil sie aus Ennius genommen haben, wie Sallust Cat. 10, 2
lug. 14, 5 aus älterer Prosa. — 197 vestigia pressit nach Servius *er
blieb stehen' wie unten 331 consiitit . . . et vestigia pressit (ebenso 389
comprime gressum), nach anderen 'er verlangsamte seine Schritte,' wie
XI 78 7 f. per ignem . . . premimus vestigia (verstärkend oben 159 vestigia
figit) und an vielen von Henry 261 ff. zitierten Stellen. Hier macht, wie
bemerkt, der augurale Sinn die erstere Bedeutung glaublicher. Die Phrase
darf mit großer Wahrscheinlichkeit für Ennius in Anspruch genommen
VERS 191—203. 187
werden: s. z. 159. 331. — 198 quae signa ferant, quo tendere pergant
Parison mit Homoioteleuton; Parallelismus auch zwischen 199 und 200
(vergl. Anhang II 3). — 199 pascentes illae tantiim prodire volando mit
malerischen Spondeen zur Bezeichnung der Langsamkeit des Flugs; als
dieser schnell wird, schlägt der Rhythmus um: 202 tollunt se celeres
Uquidumque per aera lapsae; vergl. über derartige rhythmischen Kontraste
Anhang VII B 1. — Nach Servius zogen einige pascentes noch zu den
Worten des vorhergehenden Verses (quo tendere pergant), was Henry
265 f. billigt; auch in M ist nach pascentes interpungiert. Aber die starke
Interpunktion, die dadurch in den Versanfang fallen würde, ohne daß
damit eine bestimmte Wirkung erreicht werden soll (s. z. 155), empfiehlt
diese Verbindung nicht, zimial durch sie die soeben notierte Figur quae
Signa ferant, qico tendere pergant zerstört werden würde. Dagegen ver-
einigen bei der üblichen Interpunktion die beiden Partizipien pascentes
und sequcntum die beiden Verse zu einer schönen Einheit, wie Vergil sie
liebt (s. Anhang III A 2) und gleich (202 f.) abermals hat. — 200 sequentum.
Peerlkamp u. a. nahmen daran Anstoß, daß vorher weder gesagt sei, daß
Aeneas Begleiter habe, noch daß er nach 197 {vestigia pressit, s. o.) weiter
gegangen sei. Beides übergeht Vergil, seiner Praxis gemäß (s. z. 145),
als nebensächlich, das erstere Moment ähnlich XII 75 f^ 112. — Die
Endung auf -um wie 432 süentum 755 venientum und so in der Aeneis
noch vierzehn Formen, meist eigentliche Participia am Versschluß, aber
in den späteren Büchern auch quadrupedantum (XI 614), potentwn (XII
519), caelestum (VII 432). In dem Gebrauch dieser Formen war Ennius
vorausgegangen, dem auch Lucilius und Lucrez folgten (vergl. auch
L. Havet zu Phaedrus p. 180).
201 grave olentis Äverni. Vergl. für das Kompositum g. IV 270
Cecropiumque thymum et grave olentia cenfaurea, also: KcKpÖTTiöv xe
Gu|UOV ßapuob|ud xe Keviaupem; das Adjektiv ßapuobjjoc kannte er aus
Nikandros Ther. 51, einer von ihm g. m 415 nachgebildeten Stelle.
Daß er grave olens als eine Art von Komposition fühlte, lehrt auch die
bloß scheinbare Synaloephe, s. Anhang XI 1 (vergl. die Schreibung
lenedora = hene odora carm. epigr. 1559, 6 Buch.). Auch das Gegenteil
b. 2,48 narcissum et florem iungit hene olentis anethi ist aus dem Griechischen
übersetzt: fibuirveovTOC dvr|0ou, und daher wagt [Tibull] IV 2, 17 einen
Vers zu schließen hene olentibus arvis, während der Verfasser dieser
Gedichte eigentliche Synaloephe an dieser Stelle nicht zuläßc. — 201 ff.
inde uhi Versanfang wie Lucr. VI 201. — liquidum aera: Servius: non est
aeris perpetuum epitheton (wie g. I 404, als solches von den augusteischen
Dichtem nach iJYpöc alGrjp, iiYprjv r\ipa eingeführt), sed purum ait
Äverni comparatione. — sedihus optatis nicht '(dem Aeneas) erwünscht',
sondern '(von A.) erschaut, ausersehen', wie noch öfters bei Vergil,
besonders klar III 109 optavifque locum regno, wo er das sakrale Wort
(wohl nach Ennius) wählt, weil die Städtegründung durch Auspizien
geschieht. In unserem Vers gehört also das Wort zur Gmppe der zu 191
besprochenen auguralen. Vergl. Bücheier, ümbrica 30. — 203 gemina
super arhore. Donatus: quae frondem duplicem materiamque portahat.
Nach Columella HI 2 hießen gewisse Sorten von Reben vites geminae
oder gemdlae, quod duplices uvas exigunt. Das überträgt also Vergil auf
188 KOMMENTAR
den Baum mit grünem und goldnem Laube. Er interpretiert die kühne
Metapher selbst durch den folgenden Vers (discolor etc.), wie er das
überhaupt liebt: sehr richtig Servius zu I 252 sciendum est omnium auc-
torum esse consuetudinem res dubie positas in sequeniibus explanare et
plenius dicere (s. z. 2 70 f.). In cod. R ist geminae aus 190 (gemmae —
cölumbae) interpoliert.
204: ff. discolor unde auri per ramos aura refulsit Servius deutet
aura auri, zwar dem Sinne nach richtig, durch splendor auri, aber der
Ausdruck ist ungewöhnlich kühn. Vergil erklärt ihn wieder selbst durch
209 crepitahat hrattea vento: also richtig Nonius 245 aura est ventorum
mit Verweisung auf Vergils aura auri. Wir würden auch wohl ver-
stehen und als schöne Metapher würdigen können 'durch die Zweige
weht ein goldiger Lichtglanz', aber aus griechischer (oder gar lateinischer)
Poesie ist mir nichts genau Entsprechendes bekannt. Vergil wagte die
Verbindung nur der Paronomasie zuliebe, die nicht bloß von dem witzeln-
den Ovid, sondern auch von den mit spielerischen Effekten sparsam um-
gehenden Dichtem, wie Vergil selbst, Horaz und Tibull, infolge einer
im Charakter des italischen Volks wurzelnden und durch die importierte
Ehetorik gehegten Manier öfter angewendet worden ist, als es sich mit
unseren Stilprinzipien vertragen will. Was Vergil darüber in der Rhetoren-
schule gelernt hatte, ersehen wir etwa aus der Darlegung des auctor
ad Herennium IV 21, 2 9 ff. Die dort aufgeführten Spezies sind bei Vergil
fast sämtlich nachweisbar: 1. Productio (bezw. hrevitas) eiusdem
litter ae: vergl. IV 238 purere pärabat X 191 f. cänit — cänentem XII 389
lato — lätebram g. II 328 ävia tum resonant ävibus virgidta canoris (vergl.
das in der genannten Rhetorik angeführte Musterbeispiel Mnc avium
dulcedo ducit ad avium). 2. Addendis (bezw. demendis) litteris: vergl.
I 331 orhis in oris II 271 teris otia terris 494 fit via vi X 99 ven-
turos — ventos XI 729 caedes cedentiaque agmi/na g. III 502 factum tractanti.
3. Commutandis litteris: vergl. außer unserem auri — aura b 3, 109 f.
amores — amaros 7, 5 pares — parati g I 157 umbram — imbrem a I 399
puppesque tuae pubesque tuorum (darüber Quintil. IX 3, 75) 646 cari stat
cura parentis II 313 clamor clangor que III 540 armantur . . . armenta
IX 665 acris arcus X 735 furto — fortibus XI 644 arma — armos XII 788
armis animisque. Vergil macht aber, gemäß der Vorschrift jener Rhetorik,
von diesen lumina sparsame Anwendung und zwar fast nur in Reden
oder an sehr zierlichen Stellen wie der unsrigen. Manche der angeführten
Beispiele können auf Ennius zurückgehen, der diese Manier in die hohe
Poesie einführte (vergl. Leo, Prooemium Göttingen 1898, 10 ff.), so wohl
sicher fit via vi und armis animisque. Denn beide Phrasen hat auch
Livius rV 38, 4. VI 24, 10, sei es aus seiner poetisch gefärbten anna-
listischen Quelle, sei es direkt aus Ennius (s. Stacey 1. c. [z. 99] 45. 48),
und die zweite Phrase steht in einem Vers mit dem ennianischen olli
(s. z. 317 ff.); vergl. auch unten zu 761 lucis loca. Ein unserem auri
aura wenigstens verwandtes Spiel hat Pacuvius 362 terra exlialat auram
ad auroram umidam und der in seinen Jamben stark durch die Tragödie
beeinflußte Varro s. 121 aurorat . . . auro\ eine Lieblingsverbindung des
Lucrez (der gelegentlich der ennianischen Manier folgte, vergl. II 103.
in 888, V 75, 299) ist aeris auras. Aber dem Vergil am nächsten kommt
VERS 203—210. 189
Horaz od. I 5, 9 f. creduius aurea — nescius aurae fallacis. — Gewählt
sind in vorliegender Partie auch die Alliterationen 205 f. solet silvis . .
viscum . . . firere . . . sua seminat (Schema aabbaa), 207 croceo —
teretis circumdare truncos (ab ab), das Spiel mit r 204 discolor unde auri
per ramos aura refulsit und mit t: crepitabat hrattea vento. Femer das in
Ovids Weise pointierte non sua in 206 qtiod (viscum) nmi sua seminat
arbos, wie g. 11 81 arhos . . . miratur non sua poma (nach dem Griechischen,
vergl. A. P. IX 4, wo ein okulierter wilder Bimbaiun sagt: ouk e|aöv
f])iieTepoic kXuj(Ji cpepoucTa ßdpoc). — Auch die Ausdrücke auri fron-
dentis und a'epifahat hrattea vento sind spielerisch kühn: der Dichter
darf das wagen, weil er ein TrapdboHov beschreibt, dem er hier, wie in
der sehr studierten Metamorphose aen. X 189 ff. (nach Phanokles), im
Stil der hellenistischen Poesie die Sprache anpaßt (so sagt Ovid m.
X 647 f., wohl durch unsere Stelle beeinflußt, von dem Baimi mit den
Goldäpfeln im Atalantemythus: medio nitet arbor in arvo, \ fulva comas^
fulvo ramis crepitantibus auro). Dem Stil besonders dieser Poesie ent-
spricht auch die malerische Farbenwirkung: aus der Landschaft in Eis
und Schnee ragt die dunkle Eiche, auf ihr der goldgelbe Mistelzweig.
205 brumali frigore: an gleicher Versstelle brumali tempore Cicero
Ar. 282; über brumalis s. o. S. 65. — 208 f. opaca ilice: dieselbe Ver-
bindung X 851 in einem Verse nach archaischer Technik (s. Anhang VIIB
2d und über opacus z. 195). — 209 ilice: die Mistel wächst besonders
auf Eichen, daher die alte Interpolation E 398 bpuCTiv iHoqpöpoiCTiv (für
bp. uijJiKOiuOKyiv, danach schon Sophokles fr. 370 N.^ iSo9Öpouc bpuac);
vergl. Plinius n. h. XVI 245 viscum in quercu robore ilice. Die Zweige der
Hex stehen so tief, daß sie von der Erde aus erreicht werden können,
daher 210 corripit, vergl. Ovid m. XI 108f. — 210 corripit — refringit:
über die Stellung der Verben am Anfang und Schluß des Verses s. An-
hang IIIA 2. — 2 10 f. avidtisqiie refringit \ cunctantcm (sc. ramum). Das
cunctari des Zweiges steht in Widerspruch mit 146 f. ipse (ramiis) volens
facilisque sequetur, si te fata vocant. Die von Servius angeführte XucTic,
daß Vergil cunctantem zum Kontrast von avidus hinzugefügt habe, td
ostendat tantam fuisse avellendi cupiditatem, ut mala ei satisfacere posset
celeritas, erklärt richtig die Genesis des Widerspruchs, ohne ihn als solchen
zu beseitigen. Ob er bei endgültiger Redaktion ausgeglichen worden
wäre oder vom Dichter, der momentane Illusion höher stellte als absolute
logische Straffheit (vergl. Kroll 1. c. [z. llOff.]), überhaupt nicht als solcher
empfunden worden ist, wird sich kaum entscheiden lassen; cunctari war
ihm als verbum rusticum geläufig: glaebae ciinctantes g. II 236. — ex-
templö ävidusque, vergl. über die seltene Synaloephe Anhang XI 2B 4.
n. Bestattung des Misenus 212 — 235.
Drei Abschnitte. 1. Einleitung 212 — 13 (2 K6)a)iiaTa). 2. Die heilige
Handlung 214 — 31 in drei Absätzen, bezeichnet durch principio 214, tum 220,
postquam 226 ; der erste Absatz ein xpiKUjXov (a. 214 — 217 mit vier K6)Li|iaTa,
b. 218 — 19 mit zwei KÖjLijuaTa, c. 220 fit gemitus, gewichtig ein kuüXov für
sich bildend wie unten 483 ingemuit), der zweite ebenfalls ein rpiKUuXov (a.
220 tum— 222 conidunt, b. 222 pars — 224 /acem, c, 224 congesta— 225 olivo
190 KOMMENTAR
mit je drei K6|Li)LiaTa) , der dritte mit 2 rpiKuuXa, jedes kujXov mit dem
Yersschluß zusammenfallend (a. 226 mit zwei KÖ)i)LiaTa, b. 227, c. 228;
a. 229, b. 230, c. 231). 3. Schluß 232—35: drei + drei KÖ)Li|LiaTa.
212 ff. Anlehnung an die Bestattungsszene der Patroklie für die
allgemeine Konzeption ist schon zu 177 notiert worden; das einzelne ist
z. B. von W. Ribbeck zusammengestellt. Die ganze Partie war im Alter-
tum wegen ihres sakralen Charakters berühmt, wie Nachahmungen bei
Schriftstellern und auf Inschriften beweisen. Sie ist auch für uns eine
Fundamentalstelle für italisch-griechische Bestattungs- und Opfergebräuche
(die V. absichtlich mischt) und in diesem Sinn in den Handbüchern,
sowie von Diels in den ritualgeschichtlichen Anmerkungen seiner Sibyll.
Blätter p. 121 verwertet worden, so daß die Belege für das Zeremoniell
meist übergangen werden können. Die Szene ist bei aller Kürze sehr
wirkungsvoll; der dumpfen Klage zu Anfang macht am Schluß ein be-
freiendes Motiv Platz.
Für den konventionellen Übergang nee minus mterea (VII 572 in
einem ennianisch schließenden Vers) und die Wiederholung des Motivs
von 177f. in 214f. s. o. S. 176. — 213 flebant et cineri ingrato suprema
ferebant Über die signifikante Stellung der (noch dazu durch Alliteration
und Homoioteleuton gebundenen) Verba s. Anhang III A 2 , über das
spondeische Wort im ersten Fuß ebenda VIII. — ingratus ist ein Lieb-
lingswort der augusteischen Dichter, durch das sie Dinge beseelen,
(besonders schön Prop. I, 3, 25 mit der Erklärung Haupts bei Beiger 256).
Cineri ingrato auch in der Copa 35 quid cineri ingrato servas hene olentia
serta (Germanus). Da dies Gedicht sonst keine Anklänge an die Aeneis
hat, scheint die Verbindung nicht von Vergil geprägt zu sein; dafür
spricht auch, daß die Erwähnung des cinis hier der Handlung vorgreift,
wie Donatus treffend bemerkt, denn erst 226 heißt es: postquam conlapsi
cineres. Dagegen kommt suprema vor Vergil so nicht vor (Conington),
scheint also von ihm geneuert (anders XI 2 5 f. supremis muneribus); so
unten 457 extrema TCt ecTXKTa. Was man der Asche mit den ucTTaxa bujpa
zu Dank tut, ist eine X^^Pi^ dxapiTOC, und in diesem Sinne reden die
Toten auf ihren Grabsteinen von einem munus inane (carm. 474, 10.
475, 2 f. Bücheier), vergl. unten 885 f. Die entgegengesetzte Vorstellung
ist es, wenn Vergil unten 363 ff. 383 den Palinurus um Bestattung bitten
und sich über deren Zusicherung freuen läßt. Beide an sich unverein-
bare Vorstellungen gehen auch in griechischer Poesie nebeneinander her;
vermittelnd wie Elektra bei Soph. 356 (sie erweise dein toten Vater
Ehren, ei Tic ecTT'eKeT xo^pic) sagt Vergil X 82 7 f. teque parentum | mani-
bus et cineri, si qua est ea cura, remitto (vergl. VII 4; danach zu be-
urteilen carm. epigr. 1142, 25 f. Buch.). — 214:f. principio lucrezischer
Versanfang, s. z. 724. — pinguem taedis et roiore secto ingentem . .
pyram. Pinguem taedis für pinguibus taedis (Heyne) in kühnem Parallelis-
mus zu ingentem robore: s. Anhang II 3. — pyra hat Vergil noch viermal
neben dreimaligem rogus (IV 640. 646. XI 189). Da das griechische Wort
vor Vergil, wie es scheint, nur bei den Verfassern des bell. Afr. 91, 2
und des bell. Hisp. 39, 3. 4 vorkommt, so mag es, weil diese Autoren in
ihrem Wortschatz stark durch die archaische Poesie beeinflußt sind, von
Vergil aus dieser übernommen sein. — 215 ff. Die drei KÖ|a|LiaTa de^
VEES 212—224. 1dl
Relativsatzes cui fronäihus atris intexunt latera, et feralis ante ctipressos
canstituunt, decorantque super fuJgentihus armis sind irdpicTa (12, 13,
12 Silben) mit sorgfältiger Eesponsion der Begriffe (frandibus atris '^
ferales cupressos f^ fulgentibus armis; intexunt ^^ constituunt ^- decorant]
latera ~ ante «^ super) und Bindung der Verba durch öjioioreXeuTa
(die beiden ersten an gleichen Versstellen). Yergl. über diese Technik
Anhang HS. — frondibus atris: die außer den 216 genannten Cypressen
in Betracht kommenden Totenbäume nennt Tarquitius Priscus bei Macrob.
m 20, 3. — 218ff. expediunt — ungimt — reponiint — coniciunt: Homoiote-
leuta in markanter Stellung; s. Anhang III A 2. — cdlidos latices wird
stilistisch variiert durch aena ttndantia flammis (s. z. 25): beide Phrasen
mit Benutzung älterer Poesie, aus der latices und iindare überliefert sind
(Ennius, Accius), wie gleich darauf corpusque lavant . . . et ungunt nach
Eimius a. 156 corpus . . . lavit et unxit. In calidos latices ist die nicht
beliebte Aufeinanderfolge zweier anapästischer Worte (s. z. 290) bemerkens-
wert, doch wurde calidus zu Yergils Zeit schon zweisilbig gesprochen
(Quintil. I 6, 19); analog unten 833 patriae val{i)das. — velamen zuerst
bei Vergil wie unten 246 libamen, XI 67 stramen, alle aus metrischer
Bequemlichkeit statt -entum (wie fragmen schon bei Lucrez), und wie
Vni 89 luctamen statt des metrisch für Vergil noch nicht verwendbaren
luctatiö. Auch ministeritim 223 ist vor der augusteischen Zeit nicht
nachweisbar. Vergl. Ladewig 4. 7. — 221 purpureasque super vestes,
vdamina nota, coniciunt. Über den Gebrauch des Purpurs urteilt richtig
(nach VaiTo) Serv. D. III 67: er sei ein Substitut für das ältere Blut-
opfer am Grabe; vergl. E. Samter, Familienfeste (Berl. 1901) 56 f.,
unten z. 884. — velamina nota. Servius: ipsi cara (wie dilecta Val.
Flacc. ni 342 in einer dieser Stelle nachgebildeten Episode), vergl. Plu-
tarch non posse suav. 26, 1104 D \\xinm (TuvriGTi toTc xeövriKÖci (Tuv-
GdTTieiv, Lukian Philops. 27 aufKaTaKaucrac Kai ir\\i ecTöfiTa, rj Z^ÜJCTa
eXttiptv. — 222 f. pars ingenti subiere feretro. Daß die Träger die
Bahre mit dem Icctus fiinehris (torus) auf den Scheiterhaufen stellen,
wird, weil es aus dem weiteren Verlauf der Handlung sich von selbst ver-
steht, nicht erwähnt (s. o. S. 145), wie der Dichter überhaupt in dieser
ganzen Partie nur einige wesentliche Details gibt, dadurch aber größere
Wirkung erzielt als Statins in seiner Nachbildung (Theb. VI 54 ff.), die
an Umfang diese Partie um das Sechsfache überragt. — ingens mit der
starken Katachrese, die dieses Wort wie immensus oft bei Vergil hat
(am stärksten VII 377. X 484 mit Servius' Bemerkung). — suhiere feretro
ungewöhnlich für den Accusativ, den V. selbst IV 599. XTT 899 braucht,
wie der Verf. der consolatio ad Liviam 207 onus lecti subire und Persius
3, 105 f. atülum \ Jiesterni capite induto suhiere Quirites. Auch in anderen
Verbindungen konstruiert er subire je nach metrischem oder euphonischem
Gesichtspunkt mit dem Dativ oder Accusativ, vergl. schol. Dan. zu IV 598.
— triste ministerium wurde eine beliebte Formel der Grabepigramme
(vergl. Büchelers index p. 918). — more parentum = CatuU 101, 7
(Sabbadini), vermutlich älteres Gut, vergl. Varro sat. 494 mtwe maiorum
nach dem oben z. 190 notierten Enniuszitat. — aversi (tenuere facem), wohl
um das eibuuXov des Toten, das jetzt den Leib verläßt, nicht zu erblicken.
2 24 ff. Der Höhepunkt der heiligen Handlung, die Verbrennung, ist
192 KOMMENTAR
durch Alliterationen ausgezeichnet {congesta cremantur — dona dapes, con-
lapsi cmeres — quievit). Bibulam lavere favillam 6vö)iiaTa jnaXaKuuc CTuYKei-
jLieva s. z. 120; bibula favilla: öiipia kövic Soph. Ant. 246. 429, öiqjdc
(TTTobiri A. P. Vn 185; hibula arena schon Lucrez II 376. — tureus: über
die Bildung auf -eus s. z. 281. — crateres. Vergil gebraucht nur die
griechische Form cratcr mit entsprechender Deklination {crateres auch
Lucr. VI 701), im Gegensatz zu Horaz, der die beiden gewöhnlichen,
latinisierten Formen cratera und creterra je einmal hat. Die griechische
Form bot dem Dichter in der Deklination vor einfacher Konsonanz einen
bequemen Daktylus (magnum cratera Corona HI 525, post cratera tegebat
IX 346, cratera coronant g. II 528, cratere minantem 457, crateres olivi
VI 225 sämtlich am Versschluß), vor doppelter Konsonanz die Möglich-
keit, ein dabei stehendes Adjektiv in der Endung zu differenzieren (s.
Anhang IV): craterasque duos b. 5, 68, crateras magnos a. I 724 (für
crateram antlquam crateras magnas), IX 266 cratera anticum quem dat
(für craterasque duas quam). — oUvo. Vergil kennt oleum olea neben
olivum oliva, hat letztere ^Formen aber nur am Versschluß; oliva galt
ihm feierlicher als olea, daher hat er in der Aeneis ersteres sehr oft,
letzteres nur einmal in einem späten Buch (XI 101), während er in
den Georgica je nach metrischer Bequemlichkeit wechselt.
226 f. postquam conlapsi einer es et flamma quievit nach I 212 auxdp
^Trei KttToi TTup iKotTi Ktti qpXöH e)napdv9r| -[- Y 251 (TtupKairiv crßeaav
ai9o7n oivuj | öcr(Tov im qpXöH fjXGe,) ßaGeia be KdTrireffe recppr) (Ursinus),
aber mit ücJiepov TTpörepov der Begriffe, also ist möglich, daß eine der
beiden Phrasen schon von Ennius aus Homer übersetzt war (s. z. 115.
184 imd Anhang II 2), — Über postquam, idem (229), spargens (230)
im ersten Fuß s. Anhang VTII. — Die cineres (poetischer Plural zuerst
bei Vergil b. 8, 101 nachweisbar, vergl. Maas 1. c. [z. 4] 519) unterscheidet
er mit der ihm eignen Proprietät des Ausdrucks von favilla: erstere ist
die Asche der Sachen, letztere die noch glimmende des Körpers: Plinius
n. h. XIX 19. — 228 ff. socios pura circumtuUt wnda. Servius: circum-
tulit purgavit, antiquum vcrhum est (vergl. Bücheier, ümbrica 84 f.). —
ramo felicis olivae. Servius: sed moris fuerat ut de lauro fieret; viel-
mehr werden Lorbeer und Olive bei den Lustrationen kaum geschieden:
Samter 1. c. (z. 221) 86 ff. ■ — dixitque novissima verba (nämlich üicet,
vergl. Servius; über den Plural s. Anhang V) = IV 650 als sakrale
Phrase wohl älteres Gut. — Corynaeus: der Name für uns, wie es
scheint, sonst nicht nachweisbar (Kopuvr|Tric H 8 u. ö.), doch scheint er
Vergil irgendwie überliefert gewesen zu sein, wenigstens behauptet Servius
z. IX 567 Lucetiurn] solum hoc nomen est quod dictum a Vergüio in nullo
alio reperitur auctore (das weiter folgende läßt auf eine ausgezeichnete
Quelle dieses Scholions schließen).
232 ff. Die Schichtung des Tumulus: „Den Anlaß zu der Sage gab
die Tumulusform des Berges ... Er steigt von allen Seiten in schroffen
Felswänden aus dem Meere empor, der Gipfel ist flach und bildet ein
Plateau von mäßiger Ausdehnung." Beloch 1. c. (z. 9 f.) 195.
2 33 f. suaque arma viro remumque tubamque \ monte suh aerio
(ponit). Ein altes Ziriiriiua wegen 217 decorantque (pyram) super ful-
gentibus armis, wonach 'Waffen' auf dem Scheiterhaufen verbrannt sind.
VERS 224—236. 193
Daß die Xu(Tic bei Servius: ipsi cara (sc. arma) sculpsit in saxo, nam
supra (217) ea iam legimus concremata willkürlich ist, liegt auf der
Hand. Auch die von Thiel vorgeschlagene und von Conington gebilligte
Xijffic, daß arma hier 'Gerät' bedeute, wozu remiimque tubamque Appo-
sition sei, ist mißlich, weil unten in der Parallelstelle von dem Grab
des Deiphobus gesagt wird 507 arma locum servamt, so daß arm^ hier
wie dort von den Waffen verstanden werden muß. Nun zeigt aber schon
die emphatische Stellung des Pronomens sua arma in unserem Vers,
daß an der früheren Stelle (217 decorantque super fulgentibus armis)
eben nicht die Waffen des Misenus selbst gemeint sind: die auf dem
Scheiterhaufen verbrannten Waffen gehören vielmehr den Genossen des
Misenus, die sie ihm als Ehrengabe weihen, während seine eignen Waffen
(sowie das Euder und die Trompete) mit ihm in dem Grabhügel ge-
borgen werden. Dieselbe Scheidung zwischen den fremden und den
eigenen Waffen auch in der Begräbnisszene XI 193 ff. (vergl. alii . . .
conidunt igni galeas ensesque decoros . . .; pars mwnera nota, ipsorum
clipeos et non felicia tela), nur daß dort die einen wie die anderen mit
verbrannt werden, weil es sich um ein Massengrab handelt. Vergl. auch
die Nachbildung unserer Stelle durch Statins Theb. VI 5 4 ff. — Über die
Synaloephe suaqiie ärma s. Anhang XI 2 B 5.
2 34: f. qui nunc Misenus ah iUo \ dicitur aeternumque tenet per sae-
cula nomen. Der moderne Leser empfindet diese aus der Handlung her-
ausfallende Bemerkung als Störung der Illusion, während der antike
Leser an derartiges durch den konventionellen Stü der aetiologischen
Poesie gewöhnt war; vergl. X 143 ff. adfuit . . . et Capys: hinc nomen
Campanae dicitur urhi, ein Vers, den Eibbeck (prol. 83) ebenso unrichtig
verdächtigt, wie I 367 mercatique {sölum) facti de nomine Byrsam. Die
Etymologie von luXus legt er I 268 sogar dem Jupiter, die von Camilla
XI 543 der Diana in den Mund: beide Verse (so auch I 109) werden
von vielen Erklärern verdächtigt oder athetiert, obwohl Properz imd
Ovids Fasten zeigen, in welche Kategorie von Poesie das gehört. Vergil
ist sich überhaupt bei der ganzen Erzählung von Misenus bewußt gewesen,
in der Art der kallimacheischen Aitia cognomina prisca locorum zu er-
klären (Properz IV 1, 69); in der Form des Ausdrucks erinnern die Worte
Vergils an Kallim. h. 5, 42 Trexpaic aic vOv ouvo)Lia TTaWaxiöec. Es
war typisch, mit dem aiTiov zu schließen, denn so macht er es auch
bei der zweiten aetiologischen Legende dieses Buches 381 ff. (aeternumque
locus Pali/nuri nomen hahebit . . .; gaudet cognomine terrae) imd in einer
nach dem Zeugnis der Schollen direkt aus den Aitia des KallLmachos
entnommenen Stelle VH 761 ff. Ebenso pflegt Ovid seine aetiologischen
Mythen zu schließen (z. B. m. II 706 qui nunc quoque dicitur X 502 f.
nomen . . tenet nulloque tacebitur aevo), und auch Properz schließt
seine für die Gattung typische Elegie IV 4 entsprechend.
m. Opfer für die Unterirdischen 236 — 263 (abgebildet in der
Büderhandschrift fol. XLVI^).
Einleitender Vers 236 mit zwei KÖ|Li)LiaTa. Zwei Absätze von je
drei Perioden. Erster Absatz. 1. Ein TpiKuiXov 237 — 41 (a. 237—38
Vbroii. Buch VI, von Norden. 13
194 KOMMENTAR
mit vier KÖ)H|aaTa b. 239 — 40 pirniis c. 240 talis — 41 mit zwei KÖja-
ILiara), 2. Ein TerpdKUjXov 243—47 (a, 243 — 44 mit zwei KÖ|U|aaTa
b. 245 c. 246 d. 247), 3. Ein TpiKuuXov 248—53 (a. 248—49 pateris
mit zwei KÖ)a)LiaTa b. 249 ipse — 51 mit zwei KÖmaaia c. 252 — 54 mit
drei mit den Versen zusammenfallenden KÖ|U|LiaTa). Zweiter Absatz.
1. Ein TexpdKuuXov 255 — 58 dea (a. 255 — 56 söltmi mit zwei KÖmuaxa
b. 256 et — 57 süvanmi c. 257 visae — umhram d. 258 adventante dm),
2. Ein xpiKiuXov 258 procul — 61 (a. 258 procul — 59 mit zwei KÖmuara
b. 260 c. 261 mit je zwei KÖjLXjLiaTa), 3. Ein TpkiuXov 262—63 (a. 262
tantum effata b. 262 furens — aperto c. 263).
Das Opfer, das Aeneas jetzt den Unterirdischen darbringt, war ihm
vorher (153 f.) von der Sibylle als Vorbedingmag der KaraßacTic dar-
zubringen befohlen worden. Es ist längst festgestellt, daß beides, Befehl
wie Ausführung, aus der homerischen Nekyia stammt: Kirke befiehlt
dem Odysseus ein Opfer k 517 ff., das er X 2 3 ff. darbringt. Aber dieses
Opfer, das bei Homer notwendig zur Handlung gehört, ist bei Vergil
der Situation nicht durchaus angemessen. Wer den goldnen Zweig hat,
besitzt ja die Berechtigung zur KttiaßaCTic (140 ff.): wozu also noch ein
Opfer, das als Sühne für etwas an sich Verbotenes darzubringen ist
(piaculimi 153)? Die Dublette ist handgreiflich, wenn man die Worte
der Sibylle von der Notwendigkeit des Zweiges sed non ante datur telluris
operta suhire \ auricomos quam qui decerpserit arbore fetus (140 f.) mit
ihren Worten von der Notwendigkeit des Opfers vergleicht: duc nigras
pecudes, ea prima piacula swnto: sie demum lucos Stygis et regna invia
vivis I aspicies. Auch hier erklärt sich der Kompositionsmangel aus der
Kontamination zweier von Vergil nicht erfundener, sondern übernommener
Versionen. Die homerische Version kennt nicht den goldnen Zweig,
die — woher auch immer stammende — Version vom goldnen Zweig
kannte das Opfer nicht: Vergil kontaminiert beides. Eine äußere Be-
stätigung für diese Analyse gibt die völlige Verbindungslosigkeit des
Befehls zum Opfer mit dem vorhergehenden (153 ohne Kopula), und
analog wird auch die Ausführung des Opfers 236 ganz äußerlich mit
Ms actis pi;opere exsequitur praecepta Sihyllae angefügt, als ob nicht
schon vorher zwei andere praecepta Sibyllae die Gewinnung des Zweigs
(I87ff.) und die Beerdigung des Misenus (l76ff. 212ff.), ausgeführt
worden wären. Die mangelhafte Anfügung von 236 bemerkt auch Sabad-
dini p. XXXI, beurteilt sie aber anders.
Für das Detail der Ausführung genügten ihm die skizzenhaften Züge
Homers nicht mehr, sondern er mußte die einfache Kost für die über-
reizten Nerven der Leser seiner Zeit würzen. So finden wir denn hier
zuerst im lateinischen Epos eine Hekatebeschwörung, wie sie seitdem
im Epos und der rhetorischen Tragödie traditionell geworden ist; aber
dem Geschmack des Dichters, der die Grenzen des ästhetisch Genießbaren
auch da nicht überschreitet, wo die Gefahr nahe genug lag, wird niemand
seine Anerkennung versagen, der sich die Exzesse eines Lucan, Seneca,
Statins und Silius auf diesem Gebiete vergegenwärtigt. Einzelne Züge
stammen, wie schon Germanus bemerkt, aus einer Szene bei Apollonios
(m 11 90 ff.), wo Jason auf Geheiß der Medea (vergl. 1030 ff.) bei Nacht
den Unterirdischen in der Einsamkeit opfert, bis Hekate erscheint. Aber
VERS 236 ff. 196
viel genauer stimmt die jLiaYiKr] irpäHic, die Lukian nekyom. 9 f. der von
ihm geschilderten Katdßaöic des Menippos vorausgehen läßt: gerade auch
das Motiv, daß die ganze Handlung dem Zweck einer KaraßacTic dient,
fehlt bei Apollonios. Die Szenerie ist bei Lukian ein an einem
sumpfigen See gelegenes x^piov epr||Liov Ktti uXuibec Kai dvr|Xiov, ebenso
bei Vergil (2 3 7 f. spelunca ... tuta lacu nigro nemorumque tenehrls). Wie
bei diesem (244 fi.) wird auch bei Lukian geopfert und das Blut in eine
Grube gegossen. Der Magier Lukians ruft mit lauter Stimme die Erinyen,
Hekate und Persephone: so wird bei Vergil (247 ff.) der 'Mutter der
Eumeniden' und Persephone geopfert und Hekate mit lauter Stimme
gerufen. Darauf erfolgt in Lukians Schilderung ein Erdbeben, der Boden
öffnet sich, die Unterwelt wird sichtbar, in die nun der Magier mit
Menippos hinabsteigt: auch bei Vergil Erdbeben (2 5 5 f.), Öffnung der
Höhle (262), Abstieg der Sibylle mit Aeneas in den Hades (263). Eine
im Detail sehr nahe verwandte Episode ist auch die interessante Zauber-
szene der orphischen Argonautika 950 — 87. Da nun Lukian sowie der
Verfasser des orphischen Gedichts die angeführten und andere magischen
Zeremonieen nur aus der ihnen beiden auch sonst sehr vertrauten Zauber-
literatur entnommen haben können, in der, wie noch unsere Papyri
lehren, eiTiubai 'GKOtTTic eine große Rolle spielten, so werden wir das
gleiche für Vergil voraussetzen dürfen, und das an diese Episode un-
mittelbar anschließende Gebet an die Dämonen der Tiefe (264 ff.) wird
uns diese Vermutung bestätigen. Daß ihm diese Literaturgattung, die
sich besonders seit der hellenistischen Zeit einer großen Beliebtheit er-
freute, so gut bekannt war, wie dem Verfasser der Dirae und anderen
Dichtem der augusteischen Zeit, vor allem Horaz in den Canidiagedichten,
beweist ja außer der 8. Ekloge auch die mit intimster Kenntnis dieser
Dinge gedichtete |LiaYiKfi TrpäSic im Didobuch 478 ff. Wahrscheinlich
geht die Benutzung dieser Art von Literatur gerade in unserem Buche
viel weiter, als unsere Mittel nachzuweisen ermöglichen (vergl. auch Ein-
leitimg S. 11 und oben zu 81 f.). ^)
Bemerkenswert ist, wie genau diese Zauberliteratur der Praxis des
Lebens gefolgt ist. Die Zeremonieen, die Vergil hier schildert, sind in
dem veKUO)iiavTeiov am Avemus wirklich vollzogen worden, bis die
Gegend durch Agrippa im J. 37 v. Chr. ein ganz anderes Aussehen er-
hielt, das die Geister verscheuchte (Strabo V 244f.). Die genaueste Be-
schreibung jener Zeremonieen steht bei Maximus Tyrius 14, 2: fjv be
TTou Tfic 'IraXiac . . . rrepi Xijuvriv "Aopvov outuj KaXou|ueviiv juavxeiov
ctvTpov . . . '€vTa09a 6 beöjuevoc dcpiKÖJLievoc, eiiHd)nevoc, evTeiaouv
CTqpdYia, xc^inevoc xo«c dveKaXeiTO vpuxnv ötou hx] tujv Trarepiuv
Y\ qpiXujv" Kai auTuJ dirrivTa eibujXov, diiiubpöv ^h/ ibeiv . . . cpGcYKTi-
KÖv be .... Kai cruTTevö|ievov uirep u)v ebeiio, dirriXXdTTeTO. ^) So
1) Plinius XXX 14 nennt als eine Spezies der Magie umhra/rum inferorumqiAe
colloquia, die der Zauberer zu bewirken verheiße. Vergl. Th. Weidlich, Die
Sympathie in der antiken Literatur, Stuttgart 1894, 27.
2) Da der Avemersee, nachdem Ephoros und Timaios ausführlich über ihn
berichtet hatten, in der paradoxographischen Literatur eine große Rolle spielte,
wie noch unsere dürftige Überlieferung dieser Literaturgattung erkennen läßt
(vergl. Ps. Aristot. de mir. ausc. 102, Antigonos bist. mir. 152 p. 37 Keller), so
13*
196 KOMMENTAR
schildert es auch Vergil, nur setzt er an die Stelle der Evokation eines
Toten an die Oberwelt die KaraßaCTic eines Lebenden in die Unterwelt,
während SUius in seiner Nachbildung der vergilischen Katabasis (XIII 39 7 ff.)
sich darin genauer an das Ritual, sowie an die homerische Nekyia an-
schließt, daß er dem Scipio am Avemus die durch magische Zeremonieen
evozierten Seelen erscheinen, nicht ihn selbst in den Hades hinabsteigen
läßt.-^) Daß Vergil die Gegend am Avemus noch vor ihrer Umgestal-
tung durch Agrippa aus Autopsie kannte, darf nach dem, was wir über
sein Leben nach 40 wissen, mit ziemlicher Bestimmtheit behauptet werden
(s. auch oben S. 183); dennoch wird sich nach der Art seines Arbeitens
auch hier die Annahme, daß er aus schriftlicher Tradition schöpfte, mehr
empfehlen als die andere, daß er Erlebtes aus der Erinnerung erzählt
hätte.
236 Ms actis = XII 843 könnte wegen seines prosaischen Kolorits
ennianisch sein. Auch scrupea 238 ist archaisch. — 237 ff. Die ^Kcppaffic
TÖ7T0U wird wie 42 ff. verselbständigt. — Über das Lokal schreiben die
Brüder Grafen Stolberg (Werke VIII Hamburg 1827, 19): „Beim Averner-
see ist die sog. Grotte der Sibylle. Wir gingen mit Fackeln hinein.
Seitwärts hat diese lange Höhle einen dunklen schmalen Gang . . . Diese
Höhle ist ohne Zweifel diejenige, durch welche Vergil seinen Helden ins
Schattenreich führt." Neuere Beschreibung bei Cocchia 1. c. (o. S. 117)
40ff., vergl. Beloch 1. c. (z. 9 f.) 168: „In den Felswänden des den Avernus
umschließenden Ki*aters öffnen sich überall Höhlen." — 237 f. spelvmca
alta fuit vastoque immanis Jiiatu, | scrupea, tuta lacu nigro nemorumque
tenehris. Die auffällig starke Häufung von a undw soll malen (Henry 272);
liegt es am nächsten anzunehmen, daß der sonst recht unwissende Sophist
seine Kenntnis aus derartigen vielgelesenen Schriften hat.
1) Es ist m. W. noch nicht scharf ausgesprochen worden, daß die homerische
'Nekyia' ganz eigentlich eine veKUO|uavTeia ist (also richtig, nur mit einem
jüngeren Worte, das schol. Dan. zu aen. HI 67 Homerus in necromantia)] auch
E. Rohde, Psyche^ 53 f., der dem Wahren nahe war, scheute sich, es gradezu
zu sagen. Aber es ist ja klar, daß von einer Koraßaaic des Odysseus keine
Rede sein kann. Er steht an der Opfergrube, die er am Grenzbezirk von Ober-
und Unterwelt gegraben hat, und an sie schweben die Seelen heran, um ihm,
nachdem sie von dem Blute getrunken, zu weissagen; also nicht er steigt zu
den Seelen hinab, sondern die Seelen zu ihm empor ött^S ep^ßeuc (X 37). Diese
Vorstellung wird durchbrochen durch die Episode von den großen Büßern
(565 — 627), die, im Erebos festgebannt, nicht zu Odysseus kommen, sondern
die er 'sieht', ohne daß das von seinem Standpunkt aus möglich ist. Diese
Episode wurde eben aus diesem Grunde schon von Aristarch athetiert (vergl.
schol. 568 voGeOexai . . . ■ iir^p bt rrjc d9€Tr)öeujc aurOuv X^y^toi Toid&e' irOuc olöe
toOtouc f\ TOiLJc Xomovic äaui tuiv ^6ou ttuXujv övtoc koI tuiv TroxaiLiuiv;)
und ihm folgen die neueren Kritiker (zuletzt Rohde Rh. Mus. L 1896, 605 = Kl.
Schrift. II 260), soweit sie es nicht vorziehen, den Widerspruch auf 'poetisch
naive Selbstvergessenheit' des Dichters zurückzuführen. Wir haben mithin die
Frage nach der Genesis des Widerspruchs so zu beantworten: der Verf. der
v^Kuta weiß nichts von einer Kaxdßaoic, aber der Verf. der Episode irepl xiliv
Iv äbov doeßOuv hat bereits eine eigentliche KaTdßaoic irgend eines Helden ge-
kannt und Motive aus dieser denkbar ungeschickt (vergl. die den Übergang
vermittelnden Flickverse 565 — 567) mit der homerischen vIkuio verbunden. Von
nun an gehen die beiden Y^vri einer v^Kuia (v€KUO)LiavTeia) und einer Kardßaaic
teils nebeneinander her, teils werden sie, eben auf Grund der Kontamination
in X, ineinander geschoben.
VERS 236—243. 197
a ähnlich unten 256 vastaque voragine gurges 493 ctamor frmtratur
hiantis und besonders 576 quinquaginta atris immanis hiatibus hydra,
wohl der einzige Vers bei Vergil mit fünf langen a, der ferner die
äußerst seltne Synaloephe zweier naturlangen a hat (s. Anhang XI 2 B 2).
Der Effekt, der durch diese Synaloephe erreicht wird, ist demjenigen ver-
wandt, den nach W. Scherer (Kl. Schriften II 377) deutsche Metriker
durch Zulassung des Hiats zu erzielen suchten, z. B. 'es hatte schon
vorlängst den ungeheuren Rachen die Hölle aufgesperrt'. Für die
malerische Häufung der dumpfen u vergl. 256 f. suh pedibus mugire
solum et iuga coepta moveri \ süvarum visaeque canes ululare per umhram,
591 cornipedum pulsu simularet eqtiorum, I 55 ff. (venu) magno cum
murmure montis | circum claustra fremunt (vergl. Lucr. I 722 ff. von der
Charybdis); a und u zusammen unten 417 latratu trifaud. Vergl. im
allgemeinen über diese Mittel o. S. 157 und Anhang VII A. Auch
sonst ist in dieser Partie das malerische Element stark ausgeprägt
durch Alliterationen: 240 tendere — talis 241 faucibus effundens — ferebat
245 summas carpens — cornua saetas (Schema abba) 246 ignibus imponit
247 voce voccms 248 cultros — crtiorem 2 48 f. supponunt — sucdpiunt (in
markanter Stellung zu Anfang zweier Verse, s. Anhang HI A 2) 250 matri —
magnae. — Über die Synaloephe in spelunca dlta s. Anhang XI 2 B5. —
237 f. spelunca . . . vasto immanis hiatu: so vom Hadeseingang Eurip.
Iph. T. 626 x«ö"|Lia eupuJiTÖv Trexpac (vergl. E. Schwartz, Programm
Rostock 1890, 11). — nem^rum tenebris: Timaios bei Antigonos bist.
mir. 152 ffuvbevbpujv töttuuv eiriKeiiLievuuv auTf) (sc. rrj 'AopviTibi). —
239ff. Die von Timaios (vergl. J. Geffcken 1. c. [z. 120] 3l) bestrittene
Wirkung der mefitischen Dünste des Avernersees wurde von Varro (bei
Plinius n. h. XXXI 21) geglaubt und von Lucrez VI 818 ff. physisch
erklärt; der Inhalt dieser Lucrezverse wird hier von Vergil pathetisch
zusammengefaßt. — 240 tendere iter pinnis vergl. VII 7 tendit iter vdis
I 606 iter ad naves tendebat Achates 410 gressumque ad moenia tendit.
Die Verbindungen machen archaischen Eindruck (vergl. intendere iter auct.
bell. Afr. 95, 1. Livius XXI 29, 6 u. ö.): tendere cursum Lucrez V 631
und (wohl aus seiner Vorlage) Livius XXIQ 34, 5. — 241 super ad
convexa ferebat. Super M^P^R, supera FM^P^ (sowie ein im Corp. script.
eccl. Vindob. XVI 624 edierter Cento v. 67). Das gleiche Schwanken in
derselben Verbindung unten 750. X 251 und in super alta unten 787;
aber VII 562 in super ardua ist super die einzige Überlieferung (MR),
an allen anderen die bessere. Da Tiberianus (bei Baehrens poet. lat.
min. ni 267) an gleicher Versstelle supera in convexa hat, so muß die
Variante älter sein als Anfang s. IV. — convexus vergl. Cic. Arat. 314
convexum caeli . . orbem-, eine xpaTiKf) XeHic? (vergl. Ennius tr. 374
cacli f&rnices). — 242 tmde locum Grai dixerunt nomine Äornon nur in
R überliefert, in M tmten am Rand von einem Humanisten interpoliert,
dann wieder ausradiert. Die Hs. R. hat auch VHI 46 einen Vers inter-
poliert (dort 47 erklärt Heyne ex quo evident richtig eH oö sc. xpövou,
vergl. TraXaiöc dcp' oö XÖYOc). unser Vers ist, wie Heinsius erkannte,
aus Priscians Periegesis 1056 t^ide locis Grai posueruM nomen Äornis
interpoliert, vergl. Rh. Mus. LVI (1901) 473 f.
243 ff. Es ist inzwischen Nacht geworden: kurz angedeutet 252 noc-
198 KOMMENTAR
turnas aras'^ Silius XIII 413. 420 versteht in der Nachbildung dieser
Stelle richtig die Mitternacht. Also kann das Opfer beginnen. Es ist
ein Sühnopfer (153 piacula) für die Unterirdischen und zwar ÄcMvo ritu,
wie es sich für ein von der Sibylle befohlenes (153) Opfer gehört,
vergl. Diels 55: daher werden auch cultri verwendet (248), die dem alt-
römischen Kult fremd waren (Ovid f. I 347 f. u. ö.). Der beste Kom-
mentar zu dieser Partie ist mithin das von Diels 6 9 ff. festgestellte
Zeremoniell für Sühnopfer, worauf für die meisten einzelnen Kiten ver-
wiesen sei. Das griechische Zeremoniell schließt natürlich nicht aus,
daß die sakralen Worte italisches Gepräge haben. Sie stammen wohl
sämtlich aus Ennius (s. z. 39 f.); direkt bezeugt 247 voce vocans vergl.
Enn. a. 51 voce vocäbam, indirekt die Verbindung 247 caeloque Erehoque
an gleicher Versstelle VII 140 in ennianischer Umgebung, Constituit
(iuvencos) 244 wie V 238 (vergl. VIII 85 suem . . . cum grege sistit ad
aram XII 171 admovitque pecus ßagrantibus aris), weil das Tier sich
nicht sträuben darf (g. II 395 ductus cornu stabil sacer hircus ad aram
mit der Bemerkung bei Macrob. III 5, 8); auch im umbrischen Ritual
sestu (d. h. sistito) tab. Ig. IIB 22ff. Invergit vina fronti 244. Servius:
fundere est supina manu libare quod fit in sacris supremis, vergere autem
est conversa in sinistram partem manu ita fundere ut patera convertatur
quod in infernis sacris fit, vergl. Bücheier, Umbrica 77. Supponunt cul-
tros 248. Servius: fuit verhum sacrorum, Bücheier 1. c. 64. Succipiunt
cruorem 249 mit cc als antique dictum von Servius bezeugt (hier nur
in FP überliefert, vergl. über das Schwanken Rothstein zu Prop. IV 9, 36,
Bücheier zu carm. epigr. 1148). Daß das aufgefangene Blut in eine
Grube gegossen wurde, muß der Leser sich ergänzen. Incohat aras
252 ('entwirft', 'legt den Grund zu'; über den Unterschied von incipit
gut Henry 274). Servius: verhum sacrorum, wie evdpxeffOcti Aesch. in
Ctes. 120; sacra incohare als synonym mit dem feierlichen sacra movere
Schol. Stat. Theb. III 451; die richtige Schreibung incohat (Bücheier,
Rh. Mus. XXXIII 31 f.) nur in P. Die solida visce-ra 253 werden von
den exta 254 genau geschieden. Servius zu 1211: viscera quidquid
inter ossa et cutem est . . ., ergo per solida viscera Jiolocaustum (vergl.
Diels 71. 73) significaf, quod detr actis extis arae super imponebatur (vergl.
Heinze zu Lucr. III 266). Ense ferit 251, also nicht securi oder
malleo: es muß Blut fließen. Quattuor iuvencos 243: die Vierzahl,
weil sie als gerade Zahl infausta ist und daher zur Unterwelt paßt
(Gerda).
243 nigrantes terga iuvencos = V 97 mit der unten zu 495 notierten
Konstruktionsfreiheit (vergl. G. Landgraf, Arch. f. Lex. X 1898, 209 ff.).
— Über nigrans ein schol. Dan. z. IV 120, das seiner Fassung nach auf
Probus zurückgehen könnte: quaeritur, quis prius- ' nigrantem' dixerit. —
247 Hecate potens wiepotens Trivia Catull 34, 15, weil ihr als Zaubergöttin
besondere bi)va)Liic beiwohnt (Porphyr, bei Euseb. pr. ev. HI 11, 32). Der
Priester ruft laut die Göttin (247 voce vocans, kikXkictkujv) und sie hört
den Ruf, denn 255ff. erscheint sie: 258 adventante dea, eXöouCTric Tfjc
6eäc. Vergl. ihre Beinamen 'GirriKOOC (Ol G. 7321b), 'Aviaia (Hesych s. v.),
Apollonios 1. c. (z. 236ff.) 1210 r\ h' (Hekate) dioucTa . . . dvTeßöXricrev,
ein Hekateorakel bei Porphyrios 1. c. V 8, 5 fjXu6ov eiaaiouffa lefic
VERS 243—255. 199
7roXu(ppdb)novoc euxfic. — 250 matri Eumenichtm magnaeque sorori.
Die Mutter der Eumeniden ist nach der festen Genealogie (auch XII 846)
die Nacht. Unter der Schwester der Nacht wird mit Servius die Terra
matcr zu verstehen sein, obwohl seine Begründung unsinnig ist und die
uns überlieferten Theogonieen diese Genealogie nicht kennen (Heyne);
auch auf Grund des Sibyllenorakels vom J. 17 wurde ihr bei Nacht
geopfert (acta eph. epigr. "VlLi Z. 134). — 2^4: pingue super oleum fmidens
ardentibus extis ~ A 775 (TTrevbuuv aiGoTia oivov e7T'ai9o|Lie'voic lepoiffi
(Conington). — superque oleum sämtliche alte Hss. (FMPE). Eibbeck
setzt das in den Text, indem er nach diesem Vers eine Lücke anniromt,
die der Dichter habe ausfüllen wollen. Mit Recht ist ihm kein Heraus-
geber gefolgt, sondern allgemein wird, so weit man nicht zu eignen,
unwahrscheinlichen Konjekturen griff (^pingue superfundens oleum Schaper,
pingue oleum super infundens Kappes) die Konjektur einiger jungen Hss.
(Überlieferung kann man das nicht nennen) super angenommen auf Gnind
des sicheren Fingerzeigs, den die alte Überlieferung I 668 gibt: dort
haben MR und Servius gegen den Sinn litora iacteturque odiis, aber P
von erster Hand iadetur, von zweiter iacteturq. Also ist an beiden Stellen
in früher Zeit que interpoliert, um die irrationale Längung des Vokals
zu beseitigen. Vergl. darüber Anhang X. — oleum fundens FPR, o. in-
fundens M, beides gleich möglich.
255 ff. Das wilde Heer naht unmittelbar vor dem Erscheinen der
Morgenröte: das ist die Zeit, wo die Dämonen der Finsternis wieder in
die Unterwelt niederfahren (Lukian, Philops. 14). — Die Epiphanie der
Gottheit mit den konventionellen Zügen in Anlehnung teils an ApoUo-
nios 1. c. (z. 236 ff.), teils an Kallimacbos h. 1, Iff. (Germanus). Letzterer
Stelle folgt er auch IH 90 ff., hier übersetzt er aus ihr procul o procul
este profani (exac CKCtc ötTiic dXiTpöc), und zwar legt er diese übliche
Formel gut der Sibylle in den Mund, die in ihren Orakeln den Aus-
schluß gewisser Klassen beim Opfer zu befehlen pflegte (Diels 96 f). —
Bei ApoUonios (1216) begleiten die Hekate xöovioi Kuvec, nach Vergil
(257) Hündinnen, wie bei Theokrit 2, 35. Horaz s. I 8, 35 (vergl. epod.
5, 23. 58). Dies ist die altertümlichere Vorstellung, vergl. Löschke, Aus
der Unterwelt (Dorpat 1888) 11, 29 und Röscher, Abh. der Sachs. Ges.
d. Wiss., phil.-hist. Gl. XVH nr. HI (Leipzig 1896) 25 ff.; Hekate ist ja
selbst eine evobia kuujv jueXaiva: pap. mag. Paris. 1. c. (z. 46) p. 80,
und es gab Bilder von ihi- mit einem Hundskopf: Dilthey, Rh. Mus.
XXVn 1872, 394.
255 ecce autem. Diese volkstümliche Verbindung teilt Vergil nach
A. Köhler, Arch. f. lat. Lex. V (1888) 18f. mit der älteren Poesie und
Pi'osa, während sie z. B. von Ovid (bei fast achtzigmaligem ecce) ver-
schmäht wird. — Die Zeit der Morgendämmerung (öpGpOc) drückt er,
nach der Praxis des epischen Stils (s. z. 535 f.), gewählt aus primi suh
limina solis et ortus. Denn limina FM (so auch die gute Überlieferung
im Cento der Proba saec. FV [s. z. 105] Vers 160) ist gegen lumina PR
(so auch Donat in der Paraphrase) das Richtige, obwohl die Editoren
es nicht aufnehmen (Ribbeck gibt als La. von F lumma an, aber, wie
jetzt die Photographie dieser Hs. lehrt, irrtümlich). Diese Variante gehört
in Minuskelhss. zu den gewöhnlichsten, findet sich aber auch in der Ma-
200 KOMMENTAR
juskel: unten 696 hat cod. G lumina gegen das richtige limina in FMPR.
Folgende Gründe sprechen in unserem Vers für limina: 1. Catulls (64, 271)
schon von Heinsius verglichenes Vorbild Aurora exoriente vagi sdb limma
solis (so die beste, lumina die schlechte Überlieferung), 2. Silius XVI 229 f.
iamque novum terris pariebat limine primo \ egrediens Aurora diem, wo
wenigstens in einer alten Hs. das Richtige stand, während die übrigen
lumine haben; daß limine hier das Richtige ist, beweist außer egrediens
auch der aus aen. VI 427 herübergenommene Versausgang limine primo.
3. Die 'Schwelle des Lichts' empfinden auch wir als schöne Metapher,
die auf mjrthologischer Vorstellung beruht. Wie die Ilias eine 'Schwelle'
und 'Pforte' des Himmels, die Odyssee ein 'Sonnentor' kennt (A 591
G 749 uj 12), so sagt in Nachahmung Homers (vergl. Seneca ep. 108, 34)
Ennius a. 597 porta tonat caeli (wörtlich wiederholt von Vergil g. III 261),
epigr. 10 mi soli caeli maxima porta patet. Ein lim^n caeU kennt Accius
tr. 531, denn so ist bei Varro 1. 1. VH 11, wo die Hs. lumen hat, aus
dem Zusammenhang schon von den Humanisten verbessert worden. —
ortus von der Sonne im Accusativ stets pluralisch bis auf Ovid (incl.),
vergl. dvaToXai: s. Maas 1. c. (z. 4) 487. 494.
2 56 ff. mugire solum et iuga . . . moveri visaeque canes ululare. Wegen
der Verbindtmg des (dirö koivoO gestellten) visae mit mugire und ululare
führt Aelius Donatus diesen Vers an zu Terenz eun. IH 2, 1 {audire
vocem Visa sum) mit der Bemerkung: om/nes sensus visa dicuntur ab eo
qui est certissimtis^ worin er also (wie gelegentlich griechische Scholiasten,
vergl. Schol. Aesch. Prom. 115. Eurip. Hec. 174, schon Aristarch nach
schol. A 390) eine richtige Erkenntnis der 'Metapher' zeigt, der Lobeck
in seiner berühmten Abhandlung De confusione vocabulorum sensum
significantium (Rhematikos, Königsb. 1846, 329ff.) nachgegangen ist.
Ihr Gebrauch hat hier nichts Auffälliges (ganz ähnlich Ovid m. IV 402 ff.),
denn videri ist der stehende Ausdruck des Prodigienstils (vergl. Obsequens
17 arma in caelo volare visa, 14 tuba in caelo cantare visa). Aber
Vergil geht in ihrem Gebrauch weiter als andere lateinische Dichter
(vergl. Leo, Seneca I 111, 11, zur Copa 9, und Gott. gel. Anz. 1897, 954),
so in den sehr studierten Versen XII 591 f. volvitur atcr odor tectis, tum
murmure caeco | intus saxa sonant, vacuas it fumus ad auras, wo wir
in ater odor und murmu/re caeco zweimal diese sog. |LieTd\Tii|iic ai(T0r|-
(TeuJC (Schol. Eurip. 1. c.) haben: denn es ist zu äußerlich, wenn Servius,
um dadurch die novitas des Ausdrucks zu beseitigen, odor als den 'den
Geruch erregenden Dampf faßt, vergl. Aristoph. Av. 1710 ööjxf] . . . ic
ßdGoc kukXou xvjpei xaXöv Geajua Alexis III 485 Mein. oajLiriv ibeiv,
Catull 64, 284 domus . . . risit odore und anderes bei G. Gerber, Die
Sprache als Kunst I (Bromberg 1871) 339. — Starke malerische Mittel
heben den Gedanken: 12 maliges u (vergl. z. 237 f. und Ovid m. VII 113 f.
pulvereumque solum pede pulsavere bisulco \ fumißcisque locum mugitibus
impleverunt\ sowie die Anaphern procul — procul, nunc — nunc und die
Alliteration sub — mugire — solum — moveri — silvarum (Schema ab ab a),
procul — profani, invade viam vagina., effata furens.
259 absistite luco. Nach Wölfflin, Arch. f. Lex. V (1888) 519
kommt absistere zuerst bei Caesar vor und scheint ein Wort der mili-
tärischen Kommandosprache zu sein; Vergil, der für das Wort eine große
VERS 256—259. 201
Vorliebe hat, braucM es unten 399 {äbsiste movert) als erster zur Peri-
phrase des negierten Imperativs, also synonym mit desine (unten 376
desme . . . sperare)] vergl. den Thes. 1. 1. s. v. — 260 vaginaque eripe
ferrum. Dies pflegt als Monstrebeispiel ungeschickter Verwendung
eines homerischen Motivs betrachtet zu werden. Während nämlich
der Eat der Kirke, sich des Schwertes zu bedienen (k 535 Hicpoc
öHu epucrffd)Lievoc Tiapct inripoO ktX.), zweckmäßig sei, da Odysseus
im Hades von dem Schwerte wirklich Gebrauch mache (X 48), sei
der gleiche Rat der Sibylle sinnlos, da sie selbst, als Aeneas im
Hades davon Gebrauch machen wolle, ihn von dem unnützen Loshauen
auf die körperlosen Schatten abhalte: 2 90 ff. corripit hie subita trepidus
formidine ferrum \ Aeneas stridamque aciem venimtilms offert; \ et ni doda
comes tenuis sine corpore vitas \ admoneat voUtare cava sub imagine formae, \
inrimt et frustra ferro diverheret wmbras. Nun aber hat schon Heyne
bemerkt, daß diese zweite Stelle von Vergil der KttTüßaCTic
'HpaKXeouc nachgebildet sei, deren Inhalt wir aus dem Exzerpt des
sog, Apollodor (H 122 — 126) kennen. Denn dort (123) heißt es von
Herakles: OTtriviKa be elbov auTÖv ai vpuxai, y.'M^xc MeXeotTpou Kai
Meboucrrjc ttic fopTÖvoc eqpuTOV. em be ir\v fopTÖva t6 Sicpoc ibc
Za)(Tav eXKei Kai Trapd '6p|uo0 )uav6dvei öxi Kevöv eibuüXov edxi, was
wir jetzt ergänzen können aus der ältesten Benutzung wohl eben dieser
Katabasis bei BakchyHdes 5, 71 ff. (vergl. Robert, Hermes XXXm 1898,
152 f.), wo Meleagros den Herakles, als dieser auf ihn den Pfeil anlegt,
von dem nichtigen Vorgehen abhält: )xr\ rauCTiov irpoiei Tpaxuv ek
XeipuJv öicTTÖv lyuxaiCTiv em q)9i)LieviJUV oöxoi beoc. Zu komischem
Zweck ver^vendet wohl nach der gleichen QueUe Aiistophanes Frösche
564 das Motiv, daß Herakles im Hades das Schwert gezogen habe, und
auf die Hadesfahrt des Theseus und Perithoos war das Motiv in einer
von Polygnot befolgten Sage übertragen nach Pausanias X 29, 9. Also
wäre bei Vergil statt von einer ungeschickten Verwendung eines home-
rischen Motivs höchstens von einer ungeschickten Kontamination zweier
aus verschiedenen Quellen entlehnten Motive zu reden, nämlich 1. des
Befehls, das Schwert zu ziehen, aus der Odyssee und 2. des vergeblichen
Gebrauchs des Schwertes aus der Hadesfahrt des Herakles. Aber auch
von einem Fehler dieser Art, dessen er sich sonst nicht selten schuldig
gemacht hat, kann wenigstens hier nicht die Rede sein. Denn die
Sibylle befiehlt dem Aeneas ja nur eripere vagina ferrum wie Kirke dem
Odysseus Ei(poc epucTCTaaGai irapd |UTipoO, und erst als Aeneas sich nicht
wie Odysseus darauf beschränkt, das Schwert zu zücken {aciem umbris
offerre), sondern mit ihm auf die Gespenster loshauen will (wie es
der Niceros des Petron 62 und ein Spartaner bei Plutarch apophth.
Lac. 236 D wirklich tun), weist sie ihn auf das Vergebliche dieses
Tuns hin. Vergil hat also die beiden Motive zwar künstlich, aber
widerspruchslos verbunden. Den Grund dafür, daß das Schwert bloß
gezückt zu werden braucht, um die Gespenster zu schrecken, haben schon
die alten Homerinteipreten festgestellt: schol. Q zu X 48 KOivr) Tic irapd
dvepuiTTOic eaiiv iJTToXrmjic oxi veKpoi Kai bai)Liovec aibripov q)oßoOvTai,
eine Exegese, die schon Lykophron 685 kannte, wenn er vorsichtig
paraphrasiert: cpacTtdvou TrpößXrnLia, baiinövujv q)ößoc. Diese Be-
202 KOMMENTAR
deutung des Schwertes ergibt sich auch aus einer magischen TrpäHic des
Leydener Papyrus (p. 793 ed. Dieterich in Jhb.f. cl. Phil. Suppl.XVI 1888):
der Zauberer, der Köre zum Erscheinen zwingen will, soll ein Schwert
in die Hand nehmen, dann wird sie auf seine Zauberfonnel kommen,
ihre Fackel wird erlöschen und sie ihm demütig zu Willen sein. — Die
vorgetragene \u(Jic des Problems ist schon in Kommentaren des 16. und
17. Jh. verbreitet, nur wird sie dort ohne Beweismaterial gegeben und
ist daher in die späteren nicht übergegangen. — Formell erinnert die
Phrase vaginaque eripe ferrum an IV 579 f. dixit vaginaque eripit ensem \
fulminewm und X 475 vaginaque cava fulgentem diripit ensem. Da letzterer
Vers ein zur Situation wenig passendes Motiv enthält (Heyne und Peerl-
kamp tilgen ihn; aber wer sollte dergleichen interpolieren?), da femer
in ersterem das Attribut fulmineus von seinem Substantiv ohne ersicht-
lichen Grund und daher gegen Vergils Praxis (s. Anhang IHBl) durch
Versschluß getrennt ist, so darf vermutet werden, daß dem plastischen
kriegerischen Bilde 'er reißt sein blitzendes Schwert aus der Scheide'
eine von Ennius geprägte Phrase zugrunde liegt.
261 nunc animis opus, Aenea, nunc pectore firmo. Da Ennius pedore
öfters an gleicher Versstelle (a. 340. 530. 570) und die Verbindung
pectus firmum in einer Tragödie hat (fr. 259), so wird pectore firmo ein
Versschluß der Annalen gewesen sein. — Die Worte sind nachgebildet
von Dante Inf. XVH 81 (vergl. I i. f., XXIII i. f.). Ferner schließt in
Goethe Klass. Walpurgisnacht (Faust, 11 2, 929) Manto ihre Aufforderung
an Faust, ihm in die Unterwelt nachzufolgen, mit den Worten „frisch!
beherzt!", doch wohl nach vorliegender Szene bei Vergil; Faust II 3,
567 ff. ist von Goethe ziemlich wörtlich der Deiphobus-Episode unseres
Buches 494 ff. nachgebildet worden. — 262 f. furens: die Epiphanie
der Hekate hat sie zur |aaivdc gemacht (Eurip. Hipp. 141 f. f\ (Tu y*
evGeoc, uj Koupa, eir' ck TTavöc ei9' 'CKotTac u. a. bei Röscher, Selene 70).
Dritter Hauptabschnitt: die natdßaöig,
264—900.
Zwischen Prooemium (264—267) und Epilog (888—900) sondern
sich nach dem Lokal, in dem die Handlung spielt, folgende 6 Teile
ab, von denen I. IL, III. IV., V. VI. unter sich enger zusammengehören,
so daß die Gesamtkomposition, der Gepflogenheit guter Autoren ent-
sprechend, triadisch ist.
L Eegion zwischen Oberwelt und Acheron 268 — 416.
IL Region zwischen Acheron und Tartarus-Elysium 417 — 547.
III. Tartarus 549—627.
IV. Palast des unterirdischen Herrscherpaars 628 — 636.
V. Elysium 637 — 678.
VL Lethehain 679—887.
VERS 259—264. 203
Prooemium 264 — 267.
Ein biKUjXov, jedes Glied zu 2 Versen; das erste Glied mit 4, das
zweite mit 2 KÖ|a|uaTa.
264 ff. di quibus imperium est animarum umbraeque silentes | et
Chaos et PMegetTion, loca node iacentia lote: \ sit mihi fas audita loqui,
Sit numine vestro \ pcmdere res alta terra et caligine mersas. Eine Unter-
brechung der Erzählung an Hauptabschnitten durch Anrufung höherer
Wesen, meist der Musen, war im Epos traditionell; so auf Grund von
B 418ff. Z 508 Vergil VII 36. 641 IX 525 X 163 XH 500. Solchen
Anrufungen liegt der Sinn zugrunde, daß der Dichter bloß MoiJ(Tdu)V
iiTTOqpriTTic und daher alles, was er sagt, wahr ist, vergl. B 485 f. UfieTc
(Moöcrai) t^P öeai effxe TrdpecTTe re icrie xe irdvia, | fmeTc hk kXeoc
oTov dKOUOjuev oube ti ibuev. Daher sagt Gorgias Hei. 2 von Helena:
Trepi f^c 6|uöcpuuvoc , . . f CTOvev x\ tujv ttoititujv dKoucrdvTUüv tticttic,
fi Te Toö 6vö|uaT0C qprmn tujv (Juiacpopdiv |Livr||Liri yeTOvev und genießen
Dichteraussprüche eine solche Autorität, daß sie wie Orakel, Sprichwörter
u. dgl. als exempla für Beweise verwertet werden können (seit Thrasy-
machos bei Clem. AI. ström. VI 746 P, vergl. Quintil. V 11, 36). In
diesem Sinn verwenden die Alexandriner, gemäß ihrem Prinzip, nichts
ünbezeugtes zu singen, die Formel besonders da, wo sie etwas Wunder-
bares berichten, so Apollon. Rh. IV 1379f. Moucfdujv öbe |aö0oc, t^\h
h" uTraKOuöc deibuu | TTiepiöujv, kqi Tr|vbe TravaipeKec eKXuov 6)Li<priv
und in Nachbildung dieser Verse Vergil IX 7 7 ff. (von einer Wunder-
Erzählung): qiiis deus o Musae tarn saeva incendia Teucris | avertit?
tantos ratibus quis depulit ignes? \ dicite, prisca fides (tticTtic Gorg.)
fado^ sed fama ((pr\[ir] id.) perennis. Auf Grund dieser Anschauung sagt
er an unserer Stelle 266 sit mifii fas audita loqui. Denn es ist be-
greiflich, daß grade transzendente Offenbarungspoesie (jpandere 267, vergl.
723 pandit und Einleitung S. 22, 2), wie die nun folgende, gern als über-
liefert hingestellt wurde. Ein junges orphisches Gedicht über die Theo-
gonie begann mit einer Anrufung Apollons, dessen Stimme der Dichter
vernommen hatte: buibeKdiTiv hr\ Tr|vbe Ttapai aeo ekXuov ö^q)f]v j (TeO
(pa^evou, ae be f' auTÖv eKrißoXe indpTupa 0ei|UTiv (fr. 49 Abel, vergl. die
Einleitung des orphischen NepÖC XÖTOC fr. 141 und Hermes Trismeg. p. 103
Parth. biö Ktti ToO aYttGoO bai|aovoc, u) TtKvov, eyuj fiKOucTa Xe^ovroc
ktX.). Daß diese Formulierung grade für die Kenntnis irepi twv ev abou
älter ist, zeigen verschiedene Stellen Piatons. Protag. 524 B sagt Sokrates
nach der Beschreibung der Unterwelt: Taut' ecTTiv, d efUJ aKTiKOÜbc
TTKTTeuuJ dXriGf] eivai (diese Worte übernahm Ps. Dionysios Areopag. in
der Erzählung der Vision des Karpos, 1. c. [Einleitung S. 9]); Menon
81 A leitet er seine Darstellung der Metempsychose mit den Worten
ein: aKrjKoa ydp dvbpujv re Kai fuvaiKuJv (Pythagoreerinnen) (Toqpiuv
Trepi Td 6eTa TrpdtiuaTa . . . Xö^ov dXriGfi, Gorg. 493A fJKOiKTa toiv
(Joqpuiv, ibc vöv fmek Te6va)Liev ktX. (Ähnlich noch in mittelalterlicher
Apokalyptik: vergl. die Vision des Albericus saec. XH 1. c. [Einleitung
S. 9] p. 288 ut vidi, iit a heato Petro apostolo audivi, ita hie scribere
feci ib. p. 327 multa praeterea alia loca ostcndit miJn heatus Petrus
multaque locutus est mihi praeccpitque ut ea quae de Ulis audieram re-
ferrem). — Auch in der Auswahl der angerufenen Götter schließt Vergil
204 KOMMENTAR
sich an ältere Vorlagen an, von denen wir noch Eeflexe in unserer
Zauberliteratur haben (s. o. S. 195). In dem Pariser Papyrus (ed. Wessely
in den Denkschr. der Wiener Akad. XXXVI 1888 p. 81) werden angerufen
1. die unterirdischen Gottheiten 'Gpjufi x^ovie Kai 'EKOiTri xöovia u. s. w.
'-^' di quibus imperium est animarum, 2. veKuec Kai bai)Liovec Kai ijjuxai
dvöpuJTruuv <^ umbrae süentes (letzteres ein in magischer Literatur übliches
Epitheton: W. Headlam in Class. Review XVI 1902, 55), 3. Xdoc ctpxe-
•fovov, "€peßoc qppiKTÖv, Ztuyöc libujp ~ Chaos et Phlegethon. — Endlich
ist auch die Einkleidung des Gebets in die Form einer Bitte um Er-
laubnis, die Geheimnisse erschließen zu dürfen (sit mihi fas etc.), von
Vergil nicht erfunden worden. Denn diesem Gebet nach Form und
Inhalt nahe verwandt ist das des Oppian (hal. I 73 ff.) an die Götter des
Meeres, dessen Tiefen und Bewohner erschließen zu dürfen er sie bittet.
Das Pathos wirkt bei Oppian fast komisch, weil er ein Motiv auf die
Meerestiefe übertragen mußte, das ursprünglich so, wie Vergil es über-
nahm, erfunden worden war für eine Apokalyse der Erdentiefe. Denn die
Unterwelt war ja der Sitz des Gottes quem scire nefastum est (Stat.
Theb. IV 516) und der ^unausprechlichen' Göttin ('€KdTr| "AcppaffTOC,
vergl. Wünsch in Jahrb. f. Phil. Suppl. XXVII 1900, 111), deren Geheim-
nisse zu profanieren als fluchwürdiges Verbrechen galt (pap. mag. Paris.
1. c. p. 106). Nahverwandt, bloß übertragen auf eine Apokalypse des
Himmels, ist auch das Gebet, mit dem der apokalyptische Teil desselben
Zauberpapyrus (Entrückung in den Himmel) beginnt (p. 56): i'XaGi |Lioi,
TTpövoia Kai Tvxr\, Tdbe fpacpevri (s. v. a. YpdipavTi) xd irpäia (pytha-
goreisierender Dorismus!) |au(TTr|pia.
Diese Argumente berechtigen zu dem Schluß, daß Vergil Inhalt
und Form dieses Gebets in allem Wesentlichen einer Quelle
entnahm: ob einer prosaischen oder poetischen, wird sich nicht ent-
scheiden lassen. Wegen der aus den orphischen Gedichten und aus Oppian
angeführten Analogieen könnte sich die zweite Annahme zu empfehlen
scheinen, doch war andererseits auch in transzendentaler Prosa der tÖttoc
des Gebets von Piaton (Tim. 27C 48D) bis zu den spätesten Neu-
platonikern (Proklos und Ps. Dionysios Areopag.) stehend. Jedenfalls
erweckt das Gebet Vergils in dem Hörer neben dem Glauben an die
Offenbarung eine weihevolle Stimmung, die, wie die Erklärungen und
Nachahmungen zeigen, schon das Altertum empfand.
Starke Antithesen des Gedankens (s. z. 9) heben das Ethos: loca nocte
tacentia (ein von Schiller bewunderter Ausdruck, vergl. P. v. Boltenstern,
Sch.'s Vergilstudien I Cöslin 1894, 21) soll als Gegensatz zu Phlegethon
empfunden werden (vergl. 551 torquet sonantia saxa), ebenso loqui zu
audita, pandere zu mersas. — 264 di quibus imperium est = V 235, wo
die Worte eine Partie mit starken ennianischen Reminiszenzen einleiten.
— 266 Das zweite sit, wie die Erklärer bemerken, im Sinn von liceat
(nicht mit Ergänzung von fas). Lachmann zu Lucr. V 533 weist nach,
daß dieser Gebrauch des Verbum substantivum erst mit dem Ende der
Republik aufkommt, Vergil hat ihn oft; eTr| c. inf. ist auch in griechischen
Gebeten typisch (z. B. Pindar I 5 [6], 7). — 267 res altas terra M^
(mit dem zu 105 zitierten Cento) irrtümlich für alta (über die Fehler-
quelle s. z. 37). — mersas hier wie 429 (== XI 28) und 615, weil die
VERS 264—268. 205
Unterwelt mit ihren Toten in Wasserfluten begraben war: eine alter-
tümliche Vorstellung (auch Find. N. 7, 31 kOjli'' 'Alba) die neben allen
jüngeren sich erhielt (vergl. v. Wilamowitz zu Aesch. Che. 722, Rothstein
zu Porp. II 9, 26).
I. Begion zwischen Oberwelt und Acheron 268 — 416.
A. Der Eingang des Hades 268 — 94 (vergl. die Büderhand-
schrift fol. XLVn^J. Drei Teile: 1. Beginn des Weges 268—272 (rpi-
kujXov, das erste kiuXov mit drei, das dritte mit zwei K6)Li)LiaTa). 2. Die
monstra 273 — 289 in drei Absätzen: a) 273 — 81. Die Disposition ist,
wie bei einer im allgemeinen unbeliebten, aber hier nicht zu umgehenden
Aufzählung zu erwarten, besonders kunstvoll. Das Ganze ist eingerahmt
von je 1 Vers 273 und 281, dazwischen zwölf KÖ)i)LiaTa in zwei Gruppen
zu je sechs; die beiden Gruppen sind durch die Parenthese in 277 ter-
rihües visu formae, die dem Gedanken nach zu beiden gehört, formell
getrennt, um so der Aufzählung einen Euhepunkt zu bieten, b) 282 bis
284 (xpiKUjXov), c) 285 — 89 (sechs KÖ)ii|LiaTa, das letzte mit drei Be-
griffen). 3. Aeneas' Begegnung mit den monstra 290 — 94 (TpiKUüXov,
jedes kujXov mit je zwei KÖ|ii|LiaTa). — Die große Sorgfalt der Aus-
arbeitung zeigt sich auch Lq den stark gehäuften Alliterationen: 269
bis 272 domos Ditis — limam sub luce — caelum condidit — dbstulit atra
274 cuhüia Curae 276 metus — malesuada 277 Letumque Labosque
278 mala mentis 280 Discordia demens 281 vipereum crinem vittis
cruentis (Schema ab ab) 283 f. sedem Somnia völgo vana (Schema aabb)
284 fenmt foliis 290 formidine ferrum 294 frustra ferro. Femer in den
über das meist innegehaltene Maß (s. z. 638 ff. und Anhang IIIA 3) den
einzelnen Substantiven beigefügten Attributen: vergl. besonders 269 f.
domos vacuas, inania regna, incertdm lu/ndm (mit starkem, hier ebenfalls
dem omatus dienendem ojlioiötttujtov, s. z. 638ff. und Anhang IV), luce
maligna 2 75 f. pallentes Morhi, tristis Senectus, malesuada Farnes, turpis
Egestas, 27 9 ff. Der Vergleich 2 70 ff., der als solcher, einem festen Stil-
prinzip gemäß, besonderer omamenta bedarf (s. z. 2 70 ff.), wird durch
ein Isokolon mit Responsion der Begiiffe (s. Anhang 11 3) abgeschlossen:
ubi caelum coyididit umbra lupiter ^- et colorem ahstulit rebus Nox atra
(je 12 Silben).
2 68 f. ibant öbseuri sola sub nocte per umbram \ perque domos Ditis
vacuas et inania regna. Zwei malerische Verse, die auf Dante Eindruck
machten (Inf. XXTTT 1, Purg. I 118) und von Schiller bewundert wurden
(vergl. Boltenstem 1. c. [S. 204]). Wenn letzterem besonders die doppelte
Bezeichnung der Leere in domos va,cuas et ina/nia regna gefiel, so ur-
teilte er ebenso wie die antiken Rhetoren, die derartige eindrucksvolle
repetitiones verborum zimi ornatus rechneten: s. z. 25. 638ff. Vergil hat
im folgenden Vers ein weiteres Beispiel: incertam lunam, luce maligna,
und auch die dreifache Bezeichnung des Dunkels in obscuri, nocte, per
umbram ist nicht anders zu beurteilen. In dem Vers ibant obscuri sola
sub nocte per umbram werden das Dunkel und die Einsamkeit durch
Anwendung der auch von Servius hier notierten sogenannten Enallage
der Attribute (vergl. C. J. Jacob, Quaestiones epicae, Leipzig 1838, 118f.,
206 KOMMENTAR
R. Hillebrandt, Progr. Leipzig 1900, 2. 5, 9) eng verknüpft und auch
sprachlich zu einer plastischen Einheit verschmolzen: wie viel weniger
wirkungsvoll wäre das normale soli suh öbscura nocte gewesen (vergl.
II 420 obscura nocte per umbram). Sola nox wie vuH epTi)Liair|; „nur die
Nacht ist Genossin ihres Weges" sagt Pindar P. 4, 155. Suh nocte steht
in formaler Angleichung (s. Anh. II 3) an das folgende sub luce, (wie
suh sole I 431. b. 2, 13), weil die Nacht auf ihnen gewissermaßen lastet:
unten 827 nocte premimtur wie Horaz I 4, 16 te premet Nox. Die
Spondeen (noch dazu im ersten Fuß das spondeische ibant, s. Anhang VIII)
malen das langsame Gehen in der Finsternis.
270 ff. quäle per incertam lunam sub luce maligna \ est iter m silvis,
uhi caelum condidit umbra \ lupiter et rebus Nox abstuUt atra colorem.
Mit Kombination der La. von F^ incertum lunam und der vom Schol.
Lucan IX 73 mcertam lunae vermutet Ribbeck mcertum lunae, aber in-
certam lunam wird durch den Parallelismus mit nocte maligna empfohlen
(s. Anhang II 3). Eine alte Variante inceptam lunam notiert Servius
und scheint Donatus neben incertam zu paraphrasieren: Ji. e. im, ipsis
initiis positam aut sub nubilo constitutam, aber incertam wird von Vergil
— seiner o. z. 203 erwähnten Praxis gemäß — selbst im folgenden Vers
erklärt (ubi caelum condidit umbra lupiter) und durch die von den Inter-
preten verglichene Stelle III 203 incerfi caeca caligine soles gesichert. —
lux maligna. Donatus: quae securos invideat gressus; so verstand es
auch Ambrosius in einer von M. Ihm, Studia Ambrosiana (Jahrb. f. Phil.
Suppl. XVI 1888) 91 notierten Anspielung auf diese Stelle. Das ^Auge
des Mondes' (eine seit Pindar 0. 3, 20 und Aeschylos fr. 170N^ ge-
läufige Vorstellung) kann 'mißgünstig' sein wie die Augen von Menschen
{oculi maligni V 654). Auch der die malignitas erläuternde Ausdruck
rebus Nox abstulit atra colorem ist persönlich zu fassen wie Aeschyl.
Pers. 426 K. ^uüc KeXaiv^c vuktöc ö|Li|ua dcpeiXero (sc. Tot vaudTia). —
Das malerische Gleichnis scheint originell zu sein, eine Seltenheit bei
Vergil. Die Ausnahme (falls sie sich als solche bestätigt) wäre charak-
teristisch: der italische Bauemsohn kannte die Wälder. Das Gleichnis ist,
wie die meisten vergilischen (vergl. P. Cauer, Progr. Kiel 1885, 14, 1
und Baur, Progr. Freising 1891, 6 5 f.), so gebaut, daß das vergleichende
Bild dem verglichenen Objekt folgt. Daher können die Vergleiche Vergils
größtenteils unbeschadet der Konstruktion fehlen, vergl. in diesem Buch
309ff. 470f. 707ff. 784ff. und für den Gegensatz zu Homer: M 156ff.
mit aen. IX 66 7 ff., v 81ff. mit aen. V 142 ff. Da nun Gleichnisse in
allen Büchern in größerer Zahl vorkommen mit Ausnahme von dem
besonders unfertigen B. III, wo sich nur eins findet (679 ff.), so wird
man vielleicht vermuten dürfen, daß Vergil sie im allgemeinen erst ein-
legte, wenn das betreffende Buch in seinem Rohbau fertig war. Das
wäre ein für ihn begreifliches Verfahren. Denn während die homerischen
Gleichnisse ihre Entstehung dem Streben nach plastischer Realität ver-
danken, waren sie für den reflektierenden Kunstdichter nur ornatus causa
da: unter diesem Gesichtspunkt behandelt Quintilian VIII 3, 7 2 ff. das
Gleichnis bei Dichtem und Rednern. Das ornare aber war wenigstens in
der Kunstprosa bezeugter Maßen eine Tätigkeit, die an dem i)Tr6)avTi|ua,
dem ersten Entwurf, nachträglich vorgenommen zu werden pflegte (vergl.
VERS 268— 273 ff. 207
P. Corßen, Gott. gel. Anz. 1899, 318 f.). Aus diesem Verfahren mag
sich auch erklären, daß V 594 f. ein bloß angedeutetes Gleichnis mit
einem unvollständigen Vers schließt, und daß IX 679 ff. ein ausgeführtes
Gleichnis steht, das unmittelbar vorher (674) bereits kurz angedeutet
war: die kürzere Fassung wird aus dem Entwurf stammen und sollte
wohl wegfallen, nachdem die ausführliche eingelegt worden war.
273ff. Das Reich des Hades müssen wir uns nach der Intention
des Dichters als einen Eaum von riesigen Dimensionen denken. Zuerst
die Vorhalle bis zum Eintritt in die Flügeltore {fores 286): 273 — 94.
Durch diese fores tritt man in das Burgrevier des Hades mit seinen
verschiedenen Regionen; in einer dieser ist die Burg selbst (630 ff.). Die
Vorhalle gliedert sich in mehrere Teüe, die bei der Gleichgültigkeit des
Dichters gegenüber topographischem Detail (s. o. S. 133) nur kurz an-
gedeutet werden, weil das Hauptinteresse ihre Bewohner betrifft; deshalb
bieten sie dem Verständnis einige Schwierigkeiten. 1. Ein Teil, der 273
bezeichnet ist: vestibtihim ante ipsum primisque in faucibus Ord. Die
Erklärung war schon im Altertum kontrovers, da man sich über die
Bedeutung von vestibulum nicht einig war. Nach Gellins XVI 5 ver-
standen einige darunter einen Platz vor dem Hause, zwischen Straße
und Haustür, andere einen Teil des Hauses selbst, unmittelbar vor dem
Atrium; der Vergilvers sei in ersterem Sinn zu verstehen: vestibulum
appellat ante ipsam quasi domum et ante Orci penetralia. Diese Erklärung
ist richtig. Denn erstens entspricht sie der glaublichsten Etymologie von
vestibulum, die schon Servius neben vielen falschen z. d. St. anführt: alii
dicrnit ab eo quod nullus illic stet, in limine enim solus est transitus:
quomodo vesanus dicitur non sanus, sie vestibulum quasi nmi stabülum
(also ve-stib-u-lum). Zweitens paßt sie, und nur sie, zu den anderen
Stellen Vergils, vergl. unten zu 575, U 469 (wo sich die richtige Er-
klärung aus 478. 483ff. ergibt) VH 181 (vergl. 183. 193) g. IV 20
(vergl. 22). Die Ortsbezeichnung vestibulum ante ipsum wird präzisiert
durch primisque in faucibus Orci. So geben MR und die Zitate des
Gellius-Macrobius, während P que ausläßt. Für den Sinn ist das gleich-
gültig, denn que steht epexegetisch nach dem zu 24 f. besprochenen Ge-
brauch: also wollte der Redaktor von P durch Auslassung von que dem
Mißverständnis vorbeugen, als werde dadurch eine neue Ortsbestimmung
angefügt. Fauces ist ein allgemeiner Begriff für enge Korridore des
römischen Hauses, aber gewöhnlich spezialisiert für die Durchgänge zu
beiden Seiten des Tablinum (Vitruv VI 4, 6). Damit an sie nicht gedacht
werde, steht primis dabei: also richtig Gellius 1. c. fauces vocat iter
angustum per quod ad vestibulum adiretur. Durch Hineintragen des
technischen Sinns gibt er also den sprichwörtlichen fauces Orci (Amob.
adv. g. II 53), die auf der Vorstellung des Hades als eines wilden Tieres
beruhen (vergl. z. B. Lucr. I 852 Leti sub dentibus und Usener, De Hiadis
carmine quodam Phocaico, Bonn 1875), eine neue Nuance.
2. Bei 278 (tum, s. z. 20) schreitet die Handlung vor zu dem
vestibulum selbst, das gegen das ostium abgeschlossen wird durch das
limen adversum (279) und die fores (286). Es ist sehr geräumig wie
bei Palastanlagen (vergl. VII 17 7 ff. Sueton, Ner. 31). Bei der Nennung
dessen, was es birgt, verfährt der Dichter nicht der Reihe nach auf-
208 KOMMENTAR
zählend, denn er trennt das Urnen von den dazu gehörigen fores: mit
gutem Grund, denn eine weitere Aufzählung wäre poetisch schlecht ge-
wesen. Jetzt erhält sie einen Ruhepunkt durch 282 — 84: die Ulme
in meäio, d. h. in der Mitte des vestibulum (so Servius); denn die Be-
ziehung des Donatus auf das Impluvium, die wegen des Baumes nahe-
liegt (vergl. n 51 2 ff.), ist hier ausgeschlossen, da von dem Hausinnern
keine Rede sein kann. Für die Ausdrucksweise vergl. Sueton Vesp. 25
in media parte vestibuli, und daß dort ein Baum stand, hat nichts Auf-
fälliges: vom vestibulum des Bienenhauses sagt er g. IV 20 palmaque
vestibulum aut ingens Oleaster inumbret (vergl. hier opaca ingens).
Mit Grund tut er, wie schon Servius bemerkt, des Urnen Erwähnung
grade beim Kriegsdämon (adver so in Umine Bellum 279). Denn den
GoOpoc "Apric dachte man sich auf der Schwelle seines Tempels sitzend,
von wo er sofort losstürmen konnte. Die Arvalbrüder beteten zu Mars:
satt des Kampfes (für gewöhnlich ist er aroc TToXejLioio E 388) limen
sali, sta, d. h. er soll wieder auf die Schwelle, von wo er losgestürmt
war, springen und dort sitzen bleiben {Marte sedente eleg. in Maec. 1, 50).
Auch das stabulare in foribus 286 muß, wie schon Heyne bemerkt,
ganz eigentlich verstanden werden, denn nach Vitruv VI 10, 1 waren
(wenigstens im griechischen Haus) gleich an der Tür Ställe (so auch
Apuleius m. I 15).
Die erste Klasse des nun folgenden Katalogs, die dämonischen
Personifikationen am Hadeseingang (274 — 281), hat in späterer
Poesie viele Nachahmer gefunden (von Ovid bis Dante und Milton), die
hier ebenso wenig angeführt werden sollen wie die Analogieen aus der
ägyptischen und germanischen Hölle (vergl. R. Schröter, Totenreich der
Indogermanen, Progr. Wongrowitz 1888, 13). Auch über die griechischen
Vorbilder der verg. Personifikationen braucht nur wenig gesagt zu werden,
da das Material, wenn auch längst nicht erschöpfend, von R. Engelhard,
De personificationibus etc. (Göttingen 1881) 25ff. gesammelt ist. Die
Tatsache, daß eine Anzahl dieser Personifikationen sich in der hesiodischen
Theogonie (211 ff. vergl. 758ff.), in dem stoischen Katalog bei Cicero de
nat. deorum III 44, bei Kebes und in dem das hyginische Fabelbuch ein-
leitenden Kataloge finden, zeigt, daß auch Vergil bezw. schon seine Quelle
einem solchen genealogischen Verzeichnis gefolgt ist (qui a genealogis
antiquis sie nominantur . . ., quos Erebo et Nocte natos ferunt Cicero 1. c).
Nur ein paar Bemerkungen zu folgenden Einzelheiten. In der Ver-
bindung 277 Letumque Labosque ist Letum für Mors nicht bloß der
Alliteration zuliebe gewählt, sondern in jenem empfand der Römer das
persönliche Element stärker: Leti sub dentibus Lucrez I 852; Letus carm.
epigr. 562 Bücheier. In Läbos braucht er, der Feierlichkeit oder der
Euphonie zuliebe (laborque wäre hart), nur hier die archaische Endung,
während er g. III 118 lieber sogar zu einer Lizenz greift: labör aeque
(vergl. Wagner zu b. 3, 56. Lachmann zu Lucrez S. 424). Die Egestas
276 ist ante Leti portas auch bei Lucrez III 67. Mit den mala mentis
Gaudia 278 f. sind die Erscheinungsformen der fibovri gemeint (Seneca
ep. 59, 3 von diesem Ausdruck: voluptatibus hoc nomen imposuit sc.
Vergilius), wie die von Kebes 9. 27 genannten 'AKpacTia, 'AauuTia,
'HbuTTOtGem, vergl. auch Clemens AI. protr. 2, 26 p. 22 P q)iXoffö(puJV
VERS 274 ff. 209
Tivec . . . Tuiv ev fiiiiiv iraGiuv dveibiuXoTTOioijCi tuttouc, töv <t>ößov
Kai TÖV "EpcuTtt Ktti xfiv Xapdv; mentis ist hinzugefügt, weil das auf
Befriedigung der körperlichen Lüste gerichtete Streben ein irdGoc xf^C
vpuxfic ist (Plutarch n. posse suav. c. 9 p. 1092 DE). Von den Attributen
der Dämonen verdient Erwähnung 276 malesuada (Farnes): ver-
mutlich aus archaischer Poesie, s. Anhang I 1. Bei den Eumenidum
thalami 280 ist ganz eigentlich an 'Schlafgemächer' zu denken, da
Vergil thalamus nie anders gebraucht (vergl. auch 274 cuhüia): wenn
die Rachedämonen nicht beschäftigt sind, so schlafen sie (Aesch. Eum.
Anf., Eobert, Bild u. Lied 177); daher ist auf Devotionen ein gewöhn-
liches Wort an den Dämon eHcfepGriTi oder i^^expe Gavxr\v : vergl. E. "Wünsch,
Defixionum tabulae, Berlin 1897 p. XXIH und Eh. Mus. LV, 1900, 267;
r\yepBr]Oaw von den Dämonen des Hades auch in der |uaYiKfi TTpdHic der
orphischen Argonautica 972. Während die Eumeniden also hier am
Hadeseingang hausen (ebenso Culex 218), sind Tisiphone und Megaera
unten 555, 570ff. 605 ff. im Tartarus, ein vielbehandeltes tr\rr\pia. Die
konziliatorische Kritik (so schon Gerda) stützt sich auf 572, wo die im
Tartarus befindliche Tisiphone vocat agmina saeva sororum: also rufe sie
die übrigen Furien eben vom Hadeseingang in den Tartarus, Aber diese
XuCTic wird durch eine dritte Version (374f.) ausgeschlossen, wonach der
Cocytus der amnis Eumenidum ist, eine altertümliche Vorstellung (s. o.
z. 160). Also hat Vergil mehrere Sagenvarianten nebeneinander gestellt,
die er auch bei endgültiger Eedaktion kaum ausgeglichen hätte: denn
die lateinischen Kimstdichter, für die die griechischen Mythen nie wahres
Leben besessen hatten, duldeten das Nebeneinander solcher mythologischen
Varianten unbedenklich, ja liebten es, dadurch das Schwanken der Tradition
mit affektierter Gelehrsamkeit gelegentlich anzudeuten (vergl. auch zu
617). Einer genauen Analogie zu der verschiedenen Stationierung der
Eumeniden werden wir unten (Seite 233) in derjenigen des Cerberus be-
gegnen. — Die inneren Beziehungen der dämonischen Wesen zu einander
sind meist ohne weiteres klar. Zu den bösen Sinnesfreuden (mala mentis
Gaudia) gehört der Sopor (vergl. Kappes -Wöm er in der Ausgabe*
Leipzig 1895), ein Wort, das im Gegensatz zu dem stammverwandten
somnus oft den sinnbetäubenden torpor bezeichnet wie Kapoc (vergl.
Properz HI 11, 54. 17, 42. Plinius n. h. XXI 119. Apul. met. H 30 so-
pore m^rtuus): eine Verbindimg also wie bei Dionys. Hai. de Thuc. 34
UTTÖ TTic fibovfic K€KapiJU)uevoc xfiv bidvoiav zeigt die von Vergil gewollte
Beziehung. In der Auswahl der Dämonen glaubt man, wie A. Schalk-
häuser, Progr. Bayreuth 1873 ausführt, die Eindrücke zu spüren, die
der soziale (276), sittliche (278 f.) und politische (279 f.) Euin der
Eevolutionszeit auf den Dichter ausgeübt hatten, deren Schrecknisse er
ein Dezennium früher in dem glänzenden Epilog georg. H schilderte.
Die zweite Klasse des Katalogs (285 — 289) besteht aus den
monstra, mit denen die extravagante Phantastik der verschiedensten
Völker, hqchzivilisierter wie kulturloser, den Weg ins Jenseits bevölkerte.
"Oqpeic \md Gripia )aupia öeivöxaxa sind, wie die Interpreten bemerken,
auch bei Aristophanes Frösche 143. 277 im Hades; ein solches Un-
geheuer ist Vergils helua Lernae, deren chthonischer Ursprung durch
Hesiod Th. 3 10 ff. feststeht. Auch die Gorgonen, raffende Ungeheuer
Vbbgil Buch VI, von Norden. 14
210 KOMMENTAR
der Tiefe (vergl. Pindar P. 12), sind bei Aristoplianes 1. c. 477 im
Hades (vergl. \ 634), und zwar, wie bei Vergil, in der Mehrzahl (vergl.
V. Wilamowitz zu Eur. Her. H^ p. 198). Briareus im Hades bei
Hesiod Th. 61 7 ff. (und späteren von Vergil unabhängigen Dichtern,
vergl. 0. Roßbach, Rh. M. XLVHI 1893, 595). Von Geryoneus, der
289 forma tricorporis umbrae heißt (forma wie 277 'Gespenst,' vergl.
Soph. El. 199 beivf] luopqpri mit Kaibels Erklärung; daher 290 formido
*Gespensterfurcht'), hat v. Wilamowitz 1. c. I^ 45. 65 bemerkt, daß er
(von Herakles wie der Kerberos bezwungen) ein Dämon des Hades sei,
in dem er ja auch bei Horaz HI 14, 8 ist. Die Harpyien sind, wie ihr
Name und der formelhafte Versschluß der Odyssee (a 241 u. ö.) "Apirmai
dvTipeiHittVTO zeigt, Todesdämonen (vergl. Dieterich 56, 1; Dümmler,
Delphika, Basel 1894, 18; Rohde, Rh. Mus. LV 1895 Iff.). Zum Ver-
ständnis der Stationierung, die ihnen Vergil am Hadeseingang beim
Weltenbaum anweist, scheint bemerkenswert, daß sie in den unter des
Akusilaos, Pherekydes und Epimenides Namen gehenden Theogonieen
Wächterinnen des Tartarus und Hüterinnen des Baumes der Hesperiden
waren (vergl. 0. Kern, De Orphei etc. theogoniis, Berlin 1888, 88;
Fr. Studniczka, Kyrene, Berlin 1890, 26). Den Harpyien verwandt sind
die Scyllae, der Plural, wie es scheint, in griechischer Literatur wenigstens
für uns nicht nachweisbar, aber vor Vergil schon bei Lucrez IV 732.
V 893; auch sie, die Hündinnen des Hades, dpTTdJUoucJi {]X 100). Die
Chimaera kennt im Hades Lukian dial. mort. 30, 1 (6 ö' lepöCuXoc iirrö
Tfic Xi)Liaipac öiaaTracr9r|TUJ, vergl. nekyom. 14), sicher darin die älteste
Vorstellung bewahrend (vergl. üsener 1. c. [o. S. 207] 40). So bleiben
nur die an erster Stelle genannten Kentauren, die außer Vergil wohl
nur Statius, aber in Nachahmung dieser Stelle (Theb. IV 534, s. V 3, 280),
unter den Ungeheuern der Tiefe nennt. Daß aber ihre Stationierung im
Hades eine Erfindung Vergils sei, ist nach seiner ganzen Arbeitsweise
und hier speziell bei seiner Genauigkeit im übrigen Detail unwahrscheinlich :
wir werden vielmehr aus ihm folgern dürfen, daß auch die Kentauren
wenigstens in der von Vergil hier benutzten Vorlage als chthonische
Dämonen galten. Für die Richtigkeit dieser Auffassvmg scheint manches
zu sprechen, z. B. daß sie uj)LiocpdYOi sind (Theogn. 542, ApoUod. bibl.
n 83), wie die Hadesdämonen (Dieterich 48 f.), ferner daß einer von
ihnen bei Ovid (d. h. dem von ihm für die Erzählung vom Kampf der
Kentauren und Lapithen benutzten hellenistischen Dichter) m. XH 441
CtJionius heißt, und daß auf einer unteritalischen Vase (vergl. Roßbach,
Rh. M. 1. c. 595) ein Hippokamp, also ein den Kentauren analoges Misch-
wesen, im Hades ist. — Aus dem Angeführten ergibt sich, daß der
Versuch W. Roschers (in seinem Lex. d. Myth. H 1055), diese ganze
Partie Vergils mit italisch-etruskischen Vorstellimgen in Zusammenhang
zu bringen, abzuweisen ist; denn alles ist griechisch gedacht: so ist 289
fast unverändert zu übersetzen fopTÖvec "ApTTUiai xe (TKidc xe xpiaiu-
inaxov elboc.
In der Mitte des Vestibulum steht eine Ulme, in deren Zweigen
die Träume nisten: 282 — 84 in medio ramos annosaque bracchia pan-
dit I ulmus opaca ingens, quam sedem somnia volgo \ vana tenere ferunt
foUisque sub ommbus haerent. Eine hochaltertümliche Vorstellung, für die
VERS 274ff. 211
uns, ganz wie bei dem Motiv vom goldnen Zweig, unsere antike Über-
lieferung im Gegensatz zu derjenigen anderer Kulturen fast völlig im
Stich läßt, für die aber Vergil selbst sich auf eine Quelle zu berufen
in der Lage ist: ferunt 284 (s. z. 14). Wunderbäume im Jenseits werden aus
verschiedenen Kulturkreisen von Schröter 1. c. (o. S. 208) 15, Zemmrich 1. c.
(o. S. 162, 1) 10. 17. 26, Brandt, Z. f. prot. Theol. XVm 1892, 433ff. an-
geführt. Aus der antiken Literatur kenne ich nichts genau Vergleichbares,
sondern nur dürftige Analogieen: den Baum der Hesperiden [s. o. S. 171]
und die Insel der Träume mit dem Wald, in dem nur Fledermäuse nisten
(Lukian, ver. bist. IT 33, vergl. Ovid m. XI 592ff.). Eine Ulme ist es,
weil sie zu den aKapiTOi gehört (Theophr. h. pl. HI 5, 2), wie aus dem-
selben Grunde im Hades der Odyssee k 510 aiyeipoi xe xai keai luXeffi-
KapTTOi wachsen (Theophr. 1. c, vergl. Pausanias X 30, 6). — In dieser
Ulme nisten die falschen Träume scharenweise, lölgo, was Servius richtig
catervatim erklärt, vergl. Hl 643 und den bfi)iioc 'Oveipiuv UJ 12, q)OXov
'Oveipujv Hesiod Th. 212, passim . . . Sornniu vana iacent Ovid 1. c. 61 3 f.
Auch diese Vorstellung ist sonst nicht belegt. Wieder nur eine Analogie,
wenn auch eine ziemlich genaue, ist die von Gerda angeführte Stelle Z 286,
wo Hypnos auf eine Tanne steigt, in deren Zweigen er sich verbirgt
'wie ein Vogel'. Offenbar sind auch bei Vergil (vergl. IF. Granger,
Folklore in Virgil, Classical review XIV 1900, 25 f.) die Träume, die
'unter den Blättern hangen' (vergl. B 312 TTeidXoic UTr07TeTrTr|UJTec von
Sperlingen, zitiert von Henry 287) als Seelenwesen in Vogelgestalt ge-
dacht (vergl. die verschlechternde Nachahmung Silius XIII 595 ff.), wofür
J. Grimm, Deutsche Mythologie H* 959. HI 331 Belege aus anderen
Kulturkreisen gibt. Aus der antiken Literatur ist mir sonst nur die
Vorstellimg bekannt, daß sie als beflügelt (nicht geradezu als Vögel)
gelten, z. B. Eurip. Hec. 71. Phoen. 1549 (mehi- bei C. Hense, Poet.
Personifikationen in griech. Dichtem, Halle 1868, 118). Wir haben darin
ein Beispiel für den häufigen Prozeß der Veredlung und Idealisierung
einer rohen Vorstellung zu erkennen, deren ursprüngliche Realität sich
nur mehr in den Rudimenten zeigt. So sind — um von den vielen
Belegen nur ein paar sachlich naheliegende zu erwähnen — die Seelen
selbst, die in gi-iechischer Poesie und Kunst so oft in beflügelter Gestalt
erscheinen (vergl. Hense 1. c. 123), ursprünglich geradezu als Vögel ge-
dacht: s. 0. S. 162. Auch die Nacht ist zu einer menschenähnlichen Gestalt
mit Flügeln geworden (z. B. Eurip. Or. 174 u. ö.), wählend Aristophanes
Av. 695 das Alte bewahrt, wenn er im Stil einer Theogonie sagt
TiKiei TrpuüTiarov uTrrjveiLiiov NuH f] jueXavÖTtTepoc iböv. Das gleiche
gilt von Helios, den Euripides Ion 122 f. nur als 'geflügelt', aber
Aeschylos Suppl. 202 K. als Zrjvöc öpvic kennt, womit er nach dem
Ausweis des Mythus vom indischen und germanischen Sonnenvogel Ältestes
entweder bewahrte oder kraft seiner in mythologischen Vorstellungen
noch wahrhaft webenden Phantasie rückbildete. Der altertümliche Glaube,
daß die Seele des Dichters in den Leib eines Singvogels (Schwan, Nach-
tigal) übergehe (Piaton Rep. X 620, vergl. Aristoph. Av. 1373 ff. Horaz
od. IT 20), wurde verdrängt durch die jüngere vom 'beflügelten' Dichter
(Belege bei 0. Jahn, Hermes H 244). Die Musen tragen oft eine Feder-
krone (vergl. 0. Bie in Roschers Lex. d. Myth. H 3290), die ein Rudiment
14*
212 KOMMENTAR
der Vorstellung ist, daß sie ursprünglich als Vögel gedacht wurden
(v. Wilamowitz, Eui-ip. Her. II ^ 98, 2).
274 posuere | cubilia Curae mit trochaeischem Einschnitt: s. z. 130
und Anhang VII B 2b. — 278 et mala mentis: über die Struktur des
Versschlusses s. Anhang IX. — 280 ferreique. Diese in der neoterischen
Poesie für griechische Eigennamen eingeführte Synizese nach griechischer
Art (vergl. Hephaest. euch. c. 2, oben zu 33) haben, soweit unser Material
darüber urteilen läßt, erst die augusteischen Dichter auf lateinische Worte
ausgedehnt, fast stets (bei Vergil immer) mit der Einschränkung, daß
es sich um Worte handle, die ohne diese Lizenz metrisch unbrauchbar
waren (ältestes Beispiel Horaz s. I 8, 43 cereä). Aus der Sanomlung der
Beispiele bei F. Lorey, De vocalibus irrationaliter enuntiandis (Göt-
tingen 1864) 5 4 ff. ergibt sich, daß nur Vergil die von den übrigen
Dichtern auf den Versschluß beschränkte Freiheit auf den Anfang aus-
gedehnt hat: außer in vorliegendem Vers noch in aureä I 698. VII 190,
und daß femer nur er die Freiheit auf die Vokale ei erstreckt hat: außer
in vorliegendem Vers noch in aureis 1726. V352. VIII 553 (vergl.
XpucTeoiCTi), aerei VII 609 und nach richtiger Verbesserung der Aldina
XII 541 (vergl. xa^KCOi), haltä X 496. Oft umgeht Vergil solche Syni-
zesen durch die Figur des '^v bia buoiv (Servius zu a. I 61 est ßgura,
ut wna res in duas dividatur, metri causa interposita coniwndione), vergl.
g. II 192 pateris et auro (Servius: pateris aureis, 'ev biet buoTv), a. III 467
hamis auroque (Servius: hamis aureis, ev biet buoiv), VII 142 radiis ei
auro (Servius: radiis aureis), 11 627 ferro et bipennibus für b. ferreis
(schol. Dan.: 'ev bici buoTv). — 281 vipereum crinem vittis innexa cruentis
mit malerischer Zusammendrängung der wesentlichen Züge in einen durch
gewählte Alliterationen (Schema ab ab) ausgezeichneten Vers. — vipereus
neu für das metrisch unbrauchbare viperinus; vergl. die teils ebenfalls
durch Verszwang, teils durch das Streben nach Kürzen bedingten Neu-
bildungen Vergils frondeus, fumeus (imten 593), pampineus (unten 804,
vergl. Serv. zu g. II 5), pulvcreus, rameus, sidereus, spumeus (vergl. Serv.
zu aen. II 419), squameus, Tartareus (s. unten z. 295), triticeus, tureus
(oben 225). Daß schon die ältere Poesie hiermit voranging, zeigen
Lucrezens fulmineus und CatuUs aequoreus, die dann Vergil übernahm. —
crinem innexa mit Erweiterung der Gebrauchssphäre des medialen Par-
tizips nach der Analogie von indutus corpus; sprachlich und sachlich
sehr ähnlich Horaz ep. 5, 15 Canidia brevibus inligata viperis crines. Die
dieser Konstruktion des Accusativs ursprünglich gezogenen Grenzen sind
erst von den augusteischen Dichtem weit überschritten worden, von
Vergil noch weiter als von Horaz und zwar in steigendem Maße von
Werk zu Werk und innerhalb der Aeneis von Buch zu Buch. Vergl.
die Sammlungen von J. Schaf 1er, Die syntaktischen Gräzismen bei den
august. Dichtem, Amberg 1884 und G. Landgraf, Arch. f. Lex. X 1898,
209 ff.; s. auch z. 156. 243. 470. 495. Bei der Beurteilung der Fälle
ist zu erwägen, daß der Accusativ gegenüber dem Dativ oder Ablativ
oft metrische Vorteile bot: ein Moment, das auch sonst griechische Kon-
struktionen, wo nicht hervorrief, so doch begünstigte, vergl. z. B. zu 133 ff.
— 282 ramos amtosaque bracchia wie g. II 296 ramos et bracchia, also
war dieses Wort für Vergil schon zur Metapher herabgesunken, während
VERS 274—295. 213
es für den Bauer nicht minder sinnliche Realität hatte als Caput coma
oculus venter pes der Pflanzen. Der Grammatiker wußte, daß er, um
derartiges zu erkennen, dem Bauern auf den Mund sehen mußte (Cic. de
or. II 155 or. 81). Aber die gelehrten Dichter bedienten sich vielmehr des
Mediums griechischer Metamorphosenpoesie, die hier, wie oft, uralte sinn-
liche Identität in die spielerische Form mythologischer Verwandlung um-
goß. Daher findet sich hraccMa metaphorisch nächst Vergil zuerst bei
Ovid in folgender Formulierung: in frondes crines, in ramos hracchia
crescunt (m. I 550). — 284 {quam sedem Somnia volgo) | vana tenere
ferunt föliisque sub onmibus haerent. Der Vorstellung des sommis gemäß
hat der Vers weichen Rhythmus: nur Daktylen und dreimal trochäische
Einschnitte; so in diesem Buch nur noch 522 zu gleichem malerischen
Zweck: dulcis et alta quies placidaeque simillima morti\ s. Anhang VII B 2b.
— 285 ff. multaque praeterea variarum monstra ferarum: über die Stellung
der Attribute und Substantive s. Anhang III A3. — multaque praeterea
Versanfang = Lucr. VI 903. 1182. — 287 centumgeminus von Vergil
gebildet nach dem Muster des alten tergeminus (trigeminus), das er selbst
zweimal braucht. Auch tricorpor 289 ist neu, aber auf Grund des in
archaischer Poesie geläufigen hicorpor gebildet, wie centiceps von Horaz
II 13, 34 nach hiceps. — 288 ff. horrendum striden,s. Malerische Spon-
deen, ebenso mit horrendum III6 58. IV 181. VII 78 (s. z. 99), mit horrere
unten 799 responsis horrent divom XI 754 arrectisque horret squamis,
mit Horror II 559 at me tum primum saevos circumstebit horror rV279f.
Dagegen malen in 290 corripit hie subita trepidus formidine ferrum die
Daktylen die Eile. Besonders markant sind die aufeinanderfolgenden
anapästischen Worte subita trepidus, vergl. XI 805 c&ncurrunt trepidae
comites 893 tela manu trepidae iaciunt, unten 845 rapitis Fabii, HL 241
rapido pariter cum flamine V 255 pedibus rapuitlovis armiger, IX 178 iactdo
celercm levibusque sagittis 473 pavidam volitans; gelegentlich auch drei
anapästische Worte, z. B. b. 8, 28 cum canibus timidi venient . . . dam-
mae g. I 361 medio celeres revolant ex aequore mergi a. III 259 sociis
subita gelidus formidine sanguis \ deriguit VII 479 subitam canibus rabiem.
Auch Ovid, der solche Aufeinanderfolge im allgemeinen so wenig sucht
wie Vergil (s. z. 218), hat m. II 66 pavida trepidat formidine pectus
119 iiissa deae celeres pteragunt III 242 at comites rapidum solitis hor-
tatibus agmen (instigant) XI 486 sponte tarnen proper ant alii subducere
remos (vergl. Lüdke, Rhythm. Malerei in O.'s Met., Programm Stralsund
1878, 34). — Über die Wortstellung corripit — ojfert und admoneat —
inru^t s. Anhang m A2. — 292 docta comes: doctus stehendes Epitheton
der Seher, z. B. Ovid f. I 499. m. III 322. — 293 f. admoneat— inruat
aus metrischem Grund statt der Präterita wie I 58 ff. II 599 f. XI 912 ff.
u. ö. (s. z. 113); nebenbei erhöht der Dichter dadiu-ch für den Leser die
Spannung, indem er einen Fall als möglich ausmalt, der durch die
Wirklichkeit ausgeschlossen war (vergl. Cauer 1. c. [z. 31] 132). Eine
kühne Mischung beider Tempora g. IV 116 ff., frei auch unten 537 f. —
294 diverberet umbras Versausgang nach Lucr. 11 152 diverberet undas
(Germanus).
ß. Gegend am Acheron 295—416. Drei Teile: 1. 295—332,
2. 333—383, 3. 384—416. Von diesen drei Teilen handeln der erste
214 KOMMENTAR
und dritte von Charon, seiner Begegnung mit Aeneas, und der Überfahrt
über den Acberon; dazwischen gestellt ist das Wiedersehen des Aeneas
mit seinen im Meere verunglückten Freimden, besonders mit Palinurus.
Die Trennung von sachlich Zusammengehörigem durch ein heterogenes
Einschiebsel ist hier also ähnlich wie vorhin bei der Misenus-Episode
(s. o. S. 176). Auch in der vorliegenden Partie ist der Grund der
Trennung in der Verknüpfung verschiedener überlieferter Motive zu suchen.
Das Motiv der Begegnung mit den Freunden ist der homerischen, das
der Begegnung mit Charon und der Überfahrt über den Acheron einer
anderen Nekyia entnommen, die sich, wie wir sehen werden (S. 231 ff.),
noch mit Wahrscheinlichkeit bestimmen läßt. Durch die Verarbeitung
ergaben sich auch hier kleine Inkongruenzen: 1. Aeneas und die Sibylle
sehen den Charon schon 326, er sie erst 385. Das hat schon Brandes
(Jahrb. f Phü. 1890, 141) bemerkt, wir begreifen aber erst jetzt die
Genesis des Widerspruchs. Würde nämlich, was das Naturgemäße ge-
wesen wäre, die Erkennung eine gleichzeitige und gegenseitige gewesen
sein, so wäre die Schilderung der Begegnung mit den Freunden, vor
allem die lange Palinurus-Episode unmöglich gewesen: auf die Erkennung
mit Charon hätte gleich das Zwiegespräch mit diesem (385 ff.) und
die damit zusammenhängende Überfahrt (40 7 ff.) folgen müssen. Aber
das schöne homerische Motiv wollte Vergil um so weniger missen, als
es ihm Gelegenheit zu einem rührenden bidXoTOC bot (341 ff.); daher
teilte er die Begegnung mit Charon in zwei Teile, zwischen die er jenes
Motiv einschob. 2. Aeneas sieht den Charon, als dieser mit den Seelen
an das jenseitige Ufer fährt (320); sobald Charon den Aeneas gesehen
hat, redet er ihn vom Wasser aus an (385) und kehrt, nachdem er den
Grund seines Kommens erfahren hat, um (410). Das hängt gut zu-
sammen, wenn man die Begegnung des Aeneas mit seinen Freunden und
besonders das Gespräch mit Palinurus ausscheidet; durch die Einfügung
dieser Szene ergibt sich die Inkongruenz, daß Charon sich mittlerweile
schon so weit entfernt haben muß, daß die Anknüpfung eines Gesprächs
mit Aeneas durch die Situation nicht mehr glaublich erscheint. — Diese
durch Kontamination entstandenen kleinen Unebenheiten hat Vergil zu-
gelassen, da sie ihm für die poetische Illusion nebensächlich erscheinen
durften. Bei Dante, der Inf III 70 ff. nur den ersten und dritten Teil
nachbildet, ist die Komposition straffer.
1. Charon und die Seelen am Acheron 295 — 332 in drei
Unterabteilungen: a) Der Fluß 295—97 (xpiKuuXov), b) Charon 298—304
(zwei TeTpotKUjXa, das fünfte und siebente kujXov mit je zwei KÖmaara),
c) die Seelen 305 — 332 in drei Absätzen: a) Allgemeines 305 — 16
(drei Perioden von je 4 Versen: 305 — 8 biKUuXov, das zweite mit vier
K6)H)LiaTa; 309 — 12 xpiKiuXov, das dritte mit zwei K6)Li|biaTa; 313 — 16
TeipdKUüXov, die KUjXa mit den Versen zusammenfallend, das erste mit
zwei KÖ)ii|uaTa), ß) Zwiegespräch zwischen Aeneas und der Sibylle
317 — 30 (vier Perioden: 317 — 20 TpiKuuXov, das dritte mit vier k6|li-
^laxa; 321 — 24 TexpdKLuXov, die KuiXa mit den Versen zusammenfallend,
das erste mit zwei K6)ii|iiaTa; 325 — 26 TpiKiuXov, das erste mit zwei
KÖ|Li|LiaTa; 327 — 30 terpdKUjXov, das letzte mit zwei KomLiaxa), t) Aeneas'
Beflexion 331 — 32 (vier KÖ)Li|LiaTa).
VERS 295—298. 215
296 flF. Der Dichter orientiert den Leser über das Lokal und die
Vorgänge teils referierend (295 — 317), teils durch einen Dialog der
Sibylle und des Aeneas (318 — 30). Diese auch im weiteren Verlauf
von ihm befolgte Praxis ist an sich geschickt und entspricht dem Ftin-
damentalsatz der aristotelischen Poetik (24. 1460a 7) aiiTÖv bei TÖv
TTOiriTTiv (Epiker) eXdxiCTTa \efeiv ou xap ecTii Kaxct Taura |Lii|LiriTr|C.
Nur hat diese Vereinigung des xevoc eHnTHTiKÖv mit dem y^voc bpa-
jAaiiKÖv (vergl. Sueton p. 5 Reiff.) gelegentlich kleine Wiederholungen
und Inkongruenzen zur Folge gehabt. Hier hören wir zweimal, daß der
eine Fluß Cocytus heißt (297. 323). Da femer der Dichter den Charon
selbst beschrieben hat, läßt er Aeneas nicht nach ihm fragen, die Sibylle
aber in ihrer Antwort ihn dem Aeneas vorstellen (326 portitor iUe
Charon)^ als ob er nach ihm gefragt hätte. Analoge kleine Inkon-
gruenzen in 296 f. ~ 319 (wo Heyne 296 f. tilgen wollte), und unten
zu 548 ff. 679 ff. 716 f. — Die Topographie der ünterweltsströme, die
ja überhaupt schwankte (Bergk, Kl. Schriften H 694 ff.), weicht von der
homerischen (k 513f evGa )Liev eic 'Axepovia TTupiqpXeTeöujv re ^eouaiv |
KujKUTÖc 9'oc hr\ Ztutöc ubaiöc eaiiv otTToppiuE) darin ab, daß nach
397 (Ächer&n . . . omnem Cocyto eructat harenam) der Acheron ein
Nebenfluß des Cocytus ist, nicht umgekehrt. Dagegen scheint Vergil sich
nach 323 {Gocyti stagna alta vidcs Stygiamque paludem vergl. 3 74 f. mit
der Bemerkung daselbst) den Cocytus, Avie der Dichter der Nekyia,
als Abfluß des stygischen Sumpfes zu denken; nach Piaton, der im
übrigen abweicht, Phaed. 113 C bildet der Cocytus den stygischen See,
um dann wieder aus ihm herauszufließen. Vom Pyriphlegethon sagt
er nur, daß er (wie der Acheron: 295) im Tartarus entspringt (551),
von der Styx, daß sie in neunfacher Windung fließt (439 noviens Styx
interfusd). An genauer Wiedergabe des topographischen Details seiner
Quelle liegt ihm bei dieser phantastischen Topographie noch weniger
als sonst (s. o. S. 133. 207).
295 Tartareus, eine in griechischer Poesie wohl erst jüngster Zeit
(Nonnos) begegnende Bildung, hat Vergil aus metrischem Zwang für die
unbrauchbaren obliquen Casus (s. z. 135) oft (so unten 395. 551), vor
ihm für uns wohl nur Cicero in seinen Versen Tusc. II 22 (Vers 40),
der es aber vermutlich (s. z. 27) aus älterer Poesie übernahm (vergl.
Tartarinus Ennius a. 510). Über andere Bildungen auf -eiis s. z. 281
und Hafner 1. c. (z. 4) 8 f. — 296 vasta voragine malt durch die drei ä
(s. z. 237 f.) und die Alliteration mit v (über die (puCTiC des v s. z. 833).
— erudare: über den Gebrauch des 'sordidum vocabulum' s. o. S. 115, 1.
298 — 304 Die eKcppaaic Xdpujvoc fügt den in griechischer Poesie
und Kunst üblichen Zügen keinen neuen hinzu; soweit diese von 0. Waser,
Charon, Berlin 1898 und W. Röscher 1. c. (z. 255 ff.) 34, 88 gesammelt
sind, sollen sie hier nicht wiederholt werden. — Die Verse sind, dem
Stil der eKcppaCTic entsprechend, besonders kunstvoll gearbeitet, vor allem
die drei abschließenden: vergl. das Parison 302 conto suhigit = velis mi-
nistrat (je 5 Silben), die Allitei-ationen 302 f. suhigit — subveäat — corpora
cuniba (Schema aabb), sowie das glänzende avTiGeiov 304 cruda deo
viridisque senedus.
298 portitor ist der 'Hafenzöllner' (eWiiieviairjc). Als solchen ver-
216 KOMMENTAR
steht den Charon Vergil, wenn er hier von ihm sagt: portitor has aquas
et flumma servat und wenn er ihn weiter unten gewissen Seelen den
Zutritt zum Strand wehren läßt (alios longe summotos arcet liarenä,
vergl. g. rV 502 nee portitor Orci | amplius öbiectam passus transire paki-
dem, Properz IV 11, 7 ubi portitor aera recepit). Vergl. Ti. Donatus (der
hier von dem uns verlorenen Kommentar des Aelius Donatus abhängt:
s. diesen zu Terenz. Phorm. I 2, 100): portitores dicmitur qui portus ob-
servant, ut sine ipsorum iussu nullus trcmseat in älienas regiones (ähnlich
Nonius 24 mit Zitat unseres Verses). Nun aber lag es in der Natur
der Verhältnisse, daß der Hafenzöllner oft zugleich Fährmann sein mußte,
und die Angleichung von portitor an portarc vollzog sich fast mit Not-
wendigkeit. In diesem Sinne heißt es unten (326. 28) von Charon, daß
er als portitor transportat: das ist eine Übersetzung von TTOpG^euc,
was andere Dichter, die nicht mehr in dem Grade, wie Vergil, auf den
Purismus bedacht sind, gern beibehalten (Petron, c. de bell. civ. 117
navita porthmeus, carm. epigr. 1549, 3 Buch.). Nach Vergil scheint die
ursprüngliche Bedeutung des Wortes geschwunden zu sein: Donatus muß
sie, wie wir sahen, schon erklären (ebenso Nonius 24), und Servius weiß
nichts Besseres mehr als: portitor qui portat (vergl. carm. epigr. 1223
per Stygias portabit portitor imdas). — 300 stant lumina flamma M^P^,
von Donat paraphrasiert und von Servius zu I 646 zitiert; flammae M^P^R.
Da Claudian de nupt. Hon. 266 einen Vers schließt lumina flammae (wenn-
gleich mit anderer Konstruktion), so ist die Variante ziemlich alt, aber
schlecht: sie verdankt ihren Ursprung der nicht mehr geläufigen Kon-
struktion von Stare, die Vergil dem ennianischen stant pulvere campi
(ann. 592) nachbildete (vergl. XII 407 pulvere caelum stare vident) wie
Lucilius 181 L. stat sentibus pectus. Daß Vergil (bezw. seine Quelle) auf
Charons ö|LX|uaTa xcipOTrd anspiele (gemäß einer verbreiteten Etymologie
des Namens, vergl. Waser 1. c. 15 f.), bemerkt Gerda. — 301 sordidus
ex umeris nodo dependet amictus, nämlich die bei Arbeitern und besonders
Schiffsleuten (Plaut, mil. 11 77 ff.) übliche eHuJjUiC (Gerda). Sie wird sonst
mit einer fibula auf der linken Schulter zusammengehalten, hier aus-
drücklich nodo, vielleicht wegen der apotropäischen Kraft des Eisens,
s. o. S. 163 und z. 260. Auch das Boot Charons hat nicht, wie sonst bei
Schiffen üblich, eiserne Nägel: s. z. 41 3 f. — Eine Übertragung aus dem
täglichen Leben ist auch der struppige Bart des Fährmanns (299 f.):
vergl. Petron 99 barbis Jwrrentibus nauta, sowie sein Schimpfen (3 8 7 ff.):
vergl. Horaz s. I 5, 11 f. pueris convicia nautae \ ingerere. — 302 ipse
rotem conto subigit velisque ministrat. Daß velis hier und an der ähn-
lichen Stelle X 218 Ablativ ist 'er bedient das Schiff mit Segeln',
nicht Dativ 'er bedient die Segel' (Servius kennt beide Erklärungen),
folgt aus den von Gerda u. a. angeführten Nachahmungen Valer. Fl. III 38
ipse rotem vento stellisque ministrat und Tacitus Germ. 44 naves velis
ministrantur. Diese Auffassung wird auch durch die llesponsion conto
subigit (^ velis ministrat empfohlen, s. Anhang II 3. — 304 iam senior
(senior mit Verflüchtigung des komparativischen Elements, vergl. Vollmer
zu Stat. s. I 1, 102) am Versanfang auch VH 46, dort in ennianischer
Umgebung; senior in einem dem Ennius nachgebildeten Vers VHI 32. —
sed cruda deo viridisque senectus. Die Berühmtheit des Ausdrucks, der
VERS 298—305. 217
auch in die Prosa drang (z. B. wird Tac. Agr. 29 affluebat omnis iuven-
tus et quibus cruda ac viridis senedus angefahrt), beruht nicht auf der
Metapher (vergl. virgo cruda, iuventus viridis), die so geläufig war, daß
sie als solche kaum mehr empfunden wurde, sondern auf der kühnen
begrifflichen Antithese, die, wie Heyne bemerkt, nach iu)LiOYe'puüV (ip 791,
anders u)|uöv T^ipac o 357) gebildet ist. Die wirkungsvolle Pointe ist
absichtlich in einen Vers zusammengedrängt und an den Schluß der
eKtppaCTiC gestellt, ein rhetorischer Kunstgriff, den besonders Lucan mit
Virtuosität verwendet; Vergil selbst z. B. noch 11 354 una Salus victis
nullam sperare salutem V 754 exigui numero, sed hello vivida virtus,
unten 776 haec tum nomina erunt, nunc sunt sine nomine terrae 853jpar-
cere suhiectis et dehellare superhos VII 312 flectere si nequeo superos,
Acheronta vrwveho. Vergl. auch zu 376. — deo. Charon als deus wohl
nur noch auf einer mauretanischen Inschrift CIL Vm 8992 deo Charoni
lulius Anahus votum solvit (Apul. m. VI 18 kritisch unsicher). Er ist
aber, bevor er zum dienenden Dämon herabsank, der Totengott selbst
gewesen (vergl. auch Cicero de n. d. III 43) wie der neugriechische Charos
(vergl. C. Dilthey, Eh. Mus. XXVII 1872, 419, Waser 1. c. 85ff.).
305 ff. Das Gebahren der Toten wird in drei Absätzen geschildert,
deren jeder vier Verse umfaßt (305—8, 309—12, 313 — 16). Diese
Gliederung tritt, abgesehen von den deutlich sich absondernden Gedanken,
auch rein formal darin hervor, daß jeder der drei Absätze durch einen
Vers eingeleitet wird, der durch seinen spondeischen Rhythmus stark
sich abhebt: 305 = 309 = 313.
305 huc omnis turha ad ripas effusa ruehat. Die von einigen Er-
klärern empfohlene Verbindung ]iu£- — ad ripas (vergl. unten 385 inde —
ah unda 404 ad genitorem imas Erehi descendit ad umbras I 235 liinc —
a sanguine Teucri II 18 f. huAi — caeco lateri III 616 f. hie — in antro
VII 209 Mnc—ab sede und Kroll, Rh. Mus. LVI 1901, 304), wird hier
durch die Stellung von ad ripas ausgeschlossen, die zwingt, diese Orts-
bestimmung mit effusa zu verbinden; dagegen geht huc auf die 303 ge-
nannte cumha, auf die sich die Seelen losstürzen (vergl. 31 5 f.). —
306 — 308 matres atque viri defunctaque corpora vita \ magna/nimum hero-
um, pueri innuptaeque puellae | impositique rogis iuvenes ante ora parentum
= g. IV 475 — 477 ('Opcpeuuc KaraßacTic), in Nachahmung der (von den
Alexandrinern mit Recht athetierten) Verse \ 37ff., aber mit stärkerer Hervor-
hebung des sentimentalen Kolorits {cum miseratione Donatus, s. o. S. 121 f.),
sowie kunstvollerer Gruppierung der Seelenklassen (zwei Gruppen zu je drei,
jede Gruppe in V-/^ Versen), beides für Vergils Art charakteristisch. Mit
innuptae puellae läßt er ein Motiv leise anklingen, das in den griechi-
schen Tragödien (am schönsten Soph. Ant. 810 ff., vergl. v. Wilamowitz zu
Eur. Her. 481. 1016) und griechisch-lateinischen Elegieen und Epigrammen
immer ergreifend wirkt, wenn es auch durch die Häufigkeit seiner An
Wendung fast zur Phrase herabsinkt oder durch rhetorische Pointen
(vergl. Rothstein zu Prop. IV 11, 46) seiner Einfachheit beraubt wird.
Auch 308 impositique rogis iuvenes ante ora parentum wiederholt in
Kürze ein altes, in seiner herben Dissonanz ergreifendes Motiv, in dessen
Verwendung die Inschriften schwelgen und das in Goethes Euphrosjiie
ausgeführt ist. — Da magnanimum 307, wie die Erklärer bemerken, das
218 KOMMENTAR
einzige Adjektiv der o-Deklination ist, in dem Vergil hier (= g. IV 476) und
g. III 704 die alte Genitivform braucht, so werden wir das auf Nachahmung
eines älteren Vorbildes zurückführen müssen (vergl. Äom/crww Pacuvius 82).
Auf ein solches weist ohnehin das dem Griechischen nachgebildete Wort
(fipu)ec |LieTd6u)aoi) , das Plaut. Amph. 213 an einer Stelle mit paro-
dierendem, Lucrez V 400 an einer mit tragischem, Catull 66, 26 an einer
mit pathetischem Kolorit, Vergil selbst I 260 in einem aus Ennius ent-
lehnten Gedanken hat (s. Anhang I). Auch aen. III 704 magnanimum . . .
equorum darf deshalb als ennianische Verbindung angesehen werden, weil
dieser ann. 503 f. eqmis . . . vincla magnis animis ahrupit wevhmdei. Und
XII 144 magnanimi lovis ingratum ascendere cubile ist ein versus im-
modulatus, wie er des Ennius, nicht Vergils Praxis entspricht (s. An-
hang VnB2c). Vergl. auch Skutsch, Arch. f. Lex. XII (1901) 208 ff.
u. 'Aus Vergils Frühzeit' (Leipzig 1901) 64, 1. Vergil hat analog nach
der «-Deklination so nur caelicölum lil 21 , was aus Ennius (a. 483)
belegt ist, und Graiugcnum III 550. VIII 127, was den archaischen
Stempel auf der Stirn trägt (vergl. Tromgenum Catull 68, 355 wohl
ebenfalls nach älterem Vorbild). — Auch matres atque viri ist möglicher-
weise ennianisch (s. Anhang VIII) und 308 ante ora parentum steht
V 553 in einem ennianisch beginnenden Vers. Dagegen scheint defunctus
üita eine Neuerung Vergils zu sein (vergl. Horaz c. II 9, 13 aevo functus).
309 — 312 quam multa in silvis autumni frigori primo \ lapsa cadunt
folia, aut ad terram gurgite ah alto \ quam multae glomeraniur aves, ubi
frigidus annus \ Irans ponfum fugat et terris immittit apricis. Zwei schöne
Vergleiche, die ihre Wirkung auf spätere Dichter nicht verfehlt haben:
Dante Inf. V 46, Purg. XXIV 64 ff.; Heine, Die Nordsee II 2 „Es flattert
ängstlich das Seegevögel, Wie Schattenleichen am Styx, Die Charon ab-
wies vom nächtlichen Kahn." Das tertium ist zunächst nur die Quantität
einerseits der Seelen, andrerseits der Blätter und der Wandervögel [quam
multa 309, quam multae 311), erstreckt sich aber auch auf die Qualität
der verglichenen Objekte. Wenn die Blätter in des Jahres Kreise fallen
und wenn die Blüte des Menschenlebens abfällt: das wird immer und
überall ineinandergeschaut. Daß Vergil aber nicht als erster den home-
rischen Vergleich € 146 ff. oiTi irep qpuXXwv Tcver) ktX. auf die am
Unterweltsfluß sich sammelnden Seelen übertragen hat, ist eine wichtige
Tatsache, die wir jetzt aus Bakchylides 5, 64 f. ipuxotc ebdri (Herakles)
irapd KiüKUTOu peeGpoic, oid t€ qpuXX' dve)Lioc "Ibac dvd inriXoßö-
Touc TTpuüvac dpfTlCTTdc bovei zuzulernen haben. Auch der zweite Ver-
gleich der Seelen mit Wandervögeln trägt, wie längst bemerkt, einzelne
Farben eines homerischen: f 2ff. wird der Schlachtruf der Troer mit
dem Geschrei von Wandervögeln verglichen, die über dem Meere fliegen;
nur wählt Vergil, der veränderten Situation gemäß, den Moment, wo
die Vögel sich erst am Gestade sammeln, um die Reise anzutreten; der
antike Leser dachte dabei an Kraniche oder Schwäne, die vom Strymon
zum Nil wanderten, vergl. VTI 703 ff. X 264 ff. und besonders die Nach-
bildung unserer Verse bei Seneca Oed. 604 ff. Aber auch bei diesem
zweiten Vergleich ist das Vergleichsobjekt wiederum ein von dem home-
rischen ganz verschiedenes: dort die in die Schlacht stürmenden Troer,
hier die ins Jenseits wallenden Seelen der Toten. Und wiederum läßt
VERS 306—311. 219
sich zeigen, daß Vergil auch hier nicht als erster den homerischen Ver-
gleich auf ein neues Objekt übertragen hat. Denn in einem Chorliede
des Sophokles Oed. T. 175 ff. heißt es: 'eine Seele nach der anderen
wandert ttTtep eÖTTTcpoc öpvic (KpeTacTov d|uai|aaKeTou irupöc) dKidv
Trpöc edTrepou Geoö'. Sollen wir nun annehmen, daß VergU den
ersten Vergleich aus Bakchylides, den zweiten aus Sophokles entlehnt
und beide durch einzelne homerische Züge ergänzt hätte? Diese An-
nahme dürfte kaum Glauben finden. Nun wissen wir aber, was zunächst
den ersten Vergleich angeht, daß Bakchylides in dem Mythus jenes Ge-
dichts eine 'HpaKXeouc Kaidßaffic aus dem epischen Stil in den lyrischen
umgesetzt hat, und die Benutzung einer 'HpaKXe'ouc KaxdßaCTic wurde
oben (z. 131 f. 260) auch für Vergil bewiesen, was sich unten (S. 231 ff.)
bestätigen wird. Also haben wir zu schließen, daß beide Dichter diesen
Vergleich jenem Gedicht entnahmen. Und der zweite Vergleich? Er ist
bei Sophokles kaum original, denn sonst würde er ihn nicht mit solcher
Kürze bloß angedeutet und vor allem auch nicht mit einem zweiten,
völlig andersartigen, verquickt haben: „Wandernder Vögel Zügen ver-
gleichbar. Stärker als wilden Feuers Gewalt, Drängen sich Scharen von
Sterbenden rings auf dem dämmernden Wege Zum abendlichen Hades-
strand" (v. Wilamowitz' XJbersetzung). Auf Grund dieser Argumente wird
mit großer Wahrscheinlichkeit behauptet werden dürfen, daß Vergil
beide Vergleiche vereinigt und mit homerischen Zügen aus-
gestattet in der 'HpaKXeouc KaraßacTic vorfand, der Bakchy-
lides den einen, Sophokles den anderen entnahm; einen analogen
Schluß auf eine gemeinsame Vorlage des Sophokles und Vergil s. unten
z. 706 ff. — Übrigens wird das Alter der von Vergil für den zweiten
Vergleich benutzten Vorlage durch die Altertümlichkeit der Vorstellung
selbst bestätigt. Denn wenn er hier die Seelen mit Flügelwesen ver-
gleicht (daher auch 329 volita/nt\ so besagt das nach unseren Darlegungen
0. S. 162 und 212 f., daß die Seelen ui'sprünglich als Vögel selbst gedacht
sind, nicht bloß als geflügelte eibuuXa, wie wir sie auf Grablekythen oft
dargestellt finden. Daß ist ein Völkergedanke, der sich auch in mehreren
der in der Einleit. S. 9 genannten, von Vergil unabhängigen christlichen
Apokalypsen findet: Vision des h. Antonius bei Palladios bist. Laus. c. 27
^uupujv vpuxdc dviTTTaiüievac lijc öpvea, Bonifatius ep. 20 (ca. 725 p. Chr.)
1. c. (Einl. 1. c.) p. 56 referebat se vidisse miserorum honiinum spiritus in
similitudine avium, Visio Baronti (-{- ca. 700) 1. c. (ibid.) p. 571 ego
miser staUm sensi animam meam eviüsam a corpore meo, sed et ipsa
a/nima quam parva sit referam: sie mihi videhatur^ quod similitudinem de
parvitate habuit, ut pullus aviculae de ovo egreditur.
311 f. Die Daktylen in glomerantur aves, ubi frigidus annus \ trans
pontum fugat malen xd tujv opviGuJV TTTepuYiö")naTa: s. Anhang VII Bl.
In wirkungsvollem Gegensatz dazu stehen die ernsten Spondeen 309 quam
multa in silvis autumni frigore primo und vor allem 313 stabant orantes
primi transmittere cursum: s. Anhang 1. c, sowie im besonderen über das
schwere, den ersten Fuß füllende stabant Anhang Vm. — 313 ora/ntes
transmittere. Servius: figura graeca est. Sie scheint zuerst von Vergil
gewagt zu sein. Auch transmittere cursum, wo cursum inneres' Objekt
ist (so oben 112 comitari iter, I 67 aequ^r navigare III 191 aequor currere
220 KOMMENTAR
IV 468 viam ire), ist neu und kühn; das Gewöhnliche noch g. IV 154
cervi transmittunt cursu campos. — 314 tendebcmtque manus ripae ulte-
rioris amore. Daß Vergil das plastische Motiv vom flehenden Aus-
strecken der Arme als überliefert übernahm, scheint der in seiner Hades-
mythologie von Vergil völlig unabhängige Apuleius zu beweisen, wenn
er nach der griechischen Quelle, aus der er das Märchen von Amor und
Psyche entlehnte, sagt met. VI 18 tibi pigrum fluentum trcmsmecmti quidam
supernatans senex mortuus attollens manus oraiit tit eum intra navigium
trahas. Altüberliefert ist auch der Zug 320, daß die Toten selbst rudern
(remis vada livida verrunty. vergl. Aristoph. Ran. 197. 202 u. ö.; Charon
hat nur den contus (302;. — nunc — nunc für uns zuerst bei Lucrez
nachweisbar, aus dem es Vergil in die georg. I 386 und dann sehr oft
in die Aeneis übernahm (vergl. Archiv f. Lex. 11 1885, 242. X 1898, 71);
vergl. unten zu 647 iam — iam. — 316 as^ alios. Nach Leos Sammlungen
(Seneca I 214 f.) hat ast bei Vergil seinen regulären Platz nur vor Vokalen,
und zwar oft nur vor ille (6 mal) und älius (5 mal); vor ipse und ubi
steht es nur je einmal (V 509. III 410), vor ego zweimal (1 46. VII 308),
vor Substantiven zweimal in späten Büchern (X 173 ast Ilva XI 293 ast
armis). Vor Konsonanten nur einmal in demselben späten Buch X 743 f.
ast de me divom pater atque hominum rex \ viderit, also des feierlichen
Ethos wegen (der Versschluß ennianisch, wie gleich darauf 745 olli),
wie es Horaz s. I 8, 6 in ast importunas völucres absichtlich neben einem
sakralen Wort braucht. — arcet (sc. Charon animas): derselbe Ausdruck
von derselben Sache Heliodor Aeth. 11 5 ^^vxr] . . biet tö dxaqpov uttö
V€pT€piu)V eibuiXuuv eipTOjaevTi, also wohl von Vergil aus der Quelle
beibehalten, vergl. auch coercet unten 439.
31 7 ff. Feierliche Partie mit reichlichen Archaismen. 317 enim in
den Worten miratus enim (s. z. 28). — 320 vada . . . verrunt vergl. CatuU
64, 7 aequora verrere, was wegen Lucrez I 278 f. venti . , . mare verrunt
älter sein muß. — 321 olli in diesem Buch nur hier und zwar (wie noch
17 mal) am Anfang des Verses, dessen ersten Fuß es in Ennius' Art
gravitätisch füllt (s. Anhang VIII); außerhalb des Versanfangs nur in
späten Partieen (V 197. 358. XII 300); olUs hat er nur zweimal (unten
730. VIII 659) und zwar beidemal im Versinnem (vergl. die Sammlungen
K. Wotkes in Wiener Stud. VIII 1868, 140f.). — 321 longaeva archaisch
(s. z. 141). — 322 Änchisa generate archaisch (vergl. Cic. poet. Tusc. II 23
generata Caelo) wie 331 Änchisa satus und deum pröles (s. z. 125. 784).
323 stagna alta = Accius tr. 335, daher auch die bei Vergil seltne
Synaloephe in betonter Silbe (s. Anhang XI 2 B5). — 332 multa putans
'mit sich ins Reine bringend', 'erwägend' (s. Anhang I l) und animi
miseratus: animi M, animo PR, ersteres empfohlen durch X 686 animi
miserata in allen Hss. (MPR), vergl. II 61 födens animi PM animo R.
Das feierliche Ethos wird durch Klangfiguren noch gesteigert: Allitera-
tionen 320 lincunt—vada livida verrunt (Schema ab ab) 327 ripas — hor-
rendas — rauca (Malerei mit r s. z. 49, horrendas mit malerischem Rhyth-
mus, s. S. 21 3 f.); antithetisches, durch Homoioteleuton gehobenes Isokolon
(s. Anhang 11 3): 319 f. vel quo discrimine ripas hae lincunt "^ illae remis
vada livida verrunt (je 11 Silben).
331 olli sie breviter fata est longaeva saccrdos. . Die Sibylle hat
VERS 311—329. 221
es eilig wie 398. 538, während Aeneas hier wie überall in diesem Buch
(vergl. besonders 539) das retardierende Moment vertritt (nach Donatus).
Eigentlich sollte auch Aeneas eilig damit sein, zu seinem Vater zu
kommen (vergl. 687 venisti tandem), aber der Dichter braucht Zeit für
seine Situationen und Reflexionen (s. z, 14ff. 514ff.). — hreviter steht
zu longaeva in frostiger Antithese, die Vergil nicht selten in einer unser
Stilgefühl verletzenden Art hat, z. B. X 834 völnera siccahat lympJiis
849 morte tua vivens (ein seit Heraklit und Gorgias beliebtes axflMCx)
Xn 9 50 f. ferrum adver so sub pectore condit | fervidus, ast Uli solvontur
frigore membra (vorletzter Vers des Gedichts!); s. auch zu 360. 516
und ähnliches aus Horaz bei Bücheier, Ind. lect. Bonn. 1878/79, 11. —
324 iurare numen. Die Verbindung von iurare c. acc. (wie 351 maria
aspera iuro, XII 816) bürgerte sich seit der cäsarischen Zeit (Cic. ep. fam.
Vn 12, 2; Catull 66, 40 aus Kallimachos übersetzt) aus dem Griechischen
ein: vergl. Brenous, Etüde sur les hellenismes dans la syntaxe latine,
Paris 1895, 215; der kürzlich von Grienberger, Indog. Forsch. VI 1900,
342 f. gemachte Versuch, die Konstruktion schon auf der Dvenosinschrift
nachzuweisen, ist nicht überzeugend. Iurare et fallere vertritt das metrisch
unbrauchbare peierare. — 325 ff. Die Antwort befolgt die Reihenfolge
der Fragen (320), imd 325 wird über 326 hinweg in 327 ff. ausgeführt
(vergl. Donatus); die Umstellung von 325 und 326 ( Ribbeck ^) oder
325. 328. 326 (Kloucek) ist also falsch. Über die Nennung Charons,
nach dem Aeneas nicht gefragt hatte, s. o. S. 215. — inops inhumataque
(turba): ersteres wird durch letzteres bestimmt (s. z. 24 f.): so nennt
Lucrez VI 1241 die Unbegrabenen opis cxpertes. — 32 7 f. nee ripas datur
horrendas et rauca fluenta \ transpcrrtare. Vor Vergil ist fluenta nur bei
Lucrez V 949 überliefert, aber da Catull, der von Lucrez nicht beeinflußt
ist, 64, 52 fluentisonus zu bilden sich erlaubt, muß das Wort älterer
Poesie angehören. Aus Anlehnung an überlieferte Phraseologie mag sich
auch die große Kühnheit der Verbindung ripas et fluenta transportare
erklären (ia Prosa = mortuos ex ripa flumen transportare). — 328 sedibus
ossa quierunt, vergl. 371 sedibus ut saltem placidis in morte quiescam,
b. 10, 33 molliter ossa quiescant. Das älteste Vorkommen der 'Quiescat-
formel' ist nach J. Church, Arch. f. Lex. XI (1900) 226 Ennius tr. 312
ubi (sc. in sepulcro) corpus requiescat mälis, dann erst wieder Vergil
(und TibuU). Unten 655 steht tellure repostos, was der Form wegen
ennianisch zu sein scheint (s. z. 24). — 329 centum errant annos voli-
tantque haec litora circum (die Unbegrabenen): vergl. über diesen Glauben
Einleit. S. lOf. — litora circum Versschluß = Lucr. IV 320. Die In-
version zweisilbiger Präpositionen, besonders am Versschluß und öfter
nach Pronomina als Substantiven (in unserem Buch noch 114 vires ultra,
706 hunc circum 708 Candida circum \ lüia fimdtmtur, 430 hos iuxta
815 quem iuxta 451 f. quam . . . iuxta) ist für uns in hexametrischer
Poesie zuerst in Ciceros Aratübersetzung (Jias inter, hanc . . . propter,
Corpora propter, pedes subter etc.), dann besonders bei Lucrez nachweisbar.
Daß sie aber, was auch wegen der Übereinstimmung von Cicero, Lucrez
und Vergil wahrscheinlich ist, möglicherweise schon bei Ennius vorkam,
zeigen plautinische Beispiele (mit erga, penes, propter), die von H. Dege-
ring, Beitr. z. bist. Syntax d. lat. Sprache (Erlangen 1893) 33ff. , wo
222 KOMMENTAR
ungenau über die Sache gehandelt ist, teils vergessen sind, teils durch
Konjektur beseitigt werden. Ursprünglich hat diese echtitalische Post-
position mit der analqgen des Griechischen natürlich nichts zu schaffen,
hat sich dann aber mit dieser vermischt, so daß, wie so häufig in der
Syntax, altlateinischer Brauch sich mit importiert griechischem kreuzt
und eben durch diesen konserviert wird. Besonders kühn ist die Stellung,
die Vergil wohl nur im letzten Buch der Aeneis 638 hat: vidi oculos
ante ipse meos, wo die Inversion der Präposition verbunden ist mit der
freien Stellung von ipse, die Vergil nach griechischer Art (vergl. H. Boldt,
De liberiore collocat. verborum, Göttingen 1884, 34) auch sonst hat,
z. B. IV 223 nee super ipse sua molitur laude Idborem. Vergl. auch
unten z. 451 f. — 330 Die Antwort der Sibylle schließt, wie die Frage
des Aeneas 320, mit einem schweren spondeischen Vers (twm demum ad-
missi stagna exoptata revisunt), der durch die Ausfüllung des vierten und
halben fünften Fußes mit einem Worte noch ein besonderes Ethos erhält
(s. Anhang VII B 2a). — 331 constitit ÄncJiisa satus et vestigia pressit
mit Prothysteron der Verben, eine Bestätigung für die zu 159. 197 auf
Grund anderer Indizien geäußerte Vermutung, daß vestigia pressit eine
ennianische Floskel sei (s. z. 115 und Anhang II 2) Archaisch ist auch
Anchisa satus, s. z. 125. — Über die markante Stellung von constitit —
pressit s. Anhang IIIA 2. — 332 Wie Aeneas hier das Schicksal der
Seelen mitleidig überdenkt (multa putans sortemque animi miseratus ini-
quam), so heißt es von ihm bei Naevius bell. Poen. I fr. IV Vahlen: ei
venit in mentem hominum fortu/nas; die Übereinstimmung ist, da Vergil
das naevianische Epos bezeugter Maßen gelesen und sachlich benutzt hat
(Macrob. s. VI 2, 31. Serv. D. z. aen. I 198), wohl nicht zufällig.
2. Zusammentreffen des Aeneas mit einzelnen Seelen
333 — 383, Auf die kurze Nennung einzelner von Aeneas im Sturm
(I 113ff.) verlorener Genossen (333 — 36 TexpdKUüXov) folgt die Be-
gegnung mit Palinurus 337 — 83 als Hauptstück. Dieses ist drei-
teilig: 1. Einleitung 337 — 41 adloquitur (leTpdKUuXov -f" biKUuXov). —
2. Thema: a) Rede des Aeneas 341 quis — 346 (rpiKuuXov), b) Rede des
Palinurus 347 — 71 a) Prooemium 347 — 48 (zwei Kommata) ß) Narratio
349—61 (vier Perioden: 349 — 51 TpiKiuXov, 351 — 54 TpiKOiXov, das
zweite kujXov mit zwei KÖ|Li)uaTa, 355 — 57 rpiKUjXov, 358 — 61 rexpa-
kujXov, das dritte koiXov mit zwei K6|a|LiaTa) y) Übergang zum Epilog
362 (zwei KÖ|U|LiaTa) b) Epilog (commiseratio: 370 miscr) 363 — 71 (drei
Perioden: 363 — 65 biKUüXov, das zweite küjXov mit drei KÖ)LijuaTa,
365 — 66 rpiKUjXov, 367 — 71 xeTpdKiuXov, das erste küjXov mit zwei
KÖ|Li)LiaTa), c) Rede der Sibylle 372 — 81 (nach dem Einleitungsvers 372
mit zwei K6|a|LiaTa zwei Perioden: 373 — 76 TpiKtuXov, das zweite kujXov
mit zwei KÖ)Li)LiaTa, 377 — 81 TexpdKiuXov , das dritte kuüXov mit drei
KÖ)Li|aaTa). — 3. Schluß 382 — 83 (öikujXov, das erste kujXov mit zwei
KÖjuiLiaTa).
333 cernit ibi maestos et mortis honore carentes mit gewählten
Alliterationen (Schema abba); mortis honore carere für das prosaische
sepulturae honore carere Cic. de sen. 75. — Wegen der sehr seltnen
Caesuren mortis \ honore \ carentes besteht die Möglichkeit der Benutzung
ennianischer Phraseologie: s. z. 140. — 334 Lyciae ductorem classis
VERS 329—337. 223
Oronten. Für dassis gleich darauf (336) navis, also heißt es dpxaiujc
'Aufgebot' 'Mannschaft' wie in 602. VII 716, vergl. unten 697. Auch
ductor ist altertümlich: Accius 522 AcMvis dassibus dudor (sicher emen-
diert für audor)^ Lucrez I 86 Danaum dudorcs; vergl. Servius zu 11 14
^diidores' sonantius est quam ^duces': quod Jieroum exigit carmm. —
Über das Schwanken der Hss. zwischen Orontem und Oronten s. An-
hang VI 6. — Für die Namengebung Orontes vergl. A. Heeren, De choro-
graphia a Valerio Flacco adhibita (Göttingen 1899) 11 f., wo nachgewiesen
ist, daß Vergil viele von Ortsnamen abgeleitete nomina propr. teils über-
nahm (so Orontes)^ teils selbst neu bildete. — 335 ab Troia P^, a Troia
MP2ß. Ähnliches Schwanken HI 149 {ah Tr. FP^ a Tr. MP^). Daß der
Praxis Vergils ah entspricht, hat Ph. Wagner, Quaest. Virg. 387 wahr-
scheinlich gemacht, vergl. Ribbeck prol. crit. 388, Arch. f. Lex. X 1898, 374.
— ventosa per aequora vedos: Catull 64, 12 ventosum — aequor (Ursinus)
und 101, 1 midta per aequora redus. Vergil hat diesen Versschluß oder
ganz ähnliche noch öfters: g. I 206 ventosa per aequora vedis, a. VI 692
quanta per aequora vedum, I 376 diver sa per aequora vectos, Vn 228 vasta
per aequora vedi; an den beiden letzteren Stellen hat die imigebende Phraseo-
logie ennianisches Kolorit. Daß Catull die Phrase multa per aequora vectus
nicht geprägt hat, ergibt sich mit Wahrscheinlichkeit aus der für seine Praxis
höchst seltenen trochäischen Caesur im 4. Fuß (nach W. Meyer, Sitzungsber.
d. Münch. Ak. 1884, 1059 nur noch dreimal, und nie im Epyllion, s. auch
z. 130 imd Anhang VII B 2b). — 336 ohruit auster aqua mvölvcns navem-
que virosque ein in zweifacher Hinsicht von der üblichen Technik abweichen-
der Vers: fehlende Nebencaesur bei der Hephthemimeres (s. Anhang VII B 2c)
und seltne Synaloephe des iambischen Worts (s. ebenda XI 2 B 5). Durch
den Versschluß mit dem doppelten que, eine von Ennius nach griechischem
xe — T€ eingeführte, für den Vers sehr bequeme Praxis (in unseren Ennius-
Fragmenten 9 mal überliefert), mochte Vergil sich berechtigt fühlen, auch
im Versinneren die Strenge der entwickelten lateinischen Technik zu
lockern; hat er doch auch in einem so gebildeten Versschluß VII 32 dr-
cumque supraque gegen seine sonst feste Praxis süpra zugelassen (Ennius
mißt an der einzigen Stelle, wo uns von ihm das Wort überliefert ist,
epigr. 7, süpra, also wie stets Plautus) und IX 767 Koemonaque Pry-
tanimque nach € 678 Nor||Liova re TTpuiaviv re mit der im Anhang X
behandelten griechisch-ennianischen Lizenz. Auch Ovid fühlte que — que
als Gräzismus, denn m. VIH 22 armaque equosque Jidbitusque Cydoneasque
pharetras stellt er das erste que in Synaloephe mit einem mehrsilbigen
Wort statt wie sonst immer (vergl. Schaper, Progr. Insterburg 1862, 13)
mit einem einsilbigen (cornaque et, antraque et, membraque et, muitaque ut),
und schließt den folgenden Vers nach griechischer Art Europaei. — auster.
Eigentlich, war es der aquilo, durch den die Flotte von Sizilien nach
Karthago verschlagen wurde, aber auch im I. Buch, wo der Sturm be-
schiieben wird, nennt er gerade nur südliche Winde (85 f. 536), ein
deutliches Beispiel für das bloß konventionelle Moment solcher speziali-
sierenden Bezeichnungen.
337 — 383 Die Palinurus-Episode wird wie die sachlich ver-
wandte Misenus-Episode auf die zeitgenössischen Leser auch wegen des
Lokals Eindruck gemacht haben: das Vorgebirge Palinurus passierte man
224 KOMMENTAR
auf der Fahrt nach Sizilien (vergl. Horaz od. III 4, 28) und Velia war
Badeort (Horaz ep. I 15). Die Popularität der Legende zeigt sieh auch
darin, daß Palinurus als typischer Name eines Steuermanns begegnet:
CIL VI 23730 setzt Tiphus (d. i. Ti9uc) seinem Bruder Palinurus ein
Denkmal (vergl. Gardthausen, Augustus u. s. Zeit 11 521, 16). — Diese
Episode ist für die Art, wie Vergil arbeitete, besonders lehrreich. Seine
Absicht war anerkanntermaßen, die Begegnung des Odysseus mit Elpenor
(\ öljff.) auf Aeneas und Palinurus zu übertragen; das lag um so näher,
als auch Elpenors Grab durch die Legende auf italischem Boden (bei
Circei) lokalisiert worden war (Theophr. h. pl. V 8, 3. Skylax 6). Wir
haben nun zu untersuchen 1. die Legende als solche, 2. ihre Überlieferung,
3. die Art ihrer Bearbeitung durch Vergil.
1. Über den Ursprung der Legende (die kürzlich von 0. Immisch
in Koschers Lex. d. Mythologie s. v. 'Palinurus' behandelt worden ist)
belehrt uns das aiTiov, in das sie, wie die Misenus-Episode , ausläuft
378 — 81: die Eingeborenen, durch Prodigien getrieben, setzten dem von
ihnen barbarisch ermordeten Palinurus ein Kenotaphion, an dem sie
opferten und von dem der Ort seinen Namen trägt. Hierzu bemerkt
Servius: de historia hoc traxit Lucanis enimpestüentia lahorantibus respondet
oraculum manes Palinuri esse placandos, oh quam rem non lange a Velia
ei et lucum et cenotaphium dederu/nt. Die Güte dieser Nachricht kann ich
noch beweisen. In dem berühmten Bericht Herodots (I 167) über den
großen Zusammenstoß der karthagisch - etruskischen Seemacht mit der
phokäischen bei Alalia hören wir, daß, als nach der Schlacht die Ein-
wohner von Caere (Agylla) die gefangenen Phokäer gesteinigt hatten,
furchtbare Prodigien sie zwangen, sich an den delphischen ApoUon zu
wenden, der ihnen befahl, den Getöteten zu opfern und Agone auszu-
richten, ein Brauch, der zu Herodots Zeit noch bestand. Das, was Vergil
und Servius von Palinurus berichten, ist also eine Parallelerzählung, die
in der neuen Heimat der Phokäer, dem nach der Schlacht von ihnen im
Lucaner(Oenotrer) lande gegründeten Velia, lokalisiert worden ist. In
Etrurien waren es die wilden Tyrsener, die den Frevel an den Hellenen
begingen, hier die barbarischen Ureinwohner Oenotriens, die das Strand-
recht nach Piratenart in grausamster Form ausübten, hier wie dort Pro-
digien, Orakelbefragung, Sühnung.
2. Daß Vergil den Stoff so wenig wie die Misenus-Legende als
erster behandelte, ist sicher: Ol öe (Tuv tlu Aiveia irXeovTec dirö ZmeXiac
bid ToO TuppTiviKoG TTeXdtYOuc irpiuTov |uev ujpiuicravTO rfic MraXiac Kaia
Xiluieva TÖv TTaXivoupov, oc dqp'evöc tujv Alveiou KußepvriTuJv xeXeu-
xrjffavTOC auiöGi rauiric Tuxeiv Xetexai xfic ovojuaffiac sagt Dionys.
Hai. I. 53, 2 unmittelbar vor seinem Bericht über Misenus (s. o. S. 177),
und Solinus 2, 13 (p. 35, If. Momms.^) verbindet beide Legenden gleich-
falls: a gubernatore Äeneae appellatum Palinurum, a tubicine Misenum.
Nun ist schon o. S. 175 bemerkt worden, daß Dionys und Solin auf Varro
zurückgehen, der auch Vergils direkter Gewährsmann gewesen sein wird.
Daß Varro in letzter Instanz von Timaios abhängt, dürfen wir auch in
diesem Falle, wie bei der Legende von Misenus, als in hohem Grade
wahrscheinlich bezeichnen. Denn dasselbe aiTiOV, das wir hier bei der
Palinurus-Legende haben, heroische Verehrung des Ermordeten, kehrt in
VERS 337—383. 225
mehreren sicher von Timaios berichteten KTiCTeiC Unteritaliens wieder.
So erzählt Lykophron 922 flF. nach Timaios, daß Philoktet, als er den
rhodischen Kolonisten in Bruttium zu Hilfe gegen die dortigen Einwohner
kam, von letzteren ermordet, dann aber göttlicher Ehren durch Opfer-
spenden teilhaftig wurde, vergl. die ganz ähnlichen Legenden ib. 732 ff.
(Neapel) 1047 ff. (Apulien) 1126 ff. (Daunien). Es kommt hinzu, daß
Trogus Pompeius, der, wie noch aus dem Exzerpt Justins ersichtlich ist,
in seinen Erzählungen italischer KTiffeic stark von Timaios beeinflußt
wurde (vergl. Geffcken, 1. c. [o. S. 120] 71 ff.), nach dem Prolog zu XVm
die origines Veliae behandelt hat. Die dem Vergil überlieferte Legende
umfaßt also folgende Hauptzüge. Ein Orakel ApoUons verhieß dem
Palinurus, das Meer werde ihn wohlbehalten an die Grenze Italiens
bringen (344 ff.). Das Orakel geht in Erfüllung, aber in anderem Sinne,
als man erwarten konnte: Palinurus, im Sturm von Bord gerissen, rettet
sich zwar durch Schwimmen an die ihm verheißene Grenze, aber in dem
Augenblick, wo er sie mit Händen faßt, wird er von barbarischen Strand-
räubern erschlagen (347 — 61). Ein Pestprodigium veranlaßt die Be-
wohner des Landes, das delphische Orakel zu beschicken. Dieses verheißt
Lösung, wenn dem Ermordeten heroische Ehren an dem Platz des Mordes
erwiesen sein würden. Seitdem trägt der Ort den Namen von Palinurus
(378 — 81). Also eine typische kolonialgeschichtliche Legende.
3. Dies Material hat Vergil im Stil der aetiologischen Poesie be-
handelt. Das aiTiov steht, wie üblich (s. o. S. 193), am Schluß (378 ff.)
und enthält die für diese Art von Poesie charakteristischen Momente
(vergl. G. Knaack, Analecta Alexandrino-Eomana, Greifs wald 1880, 14 ff.),
nämlich Gr\iia (tumulus 380) Kai i<JTOpir| (Entstehung des Kults 378 f.);
es wird mit geschickter Ausnutzung der Situation der Sibylle in den
Mund gelegt, der Prophetin, aus der ApoUon spricht. Schwieriger war
es, die Legende dem Plan der Nekyia, also dem homerischen Eahmen,
einzufügen. Auch dies erreicht Vergil durch Anlehnung an ein Motiv
der hellenistischen Poesie. Aus der Kombination von Horaz I 28, wo das
eiöuuXov eines Ertrunkenen vom vorbeifahrenden Schiffer ein Begräbnis
fordert, und Properz I 21, wo das eibiuXov eines Erschlagenen einem
auf dem Schlachtfeld vorbeieilenden Flüchtling Aufträge gibt (vergl.
über dies Gedicht Leo, Gott. gel. Anz. 1898, 743), haben wir zu schließen,
daß dies ein Motiv der alexandrinischen Dichtung gewesen ist; es war
bereits von Euripides Hec. Iff. (eibuuXov des Polydoros um Bestattung
bittend) vorgebildet. Verwandt sind Properz IH 7 und Ovid m. XI 562 ff.
(Nikander?), wo Ertrinkende von einem erhofften Begräbnis sprechen.
Vergil hat also, indem er sich einerseits für die Situation im Hades an
Homer, andererseits für die besondere Einkleidung seines Themas (Bitte
eines Toten um Beerdigung) an hellenistische Poesie anlehnte, das eibujXov
des ermordeten Palinurus dem Aeneas im Hades erscheinen lassen und
an dessen Bitte um ein Begräbnis (365 mihi terram inice) die Legende
angeknüpft, nach der ihm ein Kenotaphion mit heroischen Ehren zu-
teil geworden war. Es ist mühsame Arbeit, aber die Ausführung ist
geschickt und, was im Geist dieser gelehrten Poesie eine Empfehlung
war, ohne eigne 'Erfindung'. Wie eng er sieh an die uns verlorene
Spezies von Poesie auch in Einzelheiten angeschlossen haben mag, lassen
Vbbgii, Buch vi, von Norden. 15
226 KOMMENTAR
einige kleine, uns aus hellenistischen Epigrammen bekannte Züge ver-
muten. Denn wenn er 351 den Palinurus bei dem wilden Meer schwören
läßt (maria aspera iuro), so ist solche Apostrophe eines Schiffbrüchigen
ans Meer ein dort geläufiges Motiv: vergl. Asklepiades A. P. VII 284
Tprixeicx GdXacTffa und andere Stellen bei J. Geffcken, Leonidas v. Tarent
in Jahrb. f. Phil. Suppl. XXIII 1896, 50. Wenn er ferner 371 den
Palinurus darum bitten läßt, ihm wenigstens im Tode ein ruhiges Grab
zu gewähren (sedibus ut saltem placidis in morte quiescam), so ist auch
dieser Gedanke in der genannten Art von Poesie sehr häufig. So sagt
A. P. VII 278 (Archias) ein Schiffbrüchiger, der, wie Palinurus, von den
Wellen am Strand hin und her geworfen wird: oube GavÜJV Xeir) kekKi-
|aai fiCJuxii^: also der gleiche Gedanke, bloß in negativer Fassung.
337 f. ecce: schol. Dan. zu II 203 cum ex improviso vult aliquid
ostendere, 'ecce' ponit; ähnlich andere alte Interpreten (vergl. V. Burckas,
De Ti. Donati comm., Jena 1888, 31). — sese agebat uns sonst nur als
KiJU)aiKfi XeHic geläufig. Da Vergil es aber hier und Vm 465. IX 696
(stets bei Eigennamen und am Versschluß) im hohen Stil gebraucht und
die Stelle des VIII. Buchs auch sonst ennianisches Kolorit zeigt, so
werden wir es dem alten Epos vindizieren dürfen, s. z. 57. — Auch in
338 sidera servat (vergl. g. I 335 sidera servd) läßt die altertümliche
Bedeutung von servare (s. o. S. 186), die Ennius zweimal hat (a. 83 f.), im
Verein mit der von demselben bei diesem Wort angewandten Alliteration
(ann. 102 summam servare), auf älteren Ursprung schließen. — Libyco
cur SU im Widerspruch mit Buch V, wonach Palinurus auf der Fahrt von
Sizilien nach Cumae verunglückt. Überhaupt sind die Palinurus-Episoden
beider Bücher vom Dichter noch nicht endgültig redigiert und in Be-
ziehung zu einander gesetzt worden, vergl. Conrads 1. c. (z. Iff.) p. XXIII f.,
Schüler 1. c. (z. llOff.) 31, Sabbadini 1. c. (ibid.) 77. — 340 multa
maestum cognovit in urnbra malerische Spondeen mit Alliteration. —
342 medio . . . aequore 'auf offner See' wie III 104 medio ponto {^longe
a continenti' Servius; vergl. schol. Dan. zu III 270); ebenso gr. jueCToc
TTÖpoc, iLiecTOTTOpeiv. Der Sturm hatte das Schiff aus seinem Kurse, längs
der Küste, verschlagen. — eripuit — mersit: über die Wortstellung s. An-
hang III A 2. — 343 f. fallax haud ante repertus (Apollo): Aesch. Cho.
546 K. dvaH 'AttöXXuüv, indvTic dvpeubfic tö Trpiv (Germanus). — responso
animum: für die Synaloephe s. Anhang XI 2 B 4. — 345 f. fines . . ven-
turum Ausonios mit einer Erweiterung der Gebrauchssphäre des Ziel-
akkusativs, die wir zuerst bei Vergil finden: vergl. Landgraf, Arch. f. Lex.
X 1898, 391 ff., unten zu 542. 638. 696. — 346 en haec promissa fides
est. Über en treffend Donatus zu Ter. Phorm. 348: en habet vim indigna-
tionis post enarratam inluriam. — fides est wohl eine Verbindung des täg-
lichen Lebens (z. B. Plaut. Amph. 80 si Ulis fides est), die hier eine nur
durch die Enklisis gemilderte Härte in die Bildung des Versschlusses
bringt, s. Anhang IX. Durch diese dura et dbrupta clausula (vergl. Quin-
tilian IX 4, 61 f.) hat er, wie Scaliger in der Poetik bemerkt (1. IV c. XL VIII
p. 484 der Ausgabe von 1607), die indignatio des Aeneas malen wollen.
Ähnlich, aber weil ein Monosy Ilabon vorhergeht, nicht ganz so hart,
unten 466 extremum fato quod te adloquor hoc est (ebenfalls Schluß einer
affektvollen Rede des Aeneas).
VERS 337—355. 227
347 ff. Die Rede des Palinurus ist, auch abgesehen von ihrer kunst-
vollen Disposition und Periodisierung (s. o.), mit manchen Kunstmitteln
im einzelnen ausgestattet. Gleich zu Anfang steht ein Parison mit
Homoioteleuton : 347 f. neque te Fhoehi cortina fefdlit <^ nee me detis
aequore mersit, 350 gleichfalls: haereham custos ^^ cursusqne regebam,
353 ein Isokolon (navis) spoliafa armis = excussa magistro (je 6 Silben),
wo dem Pararellismus zuliebe der zweite Ablativ kühn an den ersten
assimiliert ist: Servius ^excussa magistro' nove dixlf, nämlich für spoliata
magistro, was er V 224 hat (s. Anhang 11 3). Bemerkenswert sind femer
die vielen Homoioteleuta in den Caesuren: 349 gubernaclum — revolsum 350
haereham — regebam 352 uUum — tantum 354 tantis — undis 357 summa —
tmdä 358 adnabam — tenebam 361 invassiset — putasset 365 his — malis.
Endlich Anaphern 347f. 363f. 367 und sehr viele Alliterationen: 350.
51. 52. 55. 56 (vexit — violentus sc. notus wie 362 versant — venti: über
die (pOaic des v s. z. 833). 57. 58. 60. 61. 64. 65. 66. 69. 70. 71.
347 cortina aus älterer Poesie, da Lucüius 245 L. eortinipotens hat
(s. Anhang I); oraculum (oi'aclum) war für den Hexameter unbequem. —
349 namque gubernaclum midta vi forte revolsum-. Ennius a. 160 atque
gubernator, Cicero Arat. 157 atque gubernaclum an den Versanfängen.
revolsum: durch den Schaft des Steuerruders war ein Quernagel getrieben:
V 852. X 218, vergl. Segebade 1. c. (z. 3f.) 14. — 350 cui (gubernaculo)
datus haereham custos cursusque regebam. Der Dativ sowohl zu datu^
custos als zu haereham (V 852 f. clavomque adfixus et haa-ens | nusquum
amittebat von derselben Sache). Letztere Verbindung war von den Augusteem
eingeführt: Hör. s. I 10, 49 haerentem capiti . . . coronam, od. I 32, 9 f. Uli
(Veneri) haerentem puerum, vergl. H. Kern, Progr. Schweinfurt 1881, 6 f.
G. Landgraf, Progr. München 1899, 20 f. Aber bei Appellativen gebraucht
sie Vergü nur einmal, um das metrisch lästige latere (w w J) zu umgehen
rV 73 haerct lateri letalis harundo, wie er auch neben anderen Verben
solche freien Dative bei Substantiven nui' dann braucht, wenn deren
Ablativ drei Kürzen ergeben hätte: H 553 lateri . . . ahdidit ensem (wo
0. Keller, Gramm. Aufs. 358 ff. fälschlich an einen Lokativ denkt, s. z. 652)
X 270 ardet apex capiti VIII 432 metum . . . miscehant operi. — 353 Me
codd., ni ßufinianus p. 56 Halm, letzteres von Ribbeck aufgenommen.
Ni (älter nei\ ursprünglich bloße Negation, bedeutete in der alten Sprache
sowohl 'wenn nicht' als 'damit nicht', indem sich die reine Negations-
parataxe teils nach der kondizionalen, teils nach der prohibitiven Seite
entfaltete. Das prohibitive ni war aber schon vmi 50 v. Chr. infolge
analogetischer Sprachregelung nur noch eine Seltenheit (Ritschi, op. II 625,
0. Brugmann, Progr. Leipzig 1887, 33), mag es sich auch sporadisch
später noch finden (vergl. carm. epigr. 1533, 7. 1542, 10): also bedürfte
es hier und an einer kritisch unsicheren Stelle HI 686 (XII 801 nur in P^)
besserer Beglaubigung, um für richtig gehalten zu werden. Das kon-
dizionale ni hat dagegen, wie es scheint, erst Vergil aus der gesprochenen
Rede in die hohe poetische Sprache eingeführt (so unten 359) und auf
seine Autorität hin gebraucht es Horaz einmal im IV. Odenbuch (6, 21;
s. dazu Kießling). — (navis) excussa magistro: die Metapher vom Roß
und Reiter (s. z. 79); das Schiff ist eine vaia dirrivri (Eur. Med. 1122).
— 355 hibernas immensa per aequora nodes: über die Stellung der
15*
228 KOMMENTAR
Attribute und Substantive s. Anhang III A 3, über den trochäisclien Ein-
schnitt in immensa \ per aequora oben zu 335. — 357 prospexi Italiam
summa suUimis ah wida nach e 392 f. ö b' apa (Txeööv eicJibe Y^ictv, |
öHu judXa TTpoibojv, jLietaXou iittö KU|naTOC dpöeic (Ursinus). Auch sonst
benutzt er hier diese Partie der Odyssee, vergl. 355 mit Od. 388, 358
mit 399, 360 mit 428; wie Odysseus auf einem Balken, so schwimmt
Palinurus auf dem losgerissenen Steuer (vergl. Heyne). — 358 paulatim
adnäbam terrae iam tuta tenebam. Servius: ^adnaham' et hie distingui
potest et ^adnabam terrae"; richtiger gesagt: terrae gehört otTTÖ KOivoO
als Dativ zu adnaham, als Genitiv zu tuta. Daß es von tuta tenebam
nicht durch stärkere Interpunktion getrennt werden darf, beweist die
Alliteration, die sich auch VIII 603 Tarcho et Tyrrheni tuta tenebant
nach rückwärts erstreckt. Da die beiden schließenden Worte an letzterer
Stelle sachlich wenig passend sind (vergl. Servius), so sind sie wahr-
scheinlich eine ennianische Floskel. — Die Spondeen malen hier wie
I 118 (apparent rari ncmtes in gurgite vasto) und 538 die Mühseligkeit des
Schwimmens. — 359 (me) madida cwm veste gravatum grammatische
Ausgleichung von me cum madida veste mit madida veste gravatum. Das
homerische Motiv (e 321) wird hinzugefügt, um die für das Ethos des
Eedenden notwendige Vorstellung von der Unmöglichkeit der Gegenwehr
hervorzurufen; ein analoger Kunstgriff gleich 361 und unten 520.
360 prensantemque uncis manibu^ capita aspcra m^ntis mit kunst-
voller Umgestaltung des homerischen Verses (1. c. 428) djucpoiepriffi b^
Xep(Tiv e7Te(J(Ji)|iievoc Xdße irerpTic, Für das dem reflektierenden Dichter
selbstverständliche Zahlwort tritt das malerische wncis (xeTpac aKpac
in analoger Sache Lykophron 759), füi- Xdße das drastischere prensare
ein: dies Verb ist in Ciceros Briefen und Horaz' Sermonen geläufig; da
es sich außerhalb des sermo cotidianus bei Livius findet, und zwar 10 mal
in der ersten Dekade, so werden es Livius und Vergil aus der poetischen
Sprache der archaischen Zeit haben. Besonders bemerkenswert ist die
Spezialisierung der homerischen ir^Tpri durch capita montis. Eine gewöhn-
liche Metapher ist radices montis:, da nun die Wurzeln der Pflanzen mit
einem schon bei Cato de agr. 33 vorkommenden Ausdruck capita hießen
(Vergil selbst g. II 355, womit die Interpreten vergleichen Aristoteles,
de long, et brev. vitae 6. 467 b 2 TÖ tap «vuj toO qpuTOU Kai KecpaXf)
f] p'xia. ecTTiv, vergl. noch de an. 114. 416 a 4), so sagt er hier capita
montis im Sinne von saxa montis, d. h. Klippen (vergl. 174 und g. III 239 f.,
wo die saxa vom mons unterschieden werden). Den Ausdruck wagt er,
um eine (uns frostig erscheinende) Antithese durch die Zusammenstellung
von capita mit manibus zu erreichen (s. z. 321). In der geläufigen, hier
ausgeschlossenen, Bedeutung 'Gipfel' eines Bergs steht Caput dagegen
rV 249. Caput ist in der Übertragung eben ein relativer Begriff: von
Flüssen heißt es sowohl 'Quelle' (z. B. VIII 65) als 'Mündung' (z. B. Caesar
b. G. IV 10). Ganz analog fastigium, vergl. Servius zu I 438 ^fastigia'
nunc operis summitates , alibi ima significat, ut ^forsitan et scrobibus quae
sint fastigia quaeras' (g. II 288; vergl. denselben zu aen. II 758). — Übrigens
entspricht die Terrainschilderung der Wirklichkeit: nach W. Schleuning,
Velia in Lucanien (Jahrb. d. arch. Inst. IV 1889, 174) ist der Burghügel
von Velia, den früher das Meer bespülte, mit Steinen übersät.
VERS 357—366. 22^
361 ferro invasisset praedamque ignara putasset: Parataxe mit
ücTrepov TrpÖTepov der Begriffe wie gleich 365 f. terram | inice . . . por-
tusque require Vdinos: s. Anhang II 2. — Wenn Vergil den Palinurus
es nicht aussprechen läßt, daß die Strandräuber ihn ermordet und den
Leichnam ins Meer geworfen haben (vergl. Leonidas Tar. A. P. VII 654
von Strandräubem: ibc Kai e)ie TtXuüOVTa CTuv ouk eiiTTiovi cpöpTLU |
KpriTttieTc uiaav Ti)liu)Xutov Ka6' dXöc nach Euripides' Vorbild Hec. 25 f.
KTcivei |Li€ . . . Ktti Kxavüjv ec olbjx' ctXoc ^eeflK€), sondern es den Leser
aus den Worten 361 f. (ni gens cruddis) .... ferro invasissd praedamque
ignara putasset: \ nunc me flu^us habet versantque in litore venti sich er-
gänzen läßt, so werden wir diese Sparsamkeit, die wieder dem Ethos
des Redenden dient (s. z. 359), loben statt mit Ribbeck nach 361 einen
Ausfall von Versen, in denen das ausdrücklich gesagt worden wäre, an-
zunehmen. Dasselbe Kunstmittel des Verschweigens in der Deiphobus-
Episode 529 f. (s. dort zu 509 ff.). — 362 nunc me fluctus habet versantque
in litore venti: Eurip. 1. c. 28 Keijaai b'eTr' OKTaTc, aXXor' ev ttövtou
adXo) (Ursinus). Vergl. auch Lucan VIII 6 98 f. littora Pompeium feriunt
trwncusque vadosis \ huc illuc iactatur aquis. Richtig verstanden hat
unsem Vers auch Dante Purg. ITC 130.
363 ff. Affektvolle commiseratio (nach X 6 6 ff.) in einer kunstvollen
Periode wie 119 ff. imd 11 141 ff. — per spes surgentis luli (= X 524).
Die Bitte per spes alicuius ebenso Phaedrus app. 26, 3 per te oro superos
perque spes onmes tuas, also nach dem Leben. Surgere hier und IV 274
Ascamum surgentcm et spes heredis luli mit neuer Metapher: aus welcher
Sphäre, zeigt Columella 11 8 semen surgit VI 23 frutex surrecturus in
altitudinem', Vergil wurde darauf geführt, weil ihm spes als Ausdrucks-
weise sowohl des agricola (vergl. Hör. ep. I 7, 87 spem mentita seges
Tib. 11,9 nee spes destituat, sed frugum semper acervos | praebeat, er
selbst g. ni 473 spemque gregemque) als des pater familias (z. B. Caes.
b. G. Vn 63 summae spei adolescentes , Tac. Agr. 9 egregiae spei filid)
geläufig war. Ovid schwächt die Metapher durch crescenÜs luli (m. XIV 583)
ab. — 365 invide: Ennius a. 321 Scipio inmde. — terram inice: Ennius
tr. 126 terram inicere, — Über die Art des Versschlusses tu mihi terram
s. Anhang IX. — 366 portusque require Velinos. Über den Anachronis-
mus s. o. S. 112. — Velia hat, soweit die Terrainveränderung ein Urteil
erlaubt, nur einen Hafen besessen (F. Munter, Velia in Lucanien, Altona
1818, 18f. und Schleuning 1. c. [z. 360] 173). Der Plural dient hier
nicht wie V 813 tutus quos optas portus accedet Averni metrischer Be-
quemlichkeit (s. Anhang V), sondern vermutlich der Euphonie : portusque —
Velinos ist nach dem im Anhang FV erörterten Brauch wegen der diffe-
renzierten Endungen melodischer als portumque — Vdinum. Aus analogem
Grund Ovid met. XTV 232 Aeoliique ratem portus repetisse tyranni: zur
Vermeidung von ratem portum; her. 2, 92 cwm premerd portus classis
itura meos 6, 142 intrasses portus, tuque comesque meos und ebenso sein
Nachahmer her. 17, 198 et teneant portus naufrage membra tuos: ojioiö-
TTTUJTOV in der Diaerese des Pentameters, im allgemeinen beliebt, ist gerade
bei -um auffällig selten. In aen. VH 22 delati in portus neu litora dira
subircnt mag der erste Plural wegen der Responsion mit dem zweiten
gewählt sein (s. Anhang II 3); doch ist bemerkenswert, daß Aristoteles
230 KOMMENTAR
Ehet. ni 6. 1407 b 33 gerade XijLievec als rhetorisclien, von Dichtern eic
öfKOV Tf]C XeHeuuc gebrauchten Plural anführt (vergl. Maas 1. c. [z. 4] 492).
— 368 (sine) numine divom Versschluß Catulls 64, 134, aber wahr-
scheinlich ennianisch: s. Anhang I 3; nee . . . sine numine divom entspricht
OUK oteKTiTi 0eu)v: vergl. C. Weyman, Jahrb. f. Phil. Suppl. XV 1887, 549.
— 370 da dextram misero: Y 75 (Schatten des Patroklos zu Achill)
Kai |iioi böc Triv X^^P'. öXoqpupoiuai (Heyne). — 372 talia fatus erat
ennianische Floskel: s. Anhang I 2. — 374 f. am/nemque severum \ Eume-
nidum aspicies ripamve iniussus adihis. Mit dem Strom der Eumeniden
ist der Cocytus gemeint, wie außer den KiükutoO Kuvec bei Aristophanes,
Frösche 472 (s. oben z. 131 f.) Vergil selbst lehrt an einer Stelle der Geor-
gica, wo er auf seine Nekyia vorausdeutet: III 3 7 f. Furias am^emque
severum \ Cocyti. Auch Statins Th, I 89 f. läßt Tisiphone am Cocytus
sitzen (Gerda) und die Erinyen werden mit diesem zusammen genannt
auch Anth. Pal. VII 377. Über den Widerspruch dieser Lokalisierung
mit derjenigen anderer Stellen unseres Buchs s. o. S. 209. — Über das
lidiepov TtpÖTepov der Begriffe aspicies — adibis s. Anhang II 2. Für adihis
hat Servius die schlechte Variante abibis, die auch Donatus interpretiert.
— iniussus ist ein uns zuerst bei Horaz (epod. 16, 49, sat. 13,3) be-
gegnender Versuch, mit Hilfe des älteren iniussu ein dem Lateinischen
fehlendes Adjektiv in der Bedeutimg von ^kOüv, auTÖ)LiaTOC zu schaffen.
Viel Glück hat das Wort nicht gehabt: Vergil hat es in seinen drei
Werken wohl nur je einmal und auch die Späteren blieben trotz Vergils
Autorität sehr zurückhaltend.
376 desine fata deum flecti sperare precando. Wie er sonst Anti-
thesen gern in einem Vers zusammenfaßt (s. z. 304), so auch sentenziöse
Gedanken wie unten 620 discite iusUtiam moniti et non temner e divos
V 710 quidquid erit, super anda omnis fortuna f er endo est. Dieselbe
Praxis ist uns in hexametrischer Poesie besonders aus den sentenziösen
|Liovöö"Tixa der horazischen Episteln geläufig. — Mit desine begann ein
berühmter Vers des Ennius (Cic. de or. III 167). — fata deum wie
IV 614 fata lovis, wo das schol. Dan. richtig erklärt: 'fata^ dicta, id
est lovis voluntas; er übersetzt Aiöc ßouXr]. — Die Stoiker haben aus
der Unabänderlichkeit der 6i|Liap|aevTi die Nutzlosigkeit eines gegen diese
verstoßenden Gebets gefolgert: vergl. Seneca ep. 41, Oed. 980ff. und
besonders nat. quaest. 11 34 f. (z. B. ib. 35, 2 fata inrevocaUliter ins suum
peragu^t nee ulla comm^ventur prece). Nach dem o. S. 153 Bemerkten
darf es als sicher gelten, daß Vergil die vorliegende Yva)|nr| unter dem
Einfluß dieser den Gebildeten seiner Zeit geläufigen Ansicht konzipiert
hat; das bestätigt Seneca, wenn er ep. 77, 12 diesen Vers in folgendem
Zusammenhang anführt: quid optas? perdis operam: ^desine fata deum
flecti sperare precando': rata et fixa su/nt et magna atque aeterna neccs-
sitate ducu/ntur. Der berühmte Vers ist von Dante Purg. VI 30 übersetzt
worden.
37 8 ff. Die Eede schließt mit drei Versen, deren Schlüsse isokolisch
gebaut sind: ossa piabwnt, soUenmia mittent, nomen haheUt (s. Anhang 113).
Über die Wortstellung piabunt — mittent s. ebenda III A 2. — ßnitimi die
uepiKTiovec in einem Orakel bei Herodot VII 148. — soUcmnia miftere
eiriaiac ^opxac ireiHTreiv; mittere sakral schon auf der Dvenosinschrift.
VERS 368—392. 231
— 383 f. his dictis curae emotae pulsusque parumper | cor de dolor tristi,
gaudet cognomine terrae. Malerische Spondeen wie bei älinlichen Gedanken
in 153 tum sie adfari et curas his demere dictis V 708 isque Ms Aenean
solutus voeibus infit. Das malerische Moment wird durch die Alliteration
pulsusque parumper und corde — tristi — cognomine terrae (Schema ab ab)
noch gesteigert, so daß die Episode effektvoll abschließt. — Mit parumper
schließt Ennius fünf Hexameter, in alliterierender Verbindung ann. 74,
auch Lucrez IV 1116 (pausa parumper). Vergil hat das Wort nur hier
(wie partim wohl nur unten 862); Caesar meidet es gänzlich, dagegen
hat es der in seiner Sprache oft poetisch archaisierende Verfasser des
bell. Afr. 52, 2, und zwar gerade in derselben alliterierenden Verbindung
wie hier Vergil (pulst parumper), die also ennianisch sein wird. —
cognomine terrae codd., Nonius; c. terra Servius mit plautinischem Zitat
für adjektivisches cognominis. Da -e im Ablativ der Adjektive zwar seit
Ovid zur Erleichterung des Metrums an dieser Versstelle öfters zugelassen,
für Vergil aber noch nicht nachweisbar ist (Servius: quod communi genere
in *e' misit äblativum, metri necessitas fecit, ohne Beleg), so scheint es
sich zu empfehlen, bei der La. unserer Hss. zu bleiben. Allerdings hat
Livius V 34, 9 cognomine Insubribus pago.
3. Charon, Aeneas und die Sibylle 384 — 416, Nach kurzer
Einleitung (384 — 87: TexpdKUjXov, die einzelnen KiuXa mit den Versen
zusammenfallend) drei Teile: a) Charons Rede 388 — 97 (vier biKuuXa:
388 — 89, das zweite küüXov mit drei KÖ|U)LiaTa, 390 — 91, das erste k.
mit zwei k., 392 — 94, das erste k. mit zwei k., 395 — 97, das erste k.
mit drei k.); b) Eede der Sibylle mit einleitendem (398) und schließen-
dem Vers (407 tumida — 408 Ms)., die Rede 399 — 407 adgnoscas in drei
Perioden: 399 — 400 TpiKUüXov, 400 — 404 TerpdKOuXov, das erste kujXov
mit zwei KÖ)Li)LiaTa, 405 — 407 reTpdKuuXov; c) Überfahrt 408 üle — 416
in drei Perioden: 408 — 410 biKOuXov, das erste kujXov mit zwei KÖ)a-
inara, 411 — 14 TpiKuuXov, das dritte k. mit zwei k,, 415 — 16 |liovö-
KUuXov mit zwei KÖmtiaia.
In dieser Episode sind unverkennbar Motive griechischer xaraßdcTeic
benutzt. Folgende Züge lassen sich mit größerer oder geringerer Sicher-
heit feststellen.
a) Das Motiv vom Zorn Charons (407 ira, vergl. 387 increpat)
muß überliefert gewesen sein, denn es findet sich auch in einem Frag-
ment des Tragikers Achaios (beim Schol. Aristoph. Frösche 184 = fr. 11
p. 749N.^): x«ip' '^ Xdpuuv, r\ ttou cTqpöbpa 6u|lioT; (gesprochen vom
Chor der Satyrn).
b) Charon sagt 392 f. nee vero Aleiden me sum laetatus eu/ntem |
aecepisse lacu. Diese Worte bekommen ihre Pointe erst, wenn man sie
sich griechisch denkt: oube jitv 'HpaxXfia xo^P^ic bexö|Lir|V Kariövia,
denn das antithetische Wortspiel zwischen dem finsteren Xdpuuv und
XCtipeiv war sehr beliebt, so in dem eben zitierten Fragment des Achaios.
Nun bemerkt Servius: lectum est in Orpheo (fr. 158 Abel), qux)d quando
Hercules ad inferos descendit, Charon territus eum statim accepit, ob quam
rem anno integro in compedibus fuit. Keinesfalls ist hier der 'Orpheus'
Lucans gemeint (so wenig wie in dem Zitat zu g. II 389 lectum est in
Orpheo) j denn bei einem Zitat aus diesem nennt Servius (z. g. IV 492)
232 KOMMENTAR
den Namen des Dichters {Lucanus in Orpheo\ vergl. Ettig in Leipz.
Stud. XIII 376, 1, Dieterich 134, 1, Rohde, Psyche 11 179, 2). Also muß
das Zitat, wie schon Lobeck, Aglaoph. 812 f. erkannte, auf die Kard-
ßacTic bezogen werden, die unter Orpheus' Namen ging. Da nun
in dieser Orpheus selbst der KttTaßaiviuv war (das ergibt sich, wenn es
eines Beweises bedarf, aus Plutarch de sera n. v. 22, 566 C), so muß die
Situation dort dieselbe gewesen sein, wie hier bei Vergil: Charon er-
zählte dem Orpheus (wie hier dem Aeneas) seine Strafe für die Über-
fahrt des Herakles. So schon Ettig 1. c. 287.
c) Die Sibylle sagt vom Cerberus 400 f. licet ingens ianitor antro \
aeternum latrans exsangues terreat umhras. Das Motiv, daß die Toten
sich vor dem Beißen des Cerberus fürchten, hat Plutarch non posse
s. V. s. Epic. 27, 1105A (anders Apuleius m. I 15a. E.), und zwar neben
einem andern, das aus orphischen Mysterien bezeugt ist (Plat. Gorg.
493 BC): tuj Kepß^piu bmbdKvecrBai Kai (popeTv eic töv xpriröv. Der
Glaube ist nach dem, was Dieterich 49 über die mythologische Vor-
stellung vom Cerberus ermittelt hat, jedenfalls altertümlich.
d) 412 ff. accipit alveo \ ingentem Aenean. gemuit sub pondere cumha |
suülis et multam accepit rimosa päludem. Hier übernahm Vergil nach-
weislich das Motiv, daß der Nachen Charons rissig ist und durch das
Leck Wasser zieht, als überliefert: vergl. die von Wagner angeführten
Worte Lukians dial. mort. 10, 1 tö aKaqpibiov VTröaaöpöv effTi Kai
biappei xd TToXXd, dazu 4, 1 toO (JKaqpibiou xd dvetuYÖxa. Aber auch
das spezielle Motiv, daß der Nachen durch das Einsteigen eines gewaltig
schweren lebenden Körpers sich mit Wasser gefüllt habe, läßt durch
seine Besonderheit von vornherein vermuten, daß Vei'gil es nicht erfand.
Und da nun die Benutzung der 'HpaKXeouc Kaxdßaaic für Vergil
feststeht (vergl. zu 260 f. 309 ff.), so darf weiter vermutet werden, daß
dieses Motiv dort vorkam und von Herakles auf Aeneas durch Vergil
übertragen wurde. Für diese Vermutung sprechen folgende zwei Argu-
mente. 1) Seneca Herc. 7 75 ff. hat das Motiv tatsächlich von Hercules:
scanditque puppern, cumba populorum capax | succubuit wni: sidü et
gravior ratis \ utrimque Lethen latere tituhanti hibit. Die Annahme, daß
vielmehr Seneca auf Grund der Vergilstelle das Motiv von Aeneas auf
Hercules übertragen hätte, würde deshalb unwahrscheinlich sein, weil es
für Hercules besonders passend ist, der durch sein Gewicht selbst die
Argo fast zum Sinken brachte: Statius Theb. V 401 f. Diese Stelle und
die Senecas führt Leo, Seneca I praef. p. VII und 50, 1 zum Vergleich
mit dem Vergilvers an. 2) Lukian dial. mort. 10, 5 läßt Hermes zu
einem Athleten, der im Begriff ist Charons Nachen zu besteigen, sagen:
„entledige dich erst deines vielen Fleisches, denn sonst wird der Kahn
kentern, wenn du auch nur mit einem Fuß über seinen Rand trittst."
Der Humorist setzte travestierend den Athleten an die Stelle des mytho-
logischen Athletenideals.
e) 395 f. Charon von Herakles: Tartareum ille manu custodem in
vimla petivit \ ipsius a solio regis traxitque trementem. An diese Verse
knüpft sich ein lr\TY\\xa. Servius: ^ipsius a solio regis'. atqui Cerberus
statim (417) post flumina est. nam illic quasi est aditus inferorum,
solium autem Plutonis inferius est. ergo aut ad naturam canum referen-
VERS 384—387. 233
dimi est qui territi ad dominos confugimit aut sölium pro impcrio accipien-
dum est. Die Neueren haben entweder die erste Xu(TiC des Servius an-
genommen, die aber doch (samt der zweiten) bloß eine Ausflucht der
Verzweiflung ist, oder aber den Widerspruch, daß der Cerberus nach
vorliegender Stelle am Throne des Pluton tief im Hadesinnem (vergl.
541. 630), dagegen nach 41 7 ff. gleich am Tore des eigentlichen Hades
stationiert sei, als solchen anerkannt. Letzteres scheint nach dem o. S. 209
über die verschiedene Stationierung der Fui'ien Gesagten richtig zu sein.
Eine weitere Frage ist, ob die Worte ipsius a solio regis mit den vorher-
gehenden in vincla petivit oder mit den nachfolgenden traxitque trementem
zu verbinden sind. Wenn nun auch die letztere Verbindung (mit Hyper-
baton von que) sprachlich möglich wäre (vergl. unten 818), so wird
doch die erstere (mit normaler Stellung von que) vorzuziehen sein, falls
die sich dadurch ergebende Vorstellung sachlich belegbar ist. Nun hat
schon Heyne auf Apollodor bibl. II 5, 12 (125 Wagn.) hingewiesen, wo
aus der 'HpaKXeouc xaiaßacJic berichtet wird: aiToOvTOC öe auxoO
TTXouTouva tov Kepßepov, iuiraHv ö TTXoijtujv äfeiv \^up\c \hv
€TX€V ottXuüV KpaToOvTtt. Diese Worte erweisen zunächst die Ver-
bindung petivit a solio regis als die richtige (für das solium regis, das hier,
um die Verwegenheit des Herakles zu betonen, ^virkungsvoll den Namen
Plutons vertritt, vergl. hjonn. orph. 18, 8 von Pluton: öc Gpövov effTrj-
piHac iiTTÖ JÜoqpoeibe'a x^J^POv). Sie enthalten ferner einen deutlichen
Fingerzeig auf die Quelle Vergils: denn sie folgen unmittelbar auf die
von dem Mythographen aus derselben KaiaßaCTic exzerpierten Worte von
dem vergeblichen Versuch des Herakles, mit den Gespenstern zu kämpfen,
d. h. auf eine Partie, die Vergil an einer früheren Stelle (2 9 Off.) repro-
duzierte (s. 0. S. 201 f.). Hiemach darf der Schluß, daß er auch in vor-
liegenden Versen eine Version dieser Kaxdßaffic benutzte, als sicher
gelten.
Vergil hat mithin für diese Episode, bei der ihn die homerische
Nekyia völlig im Stich ließ, zwei KttiaßdcTeic, die des Herakles
und des Orpheus, herangezogen, indem er Motive aus ihnen
kontaminierte und auf sein Sujet übertrug: ein seiner eignen
Praxis und derjenigen andrer lateinischer Dichter entsprechendes Ver-
fahren. Daß er durch geschickte Verwertung überlieferter Motive ein
wirkungsvolles, dramatisch belebtes Ganzes geschaffen hat, dafüi- bürgt
die Tatsache, daß Dante eben dieser Episode eine ganze Reihe von
Motiven seinerseits entlehnt hat, vergl. Inf, V Iff. VIII 2 5 ff. XII 63.
Purg. IX 8 5 ff.
3 84 f. ergo Her inceptum peragwnt fluvioque propinquant. Ergo knüpft
an constitit 331 an, wie XI 799 an 784 und (von Conington verglichen)
g. IV 206 an 202, wo aus Mißverständnis dieses Gebrauchs vielfach um-
gestellt wird. — Über die Synaloephe in ergo iter s. Anhang XI 2 B4.
— iter inceptwm peragwnt '^ VIII 90 iter inceptum celerant, worauf dort
zwei Enniuszitate folgen; celerare dpxctiuuc. — fluvioque propinquant <^
VHI 101 urbique propinquant in ebenfalls ennianischer Umgebung. —
385 conspexit M für prospexit, wie umgekehrt III 652 prospexi M, con-
spexi PR. — 387 sie prior aggreditur dictis atque increpat ultro. Die
Phrase increpat ultro ist eine stilistische Variation von prior aggreditur
234 KOMMENTAR
dictis mit geringer Nüancierung der Begriffe: ultro d. h. über das hinaus,
was man den umständen nach erwartet (Serv. zu II 145), bei den verbis
dicendi daher oft von dem, der zuerst das Wort ergreift, so 499 com-
pdlat vocibus ultro. Wie oft bei solchen stilistischen Variationen (s. z. 25)
scheint auch hier eine der beiden Phrasen älteres Gut: aggreditur dictis
ist wohl ennianisch, da es III 358 Ms vatem aggredior dictis ac talia
quaeso den zu 15 erörterten ennianischen Zusammenhang einleitet und
mit dem so bei Vergil nur hier vorkommenden archaischen quaeso ver-
bunden ist.
389 ff. In der folgenden Wechselrede ist die Diktion der Handlung
gemäß etwas niedriger gestimmt als sonst: 389 fare quid venias vergl.
Plaut. Amph. 377 loquere, quid venis\ solche Accusative neutraler Pro-
nomina sind gerade aus der KiJU)LiiKfi XeEic massenhaft belegt. Istinc nur
hier: vergl. über istc o. S. 120f. 391 vectare, nur noch XI 138 plaustris
vectare ornos. Auch die Antwort der Sibylle ist danach leise stilisiert:
399 äbsiste moveri eine wohl dem Leben angehörige Umschreibung des
negierten Imperativs (Phaedrus III 2, 17 timere äbsistite), 401 die eipuj-
veia, 402 der patruus. — Kraftvolle, der lebhaften Handlung angemessene
Alliterationen 391 corpora viva . . vectare carina (Schema abba), wie
402 licet patrui — Proserpina Urnen; 394 invicti viribus; die erste Rede
schließt 396 f. mit traxitque trementem (malerisch wie H 550f. altaria
ad ipsa trementem \ traxit) und dominam Ditis — dedueere adorti.
389 fare age, quid venias, tarn istinc et comprime gressum: Inter-
punktion (iam istinc zu fare age) nach Lachmann zu Lucrez p. 189. —
fare age wohl ennianisch, da es IH 362 (an gleicher Versstelle) in dem
zu 15 besprochenen ennianischen Zusammenhang steht. — iam stinc M
(Lachmann 1. c. 197; vergl. Vahlen, Zeitschr. f. östr. Gymn. 1860, 20)
und nach solcher Vorlage auch, wie C. Regel, Quaest. Vergil crit. (Celle
1866) 18 bemerkte, der Verf. des ältesten uns erhaltenen Vergilcentos
(zu 37), wo im Cod. Salmasianus iam stinget comprime gressum geschrieben
ist (Bährens, PLM IV 227, 193). — 390 soporus Neubildung (Ladewig 5)
nach canorus, deeorus, wie odorus IV 132 sonor us I 53 (zuerst über-
nommen von Lygdamus 4, 69) und honorus bei Späteren; soporifer IV 486
ebenfalls neu. Auch die Verbindung nox sopora ^ schlaftrunkne Nacht'
gehört dem Vergil (s. z. 53). — PiritJioumque: Versschluß nach griechischer
Art: s. Anhang IX. — 394 dis quamquam geniti atque invicti viribus
essent. Der Konjunktiv bezeichnet die Tatsache nicht als solche, sondern
vom subjektiven Standpunkt des Redenden aus: quamquam eos dis genitos
esse noveram, vergl. Servius. Der Gebrauch des Konj. nach quamquam
ist zuerst von Ovid in seinen späteren Dichtungen über die Grenze des
subjektiven Moments hinaus erweitert worden, vergl. Ehwald zu Ovid
met. XIV 465. — essent am Versschluß für Vergils Praxis ungewöhnlich
(s. z. 690 und Anhang HI B 2), Nun hat invicti viribus ennianisches
Kolorit, denn invictus ist ein Lieblings wort des Ennius und mit vires
alliteriert er besonders oft. Mithin könnte der ganze Versschluß invicti
viribus essent ennianisch sein, um so mehr als der Konjunktiv selbst
innerhalb der genannten Gebrauchssphäre für Vergil singulär ist. — Mit
dem Versschluß traxitque trementem 396 vergl. den des Lucrez V 403
iu^ixitque trementes: ennianisches Muster ist wegen der starken Alliteration
VERS 388—407. 235
bei Vergil wahrscheinlich. — 397 adorti ist als ennianischer Versschluß
belegt (ann. 169). — dominam AecTtoivav (Heyne). — Difis tJidlami
entsprechend den auf Grabepigrammen typischen 0ep(Te(pövr|C GdXa^oi.
399 f. nullae hie insidiae tales — nee vim tela ferunt. Mit ihren ersten
Worten widerlegt die Sibylle den zuletzt gehörten Vorwurf Charons (vergl.
397 adorti), mit den zweiten Worten den zuerst gehörten (vergl. 388
armatus). Die Ordnung der Glieder ist also chiastisch. Über diese mehr
psychologische Art der Komposition (es ist naturgemäß, in der Antwort
zunächst auf das zuletzt Gehörte einzugehen) hat J. Classen, Beobachtungen
über den homer. Sprachgebrauch (Frankfurt 1867) 204 f. für Homer ge-
handelt; sie ist aber für die alten Sprachen überhaupt charakteristisch.
Ein typisches Beispiel ist die nach diesem Prinzip aufgebaute Ode des
Horaz I 12. Anders unten 500 f. — 398 Amphrysia vates. Servius:
longe petitum epitJieton. Da er g. HI 2 den Apollo pastorem ab Amphryso
in ganz alexandrinischem Zusammenhang nennt, so ist damit die Sphäre,
aus der es stammt, gegeben. Im allgemeinen hat Vergil sich in der
Aeneis von der Manier seiner früheren Gedichte (vergl. Leo, Hermes
XXXVII 1902, 36) mehr losgesagt; er hat in ihr nur noch I 720 mater
Äcidalia (VenMs) IL 197 Larissaem Achilles IE 19 I>ionaea mater 85 Thym-
hraeus 401 dux Melihoetis . . . Philoeteta IV 252 Cyllenius VIH 18 Laome-
dontius heros (Aeneas) XH 456 Bhoeteius heros (Aeneas). — 401 aeter-
num latrans exsanguis terreat unibras mit malerischen Spondeen. Aeternum
adverbial wie 617 aeternum sedebit. Es ist ein in augusteischer Zeit
geprägter Gräzismus (vergl. ejLijaevec dei, auvexec): finihestes Beispiel
Vergil g. II 400, dann TibuU H 5, 64. Hör. ep. I 10, 41; vergl. Schäfler
1. c. (z. 281) 30. Isoliert steht sempiternum bei Plaut, aul. II 1, 26. In
jungen Büchern dehnt Vergil die Freiheit auf extremum (IX 484) und
supremum (HI 68) aus, wie er, gleichfalls nach griechischer Art, erst
XI 865 extrema gementeni wagt. — 402 easta lieet patrui servet Proser-
pina Urnen. Die Nennung des patruus, des aus der Komödie und Elegie
bekannten bösen und mürrischen Oheims, führt das ironische Moment
des vorangehenden Verses hübsch weiter (Gerda). In diesem Zusammenhang
stellt sich auch für domus (vergl. domum servavit carm. epigr. 52 Buch.)
das spezialisierende Urnen ein, der in der Elegie (z. B. Tib. I 2, 17 u. ö.)
neben ianua, fores für die Sache typische Ausdruck.
405 si te nulla movet tantae pietatis imago. Vor diesen Worten
liegt eine Pause, während welcher die Sibylle wartet, ob ihre bisherigen
Worte keinen Erfolg haben. Dieses dramatische Moment scheint durch
die Stelle eines Tragikers (wahrscheinlich Accius' Atreus) bedingt zu
sein (s. z. 500f.): nil fraterni nominis \ sollemne auxüium et nomen pie-
tatis movet? (p. 316 Kibbeck^). Wie dort der Bruder, so ist hier im
vorhergehenden Vers der Vater genannt (ad genitorem imas Erebi descen-
dit ad umbras). — 406 aperit ramum qui veste latebat. Das Motiv
stammt aus ApoUonios Rhod., bei dem Medea das wunderbare Kraut
zunächst 0uu)öei Kdiöeio ILiiTpr) (IH 867) und weiterhin, um es dem
lason zu geben, öuoubeoc e'HeXe lairpric (HI 1013). Hierdurch erledigt
sich meine irrtümliche Auffassung der Stelle bei Skutsch, Aus Vergils
Frühzeit (Leipz. 1901) 116f. — 407f. In tumida ex ira tum corda resi-
dunt sind prosaische Phrasen wie tumor animi residit (Cic. Tusc. HI 26),
236 KOMMENTAR
ira residit (Liv. 11 29, 6) durch den zu 51 erörterten prägnanten Gebrauch
der Präposition ex künstlich verbunden; für die Metapher s. z. 49. Über
diese die Handlung fortführenden Worte hinweg knüpft nee plura Ms
(sc. dixit Sibylla) 408 an den Schluß der Eede der Sibylle an (vergl. Servius).
Diese etwas künstliche Verschränkung (ähnlich 886 -^ 897) läßt es als
möglich erscheinen, daß die parenthetischen Worte tumida ex ira tum
corda rcsid^mt (die mit den entsprechenden des vorhergehenden Verses
aperit ramum qui veste latebat gleichen Rhythmus und gleiche Silbenzahl
haben) von Vergil nicht frei geprägt, sondern mit Benutzung über-
lieferter Phraseologie gedichtet worden sind; corda an gleicher Versstelle
Ennius a. 392.
.408 f. Durch die feierlichen Spondeen nee plura Ms: ille admirans
venerahile donum | fafalis virgae longo post tempore visum tritt das Bedeut-
same dieses Moments für die Handlung stark hervor: Spondeen mit mirari
auch I 421 miratur molem Äeneas 709 mirantur dona Aeneae, vergl.
Vn 812 f. Ebenso durch die Alliteration venerahile — virgae — visum. —
venerabilis zuerst in augusteischer Zeit nachweisbar (Ladewig 7). — longo
post tempore visum: 7TXd(J)ua des Dichters der Situation zuliebe, s. o. S. 168.
So auch R. Helm, Jahresber. d. Altert. CXHI (1902) 42. — fluvioque pro-
pinquat: propimquare ist vor Vergil nur einmal bei Sallust (bist. IV 74
Maur.) überliefert; das Kompositum appropinquare war im daktylischen
Maß nicht zu brauchen. — 411 indc alias animas quae per iuga longa
sedebant mit zweifachem Gräzismus: alias animas im Gegensatz zu
Aeneas und der Sibylle (vergl. Ladewig-Deuticke) und iuga: Servius graece
dixit, lufot enim dicunt quae nos transtra nominamus. — 41 2 f. accipit
alveo I ingentem Aenean. Daß die Sibylle mit eingestiegen ist, wird erst
beim Ausschiffen 415 als selbstverständlich kurz angedeutet. — 413f. ^^e-
nmit suh pondere cumha | sutüis et multam aecepit rimosa paludem. Das
Gegenteil einer cumha sutilis (das Adjektiv zuerst hier nachweisbar, vergl.
Ladewig 5) ist, wie Servius notiert, eine c. texta: Ennius tr. 50 classis
texitur (spätere Belege bei Henry 307 ff.); vergl. Cic. de d. nat. II 150
tegumenta corporum vel texta vel suta, Vergil g. IV 3 3 f. seu suta . . seu
texta. Damit das Besondere stark hervortrete, ist sutilis von seinem Sub-
stantiv durch Versschluß getrennt, s. Anhang III Bl. Bei dem Fahrzeug
des Dämons hat die Errungenschaft einer fortgeschrittenen Kultur noch
keine Verwendung gefunden (s. o. S. 216), sondern es ist primitiv wie
die von Herodot I 194 und Plinius n. h. IV 104. VH 206 erwähnten Fahr-
zeuge (Zitate bei Gerda); noch heute gebrauchen kulturlose Völker
(nach F. Reuleaux, Die Spindel, in: Die Woche 1900 p. 1903) „richtig
genähte" Boote. Das erlesene Motiv konnte Vergil nur aus der Quelle
kennen, der er die Handlung nachbildete (s. o. S. 231 ff.). — Der 416 ge-
nannte limus (ßöpßopoc) und die ulva (steriles ulvae Ovid m. IV 299,
vergl. 0. S. 211) sind typische Züge: vergl. Waser 1. c. (zu 2 98 ff.) 105 ff.
— 415 tandem den 1. Fuß füllend wie 472, s. Anhang VIII.
n. Begion zwischen Acheron und Tartarus-Blysium 417 — 547.
Die Begrenzung dieser Region ist angezeigt durch 477 arva ultima
und 540 Mc locus est, partis ubi se via findit in ambas (rechts Elysium,
VERS 408—423. 237
links Tartarus). — 417 — 25 (Cerberus) sind mit 426 — 33 (den zwei
ersten Seelenklassen) in der Bilderhandschrift fol. XL VIII ^ dargestellt.
A. Cerberus 417 — 25 (drei Perioden: 417 — 21 ökuuXov nait je
zwei KÖ|Li|LiaTa; 421 — 23 TCTpdKUjXov; 424 — 25 öikujXov, das erste mit
zwei KÖjU|iiaTa). Daß die Einschläfenmg des Cerberus der Szene bei
Apollon. Rbod. IV 139- -61 nachgebildet ist, wo Medea den das Vließ
bewachenden Drachen einschläfert, bemerkt Germanus: besonders genau
42 2 f. immania terga resolvü | fusus humi totoque ingens extenditur antro
nach 150 f. boXixrjv dveXuei" aKavGav | TTlTeveoc CTTreipric, |nr|Kuve be
ILiupia kukXo. Während jedoch der griechische Dichter 23 Verse ge-
braucht, kommt Vergil mit 9 aus, die er dafür aber mit um so größeren
Kühnheiten ausstattet. 417 trifaux ist Neubildung nach triceps, was als
Übersetzung von TpiKOtprivoc, rpiKpavoc schon Cic. Tusc. I 10 aus einem
Tragiker zitiert. Es wird kühn mit latratus verbunden: die Verbindung
rpiKpavoc OXaTMÖc wäre im hohen Stil griechischer Poesie nicht so un-
gewöhnlich, wie sie es für römisches Gefühl sein mußte (schwächliche
Nachbildimg Ovids m. FV 450 tres latratus simul edidit). Eine Neu-
bildung ist auch 425 inremeabilis (= V 591 vom Labyrinth, s. z. 27),
ein Versuch, griechische Bezeichnungen des Hades wie dvöcTTTiTOC, dveK-
ßaroc, dbiauXoc wiederzugeben; wenn Statius Th. IV 537 Vergils in-
remeahilis zu remeabilis rekomponiert wie Seneca nat. qu. VI 8, 4 Vergils
ineludäbilis zu eluctdbilis, so deutet das auf ein Sinken des Gefühls für
die Proprietät der Sprache. Dante Purg. I 131 f. gebraucht zwei Verse,
um das "Wort zu übersetzen. Auch 418 personare mit einem Ortsobjekt
(regna), wie oben 171 personal aequora, scheint erst von Vergil gewagt
zu sein in Erweiterung des familiären personare aures (Cic. ep. fam.
VI 18, 4 Hör. ep. II, 7). Besonders kühn ist, wie er 420 die |aeXi-
TOUTTtt wiedergibt: nielle soporatam et medicatis frugibtis off am. In formaler
Angleichung (s. Anhang 11 3) an die reguläre Verbindung medicatae fruges
(vergl. Columellas medicatus cibus] medicata vina, semind) sagt er sopo-
rata offa ('ein narkotisierter Kloß'), wie er V 855 ramum vi soporatum
Stygia in Angleichung an das vorhergehende ramwn Lethaeo rore ma-
dentem zu sagen wagt, noch dazu mit dem vor ihm nicht nachweisbaren
soporare (s. z. 390 soporus). — Auch das malerische Element tritt stark
hervor: über die a und u in latratu trifauci s. z. 237 f.; ferner bemerkt
Gerda treffend: 'in tribus primis versibus, qui pertinent ad hoi-rorem
canis, littera canina adhibetur supra decies'. Weiter Alliterationen:
418 adver so — antro 419 colla coluhris (fast eine Paronomasie nach Art
der zu 204 besprochenen) 420 melle — medicatis 420 f. offam — ohiüt
Endlich die an signifikante Versstellen (s. Anhang III A2) gesetzten
wirkungsvollen Homoioteleuta ohicit — corripit — resolvit.
421 fame mit üblicher Konservierung der Länge aus der e-Deklina-
tion (gen. fami Cato). In diesem Wort schützte die Kürze der ersten
Silbe die Länge der zweiten, dagegen hat er unten 442 tabe^ während
Lucrez I 806 auch hier das ältere -e bewahrt wie m 734 in contage. —
— 423 totoque ingens extenditur antro. Um toto glaublich zu machen,
wird ingens aus 417 wiederholt und gewissermaßen erklärend (dxe
7TeXu)pioc ujv) daneben gestellt. An solchen Wiederholungen desselben
Worts in kurzen Zwischenräumen (ingens gleich wieder 426) hat sich
238 KOMMENTAR
Vergil, gemäß der Praxis der älteren Dichter, nicht gestoßen (z. B. unten
684 f., Wagner zu g. II 125 f.). So empfindlich wie wir ist aber über-
haupt kein antiker Dichter hierin gewesen: vergl. Lehrs de Aristarchi
stud. ^ 450 ff., V. Wilamowitz zu Eurip. Her. 329 und für lateinische Poesie
Naeke zu Valer. Cato 277 ff., Haupt op. I 103. Es ist also unrichtig,
wenn Eibbeck g. II 296 das nur in einer mittelalt. Hs. überlieferte
bracchia pandens gegen das in MPRV überlieferte h. tendens als 'elegan-
tius' bevorzugt, weil 292 ein Vers mit tendit schließt. — 424 f. occu-
pat Äeneas aditum custode sepulto. Die Phrase occupat Aeneas aditum
= 635, vermutlich mit Benutzung des Ennius (s. z. 633 ff.). — custode
sepulto kann er sagen, da ihm der Zusammenhang des Verbs mit sopire,
somnus geläufig war (wie Prop. III 11, 56 Ungua sepulta mero)-^ II 265
setzt er somno hinzu: urbem vino somnoque sepultam nach Ennius a. 291
hostes vino domiti somnoque sepulti. Wie Ennius schließt auch Lucrez
zwei Verse (I 133. V 973) mit somnoque sepulti. — Über die markante
Wortstellung occupat — evadit s. Anhang HI A2.
B. Die Seelenklassen dieser Region. Es sind fünf Klassen,
von denen die drei ersten nur kurz bezeichnet, die zwei letzten aus-
führlich behandelt werden, indem mit je einem ihrer Repräsentanten
Aeneas zusammengeführt wird. Über das Band, das die fünf Klassen
verknüpft, sowie den Grund ihrer Stationierung in dieser Zwischenregion
s. Einleitung S. 11 f.
1. Die Säuglinge 426 — 29 (rpiKUjXov, das erste küjXov mit
drei KÖ)Li|aaTa). Mit bedeutender Wirkung folgen auf den heulenden
Höllenhund sofort (continuo) die Seelen der Kinder öv 7TÖT|liov fo6\xi(Jai,
da ihnen die MoTpai keinen Anteil am Leben gegeben haben (sie sind
vitae exsortes, a)Lioipoi ßiou), und die daher, wie ein Grabgedicht mit
rührender Einfachheit sagt (78 Buch.), 'nicht wissen, zu was sie geboren
sind'. Die furchtbare, mit Kontrasten spielende Ironie der Tyche, die,
mit Varro (sat. 222) zu reden, 'neben die Wiege den Sarg stellt', wird
in diesen paar Versen so ergreifend gezeichnet, daß sie mit Recht hoch-
berühmt waren. Das zeigen, um die literarischen Nachahmungen (schon
Severus bei Seneca suas. 6, 26 dbstulit una dies nach 429 abstulit atra
dies) zu übergehen, die vielfachen Zitate auf Grabsteinen: für 429 abs-
tulit atra dies et funer e mersit acerbo (von Vergil selbst XI 28 wieder-
holt) werden im Index III zu Büchelers carm. epigr. (p. 918) allein elf
mehr oder minder wörtliche Zitate angeführt, zu denen noch zahlreiche
Anspielungen kommen (so 405, 1 abstulit una dies; 588, 5 repenti funere
mersit nach funere mersit acerbo)] für 428 ab ubere raptos vergl. 1576
Mc sum matris ab ubere raptus \ compositus 397, 1 rapta sinu matris
398, 5 ubcribus pressis nutricem liquit amantem; für 427 f. in limine
primo . . . vitae . . . raptos vergl. 567, 4 rapuit quam mors in limine vitae
569, 3 vitaeque e limine raptus. Auch die Sprache ist im Gegensatz zu
der überladenen der vorhergehenden Verse erfreulich einfach. — Das Weinen
wird 426 f. durch drei parataktische Ausdrücke (auditae voces, vagitus
ingens, animae flentes) besonders stark hervorgehoben (Figur der expolitio:
s. z. 25. 638 ff.); die zwei ersten Ausdrücke sind durch v, den Laut des
starken Wehs (s. z. 833), gebunden (vergl. IV 460f. voces et verba vo-
cantis Visa viri, ähnlich stark Accius tr. 552f. Lucr. V 993. 997f.). Daß
VERS 424—430. 239
Vergil das Motiv als solches entlehnte, geht daraus hervor, daß es sich
auch in der plutarchischen Apokalypse de genio Socr. 22, 590 F findet:
dK0U€(T6ai . . . inupiuuv K\au6)Liöv ßpeq)U)V (auditae voces vagitus et ingens
infantum); vergl. Einleitung S. 41. — In 427f. infantumque animae flentes
in limine prim^ j quos äulcis vitae exsortis et ab ubere raptos e. q. s. werden
die Worte in limine primo von den alten Interpreten teils zum vorher-
gehenden teils zum folgenden gezogen. Daß letzteres richtig ist, zeigt
die schon von Gerda angeführte Nachahmtmg Lucans 11 106 f. primo in
limine vitae \ i/nfantis miseri nascentia rumper e fata: also gehört vitae
dTTÖ KOivoO zu in limine primo und zu exsortes (vergl. Henry 314). Die
schöne Metapher ist übrigens älter: Lucr. IH 681 vitae cum Urnen inimus,
umgekehrt leti limen TL 960, beides kaum von Lucrez selbst geprägt.
Sie machte, wie die sehr zahlreichen (von Henry 1. c. gesammelten) Nach-
ahmungen zeigen, Aufsehen. — 428 exsors äjLioipoc (oKXripoc Servius),
auch bei Livius und Horaz (a. p.): vielleicht ältere Bildung wie excors
exlex exos exsanguis exspes. — 429 acerbo duOpiu (s. z. 481); mit gleicher
Metapher crudo funere carm. ep. 1355 Buch. Die Schnelligkeit des
raffenden Todesdämons malen die Daktylen 429 abstulit atra dies et funere
mersit acerbo; sie kontrastieren schön zu den schwermütigen Spondeen
der drei ersten Verse.
2. Die unschuldig Verurteilten 430 — 33 (TeTpdKUuXov, das
zweite und vierte kujXov mit je zwei KÖ)a|naTa). Das Ethos ist durch die
Spondeen 430. 32 und durch die Alliterationen 431 sine sorte — sine —
sedes 433 consüium — voeat vitas — crimina (Schema abba) gehoben.
Schon die alten Exegeten bemerkten, daß Vergil auf die Revision des
irdischen Richterspruchs Im Hades die Terminologie des Kriminalprozesses
übertragen hat (wie Properz IV 11, 19 f. und Seneca apoc. 14 nach dem
Vorgang griechischer Autoren, vergl. Plat. Gorg. 524Aff. Lukian dial.
mort. 12 nee. 11 ff.). Das Beste darüber steht aber nicht bei den uns
erhaltenen Kommentatoren, die, wie wir gleich sehen werden, einer
falschen Lesart folgen, sondern stand in einem Kommentar, den Ps. As-
conius zu Cicero in Verr. act. H 1. I p. 155 Orelli benutzt hat: Vergilius
Minoem tamquam si praetor sit rerum capitalium, quaesitorem appellat
(432); dat ibi sortitionem, ubi urnam nominal (432); dat electionem iudi-
cwm, cum dicit ^ consiliumque vocaf (433); dat cognitionem facmorum,
cum dicit 'vitasque et crimina discif (433). Also diese Plätze sind nicht
angewiesen sine sorte, sine iudice (431) d. h. ohne den Urteilsspruch
ausgeloster Richter, sondern Minos veranstaltet wie der die Untersuchung
leitende Beamte eine Auslosung aus den Geschworenen, die als die
Richter fungieren sollen (vergl. Mommsen, Rom. Strafrecht 187. 206).
Die ausgelosten beruft er als seinen, des Präsidierenden, Beirat (consilium
Mommsen ib. 214ff.). Dann beginnt die Untersuchung, discit = cognos-
city cognitionem exercet (auch discere ist gerichtlicher Terminus) über die
gegen den Lebenswandel der Verklagten vorgebrachten Beschuldigungen:
fifas et crimina = crimina vitae, womit es Statins Th. Vm 22 in gleicher
Situation wiedergibt. Diese Interpretation basiert auf der La. consilium,
die mit dem genannten Scholiasten von unseren Hss. nur P teilt, während
MR concilium haben. Concilium ist auch die La. des Servius und Donatus,
und zwar erklärt es Servius eben als die Versammlung der ausgelosten
240 KOMMENTAR
Geschworenen, also synonym mit consilium, Donatus als die der Ver-
klagten. Ersteres kann deshalb nicht richtig sein, weil m. W. ein Richter-
kollegium nie concilium genannt wird, letzteres deshalb nicht, weil con-
cilium vocare nur von einer Versammlung gesagt werden kann, die selbst
beschließt, nicht von einer solchen, über die beschlossen wird. Also ist
consilium das Richtige. Die Vertauschung mit concilium ist häufig (vergl.
Friedländer zu Petron S. 318): unsere Vergilhss., für deren Schreiber
beides sich auch lautlich schon nahestand, schwanken auch IT 89 (con-
ciliis MP, conciliis V) und XI 49 {concilium PR, co'ki^ilium M). Zu
Gunsten der Überlieferung conciliumque vocat darf nicht X 2 conciliumque
vocat angeführt werden, denn dort handelt es sich um eine Götter-
versammlung, die nie anders genannt wird. Umgekehrt erhält consilium
eine Stütze auch an den (Tuvebpoi, die Lukian ver. hist. 11 10 mit
Rhadamanthys zu Gericht sitzen läßt, wie hier Vergil das consilium mit
Minos. Die Beisitzer heißen silentes: die Abstimmung geschah durch
Stimmtäfelchen (Mommsen 1. c. 444 f.). — 432 silentum am Versschluß
von den Toten im Hades auch Cn. Matius in seiner Iliasübersetzung fr.
8 Baehrens (FPR p. 281), also wohl älter (ennianisch?).
3. Die Selbstmörder 434 — 39 (ipiKuuXov, das erste und dritte
KÜüXov mit je drei KÖmaaia). Alliterationen: 434 loca — lefum 435 f. ^e-
perere — perosi — proiccere 436 animas — aethere — alto 437 pauperiem — per-
ferre. Homoioteleuta: 435f. peperere — proiecere 438f. obstat — alligat —
coercet. — 434 qui sihi Ictum: über die Art des Versschlusses s. An-
hang IX, — 435 perosus noch IX 141 (ebenfalls am Versschluß). Diese
Bildung ist zwar vor Vergil nicht nachweisbar, kann aber der Form
nach unmöglich von ihm geprägt sein. Daß er sie archaischer Poesie
entnahm, beweisen folgende Momente: 1. osus ist als archaisch für Plautus
und C. Gracchus bezeugt (Archiv f. Lex. XI 153), 2. perosus hat Livius
dreimal im III. Buch (ib. X 45), 3. Augustus gebraucht es in einem
Briefe (bei Sueton, Tib. 21 a. E.) in feierlich - sakraler Rede (deos ob-
secro . . ., si non p. B. perosi sunt)^ 4. An vorliegender Stelle sind die
Worte lucemque perosi \ proiecere animas eine stilistische Variation (mit
geringer Nüancierung) der vorhergehenden sibi letum \ insontes peperere
manu, was hier wie oft (s. z. 25) auf Benutzung überlieferter Phraseologie
schließen läßt. Neben perosus hat Vergil noch exosus (V 687. XI 436.
XII 517. 818); da dieses sich nur in jungen Büchern findet und m. W.
durch keine ältere Autorität gestützt wird, so kann er es auf Grund
von perosus mit Variation der Präposition neu gebildet haben. — 436
aethere in alto (== g. IV 78) vergl. den Versschluß des Ennius a. 602
aequore in alto. — 436 f. Die homerische ^\\ir\a\c (X 487 ff.) notiert
Servius. — 437 pauperiem: die alte Form aus metrischer Bequemlichkeit
(Köne 218). — duros perferre laborcs Versschluß nach Lucr. V 1359
durum perferre laborem (Ursinus). — 438 fata obstant (z. B. von Henry
320f. empfohlen) für fas obstat ist durch keine alte Hs. beglaubigt, steht
vielmehr nur in mittelalterlichen Hss. und der darauf beruhenden Kon-
jektur eines Humanisten in M^. — 438 f. tristisque palus inamabilis
undae \ alligat et noviens Styx interfusa coercet mit kleinen Abänderungen
aus g. IV 47 9 f. (dort tardaque — unda) wiederholt, Wohl die Reminiszenz
an jene Stelle hatte zur Folge, daß in R (sowie in M^ von einem Hu-
VERS 430—440. 241
manisten) und der von Servius befolgten Hs. tmda geschrieben wurde,
"woraufhin dann Servius tristique konjizierte, ne si 'tristis' dicamus, duo
sint epitheta. — noviens Styx interfusa („der Styx, der neunfach fließet"
Schiller, Hero und Leander): s. Einleitung S. 29 f. Die dreimal heilige
Zahl ist zugleich ein Symbol für die Unlösbarkeit des Banns (vergl. b.
8, 73 ff.). Aus derselben Sphäre stammen alligare (KaxabeTv, magids
artibus ligare Seneca Herc. 453, Apul. met. 11 5 amoris pedicis alligare)
und das für den 'Orcus' bezeichnende coercere (Hör. II 19, 19 nodo
coercere; 18, 18 der sateUes Orci Tantalum coercet), wie unten 552 der
adamas (Theokr. 2, 34. Prop. IV 11, 4). — inamabilis djLieiXixoc, äaiop-
yoc (epigr, 146, 3 Kaibel). — alligat — coercet: über die Wortstellung
s. Anhang IIIA 2.
4. Die Liebenden auf den Trauergefilden 440 — 76 in drei
Abschnitten: a) Name und Bewohner im allgemeinen 440 — 44 (zwei
Perioden: 440 — 41 biKUüXov, 442 — 44 xpiKUjXov), b) Namen einzelner
Bewohner 445 — 49 (öiKiuXov, mit je drei KÖ)U|LiaTa), c) Aeneas und
Dido 450 — 76 dreiteilig: a) Begegnung 450 — 55 (TexpciKUjXov, die drei
letzten KÜüXa mit je zwei KÖ|U|LiaTa), ß) Rede des Aeneas 456 — 66 (drei
Perioden: 456 — 60 xetpdKUjXov, das erste und dritte kujXov mit je drei
KÖ|Li|iAaTa; 461 — 64 öikuuXov mit drei bezw. zwei KÖ|ii)iiaTa; 465 — 66
öikujXov mit je zwei KÖiajuara), y) Eindruck auf Dido 467 — 76 (vier
Perioden: 467 — 68 zwei KÖjU|uaTa; 469 — 71 rpiKuuXov, dessen KUüXa
mit den Versen zusammenfallen; 472 — 74 öikujXov mit je zwei KÖ|Li|LiaTa;
475 — 76 biKUjXov, dessen KU)Xa mit den Versen zusammenfallen). —
Der Steigerung des Ethos dienen Verse mit überwiegenden Spondeen
(441. 43 f. 46. 51 f. 53. 56. 60. 74), überaus zahlreiche Alliterationen
(443. 45. 46. 49. 53. 54. 55. 56f. 57f. 58. 62. 63. 64. 65. 66. 67.
68. 70. 71. 72. 73f. 74. 75. 76) sowie einige Anaphern (458f. 61 f.)
und Homoioteleuta (457 extindam — secutam 67 ardentem — tuentem 68f.
lenihat — ciebat — tenebat 72 corripuit — refugit) und ein Parison (474 re-
spondet curis r^ aequat amorem).
In dieser die Mitte des Buches füllenden Episode kann sich Vergils
Kunst, epujTiKd TraGrijuaTa mit psychologischer Feinheit im Sinn der
hellenistischen Poesie, aber doch mit epischer Großzügigkeit zu schildern,
voll entfalten. Das weite Trauergefild mit den in stummem Schmerz
dahinwandelnden Heroinen und das Nachspiel der Liebestragödie in dieser
Umgebung: das sind Bilder, die auch auf Dantes ernsten Sinn stark
gewirkt haben (vergl. Inf. V 6 7 ff.). An diesem Ruhm wird Vergil durch
die Tatsache, daß er die Motive als solche nicht erfand, im Sinn der
lateinischen Poesie nichts verkümmert. Auf Originalität erhebt er selbst
keinen Anspruch: 441 lugentes campi, sie illos nomine dicunt, das ist in
dieser Art von Poesie ein Zitat (s. u.). In welche Sphäre wir durch
440 — 49 geführt werden, bedarf kaum eines Beweises: das ist ein Kaxd-
Xo-foc TUJv kXcivujv fipujivujv TUJV ev cibou, wie ihn hellenistische Dichter
in Ausführung des Frauenmotivs der homerischen Nekyia (225ff. 321 ff.)
schufen und wie er uns aus der Elegie vor allem des Properz geläufig
ist, so I 19, 13 illic formosae veniant cliorus heroinae, mit griechischem
Versschluß (ev0a (JuvdvTOViai KaXöc xopoc fipuJivai). Für Properz ist
das Motiv schon beinahe abgegriffen. Spätere verwenden es fast nur noch
Vkrgil. Buch VT, von Norden. 16
242 KOMMENTAR
als rhetorische Floskel (vergl. das Gedicht des Markellos Sideta auf den
Tod der Gattin des Herodes Atticus epigr. graec. 1056, 8fF. 55 ff. Kaibel).
In der uns überlieferten Literatur sind es aber sonst stets solche Heroinen,
die zum Lohn für ihre Tugend auf die elysischen Gefilde versetzt sind:
vergl. z. B. noch Philostratos her. 143 Kays. iroO be rx] Aaoba|uia
HuvecTTiv (sc. 6 TTpuuTecTiXeujc) ; — ev abou, Heve. Kai \efei auiriv
euÖ0Ki|aujTaTa YuvaiKUJV irpaiTeiv dpi9|uou)Lievr|v ev aic "AKkticttic xe Kai
€udbvri ^^^ cti TauTttic i'aai (Ju)9povec re Kai xP^lcTTai. Dagegen ist
bei dem Dichter, dem Vergil hier folgt, die Tugend kein Prinzip für die
Auswahl gewesen: werden doch sogar Pasiphae und Eriphyle erwähnt.
Es werden vielmehr nur solche genannt, die wegen ihres durus amor
freiwillig in den Tod gegangen oder getötet worden sind. Daß auch diese
Kategorie von hellenistischen Dichtem behandelt wurde, dürfen wir aus
dem bei Hygin fab. 243 unter dem Titel quae se ipsae interfecerunt
überlieferten Katalog schließen, z. B. Canace Aeoli fiUa propter amorem
Macarei fratris ipsa se interfecit. Byhlis Mileti ßUa propter amorem
Cauni fratris ipsa se interfecit. Calypso Atlantis filia propter amorem
TJlixis ipsa se interfecit, alles Stoffe, die bei den Alexandrinern nach-
weislich beliebt waren. Auch die hier bei Vergil genannten Heroinen
sind auf gewaltsame Weise gestorben: von allen ist es überliefert außer
zufällig von Pasiphae, für die wir es also aus dieser Stelle zu lernen
haben. Da sie nach Pausanias HI 26, 1 ursprünglich eine Mondgöttin
war, so ist nach dem von Usener, Götternamen 160. 239 darüber Ge-
sagten anzunehmen, daß sie sich erhängte. — Das Vorbild für die von
Vergil mit großer Liebe ausgearbeitete Begegnung des Aeneas mit Dido
notierten schon die alten Exegeten: tractum est hoc de Homero (X 541 ff.),
qui inducit Äiacis umhram TJlixis conloquia fugientem, quod ei fuerat
causa mortis (Servius zu 468); genauer gesagt: Vergil hat die Begegnungs-
szene zwischen den beiden Heroen in eine solche zwischen Heros und
Heroine umgewandelt, die aus Liebe zu dem ungetreuen Freund in den
Tod gegangen war. Eine derartige Übertragung eines homerischen Motivs
aus der epischen Sphäre in die der Erotik ist durchaus im Geist der
hellenistischen Poesie. Daß nun ein griechischer Dichter schon vor Vergil
die berühmte homerische Szene in dieser Weise in den Stil der neueren
Poesie umgesetzt hätte, wäre an sich glaublich, läßt sich aber wenigstens
mit unsern Mitteln nicht beweisen. Denn die Vermutung von E. Maaß,
Orpheus (München 1895) 279, daß ein hellenistisches Gedicht eine Be-
gegnung im Hades zwischen Odysseus und Kalypso erzählt habe, die nach
seinem Abschied in den Tod gegangen sei (vergl. Hygin 1. c), läßt sich nicht
zur Gewißheit erheben. Benutzung einzelner Züge hellenistischer Erotik
wird zu 440f. 442. 445 ff. 456 f. 458. 466. 469. 475 f. notiert werden.
440 f. partem fusi monstrantur in omnem \ lugentes campi: sie illos
nomine dicunt. Die große Ausdehnung dieser Gefilde (vergl. 451 süva
magna) erklärt Servius falsch aus der angeblich großen Zahl der Liebenden,
richtig Heyne daraus, daß sie mit ihrem Schmerz in die Einsamkeit
fliehen (443 secreti), ein typischer Zug der hellenistischen Poesie (Rohde,
Eoman^ 158). „Endlos liegen vor dir die Trauergefilde" Goethe im
Anfang des Monodrams Proserp ina, wohl nach dieser Stelle; lugentes campi
gibt Dante Inf. XIV 10 schön wieder 'la dolorosa selva'. Auch Vergil
VERS 440—442. 243
seinerseits übersetzt, denn mit den Worten sie illos nomine dicunt will
er im Stile der hellenistisclien Poesie (s. z. 14) sagen, daß ihm die Vor-
stellung der lugentes campi überliefert war. Vergl. \T;I 607 simt geminae
Belli portae, sie nmnine dicunt (Janustempel), g. III 380 hippomanes, vero
quod nomine dicunt: diese Partie der Georg, stammt wobl aus Euphorion,
s. Heyne zu 270, sicher aus einem hellenistischen Dichter. Für Berufungen
auf eine Tradition mit diccre, ferri überhaupt vgl. g. in 90 IV 221, unten
893 f. sunt geminae Somni portae, quarum altera fertur \ Cornea (nämlich
T 562 ff.). Welchen griechischen Ausdruck Vergil mit lugentes campi
übersetzt, weiß ich nicht. Sicher und bekannt aber ist, daß die darin
niedergelegte Vorstellung von der mittrauemden Natur spezifisch alexan-
drinisch ist; formell besonders nahe steht die ttituc foepx] bei Nikander
Alex. 301 und Ovid m. XI 46 f. positis te frondibus arhor \ tansa comas
luxit. — fusi von den Örtlichkeiten statt von den Menschen, die sich darin
'ergießen' scheint neu zu sein (Conington); für die fast verbrauchte Metapher
des funder e hat V. Hehn, Kulturpfl.' 538 • f. viele Belege gesammelt.
44:2 Jiic quos durus amor crudeli tahe peredit. Das von Servius
notierte verallgemeinernde Maskulinum quos, weil 474 auch Sychaeus
genannt ist. Aber Sychaeus paßt wenig in diese Region des durus amor:
er ist nach I 344 vielmehr magno dilectus amore. Dieses Abgleiten
des Gedankens ermöglicht dem Dichter aber, das schöne Motiv von der
Wiedervereinigung zweier Liebenden (hier des Sychaeus imd der Dido)
im Tode zu verwerten (473 f.). Es beruht auf alter Vorstellung (Plat.
Phaed. 68 A, Eurip. Alk. 363 f.) und begegnet oft in Grabgedichten; es
war, wie aus Ovid m. XI 61 ff. und Properz I 19, 11 ff. zu schließen ist,
auch in hellenistischer Poesie beliebt. — durus amor heißt g. III 259
der des Leander, weil dieser seine Vereinigung mit Hero unter Verletzung
der albujc ([Ovid] h. 18, 171 ff., Musaeus 106) ertrotzte. Es ist die Über-
setzung von beivöc epujc, denn so heißt er bei Musaeus 245 (vergl.
G. Knaack in der Festgabe f. Susemihl, Leipzig 1898, 67). Alexandrinisch
ist auch die weitere Terminologie. Eine solche Liebe ist ein 'zehrendes
Siechtum', daher tabes: vergl. tabescere Prop. I 15, 20 u. ö. Ovid m.
III 445 u. ö., dem gr. xriKeaOai nachgebildet, das schon der alten Lyrik
in diesem Sinn bekannt ist (Pindar fr. 123, 9 Bgk.) und von da in die
jüngere Komödie (vergl. Plaut. Pseud. 21 quae me miseria et cura contabe-
facit) sowie in die hellenistische Erotik (Theokr. 1, 66. 82. 2, 29) über-
ging. Sie 'frißt' bis auf das Mark der Knochen: peredit; vergl. Kalli-
machos-Catull 66, 23, Ps. Theokr. 30, 21, Vergil selbst IV 66 est mollis
flamma medullas. Denn sie ist ein 'Gram': curae 444. 474. Mit diesem
Wort übersetzen die Lateiner seit Plautus 1. c, Epid. 135 die Vielheit
der griechischen Bezeichnungen: öviai, )LieXr||Lia Sappho, lueXebiLvai Ps.-
Hesiod op. 66, |Liepi|Uvai seit dem erotischen Anhang zu Theognis 1323
bis auf Nonnos, qppovTiC schon Pindar P. 10, 62, also von ihm wie das
dabei stehende |ueXri)Lia aus der aeolischen Lyrik übernommen, aus welcher
(ppovTic auch in die hellenistische Poesie kam, vergl. A.P. V 110. 264.
279. 296. Auch das Motiv, daß sich dieser Liebesgram im Hades
fortsetzt (444 curae non ipsa in morte relinquont), ist entlehnt, vergl.
Theokr. 1, 103, [Oppian] cyn. 11 410ff. (hier wie oft nach alexandrinischem
Muster): ößpi)ii' "Gpujc . . ., öei^aivei öe cTe TrdvTa, Kai oupavöc eupuc
16*
244 KOMMENTAR
uTrepGe, | ^air\c öaca t ^vep9e Kai ^Gvea XuYpct KajuövTUJV, | di AriGric
)aev acpuacrav ijttö aTÖiuia vtiiraGec ubujp | Kai (puTov oKfea TrdvTa. ae
b' eicTexi TTecppiKaffi. Die Liebenden klagen ihr Leid aus auf einsamen
Waldlichtungen und in schattigen Myrtenhainen: 443 f. secreti celant calles
et murtea circum \ silva tegit, 472 f. refugit \ in nemus umbriferum. Auch
dies ist ein überlieferter Zug. So läßt Aristoxenos in dem neugefundenen
Liede pap. Oxyrhynch. I Jungfrauen sich setzen auf eine Wiese ßaGucJkiov
kot' äXcToc; nach Phanokles bei Stob. flor. LXIV 14 klagt Orpheus
(TKiepoTcTiv ev aXcrecri; vergl. Properz I 18. Die Myrte (murtea silva) ist
hier genannt, weil sie mit der erotischen Beziehung die sepulkrale ver-
einigt. Typisch ist endlich auch das errare 451 (errabat süva in vmgna):
vergl. Parthenios c. 26, 4; Prop. I 1, 11.
445 ff. Die Kontamination des Verses 445 his Phaedram Pro-
crinque locis maestamque Eriphylen aus den beiden homerischen Hemi-
stichien \ 225 <t)aibpr|V te TTpÖKpiv xe (ibov Ka\r|V t' 'Apidbvr|v) + 321
(MaTjudv te KXu)Lievnv xe ibov) (TxuTepriv x' 'GpicpOXriv ist ganz in der
Art griechischer Dichter: so wird bei Eusebios pr. ev. X 3, 22 ein ganz
analoges Beispiel aus Antimachos angeführt, vergl. auch A. Ludwieh,
Homervulgata (Leipzig 1898) 68, 1. 136. Ein anderes vergilisches Beispiel
bei Macrob. V 3, 9 wird eingeleitet mit den Worten: hie (Vergilius) de
duohus (Homeri versibus) unum fabricatus est; vergl. unten 455. 483 f.
Wenn Vergil crxuYepr|V mit maestam wiedergibt, so ist das 'nicht mit
H. Weil, Etudes sur Tantiquite grecque (Paris 1900) 91 als absichtliche
Änderung aufzufassen, sondern Vergil legte dem Wort die Bedeutung
bei, die es in nachhomerischer Poesie oft hat. Er erhielt dafür eine
Rüge; Servius: vituperatur Vergilius, quod maestam dixerit quam ffxuxepriv
legit, id est nocentem, nam maesta est crxuYvr|. — Die Auswahl der Heroinen
ist oft behandelt und bemängelt worden, letzteres infolge des prinzipiellen
Fehlers, unbelegte Sagenversionen für Fiktionen oder Mißverständnisse
des Dichters anzusehen, obwohl wir doch grade die ihm besonders vertraute
hellenistische Poesie nur in Trümmern besitzen. Wir haben aus vor-
liegender Stelle vielmehr zu lernen: erstens, daß, wie schon bemerkt
(S. 242), auch Pasiphae wie die anderen hier genannten Heroinen
eines gewaltsamen Todes starb (unter den Heroinen im Hades nennt sie
auch Properz H 28, 52. IV 7, 57). Zweitens, daß es eine erotische
Umbildung der Sage von Eriphyle gab. Tatsächlich nennt Ovid ars am.
in 9 ff. Helena, Klytaemestra und Eriphyle als Typen verbrecherischer
Liebe, eine Version, die er auch am. I 10, 51 f. andeutet. Danach war
also Polyneikes ihr Buhle, dem zuliebe sie Gatten und Vaterland verriet
(wie Klytaemestra aus Liebe zu Aigisthos: beide Mütter fallen durch
ihre Söhne). Ob diese Umbildung bereits auf Euripides zurückgeht oder
erst von hellenistischen Dichtem vollzogen wurde, läßt sich nicht sagen.
Daß das Motiv aber in hellenistischer Poesie vorkam, folgt hier wie oft
aus der Übereinstimmung zwischen Vergil und Ovid; übrigens ist diese
Sagenversion die Voraussetzung für die Erzählung des Parthenios c. 25.
Drittens. Daß Caeneus im Hades wieder in seine weibliche Gestalt zu-
rückverwandelt worden sei (rursus et in veterem fato revoluta figuram),
sagt nur Vergil, aber die Sage von Caenis-Caeneus schwankte überhaupt
(Ovid m. XII 522 exitus in dubio est, vergl. Hygin f. 242). Jedenfalls ist
VERS 442—451. 245
es eine echt alexandrinische Pointe, wenn Vergil, woran seit Heinsius viel-
fach Anstoß genommen wird, die Verbindung Caeneus ...in veterem revoluta
figuram wagt: so läßt Catull im Attisliede von v. 6 an das Femininum an
die Stelle des Masculinum treten. Ganz im Stil zierlicher hellenistischer
Poesie ist auch die Antithese Caeneus — veterem (Kaiveuc 'Neumann' von
Kttivöc, statt 'Mörder' von Kaivuu). Anlehnung an griechische Meta-
morphosenpoesie zeigt endlich auch der scheinbar überflüssige Zusatz von
fato: denn von ähnlichen Vei-wandlungen hebt Ovid m. IX 430 ff. aus-
drücklich hervor, daß sie nach dem Willen des fatum geschehen.
445 Über das Schwanken der Hss. zwischen Procrin und Procrim
s. Anhang VI 7, über die giiechische Art des Versschlusses maestamque
Eriphylen ebenda IX. — 446 von Eriphyle crudelis nati monstrantem
völnera. Der Vorstellung, wonach die Spuren der Gewalt am eibuüXov
haften, folgt Vergil auch 450 (recens a volnere JDido), 494 ff. (Deiphobus
(XKpuuTripiaaGeic), II 272 ff. (Phantom Hektors atri cruento pulvere). Sie
findet sich schon X 40 f., einer von den Alexandrinern deshalb mit Recht
athetierten Stelle, und ist später allgemein (z.B. Tibull II 6, 39f. Prop.
IV 7, 7 ff. Stat. s. n 1, 154 ff. Apul. met. VLH 8). — 447 Euadnen M,
Euhadnen P, HeuJiadnen E. Da falsche Interaspiration in unsera Vergilhss.
sehr häufig ist (z. B. Borelian Caliystri cohercet, vergl. Ribbeck, proll.
Grit. 421 ff.), so ist fraglich, ob Euhadne auf Grund des von namhaften
Grammatikern bezeugten eödbev (vergl. Lehrs, Herodiani scripta tria 285)
hier als echte Überlieferung angesehen werden kann (mit Ribbeck und
Birt, Rh. Mus. LH Suppl. 1897, 122 f.). Dagegen steht unten 517 euhantis
und Vn 389 eufioe richtig in allen Hss. (Lachmann z. Lucr. V 743, Lehrs,
De Aristarch. stud.^ 318 ff.). — Laodamia: Versschluß nach griechischer
Art, s. Anhang IX. — 448 f. mmc femina Caeneus \ rursus et in veterem
fato revoluta figuram. Stellung von rursus dirö koivoO wie 7 50 f. ut
convexa revisant \ rursus et incipiant in corpora velle reverti, also nicht
mit M. Haupt op. I 121 unter die Beispiele eigentlicher Inversion von
et zu rechnen: s. z. 840.
451 f. quam (sc. Didonem) Troius heros \ ut primum iuxta stetit
adgnovitque per umhras \ obscuram. Die Anastrophe von iuxta ist bei
Vergil freilich konstant — ein Zeichen dafür, daß dies Adverbium auch
bei ihm noch nicht die vollen Rechte einer Präposition erhalten hat — ,
aber seine Trennung vom Accusativ durch den Versschluß ist singulär
und möglicherweise darauf zurückzuführen, daß Vergil die Worte (ut
primum) iuxta stetit an dieser Versstelle von einem früheren Dichter
übernahm, der der alten Praxis gemäß iuxta nur noch als Adverbium
kannte. Dieselbe Freiheit in der Stellung einer zweisilbigen Präposition
XI 149 f. feretro Pallanta reposto \ proaibuit super (reposto ennianischer
Versschluß: s. z. 59), 509 f. est omnia quando \ iste animus supra (für
Vergils eigne Praxis quando am Versschluß nicht gewöhnlich: s. Anhang
HIB 2), Vn441f. arma \ regu/m inter (^arma regum besang Ennius,
vergl. ann. 333). — umhras PR, umbram M mit Servius und Donatus;
ersteres 461. 490, letzteres 268 am Versschluß, sodaß eine sichere Ent-
scheidung unmöglich ist. Die Besorgnis, es möchte jemand, wie es tat-
sächlich die beiden Scholiasten getan haben, umbram obscuram verbinden,
konnte für Vergil kein Grund für die Bevorzugung der pluralischen Form
246 KOMMENTAR
sein, denn die Trennung eines nicht stark betonten Attributs vom Sub-
stantiv durch den Versschluß wäre nach seiner im Anhang HIB 1 er-
örterten Praxis ausgeschlossen gewesen. — 453 f. öbscuram (sc. Aeneas
Didonem agnovif), qualem primo qui surgere mense \ aut videt aut vidisse
putat per nubila lunam nach ApoUon. Ehod. IV 1477 f., wo Lynkeus den
Herakles sieht ujc Tic xe veuj evi rijuaii |Lir|VTiv | f| löev f| evörjaev
eTTaxXuoucrav ibe0Öai (Germanus), aber mit feiner Übertragung auf
Dido, da der Vergleich der Trauenschönheit mit dem Mondlicht seit
Sappho (fr. 3) und dem homerischen Aphroditehymnus (89) traditionell
war. — Henry 280 meint, daß Vergil eine astronomische üngenauigkeit
sich habe zu schulden kommen lassen, indem er von einem sichtbaren
Mondaufgang zu Anfang des Monats spreche, während Apollonios nur
von dem Sichtbarwerden des Mondes am frühen Morgen spreche. Nun
würde zwar ein Versehen auf diesem Gebiete bei einem lateinischen
Dichter gar nichts Ungewöhnliches sein, aber in diesem Fall liegt ein
solches doch wohl nicht vor. Denn primo mense braucht nicht grade
auf die ersten beiden Tage des Monats, an denen der Mond allerdings
unsichtbar ist, zu gehen. Vom dritten Tage an aber kann er durch die
Dünste des Horizonts hindurch erkannt werden, freilich nur mit großer
Mühe: aber das ist es ja auch grade, was Vergil hier ausdrücken
will (vergl. 340 Jmnc ubi vix multa maestum cognovit in umbra). Er
hat also, wie das seine Art ist, ein Motiv seiner Vorlage gesteigert
(s. z. 578. 625).
455 demisit lacrimas dulcique affatus amx>re est nach tt 191 bd-
Kpuov f|Ke xapLote -\- X 552 töv |iiev i^Oj eTreeacri irpocrriijbujv lueiXi-
Xioiffi (ürsinus u. a.), letzteres mit schöner, der Situation angepaßter
Vai-iation. — 456ff. Aiveiou Kai Aiboöc 6)iiiXia. Donatus: dictio
mire certe concepta est. Die Berühmtheit der Stelle im Altertum zeigt
sich noch mehr als in den Nachahmungen in der Travestie von 469 f.
bei Petron 132. — Auf feiner Berechnung beruht es, daß einzelnes in
den Gedanken und Worten des Aeneas an das IV. Buch anklingt: 456
infelix DJtZo == IV 596; 460 invitus regina tuo de Uttore cessi vergl.
IV 361 Italiam non sponte sequor; 464 Jmnc . . . tantum . . . dolorem
= IV 419; 466 quem fugis (Aeneas zu Dido) vergl. IV 314 mene fugis
(Dido zu Aeneas); hier vergießt Aeneas Tränen und Dido bleibt un-
beweglich (455. 469ff.), dort sind die Rollen umgekehrt (IV 314. 331f.).
— Die Eede des Aeneas umfaßt drei Gedankenreihen: 1. Es ist also
wahr: du bist tot und ich schuld daran durch meinen unfreiwilligen
Abschied von dir (456 — 60). 2. Hätte ich geahnt, daß du ihn dir so
zu Herzen nehmen würdest, so hätte ich mich vielleicht dem Zwang
nicht unterworfen (461 — 64). 3. Vergilt nicht Gleiches mit Gleichem,
indem du jetzt so schnell von mir scheidest; denn jetzt ist es ein Ab-
schied auf Nimmerwiedersehn (465 — 66).
4 56 f. infelix JDido, verus mihi mmtius ergo \ venerat extinctam:
Beginn der Rede mit schwermütigen Spondeen. — infelix Dido AiboT
beiXaiTi: vergl. Antip. Thess. A. P. IX 215, 5 'HpoT beiXair) (wahrscheinlich
Zitat aus dem Hero-Leander-Epyllion). — Das schöne Ethos der Partikel
ergo, die den Abschluß einer langen unausgesprochenen Gedankenreihe
voraussetzt, hat Vergil aus der dieser Episode zugrunde liegenden Partie
VERS 451-463. 247
der homerischen Nekyia (s. o.) beibehalten: Alav . . ., OUK öp' ^)LieX\ec
ktX. Mit solchem ergo beginnen Properz und Ovid, nach hellenistischem
Vorbild (vergl. Nikias A .P. VI 127), gern ganze Elegieen (z, B. Prop. HI 7,
Ovid tr. m 2); Horaz I 24, 5 und s. 11 6, 16 hat es nach dem Prooemium
wie Hesiod Erg. 11; in parodierend pathetischer Prosa Petron 83. —
Daß Aeneas eine Nachricht vom Tod der Dido erhalten habe, weicht
von V 1 ff. leicht ab. Ob der Dichter beabsichtigte, die kleiae Diskrepanz
zu Gunsten der einen oder der anderen Stelle auszugleichen oder sie als
für die Illusion gleichgültig zu dulden, wird sich nicht entscheiden lassen
(vergl. Helm, Jahi-esber. d. Altertumswiss. CXm 1902, 48); doch ist
letzteres glaublicher. Das hier verwendete Motiv, daß ein Liebender
den Tod der Geliebten diu*ch die fama erfährt, muß in alexandrinischer
Poesie geläufig gewesen sein, da es von Ovid m. XIV 726 ff. in der Nach-
dichtung eines hellenistischen Epyllions pointiert so verwendet wird: nee tibi
fama mei Ventura est nuntia leti: \ ipse ego, ne duhites, adero praesensque
videhor, | corpore ut exanimi crudelia lumina pascas. Diese Stelle Ovids
beweist zugleich, daß Vergil auch IV 384 f., wo er seine Dido sagen läßt
sequar atris ignibus absens \ et cum frigida mors anima seduxerit artus \
Omnibus umbra locis adero, ein überliefertes Motiv verwertet hat. —
4:58 funeris heu tibi causa fui. [Ovid] h. 17, 200 läßt Leander an
Hero schreiben: 'wenn du meinen Leichnam finden wirst, so wirst du
sagen: mortis huic ego causa fui', Worte, die in dem hellenistischen
Original von Hero an Leanders Leiche wirklich gesprochen wurden (vergl.
J. Klemm, De fabula quae est de Herus et Leandri amoribus, Leipzig
1889, 35). Also hat Vergil die Worte dieses von ihm selbst (g. III 258ff.)
zitierten Epyllions auf die vorliegende Situation übertragen. — 459 si
qua fides tellure sub ima: si qua fides eine Verbindung des täglichen
Lebens, da sie auch Martial I 13, 3 hat. — Ein durch si (ei) leise
angedeuteter Zweifel, ob irdische Verhältnisse füi* das Jenseits ihre Gültig-
keit haben, ist auf Grabschriften beider Sprachen typisch, vergl. Eohde,
Psyche H^ 393; lehrreich carm. ep. 1328 Buch, im Vergleich mit 1329. —
460 invitus, regina, tu^ de litore cessi Zitat aus Kallim.-CatuU 66, 39
invita, o regina, tuo de vertice cessi (Ursinus). Bei CatuU folgt der
Schwur, der hier vorhergeht; ein solcher gehört seit Alters zum ständigen
Inventar erotischer Poesie. — 462 loca scnta situ. Das alte sentus
(eig. 'angefressen' otTrö toö aivecTGai, vergl. Bücheier, Rh. Mus. XLII
1887, 586) hat Vergil wieder hervorgezogen; vor ihm ist es nur Ter.
eun. 236 video sentum squalidum aegrum, pannisque armis öbsitum über-
liefert. Vergil nahm es nicht aus Terenz, der ihm für seine Phraseologie
fem lag, sondern beide aus einem älteren Dichter. Dafür spricht auch die
Phrase, mit der Terenz seinen Vers schließt: annis obsitus wie Vergil
Vni 307 ibat rex obsitus aevo: hier garantiert das plautinische consitus
sum senectute (Men. 756) nach den Ausführungen im Anhang I eine
ältere (tragische) Vorlage, durch deren Reproduktion die beiden Komiker
parodischen, Vergil feierlichen Effekt erzielen. — Der situs gibt den
von den Intpp. verglichenen homerischen 'Aibeuü b6|Liov eupouevTa richtig
wieder. — 463 imperiis egere suis nee crederc quivi. Da die Phrase
imperiis egere suis VH 240 in ennianischer Umgebung steht, wird sie
aus Ennius stammen, der a. 595 imperiis am Versanfang hat. Entlehnung
248 KOMMENTAR
ist auch wegen der subtilen Differenzierung iussa deum . . . imperiis egere
wahrscheinlich (vei'gl. Terenz eun. 389 iubesne? — iubcam? cogo atque
impero, und dazu Donatus: evidenter ostendit, plus esse imperare quam
iubere). — quivi fühlte Vergil schon als Archaismus: er hat nur noch
X 19 qucamus, beides nach nee am Versschluß und in Reden. Mit queamus
(ohne Negation) schließt auch Cicero seinen von ihm de div. II 63
zitierten Vers ; quivi (mit Negation am Versanfang) hat das archaisierende
carm. epigr. 1044 Buch. — 465 aspectu (te subtrahe). Dativformen auf
-11 hat Vergil nicht bloß in Worten, die sonst metrisch nicht zu ver-
werten waren (amplexu unten 698, aspeetu, concuhitu, curru, fletu, portu,
venatu, victu), sondern einmal auch in metu (I 257); also hielt er diese
von Autoritäten gebilligte Dativform für die korrekte. — 466 quem
fugis? Das Motiv ist aus der alten Lyrik (Sappho 1, 21. Anakreon 75, 2)
über die alexandrinische Poesie (z. B. Theokrit 6, 17) in die lateinische
Erotik gekommen (z. B. Tibull I 8, 62. 9, 74). — extremwm fato quod
te adloquor hoc es^ oo Soph. Ai. 857 f. TrpoaevveTTUu ] iTavu(TTaTOV bf)
kouttot' auGic iJ(TTepov (Germanus). Über den absichtlich abrupten
Versschluß hoc est s, Anhang IX und o. zu 346.
46 7 f. ardentem et torva tuentem . . . animum. Die kühne Personi-
fikation torva tuens animus ist eine TpaYiKf] XeHic wie Soph. Ai. 955
KeXaivuJTrac 0u)aöc (vergl. Aesch. Cho. 847 K. cppfjv u))d)uaTUJ|aevr| u. dgl. m.
bei C. Hense, Poet. Personifikat. in griech. Dicht., Halle 1868, 42 f.).
Auch die Konstruktion torva tueri ist ja ein Gräzismus (seit f 342 ctTpict
bepKÖjaevoc), der in lateinischer Poesie für uns seit Lucrez (V 33 asper
acerha tuens bpijuea bepKÖ|U€VOC = aen. IX 794, vergl. g. in 149) nach-
weisbar ist. Er war bei den Daktylikern deshalb beliebt, weil er eine
Kürze bot; besonders kühn g. IV 122 sera comantem narcissum (önJißXaaxfi).
Torvus nicht 'wild' 'grimmig', sondern, wie 469 solo fixos oculos tenebat
zeigt, 'starr (stier)': Vergil glaubte wohl Taupr|böv ßXeTiew so richtig zu
übersetzen, da er wie andere torvus mit taurus spielerisch zusammen-
brachte (g. in 51 torva bos, Ovid. m. VITE 132 torvum taurum). —
468 lenibat dictis animum lacrimasque eiebat: ein Vers, der dem
Gedanken entsprechend absichtlich lenis ist: Alliteration mit l, Vokal-
reichtum. Im Gegensatz dazu die Härte der Dido 471 si dura silex aut
stet Marpesia cautes: viele 5, x. Vergl. Dionys. de comp. 14 fibuvei ir\v
OtKOflV TÖ X KOI eCTTl TUJV fl|Ul(piUVUiV YX^KUTttTOV . . ., aXCtpl be Kttl
dribec TÖ a xai ei TrXeovd(yeie aqpöbpa XuTteT, . . . tö H töv cTupiTMÖv
aiTobibuJcri; x als vasta und aspera littera bei Cic. or. 153, Varro fr.
49 Wilm. Die Homoioteleuta lenihat — eiebat — tenebat sind beabsichtigt:
sie dienen, wie die Theorie für diese Figur vorschreibt, dem KdXXoc der
Rede. Die beiden letzten stehen an den Versenden, was bei Ovid schon
viel häufiger ist als bei Vergil , der es relativ selten und nicht • immer
mit Absicht hat: mit deutlicher Absicht z. B. IV 405 f. 655f. und wohl
auch unten 843 f. Vergl. das Material bei H. Johnstone (Rhymes and
assonances in the Aeneid, Classical review X 1896, 9 ff.), das aber der
Sichtung bedarf. — lenibat. Vergil hat i für ie nur in der Aeneis (vergl.
Wotke 1. c. [z. 24] 145), und zwar fast nur in Worten, die metrisch
nicht anders zu gebrauchen waren (insignibat lenibat nutribat nutriba/nt
redimibat vestibat); nur polibant VIII 436 (also in einem späteren Buch)
VERS 463—471. 249
hätte sich dem daktylischen Maß auch mit der gewöhnlichen Flexion
gefügt. — lacrimasque ciebat. Schon im Altertum (vergl. Servius) zweifelte
man, ob die Tränen des Aeneas oder der Dido zu verstehen seien.
Aber der Gedanke, daß Aeneas Dido grade zu Tränen habe rühren
wollen („er suchte ihr Tränen zu entlocken als Zeichen der eingetretenen
weicheren Stimmung" Ladewig), ist schwerlich passend. Auch wider-
spricht diese Erklärung dem durch CatuUs Vorbild (64, 131 singultus ore
cientem von Ariadne) bedingten Sprachgebrauch Vergils g. HI 517 (taurus
concidit) extremosque ciet gemitus a. III 344 f. talia fundebaf lacrimans Ion-
gosque ciebat \ incassmn fletus. Diese Argumente (vergl. Henry 329 f.)
werden durch den Einwand Schapers, daß es bereits 455 von Aeneas heiße
demisit lacrimas, kaum widerlegt: die Wiederholung des Gedankens macht
wahrscheinlich, daß Vergil die Phrase lacrimasque ciebat älterer Poesie
entlehnt und hier als floskelhaftes TrapaTr\r|puü)iia des Verses verwendet
hat. — Über die Wortstellung lenibat — ciebat s. Anhang IIIA 2.
469 ff. Dido schweigt wie Aias (\ 563 uuc e(pd)LiTiv, 6 be in'oubev
d|LieißeTo). Nach dem homerischen Vorbild haben die Tragiker (besonders
Aeschylos) das Motiv des Schweigens oft in Anwendung gebracht,
worüber 0. Hense, Das Schweigen nnd Verschweigen in Dichtungen,
Parchim 1872 gehandelt hat; schon antike Exegeten der guten Zeit
haben darauf sorgfältig geachtet, wie die alten Schollen zu Aesch. Prom.
438 K. und Aristoph. Ean. 911 beweisen. Wenn Vergil das Motiv hier
in Anlehnung an Homer verwendet, so. ist das bewußte Technik, wie
Heyne durch Hinweis auf irepi öq;ouc 9 f] toO AiavTOC ev V€Kuia
(TiujTrf) juefa Kai iravTÖc uvj^riXÖTepov Xöyou bemerkt. Ovid m. XIII 53 7 ff.
hat in Nachahmung unserer Stelle dasselbe Motiv verwendet, aber das
Ethos durch KttKoilriXia verdorben. — 469 illa solo fixos oculos aversa
tenebat. Ursinus vergleicht Eurip. Med. 2 7 f. out' ömn" eiraipouc' out'
dTTaXXd(Tö"ouaa Ync | irpöauüTrov. Formell noch näher steht Theokrit 2, 112
ujaTOpTOC em xöovöc ö|U)aaTa TtriSac | 'ileTO, Musaeus 160 TrapöeviKri
h' dcpGoTTOC erri xöova -rrfiHev öiriJüTrriv (und wohl nach demselben
hellenistischen Vorbild das späte Epigramm A. P. V252 tittte rrebov,
XpviaiXXa, KdTUJveuou(TaboKeueic). D. h. also: das erotische Motiv
kam aus der Medea in die hellenistische Poesie, aus der es Vergil, wie
die späten griechischen Dichter, reproduziert; von Eros selbst sagt Bion
5, 3 de xööva veuffTdZ^iuv. — Dido liebt den Aeneas noch: odit et amat.
Das wird 472 durch tandem corripuit sese mit schöner Kürze angedeutet:
der Entschluß des Scheidens auf Nimmerwiedersehn wird ihr trotz allem
schwer. — 470 voltum movetur mit neuer Konstruktion: s. z. 281. —
471 quam si dura silex aut stet Marpesia cautes mit dirö koivoO ge-
stelltem stet, ähnlich 474 respondet curis aequatque Sycliaeus amorem
538 sed- comes admonuit breviferque adfata Sibylla est 692 per 717 cupio.
Aus den Sammlungen von J. Kvicala, Vergilstudien (Prag 1878) 64 ff.,
Leo, Analecta Plautina I (Göttingen 1896) 21. 32. 43 und Hillebrandt 1. c.
(zu 268) 2 5 ff. ergibt sich, daß diese Wortstellung in der augusteischen
Poesie durch das Medium der hellenistischen besonders beliebt wurde.
Sie gehört oft zu den Mitteln, dem in der zweiten Hälfte des Verses
fallenden Rhythmus ein Gegengewicht durch den Gedanken zu verleihen,
ein der alten Poesie unbekanntes Prinzip: Lucrez füllt die zweite Vers-
250 KOMMENTAR
hälfte oft mit Flickworten, während Vergils Praxis z. B. an einem Vers
wie 464 liunc tibi me tantum \ cliscessu ferre dolorem deutlich zu erkennen
ist; vergl. darüber auch Anhang HIB 2. — Dem vulgären Vergleich
der Starrheit des Sinnes mit der eines Steines (ujc be Trexpoc dKOuei
Eurip. 1. c.) wird durch Marpessia cautes eine feine Nuance hinzugefügt:
„starr wie ein Marmorbild". So nach hellenistischer Poesie (vergl. Theo-
krit 6, 38. Poseidippos A. P. V 193), auf die ohnehin das gelehrte Epitheton
hinweist, auch Horaz c. I, 19, 6 und Ovid m. III 419 haeret ut e Pario for-
matum marmore Signum a. I 7 , 51 adstitit illa amens alho et sine san-
guine voltu, \ caeduntur Pariis qualia saxa iugis. — 472 f. corripuit sese
wahrscheinlich ennianische Floskel: s. Anhang I 1. Älterer Poesie entnahm
Vergil auch (nemus) umbriferum, da Cicero dies Wort in seine Übersetzung
eines homerischen Hexameters wie ein ihm überliefertes hineinträgt (de
div. II 63 sub platano umbrifera, fons wide emanat aquai -^ B 307 KaXfü
iJTrö TüXaxavicrTUJ, öSev peev otYXaöv i)bu)p). — coniunx pristinus. Servius:
pristinus prior, quod difßcile invenitur, nam de hoc sermone quaerit et
Probus et alii. Analog IV 458 von Sychaeus: coniugis antiqui, dazu die
Scholien: aut prioris aut cari. Lucilius ^concilio antiquo sapiens vir solus
fuisti\- antiquus ergo est qui praecedit eum qui praesens est. Beides wohl
nach ö TrdXai ttÖ(Tic, 'ihr weiland Gemahl'. — 47 3 f. iUi \ respondet
curis aequatque SycJiaeus amorem. Durch das parataktisch angefügte
(s. Anhang II 2) aequat amorem wird respondet curis (curis mit Thiel
als Dativ neben Uli zu fassen, s. z. 305) erklärt: in der Liebe ist das
pares esse wesentlich (Rothstein zu Prop. I 1, 32), mutua cura der Gatten
Ovid m. VII 200, f. II 730. Unserem Vers entnahm Ovid das Motiv
seiner 7. Heroide (Dido Aeneae) 95 ff. — Der trochäische Einschnitt nach
dem vierten Trochäus gibt dem Verse besondere Weichheit: s. Anhang
VII B 2 b.
475 f. nee minus Aeneas, casu concussus iniquo \ proseqmtur laeri-
mis longe et miseratiir euntem. Wenn hier Aeneas der scheidenden Ge-
liebten mit Tränen und Seufzern nachblickt, so ist das die ümkehrung
eines in hellenistischer Poesie — auf Grund der leisen Andeutung Homers
Z 496 evTpoTraXiZojaevri , nämlich Andromache nach dem scheidenden
Hektor — viel verwendeten Motivs: die zurückbleibende Gattin (Geliebte)
sieht ihrem scheidenden Gemahl (Geliebten) mit Tränen und Seufzern nach,
vergl. Catull 64, 249, Ovid m. XI 463 ff. (nach Nikandros.?), h. 12, 55 f.,
Apuleius m. V 25 (nach der griechischen Quelle seines erotischen Märchens).
Aber auch die Umkehrung selbst hatte in jener Poesie ihren Platz, wie
die Verwendung beweist, die Vergil selbst in dem Orpheus -Epyllion
(g. IV 49 9 ff.) und der hiernach gestalteten Abschiedsszene zwischen Aeneas
und Creusa (a. II 790 ff.) von dem Motiv gemacht hat. In dieser Form
scheint das Motiv auch in dem Epyllion von Hero und Leander vor-
gekommen zu sein, insoweit aus der Nachdichtung bei [Ovid] h. 17, 117 f.
ein Schluß auf das Original erlaubt ist. — nee minus phraseologische
Anknüpfungspartikel wie 212. — casu concussus iniquo ^^ V 700 casu
concussus acerbo, dort in ennianischer Umgebung (s. z. 156 ff. 679); iniquo
zum Kontrast mit aequat 474.
5. Die im Kriege gefallenen Helden 477 — 547. Die Dis-
position ist ähnlich wie 295 ff. 440 ff.: aus der großen Masse einzelner
VERS 471—477 251
Gruppen, die zuerst kurz behandelt werden, hebt sich Einer heraus, mit
dem Aeneas (wie Odysseus mit Agamemnon X 387 ff.) ein Gespräch an-
knüpft, wie vorhin mit Palinurus und Dido. Wir haben also im ganzen
eine Trias von Dialogen,
a) Einzelne Gruppen 477 — 93. Nach den Übergangsversen
477 — 78 (ipiKiuXov) drei Gruppen: a) Thebanische Helden 479 — 80
(drei KÖ)Li)aaTa), ß) Trojaner 481 — 88 (zwei Perioden: 481 — 85 TCTpd-
kujXov, das vierte kiBXov mit vier KÖ)i|iaTa; 486 — 88 biKwXov, das
zweite kuuXov mit vier KÖ)ii|iaTa), t) Flucht der Griechen 489 — 93
(zwei Perioden: 489 — 91 xpiKUjXov, 491 — 93 TerpdKUjXov).
Über die Quelle dieser Motive läßt sich folgendes sagen. 1) Heyne
zitiert als Vorbild für unsere von ihm sehr bewunderten Verse 489 ff.
(Flucht der Griechen) X 605 ff., wo die Schatten vor dem eiöujXov des
bogenspannenden Herakles fliehen. Aber viel näher muß der vergilischen
Schilderung die von ihm nachweislich benutzte (s. z. 131 f. 260. 309 — 12.
384 — 416) 'HpaKXeouc KaxdßaiJic gestanden haben, denn in dieser
hieß es vom lebenden Herakles: OTTrivka be eibov aiiTÖv ai ipuxai, (x^upic
MeXedYpou Kai Mebouffric) e9UT0V (ApoUod. H 5, 12). Daß Vergü das
Motiv von der Flucht der griechischen Feinde nicht selbst hinzufügte,
ergibt sich auch daraus, daß es den engen Anschluß von 494 (Aeneas'
Zusammenkunft mit seinem Bruder und Freunde Deiphobus^ an 488
(Aeneas' Zusammenkunft mit trojanischen Freunden) unterbricht. Auf dies
Moment scheint die antike Exegese aufmerksam geworden zu sein, denn
Donatus bemüht sich zu zeigen, daß die descriptio Graecorum non in-
aniter posifa est, kannte also wohl ein darauf gehendes Z!r|Tri|Lia. 2) Ferner
mußte eine Zusammenkunft des Herakles mit den vor Theben gefallenen
Helden in der 'HpaKXeouc Kardßadic zweckvoller sein (vergl. Eurip.
Suppl. 1197 ff.) als bei Vergil (479 f.) deren Zusammenkunft mit Aeneas,
für den sie gar keine Bedeutung haben: ihre Aufzählung 479 f. ist da-
her auch ein bloßes Ornament, dem man deutlich anmerkt, daß es nicht
für diese Stelle erfunden sein kann. 3) Die Benutzung einer älteren, er-
lesenen Vorlage gerade bei Nennimg der thebanischen Helden wird end-
lich durch folgende Indizien bestätigt. Vorangestellt ist Tydeus, der in
der Thebais und nach dieser auch bei Aeschylos der Hauptheld ist
(E. Bethe, Theban. Heldenlieder 84). Als zweiter wird Parthenopaios
genannt mit dem Epitheton inclutus armis: tatsächlich galt er als der
tapferste der Sieben (Bethe 1. c. 86 f.). Doch diese beiden Momente konnte
Vergil allenfalls aus Aeschylos imd Euripides (Phoen.) kennen; aber die
Nennung des Adrastos als dritten führt auf anderes. Seine Erwähnung
befremdet zunächst, weil in diesem Bezirk des Hades sonst nur ßiaio-
Gdvaroi genannt sind: ein solcher war aber Adrast nach der geläufigen
Sage nicht, vielmehr entkam er als einziger durch seine Flucht dem
Verderben. Nun aber ist von Usener 1. c. (zu 106) 3 7 ff. bewiesen, daß
nach der ältesten Sagenversion auch Adrastos den Tod fand, was in
einem thebanischen Epos erzählt gewesen sein muß (Bethe 1. c. 65 f.), und,
wie wii- jetzt werden hinzufügen dürfen, aus diesem in die 'HpanXeouc
KaidßacTic übernommen wurde, die Vergil hier benutzt hat. So erklärt
es sich auch, daß ihn Vergil unter den hello clari (478) nennt, während
er für diejenigen, die ihn aus der Schlacht fliehen ließen, vielmehr der
252 KOMMENTAR
Typus eines Feiglings war: Isokrates pan. 169, Anth. Pal. VII 431.
Wenn Vergil von ihm sagt Ädrasti pallentis imago, so darf das also
nicht mit ohnehin sehr künstlicher Interpretation auf seine Flucht in
Trauergewändern bezogen werden (Ladewig); pallens wird er nur deshalb
genannt, weil er im Hades ist, und daher wird auch imago hinzugefügt:
et Ädrasti pallentis imago = et Ädrasti pallens imago, 'Abpr|(TTOU t' ei-
öujXov d|Liaupöv.
477 ff. datum molitur iter ~ Aetna 112 molilMS iter (von dem sich
Bahn brechenden Gashauch des Erdinnem). Da dies Gedicht sprachlich
von der Aeneis noch nicht beeinflußt ist, so muß die Phrase älterer Poesie
angehören (ebenso väe Aetna 299 subremigat unda -^ aen. X 227 suh-
remigat undis). Das bestätigt sich dadurch, daß möliri hier, wo es sich
doch um keine Anstrengung handelt (datum iter), in ganz verblaßter
Bedeutung steht; genauer X 477 von der Lanze: viam clipei molita per
oras. — iamque arva tenebant \ ultima quae hello clari secreta frequentant.
Die Trennung des Attributs durch den Versschluß zeigt, daß es zum
folgenden gezogen werden soll (s. Anhang III Bl); Servius: tenebant arva
quae ultima viri fortes frequentant. — tenebant MR; tenebat P in An-
gleichung an das vorangehende molitur (umgekehrt oben 362 habent M
statt liabet infolge des danebenstehenden versant; s. z. 37). — 479 in-
clutiis an gleicher Versstelle Ennius a. 147. 164; unten 782 incluta Roma
wie Ennius 494. — multum fleti iroXuKXauTOi (Germanus). — 481 bello
cadud wie X 622 caduco iuveni von dem zu einem frühzeitigen Tode
bestimmten Turnus, wo es Servius als moriturus erklärt. Genauer Donatus :
fructus quorum pars appellatur caduca quae im, usus hominum non cadit.
inde translatum est, ut caduci dicantur homines qui in pueritia aut iuventa
moriu^ntur (vergl. aen. IV 620 cadat ante dicm), also aus derselben volks-
tümlichen Begriffssphäre wie mors acerba (vergl. o. 429). Es liegt die
Vorstellung zugrunde, daß der Tod im Kriege ein gewaltsamer und daher
ein vorzeitiger ist (s. Einleitung S. 12 f.).
483 f. ingemuit mit großem Ethos an den Versanfang gestellt; es
bildet bei richtiger Interpunktion (Rezitation) ein kujXov für sich, wie
220 fit gemitus. — Wie Vergil 479 f. drei Thebaner nannte, so hier
zweimal drei Trojaner, vergl. II 261 ff. dreimal drei Namen (^per ternos
dixit Servius). — Die ersten vier Namen (Glaucumque Medontaque Ther-
silochumque \ tres Äntenoridas) kontaminiert (s. z. 445) aus P 216 fXaO-
KÖv Te Mebovrd te GepffiXoYOv re + A 59 xpeic 'Avirivopibac. Aber
während in letzterem Vers deren Namen folgen, tritt hier dafür als
fünfter Name ein: Cererique sacrum Polyboten (über die giiechische Art
der Versschlüsse ThersilocJiumque und Polyboten s. Anhang IX). So ist
der Name in P^ geschrieben, während MP^R Folyhoeten haben, worauf
auch die Noniushss. mit Poleboeten führen. Die La. Polypheten kommt
als Überlieferung nicht in Betracht, da sie nur in Humanistenhss. über-
liefert und eine Interpolation aus N 791 TToXu(pr|TriV ist. Heinsius wollte
nach Y 836 Polypoeten schreiben, aber Ribbeck nimmt wohl mit Recht Poly-
botes auf. Denn TToXußoiTr|C gibt es nicht, aber TToXußdjxric ist Name
eines Giganten, in den Schol. zu Theokrit 10, 15 richtig als der 'rinder-
reiche' gedeutet. Daß nun Vergil hier nicht, wie sonst oft (vergl.
Heeren 1. c. [z. 334]), einen beliebigen griechischen Namen zu einer Namen-
VERS 477—499. 253
gebung füi' einen Trojaner verwertete, zeigt der Zusatz Cereri sacrum:
ein trojanischer Demeterpriester mit Namen Polyhotes muß ihm also
irgendwo überliefert gewesen sein, etwa aus demselben Dichter, aus dem
er wohl d\irch Vermittlung eines mythographischen Handbuchs den troja-
nischen Poseidonpriester Laokoon übernahm, also einem Kykliker. Das ist
um so wahrscheinlicher, als er den verwandten Namen Butes V 372 in
einem Zusammenhang hat, der, wie Heyne dort bemerkt, in letzter Instanz
auf ein kyklisches Epos zurückgeht. Für ein solches würde auch passen,
daß ein Priester hier unter 'Kriegshelden' genannt wird, wie Amphiaraos
nach der kyklischen Thebais (aus dieser Pindar 0. 6, 17) und Mopsos
nach der Quelle Ovids m. XH 455 ff. ihren sakralen Beruf mit dem eines
Kriegers verbanden. Derselben nachhomerischen Vorstellung folgt Vergil
selbst auch X 537 ff. XI 429. 768 ff. XII 258.
486 circumstant animae dextra laevaque frequentes so MR mit dem
(zu 105 zitierten) Cento 466; frementes P. Letzteres, häufig bei Vergil
gerade am Versschluß (s. z. 175), ist hier unpassend: vergl. 493 hiantes;
es wird von Eibbeck (Prol. 294) und Ettig (Acheruntica 352, 5) falsch
verteidigt. Dagegen schließt frequentes die Gedankenreihe gut mit dem-
jenigen Begriff ab, der in ihrem Anfang 482 durch longo ordine aus-
gedrückt war. — 488 conferre gradum wahrscheinlich ennianisch: s. An-
hang I 1. — 491 ff. ingenti trepidare metu, pars vertere terga. Die t malen,
wie 493 clamor frustratur hiantes die a (Henry 272): s. z. 237 f. und
Anhang VH A. — Die Versschlüsse 491 pars vertere terga und 492 pars
tollere vocem mit einem in solcher Stärke in diesem Buch sonst nicht
vorkommenden Parallelismus (s. Anhang II 3), der die Entlehnung einer
der beiden Phrasen aus dem kriegerischen Epos des Ennius möglich er-
scheinen läßt. — 493 exiguam von vocem durch Versschluß getrennt,
weil es durch die folgenden Worte inceptus clamor frustratur hiantes
näher begründet wird (s. Anhang HI B 1). Gemeint ist natürlich die
(pujvfi TexpiTuTa V 101 uü 5ff. (Heyne). Auffallend ähnlich in der for-
mellen Ausdrucksweise ist Lykophr. Alex. 686 f. otKOUCTei KeTGi (im Hades)
TrejLiqpibuüV örra | Xeiririv (= vocem \ exiguam), djuaupac judcTTaKOC TrpocT-
q)6eY|ua(Jiv (vergl. hiantes). Nach anderer Quelle hat unten 619 einer
der Büßer magnam vocem.
b) Begegnung mit Deiphobus 494 — 547 (494 — 556 auf einem
Bild der Bilderhs. fol. XLIX' vereinigt). Auf eine Einleitung (494 — 99)
folgen zwei bidXoYOi (getrennt durch 535 — 38): der des Aeneas (500 —
508) mit Deiphobus (509—34), sowie der der Sibylle (539—43) mit
Deiphobus (544 — 46); darauf der Schluß (547). — Periodisierung:
494 — 97 biKOuXov, das zweite mit vier KomnaTa; 498 — 99 bkuuXov,
das erste mit zwei k.; 500 — 502 bkuuXov mit je zwei k.; 503 — 506
biKUjXov mit je zwei k.; 507 — 508 biKuuXov, das zweite mit zwei k.;
509 nihil — 514 TpiKiuXov mit je zwei k.; 515 — 19 biKOuXov mit zwei
bez. vier k.; 520 — 22 biKUuXov; 523 — 27 TpiKUüXov mit je zwei k.,
528 — 30 biKiuXov mit drei bez. zwei k.; 531 — 32 attulerint biKUüXov;
532 pelagi — 34 rpiKUuXov, das erste und dritte mit je zwei k.; 535 — 38
biKUjXov mit je zwei k.; 539 — 43 TerpdKUuXov, das erste, dritte und
vierte mit je zwei k.; 544 ne — 46 TpiKuuXov, das zweite mit drei, das
dritte mit zwei k.; 547 zwei KÖ)a|LiaTa.
254 KOMMENTAR
Daß wir über die von Vergil befolgte Sagenversion vom Fall Trojas
(5 13 ff.) mit einiger Bestimmtheit urteilen können, wird vor allem einer von
G. Knaack, Rh. Mus. XL VIII (1893) 632 ff. der Vergessenheit entrissenen
Entdeckung Schneide wins (Göttinger Nachrichten 1852, 9 9 f.) verdankt.
Während die Sage, daß Helena den Griechen mit einer Fackel das Zeichen
zum Angriff gegeben habe, nur bei Vergil, sowie dem angeblich von
Vergil abhängigen, in Wahrheit mit ihm die gleiche Quelle benutzenden
Tryphiodor 51 2 f. vorzuliegen schien und noch von Fr. Noack, Rh. Mus.
1. c. 430 f. als vergilische Erfindung ausgegeben werden konnte, zeigte
Schneidewin, daß sie vielmehr auch in dem Helenaroman des Simon
Magos befolgt wurde (nach Hippol. ref. haer. p. 252 und Epiphanios
adv. haer. T. II 1. 1 haer. 21c. 3). Daraus hatte schon Schneidewin ge-
folgert, daß von einer Erfindung Vergils keine Rede sein könne. Es
läßt sich noch hinzufügen, daß, wie es scheint, auch Horaz epod. 14, 13 f.
non joulchrior ignis j accendit obsessam Ilion diese Fassung im Auge hat:
bemerkt von Kroll 1. c. (zu llOf.) 163, 2. Endlich weist mir R. Wünsch
eine Gemme nach (bei Furtwängler Taf. XXXVIII 6) mit der Darstellung
des hölzernen Pferdes, aus dem die Helden heraussteigen, und der troja-
nischen Mauern, auf deren Zinnen eine Frau steht, die mit einer Hand
einen Gegenstand, also wahrscheinlich eben die Fackel, emporhält (etwas
anders Furtwängler Bd. II S. 181). Bei der Frage nach der Quelle dieser
Sagenversion müssen wir streng scheiden einerseits das alte Gedicht, das
die Version zuerst brachte, und anderseits die unmittelbare Vorlage Vergils
und der übrigen Zeugen. Von der letzteren läßt sich mit Knaack be-
haupten, daß sie ein mythographisches Handbuch war. Wenn aber
Schneidewin als jenes alte Gedicht die kyilische Iliupersis, 0. Immisch, Rh.
Mus. LH (1897) 127ff. die des Stesichoros bezeichneten, so muß das eine
wie das andere aus Mangel an genügenden Momenten als ungewiß gelten.
Dagegen läßt sich vielleicht — mit aller auf diesem Gebiet nötigen
Reserve — noch ein wichtiges Motiv jener alten Sagenversion feststellen.
Schon Schneidewin bemerkte, daß die feste Tradition, wonach Troja bei
hellem Mondschein gefallen sei (vergl. darüber auch Fr. Marx, Ind. lect.
Rostock 1888/9 p. 13), mit dieser Sagenversion in Verbindung zu stehen
scheine, da Helena ursprünglich selbst die Selene sei. Da nun diese
Identifikation auch sonst als gesichert gelten darf (vergl. z. B. Usener,
Rh. Mus. XXIII 1868, 344 ff.), so ergibt sich m. E. als notwendige Kon-
sequenz, daß die von Helena auf der Höhe der Burg geschwungene
Fackel ein Symbol des Mondes war. Dies scheint durch folgende zwei
Indizien bestätigt zu werden: 1. Tryphiodor 512 ff. sagt: Helena zeigte
in tiefer Nacht den Gefährten die goldne Fackel, so wie Selene im Voll-
glanz erstrahlend den Himmel mit ihrem Antlitz vergoldet. Das hat
der Spätling kaum erfunden, sondern einer Vorlage entlehnt, in der die
ursprüngliche Vorstellung analog den oben S. 162 besprochenen Fällen
nur mehr als Vergleich figurierte (vergl. Hesych. eXeviT Xa|LiTrdc und
eXdvn 'Fackel' bei Athenaeus XV 699D 701 A). 2. Nach Vergil 51 7 f.
führte Helena, vorgeblich als Choregin, die Trojanerinnen in bacchan-
tischem Taumel im Kreise, in der Mitte sie selbst die Fackel haltend
{ßammam tenebat eöabouxei). Ihre List beruhte also darauf, daß sie
Orgien zu feiern vorgab, bei denen die Fackel nötig war. Nun war die
VERS 494 ff. 255
Fackel das ständige Attribut nächtlicher Orgien, speziell des Dionysos-
Sabazios, und daß diese hier gemeint sind, beweist der Ausdruck 517
euhantes orgia (vergl. Catull 64, 390 f. saepe vagus Liber Parnasi vertice
summo 1 Thyiadas effusis euhantis crinibus egit, Properz 11 3, 18). Dieser
Gott aber wurde nach sicheren Zeugnissen mit dem phrygischen Men
identifiziert (W. Drexler in Koschers Lex. d. Myth. II 2755). Die Ent-
wicklung scheint also die gewesen zu sein, daß nach ältestem Mythus die
geraubte Mondgöttin selbst ihren Befreiem leuchtete und daß dann die
Göttin zur Heroine herabsank und die KoUe einer Priesterin des phrygischen
Mondgottes erhielt. Als solche schwingt sie, um ihre Befreiung zu er-
wirken, eine Fackel auf der Burgwarte: vergl. für den Begriff der summa
arx hymn. Merc. 99 r\ öe veov (TKOiTifiv TrpocTeßricTaTO öTa Ce\r|VTi
u. a. bei Röscher in den Nachtr. zu seiner 'Selene', Progr. Würzen 1895,
33. Zur Stütze dieser Kombination kann vielleicht der in mancher
Hinsicht verwandte lakonische Mythus (vergl. Usener, Sitzungsber. d.
Wien. Akad. CXXXVII 1897, 12) dienen, wonach Theseus die Helena
ev lepuj 'ApTejuiboc 'OpGiac xopeuouffav entführte (Plut. Thes. 31): denn
auch hier finden wir sie den Reigen führend im Kultus einer Gottheit,
deren Hypostase sie ist (vergl. S. Wide, 1. c. [o. S. 162] 174f. und
K. Wernicke in Pauly-Wissowas R.-E. I 1357). — In völligem Gegensatz
zu der besonderen Rolle, die hier der Helena angewiesen ist, steht die
mehr der vulgären Fassung entsprechende, die der Verfasser von aen.
n 567 ff. sie spielen läßt: die Interpolation steht durch das Zeugnis des
Servius und der alten Hss. sowie durch die unvergilische (ppdcTic fest
(s. Leo, Plaut. Forsch., Berlin 1895, 39, 3), wird übrigens auch durch
metrische Kleinigkeiten bestätigt (Anhang XI 2 B 3).
Da nun also, um wieder auf festeren Boden zu kommen, Vergil die
Beteiligung der Helena am Verrat sicher nicht erfunden hat, so folgt
das Gleiche für seine Erzählung vom Tode des Deiphobus (5 20 ff.), denn
beides ist unlösbar in einander verschlungen. Die uns bekannten Ver-
sionen (seit 9 514 ff.) haben (abgesehen von dem aus Vergil schöpfenden
Dictys V 12) nicht die Züge der verg. Erzählung; besonders eigenartig
Eustath. zu M 94, wie es scheint nach einer in die hellenistische Meta-
morphosen-Literatur führenden Version (vergl. z. B. Apollon. Rh. IH 851 ff.).
Auch Quintus Smyrn. XIII 354 ff., der ihn wenigstens d|uq)' '€\evTic
XexeecJffi getötet werden läßt wie Vergil (vergl. 528 thcUamo), kennt
doch weder die Beihilfe der Helena (Vei-gil 523 ff.) noch die Ver-
stümmelung der Leiche (Vergil 494 ff.). Aus den Fragmenten von Accius'
Deipliohus läßt sich nichts gewinnen. Aber durch folgende Erwägung
läßt sich wahrscheinlich machen, daß Vergil, wie bei seinen anderen
TpUJiKd, auch hier das stoffliche Material einer mythologischen (JuvaYUUYri
entnahm. Bei genauem Zusehen stellt sich nämlich heraus, daß er in dieser
Partie zwei Versionen über den Tod des Deiphobus verbunden hat. Denn
neben die Ermordung und Verstümmelung des völlig waffenlosen (523 f.)
Deiphobus durch Menelaos und Odysseus stellt er 502 ff. eine ganz ab-
weichende: Deiphobus fällt im Kampfe, nachdem er ein Blutbad unter
den Griechen angerichtet hat (vergl. für letztere Version die ähnliche
6 51 7 ff. und wieder etwas anders Dares 28). Freilich hat Vergil dafür
gesorgt, daß die beiden, unmittelbar hintereinander berichteten Fassungen
256 KOMMENTAR
sich nicht ausschließen: der tapfere Kampf des Deiphobus ist eine bloße
'fama\ die Aeneas, wie sie ihm zugetragen war, referiert (502), die
dann aber Deiphobus selbst durch Darstellung des wahren Tatbestandes
widerlegt. Das ist aber nichts anderes als eine geschickte Kombination
einer mythographischen Dublette. In dem Handbuch, das Vergil für
seine Darstellungen der Iliupersis benutzte, fand er beide Versionen
in der bekannten typischen Art nebeneinander, beispielsweise so: bia-
cpöpoüc idTopeTiai xd irepi Tf]v Ar|iq)ößou Te\euTr|V oi juev Tdp auxöv
Tpaqpouai ttoXXujv dvaipeBevxuuv TroXeiuiujv ev iiidxTl TrecTeTv Kai xeXeu-
xr|(Javxa Kevoxaqpiou xuxeiv em xf] r\i6vi 'Poixeia* oi be cpaffiv auxöv
TJ7TÖ MeveXdou Kai 'Obucrcreiuc ev xui ^auxoO öaXdinuj 'GXevnc lUTixavaTc
cpoveu9evxa eixa laaaxci^icyönvai. Diese Art eines Ausgleiches von Sagen-
varianten hat Vergil öfters; besonders nahe verwandt ist die Kombination
zweier Versionen über den Tod des Priamus II 505—57 + 557 — 58 (vergl,
Servius zu 506: de morte autem Priami varie lectum est. alii dicunt ...,
alii . . .; et hanc opmionem plane Vergilius sequitur, licet etiam illam
praelibet). Nicht immer ist die Kombination so geschickt wie in unserer
Episode. So erfährt Aeneas III 163 ff. auf Kreta, wohin er auf Anchises'
Rat gefahren war (104 ff.), daß nicht dieses, sondern Hesperien das ver-
heißene Land sei; als er das dem Anchises mitteilt, sagt dieser 1820".,
er habe das schon vor Zeiten von Kassandra gehört, aber ihr nicht
geglaubt: eine recht unwahrscheinliche Vereinigung zweier Versionen,
nach deren einer Aeneas gleich bei der Abfahrt über das Ziel seiner
Irrfahrten aufgeklärt war, während die andere ihn dieses erst auf Kreta
erfahren ließ. Von den beiden an vorliegender Stelle verbundenen
Varianten macht diejenige, nach der an dem ermordeten Deiphobus der
dKpuJXTipiaffjLiöc vollzogen worden ist — denn das ist ja der Sinn von
495 ff. — , schon durch die Roheit der Vorstellung einen altertüm-
licheren Eindruck: innerhalb des troischen Sagenkreises findet sie ihre
nächste Parallele an dem dKpiJUxripiacr)Liöc, den Klytaemestra an Aga-
memnon vollzog, wie das von Aeschyl. Cho. 42 7 K. und Soph. El. 445
benutzte Epos berichtete.
495 JDeiphobum videt lacerum FPR; Deiphobum vidit et lacerum M,
aber mit durchgestrichenem et; vidit im Lemma des Servius alle Hss.
bis auf eine, die videt hat. Mit Kombination beider Überlieferungen
Deiphohum videt et Heinsius. Aber et war wohl bloß eine auf vulgärer
Aussprache beruhende Variante zur Endung von vidit (vergl. 823 vincit
neben vincet, 846 restitues neben restituis), als solche zunächst über-
geschrieben: vidit, und dann in den Text gelangt, teils das Echte ver-
drängend (FPR), teils sich neben diesem erhaltend (M). — 495ff. Über
den Realismus der Vorstellung, daß das eibuuXov die Spuren der Wunden
bewahrt, vergl. oben z. 446 und aus der Hadesvision im Martyrium der
Perpetua (s. Einleit. S. 9) 7 die Worte: opili AeivoKpdxriv eHepxö|Lievov
CK XÖ7T0U (TKOxeivGO . . . iaQ\]ra e'xovxa puirapdv, ujxpöv xfj xpöcf, Kai
xö xpaö|ua £v xf) öi|;ei auxoO iiepiöv e'xi öirep xeXeuxuJv eixev ouxoc
be 6 AeivoKpdxric . . . eTTxaexfic xe0vr|Kei dcrGevricrac Kai xfjv övyiv
auxoö Y^TTPCiivii aaireic. — Die dvabiirXujaic in 495 f. lacerum crudeliter
ora, I ora manusque ambas dient dem eXeoc (z. 164f.); in 498 wird das
Ethos gesteigert durch die Alliteration adeo agnovit (eine Bestätigung
VERS 494—505. 257
für diese in MP überlieferte Schreibung gegen agnovit FR), die Kommata
496 f. populata tcmpara rajptis auribus und truncas nares inhonesto volnere
sind isokolisch gebaut (12 und 11 Silben). — lacer ora manusque mit
kühner Ausdehnung der griechischen Konstruktion (s. z. 243) auf lacer:
TreTTTipujjuevoc Tr\v öqjiv Kai xac x^ipcc. Öfter so saucius bei Vergil,
Tibull und Properz (vergl. Quintilian IX 3, 17). — populäre von Körper-
teilen kühn und wohl neu (wie iropöeTv); truncus, zuerst in augusteischer
Zeit nachweisbar, scheint nach der Proportion orbatus: orbus == truncatus:
trtmcus rekomponiert zu sein; 498 pavitare auch Terenz, also möglicher-
weise älter (s. z. 462); 499 compellat vocibus ennianisch: ann. 45 com-
pellare voce.
500 Beiphobe armipotens, genus alto a sanguine Teucri: \ quis tarn
crudeles optavii sumere poenas, \ cui tantum de te licuit. Daß dies keine
Fragen sind, bemerkt Donatus: principia isla non tarn interrogantis smit
sed potius admirantis et dolentis. Ebenso richtig sagt derselbe, daß quis
tarn crudeles optavit sumere poenas sich auf die erste Anrede armipotens
beziehe, wie cui tantum de te licuit auf die zweite genus alto a sanguine
Teucri. — Der Gedanke: „Deiphobus, wer hat dich so grausam behandeln
dürfen" ist einer berühmten Partie des ^Alexander' des Ennius nach-
gebildet, wo Cassandra u. a. prophezeite (fr. VIII): o lux Troiae, germane
Hector: quid ita (Lücke) cum tuo lacer ato corpore, miser, aut qui te sie
tespectantibus tractavere nobis. Diese Worte führt Macrobius s. VI 2, 18
an als Vorbild für aen. 11 281 ff., wo Aeneas zu dem ihm im Schlafe
erschienenen Hector sagt: „Hector, du Stolz Trojas, wie grausam bist
du behandelt worden." Dasselbe Motiv hat Vergil also an unserer Stelle
von Hectors Bruder Deiphobus verwendet. Das ist um so sicherer, als
in der Antwort des Deiphobus 51 5 f. ein weiteres Zitat aus derselben
Partie desselben Dramas folgt (s. u.). Benutzung einer Situation der
lat. Tragödie konstatierten wir schon oben z. 405 und werden unten
692 f. ein weiteres Beispiel kennen lernen. Wenn wir mit vollständigerem
Material operierten, würden wir auch auf diesem Gebiete, wie für Ennius'
Annalen (s. Anhang l), vermutlich zu Resultaten gelangen, die uns selbst
überraschen würden (vergl. auch Servius zu 11 241. IV 473. XI 259). —
armipotens auch bei Accius und Lucrez, also wohl ennianisch wie belli-
potens ann. 188. Auch genus alto a sanguine (Teucri) klingt archaisch,
wie oben 125 säte sanguine divom: vergl. Enn. ann. 117 o sanguen dis
oriundum. Die Phrase genus alto a sa/nguine (Teucri, bezw. divom) hat
er noch zweimal: IV 230. V 45, an letzterer Stelle der Situation wenig
angemessen (vergl. Georgii, Ant. Aeneiskritik 246), wodurch die Ent-
lehnung aus alter Poesie noch um so wahrscheinlicher wird (über genus
s. z. 792). Ebenso wird optare, der Etymologie entsprechend ^sich er-
küren', archaisch sein (s. o. 201 ff.). Die Spondeen quis tam crudeles optavit
sumere poenas malen die Trauer über das Furchtbare wie in der parallelen
Episode II 286 (quae causa) focdavit voltus, aut cur haec volnera cerno?
— In . cui tantum de te licuit ist de bedingt durch den Begriff des sumere
poenas im vorhergehenden Vers {supplicium sumere de aliquo seit Terenz
Andr. 623): de te steht also dTtö koivoO erst beim zweiten Glied (vergl.
Henry 333). — 505f. turne egomet tumulum Rhoeteo litore inamem \ consti-
tui. Donatus: egpmet: pro me suprema complev% non aliis facienda com-
Vbbqil Buch VI, von Notden. ' 17 ^ ^
258 KOMMENTAR
misi. Egomet nur noch V 650 (an gleicher Versstelle), memet IV 606,
vosmet I 207. Da Formen dieser Art in den Satiren des Horaz noch
häufig sind, aber, wie es scheint, nach Vergil aus der Poesie verschwinden
(vergl. die Sammlungen Neues IP 362 ff.), so müssen sie von Vergil zur
archaisierenden Färbung seines Stils verwendet worden sein (s. den ähn-
lichen Schluß oben z. 57. 104). — Bhodeo Utore FP^R, Rhoeteo in lüore
MP^ mit unbeliebter Synaloephe (Lachmann zu Lucr. 158 ff.). Rhoeteo ...
subter lüore CatuU 65, 7. — Die Sache wird nur hier, aber ersichtlich
nach einer erlesenen Quelle, erwähnt; em t^ ^lövi 'Ponexq. war auch
das |Livfi|Lia ATavTOC Strab. 595.
506 ff. Das Ethos der Rede ist gegen den Schluß hin durch alli-
teriende Verbindungen gesteigert: magna manis — voce vocavi (Schema
aabb), wo voce vocavi ennianisch ist: s. z. 247; auch mit Formen von magnus
liebt Ennius zu alliterieren: a. 302. 425. 558 tr. 50. 288, wie Vergil
selbst: so unten 583 manihus magnam. Ferner: nomen arma, — amice nequivi
(Schema abba); patria ponere. Dem Ethos dienen ebenso die an markante
Versstellen (s. Anhang IHA 2) gesetzten Homoioteleuta constitui — vo-
cavi — nequivi. — magna manis tcr voce vocavi, damit die Seele des
Erschlagenen, die das Grab umschwebt, den Ruf höre und dem abfahrenden
Bruder in die neue Heimat folge: ein Glaube, für den von den Intpp.
auf X 64 f. verwiesen wird: oiib' apa )iOi TrpoTepuj vfjec kiov äjicpie-
Xiffaai, I irpiv xiva tüjv beiXüuv erdpiuv rpk ^KacTiov dOffai (mit Schollen,
vergl. Rohde, Psyche 11^ 65 f.). — 507 f. nomen et arma locum servant.
te amice nequivi | conspicere et patria decedens ponere terra. Wer hier
unten den arma die des Deiphobus versteht, muß den Dichter allerdings
der Konfusion zeihen; denn es würde dann heißen, daß Aeneas zwar die
Waffen des Deiphobus gefunden und geborgen hätte, nicht aber den
Leichnam des Deiphobus selbst. Aber die Erklärung des Servius arma:
depicta scilicet ist evident richtig. Finden sich doch Waffen häufig auf
Grabsteinen von Kriegern dargestellt (vergl. Friederichs -Wolters, Bau-
steine no. 1812) und auf attischen Grablekythen zum Zeichen des Todes
im Kriege gemalt (vergl. E. Pottier, Etüde sur les lecythes blancs Attiques,
Paris 1883, 33), und analog ist es, wenn das eibiuXov eines Schiff-
brüchigen A. P. Vn 279 von den auf seinem Kenotaphion 'gemalten'
Schiffsgeräten spricht. Während also dem Misenus, der ein eigentliches
juvfiiiia erhielt, sua arma ins Grab mitgegeben worden sind (oben 233),
erhält Deiphobus bloß ein Kevoidtpiov (505 tumulwm inanem), dessen
Aufschrift und Waffen künden, wer er sei und daß er den Heldentod
gefunden habe (503 f. vasta te caede Pelasgum \ procubuisse super confusae
stragis acervovn). Daß Vergil auch hier, wie in der verwandten Palinurus-
episode (s. o. S. 225 f.), für die Stilisierung des ihm überlieferten mytho-
logischen Materials sich an hellenistische Epigramme anschloß, zeigt die
pointierte Gegenüberstellung von Namen und Körper des Toten (nomen —
te): vergl. A. P. VH 271 (Kallimachos) dvTi b' CKCivou |'oövo|ia Kai
xeveöv afiiLia rrapepxöiieGa uud ib. 500 (Asklepiades) i\xl \xhi ... KttKÖc
eupoc I diXecrev, Euittttou b' auiö XeXeiTur' övo|Lia. Für den Stileindruck
denke man sich also Vergils Erzählung in ein Epigramm etwa dieser
Art umgesetzt: Ariiqpößoio ßXeireic Kevöv ripiov, u) TrapobTia" 'Poireir)
\x^ eiapoi Gdipav Itt" iiiövi. Autöc ^^v K€T|aai )li€t' 'AxaioTc oOc ^vd-
VERS 506—510. 259
piHa* )Livfi)aa b' dpicrteiTic SirXa xai oi5vo|n' opctc. — ^ amice in der
Aeneis singulär, in den Bucolica 2, 65 o Alexl 8, 108 qui ämant (vergl.
J. Schultz, Beitr. z. lat. Metrik, Danzig 1872, 9). Es ist also möglicher-
weise ein Kriterium der relativ frühen Abfassungszeit dieses Abschnitts
wie die umgekehrte Erscheinung IV 235 spe inimica, die ebenfalls in der
Aeneis singulär ist, aber in den Bucolica zahlreiche Analogieen hat.
509 ff. Die Eede des Deiphobus mit ihrem Hauptstück, der aXuucTic
Tpoiac, ist besonders kunstvoll disponiert: Schilderung der Einnahme
von Städten war ein tÖttoc der Rhetorik (Theon prog. II 63 Sp. Quintil.
Vni 3, 67), was auch für aen. 11 zu erwägen ist. l) Prooemium
509 — 10 Lob der pietas des Aeneas; vergl. Cic. de inv. I 22 über das
Prooemium: ah auditorum persona benevolentia captahitur, si ah Ms for-
titer sapienter mansucte gesta proferentur. 2) Propositio 511 — 12.
3) Narratio 513 — 29 ÄeoUdes. a) 7TpobifiYri<Jic 513 — 22: vergl.
[Isokr.] art. fr. 8 TT) biTiTncTei XeKTeov tö te 7rpäY|ua Kai rd irpö toO
TTpotYMaTOC. Sie ist eingekleidet in die Form der praeteritio: namque ut
supremam .. noctem egerimus, nosti, was in Prosa gelautet hätte: nam quid
ego dkam de rebus node suprema gestis: notae sunt tibi (vergl. Cic. de
amic. 11 quid dicam de moribus: nota sunt vobis). b) birifnö'ic ^23 — 29
ÄeoUdes, der Vorschrift gemäß kurz (vergl. 528 quid moror). Die
narratio enthält sämtliche Umstände (TrepiCTTdcTeic), die die Rhetorik
seit Hermagoras für das Zustandekommen eines bestimmten Ereignisses
als nötig erachtete (vergl. R. Volkmann, Rhetorik^ 36 f.): Zeit und Ort
(515—22), Art und Weise (523—25), Grund (526—27), Werkzeuge
(die Personen 528. 29). Das Ethos wird durch zweimalige Anwendung
des TpÖTTOC elpuuveiac (523. 26) gehoben. 4) Schluß 529 di — 30 in
Form einer exclamatio ((TxtTXiacyiuoc), um durch Erzählung der grausigen
Verstümmlung das TTpeirov nicht zu verletzen (s. z. 361). — Von der
Alliteration wird dem Pathos der Stelle entsprechend besonders starker
Gebrauch gemacht: 512. 13f. 15. 15f. 17. 20. 21. 26. 30. 32. 33. 34.
Dem gleichen Zweck dienen die an markierte Versstellen (s. Anhang IIIA 2)
gesetzten Homoioteleuta 518 f. ducebat — tenebat — vocabat sowie das
Isokolon 420 confcdum curis = somno gravatum (je 5 Silben).
509 ad quae Priamides || nihil o | tib(i) \ amice \ relidum mit un-
gewöhnlicher Struktur der zweiten Hälfte: so nach Cavallin 1. c. (z. 140)
25 nur noch X 904 corpus liumo \ patiare \\ tegi \ sei(o) acerba \ meorum.
— FrJamides mit erster Länge wie im griech. Epos, vergl. Hosius 1. c.
(z. 4) 98. — 5 10 f. DeipJiobo. Über das Pathos des Redenden, seinen
Namen Statt des Pronomens zu gebrauchen {emphasis, adfectus schol. zu
buc. 7,40. aen. n 479) vergl. J. Kvicala 1. c. (z. 45) 17ff.: er zählt
aus Vergil 34, aus Homer nur 18 Beispiele. Schon dies Quantitäts-
verhältnis ist charakteristisch für den rhetorisierenden Dichter. Femer
scheinen bei Hom. die Personen nur im Selbstgefühl von sich so zu reden
(z. B. A 240 X 235), während Vergil neben diesem Motiv (besonders oft
spricht Turnus so von sich, vergl. XH 11. 74. 97. 645) das Stümittel
auch an sentimentalen Stellen hat: so hier, II 778. 784. IH 487. IV 308.
An solchen Stellen wird es oft in der Tragödie verwendet (z. B. Soph. 0.
C. 109 oiKTipai' dvbpöc Oibiirou xöb' dGXiov j eibujXov) und im Threnos:
so im theokritischen Daphnis 5 mal 1, 103. 106. 120 f. 135. Daneben im
17*
260 KOMMENTAR
naiven Stil, z.B. Theokr. 5, 9. 15. 19, dies von Vergil nachgeahmt b. 2, 65.
9, 16. 53. 54. Verwandt sind die Fälle, wo der Redende zwar nicht
seinen Eigennamen, aber seinen Verwandtschaftsgrad nennt, z. B. unten 687
(parenti) IV 31 (sorori) JX 484 (miserae matri) XII 872 (germana). Den
10 Beispielen, die Kvicala dafür aus Vergil anführt, stellt er nur ein
homerisches gegenüber (X 499 \xr\vepa, durch den Gegensatz zu Trarrip und
das dabeistehende iraTc motiviert). — 511 Lacaena sagte dem antiken
Leser in diesem Zusammenhang fast so viel wie 'Metze': Eur. Andr. 486.
595 ff. Horaz II 11, 21 ff. Properz IH 14. Ovid h. 5, 99. Mit Namen nennt
Deiphobus die Helena überhaupt nicht (517 illa 518 ipsa 523 egregia
coniunx), wie Donatus gut bemerkt. — Ähnlich wie hier Lacaena von Helena
steht 529 Äeolides 'der Verschmitzte' von Odysseus (Gerda). — 512
mersere malis auch Liv. III 16, 4, daher möglicherweise ennianisch (s.
Stacey 1. c. [z. 99] 44). — 5 14 ff. nosti etc. Wenn Aeneas es weiß, wanun
wird es ihm dann noch erzählt? Hier spricht der Dichter zum Leser,
wie mit ähnlicher, ebenfalls verzeihlicher Störung der Illusion HI 692 ff.
Aeneas in der Erzählung seiner Irrfahrten hinter dem referierenden Dichter
(vergl. 694. 704) zurücktritt; vergl. z. 321.
51 5 ff. cmn fatalis equus saltu super ardua venu \ Pergama et ar-
matum peditem gravis attulit alvo. Die bedeutende qpavTaaia aus Ennius'
Alexander fr. IX (für Vergils |ai|UTi(yic angeführt von Macrob. VI 2, 25)
nam maximo \ saltü superabit gravidus armatis equus, | qui cum suo partu
ardua perdat Pergama. Benutzung derselben Tragödie oben 500 f. —
peditem in künstlicher Antithese zum Roß (Gerda; s. z. 321). — euans
ist, wie es scheint, von GatuU geprägt (nach eudZiuJv); Vergil wagt es
als erster und einziger mit dem griech. Accusativ (orgia) zu konstruieren,
vergl. Brenous, Hellenismes 216. — circum \ ducebat: über die Tmesis
von circum s. Anhang HIB 3. — flammam media ipsa tenebat wie VH 39 7 f.
ipsa (Amata als Bacchantin) inter medias flagrantem fervida pinum \
sustinet nach Eur. Bacch. 685 f jur|Trip ibXöXuHev ev |ie<Jaic öraQeiaa
BdKxaic. — ingentem emphatisch von seinem Substantiv durch Vers-
schluß getrennt: s. Anhang HIB 1. — Über die Wortstellung ducebat —
tenebat — vocabat s. ebenda DIA 2.
520 ff. tu/nc me confectum curis sommoque gravatum | mfelix habuit
fhalamus pressitque iacentem \ dulcis et alta quies placidaeque simillima
morti. Schon im Altertum machte confectum curis Schwierigkeiten, weil
Deiphobus 513 f. gesagt hatte, daß er wie die anderen die Nacht inter
gaudia verbracht habe. Vergl. Servius: atqui vacaverat gaudiis, sed . . .
curae ferebantur suo impetu ex pristino bdlorum tumultu. Diese Aus-
flucht schien Joh. Schrader (Emendationes, Leeuwarden 1776), einem
Manne, dessen Urteil stets beachtenswert ist, mit Recht unbefriedigend,
und er vermutete auf Grund von Statins s. HI 1, 41 confectus thiasis
hier confectum choreis, was Ribbeck aufnahm. Aber confectum curis,
anzutasten ist bedenklich, 1. weil es eine feste Verbindung ist (z. B. Gic.
ep. fam. IV 13, 2), 2. weil schon lustinus (Trogus?) XI 13, 1 so las:
confectum, curis Alexandrum somnus arripuit (zitiert von Deuticke) und
auch wohl, mit geringer Variation, carm. epigr. 1829, 6 adfectus curis,
wo eine vergilische Floskel dieses Buchs vorausgeht, 3. weil doch wohl
^i,p,j|Qrm,^le ;^^aG^alppuyg jy^pp V 62f. y;c}yJ|eg1j{,,.^uTe xöv üttvoc liaopTTie.,
VERS 511—521. 261
Xuiuv |Lie\ebr|)LiaTa 9u)noö, | vr|bu|Lioc d)iqpixu9eic. Nun ist ja der
Widerspruch zwischen den gaudia und den curae handgreiflich, aber das
Abgleiten des Gedankens beruht auf Absicht. In dem Bestreben nämlich,
die Würde des redenden Deiphobus nicht zu verletzen, läßt der Dichter
ihn nicht sagen, was der Wahrheit entsprochen hätte, der Schlaf habe
ihn überwältigt confectum vino (so Quintus XIII 354 flF. xai töte br\
MeveXaoc vnö Siqpei (TrovoevTi | Arjicpoßov KaieiTeqjve Kaprißapeovra
KixncTac I diacp' 'GXe'vric XexeecrcTi, vergl. aen. 11 265 invadunt urbem
vino somnoque septdtam), sondern mit einem vj;eOboc: confectum curis.
Ein Fundamentalsatz der Rhetorik und Poetik seit Aristoteles war, das
dHiiJU|Lia ToO uiroKeiinevou TrpocTuuTrou zu wahren selbst auf Kosten der
objektiven Wahrheit; das n^eubfi Xexeiv ibc bei war also erlaubt: Aristot.
poet. 24. Wie fest diese Auffassung wurzelte, zeigt noch deutlicher als
der gegen Euripides ausgesprochene Tadel wegen gelegentlicher Über-
tretung des Gesetzes (Didymos schol. Eur. Andr. 365) ein wegen seiner
ostentativen Befolgung gespendetes Lob: der Homeriker und Rhetor
Aristodemos von Nysa machte nämlich nach Didymos zu I 453 sogar
eine gewaltsame Konjektur, damit der Redende nur nicht etwas seiner
Unwürdiges sage, und fand damit Beifall: eTi)Lir|6ri die euffeßfi Tr|pr|-
(Tac TÖv npiua . . . Kai 6upmibric be dvaiudpTTiTOV eiadfei töv
fipiua. So hat denn auch der noch in dieser Tradition fußende rhe-
torische Kommentator Donatus richtig beobachtet, daß Vergil in dieser
Episode überhaupt bemüht ist, den Deiphobus, damit die folgende Über-
rumplung im Schlaf (523 ff.) so anständig wie möglich motiviert sei,
nur sagen zu lassen quae criminosa non fuerunt viro forti. Wie sorg-
fältig Vergil überhaupt in der Befolgung dieses rhetorischen Gesetzes
war, dafür gibt die antike Exegese auch sonst oft Zeugnis, meist mit
den Worten: servavit t6 TrpeTTOV, vergl. die Schollen zu I 92. in 9.
IV 23. Vm 127. IX 775. XI 166. 351. 415 (servavit viri forfis per-
sonam). 511. XII 3 (duds dignüatem servavit). 443. Charakteristisch ist,
daß grade auch in der 'IXiou dXuJCTic der Dichter sich bemüht zeigt, das
npeiTOV der Besiegten, wie hier des Deiphobus, so gut wie möglich zu
wahren, vergl. die Scholien zu II 415. 451. 617. — Formell erinnert
der Versschluß curis somnoque gravatum an Livius I 7, 5 ihi cum cum
cibo vinoque gravatum sopor oppressisset. Da diese Worte die von
Livius in poetischem Stil erzählte Cacus-Episode einleiten, so kann die
Floskel von ihm aus Ennius übernommen sein (vergl. auch Liv. XXV
24, 6 gravatis ommihus vino somnoque).
521 f. (pressitque iacentem) | dulcis et alta quies placidaeque simülima
morti. Der Vers malt die Weichheit des Schlafes: die Worte sind reich
an Vokalen und l (s. z. 120. 468 und die im Gedanken verwandten
melodischen Verse I 691 ff.), und der Rhythmus ist rein daktylisch in
malerischem Gegensatz zu den schweren Spondeen 520 twtc me con-
fectum curis. Der Vers hat ferner dreimaligen trochäischen Einschnitt,
so in diesem Buche nur noch 284 in dem Vers von den Träumen: s.
Anhang VIIB 2b. Durch Hinzufügung dieser malerischen Mittel sucht
Vergil mit dem homerischen Vorbild v 80 (uTTVOc) vrjTpCTOC fibKTTOC,
öavdTUJ dfKKTTa eoiKOUC zu rivalisieren. Vergl, Anhang UTA und B 1. 2.
Mit den Worten pressit alta quies vergleicht Stacey 1. c. (z. 99) 49
262 KOMMENTAR
Livius VII 35, 11 quod tempus mortales cdtissimo somno premit und folgert
daraus richtig Benutzung ennianischer Phraseologie bei beiden. — 523 ff.
arma omnia tedis \ emovet et fidum capiti subtraxerat ensem: intra tecta
vocat Menelaum. Die von Eibbeck eingeführte Parenthese der Worte
et . . . ensem entspricht nicht der Absicht des Dichters: das Plusquam-
perfectum gibt vielmehr den Zeitpunkt der Handlung an, nach deren
Abschluß das folgende Ereignis unmittelbar (daher die asyndetische An-
knüpfung) eintritt. In Prosa würde es mit Hypotaxe statt der poetischeren
Parataxe (s. Anhang II 2) lauten: vix ensem capiti subtraxerat, cum vo-
cabat] vergl. IX 799 f. X 215ff. XI 609, J. Ley, Progr. Saarbrücken 1877,
20, Ehwald zu Ovid m. VIH 83. — amovct MF^P^, emovd F^E, etmovet
P^. Für emovet spricht 1) daß amovere bei Vergil sonst nie, emovere noch
dreimal vorkommt, 2) die Alliteration der den Vers einrahmenden Worte
emovet — ensem, 3) die Analogie bei Plaut. Pseud. 144, wo emovere durch
dieselbe Interpolation aus den Hss. der einen Eezension verdrängt ist: ex
pedore ocuUsque exmovdis A, amovetis P, letzteres trotz des Wechsels
der Präposition zwar möglich — vergl. Vahlen, Sitzungsber. d. Berl.
Akad. 1901, 16, 1 — , aber ersteres empfohlen durch Truc. 78 ex pedore
exmovit meo. — fidum capiti subduxerat ensem. Der fidus ensis ist wohl
ennianisch. Denn VII 640 schließen die Worte fidoque accingitur ense eine
durch Ennius beeinflußte Schilderung ab und IX 707 steht lorica \ fidelis
in einem Vers mit nicht ganz gewöhnlicher Caesur; auch geht dort ein
Vers (705) mit gleicher Caesur vorher, in dem die Worte contorta || fa-
larica nachweislich aus Ennius (a. 534) stammen. — caput poetisch für
cervical, pulvinus. So nach Vergil Tacitus h. II 49 pugionem capiti subdidit,
während Sueton Otho 11 das Wort der ihm und Tacitus gemeinsamen
Quelle pulvinus beibehält. Vergl. TTpO(TK€cpdXaiov Theophrast char. 25, 4.
— intra tecta: über das spondeische Wort im 1. Fuß (hier durch Proküsis
verbunden) s. Anhang Vm. — 527 famam veterem malorum. Helena war
der Typus der Frau von bösem Euf: Gorgias Hei. 2 f) toO övö)LiaTOC
tp^lMH (fawia) tuuv au|Liq)opujv (vergl. malorum) |iivri|uri Y^TOve. — 528
inrumpunt, . . . comes additur lebhaftes Asyndeton, das durch additus
(PE) verflüchtigt würde. — 529 hortator scelerum von Odysseus auch
Ovid m. XIII 45: möglicherweise (s. u, zu 767) nach gemeinsamem Vor-
bild (Accius, den Ovid im Armorum iudicium bis zu wörtlichen Be-
rührungeu benutzte?); hortator haben Ennius und Plautus als Übersetzung
von KeXeucrxric. — 529 f. di talia Grais | insfaurate, pio si poenas ore
reposco. Der Fluch (mit der typischen Eeserve) in feierlichen, durch
Alliteration gebundenen Worten; reposco am Versschluß Lucrez VI 920;
das sakrale Wort ist vermutlich ennianisch.
5310". Die nun folgende Frage des Deiphobus nach dem Zweck
der KaraßacTic des Aeneas war ein Motiv, das dem Leser aus der
Begegnung des Odysseus mit seiner Mutter und mit Achilleus (\ 155 ff.
475 ff.) geläufig und schon vor Vergil von einem unbekannten Tragiker
benutzt war (ine. 249 f. quaendm te adigünt, liospes, \ stagnd capacis viscre
Averni). Während aber Odysseus diese Frage beantwortet (163 ff. 478 ff.),
läßt Vergil die Antwort durch das Eingreifen der Sibylle abgeschnitten
werden (538 ff.): doch wohl deshalb, um nicht genötigt zu sein, den
Aeneas etwas dem Leser Bekanntes antworten zu lassen (eine verwandte
VERS 522—535. 263
Praxis Homers erörtert C. Rothe, Progr. Berlin 1894, 26 f.). Die Absicht,
eine Antwort des Aeneas bei endgültiger Eedaktion einzudichten (Deuticke),
hat also kaum bestanden: auch würde eine solche den Parallelismus der
Palinurus- und Deiphobus-Episode (je eine Frage des Aeneas, Antwort
des Palinurus bezw. Deiphobus, Schlußbemerkung der Sibylle) durch-
brochen haben. Nun wäre es geschickter gewesen, eine Frage, die nicht
beantwortet werden sollte, überhaupt nicht stellen zu lassen. Aber der
Dichter wollte die Rede des Deiphobus statt mit dem Fluch (52 9 f.) lieber
mit der gemütvollen Frage schließen und durfte glauben, durch die
Worte hoc vice sermonum (535) in dem Leser die Illusion erweckt zu
haben, daß der Gefragte auch antwortete. Immerhin ist Dantes Nach-
ahmung Inf, XVISlflF. logisch straffer.
531 vidssim in hexametrischer Poesie nur am Versende: Ph. Thiel-
mann, Archiv für Lex. VII 1892, 371. — 532 f. pelagine vetiis erroribus
actus I an monitu divom, an quac te Fortuna fatigat, \ ut etc. Madvig
wollte das zweite an tilgen. Aber statt fortzufahren an te FoHuna fatigat
kombiniert Vergil diese Frage nach der im Griechischen geläufigen Art
mit einer zweiten quae te Fortuna fatigat zu an quae te Fortuna fatigat:
TTÖrepov fiXGec Karct GdXaaaav irXaviJuiLievoc f| Geuiv icpern^ fj Tic aoi
bai|auJV eviCTTriCTiv, (jlkTtc ktX. — Da Ennius fortuna sechsmal an dieser
Versstelle hat und aen. VIII 94 ein Vers, der zwei ennianische Worte
bezw. Wortverbindungen hat, mit fatigant schließt (olli remigio noctemque
diemque fatigant), so ist die alliterierende Verbindung fortv/na fatigat wohl
ennianisch. — 534 tristes sine sole domos, loca turbida. Durch sine sole
ersetzen die lat. Dichter das ihnen fehlende Kompositum: vom Hades dvdXioc
Xe'pffoc Aesch, Sept. 838 f. K., dvr|Xioi Muxoi Eur. Herc. 606, dvdXioc
oTkoc id. Ale. 451 (Germanus). — Für turhida vermutete A. Nauck
lurida, aber schon Heyne hatte auf das Chaos 265 verwiesen. Doch
läßt es die immerhin ungewöhnliche Bezeichnung der Unterwelt als loca
turhida möglich erscheinen, daß dieser Ausdruck nicht hierfür geprägt,
sondern von Vergil aus einem älteren Dichter entlehnt worden ist; eine
Bestätigung hierfür könnte man in der füi' Vergils Praxis nicht ge-
wöhnlichen Synaloephe mit -ä an dieser Versstelle finden: s. Anhang XI 1.
— 535 f. roseis Aurora quadrigis \ iam medium aetherio cursu traiecerat
axem. Es ist also seit 255 (primi sub limina solis et ortus) Nachmittag
geworden. Die künstliche Bezeichnung der Tageszeit in der soeben (534)
sonnenlos genannten Unterwelt befremdet uns, aber es galt nach dem
Brauch Homers und der Tragiker als Gesetz, daß eine solche Bezeichnung
ornatus fordere (Quintil. Vm 6, 60). Da schon Horaz (wie später Seneca
apoc. 2) in den Satiren (I 5, 9 f. II 6, 100 f.) diese Manier parodiert, so
haben wir zu folgern, daß bereits vor Vergil Ennius derartige Tiepi-
(ppdcTeic aus Homer ins lateinische Epos eingeführt hat. Auch formell
erinnern die Worte Vergils Aurora . . . medium traiecerat axem an die
Parodie des Horaz an der zweiten Stelle: iamque tenebat \ Nox medium,
cadi spatium: zugrunde liegen homerische Phrasen wie 0 68 'HeXioc ...
lieaov oupavöv d)Li(pißeßr|Kei. Für Vergil waren Trepiq)pdcreic dieser Art
sachlich bereits so entwertet, daß er sie wie Floskeln auch da gebraucht,
wo sie überflüssig oder sogar fehlerhaft sind: FV 584 f. sachlich neben
586 (überflüssig von Peerlkamp athetiert), X215f. neben 147. 161
264 KOMMENTAR
störend (von demselben geändert), IX 459 f. (sclion von der antiken
Exegese beanstandet). Noch Dante bedient sich sehr häufig solcher
kapriziösen Bezeichnung der Tages- und Nachtzeiten in einer für modernes
Empfinden durchaus anstößigen Ausführlichkeit. — Daß Aurora hier (wie
an der späten Stelle ij; 243 ff. und dann oft) das Viergespann lenke,
notierte schon Aelius Donatus (nach Servius). — 5370". et fors omne
datum tralierent per talia tempus, \ sed comes admonuit breviterque adfata
Sibylla est. Verwandt tt 220. cp 226 Kai vu k' 6bupo)uevoi(Jiv ebu qpdoc
iieXioio (Gennanus). Daß die KaiaßacTic bis zu einer bestimmten Zeit
beendigt sein muß, wird nur hier (datum tempus) und gleich 539 (du-
cimus horas) nebenbei angedeutet. Das Motiv übernahm Vergil als über-
liefert, s. z. 893 ff. — Statt der schleppenden Hypotaxe wird der Nach-
satz verselbständigt, wodurch zugleich die metrisch schwierigen Konjunktiv-
formen umgangen werden (s. z. 153 f. 292 f.). — fors dpxaiUJC.
539 nox ruit, d. h. sie stürmt aus dem Ozean auf Erde und Himmel:
vergl. n 2 50 f. ruit Oceano nox \ involvens umbra magna terramque po-
lumquc, umgekehrt H 8 nox caelo praecipitat, d. h. auf ihrer Höhe an-
gelangt stürzt sie sich vom Himmel in den Ozean (der Morgen naht):
vergl. dtcTCJeiv. Die zugrunde liegende Vorstellung ist die eines un-
geheuren Nachtvogels, vergl. VIII 369 nox ruit et fusds tellurem am-
plectitur alis, Aristoph. Vög. 695 xiKiei ttpuOtkTtov iJTTTive)uiov NuH f]
jueXavÖTTiepoc üjöv und oben z. 283 f. Die Altertümlichkeit der Vor-
stellung im Verein mit dem für Vergil bereits irregulären Versschluß
(s. Anhang IX) Oceano nox nach homerischer Art (vergl. öpiupei ö' ou-
pavöGev vuH) macht Entlehnung der Phrasen nox ruit und ruit Oceano
nox aus Ennius wahrscheinlich. Dafür spricht auch der von Deuticke
beobachtete Umstand, daß nox ruit hier eine Übertreibung enthält, da nach
545 erst Mittag vorbei ist; Vergil braucht die Phrase also hier wie H 8,
wo die Zeitbestimmung ebensowenig der Situation entspricht (vergl.
V. Wilamowitz, Hom. Unters. 117, 4), nur mehr wie eine Floskel. —
540 ff. hie locus est, partis uhi se via findit in ambas: \ dextera quae
Ditis magni sub moenia tendit, \ hac iter Elysium nobis; at laeva ma-
lorum I exercet poenas et ad impia Tartara mittit. Die Zweiteilung des
Weges nach altüberlieferter Vorstellung: Piaton Gorg. 524 A tJj obiu,
Tl )Liev eic jUOKdpuJV vr\aovc, f] b' elc Tdpiapov nach orphisch-pytha-
goreischer Lehre (Dieterich 191 ff.). — poenas exercere mit kühner
Kombination von poenas sumere -f- iudicium exercere (vergl. Tac. a. I 44
mit Benutzung unserer Stelle : iudicium et poenas exercuit). Die Kühnheit
wird durch die Verbindung via poenas exercet et ad Tartara mittit noch
gesteigert: in Prosa würde es mit Hypotaxe und andrer Ordnung der
Begriffe (s. Anhang II 2) lauten: via in Tartarum ducit ad x^oenas luen-
das. — Der besondere Gedanke 541 wird durch die gewählte Alliteration
dextera — Ditis — magni — moenia (Schema aabb) markiert. — iter
Elysium wie HI 507 iter Italiam mit freiem Gebrauch des Zielaccusativs,
vergl. Landgraf 1. c. (z. 345 f.) 402. — 544 ne sacvi. Sei-vius: Terentius
'ne saevi tanto opere^ (Andr. V 2, 27). et antique dictum est, nam nunc
'ne saevias' dicimus. Vergil hat diese Konstruktion noch sehr oft (so
74. 698): für ihn hatte sie also nicht vulgäres, sondern, was oft davon
nicht zu scheiden ist, archaisches Kolorit (vergl. z. 57).
VERS 537—547. 265
545 explcho numerum reddarque tenebris mit zeitlicher ümkehrung
der Begriffe = reddar tenebris, ut numerum cxpleam (s. Anhang II 2).
Über die Bedeutung von explebo numerum haben die alten Exegeten
sehr ausführlich, z. T. mit den größten Irrtümern gehandelt, von den
neueren war Henry p. 340 auf der richtigen Spur. Die tief wurzelnde Vor-
stellung, daß der Gott der Tiefe seine Scharen zählt, fand ihren Nieder-
schlag in verschiedenen Bildern. Zunächst von Hades dem Hirten (vergl.
die Mythen von Admetos und Geryoneus, sowie Horaz od. I 24, 18;
Dieterich 25, l), der wie jeder Hirt (Verg. b. 3, 34. 6, 85), seine Herde
zählt. Ferner hat Hades, iL TravTec ö(peiX6)ne9a (A. P. X 105), ein
Rechenbuch, in das er alles einträgt: Aesch. Eum. 268 ff. K. und die
wohl sprichwörtlichen Wendungen raiionem cum Orco habere Varro r. r.
I 4, 3, in peculio Proserpinae et Orci familia numerari Apul. met. III 9;
vergl. Lukian, Philops. 25. Aber die dem verg. Ausdruck zugrunde
liegende Vorstellung ist die von Hades dem Völkersammler ('AxTiCTiXaoc:
Usener, Götternamen 361), der, wenn er die ^Toten in die hohle Gasse
treibt' (Pindar 0. 9, 31), sein unterirdisches Heer zählt oder durch seine
Trabanten zählen läßt: Seneca Phaedr. 1153 constat inferno numerus
tyranno, Statius Theb. IV 528f. in specuUs Mors atra sedet dominoque
silentes \ adnumerat populos und besonders deutlich Lukian Katapl. 4
eirei be Kar' auxö fjbr| t6 cTtöiuiov r\}xev (Hermes spricht zu Klotho),
e|LioO Touc veKpouc ujc e9oc dirapiGinoOvTOC tlu AictKUj Kai eKeivou
XoTi2o)iievou auTOuc rrpöc xö Trapd xfic crfic dbeXqpfic (Atropos) TrcfiqpGev
auxuj (TuiLißoXov, Xa9ujv ouk oW ottuuc ö xpicTKaxdpaxoc d-i.ibv ujxexo"
evebei ouv vexpöc ek xiu XoticT|lilu, ib. 5 (Hermes zu Charon): ibou
(TOI xöv dpi9|Liöv ouxoi xpittKÖCTioi. Wie verbreitet diese Vorstellung
war, zeigt die Devotion CIL VHI suppl. 12505 te rogo qui infernales
partes tenes^ commendo tibi lulia(m) Faustilla(m) Marii filia(m), ut eam
celerius abducas et in numerum tu (Jt)a[bjias; vergl. auch carm. epigr.
423 mit Büchelers Bemerkung. Die Richtigkeit dieser Erklärung wird
auch durch den Ausdruck numerum explere selbst gewährleistet, denn er
ist technisch für das Heer: numerum legionum explere Livius XXIV 11, 4;
vergl. XXm 5, 5.
547 tantum effatus et in verbo vestigia torsit: pressit MR und der
zu 105 zitierte Gento 528, mit irrtümlicher Wiederholung des Vers-
schlusses vestigia pressit von 197. Die Konstruktion ist wie X 877 tantum
effatus et infesta subit obvius hasta. Daß zu effatus das Verbum subst.
nicht zu ergänzen ist, zeigt das von Wagner angeführte homerische
Vorbild X 447 ujc (pa\ii\r] Kai (Kepboaijvr) fi^ricrax' 'A0r|VTi). Also ist
effatus torsit mit effatus est et torsit ausgeglichen worden zu effatus et
torsit. Möglicherweise übernahm Vergil die Phrase tantum effatus wie
die analoge zu 124 notierte aus Ennius (vergl. auch Anhang I 2 und
VnB 2 c). Nach der Analogie des medialen Particip. perf. scheint Vergil
ein solches et einmal (in einem vielleicht nur vorläufig so hingesetzten
Verse) sogar nach einem Particip. praes. gebraucht zu haben. Wenigstens
steht IX 403 suspiciens altam lunam et sie voce precatur in allen Hss.
(MPRV, mit Priscians Zeugnis), und da schon Asper (nach dem schol.
Veron.) so las (wenn auch falsch erklärend), so hat die Tilgung des et
keine Wahrscheinlichkeit.
266 KOMMENTAH
III. Tartarus 548 — 627.
A. Einleitung 548 — 61 in drei Absätzen: a) 548 — 56 (biKUüXov
548 — 51 mit je drei KÖ)U)LiaTa, 552 — 56 rpiKiuXov mit zwei -f- zwei
+ vier KÖ|U)LiaTa), b) 557 — 59 (biKUuXov mit vier -\- zwei KÖ)a|LiaTa),
c) 560 — 61 (TerpdKuuXov).
548 ff. "GK9paaic tÖttou. Die Furchtbarkeit wird durch starke
Sprachmalerei dem Hörer sinnlich näher gebracht: Alliterationen besonders
mit s (axapi Kai driöec tö a Kai ei TrXeovdaeie (Tqpöbpa XuTteT Dionys.
de comp. verb. 14; s. z. 468): 548 respicit — subito — rupe — sinistra
(Schema ab ab) 549 moenia — muro 550 ambit — amnis (etymologische
Verbindung: Varro 1. 1. V 28) 550f. torrentibus — Tartarus torquet 551
sonantia saxa 552 adver sa — adamante 553f. vis — virum — valeant
555 f. sedens — succincta — exsomnis — servat 557 f. saeva sonare: mit
sonus, sonitus alliteriert Ennius oft, vergl. sonitu säevo tr. 3. Außerdem
harte Konsonantenverbindungen besonders mit r, s und t (s. o. S. 136 und
Anhang VII A): 550 rapidus — torrentibus 554 ferrea tu/rris 558 Stridor
ferri tractaeque catenae 559 strepituque exterritus. Anaphern mit Parisöse
der Kommata: 5 60 f. quae scelerum facies — quibus urgentur poenis —
quis tantus plangor ad auras (7, 7, 8 Silben). Malerische Rhythmen 551
Tartareus PhlegetJion torquetque sonantia saxa: Daktylen; 552 porta ad-
versa ingens: Spondeen mit ingens auch III 466. 579. 658. IV 181.
V 701. VII 170. 791. X127. XII 896 f.; sie sind hier noch gesteigert
durch die sich folgenden Synaloephen (s. darüber z. 187).
Über die Topographie, auf deren genaue Darlegung Vergil hier wie
sonst nicht bedacht ist (s. o. S. 133. 207), gingen schon im Altertum die
Ansichten auseinander (vergl. Serv. z. 573. 577), die hier so wenig wie
die vielfachen Erklärungsversuche neuerer Interpreten erörtert werden
sollen. Wenn seine Darstellung beim ersten Lesen nicht sofort durch-
sichtig ist, so hat der Dichter das besonders dadurch verschuldet, daß
er, in dem Bestreben, das y^voc birifruLiaTiKÖv mit dem y^voc bpa|ia-
TiKÖv abwechseln zu lassen, die Topographie teils selbst referiert teils
durch eins seiner TrpöcTuJTra, die Sibylle, referieren läßt: so kommt es,
daß eine und dieselbe Sache zweimal erwähnt wird, eine Inkonvenienz,
an der sich niemand stoßen wird, der die genannte, von uns schon öfters
in ihren Vorzügen und Fehlern notierte Praxis dieses Dichters kennt
(s. z. 295 ff.). Es hat nämlich m. E. als Voraussetzung der Interpretation
dieser Stelle zu gelten, 1) daß das vestibulum (über den Begriff s. z. 273),
welches nach 555 f. TisipJione sedens servat (Worte des Dichters), identisch
ist mit demjenigen, welches nach 5 74 f. eine custodia sedens servat
(Worte der Sibylle), d. h. also, daß diese custodia eben Tisiphone ist (auch
Ovid m. IV 453 läßt die Furien sitzen carceris ante fores). 2) Ebenso
sicher scheint mir folgendes. Tisiphone wird von Aeneas gesehen (574
cernis), dagegen sieht er die im Innern des Tartarus wachende fünfzig-
köpfige Hydra nicht, sondern diese wird ihm von der Sibylle nur genannt
als noch grausiger: 5 74 ff. cernis, custodia qualis \ vestibulo sedeat . . .:
hydra saevior intus habet sedem (die bekannte Form des sogen, argu-
mentum ex contrario, s. z. 847 ff.). Da diese Hydra jetzt nicht sichtbar
ist, so haben sich also die Tore, hinter denen sie sitzt, nicht geöffnet.
VERS 548 ff. 267
Mithin sind die Worte 5 73 f. tum demum horrisono stridentes cardine
sacrae \panduntur portae nicht eine die Handlung weiterführende Zwischen-
bemerkung des Dichters, sondern sie werden von der Sibylle gesprochen
wie alles diesen Worten von 562 ab Vorhergehende und alles ihnen bis
627 Folgende. Daß nur die letztere Auffassung, die im Altertum neben
der falschen bestand (Serv. z. 573; Donatus erklärt richtig) möglich ist,
bemerkte schon Heyne, ohne daß ihm aber z. B. Kibbeck gefolgt wäre
(richtig u. a. Deuticke). Der Zusammenhang dieser Worte der Sibylle
ist also: „wenn ein Verbrecher unter Foltern bekannt hat, so wird er
von den Fiu-ien gepeitscht (566 — 72). Erst dann öffnet sich das Tor,
hinter dem die fünfzigköpfige Hydra sitzt und die Tiefe des Tartarus
gähnt." 3) Man hat femer einen Widerspruch darin gefunden, daß
Aeneas nach 557 f. (Mne exaudiri gemitus et saeva sonare \ verbera, tum
Stridor ferri tractaeque catenae) die verbera der Tisiphone höre und
letztere doch nach 5 74 f. (ccrnis, custodia qualis vestibulo sedeat) sehe,
was unvereinbar sei: er könne sie nur entweder sitzen sehen oder
peitschen hören. Aber an ersterer Stelle ist Tisiphone überhaupt nicht
genannt, sondern ganz allgemein von verbera gesprochen; daher ist
Donatus im Recht, wenn er 557 f. so paraphrasiert: gemitus et sonitus
verberum et tractariim catenarum Stridor auditus quid intus gereretur evi-
dentissime nuMiabat. Die verbera also, die Aeneas nach 557 f. bloß hört,
dringen über das von ihm gesehene vestibulum aus dem Innern der
554 genannten turris (stat ferrea tiirris ad auras), d. h. der zur Be-
festigung mit einem Turm versehenen (vergl. 11 460) Burg des Rhada-
manthys, in der das hochnotpeinliche Gericht stattfindet (566 ff.). Es sind
also die bei der Folter in Anwendung gebrachten Schläge, wie sich auch
aus dem Culex 376 f. ergibt: ergo iam causam mortis, iam dieere vitae |
verberibus saevae cogunt sub iudice Poenae. Nur so erklärt sich doch
auch, daß Aeneas außer den verbera auch das Klirren von Ketten hört:
diese werden eben den im Verhör schuldig befundenen Verbrechern an-
gelegt (so auch verstanden von Statius Th. Vlil 21 ff. forte sedens media
regni infelicis in arce \ dux Erebi populos poscebat crimina vitae. | . . .
stant Furiae drcum . . . | saevaque multisonas exertat Pocna catenas).
Erst nach Beendigung des im Innern stattfindenden Verhörs beginnt das
Amt der im Vorhof an der Schwelle lauernd sitzenden Tisiphone: 5 70 f.
Continus sontis ultrix accincta flagello \ Tisiphone quatit. Donatus und
Servius (zu 573) bemerken richtig, daß die Vorstellung an das irdische
Kriminalverfahren anknüpfe: Untersuchung durch den cognitor criminis
unter Assistenz von Folterknechten (557 f.), Anlegung der Ketten (558),
Stäupung und Abführung in den Kerker (5 70 ff.). Das ist also analog
dem zu 430 ff. (Gerichtsszene in der Zwischenregion) Erörterten.
Schwierig und mit den xms verfügbaren Mitteln nicht völlig zu
lösen ist die Frage nach den von Vergil für diesen Abschnitt
benutzten Vorlagen. Denn die von ihm erwähnten, seit alter Zeit
typischen Motive (549. 552 Mauern und eiserne Tore des Tartarus,
578 f. seine Ausdehnung, 556 der Pyriphlegethon, 571 f. das Henkersamt
der Furien) woUen wenig besagen gegenüber der Fülle der sonst teils
überhaupt nicht teils doch nicht genau so überüefei-ten Züge. Immerhin
werden sich einige durch Analogieen belegen, einige auch wohl mit
268 KOMMENTAR
größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf ihre Quellen zurück-
führen lassen. Jedenfalls werden wir uns hüten müssen, durch will-
kürliche Eingriffe in den Text diese oder jene Singularität zu beseitigen,
um dadurch eine Übereinstimmung mit unserem sonstigen Wissen her-
zustellen, die immer doch nur eine teilweise bleiben würde.
1) Dem Ehadamanthys ist hier das Richteramt über die schweren
Verbrecher übertragen (566 ff.) und Tisiphone ist seine Schergin. H. Weil
1. c. (z. 445 ff.) 93 sagt, Vergil habe die dem Rh, hier zugeteilte Rolle
einer uns unbekannten Überlieferung entnommen, aus der die rationa-
listische Umdeutung bei Diodor V 79 (' PabdjuavGuv Xe'YOUdi rdc tc
Kpiaeic TrdvTiuv biKaiOTdiac TreiroificrOai Kai toic XrjcJTaTc Kai dcreßecTi
Kai Toic ctXXoic KaKOupTOic dTTapairriTov Ivrivoxevai Ti|uuupiav) ab-
geleitet zu sein scheine. Aber viel näher steht ja die Szene in Lukians
Kataplus 2 2 ff., wo wir den Rh. eben dieses Richteramt ausüben sehen.
Der Zusammenhang dieser Stelle lehrt uns noch ein weiteres. Mikyllos
spricht zum Kyniker: „Sage mir — denn du bist ja selbstverständlich
in die Eleusinien eingeweiht — sind die Verhältnisse hier unten nicht
ähnlich wie dort oben?" Der Kyniker: „Ganz richtig: sieh nur, da
kommt ja die fackeltragende Erinys." Hermes: „Nimm diese hier,
Tisiphone!" Tisiphone: „Schon lange wartet Rhadamanthys auf
euch." Rhadamanthys: „Führe sie vor, Erinys." Hier sehen wir also
Tisiphone desselben Amtes einer Schergin des Rhadamanthys walten wie
bei Vergil, und die ganze Vorstellung bildet Lukian, wie er selbst an-
deutet, einer in den eleusinischen Mysterien geläufigen nach; auch weiter-
hin übernimmt Lukian die Terminologie der Mysteriensprache (vergl.
besonders 24 rdc KTiXTöac ttic vjjuxfic dTToXou(Ta(J0ai und 24 f. das drei-
malige KaGapoc). Hierdurch ist das Alter der von Vergil befolgten
Vorlage gesichert. Da ferner Motive der eleusinischen Mysterien in die
orphischen übernommen wurden, so liegt wenigstens die Möglichkeit vor,
daß die von Vergil nachweislich (s. Einleitung S. 5, 2) stark benutzte
orphische Katabasis auch hier seine Quelle gewesen ist.
2) Die fünfzigköpfige Hydra (5 76 f.) hat eine Analogie an der
hundertköpfigen Echidna, die Aristophanes Frösche 473 im Tartarus
kennt, sicher auch er nach der von ihm in dieser Partie (4 70 ff.) be-
folgten Überlieferung. Da nun bei ihm unmittelbar vorher (472) die
Erinyen am Kokytos genannt sind, die auch Vergil kennt (oben 3 74 f.),
so liegt die Vermutung nahe, daß Vergils Hydra und Eumenidenstrom
derselben Nekyia entnommen sind, die auch Aristophanes benutzte
('HpaKXeouc Kardßacric?)
3) Das Motiv 557 f. Mnc exaudiri gemiius et saeva sonare \ verbera,
tum Stridor ferri tradacque catenae findet sich ebenso in den Apokalypsen
des Plutarch de genio Socr. 22, 590F öÖev dKOiiecTGai . . . jLiupiiJUV
KXau9|aöv ßpeqpujv (über diese s. o. 426) Kai jLie|LiiY|Lie'vouc dvöpujv Kai
YuvaiKuJv öbupiuouc, ij/öqpouc be Traviobairouc Kai Gopußouc und des
Lukian ver. bist. H 29 ^Kouojuev Kai juacTTiyuuv vpöcpov Kai oi|uiuüYriV
dvGpOuTTUUV TToXXoJV (fast wörtlich = nekyom. 14). Dann auch in den
von Vergil nicht direkt abhängigen (s. Einleitung S. 7 f.) christlichen
Apokalypsen: Visio Wettini vom J. 824 (1. c. Einleitung S. 9) p. 304
ita tenebrae densae et spissae, ut nuUa ratione ibi cerni aliquid possit;
VERS 548 ff. 269
stridorem tarnen et eiulatum audieham-^ Visio Tundali vom J. 1149 (1. c,
ibid.) p. 15 venerunt ad vallem profundam . . . ac tenebrosam, cuius pro-
fimditatem ipsa quidem anima videre non poterat, sonitum autem sulphurei
fluminis et ululatus multitudinis in imis patientis audire valehat^ Dante
Infern. VIII 65 f. Purg. Xm 22. Den drei Ausdrücken bei Vergü ver-
hera, Stridor fcrri, traciae catenae entspricbt genau das Nebeneinander von
)ia(JTiYU)creTai, crxpeßXuucreTai, beörjaexai bei Piaton ßep. n 361 E vergl.
363 E. Wenn Piaton für diese Strafen des Jenseits die orphische
Apokalyptik zitiert (vergl. 363 C), so ist das ein Fingerzeig für die
Sphäre, in der wir hier Vergils Quelle zu suchen haben.
4) Von den Sündern heißt es 56 7 ff.: 'sie werden hier gezwungen,
diejenigen Missetaten zu bekennen, deren Bekenntnis sie im Leben unter-
lassen und in den Tod hinausgeschoben haben.' Die Pflicht des Sünden-
bekenntnisses (und der durch dieses garantierten Vergebung der Sünden)
ist uns aus christlichem Glauben ganz geläufig: bildet es doch seit Alters
einen integrierenden Teil vinserer Litui-gie (vergl. z. B. Liturg. Alexandr.
p. 62 Swainson). Aus antikem Glauben ist mir dieser Gedanke, noch
dazu in so präziser Formulierung, unbekannt bis auf ein einziges noch-
maliges Vorkommen bei Plutarch de superst. 7, 168D: der Abergläubische
TrepieZ;uu(T|ievoc potKem puTtapoTc ttoWöikic be yumvöc ev tttiXuj kuXiv-
bö)aevoc eHttTopeuei rivcic djuapTiac auioö xai irXriiLiiLieXeiac,
Das 'Sichwälzen im Schlamm' ist, wie bekannt, nach orphischem
Glauben die Strafe der üngeweihten im Tartarus. Durch ihre sym-
bolische Anwendung im Leben wurde den Geweihten Befreiung von der
Verdammnis im Tartarus (in christlicher Terminologie 'Vergebung der
Sünden') gewährleistet: vergl. z. B. Demosth. de cor. 259.
5) Ein besonders gewähltes Motiv findet sich 61 8 ff. Plilegyasque
miserrimus omnes | admonet et magna testatur voce per umbras: \ ^discite
iustitiam moniti et non temnere divos'. Die Vorstellung, daß die großen
Sünder im Jenseits Zeugnis ablegen müssen von ihren Freveltaten zur
Warnung der Menschen, ist sehr alt: Piaton übernimmt sie Gorg. 525 C
Rep. X 616A, Phaedon 114A als überliefert und bei Pindar P. 2, 21f.
(den hier Ursinus zitiert) ist sie, ebenfalls als bereits gegeben, auf Ixion
übertragen: GeuJv b' eq)eT|iaTc MHiova (pavTi laOia ßpoToTc Xetciv . . .
'Töv euepTCTttV dtavaic d)LioißaTc erroixoiuevouc xiveaGai." Eine Über-
einstimmimg Pindars und Piatons auf theologischem Gebiet weist be-
kanntlich auf orphische (orphisch-pythagoreische) Apokalyptik. In
den Kreis der Mysteriensprache führt bei Vergil auch die Mahnung
zur biKTi (iustüia) und eucTeßeia (non temnere divos). Die biKaioi und
eudeßeic werden in der Persiflage einer besonderen Art orphischer
Mysterien von Piaton Eep. II 363 CD zusammengenannt; die Aikti orphisch
nach [Demosth.] 25, 11, hymn. Orph. 8, 16. 18, fr. 125f. 154 Abel; der
Geweihte, der den Ablaß im Leben erhielt, darf zu Persephone reden:
TTOivdv dvTaTreTei(Ta eptiwv eveKa outi biKaiuuv IGSi 641. Wenn nun
diese Mahnung hier dem Phlegyas in den Mund gelegt wird, so wird
uns das vielleicht einen bestimmten Schluß auf die von Vergil hier be-
nutzte Quelle ermöglichen. Die Stationierung des Phlegyas, des del-
phischen lepöauXoc, im Tartarus ist (abgesehen von Vergüs Nach-
ahmei:u), singi^lär und jed,enfalls . sehr erlesen. Die Voflage Verguß. muß,
270 KOMMENTAR
wie H. Weil 1. c. 93 annimmt, von Delphi inspiriert gewesen sein („il
s'agissait pour les pretres, d'inspirer Thorreur du sacrilege: ainsi s'ex-
pliquait le grand developpement donne a ce supplice"): tatsächlich war
ja von Polygnot auf seinem delphischen Gemälde ein lepa crecTuAriKUJC
dvrip unter den Büßern des Hades dargestellt (Pausan. X 28, 2). Nun
scheint mir Dieterich 6 5 ff, aus vereinzelten Spuren den Einfluß Delphis
auf die Jenseitsvorstellungen der Mysterien erwiesen zu haben. Zu den
dort gegebenen Belegen kommt ein für uns wichtiger in Plutarchs
Eschatologie de sera n. v. 22, 566 C, wonach im Zusammenhang mit
Orpheus' Katabasis von Delphi die Rede war (eXe^ev . . . dxpi toutou
TÖv 'Opqpea irpoeXGeTv, öie xriv vpuxriv Tfic YuvaiKÖc laetriei, Kai . . .
XÖTOv eic dvOpouTrouc . . . IHeveYKeTv, die koivöv eit] ^avTeTov dv AeX-
cpoTc 'AttöXXiüvoc xai NuktÖc). Es darf mithin auf Grund dieses Motivs
sowie der unter l), 3) und 4) erörterten als wahrscheinlich bezeichnet
werden, daß Vergil auch in der Beschreibung des Tartarus,
wofür ihn wiederum die homerische Nekyia fast ganz im Stich ließ,
die orphische Katabasis benutzte. — Das zuletzt besprochene
Motiv zeigt wieder deutlich, mit welcher Zähigkeit sich einzelne von den
altgriechischen Theologen entworfene Jenseitsbilder erhielten. Denn den
Glauben, daß die Sünder im Jenseits ihre Sünden bekennen müssen,
finden wir ebenso in der christlichen Apokalyptik (vergl. apoc. Petri v.
24, Pauli p. 47 Tisch.) bis auf Dante. Wenn dieser den Sündern
Sprüche aus der heiligen Schrift in den Mund zu legen pflegt (z. B.
Purg. XIII 36 'amate da cui male aveste' nach ev. Matth. 5, 44 bene-
facite his qui oderunt vos, diligite inimicos vestros), so hat er den Sinn
der altertümlichen Vorstellung mit richtiger Intuition reproduziert. Denn
göttliche Gebote sind es ja auch, die nach Pindar Ixion und nach Vergil
Phlegyas verkünden, das eine — von der 'Gerechtigkeit' und der 'Furcht
Gottes' — der christlichen Lehre genau entsprechend, das andere — von
der 'Dankbarkeit gegen die Wohltäter' — von ihr in der genannten
Stelle des Evangeliums umgeprägt. So verdienen unsere Verse, in diesen
Zusammenhang eingereiht, die Berühmtheit, die das discite moniti zum
geflügelten Wort hat werden lassen.
552 ff. solidoque adamante cdlwmnae, \ vis ut nulla virum, non ipsi
excindere tello \ caelicolae valeant. Vis virum und caelicölae aus Ennius
(a. 280. 483). — Mio FPR, ferro M (mit dem zu 37 zitierten Vergil-
cento IV 222, 74). Ersteres richtig, da es nichts Besonderes wäre, wenn
man den adamas ^icht mit dem ferrum zwingen könnte; dagegen ist im
Kriege beim Stüi/men das Ausbrechen der erzbeschlagenen postes, die
hier, um ihre Dimension und Festigkeit zu bezeichnen, durch Säulen aus
purem Stahl vertreten sind, ein typischer Zug (II 480 f. VII 622 f.); ferro
ist eine Variante aus IX 137 ferro sceleratam excindere genfem, wie um-
gekehrt hdh für ferro XII 124 in M steht. — 554 ff. Die turris im
Tartarus ist ein Gegenstück zu der Kpövou TupcTic auf den Inseln der
Seligen, die Pindar 0. 2, 77 aus alter Überlieferung nennt. — 556 ex-
somnis wohl Neubildung (denn Hör. III 25, 9 ist von Bentley korrigiert)
wie insomnis IX 167. Über die Art der Komposition s. z. 428. —
noctesque diesque Ennius a. 338 (Ursinus), auch Plaut. Amph. 168.
— 559 constitit Aeneas strepituqiie exterritus liaesit. Zwischen strepHuque
VERS 552 ff. 271
exterritus haesit und strepitumcine e. hausit schwanken die Hss. Letzteres
erklärt zwar Servius, aber dagegen spricht, daß haurire, wo es mit
dieser Metapher steht (die wohl ennianisch ist, vergl. Xu 26 animo
hauri am Versschluß mit einer für Vergils Praxis unerhörten und
ganz singulären Synaloephe: s. Anhang IX 2), durch auribus gestützt ist:
IV 359 vocemque Ms auribus hausi und dazu Probus im schol. Dan.,
vergl. Hör. II 13, 32 hibit aure. Eine positive Instanz für haesit sind die
von den Intpp. angeführten Parallelstellen III 59 7 f. aspectu conterritus
haesit \ continuitque gradum XI 699 subitoque aspectu territus haesit. Daß
in unserem Verse das consistere dem haerere vorangeht, führt Eibbeck
(prol. 283) falsch als Instanz gegen diese La. an, denn ein OcTTepov
irpÖTepov dieser Art gehört zu Vergils stilistischen deliciae, vergl. oben
331 constitit Anchisa satus et vestigia pressit imd Anhang 11 2. — 560 quae
scelerum fades pluralisch nach g. I 506 tarn multac scelerum fades. —
560 f. quibusve | urgentur pocnis, quis tantus plangor ad auras. Quis MP^,
qui P^R, ersteres von "Wagner, Quaest. Virg. XXII aus Vergils Praxis
als richtig erwiesen. Zweifeln kann man unten 865, wo quis strepitus
in F^MR (in F^ von sehr junger Hand), qui str. in F^P überliefert ist.
Denn es ist möglich, daß Eibbecks Argument (proU. crit. p. XI), qui str.
sei aus euphonischem Grunde vorzuziehen, richtig ist: bei dieser An-
nahme könnte übrigens qui strepitus pluralisch gefaßt werden (vergl. An-
hang V). Es ist nämlich bemerkenswert, daß IX 146 qui sdndere (für
zu erwartendes quis) die einstimmige Überlieferung (FMPE) ist. So
wollte Lachmann bei Properz I 11, 7 aus euphonischem Grund nesds
qui simulatis schreiben statt quis. Gelegentliche Eücksichtnahme Vergils
auf den (JiY)LiaTi(y)Liöc ist auch sonst wahrscheinlich, vergl. Maas 1. c. [z. 4]
518. 520, 1. — plangor ad auras ME, clangor ad auris P. Ersteres
richtig, denn plangor geht auf gemitus 557, wie die poenae auf verhera
und catenae 558: also mit Chiasmus (s. z. 399 f.). Auch IV 668 hat P
falsch clangoribus gegen FM plangorihus. Auch auris ist intei-poliert,
weil, wie Servius (zu 554) notiert, einige (törichte) Kritiker die aurae
im Hades beanstandeten. — quibusve: seltene Stellung des Eelativs am
Versende, s. Anhang m B2.
B. Die apokalyptische Eede der Sibylle 562 — 627, in drei
Teilen: 1) Prooemium 562—65, 2) Tractatio 566—624, 3) Conclusio
625 — 27. Die Tractatio zerfällt in zwei Abschnitte: a) Eichter imd
Schergen (566 — 79), b) Sünder und Strafen (580—624). Kontrovers
ist die Disposition dieses zweiten Abschnitts der Tractatio, doch waltet
in der scheinbaren Unordnung ein erkennbares Prinzip, l) Aeneas hat
5 60 f. nach zweierlei gefragt: s cetera und poenae. Das ist also die Pro-
positio, und damit der Leser dies Einteilungsprinzip festhalte, wird es
innerhalb der Tractatio und am Schluß der ganzen Eede wieder hervor-
gehoben (6 14 f. 'frage nicht im einzelnen nach Art der Strafe und der
Sünden' 626f. ^ich kann dir nicht alle Sünden und Strafen auf-
zählen'). Hätte Vergil nun eine Abhandlimg trepi TÜJV ev &ÖOU dö"e-
ßujv Ktti u)V e7rXTi)ijaeXri(Jav schreiben wollen, so hätte er hinter einander
die einzelnen Sünden mit der je zugehörigen Strafe abhandeln müssen.
Das aber wollte er nicht, einmal weil solches katalogartige Eegistrieren
schon an und für sich unpoetisch gewesen wäre (auch in der 'Helden-
272 KOMMENTAR
schau' unten 756 ff. hat er es, wie wir sehen werden, vermieden), dann
auch deshalb nicht, weil er bei genauer Aufzählung gezwungen worden
wäre, Dinge zu erwähnen, die das ästhetische Gefühl verletzt hätten
(vergl. 6 14 f. ne quaere doceri quam x)oenam sc. exspectent): um das zu-
zugeben, muß man sich die grausigen Einzelheiten vergegenwärtigen, die
die Hölle schon der altgriechischen Theologen kannte (vergl. Piaton
ßep. II 36 IE) und die Dante — oft auf Kosten der Ästhetik — aus
den Apokalypsen zu übernehmen sich nicht gescheut hat. So fand Vergil
als Dichter den Ausweg, teils nur die Sünden, teils nur die Strafen zu
nennen und zwar so, daß er beide Motive sich dreimal gegenseitig
ablösen läßt: Strafen 580—81, Sünden 582—94; Strafen 595—607,
Sünden 608 — 15; Strafen 616—20, Sünden 621—24. 2) Auf dem-
selben Prinzip, der Vermeidung eintöniger Aufzählung, beruht eine zweite
scheinbare Inkongruenz. Hinsichtlich der Sünder bot ihm die doppelte
von ihm befolgte Überlieferung — eine mythologische und eine theo-
logische (s. Einleitung S, 4. 16), letztere von der Art der plutarchischen
de sera n. v. 566 E bis 67 E — zwei Gruppen: einzelne Sünder der Sage
und Sünderklassen des Lebens. Auch diese hat er nicht hinter einander
abgehandelt, sondern, die beiden Quellen gewissermaßen in einander
schiebend, sich abwechseln lassen: Sünder der Sage 580 — 607, Sünder-
klassen des Lebens 608 — 15, Sünder der Sage 616 — 20, Sünderklassen
des Lebens 621 — 24. Infolge dessen war freilich die Trennung von
sachlich Zusammengehörigem nicht zu umgehen: Theseus (618) ist
von Pirithous (601), Phlegyas (618) von Ixion (601) getrennt, ebenso
zwei Arten fleischlicher Sünden (|aoixeia, 0UYaTpO)LiiHia 612. 23), die in
unseren sonstigen Quellen (Dieterich 174 ff.) zusammenstehen. Wer hier
also mit R. Sabbadini (II primo disegno dell 'Eneide, Turin 1900, 46)
die Verse 608 — 15 als späteren Nachtrag ausscheidet, oder gar mit
anderen gewaltsame Umstellungen vornimmt, der erreicht freilich, um mit
Petron zu reden, 'religiosae orationis sub testibus fidem', wie derjenige,
der in der 'Heldenschau' eine Umstellung aus chronologischen Gründen
vornimmt; er zerstört aber die Intention des Dichters, der gewußt hat, ÖTi
t6 xeXoc iCTTopiac Kai Troiriffeujc ou Tauxöv. — Ein analoger Kunstgriff
ist für die Komposition der 6. Ekloge nachgewiesen von Leo, Hermes
XXXVII 1902, 24.
1. Prooemium 562 — 65 (nach dem überleitenden KOjLijLia tum — loqui
ein TCTpdKiJuXov). Auf das Pathos des Anfangs (dux inclute Teucrum)
macht Donatus aufmerksam (s. z. 125. 479); der Schluß ist gehoben
durch die Alliteration deum — docuit — duxit. — 562 orsa loqui =125
dpxaiUJC. — inclutus Lieblingswort des Ennius, zweimal (ann. 147. 164)
an gleicher Versstelle wie hier. — 563 ff. Zur Sache vergl. Einleitung
S. 42 f. — nulli fas mit spondeischem Wort am Versanfang (s. An-
hang Vni) == VIII 502, dort in ennianischer Umgebung. — sceleratum
Urnen. Da Tibull (ein von Vergil unabhängiger Zeuge) I 3, 67 scelerata
sedes vom Tartarus hat (aus Tibull Ovid m. IV 456), so scheint ein
älterer Dichter die bekannten topographischen Bezeichnungen campus
(vicus) sceleratus, porta scelerata (vergl. Leo zum Culex S. 105) als Über-
setzung von TÖTTOC dcreßujv auf den Tartarus übertragen zu haben.
2. Tjactatio 566 — 624. Die 548 begonnene Lautmalerei findet
VERS 562 ff. 273
hier ihre Fortsetzung: Alliterationen 568 ff. superos — seram — sontis —
sinistra — saeva sororum — stridentes — sacrae 71 f. Tisiplione — insul-
tcms — torvos — intentans (Schema ab ab, verstärkt durch Homoioteleuton)
72 unguis — agmina 74 panduntur portae, ccrnis custodia qualis 75 se-
dcat — servet 7 6 f. hiatibus hyära — habet (vergl. Birt, Hiat bei Plautus,
Marburg 1901, 90 f.) 77 saevior — sedem 7 7 f. tum Tartarus — patet —
praeceps — tantum tendji (Schema aabbaa) 83 manibus magnum 87 quat-
tuor — (equis) — quassans 88 per — populos — per 93 faces — fumea
95 Tityon Terrae 96 cernere — corpus 9 7 f. immanis — immortale 600 re-
quies — rcnatis 2 super — silex 6 manibus -- mcnsas 7 attollens ätque
9 pulsatus parens 11 partem posucre 12 adulterium — arma 13 domi-
norum — dextras 1 5 forma fortuna 1 6 radiis roiarum 1 7 sedet — scdebit
20 discite — divos 21 patriam — potentem 22 fixit — refixit 24 ausi —
auso. Harte Konsonantenverbindungen (s. o. S. 266): 566 durissima regna
70 ultrix 73 Iwrrisono stridentes 26 ferrea vox. Malerei mit Yokalen:
576 quinquägintä äiris immänis Mätihus hjdra (s. z. 237), 591 corni-
pedum pulsu simularet equorum (s. Anhang "VTL A). Parisa, Homoio-
teleuta |(s. ebenda II 3): 5 78 f. bis patet in praeceps tantum tcnditque
sub umbras ^^ quantus ad aetherium caeli suspectus Olympum 83 f. ma/nibus
magnum rescindere caelum ^^ superis lovcm detrudere regnis (je 11 Silben),
59 3 f. contorsit — adegit (über die signifikante Stellung s. Anhang m A2),
605 f. Furiarum maxima iuxfa accubat -^ manibus proMbet c&ntingere
mensas (je 12 Silben), 21 f. vendidit hie auro patriam r^ dominumque po-
tentem imposuit '^ fixit leges prefioquc refixit (9, 11, 12 Silben).
a) Richterund Schergen 566—79. Vier Perioden : 566— 69 Texpa-
KuuXov, die KU)\a mit den Versen zusammenfallend, das zweite und dritte
mit je zwei KÖjUjuaTa; 570 — 72 rpiKiuXov; 573 — 77 rpiKUjXov, das erste
und zweite kujXov mit je zwei KÖ)Li)uaTa; 577 — 79 öikdüXov. — 567 casti-
gaique auditque dolos subigitque fateri. Castigare heißt genau 'ins Reine
bringen', 'etwas Unrichtiges korrigieren' (vergl. Persius 1, 7 mit schol.),
daher oft 'strafen'. Aber die Strafe folgt hier erst 570Ö., und nicht
Rhadamanthys, sondern Tisiphone vollzieht sie. Daher castigare et audire
dolos wohl 'die Arglist durch Folter im Verhör feststellen' (ähnlich
T. Page, Class. review IV 1890, 465f. VIII 1894, 203f.): 'esamina le
colpe' übersetzt Dante inf. V 5, die feine Nuance des castigare genau
zum Ausdruck bringend. Über das parataktisch angefügte audit s. An-
hang II 2. Mit subigitque fateri e. q. s. werden die Begriffe castigafque
auditque dolos stilistisch variiert und ausgeführt (s. z. 25). — subigere
in der Bedeutung eines drastischen cogere ist der alten Sprache geläufig,
während es die ciceronianische Zeit nur als 'unterwerfen', 'zähmen'
kennt. Aus der alten Sprache griffen es sowohl Sallust und Livius als
auch Vergil auf, nach dessen Vorgang es in die spätere Prosa dringt.
Da Plautus es in derselben Verbindung hat wie hier Vergil (Truc. 783
vis subigit verum fateri)^ so kann diese ennianisch sein (s. Anhang I),
eine Vermutung, die dadurch empfohlen wird, daß die Worte, wie be-
merkt, bloß eine stilistische Variation der vorhergehenden sind (s. z. 25).
— 570f. ultrix . . Tisiphone: Servius zu IV 609 'ultrix^ hoc est Tisi-
phone, nam graece Tidic ultio dicitur. Derartige spielerische Selbstinter-
pretation liebt Vergil, vergl. I 366 'novae Carthaginis^ Servius: Carthago
VEKGiii Buch VI, von Norden. 18
274 KOMMENTAR
enim est lingua Poenorum nova civitas, III 692 ^Plemyrium imdosum'
Servius: verhuin de verho expressit, hoc est enim 'imdosum' quod ^ Ple-
myrium', 698 ^ stagnantis Helori' schol. Dan.: Graeci stagna 'i\r\ dicimt,
unde ait ^ stagnantis HelorV, VII 684 ' Hernica saxa' Servius: Säbinorum
lingua saxa ^hernae' vocantur 713 ' Tetricae horrentis^ Servius: Tetricus
mons in Sabinis asperrimus XI 721 'accipiter sacer ales' Servius: graecum
nomen expressit^ nam lepaH dicitur. — Die Erinys sontihus insultat d. h.
ecpdXXeTai (vergl. den koköc bai|iiujv '€9idXTr]c) und jagt sie (quatit)
mit ihrer Peitsche. Insultare und quatere sind typische Ausdrücke für
den Reiter: equis insultans Lucr. III 1032, equos curru quatere Vergil a.
Xn 338. Vergl. für die Metapher z. 7 7 ff. und folgende Parallelstelle
einer Apokalypse des J. 1206 (s. Einleitung S. 9) p. 23 ecce daemon qui-
dam venit, equum nigerrimum praecipiti cursu öbequitans . . . Deinde
sanctus interrogat daemonem, cuius üla sit anima quam sie equitando
torquebat; qui ait Jiunc unum fuisse ex proceribus regni Angliae etc. —
573 horrisonus noch IX 55. Diese u. ä. Kompositionen (altisonus clari-
sonus fluctisonus raudsonus), nach denen Vergil armisonus prägte (III 544),
begegnen seit Ciceros Aratea, Lucrez und Catull neben den schon früher
nachweisbaren Bildungen mit einem partizipialen Kompositionselement
(altisonans Naev., altitonans Enn., Lucr., Cic). Cicero, der in den Aratea
13 horrisonis — alis geschrieben hatte, ersetzte dies in seinem Selbstzitat
de d. n. n 111 durch horriferis — aUs, weil ihm horrifer infolge des
Herabsinkens des Kompositionselements zum Sufßix als Komposition
weniger fühlbar war: zvsdschen die Abfassung beider Schriften fällt die
Zeit der doktrinären Sprachregelung, durch welche die Kompositionen
beschränkt werden (s. z. 141). — 576 immanis \\ Jiiatibus liydra: über
den trochäischen Einschnitt s. z. 130. — 57 8 f. Die Überbietung des
homerischen TOdaov evepG' 'Aibeuu, ocTov oupavöc ecTi' otTro yairic (0 16)
durch bis tantum wird Vergils eigne Zutat sein, da solche Übertreibungen
durch bloße Steigerung des Zahlworts (s. z. 625) so recht charakte-
ristisch für das oft hohle Pathos römischer Rhetorik auch in der Poesie
sind. An die Stelle der einfachen homerischen Bezeichnung der Distanz
von Erde und Himmel ist die geschraubte Wendung gesetzt: quantus ad
aetherium caeli suspectus Olympum, was wohl mit Henry 349 f. zu ver-
stehen ist: 'so weit der Auf blick gen Himmel reicht bis zum ätherischen
Olymp'; caeli ist hinzugesetzt zum Kontrast mit dem vorhergehenden um-
hras, vergl. 719. 896 und über die Vorliebe für die Antithese s. z. 9f. 321.
Diese Erklärung verdient vor derjenigen Ladewigs, der caeli Olympum
verbindet (caeli zur gelehrten Differenzierung des Berges), wohl besonders
deshalb den Vorzug, weil suspicere in caelum eine feste Verbindung ist
(z. B. Cic. Arat. 104). Die Künstlichkeit des Ausdrucks mag, wie so
oft bei Vergil, dadurch veranlaßt worden sein, daß er irgendwelche
Floskeln älterer Dichter übernahm und sie mit seiner eigenen Diktion
verband: der Versschluß Olympum. (-i) ist für Ennius überliefert (a. 1. 198)
und aen. X 1 mit einem anderen ennianischen Wort verbunden worden
(omnipotentis Olympi). Dagegen scheint suspectus wenigstens für uns vor
Vergil nicht nachweisbar zu sein (Ladewig 11) und kann daher möglicher-
weise erst von ihm nach der Analogie von aspectus, conspectus geneuert
sein wie affatus und assuUus.
VERS 673—685 275
b) Sünder und Strafen 580 — 624. a) Erste Gruppe von
Sündern der Sage 580 — 607 (Titanen, Aloiden, Salmoneus, Tityos,
Lapithen). Periodisierung: 580 — 81 biKUuXov mit je zwei KÖmaara;
582 — 84 TpiKuuXov; 585 — 86 öikuuXov; 587 — 91 zwei TpiKiuXa, das erste
und zweite küjXov mit je zwei KÖ)a|uaTa; 592 — 94 TpiKouXov; 595 — 600
zwei biKiuXa, das erste und dritte kujXov mit je zwei, das vierte mit
drei KÖ|Li|iaTa; 601 — 607 zwei biKUüXa + TexpdKUjXov.
582 ff. Die Aloiden im Tartarus aucli Culex 234 f., Hygin f. 28, dort
auch mit Angabe der Art ihrer Strafe (vergl. 0. Roßbach, Neue Jahrb. IV
1901, 388); sie wird von Vergil aus aesthetischem Grunde verschwiegen:
s. o. S. 272. Dagegen sind Salmoneus (585 ff.) und Phlegyas (618), der
Vater des Ixion, wohl nur hier (abgesehen von nachverg. Dichtem) im
Tartarus, aber sicher auf Grund irgend einer Überlieferung: so sind nur
bei Properz Alkmaion und Phineus im Tartarus, dazu die Singularität
über Prometheus bei Horaz II 18.
585 f. vidi et crudelis dantem Salmonea poenas, \ dum flammas lovis
et sonitus imitatur Olympi. Eine der kontroversesten Stellen dieses Buchs.
Der Vers 586 dum — Olympi wurde aus zwei Gründen beanstandet: erstens
seien die folgenden Verse 587 — 94 bloß eine Ausführung dieses Verses,
zweitens sei es sinnlos zu sagen: „ich sah den Sabnoneus im Tartarus
grausam büßen, während er Blitz und Donner nachahmte." Es sind die
verschiedensten Auswege vorgeschlagen. Der radikalste ist Tilgung des
Verses, nicht viel weniger gewaltsam die Annahme, er sei eine von
Vergil selbst herrührende Dittographie, oder die weitere, er müsse nach
588 oder nach 592 gestellt werden. Dies alles bedeutet jeden Verzicht
auf Interpretation. Andere versuchten wenigstens eine solche. Gerda
(dem Heyne folgte) erklärte dum = quod, was sprachlich undenkbar ist,
Forbiger u. a. zogen den Vers statt als Nachsatz zum Vorhergehenden
vielmehr als Vordersatz zum Folgenden, wodurch sich eine logisch und
grammatisch falsche Verbindung ergibt. Die unerhörte Erklärung endlich
(Goßrau u. a.), dieser Vers gebe die Art der Strafe an, die darin be-
stehe, daß Salmoneus im Tartarus die Nachäffung Jupiters bis ins Un-
endliche fortsetzen müsse, ist schon von 0. Krauße, Progr. Eudolstadt
1890, 12 f. verworfen worden. Der erste Grund nun, daß 587 — 94
bloß eine Ausführung des Gedankens von 586 seien, ist keine Instanz
gegen die Echtheit (bez. die richtige Stellung) dieses Verses. Im Gegen-
teil stellt Vergil, entsprechend seiner Vorliebe für stilistische Variationen
(s. z, 25), gern einen Gedanken zunächst in knapper Form hin, gewisser-
maßen wie eine propositio, um ihn dann weiter auszuführen. Vergl.
VTI 7 3 ff., wo Ribbeck deswegen gleichfalls eine Dittographie annimmt;
X 104 ff,, wo Peerlkamp und Ribbeck 109 f. tilgen; g. I 469—88, richtig
behandelt von N. Pulvermacher, De georgicis a Vergilio retractatis, Berl.
1890, 86; II 373—79, wo Ribbeck 373—75 für erste, 376—79 für zweite
Redaktion hält. Besonders charakteristisch ist II 501 f. '^ 506 ff., wo
der Tod des Priamus zunächst kurz erwähnt, dann genau geschildert
wird (vergl. das schol. Dan. zu 506). Dieselbe Praxis befolgt oft Pindar,
indem er, ganz wie hier Vergil, die Quintessenz eines Mythus der Einzel-
ausführung kurz vorausschickt (z. B. P. 3, 8. 4, 20. 9, 5. 12, 6. N. 10, 58).
Richtig urteilte also wenigstens hierin schon Gerda: 'quae presse dixit
18*
276 KOMMENTAR
in superiori versu de fulmine et tonitruo, explicatius hie (587 ff.) exhibet'.
Über den zweiten Grund, die zeitliche Beziehung, in die dieser Vers
durch dum mit dem vorhergehenden gesetzt ist, hat schon A. Jacobi (bei
Hand, Tursellinus II 310) richtig geurteilt, dem Conington gefolgt ist.
Die Verse sind nämlich so zu paraphrasieren: vidi in Tartaro etiam Säl-
monea, qui dum lovis flammas et Olympi sonitum imitatur, crudeles dedit
j)oenas lovis fulmine in Tartarum dciectus. Also der Satz mit dum ent-
hält eine zeitliche Bestimmung nicht zu vidi, sondern zu dem zunächst-
stehenden dantem und die poenae sind demnach nicht von der Art der
Strafe im Tartarus zu verstehen, die bei Salmoneus so wenig angegeben
wird, wie bei den Aloiden, sondern von der Strafe, die seinem Frevel
auf Erden durch Jupiters Blitz widerfuhr. Diese Erklärung billigt auch
R. Helm, Jahresber. d. Altertumswiss. CXIII (1902) 40. — flammas MR
wird statt flammam P empfohlen durch den Parallelismus mit sonitus
(s. Anhang II 3).
587 ff. Während die bekannten Sagen von den Büßern des Tartarus
mit ein paar großen Strichen abgetan werden (im Gegensatz zur Detail-
malerei der Alexandriner: Lukian de bist, scrib. 57), wird die weniger
vulgäre Sage von Salmoneus ausführlich berichtet, und zwar kunstvoll
Frevel und Strafe in je drei Versen, die durch eine der indignatio
dienende exclamatio ((TxeTXiadjUÖC, vergl. auct. ad Herenn. IV 15, 22)
von zwei Versen auseinander gehalten werden. Das großartige Pathos
erinnert an den Stil der Tragödie (Sophokles hatte einen 'Salmoneus'
geschrieben, allerdings ein Satyrspiel), wie man sich etwa an folgender
Paraphrase überzeuge: TeOpiTTTTOV äp|Lia YCtöpoc fiviocTpocpiuv | (TeiuJV
xe 7Tup(TÖv, qpOX' errfiXö' 'GX\r|viKd j bi' acTru t' f^Xacr' auxö TTicraiac
X6ovöc, I Geujv be Ti|nfiv övriiöc luv 6916x0 | Xax6Tv Trap' dvbpujv,
eKTreirXTiTM^voc qppevac | öcTTiep GueXXav Kai jaevoc (JktittxoO iLieya |
XaXKoO ipöqpoicJi Kai Kepaxiviu kxuttlu ] ittttujv Kaxr|(Txuv', övxa y'ou
)ai|Lirixe'a. | Zeuc yäp crKOxeivuJ (TuYKeKpu|d)Lievoc veqpei | eiraXXev eyxoc,
oiix 6 y' CK ireuKric (TeXac | KaTTVuj )Liapav0ev dXXct xov Kaxaißdxriv j
axepvoic Kepauvöv eYKaxecfKrinjev ßia, | xucpüjvi x'auxov eHe-rrXriS' oxn-
liidxuuv. Zur Würdigung der Kunst Vergüs ist der Vergleich mit der
kümmerlichen Nachbildung des Ps. Manilius, eines doch nicht ganz un-
bedeutenden Dichters, V 91 ff. lehrreich. — 587 lampada quassans,
vergl. Phaedrus IV 17 (19), 2 2 f. consedit genitor tum deorum maximus \
quassatque fulmen, tremere coepere omnia; d. h. die Phrase stammt aus
dem von Phaedrus parodierten Tragödienstil, nach dem also auch Vergils
tremere omnia visa repente (a. HI 90) zu beurteilen ist. — 588 Graium
populos ennianisch? (ann. 149 Graium gcnus). — mediae Elidis (der
Pisatis) urhs von Salmone ein gewählter, also wohl einer griechischen
Vorlage nachgebildeter Ausdruck (ZaX)LXUüVTi iTÖXic xfic TTi(jdxiboc Steph.
Byz. 552). — 589 ovans: das Verbum oft bei Livius, also wohl ennia-
nisch s. Stacey 1. c. (z. 99) 43. — 590f. qui nimbos et non imitabile
fulmen \ aere et cornipedum pulsu simularet equorum. Daß fulmen als
'Donnerkeil' zu fassen ist, zeigen die dai-auf folgenden Worte, vergl.
VIII 431 f. vom fulmen der Kyklopen fulgores nunc terrifwos sonitumque
metumque | miscebant operi^ XII 922 nee ful/mine tanti dissultant crepitus.
Bei nimbos kann man zweifeln, ob gemeint ist 'Sturmwolke' (so III 198)
VERS 587-595. 277
oder, da aus dieser der Blitz fährt (g. I 328), 'Strahlenschein'. Letztere
Bedeutung, in der es von der christliclien Kunst übernommen wurde,
steht für Vergil fest durch 11 616 (wo von einigen falsch limbo geändert
wird), V 666, IX 110: vergl. A. Kirsch, Quaest. Verg., Münster 1886, 26ff.,
K. Sittl, Arch. f. Lex. XI 1900, 120 f. Aber der folgende Vers empfiehlt
hier erstere Bedeutung: vergl. 11 113 toto sonuerunt aethere nimbi
V 458 nimbi crepitant. — non imitdbile d)Lii)Lir|TOV. — comipedum
(equorum). Das Kompositum ist vor Vergil nicht belegt und möglicher-
weise von ihm wie unten 802 aeripes nach Analogie der älteren sonipes,
pimdpes, plumipes, dem tragischen Stil dieser Episode zuliebe, neu
geprägt. Genau entsprechen würde KepaiÖTTOUC, was aber nur als eine
aus dem Vergilwort übersetzte Glosse überliefert ist (Corp. gloss.
I 278). Vergl. KepoßdtTac von Pan Aristoph. Ran. 230; so cornipes ca-
pella carm. Priap. 86, 16. — Für pulsu haben das weniger plastische
cursu r^M^ (alte Korr.) R. — 592 at pater omnipotens = Lucr. V 399,
wohl beide aus Ennius, für den omnipotens zweimal belegt ist. Der Vers
aen. VII 428 ipsa palam fari omnipotens Saturnia iussit zeigt auch in
seinem Bau (s. Anhang VII B 2 c) archaisches Kolorit (^Saturnia ist für
Ennius bezeugt). — 593 ille wie öfe, vergl. Horaz s. II 3, 204; est
arcliaismos Servius zu I 3. — fumeus zuerst hier; andere Ersatzmittel
für das wegen seiner Längen unbequeme fumosus sind bei den Dak-
tylikern (neben fumidus) fumifer fumificus. Für die Bildimg auf -eus
s. z. 281.
595 iF. Die nun folgenden Verse von Tityos' Strafe erklärte, wie
Heyne berichtet, jemand für die schönsten Vergils, während Heyne selbst
findet, daß sie nur Abscheu erregten. Vielmehr müssen wir scheiden
zwischen der Wirkung des Einzelnen und des Gesamten. Die beabsich-
tigte Überbietung Homers (\ 576ff.) und des Lucrez (IH 984ff.), viel-
leicht auch des Prometheus des Accius, ist Vergil im einzelnen gelungen:
auch hier erhebt sich seine Sprache, wie in den vorhergehenden Versen,
zu der Höhe der XeHic xpaTiKr). Denn wenn einige Ausdrücke — „die
unsterbliche Leber abweidend" (kontaminiert, wie Heyne bemerkt, aus
Hesiod Th. 523 fjuap dGdvarov und Homer 1. c. 578 fiTrap CKeipov);
„die zur beständigen Strafe fruchtbaren Eingeweide"; „er durchwühlt sie
zum Fraß, in der Tiefe der Brust wohnend" (rivalisierend mit Lucrez
1. c. 985 suh magno scrutantur pectore; mit Vergils sub alto pectore vergl.
das pindarische ßa9u(TTepvoc) — durch Übertreibung des üvjjoc uns an
KttKoZiriXia zu grenzen scheinen, so dürfen wir unser ästhetisches Gefühl
nicht an der Norm des antiken messen: soweit die Übersetzung Ciceros
(Tusc. n 23) aus dem befreiten Prometheus des Aeschylos ein Urteil ge-
stattet, muß auch dieser den Fraß des Geiers an der Leber mit grellen
Farben geschildert haben. Dagegen ist für die Gesamtwirkung unserer
Vergilverse verletzend, daß kaum einer der Begriff'e, die das Fressen des
Geiers schildern, dem andern ein wesentliches neues Moment hinzufügt.
Diese eTri)iOvri bei der Ausmalung ('expolitio', s. z. 638fi".), dieses Be-
hagen, das Grausige mit Worten spielerisch zu variieren, ist nichts als
jene hohle Rhetorik (jpatJios von Macrobius s. IV 4, 12. 15 mit Zitat
dieser Verse genannt), die schon von den alten römischen Tragikern an
die Stelle des uipoc der griechischen gesetzt worden war und die dann
278 KOMMENTAR
bei den rhetorisierenden Dichtern der Kaiserzeit, wie Ovid, Seneca und
Lucan, ihre Orgien feiert. Die steigende Vorliebe für Ausmalung des
Grausigen kann man durch Vergleich der Polyphem-Episode der Odyssee
(\ 288 ff.) mit Vergü aen. III 6 18 ff. und Ovid m. XIV 167—212 gut
beobachten: die Andeutungen Homers überbietet schon Vergil mit einer
uns verletzenden Detailmalerei, aber Ovid schwelgt darin ohne Eücksicht
auf irgendwelche Ästhetik und ohne Schonung für die Nerven seiner
Leser. Es ist daher begreiflich, daß die vorliegenden Verse von Tityos'
Strafe bei den Autoren der Kaiserzeit sich einer besonderen Beliebtheit
erfreuten (vergl, A. Zingerle, Kl. phil. Abhandl. III, Innsbruck 1882, 69 ff.).
Den Reigen eröffnet charakteristischer Weise Maecenas, der in einem Zitat
bei Seneca ep. 114, 5 das sprachliche Wagnis Vergils rimatur epulis in
seine wegen ihrer KttKoZiiXia verrufene Prosa übertrug. — 595 nee
non et Kai iurjv, s. z. 183. — TUyon. Über die griechische Endung s. An-
hang VI 5. — terra omniparens TTamuriTeipa (Heyne), zuerst bei Lucrez
II 706 nachweisbar, aber wohl älter wie omnipotens 592. — alumnus
hier = GpertTÖc nach der jungen Sagenform bei ApoUon, Rh. I 761 6v
p '^TEKev Te 1 öl' '€Xdpri, 0pev|iev be Kai aip eXoxeucraxo faia (Heyne
u. a.). — 596 cernere erat fjv ecJibeiv nach Analogie des bekannten,
seit caesarischer Zeit üblichen Gräzismus videre est wahrscheinlich von
Vergil geneuert (vergl. Lachmann z. Lucr. V 533, Wölfflin, Arch. f. Lex.
n 135 f.); graeca figiira Serv. zu VIH 676. — obuncus M, adtmcus P,
abuncus FR. Ahnliches Schwanken, aber durchaus zu Gunsten von obun-
cus an der zweiten Stelle, wo das Wort vorkommt: XI 755. Es ist für
uns vor Vergil nicht nachweisbar (Arch. f. Lex. IH 1886, 246. 249). —
598 f. fecunda poenis viscera. Daß poenis Dativ ist, zeigt außer dem
Parallelismus mit rimatur epulis die Nachahmung des sog. Manilius
IV 664 crimina in poenas fecunda suas (Henry 351). — 600 fihris:
Varro 1. 1. V 79 in iecore extremum fibra. — requies datur = Lucr. VI 931.
601 ff. Quid memorem Lapithas, Ixiona Pirithoumque, \ quos super
atra silex iam iam lapsura cadentique \ imminet adsimilis; lucent geniali-
bus altis I aurea fulcra toris epulaeque ante ora paratae | regifico luxu
e. q. s. Schwierige Verse, über die ich nicht wage ein bestimmtes urteil
abzugeben. Ribbeck (prol. crit. 62 f.) behauptete, daß die 602 ff. er-
wähnten Strafen vom fallenden Stein und dem durch die Furie gestörten
Mahl auf Tantalus, nicht auf Ixion und Pirithous, gehen müßten, wofür
er außer der vulgären Sagentradition als Beweise anführte l) daß 602
in R quo statt quos MPF^ {quod F^) überliefert sei, 2) daß Servius zu
603 ff. den Mythus von Tantalus referiere, 3) daß Vergil selbst g. III 38 f.
IV 484 Ixion aufs Rad gefesselt sein lasse. Also schloß er, daß 601
von Varius an falscher Stelle eingefügt sei und Vergil beabsichtigt habe,
hier statt Ixion und Pirithous vielmehr Tantalus zu nennen. Andere
ließen von dieser gewagten Hypothese wenigstens so viel gelten, daß
nach 601 eine Lücke anzunehmen sei, in welcher die Erwähnung des
Tantalus ausgefallen sei. Die anderen bis in die jüngste Zeit vor-
getragenen Vermutungen (Textänderungen, Versumstellungen etc.) auf-
zuzählen, scheint mir zwecklos, da mich keine zu überzeugen vermocht
hat und ich nichts Besseres weiß, als zu der Ansicht der älteren Inter-
preten zurückzukehren, wonach die Überlieferung intakt ist. Dazu ver-
VERS 595—601. 279
anlassen mich folgende Gründe: l) Es hat gar keine Wahrscheinlichkeit,
gegen die La. der besten Hss., die durch die indirekte Überlieferung des
Servius, Macrobius und Ps. Probus sowie die Paraphrase des Hieronymus
de bono mortis 7, 33 (angeführt von K. Schenkl, Wiener Stud. XVI
1895, 336 f.) bestätigt wird, vielmehr die La. der schlechtesten unter
den alten Hss. zugrunde zu legen und für weitgreifende Kombinationen
zu verwerten, da sie doch nur auf leichtem Verschreiben beruht (quo
super für quos super). 2) Servius kann nichts für die Hypothese be-
weisen, denn auch er (zu 616) las quos und bezog die Strafe des fallen-
den Steins auf Ixion und Pirithous. Nur versucht er dadurch ein Kom-
promiß mit der vulgären Tradition zu schließen, daß er wenigstens die
zweite Strafe, die Entziehung der Speisen, von Tantalus verstanden
wissen will. Diese Trennung der beiden Strafen ist aber nach dem Wort-
laut ausgeschlossen, wie denn auch Donatus beide auf Ixion und Piri-
thous bezieht und schon Statins in seiner Nachahmung dieser Stelle
(Theb. I 713) beide auf Phlegyas überträgt (wie Vergü selbst VHI 668 f.
auf Catilina: te Catilina minaci \ pendentem scopulo Furiarumque ora
trementetn). 3) a) Daß Vergil hier die in den Georgica 1. c. erwähnte
vulgäre Sage von der Bestrafung des Ixion durch das Ead, die in der
nach 601 angenommenen Lücke gestanden haben soll, nicht gemeint
haben kann, ergibt sich daraus, daß er diese Strafe gewissen allgemeinen,
nicht näher bezeichneten Verbrechern zuteil werden läßt 616 f. radiisque
rotarum districti pendent: die Strafe des Tpo\ii€iv ist ein altes Motiv,
s. Dieterich 203. b) Es ist aber überhaupt unerlaubt. Sagen Varianten der
Georgica mit denen der Aeneis auszugleichen. Wenn sich Vergil sogar
innerhalb der Aeneis solche erlaubte, ohne daß die Absicht bestanden
hätte, sie zu beseitigen (s. z. 61 7 f.), und wenn Ovid in den Meta-
morphosen dieselbe Praxis übt (vergl. Ps. Probus zu Vergil g. I 399),
wieviel weniger brauchten diese Dichter auf Uniformität in ihren ver-
schiedenen Gedichten bedacht zu sein, c) Muß dies Prinzip überhaupt
eine Grundlage für die Interpretation dieser Art von Poesie sein, so
darf es ganz besondere Geltung beanspruchen, wo es sich um die Strafen
im Tartarus handelt, die erst spät und auch dann nie ganz festgelegt
sind. So schwankte ja grade auch die Überlieferung über Tantalus.
Wenn Vergil ihn hier nicht nennt, so durfte man seine Erwähnung
nicht gewaltsam in den Text bringen, denn die Stationierung des Tan-
talus unter den Büßern des Tartarus ist ja sicher nicht das Ursprüng-
liche. Vielmehr darf angenommen werden, daß Vergil ihn auf Grund der
treffenden Darlegungen der Grammatiker zu \ 582 if und zu Pindar 0. 1,
97 mit Absicht nicht genannt hat. — Die von Heyne in die Worte 'fabu-
lam affert a vulgari diversam' zusammengefaßte Erklärung scheint mir
also den Umständen nach die relativ beste zu sein. Die Möglichkeit aber,
daß dieser Stelle die letzte Hand des Dichters noch gefehlt habe, wird
mit Helm 1. c. (z. 586 f.) offen zu halten sein.
601 quid memorem = VIII 483, dazu Servius: figura oratoria
quae paralipsis vocatur. Die rhetorische Frage paßt besser für den
Dichter, der durch sie, wie Donatus bemerkt, eine zu lange 'continuatio
sermonis' vermeidet, als für die Person, die er reden läßt. Vergl. über
diesen kleinen Stilfehler o. S. 215. — Pirithoumque. Versschluß wie
280 KOMMENTAR
oben 393, vergl. Anhang IX. — 602 cadentique. Der überhangende Vers
malt das Überhangen des Felsblocks (Forbiger) , vergl. Anhang IX 3 c.
Solche versus hypermetri sind nicht, wie Kießling (zu Horaz s. I 4, 96)
glaubt, erst von Lucilius (481 L.) gebildet, sondern schon von Ennius
(vergl. Seneca bei Gellius XII 2, 10), und zwar nach einer fälschlich aus
dem homerischen Zr\v abstrahierten Theorie (vergl. Hephaestion euch. 4, 7),
die schon Kallimachos (ep. 41, l) in die Praxis umgesetzt hat. Den von
Lachmann z. Lucr. p. 81 angeführten Beispielen aus lateinischen Dichtern
sind jetzt noch die von L. Quicherat, Rev. de phil. XIV 1894, 51 ff. und
von Bücheier z. carm. ep. 1247 gesammelten hinzuzufügen. — cadenti
adsimiUs übersetzt TTpOTretric. — 603 f. genialihus aliis . . . toris. Das
doppelte asyndetische Attribut, für lateinische Poesie eine Seltenheit, ent-
spricht hier gut der ipa^iKf) XeHic wie 605 regificus (== Ennius tr. 122).
Letzteres ist zudem in den obliquen Casus (wie hier regifico) sowie im
Adverb ein bequemer Ersatz (neben regalis) für die im Hexameter un-
brauchbaren Formen von regius. — aurea fulcra. Über den Begriff von
fulcrum hat W. Anderson, Class. rev. HI 1889, 322 ff. gut gehandelt und
die Eichtigkeit der Isidorglosse (orig. XIX 26, 3) fulcra sunt ornamenta
lectorum dida, quod in iis fuldnmr, vel quod toros fulciunt sive caput,
quae recUnatoria vulgus appellat (vergl. Corp. Gloss. I 473) gegenüber
den Irrtümern moderner Lexikographen erwiesen. Danach sind fulcra
die verzierten Bettlehnen , auf denen die Polster lagen. Während diese
Verzierungen gewöhnlich aus eingelegter Bronze oder bei großem Luxus
späterer Zeit aus Schildpatt bestanden (Juvenal 11, 94|ff.), läßt Vergil sie
hier aus Gold (vergoldet) sein: tatsächlich waren KXTvai XP^^JcT aus dem
Osten nach Rom importiert Avorden (Athenaeus V 197 A). Wenn Vergil
hier also einen Brauch in die mythische Vergangenheit verlegt, so
nimmt er sich dieselbe Freiheit, die uns besonders aus Ovid geläufig ist
(vergl. Ehwald zu Ovid m. VIII 556). — 605 Furiaruni maxiwia sc.
natu: Eurip. Iph. T. 963 TTpeffßeip' fitrep fjv •'Gpivuuuv, Stat. Th. VII 477
Eumenidum antiquissima (Germanus). Statins versteht in der Nachbildung
dieser Stelle (Th. I 713) Megaera. — 606 f. accubat — exsurgit: über die
Wortstellung s. Anhang III A 2. — 607 Monat FMR und der Vergil-
cento [zu 37] IV 233, 346, increpat P Glosse aus 387. Intonat orc Vers-
schluß = Culex 179, dort ungeschickt verwendet, also möglicherweise
ein älterer Versausgang; intonare wird alter Poesie angehören wegen der
Konkordanz von Cicero poet. (de div. I 106) intonuit caeli pater und
Vergil II 493 intonuit (Jupiter). So hat Plautus Amph. 1094, an einer
Stelle mit paratragodischem Charakter, continuo contonat, wie Horaz
s. II 3, 223, ebenfalls parodierend, circumtonare.
ß) Erste Gruppe von Sündern des Lebens 608—15. (Periodi-
sierung: 608 — 15 zwei TpiKUjXa, das erste, zweite und fünfte kujXov mit
je zwei, das dritte und sechste mit je drei KÖ)U)uaTa.) Das Prinzip der
Gruppierung ist die Verletzung der heiligen Familiengesetze: Brüder
gegen Brüder, Kinder gegen Eltern, Patrone gegen ihre Schutzbefohlenen,
Geizige gegen ihre Angehörigen, Sklaven gegen ihre Herren, Ehebrecher.
Diese Klassen sind seit früher Zeit typisch für die Verdammten der
Hölle und blieben es sehr lange. Die Belege, die mit den (allerdings
interpolierten) Versen Hesiod Erga 327 ff. und der alten Orphik beginnen
VERS 602— 608flF. 281
und bis zu den chiistlichen Apokalypsen des IV. Jli. reichen, sind von
Dieterich 163fF. und mir (Hermes XXVIII 1893, 390f.) gegeben worden
und brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Wichtiger ist es fest-
zustellen, daß Vergil bemüht ist, die griechischen Anschauungen durch
römische Terminologie seinen Lesern näher zu rücken. 1) Nach Piaton
Rep. X615D (bez. seiner Quelle) büßen im Tartarus die Brudermörder.
Wenn Vergil dafür mit Mildenong des Ausdrucks vielmehr quibtts invisi
fratres sagt, so werden die Zeitgenossen dabei an das Thema der 'feind-
lichen Brüder' (fratres dissidentes , vergl. georg. 11 496 infidos agitans
discordia fratres) gedacht haben, das in den fingierten Gerichtsreden
jener Zeit eine große Rolle spielte (Seneca contr, I 1, 7. V 4. VI 3. VII l),
weil es im Leben so häufig war. — 2) Aristophanes Frösche 149 f.
nennt (nach seiner Quelle) unter den Verdammten der Hölle ei Tic . . .
f| |iAT]Tep' ^Xörjcrev r\ iraTpöc YvaGov eTraraHe, vergl. die von Germanus
zitierte Stelle Piatons Ges. IX 880 E Traxpoc f| |LiTiTpöc f| toutujv Iti
TTpOTÖvujv öaiic ToX|iir|crei cxi|jacr9ai Ttoxe ßialöiuevoc alKia tivi, larite
TÜJv avui öeicfac Geujv inriie tujv uttö f^ic Ti|uuüpia)v . . ., Karaqppovujv
TiI)V TraXaiwv Kai uttö TrdvTUJV eipruneviuv , irapavoiiieT. Wenn Vergil
diese Vorstellung wiedergibt mit quibus pulsatus parens, so erinnerte
sich, wie schon J. Bernays (Ges. Abh. H 144, 55) bemerkte, der römische
Leser an das auf Servius TuUius zurückgefühi-te, wahrscheinlich in ältester
Zeit aus griechischem Recht (Solon? vergl. Demosthenes 24, 103) ent-
lehnte Gesetz sei <^quem?y parentom pover verherid ast öle plorasid, pover
deivois parentom sdkros estod (nach Festus 230), wie denn auch Plautus
Pseud. 355 die Worte verberavisti patrcm atque matrem unverändert aus
seiner Vorlage herübernehmen konnte (vergl. Usener, Rh. Mus. LVII,
1901, 26). — 3) Zu der Klasse quibus fraus innexa dienti bemerkt
schon Servius: ex lege XII tabularum (p. 149 Seh.) venit in quibus scrip-
tum est 'patronos sei cluenti fraudem faxid, saJcer estod\ Auch dies beruht
wieder auf ältester Rechtsgemeinschaft oder auf sehr früher Entlehnung
seitens der Römer. Denn bei Aristophanes 1. c. entspricht die Klasse ei
TTOU Hevov (458 variiert durch fieioiKOv) Tic ^biKricre. Vergl. Ps. Hesiod,
Erg. 327, Aeschyl. Eum. 266 K., Aristoteles bei Demetr. de eloc. 157. —
4) Es folgt die Klasse derer qui divitiis soll incubuere repertis \ nee par-
tem pesuere suis. Die Volksmoral, daß man von seinen xP^IM^Ta die
rechte X9^^^^ machen müsse, indem man sie vor allem zur Unterstützung
seiner Verwandten gebrauche, ist älter als die philosophische Moral: schon
Pindar sagt (N. 1, 31 f.), er liebe nicht den, der große Schätze im Hause
verborgen halte, sondern den, der sie nutze zur Aushilfe der Freunde,
und so rühmt sich Demosthenes, den Bedüi*ftigen gegenüber stets hilfs-
bereit gewesen zu sein (de cor. 268). Wie so viele Volksmoral ist auch
diese von der Stoa rezipiert worden, in deren Sinn sie von Cicero de
off. I 42 ff. (bes. 58), Horaz s. I 1, 80ff. H 2, 102 f., Persius 3, 70ff. be-
handelt wird, und aus der sie von der christlichen Morallehre über-
nommen wurde: vgl. Commodian instr. 130,7 von den schlechten Reichen:
nee parentes pascitis ipsos. Vergil fand auch diese Klasse in seiner
griechischen Vorlage, denn in den griechischen Listen der Verdammten
entsprechen ihr die irXouCfiOi, die von ihrem Gelde nicht den rechten
Gebrauch machten (vergl. z. B. acta Thomas c. 53 p. 40 Bonnet). Doch
282 KOMMENTAR
fügte er auch hier römische Züge hinzu. Denn da Servius' Erklärung
von suis 'id est cognatis, adßnibus' jedenfalls richtig ist (nach Terenz
Phorm. 352 ff. ist das neglegere cognatos typisch für den avarus), so
erhalten wir neben Eltern und Schutzbefohlenen eine dritte Kategorie,
die in die heiligen Rechte der römischen Familie einbegriffen war: vergl.
Gellius V 13, 2 constabat ex moribus p. R. primum iuxta parentes locum
tenere pupiUos debere . ., proximum dient es habere . . ., in tertio loco
esse Jiospites, postea esse cognatos adfinesque. Auch die Ethopoiie
des Geizhalses, der auf seinen gefundenen Schätzen schläft (incubat),
scheint aus römischem Vorstellungskreis zu stammen, da sie wohl von
dem auf den Schätzen liegenden Incubus (Petron 38) auf den Reichen
selbst übertragen ist. Vergl. Hör. s. I 1, 70 f. congestis imdique saccis vn-
dormis, Livius VI 15, 5 incubantes publicis thesauris, Quintil. X 1, 2 velut
clausis thesauris incubabit u. a. bei A. Otto, Sprichwörter, Leipz. 1890,
173 f.; ein analoger Ausdruck scheint im Griechischen zu fehlen. Wenn
Vergil endlich bei dieser Klasse bemerkt quae maxima turba est, so
paßte das auf das Rom seiner Zeit: war doch die Freigebigkeit des
reichen Proculeius, des Vertrauten des Augustus, gegen seine verarmten
Brüder deshalb Stadtgespräch, weil es eine Ausnahme von der Regel
war (Horaz od. 11 1, 5 ff. mit Porphyiio); carm. epigr. 1141, 8 wird einer
gerühmt, daß er nicht in fratres avarus erat. — 5) Es folgt die Klasse
der ob adultcrium caesi, also wegen eines Verbrechens, gegen welches
Augustus in dem Jahrzehnt der Abfassung der Aeneis durch Gesetze
einzuschreiten beschloß (Hör. HI 6 u. 24, vergl. Prop. H 7). Die Speziali-
sierung der in griechischen Quellen genannten )aoixoi durch caesi ob
adulterium erklärt sich aus dem z'ömischen Kriminalrecht, wonach unter
bestimmten Umständen dem Gatten die Tötung des Ehebrechers zustand
(vergl. Mommsen, Strafrecht 6 24 f.). — 6) Besonders deutlich ist das
römische Kolorit bei der letzten Klasse: qui arma secuti impia \ nee veriti
dominorum (allere dextras. Hierzu bringt Servius eine vortreffliche Be-
merkung, die wieder in ihr Recht eingesetzt werden muß: melius est (als
die vorangehende falsche Erklärung), ut bellum a Sexta Pompeio ... in
Siculo freto gestum accipiamus. nam occiso patre Siciliam tenuit et collec-
iis undique servitiis vastavit sex annis uUro citroque Siciliam, postea victus
est ab Äugusto et Agrippa: Horatius (ep. 9, 9 sq.) ^minatus urbi vincla quae
detraxerat s er vis amicus perfidis.' et hoc sensu tarn 'arma impia' quam
'dominorum' congruit commemoratio. Die Richtigkeit dieser Erklärung
beweisen außer dem schon von Servius beigebrachten Horazzitat (vergl.
außerdem Hör. ep. 4, 19) die Worte des Augustus, mon. Anc. 5, Iff. mare
pacavi a praedonibus. eo bello servorum qui fugerant a dominis
suis et arma contra rem publicam ceperant, triginta fere millia capta
dominis ad supplicium sumendum tradidi. So spezialisiert Vergil die seit
T 259 f. typische Klasse der verdammten eTTiopKOi durch Hindeutung auf
ein für römische Rechtsanschauung empörendes Ereignis: vergl. Varro
sat. 193 und Liviiis XXI 41, 10 über frühere Sklavenkriege. Es lebte
noch eine Generation nach Vergil in aller Gedächtnis: vergl. Ps. Mani-
lius I 915 ff. Auf eine Interpretation dieser Zeit (Hyginus?) mag daher
die erlesene Notiz bei Servius zurückgehen.
608 dum vita manebat wird hier wie unten 661 nur zu einer
VERS 608—616. 283
Gruppe gesetzt, es gehört dem Sinne nach zu allen. Die Phrase er-
scheint an diesen beiden Stellen sowie besonders an der dritten, wo sie
noch vorkommt und als wenig sachgemäß schon in antiken Kommentaren
notiert wurde (V 724 mit dem Erklärungsversuch des Servius), mehr wie
eine formelhafte "Floskel und wird entlehnt sein (vergl. die Variation
II 455 dum regna manebant). Nach Vergil war sie auf Inschriften be-
liebt^ z. B. carm. epigr. 610, 6 Buch., vergl. auch J. Schmalz, Arch. f.
Lex. XI (1900) 346. — 610 diviüae repertae: ein Zug aus dem Leben,
vergl. E. Maaß, Orpheus (München 1895) 34, 22. — 612f. arma sccuü \
impia nee veriti dominorum faller e dextras. Impia, emphatisch durch
Versschluß von seinem Substantiv getrennt, wird durch die folgenden
Worte näher bestimmt (s. Anhang HI B l). Der Versanfang mit Reminis-
zenz an Catull 64, 404 impia non vcrita est (divos scelerare penatcs). —
614: inclusi poenam cxpectant. Das eigentümliche Motiv, daß diese Sün-
der 'im Kerker ihrer Strafe harren', muß in einer älteren Apokalypse
überliefert gewesen sein, da es auch in den acta Thomae c. 54 (p. 40 f.
Bonnet) vorkommt: UTrebeiHe |aoi avxpov Trdvu (TKOTeivöv . . ., iroWai
be vpuxcti CKeTeev TrapeKUTTiov ßouXö)iievai toO de'poc ti jueTaXainßdveiv,
Ol be TOUTCüv qpuXttKec oiik eiwv auidc irapaKUTtTeiv. 6 be ctuvuüv \xo\
elire" toOtö low tö becTjuiUTripiov (vergl. inclusi) toutujv tOüv vj;uxu»v
il)v eibec" endv ydp irXripuuaujai idc KoXdcreic (poenam) auTuJv u)V ^ia
eKdaiTi CTipaHev, ücfTepov TrdXiv dXXai bmbexoviai aiiidc (vergl. ex-
spectant). — 615 ne quaere doceri . . . quae forma viros fortu/nave mcrsit.
Forma: Servius id est eausa criminis vel regula, singulis enim scderihus
sunt statuta supplicia ex more romano quem sequitur. Also s. v. a. formula
(L. Havet, Eev. de phil. XIII 1889, 116), in spielerischem Anklang an
fortuna (ähnlich Lucilius 932L formonsi fortes). — mersit. Der Indikativ
im abhängigen Fragesätze nach der Praxis sowohl des Altlateinischen
als des Griechischen. Da er sich auch bei Properz, Ovid und Späteren
findet (vergl. Leo, Seneca I 9 2 f.), so muß für Vergil das Griechische als
maßgebend betrachtet werden. Oft war für die Wahl der einen oder
der anderen Form nur die Bequemlichkeit des Verses entscheidend, wie
sich besonders bei Properz erkennen läßt, der oft in einem und dem-
selben Satze mit unerhörter Freiheit wechselt. Vergl. auch z. 779.
f) Zweite Gruppe von Sündern der Sage 616 — 20 rpiKUjXov,
das erste kuuXov mit zwei, das dritte mit vier KÖ)i)uaTa.
616 saxum ingens volvont malerische Spondeen nach dem Vorbild
des homerischen Xdav ßacFxdZiovTa TteXuupiov (X 594), was schon von
dem Gewährsmann des Dionys. Hai. de comp. verb. 20 als |Ui|aTiTiKÖv xoö
TTpdY|LAaTOC angeführt und von einem Dichter bei Cic. Tusc. I 10, ver-
mutlich Lucilius (815 Baehr.), Sisyphus versat \ saxum Sudans nitendo
nachgebildet war; s. Anhang VII Bl. — Dasselbe rhythmische Ethos im
folgenden Vers 617 sedet aeternumque sedebit | infelix Theseus. Hier soll
durch das rhythmisch schwere aeternum die Länge der Zeit gemalt
werden, wie Lucrez zu gleichem Zweck mit demselben Wort den fünften
und sechsten Fuß füllt in dem malerischen Vers III 907 insatiabüiter
deflevimus aeternumque (nulla dies nobis maerorem e pectore demet) und
wie Horaz, wohl um eben diese Wirkung zu erzielen, den dritten und
vierten Vers der alkaeischen Strophe durch Synaphie verbindet 11 3, 27
284 KOMMENTAR
in aeternum \ exüium (sonst das nur noch einmal bei einem Eigennamen
ni 29, 35 Etruscum \ in mare). Malerisch sind endlich auch die Spondeen
infelix Tfieseus wie o. 456 infelix JDido. Vergl. im allgemeinen An-
hang VII Bl. — 617 von Theseus: sedet aeternumque sedebit. Daß
Theseus (nicht bloß Pirithous) zum sedere verdammt wurde, stammt aus
gewählter Sagenüberlieferung, vergl. Dieterich 91 f. Daß die Sagenversion
von der ewigen Strafe des Theseus, die seit der (späten) Stelle X 631
neben der anderen geläufig blieb (z. B. Properz 11 1, 37), mit 122, wo-
nach er aus dem Hades zuinickkehrte , in Widerspruch stehe, notierte
schon Hygin (bei Gellius X 16, 11 ff.). Er meint, correcturum fuisse Vcr-
gilium, nisi mors occupasset Das ist möglich, aber nach dem o. S. 209
Bemerkten nicht sicher. Wenn Vergil hier zu sedet mit Emphase hinzu-
setzt aeternumque sedebit, so will er dadurch die andere Fassung aus-
drücklich abweisen, ähnlich VIII 140 f. at Maiam^ auditis si quicquam
crcdimus, Allans, \ idem Allans gener al, eaeli qui sidera lollit (vergl.
Servius dazu und zu VII 50 f.). Da CatuU 64, 16 (vergl. Reitzenstein,
Hermes XXXV 1900, 89), Horaz IV 7, 25 f., Properz III 15, 23 und Ovid
(vergl. Ehwald zu m. X 60 f. VI 50 ff.), in analoger Weise gegen ab-
weichende Sagenüberlieferung versteckt polemisieren, so muß dieser schon
früh geübte Brauch der Dichter (Pindar 0. 1, 26 ff., 6, 25 f., P. 3, 8 ff. u. ö.,
Soph. El. 566 ff. Eur. Suppl. 846 ff.) in der gelehrten Poesie der Alexan-
driner besonders beliebt gewesen sein, wofür Kallimachos h. 3, 172 einen
guten, vonKaibel (DLZ 1882, 1750) notierten Beleg gibt. — 620 tcmnere.
Das als Simplex veraltete Wort hebt die Feierlichkeit; Vergil hat es noch
dreimal I 542. 665. X 737, stets, wie hier, in Reden.
b) Zweite Gruppe von Sündern des Lebens 621 — 24- (xpi-
kujXov, das erste mit drei, das dritte mit zwei K6)U|uaTa).
621 f. vendldit hie auro patriam dominumque potentem | imposuit,
fixit leg es pretio atque refixit. Der Typus als solcher war überliefert;
in der platonischen Apokalypse Rep. X 615 B werden im Tartarus be-
straft die TToXeic irpoböviec, noch in einer Vision des J. 824 (s. Ein-
leitung S. 9) p. 299 die domini qui subiectos sibi non ut domini guber-
narunt sed ut crudeles tyranni. Aber auch hier ist die Formidierung
wieder römisch. Sei'vius bemerkt: possumus Antonium accipere se-
cundum Ciceronem in PhiUppicis, ubi ait ^leges reßxisti,'. fixit autem ideo
quia incisae in aereis tabulis affigebantur parietibus. Diese Interpretation
ist richtig: die frevelhafte Willkür des Antonius im Publizieren von
Gesetzen angeblich aus Caesars Nachlaß brandmarkt Cicero ständig mit
dem Ausdruck leges (tabulas) figere (vergl. Phil. 2, 92. 97. 5, 12. 12,
12. 13, 5), und mit Beziehung hierauf scheint später von Octavian die
lex lulia de peculatu (dessen Cicero an einer der genannten Stellen,
12, 12, den Antonius beschuldigt) gegeben zu sein: qui tabulam aeream
leges formamve agrorum aut quid aliud continentem refixerit . . ., pe-
culatus tenetur (Dig. XL VIII 13, 10). Die Richtigkeit der Beziehung
auf Antonius (d. h. einen Typus wie Antonius) wird durch folgende
Argumente gewährleistet: 1) Wie Vergil ihn dominum potentem nennt,
so Livius per. 117 M. Antonius cos. cum impotenter dominaretur, Velleius
II 61 torpebat oppressa dominatione Antoni civitas, vergl. Augustus im
mon. Anc. 1, 2. 2) Schon im ersten Entwurf seines Epos, den Vergil
VERS 616—623. 285
im Prooemium zum III. Buch der Georgica darlegt, findet sich Antonius
als Büßer im Tartarus: g. III 37 ff. vergl. Neue Jahrb. f. das klass. Alt.
1901, 319. 3) Die von Macrobius TV 4, 11 als Vergils Vorbild zitierten
Verse des Varius de morte (Caesaris): vendidlt hie Latium populis agrosque
Quiritum \ eiipuU, fixit leges pretio atque refixit beziehen sich tatsächlich
auf Antonius (vergl. z. B. E. Unger, L. Varii de morte eclogae reliquiae,
Halle 1870, 6 ff.) — Durch das fast wörtliche Zitat der berühmten Verse
seines verehrten Freundes machte Vergil diesem nach der bekannten
Sitte hellenistischer Dichter ein Kompliment, wie Properz 11 34, 6 7 ff.
seinerseits dem Vergil durch Zitate aus den Bucolica. Wenn er zu
vmdidit noch awo hinzufügt, so ist das wohl eine weitere Keminiszenz
an einen ebenfalls berühmten Vers des Accius (p. 296 Ribb.^) auro ven-
didit (vitam viri). Dem Zitat zuliebe hat er eine für seine Praxis irre-
guläre Synaloephe des Varius beibehalten: pretio atque refixit, d. h.
Synaloephe der Länge eines anapästischen Worts vor der 5. Arsis; s.
Anhang XI 1.. — Über die Wortstellung vendidit — imposuit — refixit
s. ebenda IIIA 2.
623 Jiic fJialamum invasit natae vetitosqtie hymenaeos. Das ist ein
Vertreter einer weitern typischen Klasse von Verdammten der Hölle, der
Unzüchtigen (vergl. Dieterieh 174ff. ). Die Beziehung des Servius auf
Thyestes oder Kinyras ist falsch, da sie den Frevel der OufaxpomHia
unwissentlich begingen, was dem Gedanken des folgenden Verses (ausi
omnes immane nefas) widersprechen würde. Das Motiv war in helle-
nistischer Poesie beliebt (Hygin. f. 253), seine berühmteste Behandlung
in der Sage von Klymenos und Harpalyke (vergl. Crusius im Lex. d.
Myth. I 1837 f.). Die Sache selbst wird entsprechend dem feinen Ton,
den die kunstgemäße Stilisierung für dergleichen Dinge vorschrieb und
den man grade an Vergil besonders rühmte (vergl. Gellius X 10 über
Vm 404ff., unsere SchoUen zu g. III 127. 135. aen. H 402. IV 166. 318.
608), 'honeste' mehr angedeutet als gesagt. Wie Vergil hier thalamurti
und hymenaeos gebraucht, so die Griechen ydiLioi: Demosth. de cor. 129
an einer grade wegen dieser honesta translatio berühmten Stelle (vergl.
auct. ad Herenn. IV 34, 45), die sachlich auf die Komödie weist. Daß
grade in der mit Worten prüden vea das Wort so gebraucht wurde,
darf aus der Übersetzung des Plautus durch mcptiae geschlossen werden
(Gas. II 8, 45 ff. Cist. I 1, 43 ff., dann später bei Petron durch das Medium
der MiXrjCJiaKd). Dieses Wort zu gebrauchen war für den Daktyliker
ausgeschlossen: so wählt Vergil die beiden Fremdworte, zumal diese
eben als Fremdworte zur Verschleierung der Sache geeignet waren, und
läßt den Vers nach griechischer Art (s. Anhang IX) schließen vetitosque
hymenaeos (otTToppriTOuc 9' \j)uevaiouc). So ist er auch IV 550 gezwungen
zu sagen thalami expers, während Horaz HI 11, 11 mit nuptiarum expers
auskommt. Auch conubium w u machte Schwierigkeiten, da -m in
daktylisch auslautendem Worte in klassischer Zeit nicht mehr elidiert
wurde: daher braucht Vergil nach CatuUs Vorgang den Plural conubia
(IV 316. 535), die obliquen Casus mit Synizese conubio, conubiis nur in
späten Partieen (III 136. VII 96. 253. 333. XII 821) und dem wohl
gleichfalls späten ersten Teil von I (76, daraus interpoliert in IV 126).
Coniugium ist im Genitiv erst von Ovid gebraucht, der vor Formen auf
286 KOMMENTAR
-ii keine große Scheu mehr hatte, im Accusativ von Vergil in dem späten
VII (423. 433) in der Bedeutung von coniugem (vergl. Xexoc, ^&jjloc),
das als daktylisches Wort auf -m aus dem genannten Grunde wieder
nicht zu brauchen war; für coniugalis sagt er IV 16 iugalis, was die
antiken Exegeten notierten. Ersatzmittel neben den genannten griech.
Worten waren taedae und foedera, so IV 338 f. VII 388. — Die gleiche
vorsichtige Wahl der Worte zeigt der folgende Vers 624 ausi ornnes
immune nefas ausoque poiiti, was zunächst auf die an letzter Stelle ge-
nannte fleischliche Sünde geht. Denn audere (wie ToXjuäv, eGeXeiv) und
potiri (wie ec xeXoc oder ec iröGov ^pxeffGai oder dvueiv) sind Verba
nequam'. Vergl, z. B. IV 217 rapto potitur, von Servius durch stupro
fruitur erklärt; Ninnius Crassus fr. 2 Baehrens (FPR p. 283) penetrat
penitus thalamoque potitur-, Ovld m. XI 242 auso foret ille potitus näml.
Peleus der Umarmung der Thetis; Apuleius in der anth. lat. 712 Riese
amare liceat, si potiri non licet. Audere streift in der Verbindung auso
potiri nahe an die ihm seiner wahrscheinlichsten Etymologie gemäß zu-
kommende Bedeutung 'trachten nach etwas': Paulus F. 20 audacia ab
avide, i. e. cupide, agendo dicta est, vergl. Skutsch 1. c. (z. 210) 44 und
Birt, Rh. Mus. Suppl. LH 131. Daher läßt Ovid 1. c. auso potiri mit
265 votis potiri wechseln, vergl. Apuleius met. IX 18 cupito potiri
Vergil selbst hat audere so noch g. III 188, wo es von einigen falsch
in gaudere geändert wird, vergl. Horaz III 24, 25. 28 volet — audeat,
ProperzIII, 11, 41 ff.
3. Conclusio 625 — 27 (biKOuXov mit je zwei K6)U)LiaTa) mit starken
rhetorischen Mitteln: Alliterationen si — sint, ferrea — - formas, poenarum
percurrere — possim, Anaphern centum — centum, omnis — onrnia, das
Parison omnis scelerum comprendere formas r^ omnia poenarum percurrere
nomina (11, 13 Silben).
625 f. non mihi si linguae centum sint oraque centum, | ferrea vox
ist, wie schon der von Servius und Macrob. VI 3, 6 benutzte Kommentar
notierte, eine Nachbildung der Verse B 489 f., die vor Vergil schon
andere Dichter nachahmten, darunter der hier von Vergil fast wörtlich
zitierte Lucrez VI 840 f. (non mihi si linguae centum sint oraque centum, \
aerea vox), und die nach Vergil ein stehendes, von Persius 5, Iff. ver-
spottetes Inventarstück der Poesie wurden. Für die rhetorisierenden
römischen Dichter ist es charakteristisch, daß sie aus der homerischen
Zehnzahl eine Hundertzahl machen; bei Ovid. f. II 119 und Valerius
Flacc. VI 40 sind es gar 1000 Zungen. S. z. 578 und andere Steigerungen
dieser Art bei J. Kvicala, Vergilstudien (Prag 1878) 110, G. Ihm, Progr.
Gemsheim 1902, 7, Vollmer zu Statins s. V 4, 11.
IV. Palast des unterirdischen Herrselierpaars 628 — 636.
Die beiden iKcppdcTeic von Tartarus und Elysium werden durch
eine wenn auch nur kurze Handlung getrennt: die Niederlegung des
goldnen Zweigs an der Pforte des unterirdischen Palastes. Singular wie
das Motiv als solches ist die Vorstellung 6 30 f., daß der Palast von den
Kyklopen aus Eisen geschmiedet sei (Cyclopum educta caminis moenia).
Periodisierung 628 — 30 öikujXov, das zweite mit drei KÖ)i)iiaTa;
VERS 624— 637flF. 287
630 — 32 biKUjXov, das erste mit zwei K6|Li)LiaTa; 633 — 34 TpiKouXov, das
dritte mit zwei KÖ|i|uiaTa; 635 — 36 rpiKUuXov. Alliterationen: 628 haec
ubi dicta dedit (ennianisch, vergl. tr. 265 orationem duriter didis dedit,
aus Ennius haec ubi dicta dedit auch Lucilius 16 L. und Livius XXII
50, 10; s. o. z. 472f.) 630f. Cyclopum — caminis — conspicio 632 de-
ponere dona 633 pariter — per. Isokolon: 635 f. occupat Aeneas aditum
= corpus recenti spargit aqua (je 9 Silben). Homoioteleuta in signi-
fikanter Stellung (s. Anhang IIIA 2): 634 corripiunt — propinquant
635 f. occupat — spargit — figit.
629 f. carpe viam et perfice munus, accderemus: Parataxe (s. An-
hang II 2) für celeriter carpe viam, ut mu/nus perficias. Der zeitlich
frühste Beleg für die Phrase carpere viam (iter) scheint Horaz s. I 5, 95
zu sein: vergl. Weyman 1. c. (z. 130) 340 f. Für Vergil war sie schon
in den Georgica so geläufig, daß er sie mit carpere aera, gyrum, prata,
rura variieren konnte (g. IV 311. III 191. 142. 324f.). Über die Metapher
s. z. 634 corripiunt spatium. — 630 educta (caminis moenia) M mit
Servius (vergl. eHeXauveiv (Tibripov Herod. I 60), dueta FPE. — 631
moenia: |aeXavTeixea ööfiov 0ep(Jeq)övac Pindar 0. 14, 20. — 633 di-
xerat beliebter Abschluß von Eeden, wohl von Ennius nach Homer ein-
geführt: aen. VIQ 152 nach bezeugtem Enniuszitat. Vergl. zu 190 und
Anhang 13. — pariter gressi. Die bei Plautus (Truc. 124, vergl. Pseud.
859) nachweisbare Verbindung pariter gradi ist möglicherweise ennianisch:
s. Anhang I 1. Die militärische Ausdrucksweise (s. z. 545. 749) setzt
sich in den beiden nächsten Versen fort: foribus propinquare, aditum occu-
pare. Das ist passender für die Sphäre, in der das ennianische Epos sich
bewegte, als für die vorliegende Situation mit ihrem friedlichen Charakter.
Der militaris sermo wird in den Schollen zu VIII 653. IX 605. X 279.
314. XI 453 notiert, einmal — X 241 — mit dem Zusatz: antiquo
verbo militiae usus est. Das Participium des Simplex gressus, das nur
hier vorzukommen scheint (Forbiger), kann ebenfalls alt sein wie temnere
o. 622; möglicherweise ist es aber vielmehr eine Eückbildung Vergils. —
opaca viarum. Dieser Gräzismus (vergl. Brenous 1. c. 9 7 f.), den schon
Ennius eingeführt hatte (a. 92 infera nodis), begegnet oft bei den Dak-
tjlikem seit Lucrez, weil er metrisch bequem und oft imumgänglich
war, vergl. V 695 ardua terrarum Vni 221 ardua rmntis (vergl. Köne
62). — 634: corripere spatium (viam, campum) scheint (zufällig?) vor
Vergil nicht nachweisbar (c, gradum Hör. od. I 3, 33). Der bis zum Ziel
zurückzulegende Weg erscheint darin als Widerstand, der genommen
werden muß (viam vorare vulgär Catull 35, 7); Ovid übernimmt die
Phrase und dehnt sie auf rapere viam aus. Der Vers ist rein daktylisch,
weil das accelerare (630) gemalt werden soll (s. Anhang VHB l).
V. Elysium 637 — 78.
Auf die Schilderung des Elysiums und seiner Bewohner 637 — 65,
folgt, zum VI. Hauptteil überleitend, die Begegnung mit Musaeus 666—78.
A. Schilderung des Elysiums und seiner Bewohner 637
bis 665. Periodisierung: 637 — 39 öiKuuXov mit zwei bezw. drei KÖ)a|LiaTa;
640 — 41 biKiuXov mit je zwei KÖ|Li|naTa; 642 — 44 biKOüXov mit drei
288 KOMMENTAR
bezw. zwei K6|Li|LiaTa; 645 — 47 bkuuXov mit je zwei KÖ|Li)iaTa; 648 — 50
TpiKUüXov, die KUuXa mit den Versen zusammenfallend und mit je zwei
KÖ|Li)LiaTa; 651 — 59 TerpdKUjXov; 660 — 65 zwei rpiKuuXa, die KuJXa mit
den Versen zusammenfallend, das zweite und dritte mit je zwei K6)a)aaTa.
— Auf eine kurze eKqppacTic tÖttou (637 — 41) folgt die Schilderung
der Seligen und ihrer Beschäftigungen 642 — 65. Es sondern sich vier
Gruppen: a) Palaestra und Reigenplatz 642 — 47 b) Heroen 648 — 55
c) Symposion 656 — 59 d) Mehrere zu einer Gruppe zusammengefaßte
Klassen von Seligen 660 — 65. — Der malerische Charakter dieser Partie
findet seinen Ausdruck in der Abbildung der Bilderhs. fol. LIF.
Während die griechische Poesie seit ältester Zeit die Wohnsitze und
das Leben der Seligen mit den glänzendsten Farben umkleidet hatte, so
daß das Motiv schließlich bis zur Parodie entwertet werden konnte, er-
hielt der römische Leser in seiner Sprache, so viel wir wissen, hier die
erste und würdigste Schilderung. Zwar ist kein Zug im einzelnen neu,
aber die Kunst der Zusammenfassung der überlieferten Züge und die
vornehme Zurückhaltung, die der Phantasie des Lesers, statt sie zu über-
schütten, freien Spielraum läßt, verdienen die Bewunderung, die diesen
Versen u. a. Schiller zollte (vergl. v. Boltenstern 1. c. [z. 265] 21). Auch
hier sollen, wie bei der Exegese der Tartarus-Episode, die von Dieterich
19 ff. und von mir im Hermes XXVHI 1893, 393 f gegebenen Belege
für das einzelne nicht wiederholt werden. Altere Interpreten vermuteten,
daß Vergil einzelne Züge seines farbenreichen Gemäldes dem berühmten
pindarischen Threnos (fr. 129 Bgk., vergl. auch Pyth. 10, 31 ff.) ent-
nommen habe. Die Möglichkeit kann nicht bestritten werden: die starke
Betonung des agonistischen Sports (642 f. Turnen, Wettlauf, Ringkampf,
also Spezialisierung der pindarischen fV}Ji\&Oia., ferner 6 54 f. die itttto-
xpocpia) ist besonders gut aus der Interessensphäre desjenigen Kreises
verständlich, für den ein olympischer Sieg einen iLiaKapiCTTÖv ßiov (Plat.
Rep. V 465 D) bedeutete, wie ihn eben die )LidKapec im Elysium leben.
Aber sicher ist diese Kombination nicht. Denn da Vergils Eschatologie
in vielen Punkten von der pindarischen unabhängig ist, so ist es viel-
mehr wahrscheinlich, daß die übereinstimmenden Züge aus theologischer
Poesie stammen, deren Benutzung durch Pindar wie durch Vergil eine
Tatsache ist. Auf die Hervorhebung der Agonistik bei Vergil darf nicht
zuviel gegeben werden, denn sie war ja etwas Panhellenisches (Pind.
J. 2, 38. 3, 47) und wird daher auch in Pindars Quelle nicht gefehlt
haben. Grade in Großgriechenland und Sizilien, wo diese Art von theo-
logischer Poesie blühte, war auch der ritterliche Sport beliebt, wie
aus Pindar selbst bekannt ist. Jedenfalls war die Vorlage Vergils sehr
erlesen. Das zeigt außer den 6 60 ff. aufgezählten, in der Einleitung
S. 33 ff. auf alte theologische Vorstellung zurückgeführten Klassen von
Seligen besonders noch die Erwähnung des Eridanus, der durch einen
Lorbeerhain zum Licht emporströmt (658 f). Diese Überlieferung ist
Singular, beruht aber, wie Th. Bergk, Kl. Schriften II 718 (vergl. auch
Dieterich 27) bemerkt, auf dem alten Glauben an einen Götterstrom, der
durch den Göttergarten fließt. Das Motiv ist, natürlich ohne Nennung
des Eridanus, auch in christlicher Apokalyptik nachweisbar, die so viele
Züge der hellenischen aufgenommen hat: apoc. Pauli p. 50 Tischendorf
VERS 637 ff. 289
eatTicrev ine (ö afTeXoc) eTrdvuu toO iroTaiaoO, ou r] dpxri eairipiKTO
eic TÖv kukXov toO oupavoO" 6 be TroTainöc oijtöc ecTTiv 6 kukXuiv
Träcrav ir\v yf\^- ^ai Xefei )Lior oüixoc 6 TTOxaiuöc ujKeavöc ecrriv. orac.
Sibyll. n 337f. 'HXudiiu irebiLU, Ö9i oi (sc. 6euj) ireXe Ku^ara juaKpd |
Xi^iVTic devdou 'Axepoucridboc ßaöuKÖXTrou. Aus der Paulus-Apokalypse
(p. 55) ergiebt sich auch, daß das plastische Motiv von Orpheus, der
inmitten seiner geweihten Schar die Leier spielt (645 ff.), älterer Apo-
kalyptik angehört, denn dort ist es auf David und seine Gläubigen über-
tragen. Und wie bei Vergil die Seligen einen Paean singen (657), so
heißt es in der Petras- Apokalypse von ihnen v. 19 )aia (puuvfi TÖv Kupiov
Geöv dvxeucprmouv : auch in den sogenannten 'chaldaeischen' Orakeln
singen die gen Himmel steigenden Seelen Paeane (Kroll, Bresl. phil.
Abh. VII 54).
637 perfecto munere divae vergl. VIII 306 f. divinis rebus . . . per-
fectis in ennianischer Umgebung; perficere ist ein sakrales Wort, das die
Vollendung derjenigen heiligen Handlvmg bezeichnet, deren Anfang mit
einem ebenfalls sakralen Terminus incohare heißt (s, o. S. 198); vergl.
aen. IV 639 f. sacra . . . quae rite incepta paravi \ perficere est animus.
638 ff. Der Kunst einer eKcpacTic entsprechend werden alle dem
KdXXoc dienenden Mittel reichlich verwendet, besonders die Alliteration
(z. B. 638 locos laetos 41 solemque sumn, sua sidera 44 pars pedibus plau-
dumt 47 pectine pulsat 48 pulcherrima proles, femer 40. 42 f. 49. 52 f.
57f. 58f. 60. 62. 64) und die Anapher (641 suum sua 42f. pars —
pars 47 iam — iam 5 3 f. qxiae — quae 61 ff. qui viermal). Formell
bemerkenswert sind besonders die zwei ersten Verse devenere locos laetos
et amoena virecta \ fortunatorum nemorum sedesque heatas. Dieselbe Sache
wird viermal mit verschiedenen Worten ausgedrückt. Was Vergil damit
bezweckte, wird aus dem auctor ad Herennium IV 42, 54 klar: expolitio
est cum in eodem loco manemus et aliud atque aliud d'icere videmur. ea
duplicitefr fit, si aut eandem plane dicemus rem aut de eadem re. eandem
rem dicemus non eodem modo — nam id quidem obtundere auditorem
est, non rem expolire — sed commutate. commutabimus triplidtefr:
verbis pronuntiando tra,ctando. Vergl. Beispiele für dieselbe Praxis z.
268 f. 595 ff. und georg. 11 227 ff., wozu Servius bemerkt: isti versus
incomparabiles sunt, tantam habent sine aliqua perissologia repetitionem.
Femer hat jedes Substantiv, was in der Aeneis in dieser Häufung selten
ist (s. Anhang IHA 3), sein Attribut, also vier irdpiCTa, darunter das
zweite und vierte von gleicher Silbenzahl (^amoena virecta = sedesque
beatas an gleichen Versstellen) und das erste, zweite und dritte je
mit gleichen Endungen von Substantiven und Attributen (6|LiOiÖTrTUüTa).
Letzteres ist in dieser Häufung gleichfalls durchaus gegen Vergils sonstigen
Brauch (s. zu 268 — 94 u. Anhang IV), besonders bei so stark ins Ohr
fallender Endung wie foxtunatorum nemorum (vergl. XI 545 solorum
nemorum und die geschmacklose Spielerei Ovids m. XHI 549 non oblita
animorum, annorum oblita suorum). Über beide Figuren, das irdpiCTov
und öfioiÖTTTUUTOV, handelt der genannte Rhetor IV 20, 2 7 f. Auch
weiterhin treffen wir sorgfältige, fast zierliche Gliederung. Zwei Gruppen
werden sich 642 — 44 mit pars — pars gegenübergestellt und ihre
KÖ|H)LiaTa entsprechen sich ziemlich genau: exercent membra palaestris <^
Vbbgil Buch vi, von Norden. 19
290 KOMMENTAR
contendunt ludo ^^ luctantur harena, plaudimt cJioreas ^^ carmina dicunt
Parisosis mit gelegentlicher eiravacpopd auch 653 quae — 55 (drei
Glieder von je einem halben Vers), 660 — 65 (sechs Glieder von je
einem Vers). Der Vers 657 ist durch vescentis — canentis eingerahmt
(s. Anhang III A 2), mit starkem 6)LiOiOTeXeuTOv: bei Partizipien in diesem
Buch nur hier und 680 (indusas — ituras). Wenn wir alles zusammen-
fassen, so dürfen wir sagen, daß Vergil den elysischen Hain mit all
den Kunstmitteln jener zierlichen XeHic geschildert hat, die in der Kunst-
prosa grade auch bei Schilderungen von äKox] und TrapdbeiCToi tradi-
tionell waren.
638 devenere locos = I 365 mit einer Erweiterung der Gebrauchs-
sphäre des Zielaccusativs auf Appellativa, wie wir ihn zuerst bei Vergil
finden: s. Landgraf 1. c. (z. 345) 396 und unten 696. — amoena virecta:
an gleicher Versstelle amoena salicta Ennius a. 40. — 639 fortunatorum
füllt gewichtig die erste Vershälfte, bei einem Appellativum nur noch
XI 512 exploratores , was ennianisch sein kann (a. 231 explorant am
Versanfang). — 640 lumine vestit (sc. aefJier campos). Die Metapher
wird von Ursinus u. a. nui- dui'ch je eine Stelle aus Ciceros Phaenomena
(60 vestivit lumine Titan) und Lucrez (II 148 convestire luce vom sol)
belegt. Cicero schwelgt aber darin (262 convestiet lumine 332 sol ...
convestit lumine 473 aquarius . . . vestivit lumine terras; umgekehrt 205
vestiet umbrä 440 convestiet umbrä 479 caligine . . . lumi/na vestit)-^ er
übernahm sie, wie alle poetischen Ornamente, älterer lateinischer Poesie,
vielleicht der Tragödie, die für ihn wie für Vergil eine Fundgrube poetischer
Diktion neben Ennius' Annalen war. Die verwandte Metapher hcrbis prata
convesHrier hat Ennius tr. S. 295 Eibb.^ in Aeschylos Eum. 889 K. erst
hineingebracht, ein Beweis, wie geläufig sie ihm war. — 644 pedibus
plaudumt choreas. In dem homerischen ttctiXtitov be xopöv GeTov rrocJi
(9 264) bedeutet %op6c, wie meist bei Homer, 'Tanzplatz' (vergl. xopoi-
TU7T0C Pindar fr. 156). Wenn Vergil dafür choreas plaudere 'Reigen
schlagen' sagt, so ist das ein in der Dichtersprache häufiger freier Gebrauch
des Accusativs wie VII 307 scelus merere (= Strafe für den Frevel ver-
dienen), V 541 honorem praeferre (jemandem an Ehre den Vorzug geben)
XL. a. bei Kießling z. Hör. I 33, 16, Rothstein z. Prop. I 1, 20. Plaudere
pedibus (ebenso Lucr. V 252) ist gewählter als pellere pedibus, das
Lucrez V 1402 (duritcr et duro terram pede pellere matrem), Catull 61, 14
und Horaz III 18, 15 absichtlich brauchen. Die Kürze des e in choreas
gegenüber choreis (am Versschluß) IX 615. X 224 (s. Lachmann zu
Lucr. 159) entspricht dem beschleunigten Rhythmus, während im vor-
hergehenden Vers contendunt ludo die Spondeen das Mühsame malen,
so bei tendcre und Kompositis öfter, z. B. VII 164 aut acris tendunt
arcus IX 665 intendunt acris arcus VII 380 intenti ludo exercent (sc.
turbi/nem); vergl. Anhang VII B 1. Malerisch sind auch die dumpfen u
in pedibus plaudunt wie II 732 visus adesse pedum sonitus III 648 soni-
tumque pedum, Culex 33 Hellespontus pedibus pulsatus equorum; vergl.
Anhang VII A.
645 ff. nee non lliraeicius longa cum veste sacerdos \ obloquitur nu-
meris Septem discrimina vocum, \ iamque eadem digitis iam pectine pulsat
eburno. Orpheus und Musaeus im Elysium nach alter Überlieferung
VERS 638—652. 291
(Plat. Apol. 41 A, Rep. 11 363 C). Ersterer, im apollinischen Gewände,
ist hiei' als Chorführer gedacht, als eHapxoc Kai TTporiYe^iJuv toO Gidaou
(Eurip. Backch. 141. Demosth. de cor. 260), wie Apollon selbst 6pxr|-
(JTCic d^Xctiac dvdffcrujv von Pindar fr. 148 genannt wird; vergl. auch
Maaß, Oi-pheus (München 1895) 66. Sein Spiel wird in zwei Versen
so künstlich ausgedrückt, daß die Erklärung schwankt. Die Worte sind
aber wohl nicht anders als (mit Wagner) so zu verstehen: 'er accom-
pagniert die Rhythmen (der Tanzenden) auf den sieben verschieden-
stimmigen Saiten, die er bald mit den Fingern, bald mit dem Plektron
schlägt': dvTicpuuveT toTc puGjuoTc Kaid xd eiTTdcpGoTTa biacTTrmaTa,
TTOTe |Liev v|jdXXiJUV, Troie öe Kpouujv. Aus dem dirö koivoO gestellten
pulsat ergänzt man zum ersten Glied leicht psallit oder einen diesem
analogen Begrijff. Die genaue Unterscheidung zwischen den beiden Arten
des Spiels auch in einer von Gerda verglichenen Stelle des Phüostratos
iun., imag. 6 (p. 400 Kayser): ai X^ipec be (des Orpheus) f] |Liev beEid
i.v\lxovOa dirpiH tö TrXfiKrpov eTTiTeTaiai toTc cpöÖYYOic, . . . r] Xaid
he opGoTc irXriTTei toTc öaKxüXoic xouc laixouc. — pccten = plectrum
für ims zuerst Vergil, mit Übertragung vom Weben auf das Saitenspiel
wie in Kxeic, xpeKeiv, )liixoc. Auch iam — iam im Sinn von modo — modo
oder nunc — nunc finden wir zuerst bei Vergil b. 4, 43 f. (Wölfflin, Ai'ch.
f. Lex. II 1885, 244). — 649 magnanimi heroes naü melioribus annis
nach Catull 64, 22 f. o nimis optato saeclorum tempore naü \ heroes sal-
vete, deum genus (Ursinus). Über magnanimus s. z. 307. — 651 procul
^abseits' s. z. 10. — miratur FP, mirantur MR mit Donatus, ersteres
richtig, denn der Sibylle ist dies nicht neu: erst 854 steht miraniibus.
— currus inanes nach Servius 'wesenlose', richtiger Heyne 'ohne In-
sassen' wie 1 476 (dort richtig Servius: sine rectore). Auch auf der
Darstellung der Bilderhandschrift sind es wesenhafte Wagen, aber leer:
sie sind augenblicklich außer Funktion, wie ja auch die Rosse auf der
Weide sind (6 5 2 f.).
652 stxint terra defixae hastae MPR. Der für terra in F über-
lieferte Dativ terrae (an einen Lokativ ist kaum zu denken: vergl.
K. Wotke, Wien. Stud. VIII 1886, 134f.) wird durch g. n 290 terrae
defigitur arbos, a. X 555 caput deturbat terrae XI 87 sternitur proiectus
terrae nur scheinbar empfohlen. Dreimaliger Wortausgang auf -ae hinter-
einander in einem Verse wäi-e (selbst mit Synaloephe) für Vergil beispiel-
los. Sogar zweimaliges -ae ist selten: ohne Synaloephe nur b. 9, 28 vae
miserae malend, a. II 282 quae tantae X 371 patriae quae bei Enklisis
bezw. Proklisis; mit Synaloephe noch sechsmal: oben 382 curae emotae
I 650 Ärgivae Helenae Vlil 580 curae amblguue 11h nymphae Egeriae
XII 24 aliae innuptae. Auch von den hexametrischen Dichtem vor Vergil
hat mehr als zweimaliges -ae ohne Synalophe keiner, mit Synaloephe
nur Lucilius 872 L. gwmiae vetulae inprobae ineptae, zweimaliges nur
Ennius ann. 1 Musae quae 208 rectae quae 298 multae fortunae, Lu-
cilius 223 adver sae fortmiae, Lucrez VI 363 variae causae, Dirae 42 li-
cinae flammae 48 undae quae. — Die Spondeen malen die Ruhe, das
crxdai|Liov: daher stant wie IX 229 stant longis adnixi hastis, XII 772
hie hasta Aeneae stdbat. Dies Moment hat Vergil in seine Vorlage
r 135 datriffi KeKXi)Lievoi , Trapd b' e'YXea iiiaKpd TreTrriYev erst hinein-
19*
292 KOMMENTAR
getragen. Überhaupt ist das Bild der Rulie 648 — 55 mit bewußter Kunst
(s. z. 9 f.) zwischen die bewegten Szenen des Y^MvacTiov und des X^poc
(642—47) einerseits und des (Ju)Li7TÖ(Tiov (656 — 59) andererseits gestellt.
653 gratia currum ein gewählter Ausdruck: die Xdpixec sind
bei Pindar 0. 14 Beschützerinnen der Agone. So betreiben 654f. die
Seligen mit dem pascere nitentes eqiws den adligsten Sport des Lebens
(Pindar z. B J. 2, 38 iTTTTOTpoqpiac vojaiZiujv ev TTaveXXdvouv vö)uiu und
0. 6, 14 cpaibi|Liac ittttouc) im Elysium weiter. Dafür erinnere man sich
an die Pindar geläufige Vorstellung, daß die Sieger in Agonen sich
im Hades über ihrer Nachkommen Siege freuen (0. 8, 81 ff. 14, 18 ff.
N. 4, 85ff.), und besonders an die Nachricht Herodots (VI 103), daß das
dreimal siegreiche Viergespann eines Atheners der Pisistratidenzeit in
dem Familiengrabe des Geschlechts beigesetzt war. — currum bei Vergil
einziges sicheres Beispiel der seltenen, aber auch von Augustus (mon.
Anc. V 40 exercitum) angewendeten Kontraktion; VII 490 manum patiens
kann zwar Accus, sein (vergl. Tac. h. IV 81 manum aeger, Stat. Theb.
X 356 patientior artus) wird aber wegen des Parallelismus mit mensaeque
adsuetus erilis von Servius und den meisten Neueren wohl mit Recht
auch als Genitiv gefaßt. — 655 f. Der erste Vers schließt mit dem
ennianischen repostos (s. z. 24. 328), der zweite mit per Jierham; diese
Worte stehen V 102 in ähnlicher Verbindung und in ennianischem Zu-
sammenhang (s. z. 39. 243). — dextra laevaque == Q. Cicero in FPR
p. 316 Baehrens. — 657 vcscentes laetumque choro paeana camnies:
beiTTVOV mit folgender (TTTOvbri und dem diese begleitenden iraidv; Servius:
^paeana' proprie ÄpoUinis laudes, quod nunc congruit pr<ptcr lauri nemus.
— laetus euqppu)v: Asklepios-Hymnus von Ptolemais (rev. arch. 1889) 21
XaTpe \xo\ (xi TTaidv dir' e/uiaic eöqppoöi laTab' doibak. — 658 superne
am Versende wie Lucr. VI 1018. 1099; über die Bildung vergl. Leo,
Arch. f. Lex. 1897, 435ff. Es gehört zu den vielen Ortsbezeichnungen
mit bloß relativer Bedeutung (foris, intus; peregre, super) und heißt hier
'nach oben' [ad superos Servius), wie bei Plinius n. h. XIX 76 (superne
tendit, non in terram), vertritt also das von Vergil und anderen Dichtem
nicht gebrauchte sursum (vergl. Leo, Seneca I 112, 12). — 659 plurimus
Eridani per silvam volvitur anmis. Die Häufung der l und p malt, vergl.
Horaz epod. 16, 48 levis crepante lympha desilit pede und dazu Porphyrie:
sonus versus imitatur et vclocitatem et strepitum aquae currentis; so auch
od. HI 13, 15 loquaces lymphae, ep. I 2, 43 Idbitur et läbetur in omne volur
bilis aevum. — plurimus amnis heißt der Eridanus wie bei Cicero Ar.
146 magnis cum viribus am/nis. Er fließt per silvam, weil an ihm die
aiYCipoi stehen, in die die Heliaden verwandelt waren (Ovid m. II 372
Eridanum . . . silvamque); volvitur iXiOüejai: so vom Eridanus Nonnos
XXXVIII 431. Die Phraseologie Vergils scheint also beeinflußt durch
das alexandrinische Phaethon-Epyllion, von dem nach G. Knaack, Quaest.
Phaethonteae (Berlin 1886) 49 ff. Cicero, Ovid und Nonnos abhängen.
So hat Vergil auch g. 1 482 fluviorum rex Eridanus wohl aus dem
Griechischen übersetzt: 'Hpibavöc ßaaiXeuc iTOTa)Liu)v (vergl. Pindar P.
4, 181 ßacTiXeuc dvejaujv von Boreas), wie er g. II 98 vom Wein von
Phanae auf Chios sagt et rex ipse Phanaeus d. h. auTÖc ßacTiXeuc le
0avaioc (Lucilius 1161 XTöc le buvdffTTic).
VERS 653—670. 293
660 hie manus oh patriam pugnando volnera passi '^ VII 182
Martiaque ob p. p. v. p., dort in ennianischer Umgebung. Für Entlehnung
spricht auch das in der Sprache des Lebens damals schon ungebräuch-
liche ob sowie die Alliteration: mit pugnare alliteriert Ennius an allen
Stellen, wo es uns aus ihm überliefert ist (a. 258. 349. tr. 6). — 662
Phoebo digna locuti (vates), vergl. Menander rhet. gr. III 437 Sp. TTiv-
bapoc i)|uvouc fpacpvjv eic töv öeöv (Apollon) dHiouc xfic eKeivou
Xupac. — 664 Über das Schwanken der Hss. zwischen aliquos und
alios s. Einleitung S. 36, 1, — 665 Das Motiv, daß den Seligen eine
Binde (raivia) ums Haupt geschlungen wird, steht in gleichem Zu-
sammenhang bei Aristides im Epitaphios (or. 32, 34 = vol. 11 225, 22
Keil), möglicherweise nach einem pindarischen Threnos (Gerda).
B. Begegnung mit den Seligen, besonders mit Musaeus.
666—78. Periodisierung: 666—68 leTpdKOüXov ; 669 — 71 TpkiuXov
mit je zwei K6)a)iaTa; 672 |uovökuü\ov; 673 — 75 TpiKouXov; 675 — 76
biKiüXov, das zweite mit zwei KÖ|Li|LiaTa; 677 — 78 öikujXov, das erste
mit zwei K6|Li|LiaTa. — Die in ihrer natürlichen Einfachheit anmutige
Szene ist von Dante öfters nachgebildet worden (Purg. III 73. VII 37 ff.
XI 37 ff.). — Die Sibylle fragt die Seligen, vor allen den Musaeus 'sagt
uns, wo Anchises hier wohnt'. Dieselbe Situation ist bei Aristophanes,
Frösche 431 f., wo Dionysos auf den ihm von Herakles gegebenen Rat
(161 ff.) die Seligen fragt: 'könnt ihr uns sagen, wo Pluton hier wohnt?'
Also gehört das Motiv einer älteren KaiaßacTic an, wahrscheinlich der
des Herakles (s. oben S. 5, 2). Entlehnung des Motivs seitens Vergils
folgt auch daraus, daß es von der sonst festgehaltenen Vorstellung
abweicht, nach der die Sibylle alles weiß und nicht Zu fragen braucht.
Entlehnt ist auch der hier unmotivierte Zug 678 f., daß Aeneas und
der Sibylle das Elysium {campt nitentes, vergl. 640 im Gegensatz zu
887), das sie doch soeben durchschritten und besichtigt haben, nun
noch einmal von oben gezeigt wird. Typisch und motiviert ist das
Zeigen und Schauen aus der Höhe dagegen in den Apokalypsen: vergl.
Plat. Rep. X615D 616B, Tim. 41 E; Cicero somn. Scip. 11, Plutarch
de sera n. v. 563 ff.; apoc. Job. 21, 10, die Petrusapokalypse v. 4 ff., die
Apokalypse der bia9r|KTi ''Aßpad^ 1. c. (Einleitung S. 9) p. 87 f. Ebenso
noch in mittelalterlichen Apokalypsen: Visio Fursei 1. c. (ibid.) p. 83,
Visio Wettini l. c. (ibid.) p. 322, Visio Tundali 1. c. (ibid.) p. 52.
667 f. Musaeus überragt alle mit seinen Schultern: Übertragung
aus r 226 f., wo es von Aias gesagt wird (Conington). Besser als hier
auf Musaeus wird es H 721 auf Aeneas, VII 784 auf Turnus, VHI 162
auf Anchises übertragen. Da die letzte Stelle ennianisches Kolorit hat,
kann Ennius mit der Übertragung des plastischen homerischen Bildes
vorausgegangen sein. — medium nam: über die Inversion der Partikel
s. Anhang IHB 3. — 670 illiits ergo. Ergo präpositional nur hier bei
Vergil; Lucrez hat es einige Male, aber gleichfalls nur am Versschluß:
also war es auch für ihn schon ungewöhnlich. Cicero kopiert damit die
alte Gesetzessprache, Livius behält es öfters aus der Sprache seiner
Vorgänger bei (Nonius 107 führt es aus Sisenna an). Nach Vergil
und Livius ist es verschollen (vergl. auch Wölfflin, Arch. f. Lex. I 1884,
175). — 672 paucis, obwohl die Antwort länger als die Frage ist; es
294 KOMMENTAR
ist nur mehr formelhaft (wohl ennianisch), vergl. H. Peter zu Ovid f.
I 148. — lieros wird von Vergil oft als bequemes, den Vers schließendes
Wort gebraucht (so oben 169. 192. 451), nach dem Charakter einzelner
Stellen sicher aus Ennius. — 674 prata \ recentia rms: über den
trochaeischen Einschnitt s. z. 130. — 675 si fert ita corde volunfas ^^
Lucrez IIT 46 si fert ita forte voluntas (Germanus); da Ennius corde elf-
mal hat, bewahrt Vergil vielleicht das gemeinsame Prototyp. Auch 677
ante tuUt gressum klingt altertümlich: es stammt aus der Sphäre der
militärischen Ausdrücke, über die s. z. 634. — 678 desuper (avuJÖev)
für de supcro (vergl. Lachmann z. Lucrez VI 511) ist zuerst (deim
Lucilius 411 Baehr. ist eine Fälschung) bei Caesar b. G. I 52, 5 über-
liefert (in allen Hss.), Vergil hat es oft: vergl. Leo, Arch. f. Lex. X
1898, 437. Seiner Bildung wegen wird es vom schol. Dan. zu aen.
I 165 notiert. — dehinc summa cacumina Unquont. Dehinc hier und an
drei anderen Stellen der alten Praxis gemäß einsilbig, öfters zweisilbig.
summa cacumina an gleicher Versstelle Lucr. VI 464. Unquont Aeneas
und die Sibylle: daß Musaeus sich von ihnen trennt, wird als neben-
sächlich nicht erwähnt (Conington): s. über diese Praxis o. S. 145.
VI. Lethehain 679—887.
A. Wiedersehen mit Anchises 679 — 702, B. Lehre von der Seelen-
wanderung 703 — 51. C. Die große Rede des Anchises 752 — 887.
A. Wiedersehen mit Anchises 679 — 702. 1) Anchises' Be-
schäftigung 679 — 86 (679 — 83 zwei Perioden: öikujXov mit zwei bez.
vier KÖmuaxa; 684 — 86 xpiKuuXov, das dritte mit zwei KÖ)d)daTa), 2) Dia-
log mit Aeneas 687—98 (vier Perioden: 687 — 89 TpkujXov; 690—91
TpiKUjXov; 692 — 94 öikujXov, das erste mit zwei KÖ)U)LiaTa; 695 — 98
zwei xpiKUjXa), 3) Eindruck auf Aeneas 699 — 702 (zwei Perioden: 699
biKuuXov; 700 — 702 xpiKUjXov, die KÜiJXa mit den Versen zusammen-
fallend, das zweite und dritte mit je zwei KÖ|U)LiaTa).
Diese Szene soll zu den folgenden, das Buch abschließenden und
krönenden Teilen hinüberführen, und ist diesem Zweck entsprechend im
Gegensatz zu der Begegnungsszene des Odysseus mit seiner Mutter
(X 152 — 224) nur kurz. Dagegen tritt das rührende Element dadurch
erheblich stärker als in dem homerischen Original hervor, daß Vergil
mit jener Szene der Nekyia die Stimmung von u) 345 ff. (Odysseus und
Laertes) verbunden hat. Die Erfindung, daß Anchises gerade damit be-
schäftigt ist, die Seelen der Helden zu mustern, die er dem eben jetzt
erwarteten Sohne zeigen will (679ff. 683. 690f. 716f.), ist gut wie
die analoge o. S. 176 erwähnte (vergl. forte 682 mit forte 186, interea
703 mit mterea 212): durch sie verknüpft V. geschickt ein durch Homer
überliefertes Motiv (Begegnungsszene) mit einem dem Homer fremden
(Heldenschau). Aber eine völlige Verschmelzung ist ihm hier so wenig
wie dort gelungen: wie dort 212 ff. etwas mit anderen Worten wieder-
holt ist, was schon 1 7 7 f. dagewesen war, so wird hier 703 — 5 von
dem Aufenthaltsort der Seelen gesprochen, als ob er nicht bereits 679 f.
erwähnt wäre (vergl. 679 penitus convalle <^ 703 valle reducta, 680 in-
clusas ^ 704 seclusum). Auch verliert durch die Mitteilung des Dichters
VERS 672—686. 295
von der Palingenesie dieser Seelen 680 f. die spätere darauf bezügliche
Frage des Aeneas 710 — 12 mit der Antwort des Anchises 713 — 15 fiir
den Leser an Bedeutung. Auch hier kommt also der epische Stil (Er-
zählung des Dichters selbst) mit dem Versuch einer Dramatisierung der
Handlung (Dialog der Personen des Dichters) in Konflikt: s. darüber
z. 295 ff.
679 pater Anchises. Diese Vergil geläufige Hinzufügimg von pater
zu Personennamen (Aeneas selbst, Anchises, Acestes u. s. w.) ist Homer
in dieser Art fremd. Daß dies echt römische, patriarchalische Element
aus Ennius stammt, leuchtet ohne weiteres ein: vergl. ann. 55 pater
Tibermus, 121 Quirinus pater. Daher steht V 358 risit pater optumus
(Aeneas) olli in ennianischer Umgebung (s. z. 316 ff.) und V 521 pater
(Acestes) mit ennianischer Lizenz (s. Anhang X). Horaz sagt s. I 10, 27
mit parodischem Pathos patrisque Laüni: Latinus war eine berühmte
ennianische Person. — 680 ff. Das 6)lioiÖ7TTU)TOV inclusas animas (s.
Anhang IV), verstärkt durch den Versschluß superumque ad lumen ituras
(s. z. 638 ff.), soll das besondere Moment anzeigen, das nun in die Hand-
lung eintritt (superum lumen aus Ennius a. 106). Auch in den drei
folgenden Versen sind die Tonmittel des Gleichklangs am Wortanfang und
-ende kunstreich verwendet. Besonders charakteristisch ist die Allitera-
tionsform in 683 fataque fortunasque virum moresque manusque, wodurch
zwei Paare von Begriffen, die an den Anfang und Schluß des Verses
gestellt und in der Mitte durch einen beiden gemeinsamen Begriff ge-
trennt sind, durch Gleichklang gebunden werden: so in diesem Buch
nur hier und ähnlich in den ennianisch gefärbten 15. 857. Das ist die
im alten Latein und in der germanischen Langzeile beliebteste Form
(vergl. K. Bartsch, Der Saturnier und die altdeutsche Langzeüe, Leipzig
1867, 28ff.). Wahrscheinlich ist denn auch die Phraseologie dieses Verses
stark durch Ennius beeinflußt: mit fata alliteriert er a. 19 (wie mit
fortuna Naevius II 1 Vahl.), mit manu 558, fortunasque hat er an gleicher
Versstelle 528, über virum und -que -que s. z. 336. — lustrare und recen-
sere, weil hier wie 756 ff. das Bild vom Census vorschwebt, durch das
auch numerus veranlaßt ist. — 684 f. isque uhi tendentem adversum per
gramina vidit \ Aenean, alacris palmas utrasque tetendit. Hier ist frei-
lich die gegenseitige Sehnsucht von Vater und Sohn durch Wiederholung
von iendere hübsch zum Ausdruck gebracht, aber das Motiv, daß Anchises
die Arme nach dem Sohn ausstreckt, paßt wenig zu 697 ff., wo Anchises
sich vielmehr der Umarmung entzieht. Vermutlich ist also die Phrase
palmas utrasque tetendit einem älteren Dichter entlehnt und floskelhaft
verwendet. — Isque am Versanfang Ennius a. 143. 371. — alacris als
masc. notiert Servius hier und z. V 380; dagegen hat Vergil in späten
Büchern die gebräuchlichere Form alacer (X 729. XII 337). — Über die
Wortstellung vidit — tetendit s. Anhang III A2. — 686 effusae genis la-
crimae. Nach VH 779 litore effundere XII 276 fulva effundit harena
380. 532 effudit solo deuten einige (vergl. H. Kern, Progr. Schweinfurt
1881, 19) 'Trauen flössen reichlich auf die Wangen' (ebenso, aber genis
als * finalen Dativ' fassend, Schäfler 1. c. [z. 281] 54). Daß jedoch schon
Servius richtig verstand 'aus den Augen' (genau 'Augenhöhlen'), eine
in der Poesie seit Ennius geläufige Bedeutung (z. B. Ovid m. XIH 562
296 KOMMENTAR
expeUitque genis oculos), beweist sowohl der Pai-allelismus des Ausdrucks
mit vox excidit ore (s. z. 302. 353. 420 und Anhang II 3) als auch die
genaue Parallele in der consol. ad Liviam 116 effusae ('sc. lacrimae) gra-
vidis uberihusque genis, was 225 durch uheribus oculis variiert wird.
Die Phrase vox excidit ore ist, wie die von Forbiger aus Cicero pr.
Süll. 72 de dorn. 104 angeführten Stellen zeigen, gewöhnlich wie unser
'das Wort fiel ihm aus dem Mund', in die Poesie eingeführt wohl von
Ennius, der verbale Verbindungen mit ore liebte (s. Anhang I 3). Sie
ist hier schön verwendet: lang hat er ihn erwartet (687), und da bricht
er in die Worte aus „so bist du endlich da!"
68 7 ff. Die Spondeen 687 venisti tandem sowie das den 4. und
halben 5. Fuß füllende exspectata (s. z. 330. 617) geben dem Anfang der
Rede großes Ethos (vergl. Servius: 'venisti tandem' Jioc ad adfectum
pertinet desiderantis) ^ das Vergil durch dies malerische Mittel in ir 23
fjXeec TriXeiLiaxe f^uKepöv cpdoc hineinträgt (s. o. zu 652). Wie berühmt
die Worte waren, zeigt ihre Parodie bei Apuleius m. VIII 26. Auch im
weiteren findet der Dichter — in der von Pathos überwucherten latei-
nischen Poesie eine Seltenheit — die Worte für das natürliche Gefühl:
so steht die Anrede nate grade an den beiden Stellen, wo die Eede
besonders innig ist, 689. 93. Daher verdient die Episode das Lob,
das ihr nach Ausweis der Kommentare des Servius und Donatus im Alter-
tum gespendet wurde. Wie in der menschlich schönen Erkennungsszene
der sophokleischen Elektra (l220ff.) die Schwester beseligt ist, den Bru-
der sehen, hören und umarmen zu dürfen, so hier Anchises bei dem
Wiedersehen mit dem Sohn (688 f.), nxir daß er weiß, daß er auf die
Umarmung verzichten muß, während der Sohn auch diese ersehnt (6 9 7 ff.).
— Trotz ihrer Kürze ist die Rede des Anchises sehr sorgfältig disponiert:
1) du bist da (687—89 drei Glieder), 2) du wurdest erwartet (690—91
drei Glieder), 3) wie habe ich mich um dich gesorgt (692 — 94 drei
Glieder). Auch die Antwort des Aeneas ist dreiteilig: l) ich folgte
deinem Befehle (695—96), 2) die Flotte liegt vor Anker (697), 3) laß
dich umarmen (697 — 98). Zu dem zweiten Teil dieser Antwort (697
stant sale TyrrJieno classes) bemerkt Servius: adfcctionis est fdii etiam
ea indicare de quibus non interrogatur, besser Donatus: Aeneas begegne
mit diesen Worten der Sorge des Anchises wegen der zu Wasser be-
standenen Gefahren (6 9 2 f. quanta per aequora vectum accipio). Letzteres
ist allerdings die Meinung des Dichters gewesen, aber das Befremdliche,
das in den Worten zunächst doch liegt und das Z;r|TTi|Lia hervorrief, er-
klärt sich aus einer künstlichen homerischen )Hi)LiTicriC : Laertes fragt
Odysseus uü 299 ttoO be vrjOc effiriKe 6or|, worauf Odysseus erwidert 308
VTiOc be jLioi r\b' ecririKev err' otYpoO vöcTcpi ttöXtioc. Statt sich also
Frage und Antwort in dieser Weise genau entsprechen zu lassen, legt
Vergil dem Anchises statt der Frage nur den Ausdruck der Besorgnis
in den Mund, die Aeneas kurz und bündig als unbegründet zurückweist.
Der kunstvollen Disposition entsprechen die Kunstmittel im einzelnen:
Alliterationen z.B. 687 f. venisti — vicit, tandem tua, parenti — pietas
6 88 f. tueri — tua 695 f. tua tristis — t ender e 697 stant sale — da —
dextram (Schema aabb) 700 conatus — coUa — circum 702 ventis vo-
lucri — simillima somno (Schema aabb), Anaphern: 692 f. quas — quan-
VERS 687—702. 297
ta — quantis 695 tua — tua 697 f. da — da 700 f. ter — ter, und zum
Abschluß der Szene eine kunstvolle Parisosis: 702 par levihus ventis r^
simülima völucri somno.
687 exspedata parenti mit Bezug auf V 731 ff., vergl. Kroll 1. c.
(z. llOff.) 156f. — 689 audire et reddere voces = I 409, vergl. Catull
64, 166 nee missas audire queunt nee reddere voces (Gerda). Am Vers-
schluß reddere voces auch Lucr. IV 575 und Varro Atac. fr. 12 Baehr.:
also aus dem alten Epos. — 690 duceham — rebar ' rechnete aus und be-
fand richtig', rebar, schon von Cic. de or. III 153 als tot bezeichnet,
wird ennianisch sein; vielleicht gilt das von der ganzen Phrase reharque
futurum, da Vergil ungern Formen des Verbum substant. an den Schluß
des Verses stellt, vergl. o. z. 394 und Anhang HI B2.
692 f. quas ego te terras et quanta per aequora vectum \ acciplo,
quantis iactatum nate periclis. Der Gedanke erinnert auffällig an die
Worte, mit denen in Pacuvius' Teurer jemand (die Mutter?) den zurück-
gekehrten Teucer zu begrüßen scheint: quam te post multis tueor tem-
pestatibus (319 R). Da diese Tragödie sehr berühmt war (Cic. de or.
II 193. III 217), wird sie Vergil (wie Horaz od. I 7) gelesen und, wie
oben 500 f. den Alexander des Ennius, für ein Motiv des Dialogs ver-
wertet haben. Das wird bestätigt durch I 87 insequitur clamorque virum
stridorqtie rudentum, eine Nachahmung des von Servius (und Caelius bei
Cic. ep. fam. VIII 2) angeführten Verses derselben Tragödie. (336) stre-
pitus fremitus clamoi- ionitruum et rudentum sibüus, sowie durch IX 667,
wo flictus von Servius mit einem Zitat derselben Tragödie (335 flictus
navium) belegt wird. — Über die Technik des Versschlusses quanta \
per aequora vectum s. z. 335. — 696 haec limina tendere adegit: neu so-
wohl der Accusativ der Richtung bei einem Appellativum (s. z. 542. 638)
als die Konstruktion von adigere mit dem Infinitiv wie VII 113 (vergl.
Thesaur. 1. 1. s. v. p. 678). — 697 stant sale TyrrJieno classes: sah ä\c
von Ennius (a. 378) eingeführt; classes = naves wie 11 30, dpxaiujc
(s. z. 334). — lungere dextram = I 408, vergl. VIII 164 dextrae con-
iungere dextram, wo der Vers ennianisch compellare virum (vergl. ann.
45. 256) beginnt; VIII 467 lungere dextras in ennianischer Umgebung. —
700 — 2 ter conatus ibi collo dare bracchia circum, \ ter frustra coniprensa
manus effuglt Imago, \ par levlbus ventis volucrique slmlllima somno =
II 792 — 94. In P ist 702 ausgefallen und wird daher von Ribbeck für
interpoliert gehalten. Aber er stand schon in dem von Lactantius (div.
inst. VII 20, 11) benutzten Exemplar imd gibt der trikolischen Periode erst
die rechte Abrundung, wie das Ohr lehi't. Richtig schon Jul. Scaliger
poet. 1. V c. III (p. 511 der Ausg. von 1607): 'conclusit rotundius (sc.
Homero), tribus enim versibus comprehendit commodissimis'. Charakte-
ristisch für den nachahmenden Dichter ist, daß bei ihm das Motiv an
beiden Stellen nur mehr ornamental wirkt, da Aeneas nicht, wie Odysseus
(\ 206 ff.), sein Erstaunen und Bedauern über das Vergebliche seines
Versuchs, das Schattenbild des Vaters zu umarmen, ausdrückt. Dagegen
hat Dante Purg. II 76 ff., wo er unsere Verse genau nachbildet, intuitiv
richtig die Homerstelle, die er sicher nicht kannte, reproduziert.
B. Lehre von der Seelenwanderung 703 — 51 in drei Ab-
schnitten. 1) Das Lokal 703 — 9 (703—5 biKiuXov, das erste mit zwei
298 KOMMENTAR
KÖ|U|LiaTa; 706 — 9 xpiKUjXov, das dritte mit zwei KÖ|U)iaTa), 2) Dialog
zwischen Aeneas und Anctises 710 — 23 (710 — 12 biKuuXov mit je zwei
KÖ)U)LiaTa; 714 — 16 xpiKuuXov; 716 — 18 biKUuXov, das erste mit zwei
KÖjUjuaTa; 719 — 21 biKuuXov, das erste mit zwei KÖ|Li|uaTa; 722-^23
biKiuXov mit je zwei KÖmuaxa), 3) Eede des Anchises 724 — 51 (724 — 27
rpiKUjXov, das erste mit vier KÖ)Li|LiaTa; 728 — 29 ipiKUuXov; 730 — 32
biKuuXov, das zweite mit drei KÖ|U)aaTa; 733 — 34 TerpdKUjXov; 735 — 38
xpiKiuXov, das zweite und dritte mit je zwei KÖ|U)LiaTa; 739 — 43 ipi-
KUuXov, das erste mit zwei, das zweite mit drei KÖ|U|uaTa; 743 — 47 bi-
KUüXov mit zwei bez. vier KÖ|Li)LiaTa; 748 — 51 xpiKUuXov, das dritte mit
zwei KÖ)Li|uaTa).
703 ff. "GKqppaCTic töttou in gewählter Sprache und mit einem
Gleichnis {similitudo sumitur ornandi causa: auct. ad Her. IV 59). Fast
alle Substantive haben (wie oben bei der Beschreibung des Elysiums
638 ff.) ihre Attribute, ein Zeichen zierlicher Diktion (s. Anhang III A 3) :
valle rcduda, seclusum nemus, virgulta sonantia, Lethaeum amnem, domos
placidas, innumerae gentes, aestate serena, fJoribus variis, Candida lilia.
Kunstvolle Parisosis floribus insidunt variis -^ Candida circumfunduntur
lilia <^ strepit omnis murmure campus. Alliterationen 704 seclusum —
sonantia silvae 5 placidas — praenatat 8 Candida circum. Malerei zur
Versinnbildlichung des Summens der Bienen mit s und u 707 ff.: pratis
apes aestate serena floribus insidunt variis . . ., strepit omnis murmure
campus: nach Dionys. Hai. de comp. verb. 14 beleidigt die Häufung des
a das Ohr, GripiuObouc y^P Kai dXÖTOu juaXXov r| XoTiKrjc ecpanTeffGai
boKei qpuuvfic 6 (TupiYMÖc: hier soll eben dieser (JupiTjUÖc, Stridor gemalt
werden.
703 in valle reducta == VIII 609, technischer Ausdruck wie bei
Hör. epod. 2, 11. od. I 17, 17. — 704 virgulta \ sonantia silvae: über
die trochaeische Caesur s. z. 130. — 705 Lethaeum amnem, wie 714
Lethaei fluminis, könnte heißen 'der Fluß Ar|6aToc' (über dessen Iden-
tität mit dem Arjöric üboup vergl. Bergk, Kl. Schriften II 716). Aber
Vergil braucht das Wort rein adjektivisch, wie zuerst hellenistische
Dichter und nach ihnen Catull 65, 5. Dadurch umgeht er die griechische
Form des Genitivs auf -es (Lethes), den er — im Gegensatz zu Catull,
Properz und Ovid — so wenig braucht wie Horaz und Tibull. Be-
merkenswert ist die starke Betonung der Verborgenheit des Lethehains
(in valla reducta, seclusum nemus, 679 penitus convalle virenti, 711 flu-
mina porro): das entspricht der ältesten Vorstellung, wonach dieser
Unterweltstrom der 'verborgene', nicht der 'vergessenmachende' (oblivia
715) war: vergl. v. Wilamowitz zu Eurip. Her. 11^ 96, 1. — praenatat
vom Fluß: die Metapher belegt Servius mit Ennius a. 584 fluctusque
natantes, vergl. Trpo(Tvr|xeiv vom Meere Ps. Theokrit 21, 18. Das Kom-
positum praenatare ist vor Vergil nicht nachweisbar (Ladewig 5). —
706 gentes populique: iQvea )Liupia veKpu)V X 632. Dem umfassenderen
Begriff wird der spezielle koordiniert statt subordiniert, vergl. X 202
gens Uli (Mantuae) triplex, populi sub gente guaterni (Heyne); umgekehrt
Lucr. V 1222 populi genfesque. Da die genaue Bestimmung weder an
vorliegender Stelle noch bei Lucrez motiviert ist, so wird die Verbindung
gemeinsames älteres (ennianisches) Gut sein.
VERS 703 ff. 299
706 ff. werden die Seelen, die zur Wiederkehr ans Licht bestimmt
sind und sich nun am Lethestrom auf ihre Wanderung vorbereiten, mit
Bienen verglichen, die an einem schönen Sommertage bunte Wiesenblumen
umschwärmen; das Tertium des Vergleichs ist neben der Masse (706 innu-
merae gentes populique) das Summen (709 strepit omnis murmure campus).
Als Vorlage für das farbenreiche Bild zitieren die Erklärer B 8 7 ff., wo
das Gleichnis vom Bienenschwarm nur die große Menschenmasse als
solche betrifft, was dann ApoUonios Eh. I 879 ff. mit stärkerer Speziali-
sierung auf das summende Stimmengeräusch einer großen Menschenmasse
übertrug. Aber keine dieser Stellen war Vergüs unmittelbare Vorlage.
Er gebraucht das Gleichnis, um das ipiJleiV der Seelen zu versinnbild-
lichen, und eben hiervon hat es auch Sophokles fr. 794 N. ßofißei be
veKpuJv (S\xf\v oc. Aber auch dieses fast nur mehr als Metapher er-
scheinende Gleichnis des Sophokles kann nicht die Vorlage des aus-
geführten vergilischen Vergleichs gewesen sein. Vielmehr liegt es nahe
zu vermuten, daß der homerische Vergleich in einer schon dem Sopho-
kles bekannten KaraßacTic auf die Seelen der Toten übertragen war und
daß eben diese Kaidßaaic die von Vergil hier benutzte Quelle war.
Diese Vermutung hat an folgenden zwei Tatsachen gewichtige Stützen,
l) Unser Buch hat uns bereits einen ganz analogen Fall in Vers 31 Off.
geboten. Dort wurden die Seelen der Toten, die sich an den Acheron
drängen, mit Wandei-vögeln verglichen. Wie daselbst gezeigt worden
ist, kennt Sophokles auch diesen Vergleich, wieder bloß andeutend in
abgekürzter Form, und dort ließ sich die Vermutung, daß dieser Ver-
gleich in einer alten Kaidßadic ausgeführt war, zu großer Wahrschein-
lichkeit erheben. 2) Das Sophoklesfragment wird von Porphyrios de
antr. nymph. 18f. (p. 69 N.) in folgendem Zusammenhang überliefert:
Sophokles sage das treffend, denn es hätten oi TraXaioi TCtc v^/uxctc eic
Teve(yiv ioucrac als laeXiffcrac bezeichnet. Also nicht bloß von
dBn Seelen im allgemeinen fand Vergil das Gleichnis überliefert, sondern
grade von denjenigen Seelen, von denen er es hier gebraucht, den zur
TraXifY^vedia bestimmten. Prophyrios hat in der Eschatologie dieser
Schrift aus erlesensten Quellen (wie Herakleides Pontikos, vergl. Diels,
ßh. Mus. XXXIV 1879, 489) alte theologische (orphisch-pytha-
goreische) Vorstellungen überliefert (d. h. in der Weise seiner Sekte
mit neuplatonischen verquickt). Eine Vorlage aus jener Sphäre müssen
wir also notwendig auch für Vergil annehmen (Karaßadic 'Opqpeujc?).
Jene TraXaioi haben auch hier, wie so oft, eine volkstümliche Vorstellung
für ihr System verwertet. Honig ist eine der typischen Grabesspenden
(z. B. Eurip. Iph. T. 165 f. Hou9äv TTÖvriiua |aeXi(Taäv, a veKpoTc öcXk-
Tripia Keixai); MeXiTUubric und MeXivbia sind euphemistische Namen der
Persephone (Rohde, Psyche I^ 206, 2); die symbolische Verwertung des
Wortes \xi\\(5(5a. als Priesterin der Persephone oder Demeter (vergl. be-
sonders die Sage im schol. Dan. zu aen. I 430) ist alt (Lobeck, Agl. 817,
Bergk, Kl. Sehr. 674ff., W. Eobert-Tomow, De apium mellisque significa-
tione symbolica et m}i;hologica, BerHn 1893, 92. 141); eine )ieXiTOÖTTa
wird dem Toten mitgegeben; Honig war ein Mittel zum Konservieren
der Leichname; noch in später Zeit finden sich Bienenhäuser mit Grab-
denkmälern verbunden (carm. ep. 468. 1262. 1552A 86 ff. Bücheier);
300 KOMMENTAR
aucli die eigentümliche Legende von der Entstehung eines Bienenschwarmes
im Schädel eines Toten (Herodot V 114) gehört in diesen Zusammen-
hang. So ist es denn begreiflich genug, daß die Biene, deren erstaun-
licher Intellekt die Allbeseeltheit des Weltganzen so sichtbar zu beweisen
schien, von den alten Theologen und nach deren Vorbild von den späten
Piatonikern als ein wichtiges cru)LißoXov in der Lehre von der Seelen-
wanderung verwertet worden ist (vergl. darüber auch Einleitung S. 16 f.,
besonders S. 17, l). — Als Vorstehendes geschrieben war, erschien Üseners
Abhandlung Rh. Mus. LVII (1902) 177 ff., wo die Vorstellung von Milch
und Honig als Seelenspeise in einen weltgeschichtlichen Zusammenhang
eingereiht worden ist. Was jene alten Theologen des VI. Jh. v. Chr.
von Honig als Speise der zur leiblichen TraXiYTtveCTia bestimmten
Seelen, die sie 'Bienen' nannten, zu berichten wußten, das hat die
christliche Theologie auf die geistige Wiedergeburt in der Taufe über-
tragen: ein neuer Beleg für jenes iLieTaxapdxTeiv TÖ vö|Liiö"|Lia, das das
Christentum, wie in der Einleitung S. 6 f. 2 5 ff. an einigen Beispielen ge-
zeigt worden ist, grade auch auf diesem Gebiet mit einem oft bis in
die Gegenwart fortwirkenden Erfolge geübt hat.
707 ff. ac velut (so PR; ac veluti FGM, aber Wagner wies zu
IV 402 nach, daß Vergil vor Vokalen nur velut gebraucht) 'grade so
wie', oft bei Vergil, z. B. II 626. IV 402. Es stammt aus der älteren
Sprache, da Plautus öfters so atque ut hat, z. B. Cas. 860f. nee falla-
ciam astutiorem ullus fedt poeta, atque ut haec est fahre facta ah nohis.
Die Verbindung ist durch einen Ausgleich zweier Vorstellungsreihen zu
erklären: animae strepunt atque apes -}- animae strepunt velut apes =
animae strepunt ac velut apes. Sie ist (wie die analoge, bloß umgekehrte
Verbindung uJCTie) ein deutlicher Beweis für die bekannte Tatsache, daß
jeder Vergleich ursprünglich nichts als reine Parataxe ist; sehr deutlich
z. B. Plaut. Bacch. 549 quem esse amicum ratus sum atque ipsus sum
milii, Terenz Andr. 841 tihi sum ohlitus liodie, ac volui, dicere. Etwas
anders beurteilt Haupt, op. I 110 diese Partikelverbindung. — Der Haupt-
gedanke, der das sog. tertium comparationis enthält (strepit omnis mur-
mure campus), wird, der homerischen Praxis entsprechend, aus der Kon-
struktion herausgenommen und asyndetisch angefügt, was wirksamer ist
als die logisch genaue Hypotaxe 'wobei das ganze Feld summt'; analoge
Beispiele (I 498 ff. IV 143 ff. u. a.) richtig beurteilt von E. Weißenborn,
Progr. Mühlhausen 1879, 14f. — Über die Synaloephe uhi apes s. An-
hang XI 1.
710 horrescit visu subito causasque requirit. Horresdt = VII 526
ennianischer Versanfang (a. 385); visu suhito an gleicher Versstelle
VIII 109 in feierlicher, wahrscheinlich ennianischer Umgebung; requirit
am Versschluß vergl. Enn. a. 192 omnes arma requirunt (dies wörtlich
von Vergil zitiert VII 625). Über die Wortstellung horrescit — requirit
s. Anhang III A 2. — 711 quae sint ea flumina porro. Servius: longe
remota, et est graecum adverhium. Vielmehr gehört es der alten Sprache
an: Plautus rud. 1034 uhi tu hie hahitas? Porro illic longe (Forbiger).
Vergil, der es so nur hier braucht, wird es also aus Ennius haben
(s. Anhang II). — 714 Lethaei ad: über die Synaloephe s. Anhang
XI2B3. — 715 securus latex wie 'A|ne\iic iTOTajLiöc Plat, Rep. X 621 A
VERS 707—718. 301
vom Lethefluß (Conington; vergl. W. Schulze, Quaest. epicae 442, 6),
TtauaiTTOVOV Adöac 7TÖ)Lia epigr. 244, 10 Kaibel. Es wird durch das
parataktisch mit et angefügte longa öblivia erklärt (s. z. 24 f.). — öblivia,
für uns zuerst bei Lucr. VI 1213 (an gleicher Versstelle) nachweisbar,
ist von diesem (oder einem früheren Daktyliker) für das metrisch un-
brauchbare obliviö verwendet, das mit Kürzung des o zuerst Lucan
X 403 (obliviö mentis) hat. So sagen contagia statt des korrekteren con-
tagiö (Paulus F. 59 contagionem esse dicendum, non cantagium) seit Lucrez
alle bis auf Juvenal (2, 78 contagia labern). Den Singular oblivium
hat erst Tacitus (h. IV 9) aus öblivia zurückgebildet. Vergl. Marius
Victorinus GLKVI25,10 ^eonta^io' apud omnes fere veter es scriptores
est nominativo casu, ut . . . '^ obliviö'; sed poetarum licentia primo fedt
'contagia' et 'öblivia', postea diel coepit et 'oblivium' et . . . ' contagiu/m' .
Die horazischen obliviones IV 9, 34 sind nichts anderes als eine Analogie-
bildung des Lyrikers nach den öblivia der Daktyliker.
7 16 f. has (sc. animas) equidem memorare tibi atque ästender e c&ram \
iampridem hanc prolem cupio enumerare meorum. Die Worte has me-
morare atque ostendere werden durch hanc prolem meorum enumerare
spezialisiert, wie oben 680 f. inclusas animas lustrabat durch orrmemque
suorum recensebat numerum und wie unten 722 — 51 zunächst die Schick-
sale aller Seelen, dann von 756 an speziell die der trojanisch- römischen
behandelt werden (vergl. Henry 1. c. 381 und H. Plüß, Vergil und die
epische Kunst, Leipz. 1884, 171, l). Iampridem cupio ist diTÖ koivoO
zum zweiten, das erste spezialisierenden Gliede gestellt (Ladewig). Ein
Grund zu Änderungen (ac für hanc Heyne und Nettleship, iampridem
cupio ac Novak) oder gar zu der Annahme, daß 716 eine von Vergil
selbst herrührende Dittographie sei (Ribbeck), liegt also nicht vor; doch
ist mir wahrscheinlich, daß die etwas gewundene Art des Ausdrucks,
wie nicht selten bei Vergil, durch Benutzung von Floskeln aus älterer
Poesie bedingt worden ist. — Erwägenswert ist die Vermutung Deutickes,
daß 716 — 18 von Vergil nur vorläufig hierher gestellt seien, weil der
Zusammenhang von 715 (Anchises: 'die zur Wanderung bestimmten
Seelen tiiuken das Wasser der Lethe') mit 719 (Aeneas: 'wandern die
Seelen denn wirklich und warum?') durch 716 — 18 (Anchises: 'diese
Seelen wollte ich dir längst zeigen') unterbrochen und weil ferner der
Gedanke von 716 — 18 in 756 — 59 ziemlich genau wiederholt werde.
Doch scheint mir auch hier vielmehr eine kleine, in der Kompositionsart
des Dichters begründete Ungeschicklichkeit vorzuliegen, deren Spuren zu
beseitigen kaum in seinem Plan lag, wenn er sie überhaupt als solche
empfand. Er läßt nämlich den Anchises gewissermaßen die propositio
der zwei folgenden Abschnitte machen: l) Seelenwanderung 713 — 15,
2) Heldenschau 716 — 18. Das erste Thema wird (nach einer den ersten
Teil der propositio genau formulierenden Frage des Aeneas 719 — 21)
722 — 51 erledigt; dann aber wird die dialogische Komposition durch
ein paar Verse unterbrochen, welche die Handlimg weiterführen: 752 — 55
(Besteigung eines Hügels). Die Folge dieser Unterbrechung ist, daß der
Dichter nun den Anchises die von ihm bereits gegebene propositio des
zweiten Themas wiederholen lassen muß (756 — 59). Also dürfte auch
hier wie öfters (s. S. 176. 295) der kleine Fehler der Komposition aus
302 KOMMENTAR
einer Kreuzung des dialogischen (dramatischen) und erzählenden (epischen)
Elements zu erklären sein. — Über die Synaloephe tibi atque s. An-
hang XI 1.
719 anne . . . putandumst. In der direkten einfachen Frage steht
anne bei Vergil nur hier, und zwar in einer Bedeutung („aber ist's denn
zu glauben?"), die der von Skutsch, Jahrb. f. Phil. Suppl'. XXVII (1900)
105 ff. erwiesenen Ableitung aus ^atne entspricht. In der direkten doppelten
Frage steht es unten 864 und g. II 159, in der indirekten g. I 32, an
den zwei Stellen der Aeneis, dem alten Gebrauch gemäß, vor Vokalen,
an denen der Georgica vor Konsonanten. — TlOf, ire . . . sublimis
dueiapCTiac). Die nach Vergils Praxis bei den Adjektiven auf -is einzig
mögliche Form des acc. plur. auf -Is ist nur in FP^ erhalten (s. z. 92).
— Der prädikative Gebrauch von sublimis ist bei Vergil sehr beliebt,
und zwar nach ennianischem Muster: denn daß die Phrase V 255 suhli-
mem rapuit aus Ennius stammt, hat R. Ehwald, Progr. Gotha 1892, 12
aus Livius II 16, 2 erwiesen (vergl. auch Stacey 1. c. [z. 99] 43). —
721 quae lucis miscris (sc. animis) tarn dira cupido? Schon diese
Formulierung des Themas ist (wie seine ganze nachherige Ausführung)
durch Lucrez III 7 30 ff. beeinflußt: at neque cur faciant ipsae (nämlich
die Seelen das Eingehen in Körper) quareve laborcnt \ dicere suppeditat,
denn die Seelen hätten es außerhalb des Körpers viel besser: also ist
niiseris proleptisch = 'ut miscrae fianf, 'zu ihrem Unglück'. Auch der
Versschluß dira cupido erinnert an Lucr. IV 1046 dira lubido, wie der
Vers 722, mit dem der lehrhafte Ton einsetzt, dicam equidem nee te
suspensum nate tenebo an den schon von Germanus zitierten Vers des
Lucrez VI 245 expediam neque te in promissis plura morabor.
723 ff. Es folgt der töttoc irepl Tra^iYT^vecTiac, dessen Kom-
position und Quelle in der Einleitung S. 16 ff. ausführlich behandelt ist,
so daß es hier nur weniger sprachlicher Bemerkungen bedarf. Die Be-
handlung ist lehrhaft in der Form einer theoretischen 6e(Tic, wie ja
überhaupt arrOKaXuipic und bibaxil in einander überzugehen pflegen (be-
sonders deutlich im Pastor des Hermas). Die TTpöGecTic hat Aeneas
durch seine Frage 719 ff. gegeben, ihre Ausführung erfolgt durch Anchises
nach einem wohlgegliederten 'ordo' (xdSiC, vergl. Lucr. V 518): 724 priM-
cipio 28 inde 33 hinc 39 ergo (wie Lucr. V 5 10 ff. principio — inde — hinc),
daher 723 ordine singula pandit. Begreiflicherweise stellt sich mit der
naturphilosophischen Betrachtung sofort lucrezianisches Kolorit ein (ebenso
b. 6, 31 ff.), obwohl die Lehre sachlich in schärfstem Gegensatz zu Lucrez
steht: es ist genau dasselbe Verhältnis wie in den sachlich von der Stoa,
formell von Lucrez abhängigen naturphilosophischen Partieen des Verf.
des 'Aetna' sowie des sog. Manilius. Gleich der erste Vers principio
caelum ac terras camposque liquentis ist nach dem Muster von Lucr.
V 92 principio maria ac terras caelumque tuere, wie Lucrez ja überhaupt
das lehrhafte principio liebt (Haupt bei Beiger 160 f.). Mit camposque
liquentis wird Lucr. VI 1142 campique natantes verglichen, was Vergil
g. III 198 wörtlich herübernimmt. Die Metapher kann, da Cicero Arat.
129 Neptunia prata und Vergil selbst VIII 695 arva ISeptunia hat, auf
Ennius zurückgehen, der sie aus der griechischen Tragödie (z. B. Aesch.
Suppl. 836 K dXippuTOV clXffoc, Pers. 102 ttövtiov aX(Joc) in seine Be-
VERS 719—724. 303
arbeitungen dieser herübergenommen haben wird (danach Plantus Trin.
834 TrapaTpafUJÖuJv: caeruleos campos). Hat Ennius doch auch aequor
(vergl. Eurip. Phoen. 816 irebiov von der Meeresfläche) eingeführt, was
seitdem poetisches Gemeingut wurde. Weiter stammen aus Lucrez fol-
gende Floskeln. 725 glohum lunae = L. V 69 lunaique glöbum. —
26 per artus = L. 11 949. 964. — 28 volantum für avium = L. VI 833
wohl nach Ennius, vergl. a. 84 genus aUivolantum. Diese Vermutung
J. Tolkiehns, Wochenschr. f. kl. Phil. 1901, 343 wird empfohlen durch die
Alliteration vitaeque volantum: denn mit vita wie mit volare alliteriert
Ennius oft, mit beiden zusammen epigr. 4 volito vivus. — 28f. <~ L. 11
1080ff. — 30f. ~ L. II 991 f. — In 32 stammt die Unterscheidung von
artus und mernbra aus L. (vergl. Heinze zu Lucr. HI 151) und nwri-
hundos — artus hat L. 111129. — 26 alere 31 semina und 36 fimditus
sind Lieblingsworte des L., letzteres grade in der Verbindung mit omnis
(I 956 u. ö.). — 35 vita reliquit = L. V 63. — 37 necesse est beliebte
Klausel des L. — 38 modis miris = L. I 124. — 46 labern =
L. n 1145; concretam = L. V 468; purumque relinquit = L. III 40. —
50 f. scilicet sehr beliebter Versanfang des L. — revisant — rursus —
reverti: solche pleonastischen Verbindungen von rursus sind bei L. (wie
überhaupt in der archaischen Sprache) häufig.
Das Ethos dieser feierlichen Partie wird gehoben durch Archaismen:
730 Ollis 47 aurai, vergl. 738. 48. Ferner durch alliteriereade Ver-
bindungen: z. B. 725 lucentem — lunae (nach der den Alten bekannten
Etymologie: Varro 1. 1. V 68); 27 mens — molem — magno — miscet in
dieser Stärke bei Vergil selten, bei Lucrez oft; 34 clausae — carcere
caeco; 42 infectum eluitur — exuritur igni (Schema abba). Dazu isoko-
lischer Satzbau mit gelegentlichem Homoioteleuton: 724 cadum ac ter-
ram «^ camposque liqu£ntis, 25 lucentemque glohum lunae <^ Titaniaque
astTtty 30 igneus vigor ^-^ caelestis origo, 31 f. noxia corpora tardant r^
terreni artus hehetant 33 metuunt cupiuntque f^ dolent gaudentque 46 f. con-
cretam exemit läbem r^ purum relinquit sensum. Endlich Anaphern: 736
omne — omnes, 40 f. aliae — aUae.
723 susdpit — pandit: über die Wortstellung s. Anhang inA2. —
pandere 'offenbaren': s. z. 267. — 724 principio caelum ac terras cam-
posque liquentis. Terram PR, terras GM, terram F. Auch die indirekte
Überlieferimg schwankt; zu den Zitaten bei Ribbeck kommen noch der
zu 105 angeführte Cento saec. IV v. 56 und ein wohl nicht viel jüngerer
ed. Schenkl 1. c. pag. 693 v. 92: beide haben terras). Schwankungen im
Numerus sind in unserer Überlieferung äußerst häufig (Wagner, quaest.
Virg. IX), und zwar grade in ähnlichen Verbindungen wie hier: so
IV 269 caelum et terras M, cadum ac terram P. Aber der Plural ist
einstimmig überliefert I 58 maria ac terras caelumque profundum VII 571
terras caelumque und wird empfohlen durch Lucr. V 92. VI 612 maria
ac terras, Cicero fr. 3, 3 Baehr. (FPR p. 299) caelum terrasque, Vergil
b. 6, 32 terrarumque . . . marisque, Horaz od. I 12, 15 mare et terras.
Gegen terras sind die aiY|uaTa terras camposque liquentis keine Instanz,
da Vergil XII 708 sogar ingentis, genitos diversis partibus orbis hat: so
stark allerdings nur in diesem spätesten Buch. — 725 Titaniaque astra
von Helios ist theologischer Poesie angemessen (vergl. Diels in der Pestschp.
304 KOMMENTAR
f. Gomperz, Wien 1902, 8, 1), und wegen der besonderen Synaloephe (s.
Anhang XI 1 ) wohl einem älteren Dichter entlehnt. Der Plural wird
rein metrisch zu erklären sein (s. Anhang V), kaum nach Class. review
V (1891) 186 TOt Ttepi töv fjXiov (Sonne und Sterne). — 726 alere
vom stoischen Feuer (spiritus = TTveOiaa) auch Cic. de deor. nat. II 41:
es ist auHriTiKÖv im Gegensatz zum gewöhnlichen, welches jueTaßdXXei
eic eauTÖ ifiv rpoqpriv (Arius Did. 467, 5 Diels). — 729 Weil es be-
sonders wunderbar ist, daß der Feuergeist Ktti eic TCt ßevBri öuetai
(pythagoreisch-stoische Lehre nach Alexander Polyh. bei Diog. L. VIII 28),
wird dies in einem eignen, sorgfältig ausgearbeiteten Vers (et quae mar-
moreo fert monstra sub aequore pontus) besonders betont, aequor mar-
moreum aXc )Liap)aapeTi (Heyne), seit Ennius a. 377 geläufig. — monstra:
dafür V 822 cete. Diese griechische Bezeichnung der heluac marinae hat
Vergil bei seinem sonstigen Purismus sicher nicht auf eigne Gefahr, sondern
nach einem älteren Vorbild gewagt: vergl. Varro sat. 406 Andromeda
proposita ceto (die 'Andromeda' war von Ennius und Accius übersetzt).
Beides, monstra wie cete, ist Ersatzmittel für das im Plural nicht zu
brauchende beluae, wie konstant ferae für hestiae. — 730 igneus vigor
TTup evepTTlTiKÖv; auch Cic. 1. c. II 42 und Varro sat. 268 brauchen vigor
vom stoischen Welt-Ziujov. — 731 seminibus^ weil das Hervorgehen der
Einzeldinge aus dem das All durchdringenden Feuer eine Zeugung ist
(z. B. Poseidonios aus Zenon bei Sext. Emp. IX lOOfF.). — 732 Jiebetare
vor Vergil nicht belegt (Ladewig 4); es wird also von ihm, um den griechi-
schen Terminus (d7Ta|ußX0veiv oder djuaupoOv) wiederzugeben, aus dem
Adjektiv weitergebildet sein wie g. IV 295 fecundare. — 734 carcere
caeco mit malerischen harten Lauten: s. Anhang VII A. — 735 supremo . .
lumine vita reliquit kunstvolle Variation der alten, bei Naevius, Ennius
und Lucrez nachweisbaren Verbindung lumina Unquere oder reimquere. —
738 multa diu concreta modis inolescere miris. Inolescere ist, wie seine
Umgebung miris modis, ein altertümliches Wort. Es hielt sich auf dem
Lande, wo es die vox propria für das Einwachsen des Pfropfreises in
den Stamm war (g. II 77 u. ö.); auf den menschlichen Charakter wird
es übertragen ganz wie i/ndoles, das in alter Sprache vom vegetativen
Leben gebraucht wurde. Es bleibt also im Bilde des concrescere.
Zu)Li9UT0v (TrpocTTreqpuKÖc) kokov ist seit Piaton Rep. X 609 AB Tim.
42 AC Phaed. 81 C grade in diesem Zusammenhang typisch. — 740f. pandi
ad ventos dvaTreTdvvuffGai Ttpöc dveiuouc. — 742 scelus eluitur Über-
setzung des für den Ka6ap|nöc üblichen Ausdrucks TÖ jiiaaiiia (oder
luvjffoc) ^KviiTTecrGai. infectum scelus = scelus quo infecfi sunt mit
kühner Erweiterung der bekannten Verschiebung des Objektsbegriffs (Bei-
spiele bei W. Kloucek in den Symbola Pragensia, 1893, 75). — 743 quis-
que suos im Versanfang = Accius ann. fr. 3,5 Baehr. (FPR p. 267),
also, wie aus Übereinstimmungen zwischen Vergil und den Annalen-
fragmenten des Accius geschlossen werden darf (vergl. Anhang X Anm.),
möglicherweise ennianisch. — 744 mittimur — tenemus: über die Wort-
stellung s. Anhang III A 2. — 745 longa dies. Über feminines dies zur
Bequemlichkeit des Verses s. Köne 8 5 f. — 746 reli/nquit FM, reliquit
PR, auch die Hss. des Servius (zu 340) variieren wie die beiden zu
105 zitierten alten Centonen. Das Präsens ist markanter, das Präteri-
VERS 725— 762 ff. 305
tum an das vorhergehende exemit angeglichen, s. o. z. 193. — 748 mille
rotam volvere per annos. Dies der einzige Fall, wo Vergil ein nicht-
flektiertes Attribut (müle) von seinem Substantiv trennt (Boltenstern,
Progr. Dramburg 1880, 10); die Ausnahme ist hervorgerufen durch die
nach Servius aus Ennius entlehnte Floskel rotam volvere per annos. —
749 deus evocat agmine magno. Servius: non dicit quis . . ., sed alii
Mercurium volu/nt propter hoc (IV 242 f.) 'hac (sc. virga) animas ille evocat
Orco pallentes, alias sub Tartara tristia mittit, dat somnos adimitque et
lumina morte resignat'. Die Beziehung auf Hermes kann richtig sein;
mit der Parallelstelle des IV. Buchs vergleicht Heyne Aesch. Pers. 626 ff.
(K.) dXXd xöövioi bai)Liovec dfvoi Tri t€ xai 'Epinf] ßamXeO t' evepujv
7Te)LiipaT' evepGev vp^xriv ec cpujc. Auch der 57. orphische Hymnus auf
Hermes Chthonios, wahrscheinlich Vergils unmittelbare Vorlage für die
Stelle des IV. Buchs, hat diese Vorstellung (vergl. v. 6 ff. aivojLiöpoic
vpuxaTc TTOjinTÖc Kaici yöi«v uTrdpxwv, | Sc KaxdYeic, ottöt' av inoipric
Xpövoc eicfaqpiKriTai, [ euiepuj pdßbtu GeXTWv uTrvobuuTibi TidvTa, | Kai
TrdXiv uTTVuuovTac i'^eipexc). Wie realistisch man sich Hermes bei diesem
Geschäft dachte, zeigt die von J. Harrison (Jovim. of hell. stud. XX 1900,
lOl) besprochene Darstellung einer attischen Grablekythos , sowie die
von Furtwängler, Gemmen IH 255 f. gedeuteten römischen, durch pytha-
goreische Lehre beeinflußten Gemmenbilder des DI. bis 11. Jh. v. Chr.
— evocare ist das typische Wort für das Zitieren der Manen (schon
u) 1 'Gpfific be vpuxdc KuXXr|Vioc eHeKaXeiro) ; Vergil hat es nur hier
und in der zitierten Stelle des IV. Buchs. Da es auch t. t. vom Auf-
bieten der Soldaten ist, so ist dadurch die Wahl des Wortes agmen be-
dingt (vergl. die militärischen Metaphern 424. 634f.). Daß die Seelen
in großer Zahl einherziehen, ist ein überlieferter Zug: Lukian de luctu 7
CTreibdv (TuvaXiaGÜJdi iroXXoi, Trejunoudiv ec xö 'HXucriov irebiov
(vergl. 743 f. per amplum \ mittimur Elysmm)\ auch Piaton Rep. 614E
spricht von einer iravriYupic der Seelen. — 7 50 f. super ut convexa
revisa/nt \ rursus et incipiant in corpora velle reverti mit öcrtepov irpö-
xepov der Begriffe (s. Anhang II 2). — incipiant velle (reverti). Diese
auch der täglichen Sprache geläufige Verbindung bezeichnet „den Anfang
vom Anfang" (Bücheier zu Seneca apoc. 14).
C. Die große Rede des Anchises 752 — 886 (munere). Eine
kurze, die Handlung weiterführende Einleitimg (752 — 55 ein xexpd-
KU)Xov, das letzte kujXov mit zwei KÖ)U|aaxa) und ein die Handlung be-
endender Schlußsatz (886 — 87) rahmen die Rede ein. Diese selbst
beginnt mit der propositio (756 — 59), die, wie oft (vergl. Seyffert,
Scholae lat. I* 43 ff.), mit nimc age (in Prosa stets age nunc) eingeleitet
wird. Die propositio enthält zugleich die partitio: es soU gesprochen
werden l) von dem Ruhm des trojanischen Geschlechts, 2) von den
itaKschen Nachkommen, 3) von den Schicksalen des Aeneas. Die beiden
ersten Punkte werden nicht gesondert behandelt, sondern absichtlich ver-
mischt (s. u.), der dritte nur kurz imd anhangsweise (888 — 92).
Wir pflegen diesen berühmtesten Abschnitt unseres Buchs, einen der
berühmtesten des ganzen Gedichts, „Heldenschau" zu nennen, und
möglicherweise schwebte dem Dichter für die Situation wirklich die
Teichoskopie der Ilias vor (vergl. 7 54 f. mit T 154; 863 ff. mit T 166 ff.
Vebgiij Buch vi, voa Norden. 20
306 KOMMENTAR
192 ff. 226 f. und Eurip. Phoen. 145 ff.). Wenn wir aber von der bloß
skizzierten Situation abseben und Form und Inbalt ins Auge fassen, so
müssen wir diese moderne Bezeichnung durcb eine antike ersetzen: wir
haben es mit einem XÖYOC TrapaiveiiKÖc (irpOTpeTTTiKÖc, (JujußouXeu-
TiKÖc) zu tun. Nach dem in der Einleitung S. 4 7 f. Gesagten ist diese
Form der Einkleidung für Vergil vermutlich gegeben gewesen durch
den paränetischen Charakter der posidonischen Apokalyptik, den wir
noch deutlich in Ciceros Nachbildung im somnium Scipionis erkennen.
Die rhetorische Analyse des Donatus trifft hier, wie oft, das Richtige.
Aeneas, der Repräsentant des römischen Volks, soll zu großen Taten
angefeuert werden: quae postquam Änddses natum per singula duxit \
incenditque animum famae venientis amore, so referiert der Dichter
selbst 888 f. den Inhalt der Rede. Demgemäß ist diese durch drei
Trapaivecreic gegliedert: 806 f. et dubitamus adhuc virtutem extendere
factis ; aut metus Äusonia prohibet consistere terra irpoTpoTTr) Trpoc dv-
bpeiav (genus hortamenti Donatus^, 832 — 35 ne pueri ne tarda animis
adsuescite bella e. q. s. dTTOTpOTrf) dirö (TtdcTeujc ^juqpuXiou (consiliiim
dat ostendens quid prohibiti ab adibus inimicis facere debuissent Donatus^,
851 — 53 tu regere imperio populos Romane memento e. q. s. TTpoTpoirfi
Trpöc ßiov irpaKTiKÖv. Vom rhetorisch-technischen Standpunkt aus sind
also die einzelnen Helden 7Tapa6eiY|iiaTa, die nach einem seit Aristo-
teles (Rhet. III 17. 1418 a 1) nachweisbaren Brauch grade für das yevoc
(TuiLtßouXeuTiKÖv konstant waren, vergl. Quintilian III 8, 66 usum exem-
plorum nulli materiae magis convenire fere omnes consentiunt, cum ple-
rumque videantur respondere futura praeteritis; daher sagt Donatus wieder
ganz richtig (z. 841 ff.): omnes isti diversis artibus meritisque et virtute
floruerunt, quos VergiUus ex persona ÄncMsae dicit . . . propter exempla
optima tradendos memoriae posterorum. Die Auswahl und Ausführung der
irapabeitjuaTa ist panegyrisch, so daß vom Ganzen dasselbe gilt, was
ein Rhetor vom 'Philippos' des Isokrates sagt: ^v (Txr|)iiaTi toO eyKiJü-
|aid(Tai Trapaivei (argum. or. 5 = vol. I ^ p. LV BL). Überhaupt berühren
sich ja die beiden fivr\ sehr nahe, wie Isokrates umgekehrt im panegy-
rischen Y€VOC das paränetische (protreptische) Element verwendet (paneg.
188. Euag. 76 ff.), eine Verbindung, die schon Pindar geläufig ist und
die daher auf die Anfänge der Rhetorik zurückgeht. Auch in der Aus-
wahl der Helden hat Vergil sich von einem rhetorischen Gesichtspunkt
leiten lassen, wie ein Vergleich der Theorie bei Quintilian IH 7 (de laude
et vituperatione), 18 mit Vergils Ausführung zeigt: Quint. adferunt lau-
dem liberi parentibus «^ vergl. Vergil 764ff., urbes conditoribus ^^ 773ff.,
leg es latoribus ^^ 810 f., artes inventoribus f^ 84 7 ff., nee non instituta
quoque auctoribus ut a Numa traditum deos colere ^^ 808 ff., a Poplicöla
fasces populo summittere (^ 818. Hieraus erklärt es sich auch, daß die
Helden Vergils die typischen der Rhetorenschule sind, vergl. Cicero de
off. I 61 in laudibus, quae magno animo fortiter excellenterque gesta
suMt . . . rhetoru/m campus . . . Codes, Decii (824), Cn. et F. Scipiones
(843), M. Marcellus (855), i/nnumerabiles alii. So gestaltet sich das
Ganze zu einem, von einer Paränese durchzogenen Panegyrikus auf die
Hauptträger der römischen Geschichte, deren glänzende Ereignisse am
Leser apokalyptisch vorüberziehen.
VERS 752 ff. 307
Aber auch die Kehrseite des eYKUi|LiiOV, der x\i6fOC, fehlt nicht
ganz: offen 826ff., versteckt 817. 822f. Das entspricht nicht bloß der
rhetorischen Theorie (vergl. auch Servius zu g. 11 461 ut etiam in laude
fecit Italiae, non solum vitam laudat rusticam, sed etiam contrariam . .
vituperat), sondern auch dem antiken Schicklichkeitsgefiihl. Pindar hält
mit verstecktem oder offenem Tadel nicht einmal in Enkomien auf seine
königlichen Gönner immer zurück, und auch wo er die Großtaten eines
ganzen Geschlechts preist, deutet er gelegentlich an, daß Fehler, Ver-
gehungen und Mißerfolge vorgekommen seien. Diese ernste Art hat auf
Horaz gewirkt, wenn er sich in dem pindarischen Liede I 12 nicht bloß
die Glanzpunkte der römischen Geschichte aussuchte. Denn wie das
Leben des einzelnen und das von Geschlechtern, so führt auch die Ge-
schichte der Völker auf keiner graden Linie vorwärts: daß Rom trotz
allem selbstverschuldeten Unglück zu solcher Höhe emporgestiegen war,
das war das Wunderbare: 'merses, profu/ndo pulchrior evenit\ Die großen
Dichter und Geschichtsschi'eiber der augusteischen Zeit empfanden noch
zu, historisch, um im Stil späterer Panegyriker das Schwarze weiß zu
malen, und zu religiös, um nicht grade darin das gnädige Walten des
Fatum zu erkennen, daß es den Staat durch Nacht zum Licht geführt
hatte (eine schöne Ausführung dieses Gedankens bei Ps. Manilius IV 23 ff.).
Wir werden also schon aus diesem allgemeinen Grunde die Ansicht ein-
zelner Kritiker nicht teilen, die die Erwähnung des Bürgerkriegs 826 ff.
nicht passend finden, und dem Dichter unsere Anerkennung zollen, daß er
von König Ancus lieber eine entlegene, diesem abgünstige Legende benuzt
(8 15 f.), statt sich mit einem wohlfeilen Lob zu begnügen, und daß er die
Tat des Brutus (822 f.) nicht im Fanfarenstil der Rhetorik gepriesen hat.
Für die Komposition im einzelnen sah sich Vergil wieder (vergl.
o. S. 205) vor die Aufgabe gestellt, die Eintönigkeit einer bloßen Auf-
zählung zu vermeiden. Das erreicht er erstens durch zahlreiche, das
Ethos und Pathos steigernde (Jxrmaxa bmvoiac (die in dieser Häufung
modernem Empfinden nicht entsprechen), besonders das epu)TTi|Lia 817 f.
41 ff., in der Figur der ccTTopia 808 f., verbunden mit uTTOTUTTUJaic 779 f.
(letztere ohne Fragefigur auch 809); ferner die eK(piJUVTi(Tic 771. 822.
87 2 ff., speziell als axe^XiacyiLiöc 806. 28 ff. 32 f. 7 8 f.; sowie die citto-
(yTp09r| 841 ff. 45 f. 70 f. 73. 82. Zweitens wahrt er sich durch die
Fiktion, daß die Heldenseelen in zufälliger Gruppierung an den Be-
trachtern vorüberwallen (7 54 f.), die Freiheit, einzelne aus der Masse
herauszugreifen. So erklärt es sich, daß sogar Typen wie Regulus und
Marius fehlen: letzteren sowie die von Vergil übergangenen illustres
feminae fügt Silius in seiner Nachbildung (XIH 806 ff.) hinzu, die so
recht deutlich die dem Epigonen unerreichbare Vorzüglichkeit der ver-
gilischen Komposition zeigt. Vor allem gewinnt Vergil durch diese
Fiktion die Möglichkeit einer freien Behandlung der ^chronologischen
Reihenfolge. Nur die großen Gruppen folgen sich chronologisch: alba-
nische Könige (760 — 76), römische Könige (777—87), Helden der
Republik (818 — 46). Innerhalb dieser Gruppen sind chronologisch ge-
ordnet nvir die römischen Könige; nach Romulus (777 — 87) ist Augustus
(788 — 807) als alter Bomulus eingeschaltet (Gerda: 'excellenti iudicio
post Romulum infert Augustum quasi alterum conditorem urbis'). Im
20*
308 KOMMENTAR
übrigen emanzipiert er sich von der Chronologie, wie in verwandten
Aufzählungen Horaz I 12, 37ff. und Properz III 3, 7ff. 5, 25ff. 12, 25ff.
(Gerda: 'ordinem voluit abrumpere et poetice confundere, ut qui non
historicum sed poetam ageret', Sainte-Beuve, Etüde sur Virgile, Paris
1857, 88: 'Anchise, par un naturel et heureux desordre, s'ecarte ainsi,
a tout moment, de la suite chronologique'). Schwieriger als dies negative
Moment ist das positive Anordnungsprinzip der republikanischen Helden
(8 17 ff.) zu bestimmen, falls es ein solches wirklich gab. Von den
vielen Vermutungen sei die von H. Plüß, Jahrb. f. Phil. 1871, 396 ff. und
A. Cima, Analecta lat., Mailand 1901, 5ff. mitgeteilt, ohne daß ich für
ihre Richtigkeit bürgen möchte. An der Spitze der republikanischen
Helden werden, an Brutus anschließend, genannt die Decier, Druser, Tor-
quatus und Camillus (817 — 25). Es sind Männer, die ihr eignes Wohl
und Wollen dem des Vaterlandes hintangesetzt haben; mit Brutus hat
Torquatus die größte Gemeinschaft, die auch äußerlich angezeigt ist
durch saevasque secwres 819 und saevomque securi 824; die Decier
opferten sich, Camillus bezwang seinen Groll wegen der Verbannung
und rettete die Stadt, Livius Drusus versöhnte sich auf Befehl des Senats
trotz persönlicher Feindschaft mit Claudius Nero (Livius XXVII 35) und
wurde ebenfalls zum Retter der Stadt. Im Gegensatz (autem 826) zu
diesen folgen 826 — 35 Caesar und Pompeius, die ihre Kräfte gegen
das Vaterland kehrten ("833 neu patriae validas in viscera vertue vires).
Endlich drittens solche, die sich im weitesten Sinn um das Vaterland
verdient machten (836 — 46), ohne daß bei dieser Gruppe ein besonderes
Einteilungsprinzip erkennbar wäre. Meist sind die Helden paarweis ge-
ordnet (gelegentlich mit Alliteration): Decii Drusi, Torquatus Camillus,
Caesar l?ompeius, Mummius Paulus, Cato Cossus, Gracchi Scipiones,
Fabricius Serranus.
Nimmt man zu der Großzügigkeit der Gesamtkomposition hinzu,
daß die Sprache bei allem Pathos edel ist und stellenweise, vom
Gedanken getragen, zu vornehmer Höhe emporsteigt (vergl. 781 ff. 91 ff.
819ff. 47 ff. 68ff.), so begreift man den gewaltigen Eindruck, den diese
Partie, wie die Nachahmungen späterer Dichter (seit Ps. Manilius I 758 ff.)
bis auf Dante (Inf. IV 115 ff". Purg. VII 88 ff.) zeigen, auf die Leser ge-
macht hat. Es war in der Form einer in die Urzeit verlegten Prophetie
eine Huldigung für die Vergangenheit, deren Größe Augustus zu regene-
rieren eben damals bemüht war, eine Mahnung für die Gegenwart und
ein Vermächtnis an die Zukunft, sich solcher Ahnen würdig zu zeigen;
alles ist durchweht von dem Geist der großen Zeit, die auch den Livius
inspiriert hat. Denn an das livianische Werk, sowie besonders an die
seit der caesarischen Zeit blühende Schriftstellerei de viris illustribus
(vergl. 758 imlustris animas) wird sich jeder Leser dieser Partie sofort
erinnern. Die in dieser Gattung von Schriften vorkommenden Abschnitte de
regibus, de imperatoribus, de artificibus, de oratoribus, de mathematicis, de
poetis werden auch von Vergil teils ausführlich behandelt, teils in einer
in jenen Schriften üblichen Parallelisierung mit den Griechen kurz gestreift
(847 ff.). Es wird daher wenigstens als eine Vermutung ausgesprochen
werden dürfen, daß das bei der Nennung einzelner viri clari stark her-
vortretende malerische Element (Silvius 760, andere Albanerkönige 772,
VERS 756—759. 309
Romulus 779f., Numa 808ff., auch Brutus 818f., Torquatus 824f., Ca-
millus 825) auf die für diese Art von Literatur grundlegenden varro-
nischen imagines zurückgehen kann. Jedenfalls ist es ein Trieb derselben
Wurzel, aus der dann später auch die Idee des Augustus erwuchs, auf
seinem Forum die Statuen der Erweiterer des Imperiums (vergl. 795
proferet imperium) aufzustellen. Von den bei Vergil genannten Helden
sind aus der Heldengalerie des Augustusforums für ims teils durch litera-
rische Überlieferung, teils durch die Elogien noch nachweisbar (vergl.
CILI^p. 188): Silvius Aeneas, Eomulus, Camillus, Fabius Maximus,
Aemilius Paullus, Sempronius Gracchus (der Vater der beiden Gracchen),
Scipio Aemilianus.
Daß dieser Abschnitt, der einen Überblick über die großenteils von
Ennius behandelten Epochen der römischen Geschichte gibt, sprachlich
aufs Stärkste von diesem beeinflußt ist — die eigentliche 'Heldenschau'
schließt 846 mit einem fast wörtlich wiederholten Enniusvers — , ist
für den Kenner vergilischer Art selbstverständlich: es ist genau so wie
mit den Episoden des VIII. Buchs von Cacus und Mettus Fufetius, wo
wir die ennianische Nachahmung aus Livius noch sicher beweisen können
(s. Stacey 1. c. [zu 99] 39 f.). Die allgemeinen Ausführungen des An-
hangs I gelten also in ganz besonders potenziertem Maß von diesem Ab-
schnitt: das was wir direkt oder durch indirekte Schlüsse als ennianische
Floskeln nachweisen können, steht in gar keinem Verhältnisse zu dem,
was sich unserer Kenntnis entzieht. Für die zeitgenössischen Leser wird
es ein besonderer Reiz gewesen sein, den Wein, den der alte, noch
immer hochverehrte Dichter den vergangenen Generationen kredenzt hatte,
ndt so vollendeter Kunst in neue Schläuche gefüllt zu sehen.
Auf die ästhetische Analyse dieses Abschnitts von H. Plüß 1. c.
156 — 256 sei zur Ergänzung des nachfolgenden Kommentars verwiesen.
Über die eigentümlichen in dieser Partie niedergelegten eschato-
logischen Vorstellungen ist in der Einleitung S. 46 f. gehandelt worden.
1) Propositio 766 — 59 (Donatus: proposuit quae sit dicturus) in
einem TexpdKUjXov, das letzte kuiXov mit zwei Y.ö\X]xaTa. Durch die
genaue partitio 756 f. zwischen der Dardania pröles, die an Julus, und
der Itala gens, die an Silvius anknüpft, sucht Vergil sowohl dem grie-
chischen, von dem julischen Geschlecht rezipierten als auch dem natio-
nalen Element der Legende gerecht zu werden. Näheres über dieses
Kompromiß in den Neuen Jahrb. f. d. klass. Altertum (1901) 276 ff. —
Für adjektivisches Italus (über die Prosodie s. z. 61) scheint der älteste
Beleg Horaz s. I 7, 32 zu sein; in frühaugusteischer Zeit hat es außer
Vergil und Horaz auch Krinagoras A. P. VH 741 (aixMilTTlc 'ItoXoc).
Substantivisches Italus zuerst je eimnal Catull (1, 5) und Cicero (har.
resp. 19), dann oft Vergil (so oben 92): vergl. K. Sittl, Arch. f. Lex.
XI (1900) 124. — 759 expediam didis et te tua fata docebo. Die zwei
ersten Worte von einer Prophezeiung auch HI 376 in einer Partie, die
von ennianischen Floskeln voll ist {expediam auch VII 40); fata docebo
(Anchises spricht) vergl. Ennius 18 f. doctusque Änchisa, Venus quem
pulcherrima dium \ fata docet fari. — Über die Wortstellung expe-
diam— doceho s. Anhang HI A2.
2) Albanerkönige 760—76 (Periodisierung: 760 — 63 Teipd-
310 KOMMENTAR
KOuXov, das vierte mit drei KÖ|U)naTa; 764 — 66 biKUüXov, das erste mit
zwei KÖjLijLiaTa; 767 — 70 bkujXov mit vier bezw. drei KÖ|UiuaTa; 771 — 76
TpiKUüXov mit drei -f drei + zwei K6|Li|LiaTa). Es werden einige wenige
herausgegriffen, darunter nur der erste (Silvius) an dem durcli die Legende
bestimmten Platz, die übrigen ohne Eücksicht auf die Reihenfolge in
der Legende (1 Procas 2 Capys 3 Numitor 4 Silvius Aeneas statt 4, 2, 1, 3)
Ob die Auswahl grade dieser durch die 773 — 75 genannten albanischen
Kolonieen bedingt ist, wissen wir nicht (s. z. 7 73 ff.), wie wir überhaupt
den Gewährsmann, dem Vergil für die damals noch sehr schwankende
imd überhaupt nie ganz fixierte armselige Legende gefolgt ist, nicht
kennen: die nur bei Vergil erwähnten Singularitäten sind zahlreicher als
die anderweitig überlieferten Züge (vergl. auch Fr. Cauer, Die römische
Aeneassage von Naevius bis Vergil, Jahrb. f. Phil. Suppl. XV 1887, 175).
— Dem Pathos entsprechen häufige Alliterationen, z. B. 761 proxima —
lucis loca — primus (Schema abba), 64 f. longaevo serum Lavinia —
süvis (ab ab), 67 proximus — Procas — gloria gentis (aabb), 6 2 f. san-
guine surgit Silvius; TToXOTTTOUia: 765 regem rcgumque, 76 nomma —
nomine.
760 vides wie adspice 771 ohne Interpunktion: so im cod. M
(s. z. 858); ebenso opäc. — pura hasta. Servius: i. e. sine ferro, nam
hoc fuit praemium apud maiores eins qui tunc primum vicisset in proelio,
sicut ait Varro in libris de gente p. li. (vergl. Skutsch, Bezz. Beitr. XXI
1895, 87, 4). Die Verleihung des bekannten Ehrenzeichens für junge
Offiziere an Silvius möglicherweise nach bildlicher Darstellung (s. o.). —
nititur nämlich beim Gehen: XII 386 alternos longa nitentem euspide
gressus. — 761 proxima sorte tenet lucis loca. Die sors (von sero) be-
stimmt die Reihenfolge, daher proxima; die angebliche Reihenfolge beim
Wiedereintritt der Seelen in die Körper macht Lucrez III 776 ff. (nach
griech. Quellen s. Heinze z. d. St.) lächerlich. — lucis loca archaische
Paronomasie, vergl. Varro sat. 121. — 761 f. auras \ aetherias mit
Trennung durch Versschluß, weil letzteres betont ist (vergl. z. 780),
ebenso I 546 f. si vescitur aura | aetheria neque adhuc crudelibus occu-
hat umIris (s. Anhang III Bl); die Verbindung für uns zuerst bei
Lucr. III 405.
763 — 65 Silvius, Albanum nomen, tua postuma proles, \ quem tibi
longaevo serum Lavinia coniumx \ educet silvis regem regumque parentem,
eine im Altertum vielbehandelte Stelle (die Akten bei Gellius II 16).
Nach der Version Catos, die Servius berichtet (ähnlich Dionys. Hai. I 70),
war Silvius der nachgeborene Sohn des Aeneas, den Lavinia im Walde
gebar, wohin sie vor den Ränken des Ascanius (Julus) geflohen war.
Dieser Version vom 'nachgeborenen' Sohne schien nun auch Vergil ^u
folgen mit postuma proles, während andererseits im folgenden Vers un-
verkennbar der 'spätgeborene' Sohn gemeint war, der dem Vater noch
in seinen alten Tagen (longaevo) geboren wurde. Im Gegensatz zu der
absurden Xu(Tic, longaevus bezeichne den Aeneas als Gott, konstatierte
Caesellius Vindex in seinem commentarius lectionum antiquarum, daß
postumus hier nicht 'nachgeboren', sondern 'spätgeboren' ('letztgeboren')
heiße, eine Bedeutung, die für uns durch Plautus aul. 162 f. ausdrück-
lich bezeugt ist (ebenso wird im Deutschen 'nachgeboren' oft im Sinne
VERS 760—770. 311
von 'spätgeboren' gebraucht, z. B. von Goethe, Pandora 238). Daß
Gellius diese Interpretation abweist, weil die so sich ergebende Version
der Legende mit der vulgären in Widerspruch stehe, ist für die nivel-
lierende Art der antiken Exegese charakteristisch, aber bei einer Legende,
deren Schwankungen Livius I 3, 2 ausdrücklich hervorhebt, doppelt ver-
kehrt. Läßt sich doch sogar noch der Grund dieser abweichenden
Fassung vermuten. Die von Vergil befolgte Version kann, da sie den
Silvius noch zu des Vaters Lebzeiten geboren werden ließ, den Zwist
zwischen Lavinia und Ascanius (Julus) nicht gekannt haben, d. h. dies
war die im Sinne des julischen Hauses loyale Fassung, der auch Livius,
mit latenter Polemik gegen die vulgäre, sich anschließt, 1. c. 6: Silvius
casu quodam in silvis natus. — educere, das auch die Prosa im Sinn
von educare kennt (Cic. de or. U 124), bevorzugen die Daktyliker, da
educare in den meisten Formen für sie nicht zu brauchen war (vergl.
Köne 184f.), so unten 779 educet VII 763 eductum VIII 413 educere
natos; dagegen gebraucht Vergil in dem späten B. X 518 das Präsens
kühn: quattuor hie iuvenes, totidem quos educat Ufens, \ viventis rapit,
wie Ovid m. III 314 edticat neben occuluere. — Die Antithese des Ge-
dankens, die zwischen dem Aufwachsen in der Wildnis und der hohen
Bestimmung des künftigen Königs liegt, wird durch das ttoXOtttiütoV
regem regumque (parentem), das Ethos durch die wuchtigen Spondeen
gehoben wie 771 f. 774. — 766 longa Alba hier wie I 271 mit der
archaischen Wortfolge (vergl. bona dea, opima spolia, patria potestas,
Sacra via etc.) wie Cic. de rep. 11 4, Liv. 13,3, Ovid f. 11 499 (aus
Ennius: R. Ehwald, Progr. Gotha 1892, 12), Trogus-Justin XLIH 1, 13.
Auch Silvius Aeneas 769 bewahrt das Ursprüngliche. Wenn Livius ihn
1. c. 6 Aeneas Silvius, seinen Sohn Latinus Silvius nennt, so faßt er
Silvius unrichtig als Cognomen; vergl. ib. 7 mansit Silvius postea omnibus
cognomen: Cognomina auf -ius kamen damals auf. Dagegen weiß
Vergil, daß es ein nomen (praenomen) ist: 763 Silviis Albanum nomen.
— 767 Mit gloria gentis schließt auch Ovid m. XII 530 einen Vers.
Da er längst noch nicht so oft, wie spätere Dichter, vergilische Phrasen
übernimmt, so kann die alliterierende Verbindung älter (also ennianisch)
sein: so schließen Vergil II 74. HI 608 und Ovid m. XIH 31 Verse mit
sanguine cretus, was von Vergil nicht geprägt sein kann, da cretus für
ihn längst tot war (s. auch zu 810).
770 si umquam regnandam acceperit Albam. Servius: accepit autem
a tutore qui eius invasit imperium, quod ei vix anno quinquagesimo tertio
restituM. et rem plenam historiae per transitum tetigit. Singulare Version
nach unbekannter Quelle. — si umquam mit sehr seltner Synaloephe
von i -\- u, s. Anhang XI 2. — regnandam. In dieser Form hat das
Passivum wohl nur Vergil, und nur an dieser einen Stelle. Das, was
er unten 793 regnaia arva Saturno und m 14 terra . . regnata Lycurgo
hat, findet sich auch bei Horaz (od. 11 6, 11 regnata rura Phalanto
29, 27 regnata Bactra Cgro), wie kausatives triumphare, das zuerst
g. ni 33 und Hör. od. HI 3, 43 nachweisbar ist (auch unten 836). Es
sind Gräzismen nach ßaai\eue(J9ai, GpmjLißeuecrGai, denen Horaz später
(a. p. 56) invideor (qp6ovoö)iai) hinzufügte. Auf das part. perf. be-
schränken sich Vergils Nachahmer und erst Tacitus dehnt es auf andere
312 KOMMENTAR
Formen des Passivs aus. Auch der sog. dativus auctoris (regnata 8a-
turno, Lycurgo) ist eine Neuening nach griechischer Art, vergl. G. Land-
graf, Progr. München 1899, 11. — 772 civüi — quercu. Servius: 'civica'
debuit dicere, sed mutavit, ut econtra Horatius 'motum ex Metello consule
civicum^ pro 'civilem'. Für beide war das Metrum entscheidend. Die
Vermutung Gerdas, daß die Erwähnung dieser militärischen Auszeichnung
durch ihre bekannte Verleihung an Augustus i. J. 27 (Mommsen z. mon.
Anc. ^ 149 f.) beeinflußt sei, ist sehr ansprechend.
7 73 ff. Die 'Prisci Latini'. Der verblichene Glanz dieser Flecken
wurde, woran man sich bei der Lektüre dieser Stelle erinnern muß,
grade damals durch die augusteische Romantik wieder aufgefrischt, wie
Stein- und Münzaufschriften von Bovillae und Gabii beweisen (vergl.
Gardthausen, Aug. u. s. Zeit I 879). Für die Gegensätzlichkeit der Charak-
tere des Vergil und Horaz ist es sehr bezeichnend, daß jener von diesen
Urstätten lateinischer Geschichte in feierlichem Ton redet, während Horaz
sie — der Wirklichkeit entsprechend (Strabo V 230) — nur als Typen
verödeter Nester nennt (ep. I 11, 7 f.). — Von den 30 Kolonieen nennt
Vergil acht (gruppiert zu 2x4). Ob die Deduktion grade dieser
Kolonieen und grade durch diese Könige auf Grund einer bestimmten
Legendenversion von Vergil erwähnt ist, wissen wir nicht. Kastor-Diodor
(bei Euseb. vers. Armen, p. 287 Schöne) und Alexander Polyhistor-Livius
(l 3, 7) weichen ab. — Die sonst bloß Castrum genannte Kolonie wird
hier differenziert durch c. Inui, ihr hohes Alter durch den Namen
(Röscher, Ephialtes, Leipz. 1900, 5 9 f.) verbürgend, vergl. Hülsen bei
Pauly-Wissowa, R.-E. HI 1769. Pometii für Pometium (so Diodor-
Eusebios 1. c), wohl nur hier, jedenfalls gut und alt. Fidena für Fidenae
ist seltner und jedenfalls weniger alt, aber auch sonst belegt; Horaz
mißt genauer Fidenis (ep. 113,8), die Kürzung ist zu beurteilen wie
Lävini o. 84. Collatia war im Accusativ mißlich in den Vers zu bringen
(Ovid f. n 733 hat es im Nominativ an fünfter Versstelle) und wird
daher in einem eignen Vers hi CoUatinas imponent montibus arces um-
schrieben; monühus mit starker Übertreibung (vergl. Hülsen 1. c. IV 364),
die durch einen tottoc der Rhetorik hervorgerufen wurde: denn Horaz
zählt ep. H 1, 253 f. arces monühus impositae unter den konventionellen
Zügen eines Enkomions auf und verwendet es selbst in diesem Sinn
od. IV 14, 11 f. arces Älpibus impositas. Je weniger also von diesen
Nestern sonst zu sagen war, um so stärker ist die rhetorische aöHriCTic,
vergl. Serv. zu g. IV 1 rhetorice dicturus de minOribiis rebus magna pro-
mittit, ut levem materiam siiblevet: es ist bemerkenswert, daß die Prisci
Latini seit der augusteischen Zeit einen Gegenstand der Deklamationen
bildeten (vergl. C. Morawski in Diss. phil. acad. Cracoviensis XXXII 1901,
3 50 f.). Demgemäß schließt die Aufzählung mit einem rasum antitheton:
776 haec tum nomina erunt, nunc sunt sine nomme terrae; der Figur
zuliebe steht hier die singulare Synaloephe nomina erunt, s. Anhang XI 1.
3. Romulus, verknüpft mit einem eYKiJU)Liiov Tuu)Liric, 777—87
(Periodisierung: 777 — 80 TerpdKUjXov ; 781 — 87 TpkuuXov, das erste
mit zwei KÖja|LiaTa, -f biKUuXov, das zweite mit vier KÖ|a|LiaTa). Dem
Pathos entsprechen viele rhetorische Figuren: Alliterationen z. B. 780
suo superum — signat, Isokola und Parisa 782 Imperium terris <^ animos
VERS 772-782. 313
Olympo (je 6 Silben) 786 f. laeta deum partu -^ centum complexa nepotes
f^ onmis caelicolas ^^ omnis super alta tenentis: vier durcli Caesur und
Versschluß getrennte KÖ)Li|LiaTa, deren erstes und drittes je 6 und deren
zweites und viertes 8 bez. 9 Silben hat. Dazu die rhetorische Frage
779 f. und das Gleichnis 784 ff.
777 comitem sese addet vergl. Liv. I 56, 7 iis comes additus (archaische
Phrase?) — 778 Ässarad sanguinis mater Ilia lehnt die entgegen-
stehende Version, wonach sie der italischen Deszendenz der Silvier an-
gehörte und Silvia hieß, mit der zu 617 besprochenen Ostentation ab.
— 779 viden. Servius: posuit secutus Ennium. Die der Sprache des
Lebens angehörige (von Terenz im Gegensatz zu Plautus gemiedene,
aber von Horaz in den Sermonen nicht verschmähte) Foim gewann durch
die Neoteriker Bürgerrecht in der hohen Poesie (Catull 61, 77. 62, 8);
Vergil hat sie nur hier, und zwar viden ut der archaischen Praxis ent-
sprechend mit dem Indikativ, Tibull zweimal im II. Buch (1, 25. 2, 17)
mit dem Konjunktiv, dann Spätere (vergl. auch Leo, Seneca I 93). —
7 7 9 f. gemi/nae stant vertice cristae, \ et pater ipse sito superum iam signat
Jionore. Die letzten Worte werden verschieden erklärt. Pater superum
zu verbinden verbietet die Wortstellung und 777 Mavortius Eomulus:
also ist der pater Mars. Auch die Verbindung superum (gen.) honore
ist unmöglich, da ein Objekt verlangt wird. Also superum (acc.) signat.
Dieses accusativische superum erklärt Servius deum^ was z. B. Heyne
annimmt; aber es fehlen Belege für singularischen Gebrauch in diesem
Sinn. Also richtig u. a. Henry 412: durch superum wird der Gegensatz
zur Unterwelt bezeichnet (vergl. 750 super convexa, 790. 896 caelurrh):
'Mars selbst zeichnet den Romulus schon jetzt wie einen der Oberwelt
Angehörigen mit dem ihm dort zukommenden Ehrenschmuck aus', näm-
lich dem Helm mit Doppelbusch: übrigens einem insigne, das für uns
weder auf Münzen noch bei Schriftstellern für Romulus sonst nachweis-
bar ist. Die komplizierte Ausdrucksweise ist auch hier möglicherweise
wieder durch Herübemahme von Floskeln aus älterer Poesie bedingt
worden. — 781 ff. ein eYKU)|Uiov 'Pa))HTic. Donatus: omni genere laudata
est (Koma), positione loci, poteniia, virtute et felicitate söbölis suae. Da-
her kommen einzelne Motive auch im Enkomion des Aristides auf Rom
(or. 26) vor. Was Vergil nennt imperium terris aequare steht für den
griechischen Rhetor im Mittelpunkt und auch die dpexri rühmt er allent-
halben. Der Pointe 783 Septem u/na sibi muro drcumdabit arces ver-
wandt ist yfiv TO(Tr|vbe eic |iiiac TToXeiuc övojaa auvriYMevriv (§ 6). Die
^7riTT]beucreic, ein wichtiger tÖttoc des Städteenkomions, werden von
Vergil für den Schluß der ganzen Rede aufgespart (s. u. z. 847 ff.). —
781 Jiuius auspiciis . . . incluta Borna etc. nach Ennius a. 494 augusto
augurio postquam incluta condita Borna est (Ursinus). — 782 animos
aequäbit Olympo (sc. Boma). Servius: de hoc loco et Trogus et Pröbus
quaeru/nt. Trogus zitierte den Vers wahrscheinlich im 43. Buch, wo er
über Roms Anfänge handelte (v. Gutschmid, Jahrb. f. Phil. Suppl. II 1856,
192). Das lr\Tr]}JLa ist nicht bekannt, doch zeigt das Scholion des Dona-
tus favor urhis Bomae quae temporihus Caesar is iam florebat; poeta
mira dixit ad lau dem wohl die Richtung des Problems und die Xu (Tic
an. An dem für das Rom des Romulus allerdings stark hyperbolischen
314 KOMMENTAR
Ausdruck Kritik zu üben, war für Trogus bei seiner kühlen Haltung
gegenüber Roms Größe gegeben; die Ej-itik des Historikers mag dann
Probus durch Hinweis darauf widerlegt haben, daß es sich um ein
poetisch-rhetorisches eYKU)]Uiov handle, in dem man keine historische fides
erwarten dürfe. Ähnlich ist es, wenn Probus die Verse 121 f. notierte,
weil sie zwar überflüssig seien, sed Vergüius amat aliud agens exire in
laudes p. B. (schol. Dan.) — 783 septemque una sibi muro circumdabit
arces (== g. II 535), hier mit einer Abschwächung des Gedankens gegen
die Hyperbeln des vorigen Verses, aber notwendig zur Überleitung aul
den folgenden Vergleich. Über die der Antithese zuliebe zugelassene
seltne Synaloephe septemque üna s. Anhang XI 2B 5.
784 felix prole virum lauter feierliche Worte, 'gesegnet mit Sippen
von Mannen'. Felix (mit Nachdruck den ersten Versfuß füllend, s. An-
hang VIII) hat Vergil oft in alter Bedeutung, die ihm, wie viele Stellen
der Georgica zeigen, besonders aus der lingua rustica geläufig war (auch
der Verfasser der Dirae 10 setzt felix und fecundus nebeneinander): auch
in den 786 folgenden parallelen Worten des Vergleichs laeta deum partu
war die Vorstellung des 'Segens' in laeta aus derselben Sphäre ganz
geläufig (Vergil selbst oft in den Georgica). Bei proles fühlte der
römische Leser altertümlich-feierlich und grade in der Zeit des Augustus
hatte das uralte (schon von Cicero de or. HI 154 als tot bezeichnete,
von Caesar gar nicht und von Livius nur in der ersten Dekade gebrauchte)
Wort einen besonders guten Klang: z. B. Hör. od. IV 5, 23 laudantur
simili prole puerperae von dem goldnen Zeitalter unter Augustus, ähn-
lich IV 15, 27. Wenn man bedenkt, daß die Bestrebungen des Augustus
de augenda prole anfingen, als Vergil mit der Aeneis begann, und durch
eine lex Julia ihren Abschluß fanden, als er sie beendete, wird man das
Pathos der Worte nachfühlen. Für virum s. z. 174. Diese feierlichen
Worte drängen nun hin zu dem pompösen Vergleich (7 84 ff.) der durch
Heldengenerationen gesegneten Eoma mit der großen Göttin, die mit der
Turmkrone auf löwenbespanntem Wagen durch die phrygischen Städte
einherfährt, ihre himmlischen Enkelkinder im Schoß haltend. Nur der
letztere Zug scheint sonst nicht nachweisbar zu sein, sonst ist es der
bekannte Typus, der in die lateinische Poesie von Lucrez II 600 ff. ein-
geführt ist (Germanus). Das tertium des Vergleichs betrifft zunächst
die überschwängliche Fruchtbarkeit (felix prole virum <^ laeta deum partu),
greift aber auch auf die beiden vorangehenden Verse imperium terris . . .
aequabit septemque sibi . . . muro circumdabit arces zurück. Denn Kybele
wird von Varro (bei Augustin de civ. dei VII 24) als Symbol des orbis
terrae gedeutet und der die Stadt Rom umgebenden Mauer entspricht
die getürmte Mauerkrone der Göttin (^785 turrita) , vergl. X 252 f. alma
parens Idaea deum cui Dindyma cordi | turrigeraeqite urbes (rrupTOcpöpoi
T€ TTÖXeic). Dieses sekundäre Vergleichsmoment ist um so treffender, als
die servianische Mauer in augusteischer Zeit Türme trug (Strab. V 234).
— Der Vergleich nun der Göttin Roma mit der phrygischen Allmutter
hat im Zusammenhang des vergilischen Epos und grade im Munde des
Anchises einen tiefen Sinn. Die Überführung des Kults der Idaea mater
aus Phrygien nach Rom galt als Abschluß der Konstruktion von der
trojanischen Ursprungslegende der Stadt, die den Anspruch auf den
VERS 783—788. 315
Besitz des heiligen Steins mit ihrer Abstammung von Troja motivierte.
Durch die Aufnahme dieses Idols und die Gründung des Tempels auf
ihrer Urstatte, dem Palatin, hat Roma die von ihr erhobenen An-
sprüche auf die Herrschaft über die Städte des Erdkreises, insbesondere
Asiens, gewissermaßen legitimiert, vergl. Ovid f. IV 251 ff. 272, Dionys.
Hai. I 61, 4, Herodian bist. 111, 13; daher läßt auch Vergil X 252 ff.
den Aeneas an sie ein Gebet richten. Auf Gnmd dieser Fiktion sehen
wir keinasiatische Städte, darunter grade auch Hion und Pergamon, auf
ihren Münzen dasjenige Attribut auf Roma übertragen, das sie gewohnt
waren, ihren eigenen stadtschirmenden Gottheiten zu geben, die Mauer-
krone (vergl. F. Kenner, Die Roma- Typen, in den Sitzungsber. d. Wien.
Akad. XXIV 1857, 283, 11). Keine im Westen geprägte Münze zeigt
diesen Typus der Roma (vergl. A. Klügmann, L'effigie di Roma nei tipi
monetarii, Rom 1879), und griechisch empfunden ist auch der Vergleich
Vergils, mag er ihn nun als erster gebraucht oder in einem der grie-
chischen Gedichte auf Rom vorgefunden haben, die seit der Zeit des
T. Flamininus nachweisbar sind. Ein Grieche hat auch die berühmte
Gemma Augustea (Furtwängler Taf. LVI) geschnitten, auf der hinter
Augustus und Livia Poseidon und Kybele dargestellt sind, letztere mit
der Mauerkrone und dem Kaiser einen Eichenkranz aufs Haupt setzend.
Wie dieser Künstler so Augustus und Kybele vereinigt, so soll auch der
Leser Vergils bei den Worten 787 'die Göttermutter hält .ihre Enkel
auf dem Schoß, die alle im hohen Himmel wohnen' bereits an Caesar
und Augustus denken, zu denen nun sofort übergegangen wird: denn
auch sie werden magnum caeli suh axem kommen (790). So leitet der
Vergleich mit wahrhaft großartiger Wirkung von Romulus und Rom
auf den 'alter Romulus' über, in dem man den inkarnierten Repräsen-
tanten der Roma zu sehen gewohnt war. — 785 turritus haben vor
Vergil nur Lucrez V 1302 und auct. bell. Afr. 30, 2. 41, 2, beide von
Elefanten: Lucrez sicher nach Ennius, wie Vahlen in den Sitzungsber.
der Berl. Akad. 1896, 726 bewiesen hat; und auch der Verfasser jener
pseudocaesarischen Schrift putzt seine Diktion gern mit ennianischen
Floskeln auf (vergl. Wölfflins Vorrede p. XXIX). Für Ennius (a. 483)
bezeugt ist 787 caelicölae, das durch das daneben gestellte super alta
tenentes stilistisch variiert wird (s. z. 25). — Über das Schwanken der
Hss. zwischen super alta und supera alta s. z. 241.
4. Augustus 788 — 807, darunter 788 — 90 (biKUüXov mit je zwei
KÖ)Li)LiaTa) einleitend, 806 — 7 (biKUjXov, die KUjXa mit den Versen zu-
sammenfallend) schließend. Das Enkomion selbst 791 — 805 in zwei
langen, prunkvollen Perioden: 791 — 800 TpiKUüXov mit vier -\- vier -|-
drei KÖjUjaaTa, 801 — 5 biKUüXov mit vier -\- zwei KÖ)Li|LiaTa. Die drei
KÖ|U|uaTa 802 f. haben isokolischen Bau {ßxerit — cervam, Erymanthi —
nemora, Lernam — arm, je 9 — 10 Silben). Auch in 798 ff. (drei zwei-
teilige Subjektsbegriffe an den Versschlüssen) und 806 f. ist der Parallelis-
mus sehr sinnfällig, vergl. besonders die beiden an gleichen Versstellen
stehenden Infinitive extendere und consistere. Das sind die typischen
Kunstmittel eines XÖYOC iravriTupiKÖc. — Im Rh. Mus. LIV (1899) 466 ff,
ist von mir bewiesen worden, daß Vergil sich in der Komposition eng
an das überlieferte Schema eines eYKUJjuiov ßaCfiXeuJC angeschlossen, im
316 KOMMENTAR
speziellen typische Züge aus Alexaijderenkomien auf Augustus über-
tragen hat. Meinen Darlegungen über die merkwürdigen prophetischen
Verse 798 — 800, die ich in Beziehung zu gewissen über Augustus um-
laufenden sibyllinischen Orakeln gesetzt habe, füge ich hier noch hinzu,
daß die Prophezeiung, die Horaz sat. II 5, 6 2 ff. dem Tiresias in den
Mund legt, in ihrem Anfang erst verständlich wird, wenn man an Prophe-
zeiungen solcher Art denkt, wie sie grade im Jahr nach der Schlacht
bei Actium, dem Zeitpunkt der Abfassung jener Satire, umlaufen mußten,
als der Caesar im fernen Osten weilte: tempore quo iuvenis Parthis Jior-
rendus, ab alto | demissum genus Äenea, tellure marique \ magnus erit
Übrigens ist meine Auffassung der Vergüverse inzwischen bestätigt worden
durch die Untersuchungen von Fr. Kampers, Alexander der Große und
die Idee des Weltimperiums in Prophetie und Sage (Freiburg 1901) 41 ff.,
wo unsere Verse in den welthistorischen Zusammenhang, in den sie ge-
hören, eingereiht worden sind. Da mithin die sachliche Interpretation
dieser Partie im wesentlichen als erledigt gelten darf, so brauchen hier
nva ein paar Einzelheiten vornehmlich sprachlicher Art notiert zu werden.
788 geminas — acies. Dieser affektierte Gebrauch von gemmus ist
für uns erst in der Poesie der Neoteriker nachweisbar (CatuU 63, 75
geminas aures, Varro At. bei Serv. zu buc. 1, 66 geminae palmae), vergl.
Naeke zu Val. Cato 290, Haupt op. I 106. Die Wahl von acies kann
durch die Absicht, den Gleichklang geminos — oculos zu vermeiden (s. An-
hang IV), mit bedingt sein. — 789 Caesar et omnis luli _vj|u|_u|w__
der einzige so gebaute Versschluß dieses Buches nach Cavallin 1. c.
(z. 140) 19, in den Bucolica und Georgica beispiellos, in der Aeneis
nur noch 19mal (abzüglich der Fälle mit que^ die andere Messung er-
möglichen: s. z. 140). Hier erkennt man noch deutlich den Grund: die
beiden Namen Caesar und lulus sollten in einem Verse zusammenstehen
und lulus war an das Versende gebunden: Vergil hat den Namen 32 mal
im nom., gen., acc, voc, darunter nur einmal im Versinnem: XII 185
cedet lulus agris. — 790 Die schweren Spondeen malen die gravitas;
sie dominieren überhaupt in dieser Partie, vergl. 792. 97. 99. 801. —
791 Jiic vir Jiic est (ohne Interpunktion s. z. 858) mit doppelter metrisch-
prosodischer Besonderheit. Die Bildung des 1. Fußes durch drei Mono-
syllaba hat Vergil, da ein rhythmisches Gesetz die Häufung vieler kurzer
Worte hintereinander verbot (vergl. Dionys. Hai. de comp. verb. 12), wohl
nur noch viermal: H 746 aut quid in IH 186 sed quis ad XH 566 neu
quis oh g. III 402 Mnc vel ad (dazu mit Synaloephe X 148 navnque ut
ah), also stets bei proklitischen Präpositionen, wie in unserm Vers bei
enklitischem est; hier erreicht er dadurch Anapher wie 788 Jmc — hanc —
hie, 795 f. eoctra — extra. Hiermit hängt zusammen die zweite Besonder-
heit, die Kürze des zweiten hie, die Bentley zur Tilgung von vir ver-
anlaßte. Die Konservierung der ursprünglichen Kürze in diesem Wort
(s. Skutsch 1. c. [z. 760] 84 ff.) hat Vergil nur noch IV 22 solus hie,
ebenfalls am Versanfang, wie auch von den drei vorvergilischen Bei-
spielen (sämtlich bei Lucrez: II 387. 1066. VI 9) zwei (noster hie, qualis
hie) an dieser Stelle stehen (s. L. Müller, de r. m. ^ 425). Der Betonungs-
wechsel Ä«c — hic entspricht der bekannten, in hellenistischer Poesie be-
sonders häufigen (aber schon früher geübten: v. Wilamowitz, Isyllos 157)
VERS 788— 796 ff. 317
Finesse, für die auch Vergil viele Beispiele hat: dem vorliegenden durch
eine prosodische Besonderheit verwandt ist 11 663 gnatum ante ora pätris,
pätrem qui obtrimcat ad aras mit sehr seltner Länge (vergl. Shiera,
Prosod. Funktion inlautender muta c. liq. bei Vergil, Czemowitz 1898).
— 792 Äugustus Caesar divi genus, aurea condet (saecula). Für die
Stellung der Namen (ebenso VTII 678. Hör. od. II 9, 19 f.), in der Äugustus
noch appellativisch gefühlt ward, vergl. Gardthausen 1. c. (z. 773ff.) II 1,298.
— Drei feierliche Worte: äugustus^ divus, genus, zusammengerückt wie o.
784. Genus von einem einzelnen Abkömmling (also = progenies) hat bei
Vergil stets feierlichen Klang, vergl. 500. 839, wo es neben einem Wort
archaischer Prägung (armipotens) steht. Daß es alter Poesie angehört,
beweist auch Horaz, wenn er s. II 5, 62 f. den Octavian pathetisch nennt
ab alto I demissum genus Äenea, vergl. I 6, 12 Laevinum, Valeri genus.
— 792 f. aurea condet \ saecula qui rursus. Um die Hauptbegriffe hervor-
treten zu lassen, wird das Pronomen vom Anfang fortgerückt und gewisser-
maßen versteckt. An sich ist das nicht ungewöhnlich (z. B. g. HI 388
nigra suhest udo tantum cui Imgua palato mit der im Anhang III A3
behandelten Stellung der Begriffe, b. 3, 86 f. taurum, | iam cornu petat
et pedibus qui spargat harenam), aber in der Weise, daß ein Teil des
Eelativsatzes dem ersten, ein anderer dem folgenden Vers angehört, wohl
nur hier. Vielleicht ist diese Freiheit durch Entlehnung irgendwelcher
Floskeln aus archaischer Poesie bedingt; von den aurea saecula, die
Saturn Latium brachte, hat Ennius gehandelt: vergl. ann. 2 4 ff. Die
altertümliche Formel condere saeda (so Lucrez IH 1090 am Versschluß)
wird hier in einem Sinn gebraucht, der dem ursprünglichen ('ein Zeit-
alter begraben') entgegengesetzt ist (Usener, Rh. M. XXX 1875, 206).
Der Bedeutungsübergang erklärt sich leicht aus der Vorstellung, daß
Äugustus, indem er die Vergangenheit zu Grabe trägt, in sakralem Sinn
der 'Gründer' einer neuen ist (Äugustus als zweiter conditor urhis:
Suet. Aug. 7). — 794 ff. Im Stil des Enkomion wird das Ende der Erde
geographisch spezialisiert (auf Aethiopien); den TÖTtOC kennt schon Pindar
J. 5 (6) 23: "seine Taten erstrecken sich Kai irepav NeiXoio TraTäv Kai
hx" 'Y-rrepßopeouc" (schol. rfiv Hujutracrav oiKOU)LievTiv GeXei eiireiv).
Der kühlen Art des Äugustus angemessener als die hart an KaKoJlTiXia
streifende Rhetorik der Worte 795 f. iacet extra sidera tellus, \ extra anni
solisque vias (über ihre Quelle s. Rh. Mus. 1. c.) erscheint der reserviertere
Ausdruck des Horaz IV 14, 5f. o qua sol habitahilis \ i)flustrat oras yi
maxme principum. — Die Hoffnung vieler, der Vergil mit den Worten ~"
proferet imperium (795) Ausdruck gibt, hat sich nicht erfüllt: Äugustus
war wie Tiberius proferendi imperii incuriosus (Tac. Agr. 13. a. 1 11. IV 32).
Daß Vergil auch hier einen locus communis verwendet, zeigt eine Stelle
der nach den Schulregeln gearbeiteten consolatio ad Liviam 20, wo es
von Drusus heißt: protuUt in terras imperiumque novas. — 7 96 ff. caelifer
(Aüans) vor Vergil nicht nachweisbar (an der Stelle IV 481 f., aus der
die Worte uhi — aptum hier wiederholt sind, steht dafür maximus). Falls
Vergil das Wort selbst bildete, war die Bildung ganz im Geiste der
alten Poesie, nach der er den folgenden Vers axem humero torquet stellis
ardentibus aptum (= IV 482 ~ XI 202) formte: Macrobius s. VI 1, 9
notiert als dessen Vorbild Ennius a. 37 qui caelum versat stellis fulgenti-
318 KOMMENTAR
hus aptum. Neu erscheint 802 aeripes (xaXKÖirouc) : es ist eine Bildung
im Stil Catulls, s. o. z. 591 cornipes. Aus Catull selbst stammt 800 septem-
gemini Nili, ein dürftiger Versuch einer Übersetzung von ^TTTdppoc,
dTrTd(TTO)iOC. Erwägt man die große Scheu Vergils und der Augusteer
überhaupt vor Wortkompositionen (s. z. 141), so ist klar, daß deren
Häufung in diesen Versen durch den dithyrambischen Charakter des
poetischen Enkomions bedingt wurde; so hat auch Horaz, wie bemerkt
(1, c), eine für ihn singulare Art der Komposition nach griechischem
Muster (tauriformis) nur gewagt in dem enkomiastischen Dithyrambus
pindarischen Stils IV 14, 25. — 800 Das Motiv des vor Schreck beben-
den Nils stammt aus hellenistischer Poesie, da es auch Properz III 11, 51
(timidi vaga flwmma Nili) und Ovid m. II 254 f haben und andere Dichter
es auf andere Flüsse übertragen (Tibull 17,4 u. a. bei Forbiger zu
g. III 30). In turbant trepida Ostia sollen die t und r malen. Der
medialpassivische Gebrauch von turhare ist grade in dieser Verbindung
auch für die Prosa belegt {cum mare turbaret Varro r. r. III 17, 7):
vergl. über diesen Gebrauch Elters lehrreiche Abhandlung Rh. Mus. XLI
(1886) 538ff. — 802 aut Erymanthi: Versschluß nach griechischer Art
s. Anhang IX; über die Wortstellung ßxerit — pacarit ebd. III A 2. —
Erymanthi pacarit nemora. Pacare (für älteres pacißcare oder -n) ist
nach Wölflflin, Arch. f. Lex. V (1888) 581 von Caesar in die Schrift-
sprache eingeführt; Vergil hat es nur hier (und b. 4,17 pacaium . . .
orbem). Aber von Herkules, für den ja das fi|Liepa)crai Y^iv typisch war, hat
es vor ihm schon Cicero in den Versen Tusc. II 22 haec de'xtra Lernam
taetra mactata excetra \ pacavit: denn so hat Turnebus evident für placavit
emendiert. — 804 pampineus: über die Bildung s. z. 281. — iuga flectit
fivioffipoqpei (Germanus). — 804f. Die Farben zu dem für diese En-
komiengattung typischen Vergleich des Herrschers mit dem indischen
Dionysos werden aus hellenistischen Dichtungen stammen, in denen der
indische Dionysoszug ein beliebtes Motiv war (Fr. Koepp, De giganto-
machia, Bonn 1883, 63, 2; B. Graef, De Bacchi expeditione Indica, Berlin
1886, 5). Vergl. auch Horaz II 19, Prop. III 17, 22 und eleg. in Maec.
1, 57flf. mit den Bemerkungen von J. Ziehen im Rh. Mus. LII (1897)
450 ff. und Fr. Lillge, De eleg. in Maecenatem quaest. (Breslau 1901) 10 f.
— tigres substituiert der römische Dichter für die in griechischer Poesie
und Kunst typischen Panther (vergl. Kießling zu Hör. III 3, 14).
806 f. et dubitamus adhuc virtutem extendere factis, | aut metus Ausonia
prohibet consistere terra. Schlußsatz des Enthymems, das griechisch etwa
so lauten würde: Kai 6 )uev üeßacTTÖc iräffav xriv okouinevTiv iicp' auTtu
TTOiriad^evoc xfiv buvainiv im xoaövbe auHricrer elxa fmeic )aeX\o|aev
Kai ÖKVoö)Liev, dpetri ejuqpuTUJ xpi1ö'«M£V0i ev 'liaXia KaGicTidvai; Daß
ein solches Enthymem grade in diesem Zusammenhang zum rhetorischen
Inventar gehörte, zeigt Isokrates Phil. 57: wenn andre das und das
Schwere gekonnt haben, xi XoiTröv e'cTxai xoTc dvxiXeYOudiv, die ou
Gdxxov (Ju xd pduj irpdHeic f\ CKeivoi xd xaXeiriuxepa; — In 806 gibt
Mnvirtutem extendere f actis (vergl. X 468 f. famam extendere f actis ^ hoc
virtutis opus) und dies wird von Servius erklärt, von Donatus paraphra-
siert; virtute extendere vires PR. Ersteres ist gewählter, also wohl richtig:
'die uns innewohnende Tüchtigkeit ausdehnen durch Taten', die dpexr|
VERS 800— 812 f. 319
zur irpoSiC, die ?HiC zur dvepYCia machen, virtutis enim laus omnis in
actione consistit (Cic. de off. I 19). Es ist also nicht wahrscheinlich, daß
das farblosere virtute extendere vires das Ursprünglichere sein sollte: die
scheinbare Empfehlung des letzteren durch die Alliteration wird durch
den Parallelismus extendere fadis <^ consiskre terra aufgewogen.
5. Die Könige 808 — 18. Periodisierung: 808 — 12 TerpdKUüXov,
das erste mit drei KÖmuaxa; 812 — 18 drei biKiuXa.
809 cri/nes incanaque menta (regis Bomani) ^^ g. III 311 harhas
incanaque menta. Incanus findet sich vor Vergil wohl nur bei Plautus
rud. 125 (homineni crispnm incanum), denn bei Catull 64, 350. 95, 5
beruht es auf falscher Konjektur. Daß eine phraseologische Überein-
stimmung Vergils mit Plautus in einer Besonderheit auf den Gebrauch
des betreffenden Worts in gehobener archaischer Poesie schließen läßt,
ist im Anhang I 1 ausgeführt; Anlehnung an ein älteres Vorbild macht
ja auch der hübsche, absichtlich hochpathetische Gebrauch der Phrase
an der Stelle der Georgica glaublich (vergl. Phaedrus IV 8, 10), und
man denkt sich gern, daß Ennius so, wie Vergil hier von Numa, von
den alten Römern überhaupt gesprochen haben mag (vergl. Cic. pr. Sest. 19
imum aliquem ex harhatis Ulis, exemplum imperii veteris, imaginem an-
tiquitatis). Zwar scheint der poetische Plural menta von einem Indivi-
duum erst durch Vergil eingeführt worden zu sein (s. Maas 1. c. [z. 4] 541);
aber ganz analog fanden wir oben 49 das von Ennius für eine Mehr-
zahl gebrauchte corda- von Vergil mit derselben Freiheit des Numerus
auf eine Person übertragen. — 810 regis Bomani (des Numa) mit
gravitätischem Rhythmus (erster Versfuß mit spondeischem Wort: s. An-
hang Vni), der sich im folgenden Verse fortsetzt, während in den
weiteren Versen, der lebhafteren Charakteristik der anderen Könige ge-
mäß, Daktylen überwiegen. Da Ovid m. XTV 837 Bomani regis in
ennianischem Zusammenhang hat (814 ein ganzer Ennius vers), so darf
die Verbindung als ennianisch gelten, zumal Ennius a. 174 einen Vers
mit dves Bomani beginnt. Dem Gedanken nach weiden auch die fol-
genden Worte priscam qui legibus urbem \ fundahit ennianisch sein,
da Livius I 19, 1 mit ähnlicher Pointe von Numa sagt: urbem novam
conditam vi et armis . . ., legibus de integro condere parat. Seneca
apoc. 10 läßt den Augustus mit Anspielung auf unsem Vergilvers
passend von sich sagen: legibus urbem fundavi (vergl. mon. Ancyr. c. 8):
der Kaiser war eben nicht bloß ein alter Romulus, sondern auch ein
alter Numa. In diesem Sinne werden die Zeitgenossen des Dichters diese
Partie gelesen haben, in der Augustus seine Stelle zwischen Romulus
und Numa erhalten hat. — Auch das, was femer von Numa gesagt
wird, missus in imperium magnum (812), hat ennianisches Kolorit wegen
des schweren 6^0lÖ7tTUJTOV (s. Anhang IV) und der nicht grade gewöhn-
lichen Caesur in der Wiederholung dieser Worte XI 47 mitteret in mag-
num imperium. — 811 f. Jedes der drei Substantive hat, um die Anti-
these scharf hervortreten zu lassen, sein Attribut: Curibus parvis, paupere
terra, imperium magnum (s. z. 638 f.). — 812 f. cui P, qui M, quid R.
Auf Grimd dieser Überlieferung schreibt Ribbeck mit jungen interpolierten
Hss. quoi, obwohl die echte Überlieferung Vergils diese Form nirgends
hat. Vielmehr ist die La. qui in M und die aus gleicher Vorlage resul-
320 KOMMENTAR
tierende Korruptel quid in ß so zu beurteilen. Die Schreibung qui für
cui war, wie aus Quintilians Bemerkung I 7, 27 zu schließen ist, noch
in der ersten Kaiserzeit in Gebrauch, und noch Velius Longus notiert
sie (6LK Vn 70, 18 haec pronomina, 'cuius^ et 'cui' per q censuerunt
quidam scrihenda, quo magis servaretur origini fides, ut, quomodo 'quis'
inciperet a q, sie 'quius' ^qui'): wir finden sie tatsächlich auf einer
Inschrift etwa aus der Zeit dieses Grammatikers: carm. ep. 1527 A5
Bücheier. Es ist daher sehr wohl möglich, daß hier M^ mit qui die
Schreibung einer sehr alten Vorlage bewahrt hat; auch oben 502 hat
P^ qui, was von zweiter Hand in cui korrigiert ist (vergl. auch die sehr
alte Variante qui für cui buc. 4, 62 und Horaz s. I 2, 45, wo Bentley
das überlieferte quidam in cuidam korrigierte). Formen des Dativs mit
q statt c aus Ciceropalimpsesten notiert Neue 11^ 454. — 813f. otia
qui rumpet patriae (Tullus). An der Spitze steht das Wort, mit dem
auch Livius I 22, 2 seine Darstellung einleitet: senescere civitatem otio
ratus (Gerda). Pluralisches otia ist für uns in der Poesie freilich erst
aus Lucrez belegt (s. Maas 1. c. [z. 4] 545), aber da es schon der in
seiner Sprache stark durch Ennius beeinflußte Claudius Quadrigarius ge-
braucht (fr. 28 Peter), so darf es vermutungsweise schon für Ennius in
Anspruch genommen werden (der Singular otium war nur mit ungraziöser
Synaloephe zu brauchen). — residesque movebit mit scharfer Antithese
(reses eig. 'fest am Ort verweilend'), wie 783. 820. — movere in arma
auch Livius VIII 2, 6 (vergl. Deuticke, Jahresber. d. philol. Vereins 1899,
206), wohl aus Ennius (vergl. Stacey 1. c. [z. 99] 49), zumal die Worte
vn 429 f. an gleicher Versstelle und von ennianischen Reminiszenzen
umgeben stehen. Auch desuetus scheint ennianisch zu sein, da es Livius
nur in der ersten Dekade hat und zwar in ähnlichem Zusammenhang
wie Vergil hier und H 509 (desueta arma): vergl. Stacey 1. c. 63. Aus
der Benutzung überlieferter Phraseologie in diesen Worten kann sich
auch die für Vergils eigne Praxis nicht gewöhnliche starke Interpunktion
nach dem ersten Daktylus (agmina) erklären, vergl. Anhang II 4, 3. —
81 5 f. iuxta sequitur iactantior Äncus, | nunc quoque iam nimium gau-
dens popularibus auris. Die hier von Ancus gegebene Charakteristik
(iactatio popularis) kennen unsere Quellen nicht (auch nicht Ennius-
Lucrez III 1025 f.); sie berichten sie, wie ältere Exegeten bemerken, viel-
mehr von Servius Tullius (den Vergil hier übergeht, dessen Großtat er
aber o. 783 gestreift hat): Dionys. Hai. IV 8, 3 6 TOXXioc Im TÖ br||Lia-
YUJTGW Kai Gepaireueiv touc otTröpouc tüjv ttoXitujv etpeTreTO. — iuxta . . .
iactantior Äncus mit spielerischen Wortanklängen. — 81 7 f. vis et Tar-
quinios reges animamque superbam \ ultoris Bruti fascesque videre receptos.
Schon im Altertum muß man geschwankt haben, ob animamque super-
bam zum vorhergehenden oder zum folgenden zu ziehen, also Tarquinii
regis anima superba oder anima superba ultoris Bruti zu verbinden
sei. Denn während Servius die erstere Erklärung ohne weitere Polemik
mit den Worten umus enim de Tarqumiis fuit superbus bietet, lehnt
Donatus die zweite mit den Worten superbiae Vitium Tarquinio appli-
catur sectmdum veterum fabulas, non Bruto ausdrücklich ab; dagegen
folgt der Schreiber unseres cod. M, wie seine Interpunktion (nach reges
und Bruti) beweist, eben jener von Donatus zurückgewiesenen zweiten
VERS 812—821. 321
Auffassung. Diese ist es auch, der, soviel ich sehe, sämtliche Kom-
mentare seit der Renaissancezeit folgen, und zwar finden sie in der Ver-
bindung anima superha ultoris Bruti eine Pointe: der Dichter übertrage
die superbia von Tarquinius auf Brutus (vergl. z. B. Plüß 1. c. 229 f.
und Conington). Aber es leuchtet ein, daß diese Auffassung falsch sein
muß. Vergil kann nur meinen, um seine Worte prosaisch zu paraphra-
sieren: 'Bnitus Tarquinii superbiam ultus est fascibus recuperatis popu-
loque restitutis'. So faßt auch Leo, Nachi*. d. Gott. Ges. 1895, 429, 3
die Stelle, wenn er den zweiten Vers als Beleg für die besondere Stellung
von que, dem dritten Wort angehängt, anführt (s. darüber Anhang HIB 3).
Auch Lucan V 207 regnaque ad ulfores Herum redeuniia Brutus hat es so
verstanden, denn er paraphrasiert den einen Vers Vergils mit einem eignen.
6. Helden der Republik 819—46. Periodisierung: 819—23
TerpdKuuXov, das zweite, dritte und vierte mit je zwei KÖmaara; 824 — 25
TpiKiuXov; 826 — 31 xpiKuuXov mit zwei -f drei + zwei KÖ|Li|uaTa; 832 — 35
TexpotKUjXov, die KuJXa mit den Versen zusammenfallend; 836—40 biKOuXov
mit zwei -f vier KÖjLi)iiaTa; 841 — 44 TeipdKUjXov, die beiden ersten mit
je zwei KÖ)H)iaTa; 845 — 46 xpiKUüXov.
819ff. saevasque secures. Die Form des acc. securis hat in dem
cod. Gudianus saec. IX hier (gegen MPR) und VII 627 (gegen FMR)
eine zu geringe Stütze, als daß sie mit 0. Keller, Gramm. Aufsätze
(Leipz. 1895) 314 für Vergil beglaubigt gelten könnte; aus den Samm-
lungen Kellers selbst 315 ff. geht hervor, daß Vergil bei den Substan-
tiven auf -is im acc. bald -is bald -es gebraucht; s. z. 92. 720. — Die
Verbindung (vergl. 814 saevomque securi) belegt Ursinus als zweimaligen
Versschluß des Lucrez {fasces saevasque secures 111996. V1234); da
saevus ein Lieblingswort des Ennius ist, das er zweimal in alliterieren-
der Verbindung hat, wird die in die Gedankensphäre seines Epos passende
Phrase ihm gehören, wie der Versschluß 820 hella moventes: Enn. a. 394
hella moveri. Auch der schöne, durch schwere Spondeen und Allitera-
tionen markierte Vers 821 ad poenam pulchra pro libertate vocabit ver-
dankt dem Ennius manches. Pulcher ist eins seiner Lieblingsworte, das
er, wie aus zahlreichen Verbindungen hervorgeht, aus der Auguralsprache
in die hohe Poesie herübernahm (s. z. 15). Unser 'schön' deckt den Be-
griff nicht immer, so wenig wie den von KttXöc, das z. B. bei Pindar
und Simonides oft einen erhabenen Klang hat und ebenfalls in sakraler
Sprache gebraucht wird; lehrreich auch Demosthenes, prooem. 54. Und
wie der große athenische Patriot das KaXöv so oft mit dem Begriff der
^XeuGepia identifiziert (Demosth. de cor. 63 -^ 65. 68; 99 '^ 100; 200
»^ 205), so stellt Vergil hier pulchra Ubertas zusammen, denn das Wort
hatte durch Augustus wieder seinen guten alten republikanischen Klang
erhalten: rempublicam . . in Ubertatem vindicavi sagt er im ersten Satz
seiner Inschrift. Wir werden das Ethos also am besten durch die Über-
setzung 'die heilige Freiheit' treffen. Pro libertate füllt mit malerischem
Effekt (s. Anhang VII B 2a) zwei Versfüße, es steht ebenso Vm 648
Aeneadae in ferrum pro Ube)'tate rtiebant, wo der Zusammenhang und
das in ennianischer Zeit geprägte Aeneadae (Plut. Flamin. 12) auf Ennius
hinweisen. — 820 f. Über die Wortstellung acdpiet — vocabit s. An-
hang ni A 2.
Vbboil Buch VI, von Norden. 21
322 KOMMENTAR
822 f. infelix, utcumque ferent ea facta minores: vincet amor patriae
laudumque inimensa cupido. Die Berühmtheit der Verse (vergl. Macrob.
s. rV 6, 18; Augustinus de civ. dei III 16 = V 18; Servius: ingenti arte
loquitur) erklärt sich daraus, daß sie ein berühmtes Deklamationsthema,
die heroische Tat des Brutus (auct. ad. Herenn. IV 66; Cic. parad. 12;
Sen. contr. IX, 2, 9. X 3, 8; Val. Max. V8; Quint. inst. V 11, 7), mit kunst-
voller Kürze und bedeutendem Ethos zusammenfassen. Die in manchen
neueren Ausgaben stehende Interpunktion (vocabit \ infelix. utcumque
ferent ea facta minores^ vincet etc.^ ist falsch, denn durch sie würde die
Eechtmäßigkeit der Tat des Brutus in Zweifel gezogen („wie die Nach-
welt diese Tat auch immer aufnehmen wird") in Widerspruch mit der
gesamten antiken Tradition, die in der Auffassung dieser Stelle einig
ist, vergl. außer Servius, Donatus und Macrobius 1. c. besonders die echt
antik gefühlte Paraphrase des Augustinus 1. c: quod factum Vergilius
posteaquam laudahiliter commem^ravit, continuo clementer exhorruit. cum
enim dixisset ^natosque pater nova bella mxyventes ad poenam pulchra pro
lihertate vocabit', mox deinde exclamavit et ait ^infelix, utcumque ferent
ea facta m,inores'. quomodolibet, inquit^ ea facta posteri ferant i. e. prae-
ferant et extollant: qui fillos occidit infelix est. et tamquam ad consolan-
dum infelicem subiunxit 'vincit (Gedächtnisfehler für vincet) amor patriae
laudumque immensa cupido'. Er faßt also, mit richtiger Interpunktion (die
auch cod. M hat), ferre nicht 'als etwas aufnehmen', sondern 'rühmen'
(vergl. prae sc ferre, per ora ferre; daß auch ferre allein diese Nuance
hat, zeigt Heinze zu Lucr. HI 42). So verstanden sind die Verse ein
schönes Monument für den Dichter, der sein weiches Empfinden mit der
Bewunderung für die starre Großartigkeit der alten 'fortia facta' har-
monisch zu vereinigen wußte: 'unglücklich ist Brutus trotz allem Nach-
ruhm; aber höher als sein Glück stellt er die Pflicht, die ihm als Patrioten
obliegt und deren Erfüllung ihn berühmt machen wird'. Von den Neueren
hat erst F. Jasper, Z. f. G.-W. 1879, 572 f. diese Deutung aufgenommen.
Daß der Dichter neben dem Patriotismus die 'gewaltige Rvihmbegierde'
als das den Brutus zu der furchtbaren Tat treibende Motiv ohne jeden
Tadel nennt, wird niemanden befremden, der sich den im antiken Em-
pfinden fest wurzelnden Begriff der böHa vergegenwärtigt. Wahrschein-
lich wurden beide Motive auch in den erwähnten Brutus-Deklamationen
verwendet; wenigstens kommen sie ebenso vor in der inhaltlich ver-
wandten Deklamation Ovids m. XII 2 9 f. XIII 181 ff. (vergl. Sen. suas. 3):
Agamemnon opfert die Tochter für die causa publica und die eignen laudes.
824 quin ^- aspice. Quin mit dem Imperativ führte Vergil aus
der Umgangssprache in den hohen Stil ein, während Horaz, Properz und
Tibull es meiden (Ehwald zu Ovid m. IX 383). — Daß bei den Brusi
jeder zunächst an die Rettung Roms durch einen Angehörigen dieser gens
in dem periculosissimus annus (Liv. XXVII 35, 5) der Schlacht am Me-
taurus denken mußte, zeigen Horaz IV 4, 3 6 ff. und der Verfasser der
consol. ad Liv. 451 f., die grade diese Großtat eines Ahnen des Drusus
preisen, sowie Ps. Manilius in seiner Nachbildung dieser Verse Vergils
I 786 f. victorque necati \ Livius Hasdrubalis. Daß man daneben auch
an den großen Tribunen des J. 91 dachte, dessen Schicksal in den
Deklamatorenschulen behandelt wurde (auct. ad Her. IV 31, vergl. Vell.
VERS 822—826. 323
n 13 f., Octavia 887 ff.), lehrt Lucan in seiner Nachbildung dieser Partie
VI 795 popularia nomina Drusos. Möglich ist, daß Vergil mit der
Erwähnung der Drusi der kaiserlichen Familie huldigt (vergl. Servius),
denn Augustus liebte seinen Stiefsohn zärtlich und setzte große Hoff-
nungen auf ihn (Suet. Claud. l). — 825 referentem signa Camillum.
Das Faktum wird in annalistischer Überlieferung (vergl. 0. Hirschfeld in
der Festschr. f. Friedländer 1895, 134 ff.) wohl nur bei dem von Gerda
zitierten Eutropius I 20 erwähnt: secutus cos (Gallos) Camillus ita cecidit,
ut ... omnia quae ceperant müitaria signa revocaret. Da es von Dichtem
außer Vergil auch Properz HI 11, 67 hat: nunc (wo Augustus alle über-
strahlt) uhi Sdpiadae classes, ubi signa CamilU?, so vermutet Rothstein,
daß die beiden Dichter auf das Verdienst anspielen, das sich Augustus,
den man wie Camillus (Liv. V 49) als conditor urbis pries (Suet. Aug. 7),
durch die Wiedergewinnung der im Partherkrieg verlorenen signa, wie
man damals hoffte, erwerben sollte.
826 ff. Caesar und Pompeius. Daß diese Partie wegen des Halb-
verses, mit dem sie schließt (835), nachträglich eingefügt sein müßte,
ist ebenso unbeweisbar wie eine andre moderne Behauptung, daß Vergil
ein solches Versfragment vor Augustus nicht rezitiert haben könne (sollte
er sich davor wirklich gescheut haben, so war es ja ein Leichtes, das
Fehlende zu improvisieren, wie er es angeblich mit VI 165 gemacht
haben soll; so las Goethe den Tasso kurz vor dem endgültigen Abschluß
der Herzogin Luise vor mit freier Ergänzung einzelner noch fehlender
Szenen). Vollends zurückzuweisen ist die Ansicht, daß die Rezitation
dieser Verse den Kaiser verletzt haben könnte wegen des von ihm selbst
gegen Antonius geführten Bürgerkriegs. Denn Caesar hat das, was Vergil
seinen Ahn Anchises ihm hier anempfehlen läßt 835 f. parce . . ., proice
tela manu, durch die Amnestie nach Thapsus wahr gemacht (Servius:
Caesarem dementem circa Pompeianos legimus), so daß von ihm dasselbe
galt, was Augustus sich im Hinblick auf seine Milde nach Naulochos
und Actium zum Ruhme auslegt: bella terra et mari civilia . . . suscepi
victorque omnibus superstitibus civibus peperci (m. Anc. 1, 13). — Rhetorische
Mittel sind dem Pathos gemäß stark verwendet: Anaphern 8 28 f. 32;
Alliterationen 830 aggeribus — Alpinis — arce 32 animis adsuescite
33 validas in viseera vertite vires (das v ist nach Varro 1. 1. fr. 2 p. 149 f.
Wilm. ein die Stärke ausdrückender Laut: cum dicimus vim, sonus verbi
quasi validus coyigruit rei quam signißcat, s. z. 426 und Anhang VHA)
34 f. prier — parce — proice; parallele Versschlüsse 832 f. adsuescite bella
— vertite vires (s. z. 806 f. und Anhang H 3). Auf einem rhetorischen
vpeOboc beruht die 830 f. angedeutete Situation, daß Caesar sein Heer
über die Alpes (maritimae) nach Italien geführt habe; daß das Motiv
in den Deklamationen vorkam, zeigt Petrons Carmen de hello civ. 144 ff.:
vergl. Lucan I 183 iam gelidas Caesar cursu superaverat Alpes; auch
in der 'pragmatia belli GaUici' des von Horaz s. H 5, 41 parodierten
Furius scheint es so verwendet worden zu sein. Es war also ein Seiten-
stück zu Hannibals Alpenübergang, den luvenal 10, 166 als Thema der
Deklamatoren erwähnt. — 826 fulgere bei Vergil nur hier, effulgere
neben fervere VHI 677 (vergl. K. Wotke, Wien. Stud. VHI 1886, 144);
da auf letzteren Vers ein Enniuszitat folgt, dürfen die nachweislich
21*
324 KOMMENTAR
archaischen Formen bei Vergil auf Nachahmung des Ennius zurück-
geführt werden. — 827 node teguntur (Versschluß) ^^ IV 123 diffugient
comites et node tegentur opaca in einem imregelmäßig gebauten Vers,
sodaß die Phrase möglicherweise aus älterer Poesie stammt. — 832 ne
pueri ne tanta animis adsuesdte bella mit homerischem Ethos: H 279
ILiTiKeti Traibe (piXiu ■noXepiili.je jurjöe |Lidxe(J6ov (Heyne). Die Konstruktion
bella animis adsuescere ist singulär; sie wird nicht als Gräzismus (eiGiCT-
fiai Ti), sondern als Ausgleich von bellis animos adsuescere (vergl. Hör.
s. II 2, 109 qui plurihus assuerit mentem) -\- bella animis addiscere auf-
zufassen sein. Wenn bei Hör. s. 14, 105 insuevit pater optimus hoc me
Eäeßling Jioc als Accus, faßt, den insuesco 'nach Analogie der Verba
docendi regiere', so meint er dasselbe, drückt es nur anders aus. —
833 validas — vires: Ennius a. 301 validis cum viribus. — viscera:
Liv. XXXII 21, 27 tamquam non intestino et haerente in ipsis visceribus
uramur bello (Gerda). — 834 genus qui duds Olympo. Die Verbindung
genus ducere aus älterer Poesie: trag. fr. ine. 124 Ribb.^ a Tantalo ducat
genus; vergl. V 801 unde genus ducis in ennianischer Umgebung.
836 — 40 Besieger Griechenlands. — 836 Capitolia ad alta (der
Plural zu beurteilen wie g. I 499 Bomana Palatia servas: s. Anhang V).
Daß diese Worte von Vergil aus älterer Poesie (Ennius) übernommen
sind, machen folgende Gründe wahrscheinlich: l) VÜI 654 steht Capitolia
celsa an gleicher Versstelle in einem Zusammenhang, der sachlich auf
Ennius hinweist. 2) Die Struktur des Verses triumphatä || Capitoli(a) \
ad I alta Corintho ist für Vergils Praxis durchaus ungewöhnlich: sie
wiederholt sich (nach Cavallin 1. c. [z. 140] 25) nur noch a. II 550 hoc
dicens \\ altari(a) ad \ ipsa \ trementem. 3) Die Synaloephe eines auf -ä
auslautenden Wortes im vierten Daktylus findet sich nur sehr selten und
zwar an Stellen, wo Ennius als Quelle sicher oder wahrscheinlich ist
(s. Anhang XI l). — Auch caesis vnsignis Achivis weist auf ein älteres
Vorbild hin, da Horaz s. 11 3, 194 mit paratragodischem Pathos servatis
clarus Achivis sagt; besonders klar (und schon von Kießling erkannt)
ist dies Verhältnis in dem parodierenden Versschlusse Horaz ib. 8, 34
m^iemur inulti, den Vergil a. H 670 ernsthaft gebraucht (vergl. das
Register I unter 'Ennius').
838 flf. eruet ille Argos Agamemnoniasque Mycenas \ ipsumque Aeadden,
genus armipotentis Achilli, \ ultus avos Troiae templa et temerata Minervae.
Während Hygin (bei Gell. X 16), durch den berühmten Enniusvers aio
te Aeacida etc. (a. 186) verleitet, unter dem 'Aeaciden' Pyrrhus ver-
stand und daraufhin Vergil eines schweren historischen Versehens be-
schuldigte, erkannte schon Tumebus (zitiert von Gerda), merkwürdiger-
weise ohne allseitige Zustimmung zu finden, daß vielmehr Perseus ge-
meint ist, der ein Nachkomme des Königs Pyrrhus von Epirus im vierten
Glied war: Pyrrhus <~ Antigone, deren S. Alexander '^ mit Olympias, deren
Tochter Phthia -^ Demetrios v. Makedonien, deren S. Philipp, dessen
S. Perseus. Perseus konnte sich also wie König Pyrrhus auf Pyrrhos
(Neoptolemos) — Achill eus — Peleus — Aeacus zurückführen: so nennt
ihn daher auch Properz IV 11, 39 simulantem proavi pedus Achillis. Da
bei Vergil genus ('Nachkomme') und armipotentis vermutlich ennianisch
sind (s. z. 500. 793) und Aeadda für Ennius bezeugt ist, so wäre
VERS 827—842. 325
denkbar, daß eine dem vergilischen Aeaciden genus armipotentis AcJiilli
analoge Phrase schon bei Ennius von dem Vater des Perseus, Philippos,
gebraucht war, zumal Silius (der den Ennius nachweislich noch las) von
diesem Philippos sagt XV 291 f.: Äeacidum sceptris proavoque tumebat
Achille. — Werm nun also Vergil den Anchises sagen läßt, Aemilius
Paulus, der Besieger des Perseus, werde Argos und Mykenae vernichten,
so ist das wieder ein rhetorisches vpeuboc, wie wir es in diesem Ab-
schnitt wiederholt fanden, denn Mykenae ist von Argos selbst (i. J. 468/7)
und Argos überhaupt nicht zerstört worden, war vielmehr unter Augustus
die zweite Stadt des Peloponnes. Es läßt sich aber noch zeigen, wie
Vergil zu dieser Übertreibung kam. Das Motiv, daß Mykenae und Argos
den Römei*n Buße gezahlt haben für Trojas Zerstörung (speziell für den
Gottesfrevel des Aias, aus dem auch Lykophrons Kassandra den Unter-
gang Griechenlands prophezeit), ist den Epigrammen der Anthologie sehr
geläufig, z. B. IX 102 r\ Trpiv eyuj TTepanoc diKpÖTTToXic ai0epioio, f)
Ttpiv 'IXidbaic dcTiepa öpevpaiaevri, | aiTroXioicTiv evauXov epri|uaioi(Jiv
dveT)nai, xiaacra TTpid)uou bai)ao(Jiv 6v|;e bkac, ib. 28. 101. 103. 104,
wo in gleichem Zusammenhang neben Mykenae Argos genannt ist; ein
analoges Epigramm auf die Zerstörung Korinths, die Vergil in den
vorhergehenden Versen erwähnte, A. P. VII 297. Diese Pointe setzte Vergil
also in den epischen Stil um. — Argös. Vergil kennt nur die lateinische
Form (latine Argi dicimus Varro 1. 1. IX 89) während Horäz an der
einen Stelle, wo er den Namen hat, die griechische Form braucht, ebenso
immer Ovid außer im dat. (abl,), wo die lateinische nicht zu umgehen
war (vergl. Ehwald 1. c. [z. 513 f.] 16). — Achüli. Über die Endung
s. Anhang VI 4. — templa et tcmerata: einziges Beispiel für Inversion
von et in diesem Buch, s. M. Haupt op. I 121 und z. 448 f. — temerare
ist für uns vor Vergil (der es nur hier hat) nicht belegt, ebensowenig
intemeratus , das er aen. 11 143 u. ö. hat: es könnte also neugebildet
scheinen. Da es aber Livius XXVI 13, 13 (nur an dieser Stelle) in
ähnlicher Verbindung und in feierlichem Zusammenhang hat (arae foci,
deum deluhra, sepulchra maiorum temerata ac violata), so haben möglicher-
weise beide es ihren Quellen entlehnt, Vergil vielleicht grade in der,
archaischer Poesie angemessenen, stark alliterierenden Verbindung templa
temerare.
841 ff. Durch die in dieser letzten Versreihe besonders häufigen und
starken Alliterationen (841 te — Cato — tacitum — te — Cosse 42 GraccM
genus — geminos 43 parvo potentem 44 sidco Serrane serentem 45 fessum
— Fäbü 46 restituis rem) soll der Leser, auch abgesehen von den
wörtlichen Zitaten, das Ethos ennianischer Poesie gewinnen. Möglicher-
weise ist daher hier auch das oiuoioieXeuTOV potentem — serentem am
Schluß von 843. 44 beabsichtigt, denn Ennius hat von diesem Ornament,
wenigstens in den Tragödien, reichlich Gebrauch gemacht (s. z. 468). —
841 Das persönliche Interesse des Augustus an der Heldentat des
Cossus zeigt das denkwürdige Kapitel des Liv. IV 20. — tacitum re-
linquere mit persönlichem Objekt vielleicht nur Vergil (mit sächlichem
z. B. Cic. ep. fam. HI 8, 2). — 842 Gracehi genus wegen genus vielleicht
ennianisch (s. z. 839); der Vater der Gracchen war ein berühmtes
'exemplum pietatis' (Münzer, Beitr. z. Quellenkrit. d. Plin., Berlin 1897,
326 KOMMENTAR
326); seine Kriegstaten feierte ein Elogium auf dem Augustusforum
(CIL 1^ p. 195). — 842 f. geminos, duo fulmina ielli, Scipiadas. Über
die Wortstellung s. z. 7f. — fulmina helU Scipiadas wohl unmittelbar
aus Ennius, nicht erst durch Lucrez' Nachahmung III 1034 Scipiadas
belli fulmen vermittelt: so ist auch Romulidae Lucr. IV 683 = Verg. a.
Vni 638 ennianisch, wie die Zusammenhänge daselbst (und die Parodie
des Persius 1, 31) lehren. Von dem jüngeren Africanus sagte, wie aus
Horaz s. II 1, 72 geschlossen werden darf, nach Ennius' Vorgang Lucilius
Scipiadae virius. Ennius hat also auch den Römern ihre 'Barkas'
(Kepauvoi, jnax^c TTpricrrfipec) geben wollen: daß dies seine Intention
war, zeigt der Enniusleser Silius XV 664, wo er den Ausdruck von
einem Barkiden gebraucht: fulmen suhitum Carthaginis Hannibal. Zu
der gewaltsamen Bildung Scipiadae wurde Ennius gezwungen, weil der
Name im nom. (voc.) sg. für ihn nur mit einer Licenz (a. 321 Scipio
invicte), in obliquen Casus und nom. acc. pl. überhaupt unbrauchbar
war (vergl. Köne 36. 120f.); erst für Ovid (a. a. III 410), dann be-
sonders für Silius ist Scipio vor Konsonant als Daktylus im nom. (voc).
sg. verwertbar geworden. Auch das bei Varro sat. 407 überlieferte
Prusiades trägt ennianischen Typus (vergl. Bücheier im index p. 247),
während Juvenal 10, 162 mit Bithynus . . . tyrannus umschreibt. Nach
Ennius' Vorgang hat Lucrez Memmiadae = Memmio gewagt (dann Val.
Place. VI 107 Caspiadae = Caspii). — Auch die bei Vergil folgende
Metapher cladem Lihyae (von den Scipionen) muß durch einen ver-
wandten Ausdruck des Ennius beeinflußt sein, denn bei Lucrez 1. c. folgt
Carthaginis horror (von den Scipionen), und Cicero parad. 12 nennt zwei
Scipionen (Cn., P.) kühn duo propugnacida belli Punid und braucht
clades in dieser Weise de prov. cons. 13 has duplices miliium clades
(vergl. öXeGpoc). Die Sprache zwang Vergil, Libyae zu sagen statt
Äfricae, was von den beiden 'Africani' ungleich wirksamer gewesen
wäre; Horaz kennt diesen Zwang in den lyrischen Maßen nicht und
kann daher, wo er von den Scipionen spricht, bedeutend stärkere Wirkung
erzielen. So hat Vergil neben einmaligem Äfrica im nom. (IV 37 Africa
terra triumphis mit Eeminiscenz an Ennius a. 311) 15 mal Libyae (gen.,
dat.), und umschreibt Africanus 14 mal durch Libycus, 2 mal (V 37.
VIII 368) durch Libystis (dieses aus hellenistischer Poesie), vergl. auch
Servius zu I 577. — 845 qu^ fessum rapitis, Fabii? tun Maximus ille
es, I unus qui nobis cunctando restituis rem? Die anapästischen Worte
rapitis Fabii (s. z. 290) in wirkungsvollem Gegensatz zu den das cunctari
malenden Spondeen. — tUrn P, ^m MR, mit analogem Schwanken 852
Jta&e P hae MR: an beiden Stellen nimmt Ribbeck die gewähltere La.
von P^ auf, wohl mit Recht (auf haec nom. plur. fem. führt die gute
Überlieferung Vergils auch sonst, vergl. Neue, Formenl. 11^ 417). Die
übrigen Fälle der Apokope in -ne vor Konsonant kommen nur in späten
Büchern vor (je Imal in III, 3 mal in XII: PyrrJiin conubia, tanton me,
tanton placmt, mortalin decmt, talin possum), fast stets mit Schwankungen
der Hss. ^Da Ennius dieses ttoiGoc der gesprochenen Rede aus seinen
Tragödien und Komödien, in denen es öfters überliefert ist, auch in das
Epos herübernahm (a. 370 satin vates), so mag seine Verwendung in
vorliegendem Vers dazu bestimmt sein, dem Enniuszitat des folgenden
VERS 842— 847 ff. 327
Verses zu präludieren. Das gilt wohl auch von dem Versschlaß iJle es
mit seiner ganz singulären Aphaeresis: er bereitet gewissermaßen vor
auf den der archaischen Praxis entsprechenden Schluß des folgenden
Verses restifuis rem, also dem direkten Enniuszitat. Von dem Vers
unus qui nobis cnnctando restituis rem sagt Servius aus einer gegen den
Vorwurf des 'furtum' polemisierenden Quelle richtig: sciens quasi pro
exemplo hu/tic versum posuit: in wörtlichen oder fast wörtlichen Zitaten
ganzer Enniusverse sind ihm außer Lucrez auch die beiden Varro vor-
angegangen (Varr. At. bei Serv. aen. X 396; Varr. sat. 103. 542) und
Ovid m. XIV 814 = f. II 487 gefolgt (vergl. auch R. Ehwald, Progr.
Gotha 1892, 12). Das in MP überlieferte Präsens restituis hebt das
Ethos und steht im Klang dem ennianischen ristitmi näher; in R ist
restitucs überliefert, was u. a. Bentleys Beifall fand, aber wohl den
anderen Futura dieser Partie angeglichen ist, wenn es nicht bloß eine
rein lautliche Variante zu restituis ist: denn Schwankungen zwischen t
und e sind in unseren Vergilhss. ganz gewöhnlich (vergl. Schuchardt,
Gramm, d. Vulgärlat. II 46 ff.). Das Zitat eines der berühmtesten Ennius-
verse schließt wirkungsvoll die ganze, von ennianischem Geist getragene
Aufzählung der republikanischen Helden ab und leitet zu dem folgenden
über: das letzte Wort gilt der res publica, d. h. dem Römertum; es folgt
das Hellenentum.
7. Epilog 847 — 53. In diesen Versen fand der Gegensatz der
beiden, jeder in ihrer Eigenart großen und vereint dem Ziel einer Welt-
kultur zustrebenden Nationen monumentalen Ausdruck: der Dichter
spricht, über die Situation hinausgreifend, zu seinem Volke: 851 Romane.
Es ist die vornehmste Formulierung der Wahrheit, die Cicero de or.
III 137 in die Worte kleidet: ut virtutis a nostris sie dodrinae ah
Ulis (Graecis) exempla petenda sunt. Aber auch hier hat der Dichter
das edle Pathos, von dem diese Verse getragen sind, konventionell stili-
siert. Es ist ein — in die Form der CTuTKpi(TiC eingekleidetes — i^^Y.^-
)Liiov TTÖXeuJV, speziell 'Puj)lit]c, wie wir es von Aristides in Prosa,
von Claudian (24, 130 ff.) und Rutilius Namat. (I 4 7 ff.) in Versen haben.
Daß auch Vergil nach einem rhetorischen Schema gearbeitet hat {est
rhetoricus locus Serv.), ergibt sich aus dem Kapitel des sog. Menander
TTuJc bei otTTÖ eTTiTTiberjffeujv xäc TröXeic dTKUJ)iiidZ;eiv (m 359 ff. Sp.).
Danach zerfallen die eiTiTTibeiJaeic l) in solche Karct rdc eTriarriiLiac,
nämlich Astronomie und Geometrie, Musik, Literatur, Philosophie: davon
nennt Vergil 849 f. die erste, 2) in solche Kaici xdc rexvac, deren voll-
ständige Aufzählung durch eine Lücke im Text des Rhetors verloren ist,
doch finden sich noch erwähnt Bildhauerkunst, Malerei, Medizin, deren
erste Vergil 847 f. nennt, 3) in solche KttTCt xdc buvdjueic, nämlich
Rhetorik und Fechtkunst, deren erstere Vergil 849 nennt. Vergil hat
also aus jedem fevoc eTTiTtibeuffeuiv ein elboc ausgewählt. Der Ärger
humanistischer Interpreten, daß Vergil, das eine Auge der römischen
Eloquenz, hier Cicero, das zweite, zu Gunsten der Griechen verleugne,
macht uns lächeln, zumal doch Cicero selbst in seiner famosen crOfKpKTic
zu Beginn der Tusculanen von der lateinischen Eloquenz nichts Höheres
zu sagen wagt, als daß sie der griechischen 'nur um weniges oder um
nichts nachstehe'. Vergl. Ps. Menander 369: man solle ein Volk loben
328 KOMMENTAR
ei Trepi Xoyouc ^x^i i^c tö '6XXriviKÖv, eiie vö|ui)uov u)c Tct MtaXiKov.
— Es folgt im Gegensatz zum ßioc GeouprjTiKÖc der Hellenen der ßioc
TTpaKTiKÖc der Römer. Die drei Verse auf Eom 851 — 53 enthalten
das, was Aristides 1. c. weitläufig ausführt: l) Tic regere populos me-
mento: Aristides bemerkt § 40 ff., daß die Fähigkeit des apxeiv den
Griechen gefehlt habe und eine 'Erfindung' der Römer sei (vergl. z. B.
51 oÖTTUJ TTpö u|uu)v fjv TO äpxciv cibevai* ei fap HV, ev toTc "GXXr)-
(Jiv fjv dv, Ol TiXeicTTOV brjiTOu tüuv fc ctXXiuv aocpia birjveTKav dXXd
Ktti toOto uiLieiepov eaiiv eüpriiua); eine Texvr) nennt er das § 58 wie
Vergil eine ars. — 2) Pacique imponere morem, so unsere Hss. und der
z. 105 zitierte Cento (saec. IV) 440; pacis — morem Servius, was er
leges paces erklärt. Aber die Richtigkeit unserer XJberlieferung wird durch
Aristides 92 ff. garantiert: dort spricht er von den Segnungen der Ord-
nung und Sitte, die nun, da der Friede gesichert sei (vergl. 70ff.), im
ganzen Reiche herrschten. Was Vergü mos nennt, ist dem Griechen KÖC-
|uoc und xdHic: 97 TräcTa r\ oiKOuiaevTi elc KÖö")aov TexpaiTTai, 101
biaixri Kai xdHei irdvxa fmepouffavxec 103 trpö juev xf^c ujLiexepac
dpxfjc dvou Kai Kdxuu (JuvexexdpaKxo (xd TrpdYiuaxa) Kai eiKf] ecpepexo'
emcrxdvxuuv be ij|uu)v xapaxal Kai (Txdaeic eXriHav, xdHic be rrdv-
xuüv Kai cpujc Xa|Li7Tpöv eicrnXGe ßiou Kai TroXixeiac, vöjaoi be eHe-
(pdvTicrav Kai 6eu)V ßu))Lioi tticTxiv eXaßov. Diese Segnungen friedlicher
Gesittung brachte der zerfahrenen Welt die Kaiserzeit, vor allem Augustus
selbst, den griechische Inschriften deshalb preisen, so die von Priene
(Ath. Mitt. XXIV 1899, 288 ff.) z. B. xöv leßaaxöv, ov eic euepTeffiav
dvGpiuTnüv ^TtXripujcrev dpexfic {f\ TTpövoia), ujcTTrep fiiuiv Kai xoic )ue9'
fiiadc atuxfipa Tiejuipacya xöv Trauöavxa )aev TTÖXe)Liov, KOcr|Lir|-
(Tavxa be -rrdvxa, und bald nachher Philo leg. ad Gaium 21, z. B.
ouxoc 6 xfiv dxaHiav eic xdHiv dTaTuuv, 6 eipTivo(puXaH. Wenn
also schon Cicero Tusc. 1. c. 2 den Griechen entgegenhalten konnte:
mores nos profecto melius tuemur, wie viel wahrer Vergil; erlebte er
doch die soziale Tätigkeit des Augustus, die auch Horaz — ebenfalls
mit Seitenblicken auf die Griechen — preist (III 6 und 24). An
Augustus denkt also auch Vergil, wie er in gleichem Sinne I 264 den
Jupiter von Aeneas, dem in die Vergangenheit projizierten Ebenbild des
Augustus, prophezeien läßt: mores viris ponet. — 3) Parcere suhiectis
et dehellare superhos. Auch diesen xötroc hat Aristides § 96: 'in der
Herrschaft über die unterworfenen Völker laßt ihr Schonung ((peibiü) walten,
bei den Barbaren, die wie unbändige Pferde oft wider den Stachel löken,
zieht ihr die Zügel straffer an', oder, wie er es an einer früheren Stelle
formuliert (§ 66): 'bei den Römern vereinigen sich Kpdxoc dpxfic mit
qpiXavGpuüTTia' (ähnlich Menander p. 374). Als politische Maxime muß
dieser Grundsatz in der jungstoischen Staatsmoral aufgestellt worden
sein, da ihn Cicero de off. I 34 f., sicher mit Benutzung einer griechischen
Quelle, unter den iura belli behandelt. Nun aber haben die Römer diese
Maxime ihrer Politik zugrunde gelegt, längst bevor die Philosophie auf
ihr Tun und Lassen Einfluß erhielt. Also ist die Theorie der jüngeren
Stoiker, die ja überhaupt im römischen Staat wurzelte, aus der realen
Praxis der römischen Politik abgeleitet worden und hat dann, wie bei
der Wechselwirkung von Philosophie und Rhetorik begreiflich ist, in
VERS 847 £F. 329
der schulmäßigen Behandlung politischer Themata einen festen Platz
erhalten. Längst vor Aristides hat Livius XXX 42, 17 den Gedanken,
pop. B. plus paene parcendo viciis quam vincendo Imperium auxisse
bereits als einen festen und, wie bei Vergil, antithetisch zugespitzten
übernonunen; Caesar hat ihn Kelten und Germanen gegenüber praktisch
gehandhabt, Augustus ihn als Grundsatz auch ausgesprochen (mon. Anc.
c. 1 externas gentes quibus tuto ignosd potuit conservare quam excidere
malui) und die Dichter seiner Zeit schwelgen darin (Horaz c. saec. 51",
Properz n 16, 41f. m 22, 21 f., Ovid f. H 143. am. I 2, 52; diese SteUen
bei Gerda). — Fassen wir alles zusammen, so sehen wir, daß Vergil
weder als erster noch als einziger typische Gedanken in ein rhetorisches
Schema eingekleidet hat. Aber wie in dem gleichfalls nach rhetorischem
Schema gearbeiteten eYK(JU)Liiov 'liaXiac der Georgica (vergl. Servius zu
n 136 incipit laus Italiae, quam exequitur secundum praccepta rheforica),
so ist auch hier die in ihrer Kürze majestätische Diktion und das edle,
diese Verse durchdringende Gefühl ganz sein Eigentum, üai-um verdient
die Stelle die Bewunderung, die sie zu allen Zeiten gefunden hat: „Vergil
hat — sagt F. Gregorovius, Gesch. d. Stadt Rom im Mittelalter I*
(Stuttg. 1886) 8 f. — das hohe Bewußtsein von der weltbürgerlichen
monarchischen Mission der Römer in den unsterblichen Versen aus-
gesprochen tu regere etc. Dieser großartige Spruch, welcher die Natur
und die Aufgabe Roms vollkommen ausdrückt, prägte sich tisf in die
Menschheit ein; ein Abglanz von ihm ist der mittelalterliche Kaiserspruch
'Roma Caput Mundi Regit Orbis Frena Rotundi'." H. v. Treitschke
(Hist. u. pol. Aufsätze^ 105) findet in diesen Versen mit Recht „die
historische Rechtfertigung des Kaiserreichs", an dessen Begründung und
Erhaltung beide Nationen mit den ihnen von der Natur verliehenen
Gaben gearbeitet haben, der Römer real zum Segen des Staates, der
Grieche ideal zum Segen der Kultur.
Auch formell sorgt der Dichter dafür, dieser Glanzstelle das präch-
tigste Kolorit zu geben, das ihm die Rhetorik zur Verfügung stellte.
Er kleidet den ganzen Gedanken in die Form eines antithetischen Enthy-
mems (argumentum ex contrario): der Vordersatz (847 — 50) enthält das
contrarium, der Nachsatz (851 — 53) das argumentum. Die Satzglieder
sind, wie es sich für den panegyrischen Stil gehört (s. o. S. 315 und
Anhang 11 3), parallel gebaut mit gelegentlichen Homoioteleuta, und zwar
sowohl im Vordersatz: excudent spirantia aera «^ ducent vivos voltus ^»
or abunt causas ^^ describent caeli meatus ^^ dicent surgentia sidera^ als
im Nachsatz: regere imperio populos '^ imponere paci morem, parcere
subiectis <^ debellare superbos. Dazu die Alliterationen vivos — voltus,
causas melius caelique meatus (Schema ab ab), describent — surgentia si-
dera dicent (Schema abba), subiectis — superbos. Über die gewählte
Stellung der Worte excudent — orabwit — describent — dicent s. Anhang
niA2.
847 f. excudent und die folgenden Futura mit Zusammenfließen des
temporalen und modalen Elements dieser Form. — Erzarbeiten stehen
als die wertvolleren voran, vergl. Livius XXXVIII 9, 13 signa aenea
marmoreaque. Seneca ep. 85, 40 non ex ebore tantum Fhidias sciebat
facere simulacra, faciebat ex aere; si marmor Uli, si adhuc viliorem
330 KOMMENTAR
materiam öbtulisses, fcdsset quäle ex illa fieri Optimum possef. Properz
in 21, 30 nennt den Marmor überhaupt nicht. Vergil dachte bei den
'hauchenden Erzbildern' wohl an Lysipp (Prop. III 9, 9 gloria Lysippo
est anim^sa effingere signa), wie bei den 'lebenden Marmorstatuen' an
Praxiteles (Plinius n. h. XXXIV 69 d. h. Varro: Praxiteles marmore feli-
cior, ideo et clarior fuii). — credo equidem MR, cedo equidem P. Die
von Ribbeck^ aufgenommene La. von P^ ist eine falsche Reminiszenz an
II 704. XII 818; credo equidem (über die Synaloephe s. Anhang XI 2B 4)
hat das Ethos des griechischen oi|Liai juev oijuai. — vivos voltus. 'Lebens-
wahr' heißt vividus (Z^ujtiköc), z. B. Prop. II 31, 8; abgesehen davon,
daß dieses Wort im Hexameter nur im neutr. pl. zu brauchen war, wird
durch vivus im Sinn der bekannten Epigramme der Anthologie die bloße
Metapher zu sinnlicher Realität erhoben. — 849 f. caelique meatus de-
scribent radio et surgentia sidera dicent. Mit den caeli meatus (der Aus-
druck nach Lucr. I 128 vergl. V 76: soUs lunaeque meatus) meint Vergil
die Bahn der Sonne durch den Zodiacus (Henry 439 f.), wobei er be-
sonders an Eudoxos gedacht haben wird, dessen Sphaera er auch b. 3, 41
nennt (descripsit radio totum qui gentihus orbem). Daneben nennt er
Auf- (und Nieder)-gang der Gestirne (sidera dicere nach dcTTpoXoTeiv).
Beides behandelt er hintereinander g. l231flF. — 851 regere imperio =
Lucr. V 1128 an gleicher Versstelle (Forbiger); wegen des Begriffs wohl
ennianisch. — Romanus führt Cic. de or. III 168 als typisches Beispiel
der Synekdoche (ex toto pars) aus Ennius an, aus dem es auch Livius
nach seinen durch Ennius stilistisch beeinflußten Vorlagen oft bewahrt.
Wie hier Vergil seinen Vers mit Bomane memento, so schließt Horaz
s. I 4, 85 einen den epischen Stil parodierenden mit Romane caveto: also
liegt sehr wahrscheinlich ein gemeinsames ennianisches Original zugrunde
(mit memento parodiert Horaz auch s. H 4, 12. 89. 5, 52). — 852 Jiaec
tibi erunt mit ungefälliger, aber durch Enklisis gemildeter Synaloephe,
s. Anhang XI 2B 5. — 853 debellare, ein Lieblingswort des Livius, vor
der augusteischen Zeit nicht belegt (Ladewig 6).
8. Die Marceller (854 — 86 munere). Nach dem überleitenden
854 in drei Absätzen: a) Der alte Marcellus 855 — 59 (855 — 56 bi-
KU)Xov; 857 — 59 rpiKiJuXov), b) Übergang zum jungen Marcellus 860 — 66
(biKUjXov, das zweite mit drei KÖ)Li)LiaTa; TeTpdKOuXov, dessen KUJXa mit
den Versen zusammenfallen, das zweite und dritte mit je zwei KÖjUjuaTa),
c) Der junge Marcellus 867—86 (867 juovökujXov; 868—71 TpiKiuXov,
das zweite und dritte mit je zwei KÖjajiaTa; 872 — 74 TpiKUuXov; 875 — 77
biKuuXov; 878^81 xpiKuuXov, das erste mit drei, das dritte mit zwei
KÖ^jLiaTa; 882—83 TpiKiuXov; 883—86 TerpdKuuXov).
Gewöhnlich wird angenommen, daß die nun folgende Episode von
Vergil erst nachträglich hinzugefügt sei, als der Tod des Marcellus (Herbst
23) ihn veranlaßt habe, diese breves et inf austos p. R. amores (Tac. a.
II 41) und sein Geschlecht zu verherrlichen. Das kann aus folgenden
Gründen nicht für wahrscheinlich gelten, l) Das einzige Argument dieser
Kombination, die äußerliche Abtrennung der Episode von dem Vorher-
gehenden, ist nicht zwingend (vergl. darüber auch Cima 1. c. [o. S. 308]
11 f.): Vergil konnte mit gutem Grund diese in einen XÖYOC eirixacpioc
mündende Episode, in der das threnetische Element überwiegt, von der
VERS 849—857. 331
vorhergehenden, auf einen enkomi astischen Ton gestimmten Partie ab-
trennen. Auch Donatus der, weil ihm die rhetorische Praxis noch ge-
läufig war, grade in solchen Dingen Gehör verdient (s. o. S. 306), führt
als Grund für die Absonderung rhetorische oiKOVO)Liia an. 2) Wie die
rhetorischen Geschichtsschreiber ihre Bücher gern mit der Schilderung
des Todes einer Hauptperson schließen, so liebt auch Vergil ein der-
artiges tragisches Finale: II Tod der Creusa, m des Anchises, lY der
Dido, V des Palinurus, XI des Mezentius, XTT des Turnus. Servius, der
das zu m 718 notiert, fügt richtig hinzu: in sexto MarcelU citum deflet
interitum. 3) Die Familie der Marcelli zu nennen, war vermutlich von
vornherein Absicht Vergils, da auch Cicero (in Pis. 58. de off. I 61)
und Horaz (c. I 12, 45) ihrer in ähnlichen Aufzählungen gedenken. 4) Im
Vorhergehenden sind die beiden ersten, die die opima spoUa erbeuteten,
genannt (Romulus, Cossus); daß also auch den dritten und letzten in der
Reihe (855 spoliis Marcellus opimis, 859 tertia arma), den alten Marcellus,
eine Heldengestalt älterer Poesie, zu nennen von Anfang an beabsichtigt
war, ist um so wahrscheinlicher, als man sich für diese seine Tat grade
zu Vergils Zeit besonders interessierte (s. u. z. 859). Aus diesen Gründen
muß als wahrscheinlich gelten, daß die Absonderung dieser Episode von
vornherein geplant war, d. h. also, daß die ganze 'Heldenschau' erst
nach Marcellus' Tod verfaßt worden ist (vergl. Rh. Mus. LIV 1899, 471, 1).
856 ff. Hier, wo die durch 847 ff. unterbrochene historische Partie
fortgesetzt wird, tritt sofort wieder ennianische )UI|lit](Jic ein. Vidorque
viros mit ennianischem Kolorit, da Ennius victor und vincere oft, vir
einmal in alliterierenden Verbindungen hat. — rem Bomanam Ennius
a. 455 an gleicher Versstelle (Gerda). — Mit turmUtu schließen Ennius
selbst (a. 311) und Lucrez IH 834 (vergl. V 1336) einen von ihm sicher
nach ennianischem Vorbild gedichteten Vers (das beweist Lucrez' Über-
einstimmung mit einem Gedanken des Livius), und zwar steht es bei
beiden, wie bei Vergil (turbante tumultu), in alliterierender Verbindung
(terra tumultu Enn., trepido — tumultu Lucr.); vermutlich hat daher Ennius,
wie Vergil hier, das Wort auch grade vom tumidtus GalUcus gebraucht,
für den es ja typisch war (Cic. Phil. 8, l). — Auch sistet darf in der
Verbindung rem Bomanam sistere für die alte Sprache in Anspruch ge-
nommen werden, da in dem (von Conington zitierten) Edikt des Augustus
bei Sueton 28 ita m'üii salvam ac sospitem rem p. sistere in sua sede
liceat Wortwahl und Alliteration deutliche Nachahmung der alten Sprache
verrät. — Dagegen ist supereminere vor Vergil nicht nachweisbar (bei
ihm noch I 501 deas supereminet onmis X 765 umero s. undas). Ähn-
liche mehr oder weniger feste Komposita mit super-, die Vergil teils
überhaupt allein, teils als erster hat, sind super imminere, s. occupare,
supervolare (ein Wort: Phaedrus f. 126, 9 süpervolans am Versschluß),
s. völitare. Statins s. HI 2, 47 supernatet umdas empfand dies Kompo-
situm einheitlich, denn ein Versschluß von der Art super natat undas
(u _ I u u I _ w) würde der Praxis wenigstens der Silven (3321 Hexa-
meter) widersprechen (die Thebais und Achilleis habe ich darauf nicht
geprüft). — 857 f. hie rem Bomanam magno turbante tumultu \ sistet
eques, sternet Poenos Gallumque rebeUem. Die meisten Editoren inter-
pungieren nach sistet. Aber die Verbindung sistet eques ist zunächst die
332 KOMMENTAR
sachlich wahrscheinlichere. Denn die Eeiterei hat, wie Conington be-
merkt, bei Nola nur Hilfsdienste geleistet (Liv. XXIII 16), während bei
Clastidium ein Eeitergefecht stattfand, das grade als solches unvergeß-
lich blieb (Plut. Marc. 7). Dies sachliche Moment wird durch zwei for-
male bestätigt, l) Die markanten Caesuren des Verses (ebenso 856)
würden durch die Interpunktion nach dem ersten Trochaeus nicht mit
gleicher Stärke hervortreten. 2) Diese Interpunktion ist überhaupt recht
unbeliebt, s. Anhang II 4. Richtig ist daher in unseren Hss. FMP nach
eques interpungiert; für M notiert es Ribbeck, für P Henry 445, für F
liegt das Facsimile vor; nur für die vierte der hier vorhandenen alten
Hss., den cod. R, fehlt eine Nachricht. — rcbellis ist wohl zuerst hier
überliefert, doch ist rebelUo älter belegt. Es heißt ganz eigentlich 'den
Krieg erneuernd' wie XII 185 f. nee post arma ulla rebelles \ Aeneadae
referent. Auch Properz IV 10, 39 ff. denkt sich den Krieg des J. 222
V. Chr. als Erneuerung des ersten Gallierkrieges (vergl. Rothstein), ebenso
Süius V 10 7 ff.
859 terüaque arma patri suspendet capta Quirino. An diesen Vers
knüpfte sich ein Ir|Tr|)Lia wegen der singulären Tradition, daß Marcellus
die opima spolia dem Quirinus, und nicht dem Jupiter Feretrius dar-
gebracht habe. Keine der alten und modernen XuCTeic befriedigt, aber
eine der von Servius erwähnten führt auf den richtigen Weg (die sach-
lichen Irrtümer, die er in das Liviuszitat, wie wir sehen werden, hinein-
trug, setze ich in Klammem): possumus et, quod est melius, secundwm
legem Numae hunc locum accipere qui praecepit prima opima spolia lovi
Feretrio debere suspendi (quod iam Bomulus fecerat), secunda Marti
(quod Cossus fecit), tertia Quirino (quod fecit Marcellus) . . . Varie de
hoc loco tractant commentatores Numae legis immemores, cuius facit men-
tionem et Livius. Da Livius weder bei Romulus (I 10) noch bei Cossus
(IV 19 f.) von dieser lex Numae spricht, so muß er es im XX. Buch
getan haben, da er in diesem über die Erbeutung der opima spoUa
durch Marcellus handelte (periocha 1. XX: M. Claudius Marcellus cos.
ocdso G-allorum Insubrium duce Viridomaro opima spolia retulit). Das
bestätigt der von Livius abhängige Plutarch Marc. 8. Nachdem er be-
richtet hat, daß Marcellus die Spolien wie Romulus und Cossus dem
Jupiter Feretrius dargebracht habe, fährt er fort: „Freilich soll Numa
in seinen Memoiren von ersten, zweiten und dritten Spolien sprechen
und befehlen, die ersten dem Jupiter Feretrius, die zweiten dem Mars,
die dritten dem Quirinus zu weihen, worauf Prämien von 300, 200,
100 Aß ständen. Meist versteht man aber unter 'opima spolia' nur die-
jenigen, die der Feldherr in der Schlacht zuerst von dem feindlichen
Feldherrn erbeutete." Aus einem z. T. zerstörten Bericht des Festus 189
ergibt sich sicher, daß auch Varro den Begriff behandelte: er berief sich
zum Beweis dafür, daß die opima spolia auch von gemeinen Soldaten
erbeutet werden könnten und nicht bloß dem Jupiter Feretrius dar-
gebracht würden, auf die Pontifikalbücher, in denen über erste, zweite
und dritte Spolien Vorschriften gegeben waren analog denen, die Plutarch
nennt. Aus diesen Zeugnissen ergibt sich mithin folgendes. Nach der
gewöhnlichen Vorstellung konnte nur derjenige römische Feldherr, der
in offener Schlacht den feindlichen Feldherrn getötet und der Rüstung
VEES 859—865. 333
beraubt hatte, auf die Ehre der opima spolia Anspruch erheben, die
dann im Tempel des Jupiter Feretrius aufgehängt wurden; dieser Ehre
waren nur Eomulus, Cossus und Marcellus teilhaftig geworden. Nach
einer anderen Tradition, die auf ein Gesetz des Numa zurückgeführt
wurde, war die Ehre nicht in diese engen Grenzen eingeschlossen, sondern
die drei ersten Soldaten, die je einen Feind spoliierten, brachten die drei
Spolien der Reihe nach dem Jupiter Feretrius, dem Mars und dem Qui-
rinus dar. Dieses sog. Gesetz des Numa, das die aus dem Verzeichnis
der feriae publicae, der ältesten römischen Urkunde, bekannte Göttertriaa
Jupiter, Mars, Quirinus nennt — vergl. Wissowa, Religion und Kultus
der Römer 16 ff. — , ist gewiß viel älter als die Legende, nach der
Romulus die ersten Spolien gewann; die ausschließliche Darbringung der
vom Feldherm dem Feldherm abgenommenen Spolien an Jupiter Fere-
trius war also vermutlich eine Beschränkimg des älteren, weitergehenden
Brauchs. Die Kontamination beider Versionen hat nun zu der Fassung
geführt, daß Marcellus als dritter dem Quirin\is die Spolien dargebracht
habe. Diese Fassung hat Vergil und sie erklärt der Gewährsmann des
Servius, indem er zwar die Vorstellung, die Vergü sich machte, richtig
deutet, aber sachlich ebenso irrt, wie Vergil selbst. Da nun Livius, wie
Plutarch trotz seiner Kürzung beweist, über beide Versionen genau ge-
handelt haben muß, so ist zu vermuten, daß er dadurch der über diese
Sache herrschenden Verwirrung entgegentreten wollte: aus der anna-
listischen Überlieferung also, gegen die Livius polemisierte, wird Vergil
die falsche Tradition entnommen haben. Properz IV 10 behandelt das
Thema in der gewöhnlichen Fassung und zeigt, wie beliebt es in
augusteischer Zeit war. — pairi . . . Quirino mit ennianischem Kolorit
(a. 121 Qumne pater).
860ff. Die Spondeen in 860 kündigen das schuermütige Ethos der
nun folgenden Episode wirkungsvoll an. — atque hie s. z. Iß2. — unä
namque: über die Inversion der Partikel s. Anhang in B 3. — 861 egre-
gius *sicK aus der Masse (vergl. 706. 865) heraushebend', eEaipexoc. —
865 Über das Schwanken der Hss. zwischen qui strepitus und quis str.
s. z. 561. — Das in unserer Überlieferung erst seit Cicero auftretende
circa kommt als Adverb wohl nm- noch VII 535 vor, hier wie dort zur
Vermeidung des gleichen Auslauts (circa comitum, virum circa), wie bei
Properz IV 6, 6 focum circa und Ovid a. a. HU 274 augustum circa:
vergl. Wölfflin, Arch. f Lex. V 294, VH 302; als Präposition hat Vergü
drca wohl nur g. 111146. IV75. — quantum instar in ipso. Instar,
ein Wort, über das Probus z. d. St. handelte (Servius), bedeutet (vergl.
Henry 448 f, Wölfflin, Arch. f. lat. Lex. 11 1885, 581 ff.) zunächst das
'Stehen' (instar e) der Wagschalen beim Gleichgewicht, und wird daher
bis auf Horaz nur von Größenverhältnissen gebraucht (Vergil a. 11 15
instar montis equum aedificant u. ö.); Horaz hat es zuerst zur Bezeich-
nung der Wesensgleichheit (IV 5, 6 instar veris). Demgemäß wird es
regulär mit dem Genitiv desjenigen Begriffs verbunden, der dem andren
das Gleichgewicht hält. Dieser Kasus wird hier ungewöhnlich durch ein
pronominales Attribut (quantum) vertreten, wodurch quantum instar in
formale Parallele (s. Anhang 11 3) zu dem vorausgehenden qui strepitus
tritt. Die Vorstellung ist echt römisch: 'quantum in eo inest ponderis
334 KOMMENTAR
atque amplitudinis ' würde man die Worte paraphrasieren (schwacli Silius
VIII 406 indole, pro, quanta iuvcnis)] Livius III 12, 6 sagt mit einem
Ausdruck derselben Sphäre: iuvenis cgregius . . maximum momentum rerum
eius civitatis; griecliisch würde es mit verwandter Metapher dHiuj)uia heißen.
— 866 nox atra caput tristi circumvolat umhra: nach älterem Vor-
bild wegen der Übereinstimmung mit Horaz s. II 1, 58 (vergl. über die
Art dieses Schlusses o. S. 324): mors atris circumvolat umbris Csc. me).
Das Bild ist griechischer Poesie geläufig, vergl. A. P. VII 713 (Anti-
patros) 3 f. jaeXaivric vuktöc iittö cfKiepfj KCüXuexai irrepuYi (den Schluß
dieses Epigramms übersetzte Lucrez IV 181 f.); Nox . . volahit hat schon
Ennius a. 416. — 867 lacrimis ingressus obortis: vergl. III 492 lacri-
mis adfabar obortis XI 41 lacrimis ita fatus obortis. Da lacrimae obortae
auch Livius I 58, 7 hat, darf die Phrase mit Stacey 1. c. (zu 99) 43 f.
als ennianisch bezeichnet werden. Absolut gebrauchtes ingredi ("sc. dicere)
scheint dagegen vor Vergil (auch IV 107) nicht nachweisbar.
868 ff. 'GtriKribeiov MapKeXXou. Augustus hat seinem geliebten
Neffen und Schwiegersohn die Grabrede gehalten: Dio Cass. LIII 30
auTÖv 6 AutoucTtoc örmoffia xe ^Gavjjev eiraivecJac uKJTrep eiGicJTO Kai
ec TÖ |iivr||ueTov o ibKobojaeiTO KaieöeTO. Daß Vergil diese Rede kannte,
ist anzunehmen; ob er Gedanken aus ihr verwertete (wie der Verfasser
der consolatio ad Liviam aus der von Augustus auf Drusus gehaltenen:
vergl. Vers 211 f.), wissen wir nicht, aber die typischen Züge des XÖYOC
dTriTdq)ioc waren für ihn wie für Augustus verbindlich. So hatte Augustus
in jener Rede den berühmten Ahn des jungen Marcellus aus dem hanni-
balischen Krieg gepriesen (Plut. Marc. 30, comp. Pelop. et Marc. 1), ein
tÖttoc, den Vergil in den vorhergehenden Versen 855 ff. verselbständigt
hat; so hatte Augustus ferner die immatura m^rs des Jünglings beklagt
(schol. Dan. zu aen. I 712), ein tottoc, den Vergil 869 f. bringt. Das
vorliegende epicedion ist das älteste uns bekannte, das nach den Vor-
schriften der rhetorischen Texvrj gearbeitet ist, denn die etwas älteren
Oden des Horaz (I 24. II 9) sind von der Rhetorik noch wenig be-
einflußt und bewegen sich mehr in einem Stile, den wir für die pinda-
rischen Gpfivoi voraussetzen dürfen (vergl. Vollmer, Statius silvae p. 31 6 f.).
Für die Analyse werden wir am besten wieder wie oben (S. 327), das
Schema des sog. Menandros zugrunde legen vmd gelegentlich die nach
der Texvri gearbeitete Rede des Aristides auf Eteoneus (31) sowie
metrische Grabinschriften heranziehen, die seit früher Zeit mit den pro-
saischen XÖYOi eiTiTdcpioi in Wechselwirkung standen, l) 868 — 71 Die
Götter und das Schicksal werden ihn der Erde nicht lange gönnen,
vergl. Menand. III 435, 9 Sp. XP^ ev toutoic toTc Xötoic euöuc axeiXid-
leiv €V dpx^ irpöc bai|uovac xai irpöc ^oTpav döiKOV. Dieser tottoc
über den ßdffKavoc baijuiuv, die di invidi, die invida fati lex ist auf
den Grabschriften stehend, vergl. 345. 348. 569. 579 Kaibel, 54. 59. 69.
386. 596 Bücheier; s. auch E. Schwartz, Coniectanea (Rostock 1889) lOf.
In den Worten ' das Geschick wird ihn der Erde bloß zeigen ' liegt der Ge-
danke, daß die Götter ihn als einen der Ihrigen wieder zu sich genommen
haben: TToXiTeuexai /aerd GeOüV Menand. 421, 16. — 2) 872 — 74 Das
große Gefolge beim Leichenbegängnis: Menand. 436, 11 eixa bittYpdipeic
jfiv eK(popdv, xfiv Cuvobov xfic TTÖXeuuc, vergl. carm. epigr. 69. 379.
VERS 867— 868 ff. 336
422 Buch. Auch die besondere Einkleidung, die diesem locus commimis
hier gegeben wird (die Klagerufe auf dem Marsfeld und die Personifikation
des am Grabe vorbeifließenden Tiberstroms), scheint konventionell zu sein,
da sie sich ganz ähnlich bei dem Verfasser der consolatio ad Liviam
21 7 ff. findet und zwar in einer Art, die eine Abhängigkeit von vor-
liegender Stelle sehr unwahrscheinlich macht, wie überhaupt der Einfluß
der Aeneis auf dieses Gedicht noch sehr gering ist. — 3) 875 — 77 Die
Hoffnungen, die Staat und Familie auf ihn gesetzt haben. Der Gedanke,
ÖTi jaetdXac Trapeax^v idc eXiribac war typisch für den Epitaphios
auf einen Knaben (^puer sagt Vergil 875. 82 von dem schon Zwanzig-
jährigen, vergl. Cic. de leg. Man. 90. Catull 12, 9), von dem es keine
oder wenig * facta' zu loben gab; so erwähnt diesen tÖttoc z. B. Menand.
420, 2 KpeiTTOuc eixov ev toutuj xdc eXTiibac oi Tpeqpovrec 436, 5 oioc
dv Trepi xfjv ttöXiv dYevexo, oiov dv rrapeaxev eauiöv eic q)iXoTi|iiav.
Servius zu 875 rhetorice spem laudat in puero, quia facta nmi invenit
est autem Ciceronis in diälogo Fannio (?) ' causa difficills laudare puerum,
non enim res laudanda sed spes est'. Vergl. carm. epigr. 422. 1232,
Aristides 1. c. 1. 11, und andere Beispiele bei Leo zum Culex p. "23. Den
Gedanken kleidet Vergil in die Form einer auYKpKTic (nee Romula quon-
dam I ullo se tantum tellus iactabit alumno), die wie in jedem elöoc des
Ycvoc TTavTiT^piKÖv auch für den Epitaphios typisch war (Menand.
420, 31ff.). — 4) 878—81 a) Seine (pu(Tic: Menand. 420,12 le^eTc
be TTiv 9\jcriv bixa, ei'c xe tö toö cru))iiaTOc KdXXoc, ö-rrep rrpujTOv ^peTc
(diesen, wie aus Pindar 0. 9, 65. 94. J. 6 [7], 22 zu erschließen, in frühe
Zeit zurückgehenden töttoc hatte Vergil 861 mit egregium forma iuvenem
vorausgenommen), eic le jr\v Tf\c MJUxflC euqpuiav, z. B. ÖTi bkaiov
irapeixev eauxöv, qpiXdvöpuuTrov, o^iXtitiköv, fiiaepov: dafür setzt Vergil
die spezifisch römischen Tugenden: pietas und ßdes. Marcellus' pietas —
über den Begriff s. M. Haupt bei Beiger 149 — rühmt Properz HI 18, 14
wie in gleichem Zusammenhang die des Drusus der Verfasser der con-
solatio ad Liviam 84. b) Seine TrpdHeic: Menand. 420, 19 tö be yii'^iö-
Tov KeqjdXaiov tujv efKUJiaiacrTiKiJUV eicTiv ai rrpaEeic. Hierüber war
wenig zu sagen (s. o.), das Wenige wird hier gesagt, soweit es für die
Situation brauchbar war (daher fehlen die berühmten Spiele, die er als
Aedil in seinem Todesjahr 23 gab): Tapferkeit als pedes und eques, die
Marcellus, wenigstens nach einem Epigramm seines Lehrers Krinagoras
(A. P. VI 161), im kantabrischen Krieg (27/6 v. Chr.) wirklich bewiesen
hätte. Das Alter auch dieses töttoc zeigt wieder Pindar P. 2, 64 ff.
(pajLii Ktti ae Tdv dtreipova böHav eupeiv Td )li^v ev iTTTrofföaKyiv dv-
bpeam juapvdinevov Td b' ev iretoiadxoicri. Zur Zeit des Augustus galt
Tüchtigkeit im Reiten besonders viel (Neue Jahrb. f. d. klass. Altert. 1901,
263, l): wohl deshalb wird dies in einem eignen Vers (881) besonders
hervorgehoben. Wenn der Ehetor hinzufügt ouK dqpeEri be toö Kai ev
^KdcJTr) TTpdHei Gpfivov direiaßaXeTv , so entspricht dem bei Vergü heu.
— 5) 882 f. Threnos: Menand. 421, 10 em toutoic iraXiv Ke9dXaiov
Gricreic töv Gpfivov . . . oTktov kivOuv (miserande 882^. — 6) 883 — 86
Ehrungen: Menand. 421, 32 eiTa eTraiveffeic tö Yevoc ÖTi ouk ^iue'Xriaav
Tfic Krjbeiicreujc oube ttic KaTacXKeufic toö jiivrmaTOC (den tumulus hatte
Vergil schon 874 erwähnt). Diesen locus communis paßt Vergil in
336 KOMMENTAR
eigentümliclier Art der Situation an. Statt nämlicli den Anchises sagen
zu lassen, 'ihm werden Blumen aufs Grab gestreut werden', läßt er ihn
diesen Liebesdienst schon jetzt im voraus selbst vollziehen. Da das
Motiv hier doch recht gezwungen ist, so wird es nicht Vergils Erfindung
sein: tatsächlich scheint die Bewillkommnung eines hohen Toten durch
Blumenspenden seitens der Seligen des Elysiums in hellenistischer Poesie
üblich gewesen zu sein, wie aus der Einkleidung, die Statius s. V 1, 255ff.
dem Motiv gibt, wohl geschlossen werden darf: die Heroinen werden der
Priscilla entgegenkommen serfaque et Elysios animae praesternere flores
(vergl. ib. V 3, 285).
Die Form ist also, wie die des Panegyi'icus auf Augustus (791 if.),
durchaus konventionell, ohne daß durch diese Stilisierung die Wärme
und Wahrheit des Gefühls besondere Einbuße erlitte: die Kunst des
Dichters weiß auch Gemeinplätze zu adeln (das zeigt selbst eines Pindars
Praxis), und so steht Vergils epicedion ungleich höher, als das bei
gleichem Anlaß verfaßte Dutzendgedicht des Properz III 18. So hat der
eine schwermütige Vers ostendent terris etc. den ernsten Sinn des Tacitus,
der öfters auf ihn anspielt, mächtig gepackt, und das Ganze hat gleich
bei der ersten Eezitation an der Wirkung auf Octavia seine Probe be-
standen (Suet. p. 62 Eeiff.).
So ist denn auch die Stilisierung einfach im Vergleich mit der
Manieriertheit des Properzgedichts. Die beiden ersten Verse mit ihren
Spondeen o gnate ingentem luctum ne quaere tuorum: | ostendent terris
hunc tantum fata bringen die Trauer wunderbar ergreifend zum Ausdruck,
und in 874 cum tumulum praeterlabere recentem ist das lange Wort von
malerischer Wirkung (s. Anhang VEE B 2a); dagegen haben 880f. seu
cum pedes irct in hostem \ seu spumantis equi f oder et calcaribus armos
dem Gedanken gemäß accelerierenden Rhythmus (s. ebenda VII B l).
Anaphern 875f. 76f. 78. 80f.; Alliterationen 869. 70f. 72. 76f. 78. 83f.;
auch die Wahl der Form gnate 868 (nur in M), die sich bei Vergil im
Vokativ nur hier findet (s. z. 116), ist wohl durch die Klangwirkung
0 gnate ingentem bedingt, wie 873 aget gemitus nebeneinander gestellt
sind. Archaische Worte und Phrasen heben das Ethos (vergl. 878 prisea
fides). So ist altertümlich feierlich 870 Romana propago: vergl. clara
propago Lucr. I 42, wohl ennianisch {Romana mit folgendem Substantiv
an dieser Versstelle bei Ennius a. 459. 527. 538). 872 Tiberine (Enn.
a. 55). 880 pedes ire steht VII 624 in ganz ennianischem Zusammen-
hang. Die Worte 872 virum (gen.), 878 pietas 879 impune hat an
gleichen Versstellen Ennius a. 394. 8. 100. Die künstliche Stellung der
Worte 872 magnam Mavortis ad urbem (zwischen ille — campus) läßt
vermuten, daß sie eine entlehnte Phrase sind (Mavortis an gleicher Vers-
stelle Eon. a. 108). 8 78 f. fides invictaque bello \ dextera, eine konventio-
nelle Verbindung (Cic. pr. Dei. 8 dextram non tarn in bellis neque in proeliis
quam in promissis et fide firmiorem), ist in der Form wohl ennianisch, da
sie X 609 f. (an gleicher Versstelle) mit einem der archaischen Poesie
entlehnten Epitheton variiert wird: vivida bello dextra (vergl. V 754
bello vivida virtus '^ Lucr. I 72 vivida vis); imvictus ist ein Lieblings-
wort des Ennius (a. 198. 321. 523), wie er auch gern mit Formen von
helkm Verse schließt (178. 230. 375). In 871 propria haec si dona
VERS 869—875. 337
fuissent läßt die sehr enge Berührung mit einem pathetischen Verse der
horazischen Satiren (11 6 , 5 propria haec milii munera faxis) hier wie
sonst (s. o. S. 324) vermuten, daß beide einem älteren Original (Ennius?)
folgen; das wird bestätigt durch das von Vergil hier gegen seine Gewohn-
heit (s. z. 394. 690 und Anhang inB2) an den Versschluß gestellte
Verbum substantivum (fuissent). Auch 8 75 f. RormUa tellus hat feier-
lichen Klang, doch können wir das Adjektiv vor den augusteischen
Dichtern nicht nachweisen: da es von Properz erst im B. III (11, 52
Bomula vinda\ von Horaz erst im carm. saec. 47 (Bomulae gentt) und
od. rV (^5, 1 Bomulae genti) gebraucht wird, so ist es möglichei*weise
erst von Vergil geprägt, um die obliquen Casus von JRomulus zu ersetzen
(demselben Zweck dient auch Quirini, Quirino: vergl. Köne 38); neu ist
auch Vm 654 Ramuleoque (culmo), was dann von Ovid u. a. aufgegriffen
wurde (vergl. Bücheier zum pervig. Ven. p. 23). Dem gleichen Zweck
der Umgehung metrisch unmöglicher Formen dient auch (vergl. Köne 63)
875 IlidCä, eine Adjektivbildung, die in griechischer Poesie selten imd
jung, in lateinischer sehr häufig ist. Auch 877 alunrno, ein sehr altes
und feierliches Wort, wurde von den Daktylikem konserviert für die
metrisch unbrauchbaren Formen von filius: da es oben 595 neben einem
Wort archaischer Prägung (omniparentis) steht, hat es vermutlich auch
Ennius so gebraucht.
869 nee ultra ME, neque ultra FP. Daß hier nee nicht bloß (was
selbstverständlich) zu sprechen, sondern auch (mit Heinsius) zu schreiben
ist, wird im Anhang XI 1 gezeigt werden. — 872 f. quantos . . . gemitus in
der eK9iJUvr|cric auch Lucr. V 1196; das spondeische Wort im 1. Fuß mit
starkem Ethos (s. Anhang VIII). — Die kühne Personifikation 'wie viele
Seufzer wird jenes Feld nach Eom senden' ist aus der Absicht zu er-
klären, den Ausdruck mit der folgenden sehr gebräuchlichen Personi-
fikation 'welch einen Leichenzug wirst du, Gott des Tiber, sehen' mög-
lichst konform zu gestalten, s. Anhang 11 3. — 8 75 f. nee puer . . . in
tantum spe tollet avos, ein künstlicher Ausdruck. Hätte das Schicksal
ihm ein langes Leben gegönnt, so würde es geheißen haben 'nee quis-
quam in tantum f actis efferet gloriam maiorum' (ein in die älteste Zeit
der Ehetorik zurückgehender TÖiTOc: Pindar P. 8, 35 ff.). So heißt es von
dem Scipio, der es bis zur Prätur brachte: stirpem nobüitavit honor (carm.
ep. 958 Buch.) oder von dem Konsul Messala: non tua maiorum contenta
est gloria fama, \ sed generis priseos contendis vincere honores (paneg.
Messal. 29f.). Nun aber tritt an die Stelle der 'facta' die bloße 'spes'
(s. über den töttoc oben), oder, wie es auf der Grabschrift eines jung
gestorbenen Scipio (ib. 8) in irrealer Fassung heißt: quihus (virtutibus)
sei in longa licuiset tibe utier vita, \ fädle facteis superases gloriam maio-
rum (vergl. carm. ep. 1214). Diese Erklärung (vergl. auch Henry 451 f.)
wird durch eine Nachahmung des Statins (s. IV 4, 72f.) gesichert; sie
bleibt bestehen, auch wenn spe (z. B. mit H. Kern, Progr. Schweinfurt
1881, 43) als Genitiv gefaßt wird, was zwar grammatisch korrekt ist
(Bücheier, Deklination ^35; cod. E hat spes, ebenfalls eine korrekte
Genitivform, ib. 34, doch ist auf eine isolierte Überlieferung dieser Hs.
kein Verlaß), aber durch den Parallelismus in tantum tollet spe ~> tantum
iactabit alumno nicht empfohlen wird, s. Anhang II 3. Wegen des immer-
VBKOiii Buch VI, von Norden. 22
338 KOMMENTAR
hin gewundenen Ausdrucks werden wir hier wie sonst (s. o. S. 336) mit
der Möglichkeit einer aus älterer Poesie entlehnten und in dem neuen
Zusammenhang kühn verwendeten Floskel zu rechnen haben. — 878 f. m-
vidaque hello | dextera mit starker Interpunktion nach dem ersten Dak-
tylus; da das für Vergils eigne Praxis nicht gewöhnlich ist, so bestätigt
das die Vermutung, daß die markvolle, kriegerische Phrase durch Ennius
beeinflußt ist: s. Anhang II 4, 3. — 879f. non Uli se quisquam impune
tulisset 1 obvius armato vergl. CatuU 64, 343 non Uli quisquam hello se
conferet Tieres. — 880 f. seu cum pedes iret in Jiostem \ seu spumcmtis
equi foderet calcaribus armos. In Anlehnung an cum iret tritt für eques
ein der Satz seu foderet (Leo, Gott. gel. Anz. 1898, 738). — armss.
Servius: species pro genere, equi armos pro equo posuit, non enim possmd
armi calcaribus fodi, richtig trotz Henrys Versuch (p. 453f), die armi
wörtlich vom Vorderbug zu verstehen: denn auf diesem kann der Reiter
zwar 'JMX Not sitzen (Horaz s. I 6, 106), aber ihn doch unmöglich mit
seinen Sporen erreichen. Die starke Katachrese mag dadurch motiviert
sein, daß Vergil den Versschluß armos in älterer Poesie überliefert fand:
wenigstens ist der Vers g. III 86 densa iuha et dextro iactata recumhit
in armo mit einer Technik gebaut, die der bei Vergil üblichen nicht
entspricht (s. z. 167); Silius, der den Ennius nachweislich noch gelesen
hat, sagt mit einem ennianischen Wort (sonipes) und sachlich richtig
X 255 cernuus inflexo sonipes effuderat armo (sc. equitem). — 882 si
qua fata aspera rumpas: Bedingung und Wunsch fließen zusammen
s. z. 31. Fata rumpere gewählt für fata vincere (so consol. ad Liv. 234,
cai-m. ep. 1578 Buch.); die Metapher wird klar durch Livius I 42, 2 rupit
fati necessitatem. Da Lucrez II 254 fati foedera rumpat hat, so liegt ver-
mutlich eine ennianische Phrase zugrunde; denn daß Livius' Phraseologie
durch die des Lucrez direkt beeinflußt sei, ist von Stacey 1. c. [z. 99]
52 f. nicht bewiesen worden: phraseologische Konkordanzen beider weisen
auf Ennius als gemeinsame Quelle. — 883 f. mamhus date lüia plenis \
purpureos spargam flores. Die konstante Verbindung manihus plenis
(Bücheier zu Seneca apoc. 4) ist dnö koivoö auch zu spargam zu be-
ziehen (vergl. carm. epigr. 1185, 3 f. Buch, utque suis manihus flores mihi
vinaque saepe \ funderet). Die etwas künstliche Wortverschränkung läßt
wieder auf Entlehnung einer Floskel schließen: tatsächlich ist purpureos
flores (= V 79) ein Versanfang auch der Lydia 67, eines von Vergil
sonst nicht benutzten Gedichts, so daß auf ein älteres Original zu schließen
ist (aus Vergil stammt carm. ep. 610, 11, wo aber Hyazinthen gemeint
sind). Die Worte manihus date lilia plenis haben auf Dante solchen
Eindruck gemacht, daß er sie mit Beibehaltung des Lateinischen von den
Himmelsboten sprechen läßt (Purg. XXX 21). — Lilien als Grabesspende
auch A. P. VII 485, symbolisch wegen der kurzen Dauer ihrer Blüte
(hreve lilium Hör. I 36, 16), also wie die Rosen. Purpurlilien (anders
oben 708 Candida lilia\. Theophr. h. pl. VI 6, 3 (vergl. J. Murr, Progr.
Marburg i. Ö. 1894, 10); die Purpurfarbe wegen ihrer chthonischen Ver-
wendung: s. z. 221. — 884 f animam accumulare donis für animae a.
dona mit originellem Gebrauch der bei Verben dieser Art typischen
Objektsverschiebung (s. Kaibel z. Soph. El. p. 140). — 885 f. fungar
inani \ munere mit folgendem starken Sinnesabschnitt (Ende der Rede).
VERS 878—893. 339
Da das für Vergils Praxis recht ungewöhnlich ist (s. Anhang 11 4, 3),
so liegt die Möglichkeit vor, daß Vergil durch überlieferte Phraseologie
beeinflußt war, vergl. die ähnliche Phrase IV 623 f. cinerique haec mitMte
nostro I mwiera (Gedankenschluß in der Mitte einer Rede).
Epilog 886 (sie) — 000.
Periodisiei-ung: 886 — 87 rpiKUjXov; 888 — 92 biKUuXov + TpiKuuXov,
alle K6|U|LiaTa mit den Versen zusammenfallend; 893 — 96 TpiKUüXov, das
zweite und dritte mit je zwei \i6\x)X(na; 897 — 900 TpiKuuXov, das erste
und zweite mit je zwei KÖ^)aaTa.
Mit dem epicedion Marcelli schließt die eigentliche Handlung
stimmungsvoll ab. Alles weitere wird nur angedeutet: man fühlt, daß
der Dichter zum Schluß eilt (ähnlich III Schi.). — In 886 tota passim
regione vagantur wird, wie Deuticke bemerkt, die Fiktion des Schauens
von der Höhe (754 f.) aufgegeben; ein analoger Fall I 438 ^^ 419 f.
(vergl. KroU 1. c. [z. llOflF.] 139). — 887 aeris in campis: s. oben Einl.
S. 23 ff. — campis latis: über das 6)LioiÖTrTUJTOV s. Anhang IV. — 888 ff.
Über die Dublette mit 8 3 ff. s. Einleit. S. 44 f. — 890 exin MPR, exim F;
dagegen ist an den drei anderen Stellen exim besser bezeugt (VII 341
exim M exin RV, VIII 306 exim MP exin R, XH 92 exim M exin R):
vergl. Wagner adn. er. zu VII 341, Lachmann zu Lucr. HI 160. —
891 Laurentes . . . populos wie VII 738 Sarrastes populos nach ennia-
nischem Muster (ann. 24 populi . . . Latini), vergl. Archiv f. Lex. VI 1889,
344. 349.
893 ff. Über das Motiv des Traums s. Einleit. S. 47 f. — Die Be-
schreibung der 'Tore der Träume' (Somni portae, da oblique Casus von
somnium unbrauchbar waren, vergl. Conington) im wesentlichen aus
T 562 ff. (Servius). Die ausdrückliche Hervorhebung, daß die eirdvoboc
durch das elfenbeinerne Tor der falschen Träume vor sich gehe (898 por-
taque emittit eburna), hat im Altertum zu unsinnigen symbolischen Er-
klärungen Anlaß gegeben (vergl. Serv. xmd Macrob. in somn. Sc. I 3, 17f.).
Von den Neueren ging A. Nauck (Mel. grecorom. III 1874, 8 9 ff.) so weit,
daß er 893 — 96 athetierte imd 898 Avorna (sol) statt eburna schrieb:
Vermutungen, die Ribbeck ^ in den Text gesetzt hat. Die richtige Deu-
tung gab W. Everett, Class. review XIV (1900) 153 f. Es war ein ver-
breiteter Glaube, daß die falschen Träume vor und die wahren nach
Mittemacht kämen (vergl. Moschos id. 2, Iff., die Intpp. zu Horaz s. 1 10, 33
post medium nodem . . ., cum somnia vera, und carm. epigr. 1109, 7
Buch.), eine von Vergil selbst bei den von ihm erzählten Traumerschei-
nungen befolgte Vorstellung (z. B. VIII 26. 67). Wenn Aeneas also
durch das Tor der falschen Träume entlassen wird, so liegt darin nichts
weiter als die Zeitbestimmung 'vor Mitternacht'. Die KttiaßacTic begann
bei Morgengrauen (255); 535 ff. ist es Nachmittag geworden und die
Sibylle drängt, das datwn tempus auszunutzen; vor Mitternacht, d. h. der
Stunde, zu der die Toten die Oberwelt besuchen dürfen (vergl. V 719 — 39),
muß die dvdßaCTic des Lebenden vollzogen sein. Diese Auffassung, wonach
also das Buch mit einer Zeitbestimmung schließt, erhält noch eine Stütze
durch die Analogie mehrerer mittelalterlicher — in letzter Instanz auf
22*
340 KOMMENTAR
gleiche apokalyptische Tradition wie Vergil zurückgehender — Apo-
kaljrpsen, in denen gleichfalls die Stunde der Beendigung der Vision an-
gegeben ist; nur ist es dort die Morgendämmerung beim ersten Hahnen-
schrei: vergl. die — in der Einleit. S. 9 näher bezeichneten — Visionen
des Furseus s. VII p. 80, die von Baeda und Bonifatius berichteten der
J. 696 und 725, die visio Wettini vom J. 824 p. 274; auch Dante läßt
seine Reise durch die Hölle 24 Stunden dauern (Inf. XXXIV 68 f. mit
den Kommentaren). — Die eKqppacTic tÖttou (abgebildet cod. F, fol. LVE')
893 — 96 wird in selbständiger Formgebung zwischen 892 (et quo quemque
modo fugiatque feratque Idborem sc. docet) und 897 f. (his ubi tum natum
Anchises wnaque S'ibyllam prosequitur didis e. q. s.^ eingeschaltet, so daß
mit Ms dictis auf 892 zurückgegriffen werden kann (Deuticke): für diese
Technik vergl. die Belege zu 42 ff., auf Grund derer über Peerlkamps
Konjektur Mc für Ms sowie über Naucks Athetese von 893 — 96 zu
urteilen ist. Nauck glaubte seine Athetese dadurch bestätigt zu sehen,
daß 896 falsa ad caelum mittunt insom/nia man es eine jüngere Vorstellung
in die Homerstelle hineinbringe: vergl. Soph. El. 459f., Tibull II 6, 37 ne tibi
neglecti mittant mala somnia manes; pythagoreisch-volkstümlicher Glaube
war, U7TÖ Tujv bai)aövuüv TreiuTrecTGai dvGpujTTOic touc öveipouc Diog.
L. VIII 32, vergl. oveipoi xöövioi pap. mag. Paris. 1. c. [z. 46] p. 82. Aber
Vergil verknüpft eben hier wie oft Homerisches mit Jüngerem. — Durch
die markierte Stellung der Attribute und Substantive 894 qua veris
facilis datur exitus umbris (s. Anhang IIIA 3) wird kurz angedeutet, daß
die Träume, die durch die andere (elfenbeinerne) Pforte kommen, ßapeic
öveipOi sind. Diesen Gegensätzen entsprechen die flüchtigen Rhythmen
894 facilis datur exitus umbris im Vergleich mit den schweren 896 sed
falsa ad caelum mittmvt insonmia manes: s. Anhang VII B 1. — Über die
griechische Technik des Versschlusses nitens elephanto s. ebenda IX. —
896 insomnia evuirvia ist vor Vergil (er noch IV 9) nicht nachweisbar:
denn Terenz eun. II 1, 13 ist adiget insomma, d. h. düTTVia, statt adigent i.
eine durch den Sinn erforderte Emendation Bentleys; Cic. de sen. 44 ist
insomniis = düTTVia (der Plural wie bei Sali. ep. Mithrid. 7). — 897 Ms
ubi tum . . . prosequitur dictis M, Donatus; Ms ibi etc. FPR. Für ubi
spricht VII 60 7 ff.: dort wird, analog wie hier, mit suMt geminae Belli
portae (~ sunt geminae Somni portae) begonnen, und nach deren kurzer
eKcppaCTic (608 — 10) mit has ubi fortgefahren. Vergl. auch die beliebten
Versanfange des Lucrez hoc ubi Qioc Ablativ: s. Archiv f. Lex, XI 1900,
102 f.), sowie Mc ubi Cic. Arat. 113 und Ovid m. I 318, ebenfalls nach
einer ^KCppacTic. Die Verbindung von ubi mit einem Präsens wie III 69
vergl. X 148 ff. — 899 f. ille viam secat ad navis sociosque revisit, tum se
ad Caietae recto fert litore portum. Für viam secare vergl. Lucr. V 272
via secta, was wahrscheinlich ennianisch ist: s. Anhang IX 2 und XI 1.
Mit sociosque revisit schließt VIII 546 in ennianisch er Umgebung. — Der
Schluß des Buchs nach dem Schluß der homerischen Nekyia aiiTiK'
eireiT' em vna kiujv CKeXeuov exaipouc | auxouc x' djußaiveiv kxX. (Pom-
ponius Sabinus). Mit der Schilderung einer Landung hat das Buch be-
gonnen, mit derjenigen einer Abfahrt schließt es. Auf derartige sach-
liche Abrundung der einzelnen Bücher hat Vergil sichtlich Gewicht ge-
legt, besonders deutlich bei den eine Einheit bildenden Büchern II. III
VERS 893—901. 341
(Aiveiou TrXdvai); vergl. Servius zu III 717 in secimdi principio duo
poetae sunt versus, sicut Mc tres, et similis est finis initio: ^conticuit'
(n 1 ~ m 718) et 'intentis' (U 1 ~ IH 716). — 901 ancora de prora
iacitur, stant litore puppes = III 277, im Text nur in F (erklärt von
Donatus), dagegen in MPE nachträglich hinzugefügt und von Bentley
richtig getilgt; der Anfang von VII tu quoqiie Utoribus nostris, Aeneia
nutrix, aeternam moriens famam, Caieta, dedisti schließt so unmittelbar
an den letzten Vers von VI (900) an: tum se ad Caietae recto fert
litore portum.
Schlußbetrachtung über die Gesamtkomposition.
In vorstehendem Kommentar galt es, zu Beginn der einzelnen Teile,
in die sich die Handlung gliedert, jedesmal zwei Fragen zu beantworten:
welches war das Material, das dem Dichter die legendarische Über-
lieferung bot, und wie hat er dieses Material poetisch gestaltet? Hier
soll zusammenfassend der Versuch gemacht werden, das einzelne zu
einem Gesamtbilde zu vereinigen. Diese Art einer auf historisch-philo-
logischer Grundlage sich erhebenden, ästhetischen Betrachtungsweise ist
in die Exegese Vergils von Heinze eingeführt worden, dessen Werk
„Virgils epische Technik" (Leipzig 1903) ich in den Aushängebogen
gelesen habe, als der Druck des Kommentars fast beendet war. Da
Heinze mit Rücksicht auf das Erscheinen meines Kommentars das VI. Buch
bei seiner Analyse des Gedichts nur gelegentlich herangezogen hat, so
halte ich mich für verpflichtet, die von ihm gewonnenen neuen Gesichts-
punkte in Kürze auch auf dieses Buch anzuwenden. Ich hebe nach-
drücklich hervor, daß es mir ohne die aus Heinzes Werk erhaltene
Belehrung unmöglich gewesen wäre, eine Schlußbetrachtung dieser Art
anzustellen.
1. Die drei Grundmotive und ihre Verbindung.
Das fünfte Buch schließt mit dem Tode des Palinurus auf der
Fahrt des Aeneas von Sizilien nach Cumae, das siebente beginnt mit
der Fahrt von Cumae nach Latium. Das sechste umfaßt also die Zeit
des Aufenthaltes der Trojaner an der kampanischen Küste. Was Vergil
darüber in der Legende vorfand, war nicht viel: die Begegnung des
Aeneas mit der Sibylle (s. S. 117f. 146f.), sowie Tod und Be-
stattung des Misenus (S. 175). Dazu kam aber als drittes Motiv
selbstverständlich der Abstieg in den Hades. Denn da es verbreiteter
Glaube war, daß die homerische Nekyia am Avernersee spiele, so war
die Übertragung von Odysseus auf Aeneas unmittelbar gegeben. Die
erste und wichtigste Aufgabe des Dichters war mithin, diese drei Motive
in der Weise zu verbinden, daß sie eine in sich geschlossene, zu einem
Vollbilde sich ergänzende Einheit ausmachten. Ob er das erreicht hat
und durch welche Mittel, werden wir am besten erkennen, wenn wir
zunächst der von ihm erzählten Handlung Schritt für Schritt folgen.
1. Aeneas ist in Cumae gelandet (1 — 8). Also — sagte sich
jeder Leser — : jetzt wird er die Sibylle treffen und befragen. Es ist
ein feierlicher Moment, ein Höhepunkt der Handlung des ganzen Gedichts:
hing doch die Zukunft des Reichs an diesen sibyllinischen Weissagungen,
durch die den Aeneaden die Weltherrschaft garantiert war. Die Er-
wartung des Lesers ist also aufs höchste gespannt, und es ist nicht
A
SCHLÜSZBETRACHTUNG. 343
Vergils Art, ihre Erfüllung lange zu verzögern. So strebt der Dichter
denn gleich auf sein Ziel los, alles Nebensächliche so schnell erledigend,
wie es der konventionelle epische Stil eben zuließ (9 — 12). Nur die
kurze ^KcppacTic der Darstellungen an den Toren des cumanischen Apollo-
tempels (13 — 33^ gibt einen momentanen Ruhepunkt, den einzigen in
dem ganzen ersten Teil dieses Buches. Aber auch diese Beschreibung
ist von der Handlung nicht losgelöst, sondern mit bedachter, freilich
nicht ganz einwandfreier Kunst zu der Handlung in Beziehung gebracht
(s. S. 120 f.). Jetzt ist die Sibylle da. Mit einer fast gewaltsamen
Kürze (s. Heinze S. 353, l) werden alle der Befragung der Seherin durch
Aeneas vorausgehenden Momente erledigt (33 — 41): würde doch der
Leser jetzt an allen diesen Nebensachen kein Interesse nehmen.
2. Das Vorspiel, gewissermaßen der die Exposition enthaltende
Prolog, ist zu Ende. Jetzt setzt das bpäjua ein: die Beschwörung der
Sibylle durch die preces des Aeneas, ihr Sträuben gegen die Ver-
gewaltigung durch den Gott, ihr endliches Nachgeben und die Erteilung
der responsa (42 — 101). Mit bedeutender Wirkung kontrastieren die
beiden agierenden 7rpö(TuJ7ra: hier das erhabene Ethos des sich seiner
großen Mission bewußten Trägers der römischen Zukunftshoffiiungen,
dessen Rede in feierlichem Gebettone gemessen dahin wallt; dort die von
Apollos Geist erfüllte Seherin, deren Worte mit höchster Leidenschaft-
lichkeit stoßweise aus dem rasenden Munde dringen.
3. Mit dieser Szene ist das erste jener Gnindmotive unseres Buches,
die Befragung der Sibylle, erledigt. Es handelte sich für den Dichter
nun darum, einen Übergang zu dem zweiten Grundmotiv, dem Abstieg
in den Hades, zu finden. Zu dem Zweck läßt er in einer zweiten
Szene abermals einen Dialog zwischen Aeneas und der Sibylle statt-
finden (102 — 155): Aeneas bittet die Sibylle, seinen Vater im Hades
aufsuchen zu dürfen; die Sibylle knüpft die Gewährung dieser Bitte an
die vorherige Erfüllung mehrerer Bedingungen. Für sich betrachtet ist
diese Szene — mit Ausnahme von ein paar S. 158 f. notierten Einzel-
heiten — gut komponiert, sie bildet auch einen wirkimgsvoUen Kontrast
zu der vorherigen, denn jetzt hören wir auch die Sibylle, deren pro-
phetische Erregung sich gelegt hat, mit dem ganzen Ethos reden, das
ihr als Priesterin zukommt. Aber der Zweck, dem diese Szene dienen
soll, jene beiden Motive zu verknüpfen, ist nicht erreicht. Als ob ihm
die Gewährung seiner ersten Bitte um die responsa gleichgültig wäre,
sagt Aeneas zur Sibylle (103 — 105): „auf die mir von dir prophezeiten
Leiden habe ich mich längst gefaßt gemacht; nur um das eine bitte
ich (wnum oro): gewähre mii- eine Begegnung mit meinem geliebten
Vater im Hades." Dieser Übergang ist rein äußerlich^): hier klafft eine
Lücke, die auszufüllen dem Dichter trotz seines Strebens nach Einheit-
lichkeit der Handlung mißlungen ist, und nach Lage der Dinge auch
1) Näheres oben S. 151 f. Hier sei hinzugefügt, daß eine formale An-
lehnung an Homer vorliegt: \ 139 f. sagt Odysseus zu Teiresias, nachdem ihm
dieser seine Bitte um e^ocpara erfüllt hat: Teipeöir], rd fiiv öp irou ^ir^KXujaav
öeol aÖToi" äXX' äfe jaoi TÖ6e dtii koi ärpeK^uuc KaröXeSov, nämlich wie kann
ich mit meiner Mutter reden?" Das ist in verwandter Situation der gleiche
Gedankensprung.
344 SCHLUSZBETRACHTUNa.
kaum gelingen konnte: die Motive waren zu heterogen, um sich organisch
vereinigen zu lassen. Daß Vergil die Vereinigung dennoch versuchte
und zwar grade in dieser Weise, werden wir aus homerischer |lii)litiö"ic
erklären müssen. Bei Homer geht der Nekyia das Gespräch des Odysseus
mit Kirke voraus (k 487 — 540), in dem die Göttin dem Helden Weisungen
gibt über seine Hadesfahrt, die sie ihm befohlen; in einer auf die
Nekyia folgenden Szene (|ii 21 ff.) gibt dann Kirke dem Odysseus Pro-
phezeiungen über seine ferneren Irrfahrten. Diese beiden Stellen waren
für Vergil sicher das Vorbild der Begegnung, die er zwischen Aeneas
und der Sibylle stattfinden läßt: hat er ihnen doch sogar Einzelheiten
entnommen (k 516ff. und )Li21f.: Worte der Kirke -^ VI 154. 133f.:
Worte der Sibylle). Aber bei Homer sind die beiden Reden der Kirke,
die sachlich ganz verschiedenartiges betreffen (Befehl zur Nekyia, Pro-
phetie), auch zeitlich durch die inzwischen erfolgte Nekyia von ein-
ander getrennt;^) Vergil verlegt die beiden Wechselreden des Aeneas
und der Sibylle (Prophetie, Anweisungen zur Nekyia) vor die Nekyia
und sucht sie untereinander in sachliche Verbindung zu setzen. Dieser
Versuch mußte mißlingen, da eine derartige Verbindung der Motive
nicht bestand.
Noch durch ein anderes Mittel hat er diese Verbindung herzustellen
versucht, und "das mit besserem Erfolg. Er läßt die Sibylle nicht bloß
Prophetin, sondern auch Führerin des Aeneas durch die Unterwelt sein.
Um diese Kumulation zweier Amter auf die eine Person glaublich er-
scheinen zu lassen, fingiert er, daß Hekate der Sibylle als ihrer Priesterin
die Schlüssel des Hades gegeben habe (109. 11 7 f.). Durch diese Fiktion
bringt er die beiden Motive also wenigstens durch die Einheit der
Personen (Aeneas, Sibylle) miteinander in Verbindung.
4. Soviel über die Verbindung zweier Grundmotive dieses Buchs,
der Prophezeiung der Sibylle an Aeneas und der KaiaßacJic des Aeneas
mit der Sibylle. Das dritte Hauptmotiv, das Vergil, wie bemerkt, in der
legendarischen Überlieferung vorfand, war der Tod und die Bestattung
des Misenus. Sachlich hatte dies Motiv mit der Karaßadic so wenig
zu tun wie die Prophezeiung der Sibylle; auch hier also galt es, die
mangelnde Verbindung irgendwie herzustellen, wenn die Darstellung nicht
bloß episodisch verlaufen sollte. Bei Homer ist der vor der Nekyia
erfolgte Tod des Elpenor (k 551 — 560) mit dieser dadurch in Ver-
bindung gesetzt, daß Elpenor dem Odysseus im Hades zuerst erscheint.
Diese Motivierung konnte Vergil für den Tod des Misenus aus folgendem
Grunde nicht verwenden. Bei Homer bittet das eibiuXov des Elpenor
den Odysseus um Bestattung des noch unbeerdigten Körpers, die ihm
Odysseus verspricht (\ 51 — 80) und die er, aus dem Hades zu Kirke
zurückgekehrt, vollzieht (|u 9 — 15). Hätte Vergil das nachgebildet, so
würde auch bei ihm die Beerdigung des Misenus erst haben stattfinden
können, nachdem Aeneas aus dem Hades an das Tageslicht zurück-
gekehrt war. Dadurch wäre aber die Gesamtkomposition dieses Buches
1) Ich fasse bei dieser ganzen Untersuchung die homerische Nekyia und
die sie umgebenden Partieen als einheitliches Gedicht, so wenig es das ist.
Denn es kommt hier nicht auf die Resultate einer Analyse an, die Vergil so
fern lagen wie den anderen antiken Lesern des homerischen Gedichts.
SCHLUSZBETRACHTUNG. 345
aufs schwerste geschädigt worden. Denn die große apokalyptische Eede
des Anchises mußte das Ende bilden, auf das alles hindrängte: man
merkt es, wie im Kommentar S. 339 bemerkt wurde, dem Dichter an,
wie er nur widerstrebend ein paar nicht zu vermeidende Einzelheiten
am Schluß hinzufügt, aber so, daß er sie in wenigen Versen skizziert.
Nun denke man sich die Tacpf] Mi(Jr|VOU, die bei ihrer Wichtigkeit für
römische Leser notwendig in großer Ausführlichkeit zu geben war, ans
Ende gerückt, um sofort zu empfinden, daß dadurch der ganze, sorgsam
auf den Effekt ausgearbeitete Plan dieses Buches über den Haufen ge-
worfen worden wäre. Aus dieser Schwierigkeit fand nun Vergil den
eigenartigen Ausweg, daß er die Elpenor-Episode auf zwei Genossen des
Aeneas gewissermaßen verteilt. Das rührende Motiv des dem Odysseus
im Hades erscheinenden eibuuXov seines imbeerdigten Genossen Elpenor
mochte Vergil nicht missen, aber er verwendet es nicht für Misenus,
sondern für Palinurus, der nach der Legende auf der Fahrt von Sizilien
(Afrika) nach Cumae verunglückt war. Dagegen kombinierte er Tod
und Bestattung des Elpenor, zwei von Homer an weit auseinander
liegenden Stellen erzählte Ereignisse, zunächst zu der einheitlichen Ge-
samthandlung vom Tod und Bestattung des Misenus, die er vor der
Kardßaffic stattfinden ließ. Weiter aber genügte ihm bei seiner Ab-
neigung gegen episodische Komposition nicht ein bloß zeitliches Prius
der einen Handlung vor der anderen, sondern er wollte sie auch sachlich in
Beziehung zu einander treten lassen. So läßt er denn die Beerdigung
des Misenus eine dem Aeneas von der Sibylle gestellte Be-
dingung sein, an deren vorherige Erfüllung sie die Erlaubnis
zur Karaßacric knüpfte (149—152. 162—189. 212—235). Diese
OiKOVOiLiia ist unleugbar geschickt und ist — von unbedeutenden Un-
ebenheiten abgesehen (s. S. 177) — einwandfrei vollzogen worden. —
Auch in ihrer poetischen Behandlung zeigt die racpf) Miar|VOU bedeutende
Kunst. Durch geschickte Benutzung von Motiven älterer Poesie hat
Vergil ein neues Ganze geschaffen, das mit seinem tragischen Ernst und
seiner würdevollen Feierlichkeit auf die zeitgenössischen Leser seine
Wirkung nicht verfehlt haben wird. Auch hier rivalisiert er wieder in
seiner Art mit dem homerischen Original. Wie Elpenor, so ist auch
Misenus indigna motte (163) dahingerafft, aber zwischen beiden ist doch
ein Unterschied: der Sturz des betrunkenen Elpenor vom Dach mußte
Vergil nach seinen Vorstellungen von der Würde des epischen Stils als
ein dTTpeitec erscheinen (vergl. S. 115, 1. 229. 260f.); Misenus ist im
frevlen Wettkampf mit Triton, also einem großen bai|iU}V, zugrunde
gegangen: damit ist der Würde eines fipuJiKÖv TrpöcTuJTrov nicht zu
nahe getreten. Femer läßt Homer den Tod des Elpenor von Odysseus
ohne eine Spm* von Anteilnahme erzählt werden; Vergil stattet seine
Erzählung mit großem Ethos aus.^) Die Begi'äbnisszene umfaßt bei
Homer nur fünf, bei Vergil 30 Verse: wobei man sich erinnere, daß
pomphafte Leichenbegängnisse und Grabesceremonieen den Lesern Vergils
aus eigner Anschauung bekannt waren; hier sahen sie das Alltägliche
im Spiegel der heroischen Vergangenheit verklärt.
1) Vergl. die Nachweise für das einzelne dieses Ethos bei Heinze S. 362, 1.
346 SCHLUSZBETRACHTUNG.
5. Wir sahen (bei 3), daß die Sibylle die Erlaubnis zur Karaßaaic
von der Erfüllung mehrerer Vorbedingungen abhängig macht. Es sind
drei: die Beerdigung des Misenus, die Gewinnung des goldnen Zweiges,
das Opfer für die unterirdischen. Über die erste ist soeben genauer
gehandelt; die beiden anderen lassen sich kürzer erledigen.
Ein Dichter, dem an Konzentration der Handlimg weniger gelegen
hätte als Vergil, würde die Ausführung der drei praecepta Sibyllae an
einander gereiht haben. Vergil hat dagegen wenigstens die erste und
zweite in sehr eigenartiger Weise unter sich verknüpft. Er läßt den
goldnen Zweig sich eben in demjenigen Walde befinden, den Aeneas
mit seinen Genossen abzuholzen beginnt, um aus den Baumstämmen den
Scheiterhaufen für Misenus zu türmen. Daher zerlegt er die Behandlung
des Misenusmotivs in zwei Teile: l) Tod des Misenus und Holzfällen
im Urwald (156—184), 2) Errichtung des Scheiterhaufens (212—235);
zwischen beide Teile schiebt er das damit in Kausalzusammenhang ge-
brachte Zweigmotiv ein (185 — 211). Diese oiKOVO)uia fand schon das
Lob der alten Kritiker (Servius zu 183). In der Tat sind die kleinen,
sich durch diese Teilung ergebenden Inkonvenienzen (s. S. 176)^) be-
langlos gegenüber der vortrefflichen, dadurch erzielten Wirkung. Denkt
man sich das Zweigmotiv ausgeschaltet, so hätten die zwei Schilderungen
des Baumfällens und der Begräbnisceremonieen am Scheiterhaufen an
einander gereiht werden müssen: die eigentliche Handlung wäre zum Still-
stand gekommen. Jetzt werden die, Schilderungen durch einen energischen
Fortgang der Handlung unterbrochen, und zugleich wird ein lebhafter
Kontrast erzielt: von dem tragisch-düstern Misenusmotiv hebt sich das
eigenartig reizvolle, farbenprächtige, märchenhafte Zweigmotiv dadurch mit
besonderer Intensität ab, daß es in die Mitte gestellt ist. Die Vorliebe
des Dichters für triadische Komposition (s. S. 109) zeigt sich auch hier.
Die Ausführung der dritten Vorbedingung, des Opfers für die
Unterirdischen (236 — 262), ist dagegen selbständig erzählt; auf die
Äußerlichkeit der Anknüpfung mit Ms actis ist im Kommentar (S. 194)
hingewiesen worden: hier ist dem Dichter, der verschiedenartige Motive
verschiedenen Quellen entnahm, eine organische Verbindung nicht ge-
lungen; hier erzählt er episodisch in homerischer Weise, wie ja auch
das Opfermotiv selbst aus Homer (\ 2 3 ff.) stammt. Die Ausführung
dieses Motivs ist aber von Homer unabhängig: an die Stelle der ruhigen,
epischen Erzählung Homers setzt Vergil eine wild bewegte, dramatische
Handlung, mit der dieser Teil des Buches wirkungsvoll schließt. Man
bemerke auch wieder den Kontrast zu der vorangehenden, gemessen feier-
lichen Misenusszene.
2. Die Katabasis.
Sie wird eröffnet mit einem hochfeierlichen Gebet des Dichters
(264 — 67), das an dieser Stelle, nach der wilden vorhergehenden Szene,
eine um so bedeutendere Wirkung ausübt, je seltener ein solches Heraus-
1) Über das bei dieser Art von Komposition unvermeidliche interea s. Heinze
S. 381, 1, wo er die Kunst Vergils in der Erzählung gleichzeitiger Handlungen
analysiert.
SCHLUSZBETRACHTUNG. 347
treten des Epikers aus seiner Reserve ist. Durch die Tatsache, daß das
Motiv als solches und in einigen Einzelheiten entlehnt ist (s. S. 203 f.),
wird die Wirkung in nichts beeinträchtigt. Es überträgt auf den Hörer
die erhabene Stimmung, von der ergriffen der Dichter selbst diese Verse
aus der Tiefe seines Innern strömen läßt. Wir haben die Empfindung,
als ob ein Prediger sich die Gnade Gottes auf sein Haupt wünsche, um
sich zu stärken für die Offenbarung, die er den andächtig lauschenden
Hörern spenden will.
An das Gebet schließt sich unmittelbar die KaTdßaCTic an: ibant ist
das erste Wort der nun folgenden besonders malerischen Verse (s. S. 206 f.).
Wir werden zu einer Würdigung der eignen Kunst des Dichters
auch hier wieder am sichersten gelangen, wenn wir damit beginnen, die
bewußten Abweichungen von der Komposition Homers festzustellen.
1. Als ideales leXoc einer von ihm zu dichtenden Nekyia schwebte
dem Dichter, noch bevor er den Gesamtplan der Aeneis konzipiert hatte,
eine Art von Heldenschau vor: das wissen wir aus dem Prooemium des
in. Buches der Georgica.^) Diese Absicht blieb bestehen, als er im
Zusammenhang des nunmehr definitiven Planes der Aeneis das VI. Buch
dichtete: alles strebt in ihm auf die Heldenschau hin, die, weil sie das
ideale Ziel ist, auch das reale Ende dieses Buches bildet, denn ein die
Handlung in wenigen Versen abschließender Nachtrag ist unwesentlich
und, wie schon bemerkt, mit einer Art von Widerstreben hinzugefügt.
Daß die Heldenschau das reXoc der KaiaßacJic sein soll, weiß Aeneas
(und mit ihm der Leser): er hat es aus dem Munde des Anchises gehört,
der ihm im Traume erschienen war und ihm den Besuch im Hades be-
fohlen hatte: tum genus omne tuum et quae dentur moenia disces
(V 737). Diesem xeXoc muß sich alles unterordnen als Vorbereitung
zur Vollendung. Hauptsächlich durch diese Konzentration der Handlung
auf ein leXoc steht die vergilische Nekyia, als Ganzes betrachtet, tech-
nisch höher als die homerische. Zwar der Zweck, den die Helden der
beiden Gedichte verfolgen, ist derselbe: wie Odysseus von Teiresias, so
will Aeneas von Anchises eine Prophezeiung erhalten. Aber Odysseus
trifft mit Teiresias gleich zu Anfang zusammen (nur das Gespräch mit
Elpenor als einem aiacpoc geht voraus), und damit ist das eigentliche
leXoc schon erreicht: alles weitere gehört nicht mehr zur Handlung, für
die es ja gleichgültig ist, daß Odysseus das Schicksal der Heroinen er-
kundet, daß er den Heroen Auskunft über die Vorgänge seit ihrem Tode
gibt und daß er die Gestalten der Helden und Büßer erblickt. Mögen
einzelne dieser Szenen noch so großartig konzipiert sein und Motive von
einer poetischen Kraft und Plastik aufweisen, daß sie wie e\vige Ideale
jedem Nachdichter unerreichbar bleiben mußten: in der Kunst der Kom-
position im Großen — und nur um sie handelt es sich hier — steht
Vergils Gedicht höher als das homerische Original. Der Leser bleibt bis
zuletzt gespannt und wenn Aeneas mit den €ibu)Xa einzelner Heroen
und Heroinen zusammenkommt, so sind alle diese Teile wesentlich fürs
Ganze und mit der Handlung notwendig verknüpft: er trifft diese Toten,
weil die von ihnen bewohnten Regionen des Hades Etappen seines Weges
1) Vergl. Neue Jahrb. 1901, 319 f.
348 SCHLUSZBETRACHTUNG.
zu Anchises sind.-^) Wie viel Vergil bei dieser Komposition andern
ünterweltsgedichten verdankte, die er neben der homerischen benutzt hat,
läßt sich mit Sicherheit nicht sagen, da nur mehr die Tatsache, nicht
der Grad ihrer Benutzimg für uns kenntlich ist. Immerhin glaube ich
sehr wahrscheinlich machen zu können, daß die Anlehnung in der Gesamt-
komposition eine bedeutende, die Kunst des Aufbaus der Handlung hier
also nur zum geringen Teil ein Verdienst Vergils gewesen ist.
Darauf führt eine grundsätzliche Verschiedenheit der homerischen
Nekyia von den späteren Jenseitsgedichten. Homer dichtet, wie oben
S. 196, 1 hervorgehoben wurde, eine veKUO)LiavTeia, bei welcher der Held
notwendigerweise eine mehr passive Rolle spielen mußte: denn er bleibt
bei seiner Grube stehen und tut nichts weiter, als daß er aus der Masse
der durch den Blutgeruch angelockten eiöUjXa eine Auswahl derjenigen
trifft, mit denen er sich in ein Gespräch einlassen will; von einem eigent-
lichen Fortschritt der Handlung kann dabei nicht die Rede sein. Das
mußte sofort anders werden, sobald an die Stelle einer veKUOjLiavTeia
(vcKUia) eine KaraßacTic trat, bei welcher der Held nicht am Rande des
Hades stehen blieb, sondern, von einem höheren Wesen geleitet, die
Regionen der jenseitigen Welt durchschritt. Damit war sofort eine Hand-
lung gegeben und, was für unsere Frage von besonderer Wichtigkeit ist,
wohl auch immer eine solche Handlung, deren Zweck an das Ende des
Ganzen gerückt werden mußte. Denn bei einer Totenbeschwörung, wie
sie Homer schildert, zitiert der Held der Erzählung aus der Masse der
ihn umdrängenden eibuiXa begreiflicherweise sofort dasjenige, um dessent-
willen er die Beschwörung vorgenommen hat, so daß alles weitere episoden-
haft verlaufen muß; bei einer KaTOtßaaic ist dagegen der Held gar nicht
in der Lage, sofort zum Ziel seines Wunsches zu gelangen: weit ist der
Weg dahin, sei es, daß er einen im Elysium weilenden Schatten befragen
will, sei es daß es gilt, bis zum Palast des Pluton und der Persephone
vorzudringen, um den Göttern der Tiefe ein Begehren vorzutragen: auf
dem Wege zu diesem Ziel trifft der Held mit Notwendigkeit andere, die
ihm im Leben lieb und wert waren und bei denen er daher verweilt.^)
Solcher Art war die 'HpaKXeouc KaiaßacTic, deren Inhalt Apollodor
bibl. II 122 — 26 berichtet, sowie diejenige, die Aristophanes in den
1) Vergl. Heinze S. 433: „Episodisch ist die Nekyia der Odyssee angelegt:
die Folge der Gruppen . . . erscheint zufällig . . . Aeneas sieht nicht zufällig
dies und jenes; sein Weg führt zu Anchises, und auf diesem Wege berührt er
notwendig die sämtlichen Abteilungen der Unterwelt und sämtliche Klassen
von Verstorbenen sieht er oder hört von ihnen."
2) Man kann sich den Unterschied der beiden Kompositionsformen be-
sonders klar machen an der von Silius im XIII. Buch gegebenen Nekyia (400
bis 895). Er wählt nicht die Form der vergilischen KOTdßaoic, sondern die
einer homerischen veKUO|LiavTe(a, wandelt im übrigen aber natürlich ganz in
Vergils ..Spuren, dem er vor allem auch das Motiv der Heldenschau entnimmt.
Etwas Öderes nun als diese Nekyia ist kaum zu denken: schon Vers 515 ist
die Handlung zu Ende, denn Scipio weiß jetzt was er will, da der Schatten
der von ihm evozierten Sibylle ihm alles prophezeit hat; die ganze nun folgende
'Heldenschau' ist nur ein unorganisches Anhängsel, grenzenlos dürftig motiviert
mit der Neugierde des Scipio. Zu solchen Konsequenzen führte die Nach-
dichtung der homerischen Nekyia : um sich ihnen zu entziehen, dichtete Vergil
eben keine veKUia homerischen, sondern eine KOTÖßaöic nachhomerischen Stils.
SCHLUSZBETRACHTÜNG. 349
Fröschen benutzt; auch die orphische Katabasis muß, soweit wir darüber
urteilen können, so komponiert gewesen sein, daß Orpheus die Regionen
des Jenseits durchwandelt, um zuletzt zu seinem Ziele, dem Palast der
Unterirdischen, zu gelangen. Diese beiden KttiaßdcTeic hat, wie ich glaube
bewiesen zu haben (vergl. S. 5, 2), Vergil gekannt und für einzelne
Situationen herangezogen. So werden wir also schließen düi-fen, daß
die reichere Handlung und straffere Komposition, die sein Gedicht im
Vergleich mit der homerischen Nekyia aufweist, sich vor allem aus der
Benutzung der genannten KaraßacTic-Gedichte erklärt.
Der Benutzung uns verlorener Jenseitsgedichte verdankt Vergil die
Konzeption auch einzelner wirkungsvoller Szenen. Das ist im Kommentar
von Fall zu Fall bewiesen worden und soll hier nicht wiederholt werden.
Vielmehr soll hier nur dasjenige zur Sprache kommen, was sich in der
Komposition mit Sicherheit als Vergils Eigentum erkennen läßt und
geeignet ist, seine Kunst in der neuen Gruppierung überlieferter Motive
zu zeigen.
2. Durch die — künstlerisch in Gruppen zerlegte — Aufzählung
der am Hadeseingang den Wanderern begegnenden Ungeheuer (273 — 94)
ist die 268 — 72 begonnene Handlung für einen Augenblick zum Still-
stand gekommen: nun wird sie intensiv weitergeführt. Es folgt ein
eigentümlicher Szenenkomplex von jener Art, wie wir ihn vorhin bei
der Behandlung des Misenus- und des Zweigmotivs fanden: die Begegnung
des Aeneas mit Charon und die mit Palinurus (295 — 416). Beide
Motive sind entlehnt: das Charonmotiv aus einem uns verlorenen Gedicht
(s. S. 231 ff.), das Palinui-usmotiv ist eine Übertragung des Elpenormotivs
der Odyssee (s. S. 177. 224). Nun wäre es ja das Einfachste gewesen,
eins nach dem anderen zu behandeln: so hätte es ein älterer, episodisch
komponierender Dichter auch gewiß gemacht. Aber Vergil schiebt beides
ineinander, sehr zum Vorteil der Komposition. Denn die Begegnung mit
Palinurus ist an sich betrachtet nur ein zufälliges Accidens, das nicht
streng zur Handlung gehört, die Erreichung des reXoc im Gegenteil
verzögert: dadurch, daß diese Begegnung mit der für die Handlung
wesentlichen Charonszene eng verknüpft wird, ist der Schein der Z\ifällig-
keit, des bloß Episodischen aufs Glücklichste vermieden. Will man diese
Verknüpfung Kontamination nennen, so mag der Name gelten, wenn man
sich nur klar macht, daß sie ein organisch gefügtes Ganzes ergeben hat:
denn die kleinen, auch hier nicht vermiedenen Unebenheiten sind zu
unbedeutend, um den einheitlichen Eindruck des Ganzen zu stören
(s. S. 214) Auch formal betrachtet erhalten wir wieder eine geschlossene,
triadische Komposition: von Charon führt uns der Dichter zu Palinurus,
von diesem wieder zu Charon.
Die Behandlung des Palinurusmotivs im Vergleich mit dem home-
rischen Elpenormotiv ist auch im einzelnen bezeichnend für die bewußte
Kunst der vergilischen Umbildimg überlieferter Stoffe. Die geschickte
Verbindung von Kompositionselementen homerischer und modern-ätiolo-
gischer Poesie ist bereits im Kommentar S. 224 f. dargelegt worden; das
größere Ethos der vergilischen Szene im Vergleich mit der homerischen
hat Heinze S. 453 analysiert. Hier sei noch auf die kunstreiche Grup-
pierung der Momente, aus denen die Szene sich zusammensetzt, hin-
350 SCHLUSZBETRACHTUNG.
gewiesen: in der Mitte steht das Hauptstück, die Rede des Palinurus
(347 — 71); sie wird umgeben von je einer kürzeren Rede des Aeneas
und der Sibylle (341 — 46; 372 — 81); das Ganze ist eingerahmt von
ganz wenigen, die Situation einleitenden und schließenden Worten des
Dichters (337 — 40; 382 — 83). Also eine pyramidale Komposition:
abcba.
3. Die dramatische Handlung wird durch epische Erzählung abgelöst:
Cerberus 417 — 25, drei Gruppen von Seelen der Zwischenregion 426 — 39.
Darauf wieder eine hochdramatische Szene: die Begegnung des Aeneas
mit Dido: 440 — 76. In dieser Szene verbindet Vergil zwei berühmte
Szenen der homerischen Nekyia: Odysseus und die Heroinen (\ 225 — 332),
Odysseus und Aias (X 543 — 64). Hier erkennen wir wiederum deut-
lich sein Streben nach Konzentration und sachlicher Motivierung der
Handlung: Odysseus hat zu den Heroinen, deren ycvoc er erkundet,
keine persönlichen Beziehungen; Aeneas spricht nur die eine Dido an,
und wir erleben das Nachspiel der im IV, Buch erzählten Liebestragödie.
Die Übertragung des großartigen Motivs von dem schweigend grollenden
homerischen Heros auf die Heroine, die von den „süßen Liebesworten"
des Aeneas ungerührt bleibt und ohne ein Wort der Erwiderung von
dem noch immer Geliebten scheidet, ist wahrscheinlich Vergils eigne Er-
findung (s. S. 242): eine der besten, die ihm gelungen ist. Im einzelnen
werden, wie im Kommentar gezeigt ist, Motive der hellenistischen Erotik
reichlich verwendet, aber ohne jede Spur von Sentimentalität oder Tän-
delei: es ist eine 6)LiiXia fipuuiKoTc irpodiUTTOic TTpeiroucTa, würdig der-
jenigen des IV. Buchs, die uns Heinze verstehen lehrte.
4. Es folgt die Begegnung des Aeneas mit den im Kriege gefallenen
Helden (477flf.). Wie aus der Masse der axaqpoi Palinurus, der aus
Liebesgram gestorbenen Heroinen Dido, so wird hier aus der großen
Liste der ßiaio6dvaTOi wieder einer herausgehoben, dessen Gespräch mit
Aeneas der Dichter referiert, Deiphobus (494 — 547): somit erhalten wir
in dieser Zwischenregion eine übersichtliche Trias von Dialogen im Gegen-
satz zu der Vielzahl der homerischen (Elpenor, Teiresias, Antikleia, mehrere
Heroinen, Agamemnon, Achilleus, Aias). Die Begegnung des Aeneas mit
Deiphobus ist derjenigen des Odysseus mit Agamemnon (X 385 — 466)
ziemlich genau nachgebildet: dem von Klytaimestra und Aigisthos hin-
gemetzelten Griechenfürsten entspricht der von Helena und Menelaus
grausam ermordete Trojanerprinz. Aber auch hier sehen wir Vergil
wieder bemüht, die durch das homerische Vorbild gegebene Situation
sachlich zu motivieren: es ist der Bruder, der hier dem Aeneas seine
Leidensgeschichte erzählt. Dadurch, daß sie beide an gemeinsame Erleb-
nisse anknüpfen (502ff. 513f.), wird der Dialog bei Vergil lebhafter
und persönlicher: man hat auch hier wieder das Gefühl, daß die Be-
gegnung mit Deiphobus (wie die mit Palinurus imd Dido) durch die
Situation bedingt ist, daß sie die Haupthandlung zwar retardiert — das
deutet der Dichter selbst Vers 53 7 ff, an — , dennoch aber nicht zufällig,
sondern notwendig ist. Eine größere Symmetrie als Homer erreicht
Vergil dadurch, daß er an die Stelle der dreimaligen Rede des Odysseus
und der zweimaligen des Agamemnon je eine Wechselrede des Deiphobus
mit Aeneas und mit der Sibylle treten läßt, alles weitere durch die
SCHLUSZBETRACHTÜNG. 351
Intervention der Sibylle (535 ff.) abschneidet (s. über diese Technik
S. 262 f.). In der künstlerischen oiKOVOjLiia übertrifft der Nachdichter
also wieder das Original; aber an poetischem Gehalt bleibt seine Szene
doch weit hinter der homerischen zurück: das gewaltige Ethos, mit dem
der König der Griechen seine Leidensgeschichte berichtet, ersetzt der
Priamide durch ein Pathos, das sich bis zum Fluche steigert (530).
5. Die Tartarusszene (548 — 627) bot der poetischen Behandlung
ein Problem dar. Sollte Vergil seinen Helden wie durch die anderen
Regionen des Jenseits so auch durch den Tartarus geführt werden und
ihn dessen Schrecknisse schauen lassen? Wie schwer es dabei gewesen
wäre, immer das TTperrov zu wahren, sehen wir z. B. an Dante, der in
dem ersten Teil seines Gedichts von Vergil bewußt abweicht und hier
neben unsterblichen Szenen auch solche geschaffen hat, die dem empfind-
lichen Kunstverstand seines bewunderten Meisters ästhetisch bedenklich
erschienen wären. Neben dem ästhetischen Bedenken gab es für Vergil
einen anderen Grund, der ihn diese Art der Komposition nicht wählen
üeß. Eine Vision hätte ihren Hauptzweck, glaubhaft zu sein, verfehlt,
wenn sie nicht von dem Visionär selbst, sondern einem Dritten, hier also
dem Dichter, erzählt worden wäre. Schon in der großen Interpolation
der homerischen Nekyia, wo die Situation des an seiner Grube stehenden
Odysseus verlassen wird (565 — 627), ist es die Icherzählung, in welche
die Vision eingekleidet wird (ibov, eicJevöricra u. s. w.), und sie ist in
der Folgezeit wohl durchaus die Eegel geblieben. Eine Icherzählung
seines Helden war aber für Vergil innerhalb des Rahmens seiner KttTCt-
ßacJic ausgeschlossen. So findet er den eigentümlichen Ausweg, die
Offenbarung als eine Icherzählung der Sibylle, der Führerin des Aeneas,
zu geben. Nur den Vorhof des Tartarus läßt er den Aeneas selbst
schauen (549 videt, 574 cernis), aber das Innere die Sibylle ihm offen-
baren.^) Damit es aber glaubhaft erscheine, daß die Sibylle, die Reine,
den Ort der Verdammnis kennt, läßt er sie von Hekate, der Göttin, der
sie im Avemerhain dient, einst durch den Tartarus geführt worden sein
(5 64 f.). Das ist sichtlich ein der Situation zuliebe erfundenes 7r\d(T)ia
des Dichters: wir hören die apokalyptische Rede der Prophetin nun mit
vollem Glauben, sie kann ja das von ihr Geschaute in eigner Person
berichten (582. 585 vidi 596 cernere erat). Zugleich schafft sich der
Dichter durch diese Fiktion die Möglichkeit, das von ihm redend ein-
geführte TTpö(Tuj7T0V aus der Fülle des Stoffes nach Belieben auswählen
zu lassen (vergl. 625 ff.); hätte er diese Dinge von seiner Person aus
berichtet, so würden wir von ihm Vollständigkeit verlangt haben: die
aber hätte sich, wie bemerkt, mit der Erhabenheit seines allem Unästhe-
tischen abholden Stils nicht vertragen. So aber ist es ihm gelungen,
die grellen Farben der von ihm benutzten Schilderungen des Tartanis
abzutönen imd die Exzesse der Phantastik auf ein die Feinfühligkeit
des Hörers nicht beleidigendes Maß zurückzuführen, ohne daß dem Ganzen
der Eindruck des grotesk Furchtbaren dadurch verloren ginge. Die
großen Sünder der Sage werden mit solchen des Lebens zu einem gewal-
1) Diese Kombination verschiedener Kompositionsformen hat eine kleine
Unebenheit zur Folge gehabt: s. S. 266.
352 SCHLÜSZBETRACHTUNG.
tigen Gemälde vereinigt, auf dem griechische und nationalrömische Farhen
eigenartig gemischt sind. Der Dichter wird durch den Mund der Pro-
phetin Apollos zum Prediger: cliscite iustitiam moniti et non temner e divos;
der religiöse, sittliche, soziale und politische Ruin der Revolutionszeit
wird an einigen, in die altersgraue Vergangenheit zurückverlegten typischen
Verbrechen und ihrer Strafe mit großen Zügen geschildert. So arbeitete
Vergil in seiner Art, wie Horaz in den etwa gleichzeitig verfaßten Römer-
oden, mit an dem großen Restaurationswerke des Augustus.
6. Die Schilderungen des Tartarus (548 — 627) und des Elysiums
(637 — 78) werden durch eine kurze Handlung (628 — 36) auseinander
gehalten: Aeneas heftet den goldnen Zweig an das Tor des Palastes
der Totenkönigin. Man hat die Vorstellung, daß Vergil hier seine Vor-
lage stark gekürzt und verändert hat. Liegt es nicht in der Natur der
Sache, daß der mühsam gewonnene Zweig, 'den die schöne Proserpina
sich als ein ihr zu eigen gehörendes Geschenk bringen läßt' (Vers 14 2 f.),
ihr von dem glücklichen Finder persönlich überreicht werden muß? Mit
Zweigen in der Hand treten ja die Mysten auf dem oben S. 169 er-
wähnten Pinax von Eleusis vor die Göttin der Tiefe; Herakles, Dionysos
und Orpheus haben den Palast betreten, sind nicht, wie Aeneas, an der
Schwelle vorbeigegangen. Hier fehlt also, wenn nicht alles täuscht, das
eigentliche TeXoc des Zweigmotivs: statt die Übergabe persönlich statt-
finden zu lassen, begnügt sich der Dichter mit dem Symbol der Dedika-
tion: ramumque adverso in limine ßgit (636).
7. Als Gegenstück zu der grotesk furchtbaren Szenerie des Tartarus
folgt die idyllisch liebliche des Elysiums (637 — 78). Dieses läßt
Vergil seinen Helden mit Aeneas durchschreiten; hier also darf er selbst
schildern^), Motive edelster griechischer Poesie in kunstvoll gewählter
Diktion wiederklingen lassen, mit wenigen großen Strichen ein Vollbild
schaffen, das lange Generationenreihen hindurch angestaunt worden ist
und seine Wirkung auch auf uns nicht verloren hat, die wir es im
Spiegel der verklärenden Poesie Dantes zu schauen gewöhnt sind. War
der Dichter in der Tartarusszene ein warnender, fast drohender Prediger,
so gibt er hier den Guten die verheißungsvolle Verkündigung ewiger
Wonnen; wer den Heldentod fürs Vaterland gestorben ist, die reinen
Priester der Götter und die Musarum sacerdotes, wer die Kultur der
menschlichen Gesellschaft veredelt hat durch Erfindung neuer Künste
(insonderheit die Philosophen) und diejenigen, die im engeren Sinne
Wohltäter ihres Vaterlandes geworden sind: sie alle werden der ewigen
Seligkeit teilhaftig werden (660—65; vergl. Einleit. S. 33 ff.). Man
merkt leicht, daß der Dichter auch hier ein Prophet des großen Zeit-
alters ist, dem er angehört; bei den zuletzt genannten euepTtTai dachte
gewiß jeder Leser an Augustus, dessen „Wohltaten" der Bürger in der
Stadt, der Schiffer auf dem Meer, der Bauer auf seiner Scholle, und
nicht am wenigsten Dichter, Gelehrte, Künstler priesen, die der Munifizenz
dieses GuepTexric die behagliche Muße und die königliche Belohnung ihres
Schaffens dankten.
1) Seine Vorlage ließ vermutlich auch das Elysium visionär geschaut
werden: verffl. Vers 677 f. mit dem Kommentar.
SCHLUSZBETRACHTUNG. 353
8. Nun strebt die Handlung mächtig ihrem TcXoc zu. Drei
Szenen sind es, die zu diesem, der Heldenschau, hinstreben. Erste Szene
679 — 702. Anchises ist gefunden. Eine bei aller Kürze eindrucksvolle,
dramatische Szene des Wiedersehens mit Benutzung von Motiven zweier
homerischen Szenen: Odysseus und Antikleia, Odysseus und Laertes
(s. S. 296). Durch eine geschickte Erfindung, ähnlich der bei dem
Misenus- und Palinurusmotiv notierten, wird diese Szene mit dem großen
Schlußakt, der Heldenschau, verknüpft: Anchises ist, als Aeneas ihn
findet, gerade damit beschäftigt, die Helden zu mustern (679 — 83).
Zweite Szene 703 — 23: Exposition der Situation, lebhafter Dialog des
fragenden Aeneas und des antwortenden Anchises. Dritte Szene 724 — 51:
die bibaxn 'Afxiö'ou irepi TraXiTTevecJiac , erhabene Gedanken in ein
feiertägliches Gewand gekleidet.
9. Nun wird die bibaxn zur dtTTOKdXuvpic. ^) Wir stehen auf der
Grenze der beiden großen Teile, in die die Aeneis zerfällt; wenn Aeneas
wieder an das Licht des Tages emporgestiegen sein wird, so soll seine
eigentliche Mission beginnen, condere urbem et inferre deos Latio. Bis-
her weiß er von dem Schicksal, das seiner und der Seinen in dem oft
verheißenen, nun bald gefundenen Lande wartet, nur das Allgemeinste,
und dieses ist nicht sehr tröstlich: furchtbare Prodigien sind ihm in
Aussicht gestellt; soeben noch hat er von der Sibylle gehört, daß er
schwere Kämpfe werde zu bestehen haben wie einst in Troja. So liegt
Schweres hinter ihm, nicht minder Schweres wird die Zukunft bringen.
Zwar weiß er, daß mit der Götter Hilfe auch dieses endlich zum Heile
sich wenden wird (96); aber seine Stimmung ist trotz des Bewußtseins,
bald am örtlichen Ziel der Irrfahrt zu sein, noch ernst und gedrückt:
er will das Schwere tragen, weil er muß (103 — 5). Nicht mit dem
Mute der Eesignation aber soll er das gelobte Land betreten: Anchises
will ihm die Heldengenerationen seines Stammes zeigen, quo magis Italia
nobis laetere reperta (718). Als er sie geschaut hat, kann er zur
Oberwelt entlassen werden mcensus famae venientis amore (889). So
wird er dort in freudigem Siegesbewußtsein an sein großes Werk schreiten.
Dieses ist die Bedeutung der 'Heldenschau' (753 — 886) im Zu-
sammenhang des Gedichts.^) Aber Aeneas wird hier zum inkamierten
Eepräsentanten nationalen Römertiuns: Romane läßt der Dichter den
Anchises sagen (851) und damit über die momentane Situation hinaus-
greifen, das Lidividuelle verallgemeinern. Tatsächlich ist ja die 'Helden-
schau', genauer gesprochen die lange protreptische Rede des Anchises
(s. S. 3050".), ein großartiger an die gesamte Nation gerichteter Appell
zur virtus (806), zurückverlegt in die mythische Vorzeit, die eben jetzt
in dem großen Nachkommen des Aeneas wieder erlebte Geschichte, leben-
digste Gegenwart geworden war. Mit jenen weltgeschichtlichen Worten,
1) Daß die 'Heldenschau' nur durch eine sehr künstliche Kombination mit
der von Vergil benutzten philosophischen Darstellung verknüpft ist, wurde
S. 46 f. nachgewiesen. Femer ist S. 42 f. bemerkt, daß die Sibylle von dem
Augenblick an, wo Anchises gefunden ist, zu einem Kuiqpöv TTpööuu-irov de-
gradiert wird, ein Mißgriff, dessen Ursprung ebendaselbst aufgezeigt wurde.
2) Das hat Heinze S. 270 festgestellt. In der Deutung der Verse 103—5
(oben S. 152 f.) bin ich mit ihm zusammengetroifen.
YxBaii. Buch VI, von Norden. 23
354 SCHLUSZBETRACHTUNG.
die Vergil selbst nur konzipieren konnte im Zentrum einer Kultur von
nie wieder dagewesener Ausdehnung und Stärke, schließt der erste größere
Teil der Rede des Anchises (853). Denken wir uns nun, daß ein deutscher
Dichter bald nach dem glorreichen Kriege eine Heldengalerie deutscher
Männer von Arminius an hätte schaffen wollen: er würde es sich nicht
haben nehmen lassen, mit ähnlichen Worten monumentalen Stolzes seine
ganze Komposition zu beschließen, und jeder Leser würde einen der-
artigen Schluß als den Ausdruck seines eignen von stolzer Siegesfreude
gehobenen Empfindens für selbstverständlich gehalten haben. Aber darin
wich das antike Empfinden vom modernen ab: Vergils Leser hätten es
vermutlich als Hybris empfunden, wenn der Dichter mit diesen Worten
geschlossen hätte, und seiner eignen Natur wäre ein solcher Schluß zu-
wider gewesen. Durchzieht doch die ganze Rede, wie S. 307 zu zeigen
versucht wurde, die durch geschichtliche Überlieferung und eigne Erleb-
nisse gewonnene Überzeugung, daß der Siegeszug der Roma über den
orbJs terrarum auch durch dunkle Strecken geführt habe, ja daß die
Existenz des Staates durch Bürgerkriege einst gefährdet worden sei.
Die Generation, deren Gefühle der Dichter ausspricht, hatte sich zwar
aus der Nacht zum Licht, aus dem Chaos zur Ordnung, aus der Ver-
schuldung zur Sühne emporgearbeitet, aber die ernste Betrachtung der
menschlichen Dinge nahm sie mit hinüber in den Glanz der neuen Ära:
keiner, der das augusteische Zeitalter in seinen großen politischen und
literarischen Vertretern überblickt, wird behaupten wollen, daß all die
berechtigten Ausdrücke des Jubels und der Freude nicht gemäßigt worden
wären durch jene ernste Stimmung, die dann ein Jahrhundert später
Tacitus so ergreifend in Worte zu fassen verstanden hat. Und dieser
pessimistische, besser fatalistische Glaube schien ja eine neue Gewähr
erhalten zu haben, als auf dem Höhepunkte seines persönlichen Glücks
und desjenigen der Nation der Liebling des Kaisers und des Volkes
durch einen jähen Tod dahingerafft wurde und mit ihm der Glanz des
lulmm sidus zu erbleichen drohte. „Übermenschlich wäre unser Ruhm
gewesen, wenn die Götter uns dieses ihr schönstes Geschenk zu dauern-
dem Besitze gelassen hätten: so haben sie ihn uns nur gezeigt, um ihn
wieder zu sich zu nehmen": so werden die Besten der Nation empfunden,
sa mag der Kaiser an der Bahre seines Neffen und Schwiegersohns ge-
sprochen haben, so hat es Vergil in seinen schwermütigen Versen for-
muliert. Aus dieser religiösen Stimmung heraus schließt er — auch
abgesehen von rein technischen Erwägungen (s. S. 330 f.) — nicht mit
jenem Siegesruf nationalen Stolzes, sondern mit dem ernsten e7TiKr|beiOV
MapKcWou (854 — 86): poetisches Schaffen ist ihm noch, wie den alten
Dichtern, religiöse Kunstübung gewesen.
10. Die Handlung wird skizzenhaft zu Ende geführt (886 — 900)
und dadurch das ganze Buch auch formell zu einer Einheit abgerundet
(s. S. 110 und 340f.).
Fassen wir alles zusammen, um ein abschließendes Gesamturteil über
den poetischen Wert dieses Buches abzugeben, so werden wir sagen
dürfen: im Einzelnen manche Fehler, Mißgriffe, Widersprüche, vergebliche
SCHLUSZBETRACHTUNG. 355
oder künstliche Versuche, die Vielheit der benutzten Quellen zu einer
Einheit zu verbinden, und dennoch im Ganzen ein bedeutendes Kunst-
werk, wüi-dig der großen Zeit, in der es entstanden ist. Wenn es ein
Zeichen wahrhaft klassischer Poesie ist, daß sie einerseits aus dem Fühlen
ihrer Zeit herausgeboren sein und andrerseits sich doch über das Zeit-
liche erheben muß, so wird man dieses Adelsdiplom unserem Gedicht
erteilen dürfen. Denn was von der Aeneis im Ganzen gilt, das gilt im
Besonderen auch von diesem ihrer Teile. Die vergilische Nekyia ist
ohne den Hintergrund des augusteischen Zeitalters undenkbar, sie ist ein
bpä|ia, das sich abspielt auf der Bühne des kaiserlichen Roms, dessen
sittliche, religiöse und politische Ideale sie in monumentalen Gestalten,
packenden Szenen, erhabenen Gedanken und Worten zusammenfaßt. In
die Seele des größten Sohnes jener großen Zeit müssen wir xms also
zu versenken suchen, als der Dichter ihm dieses Buch vorlas, in dem
der Kaiser die Ziele, die er verfolgte, poetisch verklärt, die Vergangen-
heit mit der Gegenwart, die Gegenwart mit den Zukunftshoffnungen wie
zu einem schönen Traumbilde vereinigt und sich selbst als den Vollender,
den Wohltäter, den Retter der Welt geschildert fand. Denn er selbst
bildet in seinem Ahn ja den Mittelpunkt des Ganzen auch da, wo er
nicht eigens genannt ist, und er selbst wieder ist der inkarnierte Ver-
treter des Römertums, das die Götter in planvoller Leitung durch alle
Schrecknisse hindurchgerettet hatten und das eben damals seinen Bund
mit dem Hellenentum als dem Träger der Kultur schloß. Auf der
Basis dieser Weltkultur erhebt sich auch die unsrige: so erhält das
Gedicht, das den Gedanken jener Kultur Ausdruck verliehen hat, eine
über seine zeitliche und örtliche Beschränktheit hinausragende Bedeutung.
Als dann das Christentum ein neuer Faktor jener Weltkultur wurde,
hat es mit besonderer Liebe diesen Dichter zu dem seinigen gemacht,
der, fast an der Grenze der neuen Zeit stehend, Ideen formuliert hatte,
in denen der Christ staunend die eignen wiedererkannte.
23^
IV.
STILISTISCH-METRISCHE
ANHÄNGE
In diesen Anhängen ist eine Reihe von Untersuchungen nieder-
gelegt, die mit dem vorstehenden Kommentar eng verknüpft sind: um
nämlich nicht gezwungen zu werden, durch stückweises Zitieren inner-
halb des Kommentars in sich zusammenhängende Fragen zu zerteilen,
habe ich vorgezogen, sie hier systematisch zu behandeln und an den
betreffenden Stellen des Kommentars auf die Anhänge zu verweisen.
Vollständigkeit des Materials ist, außer wo sie durch die Sache selbst
geboten schien, nicht angestrebt worden; immerhin reichen meine Samm-
lungen dazu aus, gewisse für meine Zwecke wichtige Fragen im Prinzip
zu entscheiden.
I.
Ennianische Reminiscenzen bei Vergil.
Eine auch nur annähernd richtige Vorstellung von der Art und
dem Umfang, wie Vergil seine Vorgänger sprachlich benutzt hat, läßt
sich auf Grund tatsächlichen Materials nicht mehr gewinnen, da die für
ihn hauptsächlich in Betracht kommenden Literaturgattungen, Epos und
Tragödie, uns bis auf dürftige Reste verloren sind. Auch die Schiiffcen,
in denen diese sog. *furta' des Dichters zusammengestellt waren^), sind
1) Ich finde nicht erwähnt, daß diese uns aus der Suetonvita xmd Macrobius
bekannte Literaturgattung nichts anderes ist als eine Übertragung eines in
hellenistischer Literatur beliebten fivoc auf römische Verhältnisse, wie das
bekannte Exzerpt des Eusebios (praep. ev. X 3) aus Porphyrios' qpiXöXoYoc
diKpöaaic beweist, dessen Zitate bis auf Aristophanes von Byzanz hinaufführen.
Wer mithin den Vergilobtrectatoren in ihrer Beurteilung der ''farta' Vergüs
Glauben schenkt, muß bedenken, daß er den Dichter in der guten Gesellschaft
z. B. eines Menandros und des Oeioc TTXdTUJv findet. Wie verständige Männer
die 'furta' Vergüs' beurteilten, zeigt Plinius n. h. praef. 22 scito conferentem
auctores me deprehendisse a iv/ratissimis et proximis veteres transscriptos ad
verbum neque nominatos, non illa Vergiliana virtute, ut eertarent und
der vorzügliche Gewährsmann des Macrobius sat. VI 1, 6 iudicio transferendi
et modo imitandi consecutus est ut qiiod apud illum legerimus alienum . . .
melius hie quam uhi natum est sonare miremur, ganz wie es bei Porphyrios-
Eusebios 1. c. § 15 heißt: äyainai ArnuoaG^vriv, et Xaßuuv -rrapa 'Yirepeibou irpoc
b^ov öiiüpeujoe und 20 6 6' 'AvTi|Liaxoc xä '0|Lirjpou kX^tttujv rrapa&iopGoi
ktX. ; vergl. auch die vorzüglichen schol. Dan. zu aen. 11 797 adamat poeta ea
quae legit diverso modo proferre und III 10 amat poeta quae legit immutata aliqua
parte vel personis ipsis verbis proferre, beide mit Belegen aus Vergüs Naevius-
Imitation; sowie Servius zu E 501 'at tuha terrihilem sonitum' : hemistichium
Ennii. nam sequentia ('procul aere canwo \ increpuifj iste mutavit: ille enim
ad exprimendum tübae sonum ait 'taratantara dixif . et multa huius modi
Vergilius cum aspera invenerit, mutat. Mit ganz demselben Argument,
der (stilistischen) Korrektur des 'geplünderten' Vorgängers entschuldigt schon
Cicero den Ennius an der denkwürdigen SteUe Brut. 76 'scripsere'' inquit
360 ANHANG I.
verschollen; was unsere Schollen und Macrobius daraus mitteilen, ist
minimal im Verhältnis zu dem ursprünglichen Bestand: wußte doch der
filius terrae Q. Octavius Avitus acht volumina damit zu füllen (Sueton
p. 65 f. Eeijff.). Freilich: was an ganzen Versen Vergil wörtlich aus
älteren Dichtern zitiert hatte, das mag von Servius und Macrobius aus
den alten guten Kommentaren ziemlich genau ausgehoben worden sein.
Aber das war ja auch verschwindend wenig ^): das, womit jene Vergilio-
mastix acht Rollen füllte, müssen vor allem Versteile, Floskeln, phraseo-
logische Reminiscenzen gewesen sein, und da darf es uns nicht wundem,
daß es so viele volumina, sondern daß es nicht noch mehr gewesen
sind.^) Denn wie weit diese Art von Benutzung seiner Vorgänger,
speziell des Ennius gegangen sein muß, läßt sein Verhältnis zu Lucrez
wenigstens ahnen: der Abschnitt unseres Buches, der ein philosophisches
Problem lehrhaft expliziert (724 — 51), ist, wie im Kommentar gezeigt
wurde, ganz in der Art des Lucrez und mit stärkster Verwendung von
dessen Diktion gedichtet.^) Es erscheint mir schon a priori selbst-
(Ennius) ' alü rem vorsibus'' — et luculenter quidem scripserunt, etiamsi minus
quam tu polite. nee vero tibi aliter videri debet, qui a Naevio vel sumpsisti
multa, si fateris, vel si negas, surripuisti. Daß diese Literatur über litera-
rischen Diebstahl in Rom mindestens bis auf die sullanische Zeit zurfickgeht
(schon einige Repliken der Terenz-Prologe scheinen sie zur Voraussetzung zu
haben), lehren die Verse aus einem Prolog des Afranius, die Macrobius 1. c. 4
gewissermaßen als Motto seinen Erörterungen über die furta Vergils voran-
schickt und die auch hier, weil sie für die Beurteilung der vergilischen Praxis
tatsächlich schlagend sind, Platz finden mögen (25 ff. Ribb.):
sumpsi nön ab illö Csc. Menandro) modo
sed ut quisque habuit, conveniret quod mihi
quodque me non passe melius facere credidi,
etiam a Latino.
Wie man dagegen wirkliche furta beurteilte, zeigt Horaz ep. I 3, 15 ff.
1) Vergl. Leo, Hermes XXXVE 1902, 53 f. — Lehrreich Servius zu X 396
C semianimesque micant digiti ferrumque retractanV): Ennii est, ut . . . 'setniani-
mesque micant oculi lucemque requirunf ; quem versum ita ut fuit transtulit ad
suum Carmen Varro Ätacinus, und zu VI 846 ('unus qui nobis cunctando resti-
tuis rem''): sciens Vergilius quasi pro exemplo hunc versum posuit: also die Aus-
nahmen werden als solche notiert und motiviert. — Wie die Bemerkung des
Servius zu buc. 10, 46: hi autem omnes versus Galli sunt, de ipsius translati
carminibus zu beurteilen ist, zeigt die Analogie des schob Bern, zu georg. II 93 f.
('et passo psithia utilior tenuisque lageos \ temptatura pedes olim vincturaque
linguam'): hos versus a Calvo poeta transtulit. ait enim ille 'lingua vino temptatur
et pedes'' , d. h.: es handelt sich bei allgemeinen Angaben solcher Art um den
Gedanken, nicht um den Vers selbst. Analog schob Dan. zu g. I 375 hie locus
de Varrone est, ille enim sie, worauf 7 Verse folgen von denen nur einer wört-
lich von Vergil übernommen ist; Servius zu V 591 est versus Catulli: der Vers
Vergils lautet prangeret indeprensus et inremeabilis error'' , der Catulls (64, 115)
Hecti frustraretur inobservabilis error. Vergl. femer die Schollen zu g. IH 293.
aen. II 241. IV 1. V 426. VHI 631. X 807. XI 601. 608. XII 115.
2) Für den Umfang bezeichnend sind die bekannten Untersuchungen
A. Zingerles über Ovidius und sein Verhältnis zu den Vorgängern (Innsbruck
1869 — 71). Wenn man bedenkt, daß das uns zur Vergleichung überlieferte
Material nur einen kleinen Teil des von Ovid tatsächlich benutzten bildet und
daß dennoch die Quantität der entlehnten Floskeln und Versteile eine so über-
wältigend große ist, wird man der im Text ausgesprochenen Behauptung zu-
stimmen.
3) Vergl. Gellius I 21, 7 non verba autem sola sed versus prope totos et
locos quoque Lucreti plurimos sectatum esse Vergilium videmus. Mit dem ein-
ENNIANISCHE REMINISCENZEN BEI VERGIL. 361
verständlich, daß das, was von einer Episode wie der genannten nach-
weislich gilt, auch von dem Gedicht im ganzen zu gelten hat, bloß daß
hier der Name des Ennius für den des Lucrez eintritt. Nur derjenige,
der einen modernen Maßstab an diese Dinge anlegen würde, könnte das
leugnen oder, wenn er es selbst zugäbe, für den Dichter aus dieser Art
der Benutzung seines Vorgängers einen Vorwurf ableiten. Stellen wir
uns dagegen auf den antiken Standpunkt, so erscheint uns dieses Ver-
hältnis als eine Notwendigkeit. Ennius hatte Stil und Sprache des
Epos geschaffen, 'erfunden', wie man damals sagte; dadurch wurden sie
nicht bloß Gemeingut aller Nachfolger, sondern ihre 'Nachahmung'
gradezu verbindlich: dieselbe strenge Geschlossenheit, die für die Y^^ri
der antiken Literatur gegolten hat^), haben auch die iöeai des Stils und
der Sprache gewahrt. Es leuchtet daher ein, daß und warum wir uns
das Verhältnis Vergils zu Ennius nicht anders vorstellen dürfen, als das
der griechischen Epiker zu Homer, angefangen von den Homerrhapsoden
selber, die den Grundstock erweiterten, bis zu den Ausläufern im VI. Jahrh.
n. Chr.: die selbstverständliche Freiheit also, die sich etwa Antimachos^)
und Apollonios von Rhodos in der stilistischen und sprachlichen Be-
nutzung Homers nahmen, durfte Vergil sich gegenüber Ennius nehmen,
ja er mußte es tun, wenn er nicht der in Theorie und Praxis ver-
bindlichen 7Tapdbo(Tic trotzen wollte. Der Beweis hierfür liegt in der
epischen Poesie nach Vergil; denn wir würden Dichtem wie Valerius
Flaccus und Statius, so gering wir auch von ihren Fähigkeiten denken
mögen, gewiß nicht gerecht, wenn wir ihre starke formale Anlehnung
an Vergil aus dem Unvermögen erklären würden, selbst neue Worte
und Phrasen zu finden — wie unrichtig das wäre, zeigen ja Statius'
Silven, in denen als 'einem nicht vergilischen f4.\oc die jLiiiaricric Vergils
nicht entfernt so stark ist wie in der Thebais — , sondern füi- sie war
Vergil die verbindliche Norm geworden, wie es für ihn selbst Ennius
gewesen war.
Für Vergil empfahl sich die starke Anlehnung an Ennius außerdem
noch dadurch, daß die Heiübemahme der archaisch gravitätischen Sprache
seines Vorgängers seinem eignen Gedicht, das den Römern ihre Ver-
gangenheit in idealisiertem Bilde und gewissermaßen in die Gegenwart
projiziert zeigen sollte, den Stempel der Altertümlichkeit auch in der
Sprache aufdrückte. Jene eigentümliche Mischung von Altem mit Neuem,
die ein hervorstechendes Kennzeichen der augusteischen Ära ist, übte
vermutlich einen besonderen Reiz auf die zeitgenössischen Leser aus, die,
wie wir werden annehmen dürfen, die feierlichen Phrasen des noch immer
wegen seines ingenium hochgepriesenen alten Sängers mit Wohlgefallen
schränkenden prope totos vergleiche man Macrobius 1. c. 7 (nicht aus Gellius,
sondern beide aus älteren Quellen): ab aliis traxit (sc. Vergilius) vel ex ditniäio
sui versus vel paene solidos.
1) Vergl. Neue Jahrb. f. d. klass. Alt. 1901, 331.
2) Vergl. über ihn Eusebios 1. c. § 20 ff., wo ihm u. a. die Kontamination
eines Verses aus zwei homerischen Hemistichien nachgewiesen wird; nicht
anders hat es Vergil mit Homer gehalten (vergl. den Kommentar zu 445) und
wenn wir mehr Vergleichsmaterial hätten, würden wir ihm vielleicht auch die
Kontamination von Versen aus verschiedenen ennianischen Floskeln nach-
weisen können (vergl. zu 124).
362 ANHANG T.
allenthalben in einem Gedichte wiederfanden, das dazu bestimmt war,
den alten Wein in neue Schläuche zu füllen. Als Vergil zum ersten-
mal die Absicht aussprach, dem Wunsch seiner Gönner gemäß ein Epos
zu dichten, tat er es mit den Worten: Versuchen will ich eine Bahn,
auf der auch ich mich vielleicht vom Boden erheben kann, so daß meine
Worte sieghaft von Mund zu Mund fliegen' (georg. III 8 f.). Mit diesem
Zitat eines berühmten Enniusverses versprach er ein Epos im Stil des
Ennius, und dieses Versprechen hat er in der Aeneis erfüllt^), etwa in
demselben Sinne, wie Horaz die Satirendichtung des Lucilius und Livius
die alte Annalistik erneuerten.^)
Wenn diese Ausführungen richtig sind, so wird ein Erklärer Vergils
versuchen müssen, das ennianische Gut in den Versen des Nachahmers
wiederzuerkennen. Mit derselben Bestimmtheit aber, mit der man, wie
ich glaube, dies Ideal eines Vergilkommentars wird aufstellen dürfen,
wird man die Hoffnung, dieses Ideal auch nur annähernd zu erreichen,
aufgeben müssen. Unsere antiken Kommentatoren haben es nur selten,
an besonders markanten Stellen, der Mühe wert gefunden, das nötige
Material zu überliefern: begreiflich genug, da für sie diese Art von
|Lii|ur)(Tic nach den obigen Ausführungen etwas Selbstverständliches war.
Während wir daher in der Lage sind, die Scholien etwa zu Apollonios
von Rhodos nach der dort ebenfalls nur nebenbei berücksichtigten Seite
der homerischen |Lii)Liri(Tic durch das uns vollständig vorliegende Original
selbst zu ergänzen, sind wir bei der Erklärung Vergils auf die paar
Hundert zufällig überlieferter Enniusverse angewiesen. Um so mehr
wird es unsere Pflicht sein, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu
versuchen, ob sich dies dürftige Material vergrößern läßt. Es werden
sich dafür folgende vier Leitsätze aufstellen lassen: l) Da die antike
Verskunst sich innerhalb der einzelnen Yevri historisch entwickelt hat,
so bietet sie eine wertvolle Handhabe zu literarhistorischen Schlüssen:
wo Vergil von seiner eignen, hochentwickelten Praxis und derjenigen
seiner Zeitgenossen abweicht, da liegt stets die Möglichkeit, meist die
Wahrscheinlichkeit vor, daß diese Abweichung die Folge eines Zitats
ist. 2) Auch die Sprache hat sich historisch entwickelt, eine gewaltige
Kluft liegt zwischen den Sprachformen der Jahrhunderte, die Vergil von
Ennius zeitlich trennen; soweit wir also die Entwickelung zu erkennen
vermögen, bietet auch sie uns eine wichtige Handhabe, Entlehntes und
Eignes zu sondern. 3) Selbst der geschickteste Nachahmer verrät sich
1) Wenn mich mein Gefühl richtig leitet, sind die Anfangsworte der Aeneis
arma virunique eine leichte Abbiegung eines Enniuszitats , das IX 57 steht:
arma viros, wo der Vers für Vergils Praxis doppelt unregelmäßig schließt
{atqiie huc: s. Anhang IX 2, Ib), umgebende Worte (horrisonus, cordaj und diö
ganze Situation auf Ennius weisen; arma virunique steht auch XI 747, arma
virum I 119, arma viros IX 56, arma viro IX 696, arma viris IX 620 (die beiden
letzteren in Versen mit ungewöhnlichen Synaloephen, so daß man den Eindruck
fester, übernommener Phrasen hat: s. Anhang XI 2B 5b); arma viri Horaz
s n 7, 100 wohl gleichfalls aus Ennius.
2) So adelt er, ganz wie Horaz, das ingenium des alten Dichters durch
die fortgeschrittene ars. Z. B. XI 601 f. late ferreus hastis \ horret ager campique
armis suhlimibus ardent: eine schöne Umgestaltung des ennianischen Schauer-
verses, den Macrobius als Original zitiert sat. 15 sparsis hastis longis campus
splendet et horret. Vergl. auch den £omm. zu 179 ff.
ENNIANISCHE REMINISCENZEN BEI VERGIL. 363
als solcher oft dadurch, daß die entlehnte Phrase bei ihm in dem neuen
Zusammenhang, in den er sie stellt, sprachlich oder sachlich weniger
gut paßt als in dem Original, für das sie geprägt war. Mit relativ
größter Vollendung hat es Ovid verstanden, die Leser über seine starke
Anlehnung an seine großen Vorgänger durch eine die unterschiede
nivellierende Glätte der Form hinwegzutäuschen: man wird kein Be-
denken tragen, ihm in der virtuosen Handhabung dieser Technik den
Preis vor Vergil zuzuerkennen, der nicht in diesem Maße die Gabe be-
saß, das Fremde sich zu amalgamieren. Für unsere Untersuchung hat
das den Vorteil, Entlehnung ennianischer Phrasen gelegentlich durch den
Nachweis wahrscheinlich machen zu können, daß Konstruktion oder
Wortstellung kompliziert und von der sonstigen Praxis des Dichters ab-
weichend sind oder der Zwang sich durch formale Indizien anderer Art
bemerkbar macht. 4) über den allgemeinen Inhalt der Annalen sind
wir leidlich orientiert, auch von dem Ethos, in das der alte Dichter
seine Gedanken kleidete, können wir uns noch ein ziemliches Bild machen:
dadurch ist wiederum eine neue, wenn auch mit besonderer Vorsicht zu
benutzende Erkenntnisquelle gegeben. — Von diesen vier Gesichtspunkten
aus — Metrik, Sprache, Formzwang durch |ai)HTi(Jic, allgemeiner Charak-
ter — ist im Kommentar der Versuch gemacht worden, das zur Be-
urteilung nötige faktische Material zu vergrößern;^) besonders da, wo
mehrere dieser Momente zusammenkommen und sich gegenseitig stützen,
steigt der Grad der Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Kom-
bination. Trotzdem bin ich mir einerseits zwar bewußt, oft nur mit
Möglichkeiten zu operieren, andererseits aber auch nur einen geringen
Teil der tatsächlichen Entlehnungen erkannt zu haben. Gefühlt freilich
habe ich eine ennianische )ii)iri(Tic oft — etwa in dem Sinne, wie man
aus Livius oft den Ton der alten Annalisten, aus Strabon den des
Poseidonios entgegenklingen hört — , aber wo ich nicht vermochte, die
Berechtigung für dieses Gefühl irgendwie zu beweisen, habe ich ge-
schwiegen.
Neben den erwähnten vier im Kommentar fortlaufend berücksich-
tigten grundsätzlichen Möglichkeiten, ennianisches Gut auszusondern, gibt
es eine fünfte, über die hier im Zusammenhang gehandelt werden soll,
aber wesentlich nur insoweit, als es für die Exegese von Versen unseres
Buches dienlich ist; zu einer systematischen Ausdehnung dieser Unter-
suchimg auf die anderen Bücher reicht meine Materialsammlung nicht aus.
Vergils Phraseologie berührt oder deckt sich oft mit derjenigen
früherer Dichter, die deshalb nicht von ibm unmittelbar benutzt sein
können, weil ihre Werke einem anderen flvoc angehören, a) Vor allem
gilt das von Berührungen oder Übereinstimmungen zwischen Vergil mit
Plautus oder Lucilius^) in solchen Worten und Phrasen, die über dem
1) Die Stellen vergl. im Register I unter 'Vergils Nachahmung des Ennius'.
2) Was für Vergil und Lucilius gilt, das hat auch für Vergil und die
Satiren des Horaz zu gelten: findet sich an den zahlreichen Stellen, wo Horaz,
dem Stil dieses y^voc entsprechend, den epischen xapaxTrip parodiert, eine mehr
oder minder wörtliche Übereinstimmung in der Phraseologie mit Vergils Aeneis,
so hat unbedingt Ennius als das gemeinsame Prototyp zu gelten. Denn Ennius
mußte ja für Horaz (wie schon für Lucüius: vergl. 1174 L. Valeri sententia
364 ANHANG I.
Niveau gewöhnlicher Diktion stehen. So würden wir zum Beispiel aus
dem Vorkommen von quadrupedans bei Plautus und Vergil, von sonipes bei
Lucilius und Vergil auf alte Poesie hohen Stils schließen müssen, auch
wenn uns diese Worte nicht tatsächlich aus dieser bezeugt wären
(Ennius, Accius) ; so würden wir für die echt archaisch-realistische Metapher
aen. VII 345 quam (Ämatam) . . . curaeque iraeque coquebant wegen ihrer
ähnlichen Verwendung bei Plautus Trin. 225 egomet me coquo (sc. dolore)
auf Ennius schließen dürfen, auch wenn aus ihm zufällig nicht über-
liefert wäre ann. 340 quae (cwra) te coquit. In solchen Fällen werden wir
mithin Ennius als gemeinsame Quelle anzunehmen haben, doch mit der
Einschränkung, daß neben seinem Epos auch an seine eignen Tragödien
oder die anderer Dichter gedacht werden kann (und bei Plautus wohl
gedacht werden muß). Überhaupt läßt sich die Frage: Epos oder Tra-
gödie da, wo es sich um rein sprachliche Kriterien handelt, deshalb
meist nicht sicher entscheiden, weil zwischen beiden starke Wechselwirkung
stattgefunden hat: denn Ennius hat die TpaYVKf) XeHiC, die er teils über-
nahm, teils selbst weiterbildete, auch für die Grandezza seines epischen
Stils verwertet und auch Vergil selbst hat die alten Tragiker neben dem
ennianischen Epos gelesen und verwertet (vergl. den Komm, zu 405. 500.
692f.). — b) Auch Cicero ferner hat, wie ja auch nicht anders zu er-
warten, seinen poetischen Wortschatz durch den des Ennius bereichert^),
wie sich noch auf Grund unseres dürftigen Materials mit Sicherheit er-
kennen läßt. Wo also Vergils Phraseologie mit derjenigen Ciceros iden-
tisch oder verwandt ist, darf Ennius als das gemeinsame Vorbild be-
zeichnet werden. Denn wenngleich anzunehmen ist, daß Vergil Ciceros
Gedichte, wenigstens die didaktischen, selbst gelesen hat^), so macht es
doch, wie wir sehen werden, die Art der Übereinstimmung zwischen
beiden wahrscheinlich, daß Vergil nicht dem Cicero, sondern beide dem
Ennius folgten. Als ich mir dieses Urteil über das Verhältnis beider
längst gebildet hatte, sah ich zu meiner Freude, daß üsener ebenso
urteilt und die Kichtigkeit dieser Auffassung schlagend bewiesen hat
(Rhein. Mus. LVI 1901, 313). — c) Oft müssen wir denselben Maßstab
an Übereinstimmungen zwischen Vergil und Lucrez anlegen, der ja
dia, danach oder direkt nach Ennius Horaz I 2, 32 sententia dia Catonis) die-
selbe Rolle spielen wie für die griechischen Parodisten Homer und wie dann
für die nachhorazischen Satiriker Vergil selbst. Das bekannteste Beispiel eines
bezeugten Enniuszitats bei Horaz ist sat. I 2, 37 audire est operae pretium =
Enn. ann. 454. In diesem Sinne sind von mir im Kommentar einige Horaz-
stellen benutzt worden (vergl. das Register I unter 'Ennius'); eine systematische
Untersuchung auf Grund des ganzen Materials erscheint aussichtsvoll. Ein
Beispiel für die Art des Schlusses: Horaz s. H 2, 52 Romana iuventus = Ennius
ann. 538 ^^ Verg. a. I 467 Troiana iuventus, also stammt Horaz s. H 8, 34
moriemur inulti = Vergil a. H 670 aus Ennius. Ein Beweis für die prinzipielle
Richtigkeit dieser Kombination ist auch darin zu sehen, daß gelegentlich ver-
gilische Floskeln durch das Medium von Parodieen des epischen Stils in den
Fragmenten der Satiren Varros sich auf Ennius zurückführen lassen (vergl.
das Register I unter 'Ennius').
1) Seine Vorliebe für Ennius' Diktion liegt in seinen zahlreichen Zitaten
offen zu Tage; sie wird auch, woran mich R. Wünsch erinnert, durch das
interessante Gelliuskapitel XH 2 ausdrücklich bezeugt.
2) Daß Lucrez sie gelesen hat, scheint sicher zu sein: Munro zu Lucr.
V 619; J. Maybaum, De Cic. et Germanico Arati interpretibus, Rostock 1889, 16, 2.
ENNIANISCHE REMINISCENZEN BEI VERGIL. 365
auch seinerseits den von ihm aufs Höchste bewunderten Ennius stark
benutzt hat.-^) Aber dabei ist Vorsicht nötig, da Vergil sich nachweis-
lich auch an Lucrez direkt angeschlossen hat. — d) Ebenso werden wir
Konkordanzen zwischen Vergil und Livius vorsichtig beurteilen müssen,
da wenigstens für die späteren Partieen seines Werkes die Möglichkeit einer
stilistischen Beeinflussung durch Vergil zugegeben werden muß^); sehr
wahrscheinlich ist sie freilich nicht. Vielmehr beginnt der entscheidende
Einfluß Vergils auf die Sprache der Prosa erst mit Velleius, während
Livius wenigstens in den uns erhaltenen Teilen seines Werks noch im
Banne des ennianischen Epos steht, ganz wie seine annalistischen Vor-
gänger, nur daß er mit fortschreitender Kunstübung und je mehr er zur
Darstellung eigentlich geschichtlicher Ereignisse kommt, das poetische
Kolorit seiner Sprache allmählich zurücktreten läßt. — Immerhin werden
wir für die folgenden Listen Lucrez und Livius nur als sekundäre
Zeugen heranziehen. Einige wohl sichere Beispiele für gemeinsame Be-
nutzung ennianischer Phrasen durch Lucrez und Vergil oder Livius und
Vergil sind im Register I unter 'Ennius' notiert worden.
1. Vergil VI und Flautus.
aen. VI 91 rebus egenis (= VIII 365. X 367). Dieselbe Verbindung
bei Plautus Capt. 406. Poen. 130. Da egenus zu Vergils Zeit schon
nicht mehr lebendig war (das archaische Kolorit des Ausdrucks fühlte
Petron, wenn er ihn in dem auch sonst mit altertümlichen Floskeln auf-
geputzten Gebet c. 133 verwendet), so darf die Verbindung für Ennius
in Anspruch genommen werden, zumal an der Stelle in VIII auch der
Zusammenhang auf diesen hinweist. Zur Bestätigung dienen noch folg.
zwei Argumente: l) Der Versschluß I 599 omnium egenos stimmt mit
Livius IX 6, 4 owmium egena corpora (s. Stacey 1. c. 50); 2) Die Syn-
aloephe in diesem Versschluß widerspricht durchaus der eignen Praxis
Vergils (s. Anhang XI l).
An den beiden zitierten Stellen stellt Plautus neben die Verbindung
rebus egenis die weitere: dubiis rebus. Diese hat Vergil VI 196.
VI 276 mcdesuada Farnes. Das Adjektiv vor Vergil bei Plautus
most. 213. Da er auf dessen Autorität die Komposition (vergl. male
suadere Plaut. Cure. 508) nicht zugelassen hätte (vergl. den Kommentar zu
141), so darf das Wort für einen archaischen Dichter des uqjTiXöv y^voc
in Ajispruch genommen werden, der damit vielleicht KttKÖßouXoc wiedergab.
VI 488 conferre gradum: vergl. Plautus merc. 881 contra pariter
fer gradum et confer pedem (aul. 813 gradum contoUere), LiArius VII 33, 11
consul cum quo forte contulit gradum, obtru/ncat. Vergil wahrscheinlich
1)' Vergl. Vahlen, Ennius und Lucretius, Sitzungsber. d. Berl. Ak. 1896,
7 17 ff. Man wird behaupten dürfen, daß da, wo sich die Diktion des Lucrez
über ihr durch den lehrhaften Stoff gegebenes Niveau erhebt, Ennius mehr
oder weniger stark benutzt ist; Musterbeispiel III 1025—45, wozu Heinzes
Kommentar zu vergleichen, der viel, aber noch wohl nicht alles erreichbare
Material bietet.
2) Vergl. S. Stacey, Die Entwicklung des livianischen Stils (Archiv f. lat.
Lexikogr. X 1898, 17fl'.), wo zum erstenmal systematisch der Versuch gemacht
ist, durch indirekte Schlüsse ennianische Phrasen bei Livius zu konstatieren.
366 ANHANG I.
aus Ennius, Livius entweder aus seiner ennianisch gefärbten Vorlage
oder wie ähnliche Phrasen (s. Stacey 1. c. 24) direkt aus Ennius. —
Analoger Schluß für die bei Vergil beliebte Phrase se adferre (im Sinn
von advenire) III 310. 346. VII 477: vor Vergil wohl nur Plaut.
Amph. 988 und Terenz Andr. 807. Ebenso iussa capessere aen. I 77,
vergl. Plaut, trin. 300 imperia capessere, zumal der Versschluß iussa
capessere fas est für Vergil trotz der durch EnMisis zusammengerückten
Monosyllaba schon nicht mehr gewöhnlich ist (s. Anhang IX).
VI 633 pariter gressi ^^ Plautus Truc. 124 pariter gr ädere.
VI 472 corripuit sese . . . {atque refugit). Da se corripere eine in
diesem Sinne von Plautus (z. B. merc. 661 ut corripuit se repente atque
ahiii) und Terenz oft gebrauchte Wendung ist, so kann Vergil die
Phrase aus Ennius übernommen haben. In XI 462 corripuit sese et tectis
citus extulit altis verbindet er sie mit se efferre, das wie das vorhin er-
wähnte se adferre ebenfalls archaisches Kolorit hat (vergl. Plaut. Bacch.
423 pedem efferre aedibus) und das XII 441 haec ubi dicta dedit, portis
sese extulit ingens mit dem ennianischen Hemistichium (s. unten bei 3)
haec ubi dicta dedit verbunden ist.
VI 90 Teucris addita luno. In alten Kommentaren, aus denen
Servius und Macrobius (VT 4, 2) schöpfen, war addere in diesem Sinne
als verhum antiquorum aus Plautus (aul. 555 f. Argus . . . quem quondam
loni luno custodem addidit) und Lucilius belegt. Es war wohl eine
TpaYiKf) XeHic: luno ist als bai|LiuJv ^cpebpoc gedacht.
VI 160 muUa Uli inter se vario sermone serebant. Die etymo-
logische Verbindung (Varro 1. 1. VI 64) == Plautus Cure. 193 u. ö., auch
Livius VII 39, 6 haec occultis sermonibus serunt. Ennianischer Ursprung
ist bei Vergil um so glaublicher, als inter se an gleicher Versstelle aus
Ennius (a. 138) belegt ist.
VI 185 f. haec . . . tristi cum corde volutat. Aus Ennius (a, 473)
belegt ist tristi cum corde, was Vergil auch VIII 522 muUaque dura su,o
tristi cum, corde putabant hat. Wie in diesem Vers putare in archaischer
Bedeutung steht (s. den Konamentar zu 31 7 ff.), so in dem des VI. volu-
tare: Plautus mil. 196 volutare secum in corde, Lucilius 973 in corde
volutas, Lucrez III 240 mente volutant. Also ist auch VI 157 f. caecosque
volutat I eventus animo secum durch ein archaisches Vorbild beeinflußt.
Wie Liidus die Phrasen XXVIII 18, 11 in animo volutare XL 8, 5 m/uUa
secum, animo volutare aus seinen Quellen beibehielt, so Sallust lug. 13, 5.
113, 3 die analogen Verbindungen aliquid secum agitare oder cum animo
reputare. Die echt altertümliche Vorstellung, daß der Mensch mit seinem
Verstände wie mit einem alter ego überlegt und erwägt, ist aus Homer
geläufig; ein besonderes drastisches Beispiel hat Pindar P. 3, 28 f. in der
lyrischen Behandlung einer hesiodischen Eöe.
VE 57 direxti. Vergl. über derartige, auch bei Plautus nachweis-
bare Synkopen den Kommentar z. d. St.
2. Vergil VI und Lucilius.
aen. VI 77 finem dedit ore loquendi von Ursinus mit Ennius a. 572
pausam facere ore {ore add. Vahlen) fremendi verglichen. Noch näher
ENNIANISCHE REMINISCENZEN BEI VERGIL. 367
steht die von Lucilius 16 L. parodierte iTepiq)pa(yic: haec ubi dicta dedit
(dies Hemistich ebenfalls ennianisch: s. unten bei 3), pausam facit ore
loquendi. Vergil ersetzte das von ihm schon als vulgär empfundene
pausa (^pausa loquendi auch Accius tr. 290) durch finis.
Daß Vergils Capitolia ad alta VI 836 aus Ennius stammt, ist im
Kommentar aus anderen Gründen wahrscheinlich gemacht worden. Lu-
cilius (ine. 140 M.) hat ad Capitolia magna.
Vergils cortina VI 347 stammt, wie das Wort selbst zeigt, aus
archaischer (wohl tragischer) Poesie. Darauf führt auch Lucilius' 245
parodierendes cortinipotens. Ähnlich zu beurteüen ist wohl alma Ceres,
das Lucilius 195 und Vergil g. I 7 an gleicher Versstelle haben. ^)
3. Vergil und Cicero.
Daß Vergils praepetibus pinnis aen. VI 15 aus Ennius stammt, ist
im Kommentar u. a. durch das Vorkommen der Phrase in Ciceros Marius
bewiesen worden.
Cicero fr. 22, 18 Baehr. (de div. II 63: Iliasübersetzung) genitor
Sabumius, Vergil a. IV 372 Saturnius . . . pater: nach Ennius, der a. 65
Saturnia luno hat. Ennius muß Saturnius an dieselbe Versstelle gesetzt
haben wie Vergil 1. c. nee Saturnius Jiaec oculis pater aspicit aequis und
V 799 tum Saturnius haec domitor maris edidit alti, denn beide Verse
sind für Vergils Praxis durchaus ungewöhnlich wegen des daktylisch
auslautenden Wortes im zweiten Fuß: er hat das nur noch g. DI 344
armentarius Afer und a. IV 316 per conubia laeta, letzteres ein Zitat
aus CatuU 64, 141.
Cicero schließt ib. 22 einen Vers mit voce locutus, Vergil a. I 614
ore locutast. Solche Ausdrücke für 'sprechen', die schon durch das
periphi-astische ore archaischen Typus zeigen (wie dirö YXujcJCTac cpQiyiaTO
Pindar 0. 6, 13), dürfen wohl bestimmt als ennianisch bezeichnet werden,
vergl. oben (bei 2) über finem dedit ore loquendi; femer aen. VI 155
dixit pressoque obmutudt ore VII 194 placido prior edidit ore (vergl. Ovid
m. Vin 703 talia tum placido Saturnius edidit ore, wegen Saturnius mit
ennianischem Kolorit), sowie XI 742 ita farier inßt (ennianisch wegen
des doppelten Archaismus), VI 372 talia fatus erat (vergl. ann. 37 talia
commemorat), 190 (= Vm 250) vix ea fatus erat (sicher ennianisch,
s. d. Kommentar), V 382 = XII 295 atque ita fatur (mit ungewöhn-
licher Synaloephe, vergl. Anhang XI), ähnlich II 1 ora tenebant als
ennianisch (a. 94) bezeugt.
Cicero ib. schließt einen Vers mirabile monstrum, ebenso öfters
Vergil; daß nicht Cicero die (alliterierende) Verbindung prägte, ergibt
sich daraus, daß er sie wie eine erstarrte Phrase in den hier von ihm
übersetzten Homervers (B 320 0au|üidZ;ojaev oiov enixOTi) hineinträgt.
1) Zu aen. IX 225 consilium summis regni de rebus häbebant notiert Servius:
Lucüü versus uno tantum sermone mutato; nam ille ait 'consilium summis ho-
minum de rebus häbebant' : der Luciliusvers parodiert eine ennianische Götter-
Bzene. Analog zu beurteilen Serv. z. X 104 sowie zu g. II 98 (hier gemeinsames
griechisches Original).
368 ANHANG!
Cicero Arat. 67 validis . . viribus (alliterierend), Vergil VI 833
validas . . vires: Ennius a. 301 validis cum viribus.
Vergl. Cicero fr. 30, 2 luppiter . . lustravit lumine terras (allite-
rierend) mit Vergil IV 6 Phocbeä lustrabat lampade terras (Aurora).
VI 368 (sine) numine divom Versschluß Catulls 64, 134, der aber
(worauf auch das für Catull schon veraltete divom führt) älter sein
wird, da Ennius a. 444 einen Vers mit divom, Cicero de cons. fr. 3, 70
mit numine divos schließt. Auf Entlehnung weist auch V 56 Mud
equidem sine mente rcor, sine numine divom, wo mens deorum altertüm-
lichen Eindruck macht, s. auch Anhang 1X2. So muß auch 111697
(iussi) numina magna entlehnt sein wegen der sehr seltnen Ausfüllung
des zweiten Versfußes durch ein daktylisches Wort und der mangelnden
Nebencaesur: s. Anhang VII B2 d2. •
n.
Periodik.
1. Illietorische Gliederung.
„Die römische Poesie verdankt ihre Ausbildung der genaueren Rich-
tung auf das, was der poetischen Rede ziemt, während die alte Poesie
bis zum Ausgang der Republik schwankt zwischen Poesie und Prosa.
Solche lange Perioden wie Lucrez I 930 — 950 sind aber der Prosa an-
gemessen, nicht der Poesie. Noch Catull hat am Anfange des Gedichtes
auf das Haar der Berenike eine . . . lange Periode."
Die Richtigkeit dieser Worte M. Haupts (bei Beiger S. 161) ist
längst anerkannt, auch das Weitere, daß Vergü der eigentliche Schöpfer
der poetischen Technik auch auf diesem Gebiet gewesen ist (F. Skutsch,
Aus Vergil Frühzeit, Leipzig 1901, 65). Das Prinzip läßt sich kurz
so formulieren: Vergil hat die Gesetze der kunstmäßigen Prosa auf
die Poesie übertragen und für sie verbindlich gemacht: begreiflich genug,
denn diese Art von Poesie war ja, wie rhetorische Prosa, zum lauten
Lesen vmd Hören bestimmt. Cicero verbietet, daß die Periode ein ge-
wisses Maß überschreite, und bezeichnet vier Hexameter als die Normal -
länge auch der Prosa (de or. IH 181 f. or. 222). Tatsächlich sind bei
Vergil die Fälle, wo eine Periode sich über mehr als vier Hexameter
erstreckt, nicht eben häufig^) und die Ausnahmen wohl meist beabsich-
tigt: so VI 56 — 62 in einem Gebet (wie georg. I in., n4ff.), für das
dem alten Hymnenstil gemäß lange Satzgefüge typisch waren, 119 — 23
in einem pathetischen, durch ein kunstvolles Anakoluth ausgezeichneten
Epilog, 791 — 97 in dem prunkvollen Panegyrikus auf Augustus. Aber
nicht bloß die gemessene Länge ist das Kriterium einer guten Periode,
sondern in noch viel höherem Grade die Gliederung, durch die auch
eine das Normalmaß überschreitende Periode ein Kunstwerk werden
kann: contitMütio verboi'um multo est aptior ac iucundior, si est articulis
membrisque distincta quam si continuata ac producta Cic. 1. c. 186; KoiXa
und KÖ)Li^aTa bilden die eigentliche Signatur des kunstgerechten Satzes
seit Thrasymachos und Isokrates, die durch ihre Einführung die eigent-
lichen dpxntCTai der Kunstprosa geworden waren. Diese 'Glieder' sind
es daher auch, die Cicero und Vergil zur Signatur der prosaischen tmd
poetischen Periode erhoben, vor allem das rpiKUuXov und TexpdKiuXov
(oder dessen Halbierung, das biKUüXov), die seit Isokrates dominierten
1) Als besonders ungefüge, an livianische Art erinnernd, notierte ich mir
X 302 — 368. In den Georgica zeigt sich noch hin und wieder die Art des
Lucrez, so I 104 ff. E 184 ff.
Vmbqil Buch VI, Ton Norden. 24
370 ANHANG II.
und nach Senecas d. ä. Zeugnissen (contr. II 4, 12. VIII 2, 27) grade
auch in den Rhetorenschulen der augusteischen Zeit am beliebtesten
waren, besonders das xpiKUjXov, das auch der vergilischen Periodik ihr
eigentliches Gepräge gibt. ^) Triadische und tetradische Gruppierung
herrscht auch in der Komposition im Großen, d. h. in der Disposition:
diese Architektonik von Pindar an, bei dem sie schon sehr deutlich ist^),
durch die Literatur beider Sprachen in Poesie und Prosa ^) zu verfolgen,
dächte ich mir eine reizvolle Aufgabe.*) Für das VI. Buch der Aeneis
1) Vergl. beispielsweise die Analyse zu 1 — 13, 212 — 35, doch gibt die
Analyse fast jeder Perikope Beispiele: s. Register III unter 'Periodik'.
2) Ein paar beliebig herausgegriffene Beispiele. Nem. 1: 1) Prooemium
1 — 7, 2) Übergang zum Enkomion 8 — 12, 3) Enkomion mit zugehörigem Mythus
13 — Ende: a) Die Heimat des Siegers 13 — 18; b) Die dpexai des Siegers 19 bis
33 dvbpu)v, a) Gastfreundschaft 19 — 25 övriov, ß) Kraft des Körpers und Weis-
heit des Geistes 25 T^x'vai--30, y) Lebenskunst 31 — 32 äv6pil)v; c) Der Mythus
33 if[b — Ende: a) Das Wunder 33 i'^dj — 47, ß) Eindruck auf die Umgebung
48 — 59, y) Prophetie des Teiresias 60 — Ende. — Olymp. 6: 1) Enkomion des
Siegers 1 — 21: a) Prooemium 1 — 4 xiiXauT^c, b) Übergang zum Enkomion 4 el — 7,
c) Enkomion 8—21; 2) Enkomion des Geschlechts 22 — 74 ^kootov (Anfang und
Ende weisen auf einander hin: 25 y^voc, 71 y^voc): a) Prooemium 22 — 28
b) Geschlechtsmythus 29 — 70, c) Schluß 71 — 74gKaaTOv; 3) Rückkehr zum Sieger
74 |Liu)|Lioc — 81: a) An alles Große heftet sich der Neid 74 iliujilioc — 76, b) Was
ich zum Ruhm des Geschlechts sagte, ist wahr 77 — 80 Tifi^, c) Daher ver-
dankt auch der Sieger den Sieg dem Hermes 80 kcIvoc — 81; 4) Persönliche
Bemerkungen des Dichters 82 — Ende: a) Korrektur des Sprichworts von der
BoiujTia uc 82 — 90 öv, b) Segenswünsche 90 taoi — 102, c) Gebet an Poseidon
103— Ende. — Pyth. 3: 1) Mythus 1—58: a) Einleitung 1—7, b) Koronis 8—46
c) Asklepios 47 — 58; 2) Spezielle Folgerung für Hieron 59 — 79: a) Einleitung
59 — 62 (Yviü)LiTi des Mythus), b) Gesundheit des Körpers vermag ich nicht zu
gewähren 63 — 76, c) Aber um sie zu beten vermag ich 77 — 79; 3) Allgemeine
Folgerung: die ungetrübte Freude des Lebens ward keinem Menschen zuteil
80 — Ende: a) Einleitung (diese Wahrheit muß vor allem ein König kennen)
80 — 86 Tr6T)Lioc, b) Mythische Beweise 86 atuüv — 103 yöov, c) Schluß (wuchere
mit dem Pfunde, das Gott dir gegeben hat) 103 el — Ende.
3) Sehr deutlich ist die triadische und tetradische Gruppierung z. B. in
der demosthenischen Kranzrede; wo sie durchbrochen ist, pflegt das mit der
eigentümlichen Entstehungsgeschichte dieser Rede zusanunenzuhängen.
4) Besonders klar ist die Vorliebe für trikolische und tetrakolische Gliederung
mir bei Horaz geworden. Fast jedes Gedicht bietet eine Reihe von deutlichen
Fällen, z. B.:
11:1) Prooemium (Widmung) 1—2, 2) Tractatio a) 3—10 a) 3—6 (drei
KÖ|Li)LiaTa) ß) 7—8 y) 9—10 b) 11—18 a) 11—14 ß) 15—18 c) 19—28
a) 19—22 (vier k.) ß) 23—25 detestata (drei k.) t) 25 manet—28 (drei k.),
3) Conclusio 29—36 : eine dreigliedrige Periode a) 29—32 populo b) 32
si— 34 c) 35—36.
I 22 : 1) Strophe 1—2, 2) Str. 3—4, 3) Str. 5—6.
I 31: 1) Str. 1—2, 2) Str. 3—4, 3) Str. 5.
I 34: drei Perioden von je drei Gliedern.
II 20: 1) Str. 1 — 2 a) V. 1 — 5 relinquam (drei k.) b) 5 non — 8 (drei k.)
2) Str. 3—4, a) Str. 3 (drei k.), b) Str. 4, 3) Str. 5—6 a) Str. 5, b) Str.
6 (drei k.).
HI 1: Nach dem Prooemium (Str. 1 in drei k.) drei Teile: 1) Str. 2—4
a) V. 5 — 8 (vier k.) b) 9 — 14 maior (vier k.) c) 14 aequa — 16 (zwei k.),
2) Str. 5—10 a) Str. 5—6 (zweimal drei k.) b) Str. 7—8 (zwei -f vier k.)
c) Str. 9—10 (drei kujXo, das dritte mit drei KÖm.iaTa), 3) Str. 11 — 12
(drei kuiXo, das erste mit drei KÖmuaTa).
III 4: 1) Str. 1—2, 2) Str. 3—9, 3) Str. 10—20.
ni 9 : 1) Str. 1—2, 2) St. 3—4, 3) Str. 5—6.
PERIODIK. 371
habe ich die Sorgfalt, mit der Vergil die Disposition im Großen und jede
einzelne Periode gestaltet, im Kommentar fortlaufend nachgewiesen: vergl.
das Register m bei 'Disposition' und 'Periodik'. Denn nachdem der
Wahn, als ob der Dichter arithmetische Eesponsion von Versgruppen er-
strebt hätte, für Urteilsfähige beseitigt ist, muß um so größeres Gewicht
auf den Nachweis der rhetorischen Gliederung der Perioden nach Kola
und Kommata gelegt werden. Es ist selbstverständlich, daß gelegentlich
die Kola auch mit den Versen zusammenfallen, worauf im Kommentar
bei der Periodenanalyse an besonders markanten Stellen hingewiesen ist
(vergl. z. B. 6 60 ff., und unten bei 4, 2); aber das ist vielmehr eine
Ausnahme als die Regel, genau so wie bei Pindar und Horaz Gedanken-
abschnitte und Strophen zwar gelegentlich sich decken, aber häufiger
auseinanderfallen.
2. Parataxe und Hypotaxe.
Während also die Periodik der kunstmäßigen Poesie mit derjenigen
der Prosa in dem Prinzip einer übersichtlichen Gliederung übereinstimmt,
weicht sie von dieser ab in dem Prinzip, die einzelnen Kola möglichst
durch Parataxe neben einander zu stellen, anstatt sie durch Hypotaxe
sich einander unterzuordnen. Die archaische Poesie bewegt eich noch
oft in Perioden, deren Glieder eins vom andern abhängen; man braucht
Lucrez nur aufzuschlagen, um Beispiele zu finden, so VT 58 ff.
nam bene qui didicere deos securum agere aevom,
si tarnen interea mirantur, qua ratione
quaeque geri possint, praesertim rebus in Ulis
quae super a caput aetheriis cernuntur in oris,
rursus in antiquus referu/ntur rdigiones.^)
Im Gegensatz hierzu bevorzugt Vergil die Parataxe als die mehr
poetische Art der Diktion, so gleich zu Beginn von Buch VI:
sie fatur lacrimans, classique immittit habenas,
' et tandem Euboids Cumarum adlabitur oris.
obvertunt pelago proras, tum dente tenaci
ancora fundabat navis, et litora curvae
praetexu/nt puppes.
Das sind zwei Perioden von je drei parataktisch an einander ge-
reihten Gliedern, die in Prosa durch Hypotaxe etwa so verbunden
worden wären: 'quae postquam lacrimans dixit, velis passis tandem Cu-
mas appellit; ibi proris ad mare versum ancora religatis puppes litora
praetexunt.' Wo er Perioden mit Hypotaxe der Kola bildet, sorgt er
dafür, daß sie eiiauvoTTTOi sind, z. B. das ipiKUjXov VI 33 ff.
quin protimis omnia
perleg er ent oculis, ni iam praemissus Achates
1) Ein charakteristisches Beispiel bietet auch ein längeres hexametrisches
Fragment des Sueius, also eines Dichters aus der Zeit des Übergangs von der
archaischen zur neoterischen Epoche (FPR p. 285 Baehrens).
24*
372 ANHANG H.
adforet atque una Phoebi Triviaeque sacerdos
Deiphöbe Glauc% fatur quae talia regi.
Vergl. auch den Kommentar zu 153f. 537f. 629f.
Aus dem Streben Vergils nach parataktischer Satzfügung zu erklären^)
ist auch die in solcher Häufigkeit sonst kaum nachweisbare^) zeitliche
Umkehi-ung der Begriffe (iKTTepoXoTia oder ücTTepov irpÖTepov). Charakte-
ristische Beispiele aus Buch VI: 18f. 115. 184. 226. 331. 365f. 374f.
452. 543. 545. 559. 567. 750f., aus anderen Büchern z. B. II 353
moriamur et in media arma ruamus (= ruentes moriamur) 749 ipse
urhem repeto et dngor fulgentibus armis (= cinctus repeto), V 292 invitat
pretiis cmimos et praemia ponit (= praemiis positis invitat), VII 7 tendit
iter velis portumque relinquit (= portu relicto tendit) wie g. III 104 con-
temmmtque favos et frigida tecta reUnquunt (= tectis reUctis contemmmt). ^)
Er sah darin wohl etwas spezifisch Archaisches*) oder Homerisches
(vergl. Cic. ad Att. I 16 respondeho tibi uffiepov TtpÖTepov, öiHTipiKuJc).
Während aber bei Homer der Grund dieser Stellung ein psychologischer
zu sein pflegt (vergl. J. Classen, Beobacht. über den homer. Sprach-
gebrauch, Frankfurt 1867, 189 ff.), kann man davon bei Vergil wohl
nur in seltnen Fällen reden. An einer Eeihe der angeführten Beispiele
des VI. Buchs ist im Kommentar vielmehr nachgewiesen, daß der Grund
für die scheinbare logische Umkehrung der Begriffe in einer Herüber-
nahme von floskelhaften Phrasen aus Ennius zu suchen ist.
Seine Vorliebe für die Parataxe führte ihn gelegentlich zu großen
Kühnheiten in der Wortstellung, z. B. II 203 ff. tranquUla per alta . . .
angues incumbunt pelago pariterque ad litora tendunt (== tranquUla per
alta ad litora tendwnt pelago incumbentes ; anders H. Plüß, Vergil und
die epische Kunst S. 61), V 731 ff. Ditis tarnen aMe \ infernas acccde
domos et Averna per alta \ congressus pete nate meos (= per Avema
accedens infernas domos congressus meos pete); vergl. VIII 82. XI 781
und Leo, Gott. gel. Anz. 1898, 8.^^)
Der Parataxe zuliebe macht er öfters Anwendung von einer be-
kannten, schon Homer geläufigen (A 78. N 634) Form des Anakoluths,
so VI 283 f. quam sedem Sorrmia volgo \ vana tenere ferunt foliisque sub
Omnibus haerent (= sorrmia sub foliis haerentia), g. HI 2 82 f. hippomanes
quod saepe malae legere novercae \ miscueruntque herbas (= mixtis herbis)^
und viel dergleichen bei Ph. Wagner, Quaest. Virgilianae (Anhang zu
1) So richtig T. Page, Classical review VIE (1894) 203 f.
2) Aus Lucrez führt Heinze zu III 787 nur drei Beispiele an, aus Horaz
Kießling nur III 16, 23 (aber sat. II 3, 293 f. mater delira neeabit (sc. puerum) |
in gelida fixum ripa febrimque reducet ist doch wohl auch so zu erklären: ne-
eabit febre reducta). Vergl. auch E. Hauler, Arch. f. Lex. V (1888) 578 f.
3) Vergl. die Scholien zu g. I 178. 267. EI 60. aen. H 134. 353. III 300.
IV 7. Vm 201. 611. IX 70. X 256.
4) So steht auf der Inschrift der Columna rostrata clasesque navales pritnos
ornavet pafravetquej, womit der Verf. der Inschrift vermutlich den archaischen
Stil kopieren wollte, denn die natürliche Wortfolge ist die umgekehrte, vergl.
Liv. XXXVn 50, 5 naves quae priore anno paratae erant, ornare iussus: s.
Wölfflin, Sitzungsber. d. Münch. Akad. 1890, I 305.
5) Auch hier mag die Kühnheit mit der Herübernahme irgend welcher
Floskeln zusammenhängen: eine Vermutung, die durch den gleichen Versaus-
gang in den zitierten Beispielen (per alta) unterstützt zu werden scheint.
PERIODIK. 373
Heynes Vergil IV* Leipzig 1832) S. 555, vergl. Leo, ind. lect. Gott.
1896, 20f.
Durch diese Mittel umgeht er die mehr prosaischen Partizipial-
konstruktionen: eine Konstruktion wie VI 57 ingreditur linquens antrum
ist für ihn eine Seltenheit im Vergleich zu dem schrankenlosen Gebrauch,
den Catull von solchen Partizipien macht, vergl. z. B. 64, 4 ff. cum lecti
iuvenes, Argivae robora pubis, \ auratam Optant es Colchis avertere pdlem \
ausi sunt vada valsa cita decurrere pitppi, \ caerula verrentes abiegnis
ciequora palmis.^)
3. Satzparallelismus.
An zahlreichen Stellen des Kommentars , die im Register III s. v.
'Periodik' bezeichnet worden sind, ist auf die Vorliebe des Dichters für
Isokolie des Ausdrucks mit oder ohne Antithese des Gedankens hin-
gewiesen worden. Damit hat er also eins der Haupterfordemisse ktmst-
gemäßer Prosa seit Gorgias auf die Poesie übertragen, weder als erster
— denn schon die rhetorisierenden lateinischen Tragiker sowie die ver-
sifizierte Rhetorik Ciceros bieten zahlreiche Beispiele^) — noch gar als
letzter: denn, wie anderswo von mir gezeigt wurde, hat dieses aus der
Rhetorik übernommene Versornament, das seit Alters oft mit dem Homoio-
teleuton verbunden wurde, schließlich eine souveräne Herrschaft in der
Poesie beider Völker und der daraus abgeleiteten der modernen erlangt.
Hier sollen aus der großen Fülle von Beispielen, die Vergil bietet, einige
zusammengestellt werden, die geeignet sind, die Arten erkennen zu lassen
und die im Kommentar behandelten Stellen des VI. Buchs zu illustrieren.
1) Wir betrachten zunächst diejenigen Fälle, wo die parallelen
Kola in einem und demselben Vers stehen, meist so, daß sie durch
Caesur von einander getrennt, und oft so, daß sie durch Homoioteleuta
oder Anaphern (Homoiokatarkta) gebunden sind:
b. 1, 62 aut Ärar im Parthus bibet aut Germania Tigrim
alba ligustra cadtmt, vaccinia nigra legwntur
et siicus pecori, et lac subducitur agnis
quisquis amores
aut metuet dulces aut experietur amaros^)
et quid quaeque ferat regio et quid quaeque recuset
dulcem ferre cibum et curvas praebere latebras
qUfae tenuem exhalat nebulam fumosque volucres
complentur vaUesque cavae saltusque profimdi
1) Catull hat in den ersten 100 Versen des Epyllions 14 participia con-
iuncta, Vergil in den ersten 100 Versen von Buch VI nur 6 (1. 14. 30. 46.
80. 100). — Beruht auf Wahrheit die Bemerkung des Servius zu acn. III 300
'progredior portu classes et litora linquens'] notandum finitum esse versum parti-
cipia: quod ramm apud Latinos est, apud Graecos vitiosissimuml
2) Bezeichnend auch Horaz an einer pathetischen Stelle der Satiren in
ennianischem Stil: 11 1, 13 ff. nequ£ enim quivis horrentia pilis | agmina nee
fracta pereuntis cuspide Gallos, | aut labentis equo descrihit volnera Parthi.
3) Der vielbesprochene Vers ist gedeutet von Leo, Nachr. d. Gott. Ges.
1898, Heft 4, p. 8 f. Über das Wortspiel amores — amaros s. den Kommentar
oben S. 188.
2, 18
3,6
3, 109 f.
g-
I 53
n216
217
391
IV 104
187
1209
IX 608
X 80
119
193
700 f.
869
XI 18
86
374 ANHANG H.
g. IV 104 contemnuntque favos et frigida teda relinctmt
tum tecta petunt, tum corpora curant
spem voltu simulat, premit altum corde dolorem
aut rastris terrani domat aut quatit oppida hello
pacem orare manu, praefigere puppibus arma
sternere caede vires et m^enia cingere flammis
linquentem ierras et sidera voce sequentem
(armaque Lauso)
donat habere umeris et vertice figere cristas
aere caput fulgens cristaque hirsutus equina
arma parate animis et spe praesumite bellum
pectora nunc foedans pugnis, nunc u/nguibus ora
2) Der Parallelismus setzt sich über mehrere Verse fort, wobei die
respondierenden Begriffe oft an gleiche Versstellen, am liebsten an die
Schlüsse gestellt werden:
b. 1, 59 f. ante leves ergo pascentur in aequore cervi
et freta destituent nudos in litore pisces
3, 80 ff. triste lupus stäbulis, maturis frugibus imbres,
arboribus venti, nobis Amaryllidis irae.
dulce satis umor, depulsis arbutus haedis,
lenta salix feto pecori, mihi solus Ämyntas.
5, 10 f. siquos aut Fhyllidos ignes
aut Alconis habes laudes aut iurgia Codri
6, 2 9 f. nee tantum Phoebo gaudet Parnasia rupes,
nee tantum Mhodope miratur et Ismarus Orphea
g. I 8 f. Chaoniam pingui glandem mutavit arista
poculaque inventis Ächeloia miscuit uvis
22 f. quique novas alitis non ullo semine f rüg es
quique satis largum caelo demittitis imbrem
56flF, nonne vides, croceos ut Tmolus odores,
India mittit ebur, malles sua iura Sabaei,
at Chalybes nudi ferrum, virosaque Pontus
castorea, Eliadum palmas Epirus equarum
133 ff. ui varias usus meditando extunderet artes
paulatim, et sulcis frumenti quaereret herbam,
ut silicis venis abstrusum excuderet ignem
341 f. tum pingues agni, et tum nfwllissima vina,
tum som/ni dulces, densaeque in montibus umbrae
II 435 f. aut ülae pecori frondem, aut pastoribus umbram
sufficiwnt, saepemque satis, et pabula melli
III 171 ff. älii taurvnis follibus auras
accipiu/nt redduntque, alii stridentia tvngwnt
aera lacu
a. X 179 f. Älpheae origine Pisae,
urbs Etrusca solo
XI 23 7 f. et nMucumus aevo
et primus sceptris
XII 5 2 f. qu^e nube fugacem
feminea tegat et vanis sese occuiat umbris.
PERIODIK. 375
Die relative Beschränkung, die sich Vergil im Gebrauch dieses
rhetorischen Ornaments auferlegte, ist Ovid fremd ^): das Verhältnis ist
analog dem der klassischen Rhetorik, die maßvollen, und dem der
modernen, die übermäßigen Gebrauch davon gemacht hat; so vergleiche
man folg. Beispiele der Metamorphosen mit den angeführten vergilischen:
met. I 470 f. quod fadt, auratum est et cuspide fiüget acuta;
quod fugat, ohtusum est et habet suh harwndine plumbum
627 S. nudäbant corpora venu,
obviaque adversas vibrabant flamina vestes,
et levis inpulsos retro dabat aura capülos
VI 419 quaeque wbes aliae bimari dauduntur ah Isthmo,
exteriusque sitae bimari spectantur ab Isthmo
IV 575 f. ipse precor serpens in longam porrigar alvum.
dixit et ut serpens in longam tenditur alvum
VI 15 f. deseruere sui nymphae vi/neta TimoU,
deseruere suas nymphae Padolides undas
VII 246 f. tum super invergens liquidi carchesia mellis
aereaque invergens tepidi carchesia lactis
Vni 628 f. mille domos adiere locum requiemque petentes,
mille domos dausere serae
XII 148 f. dumque vigil Nirygios servat custodia muros,
et vigil Ärgolicas servat custodia fossas
XIII 827 f. su^nt, fetvi/ra minor, tepidis in ovüibus agni^
swnt quoque, par aetas, aliis in ovilibus haedi
I 32 5 f. et super esse virum de tot modo müibus u/num,
et superesse videt de tot modo müibus wnam
361 f. namque ego, crede mihi, si te quoque pontus haberet,
te sequerer, coniuMX, et me quoque pontus haberet
481 f. saepe pater dixit ^generum mihi, filia, debes\
saepe pater dixit 'debes mihi, nate, nepotes^
V 36 9 f. tu super OS ipsumque lovem, tu numina ponti
vida domas ipsumque regit qui numina ponti
IX 488 f. quam bene, Caune, tuo poteram nurus esse parenti,
quam bene, Cau/ne, meo poteras gener esse parenti.
3) Während nun Vergil es im allgemeinen vermieden hat, der
Figur zuliebe entweder dem Gedanken Gewalt anzutun durch Einfügung
irrelevanter Flickworte oder der Sprache^) durch Prägung neuer und
kühner Konstruktionen oder gar neuer Worte, hat er doch gelegentlich
der Manier seinen Tribut entrichtet. Für diese Erscheinung sind von mir
im Greifswalder Programm 1897 (De Minucii Felicis aetate et genere
1) Ebenso auch dem puerilen Verfasser der laudes Messalae, vergl. z. B. 124 f.
et fera discordes tenuerunt flamina venti,
curva nee assuetos egerunt flumina cursus.
2) Ein charakteristisches Beispiel carm. epigr. 1265 mit Büchelers Be-
merkung. Der Verfasser der Hendekasyllaben carm. 1504 macht sich in dem
zweiten der Verse 14 f.
quae sacrum Colitis nemus puellae,
quae sacras Colitis aquas puellae
dem Parallelismus zuliebe einer für diese Versgattung exzeptionellen Freiheit
schuldig.
376 ANHANG IL
dicendi) sowie von H. Ziemer in der Zeitschr. f. d. Gymn.-Wesen 1900,
84 ff. (Über syntaktische Ausgleichungen) zahlreiche Prosabeispiele, z. T.
aus den besten Autoren, angeführt und viele gegen gewaltsame Än-
derungen verteidigt worden; aus älteren lateinischen Dichtern bietet Leo
im Göttinger Prooemium 1898, 28 ff. eine reiche Sammlung.
a) Plickworte (iTapaTTXripuJ|LiaTiKd eTrr|). Mehrere Beispiele hierfür
werden unten (Anhang IIIA 3) bei der Behandlung einer auf demselben
Prinzip beruhenden Besonderheit in der Wortstellung angeführt werden.
Hier mögen folgende genügen (die betreffenden Worte sind durch ge-
sperrten Druck markiert):
g. I 2 54 ff. e^ quando infidwm remis impellere marmor
conveniat, quando armatas deducere classis,
aut temjoestivam süvas evertere pmum
(neben quando — conveniat ist tempestivam überflüssig, das nur dem
Parallelismus mit imfidum und armatas dient)
267 mmc torrete igni f rüg es, nwnc frangite saxo
III 555 arentesque sonant ripae coUesque supini
(arentes ist durch den Zusammenhang bedingt, vergl. 479, in Parallelis-
mus damit steht supini)
a. IX 773 unguere tda manu ferrumque armare veneno
XI 107 (quos) prosequitur venia et verhis haee vnsuper addit
XII 173 f. dant f rüg es manihus salsas et tempora ferro
summa notant pecudum.
b) Kühne Konstruktionen oder Freiheiten des Wortgebrauchs (durch
gesperrten Druck markiert):
b. 5, 6 5 f. en quattuor aras:
ecce duas tibi, Baphni, duas altaria Phoebo
(seltener, bei Vergil singulärer Accusativ neben ecce, richtig beurteilt von
A. Köhler, Archiv f. Lex. V, 1888, 24)
g. III 498 labitur infelix studiorum atque immemor Jierbae
a. X 666 ignarus rerum ingratusque salutis
XI416f. fortunatusque laborum
egregiusque animi
(animi verbindet Vergil als erstarrten lokativischen Genitiv oft mit Ad-
jektiven, vergl. g. m 289. a. II 61. IV 203. 529. V 202. IX 246, danach
hier fortwnatus laborum wie juaKOtpioc ttövouv)
I 444 f. sie nam fore bello
egregiam et facilem victu per saecula gentem
I 320 nuda genu nodoque sinus collecta fluentes
II 552 f. implicuitque comam laeva dextraque coruscum
extulit . . . ensem
(comam laeva M, coma laevam P, letzteres von Ribbeck fälschlich auf-
genommen)
XI 598 f. corpus et arma
inspoliata feram tumulo patriaeque reponam
(dagegen VI 655 tellure repostos; von J. Church, Archiv f. Lex. X 1900,
237 f. wird patriae unrichtig als Locativ gefaßt [s. den Komm, zu 652],
von anderen reponere unrichtig == reddere)
Vni 266 f. vülosaque saetis
PERIODIK. 377
pectora semiferi atque exstinctos faucihus ignes
(für fauces exstincUs ignibus)
IX 455f. tepidaque recentem
caede locum et plenos spumanti sanguine rivos
(vergl. Servius: Uepidaque recentem caede locum'' hypallage est pro 'te-
pidum locum recenti caede', unde multi legu/nt 'tepidumque recenti caede
locum')
163 purpurei cristis iuvenes auroque corusci
(coruscus c. abl. 11 470)
548 ense levis nudo parmaque inglorius alba
Xn 9 9 f. crines
vibratos calido ferro murraque madentes
11619 eripe, nate, fug am finemque impone labori
(eripe te fuga erklärt Servius)
xn 252ff, convertunt clamore fugam, mirabile visu,
aetheraque öbscurant pinnis, hostemque per auras
facta nube premunt
(redeunt cum clamore erklärt Servius)
rv 477 consüium voltu tegit ac spem fronte serenat
Vn 126 f. ibiqiie memento
prima locare manu molirique aggere tectu
643 f. quibus Itala iam tum
floruerit terra alma viris, quibus arserit armis
460 arma amens fremit, arma toro tectisque requirit
XI 453 arma manu trepidi poscunt^ fremit arma iuv&ntus
{mm clamore deposcit erklärt Servius)
XII 242 f. arma volwnt foedusque precantur
infectum et Turni sortem miserantu/r iniquam
(rogant ut pro non facto sit erklärt Servius);
XI 337 obliquä invidiä stimulisque ag itabat amaris
(simulata defensione erklärt Servius)
607 adventusque vir um fremitusque ardesdt equorum
vn 651 Lausus equum domitor debellatorque ferarum
XI 870 disiedique duces desolatique manipli
{debeUaior und desolatus neu).
4. Interpunktion.
1. Interpunktionszeichen waren in guter Zeit der sichtbare Ausdruck
einer nach Kola und Komm ata kunstmäßig gegliederten Periode, oder
anders ausgedrückt: sie waren für das Auge das, was für das Ohr die
Eezitationspausen waren. So faßt sie Cicero de or. III 173 ff. 181 or.
228 nach Theophrast auf, und obwohl diese rhetorische (rezi-
tativische) Interpunktion später durch eine mehi* logische, der
modernen näher stehende verdrängt wurde, bieten gewisse nach KU)\a und
KÖ|Li|iiaTa geschriebene Texte sowie die Gesetze des Hiats und der Klauseln
doch noch die Möglichkeit, das Wesen jener älteren Art der Interpunktion
zu erkennen. Das von nair gesammelte Material beabsichtige ich andren
Ortes vorzulegen. Das sechste Aeneisbuch habe ich in dieser Weise
378 ANHANG n.
nach rhetorischen Prinzipien interpungiert^), wesentlich unterstützt durch
zwei der alten Hss., deren Intei-punktion mir genau oder doch annähernd
bekannt ist: genau diejenige der Vaticanischen Fragmente (F) nach der
Photographie, annähernd diejenige des Mediceus nach dem Apographon
Fogginis (Florenz 1741). Die Interpunktionsstellen meines Textes sind
also im wesentlichen, vor allem in dem zugrunde liegenden Prinzip, die-
selben wie die der genannten Hss. Doch habe ich mir unbedenklich
Abweichungen gestattet, zunächst indem ich offenbare Irrtümer beseitigte:
um völlige Genauigkeit erreichen zu können, hätte ich die Interpunktion
der anderen alten Vergilhss. keimen müssen. Fast durchgängig ab-
gewichen bin ich von den Hss. ferner da, wo sie auch die kleinste Pause,
nämlich zwischen zwei durch die Copula verbundenen Begriffen markieren
(z. B. 13 lucos, atque aurea tecta 27 labor ille domus, et inextricabilis
error 29 dolos tecti, ambagesque)-, bei durchgängiger Herübemahme der
Interpunktion auch an solchen Stellen wäre die Übersichtlichkeit für den
modernen Leser noch mehr gestört worden, als es ohnehin bei der auf
Rezitationspausen begründeten Interpunktion der Fall ist, da diese viel
zahlreichere Zeichen bedingt als die grammatische: z. B. sind in FM
zwei Verse hintereinander ohne Interpunktion wenigstens in Buch VI
1) Über Einzelheiten läßt sich streiten (z. B. schwankte schon im Altertum
die Grenze zwischen KtJuXa und KÖiajuaTo); aber viele fundamentale Tatsachen
sind sicher. So hat schon J. Bekker, Hom. Blätter (Bonn 1863), 268 f erkannt,
daß der Vokativ (insofern er keine wesentlichen Begriffe enthält) keine Rezi-
tationspause bedingt (vergl. auch Havet zu Phaedrus S. 157); wie würde sonst
auch Seneca Med. 605 über einen Vokativ hinweg Tmesis haben eintreten
lassen : sacro violente sanctas und wie wäre sonst eine Attraktion der Art öXßie
Koöpe Y^voio denkbar. Demgemäß haben denn auch unsere alten Vergilhss.,
soweit ich sie daraufhin geprüft habe, keine Interpunktion in Fällen wie VI 31
sineret dolor Icare höheres 251 sterilemque tibi Proserpina vaccam 103 f. non
Ulla laborum \ o virgo nova mi facies etc. Ferner verbietet sich im allgemeinen
die Interpunktion vor und nach einer Apposition, die dem Gedanken keinen
wesentlichen Begriff hinzufügt, schon dadurch, daß, wie im Kormnentar zu
VI 7 f. bemerkt ist, die einzelnen Glieder changieren können. Dagegen weiß
ich aus Handschriften und sonstigen Observationen, daß das Participium (abl.
absol.) nach antiker Rezitation eine Pause hinter sich bedingt, so in unseren
Vergilhss. z. B. 240 f. tdlis sese halitus atris | faucibus effundens, super ad con-
vexa ferebat 46 f. cui talia fanti \ ante fores, subito non voltus non color idevi
330 tum demum admissi, stagna exoptata revisunt 112 f. ille meum comitatus
iter, maria omnia mecum . . . ferebat 236 his actis, propere exsequitur praecepta
Sibyllae; an solchen Stellen interpungieren noch jetzt gute französiche Autoren
(wie denn überhaupt die Interpunktionsart französischer Bücher, weil sie weniger
logisch als psychologisch ist, der antiken näher steht als unsere deutsche, die
nur an den Gesichts-, nicht an den Gehörsinn appelliert). Aus Homer führt
E. Gerhard, Lectiones ApoUonianae (Leipzig 1816) 218 für Interpunktion nach
dem dritten Daktylus folgende vier Beispiele an:
E 580 'AvTiXoxoc 6^ Mvibujva ßdX', i'ivioxov SepdTrovTa
X 260 Tf]v bk |li^t' 'AvTiÖTrriv löov, 'Aawiroio GÜYarpa
P 459 Toiöi &' ^tt' AÖTOja^&ujv liöxer', äxvdfjievöc -rrep exaipou
A 154 aiiv diroKTeivujv ^ttct', 'Apteioioi KeXeOinv,
aber nach dem Gesagten ist in den drei ersten Versen besser gar nicht, in
dem vierten, wenn überhaupt, dann statt nach gireTO vielmehr nach dtroKTeiviuv
zu interpungieren (im cod. Ven. A der Rias steht nach Comparettis Faksimile
im ersten Vers dieselbe Interpunktion wie in unseren Ausgaben, in den beiden
letzten Versen keine).
PERIODIK. 379
beispiellos^), während in unseren Ausgaben oft sogar vier Verse hinter-
einander ohne Interpunktionszeichen geschrieben sind. Endlich habe
ich mich darin von der Vorlage der Hss. entfernt, daß ich mich der
modernen Zeichen bediente (außer dem in antiken Texten die Augen
verletzenden Ausrufungszeichen). Der hierdurch bedingte Nachteil, KuiXa
und K6|U)aaTa nicht so genau markieren zu können wie unsere Hss., wird
einigermaßen aufgewogen durch die rhetorische Analyse der Perioden
nach KU)\a und KÖ|U|uaTa, die von mir jedem größeren Abschnitte im
Kommentar vorausgeschickt und die mithin als Interpretation der im
Text gebrauchten rezitativischen Interpunktion aufzufassen ist.
Im folgenden sollen einige Momente hervorgehoben werden, die für
die Stellung der Interpunktion innerhalb des Verses von Be-
deutung sind.
2. Ennius und Lucrez waren darin der Praxis des altgriechischen
Epos gefolgt, daß sie die Interpunktion nicht an die Versenden banden,
sondern sie auch innerhalb der Verse zuließen. Diese schöne Freiheit
wiurde von den Neoterikem aufgehoben: Catull baut die überwiegende
Anzahl der Verse seines Epyllions so, daß sie am Ende einen Gedanken-
abschnitt haben, z. B. v. 1 ff.
Peliaco quondam prognatae vertice pinus \
dicuntur liquldas Neptuni nasse per tmdas \
Phasidos ad fluctus et fines Äeeteos \
cum lecti iuvenes Argivae robora puhis \
auratam optantes ColcMs avertere pdlem \
ausi sunt vada salsa cita decurrere puppi \
caerula verrentes ahiegnis aequora palmis.
Wie gewöhnlich,- sehen wir Vergil auch hier zwischen archaischer
Freiheit und moderner Gebundenheit veimitteln. So verlegt er VI 3 ff.
die Interpunktionsstellen in das Innere des Verses:
dbverumX pf^go proras \ tum dente tena^i
a/ncora fundabat navis \ et litora curvae
praetexunt puppes. \ iuvenum manus emicat ardens
litus in Hesperium \ quaerit pars semina flammae
abstrusa in venis silicis \ pars densa ferarum
tecta rapit süvas \ inventaque flumina monstrat,
während er gelegentlich auch der Praxis Catulls folgt, z. B. 14 ff.
Baedalus ut fama est fugiens Minoia regna \
praepetibu^ pinnis ausus se credere cado \
insuetwm per 'der gelidas enavit ad ardos \
Chalcidicague levis tandem super astitit arce.
Doch steht er, sehr zu seinem Vorteil, der archaischen Praxis näher
als der neoterischen: Catull hat in den ersten 100 Versen des Epyllions
1) Der einzige Fall in VI, wo man zweifeln könnte, ob der Dichter nicht
doch zwei volle Verse ohne Rezitationspause nacheinander zugelassen habe,
betrifft 645 f. nee non TTiraeicius longa cum veste sacerdos | obloquitur numeris
Septem discrimina vocum ; aber F M interpungieren nach sacerdos, und mit Recht,
denn longa cum veste entspricht einer Partizipialkonstruktion (longa veste in-
dutus)y nach der, wie in der vorigen Anmerkung gesagt ist, gewöhnlich inter-
pungiert wird.
380 ANHANG II.
83 Verse ohne Gedankeneinschnitt im Innern, Vergil in VI 1 — 100 nur
42. In dem Bestreben, die Sinnesabschnitte am Versende aufzuheben,
ist dann Ovid noch weiter als Vergil gegangen, so daß sich bei ihm nur
selten mehrere Verse nacheinander mit Sinnespausen am Schluß finden
(vergl. Lüdke, Progr. Stralsund 1879, 12). Dagegen ist der grade in
ihrem Wechsel kunstreichen Praxis Vergils sein bester Nachahmer Claudia,n
gefolgt (Birt, proleg. p. CCXVI), während die poetae novelli des III. Jahrh.
wieder in Catulls Manier verfielen (Bücheier zum pervig. Ven. 30 f.).
3. Der Hexameter des altgriechischen Epos und noch derjenige der
älteren Alexandriner bindet die Interpunktionsstelle im Versinnern nicht an
die Caesur, sondern läßt eine Sinnespause auch innerhalb der ersten andert-
halb Versfüße zu; erst die jüngere hellenistische Poesie beschränkte die
Interpunktion teils auf das Versende teils auf die Caesur (vergl. v. Wila-
mowitz zu Bions Adonis S. 38 f.). Ennius folgte darin der altepischen
Praxis: in den zusammenhängenden Versen 82 — 99 läßt er Sinnespausen
zu nach dem ersten Halbfuß (88 voU\ nach dem ersten Trochaeus (91
rebus), nach dem ersten Spondeus (97 avium). Aber schon Lucrez
schränkte diese Freiheit ein: in den ersten 100 Versen von B. I hat er
keine Sinnespause an den bezeichneten Stellen, sondern erst nach der
zweiten Arsis (4 concelebras 32 mortalis 50 quod super est 76 quid
nequeat 79 obteritur 96 deductast). Auch Vergil ist recht zurückhaltend:
die erste reguläre Stelle für starke Interpunktion ist auch bei ihm
erst nach der zweiten Arsis (so in den ersten 100 Versen von B. VI:
54. 74. 89). Vor dieser findet sie sich in den 900 Versen von B. VI
nach dem ersten Spondeus nie, nach dem ersten Daktylus: 162. 342.
421. 466. 815. 879. 886 (darunter sind einige Fälle durch Benutzung
ennianischer Phraseologie bedingt). Sehr unbeliebt ist jede Interpunktion,
auch eine schwache, nach dem ersten Trochaeus, und das ist bei einem
Verse auch für die Interpretation entscheidend. Zu VI 857 f.
hie rem Bomanam magno turbanm tumultu
sistet eques sternet Poenos Gallumque rebdlem
wurde im Kommentar bemerkt, daß die in vielen Ausgaben stehende
Interpunktion nach sistet (statt nach eques, also nach der zweiten Arsis)
aus sachlichen Gründen abzuweisen sei, und das wird durch ihre Selten-
heit bestätigt. In Ribbecks Ausgabe von 1884 ist zwar in der Aeneis
an dieser Versstelle noch 7 3 mal interpungiert, aber darunter in Über-
einstimmung mit der antiken Rezitationspraxis nur 8 mal (IV 114. V 835.
Vm 33. X 45. 73. 601. 746. XI 313).
4. Im griechischen Epos ist, wie E, Gerhard, Lectiones Apolloni-
anae (Leipzig 1816) 21 9 ff. bewiesen hat, nach dem fünften Trochaeus
oder Daktylus im allgemeinen nicht interpungiert worden.-^) Auch im
lateinischen Hexameter ist diese Interpunktionsstelle unbeliebt: 'in versu
heroico raro admodum fit distinctio plenior in pede quinto' Bentley zu
Lucan I 231. Doch sind nicht alle Dichter (bis Vergil) in der Abneigung
gleich weit gegangen. Am ablehnendsten verhält sich Catull, der im
Epyllion (408 Verse) kein Beispiel und in den übrigen 286 Hexametern
1) Vergl. auch J. Bekker 1. c. 269, der für die Regel auch einige Homer-
scholien anführt (M 49. 434. 0 360).
PERIODIK. 381
nur eins hat (98, 3).^) Aber auch Cicero hat in seinen uns am Schluß
vollständig erhaltenen 749 Hexametern nur je ein Beispiel für Inter-
punktion nach dem fünften Trochaeus und dem fünften Daktylus (Arat.
266. 379). Freigebiger ist Lucrez, der 42 Interpunktionen nach dem
fünften Trochaeus^), 26 nach dem fünften Dactylus^) hat, d. h. je eine in
177 bezw. 239 Versen. Mit Absicht ignoriert Horaz in dem saloppen
Vers der Sermonen die nur für den hohen Stil gültige Eegel: so hat er
in den 134 Hexametern der wahrscheinlich ältesten Satire I 2 nach dem
fünften Trochaeus 8. nach dem fünften Daktylus 7 starke Interpunktionen,
d. h. je eine in 17 bezw. 19 Versen. Vergil steht wieder in der Mitte
zwischen der zu großen Ängstlichkeit der neoterischen und der zu großen
Freigebigkeit der archaischen Poesie: er hat in der Aeneis 24 Inter-
punktionen nach dem fünften Trochaeus*), 29 nach dem fünften Dak-
tylus^), d. h. je eine in 411 bezw. 340 Versen. Hiernach ist wahr-
scheinlich, daß VI 122 f.
quid Thesea magnum
quid memorem Aleiden
nach magnum, nicht mit Servius und einigen neueren Editoren nach
TJiesea zu interpungieren ist, zumal es die einzige Interpunktion dieser
Art in B. VI sein würde und femer grade vor einem Adjektivum an
dieser Versstelle überhaupt nur einmal interpungiert ist:
I 342 longa est iniuria, longae
ambages,
was durch die Anapher bedingt ist.^)
1) In den Ausgaben wird außerdem im oder nach dem 5. Fuß noch zehn-
mal interpungiert, darunter neunmal vor oder nach einem Vokativ (64, 132.
133. 299. 327. 65, 15. 67, 37. 98, 5. 113, 1) und 100, 3 hoc est quod dieitur,
illud I fraternum vere dulce sodalicium, aber quod dieitur ist attributivisch :
^Keivo TÖ OpuXcüiLievov. Auch bei den im Text weiter folgenden Zahlen ist nur
die im antiken Sinne richtige Interpunktion berücksichtigt.
2) I 65. 607. 881. 902. 922. 966. E 388. 545. IV 57. 148. 244. 324. 401.
501. 524. 593. 604. 605. 762. 802. 806. 1190. V 226. 275. 465. 552. 562. 685.
687. 814. 871. 880. 960. 1343. VI 515. 555. 701. 740. 945. 1056. 1059. 1080.
3) I 242. 434. 684. 11 204. 308. 331. 696. 886. 928. UI 379. 843. 852. 1005.
IV 265. 499. 586. V 47. 146. 1071. VI 432. 463. 528. 771. 896. 1063. 1156.
4) I 99. 321. 472. 11 150. EI 480. 615. IV 28. 193. 603. V 22. 50. VI 560.
733. Vn 236. VIII 50. 443. IX 312. 351. X 49. 348. XI 128. 160. XH 57. 677.
5) I 342. 603. n 458. EI 151. 219. 433. 695. IV 416. 593. V 100. 372.
624. 635. VE 4. 273. VEI 140. IX 221. 512. 692. X 67. 195. 709. XI 283. 444.
671. XII 425. 507. 526. 821.
6) Daß die Irregularität oft durch Anapher entschuldigt wird, bemerkt
Bentley 1. c. — Über die Seltenheit der Interpunktion nach dem fünften
Trochaeus bei TibuU und Properz vergl. Leo, Philol. Unters. E (Berlin 1881) 26;
für Ovid: Lüdke, Progr. Stralsund 1879, 15 ff. Daß sich der Verfasser des Aetna
(vergl. Sudhaus p. 85) imd SUius (vergl. Bekker 1. c.) über die Regel hinweg-
setzen, ist für diese besonders schlechten Dichter charakteristisch.
m.
Einiges über Wortstellung.
Eine zusammenfassende Untersuchung über die fortschreitende Frei-
heit in der Behandlung der poetischen Wortfolge fehlt noch^); hier
können nur Einzelheiten behandelt werden.
A. Wortsymmetrie.
1. Der Vers eingerahmt von Attribut und Substantiv.
Wie beliebt diese Verteilung bei Vergü ist, hat J. Kvicala, Neue
Beitr. zur Erklärung d. Aeneis (Prag 1881) 275 £F. gezeigt. Im VI. Buch
(900 Verse) hat Vergil sie (unter Mitrechnung von Pronomina und Zahl-
wörtern) 14 mal, z. B.:
17 CJialeidieaque levis tandem super astitit arce
28 magnum regmae sed enim miseratus amorem
137 aureus et foliis et l&nto vimine ramus
141 auricomos quam qui decerpserit arbore fetus
etc. Daß hierin bewußte Absicht liegt, kann ein Vergleich mit der
Praxis des Ennius und Lucrez zeigen, von denen ersterer in seinen 428
am Anfang und Schluß vollständigen Hexametern nur 4 Beispiele hat
(285. 413. 493. 538), letzterer in 900 Versen des I. Buchs nur 3 (27.
256. 468). Diese Wortsymmetrie gehörte zu den wohlerwogenen Kunst-
mitteln, durch welche die Neoteriker die Eleganz ihrer Verse erhöhten.
Denn CatuU hat im Epyllion (408 Verse) diese Stellung 21 mal, so
daß also Vergil auch hier wieder die Mitte hält zwischen der Kunst-
losigkeit der alten und der Künstelei der modernen Schule.
Dagegen gehört die umgekehrte Stellung (Substantiv am Anfang,
Attribut am Schluß) zu den größten Seltenheiten (nur etwa 10 mal in
der Aeneis): begreiflich genug, denn der Gehalt des Verses würde gegen
den Schluß zu sehr sinken, wenn der durch das Substantiv repräsentierte
Hauptbegriff bereits am Versanfang stände (vergl. den Kommentar zu
1) Den von mir (Ant. Kunstpr. I 68, 1) gegebenen Literaturnachweisen sind
noch hinzuzufügen: Leo, Gott. Nachr. 1897, 967, Prooemium Gotting. 1896;
Diels, M^langes Weil 127; Dilthey, Prooemium Gotting. 1884/6, 7 f.; Degering,
Beitr. z. hist. Syntax Erlangen 1893; Goßrau, Von der latein. Wortstellung,
Progr. Quedlinburg 1861, 22ff. ; am wichtigsten Leo 1. c. 1895, 415ff., weil hier
zum erstenmal mit Erfolg der Versuch gemacht ist, in der scheinbaren Will-
kür bewußte Absicht, in der scheinbaren Unordnung künstlerische Ordnungs-
prinzipien nachzuweisen.
EINIGES ÜBER WORTSTELLUNG. 383
471). Im VI. Buch kommt das (abgesehen von 797 axem umero torquet
stdlis ardentibus aptum, wo aptum partizipial ist und der Dichter mit
entlehnter Phraseologie operiert) nur vor in Vers
81 Ostia iamque dmnus patuere ingentia centum,
aber hier ist das Gewichtsverhältnis der beiden Begriffe umgekehi-t: der
Nachdruck liegt auf centum (vergl. 43 aditus centum, ostia cmiuin)\
ähnlich
Vn 483 cervus erat forma praestanti et carnibus ingens
IV 165 speltmeam Dido dux et Troiarms eandem
deveniunt
2. Der Vers eingerahmt von zwei Verben
(Substantiven, Adjektiven).
Auf diese Stellung hat ebenfalls Kvicala 1. c. 278 ff. hingewiesen.
Vergil hat sie mit Verben im VI. Buch 17 mal, und zwar teils ohne
Homoioteleuta, z. B.
157 ingreditur linquens aMrum caecosque volutat
439 atligat et noviens Styx interfusa coercet
(so noch 543. 744. 759), teils mit solchen, z. B.
111 cripui his umeris medioque ex hoste recepi
213 flebant et cineri ingrato suprema ferebant
(so noch 54. 159. 210. 331. 342. 559. 710. 723. 850), darunter mit
gleichzeitiger Alliteration (Homoiokatarkton)
54 conticuit. gelidus Teucris per dura cuxMrrit
850 describent radio et surgentia sidera dicent.
An den Anfängen zweier aufeinander folgenden Verse stehen die
Verba: ohne Homoioteleuta
4 24 f. occupat Aeneas . . .
evaditque celer . . .
(so noch 194 f. 606 f.), mit solchen
216 f. intexumt latera ...
constituunt decorantque ...
(so noch 248f. 293f. 313f. 365f. 802f.). An den Schlüssen: ohne
Homoioteleuta
379 f. . . . ossa pidbuM
. . . sollemnia mittent
(so noch 185 f. 886 f.), mit solchen
684 f. ... per gramina vidit
. . . utrasque tetendit
(so noch 812 f.). Am Anfang des einen und am Schluß des folgenden
Verses
202 f. toUunt se celeres . . .
. . . super arbore sidunt
(so noch 290f. 524f. 593f. 820f., vergl. den Kommentar zu 199f.).
Am Anfang und Schluß des einen sowie am Schluß des folgenden Verses
(mit Homoioteleuta)
468 f. lew^at dictis animum lacrimasque ciebat
. . . tenebat
384 ANHANG m.
506 f. constitui et magna manis ter voce vocavi
. . . neqmvi
518 f. ducebat Phrygias, flammam media ipsa tenebat
. . . vocäbat
Am Anfang des einen und am Anfang und Schluß des folgenden Verses
(mit Homoioteleuta)
421 f. obicit nie . . .
corripit obiectam atque immamia terga resolvit
621 f. vendidit hie . . .
imposuit, fixit leges pretio atque refixit.
Über mehrere Verse setzt sich diese Art fort
219 ff. expediunt . . . wngvmt
. , . reponwnt
coniciunt
634 ff. corripiimt . . . propinqiiant
occupat ...
spargit . . . figit
847 ff. exciident ...
orabunt . . .
describent . . . dicent.
Durch diese Stellungen werden die Anfänge und Schlüsse der Verse
markiert und oft durch das Mittel des Gleichklangs gebunden. Bei
früheren Dichtern findet sich diese Art von Wortsymmetrie viel seltener;
besonders zurückhaltend ist hier Catull, der in den 408 Versen des
Epyllions für sämtliche Formen nur 6 noch dazu ganz unauffällige Bei-
spiele hat (139 f. 150. 274f. 292f. 373f. 4001.). — Ähnlich liebt Vergil
es (vergl. Kvicala 1. c. 279 ff.), den Vers durch zwei Substantiva oder
zwei Adjektiva (Partizipia) einzurahmen, z. B.
497 auribus et trwicas inhonesfo volnere nares
435 insontes peperere manu lucemque perosi
624 ausi omnes immane nefas ausoque potiti
657 vescentes laetumque cJioro paeana canentes.
3. Verteilung von zwei Substantiven und Attributen
über den Vers.
In einem Verse wie VI
142 hoc sibi pulchra suum ferri Proserpina munus (instituit)
ist die Stellung der Worte, wenn wir die Attribute mit ab, die Sub-
stantive mit AB bezeichnen, diese: ab AB;
569 distulit in seram commissa piacula mortem
bei analoger Bezeichnung abBA. In beiden Fällen gehen also die Attri-
bute ihren an den Versschluß gestellten Substantiven voraus, das erste
Mal in paralleler, das zweite Mal in chiastischer Folge. Diese gewählte
Stellung hat folgende Geschichte.-^)
Ennius hat in den Annalen kein Beispiel dafür; Lucrez I
(1117 Verse) acht:
1) Ein paar Bemerkungen darüber schon bei Naeke zu Valer. Cato 284 ff.
EINIGES ÜBER WORTSTELLUNG. 385
415 elara accendisset saevi certamina belli
196 ut potius mvltis communia corpora rebus
(multa putes esse)
144 Clara tuae possim praepandere lumina menti
1003 quod neque clara suo procurrere fulmina cursu
305 denique fluctifra^fo suspensae in litore vestes
491 dissiliuntque fero ferventia saxa vapore
718 quam fluitans circum magnis anfractibus aequor
9 placatumque nitet diffusa lumine caelum,
derselbe in VI (1286 Verse) neun:
123 maxima dissiluisse capacis moenia mundi
225 hunc tibi subtilem cu/m primis ignibus ignem
296 inddit in gravidam maturo f ulmine nubem
610 omnia quo veniant ex omni f lumina parte
789 multa modis multis multarum semina reru/m
418 discutit infesto praeclaras fulmine sedes
1253 et robustus item curvi moderator agdli
bll est haec eiusdem quoque magni causa tremoris
722 inter nigra virum percocto saecla colore.
Er hat danach diese Stellung in beiden Büchern 1 mal in je 140
Versen. Dagegen hat Catull^) im Epyllion (408 Verse) 58 Beispiele
(darunter 23 Partizipien, 6 Pronomina), d. h. 1 mal in je 7 Versen, ge-
legentlich mit der Aufdringlichkeit wie
172 f. Gnosia Cecropiae tetigissent litora puppes,
indomito nee dira ferens stipendia tauro
344 f. cum Phrygii Teuero manabunt satiguine campi,
Troicaque obsidens longinquo moenia bdlo.
Vergil hat in den Bucolica (829 Verse) 39 Beispiele (darunter
4 Partizipien, 5 Pronomina), d. h. 1 mal in je 21 Versen; Georgica I IV
(1080 Verse) 66 Beispiele (darunter 23 Partizipien, 4 Pronomina), d. h.
1 mal in je 16 Versen; Aeneis I VI (1651 Verse) 28 Beispiele (darunter
13 Partizipien, 3 Pronomina), d. h. 1 mal in je 58 Versen. Er hat
also die affektierte Zierlichkeit der Neoteriker überwunden, und zwar
verhält er sich in der Aeneis am ablehnendsten, da ihm die Manier für
den epischen Stil unangemessen erschien (während z. B. der sogenannte
Manilius völlig in der Manier stecken geblieben ist). Dazu verbindet er
mit dieser Wortstellung im Gegensatz zu Catull, bei dem sie zu einem
bloßen Ornament herabgesunken ist, oft den Zweck, den Sinn dadurch
stark hervorzuheben; so in VI
142 hoc sibi pulchra suum ferri Proserpina munus (instituit)
d. h. fi TTepcreqpövTi äre KaWiairi ouaa toO xpuffoO KXotbou ctHioT xuxeiv
ibc auTf) TTpocrriKOVTOc,
285 multaque praeterea variarum monstra ferarum
355 fris notus Mbernas immensa per aequor a noctes
mit Hervorhebung der Zahlbegriffe,
1) Vergl. R. Fisch, De Catulli in vocabulis coUocandis arte, Berlin 1876,
der aber z. T. nach anderen Gesichtspunkten ordnet. CatuUs Stil kopiert auch
hierin der Verf. der Ciris, der die Stellung durchschnittlich in jedem achten
Verse hat.
VuRGii, Buch VI, von Norden. 25
386 ANHANG HI.
, 894 Cornea (sc. porta), qua veris facilis datur exitus wmbris
in deutlichem Gegensatz zu der elfenbeinernen Tür, der die falschen
Träume langsam entschweben.^)
Die umgekehrte Anordnung, daß die Attribute den Substantiven
folgen (AB ab oder ABba), findet sich fast nie bei Catull und bei Vergil
wohl überhaupt nicht, bei TibuU nach J. Streifinger, De syntaxi Tibul-
liana (Würzburg 1881) 39 nur einmal und da mit besonderer Absicht:
I 9, 80 et geret in regno regna superha tuo (andersartig 11 5, 57 nomen
terris fatale regendis). Der Grund ist nach dem unter 1 Bemerkten
klar: die Absicht, das Fallen des Rhythmus gegen den Schluß durch
ein Steigen des Inhalts auszugleichen, würde durch Voranstellung der
beiden Substantive aufgehoben worden sein.
Wie mögen die lateinischen Dichter nun zu der Vorliebe für diese
Art der Wortstellung gekommen sein? Da sie in aufdringlicher Weise
zuerst bei Catull begegnet, so liegt es nahe zu vermuten, daß sie aus
hellenistischer Poesie stamme. Tatsächlich behauptet H. Boldt, De libe-
riore ling. graec. et lat. collocat. verb. (Göttingen 1884) 94 'poetae
Alexandrini artificiosa illa symplegmata libenter arripuisse videntur',
aber er führt kein Beispiel an, und die Behauptung ist auch falsch, wie
der Vergleich hellenistischer imd lateinischer Elegieen lehrt: so hat
Hermesianax (fr. 2) in 48 Pentametern nur ein Beispiel für diese Stellung
(V. 34), dagegen Tibull II 1 (45 Pentameter) zehn. Vielmehr ist die
Neigung für diese Art der Wortfolge schon in altlateinischer Poesie nach-
weisbar. Das hat Leo 1. c. 432 bemerkt und daselbst zugleich auch das
zugrundeliegende Prinzip festgestellt: „In Sätzen wie iam dudum meum
üle pectus pungit amleus (Plaut. Trin. 1000) . . . sind es . . . die Wörter
gleicher Kategorie, die zu einander streben.^) Es ist dasselbe
Prinzip, nach dem sich als eine der häufigsten Figuren in der Wort-
fügung der Elegie die Verbindung zweier zu verschiedenen Substantiven
gehöriger Attribute, denen dann die Substantive folgen, ausgebildet hat:
dum mens assiduus luceat igne focus.'"'' Es fragt sich nun weiter, wie sich
aus einer bloßen Neigung der älteren Dichter, die sich noch dazu wesent-
lich auf so gestellte Pronomina beschränkt, bei den späteren fast ein
Gesetz entwickeln konnte. Entscheidend dafür war, wie ich glaube, der
Einfluß der Rhetorik auf die lateinische Poesie. Das zugrundeliegende
Prinzip läßt sich so formulieren: falls von zwei Substantiven das eine
ein Attribut hat, so wird auch dem zweiten ein solches hinzugefügt.
Dies aber ist eine der Erscheinungsformen des Satzparallelismus (Isokolie,
Konzinnität), der in der kunstmäßigen Prosa seit Gorgias hergebracht
1) Dieselbe Wortstellung, nur mit anderer Verteilung über den Vers hat
er in B. VI
37 non hoc ista sibi tempus spectacula poscü
54 f. gelidus Teucris per dura cueurrit
ossa tremor
195 f. MÖi pinguem dives opacat
ramus humum,
überall mit der Absicht, die gegensätzlichen oder zusammengehörigen Begriffe
wirkungsvoll zu gruppieren; vergl. dafür besonders noch Buch V 5.
2) Häufig sind es antithetische Begriffe, die in dieser Weise zusammen-
fferückt werden: s. den Kommentar zu 136 f
EINIGES ÜBER WORTSTELLUNG. 387
war; besonders charakteristisch sind solche Fälle, wo das eine Attribut
für den Sinn nicht wesentlich ist und nur der Satzarchitektonik oder
der Antithese zuliebe hinzugefügt wird, z. B. Cic. in Cat. 1, 1 cum illum
ex occtiltis insidiis in apertum latrocinium coniedmus, Nepos XIII 2, 3
recens filii veter em patris renovavit memoriam Att 7, 3 veter e insütuto
vitae effugit nova pericula, womit man, um die Identität der Erscheinung
in Prosa und Poesie zu erkennen, vergleiche Catull 64, 7 caerula ver-
rentes abiegnis aequora palmis 112 Candida permulcens liquidis
vestigia lymphis 259 pars obscura cavis cdebrabant orgia cistis und
besonders 66, 38 pristina vota novo munere dissoluo 64 sidus in anti-
quis diia novum posuit; Verg. aen. m 181 seque novo veterum de-
ceptum error 6 locorum^) (vergl. XII 424 novae r ediere in pristina vires)
XI 773 spicula torquebat Lycio Gortynia comu^), g. I 467 cum caput
obscura nitidum ferrugine texit 496 aut gravibus rasiris galeas pulsabit
inanes HI 298f. glades ne frigida laedat | molle pecus; Horaz I 11, 6f,
spatio brevi spem long am reseces.^) Auch die affektierte Wortstellung,
die bei dieser Figur, wie wir sahen, in der Poesie übHch ist, läßt sich
in der Prosa, wenn auch selten, nachweisen, vergl. die von Nägelsbach,
Lat. Stilistik^ (Nürnberg 1888) 641 angeführten Beispiele Cic. Phü. 2, 66
permagnum optimi pondus argenti Tusc. IV, 7 midti eiusdem aemuli ra-
tionis, bell. Afr. 94, 2 firmior imbecüliorem luba Petrdum ferro con-
sumpsit, Liv. X46,4 frequenti publicorum ornatu locorum, denen sich
aus späterer Prosa etwa noch hinzufügen lassen (um von Apuleius und
seinesgleichen zu schweigen) Plinius n. h. X 3 vom Phönix: caeruleum
roseis caudam pinnis distinguentibus (andere Beispiele bei Joh. Müller,
Der Stil des alt. Plinius, Innsbruck 1883, 8), Fronto p. 51 N. amans
amaniem pudla iuvenem; für den Zusammenhang mit der griechischen
Kunstprosa vergl. Gorg. Hei. 5 xöv xpovov tlu Xöyuj t6v tötc tuj vöv
uirepßdc 17 toö irapövioc ev tuj irapövTi xpoviu qppovrmaTOC Pal. 37
Touc irpiuTouc Tüjv TTpuÜTuuv 'GXXtivac €\Xr|vujv.
Die zierliche Figur eignete sich wenig für den feierlich-erhabenen
Stil des Epos, wie ihn Vergil geprägt hat. Daher verwendet er sie in der
Aeneis nur selten*), öfters in den Bucolica undGeorgica; dagegen schwelgen
in ihr die augusteischen Dichter der poematia, die auch hierin ihren Zu-
sammenhang mit den Neoterikern der caesarischen Zeit nicht verleugnen.
Das werden ein paar Beispiele zeigen, die ohne Kücksicht auf das spezielle
Schema der Wortstellung ausgewählt sind, um an ihnen das oft fast
ängstliche Streben nach formaler Konzinnität des Ausdrucks zu illustrieren
(die übergeschriebenen Zahlen zeigen die zusammengehörigen Substantive
imd Attribute an).
1 1
Vergil selbst b. 3, 3 6 ff. (in einer ^KcppaOic): pocida ponam \ fagina,
2 3 2 3 4 5 5
caelatum divi/ni opus Alcimedontis, \ lenta quibus torno facüi super addita
4 6 7 7 6
viiis I diffusos edera vesUt paüente corymbos, 5, 16 f. (in einem Gleichnis)
1) Dazu Servius: per contrarietatem sermonum declamavit.
2) Vergl. Leo, Hermes XXXVII 1902, 42, 1.
3) Vergl. Bücheier, Ind. lect. Boim. 1878/79, 11.
4) Vergl. Servius zu in 126 non adiecit epitheton causa varietatis.
25*
388 ANHANG III.
11 2 3 3 4
lenta salix quantum pallenti cedit oUvae, | puniceis humilis quantum
4 3
scUitmca rosetis, 6, 53 f. (innerhalb einer sehr zierlichen Episode) ille
112 2 3 3 4
latUtS niveum molli pidtus hyacintho \ ilice sub nigra pallentis ruimmt
4
herbas, femer in einer mit besonderer Liebe und Kunst ausgeführten
Stelle der Georgica (*o fortwnatos nimiiMn') II461flF. si non ingentem
2 3 3 2 4 4 1
foribus domus alta superbis | mane saluta/ntum totis vomit aedibus undam, j
5 6 6 5 7 7 8
nee varios mhiant pulchra testudime postes, \ mlusasque auro vestes Ephyreia-
8 9 10 9 10 11
que aera, \ alba neque Ässyrio fucatur lana veneno, nee casia liquidi
11 12 12 13 13
corrwmpitur usus olivi: \ at secwra quies et nesda faller e vita, III 196 ff.
112 2
(in einem Gleichnis), 331 ff. aestibus at mediis umbrosam exquirere vallem,
3 4 4 3 5 5
sicubi magna lovis antiquo robore quercus | ingentis tendat ramos, aut
6 7 7 8 6 8
sicubi nigrum \ üicibus crebris sacra nemus accubet umbra, IV 478 f. qucs
11 2 2 3 4 4
circwm limus niger et deformis harundo \ Cocyti tardaque palus inamabilis
3
unda I alligat; in der Aeneis ist er darin, wie bemerkt, zurückhaltender,
doch läßt er das Ornament an besonders zierlichen Stellen auch hier zu,
1 1
vergl. den Kommentar zu VI 268 ff. und zu 638 f. devenere locos laetos
2 2 3 3 4 4
et amoena virecta \ forfunatorum nemorum sedesque beatas und etwa noch
112 2 3 3 4
XI 6 4 ff. molle feretrum | arbuteis teocuM virgis et vimine querno \ exstruc-
4 5 5 6 7 6
tosque toros obtentu frondis inumbra/nt. \ hie iuvenem agresti sublimem
7 8 9 8 9 10
Stramine ponunt, \ qualem virgineo demessum pollice florem \ seu mollis
10 11 11 12
violae seu languentis hyacinfhi. Horaz^) epod. 2, 43 ff. sacrwn vetustis
2 13 3 4 4
exstruat lignis focum Lassi sub adventum viri Claudensque textis cratibus
556 6 787 8
laetum pecus Distenta siccet ubera Et horna didd vina promens dolio
9 9
Dapes inemptas apparet u. s. w. od. II 18 (sicher ein sehr früher Ver-
12 2 1 3
such) non ebur neque aureum Mea renidet in domo lacwnar, Non trabes
3 4 5 4 5 6 7
Hymettiae Premwnt columnas ultima recisas Africa, neque Attali Ignotus
7 6 8 9 8
heres regiam occupavi, Nee Laconicas mihi TraJiuM honestae purpuras
9
clientae, ähnlich I 28 (ebenfalls früh wegen der Komposition und des
Epodenmaßes; die von Kießling aus "Vers 26 abgeleitete Zeitbestimmung
1) Vergl. Haupt, op. 1 104 'Horatius, cuius in carminibus tantum est ver-
borum aequalitatis studium quantum in prosa oratione Ciceronis'. Auch in
den Satiren, besonders an Stellen mit pathetischem Charakter, hat er diese
1 2
Art der Wortstellung gelegentlich verwendet, so I 6, 73 f. nam vaga per veterem
.31 2 3
dilapso flamma culinam \ Volcano summum properabat lambere tectum (der paro-
dische Stil ist deutlich: vergl. Ennius a. 477 und den durch Ennius beeinflußten
1 2
Vergil a. II 311. 684. III 574. VH 77), H 2, 136 fortiaque adversis opponite
pectora rebus (eine fvib^xr] irepl T^xric), 3, 186. 4, 30 u. ö., ep. I 7, 29.
EINIGES ÜBER WORTSTELLUNG. 389
11 2 3 S 3
ist unrichtig) 3 f. puloeris exigui prope litus parva Maünum immer a.
12 3 13 2 s
21 f. me quoque devexi rapidus comes Orionis lUyriis notus obruit umdis,
12 3 2
I 9 (früh, vergl. Kießling) 21 f. nunc et latentis proditor intimo gratus
13 3 121
puellae risus ah angulo, m 11, 26 f. (ebenfalls) inane lymphae Dolium
3 2 3
fundo pereu/ntis imo, 15 (eins der frühsten, rein erotischen Lieder) Iff.
12 2 1 3 3 4
quis muUa gracüis te puer in rosa perfiisus liquidis urguet odorUms grato
4 12 12 3
Pyrrha sub antro 13 ff. me tabula sacer votiva paries indiccet umda sus-
4 3 4
pendisse potenti vestimenta maris deo; später hat er sich etwas mehr da-
von frei gemacht (vergl. z. B. I l). Auch die Elegiker, besonders im
Pentameter, vergl. z. B. Tibull II, Iff. divitias alius fidvo sün congerat
12 2 1 3 3 4
auro. et teneat culti iugera rmdta soli, Quem labor adsiduus vicino terreat
4 5 5 6
hoste, Martia cui somnos dassica pulsa fugent; Me mea paupertas vita
6 7 8 8 7 9
traducat inerti, dum meus adsiduo luceat igne focus. Ipse seram teneras
10 10 9 11 12 12 11
maturo tempore vites, rusticus et facüi grandia poma manu; später hat
auch er sich von der Manier etwas emanzipiert (vergl. auch W. Geb-
hardi, De Tibulli Properti Ovidi distichis, Königsberg 1870).
Kein griechischer Dichter ist meines Wissens der rhetorischen Manier
in diesem Maße verfallen: selbst bei den zierlichen älteren Dichtem der
Anthologie muß man suchen, um ein oder das andere Beispiel zu finden. ^)
Eine Ausnahme davon macht, wenn ich nichts übersehen habe, nur ein
Epigramm der Anthologie, das allerdings ganz in der Weise der latei-
1 , 2 ^ ^ 1
nischen Dichter geschrieben ist: VI 165 (JTpeTTXÖv BaCTCTapiKoO pöjuißov
^ 2 ^ 3^4 3 4 5
Bidffoio mJuiTca Ktti (TkijXoc d|iq)iböpou aiiKTÖv dxauveu) Kai Kopußav-
, ,® ,6^,5 7 8 7
Tciiüv iaxr|,uaTa xct^^ea pÖTTxpujv Kai Gupaou x^oepöv KUJvoq)6pou Kd-
8
liaKa u. s. w. Aber diese Ausnahme ist charakteristisch: im cod. Pal.
ist das Epigramm überschrieben <t)aXdKKOU, woraus zwar in den apo-
grapha 0aXaiKOU gemacht ist, aber unrichtig für <t)\dKKOU (vergl. Knaack
bei Susemihl, Alexandr, Lit. II 523, 27), d. h. es stammt von einem auch
sonst in der Anthologie exzerpierten Statilius Flaccus, also einem Lateiner,
der die lateinische Manier auf das Griechische übertragen hat.^)
1) Bemerkenswert, weil zweimal nebeneinander, VI 154, 5 f. Nüincpaic bk
18213 4- ^ A-
öKiepfjc eöiroiKiXov ävöoc ÖTruüpric cpOXXa Te TreuTa^^viüv ai)iaTÖevTa ^ö6u)v. Über-
schrieben ist das Epigramm: Aetuviöa TapavTivou, oi he faiTouAiKoö, aber die
Umgebung und der Stil sprechen dafür, daß es aus der Sammlung des Meleager
stammt (vergl. J. Geffeken, Jahrb. f Phil. Suppl. XXIII 1897, 10. 101.)
2) Unter dem Einfluß solcher späten Epigramme dichtete dann Paulos
Silentiarios die seinigen, in denen daher die Manier gelegentlich, wenn auch
nicht so stark, hervortritt, vergl. A. P. VI 64. 66. Den Stil dieser jungen Epi-
gramme hat Nonnos in den des Epos umgesetzt; daher finden sich bei ihm
viele Beispiele für die Manier: mehr als bei irgend einem anderen griechischen
Dichter, aber doch noch erheblich weniger als bei den lateinischen, die ja
auch für Nonnos nachweislich weder als inhaltliche noch formale Vorbilder in
Betracht kommen. — Interessanter als die Praxis dieser Spätlinge ist die Tat-
sache, daß Goethe die ihm aus der Lektüre der römischen Elegiker geläufige
390 ANHANG IIL
B. Einzelnes.
1. Trennung von Substantiv und Attribut durch Verssoliluß.
Während Attribut und Substantiv ganz gewöhnlich in der Weise
über zwei Verse verteilt werden, daß ersteres vorausgeht (z. B. VI 4 f.
litora curvae \ praetexmd puppes), ist die umgekehrte Stellung im Ver-
gleich dazu selten, weil das Substantiv im allgemeinen den wesentlicheren
Begriff enthält, bei dessen Vorwegnahme im ersten Vers der Hörer ein
Attribut meist nicht erwarten würde. Daher wird diese Stellung nur
unter der Bedingung zugelassen, daß das Attribut dem Substantiv einen
besonders wesentlichen Begriff hinzufügt, der nun gerade durch seine
signifikante Stellung zu Beginn des zweiten Verses hervorgehoben wird;
besonders deutlich XI 62 f. solacia ludus \ erci^wa ingentis. Daher findet
sich diese Stellung relativ am häufigsten, wenn das Attribut ein Zahlen-,
Größen- oder Raum Verhältnis bezeichnet, auf das durch die isolierte
Stellung ein Nachdruck gelegt wird. So oft bei ingens z. B. VI 518 f.
flammam media ipsa tenebat \ ing entern, g. I 476 vox quoque per lucos
volgo exaudita süentes \ ingens, a. VIII 203 f. taurosque hac victor agebat |
ingentes; femer bei negiertem parvus a. IX 298f. nee partum gratia
talem \ parva tenet, bei plurlmus g. II 182f. tractu surgens Oleaster
eodem \ plurimus, bei omnia b. 6, 34 ut Ms exordia primis \ orrmia (con-
creverint),^) bei ulla b. 5, 60f. nee retia cervis \ ulla dolum meditantur,
bei prima a. IX 478f. agmi/na cursu \ prima petit, bei ultima a. V 346 f.
frustraque ad praemia venit \ ultima^ VI 477 arva tenebant \ ultima, bei
summa g. IV 5 4 f. flumina libant \ summa, bei im« a. IX 119 f. demersis
aequora rostris | ima petunt. So dann auch bei solchen Attributen, die
eine besonders hervorstechende Eigenschaft des Substantivs bezeichnen,
z. B. a. VI 143 f. non deficit alter (^sc. ramus) | aureus IV 239 f. talaria
nectit I aurea IX 303 f. cxuit ensem \ auratum 441 f. rotat ensem \ fulmi-
neum 7 32 f. tremunt in vertice cristae \ sanguineae II 480 f. postesque a
cardine vellit \ aeratos IX 627 f. aurata fronte iuvencum \ candentem X 44 f.
si nulla est regio. Teuer is quam det tua coniunx \ dura u. dgl. m.; daher
auch z. B. a. IX 304 f. Lycaon \ Gnosius 619 f. Matris | Idaeae X 268
du>cibus ... 1 Ausoniis, und gelegentlich beim betonten Pronomen: z. B.
b. 8, 11 f. iussis I carmina coepta tuis a. IX 481 f. tune üle senectae | sera
meae requies X 2 80 f. coniugis esto | quisque suae . . . memor. Charakte-
ristisch sind besonders die Fälle, in denen die nachdrückliche Trennung
deshalb erfolgt, weil das Attribut im folgenden seinen Gegensa,tz oder seine
Stellung einmal nachzuahmen gewagt hat: Alexis und Dora 27 „Jeden freuet
die seltne der zierlichen Bilder Verknüpfung" (allerdings mit be-
sonderer Absicht, denn es geht vorher: „So legt der Dichter ein Rätsel |
Künstlich mit Worten verschränkt, oft der Versammlung ins Ohr"):
vergl. C. Olbrich, Goethes Sprache und die Antike (Leipzig 1891) 37. Diese
ausgezeichnete Schrift ist geeignet, unsern Blick für die Beurteilung von Eigen-
tümlichkeiten auch der lateinischen Dichtersprache zu schärfen: denn die
sprachlichen Wagnisse Goethes in seinen antikisierenden Dichtungen finden
ihre genaue Analogie in der sprachlichen Hellenisierung der lateinischen Poesie
besonders des augusteischen Zeitalters (vergl. auch den Kommentar zu 141).
1) Vergl. carm. epigr. 56, 4 a püpula annos veiginti optinui domum \ omnem
und dazu Bücheier: 'omnem segregatmn argute est a reliquis'.
EINIGES ÜBER WORTSTELLUNG. 391
Erläuterung und Fortführung erhält. Seinen Gegensatz z. B. g. HI 147f
cui nomen asilo \ Eomanum est, oestrum Grai vertere voccmtes, a. UI 493 f.
vivite felices quibus est fortuna per acta \ tarn sua; nos alia ex aliis in
fata vocamur, ViU 6 71 f. maris ibat imago \ aurea, sed fliictu spumabant
caerula cano, g. IE 291f. == a. IV 445f. quantum vertice ad auras \
aetherias^ tantum radice ad Tartara tendit, vergl. a. I 546 f. vescitur
aura \ aetheria neque adhiic crudelibus occuhat umbris (analog VI 761 f.
ad auras \ aetherias . . . surget, im Gegensatz zum Hades, in dem er
jetzt weilt). Seine Erläuterung oder Fortführung z. B. VI 413 f. gemuit
sub pondere cumba \ sutilis et multam accepit rimosa paludem 492 f. pars
tollere vocem | exiguam: inceptus clamor frustratur Mantes III 614 f. geni-
tore Adamasto \ paupere: mansissetque utinam fortuna V 140f. ferit aethera
clamor \ nauticus: adductis spumant freta versa lacertis 354 f. quae munera
Niso I digna dabis: primam merui qui laude cor&nam 624 f. o gens \ in-
felix: cui te exitio Fortuna reservat? Vm 2 44 f. regna recludat \ paUida,
dis invisa XI 6 10 f. tda \ crebra, nivis ritu XU 339 f. rores \ sanguineos,
mixtaque cruor calcatur harena.
2. Indifferente "Worte am Versende.
Das Bestreben, dem gegen Schluß des Verses fallenden Rhythmus
durch prägnante Worte ein Gegengewicht zu geben (s. o. S. 386), ist so
alt wie der lateinische Hexameter selbst: seit Ennius übertrifft die Zahl
der Substantive, Adjektive und Verben am Versschluß weitaus diejenige
der mehr indifferenten Wörter (Pronomina, Partikeln, Konjunktionen,
Präpositionen, Hilfsverben, Verbum substantivum außer dem durch Enklisis
verbundenen est). Aber die Abneigung gegenüber Wörtern der letzteren
Art war nicht immer von gleicher Stärke. Die neoterische Schule, die
im Gegensatz zu der archaischen Verknüpfung mehrerer Hexameter zu
einer Periode den einzelnen Vers inhaltlich möglichst zu verselbständigen
bestrebt war (s. o. S. 37 9 f.), verhielt sich gegen indifferente Worte am
Versschluß am ablehnendsten. Von den 408 Hexametern des catul-
lischen Epyllions schließen 402 mit Substantiven, Adjektiven oder
Verben, so daß im Durchschnitt nur jeder 68*® Vers mit einem indiffe-
renten Wort schließt.^^ Die sechs Ausnahmen sind noch dazu sämtlich
beabsichtigt oder gerechtfertigt: 26 Tliessaliae columen Peleu, cui lupiter
ipse (beabsichtigt, denn es folgt: ipse suos divom genitor concessit
am,ores), 158 si tibi non cordi fuerant conubia nostra (ebenfalls beab-
sichtigt wegen des Gegensatzes 160 at tarnen in vestras potuisti dunere
sedes), 201 taii mente, deae, funestet seque suosque (Schluß einer Rede,
die Pronomina in starker Antithese zu dem in 200 vorangehenden wc),
61 saxea ut effigies baccha/ntis prospicit, eheu (mit starker Wirkung an
den Schluß gestellt), 219 f. eripit invito mihi te, cui languida nondum]
lumvna sunt grati eara saturata figura: „meine Augen, obwohl schon
matt, haben sich doch noch nicht satt an dir gesehen" (also nondum in
Antithese zu la/nguida), 66 f. omnia quae toto delapsa e corpore passim\
ipsius ante pedes fluctm salis adludebant (in dem Adverbium wurde die
verbale Bildung wohl noch intensiv gefühlt). — In stai'kem Kontrast
hierzu steht die Praxis des Lucrez. Von den 900 ersten Hexametern
392 ANHANG in.
des Buchs I läßt er 124 mit solchen Wörtern schließen (also jeden
7**° Vers), nämlich mit Adverbien und Konjunktionen 35 (foede,
aeque, vere, raptim, vicissim, contra, extra, superne, coram, certe, pi'ofedo,
porro, prorsum^ demum, 3 tmquam, semper, ta/ndem, saepe, 2 usque, iam,
7 ante, 2 inde, magis quam, autem, quando conj.^, mit Pronomina 51
(4 eius, 2 eorum, 2 eandem; 3 quorum; 9 Formen von quisque; 3 quae-
dam; quis, quid indef.; 3 quicquam; 8 Formen von ipsc] 3 von üle;
4 von tuus und noster; 5 se, 1 sese\ 1 tute, 1 nos), mit Formen von
esse (außer est) 21 (8 esse, 5 sunt, 1 sit, 2 esset, 2 fuerwnt fuere,
2 fuisset, 1 fuissent), mit Formen von posse und quire nequire 17
(3 posse, 1 potesse, 1 possu/nt, 1 quimus, 1 nequihum,t, 1 possis, 1 possit,
;3 possint, 1 queamus, 4 posset, 1 possent). — Vergil hält hier, wie über-
haupt (s. 0. S. 379. 82), die glückliche Mitte zwischen archaischer Kunst-
losigkeit und neoterischer Künstelei. Er läßt von 900 Versen des
VI. Buchs 41 mit Wörtern dieser Art schließen (also jeden 22*®'* Vers)^),
nämlich mit Adverbien, Konjunktionen, nachgestellten Präposi-
tionen (darunter nachweislich einer Anzahl von Entlehnungen aus
archaischer Poesie) 21 (quotannis, volgo, vere, lote, parumper, 2 ultro,
ultra adv., 4 circum adv., ergo adv., quondam, porro, coram adv., superne;
quando conj.; 2 circum praep., ergo praep.^, mit Pronomina 12 (quibusve
interrog., qualis interrog.; 2 Formen von ipse; 3 von ille; 3 von noster
und vester; 1 mecum, 1 te), mit Formen von esse (außer est) 4 (es
ennianisch, essent, fuissent, futurum), von posse, quire nequire 5 (pos-
sim, posset, nequivi, quivi, letzteres sicher ennianisch, s. Kommentar
zu 463;.
Am unbeliebtesten am Versschluß waren natürlich solche Wörter,
die in ihrem Verse überhaupt keine selbständige Bedeutung besaßen,
sondern dem Gedenken nach vielmehr zum folgenden Verse gehörten,
also Relativpronomina, Konjunktionen, Partikeln, Präpositionen ohne In-
version. Cicero und Catulls Epyllion bieten für diese Stellung über-
haupt kein Beispiel; die übrigen Daktyliker bis Vergil^) verhalten sich
hierzu wie folgt.
1) Relativpronomina: Lucrez 17 (8 quae, 1 quod, 1 quid,
1 quem, 1 cui, 5 quorum), d. h. 1 mal in 436 Versen. Vergil 7 meist
durch Anaphora bedingte (quae b. 5, 83, cuius g. IV 394, quos a. V 713
XI 429, quas XI 164, quo b. 9, 48, quibusve VI 560;, d. h. 1 mal in
1841 Versen. Dazu (tantum) — quantum Lucr. I 360, Verg. b. 9, 12.
g. IV 101, quantus (betont) XI 283; quidquid XTI 891.
2) Konjunktionen»): Lucrez 26 (cum HI 1050 IV 259 939
V 1071 VI 279 896, dum H 1125, quod H 799 IV 293 339 340
V 1172 VI 53 861, quare II 308, quando 1188, quamquam H 204,
priusquam VI 917, ante — qimm V 1341 VI 901, postquam III 843, siquis
1) Ein ähnliches Verhältnis zeigen schon die Fragmente von Ciceros Lehr-
gedichten: in 674 Versen 22 indiflFerente Worte, d h. in jedem 26**=° Vers.
2) Die Beispiele aus Lucrez auch bei H. Sauppe, Quaest. Lucretianae,
Göttingen 1880, 8 f. — Daß Ennius so wenig vertreten ist, erklärt sich daraus,
daß von ihm meist nur einzelne, in sich dem Gedanken nach abgeschlossene
Verse zitiert werden.
3) Lucilius fr. 155 cum, Lydia 25 si.
EINIGES ÜBER WORTSTELLUNG. 393
VI 167 841, unde H 331 1109 IV 722;, d. h. 1 mal in 285 Versen.
Vergil 26 oft durch Anapher bedingte (cum b. 6, 39 g. 1 314 370
111123 358, dum g. III 428, quando a. VI 50 X 366 XI 509, donee
XI 201, posiquam I 154 III 212 X 298, priusquam g. III 468 a. I 472,
ante — quam g. I 347 11 536 IV 306 vergl. I 223, siquis b. 6, 9 g. 11 49
m 474 IV 6, ut(qu€) g. IH 24 a. 11 665, neve g. I 80, unde a. H 458;,
d. h. 1 mal in 496 Versen. •
3) Partikeln.^) Lucrez 10 (atque VI 1108, quam 'als' 1738
II 57 IV 181 911 Vlll VI 37, neque autem IV 152 VI 103 779;,
d.h. 1 mal in 741 Versen. Vergil 7 (atque XII 355 616, namque
V 733 VII 122, necdum g. H 539 a. IV 541 V 415;, d. h. 1 mal in
1841 Versen.
4) Präpositionen (ohne Inversion).*) Lucrez 2 (cum III 667,
extra I 72;, d. h 1 mal in 3707 Versen. Vergil 4 (ärcum a. IV 254
mit Anapher, inter g. III 229 459 a. X 890, inter \ hellatoris equi cava
tempora conicit hastam, dies nach dem Vorbild des Ennius, für den inter
so überliefert ist a. 114; auch beUator equus macht archaischen Eindruck),
d. h. 1 mal in 3222 Versen.
3. Inversion von Faxtikeln.
M. Haupt hat nachgewiesen (op. I 115 ff.), daß Inversion von et
und aique erst von den Neoterikern, und zwar nach dem Vorbild der
hellenistischen Dichter^), eingeführt worden ist; der Grund ist meist in
metrischer Bequemlichkeit, häufig aber auch in dem Bestreben zu suchen,
indifferente Worte von den markierten Satz- und Versstellen abzurücken
(s. den Kommentar zu 28. 792 f). Eine Ausdehnung dieser Untersuchung
auf andere Partikeln, sowie auf Konjunktionen und das Relativpronomen
(vergl. für letzteres den Kommentar zu 792 f.) wäre erwünscht und ist
schon von Leo (Gott. gel. Anz. 1897, 956) gefordert worden. Bisher
gibt es dafür nur gelegentliche Beobachtungen.*) Für diese Art von
Stellung der Partikeln bei Vergil habe ich — außer den von Haupt ge
sammelten Fällen von et^) — mir einige Beispiele gesammelt, ohne für ab-
1) Lucilius 406 et, ebenso nach wahrscheinlicher Konjektur 884. So auch
die szenische Poesie (vergl. Vahlen, über die Versschlüsse in den Komödien
des Terentius in: Abb. d. Berl. Akad. 1900) und nach dieser Varro sat. 78 Buch.
Nach Lucilius hat Horaz, der sich in den Sermonen hierin überhaupt so weit
gehen läßt wie kein andrer Dichter, 12mal et, 29mal atqu^ am Schluß; et
dann auch luvenal 2, 146.
2) Lucilius 1157 e (?). Über invertierte Präpositionen vergl. den Komm,
zu VI 329; Tmesis von circum a. I 175. 11 218. III 634. VI 517. g. IV 274.
3) Zwei weitere Beispiele aus hellenistischer Poesie für invertiertes Kai
bei V. Wilamowitz, Adonis 39 und Archiv f Papyrusforsch. I (1901) 220, 12.
4) So außer Hand im Tursellinus von Leo selbst in Nachr. d. Gott. Ges.
1895, 429, 3 und Seneca I 90; Bentley zu Horaz s. H 6, 78; Orelli-Hirschfelder
zu Horaz carm. I 37, 8; Kießling ib. I 12, 21; Lachmann und Heinze zu Lucrez
ITI 531; Ehwald zu Ovid met. Ö. 495. XV 444; Leyhausen, Helenae et Hems
epistulae (Halle 1893) 44 ff. sowie einige weitere Literatur bei Forbiger zu Verg.
b. 4, 63.
5) Vergl. über et auch den Kommentar zu 448 f. 840. Etwa aus caesarischer
Zeit carm. epigr. 55 Buch. Vers 5 f. heic mridis aetas cum floreret artibus | cres-
cente et aevo gloriam comcenderet ('neoterice et postpositum' Bücheier). — Atque
394 ANHANG m.
solute Vollständigkeit einstehen zu können; auch gewinnen solche Samm-
lungen eigentlichen Wert erst dann, wenn man die Praxis der einzelnen
Dichter an derjenigen ihrer Vorgänger und Zeitgenossen mißt, was ich
hierfür nicht vermag.^)
nam wie ^ap an zweiter Stelle des Satzes (wie Catull 23, 7. 37, 11.
64, 301; Horazepod. 14, 6. 17,45. s. II 3, 20. 41. 302. 6,78. ep. II 1,186.
od. IV W, 9; Lygdamus 4, 43) a. I 444. 518. 731. IV 421. VI 67. X 585; *?
an dritter Stelle wie Hör. od. I 18, 3 siccis omnia nam durcTcleus pro-
posuii bei Vergil nie.
namque an zweiter Stelle^) (wie Catull 64, 384, Horaz s. I 6, 57)
b. 3,33. g. IV 221. 392. a. III 379. VI 117. 860. VIH 497. X 401. 815;
an dritter a. VI 72 hie (adv.) ego namque tuas sortes . . . ponam'^ an
vierter X 614 non hoc mihi namque negares (affirmativ wie öfters enim,
jedenfalls archaisch, vergl. Kommentar zu 28) und zugleich mit ungewöhn-
licher Stellung am Versende (s. o. bei B 2, 3) V 733 non me impia
namque \ Tartara habent VII 122 genitor mihi talia namque \ nunc repeto
Anchises fatorwm arcana reliquit; an sechster b. 1, 14 hie inter densas
corylos modo namque gemellos . . . reliquit (vergl. Catull 66, 65 virginis
et saevi contingens namque leonis | lumina).
at b. 10, 31. a. V 264. VH 500. XI 753 stets an zweiter Stelle
(wie Catull 64,43. 58; Horaz s. I, 2, 47. 8, 37), also nach be (über dXXd
s. Haupt 1. c. 135). Vergl auch v. Winterfeld, Rh. Mus. LVIH 49, 1.
sed an zweiter Stelle (wie Catull 51,9; Tibull 17,46. 8,63.
II 4, 3; Lygd. 1, 19. paneg. in Mess. 34; Horaz ep. II 1, 89. 2, 46. od.
IV 4, 33) aen. 1353. III 37. 586. VH 704. 736. XI 63. 631. 816; an
dritter (wie Lygdamus 5, 28) V 5 duri magno sed amore dolor eh{mit der
oben bei A 3 besprochenen Gruppierung der Worte). — sed enim an
zweiter Stelle a. I 19, an dritter VI 28, an vierter II 164.
nee an zweiter Stelle (wie Catull 64, 173. 210. 379. 68, 55. 116;
Tibull 11,72. 93. 4,62. 6,69. 7,26; Lygd. 3,26. 4,91. 6,55. pan.
in Mess. 42. 61. 125. 127. 144. 164; Horaz epod. 10, 11. 16, 33. 55.
60. od. I 8, 6. III 4, 77. 18, 6. IV 5, 14. 7, 25. ep. I 18, 37, nie in den
Satiren)^), g. 1 397. a. HI 496. IV 33. 365. 551. 696. V 217. 783.
VII 115. 261. 811. IX 218. X 297. XI 137. 343. XII 538. 630. 644;
an dritter (wie Tibull I 8, 4. Lygd. 6, 19 pan. 42) a. H 159 teneor pa-
triae nee legibus ullis (aber nee — uilus eng zusammengehörig).
stellt Vergil, wie Haupt bemerkte (p. 120), nie nach: er las also buc. 6, 38
richtig mit cod. R. utque (vergl. Skutsch, Aus Vergils Frühzeit 46) und verband
nicht, wie einige, in g. HI 498 labitur infelix studiorwin atque immemor herbae
ßlschlich Studiorum immemor.
1) Die Beispiele aus Catull, Horaz und der tibuUischen Sammlung sind
nach den indices verborum von Schwabe, Zangemeister, Hiller vollständig
angeführt.
2) In Prosa seit'Livius: vergl. M. Müller Anhang zu Liv. H 36, 4.
3) Freilich interpungiert Kießling s. H 5, 5ff. vides ut | nudu^ inopsque
domum redeam; te vate nee illic \ aut apotheca procis intacta est aut peeus und
bemerkt „te vate, wie du mir soeben geweissagt hast im Gegensatz zu vides^''.
Da jedoch invertiertes nee, das der gesprochenen Rede fremdartig war, sich in
den Satiren nicht findet, muß te vate vielmehr ötto koivoO zum ersten und
zweiten Satzgliede bezogen werden; mit nee illic das zweite Glied beginnen zu
lassen, empfiehlt auch der analoge Versschluß s. H 6, 83 neque ille.
EINIGES ÜBER WORTSTELLUNG. 395
aut an zweiter Stelle (wie Tibull II 5, 112; Horaz epod. 1, 34.
7, 7. 9, 31. 16, 4. s. I 3, 39. II 7, 50. od. I 21, 7. II 12, 24. HI 1, 28)
g. 1274. 484. a. 1369. IV 187. 317. 619. VH 298. 1X214. Xn 852;
vd (wie TibuU H 4, 9. lY 19, 11. pan. 202; Horaz s. I 2, 134) g. H 321.
in204.
iamque^) an zweiter Stelle a. HI 588. V225. VI 81. Vn637. X813.
necdum a. V 415 dum melior viris sanguis dabat, aemula necdum \
femporibus geminis canebat sparsa senectus (der Vers eingeralimt von
dum — necdum wie g. 11 539 in regulärer Stellung von necdum — necdum).*)
1) Horaz hat iamque als anknüpfende Partikel nur s. I 5, 20 iamque dies
erat II 6, 100 f. iamque tenebat \ Nox medium caeli spatium, beidemal in paro-
dierend pathetischem Stü.
2) Zwei sichere Beispiele für das Horaz in den Satiren und besonders den
Elegikem so geläufige Hyperbaton von gwe sind georg. IH 238 und aen. VI 818,
vergl. Leo, Nachr. d. Gott. Ges. 1895, 429, 3 (über aen. VI 254 urteile ich anders,
vergl. den Kommentar). Andere Fälle sind zweifelhafter: s. Forbiger zu g. IV 22.
IV.
Gleicher Anslant aufeinander folgender Worte.
Nach der antiken Theorie kann das simüiter cadens oder desinens
(öjLiOiÖTTTUJTOV, 6|LioiOTe\euTOv) teils ein Vitium, teils eine virtus orationis
sein. Ein Vitium ist es nach dem auctor ad Herenninm IV 12, 18 si
utemur continenter simüiter cadentibus verbis hoc m,odo ^flentes plorantes
lacrimantes obtestantes' (Ennius a. 107); Quintilian IX 4, 42 vitia sunt,
si cadentia similiter et simüiter desinentia et eodem modo dedinata multa
iu/nguntur. Unsere Vergilscholien notieren oft Verse des Dichters wegen
des Gebrauchs, den er von dieser Figur macht.*) Auf der anderen
Seite sagt der auctor ad Herenn. IV 20, 28: simüiter cadens exornatio
appellatur, cum in eadem constructione verborum duo aut plura sunt verba
quae similiter isdem casibus efferantur, hoc modo 'hominem laudem egen-
tem virtutis, dbwndcmtem felicitatis'^' Der scheinbare Widerspruch ver-
einigt sich in der Weise, daß dieselbe Figur fehlerhaft sein kann, wenn
sie ohne besondere Absicht gebraucht wird, dagegen ein Vorzug, wenn
der Schriftsteller mit ihrem Gebrauch einen besonderen Zweck verfolgt.
Wie schwankend die Grenze bei der Beurteilung naturgemäß sein mußte,
zeigt deutlich die Tatsache, daß Ennius in jenem von dem lateinischen
Rhetor getadelten Vers gerade das Tidöoc der Trauer sinnfällig zum
Ausdruck hat bringen wollen.
Wenn wir an der Theorie die Praxis messen, so dürfen wir wohl
sagen, daß kein noch so sorgfältiger griechischer oder lateinischer Pro-
saiker oder Dichter den gleichen Wortauslaut durchaus gemieden hat.^)
1) Vergl. zu buc. 5, 38 purpureo narcissoj duo homoeoteleuta. aen. IV 604
at reginä pyräj notatus est hie versus: vitiosa est enim elocutio quae habet exitus
similes, licet sit casuum dissimilitudo. 558 vocemque coloremquej duo öiuoio-
T^Xeuxa, et est versus hypermeter. IX 44 cristaque tegit galea aurea rubra] duo
äblativi sunt et duo nominativi, quos metrica ratione discernimus . . . sane htäus
modi versus pessimi sunt (vergl. zu IX 606). XII 341 Sthenelumque dedit Thamy-
rumqu^ PholumqueJ plura öinoiOT^Xeuxa.
2) Als besonders starke Abweichungen in griech. Prosa notierte ich mir:
Herodot IV 175 ^oüoric xf^c äX\r]c Tf\c TrpoKaxaXexeeiöric Aißüric vpiXfjc, Antiphon
de caed. Herod. 49 ^k xoTv Xöfoiv xoiv dv&poiv ^Kux^poiv xoiv ßaoavicO^vxoiv,
Demosth. ol. 1, 1 ^G^Xeiv ÖKoOeiv de cor. 238 xu)v Oir^p xOüv 'CXXrjvujv ^Keivujv
dYUJvicaiaevujv xpiripujv, xpiaKOöiujv ouöiuv xuiv iraaiuv (dies innerhalb einer
nachweislich improvisierten Partie), Theoprast char. 5, 5 KeXeOoai Kokiöai 15, 9
dvaiueTvai oök öv i)iro|ueTvai, was der sorgfältige Theoretiker irepl X^EeuJc kaum
belassen hätte, wenn er das Material seiner Charaktere schriftstellerisch be-
arbeitet haben würde, so wenig wie Aristoteles die Gleichgültigkeit seiner
hypomnematischen Schriften (z. B. dmxeipfjöai KaxaXOöai pol. t 1. 1301 b 19)
auf die für das Publikum bestimmten übertragen hat. Lysias ist, wie Gebauer
GLEICHER AUSLAUT AUFEINANDER FOLGENDER WORTE. 397
Der von unseren Schollen (vergl. S. 396, l) gegen einzelne Verse Vergils
deswegen erhobene Tadel ist um so unbegründeter, als Vergil gerade die
Wiederholung von schließenden -a unbedenklich da zugelassen hat, wo
es nicht nacheinander in die Arsis fiel, z. B a. I 83 qtia data porta
418 mterea qua semita 664 mea magna potentia V 556 tonsa coma
pressa Corona. Andererseits ist allerdings sicher, daß Vergil, wie zu
erwarten, die Regel gekannt und bis zu einem gewissen Grade, ohne
sich ängstlich an sie zu binden, beobachtet hat. Das zeigen — außer
einigen zutreffenden Bemerkungen unserer Scholien^) — besonders klar
folgende Tatsachen. 1) Sein Verhalten gegenüber Adjektiven, deren
Endungen variierten. Die ihm vertraute Form ist hiiugus, die er fünf
mal neben Substantiven der 3. Dekl. oder alleinstehend hat (a. V 144
X 253 399 453 587), aber daneben hat er zweimal biiugis aus ersicht-
lichem Grund: g. IH 91 equi biiuges a. Xu 355 equos biiuges. Ebenso
quadriiugus -is: g. III 18 quadriiugos currus a. Xll 162 quadriiugo curru,
aber X 571 qiiadriiuges m eqiws (vergl. Servius: propter homoeotdeuion
noluit dicere ^ quadriiugos^X Analog inermus -is: a. X 425 pectus inermum
Xll 131 volgus inermum, aber a. II 67 turbatus inermis. Bei exanimus- is
schwanken die Hss. oft (vergl. ßibbeck proll. crit. p. 428), aber stets
so, daß das euphonisch Bessere daneben überliefert ist: a. VI 161 sodum
exanimem M (jum PR) IX 444 exanimem — amicum PR {-um M) XI 30
exanimi Pallantis P {-is R) 51 iuvenem exanimum MP {-em R).^) 2) Er
wechselt analog mit den Genetivformen Acliilli imd Achillis, vergl. An-
hang VI 3. 3) Er stellt die eine der gleichlautenden Silben sehr häufig
in Synaloephe z. B. VI 382 curae emotae 747 aetherium sensum aique.
4) Er umgeht den Gleichklang durch Veränderung der Wortstellung oder
andere Mittel z. B. IV 587 aequaüs classem proeedere velis (nicht: aequa-
tis velis proeedere classem), n 398 multos Danaum (nicht: Danaos),
Vin 526 Tyrrhenusque tubae . . . da/ngor (nicht: Tyrrhenasque)^), VI 865
im Anhang zu 12, 94 (Ausgew. Reden des Lysias erkl. von Frohberger I. zw.
Aufl. von Gebauer, Leipz. 1880, p. 303 ff.) bemerkt, dem Gleichklang oft durch
Änderung der Wortfolge aus dem Wege gegangen. Eine genaue Untersuchung
wäre erwünscht: wie sie anzustellen ist, hat Lobeck, De praeceptis quibusdam
grammaticorum euphonicis (in den Paralip. gramm. graec. I Leipzig 1837) ge-
lehrt, wo p. 53 f. auch einige Beispiele angeführt sind. Über Cicero (und Horaz)
ein paar Bemerkungen bei H. Kraffert, Z. f. Gymn. Wesen XLI 1887, 713 ff.
1) Vergl. zu buc. 3, 1 cuium pecusj 'cuium' antique ait vitans homoeoteleuton,
ne diceret 'cuius peeus\ 8, 28 cwn canibtis timidi venient ad pocula damviae]
dammas masculino genere posuit; sie alibi (g. HE 539) "timidi dammae cervique
fugaces' . . ., ne homoeoteleuton faceret dicendo 'timidae dammae\ * aen. I 30
immitis ÄchilliJ propter 6^ioioT^XeuTov detraxit s litteram. 220 acris OrontiJ
vitavit ö^ioioT^XeuTOv. 11 56 Troiaque nunc staret Priamique arx dlta maneres]
'maneres' propter öjaoioT^AeuTOv. 745 hominum^que deoruinquej hyperm^trus ver-
sus est, ideo, ne si "deum' diceret, öjnoioTdXeuTov faceret. III 663 fluidum . . .
cruorem] propter ö|ioioT^XeuTOv 'fluentem^ noluit dicere. Vlil 545 Euandrits
pariter] " EvMndrus'' pro " Euander'' , sed vitavit 6|uoiOT^XeuTOv. XII ö saucius
nie gravi venantum volnere pectus J bene alia verba interposuit, quia 'saucitis
pectus^ sonabat asperrime. 781 luctans moraius] 'luctatus^ et " moratus'' erat
integrum, quod vitavit propter öjiioioT^XeuTOv. Vergl. noch zu X 123. XI 112. 464.
2) So verwenden griechische Dichter gelegentlich maskuline Formen des
Adjektivs neben femininem Substantiv: Ajistoph. Frösche 383 ZidOeoi inoXirai,
Eurip. Tr. 1075 ZdOeoi oeXävai: v. Wilamowitz, Isyllos 115.
3) Vergl. Statins s. II 3, 12 belligerum lani nemus.
398 ANHANG IV.
circa comitum und VII 535 virum circa (nicht: circum] circa adv. wohl
nur an diesen zwei Stellen), III 461 liceat te voce moneri (nicht monere:
dies nach Arch. f. Lex. XI 1900, 15 die einzige Stelle, wo Vergil licet
mit pass. Infinitiv verbindet gegen 22 act.). 5) Er ist sorgföltiger als
Ennius und Lucrez, die auch ohne rhetorischen Grund dem gleichen
Auslaut nicht aus dem Wege gehen, vergl. z. B. Ennius a. 233 parerent
observarent 283 ahnueo metuo 299 haudquaquam quemquam 389 deßn-
dwnt fiunt 24 prisci casci populi 352 comis sparsis passis. Lucr. I 800
dempUs paucis paucisque tributis II 552 naufragiis magnis multisque
coortis. Selbst Cicero ist, der archaischen Praxis entsprechend, darin
nicht zurückhaltend: so wagt er Ar. 310 implexus tribus orbibus unus.
Charakteristisch ist, daß Catull in den hohen Gedichten erheblich zurück-
haltender ist als in den Elegieen und Epigrammen; so sind gleiche
Wortausgänge im Epyllion sicher überliefert nur in 3 Versschlüssen
nach griechischer Technik (96 Idalium frondosum 141 optatos hymenaeos
252 nysigenis silenis) und in 3 engen Wortverbindungen (101 cum sae-
vum 228 si sancti 296 quam qiwndam), während er z. B. 78, 2 nicht
meidet alterius lepidus filius alterius. Einen Vers wie Horaz sat. II 5, 86
unctum oleo largo nudis umeris tulit heres gibt es bei Vergil nicht. —
Vergl. auch den Kommentar zu 865.
Gelegentlich hat Vergil das similiter cadens unverkennbar zur ex-
ornatio benutzt (wofür schon Ph. Wagner in Heynes Vergil IV^ S. 549
einige Beispiele angeführt hat). So besonders bei Attributen, die eine
besonders gewichtige Eigenschaft des Substantivs anzeigen, z. B. g. III 219
pascitwr in magna Sila formosa iuvenca (4 a in dieser Betonung bei
Vergil sonst nirgends) a. I 569 Hesperiam magnam (ennianisch?) IV 345
Italiam magnam II 251 involvens ('sc. nox) umbra magna terramque po-
lumque XI 234 concilium magnum (ennianisch?) VI 812 Imperium mag-
nrnn V376 = XI 679 latos umeros VI 887 campis latis (latus mit
ö^oiÖTTTiüTOV Öfters Ennius), VI 93 = XI 480 mali tanti IX 256 meriti
tanti XI 24 egregias animas 355 egregio gener o VI 179 antiquam silvam
(wohl ennianisch) und besonders deutlich VI 638 f. locos laetos et amoena
virecta fortunatorum nemorum (in dieser Häufung nirgends sonst). Auch
VI 165 aere eiere viros wurde im Kommentar als malerische 'napY\x(\<yic
bezeichnet; ähnlich wohl nur noch IV 346 iussere capessere XI 186 more
tulere 190 lustravere in equis ululatusque ore dedere (dieses ebenfalls
mit Tonmalerei).-^)
3) M. Haupt op. I 111 bemerkt, daß Ovid tr. V 13, 29 sie ferat ac referat
das von ihm in den Elegieen selten gebrauchte ac gesetzt habe, um drei-
maligen Auslaut auf -t zu vermeiden.
Der sogenannte Tropns der Sjuekdoclie.
Unter diesem Tropus werden in den Grammatiken und Poetiken
seit der Renaissance u. a. auch diejenigen Fälle begriffen, in denen ein
Substantiv, statt wie nach unserem Sprachgebrauch zu erwarten in singu-
larischer, vielmehr in pluralischer Form erscheint. Nach diesem Gesichts-
pimkt hat R. Braumüller, Progr. Berlin 1877, lOff. die vergilischen
Beispiele behandelt. Aber der scholastische Terminus wird der leben-
digen Sprache nicht gerecht; es sind vielmehr mehrere Arten zu unter-
scheiden. 1) Es handelt sich um Substantive mit pliiralischem Sinn,
wie frondes harenae latices lymphae rores (vergl. Leo zum Culex 148),
auch Abstrakta wie IV 569 morae (lange Verzögerung), IX 615 desidiae
IX 394 und vielleicht VI 865 strepitus (ebenso clangor es, fragores u. ä.),
amores irae metus, conuhia foedera liospitia, cursus weil der Weg als eine
Strecke erscheint, deren einzelne Teile man zurücklegt (daher iter car-
pere)-^ vergl. darüber auch E. Seyß, Progr. Iglau 1882, 6. 2) Es han-
delt sich um rhetorische Steigerung (Leo, Seneca I 150, 3), oder 3) um
Analogiebildungen, so wenn Vergil VI 124 u. ö. arae sagt nach cätaria
(beide Worte nebeneinander XII 171. 174), vergl. epistulae nach litterae,
ianuae nach fores u. a. dieser Art bei K. P. Schulze, Progr. Berlin 1893, 4.
4) Bei den Neutra plur. auf -ä (vergl. schon Servius zu b. 5, 36 'hordea'
iisurpative metri causa dixit, nam Uriticum' ^Jiordeum' 'vimrni' ^md^
nrnneri tantum singularis suni)^) handelt es sich in den weitaus meisten
Fällen um eine rein metrische Erscheinung: der lateinische Epiker mußt«
sich Daktylen schaffen (vergl. 0. Weise, Lat. Sprache, Leipz. 1899, 163.
0. Keller, Gramm. Aufsätze, Leipz. 1895, 189 ff.). Daher stehen solche
pluralische Neutra (bez. ihre Attribute) mit singularischem Sinn auch
meist an fünfter Versstelle, z. B. in Buch VI: 6 semina 7 densa 10 se-
1) Als nachstehende Bemerkungen geschrieben waren, erschien die Ab-
handlung von P. Maas, Studien zum poet. Plural bei d. Römern (Arch. f. Lex. XII
1902, 479 — 549), wo die Frage auf Grund eines reichen Materials fast er-
schöpfend behandelt ist. In den entscheidenden Punkten bin ich mit dem
Verf. zu gleichen Resultaten gelangt; wenn ich dennoch meine kvirzen Be-
merkimgen unverändert stehen lasse, so tue ich es, weil sie in ein paar, grade
Vergil betreffenden Einzelheiten doch ein Plus zu den umfassenden Darlegungen
von Maas enthalten.
2) Vergl. femer die Bemerkungen des Servius oder der anderen Schollen
zu g. I 100 sölstitia] poetica licentia est ustis, ut plurdlem numerum pro Sin-
gular i poneret; zu g. H 7 mustum numero tantum singulari dicirmis sicut vinum,
licet Ovidius dbusive dixerit musta; schol. Dan. zu aen. XI 659 flumina Thermo-
dontisj flumina pro flumine.
400 ANHANG V.
creta 13 aurea 14 Minoia 19 immania 26 monimenta 37 spectacula
41 alta u. s. w. (231 novissima verba: nach Servius das eine Wort
üicet, besonders stark 836 Capifolia ad alta). So steht pedora (bezw.
sein Attribut) bei Vergil 12 mal an fünfter Stelle, nur 1 mal an erster
(XI 86 pedora nunc foedans pugnis nunc unguibus ora, also pedora in
Parallelismus mit ora, wie in V 81 einer es animaeque umbraeque paternae
das sehr ungewöhnliche animae an das bei Vergil häufige cineres assi-
miliert ist; s. o. Anhang II 3), silentia nur im Plural und stets (6 mal)
an fünfter Stelle. Daher ist VI 69 in cod. P am Versende ohne vor-
hergehendes Attribut falsch templa (statt templum MR) überliefert, weil
hier kein Bedürfnis einer Kürze vorliegt (wie 19 immania templa 41 alta
in templa 841 templa et temerata, vergl. III 84. IX 626),-^) 5) Wo sich
Substantive anderer Deklinationen so gebraucht finden, hat das meist
den Gnmd, daß dadurch Hiatus umgangen werden soll^), z, B. in
aen. VI, wo nur von dem einen Hain der Hekate die Rede ist, 13 lucos
atque 195 lu^os ubi 118 = 564 luds Hecate vergl. IV 646 rogos ensemque
(aber 640 rogum capitis), X 389 thalamos ausum (aber VI 521 thalamus
pressit), g. II 59 sucos oblita a. XII 419 ambrosiae sucos et n 118 reditus
animaque X 436 reditus ipsos XI 54 reditus exspedatique IV 694 öbitus
Irim IV 423 = IX 68 aditus d (aber z. B. XII 501 obitumque, VI 424
aditum custode); g. IV 501 umbras et (der Euridice) a. IV 571 subitis ex-
territus umbris (des Merkur), VII 384 medias urbes (aber VI 588 me-
diaeque — urbem) u. s. w. So greifen auch unsere Dichter, soweit sie den
Hiatus bei stummem -e vermeiden, gelegentlich zu demselben Mittel (so
Goethe 'die Sinnen', 'Atomen', vergl. W. Scherer, Kl. Schriften H,
Berlin 1893, 387). 6) Gelegentlich ist der Grund bei den Substantiven
der letzteren Art auch ein rein euphonischer, so VI 154 sie demum
lucos Stygis (um demum lucüm zu vermeiden, vergl. darüber Anhang IV)
und SiHus VtH 230 marmoreis sistam templis iuxtaque dicabo (der Sin-
gular hätte sog. ' leoninischen ' Reim bewirkt).
1) So sagt Properz II 13, 33 am Versende busto, fünf Verse darauf in der
zweiten Hälfte des Pentameters busta: richtig beurteilt von J. Church, Archiv
f Lex. XI 1900, 234.
2) Vergl. Servius z. buc. 1, 15 {'spem gregis a, silice in nuda conixa re-
liquiV sc. capella): ^conixa' pro eo quod est 'enixa\ nam hiatus causa mutavit
praepositionem , sicut ' sedudite curas^ pro 'excludite' (aen. I 562 solvite corde
tmtum, Teucri, seclMdite curas).
VI
Griechisclie Deklinationsformen im sechsten Bnch.
über die Deklination griechischer Wörter im Lateinischen fehlen
Untersuchungen, denn mit bloßen Materialsammlungen, die noch dazu
kritisch nicht genau sind, ist es nicht getan, sondern die Frage muß
historisch behandelt werden, da die Praxis verschiedener Zeiten eine ver-
schiedene gewesen ist, femer nach Gattungen, da die Prosa nicht überall
dieselbe Praxis zeigt wie die Poesie und ianerhalb letzterer, infolge
metrischen Zwanges, für den epischen Vers nicht immer die gleichen
Regeln gelten wie für den lyrischen und dramatischen. Mit einer Unter-
suchung dieser Art ist zur Zeit einer meiner Schüler beschäftigt. Für
Vergil ist wenigstens als Vorarbeit, die aber im einzelnen der Nach-
prüfung und Sichtung bedarf, die Zusammenstellung bei Ribbeck prolegg.
crit. S. 402 ff. brauchbar. Im folgenden sollen nur die im VI. Buch
vorkommenden Fälle griechischer Deklination, soweit sie zu Bemerkungen
Veranlassung bieten, auf Gnmd meiner eigenen Sammlungen kritisch
behandelt werden.
1. Nominativ sing, auf -OS oder -US.
132 hat M Cocytos, PR Cocytm.
In griechischen Nomina auf -oc ist bei Vergil -us ca. 270 mal
einstimmig überliefert. Dagegen ist -os l) in allen an den betreffenden
Stellen vorhandenen alten Hss. überliefert a) in Personennamen: Epeos
II 264 (FMP); b) in geographischen Namen: Epiros g. I 59 (AMPR,
bezeugt von Serv.), Leshos g. II 90 (M), Neritos a. III 271 (PM), Tmaros
b. 8, 44 (MPV, aber a. IX 685, wo es als Personenname vorkommt, ist
-US besser beglaubigt), Tyros a. IV 670 (FMP), Zacynthos III 270 (M);
c) in Appellativen: lageos g. 11 93 (MV). 2) Besser oder in der Mehr-
zahl der Hss. a) in Personennamen: Mnasyllos b. 6, 13 PV -us R; b) in
geographischen Namen: Aegyptos a. VHI 705 P^R (bezeugt von Ps. Probus)
-US MP2, Delos g. m 6 MRV Bduos P, Tenedos a. H 21 MP -us R;
c) in Appellativen: scorpios g. I 35 MR -us P. 3) Schlechter oder in
der Minderzahl der Hss. a) in Personennamen: Cyllarus g. III 90 MPR
-OS Ps. Probus, Hesperus b. 8, 30 MV -os P (10, 77 MPR einstimmig
Hesperus)', b) in geographischen Namen: Cocytus VI 132 PR -os M,
Pactolus X 142 MP -os R, Paphus X 51 MP -os R (X 86 -us MP -ys R
d. h. -us), Spercheus g. H 487 PRM^ -os M.\ Tmolus g. I 56 AMPR
(bezeugt von Serv. u. Ps. Probus) -os P; c) in Appellativen: eous g. 1288
MP^R -os P\ Larissaeus XI 404 M -aevus R -aev^s P (II 197 Laris-
VsKGii. Buch VI, von Norden. 26
402 ANHANG VI.
saeus FMP), Tartarus VI 577 MPR -os Ps. Probus, Tyrius I 574 PRM*
-OS M^. Bei Beurteilung der unter 3) aufgezählten Formen ist der Vul-
garismus 0 für^, für den Schuchardt , Voc. d. Vulgärlat. II 168 einige
Beispiele aus IR* gibt, mit in Rechnung zu ziehen.
2. Vokativ auf -e oder -a,
126 haben M^PR AncMsiade^ M^ von nicht sehr alter Hand An-
chisiada. Ersteres ist 348 einstimmig (MPR) überliefert imd jedenfalls
richtig. Nomina auf Tic haben bei Vergil im Vokativ -e (9 mal), nur
in 475, der einzigen Stelle, wo der Vokativ von ÄncMses vorkommt,
schwanken die Hss. zwischen Anchisä und Anehise (AncMsae M, Anchis'^e
P; Ancliisa Servius, AncMse Priscian^; V 564 steht Polites als Vok. in
M^P^R, aber Polite bezeugt Priscian ('es folgt progenies); 1 459 gibt
unsere Überlieferung (FMPR) richtig Achate, der Papyrus von Oxyryn-
chos saec. V (vol. I 459 Grenfell-Hunt) falsch Achata.
3. Genitiv auf -i oder -o.
20 haben die Grammatikerzeugnisse (darunter der auf alte Quellen
[Plinius?] zurückgehende Charisius GLK I 92, 9) Androgeo, unsere Hss.
(MPR) Androgei. Von Nomina auf -uuc ist nur noch einmal ein Genitiv
überliefert: II 425, wo die einzige dort vorhandene alte Hs. (M) Penelei
gibt und Plinius diese Form bezeugt.
4. Genitiv auf -i (ei) oder -is,
839 ist Achüli in MR, Achülei in P überliefert.
Die Nomina auf -euc haben im Genitiv -ei, stets einsilbig (vergl.
Quintilian I 5, 2 2 ff.), was öfters auch in der Schrift zum Ausdruck
kommt: I 41 Oili M (-ei R), VIH 383 Neri (Asper bei Servius, -ei
unsere Hss.). Von Achilles lautet der Gen. in guter Überlieferung meist
-is, wenn das vorhergehende Wort nicht auf -s endigt, sonst meist -i
bezw. -ei (vergl. über dies Prinzip der Dissimilierung von Endungen
zweier aufeinander folgenden Worte Anhang IV): II 476 agitator Achülis
MV (P vulgär Achilles) XII 352 adspirat Achillis PR (M vulgär Achilles),
aber I 30 im/mtis Achüli M und Grammatikerzitate (-is R), H 275 in-
dutus Achim M (-ei F), IH 87 immitis Achüli M (-ei F), g. III 91 cwrrus
Achülei P (-is R -es M) und im vorhergehenden Vers armipotentis Achüli
MR (-ei P); nach vorhergehendem Wort auf -s ist die Form auf -is
einstimmig nur überliefert X 581 cemis Achillis (MPV).
5. Accusativ auf -on oder -um,
595 ist Tityon einstimmig (FMPR) überliefert.
Die Endung -on im Acc. griechischer Worte ist nur hier und
g. I 138 pleiadas hyadas claramque Lycaonis arcton (AMPR) in allen
Hss. überliefert, während sie HI 124. 126. VlI 207 zwischen -on und -um
schwanken; dagegen ist -um in griechischen Worten etwa 170 mal ein-
GRIECHISCHE DEKLINATIONSPORMEN. 403
stimmig überliefert. In Tityon ist die Bevorzugung der griechischen
Endung aus dem Bestreben zu erklären, die Lautverbindung -yu zu dis-
similieren; auch Phaedrus app. 5, 13 hat Tiiyos neben Tantalus, Sisyphus.
Viel freigebiger mit der griechischen Endung ist hier, wie überhaupt,
Ovid, der sie nicht selten verwendet, um Hiat zu vermeiden, so m. IX 440
cum videat fessos Bhadamanthon et Aeacon armis.
6. Aceusativ auf -em oder -en.
334 haben ME Orontem, P Oronten.
Dasselbe Schwanken I 113: Orontem M -en E, wo das letztere von
dem gemeinsamen Gewährsmann des Charisius (GLK I 20, 6) und Dio-
medes (ib. 538, 8) bezeugt wird. Die konstante Praxis Vergils, den
Aceusativ von Namen auf -rjC gen. -ou mit -en zu bilden, erweist
Oronten als richtig (auf Orontem in der nicht über das XV. Jh. hinauf-
gehenden Überliefenmg bei Statius s. IV 7, 46 ist nichts zu geben). Das
Schwanken der Hss. erklärt sich aus falscher Auflösung des Kompen-
diums (vergl. Äceste ME V 540, Achate ME I 644, Menoete M XQ 517,
Niphate E g. III 30; ausgelassen in Hydaspe M X 747, Menoete M V 173,
Orode E X 732); so ist 11 747 Anchisem XII 363 Thymoetem g. m 30
Niphatem in M und XU 362 Asbystem in P geschrieben.
7. Aceusativ auf -im oder -in,
445 haben PE mit den meisten Hss. des Servius im Lemma und
mit sämtlichen in den Scholien Procrm, dagegen M mit einer Hs. des
Servius im Lemma Procrim.
Von griechischen Namen auf 4s ist im Aceusativ -im in allen Hss.
36 mal überliefert, dagegen -in nur 2 mal (X 705. XI 675); Schwanken
zwischen -im und -in 14 mal, aber stets zu Gunsten von -im. Das
Schwanken erklärt sich auch hier (wie oben 334 bei Oronten -em) daraus,
daß der Konsonant oft mit Kompendium geschrieben war (vergl. Daphm
b. 7, 7 u. ö. in M, a. V 83 Thybrt M, b. 2, 26 Baphni mit fehlendem
Strich E); wie wenig Verlaß auf die Endxmg -in ist, zeigt IX 762, wo
P Fhalerin et trotz der Synaloephe schreibt.
26*
vn.
Die malerischen Mittel des vergilischen Hexameters.
Selbst die antiken und modernen Tadler Vergils haben ihn als
Meister der Form gelten lassen und haben anerkannt, daß die Texvrj des
Hexameters durch ihn auf eine weder vorher noch später erreichte Höhe
gebracht worden ist. Diese hervorragende Technik ist das Resultat einer
Reihe von Momenten, von denen einige in diesen Anhängen behandelt
werden sollen; im vorliegenden wird eine nach Zahl und Art der Bei-
spiele besonders wichtige Gruppe besprochen werden, die malerischen
Mittel. Schon in den Poetiken der Renaissance, die Scaliger der Vater
abschloß, ist diesem Element des vergilischen Hexameters gebührende
Beachtung zu teil geworden (vergl. poet. lib. IV cap. XLVHf.);^) kürz-
lich hat F. Maxa, Lautmalerei und Rhythmus in Vergils Aeneis, Wiener
Studien XIX (1897) 78jBF., ohne diese seine Vorgänger zu kennen, das
Material sorgfältig gesammelt und mich so der Verpflichtung überhoben,
meine eignen, unabhängig von ihm angestellten Sammlungen vorzulegen,
zumal im Kommentar fortlaufend auf dieses Element des vergilischen
Verses, das auch für die sachliche Interpretation unter Umständen wichtig
werden kann, Bezug genommen worden ist (vergl. die einzelnen Stellen
im Register III unter 'Rhjrthmen'). Dagegen soll versucht werden, die
von den Genannten nicht gestellte Frage nach der Theorie und dem
historischen Werden dieser Verstechnik zu beantworten, sowie die von
ihnen nicht berücksichtigten Caesuren hierfür auszunutzen.
Auf die Frage, welchem literarischen yevoc diese von uns als
'malerisch' bezeichneten Versomamente angehören, gibt es vom antiken
Standpunkt nur eine Antwort: dem rhetorischen. Wir müssen, um das
zu erkennen, ziemlich weit zurückgreifen, auf die Zeit, da die Rhetorik
noch eine Verbündete der Philosophie war. Das fundamentale Gesetz
der antiken Sprachphilosophie lautet in der üblichen Formulierung: die
Wörter sind Abbilder der Dinge, TOi 6vö|LiaTa cpvüei )Lii)ariTiKd (briXuJTiKd)
eaxi Tujv TTpaYMttTUJV (uTrOKeijLievuuv). Der Vater dieses Gedankens war
Heraklit, dessen Aö^oc das erkenntnistheoretische Resultat dieser Vor-
stellung ist. Da das Gesetz unmittelbar aus der sinnlichen Realität
des griechischen Denkens und der griechischen Sprache abstrahiert war,
so erhielt es absolute Gültigkeit. Die Einzelheiten wurden von der
1) Wohl ohne Kenntnis dieser Tradition hat Lessing die Sache beobachtet
und einige zutreffende Bemerkungen darüber gemacht, die aus seinem Philo-
logischen Nachlaß herausgegeben wurden (Werke ed. Lachmann-Muncker XV
Leipzig 1900, 438).
DIE MALERISCHEN MITTEL DES VERGILISCHEN HEXAMETERS. 405
Schule Heraklits ausgeführt, deren Blüte mit der Ausbildung der exakten
Grammatik und Rhetorik durch die Sophisten zusammenfiel; so wurden
die heraklitischen Gedanken etwa gleichzeitig von Piaton im Kratylos
nach der Richtung der Sprachphilosophie und von Gorgias, Protagoras,
Prodikos, besonders Hippias nach der Richtung der Rhetorik und Gram-
matik formuliert; von Hippias heißt es bei [Piaton] Hipp. mai. 285 D,
er verstände sich auf die TpamndTuiv öüva)iic Kai (TuWaßuJv Kai dp^o-
viojv.^) Auch Demokrit schrieb Trepi KaWocrOvric eTreuJV, irepi euqpuuvujv
KOI bucTcpuüVWV TpaMMöTuuv (Diog. L. IX 48).^) Wie die herakliteische
Lehre nach ihrer philosophischen und sprachwissenschaftlichen Seite von
den Stoikern in ein System gebracht wurde (vergl. besonders Varro de
ling. lat. fr. 1. 2. 49 Wilm.), so war der erste, der das Gesetz syste-
matisch der Lehre vom künstlerischen Ausdruck der Gedanken in Poesie
und Prosa zugrunde legte, Theophrast Ttepi XeEeuJC, wie durch Dionysios
de composit. 16 feststeht. Die ausgezeichneten Erörterungen des Diony-
sios c. 14 — 20^) dürfen im großen und ganzen als Exzerpt aus Theo-
phrast und der an diesen anknüpfenden Literatur gelten (vergl. c. 16
Trepi iIjv eipriTai TroWd toTc Trpö rnnujv), so die allgemeine Formulierung
c. 20: „der gute Dichter und Prosaiker muß sich darauf verstehen, die
Dinge, von denen er redet, in der Sprache nachahmend zum Ausdruck
zu bringen (|iii)ariTiKÖv elvai TUJv TTpaYMdxuJv), sowohl in der Wahl der
Worte, als in der Komposition. So hat es Homer verstanden, trotz des
einen von ihm gebrauchten Metrums mit den wenigen Rhythmen dennoch
hierin die Kunst der Variation zu zeigen, und das in einer Vollendung,
daß wir die von ihm erzählten Dinge geradezu leibhaftig sich vor uns
abspielen sehen." Die |ui|LiTiaic besteht also vor allem in der 'Auswahl
der Worte', d. h., wie c. 14. 15 ausgeführt wird, in der Auswahl der
Buchstaben, aus denen die Silben und Worte zusammengesetzt sind,
vmd in der * Komposition', worunter nach c. 17. 18. 20 im Besonderen
die Auswahl der Rhythmen verstanden ist. Dionysios ist sich durch-
aus bewußt, keine absonderliche Theorie vorzutragen, sondern allbekannte
und allseitig anerkannte Prinzipien der Poetik und Rhetorik zu bringen
(vergl. z. B. ev eiböffi Xeyuuv oiik oTo)iiai TiXeiöviuv beiv TtapabeifiLidTUJV,
und so öfters). Wie Cicero, Varro und Caesar, so steht daher begreif-
licherweise auch Vergil im Banne dieser Theorie, imd wie Cicero in der
Prosa, so hat Vergil sie in der Poesie in Praxis umgesetzt.
A. Auswahl der Buchstaben.
Hierüber können wir uns kurz fassen, da die Sache an sich klar
und im Kommentar durch zahlreiche Beispiele belegt ist (vergl. das
Register HI unter ' Lautmalerei ' ). Die Theorie hierfür gibt neben Varro
1) An Hippias vor allem hat man daher zu denken bei Plat. Erat. 424 B
öpeÖTaTÖv loTi 6ieX^0eai xä OToixeia itpiüTov, djöirep oi ^irixeipoövTec toTc ^uö-
^OlC tOüv öToixeiiuv irpOjTov xöc buvd)Lieic bieiXovro, eireixa tüjv ouXAaßOüv xal
oöxiuc fibri ?pxovTai Im xoüc ^uG|uouc aKeipöiuevot, irpÖTepov b ' ou ktX.
2) Vergl. Genaueres in meiner Ant. Kunstprosa I 57flF.
3) Gute Bemerkungen über die Sache auch bei Plutarch quaest. conv.
IX 15, 2 p. 747 CDE; vergl. auch Aristides Quint. de mus. H c. 9 und 11.
406 ANHANG VH.
1. c. (die verba sind signa rerum) Dionys. 1. c. 14 — 16: durch die Be-
sonderheit in der Auswahl der Buchstaben bezeichnen die Worte td T€
fiGri Ktti Tct 7rd0Ti Kai idc biaGeaeic Kai xd ^pya xdiv irpocriuiTUJV. Er
belegt sie durch zahlreiche mehr oder weniger zutreffende homerische
Beispiele/) die z. T. aus unseren Scholien ergänzt werden können, z. B. zu
H 252 Kai bid ÖmpriKOC rroXubaibdXou ^pripeiffTO
schol. Ven. A: erpdxuve tdc (TuXXaßdc, rfiv ßiav xfic ei(JÖbou briXüüv
(nach Dionys. 14 rpaxuvei xö p), zu
B 210 aiTidXu) laeTdXLU ßpe|uexai, cr|ixapaTeT be xe ttövxoc
schol. Ven. AB: aujLi9uu)C xu) uTroKeijaevtu xexpdxuvxai xö Ittoc xaic
övo)LiaxoTroiiaic, zu
A 125 Xi^He ßiöc, veupfi be inex' i^X^v, dXxo b'öicrxöc
schol. Ven. A: xö XiTEe övo|aaxoTroiia ecrxiv. Ik be xujv 7Tape7ro)iiev(Juv
xfiv dqpecriv briXoi. xoO be dXxo auvexjurieTi r\ XeHic Trpöc xö xdxoc xfjc
dqpecreuuc.
Während aber die griechischen Dichter mit diesem Stilmittel, das
in seiner Häufung spielerisch wirken würde, haushälterisch wirtschaften^)
— erst Nonnos, dem jedes Stilgefühl verloren gegangen ist, bedient sich
seiner in exzessiver Weise — , haben die römischen diese Grenze nicht
immer innegehalten. Ennius und die älteren Tragiker^) haben öfters
einen Gebrauch davon gemacht, der späteren ästhetisch geschulten Kri-
tikern nur ein gutmütiges Lächeln oder Mitleid mit dieser Ostentation
der Kunst erregen konnte. Als ein Protest gegen solche Verirrungen
werden wir die Zurückhaltung der Neoteriker auffassen müssen: aus
Catull werden sich, abgesehen von dem Raffinement des ja auch sonst
isolierten Attisliedes, wohl nur die Verse
64, 261 ff. plangebant aliae proceris tympana palmis
aut tereti tenuis tinnitus aere ciebant.
mtUtis raucisonos efflahant cornua homhos
barbaraque horribüi stridebat tibia cantu
1) Ein paar andere bei G. Gerber, Die Sprache als Kunst 11 1 (Bromberg
1873) 126 ff., der auch für die Theorie zu vergleichen ist. Um die Gegen-
sätzlichkeit zu empfinden, halte man etwa noch
a 56 aUl bk |Lia\aKoiai koI ai|Liu\ioi0i Xöyoiöi (QiXfei)
b 567 aiel 2;eq)üpoio Xi^ü itveiovTac drixac (im Elysiiun)
neben
p 491 dXX' ÖK^uuv Kivriöe Kdpri, kokö ßu(Töo6o|Lieuu)v.
2) Aus Pindar notierte ich mir P. 1, 23 (von der Ätna-Eruption) qpoivioaa
Ku\ivbo|Li^va (pXöS ^c ßaeeiav qp^pei irövrou jrXdKa cfuv 7raTdYi|j (vergl. Lucr. I 722 ff.
Verg. a. III 581 f. 673 f. ebenfalls vom Ätna), 4, 226 (die feuerschnaubenden
Stiere) dpdoöeaKov xööva. Manches bieten die Chöre der Tragiker und dann
die weichen, melodischen Verse Theokrits und Bions. Einen Versuch, das
liebliche Lispeln von Theokrits Fichte nachzuahmen, hat der Verf. der Dirae
gemacht: 28 f. (von der silva): nee laeta comantis | iactabis möllis ramos in-
flantibus auris: er zog also 6 <JiY|iiaTa vor, statt sich zu begnügen mit den
pinus loquentes Vergils (b. 8, 22), der sich der Grenze des in lateinischer
Sprache Möglichen auch hier bewußt blieb : quo enim pacto — mit dem
Kritiker bei Gellius IX 9, 7 zu reden — diceret ix itixuc ttotI toic troTaiöi lueXia-
ftexai, verha hercle non translaticia, sed cuiusdam nativae dulcedinis.
3) Auch Plautus besonders da, wo er den tragischen Stil parodiert, vergl.
Amph. 232 ff. 1062 f Über Ennius s. auch R. Helm, Jahresber. d. Altertums-
wissenBchaft CXIII (1902) 17.
DIE MALERISCHEN MITTEL DES VERGILISCHEN HEXAMETERS. 407
anführen lassen, mit denan es eben eine eigne Bewandtnis hat, da auch
Lucrez II 618 ff. und Varro sat. 131 f. für den gleichen Zweck zu den
gleichen Mitteln gegriffen haben. ^) Vor allen Dingen war ihnen die
Alliteration antipathisch, die Ennius aus dem Ruin der volkstümlichen
Poesie in die kunstmäßige hinübergerettet hatte, die aber die Neoteriker
eben deshalb ächteten, weil sie ihnen als ein italisches Spezifikum er-
scheinen mußte: denn es ist ja Tatsache, daß dies Versomament bei
den Griechen in den verschiedenen Gattungen der Poesie zwar nicht
völlig fehlt ^), aber nicht entfernt eine RoUe wie in altlateinischer Poesie
gespielt hat. Im Gegensatz zu Horaz^), Tibull und Properz, die den
Neoterikern näher stehen, sowie zu der späteren Poesie, in der die
Alliteration keine wesentliche Rolle mehr spielt^), vermittelt Vergil auch
hier zwischen der alten imd der neoterischen Technik: die Alliteration
hat er als nationales (und dazu rhetorisch wirksames) Kunstmittel in
seinem Nationalepos nicht missen wollen^), aber er hütet sich vor den
Exzessen des Ennius®) und dessen Nachfolger. ^ Auch der Lautmalerei
im engem Sinn gewährt er einen Platz, ohne in die Ostentation der
1) Mit dem Bombast dieser Verse wüßte ich nur den ohrenbetäubenden
Lärm der für Nonnos typischen Diktion zu vergleichen; grade das von Catull
hier gebrauchte ßojLißoc (und die davon abgeleiteten Verben) liebt er. Möglich
ist, das den zitierten Stellen der lateinischen Dichter ein griechisches Original
zugrunde liegt.
2) Vergl. z. B. Mähly, N. Schweiz. Mus. 1864, 207 ff., C. Riedel, Allit. bei
den Tragikern, Erlangen 1900, Kaibel zu Soph. El. S. 103. 159, Maaß Index
zu Arat S. 97, Wilamowitz, Adonis 13, 1, meine Ant. Kunstpr. I 59, 1. Am
weitesten geht Nonnos.
3) Ein paar (nicht sehr auffällige) Beispiele notiert Kießling' zu od. I 2, 1
und s. I 6, 56 f.; hübsch epod. 16, 48 levis crepante lympha desilit pede, wozu
Porphyrio: sonus versus imitatur et velocitatem et strepitwn ciquae currentis;
vergl. auch den Kommentar zu 659.
4) Untersuchungen für die nachaugusteische Poesie fehlen m. W., aber die
Tatsache steht fest. Bezeichnend dafür ist die Art, wie einige alliterierende
Verse Vergils in unseren Schollen beurteilt werden: Servius zu aen. 11 199
maius miseris multoque] wt ' sale saxa sonabant'' (V 866) et 'casus Cassandra
canebat'' (IH 183); nam apud veteres a similihus incipere vitiosum non
erat; zu DI 183 casus Cassandra canebat] haec compositio iam vitiosa
est, quae maioribus placuit ut ' Änchisen agnovit amicum' (HI 82); zu V 866
tum rauca adsiduo longe sale sa^xa sonabant] bene imitatus est maris stridorem
'sale saxa sonebanV: vielleicht hatten andere den Vers getadelt (vergl. Georgii,
Ant. Aeneiskrit. 267). — Erst in der lateinischen Poesie der Angelsachsen wird
die Alliteration wieder beliebt, aber in jener ist sie kein entlehntes, sondern
ein nationalgermanisches Versornament.
5) Vergl. darüber die treffende Bemerkung von 0. Weise, Charakteristik
der lat. Sprache* (Leipzig 1899) 45. Das vergilische Material ist gesammelt
von J. Kvicala, Neue Beitr. z. Erklärung der Aeneis (Prag 1881) 293 ff. Für
das VI. Buch vergl. das Register III unter 'Lautmalerei'.
6) Charakteristisch ist z. B., wie er den ennianischen Monstrevers at tuba
terribili etc. (ann. 452) umbildet aen. IX 503 f. at tuba terribilem sonitum procul
aere canoro | increpuit, sequitur clamor caeluniqiie remugit (dazu ein lehrreiches
Scholion des Servius). Andere Versuche zur Nachbildung des Trompetensignals
(tubarum clangor: Varro 1. c.) im Kommentar zu 165; im Griechischen oft
Nonnos, z. B. U 633 Xa'iveri oäXmrri KiXiH jauKrjöaTO TaOpoc XXViU 28 ßdpßapoc
^öluapdTTiöev äYdöTparoc auXöc '6vuoöc.
7) Z. B. Accius fr. 4 Baehr. fraxinus fusa ferox infensa infinditur ossis,
tr. 569 — 573 Ribb., Lucrez V 993 viva videns vivo sepeliri viscera busto 964 vel
violenta viri vis.
408 ANHANG Vn.
archaisclien Poesie zu verfallen, imTnerhin aber doch in erheblich weiterem
Umfang als irgend ein griechischer Dichter. Daß er hierbei der rheto-
rischen Theorie folgte, beweisen folgende Momente. Dionys. 1. c. 16
notiert als malerisch u. a. den ßpö)Liov Kai Traiatov dvejauüv; ihn hat
Vergil (wie Nonnos) häufig durch malerische Mittel zum Ausdruck ge-
bracht, besonders drastisch
g. I 356 ff. continuo ventis surgentibus aut freta ponti
indpiunt agitata tumescere et aridus altis
montibus audiri fragor, aut resonantia longe
litora misceri et nemorimi increbrescere murmur,
vergl. a. I 55 f. IV 160. X 96 ff. Ferner notiei-t Dionys. ib. das 'Pfeifen
der Taue' ((JupiYMÖv KOtXuüv), vergl.
a. I 87 msequitur clamorque virum stridorque rudentum.^)
Wenn der Khetor ebendaselbst die TaupuüV |LiuKr||LiaTa , Varro 1. c. fr. 2
(p. 145 Wilm.) ovium balatum als charakteristische Beispiele nennen für
die Tatsache, daß die Worte Abbilder der Dinge seien, so hat Vergil
mit Bedacht beides verbunden
g. in 554 f. balatu pecorum et crebrls mugitibus anmes
arentesque sonant ripae.
Auch den von Varro 1. c. erwähnten aeris tinnitus versinnbildlicht er
(allerdings mit Bevorzugung dumpfer Vokale, weil es sich um das Waffen-
klirren im Bauch des hölzernen Pferdes handelt):
a II 53 msonuere cavae gemitumque dedere cavernae.^)
1) Mit leichter Variation a. 11 313 exoritur clamorque virum clangorque
tuharum, vergl. S. 407, 6 — Die Theorie kannte und befolgte schon Pacuvius
335f. Ribb. drmamentum Stridor, flictus navium, \ strepitus fremitus, cldm^r
tonitruum et rudentum sibilus. Nach der Theorie auch Nonnos III 27 öu|li-
irXcKdec bi KdXiuec ^aiipieav bii.'i jboiZip.
2) Besonders beliebt als malerisches Mittel ist das dumpfe u (vergl. den
Kommentar zu 237 f. 644), z. B. g. III 45 et vox adsensu nemorum ingeminata
remugit XII 722 gemitu nemus omne remugü X 98 f. fremunt (sc. flamina) silvis
et caeca volutant \ murmura III 581 f. inbremere omnem \ murmure Trinacriam
et caelum subtexere fumo V 148 ff. tum plausu fremituque virum studiisque fa-
ventum | consonat omne nemus, vocemque inclusa volutant \ litora, pulsati colles
clamore resultant VIII 419 ff. validique incudibus ictus \ auditi referunt gemitus
striduntque cavernis \ stricturae Chalybum. Ferner u -\- m: I 55 f. magno cum
murmure montis | circum claustra fremunt 124 interea magno misceri murmure
pontum IV 210 inania murmura miscent XII 718 stat pecus omne metu mutum
mussantqu^ iuvencae (dies auch Horaz ep. 11 1, 202 Garganum mugire putes
nemus aut mare Tuscum, vielleicht auch epod. 6, 9 2 f.); u -\- r VQ 15 f. hinc
exaudiri gemitus iraeque leonum \ vincla recusantum et sera sub nocte rudentum;
M -j- s V 866 tum rauca adsiduo longe sale saxa sonabant X 212 spumea se-
mifero sub pectore murmurat unda; u -\- r -\- s II 301 clarescunt sonitus ar-
morumque ingruit horror; u -\- r -{- t Hl 61Sf. contremuere undae penitusqtie
exterrita tellus \ Italiae curvisque immugiit Aetna cavernis V 694 f. tempestas
sine more furit tonitruque tretnescttnt | ardua terrarum. Ferner s allein und in
zahlreichen Verbindungen, z. B. « g. III 514 discissos nudis laniabant dentibus
artus IV 370 saxosusque sonans Hypanis Mysusque Caicus; s -{■ t a,. l bd luc-
tantes ventos tempestatesque sonoras (vergl. Horaz s. H 8, 77 f. videres | stridere
secreta divisos aure susurros mit der Bemerkung der pseudoacronischen Schollen:
notandum quod ipso versu imitatus est sonum susurri, ut 'lento ducunt argento'
<Verg. aen. VII 634> et 'sale saxa sonabanf <ib. V 866»; s + < + r VII 567
dat sonitum saxis et torto vertice torrens; s -\- t -]- p -\- u VII 722 scuta sonant
pulsuque pedum conterrita tellus; s -]- f -j- m -\- n IV 135 stat sonipes et frena
DIE MALERISCHEN MTTEL DES VERGILISCHEN HEXAMETERS. 409
B. Die Answahl der Rhythmen.
Das Streben, das Ethos des Gedankens durch bestimmte Rhythmen
malerisch zvnn Ausdruck zu bringen, ist schon im Hexameter Homers
erkennbar, aber doch nur so selten (und bezeichnenderweise nirgends so
deutlich wie innerhalb einer sehr jungen Partie: X 593 ff.), daß wir diese
Rhythmensymbolik nicht als wesentliches Element des altepischen Verses
bezeichnen können. Die antiken Theoretiker haben aber, wie gewöhn-
lich, die Theorien ihrer Zeit auf Homer gewissermaßen zurück projiziert
und Absicht oder Reflexion da gefunden, wo wir sie nicht anerkennen.
Da nun aber Vergil eben durch solche Theorien beeinflußt war und in
ihrem Bann die homerischen Verse las und nachbildete, so müssen wir
sie hier kurz betrachten. Wir finden die, wie bemerkt, seit Theophrast
allgemein angenommene Theorie am besten formuliert von Hermogenes
de ideis H 409 Sp.: „Wenn der Dichter eine leidenschaftliche Stimmung
oder sonst ein Ethos der von ihm redend eingeführten Person zum Aus-
druck bringen will (liifieiTai) oder auch in eigner Person spi'icht, so
müssen sich dabei jedesmal die den Arten der Reden entsprechenden
Pausen, Versfüße und Rhythmen einstellen, z. B. getragene, harte, weiche
oder besonders gefeilte. Dies wird ermöglicht durch die große Zahl der
Formen des Hexameters (es gibt nämlich nach der Lehre der Metriker
32 solcher Formen), dann auch durch die bestimmte Art der Pause,
worauf es hier besonders ankommt: denn es tritt bei den verschiedenen
Arten der Caesuren und der Gedankenpausen im Satz das Metrum oft
sogar aus dem ihm eignen Rhythmus heraus; z. B. ist in dem Vers
fipuuuuv, auTOuc be eXuupia reöxe KuvecfCTiv nach dem Worte fipOüUJV eine
Pause und die folgenden Worte sind gewissermaßen anapästisch. Die
Gründe aber, die den Dichter veranlaßten, bald diesen, bald jenen Rhyth-
mus zu gebrauchen, wird der aufmerksame Leser vorliegenden Werkes
über die Arten der Rede sowie meiner späteren Schrift über die Methode
der kn^ftvollen Beredsamkeit leicht erkennen." Hiemach sind die zwei
wichtigsten rhythmischen Mittel, durch die der Dichter im Hexameter
das von ihm gewollte Ethos des Gedankens malerisch zum Ausdruck
bringen kann, die Verteilung von Daktylen und Spondeen und die An-
wendung der verschiedenartigen Caesuren.
L Daktylen und Spondeen.
Dionysios 1. c. bringt als Beweis für seine (d. h. des Theophrast)
Behauptung, daß der gute Dichter )Lii)iriTiKÖc ecTri tOuv TTpaT^dtiuv, das
Musterbeispiel der homerischen Sisyphosverse (X 593 ff.); die Spondeen
der Verse Xäav ^acfTolovra ireXujpiov und Xäav avuu uiGecTKe malen,
wie Dionysios bemerkt, die Anstrengung, mit der der Block aufwärts
gerollt wird, und daß dies nicht auf Zufall beruhe, sondern auf bewußter
Kunst, sei klar durch die Wahl der das rdxoc malenden Daktylen in
ferox spumantia mandit. Auch nt -^ r: JE 626 f. membra fluentia tobe \ man-
deret et tepidi tremerent sub dentibus artus 664 = VH! 230 dentibus infrendens.
Endlich c -)- Vokal oder Konsonant: IV 303 nocturmisqm vocat clamore Ciihaeron
g. I 378 ranue cecinere querellam.
410 ANHANG Vn.
dem Vers auTic ^rreiTa Trebovbe etc. Wie genau die alten Interpreten
auf dergleichen achteten, zeigen die von G. Rauscher, De scholiis
Homericis ad rem metricam pertinentibus (Straßburg 1886) 48ff. und
H. Großmann, De doctrinae metricae reliquiis ab Eustathio servatis
(ib. 1887) 47 ff. gesammelten Scholien. So schol. AB zu A 530: „Kpaiöc
dir' dGavaioio, luexav ö' eXeXiHev "OXuiuitov: durch die Raschheit malt er
das Zittern des Berges und die Schnellichkeit der Bewegung"; Eust. zu
9 15: „Tijü b' iv MecrcTrivr) Hu|ußXr|TTiv dXXr|Xouv: dieser Vers wird ge-
lobt, weil seine durch reine Spondeen zum Ausdruck gebrachte ruhige
Bewegung derjenigen Ruhe entspricht, mit der die beiden Freunde sich
begegnen, während umgekehrt lobenswert auch die aus bloßen Daktylen
zusammengesetzten Verse sind, z. B. kcTto jLieTac |LieYaXuj(TTi, XeXacr|LAevoc
iTTTTOCfuvduJV (TT 776); daß nämlich ein Vers mit fünf Daktylen einen
stark hüpfenden Charakter hat, wußten schon die Alten und lehrt die
Metrik. 1)"
Eine Untersuchung, in der die antike Theorie an dem faktischen
Material geprüft wäre, gibt es m. W. nicht. Auch für die nachhome-
rischen Dichter fehlt eine Sammlung und Prüfung des Materials. Denn
obwohl kein griechischer Dichter in der Verwendung dieses doch mehr
äußerlichen Mittels so weit gegangen ist wie die römischen, so hat es
sich doch keiner wohl ganz entgehen lassen. So haben Pindar^) und
Euripides^), die beide von der Rhetorik ihrer Zeit beeinflußt sind, im
Vergleich zu Aeschylos und Sophokles viel; auch Aristophanes hat es oft
mit stark sinnlicher Wirkung gebraucht, während die hellenistische Poesie
hierin äußerst zurückhaltend ist. Für uns kommt es hier aber nur
darauf an zu prüfen, wie sich die griechische Theorie in der Praxis der
römischen Dichter spiegelt.
Die Theorie war in Rom schon bekannt, als Ennius*) es unter-
nahm, den Hexameter in die lateinische Poesie einzuführen, nicht ohne
Kenntnis auch der griechischen Theorie. So ist in Versen wie
a. 419 it eques et plausu cava conmtit ungula terram
281 consequitur, summo sonitu quatit ungula terram
die bewußte Anlehnung an den Rhythmus von
Z 511 pijLiqpa e YoOva qpepei laeid fiGea xai vo)liöv i'ttttujv
K 535 i'ttttujv )li' lUKUTröbuiV djLiq)i ktuttoc ouata ßdXXei
um so sicherer, als auch die Theorie konstatierte, daß i'ttttujv TTOpeia
1) 6 TCXviKÖc Trapabibujöiv, vergl. G. Amsel, De vi atque indole rhytiimorum
(Bresl. phil. Abb. I 1887) 63: „quis sit, ignoro."
2) Z. B. ist in 0. 1 der achte Vers der Strophe ein iambischer Trimeter
mit starken Auflösungen: zweimal dient der lebhafte Rhythmus sichtlich
malerischen Zwecken: 77 t\xe ö' Itri raxuxctTuiv Tröpeuöov äpiudrijuv 95 TT^Xottoc,
Iva TaxuTÖc irobuiv ipiZezai, und darauf weist folg. Scholien hin (p. 16 Böckh):
TÖV TOIOUTOV ^USjLlÖV eÖaTl|LlOV 6lä TOO XÖYOU dtTTOKaÖiaTIlÖtV, iv TT) ^VVOlCjl Toxu-
TfiTO KaxoipBuJKUJC. P. 2, 3 f. (qpepuiv) | jn^Xoc epxojaai dtfyeXiav Terpaopiac ^Xe-
XixGovoc (Daktylen und Trochäen). Vergl. ferner Boeckh's Abhandlung de metris
Pindari 1. III c. XIX (Pindari opera vol. I p. 295 f.) und Schroeder in seiner
Ausg. p. 507 d, sowie unten S. 412, 2. 413, 2.
3) Vergl. V. Wilamowitz zu Eur. Her. 935.
4) Vergl. schon Naevius
com. fr. 35 ßibb.^ ubi vidi, exanimabüiter timidus pedibus protinatn me dedi,
ganz im Stil der dpxaio, die dergleichen oft hat.
DIE MALERISCHEN MITTEL DES VERGILISCHEN HEXAMETERS. 411
puGjUÖc evO|Lii(T9Ti : vergl. [Longin] proll. in Hephaest. ench. p. 84 West-
phal. Die Versmonstra
a. 125 f. VoUurnalem Palatualem Furrinalem
Floralemque Falacrem et Pomonalem fecit
werden etwas dadurch entschuldigt, daß der Verfasser die feierliche Gran-
dezza des Numa und der von ihm eingesetzten Priesterschaft durch die
gi'avitätischen Spondeen wahrscheinlich hat malen woUen, wie
a. 34 Olli respondit rex Albai longai
die Feierlichkeit und Ruhe der Bündnisszene zwischen Aeneas und dem
patriarchalischen Albanerkönig schön zum Ausdruck bringt, dies um so
sicherer, weil Vergil es in der Bündnisszene zwischen Aeneas und Latinus
nachahmte: XU 18 olli sedato respondit corde Latinus.
Bei Cicero und Lucrez tritt, dem Charakter des Lehrgedichts
entsprechend, die malerische Absicht zurück; daß letzterer die Theorie
kannte, zeigt der Wechsel von Spondeen mit Daktylen in den Versen
von Sisyphus
ni lOOOflF. adver so nixantem truder e monte
saxum, qmd tarnen e summa iam vertice rursum
volvitur et plani raptim petit aequora campi^)
und die malerischen Verse
III 907 f. insatiabiliter deflevimus (sc. te), aeternumque
nulla dies nobis maerorem e pectore demet.
Fast gänzlich zu fehlen scheint dieses Element bei den Neoterikern;
wenigstens wüßte ich aus Catull, wenn wir von einigen seiner versus
spondiaci, die als besonders geartet unten S. 43 2 f. behandelt werden
sollen, nur ein bemerkenswertes Beispiel anzuführen:
64, 40 non glaeham prono convellit vomere taurus,
wo die Absichtlichkeit des spondeischen Ehythmus durch Horaz
s. I 1, 28 nie gravi terram duro qui vertit aratro
gewährleistet wird. Vermutlich erklärt sich diese ablehnende Haltung
daraus, daß, wie es scheint, auch die hellenistischen Dichter Effekte
dieser Art, wieder abgesehen von einigen unten 1. c. angeführten versus
spondiaci, verschmäht haben. ^)
Vergil kehrte dagegen zu der Praxis des Ennius zurück, die er
nach der Lehre der Metriker und Rhetoriker auch als die homerische
ansehen mußte, und zwar befolgte er darin, wie hier gezeigt werden
soll, bewußt auch die Theorie. So hat er das homerische |ueT«v h^iXl-
XiHev ''OXu^Trov, das, wie Avir sahen, wegen seines malerischen toexoc
(TuXXaßujv gerühmt wurde, übersetzt:
aen. IX 106 iotum treme fecit Olympum.
In dem berühmten Mustei'vers
VIII 596 quadrupedante putrem sonitu quatit tmgula campum
1) Vergl. auch den von Cic. Tusc. 1 10 zitierten, wahrscheinlich von Lucilius
stammenden Vers
fr. 815 Baehr. Sisyphus versat
saxum Sudans nitendo neque proficit hilum.
2) Verse mit mehr als zwei Spondeen hintereinander sind bei Kallimachos
und seinen Nachfolgern überhaupt eine Seltenheit: Bücheier, Rh. Mus. XXX
(1875) 34.
412 ANHANG VII.
hat er die uns durch jenes Hephaestionscholion bezeugte Theorie von der
Rhythmik der ittttiüv rropeia in die Praxis umgesetzt (vergl. IV 154 f.
agmma cervi | pulverulenta fuga glomerant), und ebenso die in demselben
Scholion als Beispiel eines natürlichen Rhythmus angeführten TTiepufic-
ILiara tüjv öpvi9u)V^) durch wirkungsvolle Rhythmisierung so zum Aus-
druck gebracht:
VI 311 f. quam multae glomerantur aves, ubi frigidus annus
trans pontwm fugat.
Malt nach der Theorie der alten Rhythmiker der Daktylus, wenn
er gehäuft wird, die Eile, so der Spondeus die gemessene, feierliche
Ruhe (tö (JTd(Ji)Liov, dHiuj|Lia, (TeiiVÖTric, vergl. Amsel 1. c. 54 ff.). Diese
Theorie hat Vergil sich oft mit großer Wirkung zu Nutze gemacht.
In dem Vers
VI 313 stabant orantes primi transmittere cursum
fielen die durch das spondeische Wort im 1. Fuß noch besonders stark her-
vortretenden Spondeen (s. Anhang VIII) schon Scaliger auf: 'vis, sagt er
in seiner Poetik (1. c. p. 489), videre tractum ipsum morae sub oculis?
stabant — cursum: cum illis enim versus quoque stat'. Zugleich malen
die Spondeen hier das Flehen (orare)^) der Seelen, wie Homer von dem
wehklagenden Achilleus sicher absichtlich sagt
V 219 M^ux^v KiK\r|crKUJV TTaTpoKXfjoc beiXoTo
und von zwei flehenden Troern (in wirkungsvollem Kontrast mit dem
gegen sie anstürmenden Atriden)
A 129f. Tib be KUKr|0r|TTiV 8 b'dvavriov uipio Xeuüc u)C
'ArpeibTic' tuj b'auT' Ik bicppou TOuvaZ!ecr0r|v.^)
Die Klage*) ist es auch, die in der Rede des Aeneas an Dido und den
Epicedien auf Marcellus und Pallas durch Spondeen gemalt wird:
1) Wohl mit Bezug auf B 462 ävQa Kai ^vöa iroTiDvTai dTaX\6|ueva irrepO-
yeooiv, vergl. auch Aristopb. Vög. 1395 töv äXäbe 6p6|aov äXdiiievoc ä|u' dv^iuuuv
TTvoaiai ßair|v, ein Sotadeus, in dessen beiden ersten lonikern sämtliche Längen
aufgelöst sind.
2) Im Gebet sind feierliche, getragene Rhythmen (öTTOvbeioi) herkömmlich,
vergl. auch Aristides Quint. 11 15 (p. 59, 28 Jahn) touc |li^v ßpaxeic (sc. xpövouc)
tv rate TTuppixaic XPI^IMOUC öpü)|uev . . . , toOc 6^ laTiKiaTouc ^v toTc iepoic öjuvoic,
otc ^XP*J^VT0 irapcKTeTaiu^voic, was wir noch an Pindars Praxis erkennen: P. 1, 29
eiri ZeO xlv eir) ävbctveiv _u _w_ (zwei unterdrückte Senkungen im
ersten Epitrit, der dadurch den Typus des airov&eioc, also des üblichen Gebet-
rhythmus erhält), Epitriten auch ib. 72 XicTöoiLiai veOaov Kpoviuuv ä|U€pov; vergl.
0. 4, 11 f. 6eöc eöqppuuv | eiTi Xonraic euxatc vju , ähnlich Soph.
0. T. 1096 irjie Ooiße ao\ b^ toOt' öp^öx' eir] (der Schluß _ u : zwei Epi-
triten mit Unterdrückung von 1 bezw. 2 Senkungen).
3) Beide Stellen gehören nicht zum ältesten Bestände des Epos.
4) Vergl. Bakchyl. 16 (17), 119 Xe7rTÖTrpu|uvov cp&vr\. qpeö ol'aicfiv ^v <ppov-
Tiöiv _u_ _vj_ _w_ _v_ (iambisch, überall mit Unterdrückung der
ersten Senkung, beim dritten wegen qpeö mit Unterdrückung beider, vergl.
V. Wilamowitz, Gott. gel. Anz. 1898, 138, der auf das Ethos hinweist). Ähnlich
Pindar 0. 2, 52 (57) öuöcppoväv TrapaXuei, nur an dieser Stelle _ u _ u u u _,
sonst stets umgekehrt ^ ^ ^ ^ - ^ - , aber er wollte durch die Ausnahme dem
Begriff des 'Mißmuts' Gewicht geben. In demselben Gedicht 23 (25) irevOoc bä
iriTvei ßapO: _] _ w _ - ^^, sonst immer _ u _ u u w _ bis auf Vers 3 Saxaöev
' HpanXeric : _] _ u _ _ u _ : an der ersten Stelle malt die Länge die schwer-
lastende Trauer, an der zweiten das }x^ya oG^voc ' HpoKXfioc, wie es ApoUonios
Rh. I 531 in einem versus spondiacus nennt (vergl. auch Boeckh z. d. St.).
DIE MALERISCHEN MITTEL DES VERGILISCHEN HEXAMETERS. 413
VI 456 f. mfdix Dido, verus mihi mmtius ergo
venerat exstinctam ferroque extrema secutam
8 68 f. 0 gnate, ingentem luctmn ne quaere iuorum:
ostendent terris hunc tantwm fata
XI 51 f. (nos iuvenem exanirmim et nü iam caelestibus idlis)
dehentem vano maesti comitamur honore.
infelix, nati fu/nus crudele videbis. —
Oft dienen die Spondeen auch dazu, mühsame Arbeit zu versinnbild-
lichen. Bei einem Vers dieser Art, dem berühmten Gegenstück zu qiia-
drupedante etc., ist der Anschluß an die Theorie besonders deutlich:
a. Vm 452 Uli inter sese midta vi bracchia toUitnt
in numerum;
denn in dem für das rhythmische Traben der Rosse und Flattern der
Vögel zitierten Hephaestionscholion wird bemerkt, daß der Rhythmus
ebenfalls deutlich sei, öiav touc x«^Keac ibuj|Liev Tctc acpupac Kaxa-
cpepovxac {m numerum bei Vergil ist evplJ9^uuc). Diese Theorie muß
recht alt sein, denn schon Kallimachos kennt sie, wenn er seine Schilde-
rung der Kyklopenarbeit mit einem v. spondiacus schließt: im ^ifa
)Liox6r|Cleiav (h. 3, 61): vergl. darüber imten Seite 432. Femer:
g. I 281 ter sunt conati imponere Pelio Ossam,
wo außer den Spondeen auch die Hiate malen: auch dies nach der Theorie,
denn Dionys. Hai. I.e. bemerkt zu den Worten Xäav ävuu ujöeffKC, der
Hiat charakterisiere ttjv fiötic dvujGoufievnv Trexpav. Dem Sisyphos-
motiv begegnen wir wieder
a. VI 616 saxum ingens volvont alii
(vergl. daselbst den Kommentar). — Besonders oft ist es die Mühe und
Schwierigkeit von Schiffsmanövern, die er durch spondeischen
Rhythmus malerisch hervorhebt^), so
a. VI 3 f. ohvertwnt pelago proras, tum dente tenaci
ancora fundahat naves^)
in 549 cornua velatarum ohvertimus antemnarum
562 contorsit laevas proram Palinurus ad u/ndas
IV 39 7 f. tum vero Teucri incumbunt et litore celsas
dedu,cmit toto naves
583 adnixi torquent spumas
V 120 impellunt ("sc. naveni), terno consurgunt ordine remi
829 attolli maios, intendi bracchia vdis
X 195 ingentem remis Gentaurum promovet.
Wir werden dies auf Ennius zurückführen dürfen: denn Cicero, bei dem,
wie bemerkt, diese malerischen Mittel sonst nicht sehr hervortreten,
1) Vergl. Aristides Quint. de mus. 11 4 (p. 41, 22 Jahn): vauxiXiac xe xal
eipeaiac koI to x^XeiriuTaxa tOuv xcipuJvaKTiKUJV IpYuuv. — Eine lehrreiche
Analogie weist mir F. Vogt nach: im Nibelungenlied Str. 368 Lachm. wird die
Mühe des Flottmachens durch Fehlen der Senkungen, dagegen die Leichtigkeit
des Stromabfahrens durch Ausfüllung aller Senkungen charakterisiert.
2) Die Spondeen in ancora fundabat naves sollen speziell das ardaijuGv
malen: vergl. Pindar 0. 6, 100 f. äyaQai bä ir^Xovr' ^v xeiM^pW vuktI eoäc ^k vaöc
<iiTeaKi)Liqpeai 6\i ' äfKvpai uw_ w^ _wu_ _ww_ uw _w _,
wo das Moment des Befestigens durch doppelte Synkope des Ditrochaeus zum
Ausdruck gebracht ist.
414 ANHANG VII.
dichtet, ohne daß der entsprechende Vers des Arat (346) das irgendwie
bedingte,
Arat. 132 obvertunt navem magno cum pondere nautae,
was auch in den Worten stark erinnert an den ersten der hierfür soeben
zitierten Vergilverse: solche Übereinstimmung weist aber, wie wir wissen
(s. Anhang I), auf Ennius. Nach dessen Muster hat Vergil wahrscheinlich
eine viel größere Anzahl sowohl accelerierender als gravitätisch-schwer-
fälliger Verse gedichtet, als wir nachzuweisen vermögen. — ^)
Für die Absichtlichkeit solcher Rhythmisierung besonders lehrreich sind
1) die Fälle, wo der Dichter durch ein besonderes Wort die Wahl
dieses Rhythmus gewissermaßen motiviert^), z. B.
a. IX 30 f. ceu Septem surgens sedatis amnihus altus
per taciium Ganges
XII 18 Olli sedato respondit cor de Latinus^)
g. I 201 f. non aliter quam qui adver so vix flumme lembum
remigiis subigit
a. rv 309 f. quin etiam hiberno moliris sidere classem
et mediis properas aquilonihus ire per altum;
2) diejenigen, wo der Rhythmus eines sachlich benutzten Homer-
verses geändert ist, vergl. z. B.
a. VI 652 stant terra defixae hastae
IX 229 stant longis adnixi hastis
mit r 135 dffTTiffi KeKXifievoi, Trapd b'^YX^^t jLiaKpd Tr^miTev
(Vergil will das crTd(Ji|UOV malen);
3) diejenigen, wo der Rhythmus sich über mehrere Verse fortsetzt,
so von den Ameisen
a. IV 404 ff. it nigrum campis agmen praedamque per herbas
convectant cälle angusto, pars grandia trudunt
obnixae frumenta umeris, pars agmina cogunt;
4) diejenigen, wo der Rhythmus mit dem Gedanken wechselt: so
1) Z. B: a. X 1 panditur interea domus omnipotentis Olympi,
ein von Quintilian TX 4, 49 wegen des Rhythmus gerühmter Vers mit dem
ennianischen omnipotens (s. den Kommentar zu 592) und dem ebenfalls enni-
anischen Versschluß Olympi (ann. 198, vergl. 1), für Vergil ungewöhnlich auch
wegen der fehlenden Nebencaesur;
a. V 372 victorem Buten immani corpore qui se
mit der im Anhang XI besprochenen archaischen Härte am Schluß;
a. V 422 et magnos membrorum artus, magna ossa lacertosque
mit dem die übermäßige Größe des Faustkämpfers malenden v. hypermeter,
einem echt ennianischen iraitviov: s. den Kommentar z. 602.
2) Vergl. Aeschylos Ag. 183 K. von den die Flotte in Aulis aufhaltenden
TTVoai: 7ra\i|Li|LiriKri xpövov Ti06iaai, wo die doppelte Synkope der kurzen Silbe
des Jambus («-»__ _w_u__) die Länge der Zeit malt (v. Wilamowitz, Comm.
metr. H Göttingen 1895 p. 4, vergl. p. 16). Lucrez 1. c. (S. 411) aeternumque,
Lydia 18 tardahunt rivi latentes currere lymphae, Horaz s. I 1, 28 ille gravi
terram duro qui vertit aratro (vergl. Verg. g. I 118 f hominumque houmque la-
bores \ versando terram experti), a. p. 259 Enni \ in seaenam misstis cum magno
pondere versus, wo die Worte cum magno pondere, die auch Cicero in dem
oben angeführten Vers der Aratea braucht, wohl eben ennianisch sind.
3) Dieser Vers mit ganz ennianischem Kolorit, s. o. S. 411 und ann. 122
olli respondit (suavis sonus Egerini).
DIE MALERISCHEN MITTEL DES VERGILISCHEN HEXAMETERS. 415
außer in den bei l) zitierten Versen a. IV 309 f. und den im Kommentar
notierten VI 3 ff. 199. 309 ff. z. B. noch
a. VII 163 f. exercenim- equis domitantque m pulvere Gwrrus, —
aut acris tendunt arcus.
V 255 ff. sublimem pedibus rapuit lovis armiger u/nds. —
longaevi palmas nequiquam ad sidera tendu/nt
custodes
I 116 ff. ast aliam (sc. navem) ter fluctus ibidem
torquet agens circum et rapidus vorat aequore vortex. —
apparent rari nantes in gurgite vasto
IX 664 ff. ü clamor iotis per propugnacula muris,
intendunt acris arcus ammentaque torquent. —
sternitur om/ne solum felis, tum scuta cavaeque
dant sonitum flictu galeae, pugna aspera surgit,
vergL IV 132ff. IX 564f. XI 453f.;
5) diejenigen, wo eine gewählte Wortstellung das Mittel zum Zweck
ist, so
g. DI 276 f. saxa per et scopulos . . .
diifugiuM ("sc. equae)
a. V 663 f. furit immissis Volcanus habenis
transtra per et remos et pictas abiete puppes^
die beiden einzigen Beispiele für Inversion einer einsilbigen Präposition
bei mehreren durch et verbundenen Substantiven; es ist klar, daß bei
normaler Stellung (per saxa et scopulos und per transtra et remos) das
Ethos zerstört worden wäre.^)
6) Die versus spondiaci, die wegen der besonderen Art ihrer
metrischen Bildung erst im Anhang IX 3 behandelt werden sollen.
2. Die Caesuren.
Als zweites rhythmisches Mittel, durch das der Dichter den Ge-
danken malerisch versinnbildliche, nennt Hermogenes 1. c. die Wahl der
Caesur. Obwohl hier vieles Gefühlssache, also nicht streng beweisbar
ist, so wird sich doch einiges feststellen lassen.^)
1) Viel zurückhaltender als Vergil sind mit Ornamenten dieser Art Horaz
und Ovid gewesen. Vergl. für Horaz außer den S. 407. 3. 417, 5. 420, 6.
423, 6 zitierten Beispielen etwa noch carm. I 9, 3. H 3, 11 f.;
epod. 2, 35 pavidumque leporem et advenam laqueo gruem:
dies ist der einzige unter den 297 Trimetem der Epoden, in dem der erste
Jambus durch einen Anapäst vertreten ist (2, 65 positosqiie vernas wurde fast
wie postosque gehört); fast singulär sind in ihm auch die beiden Auflösungen
hintereinander (nur noch 17, 12 cdnibus hömicidam) und der Anapäst im fünften
Fuß (nur noch 5, 79 inferiüs mare). Femer
ib. 2, 65 pastas oves
videre pröperantes dotnum,
in 228 Dimetem die einzige Auflösung neben 15, 24 ast ego. — Für Ovid vergl.
Lüdke, Rhythmische Malerei in Ovids Met., Progr. Stralsund 1878. 1879.
2) Bei den folgenden Untersuchungen werden die grundlegenden Arbeiten
Birts (Ad historiam hexametri lat. symbola, Bonn 1876) und W. Meyers (Zur
Gesch. des griech. u. lat. Hexameters, Sitzungsber. d. Münch. Ak 1884, 979 ff.
und ebd. 1889 II 228 ff.) als bekannt vorausgesetzt. Letzterem folge ich auch
416 ANHANG VII.
a) Fehlende Nebencaesur bei Penthemimeres.
Während die archaische Poesie, hier wie oft mit der griechischen
Technik übereinstimmend, Verse wie
cwm superum lumen || nox intempesta teneret (Enn. a. 106)
unbedenklich zuließ, wurde man später hiergegen so empfindlich, daß
z. B. Cicero in den 709 Versen der Aratea keinen solchen Vers diddete.
Dieser übertriebenen Strenge ist Vergil, indem er auch hier die glück-
liche Mitte zwischen archaischer Kunstlosigkeit und modemer Künstelei
einhielt, aus dem Wege gegangen. Zwar ist der reguläre Typus auch
bei ihm der, daß die Penthemimeres entweder mit der Hephthemimeres
oder mit der bucolischen Diaerese verbunden wird, also z. B.:
aen. VI 3 obvertwnt pelago || proras \ tum dente tenaci
5 praetexunt puppes || iuvenum \ manus emicat ardens
23 contra elata mari || respondet \ Gnosia tellus
8 tecta rapit Silvas \\ inventaque | flumma monstrat.
Aber er hat doch in den Bucolica 7, in den Georgica 16, in der
Aeneis 118 Verse (d.h. je einmal in jedem 117**"^, 137**'', 84**'' Verse),
in denen die Nebencaesur durch ein langes, den vierten und halben
fünften Fuß ausfüllendes Wort gewissermaßen absorbiert ist^); so in
Buch VI folgende:
aen. VI 21 hie Idbor ille domus || et mextricabüis error
135 Tartara et insano || iuvat indulgere lahori
170 addiderat sodum \\ non inferior a secutus
439 alligat et noviens \\ Styx interfusa coercet
452 ut primum iuxta \\ stetit adgnovitque per v/mhras
489 at Danaum proceres || Ägamemnoniaeque phalanges
511 sed me fata mea et || scdus exitiäle Lacaenae
617 districti pendent, || sedet aeternwmque sedebit
821 ad poenam pulchra \\ pro libertate vocdbit
838 eruet ille Argos || Agamemnoniasque Mycenas
839 ipsumque Aeaciden, || genus armipotentis Achilli
874 fwnera, cum twmulum || praeterlabere recentem^)
in der (von Lachmann zu Lucr. VI 1067 aufgestellten) Annahme, daß die Caesur
durch Synaloephe nicht aufgehoben, sondern nur verdunkelt werde; immerhin
werde ich, da Fälle dieser Art gewissermaßen in der Mitte zwischen Caesur
und Caesurloßigkeit stehen (vergl. auch v. Wilamowitz zu Eurip. Her. 754 und
speziell für Vergil: P. Sandford, The quasi-caesura in Vergil, Hermathena XXVI
1900, 110 ff.), solche Verse in den Anmerkungen gelegentlich berücksichtigen.
Für meine Sammlungen habe ich Vollständigkeit erstrebt, was nicht ausschließt,
daß ein oder das andere Beispiel übersehen sein könnte.
1) Mit Synaloephe in den Bucolica 1 (5, 27), in den Georgica 30, in der
Aeneis 79 (d. h. je einmal in jedem 820**", 27*«", 125**" Vers).
2) Mit Synaloephe:
29 Daedalus ipse dolos || tecti amhagesque resolvit
307 magnanimum heroum, || pueri innuptaeque puellae
330 tum demum admissi \\ stagna exoptata revisunt
425 evaditque celer \\ ripam inremeabilis undae
595 nee non et Tityon, || Terrae omniparentis alumnum
663 inventas aut qui || vitam excoluere per artes
687 venisti tandem \\ ttiaque exspectata parenti
717 iampridem hanc prolem \\ cupio enumerare meorum.
DIE MALERISCHEN MITTEL DES VERGILISCHEN HEXAMETERS. 417
Diese Beispiele sondern sich in folgende 4 Gruppen^): l) Verse mit
griechischen Eigennamen, also nach griechischer Technik gebaut 489.
838^), 2) ein Vers mit ennianischem Wort (vergl. den Kommentar), also
nach archaischer Technik gebaut 839^), 3) Verse dieser Art ohne er-
sichtlichen Grund (möglicherweise z. T. zu Gruppe 2 gehörig): 170. 452,
4) Verse mit malerischer Absicht: 27 Irrgänge des Labyrinths (vergl.
den Komm, und Seite 423. 431)*); 439. 874 das Strömen der Flüsse^);
617 die Ewigkeit^); 135 (vergl. a. 11 776 und unten bei d). 511 (vergl.
XII 656). 821 (vergl. unten bei d)'^) Worte von besonderem Gewicht
und Ethos.«)
b) Penthemimeres mit weiblicher Nebencaesur im 4. Fuß.
Während Hexameter dieser Art im Griechischen, wie seit G. Hermann
feststeht, zu den größten Seltenheiten gehören, haben die Lateiner nach
Birts und W. Meyers Nachweis diese Zurückhaltung nicht in gleichem
Maße geübt. Freilich hat es an Versuchen, auch diese Finesse in den
lateinischen Hexameter einzuführen, nicht gefehlt: so wenn Cicero in den
Aratea diese Nebencaesur nur zweimal, Catull im Epyllion gar nicht,
Davon gehören zu Gruppe 2 (ennianische Worte): 307. 595, zu Gruppe 3 (kein
ersichtlicher Grund, aber möglicherweise zu Gruppe 2): 663. 717, zu Gruppe 4
(malerische Absicht): 29 (Irrgänge des Labyrinths, vergl. den Kommentar und
unter b zu Vers 99). 425 (ähnlich: siehe unten bei d 4). 330 und 687 (großes
Ethos).
1) Daß eine Reihe von Versen die legitime Nebencaesur erhalten würde,
wenn man die Präpositionen von den Verben absondern wollte, liegt auf der
Hand (z. B. ad\gnovitque , ex\itiale)^ aber es ist bedenklich, mit Sandford 1. c.
von diesem Mittel Gebrauch zu machen, denn 1) wohin soll das führen, wenn wir
z. B. bei indulgere inferiora und ingens das Präfix als selbständig abtrennen
wollten? und 2) hat Vergil eben doch keine inmodulata poemata gemacht. Da-
gegen ist bei Verben mit zweisilbigen Präpositionen wie interfusa, praeterlabere
mit der Möglichkeit einer selbständigen Geltung der Präposition zu rechnen.
2) So noch g. IV 341. a. II 197. 365. 457. III 328. 466. 489. IV 479. VII 105.
Vni 18. X 123. XI 404 (in dieser und den folg. Anmerkungen sind die Fälle
ohne und mit Synaloephe nicht geschieden).
3) Mit bezeugten oder ganz sicher erschließbaren Worten des Ennius-
Lucrez noch g. I 27. a. I 53. 80. 255. U 188. 425. HI 409. 528. 708. V 772.
VII 172. 199. X 1. 5. 184. XH 791. 846.
4) Kallimachos hat sein Gesetz, bei der Hephthemimeres nicht auch Caeaur
nach der fünften Arsis eintreten zu lassen (G. Heep, Quaest. Callim. metr.
Bonn 1884, 10) einmal vernachlässigt:
h. 4, 311 TTaaiqpdric Kai yvoiutttöv ?6oc | okcXioO || XaßupivGou,
wo auch das anapästische Wort vor schließendem viersilbigen für seine Praxis
ganz ungewöhnlich ist (C. Prahl, Quaest. metr. de Callim., HaUe 1879, 18).
Eine gesuchte Abnormität, nur mit anderen Mitteln, haben auch Catull und
Vergil in ihre das Labyrinth beschreibenden Verse hineingetragen.
5) Vergl. b. 10, 4 supterlabere a. IH 478 praeterlabere. Besonders schön
mit gleichem Effekt in anderem Metrum Horaz od. I 31, 7f rura quae Liris
quieta \ mordet aqua tacititrnus amnis.
6) Vergl. a. VIII 715. IX 95 immortale und in der Hephthemimeres (s.
unter b) XI 97 aeternum; für das Ethos des letzteren s. o. S. 411. 414, 2.
7) Vergl. a. XII 820 pro Lotio obtestor, pro maiestate tuorum.
8) Vergl. etwa noch b. 3, 57. 5, 27. g. I 359 (= a. VIII 14). II 61. 345.
m 45. 68. 105. 285. IV 287. 445. a. I 339. 428. II 4. 93. 138. 427. 602. HI 420.
613 (= 691. V 3. VII 401). 707. IV 40. 536. 692. V 137. 229. 781. VII 298.
651 u. 8. f
Väkqil Buch VT, von Norden. 27
418 ANHANG Vn.
Tibull I nur einmal haben. Dagegen hat Vergil, gemäß seiner schönen
Vermittlung zwischen archaischer Freiheit und modemer Strenge, diese
Nebencaesur zwar nicht mehr so oft wie Ennius und Lucrez, aber doch
auch nicht so selten wie Catull und Tibull: sehr zum Vorteil der rhyth-
mischen Wirkung des Verses, der in seiner zweiten Hälfte durch gewisse
strenge, auch von Vergil selbst übernommene Regeln schon zu sehr
gebunden war, als daß er diese weitere Beschränkung ohne Schaden für
seine Mannigfaltigkeit ertragen hätte. So verwendet denn Vergil^) diese
Nebencaesur in den Bucolica 29, den Georgica 32, der Aeneis 3 23 mal,
d. h. in jedem 28*^"^, 32**''^, 31*®'^ Verse. "Wahrscheinlich gehen eine große
Anzahl der Beispiele besonders der Aeneis auf Ennius zurück, dem Vergil
ja gern grade Schlüsse von Versen entnommen hat. Gelegentlich wird aber
auch durch den trochäischen Einschnitt eine malerische Wirkung erzielt.
So dürfte in folgenden Versen des VI. Buchs die Absicht zu erkennen
sein, dem Vers durch den trochäischen Einschnitt accelerierenden
Rhythmus zu geben:
aen. VI 202 tollimt se celeres^) || liquidumque \ per aera lapsae (sc. aves)
296 turbidus hie caeno || vastaque \ voragine gurges (sc. aestuat)
5 50 f. rapidus flammis amhit torrentibiis amnis
Tartareus Phlegethon || torquetque \ sonantia saxa
180 procumhwnt piceae || sonat ida \ securibus ilex.^)
Unter Umständen gibt aber die weibliche Caesur dem Verse auch
einen weichlichen Rhythmus, den sichtlich Tibull bezweckte*), wenn er
unter 405 Hexametern des I. Buches nur einem diese Caesur gab:
Tibull I 9, 83 haec tibi fallaci || resolutus \ amore TibuUus,
wo der weichliche Rhythmus des Verses dvei|Lievoc, resolutus ist, wie
es der Dichter selbst zu sein vorgibt. Wir dürfen daher wohl die
gleiche Absicht bei Vergil voraussetzen, wenn er von der Liebe des
Sychaeus zu Dido
aen. VI 474 respondet curis \ aequatque \ Sychaeus amorem
und von derjenigen der Dido zu Aeneas
I 749 vnfelix Dido \\ longumque | hibebat amorem
sagt, zumal in diesen beiden Versen sich wie in dem tibullischen mit
dem weiblichen Einschnitt nach dem vierten Trochaeus ein solcher nach
dem fünften verbindet.^) Das gleiche Mittel verwendet er zweimal, um
die Weichheit des Schlafes®) zu malen:
1) Bei den folgenden Zahlen sind mitgerechnet diejenigen Fälle (138 in
den Gedichten), wo vor der Caesur qm steht (z. B. VI 296 twbidiis hie caeno ||
vastaque \ voragine gurges), also die Möglichkeit einer Teilung vor que (vasta\que)
mit männlicher Nebencaesur vorliegt (vergl. W. Meyer 1. c. 1045 f. ; falsch gegen
Meyer: L. Müller de re metr.* 464 f.).
2) Vergl. a. II 380 pressit humi nitens, || trepidusque \ repente refugit
465 elapsa \ repente ruinam Yil 27 omnisque \ repente resedit (sc. flatus)
X 522 ille astu subit ac \\ tremibunda | supervolat hasta.
3) Vergl. g. rv 50 saxa sonant vodsque || offensa | resultat imago.
4) So auch C. Cavallin, De caesuris quarti et quinti trochaeorum hexametri
apud latinos poetas coniunctis (Lund 1896) 44; s. ibid. 57 über das acce-
lerierende Moment.
5) Vergl. b. 6, 46 Pasiphaen nivei || solatur | amore \ iuvenci. 10, 10 indigno ||
cum Gdllus I amore \ peribat.
6) Vergl. Ennius a. 369 mollissimus somnus, Catull 68, 5 molli somno 64, 331
DIE MALERISCHEN MITTEL DES VERGILISCHEN HEXAMETERS. 419
VI 2 84 f. quam sedem somnia volgo
vana tenere ferunt \\ foliisque \ suh omnibus haerent
522 f. pressitque iacentem
dulcis et alta quies || placidaeque \ simillima mortis
wo sich mit den Einschnitten nach dem vierten Trochaeus solche nach
dem ersten und zweiten verbinden, die dem Rhythmus einen weichlichen
Charakter verleihen,*)
c) Hephthemimeres mit und ohne Nebencaesuren.
Die männliche Caesur nach der vierten Hebung (Hephthemimeres)
ist in der klassischen Zeit verbunden mit Caesur nach der zweiten und
Diaerese vor der dritten Hebung, z. B.
aen. VI 149 praeter ea \ iacet \ exanimum || tibi corpiis amid
197 diva parens \ sie \ effatus || vestigia pressit,
während nach archaischer (wie altgriechischer) Praxis eine oder die andere
der Stützen fehlen kann, z. B.
Eim. a. 347 aspecldbat \ virtutem \\ legionis siiai
233 parerent | observarent \\ portisculus Signum.
Während in der neoterischen Poesie die Hephthemimeres fast ganz zurück-
tritt — nach Birts und Meyers Nachweis deshalb, weil die hellenistischen
Dichter sie geächtet hatten (Catull hat in 797 Hex. nur zwei Beispiele
64, 18. 193, beide regulär) — hat Vergil, indem er auch hier sich von
dem Zwang der Manier befreite, diese Caesur wieder als legitim an-
gesehen und, von den Bucolica angefangen, in steigendem Maße verwendet.
Mit den regrdären Nebencaesuren braucht er sie^) in den Bucolica 3 mal
(d. h. in jedem 273**'' Verse), in den Georgica lömal (in jedem 146*«'')^),
in den Aeneis 96mal (ia jedem 103*^)*). Ein großes Kontingent
languidulos somnos, Vergil selbst g. IE 435 molles somnos II 470 moTlesque suh
arbore somni (dazu ein Schol. des Servius: fiaXaKoi bi ütiö 6^v6peaiv öirvoi, aus
welchem Dichter? vergl. Theokr. 5, 51 öirviu luaXaKiÜTepoc).
1) Vergl. noch b. 1, 55 saepe levi somnum \\ suadebit \ inire \ susurro. g. I 78
uru/nt Lethaeo \\ perfusa | papavera somno und unten bei d. Auch aen. I 691 ff.,
eine der zartesten Stellen des Gedichts, gehört hierher: Venus träufelt dem
Ascanius süßen Schlummer ein, nachdem sie ihn entrückt hat in altos Idaliae
lucos II ubi m Ollis \ amaracus illutn (. . . dulci complectitur umbraj. Der letzte
Vers von Buch V: nudus in ignota \\ Palinure \ iacebis harena beschließt wohl
absichtlich die Gpriviuöia mit weichlichem Rhythmus.
2) Nicht mitgezählt sind die vielen Verse mit Synaloephe zwischen zweitem
und drittem Fuß, da in ihnen Penthemimeres beabsichtigt sein wird, z. B. VI 20
in foribus letum Androgeo 213 flebant et cineri ingrato.
3) Bemerkenswert g. IV 55 summa leves \ hinc \ nescio qua || dulcedine laetae,
der einzige Fall, wo der Caesur kein einheitliches Wort der Form oder
_ w u _ vorangeht, aber nescio qvM bildet durch Enklisis fast eine Einheit.
4) Hierbei sind mitgezählt die zwei singulären Verse mit Synaloephe im 4. Fuß :
XI 758 portat ovans \ ducis \ exemplum \\ eventum^ue secuti
XH 144 magnanimi \ lovis \ ingratum |i ascendere cubiU,
über die Lachmann zu Lucr. 1. c. (S. 415, 2) gehandelt hat. Wahrscheinlich
erklärt sich das Ungewöhnliche durch Benutzung ennianischer Floskeln: in
letzterem Vers weist auf Ennius außer magnanimus (s. den Komm, zu 307) der
Zusammenhang (Ehen latinischer Nymphen mit Jupiter), ersterer gehört einer
Kampfschüderung an und bei einer solchen ist ennianische |Lii|ar|öic bei Vergil
von vornherein wahrscheinlich.
27*
420 ANHANG VH.
stellen dabei außer Reminiszenzen aus archaischer Poesie^) die Verse mit
Eigennamen; so enthalten von den 11 Versen des VI Buches mit dieser
Caesur^) vier vor der Caesur Eigennamen (176. 261. 447. 703)^) z. B.
aen. VI 176 praecipue \ pius \ Aeneas, \\ tum iussa Sibyllae
447 Euadnenque \ et \ Pasiphaen, || Ms Laodamia.
An einigen Stellen*) ist malerische Tendenz unverkennbar, so
99 horrendas | canit \ ambages || antroque remugit,
wo die dunkle Orakelsprache der rasenden Sibylle malerisch zum Aus-
druck gebracht ist^),
327 nee ripas \ datur | horrendas^) || et rauca fluenta
der Schauer der Gegend.'')
Hephthemimeres ohne die erste oder die zweite Stütze findet sich
nur 9 mal, und zwar
a) ohne die erste:
a. VI 480 Parfhenopaeus et | Adrasti || pallentis imago
X 256 tantum effatus et \ interea || revoluta ruhehat
900 hostis amare quid \ increpitas \\ mortemque minare,
wo der erste Vers, den griechischen Namen entsprechend, griechische
Technik, der zweite, der wahrscheinlich ennianischen Floskel tantum,
effatus (s. Komm, zu 547) entsprechend, archaische Technik zeigt, ebenso
der dritte mit dem aus archaischer Poesie (vergl. Varro 1. 1. VI 67) be-
legten Frequentativum increpitarc]
b) ohne die zweite:
g. I 350 dent motms \ mcompositos \\ et carmina dicant
m 226 muUa gemens \ ignominiam \\ plagasque superbi
a. VIII 490 armati \ circumsisfimt || ipsumque domumque
IX 416 diver si \ circumspiciunt \\ hoc atrior idem
VIII 521 Aeneas | Anchisiades \\ et fidus Achates
XII 822 ora modis | Anchisiades \\ pallentia miris,
1) Bezeugt sind als archaisch die von Vergil vor dieser Caesur gebrauchten
zusammengesetzten Worte: omnipotens, horrificus, unanimus, velivolils; femer
legatos (a. VIII 143 o^ Ennius a. 603), virgineae, virginibus (a. IX 120. g. II 487
<~ Lucr. I 87), illorum (b. 7, 17 -^ Lucr. I 766); archaisches Kolorit haben in-
ferias (a. X 519) und mille viros qid supremum comitentur honorem (a. XI 61),
wohl auch laeta dedi, nunc sollicitam timor anxius urget (a. IX 89; solli-
citare zweimal aus Ennius überliefert).
2) Bei Mitzählung der Synaloephe sind es 28.
3) Bei Mitzählung der Synaloephe noch 20. 40. 250. 529. 897.
4) Bei Mitzählung der Synaloephe auch 186 aspectans silvam immensam
et sie forte precatur, wo auch die ungewöhnliche Häufung der Synaloephen
nach einander malerisch wirkt, vergl. den Kommentar.
5) So auch, wenn man die Synaloephe mitzählt, in dem auf diesen folgen-
den Verse 100: obscuris vera involvens.
6) Vergl. a. E 222 clamores | simul \ horrendos || ad sidera tollit VIII 431
fulgores \ nunc \ terrificos || sonitumque metumque und mit Synaloephe XU 851
siquando \ letuni | hojTificum morbosque deum rex. Vergl. auch Horaz s. I 8, 25 f.
pallor utrasque Fecerat horrendas adspectu.
7) Deutliche Beispiele für malerische Tendenz noch g. III 43. IV 497.
a. II 400 (hier überall ingens\ g. II 310. a. I 115. V 662. Xir879; mit Syna-
loephen: a. II 202. VllI 193. IX 38 (hier überall ingens), g. I 119. 201. II 160.
441. a. I 525. II 481. 616. HI 632. IV 201. 397. V 434. 439. 443. 608. 636.
VIII 234. 447. IX 52. 734. XI 97. 291. XII 721.
DIE MALERISCHEN MITTEL DES VERGILISCHEN HEXAMETERS. 421
wo die zwei letzten Verse mit dem nach griechischer Art gebildeten
Patronymikon griechische Technik zeigen, der dritte und vierte bei Trennung
der zweisilbigen Präposition vom Verbum Penthemimeres erhalten (s. o.
S. 417, l), der zweite die ignominia mit besonderem Ethos hervortreten
läßt, und der erste mit incompositos die unrhythmischen Bewegungen der
Bauern in der Weise des horazischen immodulata poemata hübsch malt;
c) ohne beide Stützen nur scheinbar:
b. 8, 34 Mrsutumque supercüium \\ promissaque barha
a. II 263 Pelidesque Neoptolemus || primusque Maehaon
549 degener cmque Neoptolemum || narrare memento:
in allen drei Fällen ist vor que ein Einschnitt anzunehmen (s. o. S. 418, l),
d) Weibliche Haupteaesur ohne männliche Nebencaesuren.
Der Typus des klassischen Hexameters mit weiblicher Haupteaesur ist
aen. VI 48 f. non comptae \ mansere || comae \ sed pectus anhelum
et rabie \ fera corda \\ tiiment | maiorque videri^),
im Gegensatz zu der archaischen Praxis, die, wiederum entsprechend
der griechischen, die beiden Nebencaesuren nicht für obligatorisch er-
achtet, wie
Eim. a. 193 incedwnt \ arhusta || per alta, securibus caedunt
379 labitur v/nda carina || volat \ super Impetus u/ndas
476 labitur u/ncta carina || per aequora cana celocis.
Die strenge Form hat bei Vergil einige Ausnahmen; nicht als solche
sind aufzufassen die 105 Verse, wo -que in der Mitte des Verses steht
und nicht weibliche, sondern männliche Haupteaesur anzusetzen ist, wie
aen. VI 10 praesidet horrenda^gue procul \ secreta Sibyllae
235 didtur aeternu/mhue tenet \ per saecvda nomen
683 fataque fortuna^que virum \ moresque manusque
483 ingemuit Glaucunilque Medontaque TJiersüochumque.^)
Verse nach der strengen Form hat Vergil 915^); die Ausnahmen, d.h.
1) Nach W. Meyer 1. c. 228 ff. ist es nicht beliebt, der männlichen Neben-
caesur im zweiten Fuß ein daktylisches oder spondeisches Wort vorausgehen
za lassen (so wenig wie der männlichen Haupteaesur im dritten Fuß, wie et
cum frigida mors \\ oder vel manifestas res || ); immerhin hat Vergil von dieser
Regel zahlreiche Ausnahmen, so in Buch VI:
107 didtur et \ tenebrosa \\ pdlus \
136 acdpe quae | peragenda || prius \
298 portitor hos | horrendus || aquas |
365 eripe me his | invicte \\ malis \
458 funeris heu | tibi causa || fui |
587 quMttuor hie \ invedus \\ equis \ .
Ferner: a) Daktylus b. 1, 70. 73. g. I 167. 173. II 515. HI 4. 194. 456. IV 226.
309. a. m 318. 537. IV 502. 515. V 388. VII 635. 641. 734. VIH 245. X 529.
XI 81. 549. 640. 791. XE 728, b) Spondeus b. 1, 30. 3, 64. 10, 21. g. 1118. 437.
477. a. V 781. X 557. 879. XI 686.
2) Letzterer Vers ohne die reguläre Nebencaesur bei Penthemimeres, ganz
nach griechischer Technik, vergl. V 826. VHI 725. IX 574. 767. X 749. XII 363.
3) Diese Zahl — nach Abrechnung der von mir anders beurteilten 105 Fälle
mit qu£ — entnehme ich von J. La Roche, Der Hexameter bei Vergil, Wien.
St. XXin (1901) 124. Im übrigen weichen die Gesichtspunkte der genannten
Abhandlung von den meinigen ab.
422 ANHANG Vn.
die Verse mit nur einer der beiden Nebencaesuren oder keiner, lassen
sich in folgende Gruppen einteilen:
1) Verse mit griechischen Worten, also nach griechischer Technik
gebaut (19)
b. 2, 6 0 crudelis Älexi || nihil | mea carmina curas
2, 24 ÄmpMon \ Dircaeus || in Äctaeo Äracynfho
4, 16 permixtos \ heroas || et ipse videhitur Ulis
4, 34 alter erit \ tum Tiphys || et altera quae veJiat Ärgo
4, 57 Orphei Calliopea, || Lino | formosus Apollo
5, 52 Daphnin ad astra \\ feremus, amavit nos qmque Baphnis
9, 60 incipit apparere || Bianoris; hie ubi densas
10, 12 Ulla moram \ fecere \\ neque Äoniae Äganippe^)
g. I 437 Glauco et \ Fanopeae \\ et Inoo Melicertae
IV 339 Cydippe\que et flava \\ Lycorias altera virgo
343 atque Ephyre \ atque Opis || et Asia Deiopeia
463 atque Getae \ atque Hebrus \\ et Actias Orithyia
a. I 500 hkic atque hinc \ glomerantur || oreades, illa pharetram
II 264 et Menelaus et ipse \\ doli \ fabricator Epeos
in 644 infandi | Cyclopes || et altis montibus errant
VII 711 Ereti \ manus omnis || oliviferaeque Mutuscae^)
724 curru iimgit Halaesus || equos | Turnoque ferocis
X 413 hie mactat \ Ladona || Pheretaque Bemodocumque ;
dazu
b. 2, 53 addam cerea pru/na: \\ honos erit huic qusque pomo
mit Hiatus nach griechischer Art (z. B. A 565 dW deKOuaa Kd0r](yo,
d|iiiu i) ^TTiTreiÖeo |au9iu),
2) Verse mit Floskeln aus archaischer Poesie, also nach archaischer
Technik. Bezeugt
a. IV 316 per oonubia nostra, || per inceptos hymenaeos
nach
Catull 63, 141 sed conubia laeta, || sed optatos hymenaeos.
Wahrscheinlich Verse mit ennianischen Eeminiszenzen :
a. I 290 accipies (sc. hu/nc caelo) \ secmra, || vocabitur Mc quoque votis^)
X 851 antiqui \ Laurentis || opacaque ilice tectum^)
1) b. 5, 15 hat cod. P experiar \ tu deinde \\ iuheto certet Amyntas fälschlich
statt iuheto ut (cod. R), vergl. Lachmann zu Prep. III 6 (11 15), 43 (p. 156); die
Synaloephe in der Nebencaesur noch fünfmal {neque nicht miteingerechnet):
g. IV 129 nee Cereri \ opportuna || seges | nee commoda Baccho a. XII 367 qvM
venti I incubu£re \\ fugam | dant nubila caelo, g. n 123 extremi | sinus orbis || ubi \
aera vincere summum 244 ad plenum | calcentur || aqua | eluctabitwr omnis a. V 785
non media \ de gente \\ Phrygum | exedisse nefandis.
2) Diese Flecken der Sabina galten der Legende als Siedlungen der
griechischen Aboriginer (von Trebula Mutusca sagt es ausdrücklich Varro bei
ßionys. Hai. I 14, 2), werden mithin wie griechische Namen behandelt (vergl.
Anhang IX 1 über turrigerae Antemnae). Der griechischen Verstechnik entspricht
die Wortbildung oUvifer (^Xaioqpöpoc).
3) Ennianischer Gedanke (a. 66 f.); auch der Schluß des Verses entspricht
nicht der Regel (s. Anhang IX).
4) opacus archaisches Wort; opaca ilice == VI 208 f., vergl. den Kommentar
daselbst.
DIE MALERISCHEN MITTEL DES VERGILISCHEN HEXAMETERS. 423
m 697 iussi numina magna || loci \ veneramur et inde^)
XI 236 oUi convenere \\ fluuntque \ ad regia plenis
IV 417 imdique convenere, \\ vocat | iam carhasus auras^
V 140 haud mora prosiluere || suis, | ferit aetJiera damor^)
rV 582 litora deseruere || lotet \ sub classibus aequor.^^
3) Verse, die oline sichtlichen Grund unregelmäßig sind (z. T. wahr-
scheinlich zu 2 gehörig): b. 1, 70. 5,19 (~g. IV448). 6,80. g. 1386.
m 344. 538. a. n 483. ^) Vm 404. XI 568. 900.
4) Verse mit malerischer Tendenz®):
g. I 356 flf. freta ponii
vncipiunt \ a^itata \\ tumescere et aridus altis
montibus audiri fragor
514 fertur equis | auriga || nee audit currus habenas
(das ruhelose Aufwallen des Meeres und Stürmen der Rosse:
daher entbehren die Verse der zweiten Nebencaesur, die dem Rhythmus
einen Ruhepunkt bieten würde),
a. X 94 f. querfiUis
Jiaud iustis | adsurgis || et inrita iurgia iadas
(Schluß der maßlosen Rede der Juno; der Rhythmus malt die Erregung),
g. II 399 ff. ierque quaterque solum sdndendum glaebaque versis
aeternum \ frangenda || Udentibus, omne leva/ndum
fronde nemus
(nach Wagner in der ed. min, malt der Rhythmus von 399 die 'assi-
duitas', der von 400 die 'gravitas laboris', vergl. für letztere
o. S. 413, 1),
a. V 591 frangeret indeprensus || et inremeabilis error
(die langen Worte, durch die die Nebencaesuren absorbiert werden, malen
die Irrgänge des Labyrinths, s. o. S. 417, 4),
a. X 304 anceps sustentata \\ diu | fluctusque fatigat
(sc. puppis; durch den stark retardierten Rhythmus sollen die Be-
wegungen des auf einer Sandbank festsitzenden Schiffes gemalt werden).
In folgenden Versen ist die eine der beiden Caesuren durch ein langes
Wort von prägnantem Sinn absorbiert worden:
b. 1, 32 nee spes libertatis \\ erat l')
a. X 625 hactenus indulsisse \\ vacat |*)
1) numina magna loci, eine erlesene sakrale Phrase, für deren ennianischen
Ursprung auch andere Indizien sprechen: s. Anhang I 3.
2) La dem ersten dieser beiden Verse weist die Situation (Staatsrats-
versanunlimg) und olli auf Ennius, daher wird convenere auch in dem zweiten
ihm gehören {carhasus ist als ennianisch belegt).
3) haud mora wahrscheinlich ennianisch, s. den Kommentar zu 177; auch
die Gedanken dieser Partie sind durch E. beeinflußt.
4) litora am Versanfang Enn. a. 382, über a^quor s. o. S. 303.
5) Vergl. Servius zu 486 de Albano excidio (in Ennius' Annalen) translatus
est locus.
6) Vergl. Horaz ep. 12, 43 labitur (sc. amnis) et \ labetur \\ in omne volu-
hüis aevum, wozu Kießling bemerkt: „sowohl die weichen Konsonanten [s.
darüber den Kommentar zu 659] wie die trochäische Caesur soUen die Be-
wegung des Fließens malen".
7) libertas mit gleicher Wirkung bei anderer Caesur a. VI 821, s. o. S. 416.
8) indulgere mit gleicher Wirkung bei anderer Caesur a. VI 135, s. o. S. 416.
424 ANHANG VII.
ni 707 hmc Brepani \ me portus H et inlaefdbüis ora
XII 619 confusae \ sonus urbis \\ et mlaetahüe murmur
V 781 lunonis \ gravis ira || neque exsaturäbile pectus.
Endlich wird die Weichheit des Schlummers, die, wie wir gesehen
haben (o. S. 418, 6), auch bei anderer Caesur durch eine Besonderheit der
Versstruktur versinnbildlicht wurde, in dem weichen Vers
a. IV 486 spargens umida mella || soporiferumque papaver
schön zum Ausdruck gebracht, wonach man versucht ist, folgende zwei
Verse mit que in der Mitte ebenfalls mit weiblicher Caesur zu lesen:
a. V 855 f. vique soporatum (sc. ramum) Stygia super utraque quassat
tempora cwnctantique \ natantia lumina solvit
IV 80 f. lumenque obscura vidssim
Iwna premit \ suadentque || cadentia sidera somnos.
Dagegen haben griechische Dichter die gleiche Wirkung durch Spondeen
erreicht: vielleicht schon der recht alte Dichter von
B 23 eiibeic 'Atp^oc me baiqppovoc i7TTrobd)iioio
(denn wenigstens teilweise richtig wird die Bemerkung eines Scholiasten
zu den oben S. 409 angefühi-ten Worten des Hermogenes sein: Johannes
Siculus VI 492 Walz öpäc ttüüc ö atixoc |Lii)LieiTai rfiv eS uttvou i.-iepGiv
diTÖ JLiaKpuJV Kai oKTTrep iittvouvtujv dpxö|aevoc), sicher Kallimachos,
wenn er gegen seine sonstige Praxis (Kaibel, Comm. Mommsenianae 327)
den Spondeus im dritten Versfuß zugelassen hat in
Kallim. ep. 63 outuuc iiTTVOJCTaic, Kijüvouttiov, u)c ijik. Troieic
Koi|aäcr9ai ijJuxpaTc ToTffbe irapa TrpoGupoic. *
ouTUJC uTTvojcTaic, dbiKOJidTTi, ujc TÖv ^paffxfiv
Koi|iiiZ;eic kt\.
Wie alt in diesem FaU auch die Theorie ist, zeigt ihre affektierte Um-
setzung in Praxis schon durch Agathon, den Schüler der Sophisten, die,
wie bemerkt (o. S. 404 f), diese Dinge zuerst theoretisch behandelten: denn
Piaton Symp. 197 C läßt ihn von Eros dichten, er bewirke
vr|ve)aiav dvejuiüv, koitt] b' öttvov vriKtibfi.^)
e) Caesur im sechsten Fuß (schließendes Monosyllabon).
Die Verse dieser Art werden wegen ihrer Eigenart im Anhang IX 3
behandelt werden.
1) Zitiert von Amsel 1. c. (o. S. 410, 1) 65, 3.
vm.
Spondeische Worte im ersten Fuß.
Da spondeischer Versanfang mit darauffolgender Dihaerese ein für
den Ehythmus stark retardierendes Moment büdet, so ist er, wie schon
Ph. Wagner, Quaest. Virgil. XIII (vergl. auch Rothstein in der Festschr.
für Vahlen, Berlin 1900, 521 f.) bemerkte, im kunstmäßigen Hexameter
unbeliebt. Vergil hat ihn fast nur unter folgenden Bedingungen zu-
gelassen (wahrscheinlich öfter als sich ahnen läßt nach Ennius).
1) Durch eine folgende Kopula wird das retardierende Moment ver-
ringert. Vergl. VI 127 nodes atque dies (feste, wohl ennianische Ver-
bindung) 306 matres atque viri (wohl ebenso); 213 flebant et — ferebant
(hier zugleich mit Nachdruck, vergl. b. 5, 21 a. X 842). Mit folg. et
noch c. 20 mal.
2) Wenn das Wort eine Präposition ist, so hebt die Proklisis die
Dihaerese auf. Vergl. VI 174 inicr saxa. So bei inter noch b. 8, 13
g I 413 n 526 III 488 IV 345. 521 a. IX 318 XI 861, intra VI 525,
cirmm g. I 245 a. I 56, contra a. VEI 584 VDI 699 IX 552, instar II 15.
3) Auch bei Konjunktionen, Partikeln, adverbialen Begriffen und
Pronomina findet ein mehr oder weniger enger Wortzusammenschluß
statt. So postquam VI 226 b. 1, 30 g. IV 374 a. I 723 m 1 518 IV 17
V226 VII 406, quamvis b. 1, 33. 2, 16 g. I 38 ÜI 120 a. IH 454 V 542
VIII 379, donec g. IV 413; ergo g. II 293. 393 a. IV 503 XI 234, exim
a. Vn 341 vm 306 XH 92, contra (adv.) g. II 420 a. HI 684 VQ 374
XI 145, ititus g. IV 422 a. XH 592, saltem IV 327; Formen von üle (olle)
VI 321 und noch etwa 32 mal, vom ßelativum (quorum, quarum) g. II 476
a. I 72 VIII 547 X 225, von qualis talis g. IV 511 a. H 223 V 213 273
280 375 IX 679 X 134 XI 68 659 XII 860, tantmn—quantum b. 1, 25.
10, 74.
4) Bei engen Verbindungen anderer Art: VI 202 tollwnt se vergl.
X 892 iollii se b. 6, 20 addit se g. IV 432 sternunt se a. I 438 = IV 142
infert se 587 scindit se U 339 addunt se IX 714 miscent se V 782 cogunt
me; VI 810 regis Romani (wohl ennianisch) vergl. XL 850 regis JDercenni
IV 342 urbem Troianam 655 urbem praeclaram I 602 gentis Dandaniae,
b. 7, 33 simim laxiis a. XI 382 agger moerorum (ennianisch); b. 2, 23
canto quae solitus 53 addam cerea pru/na (in einem mehrfach unregel-
mäßigen Vers: s. Anhänge VII B2d und IX) g. I 150 esset robigo a. XI 174
esset par aetas 176 possiwn — referre a. I 573 urbem quam statuo in 268
tendwnt vda XII 254 facta nui)e.
426 ANHANG Vm.
5) Bei nachdrücklicher Betonung des Worts: VI 28 magnum 172
= 590 demens (vergl. IV 562 IX 728) 229 idern, 230 spargens (vergl.
IV 486) 268 ibant(werg[. VII 698) 313 stabant (vergl. g. III 34 a. VIII 653)
415 = 472 tandem (vergl. IV 333 VII 259 IX 778 XI 493) 563 = 673
nuUi (vergl. V 610 VIII 502) 872 quantos (Ausruf, vergl. I 33 tantae),
und dgl. oft in anderen Büchern, besonders bei Zahl- und Größenbegriffen
(z. B. imus, omnis, totus, centum, ingens) sowie Eigennamen und Verben,
die ein für die Handlung wesentliches Moment enthalten.
IX.
Unregelmäßig gebildete Verssehlüsse.
Im ausgebildeten lateinischen Hexameter war es verboten, 1) den 6.
und 6. Fuß mit einem vier- oder fünfsilbigen Worte anzufüllen (drcumspexit,
dimidiatum) 2) den Vers mit einem Wort der Form u u _ y zu schließen
(mens animusque, mentem anirrmmque, rebus reparcmdis, gemitu laerimisque,
mortales perhibebant, figurarum ratione, inimicitias agitantes) 3) den Vers
mit einem einsilbigen Worte zu schließen (et vox, equi vis, soliti stmt,
curriculo nox). Daß diese der archaischen Poesie unbekannten Regeln in
frühciceronianischer Zeit^) aus den Gesetzen für den prosaischen Satz-
schluß abgeleitet und, soviel wir wissen, zuerst von Cicero (mit wenigen
und meist motivierten Ausnahmen) befolgt worden sind, hat Leo, Göt-
tinger Prooemium 1892/3 p. 7 ff. festgestellt.^) Noch nicht sicher erklärt
ist, aus welchen Gründen nun auch 4) schließende Worte der Form y
(ducv/nt argento, famulum legarat) und 5) solche der Form u u | _ w ('o bona
mater, dexträ rigat amnem, predbus pater orat, dispendi fadt Mlum, desi-
derium simul inter) vermieden wurden.^)
Die Ausnahmen, die Vergil von diesen Regeln hat, lassen sich in
folgende vier Gruppen teilen.
1. Versschlüsse nach griechischer Technik.*)
Vergil hat solche Schlüsse 85 mal, und zwar a) 50 mal bei griechischen
Eigennamen, z. B. petit Eicandri, Bardemio Anchisae; Oriona, ÄncMseo; an
1) Valerius Cato emendabat des Lucilius Verse: [Horaz] sat. I 10 in.
2) Die besonders entscheidende Stelle Quintilian IX 4, 65 hatte schon
W. Meyer, Abh. d. Bayer. Akad. XVII (1886) 9 herangezogen, in seinen späteren
Untersuchungen aber zu Gunsten einer anderen Erklärung fallen gelassen.
3) Der Versuch W. Meyers, Sitzungsber. d. Münch. Akad. 1884, 979 ff., die
Abneigung der lat. Dichter gegenüber dem Wortschluß in der 5. Hebung aus
der von ihm nachgewiesenen Praxis der alexandrinischen Dichter abzuleiten,
ist vor allem deshalb nicht überzeugend, weil die lat. Dichter die Regel grade
bei griechischen Worten oft verletzt haben. — Auch auf Inschriften überwiegt
die Zahl der regulär gebildeten Hexameterschlüsse weitaus die der gegen-
teiligen. Als merkwürdige Ausnahme fiel mir auf das carm. epigr. 1533, das
in elf Hexametern sechs irreguläre Schlüsse hat (Pareae cecinere, fessum re-
creasti, optent sibi cuncti, super et tibi semper; nee mare saevom; terminus hie
est). Dieses Epigramm, dessen Zeit Bücheier als 'propius ab Augusto' be-
stimmt, hat in der Phraseologie bemerkenswerte ennianische Floskeln; es wird
daher vermutet werden dürfen, daß der Dichter, wie er bei seinem navibu(s)
velivolis (= Enn. a. 381) dem Ennius in der Prosodie, so bei der Bildung seiner
Versschlüsse in der metrischen Technik gefolgt ist.
4) Vergl. E. Plew, Jahrb. f. Phil. 1866, 631 ff., der aber nur schließende
Wörter der Form u u _ y berücksichtigt.
428 ANHANG IX.
Meliboei, ducis Melibod; cxtremi Garamantes, pictique Agathyrsi, Aonie
Äganippe, Noemonaque Frytanimque; Deiopea, Demodocumque. So in
Buch VI: 802 aut Erymanihi, 484 sacrum Polyboten, 445 maestamque
Eriphylen; 447 Laodamia, 393 = 601 Firithoumque, 483 Thersilochwmque.
b) 2 9 mal bei griechischen bezw. gräzisierten Appellativen, nämlich a)
14 mal vor hymenaeus (nach Catulls Vorbild), z. B. pati hymenaeos, canit h.,
pactosque h., inceptosque h., inconcessosque h., Lacedaemoniosque h. So in
VI: 623 veütosqueh. ß) 5 mal vor hyaänthus, z. B. rubens h., tondehdtJi.,
ferrugineos h. j) je 2 mal vor cyparissus und elephantus (Idaeis cypa-
rissis f^ Nikand, ther. 585 'Ibairic KUTtapiCTCTOu , coniferae c; nitens e.,
sedoque e.). So in VI: 895 nitens elephanto. b) je Imal potest electro,
purpurea narcisso^); centaurea^); Oricia terebiniho^), alboque orichalco,
odoriferam panaceam. c) 2 mal nach einem griechischen Wort*): b. 7, 53
castaneae Mrsutae, g. I 221 eoae Ätlcmtides äbscondantur. d) 4 mal über-
tragen auf lateinische Worte, aber so, daß die griechische Technik deut-
lich ist durch Hiatus oder syllaba anceps: aen. IV 667 == IX 477 femineo
ululatu (YuvaiKeiuj oXoXuTMUJ, der Hiat und Ehythmus gleichzeitig male-
risch)^), aen. VII 631 turrigerae Antemnae (TrupYoqpopoi "AvT€)Livai ;
A. wurde als Stadt der Aboriginer auf griechischen Ursprung zurück-
geführt: Dionys. Hai. I 13, 2. 16, 5) g. II 5 pampineo gravidüs autumno
(soll wohl auch die Schwere malen, vergl. a. IH 464 dona dehinc auro
gravid sectoque elephanto).^)
2. Versschlüsse aus archaischer Poesie entlehnt.
1) Schlüsse mit Monosyllaba. a) Bei vorhergehendem Monosyllabon.
Bezeugt: g. IV 6 == I 181 si quem (Lucr. VI 167), g. I 314. "^370 =
IH 133 et cum (Lucr. IV 259 u. ö.), g. H 103 quae sunt (Lucr. I 232
u. ö.\ g. HI 428 et dum (Lucr. II 1125), g. III 484 m se (Lucr. I 729
u. ö.), a. VIII 400 = XI 3 mens est (Lucr. III 647), a. XI 16 Mc est
(Lucr. IV 317), XH 565 lupiter hac stat (Ennius a. 263). Wahrschein-
lich: die Mehrzahl der unten bei 4b 1 aufgezählten Beispiele, da fast in
allen das eine der beiden Monosyllaba bei Ennius oder Lucrez in solchen
Versschlüssen steht; in a. VII 708 et tribus et gens ist die Wahrschein-
lichkeit noch um so größer, als auch der fünfte Fuß unregelmäßig ge-
bildet ist und die publizistisch-prosaische Ausdrucksweise auch sachlich
auf Ennius weist. — b) Bei vorhergehendem Disyllabon in Synaloephe:
a. IX 57 atque huc 440 atque hinc, wo die Art der Synaloephe in diesem
Fuß für Vergil singulär ist (vergl. über atque unten bei 4). — c) Bei
1) Bei Dionys. Perieg. , dem Nachahmer alexandrinischer Dichter, stehen
293. 1031, r|X^KTpoio und vapKtoaiTTiv (sc. \i0ov) am Versschluß.
2) Am Versschluß auch Lucr. IV 124, wie die Umgebung beweist nach
griechischem Muster.
S) X 136, ebenso Properz III 7, 49, wahrscheinlich beide nach gemeinsamem
hellenistischen Vorbild; vergl. 'QpiKioio Nikand. ther. 516 (anders Rothstein z.
d. St. und Kießling zu Hör. od. I 7, 26).
4) Vergl. CatuU 64, 96 Idalium frondosum, Ovid m. IV 535 lonio immenso.
5) Vergl. Ovid m. XI 17 Bacchei ulutatus.
6) Vergl. Ovid. m. I 117 perque Meines aestusque et inaequales autumnos
(der durch inaequalis wohl die ävu)|ua\(a des Verses spielerisch ausdrückt?)
UNREGELMÄSZIG GEBILDETE VERSSCHLÜSSE. 429
vorhergehendem Polysyllabon. Bezeugt: a. I 65 = II 648 X 2. 743 Jio-
minum rex (Ennius a. 179), VI 846 restituis rem (ib. 313), III 12 =
Vm 679 magnis dis (ib. 207), IX 532 = XII 552 opum vi (ib. 168.
404), g. ni 468 = a. II 472 prius quam (Lucr. VI 917). Wahrschein-
lich, weil es Monosyllaba sind, die auch Ennius oder Lucrez so an den
Versschluß stellen: a) enklitische Worte aen. I 151 virum quem (vergl.
Lucr. IV 760 eum quem und über virum an dieser Stelle gleich im Folg.),
VI 346 fides est (vergl, Lucr. II 95 quies est, V 1047 notities est, und
für fides an dieser Stelle V 104 fidem res), b. 3, 62 apud me a. IV 314
tuam te X 259 parent se 802 tenet se (vergl. Lucr. I 978 locet se und
für tu>am an dieser Stelle m 3 tuis nunc V 860 suä quae), auch wohl
b. 8, 106 honum sit. ß) Appellativa (sämtlich in dieser Stellung bei
Ennius überliefert): aen. Itl 375 deum rex, g. I 247 silet nox, g. II 321
rapidus sol^), a. X 864 viam vis XI 373 tibi vis, V 638 agi res VII 592
sunt res IX 320 vocat res 723 agat res X 771 suä stat. Wahrschein-
lich ennianisch als alliterierende Verbindungen oder aus anderen Gründen:
X 107 secat spem (s. über secare auch zu VI 899), 843 praesaga mali
mens (vergl. Plaut. Bacch. 679 animus plus praesagitur mali)^) wie auch
n 170 deae mens (mens so wohl archaisch: s. Anhang I 3) und deum
gens (archaische Genitivform in feierlicher Umgebung, vergl. Servius),
X 361 = 734 viro vir XI 632 virum vir^y, dazu 11 355 lupi ceu nach
A 72 XuKOi ujc vielleicht durch Ennius vermittelt: denn ceu ist aus Enn.
a. 355 belegt und nach zögerndem Vorgang des Lucr. IV 618. VI 161
und Catull 64, 239 erst von Vergil häufig verwendet worden (Horaz hat
es erst im IV. Odenbuch, d. h. unter dem Einfluß der edierten Aeneis);
III 390 = VIII 143 ilicibus sus 83 conspicitur sus: Ennius erzählte die
Sache (formell nach Ennius wohl auch Lucrez V25 Arcadius sus s. b. 3 a).
2) : V 320 intervaüo aus Lucrez n295 = rV187; wahr-
scheinlich ennianisch aus sachlichem Grund VIII 345 nemus Ärgileti.'^)
3) u w _ ^ in einem Wort: VI 11 mentem animumque (gleichzeitig
mit singulärer Synaloephe) aus Ennius-Lucrez (s. den Konamentar). ^)
1) Ovid, für den Versschlüsse dieser Art noch viel ungewöhnlicher waren
als für Vergil, sagt einmal: iubar aureus extulerat sol (met. VII 663), wo wir
ennianisches Prototyp vermuten würden, auch wenn uns nicht zufällig über-
liefert wäre simul aureus exoritur sol (Enn. ann. 95).
2) Vergl. auch die Versschlüsse des Lucrez siet mens (HI 101), metu mens
(ib. 152), labat mens (ib. 453) und für so gestelltes mali VI 663 mali fert.
3) Von Macrobius als Versschluß des Furius Antias überliefert, den Vergil
aber wohl nicht direkt nachahmte. Für Ennius spricht, daß sich die Phrase
XI 632 legitque virum vir auch bei Livius IX 39, 5 X 38, 12 findet, also in den
Büchern, die von Vergil unbeeinflußt sind (vergl, Stacey 1. c. [o. S. 365, 2] 51).
Vergl. auch Ennius a. 280 am Versachluß virum vis.
4) Ist es nicht ennianisch, so fällt es unter 1), da man den Namen mit
der griechischen Legende in Verbindung brachte.
5) Analog ist folg. Fall zu beurteilen. Nach E. Plew bei Lehrs, Q. Hör.
Flacc. (Leipzig 1869) p. CXLIflF. hat Silius viersilbigen Versschluß bei vorher-
gehendem mehrsilbigen Wort außer bei dem griechischen hymenaeus nur noch
zweimal in den Verbindungen divumqu^ hominumque und superumque hominumqu£
(I 152. n 484). Hieraus würden wir für Silius, der den Ennius nachweislich
noch las, Entlehnung aus diesem folgern müssen, selbst wenn uns erstere
Phrase (als Übersetzung von dvöp&v xe 0€d)v xe) nicht zweimal als ennianischer
Versschluß (a. 254. 567) überliefert wäre.
430 ANHANa IX.
4) u w _ V in mehreren Wörtern: V 382 = Xu 295 atque ita fatur
(gleichzeitig mit ungewöhnlicher Synaloephe) ^) , X 594 = XI 822 haec
ita fatus wohl sicher mit konventioneller ennianischer Phraseologie (s. o.
S. 367). Bei III 207 haud mora nautae, X 153 haud fit mora Tarchon
ist Benutzung ennianischer Phraseologie wahrscheinlich, s. Kommentar
zu VI 177. Wegen der singulären Synaloephe wohl ebenfalls XII 26
animo Jiauri^), und wegen der singulären Wortteilung vielleicht auch
XII 634 sed quis Olympo.^)
5)_ww_v^ XI 614 quadrupedantiim: Ennius tr. 154, aber wohl
auch in den Annalen gebraucht.*)
3. Versschlüsse mit malerischer Absicht.
a) Schließendes Monosyllabon.
In a. I 105 insequitur cumulo praeruptus aquae mons wird das Über-
hangen der Flutwelle gemalt (der Vers selbst ist gewissermaßen 'prae-
ruptus'), wie in II 250 ruit oceano nox g. I 313 ruit imbriferwm ver
das ruere der Nacht und des Frühlings und in a. IV 131 Massylique
ruunt equites et odora canum vis^) g. HI 255 ipse ruit dentesque Sa-
bellicus exacuit sus das ruere der Meute und des Ebers. — In a. V 481
sternitur examimisque tremens procumbit humi bos^) wird das plötzliche
Niederstürzen des Kindes plastisch zum Ausdruck gebracht; freilich tadelt
der metrische dvai(T6r|T0C Servius den Vers (est hie pessimus versus in
monosyllaba desinens), aber man empfindet die Kraft, wenn man den lahmen
Vers des ApoUonios I 429, Vergils Vorbild, daneben hält: TtXfiHev', ö b'
(der Ochs) dGpöoc au6i Ttecrdjv dvepeiaaxo Taii;i.') — Die Stelle g. 1181
exiguus mus war schon im Altertum berühmt und wird von QuintiUan
VIII 3, 20 als etwas, das man non tarn ratione quam sensu beurteilt,
erklärt mit dem Bemerken: clausula ipsa wnius syllabae non usitata ad-
1) Ennius hat atque mit Synaloephe in diesem Fuß a. 179. 237, ita an
gleicher Stelle a. 41; atque ita an gleicher Stelle Lucr. II 227.
2) Der vorhergehende Vers schließt mollia fatu, wo fatu, bei Vergil nur
hier, dem Wort und der Form nach archaisch ist, obwohl es uns vor Vergil
nicht überliefert ist (Neue IIP 638; auch der Imperativ fare ist vor Vergil
nicht nachweisbar: ib. 637).
3) Mit Olympum, Olympi schließt Ennius zwei Verse (a. 1. 198).
4) Die diesem Verse vorhergehenden 608 ff. sind nach Servius' Zeugnis dem
Ennius nachgeahmt.
5) Hiermit scheint schon Ennius vorangegangen zu sein, da auch Lucrez
zwei Verse (IV 681. VI 1222) mit canum vis schließt.
6) hos am Versschluß, aber nach vorausgehendem Monosyllabon (iam hos)
a. VU 790.
7) Vergl Scaliger 1. c. (p. 484 der Ausgabe von 1607): 'ergo maximus
poetarum cum incomparabilem versum illum fecisset sternitur — hos, impu-
dentissime Servius, Pessimus, inquit, versus in monosyllaba desinens. Utrum
enim malis, huncne, an sternitur, exanimisque tremens hos corruit ictu? Quis
igitur illum quoque grammaticorum interpolabit nobis, ne sit monosyUabum
insequitur cumulo praeruptus aquae mons? Atqui potuerat sie insequitur tu-
midis mons incitus undis. Verum ut corruit taurus, ut confluxit in unum montem
mare: ita corruit versus in monosyUabum; sicut et in ülo: ruit Oceano nox
(quid illo acrius?), en haec promissa fides est (VI 346); nihil enim aptius in-
dignationi, quam oratio desinens in monosyUabum'.
UNREGELMÄSZIG GEBILDETE VERSSCHLÜSSE. 431
didit gratiam. — Gelegentlich ist auch im Griechischen dieser Versschluß
zu malerischem Zweck verwendet, so wohl in dem homerischen öpuupei
b'oupavööev vuH (danach mit oceano nox) und in einem Zitat des Dio-
nysios (des Lehrers des Aristophanes v. Byzanz) bei Clem. AI. str. V 674 P.
TTÖVTOU )aaivo|iievoio TrepidTeivei dXuKri lä\^^) (vergl. Vergils praeruptus
aquae mons). Überhaupt wurden Versschlüsse dieser Art von den römi-
schen Dichtem wohl griechisch empfunden^), denn viele lassen sich ohne
weiteres griechisch schreiben: ujKedvLU vuH, 6)ißpoqpöpov fjp, KuvuJv ic
(vergl. |n 175 )ueYdXr| ic), 'ApKdbioc \jc (so Lucrez V 25 Ärcadius sus,
dafür setzte ein Italiker, wahrscheinlich Ennius, den SabelUcus sus, den
wir bei Vergil fanden), x^tMCii ßoOc (vergl. f 430 f\\Qe |iiev ap ßoOc),
cr)iiiKpÖTaTOC |iOc; auf ein giiechisches Sprichwort geht daher auch
Horazens ridiculus mus (a. p. 139).^) Daß griechische Metriker die Sache
auch theoretisch behandelten, macht die Nachricht des Servius z. VIJI 83
wahrscheinlich: ^conspicitur sus\ Horatius: ^ et amica luto sus\ scien-
dum tarnen Jioc esse vitiosmn monosylldbo finiri versum, nisi forte ipso
monosylläbo minor a expUcentur cmimalia, ut 'parturient montes, nasceiur
ridiculus mus'. gratiores enim versus isti sunt secundum Lucilium:
Lucilius aber folgte in seiner Theorie wie der Grammatik und Rhetorik,
so auch der Metrik griechischen Quellen.
b) u u _ y und _ o u _ o.
Der ionische Rhythmus ^ ^ - ^ malt die Klage X 505 multo gemitu
lacrimisque, das Weichliche IV 215 et nunc ille Paris cum semiriro eomi-
tatu.*) In V 588 f. ut quondam Creta fertur labyrinthus in alta \ parie-
tibus textum caecis iter andpitemque \ müle viis habuisse dolum soll das
fünfsilbige andpitemque, wie die weiterhin folgenden langen Worte inde-
prensus und inremeabilis die Irrwege des Labyrinths malerisch zum Aus-
druck bringen (vergl. den Komm, zu VI 27 u. S. 417, 4). Diese Auf-
fassung wird auch dadurch empfohlen, daß Catull an der hier von Vergil
nachgeahmten Stelle 64, 114 ne labyrintheis e flexibus egredientem den Vers
ebenfalls mit einem fünfsilbigen Wort schließt, was auch für ihn eine
Rarität ist (im Epyllion nur noch 152 alitibusque 205 contremuerunty
beide mit archaischem Kolorit).
c) ZiTovbeidZovTec.
Da A. Viertel, De versibus poetarum lat. spondiacis (Jahrbücher für
Phil. 1862, 801 ff.) gerade das uns hier angehende Moment nur ober-
flächlich und meist unrichtig behandelt hat, muß die Untersuchung ganz
1) D. h. GdXaaöa, vermutlich semitische Glosse.
2) Daher bildet Lucan seinen einzigen Versschluß dieser Art (Trampe, d.
L. arte metr. 34) mit einem griechischen und einem nach griechischer Weise
gebildeten Wort: IX 723 tabificus seps (vouaoqpöpoc ar\\[i).
3) Unter den von Kießling z. d. St. angeführten Belegen fehlt der für den
Zusammenhang bei Horaz bezeichnendste: Lukian bist, conscr. 23.
4) Nach Quintilian 1. c. hat ein langes schließendes Wort etwas praemolle;
Paris war eben der Typus der jnaXaKia,
432 ANHANG IX.
von neuem angestellt werden, zumal seitdem das griechisclie Material
von A. Ludwig, De hexametris poetarum graec. spondiacis (Halle 1866)
vorgelegt worden ist.
Bekanntlich haben die alexandrinischen Dichter im Gegensatz zu
den alten Epikern solche Verse mit besonderer Vorliebe gebraucht, so
daß in der Ilias auf 100 Verse durchschnittlich 5 bis 6, bei Arat 14
bis 15 kommen und Eratosthenes in den fünfzehn uns erhaltenen Hexa-
metern seines Hermes 7 spondeische hat. Die alten Epiker haben mit
solchen Versen wenn überhaupt, so doch nur in einer verschwindend
kleinen Anzahl von Stellen malerische Wirkung erzielen wollen, denn es
erscheint fast zu gesucht, in Versen wie
b 117ff. )aep)iir|piHe b'^Treixa Kaxa q)peva Kai Kard 0u)iiöv
r|e mv auTÖv Trarpoc edcreie |uvricr9fivai,
fj irpujx' eHepeoiTO eKaard re TTeiprjffaixo
mit Ludwich (S. 164) den Zweifel der Überlegung malerisch ausgedrückt
zu sehen (die Folge zweier spondeischer Verse ist bei Homer nichts
Ungewöhnliches). Die alexandrinischen Dichter sind im allgemeinen
dem homerischen Brauch gefolgt, insofern sie mit der Mehrzahl solcher
Verse malerische Absicht nicht verbunden haben ^), wie z. B. beliebige
Verse des Kallimachos zeigen:
h. Dian. 221 ff. oube juev 'YXaTöv xe Kai dqppova 'Poikov ^oXira,
oube Trep exö^ipovxac, ^v "Aibi |Liuj|ur|(Ta(T9ai
xoEöxiv Oll Tdp (Sq>iv Xayövec ffuveTrivpeucTovxai,
xdujv MaivaXiTi vdev (pöviu dKpuupeia.
Vielmehr war es (Ludwich 163) wesentlich nur der ziehende, schlaffe
und weichliche Rhythmus, der diese Poeten an solchen Versen Gefallen
finden ließ^): war doch _ o _ o auch in der Prosa als weichliche Klausel
verrufen. Aber wenigstens als sekundäres Moment ist das malerische
zu jener Zeit stärker betont als im alten Epos. Dafür haben wir das
interessante Zeugnis des Longinos bei Euseb. pr. ev. X 3, 20: Antimachos
habe den Vers
I 558 "Ibeüü 8', 8c KdpxKTxoc emxOoviiJüV t^vex' dvbpujv
mit der Änderung
"Ibeu) Q\ 8c KdpxicTxoc emxGoviuuv r\v dvbpüjv
herübergenommen, was ihm das Lob des Lykophron eingetragen habe:
AuKÖqppujv eTTttivei xf)v laexdGeaiv, ibc bi' auxfic eaxr|piY|Lievou xoO
(Jxixou. Das wird bestätigt durch Stellen wie
Kallimachos h. Apoll. 23 öcTxic dvi OpuTir) biepöc Xiöoc dcTxripiKxai
Dian. 60 f. f| x^Xköv leiovja Ka)iiivö9ev Y\e (Tibripov
d)aßoXabic xexuTTÖvxec em lae^a )Lioxör|(T6iav
182 biqppov etriaxricrac, xd be qpdea )ar|Kuvovxai
Apollonios Rhod. I 531 |neacruj b' 'AYKaioc ulfa xe a6evoc ' HpaKXfioc
1066 vuiixqpai dTT0cp9i)ievTiv dX(Tr|ibec ibbOpavxo
IV 287 'PiTTxaioic ev öpeacriv dTTÖitpoGi laopiiiu-
poucTiv
1) Wie überhaupt eine solche bei ihnen sehr zurücktritt; z. B. ist das,
was R. Merkel, Metr.-krit. Abh. über Apollon. Rhod. (Progr. Magdeburg 1844)
6. 9. 12. 18 dafür anführt, viel zu gesucht, um glaublich zn erscheinen.
2) Sehr deutlich z. B. Mosches 2, 24 inrviOouöa (über das Ethos s. S. 418, 6).
TJNREGELMÄSZIG GEBILDETE VERSSCHLÜSSE. 433
Theokrit 1, 71 rfivov |Liev Guuec, rfivov \ukoi ujpuaavxo
2, 35 GearuXi, rai Kuvec a}i}x\v dvd tttöXiv ibpuovxai
Arat 1124 Kai Xukoc oTTTTÖxe juaKpci jliovöXukoc ujpiJTiTai
953 f| TToXXr) cTTpeqpeTai irap' übuup iraxea Kpculouaa
Theokrit 15, 87 TraiiffacrG' ilj bOcTTavoi dvdvuia KuuxiXXoiCTai
Euphorion fr. XCYI Mein. Zeqpupou jueT« TroicpiiHavxoc
Theokrit 24, 47 b)Lia)ac bx] xöx' duaev üttvov ßapuv eKcpucTujvxac,
in denen die Dichter selbst auf das malerische Element durch Hinzu-
fügung von iLieY«, Traxe«, iiiaKpd, dvdvuxa, ßapüv oder durch die Wahl
von Worten wie 'HpaKXf)c^) (JxripiZ^eaGai, luoxOeTv, )iTiKuvea9ai und
Verben der langgezogenen Klage hinweisen.^)
Die Praxis des Ennius und Lucrez stimmt insofern mit derjenigen
der alten griechischen Epiker überein, als spondeische Verse nicht ge-
mieden, aber auch nicht gesucht werden und an den wenigsten Stellen
eine besondere malerische Absicht vorliegt. Unter den 12 ennianischen
Beispielen (2 34 125 174 197 207 219 256 305 541 603 604)
könnte malerische Absicht vorliegen nur in
34 Olli respondit rex Älbai longai
207 dono ducite doque völentibus cum magnis dis
541 f. tanto sublatae sunt
augmine tunc lapides,
unter den 29 des Lucrez (I 60 586 616 991 1077 1116 1147 H 295
302 397 475 1053 III 191 249 253 417 545 908 963 IV 125 187
594 975 978 V 190 425 971 1156 1265) nur in
in 190 f. quippe voluhüibus parvisque creata figuris,
at contra mellis constantior est natura
1 616 Corpora constabunt ex partibus infiriitis
n 1053 undique cum vorsum spatium vacet infinit um
I 9 90 f. quippe ubi materies omnis cumulata iaceret
ex infinito iam tempore subsidendo
11 46 f. omnia debet enim cibus imiegrare novando
et fulcire cibus, dbus omnia sustentare
V 1265 mucronum duci fastigia procudendo
in 907 i/nsatiabüiter deflevimus aeternumque
nulla dies nobis maerorem e pectore demet.
Bemerkenswert ist, daß in Buch I am meisten Beispiele vorkommen,
in Buch VI keins mehr; das könnte sich daraus erklären, daß Lucrez,
als er sah, wie die Neoteriker in solchen Versen etwas Besonderes suchten,
sie absichtlich mied. — Lucrez ragt mit seiner Lebenszeit, aber nicht
mit seinen dichterischen Tendenzen schon in die Zeit der Neoteriker
hinein. Ihre Vorliebe für die spondeischen Verse wird durch die be-
1) Bei Homer steht 'HpaKXfioc (-i, -a) nie am Versschluß, Apollonios weicht
also bewußt ab, vielleicht auf Grund des homerischen ßiri ' HpaKXr|€ir|. In dem
homerischen ßir|c 'GTeoKXTie{r|c (A 386) findet Aristides Quint. de mus. H c. 9
p. 52, 14 (Jahn) tö KOTCt rrjv ^Ki}\x.r\v ?Hoxov ausgedrückt.
2) Für die malerische Absicht in dem ziJetzt angeführten Vers des Theokrit
vergl. Oppian hal. IV 460 eiaÖKev oibaivouaa koI öaxerov doGinaivouaa und
Ovid m. VI 247 animam simul exhalarunt VH 581 mm's deprenderat ex-
halantes.
Verg II, Buch VT, von Norden. 28
434 ANHANG IX.
kannten Worte Ciceros ad Att. VII 2 bezeugt: Brundisium venimus nsi
tua felicitate navigandi: ita belle nobis ' flavit ab Epiro lenissimus Onches-
mites'. Jmnc CTTrovbeidCovTa sicui voles tüjv veuüxepuuv pro tuo vendita,
und demgemäß hat Cicero auch in seiner Praxis eine Abneigung gegen
diesen Versschluß: gegenüber den zahlreichen Beispielen des Arat hat er
nur eins: Orionis (Aratea 3).
Die Praxis des Catull ist dagegen die der Alexandriner (vergl.
Haupt bei Beiger p. 240 f.), d. h. spondeische Verse werden gesucht und
zwar im allgemeinen nur wegen des weichen Ehythmus (vergl. lenissi-
mus bei Cic. 1. c. Persius 1, 95; Quintilian IX 4, 65 bezeichnet Apennino,
armamentis, Orione am Versschluß als permolle), gelegentlich aber auch
in malerischer Absicht. Er hat 42 solcher Versausgänge in 781 Hexx.,
d. h. in je 100 etwa 5 — 6, während Lucrez in 7415 Hexx. nur 29 hat,
d. h. erst in je 1500 etwa 5 — 6. Die Verteilung auf die einzelnen Ge-
dichte ist bezeichnend: im Epyllion (408 Hexx.) 30 spondeische Schlüsse,
in den 373 Hexx. der Disticha nur 12; darin folgt er wohl dem Vor-
bilde des Kallimachos, der in dem elegischen Hymnus und in den Epi-
grammen überhaupt keinen solchen Vers hat.^) Unter den 42 Vers-
ausgängen dieser Art bei Catull werden 13 durch Eigennamen gebildet,
und zwar durch 12 griechische (64, 3 11 28 36 74 79 96 252 358.
68, 87 89 109), 1 lateinischen (100, l), worin die Tatsache aus-
gesprochen liegt, daß man solche Verschlüsse von jetzt ab als gräzi-
sierend betrachtete, während das bei Lucrez noch keineswegs der Fall
ist, der in solchen Versen nur 1 griechisches Wort hat (centaurea). Unter
den 29 übrig bleibenden Beispielen Catulls bezwecken bloß rhythmische
Wirkung 17 (64, 24 78 80 83 91 108 119 255 258 277 291 301.
66, 3 41 57 61. 116, 3), besonders deutlich
64, 91 f. non prius ex illo flagrcmtia declinavit
lumina ^)
255 euhoe bacchantes, euhoe capita inflectentes.^)
Neben der rhythmischen Wirkung liegt eine bestimmte malerische Ab-
sicht vor in den übrigen 12:
64, 15 acqiioreae mmistrum Nereides admirantes
44 fulgenti splendent auro atque argento;
67 ipsius ante pedes fludus salis adludebant
269f. hie qualis flatu placidum mare matutino
horrificans zephyrus proclivas incitat undas
274 post vento crescente magis magis increbrescunt;
286 Tempe, quae silvae cingunt super inpendentes
1) Vergl. F. Beneke, De arte metr. Callimachi (Straßburg 1880) 20 f. Die
Praxis ist verständlich, denn es wäre disharmonisch gewesen, am Schluß des
ersten Teils des Distichons den daktylischen Rhythmus aufzuheben, der am
Schluß des zweiten Teils verbindlich war. Übrigens hat Catull in den eigent-
lichen Epigrammen außer dem Eigennamen ^M/?Zewam (100, 1) nur ein Beispiel
in dem unsere Sammlung beschließenden, aber zeitlich wegen tu dabi(s) suppli-
cium besonders frühen Epigramm 116, 3 conarere; er wui-de auf diese Finesse
also erst mit dem Fortschreiten seiner Kunst aufmerksam.
2) Ein anderes rhythmisches artificium in verwandter Sache Horaz c. I 12,
25 f. cum flagrantia de\torquet ad oscula cervicem.
3) Die XoHÖTTic des Nackens galt als Zeichen der äßpÖTr|c.
UNEEGELMÄSZIG GEBILDETE VERSSCHLÜSSE. 435
297 pendens e verticibus praeruptis
65, 23 atque illud prono praeceps agitur decursu;
64, 71 f. ah misera, adsiduis quam luctibus externavit
spinosas Erycina serens in pedore curas
9 7 f. qualibus incensam iactastis mente puellam
fludibus in flavo saepe hospite suspirantem
68, 15 iam prece PoUucis, iam Castoris inplorata
76, 15 ima salus haec est, hoc est tibi pervincendum,
wo das erste und zweite Beispiel die BewunderuBg ^) und die Pracht,
die drei folgenden das aUmähliche Anschwellen des Windes und der
Wellen^), das sechste, siebente und achte das Überhangen und das
Moment des jähen Hinabrollens^), die folgenden vier den Schmerz und
die Klage*) malen, darunter am schönsten das letzte, in dem das Bingen
des durch den Tod des Bruders schmerzerfiillten Herzens ergreifenden
Ausdruck gefunden hat.^)
Die Augusteer haben, wie sie überhaupt die Exzesse der Neoteriker
durch Rückkehr zum Klassizismus aufhoben, auch in der Anwendung der
spondeischen Verse Begel geschaffen. Tibull hat kein Beispiel; Pro-
perz 7: drei griechische Eigennamen, dreimal heroine — dies nach
alexandrinischen Vorbildern, vergl. Ludwich 1. c. 87 — , einmal (III 28", 49)
sunt apud infernos tot milia formosarum, nämlich eben fiptuivujv (vergl.
I 19, 13 illic formosae veniant chorus heroinae: KaXöc xopoc fipoiTvai);
Horaz je 2 in Oden und Epoden (drei griechische Eigennamen, 1 latei-
nischer), 1 in den Sermonen (a. p. 467, beabsichtigt, vergl. Kießling);^)
Ovid (nach Viertel 1. c. 802) quantitativ ziemlich viele, aber wohl sämt-
lich erlaubte (Eigennamen, griechische Worte) oder beabsichtigte (die
Untersuchungen Viertels müssen neu angestellt werden).'') Vergil hat
in seinen gesamten Dichtungen (12085 Versen) 33 spondeische Verse,
also erst in je 2000 Versen etwa 5, während Catull etwa in je 100
Versen ebenso viel hat. Ziehen wir hiervon die schon oben unter l)
und 2) behandelten 26 nach griechischer Technik gebauten oder aus
1) Vergl. V 728 Kduireoe" Xaoi b' aö GrieOvxö xe edjußriödv xe. Ähnlich die
Furcht: Moschos 2, 16 /| b' ävcö yLäv oxptuxOüv Xex^ujv Böpe beiiiiaivouffa.
2) Bei den Griechen bildet das Participium von KUjuaiveiv oft spondeischen
Ausgang (Ludwich 1. c. 117), vergl. femer KXü6a XeuKoivouaav Nikand. alex. 170,
löxaxai otöaivouaa (sc. QäXaoaa) Oppian hal. I 772, eiv ciXl -rropqpupoOor) Arat 158.
3) Vergl. Haupt bei Beiger S. 241. Ein anderes Mittel zu gleichem Zweck
in unserm Vergilbuch 602; wieder ein anderes, aber sehr verwandtes Lucan
X 318 praecipites cataractae, nach E. Trampe, De Lucani arte metrica (Berlin
1884) 35 der einzige so gebaute Vers bei Lucan. Prototyp waren die Sisyphos-
verse der homerischen Nekyia, wo der gleiche Zweck wieder durch andere
Mittel erreicht ist, s. o. S. 409 f.
4) Vergl. 0. S. 412 f. und Varro At. fr. 24 Baehr. (FPß p. 336) lamentatur,
Ovid. m. I 772 gemitu et lacrimis et luctisono mugitu (oiKxpoYÖuj jauKrjeiLiu)) ; mit
externavit vergl. ^irxoiriaav Ps. -Moschos 4, 122.
5) Die Wirkung ist um so stärker, weil es der einzige so gebaute Vers
dieser Elegie ist.
6) Im lyrischen Maß läßt er IV 4, 72 die Rede des Hannibal mit interempto
- u — (gegen seinen Brauch und in Anlehnung an die moderne Rhetorik)
wirksam schließen.
7) Vergl. auch Lüdtke, Rhythm. Malerei in Ovids Met. (Progr. Stralsund
1878) 25.
28*
436 ANHANG IX.
älteren Dichtern entlehnten ab, so bleiben 7 übrig, von denen 6 malen
sollen, nämlich:
b. 4, 49 cara deum soholes, magnvm lovis incrementum
das Wachsen (wie oben bei Catull incrcbrescunt),
g. ni 276 saxa per et scopulos et depressas conv alles
die tiefen Senkungen,^)
a. XII 863 quae (sc. ales) quondam in hustis aut culminibus desertis^)
nocte sedens serum canit inportuna per vmhras
das Rufen der dies lugubris,
a. II 68 constitit atque oculis Fhrygia agmma circumspexit
die Langsamkeit der Rundschau^),
a. VII 634 aut levis ocreas lento ducunt argento
die Mühe des Schmiedens*),
a. in 549 cornua velatarum ohvertimus antemnarum
die Mühe des Manövrierens. ^) Ob endlich der siebente
a. VIII 166 f. nie mihi insignem pharetram Lyciasque sagittas
discedens cMamydemque auro dedit intertextam
nach griechischer Technik gebaut ist (es sind Worte des Graiugena
Euandros, vergl. pharetra, cJilamys) oder etwa die Pracht malen soll
(wie Catull 64, 44 o. S. 434), wird sich nicht leicht entscheiden lassen.
4. Die übrigen Fälle.
a) uu_y auf mehrere Worte verteilt.
Während Cicero im Gegensatz zu der archaischen, auch von Lucrez
befolgten Praxis viersilbigen Worten der Form i^ vj _ b=! aus dem Wege
geht (nur drei Beispiele mit Eigennamen: Ar. 273 Capricornum 311 Ca-
pricorno 372 Äquilai), nimmt er sich für den Fall, daß w o _ !^ nicht
durch ein Wort gebildet wird, noch völlige Freiheit, wie Ennius und
Lucrez: in den 575 (am Schluß vollständigen) Versen seines Lehrgedichts
hat er 24 Beispiele, d. h. auf 100 Verse 4,2. In 16 dieser Fälle geht
den schließenden Wörtern ein Monosyllabon voraus (z. B. sub caput ardi,
ut prius illae, sed grave maestis; nur einmal, im Vers 153: quam iacit
ex se), in den übrigen 8 Fällen ein mehr als einsilbiges Wort (173 dex-
trä rigat armiem 309 semper tenet ille 325 flexum tenet arcum 343 Titan
trdhit arcum 376 darum caput Hydrae 454 profert simul unguis 468
parvos simul haedos 187 supero dedit orbe). Gegen Versschlüsse dieser
Art wurden nun aber die Neoteriker aus einem, wie oben bemerkt, noch
nicht sicher erkannten Grunde empfindlich. Catull hat in den 408
Versen des Epyllion nur 3 solcher Schlüsse, nämlich 23 o bona matrum
1) Vergl. Scaliger 1. c. (o. S. 404) 486.
2) Für desertis vergl. IV 462 f. solaque culminibus ferali carmine bubo \
saepe queri.
3) Vergl. Arat 297 TroXXdKic Ik vriOuv u^Xotoc -rrepiirairTaivovTec.
4) Vergl. die o. S. 432 f. aus Kallimachos h. in Dian. 64 und Lucrez V 1265
angeführten Verse sowie den schwerfälligen Rhythmus bei Verg. selbst g. III 449
et spumas miscent argenti (über deren langsame und mühevolle Zubereitung
Plinius n. h. XXXIH 106 flF. handelt).
5) Vergl. 0. S. 413 f.
UNREGELMÄSZIG GEBILDETE VERSSCHLÜSSE. 437
304 sunt dope mensae 58 pdlit vada remis, ^) d. h. auf 100 Verse nur
0,7. Vergil ist, seiner zwischen Archaismus und Neoterismus ver-
mittelnden Stellung entsprechend, zurückhaltender als die archaischen,
freigebiger als die neoterischen Dichter. Er hat in den Bucolica 13 Fälle
dieser Art (z. B. quae vehat Argo, te quoque gaudet; ausschließlich mit
vorhergehendem Monosyllabon), d. h. auf 100 Verse 1,6. In den Georgica
23, d. h. auf 100 Verse 1,1. Die Beispiele der Georgica verteilen
sich so: a) Nach Monosyllabon 19 (darunter einmal IV 84 dum gravis
aut hos), b) Nach mehrsilbigem Wort 3: 11 153 humum neque tanto
I 80 pudeat sola neve IV 251 apibus quoque nostros. In der Aeneis 94,
d. h. auf 100 Verse 1,0. Die Beispiele der Aeneis verteilen sich in
folgender Weise: a) Nach Monosyllabon 79, so in Buch VI: 30 tu quoque
magnum 47 non color unus 123 ah love summo 138 hunc tegit omnis
278 et mala mentis 365 tu mihi terram 434 qui sibi letum; unter diesen
79 Fällen viermal in späten Büchern: VII 308 et trihus et gens Vlll 400
haec tibi mens est IX 491 hoe mifii de te X 9 quis metus aut hos (die
zwei ersten wohl ennianisch: s. o. unter 2); zweimal ebenfalls in späten
Büchern mit ganz ungewöhnlichen Synaloephen: X 508 haec eadem aufert
XII 26 hoc animo hauri, ersteres wohl durch eine rhetorische Figur be-
dingt (Jiaec te prima dies bello dedit, haec eadem aufert), letzteres ver-
mutlich ennianisch: s. o. unter 2; einmal im Schlußbuch mit wohl singu-
lärer Wortverteilung: XII 634 sed quis Olympo, möglicherweise ebenfalls
älteres Gut: s. o. unter 2. b) Nach zweisilbigem in Synaloephe stehenden
Wort 3: I 405 ille ubi matrem V 382 = XU 295 atque ita fatur, letzteres
wahrscheinlich ennianisch, s. o. unter 2. c) Nach zwei- oder mehrsilbigem
Wort 13: V 731 Ditis tamen ante Vin 382 sanctum mihi nomen X 302
puppis tua Tarchon 400 morae fuit Uo 442 soli müii Pallas 112 quan-
tum satis hasfae XI 143 lu^et via longo HI 695 supter mare qui nunc
XI 170 magni Phryges et quam X 440 medium secat agmen 471 etiam
sua Twrnum 849 misero mihi demum XI 562 rapidum super agmen:
also diese besonders harte Art nur in spätverfaßten Büchern bezw.
Buchteilen.
Bemerkenswert ist, daß, wie aus dieser Liste hei-vorgeht, die Fälle
mit vorhergehendem Monosyllabon an Zahl diejenigen mit vorhergehen-
dem Polysy Ilabon um das Fünffache übersteigen; so hat, wie erwähnt,
Vergil in den Bucolica überhaupt kein Beispiel der letzteren Art, und
nach Lüdtke, Progr. Stralsund 1878, 24 Ovid in den Metamorphosen
ebenfalls nicht (gegenüber 35 Fällen mit vorhergehendem Monosyllabon).
Bevor ein genügender Grund aufgefunden ist, kann ich nicht umhin,
trotz W. Meyer (Sitzungsber. d. Münch. Akad. 1889 vol. II 242), dem
man ungern widerspricht, anzunehmen, daß die Vermeidung eines Aus-
1) In den Disticha hat er noch ein paar andere Stellen: E. Eichner, Progr.
Gnesen 1875, 16. Über Tibull, Properz und Ovid vergl. K. P. Schulze, Z. f.
G. W. XXIX (1875) 593 ff. (wo aber nur die Fälle mit vorhergehendem mehr-
silbigen Wort berücksichtigt sind). Danach hat Tibull bei vorhergehendem
mehrsilbigen Wort nur 6 Fälle mit deutlicher Enklisis (I 2, 95 circum terit
arta 6, 1 offers mihi voltus 6, 63 proprios ego tecum H 4, 45 centum licet annos
4, 59 Nemesis mea voltu 5, 111 versus mihi nullus; Properz zwei dieser Art:
in 34, 39 prostmt tibi fata 23, 15 Sacra conteritur via socco (sacra via), Ovid
einen: hal. 11 tandem pavet escam.
438 ANHANG IX.
einanderfallens von Wort- und Versaccent in Betonungen wie pdlit vada
remis, superö dedit orbe eine wenn auch vielleicht nur sekundäre Rolle
gespielt hat.
b) Schließendes Monosyllabon.
1) Bei vorhergehendem Monosyllabon. Während bei Ennius und
Lucrez auf je 100 Verse etwa 1 Beispiel kommt, hat Cicero in den
574 Versen seines Lehrgedichts nur 3 Beispiele (fr. VII 4 Baehr. hac est,
153 ex se, 429 prae se), d. h. auf 100 Verse 0,3. Die Neoteriker
gingen noch weiter: Catull hat in den 408 Versen des Epyllions kein
Beispiel hierfür. Vergil vermittelt auch hier zwischen der zu großen
Freiheit der archaischen und der zu starken Manier der modernen Epoche.
In den Bucolica hat er 4 Beispiele (5, 83 nee quae 6, 9 si quis 7, 35
ai tu 9, 48 et quo), d. h. auf 100 Verse 0,5; in den Georgica 13
(I 314 et cum 370 et cum II 49 si quis 103 quae sunt 539 nee dum
in 133 et cum 358 nee cum 428 et dum 474 si quis 484 in se IV 6 si
quem 71 et vox 84 aut hos), d. h. auf 100 Verse 0,6; in der Aeneis 32
(I 77 fas est 181 si quem 603 si quid II 163 ex quo 217 et iam
III 151 qua se 695 qui nunc IV 224 qui nunc V 372 qui se 713 et
quos VI 117 nee te 465 hoc est VII 310 non sunt 643 iam tum 708
et gern 790 iam hos VIII 400 mens est IX 491 de te X 9 aut hos
231 ui nos XI 3 mens est 16 hie est 164 nee quas 170 et quam [adv.]
429 et quos XII 48 pro me 231 hi sunt 360 qui me 526 nunc nunc
565 hac stat, mit Synaloephe IX 57 atque huc 440 atqiie hinc), d. h. auf
100 Verse 0,3. Überall sind die beiden Worte durch den Satzaccent
mehr oder weniger eng verbunden; viele sind nachweislich, andere ver-
mutlich aus Ennius-Lucrez übernommen (s. oben unter 2).
2) Bei vorhergehendem mehrsilbigen Wort. Während Ennius gegen-
über dieser Härte so gleichgültig ist, daß er unter 100 Versen 6 so
schließt, hat Lucrez unter 100 nur mehr 2,5, Cicero unter 100 nur
mehr 1, nämlich: fr. XXX Baehr. simul pes 57 equi vis 64 = 189 curri-
culo nox 264 curriculum sol 475 signipotens nox; bezeichnend ist, daß
vis, nox, sol als schließende Monosyllaba mit dieser Betonung auch bei
Ennius überliefert sind, pes bei Ennius-Lucrez (in 96. 653),^)^ d. h. also:
die sechs Beispiele Ciceros sind als Zitate anzusehen. Galt ihm mithin
dieser Versschluß schon für unschön, so waren die Neoteriker noch
empfindlicher: Catull hat im Epyllion (408 Verse) nur mehr ein Bei-
spiel: 315 opus dens. Vergil hat in den Bucol. 2 Schlüsse dieser Art,
in den Georg. 6, in der Aeneis 39^), d. h. auf 100 Verse 0,4: er hält
also wieder die Mitte zwischen den Extremen. Die Beispiele sind wahr-
scheinlich sämtlich entweder Zitate aus archaischer Poesie oder dienen
malerischen Zwecken: s. oben unter 2 und 3.
1) Daß aus Übereinstimmung von Lucrez mit Cicero auf Ennius zu schließen
ist, ist 0. S. 364 bemerkt worden, an der zweiten Stelle des Lucrez ist auch
der Gedanke ennianisch (a. 462 f.).
2) Nicht mitgezählt ist a. IX 260 fidesque est (Aphaeresis).
X.
Irrationale Längungen (zu VI 234).
Die bei Ennius und Vergil^) häufige Erscheinung, daß eine kon-
sonantisch auslautende kurze Silbe vor Vokal und (seltener)^) eine
vokalisch auslautende Silbe vor einfacher Konsonanz oder muta -|- liquida
gelängt wird, ist oft behandelt, z, B. von Ph. Wagner, Quaest. Virgil. XII
(im Anhang von Heynes Ausgabe TV^ 422 flf.), am besten von H. Nettle-
ship im Anhang von Coningtons Ausgabe III^ (London 1884) 486 ff.
Doch muß die ganze Frage in engste Beziehung zur Technik des epischen
Verses der Griechen gesetzt werden, über die nach W. v. Hartel, Homer.
Studien I^ Berlin 1873 eingehend von A. Rzach in den Sitzungsber. d.
Wiener Akad. C (1882) 346ff. gehandelt worden ist. Bei Homer (und
Hesiod) werden drei Fälle unterschieden. 1) Als Längen erscheinen
solche Vokale, die erst später gekürzt wurden; hier handelt es sich also
nur scheinbar, vom Standpunkt der späteren Praxis, um eine Irratio-
nalität. Z. B. 0 305 f) ttÄtiölc em vfjac 'Axaiujv (Arsis^ A 305 n\r]-
6uv ujc (Thesis), M 218 öpvic nXGe, £ 503 bd|uäp 'AXeyTivopibao.
2) Längungen durch folgenden Spiranten, von denen das Gleiche gilt,
z. B. i 360 u)C qpdi', didp oi 346 ^xöjv )ae\avoc oTvoio I 155 Seöv
(juc Ti|Lir|(T0UCJiv. 3) Längungen durch die Kraft des Versiktus (meist bei
deutlicher Caesur, oft unterstützt durch Interpunktion, und am liebsten
in metrisch nicht sehr bequemen Worten), z. B. A 153 beOpo inaxeffCTÖ-
inevoc, £7161 Ti 298 töv b' am' 'AXkivooc dTra)iieißeTO H 416 IbaToc
ö be Z 168 Kpußba Aiöc dWuuv; A 491 oöie ttot' ec Trö\e)nov, dXXd
B 24 Ol» XP^ Travvuxiov eubeiv; 6 287 fiinßpoxec oub' exuxec, didp
r 40 aiö'öqpeXec dtovoc; B 228 TrpiuTiaTUJ bibo^ev, euxe 0 283 eicTax'
T^ev ec Afijuvov. Bei Ennius kommen von diesen drei Gruppen die
erste imd die dritte in Betracht, und zwar die erste in Fällen wie
ann. 117 o pater o gcnitor, o sanguen dis oriv/ndum 520 clämör in;
83 solus avem servat, at 314 rumor es ponebät ante; die dritte, aus Nach-
1) Horaz hat in den Satiren 8 Beispiele (aber keines mehr in den Episteln),
vergl. Kießling* p. XIX; daraus ist vermutungsweise zu schließen, daß Lucilius
die ennianische Praxis übernahm, um so mehr als eins dieser Beispiele an
einer dem Lucilius nachgebildeten Stelle sich findet (11 2, 57).
2) Dieser Fall ist für Ennius direkt allerdings nicht überliefert; da er sich
aber in eüiem Fragment der Aimalen des Accius findet (bei Festus 146 = 2 FPR
Baehrens): Colones famulique metallique caculaeqm, so dürfen wir daraus ver-
mutungsweise auf den Vorgang des Ennius schließen: vergl. Serv. zu aen.
IV 404 it nigrum campis agmenj hemistichium Ennü de elephantis dictum, qtiod
ante (sc. Vergilium) Accius est tmis de Indis, und den Kommentar zu 743.
440 ANHANG X.
ahmung Homers zu erklären, in Fällen wie ann. 34 iamque cxspedabat
populus, atque und wahrsclieinlicli auch 286 iamque fere pulvis ad (wenn
pulvis nicht vielmehr eine Analogiebildung nach sanguls ist). Vergil
muß taxiert werden wie die jüngeren griechischen Epiker. Diese
hatten weder Bewußtsein einer ursprünglichen Länge, noch eines ver-
lorenen Spiranten, also sind bei ihnen Beispiele der ersten und zweiten
Gruppe nur mehr als formelhafte Reminiszenzen aufzufassen. Diese
Reminiszenzen können sein a) genaue, insofern die Längung dasselbe
Wort triflPt wie in dem homerischen Vorbild, z. B. Arat 387 ixöuc eic
nach et) 127 ixö'JC 8c, Antimachos, Theb. fr. XIX cpepeiv )iie\avoc oivoio
nach i 346 exuuv |ueXavoc oivoio, oder b) partielle, insofern die Längung
auf analoge Worte übertragen wird, z. B. Kallimachos h. 4, 263 ßaöuc
MvuJTTÖc nach N 705 ttoXuc dvaKTiKiei, h. 4, 238 dqpvibiov eiroc emr]
nach K 461 eux6)uevoc cttoc r|uba. Mithin fallen für diese jüngeren Epiker
die erste und die zweite Gruppe mit der dritten zusammen, die als die
einzige bestehen bleibt. Analog verhält es sich bei Vergil. Wenn er
z. B. sagt g. III 118 aequus uterque Idbor, aeque a. XI 323 considant, si
tantus amor, et oder V 853 nusquam amittebat^ oculosque XII 772 Mc
Jiasta Äeneae stabat, huc, so sind das für ihn keine Längen mehr wie
noch für Ennius, sondern für ihn fällt die erste und dritte Gruppe, die
Ennius noch mit Bewußtsein zu scheiden vermochte, in die dritte zu-
sammen. In der Anwendung dieser Freiheit geht er viel weiter als
Ennius, genau so wie die jüngeren griechischen Epiker sich nicht scheuten,
über Homer hinauszugehen; also schreibt er nicht bloß z. B. I 478 pul-
vis inscribiiur wie Ennius 1. c. pulvis ad caelum, sondern auch XII 68
si quis ebur, aut V 284 olU serva datur operum III 112 Idaeumque
nemus Mc IV 64 peetoribus inhians. Und zwar hat er in Versen mit
dieser Lizenz sicher griechische Technik gesehen. Das beweist 1) die
Praxis schon des Ennius, der, wie bemerkt, die Berechtigung für die
Beispiele der dritten Gruppe aus Homer ableitete, 2) die Praxis CatuUs,
der nur in Versschlüssen nach griechischer Technik (s. o. S. 42 7 f.) längt,
z. B. 64, 20 despexit Jiymenaeos 66, 11 aucius hymenaeo, 3) einzelne
Fälle der Praxis Vergils selbst, nämlich a) wie Catull in der fünften
Arsis eines Versschlusses nach griechischer Technik, und zwar a) in
griechischen Worten, z. B. b. 6, 53 fultus Jiyacintho a. VII 398 canit
hymenaeos, ß) übertragen auf ein lateinisches Wort: g. II 5 gravidus
autumno; b) in der vierten Arsis eines solchen Versschlusses nur an
einer wahrscheinlich späten Stelle: a. HI 464 dona dehi/nc auro gravia
sectoque elephanto; c) in Versschlüssen mit -que -que, die vermutlich schon
Ennius einführte (vergl. den Kommentar zu VI 33) nach xe — re (B 495
'ApKCdiXaöc xe TTpoGorivujp re KXövioc xe), und zwar a) in griechischen
Worten vor muta c. liquida, z. B. a. IX 767 Noemonaque Prytanimque
IV 146 Cretesque Dryopesque, sowie vor einfacher Konsananz nur in dem
späten Buch XII 363 Chlor eaque Sybarimque, ß) übertragen auf latei-
nische Worte vor muta c. liquida, z. B. b. 4, 51 terrasque tradusque
g. I 352 actusque pluviasque a. VII 186 spiculaque dipeique, sowie vor
einfacher Konsonanz nur an einer wahrscheinlich späten Stelle a. HI 91
liminaque laurusque; d) a) in einem Vers mit homerischer |Ui)Liricric
a. V 337 emicat Euryalus et nach 0 140 xöv b'aux' €up\jaXoc arra-
IRRATIONALE LÄNGUNGEN. 441
liCißCTO, ß) übertragen auf ein lateinisches Wort, aber in griecMschem
Zusammenhang: a. III 112 Idaeumque nemus hinc; e) in dem Vers
VI 234 pingue super oleum fundens ardentibus extis,
wo super nach dem Muster des von" Vergil vermutlich als irrationale
Länge aufgefaßten homerischen iiTreip (in der Verbindung uireip ä\a)
stehen wird, zumal auch die Tmesis super — fundens griechisches Kolorit
hat. — Je mehr sich nach Vergil der lateinische Hexameter von dem
griechischen und dem nach homerischem Muster geformten ennianischen
emanzipierte, um so mehr trat die Lizenz zurück, um schließlich ganz zu
verschwinden. Schon Ovid hat sie nicht bloß quantitativ, sondern auch
qualitativ sekr eingeschränkt, insofern er sie mit einer Ausnahme in dem
letzten, wahrscheinlich am wenigsten durchkorrigierten Buch der Meta-
morphosen (XV 217 spesque honiinum primae matris habitavimus cUvo)
auf die Penthemimeres vor et und aut beschränkt, vergl. Haupt-Ehwald
zu mi84. XV 217.1)
1) Zu dem Vers aen. V 467 'cede deo'. — dixitque et proelia voce diremit
bemerkt Servius richtig: vacat 'que'' metri causa, et maluit perissologiam facere
quam uti communi syllaba, quae frequens vitiosa est: unde et Terentianus
(v. 1010) 'nee tanta in metris venia eonceditur uti' : Crtaeci enim his utunttM"
frequenter.
XI.
Bemerkenswerte Synaloephen in VI.
Neben Caesuren, über die oben S. 415 ff. einiges ausgeführt ist, sind
die Synaloephen wichtige Merksteine in der Geschichte des lateinischen
Hexameters. Da mir die Berücksichtigimg auch solcher Kleinigkeiten
für die Vollständigkeit der Interpretation eines Dichters, der auf die
Form so großes Gewicht legte wie Vergil, nötig erschien, so habe ich
seine Praxis dm-ch eine Sammlung der bei ihm vorkommenden Synaloephen
festgestellt;^) denn nur an der Regel sind die Ausnahmen zu messen,
und nur die letzteren haben für uns Interesse; für besonders bemerkens-
werte Fälle habe ich zum Vergleich auch die Epiker vor Vergil geprüft.
Es ist möglich und sogar wahrscheinlich, daß ich bei der gewaltigen
Anzahl von Synaloephen Vergils und der Epiker vor ihm einzelnes über-
sehen habe; doch werden dadurch die folgenden Aufstellungen kaum
wesentlich berührt worden sein.
1. Die Synaloephen nach ihrer Stellung im Vers.
1. Erster Fuß, dritte Silbe:
852 haec tibi erunt artes.
Einziges Beispiel dieses Buchs, wo das in Synaloephe stehende Wort
dieses Fußes ein zweisilbiges ist (sonst nur 135 Tartara et 240 tendere
iter 516 Pergama et 595 cernere erat 755 pascere equos 855 aspice ut).
Vergil erlaubt sich das meist nur, wie hier, bei eng verbundenen Worten,
nämlich bei neque (6 mal), age (8 mal, z. B. quin age et, immo age et,
vade age et etc.), quoque (2 mal), quidem (b. 9,37 id quideni ago), uhi
(g. II 353 Jioc uhi hiulca IV 49 aut uhi odor), tibi (noch g. 11 118.
a. V 483. VIII 475); ferner a. IV 539 et bene apud memores veteris stat
gratia facti (bene — facti). Isoliert stehen in späten Büchern: X 292
sed mare inoffensum XI 590 haec cape et. Die ungefällige Synaloephe
unseres Verses behält aus Vergil Martial XIV 21 bei (Birt bei Friedländer
I 36), der außerdem nur noch curre age et (VIII 67, 5) hat, also bei
dem Wort, bei dem auch Vergil die Freiheit sich am öftesten nimmt.
2. Zweiter Fuß, dritte Silbe:
776 haec tum nomina erunt, nunc swnt sine nomine terrae.
1) Eine trefFliche Vorarbeit für die Georgica: Schaper, Progr. Insterburg
1863 (p. 7) und Berlin (Joachimsth. Gynm.) 1873; über Synaloephe von -ae:
Leo, Plaut. Forsch. (Berlm 1895) 329 f.
BEMERKENSWERTE SYNALOEPHEN. 443
Synaloephe in einem daktylischen Wort dieses Fußes nur noch
X 514 ardens limitem agit (militärischer Ausdruck, also möglicherweise
ennianisch). Im vorliegenden Vers ist die Seltenheit durch die rhetorische
Antithese bedingt; so haben auch Kallimachos und Tibull die Strenge
ihrer Technik gelegentlich einer rhetorischen Figur geopfert (Kaibel,
Commentat. Mommsen. 327 f., W. Meyer, Sitzungsber. d. Münch. Akad.
1884, 1032).
3. Zwischen dem zweiten und dritten Fuß:
II 575 praemetuens Troiae et (zu Seite 255).
Synaloephe eines spondeischen Worts an dieser Stelle ist bei Vergil
nicht häufig: im Durchschnitt einmal in 89 Versen. Aber in der inter-
polierten Helena-Episode des 11. Buchs findet sie sich dreimal in 15 Versen,
nämlich außer in dem angeführten noch 580 Iliadum turhä et, 587 ultrids
flammae et. — Hier sei gleichzeitig noch auf folgendes Kriterium für
die Unechtheit dieser Episode hingewiesen: 584 femineä in poenä est.
In dieser Versstelle findet sich Enklisis von est an ä außer g. I 83 nee
nulla interea est wohl nur hier (dagegen hat Vergil sie an ä 16 mal).
Vergl. unten bei 2B 3.
4. Dritter Fuß, dritte Silbe:
707 ac velut in pratis ubi apes aestate serena
717 has equidem memorare tibi atque ostendere coram.
Seltne^^ynaloephen und fast nur in engen Verbindungen, nämlich:
neque lO'mal (darunter 6 mal neque enim, worüber vergl. unter 5) ; b. 6, 6
tibi eriint a. VIII 84 tibi enim; X 467 breve et; g. IV 270 gt-ave olentia
(darüber unter 5); nur VHI 364 (aude hospes) contemnere opes, wohl
entlehnt.
5. Vierter Fuß, dritte Silbe:
a) 52 Tros ait Äenea cessas neque enim ante dehiscent
201 inde ubi venere ad fauces grave olentis Averni.
Synaloephe eines zweisilbigen Worts an dieser Stelle ist überhaupt
selten, und findet sich fast nur bei eng verbundenen Worten, nämlich:
neque ab HI 447 quoque et g. I 469 tibi et a. H 605 mare et HI 290
VII 25. 529; videar tibi amarior b. 7, 41 a. VI 509 tibi amice; rape in
om/nia tecum H 675; bene olentis anethi b. 2, 48 (über ita s. bei b). —
Nur in dem ersten Beispiel unseres Buchs folgt auf eine elidierte Silbe
(in neque) ein Wort (enim), das auch seinerseits wieder in Synaloephe
steht. Das ist nur möglich, weil neque enim fast als Einheit gefaßt
wird (vergl. das o. S. 129. 394 über sed mim Bemerkte); daher läßt auch
Horaz in einem Gedicht, dessen Hexameter er ohne Synaloephe baut
(rV 7), neque enim zu (25) und ebenso läßt Lucan, der in der Synaloephe
zweier Kürzen (außer im 1. Fuß) sehr zurückhaltend ist, neque enim
überall zu (E. Trampe, De L. arte metr., Berlin 1884, 21), und analog
Claudian (Birts Proleg. CCXVI). — Ebenso wurden, wie im Kommentar
bemerkt ist, grave olens und bene olens als Einheiten gefühlt; vergl. das
soeben unter 4 Bemerkte.
b) 836 nie triumphata Capitolia ad alta Corintho.
Synaloephe eines auf -ä auslautenden Wortes im vierten Daktylus
findet sich nur noch a. 11 550 altaria ad ipsa VH 347 praecordia ad
intuma X 459 magnumque ita ad aetJiera fatur XI 556 librans ita ad
444 ANHANG XI.
aethera fatur, VII 113 penuria adegit edendi, also stets vor ad und in
Verbindungen, die großenteils archaisches Kolorit haben. ^)
6. Zwischen dem vierten und fünften Fuß:
622 imposuit fixit leg es pretio atque refixit
Die durch Macrobius bezeugte Herübemahme des Verses aus Varius
findet auch in der irregulären Synaloephe der Länge eines anapästischen
Worts vor der fünften Arsis ihren Ausdruck. Vergil hat sie in buc.
und georg. gar nicht, in der Aeneis nur noch an drei, wahrscheinlich
ebenfalls älterer Poesie entlehnten Stellen: II 658 pairio excidit ore (wohl
ennianisch: s. den Kommentar zu 686), IV 420 miserae hoc tarnen unum
(wo sich die ungewöhnliche Synaloephe mit irregulärer Büdung des Vers-
schlusses [s, 0. S. 436f.] verbindet, Entlehnung also um so wahrscheinlicher
ist), VIII 96 secant placido aequore Silvas (aequore an gleicher Stelle
Ennius a. 602, s. zu 729; placidum Epitheton von mare derselbe 377;
über secare s. z. 899). Vor Vergil ist die ungefällige Synaloephe über-
liefert: bei Lucilius 5 mal (51. 288. 295. 392. 900), Lucrez 5 mal (I 180.
813. ni499. IV 483), Cicero 2 mal (Arat. fr. X 1 Baehr., 311), Catull
Imal (81, 1), Dirae [d. h. nach den Bucolica und vor den Georgica]
2 mal (4. 5).
7. Fünfter Fuß, zweite Silbe:
11 antrum immane petitj magnam cul mentem animumque.
Die Synaloephe von Vocal -|- m an dieser Versstelle ist für Vergil
singulär. Er elidiert an dieser Stelle überhaupt nur ungern, und zwar
sonst nur -e (20 mal; so VI 445 maestamque Eriphylen) und einmal
sehr auffällig -ö; g. I 63 ergo age terrae (durch engen Zusammenschluß
der Worte gemildert). Daß die Phrase mentem animumque aus älterer
Poesie von Vergil herübergenommen wurde, ist im Kommentar bewiesen
worden.
8. Fünfter Fuß, dritte Silbe :2)
115 quin ut te supplex peterem et tua limina adirem
64 dique deaeque omnes quibus obstitit Ilium et ingens.
Während Vergil -e an dieser Stelle oft elidiert (99 mal), ist er mit der
Elision von -ä zurückhaltend: in den Buc. Imal^), Georg. Imal,*) Aen.
15 — 17mal (IV 322. 645. V 428. 804. 846. VI 115. 534. IX 131. 601.
737. 782. X 161. 424. 460. XI 154; kritisch nicht ganz sicher VII 570.
XII 741). Eine besondere Bewandtnis hat es mit der Synaloephe von
-um. Aji dieser Versstelle findet sie sich in Uium et noch zweimal (a.
II 325. III 109), sonst nur I 599 omnium egenos, d. h. in einer enni-
anischen Floskel (s. o. S. 365). Im ersten Fuß Uium et II 625. III 3,
Ilium in I 68; ein daktylisches Wort auf -um nur noch a. 11 667 alterum
1) Der letzte der angeführten Verse VII 113 exiguam in Cererem penuria
adegit edendi ist auch in seiner Struktur ungewöhnlich: zwei weibliche Neben-
caesuren mit Synaloephe im vierten Fuß nach Cavallin 1. c. (zu 140) 26 nur
noch n 102 quidve moror, si omnis uno ordine Jiabetis Achivi VIII 656 porti-
cibus Gallos in limine adesse canebat.
2) Vergl G. Eskuche, Rh. M. XLV (1890) 249 f. 402.
3) b. 7, 14 Phyllida habebam, wo er in dem griechischen Namen Syna-
loephe nach griechischer Art zuließ, wie aen. X 424 Imaona Halaesus.
4) g. in 486 saepe in Jionore deum medio statis hostia ad aram, also in
sakralem Zusammenhang, der meist auf ältere Poesie weist.
BEMERKENSWERTE SYNALOEPHEN. 445
in aUerius . . . sanguine, also wieder einer Figur zuliebe. Im vierten
Fuß Ilium et 11 241. V 756; sonst kein Wort auf -um (überhaupt nur
noch fünf daktylische Worte in buc. und aen., sämtliche auf -e). Also
erlaubt er sich bei Ilium Synaloephen, die er sonst so gut wie völlig
meidet. Hieraus darf in Verbindung mit dem über neutrales Ilium im
Komm, zu 64 Bemerkten geschlossen werden, daß er die Freiheit auf
Grund archaischer Poesie zuließ, welche die Finessen der Synaloephen
noch nicht kannte.
9. Zwischen fünftem und sechstem Fuß:
725 lucentemque globum lAmae Titaniaque astra.
Unbeliebte Synaloephe.'^) Sehen wir von neque ab (s. u.), so finden sich
an dieser SteUe elidiert: que 14mal (g. III 105. 349. 484. a. I 177. 569.
m 111. V 82. 137. 817. VI 725. VII 648. 696. VHI 249. IX 579,
darunter sechsmal mit Eigennamen wie in unserm Vers); sine ullis
g. ni 274. 342, sine idu a. II 544, ibi omnis g. IV 491, a. IX 351 ibi
ignem, I 99 nbi ingens; singulär: a. m 111 intremere omnem, X 508 eadem
aufert, XII 26 animo Jiauri (alle drei mit archaischem Kolorit).
Neque vor Vokalen ist an dieser VerssteUe in allen Hss. über-
liefert: vor a: g. I 347, vor i: g. I 95. H 138. 293. 420. 498. IH 239.
IV 37. 398. 500. a. X 32. 757, in den besseren: vor a: b. 5, 25 {neque
amnem P^E, nee P^), vor i: a. 11 491 (neque ipsi M, nee PV) IX 129
(neque ignes FMP, nee R), vor h: g. DI 216 (neque Jierbae MR, nee APY
Vor au herrscht Schwanken: a. VI 733 (neque auras FMP, nee R),
XI 228 (neque aurum MP, nee R), IX 428 (nee ausus MP, neque R),
aber XI 801 alle (MPR) nee aurae. Dagegen ist vor u besser über-
liefert nee, nämlich einstimmig: a. D 432 (MP) 467 (FMP) XH 207
(MPR), besser IV 529 (nee umquam M^P^ gegen nequ^ M^P^) VI 869 (nee
ultra MR gegen neque FP), nur g. DI 352 ist das Verhältnis umgekehrt
(nee ullac R gegen neque MPV). Hiernach ist wahrscheinlich, daß wir
in unserm Buch 869 nee ultra nicht bloß (was selbstverständlich) zu
sprechen, sondern auch (mit Heinsius) zu schreiben haben. Vergl. auch
Wagner, Quaest. Virg. (in Heynes Verg.) p. 531, Eskuche 1. c. 237 und
denselben in Friedländers luvenal p. 59.
2. Besondere Arten von Sjmaloeplien.
A. Einsilbige Worte:
629 sed iam age
900 timi se ad
38 num: grege de intacto
365 eripe me Jiis
385 navita quos iam inde ut
770 egregius si umquam
389 fare age quid venias iam istinc
262 tantum e ff ata furens antro se immisit
466 quem fugio extrmium fato quod te adloquor.
1) Vergl. Eskuche 1. c. 385 f. 409.
446
ANHANG IX.
Synaloephe von Monosyllaba ist überhaupt unbeliebt (etwa mit Aus-
nahme von me, te, se). Die Praxis Vergils und der hexametrisch-penta-
metrischen Poesie vor ihm^) ist aus folgenden Tabellen zu ersehen.^)
a)
Art der M
onosyll
iba in Syna
loe
phe
o
o
Vei
1
•gil
1 3
m
d
in
o
0
o
u
O
O
U
O
'S
cä
O
Q
cä"
«f-l
H
-TS
ora
z
•iH
Fragmente
me
6
1
28
13
1
2
8
5
6
U
2
20
1
5
2
4
5
16
3
se
6
25
8
3
12
7
5
Lutat. Cat. 1
tu
3
1
3
5
3
5
2
mi
1
1
2
6
Val. Aedit. 1, 2
Baehr.
si
3
1
7
3
6
15
2
9
tarn
2
4
sum
1
1
1
1
1
1
2
tarn
1
3
18
1
2
4
1
Cinna p. 3, 3
Baehr.
cum (conj.)
5
5
10
16
6
7
cum (praep.)
1
3
2
1
2
tum
1
2
1
1
3
3
dum
1
1
1
1
5
4
qui
1
3
2
3
8
4
3
1
quae
2
2
1
1
8
1
1
Tullius Laurea
p. 316, 6 Baehr.
quem
2
3
1
quam (pron.)
1
1
quo
1
1
1
nam
1
2
4
num
1
3
quam (adv.)
1
3
ne
2
2
3
3
Lutat. Cat. 3
ni
1
Varro sat. 127
de
1
rem
4
3
re
1
1
1
vim
1
vi
1
di
1
b) Zahl der Monosyllaba in Synaloephe im Durchschnitt
auf 100 Verse.
Vergil buc.
2,7
Lucilius^)
7,4
georg.
0, 8
Cicero^)
1,1
aen.
1,3
Lucrez
1,1
Ennius^)
0,8
Catull
4,8
1) Horaz ist ganz gezählt worden.
2) Konjekturen und sonst Unsicheres sind nicht mitgezählt, ebenso nicht
die durch Enklisis verbundenen Partikeln wie quodsi, necdum u. ä.
3) ca. 500 Verse. 4) ca. 1000 Verse. 6) ca. 750 Verse.
BEMERKENSWERTE SYNALOEPHEN. 447
Dirae, Lydia 0 Horaz Sat. 3, 9
Horaz Od., Epod. 0 Epist. 0, 6.
Also ist Vergils Praxis in den Georgica am strengsten, in den Bucolica
(wo er noch stark unter Catulls Einfluß steht) am freisten, während er
in der Aeneis die Mitte zwischen beiden Extremen hält, ein für die
Technik der drei Gedichte überhaupt typisches Verhältnis. — Nur an
einer Stelle der Bucolica hat er die besonders ungraziöse Synaloephe
des Monosy Ilabon am Versanfang: 3, 48 (eins der frühsten Gedichte)
si ad vitulam spectas: dies hat Ennius Imal (198), Lucilius 2mal (236.
256), Lucrez Imal (IV 1204), Cinna Imal (fr. 3, 3 Baehr.), Catull 6 mal
(64, 305. 350. 65, 22. 67, 30. 68, 14. 86, 6),^) Horaz 9mal, darunter
7mal im ersten Satirenbuch (l, 52. 56. 2, 96. 3, 27. 120. 6, 27. 9, 6),
2 mal im zweiten (3, 61. 189). — Bemerkenswert ist grade im VI. Buch
der Aeneis 38 grege de intado, ganz singulär, denn Lucilius 435 ac de
isto und Lucrez m 853 de Ulis sind kritisch nicht ganz sicher, wenn
auch wahrscheinlich; wir werden dies eher als Synizese zu bezeichnen
haben (vergl. deinde), die Vergil dann möglicherweise, wie andere Syni-
zesen (Komm, zu 33), nach Ennius' Vorgang zugelassen haben könnte. —
Endlich ist bemerkenswert VI 389 iam istinc^ denn iam steht bei Vergil
unter 22 Synaloephen sonst nie vor einem "Wort der Form ; daher
ist wahrscheinlich Apokope des i anzunehmen, vergl. den Kommentar.
B. Einzelne Vokale:
1. i + m:
770 egregim si umquam.
Seltene Synaloephe (vergl. Lehrs, Q. Horatius Elaccus, Leipz. 1869, p. CG);
nur noch b. 7, 27 si ultra 8, 41 vidi ut a. 11 96 promisi ultorem V 264
conixi umeris IX 683 Butuli ut XII 711 Uli ut.
2. ä + ä:
576 quinquaginta atris.
Synaloephe von ä mit naturlangem ä nur noch XI 866 dominä amissa
XII 236 patriä amissa. Über den malerischen Charakter unseres Verses
vergl. den Kommentar.
3. Vokal nach Diphthong -\- Vokal:
714 Lethaei ad fluminis u/ndam
mit Synnloephe eines langen Vokals nach Diphthong gegen den von
Lachmaim z. Lucr. 162 f. festgestellten Brauch; außerdem noch m 226
harpyae et magnis IV 179 Coeo Enceladoque IX 672 Idaeo Alcanore,
sowie viermal in obliquen Casus von Troia (X 214 Troiae et campos
V 626 Troiae excidium VTI 244 Troiä ex I 375 Troiä antiqua, letzteres
mit Catull 68, 99). Sjmaloephe eines kurzen Vokals nach Diphthong
(Lachmann 1. c. 163 f.) hat Vergil nur zweimal: g. IV 463 PoMgaea et
Bhesi a. IV 312 Troiä antiqua (mit Aphaeresis am Versschluß Troia est
n 703 IX 247, an ersterer Stelle in den Veroneser Blättern Troiast ge-
1) Über die Praxis Catulls in den nichthexametrischen Gedichten, sowie
die des Phaedrus und Seneca (trag.) s. L. Havet in seiner Ausgabe des Phaedrus
(Paris 1895) 194 f.
448 ANHANG XI.
schrieben). Charakteristisch ist, daß beide Arten dieser seltnen Synaloephe
in der interpolierten Stelle des II. Buchs innerhalb von 9 Versen je ein-
mal vorkommen: 573 Troiae et patriae 581 Troia arserit.
4. Lange Vokale oder Diphthonge vor kurzen Vokalen.
145 ergo alte vestiga oculis
210 corripit Aeneas extemplo avidusque
344 hoc uno responso animum
384 ergo iter
848 credo equidem.
Daß diese Art der Synaloephe unbeliebt sei, hat M. Haupt, Observ.
Grit. 16 ff. (= opusc. I 88 ff.) bemerkt (vergl. Lachmanns Zustimmung: zu
Lucr. I 1091), F. Lorey, De vocalibus irrationaliter enuntiandis (Diss.
Göttingen 1864) 77 ff. genauer ausgeführt (unbrauchbar L. Müller, De re
metr.^ 343 f.), aber seine Sammlung ist für Vergil nicht ganz vollständig
und die Beurteilung der Fälle oft unrichtig. In der Tat ist es aber
nicht leicht, die überlieferten Fälle dieser Synaloephe zu erklären, bevor
das Material für die gesamte Poesie vereinigt und gesichtet ist; dadurch
wird sich dann voraussichtlich auch meine Beurteilung in Einzelheiten
modifizieren. Soviel ich bis jetzt sehe, lassen sich die aus Vergil über-
lieferten Beispiele in vier Gruppen einteilen: a) Der schließende lange
Vokal des ersten Worts ist ein -o, dessen Quantität schon in der
augusteischen Zeit schwankend zu werden anfing;^) b) Die beiden Worte
sind durch Enklisis oder Proklisis nahe verbunden; c) Der Vokal im
Innern des zweiten Woiies ist so beschaffen, daß durch seine besondere
Aussprache die Kürze des Anfangsvokals dieses Wortes zu einer Länge
wird; d) Ausnahmen.
a)
1. buc. 3, 84 Polio amat I^) aen. V 380 ergo alacris I
3, 88 Polio amat II III 132 ergo avidus I
3, 86 Polio et ipse I IX 661 ergo avidum 1
4, 12 Polio et incipient I VIII 382 ergo eadem I
2. aen. I 391 nuntio et in I georg. I 63 ergo age V
XI 503 audeo et Äeneadum I aen. II 707 ergo age I
X 904 scio acerba IV III 114 ergo agite I
3. aen. VI 384 ergo iter 1 V 58 ergo agite I
Vn 467 ergo iter 1 IX 107 ergo aderat I
Vin 90 ergo iter I georg. IV 77 ergo ubi I
georg. ni 100 ergo animos III aen. III 238 ergo ubi I
aen. HI 250 ergo animis II IV 474 ergo ubi I
X 104 ergo a/nimis II 4. aen. IV 315 quando aliud I
georg. IV 139 ergo apibus I IX 497 quando aliter I
buc. 5, 58 ergo alacris I VIII 602 aliqua/ndo habuere IV
Hieraus scheint sich zu ergeben, daß der Verwittenmgsprozeß des
-0 in ergo in frühaugusteischer Zeit schon weit genug vorgeschritten
1) P. Maaß, Arch. f. Lex. XII 1902, 513. 1 hat beobachtet, daß Vergil, um
die ins Schwanken geratene Quantität des -o in Verben zu verhüllen, die betr.
Formen gern in Synaloephe oder an den Versschluß stellt.
2) Die römischen Ziffern zeigen den betreffenden Versfuß an.
BEMERKENSWERTE SYNALOEPHEN.
449
b)
1. aen. 11 704 cedo equidem I
Xn 818 cedo equidem TL
3.
buc.
ni 315 vivo equidem I
aen.
IV 12 credo equidem I
VI 848 credo equidem I
IV 382 spero equidem 1
buc.
georg. I 193 vidi equidem 11
aen.
buc. 9, 7 certe equidem I
2. aen. I 753 immo age I
4.
aen.
IV 569 heia age I
Vn 429 quare age I
5.
aen.
georg. n 35 quare agite I
aen. I 627 quare agite 1
vn 130 quare agite I
6.
aen.
war, um die Sjmaloephe mit folg. Kürze für Vergil zu gestatten; denn
wenngleich einzelne Beispiele auch unter eine der Gruppen b) oder c)
fallen können, so bleiben doch mehrere übrig, bei denen das unmöglich
ist (ergo iter, ergo apibus, ergo alacris, ergo aderat). Dasselbe gilt auch
für quando, denn wenn man quando aliud auch zu Gruppe c) rechnen
könnte (quando aljud), so geht das doch weder bei quando aliter noch
bei aliquando hdbuere.
Vm 273 quare agüe^) I
7, 41 immo ego I
IX 257 immo ego 1
XI 160 contra ego I
m 623 vidi egomet I
2, 71 tu aliquid I
n 81 fando aliquod I
XI 256 mitto ea I
IX 98 immo ubi I
XI 459 immo ait I
IV 96 me adeo I
XI 369 si adeo H
xn 548 totae adeo I
xn 839 supra homines I
Im letzten Beispiel hat das Streben nach Parallelismus die Lizenz
hervorgerufen: supra homines, supra ire deos pietate videbis. — Die
enklitische Natur von ego war so stark, daß unter den zwei Beispielen,
die Tibull für diese Art der Synaloephe hat (Haupt 1. c. 21 bezw. 94),
das eine ist: vidi ego (I 2, 89). — In mitto ea ist die Synaloephe viel-
leicht nicht auf die enklitische Natur des Pronomens zurückzuführen,
sondern mitt(o) als Vorläufer von Properz' findo aufzufassen, wie oben
in Gruppe a) Polli(o) und erg(o) Vorläufer von Horaz' PoUid und ergo
sind. — Dasselbe gilt möglicherweise von fando aliquod, denn Ovid
(m. XV 497) hat fand(o) aliquem, was Haupt (1. c. 23 bezw. 96^ als
Übergangsstadium zu fando auffaßt.
c)
1. aen. n 333 ferri acies m
vn 796 Sarranae acies H
X 361 Troianae acies TD.
691 Tyrrhenae acies m
XI 632 inter se acies JH
862 laevä aciem I
xn 227 sese acies JH.
548 conversae acies
875 linquo a^ies H
2. georg. in 398 multi etiam I
aen, II 420 Uli etiam I
3. georg. IV 516 uUi animum in
aen.
m
II 73 conversi a/nimi TU.
451 instaurati animi U
741 respexi anim/umquelY
IV 54 impenso animum HL
VI 344 response animum HL
Vni 4 turbati animi TU
IX 127 uUro animos I
498 concussi animi HL
XI 291 ambo animis I
300 placati animi m
438 ibo animis I
451 turbati animi TU
1) Vergl. über die formelhafte Verbindung quare age (agite) die einzige,
in der Vergil das vulgäre quare braucht, M. Haupt, op. I 85.
Vbrgil Buch vi, von Xorden.
29
450 ANHANG XI.
Xn 439 te animo II 657 te oculos I
4. aen. VI 145 vestiga oculis III 5. aen. II 708 suhibo unieris II
XII 3 signari oculis TL V 264 conixi umeris HL
638 vidi oculos I 6. aen. VI 210 extemplo avidusquelY.
Daß acies mit Verdickung des i zweisilbig zu sprechen sei, hat schon
Wagner zu X 179 bemerkt; dasselbe gilt von etiam, mit dem Tibull die
zweite seiner Synaloephen dieser Art zugelassen hat: II 1, 41 Uli etiam.
Durch Synkope ('Schnellsprechformen', vergl. Osthoflf, Arch. f. lat. Lex.
1884, 464) erledigen sich die Formen von oculus (peius CIL X7756,
vergl. app. Probi GL. IV 198 =' Archiv f. Lex. XI 1900, 318); umerus:
vergl. uj)iiöc aus uijacTÖc, umbr. onse = in umero (so hat Vergil a. II 379
aspris) und avidus: vergl. audeo (Skutsch, Forsch, z. lat. Gramm, u.
Metrik I 44). Auffällig sind die 16 Formen von animus; dieses Wort
(nebst anima, animalia) steht auch bei Lucrez nach Lorey 1. c. 21 mal
in solcher Synaloephe und wird ebenfalls als 'Schnellsprechform' auf-
zufassen sein, als welche es in die romanischen Sprachen überging (prov.
anma, afr. cmme). Wenn Lucan nach E. Trampe, De L. arte metr.
(Diss. Berlin 1884) 20 kurzen Vokal + m vor einer Kürze im zweiten
Fuß nur mit folg. Synaloephen hat: luctantem animam, effugientem a.,
festinantem a., descendentem a., infcUcem a., so wird das also ebenfalls
aus der besonderen Aussprache dieses Wortes zu erklären sein. Die
Gebräuchlichkeit solcher synkopierten Formen in der urbanen Rede
augusteischer . Zeit ist durch die bekannte Tradition, daß Augustus calidus
statt caldus zu sprechen für affektiert hielt (Quintil. I 6, 19), gut genug
bezeugt, um ihre Spuren in der Metrik anerkennen zu dürfen (vergl.
puertia, surpite u. dergl. bei Horaz).
d)
1. georg. IV 471 commotae Erebi IH II 182 improvisi aderu/ntll
aen. I 650 Argivae Helenaelll III 452 inconsulii abeunt III
n 193 ultro Äsiam I IX 367 praemissi equites III
501 vidi Hecubam 1 X 692 u/ni odiis I
Vn 675 Centaurillomolenin. XI 6 SO pugnatori operit H
X 704 genitori Ämyco III I 332 ignari Jiominumque IV
xn 299 venienti Ebuso III 455 inier se operumque IV
2. georg. in 62 feturae habilis HI VII 361 primo aquilone IV
aen. IX 365 Messapi habilem ni
Die unter 1 aufgezählten Fälle scheinen durch die Eigennamen von
der Strenge der Regel eximiert zu sein; für die unter 2 vermag ich
keinen bestimmten Grund anzugeben, doch könnten sich einzelne durch
Synizese oder als Schnellsprechformen erklären lassen, wie Lorey 1. c. will.')
5, Synaloephe mit betontem Vokal.
Lachmann (zu Lucr. p. 196) hat bekanntlich festgestellt, daß iambische
Worte keine Synaloephe mit betontem Vokal zulassen. Daß diese Regel
zu eng gefaßt ist, insofern als auch pyrrhichische Worte diese Synaloephe
1) Das letzte Beispiel primo aquilone erklärt sich vielleicht aus der engen
"Verbindung, vergl. schon Haupt op. 1. c. 89 'habet (Lucretius) eam (elisionem)
in vocabulis arte inter se cohaerentibus: aequo animo, longe alio, longe alias,
magno opere.^
BEMERKENSWERTE SYNALOEPHEN. 451
nicht dulden, hat L. Havet in seiner Phaedrusausgabe (Paris 1895) 166 ff",
bemerkt. Seine unerhört scharfe Polemik gegen Lachmann ist aber um
so weniger berechtigt, weil auch er seinerseits irrt, wenn er das Gesetz
auf iambische und pyrrhichische Worte beschränkt glaubt, und weü die
iambischen Worte, wie die folgenden Listen zeigen werden, wenn auch
nicht qualitiv, so doch bei ihrem seltenen Vorkommen quantitativ eine
Sonderstellung neben anderen zweisilbigen einnehmen. Eine Prüfung
der Frage für die hexametrische Poesie bis Vergil^), ergab mir, daß die
Form des Wortes, das mit einem folgenden durch Synaloephe verbunden
ist, für diese Art der Synaloephe von keinem Einfluß ist, daß die Kegel
vielmehr so zu lauten hat: „Synaloephe mit einem in der zweiten,
dritten oder vierten Vershebung stehenden Vokal wird im
Hexameter möglichst gemieden, wenn dieser Vokal tontragend
ist, dagegen zugelassen, wenn dieser Vokal entweder nur ge-
ring betont oder überhaupt nicht betont ist." In den folgenden
Listen sind daktylische und spondeische Wörter des zweiten und dritten
Fußes nur in den Anmerkungen berücksichtigt worden, da sie im klassischen
Hexameter durch die Caesurengesetze überhaupt ausgeschlossen sind, ihr
Nichtvorkommen also für unsere Frage nichts beweisen würde; im vierten
Fuße dagegen, wo sie auch der klassische Hexameter duldete, sind sie
im Text berücksichtigt worden. Es gehen jedesmal voran die vergilischen
Beispiele; auf sie folgen diejenigen der Dichter bis auf Vergil. Unter
«) sind die einsilbigen (proklitischen) Worte verzeichnet, unter ß) die
dreisilbigen, die auf der zweiten Silbe den Ton tragen, unter y) die vier-
und mehrsilbigen, die auf der Antepaenultima den Ton tragen, unter (f)
die zweisilbigen, die zwar auf der ersten Silbe betont, aber durch Enklisis
mit dem vorhergehenden oder Proklisis mit dem folgenden Worte so eng
verbunden sind, daß sie den Ton an dieses abgeben; zu dieser Gruppe
werden auch diejenigen Fälle gerechnet, in denen das betreffende zwei-
silbige Wort auch seinerseits wieder mit dem folgenden Synaloephe hat,
also fast einsilbig wird. Den Schluß (e) bilden, vollzählig angeführt,
die etwaigen (scheinbaren und wirklichen) Ausnahmen, d. h. die zwei-
silbigen nicht durch Proklisis verbundenen, sowie die dreisilbigen Worte.
Wo nicht das Gegenteil bemerkt ist, sind nui- typische Beispiele für die
einzelnen Arten erlaubter Synaloephe angeführt. Der Versictus ist durch ',
die Wortbetonung durch " markiert.
a) In der zweiten Arsis.
y 20mal «) XI 410 te et tüa III 605 me in flüctus I 623 tempore
iam ex illo ß) X 812 te incaütum y) XI 717 te incblumem, IX 481 te
Eüryale aspicio.
wu 113 mal «) VI 689 tua et nötas 263 dticem haüd timidis
IV 159 aprum aüt fülvom IX 196 viam ad muros VII 776 uM in sUvis
g. IV 186 ubi e pästu IX 796 quidem höc cüpiens b. 8, 73 tibi hdec
prinmm 1, 20 ego hüic nöstrae ß) IV 134 ubi hibernam g. H 180 ubi
drgilla et y) HI 395 viam invenient H 780 tibi e'xUia et d) ant(e):
1) Die horazischen Sermonen habe ich für diese Frage nicht untersucht.
29*
452 ANHANG XI.
I 334 tibi ante äras (so noch II 40. 773. XI 416. 537), atq'u(e): 1 389
modo dtque hinc.
_ u 217mal «) VI 309 multa in silvis 896 falsa ad caäiim 406
ramum Mne äperit ß) VI 330 demum ädmissi III 567 spumam eltsam
et y) VI 706 circum innümerae XI 219 regnum 'Itäliae et 6) ante:
I 95: ante öra (so noch 5mal: H 663. IV 62. V 540. VQ 673. IX 593.).i)
u _ 20 mal (darunter 8 auf o wie amo ago dabo homo) «) et 13 mal
z. B. g. n 203 fere et presso in 71 veni et söbolem V 163 ama et laeva,
aut 2 mal: X 66 sequi dut hbstem XII 637 ago aüt quae, id Imal: g.
II 263 solo id venti ß) 2 mal: IX 263 dabo ärgento X 720 homo infectos,
y) Imal: XI 383 tona elöquio 6) ant(e) Imal: b. 3, 78 amo ante alias.
_ _ 125 mal «) VI 69 Phoebo et Trlviae X 737 belli haüd temnenda,
g. IV 200 ipsae e föliis a. I 106 summo in flüctu XI 909 ambo ad
miiros XI 127 vero hae'c pätriam XII 710 Uli üt väcuo ß) VI 479 Uli
öccurrit y) I 138 Uli imperium 6) atqu(e): VIII 318 rami dtque äsper
c) I 298 ut terrae ütque novae (Anapher), g. IV 411 quanto üle magis —
tarn tu nate ma^is (Korrelation), a. II 624 tum vero ömne mihi visum
considere in ignis \ Ilium (omne . . . Ilium sind eng verbunden; vergl.
über om^is unten bei Lucrez, bei b) _ v, und bei c) Lucrez).^)
uuu 163 mal «) IUI brevia et syrtes 396 capere aüt cäptas
486 spolia üt cürrus 676 facere id pössis VI 31 opere in tcmto ß)
VI 59 maria inträvi y) VI 851 regere imperio 687 tuaque exspectäta
6) ante: IV 697 misera dnte diem; atque: VII 315 Iraker e dtque möras;
nie: g. II 397 etiam ille läbor III 425 etiam ille malus; esse: g. I 122
facüem esse viam e) g. III 457 etiam ima ... ad ossa 393 nemora
dlta, also in sehr engen Wortverbindungen (ima . . . ossa auch a. II 120.
XII 447; über altus'^^ s. unten bei u, bei Lucrez, bei b) _ k^, www
und bei c) - ^)-*)
u u _ 64 mal «) II 179 pelago et cürvis III 590 $ubito e silvis
XI 436 adeo hds . . . mänus ß) VI 498 adeo dgnovit y) II 341 lateri
ddglbmerant ö) ant(e) VII 420 iuveni dnte dculos; atqu(e) 3 mal: III 611
iuveni dtque änimum IV 687 gemitu dtque ätros VIII 459 lateri dtque
iümeros.^)
_ _ u 230 mal «) VI 211 cunctantem et vätis 749 Lefhaeum dd flü-
vium g. IV 459 haudquaquam 6b meritum VI 390 umbrarum Mc locus
ß) VI 358 paulatim ddnäbam 11 84 insontem infändo indicio y) VI 742
i/nfectum elüitur in 4 diversa exllia et (f) ante und ant(e): g. IV 458
immanem dnte pedes a. VI 667 Musaeum dnte ömnes; atqu(e): I 40 Ar-
givom dtque ipsos s) VI 237 spdunca dlta (enge Verbindung, vergl. oben
nemora alta), g. II 535 = a. VI 783 septemque üna (Antithese, vergl.
unten bei c) : und önmis).^)
1) inter 3 mal: b. 3, 108 nostrum inter vos a. VI 828 quantum inter se
Vni 639 idem inter se.
2) inter 2 mal: b. 3, 28 ergo inter nös a. X 358 ipsi inter se.
3) In jüngerer Zeit sind Kompositionen von alttts + Substanstiv üblich,
wie alticomus, altifrons, altüugus.
4) inter Imal: IV 193 hiemetn inter se.
5) inter Imal: g. IV 13 trepidae inter si.
6) inter Imal: II 454 tectortim inter se.
BEMERKENSWERTE SYNALOEPHEN. 453
9 6 mal «) I 564 moliri et täte VI 286 Centauri in stabulis
ß) VI 138 lunoni infernae II 96 promisi ültbrem et y) VI 357 prospexi
'Itäliam IX 245 venatu ädsiduo et <f) ant(e): XI 887 exdusi ernte bculos;
atqu(e): X 531 argenti ätque aüro})
^ ^ \j ^ 182 mal «) VI 508 conspicere et pätria 195 derigite in lücos,
b. 4, 48 adgredere 6 Tnägnos ß) VI 20 remigium dlärum y) VI 500
Deiphobe ärvmpotens XI 58 praesidium Äüsönia et d) ant(e): VI 273
vestibulum ante ipsum; atqu(e): g. II 38 conserere ätque ölea; erg(o) 2 mal:
a. in 250 = X 104 accipite ergo änimis; ipse 2 mal: g. IV 543 corporaque
ipsa hbum a. XI 469 consilium ipse päter (aber M^ pater ipse); ille
Imal: 11278 volneraque illa e) V 15 coUigere drma 200 aridaque öra
(enge Verbindungen); IV 421 exsequere Anna mihi: der Vokativ steht
wohl in nahem Tonanschluß, s. o. S. 378, 1; vergl. unten bei c) das Beispiel
der Dirae.^)
_uu_ 6 7 mal «) VT 506 constitui et magna g. 1169 continuo in
silvis, VI 111 eripui Ms ilmeris g. m 101 praecipue hinc alias ß) VI 426
continuo aüditae I 301 remigio dlärum ac y) g, 11 9 principio drhbrihus
6) ant(e): V 492 Hyrtacidae ante bmnes; atqu(e): g. I 186 curculio dtque
inopi; ill(e): b. 7, 8 aspicio ille ubi me.
Ennius hat 16 Synaloephen an dieser Stelle, und zwar nur reguläre;
Lucilius neben 4 regulären einmal 1099 L. ohtuso öre (enge Verbindung,
vergl. unten bei b) _ u magna dra);^) Cicero neben 48 regulären fol-
gende bemerkenswerte: Arat. 303 söllertem ipsa dedit 378 canem inde
de cons. fr. 3, 39 Baehr. convorsa inde (vergl. für inde unten bei b)
Cicero und c) Lucrez.*) Lucrez hat 474 solcher Synaloephen, darunter
429 mit einsilbigen (proklitischen) sowie drei- oder viersilbigen Worten;
femer 18 mit proklitischen oder enklitischen zweisilbigen,^) nämlich 2 mal
ante-. II 352 saepe ante deum V 1354 facere ante viros, Imal indu:
V 102 iaoere indu mänus, Imal sine: V 841 sine öre, 5 mal atque: 11 10
errare ätque viam V 788. 955. 1333. VI 13, Imal esse: 1 627 quoque
esse tibi, 3mal ille: II 362 fluminaque illa 1057 agere illa föris VI 896
scatere illa föras, 2mal ipse: III 1029 ille quoque ipse IV 472 capite
ipse siio, Imal inde: V 437 diffusere inde loci, 2mal unde: I 608 haerere
ünde queant II 9 despicere ünde queas (vergl. für unde unten bei b)
Lucrez und c) Lucrez^); endlich 4 mal bei engen Wortverbindungen:
summa atque ima I 1056. 11 488, omnis -{- Substantiv IV 90 praeterea
ömnis ödor'^), und V 914 trans maria älta (wie bei Vergil nemora älta,
1) inter Imal: V 766 complexi inter se.
2) inter 2 mal: g. I 301 mutuaque inter se a. IV 443 eruere inter se.
3) Irregulär mit daktylischen Worten: 68 facta omnia, 212 nequitia occupat,
896 etiam accipe, 384 exstructam ampliter.
4) Über die enklitische Natur von inde vergl. Skutsch, Forsch, zur lat.
Gramm, u. Metrik I (Leipzig 1892) 76flF.
5) Außerdem 17 mal inter, z. B. I 760 sibi inter se und Imal mit dakty-
lischem Wort nach esse: IT 1086 non esse ünica.
6) Vergl. Skutsch 1. c. 64 ff.
7) Außerdem bei daktylischen Formen von omnis: IV 225 = VI 935 adeo
Omnibus ab rebus VI 921 principia Omnibus ab rebus. Für den Tonanschluß
von omnis -f- Substantiv vergl. die in älterer Poesie vorkommenden Kompo-
sitionen omnicolor (Lucilius), omnigenus (Lucrez), omnimodis (Lucrez und viel-
454 ANHANG XL
spelunca dltd)}) Catulls Hexameter zeigen 77 solche Synaloephen,
darunter 73 mit einsilbigen (proklitisclien) sowie drei- oder viersilbigen
Worten; ferner 3 mit ille, iste: 66, 7 me ille Cönon 100, 3 hie fratrem
ille sorörem 81, 3 praeterquam iste tüus; endlich Imal mit der engen
Verbindung omne genus: 114, 3 aucupiimi önine genus. Dirae 4 mal mit
einsilbigen (proklitischen) und viersilbigen Worten (Lydia 0), Die Frag-
mente der übrigen vorvergilischen Dichter haben ebenfalls nur reguläre
Fälle (Hostius fr. 5 Baehr. centum atque öra nach atque).
b) In der dritten Arsis.
y 15 mal «) XI 278 fte vero ne me ad täJes IV 681 te üt pösita
II 112 iam hie träbibus . . . equus ß) 11 59 se ignötum y) XII 679 me
indecorem ö) nur Imal: ipse 11 522 si ipse meus . . . Heetor.
uu 65 mal «) VI 488 gradum et veniendi I 151 gravem de meritis,
VlI 297 viam dt credo I 414 moram aüt veniendi IV 314 ego hds läerimas
III 45 ego hie (adv.) conftxum XI 741 equum in medios ß) VI 607 fa-
cem dttöllens y) I 418 viam interea d) atqu(e) 5 mal: g. IV 134 rosam
atque autümno a. III 558. V 438. X 607. XI 395.
- Kj 244 mal «) VI 727 molem et magno 724 caelwn de terras
196 tuque 6 diibiis 305 turha dd ripas 385 iam inde üt Stygia 533
divom dn quae te /3) VI 414 multam decepit 186 silvam immensam et
y) VI 781 nate aüsplciis d) atqu(e) 7 mal: VI 747 sensum dtque auräi
g. I 40. IV 75. 110. 295. a. X 13. 624; atque 5mal: b. 5, 23 atque
dstra g. IV 463 a. II 423 V 512. XH 326; ani(e) 5mal: XII 448 prima
d/nte ömnes IV 141 ipse dnte älios VII 531. X 643. XI 821; ipse 6 mal:
VI 148 namque ipse völens XII 638 oculos ante ipse meos II 174. IV 637.
IX 467. X 150; iste Imal: quaeve ista . . . disebrdia; perque Imal: XI 696
perque drma viro perque ossa;^) sive Imal: XII 892 sive animis sive
drte, aber außer durch Proklisis noch durch Anapher geschützt; pro-
klitisches sive auch Lucrez unten bei c). e) In den engen Wortver-
bindungen VI 53 magna öra 323 stagna dlta III 681 silva dlta (s. über
altus oben bei a) u u u) VII 641 terra dlma^) HI 537 primum ömen^)^
und danach auch wohl zu beurteilen XI 12 namque ömnis . . . türba
(s. über omnis oben bei a) _ J) XII 739 postquam drma dei ad Vol-
eänia; eigentliche Ausnahmen (alle drei in jungen Partieen): III 88 quove
ire iubes VII 508 telum ira facit XU 924 exitium dirum hdsta ferens.
u _ 4 2 mal (unter Mitrechnung von -o) a) mit et 33 mal (z. B.
VI 230 levi et rämo\ aut 3 mal: g. III 466 sequi aüt medio a. 1X408.
X 675, in Imal: 1303 deo in primis, hanc Imal: b. 1,13 ago hdnc
etiam ß) 3 mal: g. II 476 fero ingenti a. VI 336 aqua invölvens III 240
cavo invädunt y) atqu(e) Imal: X 31 tuä dtque invlto.
leicht schon Plautus: Lindsay, Class. review 1894, 159); auch an ital. ognora,
ognuno sei erinnert. Vergl. unten bei c) Lucrez.
1) Außerdem bei spondeischen oder daktylischen Worten: V 1178 non
temere Ulla vi V 285 quocumque dccidit (dies die einzige eigentliche Ausnahme).
2) Vergl. über perque Skutsch 1. c. 152; unten bei c) _ u imd bei c) Lucrez.
3) alma Venus, a. Ceres, a. Tellus, a. parens sind fast einheitliche Begriffe.
4) Vergl. primaevus, primipilus.
BEMERKENSWERTE SYNALOEPHEN. 455
_ _ 148mal «) VI 227 vino et bibulani IX 34 Teucri de Unebras
Vn 721 campo mit Lyciae VI 481 fleti dd süperos 451 silvä in magna
Xn 771 puro üt possent VI 106 quando hie (adv.) inferni I 333 vmto
hüc västis ß) VI 143 primo dvölso y) VI 3A6 ponto incölumem d) atqu(e)
7 mal: g. I 209 lud dtque ümbris HI 116. a. H 514. V 20. IX 569. 698.
XI 627; ant(€) 2mal: III 150 visi ante öculos XU 391; mpr(a) Xn 839
supra homines, supra ire deos (wohl mit durch die Anapher bedingt);
ante (adv.) Imal: g. I 167 multo ante; esse Imal: IV 226 morti esse
löcum.
u u u 182mal «) VI 216 latera et feräles 1 58 maria de terras
VI 92 Italum aüt quas 188 nemore in tänto ß) VI 623 thalamum in-
väsit IX 734 faciem invisam atqu(e) y) VI 415 fluvium incölumes g.
II 472 operum exiguusque adsueta cf) atque Imal: XII 312 capite dtque
süos; atqu(e) 9 mal: g. in 163 Studium dtque üsum b. 10, 45 g. I 88
IV 227. a. in446. VHI 81. X 237. 741. XH 648; ante (adv.) 2mal:
g. I 173 tilia ante iitgo a. I 673 capere dnte dölis; ante (praep.): V 673
galeam dnte pedes; ant(e) I 347 scelere dnte älios; ipse: X 443 cuperem
ipse päter; üle: V 393 spolia illa^). e) In den engen Wortverbindungen
VI 233 suaque drma IV 183 totidem öra IX 715 Prochyta dlta X 723
stäbula dlta 529 anima üna 626 venia Ulla XI 791 spolia Ulla; so bleibt
als eigentliche Ausnahme nur IX 620 sinite drma viris et cedite ferro
{arma viris, vergl. oben bei _ u arm^ viro, eine von Vergil oft ge-
brauchte Verbindung: s. o. S. 362, l).
ww_ 98 mal a) VI 370 misero et tecum 407 tumidä ex ira ß) g.
1172 duplid dptäntur y) VI 236 propere exsequitur (f) atque Imal:
VII 304 pelagi dtque mei; atqu(e) 6mal: VI 394 geniti dtque invicti
g. m 564. a. II 413. VIH 527. XI 565. XQ 531.
_ _ u 45 mal «) VI 825 Torquatum et ref er entern 201 vrnere dd
faüces b. 8, 60 extremum hoc miinus ß) VI 684 tendentem ddversum
y) g. n 477 arvorum ingeniis d) atqu(e): VI 422 obiectum dtque im-
mania.
23 mal «) g. I 359 misceri et nemorum ß) g. IV 328 temp-
tü/nti extiiderent ö) atqu(e): VI 105 praecepi dtque änimo.
_uuu 52 mal «) VI 437 pauperiem et diiros 11656 consüium aüt
quae VI 819 imperium hie primus I 96 oppetere 6 Dänaum ß) IV 431
coniugium dntiquum y) IV 8 unanimam ddlöquitur 6) atqu(e): g. 11 149
assiduum dtque alienis.
_uu_ 15 mal «) 1666 confugio et supplex IV 368 dissimulo aüt
quae in 211 lonio in magno ß) HI 156 Bardaniä incensä y) I 647
praeter ea 'Hiads d) atqu(e) 2 mal: VI 631 conspido dtque adver so; ant(e)
Imal: V 109 prindpio ante öculos.
u _ _ u 8 mal «) VI 420 soporatam et medicdtis IV 257 litus hor
renosum dd lAbyae y) VH 623 inexdta Äüsönia.
u 2 mal a) VIII 23 repercusso aüt radiäntis y) g. IV 301 re-
luctanti öbstriiitur.
u Imal «) in 425 exertantem et naves.
2 mal «) I 520 = XI 248 introgressi et cöram.
1) inter Imal: IX 467 adgnoscrmt spolia inter se.
456 ANHANG XI.
u_uuu 2 mal «) VI 223 ministerium et suhiedam VII 619 mini-
steria et caecis.
Ennius 4 reguläre Synaloephen dieser Art (summum et studiösum,
vostra evörtet, te ddiüero, occisi öbscensique). Lucilius 4 reguläre: 35 '^
lecti ätque lucernas 470 uterum ätque etiam 1067 ta/ntum ipse sies
467 capito inquit eum (inquit enklitisch wie (pr|(Ti, also inquit mm; vergl.
unten bei c) _ J).^) Cicero 35 reguläre, darunter zweimal vor zwei-
silbigen Worten: Arat. 276 leporem inde pedes 278 Centauri ätque Nepäi.
Lucrez 353 reguläre, darunter vor zweisilbigen Worten: atque 4 mal:
VI 1043 fugere ätque sequi H 1128. IV 695. 860, atqu(e) Imal: III 567
nervös atque össa; ille Imal: IV 978 itaque illa dies; ipse Imal: II 159
atque ipsa suis; unde Imal: III 725 unde üna; sine Imal: III 333 sine
älterius vi; esse 2 mal: I 487 difficile esse videtur VI 542 similem esse
süi.^) Catull 20 reguläre, darunter vor zweisilbigen: ante 2mal: 64,
384 namque ante dömos 66, 51 paulo ante (adv.); ille Imal: 64, 288
namque üle tülit; iste Imal: 116, 7 tela ista; esse Imal: 64, 79 solitam
esse däpem. Dirae 1 reguläre (66 pergam ülterius). Lydia 0. Frag-
mente vorvergilischer Dichter: ebenfalls nur reguläre Fälle.
c) In der vierten Arsis.
!^ 10 mal «) IV 368 me ad maiöra XII 25 me Jiae'c Jiaud mbllia
y) I 219 iam exaudlre 11 148 iam öbliviscere VIII 386 me e'xcidiümque
s) Einmal in einer engen Verbindung: X 63 me älta silentia.
uu 2 5 mal «) VI 256 sölum et iüga IV 337 ego Jiänc äbscöndere
y) V 785 Phrygum exedisse g. 11 244 aqua eluctäbitur cf) atqu(e) 4 mal:
VI 716 tibi ätque ostendere V 807 g. II 323. IH 434; (nequ(e) Imal:
g. I 514 neque aüdit); imd wohl auch g. II 123 ubi äera.
_ u 228 mal «) VI 840 templa et temeräta 512 üla Jiaec monimenta
65 tuque ö dübiis y) VI 330 stagna e'xoptäta 425 ripam inremeäbilis
6) atqu(e) 31 mal: I 349 atque aüri VI 723 atque ördine; atque Imal:
IX 354 caede ätque cupidi/ne; inter 9 mal: so VI 513 falsa inter gaüdia;
intra und extra je Imal: XI 235 alta intra limina II 672 meque extra
tecta; ant(e) 4 mal: V 318 ante öm/nia 570 == IX 293 ante ömnes XI 915
ante ürbem; perque 3mal: b. 10, 23 perque Jiörrida g. EL 307 perque älta
a. VII 499 perque ilia; ipse 3 mal: b. 3, 35 tute ipse a. II 5 quaeque ipse
miserrimus 1 486 utque ipsum corpus; ips(e) 2 mal: VI 249 ipse ätri
in 619 ipse ärduus; iste Imal: IV 703 teque isto corpore; ille 2 mal:
g. I 87 sivi Ulis a. II 110 saepe illos; ill(e) 2 mal: VI 187 ille aureus
IX 62 ille äsper; inquit Imal (s. oben bei b) Lucilius): V 348 vestra in-
quit mwnera. b) In der engen Verbindung alta dtria Imal: XII 474.
Eigentliche Ausnahmen: g. I 170 formam äccipit 11 109 ferre ömnes om-
nia possunt (= Lucrez I 166: also der Figur zuliebe) a. III 193 caelum
ündique et undique pontus (ebenfalls der Figur zuliebe).
u _ 9 mal «) II 774 comae et vbx (so noch 5 mal) XII 739 arma dei
ad Volcänia 532 solo hünc Ibra (f) atqu(e) Imal: metu ätque extöllere.
1) Mit zweisilbigem Wort: 340 H magno improbus.
2) inter 9 mal: I 911 paulo inter se (so noch 7 mal), III 258 pacto inter sese.
BEMERKENSWERTE SYNALOEPHEN. 457
_ _ 9 3 mal «) VI 267 terra et caligine g. III 429 terrae de pluvi-
alibus a. V 618 sese haud ignära I 261 quando haec te cüra Vm 172
qucmdo hüc venistis, VIII 89 remo üt luctamen Vil 244 Troiä ex ardente
IX 379 sese ad divörtia XI 221 posci in certämina XII 787 altä ab rar
dice y) IV 178 irä inritäta VI .2 9 tecti dmbägesque 595 terrae ömni-
parentis <f) atqu(e) 6 mal: VI 472 sese ätque inimica g. III 109. 253.
a. vm 248. IX 68. XU 559; ips(tmi) Imal: XI 636 quando ipsum hor-
rebat; ille 2 mal: g. DI 106 Uli instant a. XII 300 olli ingens e) In den
engen Verbindungen imo ördine II 102, sese obtulit X 552, sese ävius ab-
didit XI 810. Eigentliche Ausnahme: 11 477 unä ömnis (der Antithese
zuliebe).
u u u 101 mal VI 861 iuvenem et fiügentibus , 198 animam hdnc
b. 3, 93 fugite hinc, a. 11 39 studia in contraria y) ^ ^^^ sinite in-
stauräte b. 5, 27 etiam ingemulsse d) atqu(e) 5 mal: I 30 Danaum ätque
immitis ID. 87. 639. X 78. g. 11 433; ant(e) (adv.) Imal: IX 115 maria
ante exürere; inter 17 mal: so VE 183 opera inter tälia 245 media inter
cornua. «) In den engen Wortverbindungen IE 68 Phrygia dgmina IV 407
opere ömnis semita 298 eadem impia fäma. Eigentliche Ausnahmen:
V 9 maria ündique et imdique pontus (der Figur zuliebe wie oben bei
_ u) in 90 tremere ömnia visa repente Vlll 525 ruere omnia visa re-
pente (wohl nach einer ennianischen Phrase).
u w _ 5 7 mal «) VI 280 fhalami et discördia, g. I 446 radii aüt tibi
y) VI 307 pueri innüptaeque 707 cupio e'numeräre d) atqu(e) 7 mal:
so X 178 acie ätque liorrentibus.
u 5 mal «) VI 186 immensam et sie 11 555 incensam et prolapsa
y) XI 758 exemplum eventumque Xil 144 ingratwm dscendere <f) atqu(e)
imal: IX 734 invisam dtque immänia.
_vuu 3 mal «) g. m 213 oppositum et trans flilmina a. 11161
hospitium et däre d) atqu(e) Imal: Äusonia dtque immöbüis VH 623.
Ennius 4 reguläre Synaloephen dieser Art (atque in te, regno üt
fämul, divi hoc audite, sese östentatque), 1 irreguläre: 494 postquam in-
duta (oder postquam enklitisch? s. oben bei b) _ J). Lucilius 10, dar-
unter regulär nur mit inter (1181^), ille (136. 145), inquam (78 H.),
ergo 989 H. und in der Verbindung u/na dngina (864), irregulär: 75 H.
susque ömnia 1020* 4 rectum utile 728 molito Tiördeo 1062^ soleam im-
probus. Cicero 4 reguläre, 1 irreguläre: Arat. fr. XXVI 3 Baehr. dara
öbtinet (die Stammsilbe des Verbums trug wohl einen Nebenton). Lucrez
159, darunnter mit zweisilbigen: atqu(e) 14 mal: I 811 nervis atque
össibus; unde 5 mal: I 231 unde ae'ther; inde 2 mal: HE 248 inde ömnia;
ante (adv.) 2 mal: I 558 ante ddi temporis; je Imal perque sive nempe
neve esse ille ipse aiunt (IV 187. V 523. I 385. n 538. 972. VI 1219.
V 1182. HI 898). In den engen Verbindungen: nemora dvia (TL 145 ==
346), fädle ae's aurümque, facere ictum (II 952). Ausnahmen: 12 mal
vor Formen von omnis (darunter mit Figur: I 166 ferre ömnes omnia
possunt 11337 = 694 = 724 paria Omnibus omnia constant V 233 quando
Omnibus omnia large; mit folg. Substantiv: IV 401 ruere ömnia teda 1035
saepe Omnibus rebus VI 845 porro ömnis terra; ferner: 11 69 fluere öm-
nia 1092 sponte ömnia V 109 = 1203 posse ömnia; vergl. oben bei a)
_ _, 5 mal vor Formen von unus (darunter mit Ajitithese: IV 563 ver-
458 ANHANG XI.
hum saepe ünum perciet auris | omnibus VI 703 res quarutn ünam
dicere causam | non saus est, verum pluris, mit Anapher IV 746 facile
üno commovet ictu | quaelibet una animum nobis subtilis imago), Imal
vor alter (V638 altern is certo fluere alter, also mit Figur); 2 mal dem
Parallelismus zuliebe: III 156 caligare eculos^ sonere aüris, succidere artus
VI 576 summa magis mediis, media tmis, ima perhüum. CatuU 25,
darunter: atqu(e) 2 mal (64, 205 atque liörrida 76, 11 atque istinc). Aus-
nahmen: 84, 11 postquam üluc 64, 11 prima imbuit 98 saepe höspite
237 reducem aetas. Dirae 1:95 tuque optima Lydia salve, also bei
einem proklitischen Wort. Lydia 0. Fragmente vorvergilischer
Dichter: nur reguläre Fälle.
Aus diesen Listen ergibt sich, daß Vergil in der zweiten, dritten
und vierten Vershebung zusammen 2791 Synaloephen hat, darunter nur
16, in denen die Synaloephe mit einer vollbetonten Silbe vollzogen wird;
von diesen 16 Ausnahmen erklären sich die meisten aus der Anwendung
von Redefiguren, denen er, wie oben S. 443 u. ö. bemerkt, auch sonst die
Strenge des Versbaus gelegentlich unterordnet; andere Ausnahmen werden
sich vielleicht als bloß scheinbare herausstellen, wenn die Gesetze über
den Tonanschluß noch genauer untersucht sein werden als es schon
jetzt, hauptsächlich von Skutsch und Lindsay, geschehen ist: wie denn
auch umgekehrt die obigen Listen einiges Material für Untersuchungen
auf jenem Gebiete geben. — Das behandelte Synaloephen-Gesetz ist nicht
von Vergil aufgestellt, sondern muß aus dem Gehör abstrahiert sein, da
schon Ennius es beobachtet. Auch die übrigen hexametrischen Dichter
beobachten es, besonders in der zweiten und dritten Hebung, recht streng
mit Ausnahme von Lucilius, der sich gemäß seinem saloppen Versbau
auch um diese Finesse weniger gekümmert hat.
Nachträge.
Im folgenden habe ich außer eignen Bemerkungen die von R. Wünsch
aufgenommen, so weit sie im Text nicht mehr verwertet werden konnten,
sowie die von R. Heinz e aus seinem oben Seite 342 zitierten Werke.
Seite 3 f. Eine für unsere Kenntnis der Eleusinien grundlegende
Darstellung auf einer marmornen Grabume stammt aus dem Beginn der
Kaiserzeit und wird von der Herausgeberin E. Lovatelli mit Recht in
Verbindung gebracht mit dem neu erwachenden religiösen Bedürfnis
jener Zeit (Bull, della commissione. archeologica comunale di Roma Vll
1879, 17).
Seite 6. Über jüdische Apokalyptik vergl. L. Iselin in der 'Theol.
Zeitschr. aus der Schweiz' IV (1887) 272 ff.
Seite 7. „Das von A. Wagner hinter der von ihm edierten Visio
Tundali (Erlangen 1882) abgedruckte lateinische Visionsgedicht, wohl
des Xni. Jahrhunderts, enthält wörtliche Reminiszenzen an Vergil VI,
von denen Wagner p. XXXV zwei anführt; aber die Anlehnung geht
erheblich weiter." (Wünsch.)
Seite 7 f. Einige neuere , mir noch unbekannte Untersuchungen
über 'Vergil und Dante' bespricht R. Helm in den Jahresber. f. Alter-
tumswiss. CXni (1902) 13 f.
Seite 9. Wünsch macht mich auf folgende Apokalypse anfmerksam:
'Artä Viräf-Nämak ou Livre d'Ardä Viräf, traduction par M. A. Barthelemy,
Paris 1887'. Das Werk ist verfaßt zwischen dem IX. und XIV. Jahrh.
n. Chr; es ist interessant, weil es die hellenisch-christliche Apokalypse in
einer Bearbeitung für die Anhänger der Religion des Zoroaster darbietet.
Irgend welchen quellengeschichtlichen Wert besitzt es aber nicht: die
von dem Verf. benutzten Quellen besitzen wir selbst, oder doch ganz
ähnliche; so bietet c. VHI (p. 20) einen weiteren Beleg für die von mir
S. 2 3 ff. erwiesene Vorstellung von der Sage des * Purgatoriums ' in der
Mondsphäre.
14 ff. über die Verbindung von Philosophie und Mythologie in
der Aeneis vergl. Heinze S. 284 ff.
Seite 20 f Eine poetische Quelle nimmt auch Furtwängler, Gemmen
I 262 an.
Seite 2 Off. Dank dem lebhaften Interesse, dem Poseidonios in
letzter Zeit bei uns begegnet, kann ich auf einige Darstellungen seiner
Lehre oder gelegentliche Bemerkungen verweisen, die geeignet sind, meine
Beweise zu ergänzen oder zu stützen. Poseidonios als Theologe wird von
E. Schwartz, Charakterköpfe aus der antiken Literatur (Leipzig 1902)
90 ff. gewürdigt; seine daselbst gezeichnete Bedeutung als eines Pi-edigers
460 NACHTRÄGE.
und Propheten bestätigt indirekt meine Ansicht, daß er für die religiösen
Partien des vergilischen Gedichts die Hauptquelle gewesen sei. — Sein
Interesse für die pythagoreische Lehre von der Seelenwanderung ergibt
sich auch aus den längst auf ihn zurückgeführten Stellen bei Strabo
IV 197 und Diodor V 28, denen J. Bäumer, de Posidonio etc. (Münster
1902) 7ff. Lucan I 454 ff. hinzugefügt hat. — Da meine Untersuchung
großenteils auf der These beruht, daß Cicero (somn. Scip.) + Seneca -f
Plutarch (eschat. Schriften) = Poseidonios seien, notiere ich, was v. Wila-
mowitz, Griech. Lesebuch I 2 (Berlin 1902) 186 darüber sagt: „Wo
Cicero am höchsten zu steigen versucht (in dem Traume Scipios . . .),
ebenso wie in ähnlichen Partien bei Seneca und Plutarch, vernehmen
wir in Wahrheit Poseidonios." — Über Poseidonios bei Ps. Manilius
vergl. auch Boll, Berl. phil. Wochenschr. 1902, 1547 f.
Seite 21j 2. XJber das ennianische Prooemium vergl. jetzt auch
Helm 1. c. 42.
Seite 23, 2. „Defix. tab. Att. XXI, wo die Seelen angerufen werden:
eiTE diTTÖ Tfic ttKpac TiiJv acTTpujv (pepe(T0e eiie [ev depi ttoJu TrXdZeaGe,
Kroll Eh. Mus. LH 338." (Wünsch.)
Seite 24, 3. „Lydus de mens. pag. 167, 23 W. " ld)Liß\ixoc iv tu»
TTpuuTLu Tfic TTepi KttBobou i|iuxfic TTpaT)LiaTeiac Kai irjc dTTOKaTaaTdcreujc
auTuJv (sc. Tijuv qjuxiiJv) |ae)iiVTiTai, töv iirrep (TeXrivric dxpic fiXiou x^Jpov
TU» "Aibr) bibouc, TTap' iD cprjai Kai xdc eKKeKa0ap)ievac Idrdvai ipuxdc."
(Wünsch.)
Seite 2 6 ff. Über den Begriff des christlichen ' Purgatoriums ' und
dessen Ableitung aus religiösen Vorstellungen des Hellenismus hat in-
zwischen, worauf mich Wünsch hinweist, G. Anrieh gehandelt: Clemens
und Origenes als Begründer der Lehre vom Fegefeuer, in Theolog. Ab-
handlungen, Festgabe für H. J. Holtzmann (Tübingen-Leipzig 1902) 9 7 ff.
Daß wir unabhängig von einander zu demselben Resultat gelangt sind,
kann ich so hier nachträglich konstatieren. Für die Lage des Purgatoriums
in der Atmosphäre ist meinen Erörterungen aus Anrieh (S. 116, 2) eine
wichtige Stelle aus Clemens hinzuzufügen.
Seite 34, 5. Benutzung dieses neuplatonischen Vergilkommentars
vermutet Wünsch auch bei Lydus de mag., der Vergil sechsmal zitiert.
Seite 35, 2. Vergl. Demosthenes de cor. 269 TÖv €u Tra6övTa
öeT |Lie|Livfi(J9ai rrdvia töv xpovov.
Seite 44 f. Daß die Verse 890 — 92 bei der endgültigen Redaktion
beseitigt werden sollten, macht Heinze S. 353, 2. 429 auch durch ein
stilistisches Argument wahrscheinlich.
Seite 45. Über das zeitliche Verhältnis von Buch V und VI vergl.
Heinze S. 141, 1.
Seite 118 (Vers 9 f.). Über die Wirkung durch Kontraste vergl.
Heinze S. 451.
Seite 122 (Vers 30ff.). Über das Ethos der vergilischen Erzählung
vergl. Heinze S. 363 f.
Seite 122 f. (Vers 14). Über fama est u. dgl. bei Vergil vergl.
Heinze S. 237 f. — Zu den griechischen Ausdrücken ist hinzuzufügen:
Alkaios fr. 71 Bergk: ujc XÖTOC eK Traxepuuv öpujpev.
Seite 128 (Vers 25). Über den Begriff der rhetorischen Variation
NACHTRÄGE. 461
eines Gedankens (exomatio, expolitio, repetitio verborum), wofür der
Kommentar viele Beispiele gibt (s. das Eegister III s. ' Rhetorik '), handelt
zusammenhängend Fr. Guglielmino, L'iteratio nell' Eneide, Catania 1901;
für die von mir S. 289 besprochene Theorie dieser Figur verweist der
Verf. S. 6. 9 auf Gellius XIII 25 und Cic. pari or. 20f.
Seite 132 (Vers 42 ff.). Über vorangestellte Ortsangaben vergl.
Heinze S. 377, 1.
Seite 132 f. und 178 f. Über die Topographie von Kyme und
Misenum sowie die Sibyllengrotte vergl. jetzt auch H. Nissen, Italische
Landeskunde n 2 (Berlin 1902) 725 ff.
Seite 133. 207. 215. 266. Über die Gleichgültigkeit Vergils
gegen das Detail der Topographie vergl. Heinze S. 343 ff.
Seite 134. Den Belegen für das Kaiaßaiveiv eic aöUTOV fügt
Wünsch hinzu: Lukian, Gall. 18 eic Tut dbuxa KaieXGiüV, vergl. Philops.
34 ev ToTc dbuTOic iiirÖTeioc, Diog. Laert. VIII 3 KaifiXOev ... eic
TCt dbuxa.
Seite 136 (Vers 46). Aus dem Prinzip der Beteuerung vermittels
Doppelung des Begriffs ist vielleicht auch zu erklären Horaz carm.
IV 1, 2 parce precor precor, II 17, 9 non ego perfidum \ dixi sacramentum:
ibimus ibimus, möglicherweise auch IV 2, 49 f. teque dum procedis, io
TriumpJie | non semel dicemus, io Triumphe^ \ civitas omnis. Denn die
Erkläning der letzten Stelle durch Kießling-Heinze: „Die Wiederholung
malt das durch die Straßen sich fortpflanzende Jubelgeschrei beim Nahen
Zuges" scheint mir künstlich; auch legen die bei Horaz folgenden Worte des
däbimusque divis iura benignis eine sakrale Vorstellimg nahe: die Arval-
brüder riefen fünfmal triumpe. — Über Wortdoppelung zum Zweck der
Verstärkung des Begriffs handelt, wie mir AVünsch bemerkt, 0. Crusius
zu Herondas 4, 61 (ed. tert. min. p. 36 not.).
Seite 139f. (Vers 56). Füge hinzu: „Vergl. Heinze S. 359, 2.
Andererseits tritt aber das Moment stilistischer Variation bei Vergil noch
nicht so stark hervor wie bei späteren Dichtern: s. darüber zu 423."
Seite 139 f. (Vers 5 6 ff.). „Der Aufbau des Gebets ist analog dem
der Hymnen. Fr. Adami, Jahrb. f. Phil. Suppl. XXVI 2 15 ff." (Wünsch.)
Seite 141 (Vers 64) dique deaeque omnes. „Es ist zu bemerken, daß
es im Gebet formelhaft ist, zunächst den Hauptgott (hier Apollo), dann
alle übrigen Götter anzurufen, vergl. 0. Crusius, Untersuchungen zu den
Mimiamben des Herondas S. 80 Anm." (Wünsch).
Seite 141 (Vers 60). arva vom sandigen Strande ist tatsächlich
vor Vergil nicht nachweisbar: vergl. jetzt Thes. 1. 1. II 733 sub Hc.
Seitö 142 (Vers 74ff.). „Eben wegen der Parallelstelle in III muß
Vergil hier motivieren, warum die Sibylle von ihrem gewöhnlichen Brauch,
schriftlich zu prophezeien, abgeht. Sie muß aber hier mündlich pro-
phezeien des Dialogs wegen. — Den Zeugnissen über die Palmblätter
ist Plinius n. h. XIII 69 (aus VaiTo), denen aus der Zauberliteratur
Dieterich, Abraxas S. 204, 22 Xaßdiv (piiXXov ödqpvrjc eTTiTpaqiOV hin-
zuzufügen." (Wünsch.)
Seite 145 (Vers 77). Über den Gebrauch der Figur Kard tö
criiJUTruü)Lievov zum Zweck der Kürze vergl. Heinze S. 14. 196. 386.
Seite 147 (Vers 83 — 86). Kommatischer Satzbau wurde von den
462 NACHTRÄGE. .
Rhetoren für Stellen des höchsten Pathos empfohlen und nach dieser
Lehre von Vergil an geeigneten Stellen verwendet: Kroll, Neue Jahrb.
1903, 23, 4.
Seite 152. „Das Motiv des Führens durch das Jenseits geht aus
von den Mysterien, nach denen niemand ungefährdet durch den Hades
kommt, der nicht als Führer den |uu(JTaYUUYÖC (Orpheus etc.) hat: der
Führer im Hades ist das Bild der erlösenden Wirkung der Lehre: ohne
Führer keine Erlösung." (Wünsch).
Seite 152 f. Stoisches im Charakter des Aeneas hat auch Heinz e
S. 2 70 f. 295 erkannt.
Seite 154r (Vers 110 ff.). Es ist kein ijjeOboc, das Vergil den
Aeneas hier aussprechen läßt, sondern eine von der Fassung in II ab-
weichende Version, über die Heinze S. 70 f. handelt.
Seite 155 (Vers 117). „Über die Gebetsformel buvaaai ^dp vergl.
Hemsterhuys zu Lukian vol. I. p. 4. Die Macht des betreffenden Gottes
wird vom Betenden erwähnt: es wird dem Gotte nicht die Ausrede ge-
lassen, daß er nicht könne." (Wünsch).
Seite 162 und 211 f. Für die von mir nur gestreifte Vorstellung
der Seele als Vogel gibt jetzt G. Weicker, Der Seelenvogel in der alten
Literatur und Kunst, Leipzig 1902 reiche Belege.
164, 2. „Gemeint ist vielleicht die XeuKTi 'Silberpappel', deren
mystische Bedeutung aus Demosthenes de cor. 260 bekannt ist." (Wünsch).
Seite 167. „Für die Auffassung der Schiffe als belebter Wesen
kann auch an das Schiff der Phaeaken erinnert werden: 0 558 f." (Wünsch.)
Seite 168 (b). Zur Stütze meiner Vermutung, daß das von Aeneas
gegen die Gespenster gebrauchte Schwert ein Substitut für den Mistel-
zweig sei, kann ich auf Frazer 1. c. (S. 165) p. 448 verweisen: „The
mistletoe in Germany is still universally considered a protection against
witchcraft, an in Sweden the mistletoe . . . is attached to the ceiling of
the house, the horse stall, or the cow's crib, in the belief that this
renders the Troll powerless to injure man or beast."
Seite 172 f. (Vers 141). Den für uns bei Vergil zuerst begegnenden
Adjectiva composita sind hinzuzufügen cornipes und aeripes, über die
S. 277 und 318 gehandelt ist.
Seite 181 (Vers 171) und 185 (Vers 186f.). Über zufälliges Zu-
sammentreffen zweier Ereignisse bei Vergil handelt Heinze S. 333f.
Seite 192 (Vers 233 f.). Über das Ruder des Misenus vergl. Statius
s. in 5, 98 Iliacoque iugum memorabile remo, ib. V 3, 167.
Seite 201 (Zeile 9 v. u.). An die Kaunier bei Herodot l 172
(luTTTOviec böpaffi töv iiepa . . . ^qpaaav cKßdXXeiv touc HeiviKOuc 6eoiJc)
erinnert Wünsch.
Seite 202 (Zeile 1 ff.). „Die magische TTpäHic ist wohl so zu deuten:
es kommen der ünterweltsgöttin Fackel und Schwert zu. Da der
Zauberer das Schwert hat, so erscheint die Göttin in der Meinung, es
sei das ihre." (Wünsch.)
Seite 204 (Zeile 24 f.). Den Text des Zauberpapyrus gibt A. Dieterich,
Bonner Jahrb. Heft 108/9 p. 38 wohl richtiger so: YP«90VTi TCt TrpÜJTtt
TTapdboxa juucTTripia.
Seite 210 (Zeile 12 f. von unten). „Der Hippokamp ist vielmehr
NACHTRÄGE. 463
eine falsch ergänzte Fackel: siehe E. Kuhnert, Arch. Jahrbuch 1893."
(Wünsch).
Seite 216 (Vers 301). „Charons eHuu)iic ist geknotet, nicht mit
einer Fibel geheftet, weü bei Erscheinungen der Heroenzeit der ur-
sprüngliche Kulturzustand — vor Erfindung des Eisens oder sogar der
Bronze — gewahrt wird. Übrigens hat bei Theokrit 7, 18 das Fehlen
der Spange keinen religiösen Hintergrund, sondern charakterisiert nur
den otYpoiKOC." (Wünsch).
Seite 217 (Vers 304). Über pointierte, an den Schluß eines Ab-
schnittes gestellte Verse vergl. auch Kroll, Neue Jahrb. 1903, 22.
Seite 242. Daß auch die Liebe der Laodamia als durus amw
(Vers 442), d. i. ein beivöc epuJC galt, ist von mir im Hermes XXVIII
1893, 380 aus Catull 68, 73 ff. erschlossen worden. Diese Sagenversion
geht vermutlich auf Euripides zurück, der diese Liebe X^^UJ 'AqppobiTTiC
geschehen ließ: Eustath. zu B 325, vergl. M. Mayer, Hermes XX 1885, 104.
Seite 249 (Vers 469). Über das erotische Motiv vergl. Heinze
S. 134, 2.
Seite 250 (Vers 473). antiquus im Sinne von prior findet sich
grade in alter Sprache oft, vergl. Thes. 1. 1. 11 178, 31.
Seite 254 ff. (Vers 494 ff.). „Besonders nahe steht der von Vergil
befolgten Sagenversion über den Tod des Deiphobus die von Proklos
aus der 'IXiou Trepaic berichtete: MeveXaoc öe dveupdiv '€\evriv dm
TOtc vaöc KaxotTei, Ariicpoßov qpoveuaac (Kinkel, Ep. graec. fr. p. 49)."
(Wünsch.)
Seite 254f. Die auf Grund von Vers 517f. illa (Helena) cJm-um
simulans (zu Ehren des Dionysos) e. q. s. angestellte Kombination gebe
ich jetzt auf, denn Helena schützt den Kidt des Dionysos bloß vor, ist
also nicht seine Priesterin. Das Motiv findet sich auch in der euri-
pideischen Fassung der Sage von Laodamia (vergl. M. Meyer, Hermes
1. c. 114) und ist von Vergil VII 385 simulato numine Bacchi auf
Amata übertragen worden; vergl. auch Heinze S. 180 ff. Es ist also
ein Wandermotiv, das möglicherweise zuerst für Helena erfunden wurde,
aber keinen religiösen Hintergrund hat. — Helena mit der Fackel als
Lichtgöttin jetzt auch auf dem im lacus lutumae gefundenen Altar:
vergl. Petersen, Rom. Mitt. XV 1900, 343; Deubner, Neue Jahrb. 1902, 379.
Seite 255, Über die Helena-Episode m aen. II vergl. Heinze
S. 45 f.
Seite 257 f. (Vers 505). „Bei dem Kenotaph des Deiphobus am
rhoeteischen Gestade hatte der Gewährsmann Vergüs offenbar einen der
Tumuli im Auge, die sich auch heute noch dort erheben; der größte von
ihnen galt bereits dem Altertum als Grabhügel des Aias: s. C. Schuch-
hardt, Schliemanns Ausgrabungen^ S. 108 ff." (Wünsch.)
Seite 260 (Vers 520ff.). Schrader wurde auf seine Konjektur
choreis wohl durch Horaz IV 6, 15 laetam Friami cJioreis aulam geführt.
Seite 262 f Über absichtliches Fehlen der Antwort auf eine Frage
vergl. Heinze S. 106, 1.
Seite 265 (Vers 545). „CILIH suppl. 10716 ist nach Rostowzews
Mitteilung zu lesen: ,^ur(dii) Pontianß inj mim er um tfwtm cadajver
(h)abiaV' (Wünsch.)
464 NACHTRÄGE.
Seite 274 (Vers 570f.). Das Bild der auf dem Sünder 'reitenden'
Furie liegt auch bei Horaz epod. 17, 74 vor, wo er die von ihm als
Furie geschilderte Canidia sagen läßt: vectdbor umeris tunc ego inimicis
eques. — „Vergl. den auf einem Jüngling reitenden Pan: Eoscher Ephi-
altes 122." (Wünsch.)
Seite 275 (Vers 586). Daß schon Ps. Manilius V 93 diesen Vers
las, bemerkt Boll, Berl. phil. Wochenschr. 1902, 1546.
Seite 277 (Vers 591). Die beste Übersetzung von sonipedes, cor-
nipedes equi wäre das epische Kavaxr|7robec ittttoi.
Seite 281 (Vers 608). Das Motiv der Bruderliebe auch in sokra-
tischer Ethik: Xenophon, mem. II 3.
Seite 294. Über die zu Vers 672 zitierte Ovidstelle handelt jetzt
Wünsch, Rh. Mus. LVI 1901, 395f.
Seite 298 (Vers 706). „Vergl. Lukian, Philops. 24 (oi veKpoi)
Kttid q)OXa Kai cpprirpac . . , biaTpißoucriv." (Wünsch.)
Seite 299 f. (Vers 706 ff.). Über die symbolische Bedeutung der
Biene und des Honigs s. jetzt auch Weicker 1. c. 29 und E. Maaß,
Griechen und Semiten auf dem Isthmus v. Korinth (Berlin 1902) 31 ff.
Seite 307 f. Vermutungen über die Disposition der Heldenschau
bei Heinze S. 431.
Seite 312 (Vers 775). über Castrum Inui vergl. jetzt Nissen
1. c. 579.
Seite 318 (Vers 802). Neue Worte im Dithyrambus: vergl. Horaz
IV 2, 9 f. von Pindar: per audacis nova dithyrambos \ verba devolvit.
Seite 325 (Vers 838). Über die Formen Argos und Argi vergl.
jetzt Thes. 1. 1. II 532.
Seite 326 (Vers 843). „Ein bis jetzt nicht erkannter Beleg für
Aißuaxic ist Athen. Mitt. XXIV 1899 S. 204, wo in einem Epigramm
auf Stein steht: ou juev GripriTilp Tevöjariv AIBY. . lAOC ctYPnc""
(Wünsch.)
Seite 332 (Vers 859) über die opima spolia. „Vielleicht liegt dies
doch etwas anders. Es wäre folgendes denkbar: wird der feindliche
Feldherr von dem römischen Feldherm erschlagen: spol. op. I (Jupiter);
wird er von einem Unterführer erschlagen: spol. op. II (Mars); wird er
von einem Gemeinen erschlagen: spol. op. III (Quirinus)." (Wünsch.)
Seite 340. Über das von Vergil befolgte Prinzip, die einzelnen
Bücher durch Anfang und Schluß möglichst zu Einheiten zu gestalten,
s. Heinze S. 440.
Seite 359, 1. Über die Literatur Tuepi KXoirnc handelt Kroll, Neue
Jahrb. 1903, 8.
Seite 370, 4. Triadische Komposition ist für Horaz, epod. 10 nach-
gewiesen von Leo, De Horatio et Archilocho, Göttingen 1900, p. 8.
Seite 378. Über die Notwendigkeit rhetorischer Interpunktion
unserer Texte vergl. auch v. Wilamowitz in seinem Griech. Lesebuch 11^
p. 269. — 0. Keller gibt in der 2. Auflage seiner kritischen Horaz-
ausgabe (vol. I, Leipzig 1899) praef. p. XXV eine Horazode (HI 10)
mit der Interpunktion einer Handschrift des Mavortius (cos. 527), nämlich
des cod. Leidensis 28 saec. IX Das Prinzip stimmt mit der Interpunktion
unserer Vergilhss. überein.
NACHTRÄGE. 465
Seite 410, 2. Für malende Daktylen in der älteren Lyrik vergl.
noch Anakreon fr. 24 Bgk. dvaTreTO|uiai bx] irpöc "OXuiuTrov TTTepuYeaai
Koucpaic. Auf die charakteristische Wirkung, die hier durch die Auf-
lösung der ersten Länge des ersten Choriambus erzielt ist, weist 0. Crusius
(Pauly-Wissowa ß.-E. I 2042) als auf eine der neuen rhythmischen
Feinheiten des Anakreon hin.
Seite 427, 2. Die Zeugnisse der Rhetoren über die vitiosa dausvda
durch Monosyllaba hat Henri Bomecque, La prose metrique dans la
correspondance de Ciceron (Paris 1898) 20 gesammelt; vergl. auch
A. Kirchhoff, Jahrb. f. Phil. Suppl. XXYHI (1902) 28 ff.
VEBaiii Buch VI, von Norden. 30
ßEGISTEB.')
Sachliches.
Agonistik 288. 92.
Albanische Könige u. Kolonieen 310 ff.
Alexander Polyhistor it. 'Pi()|nric? 146.
6au|uaaiuuv a\)va-^uj^r\ 163.
Anachronismen, poetische 112 f.
Antonius, M. 284 f.
Augustua 307. 8. 9. 12. 14. 15. 15 ff.
19. 23. 25. 28. 29. 34. 52. 54. 55.
Camillus 323.
carmina epigr. : von Vergil abhängig
191. 238. 60. 83.
Catull: Stil des Epyllions nnd der
poematia 140. 434. 37, 1.
Cicero poet. : Nachahmung älter. Poesie
124. 28. 79. 80. 220. 50. 80. 90.
302 f. 64. 67 f. 414. 38.
Copa: Verhältnis zur Aeneis 190.
Dante 8. 14, 1. 27. 29. 32. 44. 152 f.
59. 202. 5. 8. 14. 18. 29. 30. 33.
37. 41. 42. 63. 64. 68. 70. 72. 73.
93. 97. 308. 38. 40. 51. 52. 459.
Dichter: ihr Verhältnis zur Überliefe-
rung 122 f. 67. 243. 460.
Eunius :
Auguralsprache 124. 85 f. 321.
Homerische Nachahmung 130.
Lautmalerei u. rhythmische Malerei
180. 406. 7, 6. lOf. 13f. 21.
Naevius von E. korrigiert 359, 1.
Paronomasieen 188.
Prooemium der Annalen 21, 2.
versus hypermetri 280. 414, 1.
Ennius oder andere archaische Poesie
nachgeahmt von:
Accius (ann.) 304. 439, 2.
auctor belli Africi 231. 315.
carmina epigr. 427, 3.
Catull 184. 91. 218. 20. 21. 23. 30.
97. 368.
Cicero: siehe 'Cicero'.
Horaz (parodierend) 263. 80. 95. 324.
30. 34. 37. 62, 1. 63, 2. 88, 1.
95, 1. 414, 2.
Livius oder dessen Quelle: 155. 60.
81. 88. 240. 60. 61. 61 f. 87. 302.
9. 19. 20. 25. 30. 31. 34. 38. 65
(bis). 65 f. 66 (bis). 429,-3.
Lucilius (parodierend) 130. 216. 87.
326. 63, 2. 66f. 67, 1.
Lucrez 160. 61. 79. 81 (bis). 86.
218. 20. 21. 34. 77. 90. 94. 97.
98. 302. 3. 15. 21. 26. 30. 31. 36.
38. 40. 65, 1. 429. 30, 5. 31.
Ovid 311. 19. 27. 67. 429, 1.
Persius (parodierend) 326.
Phaedrus: siehe 'Phaedrus'.
Plautus (parodierend) 218. 80. 303.
19. 65 f.
Silius 325. 26. 38. 429, 4.
Varro Atacinus 327.
VaiTO Reatinus 185. 91. 326. 27.
63, 2.
Vergil: siehe 'Vergil'.
eöepT^TOi 35 f. 37 ff. 352.
Goethe 6, 6. 135. 49. 202. 17. 42.
311. 89, 2. 400.
Heine, Heinr. 218.
Hellenistische Poesie 111. 21. 23. 28.
58. 66 f. 72 f. 80. 83. 89. 93. 203.
25 f. 35. 41 f. 43 f. (passim). 45. 46.
47 (passim). 48. 49. 50 (bis). 55. 58.
76. 84. 85 (bis). 92. 318 (bis). 36.
80. 86. 93, 3. 411. 28, 1. 31. 32.
Kyme und Umgegend 114. 17. 32 f.
54. 71. 78. 83. 95. 96. 461.
1) Zahlen = Seiten, fette die mehreren Zehnern gemeinsamen Hunderte.
REGISTER.
467
Lessing 404, 1.
Lucilius 431.
Marceller 330 ff.
Marmor und Erz 329 f.
Oheim in der Komödie 235.
Ovid und seine Vorbilder 262. 360, 2.
63; vergl. 'Ennius'.
Phaedrus irapaTpaYiuö&v 151. 276. 319.
Plautu8iTapaTpaYuj6u)v 157. 247; vergl.
'Ennius'.
Rom:
Enkomien auf Rom 3l3f. 27 f.
Könige 3l2ff. 19 ff.
Rom und Hellas 327 ff.
Roma als Göttin 314 f.
Schiffe beseelt 167.
Schüler 204. 5. 41.
Schollen zu Vergil:
Asper 265.
Comutus 166 f.
Donatus 216. 306. 31.
Hyginus 112 f. 282? 324.
Probus 167. 82. 98. 313 f. 33.
Servius 168 f.
Spezialkommentar zu VI : 15, 1.
29,2. 31. 460.
SchoUen, latein. nach griech. Muster
113. 45. 200.
Sophokles benutzt eine Kardßaaic 219.
99.
spolia opima 331. 32 f. 464.
Tacitus' Sprache 137.
Theophrast it. X^Heujc 405.
Timaios über Italien 120. 75. 97. 224f.
Trogus kritisiert Vergil 313 f.
Töxn 149 f-
Varro 20. 41. 120. 42. 75. 97. 224.
309. 14. 30. 32; vergl. 'Ennius'.
Velia 224 f. 28. 29.
Vergil:
Arbeitsweise 22. 167. 96. 206.
Dubletten und Diskrepanzen infolge
mangelnder Redaktion 44 f. 154 f.
207. 26. 47.
Eigennamen 192. 222. 52 f.
Erfindungen, angebliche u. tatsäch-
liche 166 f. 68. 236. 44. 344. 51.
Gelehrsamkeit 112. 20. 25. 52. 84.
209. 35. 50.
Halbverse 323.
Kompositionsart und dergl.
14 ff. 42 f. 46 f. 47 f. 108. 9. 20 f.
39. 51 f. 54 59. 76. 76 f. 77. 89.
90. 94 (bis) 201. 4. 14. 15. 25.
33. 41. 43. 51. 63. 88. 94. 94f.
95. 96 (bis). 339. 42 ff.; vergleiche
Register HP unter 'Disposition'.
— T^voc öiTiYriiaaTiKÖv u. öpaiuoTiKÖv
verbunden 215. 66. 95. 301 f. 50.
52. — Griechisches und römisches
Kolorit verbunden 281 f. 84 f. —
Sentimental - reflektierend 121 f.
217. 59. 94. — Projektion der
Gegenwart in die Vergangenheit
142. 70. 280. 328. 52. 53 f. 61.
— Rituale Genauigkeit 131. —
Romantik und Religiosität 307.
12. 54. — Topographie gleichgültig
behandelt 133. 207. 15. 66. 461.
Obtrectatores 359 f. 464.
Parodiert von Apiüeius 296, von
Persius 286, von Petron 246, von
Seneca 263.
Rezitationen 144.
Sagenvarianten neben- oder nach-
einander 209. 33. 53. 55 f. 79. 84.
340, ostentativ abgelehnt 284. 313.
Vorbilder:
Allgemeines über die Art seiner
Nachahmung 359 f.
Apollonios 194. 99. 203. 35. 37.
46. 430.
CatuU 128. 80. 200. 47. 49. 58.
83. 91. 318. 38. 67. 431.
Ennius 359 ff. — 115, 1. 16. 19.
24. 30. 32. 35. 37. 38. 38 f. 40.
41 (bis). 42. 47. 48 (bis). 51.
53. 55 (bis). 58 (passim). 59.
60 (bis). 61. 72 (bis). 73 (bis).
74. 75. 79 (passim). 81 (bis).
82 (bis). 83. 83 f. 85 (passim).
86 (bis). 87. 91. 92. 96. 98.
200. 2 (bis). 4. 16 (bis). 18 (pas-
sim). 20. 21. 22 (bis). 23. 26 (bis).
27. 28. 29. 30 (passim). 31. 33.
34 (passim). 34f. 35. 36. 38(bis).
40. 45. 47 f. 49. 50 (bis). 52.
53 (bis). 57 (bis). 58. 60. 61.
61 f. 62 (bis). 63 (bis). 64. 70
(bis). 71. 72. 73. 74. 76. 77. 87
(passim). 90 (bis). 92. 92 f. 93.
94 (bis). 95 (passim). 96. 97 (pas-
sim) 98. 98 f. 300. 2. 2 f. 4 (bis).
5. 9 (bis). 11. 13 (bis). 17. 17 f
19 (passim). 20 (bis). 21 (passim).
23 f. 24 (passim). 26 (passim).
27. 30 (bis). 31 (passim). 33. 34.
36 (passim). 37 (bis). 38(passim).
39. 40. 93. 98. 4l3f. 14, 1. 3.
17, 3. 19, 4. 20, 1. 22, 3. 23, 1.
2. 3. 4. 25 (passim). 28 (passim).
29 (passim). 30 (passim). 37 (pas-
sim). 43. 44 (passim).
Furius Antias? 429, 3.
30*
468
REGISTER-
Homer 110. 29. 52. 56. 74 (bis).
77. 80. 90. 92. 94. 99. 201. 6.
14. 17. 18. 24. 28 (bis). 29. 40.
42. 47. 49. 51. 59. 60f. 61. 62.
63. 64. 74. 77. 83. 86. 90. 91.
93. 94. 96 (bis). 97. 305 f. 24. 39.
40. 43, 1. 44. 44f. 47f. 50 (bis).
Homerische Hemistichien kon-
taminiert 244. 46. 52. 361, 2.
Kallimachos 193. 99.
Lucrez 160. 87. 90. 97. 213 (bis).
20. 21. 40. 77. 78. 86. 90. 94.
302 f. (passim). 30. 60. 428. 29.
Lykophron? 148 f. 49. 253.
Mythograpbisches Handbuch? 253.
54. 55 f.
Naevius 222.
Nikandros 187. 428.
Pindar? 288. 93.
Tragödie, lat. 151. 220. 35. 47.
57. 60. 76. 85. 97.
Varius 143. 284. 444.
Varro Atacinus 127.
Zauberliteratur? 195.
viri illustres 308 f.
Mythologie, Religion, Philosophie.
Aberglaube (vgl. 'Eschatologisches'):
Eisen 163. 201. 16. 36. 463.
Geisterfurcht 191. 201.
Geisterstunde 197. 99. 339.
Gold 169, 3.
Incubus 282. 312.
Mistel 162 fif. 352. 462.
Zauber bannt 241, öffnet Türen 146.
54; Zaubergöttin Hekate 194 ff. 98.
99. 202. 462; Zauberpapyri 136.
42. 44. 46. 69, 3. 95. 99. 202. 4.
Aloiden 275.
Analogieen aus anderen Kulturkreisen :
Babylon 162, 1. 64, 1. 65, 5.
Germanen u. Kelten 163. 65. 70. 211.
Mithras u. Zoroaster 7, 3. 459.
ApoUon :
äpxTiT^Tr|c der Kolonisten 117. 40.
Tempel auf dem Palatin 142 f.
Ares auf der Tempelschwelle 208.
Christentum u. Hellenismus (vergl.
^ Apokalytische Literatur ' unter
' Echatologisches ') :
Dämonen 33.
Führung im Jenseits 43 f.
Fürbitte für arme Seelen 7, 3.
Honig als Taufsymbol 300.
Paradies, doppeltes 28 f.
Philosophen und Mönche 36, 2.
Purgatorium 25 ff". 460.
Seelenklassen im Jenseits 14, 1.
Daedalus 120.
Deiphobus 253 ff. 463.
Dionysos, indischer 318.
Dioskuren 157.
Eridanus 288. 92.
Erinys schlafend 209; am Cocytus 230;
als ömiuuuv ^q)idXTric 274. 464.
Eriphyle 244.
Eschatologisches:
ÖYOMOi, öxaqpoi, äiupot 10 f 11. 14, 1.
41. 217.
Apokalyptische Literatur 6 ff. 20 f.
42 f. 47 f. 203. 19. 68 f 70. 74. 83.
84. 88f. 89. 93. 339 f 459. —
Apokalypse, Prophetie und Vision
147. 351.
ßiaioedvaroi 11 f. 41. 252.
ßöpßopoc 236.
Cerberus 232. 32 f. 37 f.
Charon 216 ff. 31 ff. 463.
Dämonen 208 ff.
eiöuuXa 245. 56.
Elysium 287 ff. 352; Doppelung 28 f.
Führung im Jenseits 152. 54; dop-
pelte 42 f.
Hades als Hirt und Völkersammler
265, als wildes Tier 207; Hades-
ströme 215.
Hermes njuxoTroiLnTOc 305.
Kaxdßaöic :
des Herakles 5. 15. 154. 60. 68.
201. 19. 31ff. 51. 68. 93. 348f.
des Orpheus 5. 21. 156 f. 68. 231ff.
68. 69. 70. 99. 348 f
KardXoYoc tOuv döeßuiv 280 — 85; tujv
jLiOKdpujv 33 ff. 288.
Lethe 298.
Mond als Aufenthaltsort der Seelen
23 ff. 27, 48,1. 460.
v^Kuia Homers 196, 1. 344, 1. 47 f
51.
REGISTER.
469
veKUOjLiavTeia 2. 41; v. u. Koräßaaic
196, 1. 348.
Persephone 164. 69. 352.
Plutons Thron 233, Palast 286.
Purgatorium 23 ff. 31 f.
Rhadamantys 268.
Seelenwanderang 16 ff. 43. 46. 298 ff.
305. 10. 460.
Sphären, neun 29 f.
Sündenbekenntnis im Jenseits 269.
Tartarus 266 ff. 351 f.
TÖTTOC äceßOüv 272.
Totengericht 239 f. 67.
Wiedersehen im Jenseits 243. 336.
Fluch 262.
Gebet 135. 37. 40. 41. 42. 46. 54. 55.
56. 57. 73. 86. 204. 30. 369. 461. 62.
Goldener Zweig 161 ff.
Helena 162. 254 f., s. aber 463.
Herakles u. die Hesperiden 171. 210.
Kaineus 244 f.
Kentaur Todesdämon? 210; s. aber 462 f.
Kyklopen 162.
Misenus 175 f. 80. 462.
Mysterien 3. 38. 169 f. 459. 62.
Nacht und Erde: ihre Genealogie 199.
Nacht als Vogel 264. 334.
Nymphen Baumjungfrauen 162.
Orakelgrotten 133. 34. 38.
Orakelpoesie 21 f. 139. 42. 47 f. 63.
74. 98f.; sibyllinische 142. 43. 46 f.
47. 50. 51. 73. 74. 99 (bis). 289.
Palinurus 223 ff.
Pasiphae 242. 44.
Pflanzen und Bäume, immergrüne und
unfruchtbare 164. 69 f. 2ll. 36. 44.
Philosophie:
Heraklit 18, 1. 33 f. 404 f.
Piatonismus 17,1. 22,1. 27,1. 29. 41.
Pythagoreismus u. Orphik 11, 1. 2.
16 f. 20 ff. 23. 25. 30. 34 f. 35. 38.
41. 47. 152. 56f. 264. 69. 99. 305;
vergl. 'Kaxdßaöic des Orpheus'
unter ' Eschatologisches ' .
Stoa, insbesondere Poseidonios 3 f.
16f. 20. 22. 23ff. 30. 31. 32. 34.
35. 39. 43. 46. 47. 48. 48, 1. 208 f
304. 459 f. ; über Mantik 39 ff.; über
Gebet 230; Stoa und Volksmoral
281; Stoa und römische Politik
328 f.; Philosophen als Erfinder
der Künste 34 f.
Phlegyas 269 f.
Sakrales:
Grabesblumen 338.
Grabesehren 190. 93.
Honig chthonisch 299 f.
Kenotaphien mit Symbolen 258.
Olive lustrierend 192.
Opfer anf dem Scheiterhaufen 182.
Opferritual 198; Opfertiere 131.
Purpur Substitut für Blut 191. 338.
Salmoneus 275. 76.
Schwelle des Lichts u. Himmels 200;
des Tempels 155. 74. 208.
Seelen als Bienen 17,1. 299f. 464;
Seelenvogel 162. 211. 19. 462.
Sündenbekenntnis im Leben 269.
Tantalus 278 f.
Thebanische Helden 251 f.
OeoXÖTOi 35.
Theseus im Hades 284.
Tityos 277 f.
Traumsymbolik 339. 40.
Träume als Vogelwesen 211.
Trojas Zerstörung 254 f., s. aber 463.
Vergleich und Identität 162. 2llf. 13.
54.
Verwandlungssagen 166 f.
Vögel pfadweisend 170 f.
Wahnsinn, prophetischer im bildlichen
Ausdruck 143. 43 ff.
Weltenbaum 211.
Winter und Tod 163.
Wintersonnenwende 165.
n.
Grammatisclies und Lexikologisches.
a und ab 223.
absistere 200 f. 34.
ac vergleichend 300.
adferre se 366.
Adjectiva composita l72f. 87. 213. 37.
50. 57. 74. 77 (bis). 78. 367. 420, 1.
22,2. 27,3. 28. 53,5. 62; dithyrambisch
317 f. 464; umschrieben 263. 77. 80.
aequaevus 173.
aequor 'Meer' 303. 423, 4.
470
REGISTER.
aeripes 318.
aeternum Adverb 235.
agere se 226.
alacer -cris 295. »
Aleides 157.
ambages 151.
amnis 266.
Anakoluth 151. 372 f.
animus und mens 119.
awwe 302.
antrum 119.
ora und altaria 182 f.
J.r^i, Argos 325. 464.
arwa 'Werkzeuge' 185.
armipotens 257. 324.
armisonus 173. 274.
armus 338.
arva = Zi^MS 141. 461.
Aspiration 245.
as< 220.
Asyndeton zweier Attribute 280.
atque 'und da' 179.
attonitus 138.
audere eijqpriiuiuc 286.
Auguralsprache 124. 85 f.
auricomiis 172 f.
bidens 131 f.
hiformis 128.
bracchium 'Zweig' 212 f.
&U5tt«m 183.
caducus 252.
caecus metaphorisch 129.
caelifer 317.
calidus und caldus 191.
copu* metaphorisch 228.
carpere viam 287.
castigare 273.
ceM 184. 429.
Chiastische Gedankenfolge 235.
eiere 248.
cmis und favilla 192.
circa 333. 98.
circumferre sakral 192.
classis archaisch 223. 97.
cognoniinis 231.
conari 129.
condere saeculum 317.
conferre pedem 365 f.
coniugiwn 285 f.
consilium und concilium 239 f.
coniiÜMcre sakral 198.
conubium 285.
cowweaJMS 197.
cornipes 277.
corpMS periphrastisch 126; 'Leiche' 174.
corripere se 366; corripere (carpere)
viam 287. 399.
cortina 227.
crater und cratera 192.
crcfMS 311.
cunctari 189.
debellare 330.
defungi vita 218.
desuper 294.
Doppelung des Begriffs 136. 46^.
(^wctor 223.
ecce und ecce awiew 199. 226.
educere = educare 311.
efferre se 366.
egenus 365.
emicare 115.
emowere 262.
ew 226.
Enallage des Adjektivs 112. 205 f. 397.
gv öiä buoiv 212.
c«m archaisch 129. 220. 394.
er^ro Partikel 246 f.; Präposition 293 f.
ertictare 115, 1.
euhans 260.
Euphemismen 128. 285 f.
evocare 305.
evomere 115, 1.
eajim, ea;iw 339.
eajosMS 340.
exsomnis 270.
exsors 239.
exto und viscera 198.
extemplo 124.
fastigium 228.
/a<w 430, 2.
/a«Mm 135. 230.
fauces 207.
/eZia; 314.
/erre 'rühmen' 322.
fltientum 221.
forma 'Gespenst' 210; = formula 283.
Formenlehre
des Nomen:
Nominativ sg. auf -or -os 208.
griech. auf os 401 f.
pl., griech. auf -e 304.
Vokativ sg., griech. auf -e -ä 402.
Genitiv sg. auf -ii 285 f.
auf c (l5j9ej 337.
griech. auf -es 298.
auf -ö 402.
auf f-i -is) 402.
pl. auf -um -ium 187.
auf -um -orum 217 f
auf -um -uum 292.
Dativ sg. auf -u 248.
Accusativ sg., griech. auf -en 403.
auf-m 403.
auf -ow 402 f.
pl. auf -es -is 149. 302.
21.
Ablativ sg. auf -e -i 231.
REGISTER.
471
Ablativ 8g. auf -e -e 237.
Singularia und Pluralia von Orts-
namen 312.
Suffixe :
Adjectiva auf -eus 192. 212. 15.
77. 318. 37.
auf -fer 274.
auf -ficus 280.
auf -orus 234.
auf -US -is 397.
Substantiva auf -men 191; Patro-
nymica 326.
des Pronomen:
hae, haec 326.
olle 220.
qui = cui 319 f.
qui und quis 271.
Suffix -}net 258.
des Verbum:
fervere, fulgere 323 f.
Imperfectum mit -i -ie 248.
Synkopierte Formen 126 f. 40. 47.
fm-te 'grade' 181. 85.
fretus 157.
fulcrum 280.
fvmdere metaphorisch 243.
funits ''Leiche' 174.
geminus 187. 316.
genae 296.
genus = progenies 317. 24. 25.
<jfw == KV 126.
gnatus 155. 336.
grandaevus 173.
graveolens 187. 443.
gressus (particip.) 287.
habenas immittere 111.
hebetare 304.
Herculeus 158.
Ä«ros 181.
Hesperia 116. 41.
horrisonus 274.
hortator 262.
hymenaeus 285.
iaw — ia/n 291.
ignipotens 173.
Ilium -on -os 141.
imperare und iubere 247 f.
inamabilis 241.
incawt^s 319.
incipere velle 305.
incohare sakral 198. 208.
indebitus 141.
infernus 154. 71.
ingratus 190.
iniussus 230.
inolescere 304.
inopinus 153.
inremeabüis 128. 237.
insomnium 340.
instar 333.
intonare 280.
invergere sakral 198.
invius 175.
iste 120 f.
Wime 234. 447.
Ito^MS 309.
mxto 245.
xa\6c 321.
labyrinthtis 128.
Lacaena 260.
ZetMWi 208.
Libystis 326. 465.
hngaevus 173. 220.
magnanimus 218. 419, 4.
rmilesuadus 365.
malignus 206.
manes = &ai|aovec 32.
meinorare 158.
Metaphern 111. 24. 29. 37. 43. 51.
81. 2l2f. 17. 27. 28. 29. 36. 39(bi8).
43. 70. 74. 87. 90. 98. 302. 30. 34.
38; Vertauschung von Sinnesempfin-
dungen 200.
wi = »«ÄJ 153.
'militaris sermo' 287. 94. 305. 443.
ministerium 191.
mittere sakral 365.
mora: haud nwra adverbialisch 182.
'nauftctts sermo' 111. 85.
«€C OTOw 185.
w^gwe eniw 443.
nequiquain 155 f.
m' 227.
nigrans 198.
nimbus 276 f.
»mnc -WM«c 220.
nuptiae 285.
o6 293.
oblivia — «;« 301.
obuncus 278.
oleum, olivum 192.
olivifer 422, 2.
omniparens 278.
omnipotens 277. 414, 1.
opacus, opacare 186. 89. 422, 4.
optare 'küren' 187. 257.
orare 'reden' 158.
orare 276.
pacare 318.
pandere 'offenbaren' 22, 2. 203.
parumper 231.
pasci 186.
pausa 367.
472
REGISTER.
pavitare 257.
pecten = plectrum 291.
perßcere sakral 289.
perosus 240.
Persephone, Proserpina 125. 71.
Personifikationen 137f. 206.
34. 48. 337. 462.
porro 'fern' 300 f.
portitor 215 f.
poscere 'beten' 135.
postumus 'spätgeboren' 310 f.
potens im Zauber 198.
poUri ^puuTiKuic 286.
praecipere = irpoXaiußdveiv 153.
praenatare 298.
praepes 124.
praescius 141.
prensare 228.
primaevus 173.
pristinus 250.
procul 'in der Nähe' 128.
proles 128. 314.
iTpö|uoc 33, 1.
propinquare 236.
protinus 130.
pulcher 321.
^torc 220. 366.
p?/ra 190.
quadrupedans 364.
quaeso 234.
gware 449, 1.
gwe — gfMß 130. 41. 223. 440.
quire 248.
rehar 297.
rebellis 332.
regificus 280.
Boniulus Adjectiv 337.
secare viam 340.
scö5 ewm 129.
seties 'Grab' 174.
sewiws 247.
sepelire 238.
septemgeminus 318.
sermoweOT sercre 179. 366.
servare 'beobachten' 186. 226.
sistere 331.
sonipes 184. 362.
sopor 209.
soportis 234; soporare 237.
spelaeum 119.
spes 229.
sponte sua und swa sponte 146.
siare prägnant 126.
öTUYcpöc 244.
subigere 273.
si«ccipere sakral 198.
super- in Komposition 331.
SMjjerwe 292.
8 f.
supponere sakral 198.
suprema u. extrema = rä laxara 190.
surgere 229.
suspectus (substant.) 274.
sutilis 236.
Syntax
Kasusgebrauch:
Vokativ ohne Interpunktion 378, 1.
Dativ 'auctoris' 312.
bei haerere u. dgl. 227.
bei subire 119. 91.
bei Verbalsubstantiven 160.
des Zwecks 278 (295).
Accusativ
bei ecce 376.
bei innare 161.
bei personare 237.
bei regnare und triumphare
311 f.
bei transportare 221.
'Objekt, inneres', 155. 79.
98. 219 f. 49. 57. 92;
vergl. 'Gräzismen'.
ObjektsbegriflF verschoben
304. 38.
Prägnanter Gebrauch 290.
Pronomen neutr. 234.
Richtung und Ziel 226. 64.
90. 97.
Ablativ 'separationis' 184 f. 295 f.
Lokativ (wirklicher u. angeblicher)
147. 220. 26. 91. 376 (bis).
Plural, sog. 'poetischer' 114. 28.
37. 58. 92 (bis). 200. 29 f. 85. 304.
19. 20. 24. 99 f.
Präpositionen, prägnant ge-
braucht 137. 235 f.
Modusgebrauch:
Indikativ im indirekten Fragesatz
283. 313.
Konjunktiv nach quamquam 234.
Infinitiv bei adigere 297.
bei contingü 154.
bei dare 141.
bei ingredi 334.
pass. bei lix:et 398.
statt Gerundium 161.
Imperativ bei ne 264.
bei quin 322.
Participium coniunctum 372 f. 78, 1.
Tempusgebrauch:
Praesens statt Praeteritum 113. 213.
Futurum, modales 329.
Futurum II 149.
Perfectum: Infinitiv aoristisch 145 f.
Plusquamperfectum 262.
Parataxe subordinierter Begriffe
127f. 207. 17. 21. 50. 62. 73. 87.
98. 301 (bis).
Ausgleich zweier Konstruktionen
172. 228. 63. 64. 300. 24. —
REGISTER.
473
Wunsch- und Bedingungssatz 197.
338.
Systemzwang durch rhetorischen
Parallelismus 161. 90. 206. 16.
26. 37. 78. 92. 95. 333. 37. 75ff.
400.
Gräzismen 141. 48. 54 (bis). 61.
79. 212. 19. 21. 22. 35. 36. 37
48. 60. 63. 78. 83. 87. 376.
taeter 161.
Tartara 161.
temer are 325.
temnere 284.
tetidere iter, cursutn etc. 197.
tenebrosus 154.
thalamus 285.
Thyhris und Tiberis 148.
Titanius 304.
torvus 248.
trifaux 237.
truncus 257.
turbare (intrans.) 318.
turriger 428.
turritus 315.
vectare 234.
velut und veluti 300.
venerabüis 236.
vestibulum 207.
vicissim 263.
vj'dew 313.
videri im Prodigienstil 200.
tnr 181. 314.
M^fro 234.
umbrifer 250.
unum 'nur eins' 153.
Wortstellung 382ff.; dirö koivoO
132. 54. 74. 200. 28. 39. 45. 49 f.
57. 91. 301. 38; vergl. 181.
Apposition il6. 326. 78, 1.
Attribut und Substantiv 202. 36.
46. 52. 53. 60. 83. 305. 10. 84 ff.
90 f.
Indifferente Worte am Versende 391ff.
Inversion von
Partikeln 129. 42. 46. 65. (81).
84. (245). 325. 33. 93 ff.; Hyper-
baton von qiie 233. 321.
Präpositionen 140. 221 f. 45.
Pronomina: ipse 222, Relativum
317.
Namen (longa Alba, Silvius Äeneas,
Augustus Caesar) 311 (bis). 17.
Symmetrie 125. 29. 30 f. 38. 46.
55. 73. 74. 79. 86. 87. 89. 90.
97. 213. 22. 26. 27 f. 30. 38.
41. 49. 58. 59. 60. 73. 80. 85.
87. 90. 95. 803. 4. 9. 18. 21.
29. 40. 82 ff. — Antithetische
Worte zusammengerückt 171.
386.
ööTcpov irpÖTcpov 125. 55. 85. 92.
222. 28. 30. 64. 65. 71. 305;
vergl. 372.
yu differenziert zu yo 403.
m^
Metrisches und Prosodisches.
Aphaeresis (Apokope)
von (e)s, (e)st 327. 438,2. 47 f.
von (tjstinc 234. 447.
von n(e) 326.
Betonungswechsel gesucht 316 f.
Caesuren des Hexameters 415 ff.; Cae-
suren bei qtie 172. 418, 1; Caesur
und Synaloephe 415, 2; Caesuren und
Interpunktion 380.
Dehnung, irrationale kurzer Vokale
439 ff. — 130. 99. 208. 23. 95.
Hexameter, Struktur: 119. 22. 28.
29. 37. 38. 51. 55 (bis). 67. 60. 71 f.
72. 81. 82. 84 (bis). 91. 92. 212 (bis).
13. 18. 22. 23 (bis). 26. 28. 29. 34.
40. 45 (bis). 48. 50. 52. 59. 61. 62.
64. 74. 79 f. 86. 94. 97. 98. 316 (bis).
18. 21. 24 (bis). 27. 40. 67. 68. 4l5ff.
25 f. — Erste und zweite Vershälfte
249 f. 382 f. 86. — Unregelmäßige
Versschlüsse 427 ff. 65. — Hyper-
meter 280. 414, 1.
i=j in actes, etiam, Antium 130. 449 f.
Metrik, lat. nach griech. Theorie 130.
280.
Positio debilis 223. 317.
Proklisis und Enklisis 316. 30. 66.
419, 3. 24. 49. 50, 1. 61 ff. (passim).
474
REGISTER.
Proßodie
von Chorea 290.
dehinc 294.
Fidena 312.
hie 316.
Italia 141.
Lavinium 147.
0 in ergfO, Scipio, oblivio etc.
301. 26. 448 f.
Priamides 269.
Sicilia 141.
superne 292.
Rhythmen, malerische 409 ff. 65. —
111. 12. 28. 36. 39. 47. 51. 54. 57.
61. 78. 81 f. 84. 85. 86. 87. 89. 206.
13 (bis). 17. 19. 22. 26 (bis). 28. 31.
35. 36. 39 (bis). 41. 46. 50. 57. 61.
66. 83. 83f. 87. 90. 91. 96. 311. 16.
19. 21. 26. 33. 36. 40. 404 f.
Sprache und Metrum 112. 13. 13f.
25. 26. 27. 29. 39f. 40. 41. 47. 49.
54. 58 (bis). 61 (bis). 71. 81. 84. 85.
91. 92. 212 (bis). 13. 15. 21. 27 (bis).
36. 40. 48. 77. 80. 83. 85f. 87. 301.
4 (bis). 11. 12 (bis). 26 (bis). 30. 37
(bis). 39. 99 f.
Synaloephe 442ff. — 119. 37. 38.
41. 55. 74. 87. 89. 93. 97 (bis). 220.
23. 26. 33. 58. 63. 71. 85. 85 f. 300.
1. 2. 4. 11. 12. 14. 24. 30(bis). 62, 1.
65. 67. 415,2. 28. 29. 30. 37. —
Mehrere Synaloephen nacheinander
185. 266. - Synaloephe nicht voll-
zogen 259. — neque und nee 445.
Synizese 130. 31. 212. 447.
Synkopierte Wörter (' Schnellsprech-
form') 449 f.
Tmesis 141. 260. 378, 1. 93, 2. 441.
iir
Rhetorisches.
Antithesen und Kontraste 116. 18. 22.
29. 39. 51. 71. 89. 204. 15. 16f. 21.
28. 38. 45. 60. 74. 91 f. 311. 12.
14. 20. 43 (bis). 46. 52. 86, 2. 87.
452. 57.
Deklamationsthemen aus der Geschichte
306. 12. 22. 22 f. 23. 27 ff.
Disposition und Komposition:
Triadische 370f. — 109. 16. 19f. 32.
39. 58. 78. 89 f. 202. 5. 13 f. 14.
17. 22. 31. 37. 41. 46. 50f. 51. 53.
66. 71. 72. 76. 94. 96. 98. 305. 6.
30. 46. 49. 49 f. 50. 53. — Bei
Pindar 370,2; Horaz 370,4. 464.
Buchkomposition 110. 331. 40f. 464.
Konzentration der Handlung 346.
47. 49. 50.
«Kqppdaeic 120 f. 32. 83. 96. 266. 88.
89. 98. 340.
Ethos und Pathos 122. 26. 39. 53.
55. 59. 74. 79. 81 (passim). 204. 20.
22. 28. 29. 34. 39. 41. 46. 49. 52.
56. 58. 59. 60f. 96. 303. 7. 11. 21.
22. 24. 27. 30. 36. 37. 43 (bis). 45.
49. — 115. 50 f. 55. 82. 259 (bis).
72. 74. 76. 307. 8. 10. 12. 23. 27. 51.
Gleichnisse 205. 6 f. 18 f. 46. 98. 313.
18; äXXriYopia 143.
Interpunktion 377ff. 464. — 136.
38. 57. 75. 82. 87. 310. 16. 20. 20f.
22. 31 f. 38. 38 f.
;«aKorri\ia 115 f. 221. 28. 77 f. 317.
Kürze 110. 97f. 237. 49. 322. 29. 43.
KOTCt TÖ aiuJTriJÜ|iievov 119. 34. 45.
78. 87. 91. 236. 94. 461.
Sentenzen in 1 Vers 230.
Xi^iq (vergl. auch oxr]^aTa):
Lautmalerei 404ff.
Alliterationen 407. — 112. 18.
24. 36. 41. 49. 51. 55. 57. 61.
73. 74 (bis). 81 (bis). 84. 86 (bis).
89. 90. 92. 97. 200. 5. 12. 15.
20. 22. 26 (bis). 27. 28. 31. 34
(bis). 36. 37. 39. 40. 41. 48. 57 f.
58. 59. 62 (bis). 63. 64. 66. 72.
73. 86. 87. 89. 93. 96 f. 98. 303
(bis). 10. 11. 12. 21. 23. 25. 29.
31 (bis). — Ältestes Schema 295.
— In einem Edikt des Augustus
331.
Einzelne Buchstaben:
c 304. 408, 2.
l 192. 248. 61. 92.
m 408, 2.
p 290. 92.
r 136. 51. 80. 89. 220. 37. 66.
73. 318. 408, 2.
REGISTER.
475
S 181. 248. 66. 73. 98. 408, 2;
aiTMaTiöjLiöc 303. 406, 2. 8, 1.
t 189. 253. 66. 318.
tr 234. 73. 318.
V 215. 27. 38. 323.
Vokale 157. 72. 81. 92. 96f.
200. 37. 48. 53. 61. 73. 90.
98. 408, 2.
delectus verborum:
sordida vocabula gemieden 1 14f .
64,4. 85. 215. 62. 85. 86; ab-
sichtliche xa-rreivijuöic 234.
Kakophonieen, wirkliche u. an-
gebliche: 148. 271.
Wechsel des Ausdrucks gesucht
139f., nicht gesucht 237 f. 461.
Metrik durch Rhetorik beeinflußt 443.
52 ff. (passim).
Periodik 369£F.
Parataxe 174f. 300. 71ff. ; kommatisch
136. 47. 262 (bis). 461 f.
TpiKuuXa 111. 14. 16. 20. 29f. 32.
35. 39. 42 f. 50. 58. 78. 89. 93f.
205. 14. 22. 31. 38. 39. 40. 41.
51. 53. 66. 73. 75. 80. 83. 84.
87. 88. 93. 94. 97. 98. 310. 12.
15. 21. 30. 39. 69f.
TeTpÖKUjXa und öiKuuXa 120. 34 f. 39.
42 f. 50. 58. 78. 94. 203. 14. 22.
31. 37. 41. 51. 53. 66. 72. 73. 75.
86. 86 f. 87 f. 93. 94. 98. 305. 9.
iaÖKUjXa, udpiaa (Parallelismus des
Ausdracks) 373ff. — lll. 61. 74.
78f. 87. 91. 205. 6. 15. 20. 27. 30.
41. 53. 57. 59. 66. 73. 76. 86. 87.
89 f. 90. 97. 98. 303. 12 f. 15. 19.
23. 29. — Substantiv und Attribut
205. 89. 98. 315. 19. 84fiF. —
Lucrez 458. Ovid 375.
Pointen am Schluß 217. 463.
Tipeirov der Personen 228. 29. 60 f.
345; des Sachlichen 272.
Reden, rhetorisch disponiert 150. 222.
29. 59. 71. 302. 5 ff. 13. 15 f. 27 f.
34 f. — Im Versinnern beginnend
und schließend 135.
biavoiac:
äiropia 307.
äTTOOrpocpri 122. 25. 307.
^Kq)U)VTiöic 307. 37.
ejuqpaoic 259 f.
€v60|uri|ua (argumentum ex con-
trario) 150. 266. 318. 29.
dpujTTiiua 279. 307. 13.
OuepßoXri (auHnöic) 160. 83. 91.
246. 74. 77. 86. 312. 13f. 17;
xveüboc 140 f. 55 (doch s. S. 462).
261. 323. 25.
öiroTvnTuuöic 307.
X^?euuc:
Anaphern 120. 22. 35. 36. 37. 49.
60f. 79. 81. 200. 27. 41. 66.
86. 89. 90. 97. 303. 16. 23. 36.
81. 92.
Chiasmus 235. 71.
eiravaöiTrXujöic (repetitio) 179 f. 256.
exomatio (expolitio) = stilistische
Variation 128. 41. 61. 74. 80.
83. 91. 205. 33 f. 38. 40. 73.
75 f. 77. 89. 315. 460 f.
kOkXoc 136.
ö|ioiöiTTiuTa vermieden oder ge-
sucht 396 ff. — 112. 49. 80. 84.
92. 205. 29. 89. 91. 95. 316.
19. 33. 39. 400. 2.
öiLioiOTeXeuTO Ulf. 36. 74. 87. 90.
91 (bis). 220. 27 (bis). 37. 40.
41. 48. 58. 59. 73. 87. 90. 303.
25. 29. 83 f.
TTCpiqppdaeic 115. 99. 263 f.
TroXOiTTiJUTa 311. 12.
Wortspiele {Tiapi\xr]Oic, Trapovoina-
aia) 188 f. — 122. 36. 74. 79.
80. 81. 237. 83. 310. 73, 3.
IV. ^)
Stellenregister.
Accius tr. 522 f. 238.
Acta Thomae c. 54 283.
Aeschylos, Suppl. 202 K. 211.
Ag. 183K. 414, 2.
Aetna 112. 299 252.
Anthol. Pal. VI 154 389, 1.
VI 165 389.
VII 278 226.
1) Dieses Register enthält ein Verzeichnis nur derjenigen Zitate, zu denen
Bemerkungen größeren oder geringeren ümfangs gemacht worden sind.
476
REGISTER.
Anthol. Pal. IX 215, 5 246.
Apuleius m. V 25 124. 250.
VI 18 220.
VI 19 161.
VIII 26 296.
Aristides rhet. or. 26 313. 27 f.
31 334 f.
II 225 K. 293.
Aristophanes, Frösche (passim): vergl.
Register P Eschatologisches , Kard-
ßaaic des Herakles.
Aristophanes, Vögel 695 211.
[Asconius] in Verr. II 1 p. 255 239.
Ausonius Mos. 255 182.
Bakchylides 5, 64 f. 218.
5, 71 ff. 201.
16 (17), 119 412, 4.
Catull 59 183.
63, 15 184.
63, 53 184.
64, 112 ff. 128.
64, 114 431.
64, 198 138.
64, 263 180.
64, 271 200.
64, 298 184.
69, 2 145.
100, 3 381, 1.
vergl. Register I" Ennius.
Cicero Arat. 13 274.
132 414.
vergl. Register I' Cicero,
de div. I (Quellen) 40 f.
somn. Scip.: allgemeine Kom-
position 43. 46. 47 f. 460.
13 35.
15 30.
16 30, 1.
17 29 f.
18 34.
26 30, 1.
29 25, 1.
Consolatio ad Liviam 21 If. 217ff. 334f.
Culex 179 280.
Cyprian ad Donat. 1 179.
Demosthenes de cor. 63 ff. 321.
80 119.
205 12.
Empedokles fr. 115. 146 Diels 20. 31.
33, 1. 33 f.
Ennius ann. 34. 125f. 193 ff. 281. 419
S. 183. 410f.
trag.fr. 154; p.295R.'; Med TU
S. 161. 290. 430, 4.
vergl. Register I* 'Ennius' und
'Vergil': Vorbilder.
Epigrammata graec. ed. Kaibel 1056
S. 242.
lat. ed. Bücheier 55, 5 393, 5.
56, 4 390, 1.
1265 375, 2.
1533 427, 3.
Gorgias Helena 2 203.
Hermetische Schriften 43. 203.
Herodot I 167 224.
Homer B 671 ff. 180.
Z 395 f. 179.
H 278 135.
A 346 135.
= 286 211.
398 189.
Y 371 f. 179 f.
X 359 f. 140.
V 118 f. 183.
b 121 f. 162.
i 191 f. 162.
X 40 f. 245.
155 ff. 160.
[X 21 f. 161.
UJ 5 ff. 162.
Vergl. Registerl» 'Vergil' : Vor-
bilder, Homer und Register P
'Eschatolog.' : v^Kuia Homers.
Horaz carm. I 1 370, 2.
1, 23 180.
5, 1 ff. 389.
5, 9 f. 189.
9,3 415,1.
9, 21 f. 389.
12 307.
19, 6 250.
22 370, 2.
28 388 f.
31 370,2.
31, 7f. 417,5.
34 370, 2.
n 1,17 f. 180f.
3, 11 f. 415,1.
3,27 283 f
18 388.
20 370, 2.
m 1 370,2.
4 370, 2.
9 370, 2.
11, 26 f. 389.
IV 4, 72 435, 6.
5, 9 ff. 111.
6,21 227.
7, 25 443.
9, 11 f. 157.
9, 34 301.
14, 5f. 317.
14, llf. 312.
14,25 173. 318.
epist. I 2, 43 423, 6.
REGISTER.
4
Horaz epist. II 1, 203
408, 2. 1
Lucrez I 133
238.
1,253 f.
312.
259
181.
3, 139
431, 3.
475
112.
3,259
414, 2.
852
207. 8.
epod. 2,35
415, 1.
II 619
181.
2, 43 ff.
388.
960
239.
2,65
127. 415, 1.
1092
146.
9,1
127.
III 46
294.
14,13
254.
57
138.
16,48
407, 3.
67
208.
17,6
137.
69
145.
sat. I 1,28
414, 2.
681
239.
2,32
363, 2.
907
283.
2,37
363, 2.
1025 ff.
356, 1.
4,105
324.
1089
179.
5,20
395, 1.
IV 124
428, 2.
5, 73 f.
388, 1.
181 f.
334.
6,12
317.
543
181.
8,6
220.
967
181.
8,25
420.
981
157.
10,27
295.
V 24
112.
n 1, 13ff.
373, 2.
29
181.
1,58
334.
33
248.
1,72
326.
795
138.
2,52
363, 2.
973
238.
2,57
439, 1.
993
238.
3,194
324.
9 97 f.
238.
3,223
280.
VI 152
172.
3, 293 f.
372,2.
645
147.
4,85
330.
743
124.
5, 5 ff.
394, 3.
749
126.
5,41
323.
833
186.
5, 62 ff.
316. 17.
1141
181.
6,5
337.
1203
181.
6, 6 ff
156.
vergl. Register I» '
Ennius'
6, 100 f.
395, 1.
Lukian öXtiB. öuit- n 29
268.
7,100
362, 1.
bia\. vCKp. 10, 1. 5
232.
8,34
324. 63,2.
KaxairX.
22 ff.
268.
8, 77 f.
408, 2.
veKUOjLl.
9 f.
195.
vergl. Register '.
» 'Ennius'.
TT. TT^VO
Lydia 67 338.
7
305.
Kallimachos ep. 63
424.
Lykophron 3 f.
151.
h. 3,172
284.
685
201.
4,311
417,4.
1226ff
146.
Kolluthos 196 f. 183.
Manüius I 754 ff. 46. 308.
22.
Lactantius de ira dei I 11, 7 f. S4f
IV 23 ff. 307.
div. inst. VI 3 34, 1.
V 91 ff. 276.
Livius XX 332 f.
Maximus Tyr.
14, 2 195.
XXX 42, 17 329.
Musaeus 160
249.
Lucan I 183 323.
245
243.
n 106 f. 239.
V 207 321.
Nikander, Alex
301 243.
VI 795 323.
IX 348 ff. 171.
Oppian hal. I 73 ff. 204.
723 431, 2.
229 f. 111,
X 318 435,3.
[Oppian] cyn.
a 410 ff. 243.
'Orpheus' 231 f.
Origenes Homilien 26.
Luciliu8(?) bei Cic. Tusc. I 10 283.
c. Celsum 144. 46.
1181L. 292.
Orpheus :
vergl. Register P 'Ennius',
Argonaut. 42 ff. 265
156.
477
478
REGISTER.
Orpheus :
Argonaut. 950 ff.
fragm. 49 Abel
141
154
156
158
165
hymn. 37. 57. 68.
Ovid: am. I 7,51
ars. a. III 9 ff.
fast. II 566
IV 81
her. 7, 95 ff.
11,59
11,69
16, 107 ff.]
17, 117 f.]
17, 200]
met. I 117
II 358 ff.
706
III 419
Vn 113 f.
663
VIII 22
462 f.
480
703
IX 490
X 502 f.
647 f.
XI 46 f.
61 ff.
242
265
XII 530
593 ff.
XIII 31
925 f.
XIV 108 ff.
116 ff.
167 ff.
726 ff.
837
XV 217
497
677 ff.
718
vergl. Register I'
195. 209.
203.
203.
26.
30.
231 f.
38.
69 157. 305.
250.
244.
183.
180.
250.
140.
130.
183.
250.
247.
428,6
166.
193.
250.
200.
429, 1.
223.
129.
182.
367.
129.
193.
189.
243.
243.
286.
286.
311.
140.
311.
125.
147. 69.
46.
278.
247.
319.
441.
449.
136.
130.
' ^Ennius'.
Pacuvius 319. 336f.R. 297. 408,1.
362 188.
Phaedrus fab. IV 17 (19), 22 f. 276.
app. 6, 4 151.
vergl. Register I* Thaedrus'.
Philo de somniis I 22 48.
Philostratus her. 143 242.
iun., imag. 6 291.
Pindar 0. 1, 77. 95 410, 2.
2 36ff. — 18f. 20. 28.
Pindar 0. 2 30, 1. 270.
2,23 (25) 412,4.
2, 52 (57) 412, 4.
4, 11 f. 412,2.
6 370, 2.
6, 100 f. 413,2.
9, 49 123.
P. 1,23 406,2.
1,29 412,2.
2, 3 f. 410,2.
2, 21 ff. 39,1. 269.
2, 64 ff. 335.
3 370, 2.
3, 28 f. 366.
4, 226 406, 1.
7, 10 122.
8, 35 337.
N. 1 370,2.
I. 5 (6), 23 317.
fr. 101 Bgk. 125.
129 288.
Piaton Conv. 197 C 424.
Gorg. 493 A 203.
625 C 269.
Erat. 424B 405,1.
Leg. IX 880 E 281.
Menon 81 A 203.
Phaedon 68 A 243.
107 D 32.
112BC 154.
114A 269.
Resp. II361E363CD 269.
X 614. 615. 616. lOf. 13.
19. 35. 269. 81. 84.
93. 305.
Timaeus 27 C 204.
42B 39.
48 D 204.
Plautus Amph. 213 157.
988 366.
1094 280.
Aul. 555 f. 366.
Bacch. 679 429.
Capt. 406 365.
Men. 756 247.
Merc. 881 365.
Most. 213 365.
Poen. 130 365.
Pseud. 344 262.
355 281.
Trin. 225 364.
300 366.
Truc. 124 366.
783 273.
Plutarch def or. 10 39.
fac. Iun. 28 23.
gen. Soor. 22 30. 32. 41. 43.
47. 268.
sera vind. 22 42. 47. 270.
superst. 7 269.
Vit. Marc. 8 332.
REGISTER.
479
Porphyrius antr, Nymph. 18 f. 299.
TibuU pV 2, 17]
187.
Properz I 3, 37 140.
Trypbiodor 52 ff.
254.
19, 11 ff. 241. 43
Tyrtaeus 12, 31 ff.
33.
21 225.
m 7,49 428,3.
Valeriua Flacc. I 836 ff. 34.
11,67 323.
m
38 216.
IV 2,29 127.
J42 191.
4 193.
Varro sat. 121
188.
vergl. Register I' 'Ennius'
und
Sallust Catil. prooem. 35,
3.
'Varro'.
bist, n 6 Kr. 120.
Yergil
Seneca cons. ad Marc. 25
25.
Aeneis I 1
362, 1.
ep. 76, 33 ff.
153.
2
130.
77,12
230.
21 f.
314.
82,18
149 f.
55 ff.
197.
Herc. 775 ff.
232.
65
429.
Med. 714 ff.
164, 4.
77
366.
nat. qu. VI 8,4
237.
87
297. 408.
Oed. 567. 622
136.
105
430.
Silius I 152 429,5.
109
193.
n 484 429,5.
116 ff.
415.
Vm 406 334.
180
116.
X 255 338.
249
127.
526 ff. 183.
260
218.
Xn 94 f. 125.
264
328.
Xm 397 ff. 196. 348,^
>_
268
193.
533 f. 36.
290
422, 3.
557 24, 3.
341 f.
381.
806 ff. 307.
367
193.
XV 291 f. 325.
376
223.
387 f. 182.
441 ff.
121.
664 326.
467
363, 2.
XVI 229 f. 200.
599
365. 444.
XVII 52 ff. 170,2. 86.
614
367.
Sophokles Oed. R. 175 ff.
219.
668
199.
1096
412,2.
691 ff.
261. 419, 1.
fr. 794 N.
299.
749
418.
Statius silv. IH 2,47
331.
n 1
367.
IV 3, 124 f.
147.
8
264.
4, 72 f.
337.
10 f.
161.
V 1,256 ff.
336.
30
297.
Theb. I 713
279. 80.
53
408.
IV 537
237.
61
220.
V 401 f.
232.
68
436.
VI 54 ff.
191. 93.
74
311.
90 ff.
183.
120
138.
VUI 21 ff
239. 67.
170
203 ff.
429.
372.
Tacitus Agr. 29 217.
235
181.
ann. I 44 264.
235 ff.
111.
Germ. 44 262.
250
430.
bist, n 46 150.
261 ff.
252.
49 262.
265
238.
Terenz Andr. 807 366.
281 ff.
257.
Eun. 236 247.
286
257.
TertuUian de an. 46 ff. 39 ff.
313
180. 408, 1.
56 f. 11 f.
324
128.
TibuU I 1,1 ff. 389.
355
429.
9, 80 386.
358 f.
155.
9, 83 418.
458
145.
U 5 146.
483 ff.
423, 5.
480
REGISTER.
Aeneis 11 494
188.
Aeneis
IV 73
227.
501 ff.
275.
80 f.
424.
505 ff.
256.
101
138.
550
324.
123
324.
553
227.
131
430.
567 ff.
255.
181
186.
[584]
443.
217
286.
616
277.
219
168.
658
444.
230
267.
663
317.
235
259.
667
444 f.
242 ff.
157. 305.
670
324. 63,2.
309
415.
693
280.
316
367.
738
153.
320
140.
746
316.
372
367.
749
185.
384
247.
776
161.
397 f.
413.
790 ff.
250.
404 ff.
416.
m 12
127. 429.
405 f.
248.
21
218.
417
423, 2.
22 ff
1661".
420
444.
67 f.
174.
460
238.
68
235.
, 486
424.
90
276.
650
285.
90 ff
138. 99.
679 f.
202.
109
187.
682
423, 4.
119 f.
125.
683
413.
153
231.
684 f.
263.
158
160.
614
230.
163 ff.
256.
628 f.
339.
186
316.
638 f.
289.
200
129.
665 f.
248.
207
182. 430.
667
428.
296 ff.
215.
693 ff.
12.
358
234.
698 ff.
166.
369—80
124. 32.
V 16
137.
362
234.
33 f.
111.
379
309.
45
169 f. 257.
429 ff.
145.
56
368.
458 ff.
44 f.
81
400.
461
398.
102
292.
464
428.
120
413.
492
334.
140
182. 423,3
544
173.
255
302.
549
413. 36.
266 ff.
415.
550
218.
320
429.
562
413.
333
116, 1.
576
115, 1.
368
295.
608
311.
368
182.
618 ff.
278.
372
253. 414, 1
632
115, 1.
382
137. 367.
658
185.
422
414, 1.
679 ff.
206.
467
441, 1.
686
227.
481
430.
697
368. 423.1.
621
295.
704
218
622 ff.
162.
706
129.
663
218.
IV 6
368.
688 f.
128.
16
286.
591
423.
22
316.
594 f.
207.
37
326.
663 ff.
415.
REGISTER.
Aeneis V 700
250.
Aeneis VUi 46f.
197.
701 f.
179.
70
139.
708
231.
78
142.
709 f.
150.
84
129.
722 ff.
45.
90
233.
724
283.
96
444.
731 ff.
372.
101
233.
754
336.
109
300.
799
367.
127
218.
801
324.
131 f.
153.
813
229.
135
123.
822
304.
140 f.
284.
829
413.
152
287.
855
238.
162
293.
855 f.
424.
166 f.
436.
871
419, 1.
229
181.
VII 22
229.
253
115, 1.
28
148.
264
174.
32
231.
274
140.
41
148.
306 f.
289.
45
181.
307
247.
93
132.
309
179.
113
444.
334
153.
140
198.
345
429.
156
182.
365
365.
163 f.
415.
370
155.
170
185.
389 f.
138.
182
292 f.
432
227.
194
367.
452
413.
228
223.
465
226.
240
247 f.
466
179.
272
136.
467
297.
292
138.
513
179.
323 ff.
157.
520
179. 85.
345
364.
522
366.
423
286.
526
112.
428
277.
544
132.
433
286.
546
340.
441 f.
245.
596
411.
473 ff.
275.
603
228.
490
292.
630
119.
526
300.
641
131.
535
333.
648
321.
586 f.
180.
663
324.
601
116.
654
337.
607
243.
668 f.
279.
607 ff.
340.
677
323 f.
624
336.
695
302.
625
300.
701 f.
147.
631
428.
IX 30 f.
414.
634
436.
57
362, 1.
640
185. 262.
77 ff
167. 203
664
119.
106
411.
667
145.
141
240.
708
428.
146
271.
711
422, 2.
226
367,1.
715
148.
229
291. 415
738
339.
388
184.
761 ff.
193.
403
265.
vm 2
180.
453
179.
36
159.
459 f.
264.
481
Veeoil Buch "VI, von Norden.
31
482
REGISTER.
Aeneis
IX 477
428.
Aeneis XI 35
112.
484
235.
41
334.
503 f.
407, 6.
47
319.
532
429.
51 f.
413.
620
362, 1.
61
420, 1.
664 ff.
416.
64 ff.
388.
667
297.
86
400.
6 74 ff.
207.
101
192.
696
226.
135
113.
705
172. 262.
149 f.
245.
707
262.
193 ff.
193.
710
112.
236
423, 2.
767
223.
242
367.
X 1
274. 414,1.
382
425.
2
240.
445
186.
14
145 f.
462
366.
19
248.
507
179.
55 f.
146.
509 f.
245.
94 f.
423.
512
290.
96
158.
543
193.
104
367, 1.
552 ff.
167.
104 ff.
275.
598 f.
376.
109 ff.
156.
600
113.
136
428, 3.
614
430.
143 ff.
193.
632
429, 3.
148
316.
696
362, 1.
153
182. 430.
758
419,4.
189 ff.
189.
787
157.
195
413.
851
159. 422,4
216 f.
263 f.
865
235.
218
216.
Xn 18
411. 15.
227
252.
25
430, 2.
252 f.
314. 15.
26
271. 430,2
270
227.
66 f.
138.
299
148.
144
218. 419,4
304
423.
185
316.
361
429.
295
137. 367.
367
365.
441
366.
467
153.
447
138.
471 f.
12.
541
212.
475
202.
565
428.
480
137.
566
316.
605
431.
591 f.
200.
614
443.
634
430.
618 f.
311.
638
222.
519
420, 1.
708
303 f.
594
430.
739
112.
609 f.
336.
772
291.
614
129.
788
188.
681
116.
839
449.
686
220.
843
196.
723
184.
863
436.
733
129.
897
186.
743
220.
950 f.
221.
834
221.
Bucolica 1,65
419, 1.
843
429.
75
119.
849
221.
2,48
187.
877
265.
58
122.
890 f.
393.
3,4
148.
895
116.
36 ff.
387.
904
269.
48
447.
REGISTER.
Bucolica 3, 109 f.
373,3.
Georgica n
461 ff.
388.
4,9
148.
470
418, 6.
49
436.
503
129.
6,16
422, 1.
m
3
235.
16 f.
387 f.
8 f.
362.
6, 20 f.
180.
37 ff.
285.
38 f.
393, 5.
69 f.
129.
55 f.
180.
86
181. 338
7,14
444, 3.
118
208.
61
157.
188
286.
8,101
192.
202
316.
10,52
119.
238
395, 2.
Georgica I 7
367.
255
430.
21
141.
259
243.
63
444.
261
200.
78
419, 1.
276
436.
135
115.
280
243.
144
184.
311
319.
181
430.
331 ff.
388.
201 f.
414.
344
367.
215
125.
376 f.
415.
281
413.
391 ff.
167.
313
430.
435
145.
356 ff.
408. 23.
449
436, 4.
469 ff.
275.
486
444, 4.
482
292.
554 f.
408.
499
148.
IV
50
418, 3.
514
423.
55
419, 3.
588 f.
431.
71 f.
180.
II 5
428.
122
248.
66
158.
202 ff.
233.
81 f.
189.
215
431.
95 f.
125.
219 ff.
16 f.
98
292. 367,1.
270
187.
161 ff.
183.
453 ff.
121 f.
227 ff.
289.
467 ff.
156.
296
238.
478 f.
388.
321
429.
479 f.
240 f.
373 ff.
275.
540
132.
399 ff.
423.
546
131.
407
143.
483
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, ihrem
S. 69 ,
S. 101 ,
, 7 V. u. ,
1 V. u. ,
, Höllenpfuhl
, zur
S. 102 ,
S. 111 .
, 1 V. u. ,
, 13
, Bentley
, hal. I
S. 112 ,
19 V. u. ,
, 710
S. 122 ,
, 23
, 2,58
S. 131 ,
, 18 V. u. ,
, bidentes
S. 148 ,
, 11
, 499
S. 155 ,
, 10
, 11721
S. 172 ,
1 14 ,
, Zusammen-
S. 185 ,
, 6 V. u. ,
stellung
, VIII 520
S. 189 Zeile
S. 200
S. 218
S. 243
S. 256
S. 280
S. 309
S. 316
S. 324
S. 362, 1
S. 367
S. 369, 1
S. 382
S. 407
S. 422
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V. u.
V. u.
V. u.
12 V. u.
21
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II 693
III 379
III 202
VIII 653
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Seltenheiten
denen
XI 851
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