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Full text of "Aeneis, Buch VI;"

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SAMMLUNG  WISSENSCHAFTLICHER  KOMMENTARE 

zu  GRIECHISCHEN  UND  RÖMISCHEN  SCHRIFTSTELLERN. 

(5..<=-.- — 


R  VERGILIUS  MARO 
AENEIS  BUCH  VI 


ERKLÄRT  VON 


EDUARD  NORDEN. 


LEIPZIG, 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  B.  G.  TEUBNER. 

1903. 


O  degli  altri  poeti  ouore  e  lume, 
Vagliami  il  lungo  studio  e  U  grande  amore 
Che  mi  ha  fatto  cercar  lo  tuo  yolume. 
DANTE. 


ALLE  RECHTE,  EINSCHLIESZIjICH  DES  ÜBEBSETZÜNGSEECHTS ,  VOBBEHALTEN. 


FRIEDRICH  LEO 


ZUGEEIGNET 


VOßEEDE. 


Im  Jahre  1898  erging  von  Georg  Kaibel  an  mich  die  Auf- 
forderung, einen  lateinischen  Schriftsteller  für  die  damals  unter 
seinen  Auspizien  erscheinende  Sammlung  wissenschaftlicher  Kom- 
mentare zu  bearbeiten.  Meine  Wahl  der  Aeneis  und  grade  des 
VI.  Buches,  das  durch  seine  Eigenart  besonderes  Interesse  zu  bieten 
schien,  fand  Kaibels  Zustimmung.  Auch  während  der  Arbeit  hat  er 
mich  öfters  beraten.  Meinen  Dank  dafür  sollte  ich  dem  Lebenden 
nicht  mehr  abstatten  dürfen. 

Während  des  Drucks  erschien  Heinzes  Buch  „Die  epische  Technik 
Virgils",  dessen  Resultate  ich  nur  noch  in  einer  'Schlußbetrachtung' 
(Seite  342 — 355)  habe  verwerten  können.  Heinze  hat,  mit  Rücksicht 
auf  das  bevorstehende  Erscheinen  meines  Kommentars,  das  VI.  Buch 
von  seiner  Darstellung  ausgeschlossen:  so  ergänzen  sich  unsere  Werke. 
Sie  ergänzen  sich  auch  nach  einer  anderen  Richtung  hin.  Heinze 
ist  an  der  poetischen  Analyse  im  Großen  gelegen  und  sein  Blick 
ist  auf  das  Ganze  gerichtet;  mir  kam  es  neben  der  sachlichen  Exe- 
gese vor  aUem  auch  auf  das  Einzelne  an,  auf  die  Erkenntnis  auch 
der  kleinen  Materialien,  aus  denen  der  Dichter  sein  bedeutendes 
Gebäude  errichtet  hat.  So  steht  für  mich  teils  die  QueUenanalyse, 
teils  das  formal- technische  Element  im  Mittelpunkt  des  Interesses: 
was  übernahm  Vergil  der  Überlieferung,  was  tat  er  selbst  hinzu 
und  wie  hat  er  dies  Entlehnte  oder  Eigene  gestaltet?  das  sind  für 
mich  die  entscheidenden  Fragen. 

Die  Möglichkeit  der  Beantwortung  dieser  Fragen  ist  nun  aber 
eine  durchaus  beschränkte,  und  je  klarer  ein  Exeget  das  Ideal  eines 
Vergilkommentars  mit  seinem  geistigen  Auge  sieht,  um  so  deuthcher 
wird  er  erkennen,  daß  es  jenseits  der  Grenzen  des  uns  Erreichbaren 
liegt.  Von  der  gewaltigen  FüUe  des  Stoffes,  der  den  Dichtem  der 
bilinguen  und  sehr  komplizierten  Kultur  des  augusteischen  Zeitalters 
vorlag,  besitzen  wir  nur  einen  verschwindend  kleinen  Teil,  und  grade 
die  Literatur  der  hellenistischen  Epoche,  die  auf  diese  Dichter  in- 


VI  VORREDE. 

folge  ihrer  zeitliclien  Nähe  und  sachlichen  Verwalidtschaft  besonders 
stark  gewirkt  hat,  ist  uns  in  einzelnen  entscheidenden  Gattungen 
nicht  erhalten.  Bei  der  Exegese  des  VI.  Buches  der  Aeneis  steigert 
sich  die  Schwierigkeit  der  allgemeinen  Verhältnisse  im  besonderen 
noch  dadurch,  daß  von  der  üppig  wuchernden  transzendentalen  Prosa 
und  Poesie,  die  Vergil  benutzte,  uns  nur  sehr  wenige  Ranken  er- 
kennbar sind,  die  freizulegen  in  der  Einleitung  und  an  einzelnen 
Stellen  des  Kommentars  der  Versuch  gemacht  worden  ist,  ein  Ver- 
such, der  notwendigerweise  unvollkommen  bleiben  mußte:  sollte  es 
mir  gelungen  sein,  einiges  Sichere  oder  Wahrscheinliche  z.  B.  über 
die  eschatologische  Poesie  der  Griechen  (die  Kaxdßaaic  des  Herakles 
und  die  des  Orpheus)  sowie  über  eine  apokalyptische  Schrift  des 
Poseidonios  ermittelt  zu  haben,  so  muß  ich  nach  Lage  der  Dinge 
zufrieden  sein.  —  Die  Bedingtheit  unserer  Erkenntnis  gilt  nun  aber 
nicht  bloß  für  die  Quellenanalyse,  sondern  auch  für  die  sprachliche 
Einkleidung  des  Stoffes.  Denn  von  den  Literaturgattungen,  an  denen 
Vergil  seinen  Stil,  seine  Sprache  und  seine  poetische  Technik  sich 
vornehmlich  gebildet  hat,  dem  ennianischen  Epos  und  den  repu- 
blikanischen Tragödien,  besitzen  wir  nur  Trümmer.  Um  so  mehr 
galt  es  hier,  durch  eine  Reihe  von  Kombinationen  das  dürftige 
Material  zu  vermehren:  das  ist  speziell  für  Ennius  im  Kommentar 
von  Fall  zu  Fall  und  zusammenfassend  im  Anhang  I  versucht  worden, 
selbst  auf  die  Gefahr  hin,  neben  sicheren  auch  bloß  problematische 
Resultate  zu  erzielen. 

Für  die  grammatisch-lexikalische  Erklärung  im  Einzelnen,  die 
in  einem  Kommentar  zu  dem  großen  Neuerer  Vergil  stark  betont 
werden  muß,  bietet  der  Thesaurus  linguae  latinae  ein  Hilfsmittel 
ersten  Ranges;  wenn  dieses  großartige  Werk  einst  vollständig  vor- 
liegt, so  werden  unsere  Kommentare  zu  lateinischen  Autoren  in 
dieser  Hinsicht  eine  Vollendung  erreichen,  die  sich  vorläufig  kaum 
ahnen  läßt.  Bis  dahin  ist  Resignation  auch  auf  diesem  Gebiete  eine 
der  ersten  Pflichten  des  Vergilinterpreten:  das  Erreichte  muß  nach 
Art  und  Umfang  hinter  dem  Erreichbaren  notwendigerweise  zurück- 
bleiben. —  Die  Vergilzitate  oder  Nachahmungen  bei  späteren  latei- 
nischen Dichtern  sind  nur  insoweit  berücksichtigt  worden,  als  sie 
für  Kritik  oder  Exegese  etwas  auszugeben  schienen;  darin  eine  — 
mehr  der  Geschichte  als  der  Erklärung  Vergils  dienende  —  Voll- 
ständigkeit zu  erzielen,  lag  zudem  außerhalb  der  Grenzen  meines 
Könnens.  Dagegen  habe  ich  versucht,  für  die  von  Vergil  seinerseits 
benutzten  Stellen  älterer  Dichter  größere  Vollständigkeit  zu  erzielen,  als 
das  in  den  dankenswerten  Listen  W.  Ribbecks  bisher  geschehen  ist. 


VORREDE.  VII 

Aucli  die  sehr  ausgedehnte  Vergilliteratur  habe  ich  mit  mög- 
lichster Sorgfalt  gesammelt  und  da,  wo  ich  sie  benutzte,  jedesmal 
zitiert,  um  den  Lesern  auch  äußerlich  zu  zeigen,  wieviel  ich  meinen 
bis  in  die  Zeit  der  Renaissance  zurückreichenden  Vorgängern  ver- 
danke. Im  allgemeinen  bin  ich  aber  meine  eigenen  Wege  gegangen: 
denn  dieser  Kommentar  ist,  wie  alle  in  derselben  Sammlung  er- 
scheinenden, nach  den  Intentionen  des  einstigen  Leiters  dieser  Samm- 
lung nicht  dazu  bestimmt,  die  früheren  zu  ersetzen,  sondern  sie  auf 
Grund  neuer,  durch  die  allgemeinen  Fortschritte  unserer  Wissenschaft 
inzwischen  gewonnener  Gesichtspunkte  zu  ergänzen.  Daher  habe 
ich  Polemik  nur  in  den  seltenen  FäUen  üben  zu  sollen  geglaubt,  wo 
sie  durch  die  besondere  Lage  eines  Problems  sachlich  unumgänglich 
war;  sonst  habe  ich  die  mir  richtig  erscheinende  Erklärung  teils  in 
eigenem  Namen  teils  mit  demjenigen  ihres  ersten  Finders  ohne 
weiteres  hingestellt  und  so  die  entgegengesetzten  oder  abweichenden 
Erklärungen  stillschweigend  abgelehnt.  Es  sei  noch  ausdrücklich 
hervorgehoben,  daß  ich  von  meinen  großen  Vorgängern  besonders 
früherer  Jahrhunderte  auch  da,  wo  ich  glaubte  von  ihnen  abweichen 
zu  müssen,  vieles  mit  Bewunderung  und  Dankbarkeit  gelernt  habe. 
Dazu  kommt,  daß  wir  über  viele  grundlegende  Prinzipien,  die  für 
die  Exegese  römischer  Dichter  der  augusteischen  Zeit  maßgebend 
sein  müssen,  erst  durch  Leos  Untersuchungen  aufgeklärt  worden 
sind;  aus  ihnen  habe  ich  für  die  ganze  Art  und  Anlage  dieses 
Kommentars  so  viel  gelernt,  daß  ich  Leo  bat,  die  Widmung  ent- 
gegenzunehmen. 

Bei  der  Konstituierung  des  Textes  konnte  ich  für  M  die  aus- 
gezeichnete Kollation  Max  HoflPmanns  (Progr.  Pforta  1889)  benutzen, 
für  F  das  photographische  Faksimile  (Rom  1899):  wie  notwendig 
auch  für  diese  Handschrift  eine  Revision  der  Angaben  0.  Ribbecks 
ist,  zeigt  die  Tatsache,  daß  an  einer  entscheidenden  Stelle  (Vers  255) 
die  von  Ribbeck  notierte  Lesart  durch  das  Faksimile  widerlegt  wird. 
Für  GPR  standen  neue  Hilfsmittel  nicht  zur  Verfügung.  Am 
linken  Rande  des  Textes  sind  jedesmal  diejenigen  Hss.  notiert,  in 
denen  die  betreffenden  Perikopen  erhalten  sind.  In  der  adnotatio 
critica  ist  alles  Nebensächliche  ausgeschlossen,  insbesondere  Ortho- 
graphisches nur  insoweit  berücksichtigt  worden,  als  es  zu  besonderen 
Bemerkungen  im  Kommentar  Veranlassung  bot. 

Etwas  ausführlicher  muß  hier  auf  die  beigegebene  Übersetzung 
eingegangen  werden.  Sie  zu  veröffentlichen  habe  ich  mich  nur 
zögernd  entschlossen;  ich  tat  es  hauptsächlich  in  der  Erkenntnis, 
daß    auch  sie  insofern  ein  Stück  des  Kommentars  ist,    als  sie  die 


Vin  VORREDE. 

Grenzen  des  in  den  verschiedenen  Sprachen  Möglichen  zum  Bewußt- 
sein bringt:  an  vielen  Stellen  sah  sich  der  Übersetzer  gezwungen, 
die  Prägnanz  dieses  Stils  zu  mildern,  um  nicht  dunkel,  den  Pomp, 
um  nicht  überladen,  das  archaisierende  Kolorit,  um  nicht  affektiert, 
die  Kühnheit  der  grammatischen  Konstruktionen  und  Figuren,  um 
nicht  gewalttätig  zu  erscheinen;  manche  Stellen  lassen  sich  leichter 
griechisch  als  deutsch  denken,  und  an  solchen  ist  in  der  Einleitung 
oder  im  Kommentar  gelegentlich  der  Versuch  einer  griechischen  Prosa- 
paraphrase oder  metrischen  Übersetzung  gemacht  worden.  Schwierig- 
keiten bereitete  für  die  deutsche  Übersetzung  die  Wahl  des  Metrums. 
Vom  Hexameter  glaubte  ich  absehen  zu  sollen;  denn  selbst  wenn 
ich  so  vorzügliche  Hexameter  zu  bauen  verstanden  hätte,  wie  Hans 
Georg  Meyer  in  seinem  Epyllion  'Eros  imd  Psyche'  oder  Max  Seydel 
in  seiner  Übersetzung  des  Lucrez,  so  würde  ich  sie  doch  für  eine 
Vergilübersetzung  nicht  verwendet  haben.  Schiller,  der  im  Alter 
von  21  Jahren  den  'Sturm  auf  dem  Tyrrhener  Meer'  (aen.  I  34—156) 
hexametrisch  übersetzt  hatte,  erklärte  in  der  Vorrede  zu  der  12  Jahre 
später  erschienenen  Übersetzung  des  IL  und  IV.  Buches,  daß  der 
deutsche  Hexameter  nicht  fähig  sei,  diejenige  Biegsamkeit,  Harmonie 
und  Mannigfaltigkeit  zu  erlangen,  die  Vergil  seinem  Übersetzer  zur 
ersten  Pflicht  mache;  und  ich  meine,  daß  selbst  diejenigen,  die  noch 
gegenwärtig  für  den  deutschen  Hexameter  im  Prinzip  eintreten,  ihn 
für  eine  Vergilübersetzung  nicht  postulieren  dürfen.  Denn  der  deutsche 
Hexameter  hat  für  unser  Ohr  homerisches  Ethos,  dieses  aber  ist, 
wie  von  mir  im  Anhang  VII  zu  zeigen  versucht  wurde,  dem  Verse 
Vergils  fremd,  der  mit  ganz  anderen  Mitteln  operiert.  Wenn  nun 
selbst  Scherer,  der  den  Hexameter  in  deutschen  Gedichten  verteidigt, 
zugeben  muß,  daß  er  „niemals  dem  Eindrucke  eines  griechischen 
oder  lateinischen  gleichkommen  könne"  und  daß  „die  unmittelbare 
Verständlichkeit,  die  ungezwungene  Einstimmung  mit  dem  Geist 
unserer  Sprache  durchaus  das  Hauptaugenmerk  jedes  Übersetzers 
sein  muß,  dem  er  im  Notfalle  alles  andere  aufzuopfern  hat"  (Kleine 
Schriften  H  371.  373),  so  galt  es,  den  Hexameter  durch  einen  anderen 
Vers  zu  ersetzen.  Schiller  plante,  auch  das  von  ihm  besonders  ge- 
schätzte VI.  Buch  in  den  freien  Stanzen  des  H.  und  IV.  zu  über- 
setzen (P.  V.  Boltenstem,  Schillers  Vergilstudien  I,  Cöslin  1894);  die 
Absicht  des  Meisters  haben  andere  auszuführen  unternommen  — 
mir  sind  zwei  Versuche  dieser  Art  bekannt  — ,  aber  ihr  vergebliches 
Bemühen  hat  nur  bewiesen,  daß  zu  einer  solchen  Nachdichtung  der 
Genius  und  die  souveräne  Formengewandtheit  eines  wahren  Dichters 
erforderlich   ist.     Einen  Vers  nun,   der  dem  vergilischen  Hexameter 


VORREDE.  IX 

durchaus  aequivalent  wäre,  habe  ich  nicht  gefunden.  Vergil  hat 
seinen  Vers  vor  allem  durch  die  Wahl  besonderer  Caesuren  und  die 
Abwechslung  von  Daktylen  mit  Spondeen  zum  Träger  der  ver- 
schiedenartigsten Stimmungen  gemacht,  gleich  geeignet  —  um  nur 
einige  der  in  diesem  Buche  vorkommenden  Motive  zu  nennen  — 
für  das  schmelzende  Ethos  der  Liebe  wie  das  Pathos  des  Hasses, 
für  wehmutvolle  Klage  wie  jauchzenden  Dithyrambus,  für  inniges 
Gebet  wie  prophetische  Ekstase,  für  das  Säuseln  des  Windes  wie  das 
Krachen  des  Donners,  für  die  Lieblichkeit  des  Paradieses  wie  die 
Schrecknisse  der  Hölle.  Um  nun  wenigstens  einen  Ersatz  für  diese 
wundervolle  Einheitlichkeit  des  Metrums  innerhalb  der  Vielheit  der 
Stimmungen  zu  erhalten,  entschloß  ich  mich  zu  einem  Verzicht  auf 
die  metrische  Einheitlichkeit.  Für  die  erzählenden  Teile  wählte  ich 
den  fünffüßigen  lambus,  den  auch  v.  Wilamowitz  in  einer  kleinen 
Übersetzungsprobe  grade  aus  diesem  Buch  (Vers  847 — 853)  an- 
gewendet hat  (Reden  und  Vorträge  S.  270).  An  Stellen,  die  der 
Dichter  selbst  durch  besonderes  Ethos  oder  Pathos  über  das  Niveau 
der  einfachen  epischen  Erzählung  in  die  Sphäre  dramatischer  Hand- 
lirng  oder  lyrischer  Stimmung  emporgehoben  hat,  durchbrach  ich  den 
ruhigen  Fluß  der  lamben  episodisch  durch  Trochaeen  oder  durch 
freie  Anapaeste  (Verse  mit  vier  Hebungen  und  freien  Senkungen), 
bei  deren  Auswahl  ich  mich  durch  die  an  solchen  Stellen  domi- 
nierenden Rhythmen  der  vergiKschen  Hexameter  selbst  leiten  ließ. 
Ich  bin  mir  natürlich  bewußt,  daß  diese  TroXu)LieTpia  ein  bloßes  Sur- 
rogat für  das  beständige  Auf-  und  Abwogen  der  vergilischen  Hexa- 
meter ist,  aber  durch  das  schwere  Opfer  der  strengen  metrischen 
Geschlossenheit  gewann  ich  Freiheit  für  die  Reproduktion  der  Stim- 
mungen; ob  das  Opfer  sich  lohnte,  das  zu  entscheiden  ist  nicht 
meine  Sache.  Von  der  Alliteration  ist  im  Sinn  des  Dichters  be- 
sonders an  pathetischen  Stellen  reichlich  Gebrauch  gemacht  worden; 
den  Reim  hatte  ich  in  einer  früheren  Fassung  meines  Versuchs  an 
lyrischen  Stellen  ebenfalls  stark  verwendet:  jetzt  ist  er  nur  bei 
einem  von  mir  im  sogenannten  modernen  Nibelungenverse  wieder- 
gegebenen märchenhaften  Motiv  stehen  geblieben,  das  uns,  wie  im 
Kommentar  gezeigt  ist,  mehr  germanisch  als  antik  anmutet.  Alles 
in  allem  bitte  ich  meine  Übersetzung  nur  als  ein  dYU)Vi(J|Lia  an- 
zusehen und  sie  gelten  zu  lassen,  wie  Goethe  von  seiner  Über- 
setzungsprobe des  Byronschen  Don  Juan  sagt:  „Nicht  als  Muster 
sondern  zur  Anregung  für  andere  Übersetzer." 

Li  den  Anhängen   ist  eine  Reihe  stilistisch-metrischer  Fragen 
systematisch  behandelt  worden,   um  den  Kommentar,  der  durch  die 


X  VORREDE. 

vielen,  mir  bei  der  Exegese  grade  dieses  Dichters  notwendig  er- 
scheinenden Zitate  ohnehin  stark  belastet  ist,  etwas  übersichtlicher 
zu  gestalten.  —  Als  die  Nachträge  bereits  gedruckt  waren,  erhielt 
ich  durch  die  Liebenswürdigkeit  des  Verfassers  die  Abhandlung: 
„Die  Nekyia  im  sechsten  Buche  der  Aeneide  Vergils  von  Walther 
Volkmann.  Sonderabdruck  aus  dem  Jahresbericht  der  Schlesischen 
Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur.  Breslau  1903"  (11  Seiten). 
Ich  konstatiere  mit  Freude,  daß  wir  z.  T.  auf  Grund  der  gleichen 
Argumente  unabhängig  von  einander  zu  dem  Resultat  gelangt  sind, 
daß  der  vermutliche  Gewährsmann  der  philosophisch-eschatologischen 
Stücke  des  VI.  Buches  Poseidonios  gewesen  ist. 

Für  den  Kommentar  schulde  ich  der  Gelehrsamkeit  und  un- 
ermüdlichen, selbstlosen  Hilfsbereitschaft  meines  Freundes  Richard 
Wünsch,  der  mit  mir  die  Korrektur  las,  vielen  Dank,  insbesondere  bei 
der  Behandlung  mythologischer  Fragen;  vor  allem  die  'Nachträge' 
enthalten  eine  Reihe  wichtiger  Bemerkungen  und  Verbesserungen 
aus  seiner  Feder;  noch  öfters  aber  als  mit  seinem  Namen  rede  ich 
mit  und  in  seinem  Geist.  Bei  der  Behandlung  topographischer 
Einzelheiten  (Cuma  e  contomi)  hat  mich  Julius  Beloch  in  dankens- 
wertester Weise  unterstützt:  so  hat  er  das  Innere  des  Burgfelsens 
von  Kyme  neu  durchforscht  und  es  mir  dadurch  ermöglicht,  eine 
exegetische  Kontroverse  zu  entscheiden;  Nissens  italische  Landes- 
kunde II  habe  ich  leider  nicht  mehr  benutzen  können.  Die  Über- 
setzung hat  sich  des  liebevollen  Interesses  und  sachverständigen 
Rates  meines  Schwagers  Friedrich  Vogt  zu  erfreuen  gehabt;  für  sie 
verdanke  ich  auch  meinem  Vetter  cand.  theol.  et  phil.  Johannes 
Weber  eine  Reihe  nützlicher  Winke  und  Vorschläge. 

Breslau,  April  1903. 

E.  N. 


INHALTSVERZEICHNIS. 


Seite 
I.  Einleitnng.    Die  Eschatologie  des  sechsten  Buches  und 

ihre  Quellen 8—48 

A.  Vorbemerkungen 6 — 10 

B.  Die  Komposition 11 — 16 

C.  Die  Lehre  von  der  Seelenwandening 16 — 19 

D.  Die  Quellenfrage  (Poseidonios) 19 — 48 

II.  Text  und  Übersetzung 49—103 

m.  Kommentar 105—341 

Schlußbetrachtung  über  die  Gesamtkomposition    .     .  342 — 355 

IV.  Stilistisch-metrische  Anhänge 367—468 

I.  Ennianische  Reminiszenzen  bei  Vergil     ....  359 — 368 

n.  Periodik 369—381 

III.  Einiges  über  Wortstellung 382—396 

IV.  Gleicher  Auslaut  aufeinander  folgender  Worte  .  396 — 398 
V.  Der  sogenannte  Tropus  der  Synekdoche   ....  399 — 400 

VI.  Griechische  Deklinationsformen  im  sechsten 

Buch 401—403 

Vn.  Die   malerischen  Mittel    des  vergilischen  Hexa- 
meters        404 — 424 

Vin.  Spondeische  Worte  im  ersten  Fuß 426—426 

IX.  Unregelmäßig  gebildete  Versschlösse 427 — 438 

X.  Irrationale  Längungen 439 — 441 

XL  Bemerkenswerte  Synaloephen  in  VI 442—458 

Nachträge 469—466 

Register 466—483 

Druckfehler 484 


L 


EINLEITUNG 


Vkbgii.  Buch  vi,  von  Norden. 


Die  Eschatologie  des  sechsten  Buches  und  ihre  Quellen. 

Daß  Vergil  die  KttraßacTic  Aiveiou  vor  allem  in  der  Absicht  ge- 
dichtet hat,  ein  Gegenstück  zur  KaTdßaffic  'Obvaoiwc  zu  schaffen, 
bedarf  keines  Beweises.  Aber  die  Konzeption  einer  KaxdßacJic  hat,  wie 
aus  der  Ankündigung  in  den  Georgica  III  34  ff.  folgt,  bereits  dem  ersten 
Entwurf  eines  Epos  angehört,  in  dem  Aeneas  noch  nicht  den  Mittelpunkt 
bildete.  Es  muß  also  neben  dem  JÜfiXoc  'OjiripiKÖc  noch  ein  anderer 
Faktor  wirksam  gewesen  sein,  der  bei  der  Frage  nach  dem  Zweck  dieses 
Buches  in  Rechnung  zu  ziehen  ist. 

Wir  müssen,  um  das  Buch  aus  seiner  Zeit  heraus  zu  begi-eifen,  uns 
vergegenwärtigen,  daß  der  Frage  nach  dem  Schicksal  der  Seele  damals 
das  größte  Interesse  entgegengebracht  wurde.  Die  Jahre  der  Revolution 
hatten  dem  alten  Problem,  ob  nicht  wenigstens  nach  dem  Tode  ein 
Ausgleich  durch  die  göttliche  Gerechtigkeit  stattfinden  werde,  einen  neuen 
tatsächlichen  Untergrund  verliehen:  je  mehr  sich  die  irdischen  Begriffe 
des  Rechts  und  der  Moral  verschoben  (tibi  fas  versum  atque  nefas  .  .  ., 
tarn  multae  scelerum  fades  georg.  I  505  f.)  und  je  stärker  das  Gefühl 
der  allgemeinen  Verschuldung  wurde  (Horaz  epod.  16.  carm.  DI  6),  lun 
so  fester  ragte  der  Fels  des  Erlösungsglaubens  empor  {spes  melior  mo- 
riendi  Cic.  de  leg.  11  36).  An  die  Märchen  von  der  Unterwelt  glaubte 
damals  kein  Gebildeter  mehr  (Cic.  de  d.  nat.  11  5.  Tusc.  I  lOf.  Hör. 
carm.  I  4,  16),  sondern  man  hielt  sie  höchstens  zu  Nutz  und  Frommen 
der  ungebildeten  Masse  aufrecht.^)  Wer  aus  dem  Chaos  aller  Welt- 
verhältnisse nicht  die  Folgerung  zog,  daß  Epikur  mit  seiner  Negierung 
sowohl  der  TTpövoia  als  auch  der  Vergeltung  im  Jenseits  Recht  habe,  gab 
sich  mystischen  Grübeleien  hin.  Diesem  Bedürfnis  Rechnung  zu  tragen, 
war  die  positivistische  Religionsphilosophie  der  jüngeren,  mit  pytha- 
goreischen Elementen  durchsetzten  Stoa  durch  das  Dämmerlicht,  mit  dem 
sie  die  transzendenten  Dinge  halb  verschleierte  und  halb  enthüllte,  mehr 
als  irgend  ein  anderes  System  berufen.  Mächtig  muß  auch  auf  diesem 
Gebiet  die  Einwirkung  des  Poseidonios  gewesen  sein^);  die  lebhaft  be- 
triebene transzendente  Schriftstellevei  operierte  mit  seinen  Argumenten, 
so    wahrscheinlich   Nigidius,    sicher   Vafto   im   ersten   Buch   der    divinae 


1)  Vergl.  Diodor  I  2  i^  tujv  ^v  ähox)  |uu0o\oYxa  rfyv  uTTÖGemv  TreirXaaijdvriv 
?XOw<Jct  TToXXä  0U)Lißä\XeTai  toTc  övSpiiiTroic  irpöc  cOöeßeiav  Kai  6iKaiooüvr]v. 
Dieser  stoische  Gedanke  ist  etwa  gleichzeitig  mit  der  Aeneis  geschrieben; 
discite  iustitiam  moniti  et  non  temnere  divos  läßt  auch  Vergil  einen  Büßer 
im  Tartarus  sagen  (620). 

2)  Vergl.  auch  A.  Schmekel,  Philos.  d.  mittl.  Stoa  (Berlin  1892)  460  f. 

1* 


4  EINLEITUNG. 

Cicero  im  ersten  der  Tusculanen;  beide  verfaßten  auch,  wie  Poseidonios, 
eigene  Apokalypsen,  Varro  in  einigen  Satiren  (vergl.  Diels,  Rh.  Mus.  XXXIV 
1879,  488,  1  über  die  'Endymiones',  sowie  fr.  560  Buch.),  Cicero  im 
somnitun;  dieser  ließ  sich  auch  zwei  transzendente  Schriften  des  Dikai- 
archos  (KaraßaCTic  und  rrepi  vpuxfic)  von  Atticus  schicken  (ad  Att.  XIII 
31,  2.  32,  2).  Aus  Cicero  wissen  wir  ferner,  daß  man  damals  in  einer 
Art  von  spiritistischen  Zirkeln  Geisterbeschwörung  betrieb  (in  Vatin.  14 
Tusc.  I  37.  de  div.  I  132);  selbst  Varro  behandelte  diese  Geheim  Wissen- 
schaft (August,  de  civ.  dei  VII  35),  Laberius  verfaßte  einen  Mimus  'Necyo- 
mantia',  nicht  lange  nachher  Horaz  seine  Canidia-Gedichte.  In  die 
exaltierte  Revolutionszeit  fiel  Vergils  Jugend;  damals  glaubte  er  wie 
tausende  im  Hafen  der  epikureischen  Philosophie  Ruhe  vor  den  Stürmen 
des  Lebens  zu  finden  (catalept.  7).  Aber  durch  die  augusteische  Restaura- 
tion schien  die  Festigkeit  des  Weltgebäudes,  das  in  der  Revolutionszeit 
aus  den  Fugen  zu  gehen  drohte,  gesichert,  der  Welt  ein  (TouTrip  geschenkt 
und  das  von  Epikur  geleugnete  planvolle  Walten  der  Vorsehung  von 
neuem  garantiert  zu  sein.  So  machte  Vergil,  abermals  mit  vielen,  die 
Schwenkung  von  der  Negation  zum  Positivismus.  Es  drängte  ihn,  der 
der  Philosophie  Zeit  seines  Lebens  großes  Interesse  entgegenbrachte 
(Sueton-Donat,  vita  Verg.  p.  62  Reif.),  im  Rahmen  seines  auf  homerische 
Nachahmung  begründeten  Epos  philosophisch-theologische  Gedanken  über 
das  Schicksal  der  Seele  niederzulegen,  wohl  in  bewußtem  Gegensatz  zu 
dem  Gedicht  des  Lucrez  (s.  zu  723 ff.),  jener  Offenbarung  für  alle  die- 
jenigen, die  wie  Horaz  auch  in  der  neuen  Weltlage  an  dem  Glaubens- 
bekenntnis ihrer  sturmbewegten  Jugend  festhielten.  An  einzelnen  Stellen 
hört  man  die  Stimmung  der  Revolutionszeit  dumpf  nachklingen:  die 
große  Sünde  findet  im  Jenseits  ihre  Sühne  (s.  zu  2 73 ff.  608 ff.);  aber 
Gott  führt  mit  weiser  Vorsehung  durch  das  Chaos  des  Bürgerkrieges 
(826  ff.)  zur  Ordnung  und  zum  Frieden  des  Weltreichs  (851  ff.),  wie  die 
in  Augustus  gipfelnde  'Heldenschau'  lehren  soll,  mit  welcher  der  Dichter 
den  kunstvollen  Bau  seines  Werkes  krönt. 

Für  die  poetische  Behandlung  war  das  Thema  schwierig  genug. 
Denn  auf  der  einen  Seite  waren  die  seit  Homer  konventionellen  Ornamente 
dieses  Stoffes  für  jeden  Nachdichter  verbindlich,  aber  andererseits  ließen 
die  Gebildeten  sich  diese  fabulosen  Dinge  wohl  noch  in  den  leicht- 
geschürzten erotischen  Elegieen  (wie  Tibull  I  10,  vergl.  Prop.  IH  5,  39  ff.) 
gefallen,  aber  von  einem  feierlichen  Epos  verlangte  man  einen  höheren 
Ton.^)  Daß  Vergil  sich  diesem  Zwang  unterwarf,  darin  liegt  zugleich  ein 
Nachteil  und  ein  Vorzug  dieses  Buches:  ein  Nachteil,  insofern  als,  wie 
wir  sehen  werden,  die  künstliche  Verbindung  der  mythologischen  und 
philosophischen  Vorstellungen  über  das  Leben  nach  dem  Tode  die  Ein- 
heitlichkeit der  Komposition  vielfach  gesprengt  hat;  ein  Vorzug,  insofern  als 
er  durch  die  religionsphilosophisdhen  Elemente  dem  Ganzen  ein  erhabenes 
Gepräge  verlieh,  das  dem  ernsten  christlichen  Dichter  die  Möglichkeit 
einer  Umprägung  im  Geist  und  im  Stil  des  Originals  gegeben  hat.    Dieser 


1)  Besonders  charakteristisch  als  die  Äußerung  eines  ungefähren  Zeit- 
genossen Vergils  ist  das  wegwerfende  Urteil,  das  der  Verfasser  des  ,Aetna' 
Vers  74  ff.  über  die  ünterweltsmärchen  fäUt. 


A.  VORBEMERKUNGEN.  5 

Vorzug  des  Buches,  dem  es  eine  Art  von  weltgeschichtlicher  Bedeutung 
verdankt,  wird  von  G.  Boissier,  La  religion  romaine  d' Auguste  aux 
Antonius  I  (Paris  1874)  295 ff.  in  folgenden  Worten  treffend  charakterisiert: 
Virgile  nous  fait  toucher  le  point  oü  Fesprit  antique  parvenu  a  sa 
maturite,  eclaire  par  l'experience,  epure  par  la  philosophie,  plein  du 
sentiment  des  instincts  et  des  besoins  nouveaux  de  l'humanite,  donnait 
la  main  a  l'esprit  moderne  et  conduisait  au  Christianisme.^) 

Im  folgenden  sollen  die  Fragen  nach  Art  und  Ursprung  der  von 
Vergil  befolgten  eschatologischen  Vorstellungen  im  Zusammenhang  er- 
örtert werden.  Einige  allgemeine  Bemerkungen  über  die  Gesichtspunkte, 
nach  denen  das  geschehen  soll,  mögen  vorausgeschickt  werden. 

A.  Vorbemerkimgeii. 

1.  Überblickt  man  die  vergilische  Eschatologie  in  ihren  wesent- 
lichen Zügen,  so  sondern  sich  deutlich  zwei  Bestandteile,  die  der  Dichter 
teils  selbst  in  einander  schob,  teils  aber  auch  in  dieser  Verbindung 
bereits  vorfand:  eine  mythologische  und  eine  philosophische,  besser  theo- 
logische Eschatologie.  Die  erstere  wird  im  folgenden  nur  gelegentlich 
herangezogen  werden;  denn  es  empfiehlt  sich,  sie  im  Kommentar  von 
Fall  zu  Fall  zu  behandeln.  Ich  glaube  daselbst  den  Nachweis  erbracht 
zu  haben,  daß  (außer  der  homerischen  Nekyia)  noch  eine  Kardßaffic 
des  Herakles  und  eine  des  Orpheus  für  die  mythologische  Rahmen- 
erzählung benutzt  worden  sind,  jene  —  der  schon  Bakchylides,  Sophokles 
und  Aristophanes  einzelne  Züge  entnahmen  —  möglicherweise  nur  nach 
einem  mythographischen  Handbuch,  diese  —  die  dank  ihrer  Verbindung 
von  Mythologie  und  Theologie  in  den  religiös  interessierten  Kreisen  bis 
zum  Ende  des  Hellenismus  ein  fast  kanonisches  Ansehen  besessen  zu 
haben  scheint  —  sicher  direkt.^)  Hier  werden  wir  uns  daher  in  der 
Hauptsache  nur  mit  dem  theologischen  Teil  der  Eschatologie  zu  befassen 
haben. 

2.  Die  von  Vergil  unmittelbar  benutzten  theologischen  Schriften  sind 
uns  teils  überhaupt  nicht,  teils  nur  in  dürftigsten  Fragmenten  erhalten, 
denn  es  ist  eine  trügerische  Illusion,  wenn  man  Pindar,  Piaton,  Ciceros 
somnium  Scipionis  als  Vergils  direkte  Vorlagen  bezeichnen  zu  dürfen  glaubt: 
die  Divergenzen  sind  nach  Zahl  und  Art  stärker  als  die  wenigen  Kon- 
kordanzen, und  die  meisten  vergilischen  Motive  finden  sich  bei  den  ge- 
nannten Autoren  überhaupt  nicht.  Nach  dieser  Lage  der  Dinge  wird 
bei  der  bestimmten  Benennung  der  benutzten  Quellen  die  größte  Vor- 
sicht zu  beobachten  sein;  meist  muß  es  genügen,  die  allgemeine  Sphäre 
zu  bezeichnen,  in  der  die  von  Vergil  befolgten  Ideen  zu  suchen  sind. 

3.  Um  wenigstens  innerhalb  dieser  eng  gezogenen  Grenzen  sich  mit 
Sicherheit  bewegen  zu  können,  müßte  man  die  Literaturgattung,  von 
der  V'.s  Nekyia  eine  Spezies  ist,  völlig  zu  beherrschen,  d.  h.  die  Geschichte 


1)  Vergl.  auch  H.  Weil,  Etudes  snr  l'antiquitö  (Paris  1900)  87. 

2)  Vergl.  unten  bei  D  2,  7  und  für  die  orphische  Katabasis  den  Kommentar 
zu  120.  264ff.(?).  384—416  (bei  2).  548—627  (bei  1.  3.  5);  für  die  des  Herakles 
zu  131  f.  260.  309—12.  384—416  (bei  4.  5).  477—93.  548—627  (bei  2?).  666—78. 


6  EINLEITUNG. 

der  apokalyptisclien  Literatur  vom  VI/V.  vorchristl.  Jahrhundert  (in 
welches  die  von  Pindar  und  Piaton  benutzten  Schriften  fallen)  bis  Dante 
zu  übersehen  in  der  Lage  sein.  Das  ist  vorläufig  noch  nicht  möglich, 
da  die  von  Diels  (Parmenides,  Berlin,  1897,  9)  postulierte  Geschichte 
der  poetischen  Vision  noch  nicht  geschrieben  ist,  wenn  wir  sie  auch,  wie 
ich  höre,  erwarten  dürfen:  hoffentlich  in  nicht  zu  ferner  Zeit.  Immerhin 
habe  ich  versucht,  mich  über  das  Material  zu  orientieren. 

a)  Die  eschatologische  Literatur  des  Altertums  und  der  christlichen 
Kirche  in  den  ersten  Jahrhunderten  glaube  ich  vollständig  zu  kennen. 
Die  jüdische  Apokalyptik  kommt  für  unsem  Zweck  nur  in  den  seltenen 
Fällen  in  Betracht,  wo  sie  hellenische  Motive  übernahm^):  es  ist  charak- 
teristisch, daß  aus  der  Apokalypse  des  Johannes  (einer  nur  oberflächlich 
christianisierten,  von  jüdischem  Geiste  getragenen  Schrift^),  sowie  denen 
des  Elias  ^),  Henoch^)  und  Baruch^)  kaum  ein  Motiv  angeführt  werden 
kann  (vergl.  den  Kommentar  zu  666  ff.),  das  sich  mit  einem  vergilischen 
berührte,  im  Gegensatz  zu  den  von  griechischen  oder  lateinischen  Christen 
verfaßten  Apokalypsen,  angefangen  von  der  des  Petrus  bis  auf  die 
Dialoge  Gregors  des  Großen:  ein  deutliches  Zeichen  für  die  Richtigkeit 
des  von  Dieterich  1.  c.  erbrachten  Nachweises,  daß  die  christliche  Apo- 
kalyptik ein  Glied  der  hellenischen  ist  und  von  der  jüdischen  nur  gering 
beeinflußt  wurde.^) 

b)  Über  die  Apokalyptik  des  lateinischen  Mittelalters')  gibt  es 
einige  nützliche  Arbeiten,  in  denen  freilich  gerade  dasjenige  Moment,  auf 
das  es  m.  E.  bei  dieser  Frage  ankommt,  die  Geschichte  der  Motive^), 
außer  Betracht  gelassen  ist:  Th.  Wright,  St.  Patricks  purgatory,  London 
1843;  A.  d'Ancona,  I  precursori  di  Dante,  Florenz  1874;  C.  Fritzsche, 
Die  lateinischen  Visionen  des  Ma.  bis  zur  Mitte  des  XII.  Jahrh.  (Romanische 
Forsch,  herausg.  von  Vollmöller  H  1886,  247 ff.  III  1887,  337 ff.).  Die 
in  diesen  Schriften  erwähnten  vordantischen  Apokalypsen  des  lateinischen 


1)  Daß  dies  stattgefunden  hat,  ist  von  Dieterich,  Nekyia  (Leipzig  1893) 
33,  1.  214  ff.  bewiesen  worden. 

2)  Vergl.  H.  Gunkel,  Schöpfung  und  Chaos  (Göttingen  1895)  282  ff. 

3)  Ed.  Steindorff  in:  Texte  u.  Unters,  hrgs.  von  Gebhardt-Harnack  N.  F.  II  2 
(1897) ;  das  griechische  Original  des  koptischen  Textes  setzt  Harnack  bei  Steindorff 
p.  19,  1  um  100  vor  Chr.  an. 

4)  Ed.  Flemming-ßadermacher,  Leipzig  1901;  vergl.  Gunkel  1.  c.  286,  1. 

5)  In  lateinischer  Übersetzung  aus  dem  Syrischen  ed.  Fritzsche  in:  Libri 
apoeryphi  V.  T.  Leipzig  1871,  ein  Stück  des  griechischen  Textes  ed.  James  in: 
Texts  and  studies  hrgs.  von  Robinson  V  1  (Cambridge  1897)  84 ff.  Über 
orientalische  Elemente  dieser  Apokalypse  vergl.  jetzt  auch  Fr.  Cumont,  Textes 
et  monuments  relatifs  aux  mysteres  de  Mithra  I  (Brüssel  1899)  44. 

6)  So  erklärt  es  sich  auch,  daß  die  johanneische  Apokalypse,  obwohl  eine 
kanonische  Schrift,  in  der  jüngeren  Apokalyptik  unverhältnismäßig  wenig  be- 
nutzt ist,  wie  sie  denn  noch  gegenwärtig  dem  modernen  Kulturmenschen  das 
fremdartigste  Buch  des  N.  T.  ist  (Goethe  hat  in  Briefen  an  Lavater  seine  Ab- 
neigung unverhohlen  ausgesprochen). 

7)  Im  griechischen  Ma.  scheint  dieser  Literaturzweig  zu  fehlen,  wenn  man 
von  den  spätbyzantinischen  Imitationen  der  lukianischen  Nekyomanteia  absieht 
(vergl.  Krumbacher,  Gesch.  d.  byz.  Lit.^  p.  495). 

8)  Vergl.  Dieterich  1.  c.  196,  1  „Vielleicht  wird  sich  noch  einmal  beweisen 
lassen,  daß  von  der  Petrusapokalypse  aus  durch  die  Paulusapokalypse  diese 
Dinge  in  die  christliche  Literatur  des  Mittelalters  überliefert  sind." 


A.   VORBEMERKUNGEN.  7 

Mittelalters  habe  ich  gelesen,  eine  unerfreuliche  Arbeit,  die  aber  aus 
folgendem  Grunde  nicht  ganz  nutzlos  war.  Bei  der  zentralen  Stellung, 
die  Vergil  im  Ma.  einnahm,  erwartete  ich  auch  die  mittetalterliche 
Apokalyptik  aufs  stärkste  durch  die  vergilische  Nekyia  beeinflußt  zu 
sehen.  Das  ist  aber  durchaus  nicht  der  Fall:  von  zwei  nebensächlichen, 
rein  stilistischen  Reminiszenzen^)  abgesehen,  zeigt  diese  Literatur,  so 
weit  mir  bekannt,  keine  direkte  Berührung  mit  Vergil^),  sondern  ist  der 
letzte,  trübe  Ausläufer  jenes  langen  Stromes  apokalyptischer  Schrift- 
stellerei,  in  dem  Vergil  selbst  steht.  Die  alten  Motive  konnten  sich  mit 
solcher  Zähigkeit  deshalb  erhalten,  weil  die  altgriechischen  Theologen,  in 
deren  apokalyptischen  Schriften  sie  zuerst  niedergelegt  waren,  sie  in  engem 
Anschluß  an  den  Volksglauben  aus  der  Tiefe  des  menschlichen  Bewußtseins 
selbst  geschöpft  hatten:  so  überdauerten  sie  den  Sturz  des  Hellenismus  und 
der  Nationen  des  Altertums,  wurden  von  den  hellenisierten  Christen  der 
alten  Kirche,  dann  von  den  christlichen  Völkern  des  Mittelalters  über- 
nommen und  bilden  zum  teil  noch  gegenwärtig  einen  integrierenden  Teil 
der  katholischen  Dogmatik.     Sind   diese   Gesichtspunkte    zutreffend^)  — 


1)  Baeda  schreibt  in  einer  von  ihm  erzählten  Vision  des  J.  696  (hist. 
eccl.  V  12):  cum  progrederemur  sola  sub  nocte  per  umbras  nach  Aen.  VI  268 
ibant  obscuri  sola  sub  nocte  per  umbras.  —  Visio  Tundali  (vom  J.  1149):  ed. 
Albr.  Wagner,  Erlangen  1882  p.  35  quanta  et  qualia  et  quam  inaudita  ibi 
viderit  tormenta,  si  centum  capita  et  in  uno  qtioque  capite  centum  Unguis  haberet, 
recitare  nullo  modo  posset  nach  Aen.  VI  625 ff.  non  mihi  si  linguue  centum  sint 
oraque  centum,  \  ferrea  vox,  omnis  scelerum  comprendere  formas,  \  omnia  poenarum 
percwrere  nomina  possim. 

2)  Am  augenscheinlichsten  ist  das  bei  der  poetischen  Paraphrase  der  unten 
(S.  9)  zitierten  Visio  Wettini  von  J.  824;  der  Verf.  dieser  Paraphrase,  Walah- 
fridus  Strabo,  der  seine  Verse  mit  Vergil-  (und  Ovid-)reniiniszenzen  spickt,  hat 
in  seinem  langen  Gedicht  —  fast  1000  Verse  —  kein  Zitat  aus  der  Nekyia  des 
VI.  Buches  der  Aeneis. 

3)  Wer  auf  religionsgeschichtlichem  Gebiete  gearbeitet  hat,  weiß,  daß  nur 
zu  oft  ein  vermeintlich  historischer  Zusammenhang  sich  als  trügerischer 
Schein  erweist  und  dem  farblosen  Begriff  einer  durch  spontanes  Entstehen  zu 
erklärenden  bloßen  Analogie  weichen  muß.  Je  umfassendere  Kenntnisse 
jemand  in  der  Relionsgeschichte  auch  von  Völkern,  die  der  antiken  Kultur 
fernstehen,  besitzt,  um  so  zurückhaltender  wird  er  mit  der  Behauptung  einer 
historisch  nachweisbaren  Kontinuität  operieren.  Aber  diese  Skepsis  muß  auch 
ihre  Grenzen  haben;  dafür  zwei  Beispiele,  die  mit  den  von  mir  zu  führenden 
Untersuchungen  in  Zusammenhang  stehen.  1.  Die  Lehre  von  der  Kraft  der 
Fürbitte  Überlebender  für  arme  Seelen  Verstorbener  zum  Zweck  ihrer  Erlösung 
von  der  jenseitigen  Verdammnis  ist  nachweislich  altorphisch;  E.  Rohde,  der 
das  zugibt  (Psyche  II*  128,  5),  bestreitet  dennoch  (auf  Grund  einer  sehr  entfernt 
verwandten  Lehre  im  Rigveda),  daß  die  identische  Lehre  der  christlichen  Kirche 
mit  derjenigen  der  orphischen  in  historischem  Zusammenhang  stehe,  da  religiöse 
Werkheiligkeit  solche  Gedanken  überall  leicht  hervorzurufen  scheine.  Nun 
aber  hat  G.  Anrieh  in  seinem  bekaimten  Buche,  in  dem  er  viel  nützliches 
Material  für  Fragen  dieser  Art  gesammelt  hat  (Das  antike  Mysterienwesen  in 
seinem  Einfluß  auf  das  Christentum,  Göttingen  1894),  S.  87,  4.  94,  4.  119,  3, 
bemerkt,  daß  dieselbe  Lehre  sich  auch  in  einem  gnostischen  System  findet. 
Angesichst  der  Richtlinie :  altgriechische  theologische  Lehre  —  Gnosis  —  katho- 
lisches Dogma  wird  niemand,  der  diese  Verhältnisse  überschaut,  einen  historischen 
Zusammenhang  leugnen  wollen.  2.  Zwei  in  der  occidentalischen  Apokalyptik 
erst  seit  den  Dialogen  Gregors  des  Gr.  begegnende  Motive  sind  der  Kampf  der 
guten  und  der  bösen  Dämonen  um  den  Besitz  der  Seele,  sowie  die  Brücke, 
welche  die  Seele  zur  Prüfung  zu  überschreiten  hat.    Beide  finden  sich  in  yoU 


8  EINLEITUNG 

wie  ich  glaube  und  wie  man  sich  durch  die  Lektüre  der  erwähnten 
apokalyptischen  Literatur  überzeugen  kann — ,  dann  gewinnen  Berührungen 
zwischen  Vergil  und  diesen  späten  Apokalypsen  für  unsere  Quellen- 
analyse einen  objektiven  Wert,  insofern  als  dadurch  bewiesen  wird,  daß 
die  betreffenden  Motive  Vergils  nicht  von  ihm  erfunden,  sondern  einer 
Überlieferung  entnommen  sind,  die  schon  zu  seiner  Zeit  eine  gewisse 
Konstanz  und  Verbindlichkeit  gehabt  zu  haben  scheint.  Li  diesem  Sinn 
sollen  in  den  folgenden  Untersuchungen  sowie  im  Kommentar  selbst  ge- 
legentlich analoge  Vorstellungen  aus  diesen  späten  Apokalypsen  zitiert 
werden.  —  Noch  einen  weiteren  Gewinn  für  Vergil  hat  mir  die  Lektüre 
dieser  Schriften  gebracht.  Jedem  Leser  der  vorstehenden  Zeilen  wird 
sich  die  Frage  aufgedrängt  haben,  wie  sich  in  den  gezeichneten  Rahmen 
Dantes  unsterbliches  Gedicht  einfüge.  Es  wird  nicht  viel  literarische 
Genüsse  geben,  die  an  Unmittelbarkeit  und  Stärke  demjenigen  gleich- 
kommen, den  man  empfindet,  wenn  man  sich  durch  das  Dunkel  abstruser 
Phantastik,  die  in  den  genannten  Apokalypsen  ihre  Orgien  feiert,  zu 
Dante  hindurchgerungen  hat,  der  auch  die  Nachtseiten  des  Daseins  mit 
dem  Schimmer  gestaltender  Phantasie  zu  verklären,  altüberlieferte  Motive 
zu  adeln  weiß.  Gewiß  gelingt  ihm  das  vor  allem  kraft  seines  über- 
ragenden Genius,  aber  bei  aller  Ehrfurcht  vor  diesem  darf  ein  wichtiges 
Moment  nicht  außer  acht  gelassen  werden,  das  ich  sogar  in  den  besten 
mir  bekannten  Kommentaren  nicht  erwähnt  gefunden  habe:  Dante  ist 
der  Erste  gewesen,  der  die  ihm  vorliegende  und  nachweislich  von  ihm 
1  stark  benutzte  mittelalterliche  Apokalyptik  mit  Motiven  der  vergilischen 
iNekyia  verbunden  hat,  und  ein  gutes  Teil  von  der  Wirkung  seines 
Gedichts  wird  dieser  Verbindung  verdankt,  neben  Einzelheiten,  die  im 
Kommentar  verzeichnet  sind,  vor  allem  das  ernste  Pathos  und  die  dramatisch 
bewegte  Darstellung.  So  wichtig  dies  Verhältnis  nun  auch  für  die 
Wertung  vergilischer  Kunst  ist,  die  die  Probe  auf  ihre  Stärke  dadurch 
abgelegt  hat,  daß  sie  einen  der  größten  Dichter  aller  Zeiten  inspirieren 
und  bei  einer  der  erhabensten  Schöpfungen  menschlichen  Geistes  die  Paten- 
rolle spielen  durfte:  so  vermindert  sich  dadurch  die  Bedeutung  des  dantischen 
Werkes  für  den  speziellen  Zweck  der  nachfolgenden  Untersuchungen. 
'  Denn  da  Dante  den  Vergil  intensiv  benutzt  hat,  so  darf  er  —  im  Gegen- 
satz zu  der  mittelalterlichen  Apokalyptik  —  von  uns  nur  selten  und  in 


ausgeprägter  Form  schon  in  der  Eschatologie  der  Parsen,  vergl.  Hübschmann, 
Die  parsische  Lehre  vom  Jenseits  in  Jahrb.  f.  prot.  Theol.  V  1879,  216  ff.,  Brandt, 
Das  Schicksal  der  Seele  nach  mandäischen  und  parsischen  Vorstellungen  ibid. 
XVIII  1892,  422  ff.  Obwohl  sich  nun  das  Motiv  einer  Brücke  als  Passage  in 
das  Jenseits  auch  bei  Völkern  getrennter  Kulturkreise  findet  (vergl.  J.  Zemmrich 
in  seiner  ausgezeichneten  Schrift  'Toteninseln',  Leiden  1891,  20),  so  würde 
doch  die  Annahme  eines  spontanen  Auftretens  dieser  Vorstellung,  noch  dazu 
verquickt  mit  dem  besonderen  Motiv  vom  Kampf  der  bösen  und  guten  Geister, 
in  der  spätchristlichen  lateinischen  Apokalyptik  höchst  unwahrscheinlich  sein. 
Wenn  wir  vielmehr  bedenken,  daß  die  Mithrasreligion  lange  Zeit  mit  dem 
Christentum  rivalisierte  und  noch  im  fünften  Jahrh.  gerade  unter  den  Gebildeten 
Roms  Anhänger  fand,  so  werden  wir  uns  berechtigt  halten  dürfen  zu  der 
Annahme,  daß  jene  beiden  Motive  auf  erkennbar  historischem  Wege  in  die 
lateinische  christliche  Apokalyptik  des  ausgehenden  Altertums  gelangt  sind, 
voi}  wo  sie  die  des  Mittelalters  übernahm. 


A.  VORBEMERKUNGEN.  ,       9 

besonderen  Fällen   für   die   Analyse   der  Quellen  Vergils   benutzt   werden 
(vergl.  unten  bei  C  2,  Ic,  d;  C  2,  3;  C  2,  8). 

c)  Zur  Bequemlichkeit  des  Zitierens  gebe  ich  ein  Verzeichnis  der  mir 
bekannten  christlichen  Apokalypsen,  aber  nur  insoweit  aus  ihnen  in  den 
folgenden  Untersuchungen  sowie  im  Kommentar  Stellen  angeführt  sind, 
mit  ihren  Publikationsorten.  Die  Ordnung  ist  eine  nach  Möglichkeit 
chronologische. 

Pastor  des  Hermas  saec.  II  ed.  Hamack,  Leipzig  1877. 
Apokaljrpse   des   Petrus   saec.  II   (Bruchstücke    des  Evang.   und   der 

Apok.  des  Petrus  ed.  Harnack^  Leipzig  1893). 
Pistis   Sophia    saec.  U/HI   aethiopisch  mit  lateinischer   Übersetzung 

ed.  Petermann,  Berlin  1851. 
Zweites  Buch  Jeu  saec.  II/III  aethiopisch  mit  deutscher  Übersetzung 

ed.  C.  Schmidt  in:  Texte  u.  Unters.  IH  1892. 
Ascensio  Jesajae  saec.  II/III  aethiopisch  mit  lateinischer  Übersetzung 

ed.  Dillmann,  Leipzig  1877^). 
Aia6r|Kri  'Aßpadju   saec.  II/III?  ed.  James  in:   Texts  and  studies  11 

Cambridge   1892. 
.Acta  S.  Perpetuae  vom  J.  203/2  ed.  0.  v.  Gebhardt  in:  Ausgewählte 

Märtyrerakten,  Berlin  1902. 
Historia  Josephi  fabri  lignarii  saec.  III/TV?  arabisch  mit  lateinischer 

Übersetzung  herausg.   von   Thüo   im    Codex    apocryphus  N.  T.  I 

Leipzig  1832. 
Apokalypsen  des  Esra  und  Paulus  saec.  IV/V  in:  Apocalypses  apo- 

cryphae  ed.  Tischendorf,  Leipzig  1866. 
Vision  des  h.  Antonius  saec.  IV  in  der  Historia  Lausiaca  bei  Migne, 

patrol.  scr.  gr.  vol.  34. 
^  Vision    des    Karpos   saec.  VI  bei    Ps.-Dionysios   Areopagita   ep.  8,  6 

(Migne  vol.  3). 
Vision    des    Iren   Furseus   saec.  VII   in:    Acta    sanctorum  Hibemiae 

ed.  Smedt-Backer,  Edinburg  1888. 
Vision   des   Drihthelm   von   Northumberland  vom  J.  696   bei  Baeda 

bist.  eccl.  V  12. 
Visionen  in  Briefen  des  Bonifatius  saec.  VHI  ed.  GUes,  vol.  I  London 

1844. 
Vision  des  h.  Barontus  saec.  Vm  in:  Acta  sanctorum  Boll.  Mart.  IH 

5  70  ff. 
Visio  Wettini  vom  J.  824  in:  Poetae  lat.  aevi  Carolini  ed.  Dümmler  11 

Berlin  1884. 
Visio  Tundali  vom  J.  1149  ed.  Albr.  Wagner,  Erlangen  1882. 
Henricus    Salteriensis    de    purgatorio    S.  Patricii    vom   J.  1153    bei 

Migne  scr.  lat.  vol.  180. 
Vision  des  Albericus,  Mönchs  von  Monte  Cassino,  geb.  imi  1101  in: 

Dante- Ausgabe  Padua  1822  vol.  V. 


1)  Das  kürzlich  in  Ägypten  gefundene  Stück  des  griechischen  Originals 
(Amherst  Papyri  ed.  Grenfell-Hunt  I  London  1900)  umfaßt  nur  einen  Teü  des 
der  eigentlichen  ascensio  vorangestellten  jüdischen  Schriftwerks. 


10  EINLEITUNG. 

Vision  eines  Mönchs  von  Evesham  vom  J.  1196  in:  Roger  de 
Wendower,  Flores  Historiarum  ed.  Hewlett,  London  1886  vol.  I. 

Vision  des  Thurcill  vom  J.  1206  ib.  vol.  II  London  1887. 

Gervasius  von  Tilbury,  Otia  imperialia,  verfaßt  1211 — 14  in:  Scriptores 
rerum  Brunsvicensium  cura  Leibnitii,  Hannover  1707. 

Dante  ed.  Scartazzini  Leipzig  1874.   1875. 

B.  Die  Komposition. 

Die  Frage,  ob  die  Darstellung  Vergils  vom  Schicksal  der  Seelen 
von  einem  einheitlichen  Grundgedanken  getragen  oder  ob  vielmehr  ver- 
schiedene Ideen  zu  einem  nicht  widerspruchslosen  Ganzen  vereinigt  worden 
seien,  ist  viel  behandelt  worden.  Von  den  Vertretern  der  letzteren 
Ansicht  (Conington  in  seiner  Ausgabe  vol.  II*,  London  1884,  423 fP. 
480;  G.  Boissier,  La  religion  romaine  d' Auguste  aux  Antonius  I,  Paris 
1874,  263fF.;  E.  Sabbadini,  Studi  critici  sulla  Eneide,  Lonigo  1889, 
79 ff;  H.  Weil,  Etudes  sur  Fantiquite  grecque,  Paris  1900,  86 ff.)  wird 
mit  Übereinstimmung  in  den  Hauptpunkten  behauptet,  Vergil  habe  die 
populären  Vorstellungen  von  einer  Unterwelt,  in  der  den  ünbeerdigten 
(315 — 36),  den  Säuglingen,  Hingerichteten,  Selbstmördern  und  den  im 
Kriege  Gefallenen  (426 — 547)  gesonderte  Plätze  angewiesen  seien  und 
in  der  die  Frevler  im  Tartarus  bestraft  (548 — 627),  die  Guten  im 
Elysium  belohnt  würden  (637 — 702),  mit  einer  philosophischen  Lehre 
verbunden,  nach  der  alle  Seelen  einer  Läuterung  unterzogen  würden 
(702 — 892),  also  von  einem  besonderen  Schicksal  gewisser,  der  all- 
gemeinen Läuterung  nicht  unterworfener  Seelenklassen  (Unbeerdigte,  Säug- 
linge u.  s.  w.),  sowie  von  einer  Bestrafung  der  Bösen  (im  Tartarus)  und 
einer  Belohnung  der  Guten  (im  Elysium)  nicht  die  Rede  sein  könne. 
Auch  A.  Dieterich,  Nekyia  (Leipzig  1893)  150ff.  kommt  auf  Grund  seiner 
Analyse  zu  einem  verwandten  Resultat,  nur  rechnet  er  (der  Wahrheit, 
wie  sich  zeigen  wird,  näher  kommend)  die  Schilderung  des  Tartanis 
und  des  Elysiums  vielmehr  zur  zweiten  (philosophischen)  Unterwelt, 
setzt  also  die  Grenze  der  beiden  von  Vergil  befolgten  Darstellungen  bei 
/547  (statt  bei  702)  an.  Die  Tatsache  eines  Mangels  strenger  Ge- 
*  schlossenheit  ist  nun  ohne  Bedenken  zuzugeben,  aber  es  läßt  sich  zeigen, 
daß  diese  Kontamination  heterogener  Elemente  in  der  Hauptsache  nicht 
erst  von  Vergil  vollzogen  wurde,  sondern  auf  viel  frühere  Zeit  zurück- 
zuführen ist,  da  sie  bereits  von  (Pindar  und)  Piaton  in  ihren  eschato- 
logischen  Mythen  als  gegeben  übernommen  wurde. 

1.  329  heißt  es,  daß  die  Ünbeerdigten  100  Jahre  umherschweifen 
müssen,  bevor  sie  von  Charon  übergesetzt  werden  (centum  errant  annos 
volitantque  haec  litora  drcum).  'Nescio  an  de  suo  posuerit  Virgilius' 
Heyne;  'it  is  not  known  whether  this  specification  of  100  years  is  due 
to  any  earlier  authority  or  to  V.'s  invention'  Conington.  Nun  aber 
bemerkt  Servius  z.  d.  St.:  centum  annos  ideo  dicit,  quia  Jii  sunt  Icgitimi 
vitae  humanae,  quibus  completis  potest  anima  transire  ripas,  id  est  ad 
locum  purgationis  venire,  ut  redeat  rursus  in  corpora.  Das  sieht 
nach  mehr  aus  als  einer  bloßen  Scholiastenweisheit,  und  wirklich  lesen 
wir  bei  Piaton  Rep.  X  61 5 AB:  das  Verweilen  der  Seele  unter  der  Erde 


B.   DIE  KOMPOSITION.  H 

vor  ihrem  Eingang  in  einen  neuen  Leib  dauert  1000  Jahre,  denn  als 
hauptsächliche  Bestimmung  gelte,  daß  zehnfache  Buße  getan  und  das 
menschliche  Leben  als  hundertjährig  angesetzt  werde. ^)  Auf  diese 
platonische  Stelle  hat  bereits  Gerda  in  seiner  Ausgabe  Yergils  (1608  f.) 
hingewiesen,  ohne  Berücksichtigimg  zu  finden.  Nun  aber  müssen  auch 
nach  Vergil  (748)  die  Seelen,  bevor  sie  in  neue  Körper  eingehen, 
1000  Jahre  im  Jenseits  geläutert  werden.  So  ergibt  sich  auf  Grund 
der  platonischen  Stelle  eine  Vei'bindung  zwischen  Anfang  und  Schluß 
der  vergilischen  Eschatologie,  während  nach  der  Ansicht  der  genannten 
Gelehrten  jener  der  'poetischen',  dieser  der  'philosophischen'  Unterwelt 
angehören  soll. 

2.  Die  zweite  von  Vergil  genannte  Seelenklasse  ist  die  der  vorzeitig 
gestorbenen  Kinder  (426 — 29).  Sie  schließt  sich  sachlich  an  die  Klasse 
der  aiacpoi  (315 — 83)  unmittelbar  an,  denn  die  dazwischen  stehenden 
Verse  (384 — 425)  führen  nur  die  äußere  Handlung  weiter  (Aeneas' 
Begegnung  mit  Charon  und  dem  Cerberus).  Auch  bei  Piaton  heißt  es 
in  Fortsetzung  der  zitierten  Stelle  615 C:  „hinsichtlich  derjenigen,  die 
nach  der  Geburt  nur  eine  kleine  Zeit  lebten  und  dann  starben,  berichtete 
er  anderes,  das  keine  Ei-wähnung  verdient."  Welcher  Art  diese  Lehre 
war,  die  Piaton  in  seiner  Quelle  fand,  ohne  sie  wiederzugeben,  wissen 
wir  nicht;  aber  aus  dem  Zusammenhang,  in  dem  er  diese  Notiz  bringt, 
wird  man  es  wenigstens  als  denkbar  bezeichnen  dürfen,  daß  es  eine 
Vorstellung  war  analog  derjenigen,  die  Tertullian  de  anima  56 f.  (eben- 
falls von  Gerda  angeführt)  aus  alter  Tradition^)  referiert:  „sie  sagen, 
daß  die  vorzeitig  Gestorbenen  umherschweifen  müssen,  bis  diejenige 
Altersgrenze  erreicht  sei,  zu  der  sie  gelangt  sein  würden,  wenn  sie 
nicht  vorzeitig  gestorben  wären."  Wie  dem  aber  sei:  die  Erwähnung 
der  ampoi  in  Piatons  'theologischer'  Eschatologie  beweist,  daß  wir 
nicht  berechtigt  sind,  sie  von  dem  'theologischen'  Teil  der  vergilischen 
Eschatologie  zu  trennen,  zumal  sie,  wie  wir  sehen  werden,  sich  auch 
in  einer  plutarchischen  fast  mit  denselben  Ausdrücken  wie  bei  Vergil 
wiederfindet. 

3.  Weiterhin  zählt  Vergil  (430 — 547)  mehrere  Seelenklassen  auf, 
die  er  mit  den  aujpoi  und  unter  sich  selbst  örtlich  in  Verbindung  setzt 
(430  hos  iuxta,  434  proxima  loca,  440  nee  proeul  Jiinc).  Es  sind  lauter 
ßiaioödvaxoi,  nämlich:  a)  die  unschuldig  Hingeiichteten  (430 — 33), 
b)  die  Selbstmörder,  die,  um  der  Armut  und  Not  zu  entgehen,  ihr  Leben 


1)  Dieser  Maximalansatz,  den  Piaton  bereits  als  gegeben  übernimmt  (un- 
richtig hält  ihn  P.  Natorp,  Hermes  XXXV  1900,  435  für  eine  Erfindung  Piatons, 
es  ist  eine  echt  pythagoreische  Zahlenbestünmung),  blieb  auch  später  üblich, 
vergl.  Varro  1.  1.  VI  11  saeeulum  spatium  annorum  C  vocarunt,  dictum  a  sene, 
quod  longissimum  spatium  senescendorum  homimim  id  putarunt  und  mehr  bei 
Sahnasius,  Plinianae  exercitationes  787  f. 

2)  Er  sagt  nur,  die  Magie  sei  auctrix  harum  opinionum  gewesen  (was  uns 
für  die  ätupoi  und  ßiaioedvoToi  ja  durch  die  Zauberpapyri  und  Devotionen  be- 
stätigt wird);  wegen  des  grade  auch  bei  christlichen  Autoren  typischen  Neben- 
einanders  Pythagoreus  et  magus  darf  man  vermuten,  daß  die  pythagoreische  » 
Philosophie  die  inventrix  war,  zumal  Piaton  in  seinen  Eschatologieen  sicher 
von  ihr  abhängt;  genaueres  darüber  unter  C  2,  7.  —  Vergl.  über  die  Stelle  auch 
C.  Dilthey,  Rh.  Mus.  XX VE  1872,  386f.,  Rohde,  Psyche  H«  411. 


12  EINLEITUNG. 

ein  Ende  machten  (434 — 39),  c)  die  Opfer  des  epuüc,  die  teils  durch 
eigene  Hand,  teils  durch  die  Rache  anderer  fielen  (440 — 76),  d)  die  im 
Kriege  Gefallenen  (477 — 547).  Diese  Klassifizierung  übernahm  Vergil  als 
eine  gegebene.  Denn  Tertullian  1.  c.  fährt,  nachdem  er  die  Sonder- 
stellung der  äujpoi  widerlegt  hat,  so  fort^):  „ebensowenig  werden  wir 
glauben,  daß  von  der  Unterwelt  ausgeschlossen  werden  die  Seelen  der 
ßiaioGdvaioi,  d.  h.  hauptsächlich  die  der  Hingerichteten,  mögen  sie  un- 
schuldig sein  oder  schuldig",  also  die  von  Vergil  unter  a)  genannten. 
Wenn  Tertullian  diese  Klasse  als  die  „hauptsächliche"  der  ßiaioödvaTOi 
bezeichnet,  so  deutet  er  damit  an,  daß  seine  Quelle  unter  dieser  Rubrik 
auch  andere  Erlassen  befaßte,  und  zwar  wahrscheinlich,  wie  schon  Sal- 
masius  1.  c.  (11,  l)  vermutete,  vor  allem  die  Selbstmörder,  also  Vergils 
Klasse  b  sowie  einen  Teil  der  Klasse  c.  Die  Vorstellung  wird  außer 
durch  Macrobius  (in  somn.  Scip.  I  13,  10  sie  [durch  Selbstmord]  extortae 
animae  diu  circa  corpus  eiusve  sepulturam  vel  locum  in  quo  iniecta  manus 
est  pervagantur)  durch  Vergil  selbst  bezeugt:  von  Dido,  die  er  hier  vmter  c) 
eigens  nennt  (450ff.),  erzählt  er  IV  693ff.,  daß  sie,  weil  sie  nicht  fato 
peribat,  sed  misera  ante  diem,  nicht  sterben  kann  und  erst  durch  eine 
besondere  Gnade  der  Juno  dem  Hades  geweiht  wird.  Weiter  nennt 
Lukian  (Katapl.  5  f.)  unter  den  von  Hermes  hinabgeführten  Seelen  neben- 
einander die  duupoi  und  die  ßiaioGdvaxoi,  und  zwar  unter  den  letzteren 
u.  a.  folgende  Spezies:  Touc  ek  biKacTiripiujv,  touc  bi'  epuDia  arro- 
acpdHavxac  eauiouc,  touc  TioXeiaoOvTac,  also  die  von  Vergil  unter  a,  c,  d 
genannten  Klassen,  und  Olympiodor  (zu  Plat.  Phaed.  p.  207  ed.  Finckh) 
bezeichnet  im  Gegensatz  zu  den  eijuap)iievoi  TpÖTioi  öavdxou  als  ge- 
waltsame die  durch  Richterspruch,  Krieg  und  Selbstmord  in  Überein- 
stimmung mit  Vergils  Klassen  a,  b,  d.  Am  auffälligsten  ist  bei  dieser 
abstrusen  Lehre,  daß  man  durch  den  Zwang  des  Systems  veranlaßt  wurde, 
auch  den  Tod  im  Kriege  dem  ei)iiapjnevoc  Gdvaioc  entgegenzusetzen. 
Diese  Vorstellung  ist  Homer  noch  unbekannt;  so  spricht  Hektor,  bevor 
er  in  die  Schlacht  geht,  die  Worte  (Z  487  f.)  ou  yäp  Tic  ju'  UTiep  aiaav 
dvf]p  "Aiöi  Trpoidi|jei  |  inoTpav  b'  ou  Tivd  qprijLii  Tre9UY|Lievov  e')Li|Lievai 
dvbpuiv,  und  überhaupt  sind  ihm  Ausdrücke  wie  'die  |iAoTpa  ergrifi", 
fesselte,  verhüllte  ihn'  ganz  geläufig  vom  Tode  des  Kriegers,  und  Vergil 
selbst  folgt  ihm  X471f.  etiam  sua  Turnum  |  fata  vocant  metasque  dati 
pervenit  ad  aevi.  Aber  daß  die  entgegengesetzte  Anschauung  wenigstens 
relativ  alt  ist,  zeigt  Demosthenes  de  cor.  205:  6  juev  toTc  TOveöcTi 
vo)LiiIujv  iLiövov  TCTevricTGai,  töv  Tfic  ei)nap)nevr|c  Km  töv  auTÖ)LiaTov 
edvaTOV  TTcpiiLxevei.  6  be  Kai  Trj  TiaTpibi,  uirep  toO  |ufi  TauTriv  CTTibeiv 
bouXeuoucrav  diroGvricrKeiv  ßouXeTai.  Diese  Stelle  wird  von  Gellius  XHI  1 
ausführlich  behandelt;  er  findet  darin  richtig  die  Anschauung  von  dem 
Gegensatz  eines  SdvaTOC  naturalis  et  fatalis  und  eines  extrinsecus  vi 
coactus,  und  führt  zur  Erläuterung  die  oben  zitierte  Stelle  der  Dido- 
Episode  Vergils  an:  Vergilius  quoque  id  ipsum  ,  .  .  de  fato  opinatus  est, 
cum  hoc  in  quarto  libro  dixit  de  Elissa,  quae  mortem  per  vim  potita  est 
^nam  quia  nee  fato,  merita  nee  morte  peribaf,  tamquam  in  faciendo  fine 
vitae  quae  violenta  sumt  non  videantur  e  fato  venire.     Für  dieselbe  Vor- 


1)  Die  Stelle  wird  richtig  behandelt  von  H.  Weil  1.  c.  (o.  S.  10)  88,  1. 


B.    DIE  KOMPOSITION.  13 

Stellung  kann  ich  aus  älterer  Zeit  nur  noch  Ps.-Lysias,  Epitaph.  79  an- 
führen: man  müsse  die  Gefallenen  glücklich  preisen,  die  nicht  auf  den 
natürlichen  Tod  gewartet,  sondern  den  schönsten  sich  erwählt  hätten. 
Vergil  selbst  nennt  den  Tod  im  Ej-iege  eine  immatura  mors  XI  166 f.  und 
wenn  er  in  unserm  Buch  481  die  im  Kriege  Gefallenen  hello  caducos 
nennt,  so  liegt  auch  darin,  wie  im  Kommentar  z.  d.  St.  gezeigt  werden 
wird,  der  Begriff  des  Vorzeitigen;  Properz  HI  5,  18  optima  mors,  Parcae 
quae  venu  acta  die  im  Gegensatz  zum  Tod  in  der  Schlacht  (ib.  12),  Ovid 
tr.  I  2,  53  fatove  suo  ferrove  cadentem  genau  wie  Trogus- Justin  IX  8,  3 
qui  partim  fato  partim  ferro  periere.  —  Das  gemeinsame  Band,  das  alle 
Klassen  der  ßiaioGdvaxoi  verknüpft,  ist  die  Vorstellung,  daß  sie  wegen 
ihres  vorzeitigen  Todes  so  lange  von  der  Grabesnihe  ausgeschlossen  bleiben, 
bis  sie  dem  Leben  den  schuldigen  Eest  an  Jahren  abgezahlt  haben,  oder, 
um  es  mit  den  Worten  des  Macrobius  (1.  c.  11)  zu  sagen:  constat  nume- 
rorum  certam  constitutamque  rationem  animas  sociare  corporibus.  hi  mrnieri 
dtmi  super  sunt,  perseverat  corpus  animari:  cum  vero  deföciunt,  mox  arcana 
illa  vis  solvitur,  qua  societas  ipsa  constabat,  et  hoc  est  quod  fatum  et 
fatalia  vitae  tempora  vocamus.  —  Da  also  diese  Gruppe  sachlich  und  formell 
mit  den  auJpoi  eng  verknüpft  ist,  so  hat  auch  von  ihr  zu  gelten,  daß  sie 
von  dem  theologischen  Teil  der  Eschatologie  nicht  getrennt  werden  darf. 

4.  Als  weitere  Gruppe  folgt  bei  Vergil  die  der  Büßer  im  Tartarus 
(548 — 627).  Diese  Gruppe  haben  die  meisten  Vertreter  der  Ansicht 
einer  mangelnden  Einheit  (außer  Dieterich)  besonders  für  sich  verwertet. 
Denn  die  Ewigkeit  der  Strafen  im  Tartarus  (vergl.  617  aeternum)  schien 
ihnen  zu  dem  letzten  Teil  der  Darstellung  (724 ff.),  wonach  alle,  durch 
das  Eingehen  in  die  Körperwelt  mit  Schuld  behafteten  Seelen  eine 
Wanderung  in  neue  Leiber  antreten  müssen,  unvereinbar  und  ein  be- 
sonders deutlicher  Beweis  dafür  zu  sein,  daß  Vergil  eine  'poetische'  Escha- 
tologie mit  einer  'philosophischen'  roh  kontaminiert  habe.  Nun  aber 
bilden  auch  nach  Piaton  (bezw.  seiner  Quelle)  die  Seelen  der  größten 
Frevler  innerhalb  der  allgemeinen  menschlichen  Sündhaftigkeit  eine  be- 
sondere Gruppe,  die  von  der  Wanderung  und  Erlösungsfähigkeit  der 
übrigen  Seelen  ausgeschlossen  ist  und  ewig  im  Tartarus  büßen  muß 
(Rep.  615  E  oöc  oio)Lievouc  fjbri  dvaßr|aecr9ai  ouk  ebexeio  t6  cttöiliiov, 
ctXX'  €|LiuKäTO,  OTTÖTe  TIC  TU)v  ouToic  dviotTUJC  exövTUüv  .  .  .  eTTixeipoT 
avievai.  Phaed.  113 E  o'i  b'  av  böHujCTiv  dviaxujc  exeiv  bid  id  laeTeÖri 
TU)v  d|uapTTi|LidTUüv  .  .  .  f]  TTpo(Tr|KOuffa  jLioTpa  pmTei  eic  töv  Tdpiapov. 
oöev  ouTTOxe  eKßaivoucriv.  Gorg.  525C). 

5.  Nach  einer  kurzen  Fortführung  der  Handlung  (628 — 36:  Aeneas 
heftet  den  goldenen  Zweig  auf  die  Schwelle  des  unterirdischen  Palastes) 
folgt  als  weitere  Gruppe  die  der  Seligen  des  Elysiums  (637 — 702). 
Gegen  sie  wurde  das  gleiche  Bedenken  erhoben  wie  gegen  die  vorige 
Gruppe:  die  Exzeption  von  der  Seelenwanderung  schien  unmöglich. 
Allein  Piaton  (Rep.  614C — 615 A)  bestätigt  diese  Exzeption,  wie  für  die 
ganz  Bösen  im  Tartarus,  so  für  die  besonders  Guten  an  einem  Ort 
der  Freude.  — 

Wenn  wir  mithin  die  Darstellung  Vergils  von  den  Schicksalen  der 
Seelen  überblicken,  so  unterscheiden  wir  nach  seinen  eigenen  Angaben 
folgende  Gruppen  (ich  setze  gleich  die  griechischen  Termini  ein): 


14  EINLEITUNG. 

I.    Diesseits    des   Acheron:    die    aiacpoi,    die    hier   100  Jahre    umher 

schweifen  müssen. 
n.    Jenseits  des  Acheron: 

A.  Im  Zwischenraum  zwischen  Acheron  und  Hadesinnerem. 

1     T)'p  amooi  f^^®   ^^^^   warten   müssen,    bis   die   ihnen 

'  „       „ ,  \  vom   Schicksal  bestimmte  Lebenszeit  er- 

2.  Die  ßiaioGavaxoi  £-^j^  ^g^ 

a)  Ol  biet  KpicTiv  Te0vr|KÖTec, 
b^  Ol  auTÖxeipec 

c)  Ol  utt'  ^pujToc  Te0vr|KÖTec, 

d)  Ol  Tro\€|LioOvTec 

B.  Im  Hadesinnern: 

1.  Im  Tartarus:  oi  ecaei  dviotTuuc  ^xovtec, 

2.  Im  Elysium:  oi  ecaei  |uaKdpioi 

3.  Im  Lethehain:  Ol  bid  TraXiTTCveCTiac  dvaßiuüaö)Lievoi. 

Daß  diesem  System^)  keine  einheitliche  Vorstellung,  sondern  ein 
zwischen  volkstümlichem  Glauben  und  theologischer  Lehre  geschlossenes 
Kompromiß  zugrunde  liegt,  gebe  ich  jetzt  zu  (im  Gegensatz  zu  meiner 
flüher  im  Hermes  XXVIII  1893,  372 ff.  XXIX  1894,  313 ff.  aufgestellten 
Behauptung),  glaube  aber  durch  obiges  bewiesen  zu  haben,  daß  diese 
Kontamination  heterogener  Motive  nicht  erst  von  Vergil  vollzogen,  sondern 
schon  von  Piaton  als  gegeben  übernommen  worden  ist.  — 

Durften  wir  also  bei  der  Analyse  im  großen  den  gegen  Vergil  er- 
hobenen Vorwurf  einer  widerspruchsvollen  Komposition  vielmehr  auf  die 
von  ihm  benutzte  Quelle  schieben,  so  müssen  wir  ihn  allerdings  beschuldigen, 
in  Einzelheiten  die  Widersprüche  noch  gesteigert  zu  haben.  Es  bedurfte 
einer  bedeutenden  Gestaltungskraft,  wie  wir  sie  an  Piaton  bewundem, 
um  die  Fugen  der  Komposition  durch  die  Kunst  der  Darstellung  zu  ver- 
kleiden: gelang  selbst  ihm  das  nicht  völlig,  wie  viel  weniger  dürfen  wir 
es  von  Vergil  erwarten.  Gegen  die  obige  Analyse,  soweit  sie  von  mir 
bereits  im  Hermes  1.  c.  gegeben  war,  haben  nämlich  Dieterich,  1.  c.  151,  2 
und  P.  Deutike  (Jahresb.  d.  phüol.  Vereins  XXI  1895,  258)  zwei  beachtens- 
werte Einwände  erhoben. 

1.  Innerhalb  der  Gruppe  der  ßiaioGdvaTOi  läßt  Vergil  bei  den 
Klassen  c  und  d   den  Aeneas  Heroinen  und  Heroen   einer  weit   zurück- 


1)  Einzelne  Motive  dieses  Systems  sind  von  der  christlichen  Eschatologie 
rezipiert  worden.  Die  antiken  ätupoi  sind  meist  umgeprägt  zu  den  ungetauft 
gestorbenen  Kindern  (vergl.  darüber  auch  C.  Dilthey,  Rhein.  Mus.  XXV  334), 
so  in  der  von  Bonifatius  1.  c.  (o.  S.  9)  p.  269  berichteten  Vision:  infantium 
numerosam  multitudinem  .  .  .  sine  haptismo  morientiuni  tristem  et  moerentem 
aspexit  formulam;  etwas  anders  in  der  Vision  des  Albericus  saec.  XII,  1.  c. 
p.  294:  primum  itaque  locum  quendam  igneis  prunis  .  .  .  aestuantem  vidi,  in 
quo  parvulorum  unius  anni  animae  purgabantur ;  wohl  erst  scholastischer 
Theologie  gehört  die  Bezeichnung  limbus  infantium  an.  Bemerkenswert  ist, 
daß  Dante  eine  Anzahl  von  Seelen  in  ein  Vorpurgatorium  versetzt,  da  sie  zur 
Aufnahme  in  das  eigentliche  Purgatorium  noch  nicht  reif  seien,  nämlich:  1.  die 
im  Kirchenbann  Gestorbenen  Purg.  III  136 ff.;  2.  diejenigen,  die  aus  Nach- 
lässigkeit die  Buße  versäumt  haben  ib.  IV  130 ff. ;  3.  die  gewaltsam  Getöteten 
ib.  V  52ff. ;  dazu  4.  in  der  Vorhölle  der  limbus  infantium  und  der  limbus 
patrum  ib.  VII  28  ff. 


B.    DIE  KOMPOSITION.  15 

liegenden  Epoche  treffen,  die,  wenn  sie  nur  auf  die  Erfüllung  ihrer  ihnen 
vom  Schicksal  bestimmten  Lebenszeit  warteten,  damals  längst  in  das 
Innere  des  Hades  hätten  zugelassen  sein  müssen,  z.  B.  Pasiphae  (447) 
und  die  Helden  der  thebanischen  Sage  (479  f.).  Dieser  handgreifliche 
Widersprach  erklärt  sich,  um  es  kurz  zu  formulieren,  daraus,  daß  Vergil 
die  theologische  Eschatologie  mit  einer  mythologischen  Katabasis  ver- 
bunden hat^):  jene  behandelte,  wie  wir  das  noch  an  den  platonischen  und 
plutarchischen  Eschatologieen  erkennen,  die  einzelnen  Seelenklassen,  ohne 
Figuren  der  Sage  einzuführen;  aber  das  genügte  Vergil  nicht,  da  er  nicht 
philosophisch  irepi  TUJv  ev  abou  zu  handeln,  sondern  eine  Nekyia  home- 
rischen Stils  zu  dichten  hatte,  zu  der  er  Heroen  imd  Heroinen  brauchte. 
So  verfuhr  er  folgendermaßen.  Die  theologische  Quelle  gab  ihm  als  eine 
Klasse  von  ßiaioGdvaxoi  die  im  Kriege  Gefallenen;  um  sie  zu  füllen,  zog 
er  eine  mythologische  Quelle  heran  (und  zwar,  wie  wir  im  Kommentar 
sehen  werden,  wahrscheinlich  die  KaTdßa(Tic  'HpanXeouc),  aus  der  er  die 
Helden  der  thebanischen  Sage  (479 f.)  entnahm.  Femer:  als  eine  andere 
Klasse  von  ßiaioödvaioi  überlieferte  ihm  die  theologische  Quelle  die 
Selbstmörder,  und  zwar  wohl  schon  mit  den  Spezies  der  Selbstmörder 
teils  bid  ireviav  (436  f.  quam  vellent  aethere  in  alto  \  nunc  et  pauperiem 
et  duros  perferre  labores)  und  derjenigen  bi'  epuuxa  (442  quos  durus  amor 
crudeli  tobe  peredit),  da  Lukian  1,  c.  xouc  bi'  epuura  dirocTqpdHavTac  eauTOuc 
ausdrücklich  nennt.  Diese  zweite  Spezies  der  Selbstmörderklasse  gab  ihm 
nun  Gelegenheit,  den  für  eine  Nekyia  homerischen  Stils  typischen  xaid- 
XoYOC  fipuuivuiv  zu  bringen;  das  mythologische  Material  übernahm  er 
teils  aus  Homer  selbst  teils  aus  alexandrinischen  Dichtem  und  fügte 
seinerseits  Dido  hinzu  (vergl.  den  Kommentar).  Diese  Kontamination 
hatte  nicht  bloß  den  erwähnten  prinzipiellen  Fehler  zur  Folge,  daß 
Aeneas  in  dieser  Region  mit  ßiaioGdvaioi  zusammentrifft,  die  nach  dem 
Sinn  der  theologischen  Quelle  außer  Dido  sämtUch  bereits  aus  ihrer 
Sonderstellimg  hätten  erlöst  sein  müssen,  sondern  noch  eine  weitere  kleine 
Inkonvenienz.  Die  mythologischen  Quellen  kannten  nicht  bloß  solche 
Heroinen,  die  sich  aus  Liebesgram  selbst  den  Tod  gegeben  hatten,  sondern 
neben  diesen  auch  solche ,  die  von  anderen  aus  Eifersucht  oder  Rache 
getötet  worden  waren;  so  nennt  denn  auch  Vergil  beide  Gattungen  und 
muß  daher,  um  den  Widerspruch  zu  verdecken,  statt  einer  speziellen 
Überschrift  wie  ''qui  se  ob  amarem  interfecertmt^  (Lukians  oi  bi'  Ipiuia 
dTTOCTqpdHavTec  eauToOc)  die  allgemein  gehaltene  ^qiws  durus  amor  crudeli 
tobe  peredif  wählen^). 

2.  Auf  Grund  der  Tatsache,  daß  Vergil  eine  theologische  Darstellung 
mit  einer  mythologischen  kontaminiert  hat,  läßt  sich  auch  der  zweite 
von   den   genannten  Forschem   erhobene   Einwand    beseitigen.     Während 


1)  Treffend  wird  dieser  Dualismus  von  Macrobius  (nach  einem  auch  sonst 
von  ihm  benutzten  Spezialkommentar  zum  VI.  Buch)  bezeichnet  in  somn. 
Scip.  I  9,  8  Vergilius  .  .  .  licet  argumenta  suo  serviens  her  aas  in  inferos  relegave- 
rit  (637  ff.),  non  tarnen  eos  abducit  a  caelo  sed  aethera  his  deputat  largiorem  (640). 
et  nasse  eas  salem  suum  ac  sua  sidera  prafitettir  (641),  ut  geminae  doctrinae  ob- 
servationes praestiterit,  et  paeticae  figmentum  et  philosophiae  veritatem. 

2)  In  der  Beurteilung  und  zum  teil  auch  in  der  Erklärung  des  Widerspruchs 
bin  ich  mit  Kroll,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XXVII  (1900)  143,  2  zusammengetroffen. 


16  EINLEITUNG. 

Vergil  nämlich  von  den  äiacpoi  sagt,  daß  sie  nacli  einer  gewissen'Zeit  aus 
ihrer  Sonderstellung  erlöst  werden  (329  f.),  findet  sich  bei  den  unter  sich, 
wie  bemerkt,  eng  verbundenen  diupoi  und  ßmioGotvaioi  keine  derartige 
Bestimmung.  Das  erklärt  sich  nun  leicht:  mit  einer  solchen  hätte  der 
gesamte  mythologische  Apparat  fallen  müssen,  weil  der  Widerspruch, 
daß  Aeneas  in  dieser  Region  mythischen  ßiaioGdvaxoi  längst  vergangener 
Mythenepochen  begegnete,  sonst  zu  handgreiflich  gewesen  wäre.  So 
hat  also  Vergil  die  Kontamination  heterogener  Vorstellungen  dadurch 
zu  verbergen  gesucht,  daß  er  das  Motiv  der  einen  (theologischen) 
Quelle  fallen  ließ,  imi  ein  für  seinen  Zweck  wesentlicheres  Motiv  der 
zweiten  (mythologischen)  Quelle  beibehalten  zu  können:  ein  Verfahren, 
das  sehr  charakteristisch  ist  für  die  Art  seiner  Quellenbenutzung  und 
seiner  mehr  auf  poetische  Illusion  als  logische  Geschlossenheit  bedachten 
Kompositionsweise. 

C.  Die  Lehre  von  der  Seelenwanderung  (724 — 51) 

Die  Verse  lassen  sich  leichter  griechisch  als  deutsch  paraphrasieren; 
in  der  folgenden  Paraphrase  sind  die  den  mythischen  Ausdrücken,  wie 
wir  sehen  werden,  zugrunde  liegenden  kosmischen  Vorstellungen  gleich 
in  Klammem  beigefügt  worden. 

Tot  |aev  xecraapa  cTTOixeTa,  TiOp  übiup  dfip  ffi,  iÜujOTToieTTai  Kai 
xpecpexai  irveujuaTi,  ö  bid  toO  Travröc  bitiKov  Kai  öXov  öi'  öXou  KCKpa- 
l^evov  KiveT  iiiev  xöv  kö(T)liov  ujaTtepel  auj)ua  ejavpuxov,  dTroTevva  be  Kai 
Td  Ma  rd  xe  ev  f^  Kai  depi  Kai  ttövxlu.  xd  be  (TirepiLiaxa  irupiubri 
qpücTei  urrdpxovxa  Kai  auvxova  Kai  xiij  öeuj  cruTTevfi,  Gvj\ia(Si  cpvaei 
(p6apxoTc  Ktti  vouöpoTc  oucTiv  ÜJCT-rrep  eipKxaic  xicTi  (JKOxeivaTc  cTuYKXei- 
(Töevxa  dtraiaßXiJvexai  Kai  dTTÖ  xfic  TTpöc  xaöxa  aujUTiaGeiac  kXycei  d 
br]  TtdÖTi  KaXoO|Liev  qpößov  eTTi9u|Liiav  XuTrriv  fibovriv.  'AXX'  ou  lafiv 
oub'  eireibdv  ai  ipuxai  xuJv  Kaxd  adpKa  becrinujv  dveGuKTi,  xujv  je 
|iiacr|iidxuuv  diraXXdxxovxai,  ÖTrep  eK  ttoXXou  -rrpocTTreqpuKÖxa  Kai  irriHiv 
eiXricpöxa  auxaic  ejKaQilei.  'Avxi  be  xauxric  xf]c  KaKÖxrjxoc  Trpujxov  luev 
beivai  auxdc  dva/aevoucTi  iroivai  (ev  xuj  urrep  fiinuJv  depi  iruKVOxdxLu), 
Kai  f]  |Liev  TTupi  r\  be  übaxi  r]  be  dvejuoic  KoXaZiojaevri  bkriv  bibuudi 
xiijv  iraXaiuJv  |Lir|Vi)LidxiJUv,  Kaxd  xöv  bai)Liova  öc  eKdcTxriv  eiXrixev.  "Gireixa 
irepaiiuGeTaai  eic  xd  'HXiJCTia  XeYÖ|neva  irebia  (i'va  be  cpucTiKUJC  Xeyuj- 
|Liev,  eic  xrjv  creXr|vriv,  lueGöpiov  oucrav  xoO  koG'  fijuäc  iraGrixoO  Kai 
xoO  Kax'  aiGepa  dcpGdpxou  xöttou),  öXiTai  |uev  xivec,  ai  je  br]  ini- 
eiKeaxepov  biriyatov,  laevoucriv  auxöGi,  euuc  dv  xoO  lueTdXou  laupiuiv 
eviauxüjv  diroxeXecjGevxoc  kOkXou  dTTOKXuaGrj  )aev  ö  ttoXuc  cru|Li(puö- 
ILievoc  puTTOc,  exKaxaXeiqpGfi  be  x6  xe  rrveOina  Xeirxöxaxov  Kai  TiOp 
eiXiKpivec  (ö  XaßoOffai  Tiepaixepiu  xujpoOmv  eic  xöv  aiGepa,  öGev  rjXGov)' 
xdc  be  TToXXdc  KaGaipeffGai  xpeiJuv  ev  'HXucriou  fiuxuj  xivi  (aivixxöjLieGa 
be  xöv  1JTTÖ  creXr|vr|V  depa  )iavuüxaxov) ,  ^vGev  xoO  xi^iefoOc  Ttepiax- 
Gevxoc  kukXou  eic  dXXa  iraXivbpoinoOcTi  (Tuj)Liaxa,  djavrnnovoOaai  bid 
xö  ArjGric  KaXou)Lievov  übujp,  o  ev  abou  bidYoucrai  ^ttiov. 

Mit  dieser  Paraphrase  verbinden  wir  gleich  diejenige  der  bekannten 
Stelle  der  Georgica  (IV  21 9 ff.):  xouxoic  xoTc  armeioic  xeK)uaipö)ievoi 
eiTTÖv   xivec   xaTc   jueXicTcJaic    Geiou    xe    iiiexeTvai    Xöyou    Kai  dvanvoric 


C.   DIE  LEHRE  VON  DER  SEELENWANDERUNG.  17 

aiGepiou.^)  Geöv  |Liev  xdp  biä  toO  öXou  bir|Keiv,  yf[C  xe  xai  ttövtou  xai 
aiGe'poc"  toO  b'  aiGe'poc  dTT0(T7rd(T)LiaTa  övta  Tidvia  Z^ujOTTOieTcrGai,  touc 
t'  dvGpujTTOuc  Ktti  xd  Gripia,  Kai  eic  xoOxov  öGevirep  Kai  fiKev  Trdvxa 
xd  Ziuja  öiaXuGevxa  eiraveXGeiv,  ^vGa  dcTxpoic  eYKpivö^eva  ^aKaplou 
aiuivoc  dTToXaueaGai. 

Daß  diese  Paraphrasen  uns  in  die  Sphäre  der  durch  Pythagoreismus 
und  Piatonismus  beeinflußten  Stoa  fahren,  ist  ohne  weiteres  klar  (Belege 
im  Hermes  1.  c.  3950".,  für  einige  Ausdrücke  im  Kommentar  ergänzt). 
Es  handelt  sich  für  uns  aber  noch  nicht  um  die  Quellenfrage,  sondern 
zunächst  nur  um  die  Interpretation  der  Verse  740 — 51,  die  zu  den 
kontroversesten  der  Aeneis  gehören  und  von  mir  jetzt  richtiger  behandelt 
werden  können  als  früher  1.  c.  39 9 ff. ^) 

Nachdem  ausgeführt  ist,  daß  jede  Seele  nach  dem  Tode  Buße  zu 
zahlen  hat  für  die  Sünden  des  Lebens  im  Körper,  wird  so  fortgefahren: 

äliae  pandimtur  inanes  740 

suspensae  ad  ventos,  aliis  sub  gurgite  vasto 
mfectum  eluitur  scelus  aut  exuritur  igni: 
quisque  suos  patimur  manis.     exinde  per  amplum 
■  mittimur  Elysium  et  pauci  laeta  arva  tenemus, 
donec  longa  dies,  perfecto  iemporis  orhe,  745 

concretam  exemit  Idbem  purumque  relinquit 
aetherium  sensum  atque  aurai  simpUcis  ignem; 
has  omnis,  uhi  mille  rotam  volvere  per  annos, 
Lethaeum  ad  fluvium  deus  evocat  agmine  magno, 
scilicet  immemores  supera  ut  convexa  revisant  750 

rursus  et  incipiant  in  corpora  velle  reverti. 

Die  Portsetzung  einer  Läuterung  im  Elysium,  die  bei  der  über- 
lieferten Eeihenfolge  der  Verse  744  ff.  angenommen  werden  muß,  erschien 
so  unerhört,  daß  bereits  seit  der  Humanistenzeit  Umstellungen  vor- 
genommen wurden  (zuerst  in  der  editio  Paimensis  vom  J.  1475,  die  auch 
Vm  654  falsch  umgestellt  hat),  denen  in  der  Neuzeit  Annahme  von 
Dittographieen  oder  Literpolationen,  Text-  und  Interpunktionsänderungen 
hinzugefügt  worden  sind,  Mittel,  die  teils  zu  gewaltsam  teils  sprachwidrig 
sind.  Eine  genauere  Betrachtung  einzelner  Sätze  aus  der  Lehre  von 
der  Seelenwanderung  wird  den  Beweis  erbringen,  daß  jede  Korrektur  der 
Überlieferung  eine  Verschlechterung  ist. 


1)  Für  die  Sache  wird  von  Gerda  angeführt  Aristoteles  de  gen.  anim.  III  10. 
761a  5  oö  Y^P  ^xovaiv  (näml.  die  Wespen  und  Drohnen)  ou6^v  Oeiov,  üjoirep 
TÖ  Y^voc  Td)v  iLieXiTTUJV.  Wichtig  ist  noch,  weil  die  Biene  dort  in  Verbindung 
mit  der  Seelenwandervmg  gebracht  wird,  Plotinos  enn.  III  4  p.  284  ö  rf\v  tto- 
XiTiKi^v  dpexriv  xripriaac,  ävOpuJTTOC  (sc.  Yi^verai).  6  bi  f\TTOv  dperfic  iroXiTiKfic 
luex^X^v,  TToXiTiKÖv  ^Oüov,  iLi^XiTTO  f\  Tct  ToiaöTO.  Vcrgl.  auch  den  Kommentar 
zu  707  ff. 

2)  Wie  ich  sehe,  waren  schon  G.  Niemeyer,  De  locis  quibusdam  Aeneidis 
(Leipzig  1872)  26 ff.  und  J.  Le  Grom,  De  VI  Aeneidis  libri  natura  et  fontibus, 
ZwoUe  1898  auf  dem  richtigen  Weg;  doch  fehlte  ihnen  das  Material,  ihre 
Auffassung  zu  beweisen.  Auch  E.  Maaß,  Orpheus  (München  1895)  230  f.  und 
R.  Hehn,  Berl.  phil.  Wochenschr.  1901,  331  haben  den  wahren  Sachverhalt 
kurz  bezeichnet,  wäbrend  E.  Rohde,  Psyche  n*  165,  2  mit  den  anderen  irrt. 

Vkboil  Buch  VI.  von  Norden.  2 


18  EINLEITUNG. 

Das  Eingehen  der  Seele  in  einen  Leib  ist  nach  der  bei  Empedokles, 
Pindar  und  Piaton  (d.  h.  also  den  Orphikern  und  Pythagoreem)  vor- 
liegenden Lehre  ein  Sündenfall,  der  freilich  durch  den  bitteren  Spruch 
der  Notwendigkeit  erfolgt.  Nach  der  Trennung  vom  Leibe  muß  die 
Seele  dafür  büßen.  Eine  Ttepioboc  von  1000  Jahren  (abzüglich  des 
Verweilens  im  Körper)  wird  sie  im  Hades  geläutert,  dann  wird  sie  ge- 
zwungen, noch  neunmal  in  andere  Leiber  einzugehen  und  nach  jedem 
leiblichen  Tod  wiederum  1000  Jahre  sich  der  Läuterung  zu  unterziehen; 
bei  dem  Eingang  in  die  Leiber  hat  sie  freie  Wahl:  wählt  sie  schlecht, 
so  kann  sie  eine  Tier-  oder  Pflanzenseele  werden.  Erst  wenn  sie  den 
großen  kükXoc  von  10  000  Jahren  gebüßt  hat,  ist  sie  frei  und  kehrt  in 
ihren  Ursprung,  d.  h.  den  Äther,  zu  den  Göttern  zurück,  erst  dann  ist 
der  ßapuTrevGfic  kukXoc  fevlaewc  beendet. 

Diese  theologische  Lehre  ist,  wie  es  scheint,  von  Anfang  an  (Rohde, 
Psyche  11^  165,  2)  mit  einem  ethischen  Element  verbunden  worden.  Inner- 
halb der  durch  das  Eingehen  in  die  Körperwelt  erfolgten  allgemeinen 
Verschuldung  aller  Seelen  sollte  nämlich  die  Schuld  einzelner  Seelen 
eine  größere  oder  geringere  sein  können,  und  demgemäß  sollten  die- 
jenigen Seelen,  die  sich  von  der  Befleckung  durch  die  Körperwelt  mehr 
als  andere  frei  gehalten  hatten,  indem  sie  gegen  die  Affekte  ankämpften, 
durch  Verkürzung  der  Läuterungszeit  eines  besseren  Loses  teilhaftig 
werden  können.  Diese  ethische  Wendung  der  Lehre  finden  wir  schon 
bei  Pindar  und  Piaton  bezw.  deren  Quellen.  In  Einzelheiten  weichen 
sie  von  einander  ab,  teils  weil  sie  nicht  dieselben  Quellen  (theologische 
Gedichte)  benutzen,  teils  weil  sie  selbst  mit  dem,  phantastischer  Aus- 
dichtung überaus  fähigen  Stoffe  frei  schalten,  teils  endlich  weil  der  eine 
diese,  der  andere  jene  für  ihn  nebensächliche  Momente  ausläßt.  Die  für 
uns  in  betracht  kommenden  Züge  sind  die  folgenden. 

Durch  das  Hinabsinken  zur  Körperwelt  verfallen  die  reinen,  gött- 
lichen Seelen  der  Sünde;  aber  der  Grad  der  Ansteckung  durch  die 
Körper  ist  verschieden.  Es  gibt  (nach  Piaton)  vier  Kategorieen:  die 
(relativ)  Besten,  die  (relativ)  Guten,  die  Mittelmäßigen,  die  Schlechtesten. 
Nach  dem  Grad  ihrer  Schuld  ist  ihr  Los  nach  dem  körperlichen  Tode 
verschieden.-^)  Die  Besten  sind  nach  der  einen  Fassung  von  jeder 
Wanderung  befreit  und  kehren  nach  dem  Tode  gleich  zu  den  Sternen 
zurück  (Plat.  Tim.  42 B),  nach  der  anderen  brauchen  sie  doch  nur 
einen  Kreislauf  von  dreimal  1000  Jahren  durchzumachen,  um  dann  zu 
ihrem  reinen  himmlischen  Ursprung  (Plat.  Phaedr.  298  E  Phaed.  114C) 
oder,  wie  es  auch  mit  Herübemahme  der  volkstümlichen  Terminologie 
heißt,  zu  der  Insel  (bezw.  den  Inseln)  der  Seligen  (Pind.  0.  2,  75 ff. 
Plat.  Gorg.  523  B  524A)  zurückzukehren.  Die  Schlechtesten  sind  un- 
heilbar, sie  werden  im  Tartarus  ewig  bestraft  (Plat.  Gorg.  525  C,  Phaed. 


1)  Der  älteste  Zeuge  für  diese  Relativität  des  Strafmaßes  ist  Heraklit, 
dessen  Psychologie,  wie  Diels  in  den  Anmerkungen  seines  'Herakleitos  von 
Ephesos'  (Berlin  1901)  gelehrt  hat,  aufs  stärkste  von  derjenigen  der  Orphiker 
beeinflußt  ist.  Vergl.  besonders  fr.  25  (Diels)  luöpoi  fäp  jui^Sovec;  yLiZovac;  ixoipac, 
XaTx<ivouai  (dies  Fragment  hat  E.  Rohde  1.  c.  150,  2  bei  seiner  Darstellung  der 
Eschatologie  Heraklits  nicht  berücksichtigt  und  sie  daher  falsch  beurteilt)  und 
die  Anm.  zu  fr.  63. 


D.    DIE  QUELLENTRAGE.  19 

113 E,  Rep.  X  615 DE,  vergl.  Piadar  1.  c.  74).  Die  Guten  und  die  Mittel- 
mäßigen haben  das  Gemeinsame,  daß  ihnen  die  Rückkehr  an  den  Ort 
ihres  Ursprungs  erst  nach  einem  Kreislauf  von  zehnmal  1000  Jahren 
zuteil  wird,  unterscheiden  sich  aber  durch  den  Ort,  an  dem  sie  nach 
ihrem  jedesmaligen  körperlichen  Tod  bis  zum  Wiedereintritt  in  neue 
Körper  verweilen:  die  Mittelmäßigen  kommen  jedesmal  an  den  Ort  der 
unterirdischen  Strafen,  die  Guten  nach  Piaton  an  einen  bestimmten  Ort 
des  Himmels,  wo  sie  in  seliger  Ruhe  verweilen  (Phaedr.  249  A,  Rep. 
614C— 615A),  nach  Pindar  in  das  Elysium  (1.  c.  67 — 74).  Vor  der 
jedesmaligen  Rückkehr  in  einen  neuen  Leib  trinkt  die  Seele  den  Trunk 
der  Vergessenheit  (Plat.  Rep,  621 A). 

Zu  diesen  Darstellungen  Pindars  und  Piatons  kommt  als  dritte,  mit 
Abweichungen  in  Einzelheiten,  aber  durchaus  auf  gleicher  Grundlage,  die- 
jenige Vergils  bezw.  seiner  Quelle.  Nach  seiner  Darstellung  wird  1.  an 
den  irdischen  Seelen  nach  ihrem  Austritt  aus  dem  Körper  eine  Läuterung 
durch  eins  der  Elemente  Wind,  Wasser  oder  Feuer,  je  nach  dem  Grad 
ihrer  Schuld,  vollzogen  (740 — 43).  Dieser  Läuterungsprozeß  wird  von 
Pindar  und  Piaton  nicht  erwähnt,  aber  er  paßt  in  das  System  und  ist, 
wie  wir  nachher  sehen  werden,  in  anderen  Quellen  nachweisbar.  2.  Nach 
dieser  Läuterung  durch  eins  der  Elemente  werden  die  Seelen  durch  das 
Elysium  gesandt  (743 f.  exinde  per  amplum  mittimur  Elysitm),  wo  eine 
Sonderung  stattfindet,  a)  Wenige  (die  Besten)  bleiben  dauernd  im  Elysium 
und  erlangen  hier  im  Kreislauf  des  großen  Weltjahrs  (=  10  000  Erden- 
jahre) die  ursprüngliche  volle  Reinheit  wieder  (744 — 47).  b)  Die  meisten 
Seelen  bleiben  in  einem  an  das  Elysium  angrenzenden  Talkessel  (vergl. 
679),  wo  sie  in  der  am  Elysium  vorbeifließenden  Lethe  (705)  Vergessenheit 
trinken,  um  dann  nach  1000  Jahren  in  einen  neuen  Leib  als  Wohnung 
zurückzukehren  (748 — 50,  vergl.  713 — 15)^). 

Jetzt  wissen  wir,  daß  das  Bedenken,  das  die  meisten  Interpreten 
(und  früher  mich  selbst)  an  der  Richtigkeit  der  überlieferten  Reihenfolge 
der  Verse  zweifeln  ließ,  unbegmndet  ist:  der  Aufenthalt  von  Seelen  im 
Elysium  zum  Zweck  ihrer  Läuterung  ist  nichts  Ungehöriges,  sondern,  wie 
wir  sahen,  läßt  auch  Pindar  Seelen  zu  dem  gleichen  Zweck  im  Elysium, 
Piaton  in  einem  entsprechenden  Teil  des  Himmels  verweilen.  Ein  weiterer 
Beleg  für  diese  Vorstellung  wird  später  hinzugefügt  werden. 

D.    Die  Quellenfrage. 

Da  wir  die  unmittelbar  von  Vergil  benutzte  theologische  Literatur 
gar  nicht  oder  nur  ganz  fragmentarisch  besitzen,  und  mithin  im  wesent- 
lichen auf  ihre  mehr  oder  weniger  deutlichen  Reflexe  bei  späteren  Autoren 


1)  Wir  werden  weiter  unten  (D  2,  1)  sehen,  daß  diesen  phantastischen  Vor- 
stellungen ein  ganz  bestimmter  Glaube  zugrunde  liegt:  die  erste  Station  der 
Seelen  nach  ihrem  Austritt  aus  dem  Körper  ist  die  sublunare  Atmosphäre,  in 
der  die  Elemente  regieren;  sind  die  Seelen  durch  eines  dieser  für  die  be- 
gangenen Sünden  gestraft,  so  steigen  sie  zur  zweiten  Station  empor,  der  Mond- 
region, und  zwar  kommen  die  besten  auf  den  Mond  selbst  (=  Elysium),  von  wo 
sie  nach  10  000  Jahren  in  den  Äther,  ihre  Heimat,  zurückkehren,  während  die 
anderen  in  der  feinsten  atmosphärischen  Luft  unter  dem  Monde  (=  Talkessel 
am  Elysium)  1000  Jahre  verweilen,  um  dann  in  neue  Körper  zurückzukehren. 

2* 


20  EINLEITUNG. 

angewiesen  sind,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  hier  zu  sicheren  Resultaten 
zu  gelangen,  von  vornherein  gering.  Ich  stelle  daher  die  folgende  Unter- 
suchung weniger  in  der  Absicht  an,  die  Quellenfrage  zu  beantworten, 
als  in  der  Hoffnung,  eine  Anzahl  dunkler  Stellen  des  VI.  Buches  erklären 
und  dadurch  zugleich  wenigstens  die  Sphäre  zeigen  zu  können,  innerhalb 
derer  die  Vorlagen  Vergils  zu  suchen  sind. 

1.   Prosaische  oder  poetische  Quelle? 

Es  fragt  sich  zunächst:  war  es  eine  prosaische  oder  poetische 
Eschatologie,  die  Vergil  benutzte?  Beide  Ansichten  haben  ihre  Vertreter 
gefunden.  An  Poseidonios  dachte  zuerst  A.  Schmekel  (Philos.  d.  mittl. 
Stoa,  Berlin  1892,  451),  ihm  folgend  E.  Agahd  (Varronis  antiqu.  rer.  div., 
Leipzig  1898,  111).  Sie  argumentieren  dabei  etwa  so.  Zu  703,  dem 
Verse,  mit  welchem  der  Abschnitt  über  die  Seelenwanderung  beginnt, 
bemerkt  Servius:  Mrmos  est  hoc  loco,  id  est  unus  sensus  protentus  per 
multos  versus  (nämlich  bis  751),  in  quo  tractat  de  Piatonis  dogmate,  quod 
in  Phaedone  positum  est  rrepi  ipuxfic,  de  qux)  in  georgicis  (IV  219 — 27) 
strictim,  liic  latius  loquitur.  de  qua  re  etiam  Varro  in  primo  divi- 
narum  plenissime  tractavit.  Der  Name  Varros  erscheint  im  Kom- 
mentar dieser  Partie  bei  Servius  noch  zu  733  {hinc  metuunt  cupiuntque 
dolent  gaudentque) :  Varro  et  omnes  philosophi  dicwnt  quattuor  esse  pas- 
siones.  Besonders  auf  Grund  des  ersten  dieser  beiden  Zitate  hat  Schmekel 
1.  c.  104  ff.  und  schon  in  seiner  Diss.  de  Ovidiana  Pythagoreae  doctrinae 
adumbratione  (Greifswald  1885)  26ff.  bewiesen,  daß  Varro  im  ersten 
Buch  seiner  divinae  ausführlich  über  das  Wesen  der  Seele  und  ihre 
Schicksale  nach  der  Trennung  vom  Körper  gehandelt  hat  und  daß  er 
darin  dem  Poseidonios  gefolgt  ist.  An  Schmekel  hat  sich,  mit  Be- 
richtigungen im  einzelnen,  Agahd  1.  c.  106 ff  angeschlossen.  Es  darf 
danach  als  sicher  gelten,  daß  die  von  Vergil  724 — 51  vorgetragene 
Lehre  von  der  Seelenwanderung  auf  derselben  Argumentation  beruht,  deren 
sich  auch  Varro  bedient  hat:  die  reine  Seele,  ein  Teil  des  die  Welt 
durchdringenden  feui-igen  Hauchs,  wird  durch  die  Berührung  mit  der 
Körperwelt  von  deren  Affekten  befleckt  und  muß  auf  ihrer  Wanderung 
Läuterungsprozesse  durchmachen,  bis  sie  endlich  als  reines  Ätherwesen 
wieder  zu  ihrem  Ursprung  zurückkehrt.  Hieraus  schlössen  Schmekel  imd 
Agahd,  daß  Poseidonios  wie  Varros  so  auch  Vergils  Gewährsmann  gewesen  sei; 
ihnen  stimmte  bei  E.  Badstübner,  Beitr.  zur  Erkl.  u.  Krit.  d.  philos.  Schriften 
Senecas  (Progr.  des  Johanneums,  Hamburg  1901)  4;  auch  P.  Deuticke  1.  c. 
(o.  S.  14)   256  vermutete  „Benutzung  eines  jüngeren  Philosophen". 

Dieser  Argumentation  schließe  ich  mich  an,  aber  mit  einer  gewissen 
Modifikation.  Tatsache  ist  nämlich,  daß  die  Lehre  von  der  Seelen- 
wanderung ein  beliebter  Stoff  auch  der  Poesie  war.  Es  hat  ein  altes 
orphisch-pythagoreisches  Gedicht  (saec.  VI)  gegeben,  in  dem  die  Eschato- 
logie mit  Einschluß  der  Seelenwanderungslehre  behandelt  war;  wir  kennen 
es  aus  der  Benutzung  des  Pindar  (Ol.  2  und  den  Fragmenten  des  Threnos) 
und    Empedokles    (115  Diels),    sowie    aus    den    platonischen    Mythen.-^) 

1)  Ob  in  dem  alten,  auf  Epicharms  Namen  gesetzten  Lehrgedicht  (Comicor. 
graec.  fragm.  ed.  Kaibel  p.  134  tf.)  gerade  auch  die  Wanderung  der  Seelen  ge- 


D.   DIE  QÜELLENFRAGE.  21 

Bruchstücke  eines  stofflich  nahverwandten  Gedichts  sind  auf  den  drei 
Goldtäfelchen  von  Thurii  und  Petelia  (saec.  IV/III)  zum  Vorschein  ge- 
kommen. Die  orphische  KOtraßaCTic,  die  von  Yergil,  wie  ich  im  Kommentar 
(s.  0.  S.  5,  2)  glaube  bewiesen  zu  haben,  benutzt  worden  ist,  handelte,  wie 
die  Fragmente  lehren,  eingehend  von  diesen  Dingen,  ebenso  andere, 
wahrscheinlich  jüngere  orphische  Gedichte  (fr.  222ff.  Abel,  imd  Kroll, 
Rh.  Mus.  LH  1897,  340).^)  Von  lateinischen  Dichtem  wurde  der  Stoff 
früh  übernommen,  schon  von  Ennius  im  Eingang  der  Annalen^);  Lucrez 
bekämpft  die  Lehre,  Ovid  vertritt  sie  und  Vergü  selbst  hat  schon  in  den 
Georgica  ihre  Hauptpunkte  kurz  zusammengefaßt  (IV  21 9  ff.).  Auf  Grund 
dieser  Tatsachen  haben  Dieterich  (Nekyia  158)  und  gleichzeitig  ich  selbst 
(Hermes  XXVHI 405)  für  Vergil  eine  poetische  Vorlage  annehmen  zu 
müssen  geglaubt.^)  In  dieser  Annahme  wurde  ich  bestärkt,  als  ich  auf 
griechische  Verse  nachchristlicher  Zeit  aufmerksam  wurde,  die  sachlich 
mit  Vergü  sich  auffällig  berühren.  Aeneas  fragt  seinen  Vater  nach  dem 
Schicksal  der  Seelen  (719ff.),  worauf  An  chises  ihm  antwortet  (724—51). 
Damit  vergleiche  man  im  Orakel  des  didymaeischen  ApoUon,  das  Lactantius 
div.  inst.  VH  13  und  der  Verfasser  der  von  Buresch  (Klaros  106)  edierten 
Theosophie  wahrscheinlich  aus  Porphyrios^)  überliefert  haben:  OTi  ttuGo- 
liievou  Tivöc  TÖv  'AiTÖXXuuva,  iroTepov  )nevei  fi  ipuxr)  juexa  öctvarov  f^ 
biaXueiai,  äneKpiQr]  outujc,  worauf  sechs  Hexameter  folgen,  die  sich 
in  dem  allgemeinen  Gedanken  (Leiden  der  Seelen  im  Körper  und  endliehe 
Rückkehr  in  den  Äther)  wie  in  einzelnen  Ausdrücken  mit  den  Versen 
Vergils  berühren  (vergl.  v.  1  f.  H^uxri,  M^XPi  M^v  ou  be(T|HoTc  TTpöc  auj|Lia 
KpateiTai,  cpGapTÖv  eoöa'dTraöric,  xaic  Toöb' d\Tr|öö(Jiv  ekeimit  730ff.).^) 
Auch  der  Gedanke,  mit  dem  Vergil  seine  Darstellung  der  Metempsychose 
eröffnet,  von  dem  die  ganze  Welt,  Sonne,  Mond  und  Erde  schaffenden 
und  beseelenden  Feuergeist  hat  seine  Analogie  in  einem  (christianisierten) 
Orakel  der  genannten  Theosophie  (S.  98  u.  101),  das  beginnt  mit  dem 
ewigen  lebenschaffenden  Feuer,  das  alles  wachsen  läßt  und  Sterne,  Mond 
und  Sonne  erleuchtet,  ganz  wie  Vergil  724 ff.  Fragmente  der  sogenannten 
chaldäischen  Orakel,  deren  Zeit  Kroll  (Breslauer  philologische  Abhand- 
lungen Vn  1894,  71)   in   den  Anfang  des  HI.  Jahrh.  p.  Chr.   setzt,    be- 


lehrt wurde,  steht  nicht  fest;  jedenfalls  wurde  das  Schicksal  der  Seelen  aus- 
führlich dargelegt. 

1)  Die  hypothetische  Kaxdßaöic  unter  Pythagoras'  Namen  (Rohde,  Rh.  Mus. 
XXVI  557,  1)  ist  nach  Diels'  Ausführungen  Arch.  f  Gesch.  d.  Philcs.  HI  469 
fernzuhalten. 

2)  Das  ennianische  Prooemium,  d.  h.  das  was  wir  über  dessen  ungefähren 
Inhalt  wissen,  hat  Vahlen  praef  p.  XXI f.  mit  dem  vergilischen  Xöyoc  irepl  H'^x^ic 
verglichen;  eine  Abhängigkeit  Vergils  von  Ennius,  die  C.  Pascal,  Commentationes 
Virgilianae,  Mailand  1900  behauptet,  ist  unerweislich:  es  ist  vielmehr  das 
gleiche  griechische  ydvoc,  dem  beide  folgten.  Vergl.  auch  R.  Helm,  1.  c. 
(o.  S.  17,  2)  330. 

3)  Wenn  ich  dort  als  Argument  for  eine  poetische  Quelle  den  alexan- 
drinischen  Katalog  der  öua^purrec  (440 ff.)  verwertete,  so  nehme  ich  das  jetzt 
auf  Grund  der  obigen  Ausführungen  (S.  14 f)  zurück. 

4)  Vergl.  G.  Wolff,  Porphyrii  de  philos.  ex  oraculis  haurienda  librorum 
reliquiae  (Berlin  1856)  177  f 

5)  Vergl.  hiermit  auch  den  Anfang  von  Ciceros  Urania,  den  er  selbst  de 
div.  I  17  mitteilt. 


22  EINLEITUNG. 

rühren  sich  ebenfalls  mit  Vergil  (Feuergeist,  Befleckung  der  Seele, 
Belohnung  oder  Strafe  im  Jenseits,  Seelenwanderung);  Ki-oll  selbst  (1.  c. 
67,  2)  hat  sie  m.  E.  treffend  mit  unsem  Vergilversen  verglichen.  Diese 
und  ähnliche^)  pythagoreisch-orphische  Offenbarungspoesie ^)  später  Zeit 
ist  ein  letztes  Glied  einer  langen  Kette,  in  die  wir  Vergils  Verse  ein- 
zugliedern haben. 

Aus  Vorstehendem  ergibt  sich,  daß  für  den  tÖttoc  Trepi  MJUXnc  keines 
der  beiden  Ycvri,  Poesie  und  Prosa,  ausschließlich  gültig  war,  sondern 
daß  diu-ch  Piatons  Autorität  neben  die  ältere  poetische  Behandlung  dieses 
Stoffes  die  prosaische  trat,  freüich  eine  Prosa  von  der  erhabenen  Art, 
wie  sie  die  der  transzendentalen  platonischen  Mythen  war,  die  ihren 
Zusammenhang  mit  der  Poesie  auch  bei  den  Nachahmern  nie  verleugnet 
hat.  Hiernach  ist  die  Quellenfrage  vermutlich  etwa  so  zu  beantworten: 
Vergil  hat  eine  apokalyptische  Schrift  des  Poseidonios  ^)  zugrunde  gelegt 
und  sie  in  dem  konventionellen  Stil  der  ihm  bekannten  (wahrscheinlich 
auch  von  Poseidonios  selbst  benutzten)  transzendenten  Offenbarungspoesie 
bearbeitet.  Diese  Annahme  findet  eine  Bestätigung  in  der  gewöhnlich 
von  ihm  befolgten  Praxis.  So  nahm  er  den  Stoff  der  technischen 
Partieen  der  Georgica  aus  prosaischen  Fachschriftsteilem,  für  die  poetische 
Formgebung  waren  Nikanders  Georgica  und  Lucrez  maßgebend.  Viele 
Gründungslegenden  der  Aeneis  stammen  dem  Material  nach  aus  Varro, 
lehnen  sich  in  der  Form  an  die  poetische  KTiCTeic- Literatur  helleni- 
stischer Zeit  an.  Analog  denke  ich  mir  also  den  Hergang  auch  im 
vorliegenden  Fall.  Doch  liegt  mir,  wie  gesagt,  weniger  an  der  Ent- 
scheidung dieser  prinzipiellen  Frage  als  daran,  Poseidonios,  d.  h.  die  mit 
Wahrscheinlichkeit  auf  ihn  zurückzuführenden  Autoren,  für  die  Inter- 
pretation dunkler  Stellen  des  VI.  Buches  auszunutzen. 


1)  Bei  Philostratos  vit.  Apoll.  VIII  31  erscheint  der  tote  Apollonios  und  hält 
einen  Xö^oc  irepl  M;uxfic  in  Versen,  wie  bei  Vergil  Anchises.— Lukian,  Alex.  25 
dpo|Li^vou  Tivöc  t(  irpciTTei  iv  äbou  6  '€iT{KOupoc,  äcpY]  ktX.  (folgt  ein  ditn.  iamb. 
acat.  -f-  catal.).  —  Auf  die  Übereinstimmung  eines  Ausdrucks  in  der  über  die 
Schicksale  der  Seele  philosophierenden  griechischen  Grabschrift  594  (nach  Kaibel 
kaum  älter  als  s.  IV  p.  Chr.)  mit  Vergil  macht  Rohde,  Psyche  11^  386,  3  auf- 
merksam. —  Porphyrios  vit.  Plotini  22  überliefert  ein  Orakel  über  das  Schicksal 
der  Seele  Plotins,  wiederum  mit  bemerkenswerten  Anklängen  an  Vergil  (vergl. 
besonders  den  Gedanken  des  Orakels:  'Plotins  Seele,  obwohl  begraben  im  ofnxa 
des  Körpers,  sah  durch  die  Umhüllung  hindurch'  mit  den  Worten  Vergils  733  f. 
neque  auras  |  dispiciunt  (sc.  animae)  clausae  tenebris  et  carcere  caeco).  —  Pseudo- 
pythagoreisches irepl  HJUxric  in  Versen  wird  bei  Diog.  L.  VIII  7  erwähnt,  und 
eine  dunkle  Kunde  solcher  Poesie  drang  zu  dem  späten  Verfasser  der  sog. 
Xpoöä  Itzy]  V.  70  f  (ed.  Nauck  hinter  lamblich.  de  vit.  Pyth.  p.  207).  —  Stobaeus 
ecl.  I  49,  46  überliefert  ein  Orakel  von  sechs  Hexametern  irepl  ttic  tOüv  v|juxu)v 
öiOTiUTnc  luera  xi'iv  äirö  toO  oib^xaroc  äiobov. 

2)  Als  solche  bezeichnen  Vergil  und  Ovid  die  ihrige :  V.  723  ordine  singula 
pandit  (pandere  typisch  für  das  spätere  revelare,  vergl.  in  unserem  Buch  267 
pandere  res  alta  terra  et  cdligine  mersas,  femer  HI  179.  252.  479),  Ovid  XV  145 
augustae  reseräbo  oracula  mentis.  Auch  eins  der  unteritalischen  Goldblättchen 
kleidet  seine  eschatologische  Weisheit  in  Orakelform  (IGSi  642,  vergl.  den 
Anfang  äW  öirörav). 

3)  Möglicherweise  einen  Xötoc  TTpoxpeTTTiKÖc,  der  mit  einer  Apokalypse 
schloß:  s.  unten  S.  35,  3.  48. 


D.   DIE  QUELLENFRAGE  (POSEIDONIOS).  23 

2.   Interpretation  einzelner  Stellen  auf  Grund  eschatologischer 
Vorstellungen  besonders  des  Poseidonios. 

1. 

Der  Aufenthaltsort  der  zur  Rückkehr  in  die  Körperwelt  sich  vor- 
bereitenden Seelen  wird  887  aeris  campt  genannt.  Kein  neuerer  Inter- 
pret hat  den  Ausdruck  gedeutet,  aber  die  alten  waren  auf  dem  rechten 
Wege.  Servius:  locutus  est  secundum  eos  qui  putant  Elysium  lunarem 
esse  circulum  (ähnlich  derselbe  schon  zu  V  735),  Ps.  Probus  p.  12  Keil: 
quibusdam  videtur,  aera  qui  et  summa  montium  et  ima  terrarum  saepius 
lateat,  reliquA)  qui  desuper  incubat  esse  öbtusiorem  atque  ita  vicem  in- 
fernorum  obtinere.  hoc  adnotasse  Vergilium  aiunt  in  VI  Uota  passim 
regione  vagantur  aeris  in  campis  atque  onmia  lustrant/  ut  post  mortem 
soluto  corpore  .  .  .  animue  ultimo  aeri  ut  puriori  transmittantur.  Die 
Vorstellung  vom  Mond  als  dem  Aufenthaltsort  der  Seelen  nach  dem  Tode 
gehört  zu  den  'Völkergedanken',  die  in  den  verschiedensten  Kultur- 
kreisen durch  spontane  Entstehung  nachgewiesen  sind.  In  griechischem 
Glauben  ist  er  so  alt  wie  die  Identifikation  der  Mondgöttin  Hekate 
mit  Hekate  als  Königin  der  Geister  und  des  Hades,  die  schon  im  Demeter- 
hynmus  vollzogen  ist.^)  Aus  dem  Volksglauben  übernahm  die  Vorstellung 
wie  so  vieles  die  orphisch-pythagoreische  Theologie,  aus  der  sie  über 
Piatons  Schule  und  die  pythagoreisierende  Stoa  zu  den  Neuplatonikem 
kam;  so  erklärt  es  sich,  daß,  wie  so  oft,  die  meisten  äußeren  Zeugnisse 
für  einen  hochaltertümlichen  Glauben  uns  erst  verhältnismäßig  spät,  auf 
der  Peripherie  der  griechischen  Philosophie,  begegnen.^)  Ein  Haupt- 
vermittler zwischen  jenen  alten  GeoXÖTOi  (bis  einschließlich  Piaton  und 
Xenokrates)  und  denen  des  späten  Altertums  ist  Poseidonios  gewesen, 
dessen  Bedeutung  auch  als  Religionsphilosophen  man  nicht  hoch  genug 
wird  schätzen  können;  denn  obgleich  er  auf  diesem  Gebiet  kein  eigentlich 
selbständiger  Forscher  war,  so  machte  ihn  doch  gerade  seine  eklektische 
Richtung,  die  aus  pythagoreischen,  platonischen  und  stoischen  Elementen 
ein  neues  Ganze  schuf,  für  eine  Vermittlerrolle  besonders  geeignet.  So 
läßt  sich  auch  hier  aus  ihm  die  Scholiastenerklärung  von  Vergils  aeris 
campi  rechtfertigen. 

Plutarch  führt  in  einem  seiner  eschatologischen  Mythen  folgendes 
aus  (de  facie  in  orbe  lunae  28,  943 C — 945 D).^)  Jede  Seele,  die  un- 
vernünftige wie  die  vernünftige,  muß  nach  dem  Tode  des  Körpers  längere 
oder  kürzere  Zeit  im  Hades,  d.  h.  der  Sphäre  zwischen  Erde  und  Mond, 
umherirren.     Die  ungerechten  und  ausschweifenden  Seelen  büßen  dort  für 


1)  Unrichtig  also  Rohde,  Psyche  II*  122,  2  „Die  Emporhebung  des  Seelen- 
reiches in  das  Luftmeer  ist  unter  Griechen  überall  Ergebnis  verhältnismäßig 
später,  sehr  nachträglich  erst  angestellter  Spekulation".  Richtiger  Dieterich 
1.  c.  24,  1. 

2)  Das  meiste  Material  bei  Röscher,  Selene  (Leipzig  1890)  90 f  122,  sowie 
in  den  Nachträgen  dazu,  Progr.  Würzen  1895;  auch  Fr.  Cumont  1.  c.  (o.  S.  6,  5). 
Vergl.  schon  Wyttenbach  in  den  adnot.  zu  Boissonades  Eunapios  (Amsterdam  1822) 
p.  117.     Eine  Hauptstelle  noch:   Hermes  trismeg.  bei  Stob.  ecl.  phys.  I  41,  68. 

3)  Ich  exzerpiere  nur  das  für  den  vorliegenden  Zweck  Nötige,  lasse  vor 
allem  das  von  Plutarch  hinzugefügte  spezifisch  Neuplatonische  fort.  Eine  genaue 
Analyse  gibt  R.  Heinze,  Xenokrates  (Leipzig  1892)  123  ff. 


24  EINLEITUNG. 

ihre  Freveltaten,  aber  auch  „die  guten  müssen,  um  die  ihnen  vom  Körper 
wie  einer  schlechten  Dunsthülle  anhaftenden  Miasmen  durch  Reinigung 
zu  entfernen,  im  mildesten  Teil  der  Luffc,  die  man  Hadeswiesen  nennt 
(tö  TTpaöraiov  toö  depoc  8v  \ei)nüjvac  abou  KaXoOm),^)  eine  be- 
stimmte Zeit  verweilen",  um  dann  in  das  Elysium,  d.  h.  den  Mond,  zu 
gelangen.  Von  hier  zieht  es  einige  wieder  in  neue  Geburten  herab, 
andere  steigen  von  hier  zur  Sonne  empor.  Diese  Eschatologie  ist  für 
uns  in  zweifacher  Hinsicht  wichtig.  Zunächst  rechtfertigt  sie  die  antike 
Erklärung  der  aeris  campi:  es  ist,  mythologisch  gesprochen,  ein  im 
Hintergrund  des  Elysiums  befindlicher  Hain  (vergl.  679  penitus  convaUe^) 
virenti  inclusas  animas,  703  f.  in  volle  reducta  seclusum  nevmis),  kosmisch 
gesprochen  die  oberste  Grenze  der  atmosphärischen  Luftschicht  unter  dem 
Monde^)  oder,  um  es  mit  den  Worten  des  Poseidonios  (bei  Sext.  Emp. 
IX  71  f.)  auszudrücken:  ai  i|juxai  rruptjubeic  oöaai  ...TÖvuiTÖaeXriVTiv 
oiKoOai  TÖTTOV  ev9dbe  te  biä  xfiv  eiXiKpiveiav  toO  depoc  TrXeiova 
Trpöc  bmiiiovfiv  Xajußdvouai  xpovov.  Zweitens  haben  wir  in  dieser 
Eschatologie  die  Vorstellung,  die  wir  oben  (S.  19)  in  Pindars  und 
Piatons  Eschatologieen  nicht  ausgesprochen  fanden,  aber  für  das  System 
postulieren  mußten,  daß  nach  dem  Austritt  aus  dem  Körper  zunächst 
alle  Seelen,  ob  gut  oder  schlecht,  einer  Läuterung  von  den  Schlacken 
unterzogen  werden,  die  ihnen  allen  durch  das  Zusammenwohnen  mit  dem 
Körper  anhaften  (739  f  ergo  exercentur  poenis  veterumque  malorum  |  sup- 
plicia  expendunt '^'Plnt  943  C  Tidaav  vjjuxr|v,  dvouv  xe  Kai  (Tuv  viu, 
ovj\xaToc  eKTTcaoOaav  ei|Liap|uevov  eaxiv  ev  xlu  inexalu  ^y\q  Kai  aeXr|vric 
Xujpiuj  TTXavr|0fivai). 

Nun  steht  fest,  daß  Plutarch  die  Grundvorstellung  dieser  Eschatologie 
aus  Poseidonios  hat*),  der  sich  seinerseits  in  Einzelheiten  an  Xenokrates 
angeschlossen  zu  haben  scheint  (vergl.  Heinze  1.  c.  123 ff.  mit  meiner 
Bemerkung  im  Hermes  XXVUI  1893,  398,  1).  Dieselbe  Lehre  hat  aus 
Poseidonios  Cicero  übernommen  (vergl.  P.  Corssen,  De  Posidonio  etc.  45 ff.) 
Tusc.  I  42  f.  necesse  est  ferantw  ad  caehim  (sc.  animae)  et  ab  iis  perrum- 
patur  et  dividatur  crassus  hie  et  concretus  aer  qui  est  terrae  proximus  .  .  ., 


1)  Dies  im  Gegensatz  zu  der  dicken  Luft  der  irdischen  Atmosphäre:  Comutus 
de  nat.  deor.  5  (p.  4  Lang)  6  ä6r]c  döxiv  6  Traxunep^öxaxoc  koI  irpoö- 
Yeiöxaxoc  äripoo  Cicero-Poseidonios  an  der  gleich  anzuführenden  Stelle:  crassus 
Jiic  et  concretus  aer  qui  est  terrae  proximus. 

2)  Vergl.  die  KOiXuüjuaxa  öeXrivric,  derer  größtes  '€KdiTric  luuxöc  hieß,  bei 
Plutarch  944  C,  sowie  die  jnuxol  Kai  ßö9poi  koI  ävrpa  des  Pherekydes  von  Syros 
bei  Porphyr,  de  antr.  Nymph.  31  (vergl.  29). 

3)  Wohl  mit  gelehrter  Anspielung  sagt  Silius  XIII  557  (in  der  Nachbildung 
der  vergilischen  Nekyia)  von  der  Pforte  des  Elysiums:  admoto  splendet  ceu 
sidere  lunae.  Vergl.  für  die  Vorstellung  aus  späterer  Zeit  etwa  noch  Porphyrios 
bei  Stob.  ecl.  I  14,  61  aivirröiuevoc  (nämlich  Homer)  öti  toic  xOjv  euaeßOüc  ße- 
ßiuuKÖTiuv  ipuxaTc  |Liexä  xi'iv  reXeuTi^v  oiKeiöc  ^öxi  töttoc  ö  irepl  rriv  oeXriviiv, 
iLiTreöriXuuaev  ei-rruüv  "äWct  o'  ^c  'HXOoiov  irebiov  . . .  äedvaroi  ir^iuvpouGi"  (6  563 f.), 
'HXuaiov  |Li^v  Trebiov  eiKÖxiuc  Trpoöenribv  xiqv  rx\c  aeXrjvTic  ^iti- 
cpöveiav  ktX. 

4)  Dies  mit  Rohde  1.  c.  324,  1  zu  bezweifeln  sehe  ich  keinen  Grund;  ein 
bestimmtes  Argument  für  seine  Skepsis  hat  Rohde  selbst  nicht  anzuführen 
vermocht.  Jetzt  hat  K.  Praechter,  Hierokles  der  Stoiker  (Leipzig  1901)  109  ff. 
die  Benutzung  des  Poseidonios  auch  für  andere  Teüe  der  plutarchischen  Schrift 


D.   DIE  QUELLENFRAGE  (POSEmONIOS.)  25 

m  quo  nubes,  imbres  ventique  coguntur  .  .  .;  quam  regionem  cum  superavit 
animus  naturamque  sui  similem  contigit  et  adgnovit,  iundis  ex  anima 
tenui  et  ex  ardore  sölis  temperato  ignibus  msistit;  mit  letzteren  Worten 
wird  meteorologisch  genau  das  confinium  zwischen  irdischer  Atmosphäre 
und  himmlischem  Äther,  d.  h.  die  Mondregion,  bezeichnet  (Diels,  Eh  ein. 
Mus.  XXXrV  1879,  488f.).i)  Femer  Seneca  (vergL  Heinze  1.  c.  127)  cons. 
ad  Marc.  25,  integer  üle  (sc.  animus)  nihilque  in  terris  relinquens  fugit 
et  totus  excessit  paulumque  supra  nos  commoratus  dum  expurgatur  et 
inhaerentia  vitia  situmque  omnem  mortalis  aevi  excutit,  deinde  ad  excelsa 
suhlatus  inter  felices  currit  animas. 

Dieselbe   Vorstellung    findet    sich   in   einem   orphischen   Gedicht, 
das   wahrscheinlich   von  Poseidonios  benutzt  wurde,   vielleicht  der  Kaxd- 
ßa(Tic,  zitiert  von  Proklos  zu  Plat.  Eep.  vol.  11  340  Kroll  (=  fr.  154  Abel): 
o'i  |uev  k'  euaTeuKTiv  ijtt'  autac  ^eXioio, 
auTic  dTToqp6i|Lievoi  luaXaKiwrepov  oTtov  ^xo^criv 
Iv  KaXuJ  XeimJJvi  ßaGOppov  d|U(p'  'Axepovra. 
Da  nun  in  diesem  Gedicht  der  Acheron  dr|p,  der  Acherusische  See  eine 
Xi|avTi   depia   genannt  war   (fr.  155 f.),   so   haben  wir  hier   eine   genaue 
Entsprechung  zu  Vergils  aeris  campi  als  Aufenthaltsort  der  Seelen.^) 

Es  ist  von  Interesse,  das  Fortleben  dieser  Vorstellungen  im  Christen- 
tum zu  verfolgen. 

a)  Zunächst  darf  als  feststehend  betrachtet  werden  die  Tatsache, 
daß  der  Begriff  einer  Läuterung  der  Seelen  nach  dem  Tode  vor  ihrer 
Rückkehr  zu  Gott,  kurz  gesagt  der  Begriff  des  Purgatoriums,  der  christ- 
lichen Lehre  ursprünglich  durchaus  gefehlt  hat:  die  Schriften  des  neuen 
Testaments  wissen  nichts  davon,  ebensowenig  die  des  alten.  ^)  Die  ersten, 
die  den  Begriff  haben,  sind  Origenes  (wir  werden  die  Zeugnisse  aus  ihm 
gleich  kennen  lernen)  und  der  Verfasser  der  griechischen  Pistis  Sophia.*) 


1)  Cicero  fährt  gleich  darauf  (45)  so  fort:  praecipu^  vero  fruentur  ea  (der 
Erkenntnis  des  Übersinnlichen  nach  dem  Tode),  qui  tum  etiam  cum  hos  terras 
incolentes  circumfusi  erant  caligine,  tamen  acte  mentis  dispicere  cupiebant, 
ein  Gledanke,  der,  wie  das  Vorhergehende,  ebenfalls  aus  Poseidonios  stammt 
(Schmekel  1.  c.  [o.  S.  20]  132  ff.).  Vergil  sagt  von  den  Seelen  im  allgemeinen 
733f.  neque  auras  dispieiunt  clau^ae  tenebris.  Beide  übersetzen  6u6eiv. 
Denselben  Gedanken  drückt  Cicero  im  somn.  Scip.  29,  ebenfalls  nach  Posei- 
donios, so  aus :  animus  velocius  in  hane  sedem  pervolabit  .  .  .,  si  iam  tum  cum 
erit  inclusus  in  corpore,  eminebit  foras:  hier  übersetzt  er  IHuu  Trpojanrreiv. 

2)  Formell  besonders  ähnlich  noch  Plutarch,  Amatorius  20,  766B  die  Xei- 
|uu)V€c  CeXT]vric,  auf  denen  die  Seelen  bis  zu  ihrer  Wiedergeburt  schlafen. 

3)  Diese  Tatsache  wird  nicht  bloß  von  der  protestantischen  Kirche  anerkannt, 
sondern  auch  von  der  griechisch-katholischen:  ouöe|Liia  Tpa^P^  öiaXaiußdvei  irepi 
aÖToO  (sc.  Toö  TTupöc  ToO  KaeapTiKoö),  vä  eüpiöKerai  briXabi^  köv  |uiia  irpöcKaipoc 
KÖXaoic  KoGapTiKri  tOüv  vyuxtJuv  üOT^pa  duö  töv  Oavarov  heißt  es  in  der  Haupt- 
schrift dieser  Kirche,  der  Confessio  orthodoxa  (verf.  s.  XVH),  1 46  (das  Citat  nach 
W.  Gass,  Symbolik  der  griechischen  Kirche,  Berlin  1872,  340).  —  Vergl.  auch 
Anrieh  1.  c.  (o.  S.  7,  3)  94,  4  188f ;  Dieterich  1.  c.  186.  201  (wo  unsere  Verse 
richtig  beurteilt  werden);  Maaß,  Orpheus  (München  1895)  231  f.  Der  Einwand 
Rohdes,  Kl.  Schriften  11  308  f.,  Maaß  habe  die  Vorstellung  eines  Fegefeuers 
nicht  als  'orphisch'  erwiesen,  kann  höchstens  die  Bezeichnung  als  solche  treffen: 
alttheologische  griechische  Lehre  ist  es  sicher. 

4)  Pag.  380  ff.  Bevor  die  Seele  ins  Pleroma  eintritt  oder  ins  Leben  zurück- 
kehrt, wird  sie  geführt  ad  aquam  quae  est  infra  a9aipav,  ut  fumus  (bez.  ignis) 


26  EINLEITUNG. 

Diese  Namen  sagen  genug:  der  in  den  Kreisen  platonisierender  Hellenen 
geläufige  Begriff  ist  von  der  platonisierenden  christlichen  Theologie  über- 
nommen worden.  Dann^)  kennt  ihn  Augustinus  de  civ.  dei  XXI  13; 
bezeichnend  ist,  daß  er  ihn  dort  im  Anschluß  an  unsere  Vergilverse 
(VI  733 — 742)  erörtert,  die  er  als  'platonisch'  bezeichnet. 

b)  Wir  haben  soeben  festgestellt,  daß  nach  der  konsequenten  Lehre 
griechischer  Theologen,  der  Vergil  folgte,  jede  Seele,  ob  gut  oder  schlecht, 
nach  dem  Tode  des  Körpers  einen  Läuterungsprozeß  durchzumachen  hat, 
mittels  dessen  ihr  die  durch  den  Kontakt  mit  dem  Körper  inhärierenden 
Flecken  entfernt  werden,  und  daß  nur  der  Grad  der  Läuterung  je  nach 
dem  Grade  der  Befleckung  ein  verschiedener  ist.  Diese  Lehre  finden 
wir  dann  wieder  in  dem  gnostischen  System,  das  der  Verfasser  des 
zweiten  Buches  Jeu  darlegt  (1.  c.  [S.  9]  403 ff.):  die  Sündhaftigkeit  aller 
Menschen  bedingt  eine  Bestrafung  aller  Seelen  nach  dem  Tode.  Dieses 
gnostische  System  kennt  auch  die  Seelenwanderung  und  den  Lethestrom: 
ein  direkter  Zusammenhang  mit  hellenischer  Eschatologie  ist  also  un- 
abweisbar. Daher  ist  auch  nicht  zu  verwundern,  daß  Origenes  dieselbe 
Lehre  vertritt^),  hom.  in  Numeros  25  (vol.  11  p.  369  Delarue):  e'crojaai 
)Liev  inaKotpioc  biet  tö  KaTaTrarficrai  töv  koköv  bai)Liova"  dKdGapTOC  b' 
lUV  Ktti  |Lie|aiacr)Lievoc,  bid  tö  dirö  toö  dkaGdprou  |Liiaa)ia  KaGdpcTeuuc 
beo|Liai.  Kai  bid  toöto  kqi  f]  TPtt<pi1  "fic  Tdp,  cprjCTi,  KaGapöc  ecTxai 
ttTTÖ  puTTOu  (Hiob  14,  4)";  TtdvTec  dpa  KaGdpcreuuc  beö|ue8a,  ludXXov  be 
KaGdpaeujv  TroXXai  ydp  fnndc  juevoucTi  Kai  bidqpopoi  KaGdpcreic.  dXXd 
TOI  |Liu(TTiKd  TauTa  f'  et^Ti  Kai  d7TÖppr|Ta.  Tic  ydp  dv  r]\xiv  dirocpai- 
voi,  ÖTTOiai  KaGdpcreic  eicTiv  aic  KaGaipovTai  TTaOXoc  f|  TTcTpoc  f| 
dXXoi  TOiouTOi,  Ol  Tivec  irap'  oXov  töv  ßiov  dGXr|CTavTec  TOcrauTa  |Liev 
iGvri  ßapßapiKd  KaTeTroXe)LiTi<^«v,  toctoutouc  b'  dvTiirdXouc  KaTCTrdXai- 
(Jav;  ktX.  Derselbe  hom.  3  in  psalm.  36  (ibid.  p.  663):  TrdvTUUC  fi)iiäc 
liievei  TÖ  TTup  TÖ  ToTc  d|LiapTuuXoTc  KaTecTKeuaaiuevov  Kai  fiHo|Liev  eic  tö 
TTup  8  "iKOLürox)  tö  ^pyov  ottoTöv  edTi  boKijudcrei  (Paul.  ad.  Cor.  I  3,  13)". 
Kai  ujc  eTLU|nai  irdvTac  eic  tö  rrOp  fiKeiv  bei.  KaiTtep  fdp  oiv  Tic 
ibc  TTaOXoc  f|  TTe'Tpoc,  öpnuc  eic  tö  uOp  fiHei.  dXX'  outoi  |Liev 
TOioÖToi  Tivec  ficTav  tc  Kai  ujvoiadJÜovTO ,  irepi  a)v  x]  TPa^P^I  "Kai  edv, 
(pricri,  bieXGrjc  bid  rrupöc,  ou  |iifi  KaTOKauGfic  (Jesaias  43,  2)".  iäv  be 
TIC  d|uapTU)Xöc  u)v  Tuxr],  ottoToc  ctiu,  fiEei  iiiev  Kai  outoc  eic  tö  itöp 
ibc  TTeTpoc  Kai  TTaOXoc,  dXX'  ou  biri^ei  iLc  TTeTpoc  Kai  TTaOXoc.  Diese 
Vorstellung    blieb    dann    die   übliche.     In   der  Eschatologie   des   zweiten 


ehulliens   comedat  intus  in   eam,   usgue   dum  KaBapiart   eam  valde   (Zitat  bei 
Anrieh  1.  c). 

1)  Ein  paar  Belege  aus  griechischen  Vätern  vom  IV.  Jahrh.  an  bei  V.  Loch, 
Das  Dogma  der  griech.  Kirche  vom  Purgatorium  (Regensburg  1842)  8fiF. ;  doch 
sind  die  wenigsten  beweiskräftig:  der  Verfasser  bemüht  sich  vergeblich,  das 
Purgatorium  auch  für  die  griechisch-katholische  Kirche  zu  erweisen,  der  es 
vielmehr  schon  in  alter  Zeit  gerade  durch  seine  Aufnahme  in  die  origenistische 
Häresie  verdächtig  geworden  war,  um  dann  später,  wie  bemerkt,  ganz  auf- 
gegeben zu  werden. 

2)  Die  folgenden  zwei  Origeneszitate  fand  ich  bei  R.  Hofmann  in  seinem 
Artikel  'Fegefeuer'  (Realencycl.  f.  prot.  Theol.  V*  Leipzig  1898).  Beide  nur 
in  der  lateinischen  Übersetzung  erhaltene  Stellen  habe  ich  ins  Griechische 
zurückübersetzt. 


D.   DIE  QUELLENFRAGE  (POSEIDONIOS).'  27 

Sibyllinenbuchs  (252 f.)  heißt  es:  Kai  töt€  bfj  7rdvT€C  bia  baiO)ievou 
7TOTa)iOio  I  Ktti  qpXoTÖc  daßecTiou  bieXeucTovG''  oi  re  bkaioi  |  irdviec 
auuGriaovT',  dcreßeic  b'  em  toTctiv  oXoövxai,  und  nachdem  die  Klassen 
der  Verdammten  aufgezählt  sind,  wird  von  den  Guten  gesagt:  tovjc  b' 
dXXouc,  ÖTTÖcToic  Te  bxKX]  KttXd  t'  epT«  )Lie')iil^€,  |  ccttc^oi  aip6|Lievoi 
bid  baio|Lievou  TroraiiioTo  |  ec  qpdoc  dHoucTiv  xai  ec  Jluufiv  d|Liepi|avov. 
Lactantius  div.  inst.  VII  21,  4  sed  et  iustos  cum  iudicaverit,  etiam  igni 
eos  examinahit.^) 

c)  Auch  die  alte  Vorstellung,  daß  die  Lage  des  Purgatoriums  in 
der  Atmosphäre  zu  suchen  sei,  ist  vom  Christentum  übernommen  worden 
und  bis  tief  ins  Mittelalter  hinein  geläufig  geblieben.  In  einer  gnostisch 
gefärbten  griechischen  Schrift  etwa  des  II./III.  Jahrh.  n.  Chr.,  die  ims 
aethiopisch  erhalten  ist,  der  sogenannten  Ascensio  Jesaiae  1.  c.  (o.  S.  9) 
c.  7  p.  29  schwebt  Jesajas  mit  dem  ihn  führenden  Engel  zum  Firmament, 
an  dessen  Grenze  die  Hölle  liegt  —  die  dort  weilenden  Dämonen  werden 
angeli  aeris  genannt  (c.  10  p.  53)  —  und  erst  als  sie  über  das  Firmament 
emporschweben,  gelangen  sie  in  den  Himmel.  In  der  Vision  des  Iren 
Furseus  saec.  VH  1.  c.  (o.  S.  9)  p.  81  ff.  95 f.  liegt  die  Hölle  in  der  Eegion 
zwischen  Erde  und  Himmel;  der  Visionär  muß  sie  zweimal  passieren,  beim 
Aufstieg  zum  Himmel  und  beim  Abstieg  zur  Erde.  Das  Purgatorium  finden 
wir  in  die  Region  der  feurigen  Luft  verlegt  in  der  soeben  (Anm.  1)  erwähnten, 
i.  J.  1153  verfaßten  Schrift  des  Henricus  Salteriensis  p.  995  dum  unde 
veniat . . .  inquiritur,  respondit  se  in  aere  mansionem  inter  spiritus  habere  et 
poenas  ignis  pwgatoni  sustinere  (vergl.  ib.  997  damnandi  non  intrant  pur- 
gatorium nee  inferum  inferiorem  usque  ad  diem  iudicii,  sed  in  aere  poenas 
sustinent  infernales).  Noch  Dante  ist  von  diesem  Glauben  beherrscht:  er 
läßt  das  Purgatorium  beginnen  in  dem  Feuerkreise  zwischen  der  Erden- 
hemisphäre und  dem  Monde  (Purg.  IX  30  mit  den  Kommentaren);  ober- 
halb des  Purgatoriums  liegt  das  'irdische  Paradies',  welches  nach  der 
Lehre  des  Thomas  von  Aquino,  dem  Dante  folgt,  pertingit  usque  ad 
lunarem  dradum  (vergleiche  Scartazzini  zu  Purg.  XXVIII  Iff.). 


1)  Später  wurde  diese  extreme  Formulierung  gemäßigt:  vergl.  Henricus 
Salteriensis  in  seiner  im  Jahre  1153  verfaßten  eschatologischen  Schrift  1.  c. 
(o.  S.  9)  p.  997  interrogatus  respondit,  quod  omnes  animae  salvandae  intrant 
purgatorium  praeter  anitnas  sanctorum,  qtii  statim  coelum  suum  intrant, 
quia  in  hoc  corpore  mortali  suum  egerunt  purgatorium  (die  letztere  Formulierung 
ganz  analog  im  späteren  Neuplatonismus :  Maaß  1.  c.  231,  44).  Beide  Ansichten 
übernahm  aus  der  christlichen  Theologie  die  jüdische  des  Mittelalters,  vergl. 
Joh.  Eisenmenger,  Entdecktes  Judentum  11  (Königsberg  1711)  337f.  [Zitat  nach 
R.  Hofmann  1.  c.];  eine  der  von  ihm  dafür  zitierten  Stellen  des  Talmud  lautet 
in  seiner  Übersetzung  so :  „die  Seele  wird  wegen  ihrer  Missethat  beflecket  und 
ihre  Sünden  machen  ein  Zeichen  an  ihr  und  kan  sie  von  der  Unsauberkeit 
anderster  nicht  als  in  der  Hölle  gereinigt  werden.  Es  ist  aber  diese  Straffe 
nicht  allen  Menschen  gleich,  denn  es  ist  gibt  Gerechte,  welche  auch  ein  oder 
zwey  mahl  nach  den  Wercken  der  Gottlosen  thun,  denn  es  ist  kein  Gerechter 
auff  Erden,  der  gutes  thue  und  nicht  sündige :  und  diese  haben  nur  vonnöthen, 
daß  sie  im  Wasser  abgewaschen  werden,  und  halten  sich  nicht  lange  in  der 
Hölle  auff,  sondern  gehen  nur  geschwind  dadurch.  Es  seynd  auch  unsere 
Cabbalisten  der  Meinung,  daß  schier  alle  Heiligen,  die  auff  der  Erde  seynd, 
solche  Straffe  ausstehen  müssen,  auff  daß  die  Seele  von  ihren  Flecken  in  der 
Hölle  gereiniget  werde."  Ib.  p.  346  aus  einem  andern  Tractat:  „Alle  Gerechte, 
welche  sterben,  müssen  in  dem  Fluß  des  Feuers  gesäubert  werden." 


28  EINLEITUNG. 

d)  Wir  haben  gesehen  (S.  18  f.),  daß  Pindar  und  Piaton  einen  doppelten 
Aufenthaltsort  der  Seligen  kennen,  den  einen,  an  dem  sie  nur  vorläufig 
weilen,  den  anderen  als  endliches  Ziel,  und  daß  auch  Vergil  das  Elysium 
nur  als  Zwischenstation  auf  dem  Wege  der  Seele  zum  Himmel,  ihrem 
Ausgangsort,  nennt.  Wenn  Maaß  1.  c.  276  vermutet,  diese  „Verdoppelung 
des  Elysiums"  sei  Pindars  eigenes  Werk,  so  erweist  sich  das  als  un- 
richtig schon  durch  die  wesentliche  Gleichheit  des  Motivs  bei  Piaton  und 
Vergil.  Es  kommt  hinzu,  daß  auch  diese  Vorstellung  von  der  christlichen 
Apokalytik  beibehalten  worden  ist:  was  bei  Pindar  Elysium  und  Insel 
der  Seligen,  bei  Piaton  ein  Vorraum  des  Himmels  und  der  höchste 
Himmel  selbst,  bei  Vergil  Elysium  und  Äther  ist,  dem  entsprechen  bei 
den  Christen  zwei  Regionen,  die  in  den  Quellen  verschieden  bezeichnet 
werden,  am  bekanntesten  aber  unter  den  von  Dante  übernommenen 
Namen  des  irdischen  und  des  himmlischen  Paradieses  sind.  Wir  finden 
diese  Doppelung  schon  in  der  Paulus- Apokalypse  (saec.  IV/V)  1.  c.  (o.  S.  9) 
p.  49 — 56.  64 — 69,  und  auch  hier  hat,  wie  Maaß  bei  Pindar,  ein  modemer 
Beurteiler  (Fritzsche  1.  c.  [o.  S.  6]  H  261)  Anstoß  genommen:  „Merk- 
würdigerweise wird  dann  noch  das  Paradies  erwähnt,  in  welches  zum  teil 
dieselben  Personen  versetzt  werden  wie  in  die  Umgebung  der  Stadt 
Gottes  .  .  .  Man  könnte  daher  vermuten,  daß  der  das  Paradies  beschreibende 
Abschnitt  ein  fremder  Zusatz  sei."  Diese  Vermutung  widerlegt  sich 
durch  das,  was  der  Verfasser  selbst  an  einer  späteren  Stelle  (p.  276) 
über  eine  von  Bonifatius  berichtete  Vision  schreibt:  „So  ei'hält  Bonifatius 
zwei  Stätten  der  Seligen,  erstens  die  liebliche  Gegend  (amoenitatis  locus) 
imd  zweitens  das  himmlische  Jerusalem."  Es  lassen  sich  noch  folgende 
Zeugnisse  für  diesen  Glauben  hinzufügen.  In  einer  von  Baeda  bist.  eccl. 
V  12  erzählten  Vision  des  Jahres  696  kommt  der  Visionär  mit  dem  ihn 
geleitenden  Engel  an  einen  Ort,  der  deutlich  als  Elysium  (Vorhimmel) 
beschrieben  wird  (campus  laetissimus  tantaque  fragrantia  vernantium  flos- 
culorum  plenus,  ut  omnem  mox  faetorem  tenebrosae  fornads  effugaret 
admirandi  huius  suavitas  odoris.  tanta  autem  lux  cwnda  ea  loca  per- 
fuderat,  ut  omni  splendore  diei  .  .  .  videretur  esse  praeclarior.  erantque 
in  hoc  campo  innu/mera  hominum  albatorum  conventicula  sedesque  phirimae 
agminum  laetcmtium).  Der  Visionär  glaubt,  das  sei  der  Himmel  (cumque 
inter  choros  felicium  incolarum  medios  me  duceret,  cogitare  coepi  quod  hoc 
fortasse  esset  regnum  caelorum),  wird  aber  von  dem  Engel  eines  besseren 
belehrt:  respondit  üle  cogitatui  meo  ^non,  vnquiens,  non  hoc  est  regnum 
caelorum  quod  autumas.^  Darauf  zeigt  er  ihm  aus  der  Feme  den  Himmel 
selbst,  der  mit  denselben  Farben  wie  jener  Vorhimmel  geschildert  wird, 
nur  mit  dem  Unterschied,  daß  die  Blumen  schöner  duften  und  das  Licht 
heller  ist.  Der  Engel  deutet  ihm  die  beiden  Orte:  der  Vorhimmel  sei 
bestimmt  für  die  Guten,  die  aber  doch  non  sunt  tantae  perfectionis ,  ut 
in  regnum  caelorum  statim  mereantur  introdud,  der  Himmel  selbst  für  die 
absolut  Guten  zum  sofortigen  Eintritt.  Dieselbe  Vorstellung  findet  sich 
in  der  vorhin  (S.  27,  l)  zitierten  apokalyptischen  Schrift  des  Jahres  1153 
(p.  998f.).  Ein  Bewohner  des  'paradisus  terrestris'  gibt  dem  Visionär 
folgende  Aufklärung:  ecce  a  poenis  liberi  sumus  et  magna  quiete  per- 
fruimur,  nondwm  tarnen  ad  supernam  sanctorum  laetitiam  ascendere  digni 
sumus,  di&mque  et  terminum  nostrae  promationis  in  melius  nemo  nostrum 


D.  DIE  QUELLENFRAGE  (POSEIDONIOS).  29 

novit,  sed  post  terminum  singuUs  constitutum  in  maiorem  requiem  transiM- 
mus.  quotidie  societas  nostra  quodammodo  crescit  et  decrescit,  dwm  smgulis 
diebus  et  ad  nos  a  poenis  et  a  nohis  in  caelestem  paradisum  quidam  as- 
cendwnt,  Die  scholastische  Theologie  übernahm  diesen  Glauben,  und  ihr 
ist  Dante  gefolgt.-^) 


Von  der  Styx  heißt  es,  nach   einer  sonst  nicht  überlieferten  Vor- 
stellung, Vers  439 

noviens  Styx  interfusa. 
Servius  (zu  127.  439)  erklärt  die  neun  Windungen  als  die  neun  Sphären, 
welche  den  Hades,  d.  h.  die  irdische  Atmosphäre,  umgeben,  und  beruft 
sich  dafür  auf  diejenigen,  qui  altius  de  mundi  ratione  quaesiverunt.  Genauer 
werden  diese  Philosophen  bezeichnet  von  Favonius  Eulogius  (dem  Schüler 
des  Augustinus)  in  seinem  Kommentar  zu  Ciceros  somnium  Scipionis 
p.  13 f.  Holder:  ex  quo  mihi  videtur  Maro  .  .  .  dixisse  iWud  ^novies  Styx 
interfusa  coercet\  terra  enim  nona  est,  ad  quam  Styx  illa  protenditur: 
mystice  ac  Platonica  dictum  esse  sapientia  non  ignores.  Also  stammt 
diese  Auslegimg  aus  jenen  neuplatonischen  quaestiones,  die  jemand, 
wie  deutliche  Spuren  bei  Servius,  Macrobius  und  Augustinus  zeigen, 
zu  diesem  Buch  verfaßt  hat.^)  Das  wird  jeden  zunächst  argwöhnisch 
gegen  die  Erklärung  machen.  Aber  sie  ist  dennoch  richtig.  Cicero 
läßt  den  Scipio  im  Traiim  (17)  die  novem  orbes  sehen,  aus  denen 
sich  das  Weltgebäude  zusammensetzt;  die  äußerste  Sphäre  ist  die  des 
höchsten  Himmels,  wo  Gott  und  die  Seligen  wohnen,  dann  kommen 
die  Sphären  des  Saturn,   Juppiter,   Mars,   Sonne,  Venus,  Mercur,  Mond, 


1)  Das  spätere  Judentum  entlehnte  der  christlichen  Theologie  auch  diese 
Vorstellung;  vergl.  Eisenmenger  l.  c.  (o.  S.  27,  1),  296 ff.,  wo  u.  a.  folgende  tal- 
mudische Stelle  angeführt  wird  (p.  318) :  „Die  Seele  erhebt  sich  alsobald  hinauff 
in  das  obere  Paradeiß,  dieweil  sie  bißhero  des  Leibes  und  dessen  Finstemiß 
und  Dimckelheit  ist  gewohnt  gewesen,  und  kan  dieselbe  das  grosse  obere  Licht 
nicht  stracks  begreiffen  und  ertragen,  bis  daß  sie  hierunten  in  dem  untern 
Paradeiß  darzu  gewöhnet  wird,  welches  das  Mittel  zwischen  dieser  leiblichen 
Welt  und  jener  geistlichen  klaren  und  reinen  Welt  ist." 

2)  Es  wäre  erwünscht,  diese  quaestiones,  soweit  es  die  Zitate  ermöglichen, 
rekonstruiert  zu  sehen.  Zu  den  zahlreichen  Anführungen  bei  Servius,  den 
Commenta  Bemensia  zu  Lucanus,  Macrobius  (in  somn.  Scip.),  Favonius  imd 
Augustinus  (de  civ.  dei)  kommt  bei  letzterem  hinzu  eine  wichtige  Stelle  der 
Schrift  de  consensu  evangelistarum  I  22,  31.  Als  Verfasser  möchte  man  an 
Marius  Victorinus  denken,  den  von  Augustinus  (conf.  8,  2 f.)  hochgerühmten 
Neuplatoniker  und  späteren  Christen.  Diese  Vermutung  liegt  um  so  näher,  als 
in  dem  Kommentar  des  Victorinus  zu  dem  Brief  an  die  Ephesier  eine  Erklärung 
von  Verg.  aen.  I  58  f  gegeben  wird  (Migne  ser.  lat.  vol.  VliL  p.  1254),  die 
freilich,  weil  die  Verse  keine  Verardassung  dazu  boten,  nichts  spezifisch  Neu- 
platonisches enthält.  Ich  denke  mir  diese  quaestiones  des  Neuplatonikers  nach 
der  Art  der  ZrirriinaTa  '0|UTipiKä  des  Porphyrios,  aus  denen  Servius  zu  V  735 
eine  Notiz  bringt  (vergl.  über  dies  Zitat:  Porphyr,  quaest.  Hom.  ad  II.  pert.  ed. 
Schrader  p.  352  ff.).  Eine  nach  diesen  Gesichtspimkten  versuchte  Rekonstruktion 
würde  mithin  ein  wichtiger  Beitrag  nicht  bloß  zu  der  Geschichte  der  Vergil- 
exegese  sondern  auch  zu  der  Geschichte  des  Neuplatonismus  im  Occident  sein, 
die  wir  noch  nicht  besitzen,  so  wichtig  sie  auch  für  die  Erkenntnis  der  religiösen 
Strömungen  jener  Zeit  ist  {Plotini  schola  Bomae  floruit  hdbuitque  condiscipulos 
multos,  acutissimos  et  sollertissimos  viros  schreibt  Augustinus  ep.  118). 


30  EINLEITUNG. 

unterhalb  des  letzteren  beginnt  die  Sphäre  des  Todes,  die  bis  zur  untersten 
Sphäre,  der  Erde,  reicht.  Hier  ist  die  Vorstellung,  daß  die  Unterwelt  in 
der  irdischen  Atmosphäre  sei,  deutlich  ausgesprochen,  vergl.  auch  14  m 
viwmt  qui  e  corporum  vinculis  tamquam  e  carcere  evölaverunt,  vestra  vero 
quae  dicitur  vita  mors  est.  Diese  Vorstellung  ist  bekanntlich  sehr  alt, 
schon  Empedokles  bezeugt  sie,  Piaton  benutzt  sie  an  mehreren  Stellen, 
und  sie  wurde  dann  von  den  verschiedensten  Phüosophenschulen  über- 
nommen; genauere  Nachweise  dafür  habe  ich  in  den  Jahrbüchern  f.  Phil. 
Suppl.  XVIII  (1892)  330ff.  gegeben,  die  von  Heinze  1.  c.  136  vermehrt 
sind.  Daß  Cicero  diese  Lehre  aus  Poseidonios  vorträgt,  würde  bei 
der  bekannten  Abhängigkeit  seines  'Traums'  von  diesem  schon  an  sich 
wahrscheinlich  sein;  nun  begegnet  sie  wieder  in  einer  der  ebenfalls  von 
Poseidonios  beeinflußten  plutarchischen  Visionen:  de  genio  Soor.  22, 
591  AC  wird  nämlich  gleichfalls  die  Styx  erwähnt  und  in  Anlehnung 
an  alte  pythagoreisch-orphische  Terminologie^)  als  der  'Weg  zum  Hades' 
erklärt,  da  sie  die  Seelen  aus  höheren  Sphären  in  neue  irdische  Geburten 
hineinziehe.  —  Auch  hier  sehen  wir  Poseidonios,  den  vermutlichen  Gewährs- 
mann des  Cicero  und  Plutarch,  sich  wieder  (wie  oben  S.  25)  an  eine  als 
orphisch  bezeugte  Vorstellung  anlehnen;  denn  in  einem  orphisehen 
Gedicht,  wahrscheinlich  wieder  der  KttiaßaCTiC,  waren  die  Unterweltsströme 
kosmisch  gedeutet,  und  zwar  entsprach  die  Styx  der  Erde  (fr.  156  Abel). 

Aus  diesen  Gründen  halte  ich  die  kosmische  Bedeutung  der  Vergil- 
stelle  mit  den  antiken  Exegeten  für  sicher,  ihre  Zurückführung  auf 
Poseidonios  aus  folgendem  Grunde  für  um  so  wahrscheinlicher.  Vergil 
erwähnt  die  neunfachen  Windungen  der  Styx  bei  den  Selbstmördern,  die 
durch  sie  gebunden  werden.  Auch  Cicero  knüpft  die  Lehre  von  den 
neun  Sphären  an  dasselbe  Motiv  an;  als  nämlich  Scipio  die  Absicht  aus- 
sprochen  hat,  von  diesem  Leben,  wenn  es  der  Tod  sei,  so  bald  wie 
möglich  sich  zu  befreien,  wird  ihm  geantwortet  (15):  nisi  deus  .  .  .  te 
corporis  custodiis  liberaverit,  liiic  tibi  aditus  patere  non  potest;  Jiomines 
enim  sunt  hac  lege  generati,  qui  tuerentur  ülu/m  glohum  .  .  .,  quae  terra 
dicitur  iisque  animus  datus  est  ex  Ulis  sempiternis  ignibus  quae  sidera  et 
Stellas  vocatis,  quae  ...  circulos  suos  orbisque  conficiwnt  celeritate  mira- 
biU,  worauf  die  erwähnte  genauere  Darlegung  der  neun  Weltsphären 
folgt.  Poseidonios  wird  also,  wie  oft  in  analogen  Fällen,  die  altstoische 
Lehre,  die  den  Selbstmord  erlaubte,  durch  die  orphisch-pythagoreisch- 
platonische,  die  ihn  verbot  (Orph.  fr.  221  Abel,  Philolaos  bei  Plat.  Phaed. 
62 B,  Athenaeus  IV  157C),  ersetzt  haben. 

Wenn  diese  Interpretation  richtig  ist,  so  gewinnen  wir  dadurch  ein 
neues  Argument  für  die  relative  Einheitlichkeit  der  verg.  Eschatologie 
(s.  0.  S.  lOfi".).  Denn  die  kosmische  Bedeutung  der  Styx  in  ihrem  ersten 
Teil  (der  Zwischenregion)  hängt  mit  der  kosmischen  Bedeutung  der 
aeris  campi  in  ihrem  letzten  (dem  Raum  beim  Elysium)  zusammen. 


1)  Vergl.  die  Aiöc  65öc  Pindars  Ol.  2,  70  (77)  mit  den  Bemerkungen  Rohdea, 
Psyche^  505,  1  und  Usener,  Göttemamen  208;  Varros  drei  Wege  zum  Himmel 
sat.  fr.  560  Buch,  (aus  Herakleides  Pont.);  die  via  in  caelum  und  den  limes  ad 
caeli  aditum  bei  Cicero  somn.  Scip.  16.  26  (nach  Poseidonios);  ferner  den  Kom- 
mentar unten  zu  540  flf. 


D.   DIE  QUELLENFRAGE  (POSEIDONIOS).  31 


Die  Strafen,  die  die  irdischen  Seelen,  je  nach  dem  Grad  ihrer 
Schuld,  für  die  alte  Erbsünde  zu  leiden  haben,  werden  740 — 42  so 
beschrieben: 

aliae  pandwntur  inanes 

suspensae  ad  ventos,  aliis  sub  gurgite  vasto 

mfectum  eVuitur  scelus  aut  exuritur  igni. 
Die  qualvolle  Läuterung  der  Seelen  von  der  irdischen  Kontagion  wird 
also  vollzogen  in  einem  der  drei  Elemente  der  überirdischen  Sphäre, 
Luft,  Wasser  oder  Feuer.  So  wird  der  Sinn  richtig  gedeutet  von  dem 
Exegeten,  den  Augustinus  de  civ.  dei  XXI  13  benutzt  hat:  qui  hoc 
opmantur  (nämlich  was  Vergil  736 — 42  ausführt),  nullas  poenas  nisi 
purgatorias  volunt  esse  post  mortem,  ut,  quoniam  terris  superiora 
sunt  elementa  aqua  aer  ignis,  ex  aliquo  istorum  mundetur  per 
expiatorias  poenas  quod  terrena  contagione  contractum  est.^) 
Eben  diese  Läuterung  in  der  Atmosphäre  meint  Cicero,  wenn  er  an  der 
oben  (S.  24f.)  angeführten  Stelle  der  Tusculanen  nach  Poseidonios  die 
Seelen  nach  ihrem  körperlichen  Tode  sich  eine  Zeit  lang  aufhalten  läßt 
an  dem  Orte,  wo  nubes  imbres  ventique  cogimtur;  denn  hier  sind  die 
neben  Wasser  und  Luft  genannten  Wolken  als  Träger  der  feurigen  Er- 
scheinungen der  Atmosphäre  gedacht  nach  der  geläufigen  Vorstellung 
(Diels,  Doxogr.  367  ff.),  der  sich  auch  Poseidonios  anschloß  (Ps.  Aristo t. 
TT.  KÖcr|Liou  2  =  Apul.  de  mundo  3,  vergl.  E.  Martini,  Quaestiones  Posi- 
donianae  in:  Leipz.  Stud.  XVII  1896,  355).  Auch  diese  theologische 
Läuterungslehre  ^  ist  sehr  alt:  wir  können  sie  vom  V.  Jahrb.  v.  Chr. 
(Empedokles  fr.  115  Diels)  bis  in  die  Zeit  der  Gnosis  und  des  Neu- 
platonismus  hinab  verfolgen.  Aus  der  Fülle  dieses  späten  Materials  sei 
hier  nur  ein  Beleg  angeführt;  Apuleius  sagt  von  seiner  Einweihung  in 
die  Isismysterien  met.  XI  23  aceessi  confinium  mortis  et  calcato  Proser- 
pinae  limine  per  omnia  vectus  elementa  remeavi. 

Die  christliche  Theologie  hat  diese  drei  Strafarten  für  ihr  Purgatorium 
übernommen,  dessen  Begriff  durch  die  Vorstellung  des  'Fegfeuers'  nicht 
erschöpft  wird.  Esra  -  Apokalypse  1.  c.  (o.  S.  9)  p.  30  eibov  CKei  toO 
depoc  ir\\  KÖXacriv  Kai  tx\v  nvoriv  tujv  dveinijuv.  Paulus -Apokalypse 
(ibid.)  p.  50  ÖTttv  TIC  |aeTavor|(Jri  .  .  .,  irapabiboxai  tu»  MixarjX"  Kai 
ßdWouaiv  auTÖv  eic  1^\  'Axepoudiav  Xi^vriv^),  Kai  Xomöv  eicrq)€pei 
auTÖv  eic  Tf]v  ttöXiv  toO  öeoO  rrXricriov  xdiv  biKaiiuv.  Visio  Wettini 
vom  J.  824  1.  c.  (o.  S.  9)  p.  270:  ibi  etiam  ostensa  est  ei  cuiusdam 
montis  altitudo.  et  dictum  est  ab  angelo  de  quodam  abbate  amte  decen- 
nium  defuncto,  quod  in  summitate  eius  esset  deputatus  ad  purgationem 
suam,  non  ad  damnationem  perpetuam;  ibidem  eum  omnem  inclementiam 
aeris  et  ventorum  incommoditatem  imbriumque  pati.  Visio  Tundali  vom 
J.  1149  1.  c.  (ibid.)  p.  40  phirima  multitudo  virorum  ac  mulierum  pluviam 

1)  Ähnlich  (aus  derselben  Quelle)  die  Commenta  Bemensia  zu  Lucan  p.  291 
üsener:  aliae  ventis,  aliae  igni,  aliae  aqua  pur gantur.  hoc  est:  aliae  ventis  per 
aeretn  traducuntur,  ut  purgatae  aeris  tractu  in  naturam  suam  reverti  possint. 

2)  Sie  knüpft  an  volkstümlichen  Glauben  an,  vergl.  Rohde,  Psyche^  29,  4. 
393,  1.     KroU,  Bresl.  phil.  Abb.  VE  53,  2. 

3)  Von  Maaß  1.  c.  254  wohl  richtig  auf  eine  Purgation  durch  Wasser  gedeutet. 


32  EINLEITUNG. 

ac  ventum  sustinentium.  Vision  vom  J.  1196  1.  c.  (ibid.)  p.  255  quibus 
(den  Seelen  im  Purgatorium)  hoc  fuit  generale  supplicium,  quod  nunc  in 
anme  faetido  mergebantur,  nunc  inde  erumpentes  hinc  ohviis  ignium  volu- 
minibus  vorabantur,  ac  demum  . . .  turbinibus  ventorum  , . .  reddebantu/r  . . . 
Quosdam  flammae,  quosdam  f rigor a  diutius  cruciabantur  et  quidam  in 
amnis  faetore  moram  ducebant  largiorem.  Vision  vom  J.  1206  1.  c.  (ibid.) 
p.  22  animas  maculis  albis  et  nigris  r esper sas  .  .  .  beatus  Petrus  intro- 
d/uci  feeit  in  ignem  purgatorium,  ut  a  maculis  quas  a  contagione  pecca- 
torum  contraxerant  per  adustionem  possent  emundari.  Vergl.  auch  Dante 
Inf.  V  50 f.  (Winde).     Purg.  XXV  12  (Feuer).     XXXI  94 ff.  (Wasser). 

4. 

Nachdem  in  den  Versen  740 — 42  ausgeführt  ist,  daß  je  nach  dem 
Grad  ihrer  Schuld  die  eine  Seele  sich  diesem,  die  andere  jenem  Läuterungs- 
prozeß zu  unterwerfen  hat,  wird  dieser  Gedanke  abgeschlossen  durch  die 
Worte  743: 

quisque  suos  patimur  manes. 
Uni  den  Sinn  dieses  ebenso  berühmten  wie  umstrittenen  Ausdrucks^)  zu 
verstehen,  braucht  man  sich  ihn  nur  griechisch  zu  denken:  TÖV  lauToO 
?Ka(TTÖc  TIC  bai|Liova  naöxo^ev.  Damit  haben  wir  bis  auf  die  Worte 
genau  die  alte  theologische  Vorstellung,  die  schon  Piaton  Phaed.  107  D ff. 
übernahm:  Xe^eiai  be  oütujc,  ujc  apa  leXeuiriaavTa  CKaffiov  ö  eKotcT- 
Tou  öai|aujv,  öffTTep  Z^ujvra  elXrjxei.  outoc  äyeiv  errixeipei  eic  ör|  Tiva 
TÖTTOV  (des  Hades)  .  .  .,  wobei  die  sündige  Seele  iToWd  nciOxei,  vergl. 
113Dff..  Während  Piaton  aber  im  einzelnen  seiner  Phantasie  freies 
Spiel  läßt,  finden  wir  dieselbe  Vorstellung  genau  in  dem  Zusammenhang, 
in  dem  sie  Vergil  hat,  in  dem  apokalyptischen  Mythus  Plutarchs  de 
genio  Socr.  22,  592BC:  im  Jenseits  wird  jede  Seele  von  ihrem  bai|Liu)V 
dafür  gestraft,  daß  sie  sich  an  die  Affekte  des  Körpers  gebunden  und 
sich  dadurch  ihrer  Natur  entfremdet  hat,  aber  je  nachdem  dieses  Band 
loser  oder  fester  gewesen  ist,  vollzieht  der  baijuujv  die  Strafe  milder 
oder  strenger.  Die  psychologischen  und  ethischen  Grundlagen  dieses 
plutarchischen  Mythus  gehen,  wie  Heinze  1.  c.  130 f.  wahrscheinlich  ge- 
macht hat,  auf  Poseidonios  zurück^),  der  als  Ursache  der  Affekte 
erklärte  TÖ  \xr\  KttTot  Ttäv  eixeoQai  tu»  ev  auTUj  baiiiiovi  cfuYTeveT  (Galen 
de  Hipp,  et  Plat.  dogm.  1.  V  p.  449  Müller)  und  die  Seelen  nach  dem 
Tode  des  Körpers  zu  Dämonen  werden  ließ  (Sext.  Emp.  IX  74). 

1)  Zuletzt  hat  S.  Reinach  in  der  Revue  arch.  ser.  III  vol.  XXXEK  (1901) 
231  ff.  darüber  gehandelt,  aber  m.  E.  nicht  richtig:  er  faßt  suos  manes  als 
'Aecusativ  der  Relation',  und  übersetzt:  'nous  souffrons  chacun  suivant  le  degrö 
de  souillure  de  nos  ämes';  aber  er  sagt  selbst  (p.  236,  3):  'il  faut  dire  que 
raccusatif  de  relation  ainsi  employe  est  tout  ä  fait  exceptionneP.  Die  von 
mir  im  Text  begründete  Erklärung  hat  schon  Servius  in  seinem  zweiten  Scholion, 
das  er  selbst  als  verius  bezeichnet:  cum  nascimur,  duos  genios  sortimur:  unus 
est  qui  hortatur  ad  bona,  alter  qui  depravat  ad  mala,  quibus  adsistentibus  post 
mortem  aut  adserimur  in  meliorem  vitam  aut  condemnamur  in  deteriorem  .  .  . 
ergo  'manes'  genios  dicit,  quos  cum  vita  sortimur;  diese  Erklärung 
scheint  mir  Reinach  mit  Unrecht  als  'absurde'  und  als  eine  'ineptie'  zu  be- 
zeichnen. Schon  Maaß  1.  c.  231  sagt  richtig:  „Jeder  einzelne  hat  seinen  Straf- 
geist wie  seinen  Genius." 

2)  Vergl.  Dieterich  1.  c.  145. 


D.   DIE  QUELLENFRAGE  (POSEIDONIOS).  33 

Auch  diese  Vorstellung  ist  vom  Christentum  beibehalten  worden. 
Mit  starkem  Realismus  wird  sie,  noch  mit  Hembemahme  der  Lehre  von 
der  Seelenwanderung,  in  der  gnostischen  Pistis  Sophia  1.  c.  (o.  S.  9) 
p.  379  ff.  ausgemalt,  wo  die  einzelnen  Dämonen,  denen  die  Seele  je 
nach  ihrer  Verschuldung  anheimfällt,  aufgezählt  werden  (Synkretismus 
mit  den  jüdischen  afTC^O*)-  ^  ^^^  merkwürdigen  sog.  Historia  Josephi 
fabri  lignarii  1.  c.  (ibid.),  die  nur  arabisch  erhalten  ist,  aber  auf  ein 
griechisches  Original  älterer  Zeit  zurückgeht  (vergl.  Hamack,  Gesch.  d. 
altchr.  Litt.  I  Leipzig  1893,  20),  betet  Joseph,  als  er  seinen  Tod  nahen 
fühlt  (c.  13  p.  25):  mmc  igitur,  o  domine  et  deus  mi,  adsit  auocilio  suo 
angelus  tuus  sanctiis  animae  meae  et  corpori,  donec  a  se  invicem  dissol- 
ventur.  neque  fades  angelt  mihi  ad  custodiam  inde  a  formationis  meae 
die  designati  aversa  sit  a  me,  verum  praeheat  se  milii  itineris  socium, 
usque  dum  me  ad  te  perduxerit.  sit  vultus  eins  mHii  amoenus  et  hilaris 
et  comitetur  me  in  pace.  ne  autem  permittas,  ut  daemones  adspectu  formi- 
dabiies  accedant  ad  me  in  via  qua  iturus  sum,  donec  ad  te  feliciter 
perveniam  .  .  .  Neque  prius  submergant  a/nimam  meam  flu^tus  maris  ignei  — 
Jioc  enim  omnis  pertransire  debet  anima  — ,  quam  gloriam  divinitaUs  tuae 
conspexero.  Wie  lang  dieser  Glaube  sich  erhielt,  zeigt  die  auch  sonst 
interessante  Vision,  die  Gervasius  von  Tilbury  in  seinen  um  1210  ver- 
faßten Otia  imperialia  beschreibt  1.  c.  (ibid.)  p.  994 ff.:  jede  Seele  erhält 
ihren  custos,  d.  h.  einen  guten  oder  bösen  Dämon,  von  dem  sie  im 
Purgatorium  je  nach  dem  Grad  ihrer  Schuld  gestraft  wird. 

5. 

Nach  Vers  6 60 ff.  weilen  im  Elysium  folgende  Klassen  von  Seligen: 
hie  manus  ob  patriam  pugnando  volnera  passi, 
quique  sacerdotes  casti,  dum  vita  manebat, 
quique  pii  vates  et  Phoebo  digna  locuti, 
inventas  aut  qui  vitam  excoluere  per  artis, 
quique  sui  memores  aliquos  fecere  merendo. 

a)  Der  Glaube,  daß  den  Vaterlandsverteidigem  im  Elysium  ein 
seliges  Dasein  bereitet  sei,  ist  so  verbreitet  und  bekannt,  daß  er  keiner 
Belege  bedarf.^) 

b)  Vergils  Priestern  und  Sängern  entsprechen  die  |LidvTeic  Ktti 
iL))üivOTröXoi  des  Empedokles  fr.  146  Diels;  nur  deutet  dieser  den  Volks- 


1)  Die  ältesten  (bei  Rohde,  Psyche  P  304,  1.  n  203,  3  fehlenden)  Zeugnisse 
sind  Tyrtaeus  12,  31  ff.  (wo  auch  der  Ausdruck  ff\c  ir^pi  |aapvd|aevov  dem  ver- 
gilischen  ob  patriam  pugnando  entspricht)  imd  Heraklit  fr.  24.  25  Diels.  Früher 
(Hermes  1.  c.  394)  bezog  ich  hierauf  auch  die  irpönoi  des  Empedokles  (fr.  146 
Diels),  die  ich  ö|Lir]piKU)c  als  Trpö)iiaxoi  verstand;  aber  Diels  hat  durch  Hinweis 
auf  p  382  ff.  gezeigt,  daß  hier  vielmehr  die  'Fürsten'  gemeint  sind  (vergl.  Rohde 
l.  c.  n  181,  4);  Empedokles  ist  danach  also  der  erste,  der  das  Wort  in  einem 
andern  Sinn  als  Homer  (Aristarch  zu  H  75,  M.  Bodenheimer,  De  Homericae 
interpretationis  antiquissimae  vestigiis,  Straßburg  1890,  70)  gebraucht  hat.  —  Im 
Jenseits  der  von  hellenisch-christlicher  Kultur  noch  unberührten  Germanen  sind  es, 
genau  so  wie  im  Jenseits  anderer  kulturloser  Völker  (vergl.  J.  Zemmrich,  Toten- 
inseln, Leiden  1891,  23  f.),  nur  die  Waffenhelden,  die  von  dem  allgemeinen  trüben 
Lose  befreit  sind,  aber  der  Hellene  hatte  eine  Kultur,  deren  erlesenste  Ver- 
treter über  das  Grab  hinaus  irdiivj/uxoi  dvacroouaiv. 

VsKOiL  Buch  VI,  von  Norden.  3 


34  EINLEITUNG. 

glauben  vom  Elysium  in  seiner  Weise  um,  wenn  er  diese  Berufsarten 
von  den  besten  Seelen  auf  ihrer  Wanderung  durch  die  Körperwelt 
zuletzt  erwählt  werden  läßt,  bevor  sie  in  ihren  göttlichen  Ursprung  zu- 
rückkehren. ^) 

c)  Es  folgen  diejenigen  qui  per  inventas  artes  vitam  excöluere.  Daß 
Vergil  unter  den  'Civilisatoren  des  ßioc'  die  Philosophen  verstanden  hat, 
würden  wir  wissen,  auch  wenn  Servius  es  nicht  ausdrücklich  sagte  (signi- 
ficat  pMlosophos)^) ;  denn  daß  diese  durch  die  Erfindung  der  Künste  die 
Kultur  den  Menschen  gebracht  haben,  war  die  Lehre  des  Poseidonios, 
die  aus  diesem  (wahrscheinlich  dem  Protrepticus)  von  Ps.  Manilius  I  66  ff. 
und  Seneca  ep.  90  berichtet  wird^);  'Philosophen'  versteht  auch  Cicero 
Tusc.  I  62  unter  jenen  ersten  Weisen,  qui  cultum  vitae  invenerunt; 
diese  auch  in  den  Worten  mit  Vergil  sich  nahe  berührende  Stelle  ist 
von  P.  Hartlich  in  den  Leipz.  Stud.  XI  1889,  287  wegen  ihrer  genauen 
Übereinstinmiung  mit  jenem  Briefe  Senecas  mit  Sicherheit  auf  Poseidonios 
zurückgeführt  worden.  Für  den  Zusammenhang  aber,  in  dem  wir  bei 
Vergil  diese  Gruppe  erwähnt  finden,  ist  eine  andere  Stelle  Ciceros  von 
Bedeutung:  im  somn.  Scip.  18  nennt  er  diejenigen,  qui  praestantihus 
ingeniis  in  vita  humana  divina  studia  colueruMt*^,  unter  den  seligen  Geistern 
im  Himmel:  es  sind  die  'Philosophen'  des  vergilischen  Elysiums.  Daß 
Poseidonios  hier  wie  oft  pythagoreischer  Weisheit  folgt,  ergibt  sich  aus  einer 
Äußerung  des  Lactantius  (de  ira  dei  I  11,  7  f.),  die  deshalb  für  uns  von 
Wichtigkeit  ist,  weil  er  sich  in  den  Ausdrücken  an  unsern  Vergilvers 
anschließt,  ohne  ihn  doch  stofflich  als  Quelle  zu  haben  ^):  eos  (die  ver- 
götterten Menschen)   ob  virtutem  qua  profuerant  hommwm  generi  divinis 


1)  Die  ausdrückliche  Beschränkung  der  Seligkeit  auf  diejenigen  vates,  die 
pii  et  Phoebo  digni  waren,  scheint  einen  alten  Zug  zu  bewahren:  die  Minyas 
ließ  den  thrakischen  Sänger  Thamyris  wegen  seines  frevelhaften  Prahlens 
gegenüber  den  Musen  im  Hades  bestraft  werden  (Pausan.  IV  33,  7),  in  einem 
Epigramm  A.  P.  VII  377  wird  ein  Dichter,  der  gegen  die  Musen  gefrevelt  hat, 
im  Hades  von  den  Erinyen  gepeinigt,  und  mit  extremer  Formulierung  dieser 
Vorstellung  ließ  die  'pythagoreische'  Koxäßaöic  sogar  Homer  und  Hesiod  be- 
straft werden  dvB'  iBv  eTirov  uepl  6ea)v  (Hieronymos  bei  Diog.  L.  VDI  21). 

2)  Auch  Valerius  Flaccus  versteht  in  seiner  Nachbildung  dieser  Versreihe 
I  836 ff.  unter  den  Bewohnern  des  Elysiums,  (quibus)  Studium  mortales  pellere 
curas,  culta  fides,  longe  metus  atque  ignota  cupido  Philosophen,  die  er  mit  den 
Farben  des  Lucrez  schildert  (Lucr.  V  43  ff.). 

3)  Vergl.  Fr.  Boll  in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XXI  (1894)  221  ff. 

4)  Ähnlich  sagt  Cicero  in  der  consolatio  (nach  Lactant.  div.  inst.  IE  19,  6) 
sapientes  (Pythagoreer,  wie  das  folgende  beweist)  .  .  .  vitiis  et  sceleribus  con- 
taminatos  deprimi  in  tenebras  atque  in  caeno  iacere  docu^runt,  castos  autem  puros 
integros  incorruptos ,  bonis  etiam  studiis  atque  artibus  expolitos  .  .  .  ad 
de  OS  .  .  .  pervolare.  Deshalb  läßt  Piaton  seinen  Sokrates  wissen,  daß  er  ins 
Elysium  kommen  werde  (apol.  40.  41);  der  Verf.  des  Axiochos  37  iC  nennt  als 
Bewohner  des  Elysiums  neben  Dichtem  und  Musikern  ausdrücklich  die  qpiXö- 
aoqpoi;  nach  dem  oben  (S.  22,  1)  zitierten  Orakel  wird  Plotin  im  Jenseits  mit 
Pythagoras  und  Piaton  zusammenleben;  noch  in  dem  Grabepigramm  des 
Praetextatus  (f  384)  heißt  es,  daß  dem  Philosophen  eaeli  porta  patet  (carm. 
epigr.  111,  9  Buech.). 

5)  D.  h.  also:  er  benutzt  einen  Vergilkommentar.  Das  ergibt  sich  aus 
einer  zweiten  Stelle,  wo  wir  sein  Verfahren  noch  an  dem  dürftigen  Kommentar 
des  Servius  kontrollieren  können.  Er  bespricht  div.  inst.  VI  3  das  Gleichnis 
von  den  zwei  Wegen,  quas  philosophi  in  disputationibus  suis  induxerunt  .  .  . 


D.   DIE  QUELLENFRAGE  (POSEIDONIOS).  35 

Jionoribus  affedos  esse  post  mortem  aut  oh  henefida  ei  Hnventa  quibus 
humanam  vitam  excolueranf  immortälitatis  memoriam  consecutos  quis 
ignorat?  .  .  .  quod  cum  vetustissimi  Graeciae  scriptores  quos  Uli 
theolog  OS  nuncupant  tum  etiam  Homani  Graecos  secuti  docent  (er  nennt 
Euhemeros - Ennius ,  die  sich  des  alten  Glaubens  bemächtigt  hatten); 
unter  den  'alten  Theologen'  werden  bekanntlich  nach  fester  Termino- 
logie (seit  Philolaos  bei  Clem.  AI.  III  3,  17)  Pythagoreer  und  Orphiker 
verstanden.*) 

d)  Es  folgen  diejenigen,  qui  sui  memores  aliquos  fecere  merendo, 
d.  h.  Wohltäter.^)  Dem  allgemein  gehaltenen  Ausdruck  entspricht  genau, 
daß  auch  nach  Piaton  (Rep.  X615B),  d.  h.  also  der  von  ihm  hier 
benutzten  pythagoreisch-orphischen  Quelle,  die  Tivac  euepYeffiac 
euep^CTTiKÖTec,  sowie  nach  den  vetustissimi  theologi  (also  ebenfalls  Pytha- 
goreer n)  des  Lactantius  (1.  c.)  die  'Wohltäter  des  Menschengeschlechts' 
ihren  Lohn  im  Jenseits  finden.  Dieselbe  Vorstellung  hat  Pindar  in 
der  zweiten  Olympischen  Ode  aus  derselben  Quelle  entnommen,  wie  weiter 
unten  genauer  dargelegt  werden  soll.  Auch  hier  läßt  sich  wieder  zeigen, 
daß  Poseidonios  diese  pythagoreische  Vorstellung  übernahm.  Die 
Pflicht  des  Wohltuns  ist  von  der  Stoa  unter  die  Hauptsätze  ihrer  populären 
Moral  aufgenommen  worden  (vergl.  den  Kommentar  zu  6 10  ff.).  Nun  ist 
nach  dem  Stoiker  bei  Cicero  de  ofl".  I  57  der  höchste  Grad  der  Wohl- 
tätigkeit die  gegenüber  dem  Vaterland,  und  im  somn.  Scip.  13,  der  von 
Poseidonios  stark  beeinflußten  Schrift,  läßt  er  grade  diese  Wohltäter  im 
Jenseits  belohnt  werden:  omnibus  qui  patriam  conservaverint  adiuverint 
auxerint  certum  esse  in  caelo  definitum  locum,  ubi  beati  aevo  sempiterno 
fruantur.  Auch  eine  zweite  Schlußreihe  führt  uns  auf  Poseidonios.  Er 
hatte  nach  dem  Zitat  des  Seneca  (ep.  90,  5 f.)  behauptet,  daß  die 
Philosophen  die  ersten  Könige,  Staatsmänner  und  Gesetzgeber  gewesen 
seien,  deren  Wohltaten  das  Glück  der  Menschen  erhöht  hätten,  und 
dafür  auf  Lykurg,  Solon  und  die  pythagoreischen  Staatsmänner  und 
Gesetzgeber  Großgriechenlands  verwiesen;  zum  Lohn  für  ihre  menschen- 
freundliche Tätigkeit  ließ  er  sie  der  ewigen  Seligkeit  teilhaftig  werden, 
wie  sich  aus  einer  von  Diels,  Rhein.  Mus.  XXXIV  (1879)  487  mit  Sicher- 
heit auf  Poseidonios  zurückgeführten  Stelle  des  sog.  ManiliusI  754 ff. 
ergibt    (dort    werden    Lykurg    und    Solon    genannt).^)  —  Wenn    mithin 


Dicunt  enim  humanae  vitae  cursum  Y  litter ae  esse  similem,  quod  unusquisque 
hominum,  cum  .  .  .  in  eum  locum  venerit,  'partes  ubi  se  via  findit  in 
ambas\  haereat  nutabundus  etc.:  vergl.  Serv.  zu  VI  136  und  den  Kommentar 
zu  430.  Ganz  analog  sind  die  Zitate  des  Augustinus  aus  Vergil  mit  ihrem 
gelehrten  Apparat  zu  beurteilen  (s.  o.  S.  29,  2)  sowie  ein  gleich  anzuführendes  des 
Macrobius.     Die  Frage  scheint  mir  eine  genauere  Untersuchung  zu  verdienen. 

1)  Ein  paar  Belege,  die  sich  besonders  aus  späteren  Neuplatonikern  leicht 
vermehren  ließen,  bei  C.  Wachsmuth,  Ansichten  der  Stoiker  über  Mantik  und 
Dämonen  (Berlin  1860)  32,  40. 

2)  Vergl.  aen.  IV  539  bene  apud  memores  veteris  stat  gratia  facti.  Val. 
Max.  V  2  ext.  3  memor  beneficii  animus.  Seneca  de  ben.  HI  c.  Iff.  betont 
das  memorem  esse  als  wesentlich  nach  Empfang  von  Woltaten. 

3)  Außer  Cicero,  Ps.  Manilius,  Seneca  und  Lucan  IX  1  ff.  übernahm  auch 
Sallust  Gedanken  aus  dieser  jedenfalls  berühmten  Schrift  des  Poseidonios;  denn 
das  Prooemium  des  Catilina  zeigt  deutliche  Anklänge  an  eine  von  BoU  1.  c,  147. 
228 f.  als  poseidonisch  erwiesene  Partie  des  Ps.  Manilius  IV  876  ff.     Die  Art,  wie 

3* 


36  EINLEITUNG. 

Macrobius  im  Kommentar  zu  der  soeben  zitierten  Stelle  yon  Ciceros 
somnium  die  Worte  Ciceros  mit  unserm  Vergilvers  erläutert  (in  somn. 
Scip.  I  8,  6),  so  zeigt  auch  diese  evident  richtige  Interpretation  die  Ver- 
wandtschaft oder  Identität  der  von  Cicero  und  Vergil  benutzten  Vorlage; 
Macrobius  scheint  seine  Weisheit  einem  erlesenen  Vergilkommentar  zu 
verdanken,  von  dem  auch  Silius  (XIII  533 f.)  abhängig  sein  kann,  wenn 
er  in  seiner  Nachbildung  dieser  Stelle  den  allgemein  gehaltenen  Aus- 
druck Vergils^)  durch  folgenden  speziellen  ersetzt:  zur  ewigen  Seligkeit 
des  Elysiums  gehen  ein  qui  leges  posuere  atque  inclufa  iura  \  gentibus  et 
primas  fimdarimt  moenibus  urhes.^) 

So  gibt  uns  diese  Versreihe  eine  Anzahl  sicherer  Beweise  für  die 
These,  daß  Vergils  Eschatologie  sei  es  direkt  durch  Poseidonios,  sei  es 
durch  die  von  Poseidonios  selbst  benutzte  altpythagoreische  Vorlage  stark 
beeinflußt  worden  ist.  Für  die  zuletzt  besprochene  Vorstellung  von  dem 
seligen  Lose  der  'Wohltäter  der  Menschen'  gibt  es  nun  noch  einen  be- 
sonders wichtigen  Beleg  aus  alter  Zeit,  dessen  Erörterung  einen  kleinen 
Exkurs  für  sich  beansprucht. 

Exkurs   über   die   Apokalypse   in  Pindars   zweiter   olympischer 
Ode  (Vers  58 ff.  Böckh  =  53 ff.  Bergk). 

Die  Frage,  welchen  Zweck  die  apokalyptische  Darstellung  von  den 
Schicksalen  der  Seele  im  Zusammenhang  der  Ode  habe,  ist  oft  gestellt, 
aber  noch  nicht  befriedigend  beantwortet  worden.  Die  einzelnen  Lösungs- 
versuche stellt  Fr.  Mezger,  Pindars  Siegeslieder  (Leipzig  1880)  153  ff. 
zusammen.  Seitdem  ist  zwar  die  Einzelinterpretation  dieser  Partie  von 
E.  Rohde,  Psyche^  (Freiburg  1894)  500 f.  (=  11^  208  f.),  E.  Maaß,  Orpheus 
(München  1895)  271  ff.  und  0.  Schroeder  in  seiner  Ausgabe  (Leipzig  1900) 
sehr  gefördert,  aber  jene  prinzipielle  Frage  nicht  erledigt  worden.  Nur 
ein  negatives  Moment  ist  seitdem  wichtig  geworden;  da  durch  den 
Olympionikenindex  aus  Oxyrhynchos  endgültig  entschieden  ist,  daß  der 
Sieg  Therons  ol.  76,1  (=  476  v.  Chr.),  nicht  ol.  77,  1  (=  472)  stattfand, 
so   hat   die  Behauptung,   daß   die   Apokalypse  mit  „Todesahnungen"  im 


Sallust  die  Motive  benutzt,  ist  eine  Stütze  für  BoUs  Vermutung  (1.  c.  221,  1. 
231,  1),  daß  die  betr.  Schrift  des  Poseidonios  der  Protreptikos  war;  diese  Ver- 
mutung halte  ich  deshalb  für  ziemlich  glaublich,  weil  große  Teile  des  cicero- 
nianischen  somnium  Scip.,  in  dem  Poseidonios  so  stark  benutzt  ist,  unverkennbar 
protreptischen  Charakter  zeigen,  ohne  doch  aus  dem  aristotelischen  Protreptikos 
zu  stammen  (vergl.  P.  Hartlich  1.  c.  252  f.,  der  jedoch  diese  ciceronianische 
Schrift  zu  kurz  erledigt).  Eine  genauere  Begründung  dieser  Hypothese  ver- 
spricht Edwin  Müller  am  Schluß  seiner  Diss.  de  Posidonio  Manilii  auctore, 
spec.  I,  Leipzig  1901.     Siehe  auch  unten  S.  48. 

1)  Die  Überlieferung  schwankt  zwischen  aliquos  (F'MPR)  und  dlios  (F*, 
Donat,  Macrobius,  Augustinus).  Abgesehen  davon,  daß  alios  etwas  Selbst- 
verständliches sagen  würde,  spricht  auch  die  oben  gegebene  Erklärung  für  das 
limitierende  aliquos:  die  patriotischen  Wohltäter  machen  sich  bloß  um  ihr 
engeres  Vaterland,  die  Erfinder  um  den  ßioc,  das  heißt  die  ganze  Kulturwelt 
verdient. 

2)  Im  christlichen  Himmel  treten  an  die  Stelle  der  hellenischen  Philosophen 
die  christlichen,  d.  h.  die  Mönche',  qui  caelestia  dum  sunt  in  corpore  sapiunt 
(Visio  Tundali  vom  Jahre  1149  1.  c.  [o.  S.  9]  p.  40). 


D.   DIE  QUELLENFEAGE  (POSEIDONIOS).  37 

Zusammenhang    stehe,    die   Theron    (f  472/1)    gehabt   haben   soll,    noch 
geringere  Wahrscheinlichkeit,  als  ihr  von  vornherein  zukam. 

Im  ersten  Teil  des  Gedichtes  führt  der  Dichter  nach  dem  kon- 
ventionellen TTpooi)Liiov  (1 — 8  [7])  den  ihm  sehr  vertrauten  Gedanken 
aus,  daß  ungetrübtes  Lebensglück  keinem  Menschen  beschieden  sei:  die 
Ahnen  des  Theron  und  Theron  selbst  haben  diese  allgemeine  Wahrheit 
erfahren  müssen.  Jetzt  aber  hat  der  olympische  Sieg  das  Leid  der 
Vergangenheit  in  Freude  verkehrt.  Mit  diesem  Satz  (56  f.  [51  f.]),  der, 
wie  P.  das  liebt,  direkt  an  den  Ausgangspunkt  (dS.  [8 ff.])  anknüpft, 
ist  der  erste  Teil  des  Gedichts  zu  Ende.  Mit  58  [53]  beginnt  also  der 
zweite  Teil,  der  uns  hier  vor  allem  angeht.  Sein  Gedankengang  ist 
folgender. 

1.  Einleitung  mit  propositio.  Theron  verdankt  den  Sieg  seinem 
mit  dpetai  geschmückten  ttXoOtoc,  dieser  Quelle  aller  großen  Pläne  und 
Taten  (58 — 60  [53 — 54]).  Ist  so  der  ttXoOtoc  überhaupt  die  wahre 
Leuchte  des  Lebens:  wie  viel  mehr,  wenn  sein  Besitzer  die  Zukimft 
kennt  (61—62  [55—56]). 

2.  Thema.  Das  Jenseits  bringt  Vergeltung  für  Gut  und  Böse 
(63 — 74  [57  —  67]).  Den  Besten  wird  nach  dreimaliger  Wanderung  die 
ewige  Seligkeit  zuteil  (75—91  [68—83]  Aieiorra).^) 

3.  Schluß.  Für  die  wahren  CToqpoi  genügt  das:  sie  wissen,  daß 
diese  Andeutungen  auf  Theron  zielen,  denn  er  ist,  so  lange  Akragas 
steht,  der  freigebigste  eiiepYeTac  gewesen,  und,  um  dui-ch  zu  großes  Lob 
nicht  den  Neid  herauszufordern,  will  ich  nur  sagen:  die  Freuden,  die 
er  andern  bereitet  hat,  sind  unzählig  wie  der  Sand  am  Meer  (91  [83] 
TToXXd  —  Ende). 

Pindar  pflegt  seine  Mythen  selbst  zu  erklären  durch  die  Worte, 
mit  denen  er  sie  einleitet  oder  schließt,  oder  durch  beides^);  so  auch 
hier    die    den   Mythus    ersetzende   Apokalypse.      Nun    ist  der  Einleitung 


1)  63  [57]  ÖTi  öavövTuuv  |li^v  ivQ&b'  oCitik'  dud\a)ivoi  qpp^vec  ttoivöc  ereioav. 
Die  Worte  sind  nach  andern  von  Rohde  1.  c.  500,  2  richtig  erklärt  (trotz 
A.  Drachmann,  B.  ph.  W.  1901,  646);  ich  würde  nicht  darauf  zurückkommen, 
wenn  nicht  selbst  Schroeder  die  richtige  Überlieferung  für  korrupt  erklärte. 
Also  ^v6d6e  heißt  sicher  'hienieden',  vergl.  Plat.  Rep.  I  330  D  oi  Xe^öiuevoi 
)Liö0oi  irepl  Tiüv  ^v  äbov,  mc  töv  ^v6ä6e  dbiKriöavTa  öei  äaei  6ibövai  bkriv.  Es 
wird  gleich  nachher  durch  ^v  Tq.be  Aiöc  dpxct  spezialisiert  und  erhält  in  Kord 
Ydc  seinen  Gegensatz.  Aütiko  wird  als  richtig  ei-wiesen  sowohl  durch  Selon, 
Mvriiaoaüvric  29  dXA'  6  jn^v  outik'  ^Teicrev  als  durch  Vergüs  continuo  in  unserm 
Buch  570.  —  65  [59 f.]  hätte  Schroeder  die  La.  des  cod.  A:  ömdZei  Tic  ^x^P«  Xö^ov 
(ppäaaic  'AvdyKa  aufnehmen  müssen,  nachdem  Maaß  1.  c.  272  sie  als  richtig 
erwiesen  hat;  für  Tic  vergl.  z.  B.  p  449.  o  382.  —  Daß  71  [65]  unter  den  Ti|iioi 
6eu)v,  bei  denen  im  Elysium  die  Frommen  zwischen  den  einzelnen  Wanderungen 
sich  aufhalten,  Pluton  und  Persephone  verstanden  sind,  wissen  schon  die  Schollen. 
Wenn  Christ  aber  dazu  bemerkt  (Ausgabe  Leipzig  1896):  'tiiliioi  illi  non  tarn 
quod  honorati  inter  deos  sunt  appellantur,  sed  peculiari  usu  quod  rmäc  äiiovl- 
[xovai  ToTc  Gavouai',  so  ist  das  grammatisch  unmöglich;  vielmehr  lehrt  diese 
Bezeichnung,  daß  wir  uns  hier  in  Kreisen  befinden,  für  die  diese  Götter 
wirklich  die  höchste  thxx]  haben. 

2)  So  Ol.  1,  23 f.  Xdju-rtei  6^  oi  (dem  Hieron)  xXeoc  ^v  eudvopi  AuöoO  TT^Xo- 
uoc  diToiKicji,  dann  der  den  Ruhm  eines  olympischen  Sieges  verherrlichende 
Mythus  25—96,  endlich  96f.  tö  bi  kX^oc  TTiXöSev  ö^öopKe  töv  'OXu|UTnd&iuv  ^v 
ööfioic  TT^Xoiroc. 


38  EINLEITUNG. 

und  dem  Schluß  gemeinsam  der  Gedanke:  Theron  hat  seinen  ttXoOtoc 
richtig  verwendet;  dank  seiner  hat  er  in  Olympia  gesiegt  und  ist  der 
größte  euepYtTac  geworden.  Mithin  hat  nur  diejenige  Erklärung  Anspruch 
auf  Glaubwürdigkeit,  welche  die  im  Thema  niedergelegte  JenseitsoiFenbarung 
mit  dem  Begriff  des  ttXoOtoc  in  Zusammenhang  bringt.  Nun  ist  bekannt, 
welche  Bedeutung  der  ttXoOtoc  für  die  eleusinischen  Mysterien  hatte. 
„Hochselig  —  heißt  es  im  Hymnus  auf  Demeter  486  ff.  —  der  irdische 
Mensch,  den  die  beiden  Göttinen  gnädig  lieben:  schnell  senden  sie  ihm 
ins  Haus  als  Herdgenossen  den  Plutos,  den  Segenspender."  Plutos  ist 
in  eleusinischer  Sage  der  Sohn  der  Demeter  und  des  lasion  (Preller- 
Robert  I  776)  und  die  Annahme  Prellers,  daß  die  Bezeichnung  des  Hades 
als  Pluton,  die  zuerst  bei  Sophokles  begegnet,  aus  Eleusis  stamme,  darf 
als  sehr  wahrscheinlich  gelten. 

Nun  stammt  Pindars  Apokalypse  freilich  nicht  aus  den  eleusinischen, 
sondern  den  orphischen  Mysterien;  aber  wie  das  Ceremoniell  der  ver- 
schiedenen Mysterien  überhaupt  in  Wechselwirkung  stand  (vergl.  Diels  in 
der  Festschrift  für  Gomperz,  Wien  1902,  11),  so  hatten  grade  auch  die 
eleusinischen  und  orphischen  viele  Berührungen  miteinander  (vergl.  Rohde 
1.  c.^  262  und  den  Kommentar  unten  zu  548 ff.);  speziell  für  den  Begriff 
des  ttXoOtoc  kann  auf  den  von  Diodor  I  12  aus  'Orpheus'  (fr.  165  Abel) 
angeführten  Vers  rfj  |Lir|Trip  TrdvTUJV  ArmriTTip  TrXouxobÖTeipa  verwiesen 
werden.  Wenn  es  richtig  ist,  daß  der  in  der  Einleitung  und  dem  Schluß 
hervorgehobene  Begriff  des  irdischen  „Segens"  (ttXoOtoc)  den  Schlüssel 
zum  Verständnis  der  segenverheißenden  Offenbarungen  der  Eschatologie 
gibt,  so  begreifen  wir  auch,  weshalb  der  Dichter  den  ttXoOtoc  in  der 
Einleitung,  unmittelbar  vor  Beginn  des  Themas,  mit  Attributen  versieht, 
die,  wie  Maaß  1.  c.  bemerkt,  sich  deutlich  an  die  Mysteriensprache  an- 
lehnen: afftfip  dpiZriXoc,  eTU)iiu)TaTOV  dvbpl  (peYfOC,  vergl.  Aristoph. 
Frösche  342ff.  vuKxepou  TeXerfic  cpuü(Tcp6poc  dcTirip  (von  lakchos). 
q)XoTi  cpeTTCTai  be  Xeijuiov,  454ff.  liövoic  ydp  fiiaiv  fiXioc  Kai  (pe^TOC 
iXapöv  eCTTiv,  8(Toi  )ae)Liuri)ae6a.  Entscheidend  ist  dann  vor  allem  der 
Schluß,  der  Theron  als  den  größten  euepTCTac  preist.  Es  ist  oben  (S.  35) 
nachgewiesen,  daß  in  den  Seligpreisungen  der  orphisch -pythagoreischen 
Kirche  die  eiiepfCTai  einen  Platz  einnahmen:  Piaton,  Vergil  und  Lactantius 
haben  es  uns  bezeugt.  Wenn  letzterer  aus  seiner  erlesenen  Quelle  dafür 
die  vetustissimi  fheologi  zitiert,  so  deutet  dieser  Ausdruck  auf  die  Sphäre, 
in  welcher  die  Vorlage  Pindars  zu  suchen  ist.-^) 

„Dein  Erdenglück,  Theron,"  —  dies  ist  der  Gedankengang  des 
Gedichts  —  „hat  viele  Trübungen  erfahren,  wie  das  Glück  aller  Menschen 
und  so  auch  das  deiner  erlauchten  Ahnen.  Jetzt  leuchtet  dir  wieder 
die  Sonne,  doch  wir  Menschen  wissen  nicht,  ob  uns  die  Sonne,  die 
morgens  so  strahlend  aufgegangen  ist,  noch  am  Abend  in  ungetrübtem 
Glanz  scheinen  wird.  Aber  du  hast  ein  Großes,  das  höher  ist  als  das 
wechselnde  irdische  Glück:  die  Aussicht  auf  die  ewige  Seligkeit  im 
Jenseits,  wo  den  Guten  die  Sonne  ewig  scheint.  Diese  Aussicht  verdankst 
du   deinem  mit   edler  Sinnesart  gepaarten  Reichtum.     Denn  von  diesem. 


1)  Unteritalische  und  sicilische  Verfasser  orphisch-pythagoreischer  Gedichte 
zählt  Rohde  1.  c.^  398,  2  auf. 


D.   DIE  QUELLENFRAGE  (POSEIDONIOS).  39 

deinen  XpY\}ia.Ta,  machst  du,  wie  die  Mysterien  befehlen,  in  die  du  ein- 
geweiht bist,  die  richtige  xpr\Cf\c:  du  bist  ein  Giiep^erac *),  ein  Stifter 
unzähliger  Freuden."  Der  Dichter  ist  ein  wahrer  Trpoqpdxac  gewesen, 
der  zu  sein  er  überzeugt  war:  das  Volk  hat  seinem  Wohltäter  Theron 
nach  seinem  Tode  mit  heroischen   Ehren  gelohnt  (Timaios-Diodor  XI  53). 


6. 

Vergil  stellt  die  wenigen  Seelen,  die,  von  Wanderungen  befreit,  im 
Mysium  nach  langer  Zeit  ihre  völlige  Reinheit  wieder  erlangen,  der 
großen  Zahl  der  anderen,  die  in  neue  Körper  wandern  müssen,  gegen- 
über mit  den  Worten  744ff.  pauci  laeta  arva  fenemus,  donec  longa 
dies  .  .  .  purum  relmquit  acthcrium  sensum  und  748f.  7ms  omnes  .  .  . 
deus  evocat...,  rursus  ut  incipiant  in  corpora  velle  reverti.  Dieselbe 
Gegenüberstellung  finden  wir  mit  ganz  ähnlichen  Ausdrücken  in  einer 
von  Plutarch  referierten  Lehre,  die  Heinze  1.  c.  133 f.  auf  Poseidonios 
zurückgeführt  hat:  de  def.  or.  10,  415 BC  Ik  jLiev  dvOpiuTruüv  eic  fipiuac 
(Vergil  nennt  dafür  die  laeta  arva,  auf  denen  er  644  eben  die  Jieroes 
weilen  läßt),  EK  b'  fipuuujv  eic  baijLiovac  (diese  Unterscheidung  wird  von 
Vergil  ignoriert)  al  ßeXxiovec  ij/uxcxi  ty\v  iLieTaßoXriv  XajLißdvoucTiv  ck 
be  öaijuövuuv  oXiTai  |Liev  ev  xpovuj  ttoXXuj  bi  dpeTfic  Ka6apGeT(Tai 
TTavidTTaffi  9eiÖTr|T0C  jaeiecrxov.  eviaic  be  (mit  schärferem,  der  Quelle 
wohl  näher  stehendem  Gegensatz  sagt  Vergil  has  omnes)  cTu)iißaivei  .  .  . 
evbuo|U€vaic  irdXiv  6w\xa(Ji  GvriToTc  dXaiiTrfi  Zujfiv  i(Txeiv.  Die 
Unterscheidung  der  beiden  Klassen  von  Seelen  hat  auch  Piaton  Tim.  42 B 
(nach  der  alten,  von  ihm  dort  benutzten  theologischen  Lehre),  aber  bei 
ihm  fehlen  gerade  diejenigen  Ausdrücke,  in  denen  Vergil  sich  mit  Plutarch 
so  auffällig  berührt. 

7. 

Die  Schwierigkeit,  die  innerhalb  der  Lehre  von  der  Seelenwanderung 
die  Sonderstellung  der  ctuupoi  und  ßiaioGdvaxoi  (426 — 547)  bereitet, 
hatten  wir  oben  (S.  11)  durch  eine  Äußerung  Tertullians  de  anima 
c.  56  zu  heben  versucht,  wonach  diese  beiden  Klassen,  deren  Lebensdauer 
wider  das  Geschick  verkürzt  ist,  so  lange  vom  Jenseits  ausgeschlossen 
werden,  bis  die  ihnen  vom  Geschick  bestimmte  Zeit  erfüllt  ist.  Tertullian 
erwähnt  diese  Vorstellung  im  Zusammenhang  seiner  Ausführungen  (c.  46  ff.) 
über  die  letzten  Schicksale  der  Seele,  und  diese  wiederum  behandelt  er 
zusammen  mit  der  Kraft  der  natürlichen  Weissagung,  welche  nach  der 
Lehre  von  Philosophen  der  Seele  im  Schlaf,  dem  Spiegelbild  des  Todes, 
kurz  vor  dem  Tode  selbst  und  nach  dem  Tode  eigen  sei;  die  genannten 
beiden  Seelenklassen  nämlich,  sowie  die  der  Unbegrabenen,  hätten  deshalb 
für  Zwecke  der  Divination  als  besonders  wirksam  gegolten,  weil  sie  noch 
nicht   an   die   Unterwelt  gebunden    seien   (vergl.  c.  57  Anf.).     Für  diesen 


1)  Man  beachte  auch  Pyth.  2,  24  töv  eöepY^TOv  ÖTavaic  d^Gißatc  TxveaQai: 
diese  öiboxri  wird  nach  einer  Tradition  (qpavTi)  dem  Ixion  in  den  Mund  gelegt. 
Daß  sie  derselben  Sphäre  religiöser  Dichtung  wie  die  Eschatologie  von  Ol.  2 
angehört,  wird  unten  im  Kommentar  zu  618  ff.  gezeigt  werden. 


40  EmLEITUNG. 

speziellen  Abschnitt  führt  er  keine  Gewährsmänner  an,  sondern  sagt  nur 
allgemein  creditum  est,  aiunt,  arbitrantur  (c.  56)  und  nennt  die  Magie 
als  aucirix  opinionum  istarum  (c,  57  Anf.).  Für  die  umgebenden  Kapitel, 
in  denen  er  die  Divination  behandelt  (46 — 55.  57  Schi.),  nennt  er  als 
eine  seiner  Quellen  den  ihm  zeitlich  nahestehenden  Hermippos  von  Berytos: 
c.  46  g.  E.  cetera  (oracula)  cum  suis  et  origmibus  et  ritibus  et  relatoribus, 
cum  omni  deinceps  Mstoria  somniorum  Hermippus  Berytensis  quinione 
voluminum  satiatissime  exhibebit;  mit  den  Exzerpten  aus  diesem  Werk 
hat  er  sicher  noch  Soranos  Trepi  vpuxfic  zusammengearbeitet  (Diels, 
Doxogr.  203  ff.).  Daß  unter  den  Gewährsmännern  dieser  beiden  das  grund- 
legende Werk  des  Poseidonios  irepi  juavTiKf^c  gewesen  ist^),  läßt  sich 
erweisen  aus  der  Parallelüberlieferung  besonders  bei  Cicero  de  div., 
mit  der  sich  Tertullian  oft  nahe  berührt,  aber  so,  daß  er  oft  viel  mehr, 
und  zwar  sehr  Erlesenes,  hat  als  dieser;  daraus  folgt  also,  daß  Cicero 
und  der  Gewährsmann  Tertullians  einer  gemeinsamen  Quelle  folgen.*) 
Sie  genauer  zu  bestimmen  ermöglicht  zunächst  die  Darstellung  der  ver- 
schiedenen Arten  von  Traumorakeln  c.  46  f.  Sie  sollen  entspringen 
entweder  a  deo  oder  a  daemanio  oder  ab  anima;  das  berichtet  Cicero  I  64 
aus  Poseidonios:  tribus  m^dis  censet  (Posidonius)  deorum  adpulsu  homines 
somniare,  uno  quod  provideat  animus  ipse  per  sese  .  .  .,  altero  quod  plenus 
aer  sit  immortaUum  animorum  ....  tertio  quod  ipsi  di  cum  dormientibus 
conloquantur ;  bei  Tertullian  ist  also  nur  die  Eeihenfolge  geändert.  Die 
erste  Art  dieser  Divination  (qu^d  provideat  animus  ipse  per  se)  definiert 
Cicero  an  einer  späteren  Stelle  (125)  nach  (dem  wieder  ausdrücklich 
genannten)  Poseidonios  genauer  so:  sie  ergebe  sich  durch  ein  Eindringen 
des  Geistes  in  den  Zusammenhang  der  immanenten  Naturgesetze,  denn 
das  Fatum  sei  die  causa  aeterna  rerum,  cur  et  ea  quae  praeteriertmt 
facta  sint  et  quae  instant  fia/nt  et  quae  sequentur  futura  sint;  ita  fit  ut 
observatione  notari  possit  quae  res  quamque  causam  consequatur.  Dem 
entspricht  bei  Tertullian  (c,  47):  tertia  species  erunt  somnia  quae  sibimet 
ipsa  anima  videtur  inducere  ex  intentione  circumstantiarum ,  denn  daß  er 
in  die  beiden  letzten  Worten  das  zusammendrängt,  was  Cicero  umschreibt, 
zeigt  Quintilian  V  10,  102f.,  der  als  die  argumenta  ex  circumstantia  (eK 
irepiCTTdcreuJc)  diejenigen  bezeichnet,  die  ex  antecedentibus  et  iunctis  et 
insequentibus  gezogen  werden  (rrepicrTaffic  als  Terminus  der  jungstoischen 
Logik  bei  Sext.  Emp.  VII  253).  Von  der  dritten  Art  dieser  Divination 
(quod  ipsi  di  cum  dormientibus  conloquantur)  sagt  Cicero  117,  sie  folge 
aus  der  Vorsehung  der  Götter,  denn  da  diese  feststeht,  profecto  homi- 
nibus  a  dis  futura  significari  necesse  est;  vergl.  Tertull.  c.  46  Stoici  deum 
malunt  providentissimum  humanae  institutioni  inier  cetera  praesidia  divimor 
tricum  artium  et  disciplinarum  somnia  quoque  nobis  indidisse.  Wenn 
endlich  Tertullian  (c.  47)  sagt,  die  Tatsache,  daß  diese  Art  der  Divi- 
nation a  deo  stamme,  gelte  den  meisten  Menschen  auch  umgekehrt  als 
Beweis  für  die  Existenz  Gottes   (maior  paene  vis  Jiominum  ex  visionibus 


1)  Zitiert  wird  er  von  Tertullian  c.  14  in  einer  sicher  aus  Soranos  stam- 
menden Partie  (Diels  205). 

2)  In  den  mir  bekannten  Untersuchungen  über  stoische  Mantik  sowie  den 
Quellenanalysen  der  ciceronianischen  Schrift  ist  Tertullian  nicht  benutzt  worden. 


D.   DIE  QUELLENFRAGE  (POSEIDONIOS).  41 

deum  discimt),  so  wird  das  als  stoische  Lehre  kurz  auch  von  Cicero  10, 
ausführlicher  von  Sextus  Emp.  IX  132  aus  Poseidonios  erwähnt,  bei 
diesem  gerade  auch  mit  Berufung  auf  den  allgemeinen  Glauben  der 
Menschen.  Die  prophetische  Kraft  von  Sterbenden  berichtet  Cicero  63  f. 
kurz  aus  Poseidonios,  ausführlicher  mit  Berufung  auf  Piaton  und  Dichter 
Tertullian  c.  53.  Andere  Übereinstimmungen  zwischen  Cicero  (bezw. 
dessen  Quelle)  und  Tertullian  seien  nur  kurz  notiert:  vergl.  Cicero  91 
mit  Tert.  46  Anf.,  Cic.  37.  96  mit  Tert.  46  g.  E.,  Cic.  60.  62.  115  mit 
Tert.  48  Mitte.  Bemerkenswert  ist  noch,  daß  die  bei  Cicero  für  das  Ein- 
treffen von  Weissagungen  genannten  Gewährsmänner  Herodot,  Herakleides 
Pont.,  Philochoros  und  Kallisthenes  auch  bei  Tertullian  vorkommen,  bei 
diesem  außerdem  noch  Charon  von  Lampsakos,  Ephoros  und  Theopompos. 
Diese  erlesenen  Zitate  verdankte  also  der  Gewährsmann  Tertullians  dem 
Poseidonios. 

Daher  liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  auch  der  in  die  Darstellimg 
Tertullians  fest  eingefügte  Abschnitt  über  die  in  der  Mantik  eine  Rolle 
spielenden  Seelen  der  doupoi  und  ßmioödvaTOi  aus  derselben  Quelle 
stammt.  Hierfür  lassen  sich  noch  folgende  Argumente  geltend  machen. 
1.  Tertullian  nennt,  wie  bemerkt,  die  Magie  die  auctrix  dieser  Lehre. 
Nun  ist  Poseidonios  auf  die  Lehren  der  mdgi  über  die  Mantik  ein- 
gegangen, wie  aus  mehreren,  mit  Sicherheit  auf  Poseidonios  zurück- 
gehenden Stellen  der  ciceronianischen  Schrift  hervorgeht  (46  f.  90  f.)  Der 
von  der  Magie  übernommene  Glaube  galt  als  pythagoreische  Lehre,  denn 
Lukian  Philops.  29  legt  ausdrücklich  einem  Pythagoreer  (im  Gegensatz 
zu  anderen)  die  Worte  in  den  Mund  TCtc  ßiaiujc  dTToGavövTUJV  [növac 
ij;uxdc  irepivocTTeiv,  Tctc  be  Kaiot  inoipav  dTToGavövTiuv  ouKeii,  vergl. 
auch  oben  S.  11,  1.  2.  Poseidonios  mußte  in  seinem  Werk  über  die  Mantik 
auf  die  schon  in  homerischer  Zeit  gebräuchliche,  von  Äschylos  in  den 
Persem  und  den  ipuxciYUUTOi  verwertete  und  gerade  zu  seiner  Zeit  in 
spiritistischen  Zirkeln  beliebte  Nekyomantie  (s.  o.  S.  2)  eingehen.  Daß 
er  es  wirklich  getan,  folgt  aus  Cicero  1.  c.  132.  Cicero  verwirft  hier 
diese  Art  der  Mantik  (während  er  Tusc.  I  115  einen  Beweis  aus  ihr 
nach  Krantor  anführt),  natürlich  auch  der  Christ  Tertullian,  der  hier 
(c.  56)  eine  Livektive  gegen  die  Magie  seiner  Zeit  einlegt;  wie  sich 
Poseidonios  dazu  verhielt,  ist  ungewiß  (vergl.  Aetius  p.  415,  14  Diels  von 
den  Stoikern:  ouTOi  xd  TrXeTcTTa  \iip\\  if\Q  |navTiKfic  eYKpivoucTi,  ebenso 
Cic.  acad.  H  107),  Varro  scheint  daran  geglaubt  zu  haben  (Augustinus 
de  civ.  dei  VH  35  Varro  .  .  .  adhihito  sanguine  etiam  inferos  perhibet 
sdscitari  et  veKuo)LiavTeiav  graece  dicit  vocari),  wie  die  Neuplatoniker 
(Porphyr,  de  abst.  H  47).  3.  Daß  Poseidonios  wenigstens  in  einer 
anderen  Schrift  (Protreptikos?  s.  o.  S.  35,  3)  auf  die  duupoi  Bezug  nahm, 
folgt  aus  einer  Stelle  des  von  Heinze  (I.e.  128 ff.)  auf  ihn  zurück- 
geführten apokalyptischen  Mythus  in  Plutarchs  Schrift  de  genio 
Socr.  22,  590F  Kdxuu  ö'  dTTibövii  (paiveaGai  (ecpn)  Xöö"^ci  \ilyoL  .  . . 
TToWoö  (TKOTOuc  irXfipec  .  .  .,  69ev  dKOueaGai  .  .  .  jaupiuuv  K\auG|iöv 
ßpeqpujv,  was  sich  auch  formell  mit  Vergil  426 f.  auffällig  berührt: 
conünuo  auditae  voces  vagitus  et  ingens  |  infantumque  animae  flerdes,  in 
limine  primo  |  qtios  dulds  vitae  exsortes  et  ab  ubere  raptos  |  abstulit  atra 
dies  et  funere  mersit  acerbo. 


42  EINLEITUNG. 


Die  Rolle,  die  Vergil  seine  Sibylle  im  Hades  spielen  läßt,  ist  nicht 
einwandfrei.  Sie  weiß  Bescheid  in  der  Region  diesseits  des  Acheron 
(268 — 416),  dann  auch  in  der  'Vorhölle'  jenseits  desselben  (417 — 547), 
endlich  auch  im  Tartarus  (548 — 627);  daß  sie,  die  Reine,  die  Sünder 
und  Strafen  des  Tartarus  kennt,  wird  damit  motiviert,  daß  sie  als 
Priesterin  am  Avemersee  von  Hekate  durch  die  ganze  Hölle  geführt  sei 
(5  6  4  f.).  Im  Elysium  fällt  sie  aber  aus  der  Rolle  der  allwissenden 
Prophetin:  sie  muß  sich  an  Musaeus  wenden,  um  von  diesem  zu  erfahren, 
wo  Anchises  wohne  (669 — 71),  und  sich  von  diesem  über  die  Frei- 
zügigkeit der  Seligen  belehren  lassen  (672 — 75).  Aber  diesen  Dialog 
würde  man  sich  zur  Not  aus  dem  Bestreben  erklären  können,  die  Erzählung 
dramatisch  zu  beleben.  Als  nun  aber  Anchises  gefunden  ist  (679),  tritt 
die  Sibylle  völlig  in  den  Hintergrund:  sie  wird  von  jetzt  an  nicht  mehr 
gefragt,  sondern  ihr  wird  zugleich  mit  Aeneas  die  Offenbarung  der 
höchsten  Dinge  zuteil,  d.  h.  also:  sie,  die  Prophetin,  hat  ihre  Rolle  an 
Anchises  abgegeben  und  ist  nur  mehr  ein  KUjqpöv  TtpödiUTTOV,  nur  noch 
dazu  gut  genug,  mit  Aeneas  zu  schauen  (752),  mit  ihm  sich  zu  wundern 
(854)  und  mit  ihm  aus  dem  Hades  entlassen  zu  werden  (897).  "Wir 
müssen  die  Frage  also  folgendermaßen  formulieren:  wie  erklärt  sich  die 
Teilung  der  Apokalypse  zwischen  Sibylle  und  Anchises? 

Die  Apokalypse  Plutarchs  de  sera  n.  v.  22,  in  der  alte  theologische 
Motive  reichlich  benutzt  sind  (Dieterich  147),  besteht  aus  vier  Teilen: 
1.  dem  TÖTTOC  Ka9ap)LioO,  an  dem  sich  die  Läuterung  der  Seelen  vollzieht 
(563 E — 565 E),  2.  dem  töttoc  Ar|6ric,  an  dem  sie  sich  zur  Wiedergeburt 
vorbereiten  (565 E — 566  A),  3.  dem  xpaifip  oveipuuv  (566 B — E),  4.  dem 
TÖTTOC  KoXdcreuJC  (566E — 567F).  An  den  drei  ersten  Orten  wird 
Thespesios  geführt  von  der  Seele  eines  verstorbenen  Verwandten,  der 
sich  als  Perieget  zu  ihm  gesellt  hat  (5640).  Als  sie  aber  an  dem 
Ort  der  Verdammnis  angelangt  sind,  verschwindet  dieser  Begleiter  und 
Thespesios  wird  von  schrecklichen  Gestalten  vorwärtsgestoßen,  um  auch 
diesen  Ort  zu  schauen  (56  7  A).  Hier  haben  wir  also  ebenfalls  eine 
doppelte  Führung  und  Offenbarung:  wie  der  Verwandte  des  Thespesios 
diesem  die  Läuterung  der  Seelen  und  ihre  Vorbereitung  zur  Wiedergeburt 
erklärt,  so  Anchises  dem  Aeneas;  die  Tartarus- Apokalypse  geschieht  bei 
Plutarch  durch  Höllendämonen,  bei  Vergil  durch  die  Sibylle,  die  er  — 
mit  einem  für  die  Situation  geschickt  erfundenen  Motiv  — -  von  der 
Höllenfürstin  Hekate  hier  orientiert  sein  läßt.^)  Nun  verstehen  wir,  wie 
es  kommt,  daß  die  Sibylle  im  letzten  Teil  der  vergilischen  Eschatologie 
ihre  Rolle  ausgespielt  hat:  die  Verteilung  der  Apokalypse  auf  zwei 
Propheten  war  ein  überliefertes  Motiv.  Im  Sinn  der  Vorlage  wäre  es 
gewesen,  die  Teilung  nun  auch  streng  durchzuführen,  d.  h.  die  Sibylle, 
nachdem  sie  ihres  Amtes  gewaltet  hat,  verschwinden  zu  lassen.  Das 
konnte  Vergil  wegen  der  zentralen  Stellung,  die  er  der  Sibylle  in  dem 

.  1)  564  f.  sed  me  cum  lucis  Hecate  praefecit  Ävernis  (=  118),  ipsa  deum  poenas 
docuit  perque  omnia  duxit.  Es  sei  an  Artemis  (Hekate)  'Hteihövii  erinnert,  deren 
chthonischen  Charakter  S.  Wide,  Lakon.  Culte  110  f.  wohl  erwiesen  hat,  sowie  an 
die  Führerrolle,  die  Hekate  bei  der  Kdeoboc  und  ävoboc  der  Kora  auf  Vasen- 
bildem  gegeben  ist  (Petersen,  Arch.-epigr.  Mitt.  aus  österr.  IV  (1880)  142  f.). 


D.   DIE  QÜELLENFRAGE  (POSEIDONIOS).  43 

ganzen  Buch,  auch  dessen  erstem  Teil,  anwies,  nicht  wohl  ausführen; 
daher  läßt  er  'sie  den  Aeneas  weiter  begleiten  und  muß  sie  aus  einer 
Prophetin  zu  einer  fast  störenden  Nebenfigur  degradieren. 

In  einer  zweiten  Apokalypse  Plutarchs  finden  wir  das  Motiv 
wenigstens  angedeutet:  de  genio  Socr.  22,  591 A:  „Nach  einiger  Zeit  habe 
er  eine  unsichtbare  Stimme  fragen  hören  'Timarch,  was  willst  du  erfahren?' 
worauf  er  geantwortet  habe  'alles,  denn  jegliches  ist  hier  wunderbar'. 
Darauf  die  Stimme:  'von  den  höchsten  Dingen  wissen  wir  nur  wenig, 
das  ist  Sache  anderer,  göttlicher  Wesen;  willst  du  aber  den  Bezirk  der 
Persephone,  unsere  Eegion,  schauen,  so  kann  dir  dieser  Wunsch  erfüllt 
werden'." 

Da  in  dieser  zweiten  Apokalypse  Plutarchs  Poseidonios  benuzt 
ist  (s.  o.  S.  32),  so  kann  das  Motiv  ihm  gehören.  Das  scheint  durch 
Ciceros  somnium  Scipionis  bestätigt  zu  werden,  dessen  Komposition  eben 
infolge  dieses  fest  überlieferten  Motivs  eine  ähnliche  Ungeschicklichkeit 
zeigt,  wie  wir  sie  soeben  für  Vergil  festgestellt  haben.  Auch  Cicero 
verteilt  die  Apokalypse  auf  zwei  Propheten,  den  älteren  Scipio  und  den 
Vater  des  jüngeren;  die  Hauptrolle,  die  OfFenbarung  der  höchsten  Dinge, 
ist  jenem  zugewiesen,  Paulus  redet  einige  Worte  über  Tod  und  Leben 
sowie  über  den  Selbstmord  (14 — 16),  um  dann  völlig  vergessen  zu 
werden;  die  Schrift  schließt  mit  den  Worten  ille  (Africanus)  discessit, 
ego  somno  solutus  sum,  als  ob  Paulus  gar  nicht  dabei  gewesen  wäre. 
Also  Vergil  behält  die  unbequeme  Nebenfigur  im  weiteren  bei,  Cicero 
kümmert  sich,  nachdem  sie  ihre  Rolle  ausgespielt  hat,  überhaupt  nicht 
mehr  um  sie:  ein  verwandter  Kompositionsmangel  infolge  ungenügender 
Verwertung  eines  überlieferten  Motivs. 

Wir  können  noch  einen  Schritt  weiter  gehen:  auch  das  spezielle 
Motiv  Vergils,  daß  die  Offenbarung  gerade  über  die  Seelen  Wanderung 
dem  Sohn  vom  Vater  zuteil  wird,  muß  auf  Überlieferung  beruhen.  Denn 
nur  unter  dieser  Voraussetzung  erklärt  sich  die  Einkleidung  zweier 
hermetischen  Schriften.  Das  vorletzte  Kapitel  des  Poimandres  (ed. 
Parthey  p.  114ff.)  trägt  die  Überschrift:  '€p^oO  toO  Tpi(T|ueTi<^TOU  irpöc 
TÖv  uiov  TotT  ev  öpei  Xötoc  dTroKpuqpoc  irepi  TraXiYTevetTiac,  und 
aus  einer  anderen  Schrift  dieser  Art  hat  Stobaeus  ecl.  phys.  I  41,  68 f. 
eine  Rede  der  Isis  an  ihren  Sohn  Horus  erhalten,  der  ebenfalls  rrepi 
einvpuxiucyeujc  xai  laeTemjiux^cr^ujc  handelt  und  sich  stellenweise  auch 
sachlich  mit  der  von  Vergil  vorgetragenen  Darstellung  der  Lehre  berührt; 
das  ist  begreiflich,  da  die  hermetischen  Schriften  dieselbe  Fusion  von 
pythagoreischer,  platonischer  und  stoischer  Philosophie  repräsentieren  wie  die 
für  Vergil  vorauszusetzende  Quelle.  ^)  Da  nun  dieselbe  eklektische  Haltung 
für  Poseidonios  charakteristisch  ist,  so  werden  wir  vermuten  dürfen,  daß 
das  von  Cicero,  Vergil  und  dem  Verfasser  der  hermetischen  Schriften  ver- 
wendete Motiv  aus  Poseidonios  stammt,  und  das  um  so  mehr,  als  Benutzung 
des  Poseidonios  in  den  hermetischen  Schriften  ohnehin  feststeht  (vergl. 
Reitzenstein ,   Zwei  religionsgeschichtliche   Fragen,   Straßburg  1901,  93). 

Das  Motiv,   die  Prophetie   über   die   letzten  Dinge   nicht   einer   ein- 


1)  Eine  Berührung  zwischen  Vergils  Apokalypse  und  einer  hermetischen 
Schrift  ist  im  Kommentar  zu  Vers.  264 ff.  notiert  worden. 


44  EINLEITUNG. 

zigen  Person  zu  übertragen,  blieb  noch  in  der  mittelalterlichen  Apo- 
kalyptik  geläufig.  In  der  Visio  S.  Baronti  (f  um  700  in  Pistoja)  1.  c 
(o.  S.  9)  570fF.  wird  der  Visionär  von  dem  Erzengel  Eaphael  im  Paradies 
geführt;  darauf  bestimmt  Petrus  zwei  Knaben,  die  ihm  die  Hölle  zeigen. 
In  zwei  Visionen,  der  von  Baeda  bist.  eccl.  V  12  erzählten  des  J.  696 
sowie  der  des  Tundalus  vom  J.  1149  1.  c.  (ibid.)  p.  32f.  wird  das  Motiv 
so  gewendet,  daß  der  Führer,  der  den  Visionär  durch  das  Purgatorium 
geleitet  hat,  vor  der  Hölle  verschwindet  und  sich  erst  nachher  wieder 
zu  der  Seele  gesellt.  Besonders  lehrreich  ist,  wie  Dante  sich  des  Motivs 
bedient.  Durch  Hölle  und  Purgatorium  läßt  er  sich  von  Virgil  geleiten, 
bis  dieser  am  Eingang  des  Paradieses  verschwindet  und  Beatrice  an 
seine  Stelle  tritt.  Dante  läßt  dies  Programm  von  Virgil  gleich  zu 
Anfang  darlegen  (Inf.  I  112ff.):  'ich  werde  dich  durch  Hölle  und  Pur- 
gatorium führen;  willst  du  die  Sitze  der  Seligen  schauen,  so  werde  ich 
dich  einer  anima  piü  degna  di  me  überlassen,  denn  dorthin  habe  ich 
keinen  Zutritt',  womit  man,  um  die  Identität  des  Motivs  zu  erkennen, 
die  vorhin  aus  Plutarchs  Apokalypse  de  genio  Socr.  zitierten  Worte 
vergleiche;  aus  der  wenig  glücklichen  Wendung,  die  Vergil  selbst  in 
seiner  Nekyia  dem  Motiv  gegeben  hat,  konnte  Dante  seine  Darstellung 
unmöglich  entnehmen:  er  darf  hier  also  als  unabhängiger  Zeuge  ver- 
wertet werden  (vergl.  oben  S.  8  f.). 


Die  große  Prophezeiung  des  Anchises  756 — 892  ist  kunstvoll  dis- 
poniert. Das  Thema  gibt  der  Eedende  selbst  in  der  propositio  an 
(756 — 59):  dem  Aeneas  sollen  seine  Nachkommen  gezeigt  und  seine 
persönlichen  Schicksale  offenbart  werden  (Dardaniam  prolem  quae  deinde 
sequatur  \  gloria,  •  •  •  |  inlustris  animas  nostrumque  in  nomen  ituras  \  ex- 
pediam  dictis  et  te  tua  fata  docebo).  Das  erste  geschieht  in  der  so- 
genannten Heldenschau  (760 — 887),  das  zweite  durch  folgende,  die 
Prophezeiung  abschließende  Verse  (890 — 92): 

exim  bella  viro  memorat  quae  deinde  gerenda 

Laurentisque  docet  populos  urhemque  Latvni 

et  quo  quemque  modo  fugiatque  feratque  laborem. 

Dieser  Teil  der  Prophezeiung  des  Anchises  ist  anerkanntermaßen 
eine  Dublette  zu  derjenigen  Prophezeiung,  die  Aeneas  vor  der  KaiaßaCTic 
von  der  Sibylle  erhalten  hatte  (83 ff.):  hier  wie  dort  handelt  es  sich 
um  die  bevorstehenden  Kriege  (vergl.  86  bella)  und  Leiden  (vergl.  103 
laborum)^  sowie  um  die  Verhältnisse,  die  Aeneas  in  Latium  antreffen 
werde  (vergl.  88  ff.).  Wer  sich  nicht  damit  begnügen  will,  einen  'Irrtum' 
Vergils  anzunehmen  (so  Noack,  Hermes  XXVH  1892,  409),  wird  angesichts 
der  Tatsache  einer  mangelnden  Redaktion  des  Gedichts  die  Frage  viel- 
mehr so  formulieren:  welche  von  diesen  beiden  Fassungen  beabsichtigte 
der  Dichter  zu  Gunsten  der  anderen  fallen  zu  lassen?  Daß  wir  diese 
Frage  beantworten  können,  verdanken  wir  zwei  sich  gegenseitig  stützenden 
und  ergänzenden  Parallelstellen  im  IH.  und  V.  Buch."  In  jenem  (III  458 ff) 
rät  Helenus  dem  Aeneas,  die  Sibylle  aufzusuchen  und  sie  um  ein  Orakel 
zu  bitten, 


D.   DIE  QUELLENTRAGE  (POSEIDONIOS).  45 

üla  tibi  Itäliae  populos  venturaque  bella 

et  quo  quemque  modo  fugiasque  ferasque  lahorem 

expediet, 
Verse,  die  sachlich  genau  und  zum  teil  auch  wörtlich  mit  jenen  des 
VI.  Buchs  übereinstimmen.  Also  sollte  nach  der  Intention  von  Buch  III 
die  Sibylle,  und  nicht  Anchises,  dem  Aeneas  seine  persönlichen  Schicksale 
offenbaren.  Im  fünften  Buch  (7  2 2  ff.)  erscheint  Anchises  dem  Aeneas  im 
Traume  und  fordert  ihn  auf,  unter  Führung  der  Sibylle  in  den  Hades 
zu  steigen;  als  Grund  gibt  er  an  (737): 

tum  genus  omme  tuum  et  quae  dentur  moenia  disces. 
Dieser  Vers  enthält  in  aller  Kürze  eine  vollständige  Inhaltsangabe  der 
sogenannten  Heldenschau  des  VI.  Buches  (mit  den  moenia  meint  er  die 
innerhalb  der  Heldenschau  VI  766.  781  ff  genannten  Städte  Alba  und 
Rom);  während  er  also  in  jener  propositio,  von  der  wir  ausgingen,  dem 
Aeneas  die  Heldenschau  und  die  Verkündigung  seiner  persönlichen  Schick- 
sale verheißt,  spricht  er  hier  nur  von  ersterer.  Nun  ist  es  ein  —  von 
dem  uns  beschäftigenden  Problem  unabhängig  gefundenes  —  m.  E.  sicheres 
Ergebnis  der  Analyse  des  Gedichts,  daß  III  und  V,  oder  mit  vorsichtigerer 
Formulierung  Teile  von  III  und  V  später  geschrieben  sind  als  VI.-^)  Wir 
sehen  also,  daß  der  Dichter  beabsichtigt  hatte,  die  Dublette  der  Prophe- 
zeiungen in  VI  zu  beseitigen:  die  Sibylle  sollte  dem  Aeneas  prophezeien, 
Anchises  ihm  die  Helden  Albas  und  Roms  zeigen;  mit  anderen  Worten: 
die  Verse  890 — 92  (Prophezeiung  des  Anchises  von  den  persönlichen 
Schicksalen  des  Aeneas)  mitsamt  dem  auf  sie  hinweisenden  Vers  der 
propositio  759  soUten  zu  Gunsten  von  8 3 ff.  (Prophezeiung  der  Sibylle  von 
demselben  Gegenstand)  fallen.  Im  wesentlichen  zu  demselben  Resultat  ist 
auch  R.  Sabaddini,  Studi  critici  suUa  Eneide  (Lonigo  1889)  104  gelangt. 
Nun  genügt  es  aber  noch  nicht,  die  Dublette  als  solche  und  die 
Absicht  des  Dichters  sie  zu  beseitigen  erkannt  zu  haben,  sondern  es 
erhebt  sich  die  weitere  Frage  nach  ihrer  Genesis:  wie  war  es  möglich, 
daß  der  Dichter  zu  irgend  einer  Zeit  seines  Schaffens  die  zwei  Prophe- 
zeiungen so,  wie  wir  sie  lesen,  nebeneinander  stellen  konnte? 

Wenn  Aeneas  überhaupt  mit  der  Sibylle  zusammentreffen  sollte,  so 
war  es  selbstverständlich,  daß  er  von  ihr  ein  Orakel  erhalten  mußte;  ja 
es  scheint  sich  sogar  beweisen  zu  lassen  (vergl.  den  Kommentar  zu  83  ff), 
daß  Vergil  ein  ganz  bestimmtes,  dem  Aeneas  von  der  cumanischen  Sibylle 
gegebenes  Orakel  in  kurzen  Zügen  referiert.  Also  die  eine  Prophezeiung 
war  durch  eine  feste  Tradition  gegeben;  nun  aber  die  zweite,  die  des 
Anchises?  Man  wird  zunächst  an  die  dem  Odysseus  von  Teiresias  ge- 
gebene Prophezeiung  X  100 — 37  denken  und  es  ist  allerdings  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  dem  Dichter  für  die  Situation  diese  Episode  der 
homerischen  Nekyia  vorschwebte.  Aber  das  Entscheidende  ist  doch,  daß 
die  Prophetie  des  Anchises  aus  zwei  Teüen  besteht:  einem  langen  philo- 
sophisch-eschatologischen  (724 — 51  -f-  756 — 886)  und  einem  ganz  kurzen 
persönlichen  (890 — 92),  während  bei  Homer  jener  ganz  fehlt,  dieser  sehr 
ausführlich   ist.     Dagegen  finden  wir  eine  völlige  Analogie  wiederum  in 


1)  Vergl.  den  Kommentar  zu  110  ff. 


46  EINLEITUNG. 

Cicero s  somnium  Scipionis.  Auch  die  Prophezeiung,  die  dort  dem 
älteren  Scipio  in  den  Mund  gelegt  wird,  ist  zweiteilig.  Während  der 
zweite,  umfangreichere  Teil  die  philosophische  Darlegung  von  den  höchsten 
Dingen  enthält,  werden  in  dem  ersten,  kürzeren  (11  f.)  dem  jüngeren 
Scipio  seine  persönlichen  Schicksale  ge weissagt:  Sieg  in  zwei  Kriegen, 
Intriguen  gegen  seine  Person.  Bei  Vergil  ist  die  Stellung  der  beiden 
Teile  umgekehrt,  aber  sachlich  entsprechen  den  dem  Scipio  geweissagten 
Kriegen  und  Intriguen  die  dem  Aeneas  geweissagten  hella  et  labores. 

Die  Dublette  der  zwei  Prophezeiungen  in  der  vorläufigen  Fassung 
des  VI.  Buchs  erklärt  sich  also  aus  der  Kombination  zweier  Quellen: 
einer  apokalyptischen  (auch  von  Cicero  benutzten)  Schrift  vermutlich 
des  Poseidonios  und  einem  durch  die  Legende  gegebenen  sibyllinischen 
Orakel;  in  der  definitiven  Fassung  beabsichtigte  der  Dichter,  die  literarische 
Analogie  gegenüber  der  legendarischen,  mit  Aeneas  eng  verknüpften  sibyl- 
linischen Überlieferung  fallen  zu  lassen. 

10. 

Die  Seelenwanderungslehre  ist  bei  Vergil  nur  Mittel  zum  Zweck  des 
letzten  großen  Abschnitts  der  Nekyia,  der  Heldenschau  (756 — 887): 
Anchises  zeigt  dem  Aeneas  die  Seelen  seiner  Nachkommen  bis  auf  Augustus 
und  dessen  Neffen  Marcellus.  Für  diese  Fiktion  bedient  Vergil  sich  einer 
höchst  phantastischen  Vorstellung.  Jede  zur  Rückkehr  in  einen  neuen 
Köi-per  bestimmte  Seele  (animae  quibus  altera  fato  \  corpora  debentur 
7 13  f.)  soll  während  der  1000  Jahre,  die  sie  im  Jenseits  zubringen  muß, 
ihr  künftiges  Erdenleben  gewissermaßen  antizipieren:  der  Scheinkörper, 
in  den  sie  sich  kleidet,  trägt  bereits  jetzt  die  Gestalt  (809.  856.  861 
vergl.  771),  den  Charakter  (816.  817.  827),  ja  die  Insignien  (760.  772. 
779f.  808.  826.  855)  des  künftigen  Erdendaseins.  Diese  phantastische 
Erfindung  ist  in  keiner  anderen  Eschatologie  nachweisbar,  sondern  die 
Vorstellung  ist  sonst  überall  die,  daß  die  Seelen  während  ihrer  Läuterungs- 
zeit im  Jenseits  die  eibujXa  ihres  früheren  Erdendaseins  sind.  Aber 
hier  sah  sich  Vergil  zu  einer  Änderung  gezwungen,  denn  die  Zeit,  in 
die  er  seine  Eschatologie  rückte,  lag  ja  in  den  Anfängen  der  Geschichte 
oder  gehörte  vielmehr  noch  der  mythischen  Periode  an,  und  er  wollte 
doch  eine  Prophetie  der  Zukunft  geben.  Wir  sehen  also  wieder  die 
philosophisch -theologische  Lehre  mit  der  poetisch -mythologischen  Ein- 
kleidung in  Konflikt  kommen  (s.  o.  S.  15  f.),  was  hier  zu  der  grotesken 
UnWahrscheinlichkeit  einer  Präexistenz  des  individuellen  Körpers  im 
Hades,  antik  gesprochen  zu  einem  diriGavov  n\&(Sixa  geführt  hat.  Hier- 
aus mag  es  sich  auch  wohl  erklären,  daß  Ovid  in  seinem  sonst  genauen 
allgemeinen  Überblick  über  den  Inhalt  des  VI.  Buchs  (met.  XIV  116  ff.) 
diese  Erfindung  fast  ostentativ  mit  Stillschweigen  übergeht,  wenn  er  den 
Aeneas  nur  sehen  läßt  atavosque  suos  umbramque  senilem  Anchisae  (11 7  f.), 
obwohl  die  Vorfahren  von  Vergil  im  Gegensatz  zu  der  langen  Reihe  der 
Nachkommen  doch  nur  ganz  nebenbei  (648 — 50)  genannt  sind.  Lehr- 
reich ist  auch  die  Art,  wie  Ps.  Manilius  in  der  von  Diels  1.  c.  (o.  S.  35) 
auf  Poseidonios  zurückgeführten  Partie  I  754 ff.  mit  dessen  theologischer 
Lehre  die  Erfindung  Vergils  verbunden  hat:  'die  Seelen  der  Guten,  sagt 
er,   wandern   von   der  Erde   dorthin   (auf  die  Milchstraße,    vergl.  Cicero, 


D.   DIE  QUELLENFRAGE  (POSEIDONIOS).  47 

somn.  Scip.  16);  dort  weilen  sie,  die  wir  verehren'  und  nun  folgt  eine 
lange  Reihe  von  Namen  bis  auf  Augustus  in  deutlicher  Nachahmung 
Vergils.  Da  er  also  den  Zeitpunkt  seiner  Eschatologie  nicht  wie  Vergil  in 
die  mythische  Zeit  zurückverlegt,  so  kann  er  die  theologische  Lehre 
seiner  Quelle  reiner  reproduzieren  und  doch  das  Motiv  der  berühmten 
vergilischen  Heldenschau  verwerten;  er  korrigiert  also,  um  es  so  aus- 
zudrücken, das  poetische  TrXdcTjLia  Vergils  an  der  q)iXo(JO(pia  der  ihnen 
beiden  gemeinsamen  Quelle. 

11. 

Am  Schluß  des  VI.  Buches  (893 ff.)  wird  Aeneas  (und  die  Sibylle)  von 
Anchises  aus  einem  Tor  der  Träume  an  die  Oberwelt  entlassen.  Das 
Motiv  kommt  üben-aschend  und  unvermittelt,  widerspricht  auch  der 
Lokalisation  der  Träume  am  Hadeseingang  (282 ff.). ^)  Es  läßt  sich  durch 
den  Vergleich  mit  anderen  apokalyptischen  Schriften  noch  zeigen,  wie 
Vergil  zu  diesem  Motiv  geführt  wurde. 

Völlig  motiviert  ist  der  Aufstieg  zur  Oberwelt  durch  das  Traum- 
orakel des  Trophonios  bei  Plutarch  de  genio  Socr,  22,  592 E,  weil 
dort  auch  die  KttiaßacTic  durch  dieses  stattgefunden  hatte  (21,  590A). 
Diese  Eschatologie  Plutarchs  ist  zwar,  wie  bemerkt  (vergl.  o.  S.  43),  von 
Poseidonios  beeinflußt;  ob  freilich  gerade  dies  Motiv  aus  ihm  stammt,  ist 
ganz  ungewiß:  E.  Rohde,  Roman^  260,  3  dachte  an  Dikaiarchs  eic 
Tpoqpuuviou  Kardßacric,  was  ebenso  unsicher  ist.  —  Durch  das  unter- 
irdische Heiligtum  des  Trophonios  läßt  auch  Lukian  seinen  Menipp  aus 
der  Unterwelt  zurückkehren  (nekyom.  22).  —  Auch  in  einem  orphischen 
Gedicht  (Kpaxrip?  vergl.  Dieterich  1.  c.  147)  scheint  das  Motiv  vor- 
gekommen zu  sein.  Denn  Plutarch  spricht  in  einer  anderen  Eschato- 
logie (de  sera  n.  v.  22,  566  Bff.)  von  dem  großen  Krater,  in  dem  die 
Träume  gemischt  würden  und  aus  dem  sie  zu  den  Menschen  aufstiegen; 
bis  zu  diesem  sei  Oi^pheus  gelangt,  als  er  die  Seele  seiner  Gattin  holte, 
und  habe  darüber  den  Menschen  einen  (von  Plutarch  korrigierten)  Bericht 
erstattet.  Die  Worte  axpi  toutou  (toO  Kpaxfipoc)  TÖv  '0p9ea  irpoeX- 
GeTv  scheinen  zu  bedeuten,  daß  die  Rückkehr  des  Orpheus  eben  durch 
diesen  Kpairip  erfolgte  (so  auch  0.  Gruppe  bei  Röscher  s.  v.  Orpheus  1130). 

Vor  allem  wichtig  ist  dann  aber,  daß  das  Motiv  in  analoger  Form 
begegnet  in  Ciceros  somnium  Scipionis.  Einzelne  Motive  aus  dieser 
apokalyptischen  Schrift,  die  erwiesenermaßen  aufs  stärkste  durch  Posei- 
donios beeinflußt  ist,  sind  für  die  Exegese  Vergils  schon  von  älteren 
Interpreten  (seit  Macrobius)  und  oben  von  mir  verwertet  worden.  Aber 
auch  in  ihrer  ganzen  Anlage  zeigt  sie  Ähnlichkeiten  mit  Vergil,  ohne 
daß  dieser  direkt  von  ihr  abhängig  sein  könnte,  da  er  gerade  die  philo- 
sophischen Stücke,  die  Cicero  kürzt  oder  ganz  fortläßt,  ausführlich  bringt. 
Dem  träumenden  Scipio  wird  von  dem  älteren  Afrikanus  zunächst  (11 — 13) 
sein  Schicksal  prophezeit  (Kriege,  Ruhm,  Hindeutung  auf  die  Todesart). 
So  verspricht  Anchises  dem  Aeneas  759  te  ttia  fata  docebo  und  erfüllt 
das  890 ff.:  Kriege,   Mühsale  (siehe  über  dies  Motiv  oben  bei  9).     Auch 


1)  Zuletzt  ist  der  Widerspruch  scharf  hervorgehoben  von  A.  Gercke,  Neue 
Jahrb.  f.  d.  klass.  Alt.  1901,  110  f. 


48  EINLEITUNG. 

das  bei  Cicero  stark  ausgeprägte  protreptische  Element  (13  quo  sis 
alacrior  ad  tutandam  rempuUicam;  16  iustitiam  cole;  29)  durchzieht, 
wie  im  Kommentar  näher  gezeigt  werden  wird,  die  große  Rede  des 
Anchises  und  wird  vom  Dichter  selbst  889  durch  incendit  (AncMses) 
animum  {Aeneae)  als  das  reXoc  hervorgehoben.  Darauf  erscheint  bei 
Cicero  Scipios  Vater  (14),  der  für  kurze  Zeit  sich  mit  dem  älteren 
Africanus  in  die  Prophetenrolle  teilt  (siehe  darüber  oben  bei  8).  Scipio 
fragt  seinen  Vater:  'wenn,  wie  Africanus  mir  soeben  sagte,  unser  Leben 
in  Wahrheit  Tod,  unser  Tod  Leben  ist,  warum  eile  ich  dann  nicht  zu 
sterben?'  ein  Gedanke,  den  Paulus  mit  kurzem  Hinweis  auf  Natur  und 
Bestimmung  der  Seele  verwirft  (15  f.).  Aeneas  fragt  seinen  Vater  (7 19  ff.), 
wie  es  möglich  sei,  daß  Menschen,  einmal  gestorben,  noch  den  schreck- 
lichen Wunsch  {dira  cupido)  hegen  könnten,  wieder  lebendig  zu  werden, 
was  ihm  Anchises  durch  eine  ausführliche  Belehrung  über  Natur  und 
Schicksale  der  Seele  erklärt  (722  ff.).  Der  Pessimismus  in  dieser  Frage 
des  Aeneas  ist  durch  die  Situation  nicht  begründet,  während  Scipio  die 
Frage  stellt,  weil  er  soeben  von  Africanus  die  pessimistische  Auffassung 
des  irdischen  Lebens  vernommen  hat.  Im  einzelnen  gehen  dann  die 
Darlegungen  auseinander,  da  für  Cicero  der  töttoc  rrepi  TraXiTTeveaiac 
Nebensache,  für  Vergil  wesentlich  ist;  daß  er  in  Ciceros  Quelle  aus- 
führlicher behandelt  war,  zeigen  die  nur  andeutenden  Worte,  mit  denen 
Cicero  den  Africanus  schließen  läßt  (29):  die  Guten  kehren  gleich  nach 
dem  körperlichen  Tode,  die  Bösen  erst  multis  exagitaH  saeculis  in  den 
Himmel  zurück;  dieser  Gedanke  wird  von  Vergil  (733 ff.)  ausführlich 
dargelegt,  auch  mit  genauerer  Definition  der  ciceronianischen  multa  saecula 
(745.  748).  Die  ganze  Handlung  nun  läßt  Cicero  den  Scipio  mit  den 
Worten  abschließen:  ille  (Africanus)  discessit,  ego  somno  solutus  sum; 
bei  Vergil  endet  das  Buch  damit,  daß  Aeneas  von  Anchises  aus  der 
ehurna  somni  porta  entlassen  wird  (893 ff.):  sachlich  ist  beides  identisch, 
nur  kleidet  der  Dichter  die  Vorstellung  in  das  durch  Homer  gegebene 
Bild  von  den  Toren  der  Träume  ein. 

Die  aus  diesen  Prämissen  sich  ergebende  Folgerung,  daß  Poseidonios 
seine  Apokalypse  in  die  Form  einer  Traumvision  eingekleidet  hat,  wird 
bestätigt  durch  Philon  de  somniis  I  22  (p.  641  f.  M.),  der  den  Jakob  in 
seinem  Traum  von  der  Himmelsleiter  die  Wanderung  der  Seelen  schauen 
läßt;  die  Lehre  selbst  trägt  er,  wie  Heinze  1.  c.  112 f.  bemerkt,  un- 
verkennbar nach  Poseidonios  vor.^) 


1)  Vergl.  z.  B.  die  schwungvollen,  ganz  an  Poseidonios'  glänzende  (platonische) 
Diktion  erinnernden  Worte:  toOtujv  (tujv  vjjuxüüv)  ai  )li^v  to  auvTpoqpa  koI  auviP|6ri 
Tou  övriToO  ßiou  TroeoOoai  iraXivbpoiLioOaiv  aÖTic,  ai  5^  iroXXi^v  qpXuapiav  auToO 
KaTaYvoOoai  beö|au)Tripiov  |a^v  xai  TÜ)Lißov  ^KÜXeoav  tö  avjixa,  qpuYoOaai  hä  lüairep 
äl  eipKxfic  f\  |Livri|aaToc  ävu)  Koüqpoic  itTepoic  irpöc  aiG^pa  ^EapBeioai  lucTeuipo- 
iroXoOai  TÖv  aiüuva.  In  den  Worten:  öttö  Tf]C  oeXriviaKfjc  öqpaipac,  f^v  i.axäTr\v 
^iv  TÜJv  kot'  oupavöv  kükXuuv  -rrpiürriv  b^  tuiv  -rrpöc  fi|uac  ävoYpötqpouöiv  oi 
(ppovTiOTal  tAv  luexeuOpiiuv,  äxpi  yf\c  iax&Tr\c  ö  äi]p  irdvxrj  TaBelc  gqpöaKev 
ouTOC  bi  kati  vpuxuJv  äauj^&Twv  oTkoc  sind  mit  den  Metereologen  Aristoteles 
und  Poseidonios  gemeint,  deren  Lehre  das  war.  —  Die  Erklärung  des  Gesichts 
im  Monde  c.  22  i.  f.  ist  stoisch  (nach  Plutarch  de  fac.  5  p.  921 F).  Anderes  bei 
Heinze  1.  c. 


n. 


TEXT 
UOT)  ÜBERSETZUNG 


VEBori.  Buch  VI,  von  Korden. 


MPR  Sic  fatur  lacrimalis ,  classique  immittit  habenas, 

et  tandem  Euboicis  Cumarum  adlabitur  oris. 
obvertunt  pelago  proras,  tum  dente  tenaci 
ancora  fundabat  navis,  et  litora  curvae 
6  praetexunt  puppes.     iuvenum  manus  emicat  ardens 

litus  in  Hesperium,  quaerit  pars  semina  flammae, 
abstrusa  in  venis  silicis,  pars  densa  ferarum 
tecta  rapit  silvas,  inventaque  flumina  monstrat. 
at  pius  Aeneas  arces  quibus  altus  Apollo 

10  praesidet,  horrendaeque  procul  secreta  Sibyllae 

antrum  immane  petit,  magnam  cui  mentem  animumque 
Delius  inspirat  vates  aperitque  futura. 
iam  subeunt  Triviae  lucos  atque  aurea  tecta. 
Daedalus  ut  fama  est  fugiens  Minoia  regna, 

16  praepetibus  pinnis  ausus  se  credere  caelo, 

insuetum  per  iter  gelidas  enavit  ad  arctos, 
Chalcidicaque  levis  tandem  super  adstitit  arce. 
redditus  bis  primum  terris,  tibi  Phoebe  sacravit 
remigium  alarum,  posuitque  immania  templa. 

20  in  foribus  letum  Androgeo,  tum  pendere  poenas 

Cecropidae  iussi  —  miserum  —  septena  quotannis 
Corpora  natorum,  stat  ductis  sortibus  uma. 
contra  elata  mari,  respondet  Gnosia  tellus: 
bic  crudelis  amor  tauri,  suppostaque  furto 

25  Pasiphae,  mixtum que  genus  prolesque  biformis 


Über  die  Interptmhtion  des  Textes  vergl.  Anhang  II 4. 
1  2  im  Manuskript  Vergils  am  Schluß  von  Buch  F,   von   Varius  hierher 
gestellt        20  Androgeo  Grammatiker sitate,  Androgei  Ess.        23  Cnosia  P 


So  spracli  er  weinend,  ließ  dem  Wind  die  Segel 
Und  lief  das  Ufer  Kymes  endlich  an. 
Sie  drehten  seewärts  ihrer  Schiffe  Schnäbel, 
Verzahnten  sie  im  Meeresgrund  mit  Ankern, 
Daß  Heck  an  Heck  die  Küste  ragend  säumte. 
Die  junge  Mannschaft  sprang  mit  Feuereifer 
Flugs  auf  Hesperiens  Strand;  sie  suchten  Steine, 
Die  im  Geäder  Feuerkeime  bargen, 
Sie  rafften  Reisig  aus  des  Urwalds  Dickicht 
Und  zeigten  Quellen,  die  sie  aufgefunden. 
Jedoch  Aeneas  strebte  frommen  Sinnes 
Zur  Burg,  die  Phoebus  auf  der  Warte  schirmt, 
Und  zur  geheimnisvollen  Riesengrotte 
Der  schauerlichen  Seherin  Sibylla: 
Ihr  hauchte  des  Prophetengeistes  Odem 
Der  Gott  ins  Herz,  daß  sie  die  Zukunft  schaute. 
Schon  barg  der  Hain  der  Hekate  die  Mannen, 
Sie  nahten  sich  Apollos  güldnem  Haus. 


Aus  Minos'  Reich  entfloh'n  —  so  geht  die  Sage 
Vertraute  Daedalus  sich  breiten  Fittigs 
Dem  Athermeer:  so  schwamm  er  wagemutig 
Auf  fremder  Bahn  zum  eis'gen  Himmelspol. 
Auf  Kymes  Warte  schwebt'  er  endlich  nieder 
Und  weihte,  hier  zurückgeschenkt  der  Erden, 
Apollo,  dir  die  leichten  Ruderschwingen 
Und  ließ  ersteh'n  des  Tempels  Riesenbau. 
Auf  dessen  Flügeltoren  bildet'  er 
Androgeos'  Ermordung  und  die  Buße 
Der  Bürger  von  Athen,  jahraus  jahrein 
Ach  sieben  ihrer  Kinder  auszuliefern; 
Die  Losung  ist  vollbracht:  die  Urne  ruht. 
Als  Gegenbild  sah  man  am  andren  Tor 
Das  Eüand  Kreta  aus  den  Fluten  ragen: 
Pasiphae,  die  sich  in  grauser  Brunst 


52  TEXT. 

FMPR    Minotaurus  inest,  Veneris  monimenta  nefandae. 
hie  labor  ille  domus  et  inextricabilis  error: 
magnum  reginae  sed  enim  miseratus  amorem, 
Daedalus  ipse  dolos  tecti  ambagesque  resolvit, 

30  caeca  regens  filo  vestigia.     tu  quoque  magnam 

partem  opere  in  tanto,  sineret  dolor,  Icare  haberes; 
bis  conatus  erat  casus  effingere  in  auro, 
bis  patriae  cecidere  manus.     quin  protinus  omnia 
perlegerent  oculis,  ni  iam  praemissus  Achates 

86  adforet,  atque  una  Phoebi  Triviaeque  sacerdos 

Deiphobe  Glauci,  fatur  quae  talia  regi. 
'non  hoc  ista  sibi  tempus  spectacula  poscit, 
nunc  grege  de  intacto  Septem  mactare  iuvencos 
praestiterit,  totidem  lectas  de  more  bidentis.' 

40  talibus  adfata  Aenean  —  nee  sacra  morantur 

iussa  viri  —  Teucros  vocat  alta  in  templa  sacerdos. 
Excisum  Euboicae  latus  ingens  rupis  in  antrum, 
quo  lati  ducunt  aditus  centum  ostia  centum, 
unde  ruunt  totidem  voces  responsa  Sibyllae. 

46  ventum  erat  ad  limen,  cum  virgo  'poscere  fata 

tempus'  ait,  'deus  ecce  deus'.     cui  talia  fanti 
ante  fores,  subito  non  voltus,  non  color  unus, 
non  comptae  mausere  comae,  sed  pectus  anhelum, 
et  rabie  fera  corda  tument,  maiorque  videri, 

50  nee  mortale  sonans,  adflata  est  numine  quando 

MPR       iam  propiore  dei.     'cessas  in  vota  precesque 

Tros  ait  Aenea  cessas?  neque  enim  ante  dehiscent 
attonitae  magna  ora  domus';  et  talia  fata 


33  omne  B  omnem  die  meisten  Serviushss.  im  Lemma        37  poscunt  M^B, 
poscit  neben  poscunt  Servius        39  ex  für  de  F 


ÜBERSETZUNG.  53 

Heimlich  dem  Stier  gesellte,  schuf  er  hier 

Und  Minotaur,  halb  Mensch-  halb  Tiergebilde, 

Der  sünd'gen  Liebe  zwitterhaftes  Mal. 

Hier  schaute  man  des  Labyrinthes  Maschen, 

Li  die  der  Weg  sich  unentwirrbar  fing; 

Doch  ob  der  großen  Liebe  der  Prinzessin 

Erfaßte  Mitleid  Daedalus:  so  löste 

Er  selbst  des  Baus  verschlung'ne  Rätselgänge 

Und  lenkt'  im  Dunkel  ihren  Schritt  am  Garn. 

Auch  dir  war,  Ikarus,  ein  Ehrenplatz 

In  solchem  Künstlerwerke  zugedacht; 

Der  Schmerz  verbot  es  ihm:  er  hatte  zweimal 

Die  Hand  gerührt,  den  Sturz  in  Gold  zu  büden, 

Zweimal  ließ  sinken  er  die  Vaterhand. 

Die  Troer  hätten  alles  gern  betrachtet 

Der  Reihe  nach,  jedoch  schon  war  Achates 

Zurückgekommen  mit  der  Priesterin 

Apolls  und  Hekates,  Deiphobe, 

Des  Glaukus  Tochter,  die  zum  König  sprach: 

„Nicht  frommt  es  jetzt,  dies  Kunstwerk  zu  betrachten; 

Erkiese  dir  aus  unberührter  Herde 

Je  sieben  Farren  und  volljähr'ge  Lämmer 

Und  bringe  sie  nach  Brauch  als  Opfer  dar." 

Sprach's;  schnell  vollzogen,  dem  Befehl  gehorsam. 

Das  heil'ge  Werk  die  Troer.     Dann  entbot 

Die  Priesterin  sie  iu  den  hohen  Tempel. 


Die  Seite  des  gewalt'gen  Bergs  von  Kyme 
Ist  ausgehauen  tief  zu  einer  Grotte; 
In  sie  hernieder  führen  hundert  Schachte, 
Aus  deren  Schlünden  die  Prophetensprüche 
Sibyllas  aufwärts  roUen  hundertfältig. 
Sie  standen  auf  der  Schwelle  vor  der  Pforte, 
Da  rief  die  Jungfrau:  „Jetzo  gilt's  zu  flehen 
Um  Schicksalsspruch.     Der  Gott!  ha  sieh,  der  Gott!" 
Sie  rollt  die  Augen,         sie  wechselt  die  Farbe, 
Es  flattert  ihr  Haar,         es  keucht  ihre  Brust. 
Im  Wahnsinn  wild         wallet  ihr  Herz. 
Es  wächst  die  Gestalt,         ihr  Rufen  erhallt 
Nicht  irdischen  Klangs:         es  umweht  sie  der  Odem 
Des  nahenden  Gotts.         „Du  säumst  zu  beten, 
Gelübde  zu  bringen,         Trojaner  Aeneas? 
Du  säumest?  Nicht  eher         erschließt  dir  die  Schlünde 
Donnererdröhnend         das  riesige  Haus." 


54  TEXT. 

conticuit.     gelidus  Teucris  per  dura  cucurrit 

55  ossa  tremor,  funditque  preces  rex  pectore  ab  imo. 
Thoebe  gravis  Troiae  semper  miserate  labores, 
Dardana  qui  Paridis  direxti  tela  manusque 
corpus  in  Aeacidae,  magnas  obeuntia  terras 

tot  maria  intravi  duce  te,  penitusque  repostas 
60  Massylum  gentis,  praetentaque  Syrtibus  arva: 

iam  tandem  Italiae  fugientis  prendimus  oras, 
bac  Troiana  tenus  fuerit  fortuna  secuta, 
vos  quoque  Pergameae  iam  fas  est  parcere  genti, 
dique  deaeque  omnes  quibus  obstitit  Ilium  et  ingens 
65  gloria  Dardaniae.     tuque  o  sanctissima  vates 

praescia  venturi,  da  —  non  indebita  posco 
regna  meis  fatis  —  Latio  considere  Teueres, 
errantisque  deos,  agitataque  numina  Troiae. 
tum  Pboebo  et  Triviae  solido  de  marmore  templum 
70  instituam,  festosque  dies  de  nomine  Phoebi. 

te  quoque  magna  manent  regnis  penetralia  nostris, 
bic  ego  namque  tuas  sortes  arcanaque  fata 
dicta  meae  genti  ponam,  lectosque  sacrabo 
alma  viros.     foliis  tantum  ne  carmina  manda, 
75  ne  turbata  volent  rapidis  ludibria  ventis, 

ipsa  canas  oro'.     finem  dedit  ore  loquendi. 

At  Phoebi  nondum  patiens,  immanis  in  antro 
bacchatur  vates,  magnum  si  pectore  possit 
excussisse  deum:  tanto  magis  ille  fatigat 
80  OS  rabidum,  fera  corda  domans,  fingitque  premendo. 

Ostia  iamque  domus  patuere  ingentia  centum 
sponte  sua,  vatisque  ferunt  responsa  per  auras. 
'o  tandem  magnis  pelagi  defuncte  periclis  — 
sed  terrae  graviora  manent  —  in  regna  Lavini 
85  Dardanidae  venient  —  mitte  hanc  de  pectore  curam  - 

sed  non  et  venisse  volent.     bella,  horrida  bella, 
et  Tbybrim  multo  spumantem  sanguine  cerno. 


84  terra  B,  terrae  nehen  terra  Serviu>s        Latini  Variante  bei  Servius 


ÜBERSETZUNG.  55 

Darauf  verstummte  sie.     Ein  eis'ges  Beben 
Durchlief  der  harten  Troer  Mark  und  Bein, 
Und  ein  Grebet  entquoll  der  Brust  des  Königs: 

„Phoebus,  mitleidvoll  hast  stets  du  Troja 

Leiden  seh'n,  hast  Hand  und  Pfeil  des  Paris 

Auf  Achill  gelenkt  und  uns  geleitet 

Durch  der  Ozeane  weite  BaluJen, 

Durch  Nomadenvolk  und  ferne  Wüsten; 

Endlich  haben  wir  Italiens  Küste, 

Die  uns  floh,  erreicht:  o  gib,  daß  endlich 

Trojas  böser  Dämon  von  uns  weiche. 

Gnädig  dürft  auch  ihr  jetzt  unser  schonen, 

Götter,  Götthinen,  die  ihr  den  Troern 

Ihre  hochberühmte  Stadt  geneidet. 

Hehre  Priesterin,  so  laß  in  Gnaden 

Fleh'n  mich  um  das  Reich,  das  mir  verheißen; 

Ruhen  laß  in  Latium  die  Troer, 

Ruhen  auch,  die  in  dem  Meeresbrausen 

Umgetrieben,  Trojas  hehre  Götter. 

Phoebus  und  Dianen  will  ich  stiften 

Dankbar  dann  aus  Marmor  einen  Tempel 

Und  ein  hohes  Fest  auf  Phoebus'  Namen. 

Deiner  harrt  in  meinem  Reiche,  Jungfrau, 

Eine  heil'ge  Klause  für  die  Sprüche, 

Die  du  meinem  Volk  prophetisch  kündest; 

Priester  werd'  ich,  Herrin,  dir  erkiesen. 

Schreibe  nur  auf  Blätter  nicht  die  Sprüche, 

Daß  der  Wind  sie  spielend  nicht  verwirre: 

Künd'  uns  das  Geschick  mit  deinem  Mund." 

Er  schwieg.     Doch  die  Prophetin  in  der  Grotte 

Gab  sich  noch  nicht  dem  mächt' gen  Gotte  hin; 

Sie  tobte  furchtbar,  ob  sie  nicht  vermöchte 

Ihn  abzuschütteln  von  der  Brust:  er  zäumte 

Nur  schärfer  ihr  den  Mund  und  bändigte 

Ihr  wildes  Herz  mit  festem  Zügelgriff. 

Jetzt  endlich  taten  sich  die  hundert  Schlünde 

Des  Riesenbaus  von  selber  auf  und  trugen 

Die  Antwort  der  Prophetin  durch  die  Luft: 

„Der  riefe  gewalt'gen         Gefahren  entrannst  du. 

Doch  wartet  zu  Land         schwereres  Leid. 

Lavinium  harrt         der  Troer  als  Herren,  — 

Deß  härme  dich  nicht  — ;         doch  wünschen  sie  einst, 

Sie  wären  ihm  fem. 

Krieg,  Kriege  voU  Graus         schau'  ich  im  Geist, 


56  TEXT. 

non  Simois  tibi,  nee  Xanthus,  nee  Dorica  eastra 
defueriat,  alius  Latio  iam  partus  Achilles 
90  natus  et  ipse  dea,  nee  Teueris  addita  Inno 

usquam  aberit,  cum  tu  supplex  in  rebus  egenis, 
quas  gentis  Italum  aut  quas  non  oraveris  urbes. 
causa  mali  tanti  eoniunx  iterum  hospita  Teueris, 
extemique  iterum  thalami. 
96  tu  ne  eede  malis,  sed  contra  audentior  ito, 

quam  tua  te  Fortuna  sinet.     via  prima  salutis, 
quod  minime  reris,  Graia  pandetur  ab  urbe'. 

Talibus  ex  adyto  dietis  Cymaea  Sibylla 
horrendas  canit  ambages,  antroque  remugit, 

100  obseuris  vera  involvens,  ea  frena  furenti 

coneutit,  et  stimulos  sub  pectore  vertit  Apollo, 
ut  primum  eessit  furor,  et  rabida  ora  quierunt, 
ineipit  Aeneas  beros.     'non  ulla  laborum 
0  virgo  nova  mi  facies  inopinave  surgit, 

106  omnia  praeeepi  atque  animo  mecum  ante  peregi. 

unum  oro:  quando  hie  infemi  ianua  regis 
dicitur,  et  tenebrosa  palus  Acberonte  refuso, 
ire  ad  eonspeetum  eari  genitoris  et  ora 
eontingat,  doceas  iter,  et  sacra  ostia  pandas. 

110  illum  ego  per  flammas  et  mille  sequentia  tela 

eripui  bis  umeris,  medioque  ex  hoste  recepi; 
ille  meum  eomitatus  iter,  maria  omnia  mecum 
atque  omnis  pelagique  minas  eaelique  ferebat, 
invalidus,  viris  ultra  sortemque  senectae. 

116  quiu  ut  te  supplex  peterem,  et  tua  limina  adirem, 

idem  orans  mandata  dabat.     gnatique  patrisque 
alma  precor  miserere  —  potes  namque  omnia  nee  te 
nequiquam  lueis  Hecate  praefeeit  Avernis  — : 
si  potuit  manis  arcessere  coniugis  Orpheus, 

120  Thraeicia  fretus  cithara  fidibusque  canoris; 

si  fratrem  Pollux  altema  morte  redemit, 
itque  reditque  viam  totiens  —  quid  Thesea  magnum, 
quid  memorem  Aleiden  — :  et  mi  genus  ab  love  summo.' 

96  qua  Seneca  ep.  82,  18  105  percepi  Servius  109  contingam  PB 

113  eaelique  minas  pelagique  M        116  natique  E 


ÜBEESETZUNG.  57 

Wogen  der  Tiber         wallend  von  Blut. 

Dort  findest  du  wieder         die  Flüsse  der  Heimat, 

Simois  und  Xanthus,         heUenische  Heere; 

In  Latium  wartet         deiner  schon  wieder 

Der  Sohn  einer  Göttin,         ein  neuer  Achill. 

Nie  rastet  den  Troern         die  Rache  der  Juno, 

Magst  flehend  du  nahen         in  Fährnis  und  Nöten 

Italiens  Stämmen,         Italiens  Städten. 

Es  bringt  dies  Weh         wieder  ein  Weib, 

Den  Troern  zu  Gaste,         wieder  die  Gattin 

Aus  fremdem  Geblüt. 

Weiche  dem  Leid  nicht,         weise  die  Stirn  ihm 

Fortuna  zum  Hohn:         zum  Pfade  des  Heils 

Hüft  dir  zuerst  —         du  hoffest  es  nicht  — 

Die  hellenische  Stadt." 

So  schollen  aus  dem  Allerheiligsten 

Gar  schauerlich  die  Sprüche  der  Prophetin, 

Wahrheit  in  dunkler  Worte  Flor  gehüllt; 

Ihr  Mund  erdröhnten  mächtig  zog  der  Gott 

Den  Zaum  und  bohrt'  ihr  tief  ias  Herz  den  Sporn. 

Sobald  ihr  Mund  vom  Sturm  des  Wahnsüms  ruhte, 

Hub  Held  Aeneas  so  zu  reden  an: 

„Keine  Leidensbilder,  Jungfrau,     steigen  neu  mir  vor  die  Seele: 

Alles  seh'  im  Geist  ich  kommen,       bin  auf  jegliches  gefaßt. 

Bitten  will  ich  nur  um  eines.       Hier  ist  Plutos  Königspforte 

Und  der  Pfuhl  des  finstren  Stromes,     der  aus  Höllentiefen  brandet: 

Laß  mich  hier  zum  Vater  kommen,     seh'n  ihm  in  die  lieben  Augen, 

Öffne  die  geweihte  Pforte,     sei  des  Weges  Weiserin! 

Hab'  ich  ihn  auf  meinen  Schultern    durch  die  Flammen  doch  getragen, 

Pfeil-  und  speerumsch wirrt  gerettet     mitten  aus  der  Feinde  Reihen; 

Allerwege  mein  Begleiter     überstand  er  Meeres  Tosen 

Und  des  Himmels  grimmes  Dräuen,     er,  ein  altersmüder  Greis. 

Ja,  mit  Bitten  wies  er  selbst  mich,     aufzusuchen  deine  Schwelle, 

Dir  zu  nahen  mit  Gebet. 

Beten  wül  ich  drum:  erbarme     gnädig  mein  dich  und  des  Vaters, 

Hehre,  denn  du  bist  allmächtig:     in  den  Hainen  des  Avemus 

Hat  die  Königin  der  HöUe     dich  zur  Herrin  eingesetzt. 

Wenn  die  Seele  seiner  Gattin     Orpheus  sich  errang  vom  Tode, 

Weil  er  seiner  Melodieen     Zauberkräften  fromm  vertraute. 

Wenn  den  Weg  zum  Licht,  zum  Dunkel     PoUux  Tag  um  Tag  zu 

wandern 
Und  durch  seinen  Tod  dem  Bruder     Leben  einzulösen  wußte  — , 
Herkules,  wozu  ihn  nennen,     nennen  noch  den  großen  Theseus? 
Ist  doch  auch  mein  eigner  Ahne     Jupiter,  der  Herr  der  Welt." 


58  TEXT. 

Talibus  orabat  dictis,  arasque  tenebat^ 

126  cum  sie  orsa  loqui  vates.     'säte  sanguine  divom 

Tros  Anchisiade,  facilis  descensus  Avemi  — 
noctes  atque  dies  patet  atri  ianua  Ditis  — : 
sed  revocare  gradum  superasque  evadere  ad  auras, 
hoc  opus  hie  labor  est.     pauci  quos  aequus  amavit 

130  luppiter,  aut  ardens  evexit  ad  aethera  virtus, 

dis  geniti  potuere:  tenent  media  omnia  silvae, 
Cocytusque  sinu  labens  circumvenit  atro. 
quod  si  tantus  amor  menti,  si  tanta  cupido, 
bis  Stygios  innare  lacus,  bis  nigra  videre 

136  Tartara,  et  insano  iuvat  indulgere  labori, 

accipe  quae  peragenda  prius.     latet  arbore  opaca 
aureus  et  foliis  et  lento  vimine  ramus, 
lunoni  infemae  dictus  sacer,  hunc  tegit  omnis 
lucus  et  obscuris  claudunt  convallibus  umbrae. 

140  sed  non  ante  datur  telluris  operta  subire, 

auricomos  quam  qui  decerpserit  arbore  fetus. 
hoc  sibi  pulchra  suum  ferri  Proserpina  munus 
instituit:  primo  avolso,  non  deficit  alter 
aureus,  et  simili  frondescit  virga  metallo. 

146  ergo  alte  vestiga  oculis,  et  rite  repertum 

carpe  manu;  namque  ipse  volens  facilisque  sequetur, 
si  te  fata  vocant;  aliter  non  viribus  uUis 
vincere,  nee  duro  poteris  convellere  ferro, 
praeterea  iacet  exanimum  tibi  corpus  amici  — 

160  heu  nescis  —  totamque  incestat  funere  classem, 

dum  eonsulta  petis,  nostroque  in  limine  pendes: 
sedibus  hunc  refer  ante  suis,  et  conde  sepulcro. 
duc  nigras  peeudes,  ea  prima  piacula  sunto. 
sie  demum  lucos  Stygis  et  regna  invia  vivis 
155         aspicies.'     dixit,  pressoque  obmutuit  ore. 
Aeneas  maesto  defixus  lumina  voltu 
ingreditur,  linquens  antrum,  caecosque  volutat 
eventus  animo  secum;  cui  fidus  Achates 


126  Anchisiada  M^  Averno  MP^,  Avemi  neben  Averno  Servius  est 
nach  Averno  Jf*  132  Cocytos  M  133  cupido  est  M^B  141  quis  PB 
144  similis  M 


ÜBERSETZUNG.  59 

So  betet'  er,  die  Hand  auf  dem  Altare; 
Darauf  hub  also  an  die  Seherin: 

„Edler  Sproß  von  Trojas  Ahnen,     Fürst  aus  göttlichem  Geblüte: 
Leicht  und  mühlos  ist's,  zu  steigen     abwärts  in  der  Hölle  Tiefen, 
Denn  die  finstre  Grabespforte     stehet  offen  Tag  und  Nächte; 
Doch  die  Wiederkehr  nach  oben,     an  des  Himmels  lichte  Lüfte 
Führt  auf  leidensschwerer  Bahn. 

Nur  die  wen'gen  Auserwählten,     die  der  Himmelsvater  liebte, 
Göttersöhne,  die  ihr  Adel     flammend  trug  zu  den  Gestirnen, 
Konnten  solche  Tat  vollbringen:     Wälder  wehren  undurchdringlich. 
Und  in  schwarzen  Wirbeln  windet     sich   der  Tränenstrom  vorbei. 
Sehnst  du  dich  jedoch  so  brünstig,     LeidensfüUe  zu  bestehen. 
Zweimal  auf  dem  Styx  zu  fahren,     zweimal  Höllennacht  zu  schauen: 
Höre  denn,  was  zu  vollbringen     dir  zuvor  befohlen  ist. 
An  einem  schattigen  Baume     ein  Zweig  verborgen  blüht. 
Die  schwanke  Gerte  gülden,     gülden  sein  Laub  erglüht. 
Der  Königiu  der  Tiefen     ist  heilig  er  und  geweiht, 
Verschlossen  im  Tale  deckt  ihn     Waldesdunkelheit. 
Doch  wer  den  Zweig  nicht  pflückte,     der  goldigen  Laubes  sprießt, 
Deß  Augen  der  Erden  Dunkel     nimmer  sich  erschließt. 
Proserpina  die  vielschöne     hat  so  es  eingeführt. 
Daß  er  als  Ehrengabe     zu  eigen  ihr  gebührt. 
Und  ist  ein  Zweig  gebrochen,     dann  säumt  das  Sprossen  nicht: 
In  gleichem  Schimmer  knospend     herfür  ein  zweiter  bricht. 
Drum  spähe  tief  ins  Dunkel;     wenn  recht  du  fandest  ihn. 
So  pflück'  ihn  ab  vom  Baume :     leicht  läßt  er  und  willig  sich  zieh'n, 
Bist  du  vom  Schicksal  berufen;     sonst  keine  Ejaft  ihn  zwingt. 
Auch  nicht  mit  hartem  Eisen     ihn  loszureißen  gelingt. 
Femer  liegt  dir  unbegraben  —     weh,  nicht  weißt  du's  —  ein  Genosse: 
Fluch  bringt  das  der  ganzen  Flotte,     während  du  dir  Rat  erholest. 
Säumend  weüst  an  meiner  Schwelle.     Gib  ihm  seine  Ruhestätte, 
Daß  ihm  werde  Grabesfrieden;     bringe  darauf  schwarze  Tiere 
Am  Altare  dar  als  Sühne:     schauen  magst  du  dann  die  Reiche, 
Die  den  Lebenden  verschlossen,     schauen  dann  den  Hain  der  Nacht." 
So  sprach  die  Priesterin,  dann  schwieg  ihr  Mund. 


Aeneas  schritt  aus  ihrer  Grotte;  trauernd 
Hielt  auf  den  Boden  er  den  Blick  gesenkt, 
Erwog  im  Sinn  des  Schicksals  dunkles  Walten. 
Achates  ging  bedächtig  ihm  zur  Seite 
Und  teilte  treuen  Herzens  seine  Sorgen. 
Sie  sannen  hin  und  her  im  Zwiegespräch, 
Wer  von  den  Freunden  tot  und  zu  bestatten 
Nach  dem  Orakelwort  der  Priesterin. 


60  TEXT. 

it  comes,  et  paribus  curis  vestigia  figit; 

160  multa  inter  sese  vario  sermone  serebant, 

quem  socium  exanimem  vates,  quod  corpus  humandum 
diceret.     atque  illi  Misenum  in  litore  sicco 
ut  venere  vident,  indigna  morte  peremptum, 
Misenum  Aeoliden,  quo  non  praestantior  alter 

165  aere  eiere  viros,  Hartem que  accendere  cantu. 

Hectoris  hie  magni  fuerat  comes,  Hectora  circum 
et  lituo  pugnas  insignis  obibat  et  hasta. 
postquam  illum  vita  victor  spoliavit  Achilles, 
Dardanio  Aeneae  sese  fortissimus  heros 

170  addiderat  socium,  non  inferiora  secutus. 

sed  tum  forte  cava  dum  personat  aequora  concha  — 
demens  —  et  cantu  vocat  in  certamina  divos, 
aemulus  exceptum  Triton  —  si  credere  dignum  est  — 
inter  saxa  virum  spumosa  immerserat  unda. 

176  ergo  omnes  magno  circum  clamore  fremebant, 

praecipue  pius  Aeneas.     tum  iussa  Sibyllae 
haud  mora  festinant  flentes,  aramque  sepulcri 
congerere  arboribus,  caeloque  educere  certant. 
itur  in  antiquam  silvam,  stabula  alta  ferarum; 

180  procumbunt  piceae,  sonat  icta  securibus  ilex, 

fraxineaeque  trabes,  cuneis  et  fissile  robur 
scinditur,  advolvont  ingentis  montibus  ornos. 
nee  non  Aeneas  opera  inter  talia  primus 
hortatur  socios,  paribusque  aceingitur  armis. 

185  atque  haee  ipse  suo  tristi  cum  corde  volutat, 

aspeetans  silvam  immensam,  et  sie  forte  preeatur. 
'si  nunc  se  nobis  ille  aureus  arbore  ramus 
ostendat  nemore  in  tanto,  quando  omnia  vere  — 
heu  nimium  —  de  te  vates  Misene  locuta  est.' 

190  vix  ea  fatus  erat,  geminae  cum  forte  columbae 

ipsa  sub  ora  viri  caelo  venere  volantes, 
et  viridi  sedere  solo;  tum  maximus  heros 
matemas  agnovit  aves,  laetusque  preeatur. 
'este  duees,  o  si  qua  via  est,  eursumque  per  auras 

161  exanimum  PR      177  sepulchro  P      186  voce  preeatur  B      193  agno- 
scit  PB 


ÜBERSETZUNG.  61 

Da  sahen  sie  am  Strand  Misenus  liegen, 

Der  keines  ehrenvollen  Tods  gestorben, 

Den  wackren  Sohn  des  Aeolus.     Kein  Zweiter 

Verstand's  wie  er  mit  der  Drommete  Schmettern 

Zum  heißen  Strauß  die  Mannen  zu  entbieten. 

Er  war  zuvor  Trabant  des  edlen  Hektor, 

Mit  Hektor  war  er  in  den  Kampf  gestürmt: 

Man  kannt'  ihn  an  dem  Speer,  der  Kriegstrompete. 

Als  jenen  dann  Achill,  der  Held,  getötet. 

Gab  der  vieltapfre  Kämpe  sich  Aeneas 

Zum  Kampfgesellen,  keinem  schlecht'ren  Herrn. 

Doch  weil  zum  Wettkampf  Grötter  er  entboten, 

Der  Tor,  und  weithin  übers  Meer  geblasen 

Auf  einer  hohlen  Muschel,  hatte  Triton  — 

So  geht  die  Sage  —  neidisch  ihn  gepackt 

Und  zwischen  Klippen  in  dem  Gischt  versenkt. 

Um  ihn  erhüben  aUe  laute  Klagen, 

Voran  Aeneas,  treugesinnt  dem  Freund. 

Sie  eilten  weinend  dann,  das  Flammengrab 

Zu  rüsten,  wie  geheißen  die  Sibylle, 

Aus  Scheitern  himmelwärts  es  aufzutürmen. 

Sie  schritten  in  den  Urwald,  wilder  Tiere 

Hochragende  Behausung;  dröhnend  stürzten 

Beim  Schlag  der  Äxte  Kiefern,  Eichen,  Eschen, 

Mit  Keilen  ward  das  harte  Holz  gespalten. 

Und  Rieseneschen  roUten  sie  vom  Berge. 

Aeneas,  auch  bei  solchem  Werk  der  erste. 

Griff  selbst  mit  zu  und  trieb  die  Mannen  an. 

Als  auf  des  Waldes  Tiefen  fiel  sein  Blick, 

Kam  ihm  ein  Wunsch  im  kummervollen  Herzen, 

Und  unwillkürlich  sprach  er  dies  Gebet: 

„0  wenn  sich  jetzt  der  goldne  Zweig  mir  zeigte 

Im  dichten  Wald!    Hat  ach  doch  nur  zu  wahr 

Von  dir,  Misen,  die  Seherin  geredet!" 

Kaum  hatt'  er  dieses  Wort  gesprochen,  siehe. 

Da  kam  vom  Himmel  her  ein  Taubenpaar 

Ihm  grade  zu  Gesicht;  das  setzte  sich 

Auf  grünem  Grunde.     Froh  erkannt'  Aeneas 

Der  Mutter  Vögel  und  er  betete: 

„0  gibt  es  einen  Weg,  seid  ihr  die  Führer 

Und  lenkt  die  Flügel  zu  des  Haines  Grunde, 

Den  segensreich  der  gold'ne  Zweig  beschattet. 

Und  du,  —  versage  deinem  Sohne  nicht, 

Mutter  im  Himmel,  Beistand  in  der  Not!" 

Dann  blieb  er  steh'n  und  prüfte,  was  für  Zeichen 


62  TEXT. 

196  derigite  in  lucos,  ubi  pinguem  dives  opacat 

ramus  humum,     tuque  o  dubiis  ne  defice  rebus 
diva  parens'.     sie  effatus,  vestigia  pressit, 
observans  quae  signa  ferant,  quo  tendere  pergant: 
pascentes  illae  tantum  prodire  volando, 

200  quantum  acie  possent  oculi  servare  sequentum. 

inde  ubi  venere  ad  fauces  graveolentis  Avemi, 
tollunt  se  celeres,  liquidumque  per  aera  lapsae, 
sedibus  optatis,  gemina  super  arbore  sidunt, 
discolor  unde  auri  per  ramos  aura  refulsit. 

206  quäle  solet  silvis  brumali  frigore  viscum 

fronde  virere  nova,  quod  non  sua  seminat  arbos, 
et  croceo  fetu  teretis  circumdare  truncos: 
talis  erat  species  auri  frondentis  opaca 
ilice,  sie  leni  erepitabat  brattea  vento; 

210  corripit  Aeneas  extemplo,  avidusque  refringit 

cunctantem,  et  vatis  portat  sub  teeta  Sibyllae. 
Nee  minus  tnterea  Misenum  in  litore  Teucri 
flebant,  et  cineri  ingrato  suprema  ferebant. 
prineipio  pinguem  taedis  et  robore  secto 

216  ingentem  struxere  pyram,  cui  frondibus  atris 

intexunt  latera,  et  feralis  ante  cupressos 
eonstituunt,  decorantque  super  fulgentibus  armis. 
pars  calidos  latices  et  aena  undantia  flammis 

FMPR    expediunt,  corpusque  lavant  frigentis  et  ungunt. 

220  fit  gemitus.     tum  membra  toro  defleta  reponunt, 

purpureasque  super  vestes,  velamina  nota, 
coniciunt;  pars  ingenti  subiere  feretro, 
triste  ministerium,  et  subieetam  more  parentum 
aversi  tenuere  facem;  congesta  eremantur 

225  turea  dona,  dapes,  fuso  crateres  olivo. 

postquam  conlapsi  cineres,  et  flamma  quievit, 
reliquias  vino  et  bibulam  lavere  favillam, 
ossaque  leeta  eado  texit  Corynaeus  aeno. 
idem  ter  socios  pura  cireumtulit  unda, 

230  spargens  rore  levi  et  ramo  felicis  olivae, 

203  geminae  R 


ÜBERSETZUNG.  63 

Die  Vögel  gäben  und  wohin  sie  flögen. 

Sich  atzend  flogen  sie  nur  so  weit  vor, 

Daß  er  beim  Folgen  stets  sie  schauen  konnte. 

An  des  Avemus  dunsterfülltem  Schlünde 

Erhoben  sie  sich  leichtbeschwingt  vom  Boden 

Und  schwebten  durch  des  Äthers  reine  Lüfte 

Zu  dem  erkor'nen  Platz,  wo  sie  sich  setzten. 

Mit  doppelfarbenem  Laube       ein  Baum  im  Walde  steht, 
Durch  seine  grünen  Blätter       güldenes  Flimmern  weht. 
Es  schmückt  sich  in  den  Wäldern       bei  Mittwinters  Frost 
Mit  frischem  Grün  die  Mistel,       aus  fremdem  Samen  entsproßt, 
Umschlingt  die  zarten  Stämme       mit   safranfarbigem  Flaum: 
So  blüht'  am  goldgelaubten       dunkelen  Eichenbaum 
Der  Zweig,  es  knisterten  linde       mit  dem  Metall  die  Winde. 

Begierig  griff  Aeneas  nach  dem  Zweige, 

Der  leise  nur  sich  sträubte,  brach  ihn  los 

Und  trug  ihn  zur  Behausung  der  Sibylle. 


Am  Strand  bejammerten  derweil  die  Troer 
Misenus  und  erwiesen  seiner  Asche 
Die  undankbaren  letzten  Ehrenspenden. 
Sie  richteten  zunächst  aus  fettem  Kiene 
Und  Kernholz  riesenhoch  den  Scheiterhaufen; 
Seitwärts  ward  er  mit  dunklem  Laub  verkleidet, 
Cypressen  standen  vom,  die  Totenbäume, 
Und  blanke  Waffenstücke  krönten  ihn. 
Dann  machten  warmes  Wasser  sie  bereit 
Auf  Kesseln,  die  in  Flammenlohe  wallten. 
Zum  Bad  der  eis'gen  Leiche,  salbten  sie 
Und  legten  unter  lauten  Klagerufen 
Den  Körper  nieder  auf  den  Katafalk, 
In  seine  Purpurkleider  eingehüllt. 
Die  einst  ihm  lieb  im  Leben.     And're  hüben  — 
Ein  trauervoller  Dienst  —  die  große  Bahre 
Und  hielten  nach  dem  alten  Brauch  der  Väter 
Die  Fackel  abgekehrten  Blicks  ans  Holz. 
Aufflammten  da  die  Graben  hochgeschichtet,. 
Weihrauch  und  Opferspeisen,  Ol  und  Krüge. 
Die  Glut  verglomm,  es  senkte  sich  die  Asche: 
Da  netzten  sie  mit  Wein  den  durst'gen  Staub, 
Und  Corynaeus  barg  in  eh'mer  Urne 
Die  aufgelesenen  Gebeine;  dreimal 
Umwandelt  er  mit  reinem  Naß  die  Freunde, 
Besprengte  weihend  sie  mit  Tropfen  Taus 


64  TEXT. 

lustravitque  viros,  dixitque  novissima  verba. 
at  pius  Aeneas  ingenti  mole  sepulcrum 
imponit,  suaque  arma  viro,  remumque  tubamque, 
monte  sub  aerio,  qui  nunc  Misenus  ab  illo 

235  dicitur,  aetemumque  tenet  per  saecula  nomen. 

His  actis,  propere  exequitur  praeeepta  Sibyllae. 
spelunca  alta  fuit,  vastoque  immanis  hiatu, 
scrupea,  tuta  lacu  nigro  nemorumque  tenebris: 
quam  super  haud  ullae  poterant  impune  volantes 

240  tendere  iter  pinnis:  talis  sese  halitus  atris 

faucibus  effundens,  super  ad  convexa  ferebat. 

R  [unde  locum  Graii  dixerunt  nomine  Aomon.] 

FMPR     quattuor  hie  primum  nigrantis  terga  iuvencos 
constituit,  frontique  invergit  Tina  sacerdos, 

245  et  summas  carpens  media  inter  comua  saetas, 

ignibus  inponit  sacris  libamina  prima, 
voce  vocans  Hecaten  caeloque  Ereboque  potentem, 
supponunt  alii  cultros,  tepidumque  cruorem 
succipiunt  pateris ;  ipse  atri  velleris  agnam 

260  Aeneas  matri  Eumenidum  magnaeque  sorori 

ense  ferit,  sterilemque  tibi  Proserpina  vaccam; 
tum  Stygio  regi  nocturnas  incohat  aras, 
et  solida  imponit  taurorum  viscera  flammis, 
pingue  super  oleum  infundens  ardentibus  extis. 

266  ecce  autem  primi  sub  limina  solis  et  ortus, 

sub  pedibus  mugire  solum,  et  iuga  coepta  moveri 
silvarum,  visaeque  canes  ululare  per  umbram, 
adventante  dea.     'procul  o  procul  este  profani' 
conclamat  vates,  'totoque  absistite  luco; 

260  tuque  invade  viam,  vaginaque  eripe  ferrum; 

nunc  animis  opus  Aenea,  nunc  pectore  firmo.' 
tantum  effata,  furens  antro  se  immisit  aperto, 
ille  ducem  haud  timidis  vadentem  passibus  aequat. 


241   supera  FM^P^  254  superque  die  alten  Hss.,  super  korrigiert  in 

jungen        fundens  FPB        255  lumina  PR 


ÜBERSETZUNG.  65 

Von  des  Olivenzweigs  gefeitem  Wedel, 
Entsühnte  sie  und  sprach  „es  ist  vollbracht." 
Aeneas  türmte  seinem  Freund  zu  Ehren 
Ein  riesenhohes  Hügelgrab  und  barg 
Ihm  seine  Waffen,  Ruder  und  Trompete 
Tief  in  dem  luft'gen  Berge,  der  nach  ihm 
Misenus  heißt  und  ewig  wahrt  den  Namen. 


Hierauf  voUzog  er  schnell  Sibyllas  Yorschrift. 
Es  war  dort  eine  Höhle,  wild  zerklüftet. 
Aus  weitem  Rachen  gähnend,  eng  umschlossen 
Vom  schwarzen  See  und  Waldesfinstemis. 
Aus  ihren  düstem  Schlüften  stieg  ein  Brodem 
Empor  zu  Himmelshöhen:  weh  dem  Vogel, 
Der  über  ihn  die  Schwingen  streifen  ließ. 
Vier  schwarze  Stiere  führte  her  der  Priester, 
Er  neigt'  auf  ihre  Stirn  den  Kelch  mit  Wein, 
Zog  aus  dem  Scheitel  ihrer  Haare  Spitzen, 
Die  er  aufs  Feuer  legt'  als  erste  Spenden, 
Und  rief  mit  lauter  Stimme  Hekate, 
Des  Himmels  und  der  HöUe  mächt'ge  Herrin. 
Von  unten  setzten  andre  Messer  an 
Und  fingen  warm  das  Blut  in  Schalen  auf. 
Aeneas  selber  schlug  mit  Schwertes  Schneide 
Ein  schwarzes  Lamm  zum  Opfer  für  die  Nacht, 
Der  Eumeniden  Mutter,  und  die  Erde, 
Der  Nacht  gewalt'ge  Schwester;  eine  Kuh, 
Die  niemals  warf,  für  dich,  Proserpina. 
Um  Mittemacht  errichtet'  er  dem  König 
Des  Dunkels  eiuen  Brandaltar;  er  legte 
Der  Stiere  ganzes  Fleisch  und  Fett  aufs  Feuer 
Und  ließ  die  Eingeweide  glüh'n  in  Öl. 

Es  nahet  die  Sonne     den  Toren  des  Lichts: 
Da  brüllt  der  Boden,     da  grollt  der  Grund; 
Zu  beben  beginnt     auf  den  Bergen  der  Wald; 
Durch  Schatten  erhallt     Hundegeheul: 
Die  Göttin  erscheint.       Die  Priesterin  ruft: 
„Hebe  dich  fort,     unheiliges  Volk, 
Räume  den  Haia!       Aeneas  heran. 
Wohlan  auf  den  Weg,     aus  der  Scheide  das  Schwert, 
Mit  mannhaftem  Mut     härte  das  Herz!" 
Sprach's,  stürmte  rasend  in  die  offne  Höhle; 
Furchtlos  blieb  er  der  Führerin  zur  Seite. 


Vbboil  Buch  vi,  von  Norden. 


66  TEXT. 

Di  quibus  imperium  est  animarum,  umbraeque  silentes, 

265  et  Chaos  et  Phlegethon,  loca  nocte  tacentia  late: 

sit  mihi  fas  audita  loqui,  sit  numine  vestro 
pandere  res  alta  terra  et  caligine  mersas. 

Ibant  obscuri  sola  sub  nocte  per  umbram, 
perque  domos  Ditis  vacuas,  et  inania  regna^ 

270  quäle  per  incertam  lunam  sub  luce  maligna 

est  iter  in  silvis,  ubi  caelum  condidit  umbra 
luppiter^  et  rebus  nox  abstulit  atra  colorem. 

MPR       vestibulum  ante  ipsum,  primisque  in  faucibus  Orci 
Luctus  et  ultrices  posuere  cubilia  Curae, 

276  paUentesque  habitant  Morbi,  tristisque  Senectus, 

et  Metus,  et  malesuada  Fames,  ac  turpis  Egestas  — 
terribiles  visu  formae  —  Letumque  Labosque, 
tum  consanguineus  Leti  Sopor,  et  mala  mentis 
Gaudia,  mortiferumque  adverso  in  limine  Bellum, 

280  ferreique  Eumenidum  thalami,  et  Discordia  demens, 

vipereum  crinem  vittis  innexa  cruentis. 
in  medio  ramos  annosaque  bracchia  pandit 
ulmus  opaca  ingens,  quam  sedem  Somnia  volgo 
vana  teuere  ferunt,  foliisque  sub  omnibus  haerent. 

286  multaque  praeterea  variarum  monstra  ferarum 

Centauri  in  foribus  stabulant,  Scyllaeque  biformes, 
et  centumgeminus  Briareus,  ac  belua  Lemae 
horrendum  stridens,  flammisque  armata  Chimaera, 
Grorgones  Harpyiaeque  et  forma  tricorporis  umbrae. 

290  corripit  hie  subita  trepidus  formidine  ferrum 

Aeneas,  strictamque  aciem  venientibus  offert; 
et  ni  docta  comes  tenuis  sine  corpore  vitas 
admoneat  volitare,  cava  sub  imagine  formae, 
inruat,  et  frustra  ferro  diverberet  umbras. 


267  alias  M^       270  incertum  F^,  inceptam  Variante  hei  Servius       273  pri- 
mis  in  P 


ÜBEESETZÜNG.  67 

Gotter,  die  ihr  gebeut  im  Reich  der  Toten; 
Ihr  stillen  Schatten;  Urwelt,  Flammenströme; 
Du  grenzenloser  Raum  des  ew'gen  Schweigens: 
Laßt  gnädig  offenbaren  mich  die  Kunde, 
Was  Erde  birgt  im  düstren  Grabesschoß. 


Sie  schritten  in  der  Einsamkeit  der  Nacht 
Durch  Plutos  ödes  hohles  Königreich: 
Wie  in  den  Wäldern  wohl  der  Wandrer  wallet 
Beim  fahlen  Dämmerschein  des  kargen  Mondes, 
Wenn  Gott  das  Firmament  mit  Schatten  deckt. 
Die  Welt  sich  farblos  hüllt  in  nächt'gen  Flor. 
Im  Vorhof,  noch  im  Höllenschlunde,  lagern 
Die  Trauer,  des  Gewissens  Folterqualen, 
Und  bleiche  Krankheit,  finst'res  Greisenalter, 
Furcht,  Hunger,  der  zu  bösen  Taten  rät. 
Häßlicher  Mangel  —  grause  Schreckgespenster  - 
Und  Not  und  Tod,  und,  diesem  anverwandt, 
Schlaftrunkenheit  und  arge  Sinnenlust; 
Am  Tore  lauert  Krieg,  des  Todes  Scherge, 
Die  Furien  in  ihren  eh'men  Kammern, 
Wahnsinn'ge  Zwietracht,  der  das  Vipemhaar 
Durchflochten  ist  mit  blutgetränkten  Binden. 
Inmitten  dann  des  Vorhofs  selber  breitet 
Weithin  beschattend  eine  Riesenulme 
Die  Arme  von  der  Jahre  Last  beschwert. 
Dort,  heißt  es,  haben  tief  im  Blätterwerk 
Die  falschen  Träume  scharweis  ihren  Horst. 
Viel  Ungeheuer  hausen  an  der  Pforte: 
Der  Skyllen  und  Kentauren  Zwitterleiber, 
Briareus  hundertarmig,  und  der  Lindwurm 
Des  tiefen  Pfahls,  der  schrecklich  fauchende, 
Chimaera  brandgewappnet,  die  Gorgonen, 
Harpyien  und  des  Riesen  Drillingskörper. 
Da  griff,  von  jähem  Graus  gepackt,  Aeneas 
Zu  seinem  Schwerte,  zückte,  da  sie  nahten. 
Des  Eisens  Schneide  wider  die  Gespenster; 
Und  hätt'  ihn  die  Sibylle  nicht  belehrt, 
Daß  es  nur  schemenhafte  Wesen  seien, 
Die  ihn  Phantomen  gleich  umflatterten. 
So  war'  er  auf  sie  losgestürmt,  zu  spalten 
Die  Schatten  mit  dem  Stahl  —  vergeblich  Tun. 


68  TEXT. 

296  Hinc  via  Tartarei  quae  fert  Acherontis  ad  undas; 

turbidus  hie  caeno  vastaque  voragine  gurges 
aestuat,  atque  omnem  Cocyto  eructat  arenam. 
portitor  has  horrendus  aquas  et  flumina  servat 
terribiK  squalore  Charon^  cui  plurima  mento 

300  canities  inculta  iacet,  stant  lumina  flamma, 

sordidus  ex  umeris  nodo  dependet  amictus. 
ipse  ratem  conto  subigit,  velisque  ministrat,    .  , 
et  ferruginea  subvectat  Corpora  cumba;« 
iam  senior,  sed  cruda  deo  viridisque  senectus. 

305  huc  omnis  turba  ad  ripas  effusa  ruebat: 

matres  atque  viri,  defunctaque  Corpora  vita 
magnanimum  heroum,  pueri  innuptaeque  puellae, 
impositique  rogis  iuvenes  ante  ora  parentum; 
quam  multa  in  silvis  autumni  frigore  primo 

310  lapsa  cadunt  folia,  aut  ad  terram  gurgite  ab  alto 

quam  multae  glomerantur  aves,  ubi  frigidus  annus 
trans  pontum  fugat,  et  terris  inmittit  apricis. 
stabant  orantes,  primi  transmittere  cursum, 
tendebantque  manus  ripae  ulterioris  amore: 

315  navita  sed  tristis  nunc  hos  nunc  accipit  illos, 

ast  alios  longe  summotos  arcet  harena. 
Aeneas  miratus  enim  motusque  tumultu, 
'die  ait  o  virgo,  quid  volt  coneursus  ad  amnem, 
quidve  petunt  animae,  vel  quo  discrimine  ripas 

320  hae  linquunt,  illae  remis  vada  livida  verrunt?' 

olli  sie  breviter  fata  est  longaeva  sacerdos. 
'Anchisa  generate,  deum  certissima  proles, 
Coeyti  stagna  alta  vides  Stygiamque  paludem, 
di  cuius  iurare  timent  et  fallere  numen. 

325  haee  omnis  quam  cernis,  inops  inhumataque  turba  est, 

portitor  ille  Charon;  hi  quos  vehit  unda,  sepulti. 
nee  ripas  datur  horrendas  et  rauea  fluenta 
transportare  prius,  quam  sedibus  ossa  quierunt: 
centum  errant  annos  volitantque  haee  litora  circum, 

380  tum  demum  admissi,  stagna  exoptata  revisunt.' 

300  flamiJÄae  M^P^B,  flamma  zitiert  Servius  z.  I  646 


ÜBERSETZUNG.  69 

Hier  geht's  zum  Acheron,  dem  Höllenstrom. 
Der  brandet  schlammgetrübt  in  wüden  Wirbeln 
Und  speit  in  den  Cocyt  all  seinen  Sand. 
Der  grasse  Fährmann  hütet  diese  Wasser, 
Charon  von  Schmutze  starrend;  auf  dem  Kinn 
Liegt  ungepflegt  des  grauen  Bartes  Fülle, 
Stier  flammen  ihm  die  Augen,  garstig  hangt 
Ein  Überwurf  geknotet  von  der  Schulter. 
Er  zwängt  das  dunkle  Boot  mit  einer  Stange 
Stromaufwärts  und  bedienet  es  mit  Segeln; 
So  fährt  ins  Jenseits  er  die  Schar:  ein  Greis, 
Doch  jugendfrisch  ist  auch  als  Greis  ein  Gott. 
Ans  Ufer  drängten  sich  zuhauf  die  Seelen: 
Mütter  und  Gatten;  hochgemute  Helden, 
Die  nun  des  Lebens  ledig;  Kinder,  Bräute, 
Jünglinge,  die  vor  ihrer  Eltern  Augen 
Gebettet  waren  in  das  Flammengrab: 
So  viele  Blätter  von  den  Bäumen  rauschen 
Im  Walde  bei  des  Herbstes  erstem  Frost, 
Und  so  viel  Vögel  sich  vom  Meer  des  Nordes 
Am  Strande  scharen,  wenn  die  Winterkälte 
Sie  fern  in  sonnenwarme  Lande  scheucht. 
Sie  standen  da  und  flehten:  alle  möchten 
Zuerst  hinüberfahren  in  das  Jenseits 
Und  streckten  sehnsuchtsvoll  die  Arme  hin. 
Jedoch  der  finstre  Ferge  ließ  nicht  jeden 
Zum  Kahne:  manchem  wehrt  er  und  verwies 
Ihn  ferne  von  dem  sand'gen  Uferrand. 
Aeneas,  gar  verwundert  und  bewegt 
Ob  dem  Tumulte,  frag  die  Seherin: 
„Sprich,  Jungfrau,  was  bedeutet  das  Gedränge 
Am  Flusse  dort?  was  ist  der  Wunsch  der  Seelen? 
Weshalb  der  Unterschied,  daß  hüben  diese 
Das  Ufer  meiden  müssen,  jene  drüben 
Die  dunklen  Fluten  mit  den  Rudern  furchen?" 
Kurz  gab  Bescheid  die  greise  Priesterin: 
„Anchises'  Sohn,  du  echter  Sproß  der  Götter: 
Du  schaust  den  Sumpf  des  Tränenstromes,  dorten 
Den  Höhlenpfuhl,  bei  dessen  Majestät 
Meinschwur  zu  leisten  Götter  selbst  erbeben. 
Dies  ist  die  Schar,  die  keiner  barg  im  Grabe, 
Der  Ferge  dort  ist  Charon;  die  er  fährt. 
Sind  die  Begrab'nen:  denn  vom  grausen  Ufer 
Darf  er  durch  Stromesbrausen  keine  fahren. 
Eh'  ihr  Gebein  in  Grabesfrieden  ruht: 


70  TEXT. 

constitit  Anchisa  satus,  et  vestigia  pressit, 

multa  putans,  sortemque  animi  miseratus  iniquam. 

Cemit  ibi  maestos  et  mortis  honore  carentis, 
Leucaspim  et  Lyciae  ductorem  classis  Oronten, 

335  quos  simul  ab  Troia  ventosa  per  aequora  vectos, 

obruit  auster  aqua  involvens  navemque  virosque. 
ecce  gubemator  sese  Palinurus  agebat^ 
qui  Libyco  nuper  cursu  dum  sidera  servat, 
exciderat  puppi,  mediis  eflftisus  in  undis. 

340  hunc  ubi  vix  multa  maestum  cognovit  in  umbra, 

sie  prior  adloquitur.     *quis  te  Palinure  deorum 
eripuit  nobis,  medioque  sub  aequore  mersit? 
die  age.     namque  mihi,  fallax  haud  ante  repertus, 
hoc  uno  responso  animum  delusit  Apollo, 

346  qui  fore  te  ponto  incolumem,  finisque  eanebat 

venturum  Ausonios.     en  haee  promissa  fides  est.' 
ille  autem  'neque  te  Phoebi  cortina  fefellit, 
dux  Anehisiade,  nee  me  deus  aequore  mersit. 
namque  gubemaclum  multa  vi  forte  revolsum, 

860  cui  datus  haerebam  custos  eursusque  regebam, 

praeeipitans  traxi  mecum.     maria  aspera  iuro 
non  ullum  pro  me  tantum  eepisse  timorem, 
quam  tua  ne  spoliata  armis,  excussa  magistro, 
defieeret  tantis  navis  surgentibus  undis. 

366  tris  notus  hibemas  immensa  per  aequora  noctes 

vexit  me  violentus  aqua,  vix  lumine  quarto 
prospexi  Italiam,  summa  sublimis  ab  unda. 
paulatim  adnabam,  terrae  iam  tuta  tenebam, 
ni  gens  erudelis  madida  cum  veste  gravatum, 

360  prensantemque  uncis  manibus  capita  aspera  montis, 

ferro  invasisset  praedamque  ignara  putasset. 
nunc  me  fluetus  habet,  versantque  in  litore  venti. 
quod  te  per  caeli  iucundum  lumen  et  auras, 
per  genitorem  oro,  per  spes  surgentis  luli, 

366  eripe  me  his  invicte  malis;  aut  tu  mihi  terram 

ioiee  —  namque  potes  —  portusque  require  Velinos ; 
aut  tu  si  qua  via  est,  si  quam  tibi  diva  ereatrix 

332  animo  PB,  aniin|miseratus  M^        334  Orontem  MB        335  a  MP^B 


ÜBERSETZUNG.  71 

Sie  flattern  unstät,  irren  hundert  Jahre 
Hier  um  das  Ufer,  dann  erst  dürfen  sie 
Die  Fluten  ihrer  Sehnsucht  wiederschauen." 
Tief  in  Gedanken  blieb  Aeneas  stehen, 
Das  Herz  voll  Mitleid  mit  dem  harten  Los. 

Dort  sah  er,  bar  der  letzten  Ehren,  traurig 

Leukaspis  und  der  Lykierflotte  Herzog 

Orontes,  die  aus  Troja  ihn  begleitet 

Durch  Meerestosen,  bis  die  Windesbraut 

Mannschaft  und  Schiff  im  Wogenberg  begrub. 

Sieh,  dort  erging  sich  trauernd  Palinurus 

Der  Steuermann;  als  unlängst  auf  der  Fahrt 

Von  Afrika  er  in  den  Sternen  las. 

War  er  von  Bord  gestürzt  auf  hoher  See. 

Kaum  hatte  durch  die  schattendunkle  Nacht 

Aeneas  den  erkannt,  sprach  er  ihn  an: 

„Welcher  Grott,  mein  Palinurus,     sage,  hat  dich  uns  entrissen. 
Hat  versenkt  dich  in  die  Fluten?     Phoebus'  Spruch,  sonst  lautre 

Wahrheit, 
Trog  mich  hier:  er  prophezeite,     tragen  sollten  dich  die  Wogen 
Glücklich  an  Italiens  Grenze:     sieh,  so  hielt  der  Gott  sein  Wort!" 
„Phoebus'  Spruch,"  gab  er  zur  Antwort,     „trog  dich  nicht,  erhab'ner 

König: 
Nimmer  in  des  Meeres  WeUen     ließ  der  Gott  mich  untergehen. 
Fest  hing  ich  am  Steuerruder,     dem  als  Hüter  überwiesen 
Ich  den  Kurs  des  Schiffes  lenkte;     plötzlich  ward  es  losgerissen, 
Zog  mich  jählings  in  die  Tiefe.     Bei  dem  wilden  Meere  schwör'  ich: 
Miader  um  das  eigne  Leben     bangt'  ich  als  um  deine  Flotte, 
Die  nun  ohne  Herrn  und  Steuer     kämpfte  mit  dem  Schwall  der  Wogen. 
Durch  die  ungeheuren  Fluten     trug  der  Föhn,  der  Herr  der  Wasser, 
Mich  drei  finstre  Sturmesnächte:     da,  beim  Licht  des  vierten  Morgens 
Sah  ich  von  dem  Kamm  der  Woge     winken  fem  Italien. 
Langsam  schwamm  ich  ans  Gestade,     fühlte  mich  schon  fast  geborgen. 
Griff  mit  angekraUten  Händen     eines  Felsenriffes  Zacken: 
Stürzten  da  sich  auf  mich  Armen,     den  die  nassen  Kleider  drückten, 
Wilde  Horden  mit  dem  Schwerte,     wähnten  einen  Fang  zu  tun.  — 
Jetzo  wälzen  Wind  und  Wogen     ruhelos  mich  an  dem  Strande. 
Bei  dem  Heben  Lichte  droben     bitt'  ich  dich,  bei  deinem  Vater, 
Held,  so  wahr  sich  soll  erfüllen     deines  Sohnes  hohe  Zukunft: 
Löse  mich  —  dir  ist's  ein  Leichtes  —     von  dem  Leiden  hier  und  segle 
Wieder  heim  gen  Velias  Hafen,     decke  meinen  Leib  mit  Erde; 
Oder,  wenn  zum  Heü  dir  weiset     einen  Weg  die  hehre  Mutter  — 
Und  sie  wird's:  wie  dürftest  hoffen     sonst  du   ohne  Schutz  vom 

Himmel 


72  TEXT. 

ostendit  —  neque  enim  credo  sine  numine  divom 

flumina  tanta  paras  Stygiamque  innare  paludem  — 
370  da  dextram  misero  et  tecum  me  tolle  per  iindas, 

sedibus  ut  saltem  placidis  in  mörte  quiescam.' 

taKa  fatus  erat,  coepit  cum  talia  vates. 

'unde  haec  o  Palinure  tibi  tarn  dira  cupido? 

tu  Stygias  inbumatus  aquas  amnemque  severum 
376  Eumenidum  aspicies,  ripamve  iniussus  adibis? 

desine  fata  deum  flecti  sperare  precando. 

sed  cape  dicta  memor,  duri  solacia  casus: 

nam  tua  finitimi  longe  lateque  per  urbes 

prodigiis  acti  caelestibus,  ossa  piabunt, 
380  et  statuent  tumulum,  et  tumulo  sollemnia  mittent, 

aetemumque  locus  Palinuri  nomen  habebit.' 

bis  dictis  curae  emotae,  pulsusque  parumper 

corde  dolor  tristi:  gaudet  cognomine  terrae. 

Ergo  iter  inceptum  peragunt  fluvioque  propinquant; 
385  navita  quos  iam  inde  ut  Stygia  prospexit  ab  unda, 

per  tacitum  nemus  ire  pedemque  advertere  ripae, 

sie  prior  adgreditur  dictis,  atque  increpat  ultro. 

'quisquis  es  armatus  qui  nostra  ad  flumina  tendis, 

fare  age  quid  venias,  iam  istinc,  et  comprime  gressura. 
390  umbrarum  hie  locus  est,  Somni  Noctisque  soporae, 

Corpora  viva  nefas  Stygia  vectare  carina. 

nee  vero  Aleiden  me  sum  laetatus  euntem 
FMPR    accepisse  lacu,  nee  Thesea  Pirithoumque, 

dis  quamquam  geniti,  atque  invicti  viribus  essent. 
395  Tartareum  iUe  manu  custodem  in  vincla  petivit, 

ipsius  a  solio  regis,  traxitque  trementem; 

bi  dominam  Ditis  tbalamo  deducere  adorti.' 

quae  contra  breviter  fata  est  Ampbrysia  vates. 

'nullae  hie  insidiae  tales  —  absiste  moveri  — 
400  nee  vim  tela  ferunt.     licet  ingens  ianitor  antro 


376  abibis  Variante  bei  Servius  tmd  Bonatm      383  terra  Servius      385  con- 
spexit  M        389  iam  stinc  M^ 


ÜBERSETZUNG.  73 

Über  die  gewalt'gen  Wasser     in  der  Hölle  Reich  zu  dringen  — 
0,  dann  reiche  mir  die  Rechte,     nimm  mich  mit  dir  durch  die  Wogen, 
Daß  ich  Unglückserger  finde     Rast  und  Ruhe  doch  im  Tod!" 

So  sprach  er;  da  begann  die  Seherin: 

„Wie  kam  der  frevle  Wunsch  dir,  Palinurus, 

Ein  Unbegrab'ner  den  gestrengen  Strom 

Der  Furien  und  den  Styx  zu  schau'n,  ans  Ufer 

Zu  schreiten  ungerufen?     Hoflfe  nimmer. 

Zu  beugen  Grottes  WiUen  durch  Gebet! 

Doch  merke  dies  zum  Trost  in  deinem  Unglück: 

Die  Siedler  jenes  Landes,  weit  und  breit 

Geschreckt  durch  Himmelszeichen,  werden  schichten 

Zu  ihres  Frevels  Sühnung  einen  Hügel 

Und  dort  dir  opfern,  daß  in  Ewigkeiten 

Die  Stätte  Palinurus'  Namen  trägt." 

Dies  Wort  vertrieb  für  eine  kurze  Weile 

Aus  seinem  Herzen  allen  Schmerz  und  Gram: 

Er  freute  sich  des  Lands  mit  seinem  Namen. 


So  wallten  sie  denn  fürder  ihres  Wegs 
Zum  Totenfluß.     Als  schon  vom  Wasser  aus 
Der  Ferge  sah,  wie  sie  zum  Strande  schritten 
Durch  Waidesschweigen,  fuhr  er  barsch  ihn  an: 
„Halt,  wer  du  auch  seist,  der  da  in  Waffen 
Seine  Schritte  lenkt  zu  meinem  Strome: 
Auf  der  Stelle  sprich,  wozu  du  kommest. 
Dieses  sind  der  Schatten  und  des  Schlafes, 
Dies  der  schlummertrunk'nen  Nacht  Bezirke: 
Körper  der  Lebend'gen  aufzunehmen 
In  den  Totenkahn  ist  mir  versagt.  — 
Gut  ist  mir's  wahrhaftig  nicht  bekommen. 
Daß  ich  einst  zum  Strome  zugelassen 
Selbst  die  reckenhaften  Göttersöhne 
Herkules,  Pirithous  und  Theseus. 
Heischte  sich  doch  gar  vom  Herrscherthrone 
Herkules  in  seiner  Fäuste  Fesseln 
Unsem  Höllenwart,  und  mit  sich  zerrte 
Er  den  Zitternden.     Aus  Plutos  Kammer 
Wollten  jene  rauben  unsre  Frau." 
Kurz  sprach  darauf  Apollos  Seherin: 

„Rege  dich  nicht  weiter  auf:  wir  planen 
Keinen  solchen  Anschlag  noch  Gewalttat. 
Mag  der  ungeheure  Wart  des  Tores 
Ewiglich  in  seiner  Höhle  heulen 


74  TEXT. 

aetemum  latrans,  exsanguis  terreat  umbras, 
casta  licet  patrui  servet  Proserpina  limen: 
Troius  Aeneas  pietate  insignis  et  armis, 
ad  genitorem  imas  Erebi  descendit  ad  umbras. 

405  si  te  nuUa  movet  tantae  pietatis  imago, 

at  ramum  hunc  —  aperit  ramum  qui  veste  latebat  — 
adgnoscas'  —  tumida  ex  ira  tum  corda  residunt  — 
nee  plura  bis.     ille  admirans  venerabile  donum 
fatalis  virgae,  longo  post  tempore  visum, 

410  caeruleam  advertit  puppim  ripaeque  propinquat. 

inde  alias  animas  quae  per  iuga  longa  sedebant 
deturbat  laxatque  foros,  simul  accipit  alveo 
ingentem  Aenean:  gemuit  sub  pondere  cumba 
sutilis,  et  multam  aceepit  rimosa  paludem. 

416  tandem  trans  fluvium  incolumis  vatemque  virumque, 

informi  limo  glaucaque  exponit  in  ulva. 

Cerberus  haec  ingens  latratu  regna  trifauci 
personat;  adverso  recubans  immanis  in  antro; 
cui  vates  borrere  videns  iam  coUa  colubris, 

420  melle  soporatam  et  medicatis  frugibus  offam 

obicit.     üle  fame  rabida  tria  giittura  pandens, 
corripit  obiectam,  atque  immania  terga  resolvit 
fusus  bumi,  totoque  ingens  extenditur  antro. 

MPR       occupat  Aeneas  aditum  custode  sepulto, 

426  eyaditque  celer  ripam  inremeabilis  undae. 

Continuo  auditae  voces,  vagitus  et  ingens, 
infantumque  animae  flentes,  in  limine  primo 
quos  dulcis  vitae  exsortis  et  ab  ubere  raptos, 
abstulit  atra  dies  et  fonere  mersit  acerbo. 

4S0  bos  iuxta  falso  damnati  crimine  mortis; 

nee  vero  bae  sine  sorte  datae,  sine  iudiee  sedes: 
quaesitor  Minos  urnam  movet,  iUe  süentum 


ÜBERSETZUNG.  75 

Und  die  wesenlosen  Schatten  schrecken. 

Mag  Proserpina  als  keusche  Gattin 

Hüten  des  Gestrengen  Haus  und  Herd. 

Wisse  denn:  Aeneas  der  Trojaner, 

Er,  die  Zier  der  Tapferkeit  und  Treue, 

Steigt  zum  Vater  in  die  Todestiefe.  — 

Rührt  dich  nicht  solch  Büd  von  Sohnesliebe? 

Schau'  denn  her:  erkenne  diesen  Zweig!" 
Sie  wies  den  Zweig,  den  sie  im  Kleide  barg. 
Gleich  ließ  vom  Grimm  sein  zomgemutes  Herz: 
Ehrfürchtig  staunt'  er  ob  der  Wundergabe 
Des  Zauberstabes,  den  er  lang  nicht  schaute. 
Und  drehte  seinen  dunklen  Kahn  zum  Ufer. 
Dann  jagt'  er  von  den  langen  Ruderbänken 
Die  Seelen,  machte  frei  des  Bootes  Gänge 
Und  nahm  Aeneas  den  gewalt'gen  auf. 
Es  ächzte  vom  Gewicht  das  Binsenboot 
Und  zog  in  Menge  Wasser  durch  das  Leck. 
Dann  ließ  er  unversehrt  am  Jenseitsufer 
In  häßlichem  Morast  und  fahlem  Riede 
Aeneas  landen  mit  der  Priesterin. 

Vom  in  der  Höhle  lag  der  Riesenleib 
Des  Cerberus;  aus  seinen  dreien  Kehlen 
SchoU  schauerlich  das  Heulen  durch  den  Hof. 
Als  die  Sibylle  sah,  wie  schon  ihm  schwoU 
Der  Drachenkamm,  warf  sie  den  Kloß  ihm  vor, 
Getränkt  mit  Honig  und  mit  Zaubersäften. 
Aufsperrt'  er,  toU  vor  Hunger,  seine  Schlünde 
Und  packt'  ihn,  dehnte  dann  den  grausen  Rücken 
Und  streckte  riesenhaft  sich  durch  die  Höhle. 
Aeneas  nahm  den  Zugang,  da  der  Wächter 
Wie  tot  im  Schlafe  lag,  und  floh  den  Strand 
Der  Flut,  von  wannen  niemand  wiederkehrt. 

Gleich  klang  zum  Ohr  ein  endlos  Weh  und  Wimmern 

Von  Kinderseelen:  an  des  Lichtes  Schwelle, 

Noch  ehe  sie  des  Lebens  Süße  schmeckten. 

Hat  von  der  Mutterbrust  die  Todesstunde 

Sie  hingerafft  ins  frühe  Kindergrab.  — 

Daneben,  die  ein  falscher  Spruch  der  Fehme 

Dem  Tod  geweiht;  doch  über  diese  Plätze 

Entscheidet  erst  ein  förmliches  Gericht: 

Minos  beruft  die  stüle  Schar  des  Beirats, 

Den  er,  der  Richter,  selbst  durchs  Los  sich  kürte. 


76  TEXT. 

consiliumque  vocat,  vitasque  et  crimina  discit. 
proxima  deinde  tenent  maesti  loca,  qui  sibi  letum 

435  insontes  peperere  manu,  lucemque  perosi 

proiecere  animas;  quam  vellent  aethere  in  alto 
nunc  et  pauperiem  et  duros  perferre  labores: 
fas  obstat,  tristisque  palus  inamabilis  undae 
alligat,  et  noyiens  Styx  interfusa  coercet. 

440  nee  procul  hinc  partem  fusi  monstrantur  in  omnem 

lugentes  campi,  sie  iUos  nomine  dicunt. 
hie  quos  durus  amor  crudeli  tabe  peredit 
secreti  celant  calles,  et  murtea  circum 
Silva  tegit,  curae  non  ipsa  in  morte  relinquont. 

445  bis  Phaedram  Proerimque  locis,  maestamque  Eripbylen 

crudelis  nati  monstrantem  vokiera  cemit, 
Euadnenque  et  Pasipbaen;  bis  Laodamia 
it  comes,  et  iuvenis  quondam  nunc  femina  Caeneus, 
rursus  et  in  veterem  fato  revoluta  figuram. 

450  inter  quas  Pboenissa  recens  a  volnere  Dido 

errabat  silva  in  magna;  quam  Troius  heros 
ut  primum  iuxta  stetit,  adgnovitque  per  umbras  — 
obscuram,  qualem  primo  qui  Bürgere  mense 
aut  videt  aut  vidisse  putat  per  nubila  lunam  — 

465  demisit  lacrimas,  dulcique  adfatus  amore  est. 

*infelix  Dido,  verus  mihi  nuntius  ergo 
venerat,  extinctam  ferroque  extrema  secutam; 
funeris  heu  tibi  causa  fui;  per  sidera  iuro, 
per  superos,  et  si  qua  fides  tellure  sub  ima  est: 

460  invitus  regina  tuo  de  litore  cessi. 

sed  me  iussa  deum  quae  nunc  has  ire  per  umbras, 
per  loca  senta  situ  cogunt  noctemque  profundam, 
imperiis  egere  suis;  nee  credere  quivi, 
hunc  tantum  tibi  me  discessu  ferre  dolorem. 

465  siste  gradum,  teque  adspectu  ne  subtrahe  nostro: 

quem  fugis?  extremum  fato  quod  te  adloquor  hoc  est'. 


433  conciliumque  MB  438   unda  B,  Servius  445  Procrin  PB 

447  Euhadnenque  P  (Heuhadnenque  B)        452  umbram  M 


ÜBERSETZUNG.  77 

Und  prüft,  ob  jene  Seelen  schuldlos  lebten.  — 

Die  nächsten  Plätze  nehmen  trauernd  ein, 

Die  frei  von  Schuld  den  Tod  sich  selber  gaben 

Und  lebensmüde  schieden  von  dem  Licht. 

Wie  trügen  gern  sie  jetzt  im  Äther  droben 

Die  harte  Frohn  und  Not!     Das  Schicksal  wehrt's: 

Der  Strom  der  Trauer  schlingt  die  trüben  Wogen 

Neunmal  um  sie  mit  unbarmherz'gem  Bann.  — 

Nicht  fem  von  dieser  Stätte  dehnet  sich 

Nach  allen  Seiten  weit  das  'Trauerfeld'. 

Verschwieg'ne  Triften  und  ein  Myrtenwald 

Hegt  hier  die  Armen,  denen  Liebeskummer 

Grausam  am  Leben  fraß:  sie  siechten  hin. 

Und  noch  im  Tode  läßt  sie  nicht  der  Gram. 

Hier  sah  er  Phaedra,  Prokris,  Eriphyle  — 

Sie  wies  die  Todeswunde,  die  der  Sohn, 

Der  grimme,  schlug  — ,  Pasiphae,  Euadne, 

Zu  ihr  geseilt  Laodamia,  Kaenis: 

Sie  war  auf  Erden  einst  zum  Mann  verwandelt, 

Doch  jetzt  zur  Jungfrau  wieder  umgeschaffen. 

Vereint  mit  diesen  irrte  durch  die  Weite 
Des  Waldes  Dido  die  Karthagerin 
Mit  offner  Wunde.     Kaum  stand  ihr  zur  Seite 
Aeneas  und  erkannte  sie  im  Schatten  — 
Nur  dunkel,  wie  man  wohl  nach  Monats  Anfang 
Sieht  oder  doch  vermeint  zu  sehen  Luna, 
Wenn  sie  emporsteigt  in  dem  Flor  der  Wolken  — , 
Sprach  weinend  er  ein  süßes  Lieb  es  wort: 
„Arme  Dido,  ach  so  ist  es  Wahrheit: 
Hin  bist  du,  von  eigner  Hand  gefallen. 
Mein  die  Schuld,  daß  in  den  Tod  du  gingst! 
Schwören  aber  darf  ich's  bei  den  Göttern, 
Bei  den  Sternen,  und  so  wahr  die  Eide 
Auch  hienieden  gelten  in  der  Tiefe: 
Schwer  ward  mir  das  Scheiden,  Königin. 
Götterwille  trieb  mich  streng  von  dannen, 
Wie  er  jetzo  mich  den  Weg  des  Todes 
Wandern  heißt  durch  nächtig  dumpfe  Grüfte. 
Nimmer  hätt'  ich  doch  auch  ahnen  können. 
Daß  mein  Scheiden  bräche  dir  das  Herz!  — 
Bleib',  o  flieh'  nicht  meinen  Blick!     Ich  bin  es: 
Meiden  willst  du  mich?     Des  Schicksals  Gnade 
Gönnet  mir  mit  dir  ein  letztes  Wort!" 
Durch  solche  Rede  wollt'  er  sänftigen 


78  TEXT. 

talibus  Aeneas  ardentem  et  torva  tuentem 
lenibat  dictis  animum,  lacrimasque  ciebat. 
illa  solo  fixos  oculos  aversa  tenebat, 

470  nee  magis  incepto  voltum  sermone  movetur, 

quam  si  dura  silex  aut  stet  Marpesia  cautes. 
tandem  corripuit  sese,  atque  inimica  refugit 
in  nemus  umbriferum,  coniunx  ubi  pristinus  illi 
respondet  curis,  aequatque  Sychaeus  amorem. 

476  nee  minus  Aeneas  casu  concussus  iniquo, 

prosequitur  lacrimis  longe  et  miseratur  euntem. 

Inde  datum  molitur  iter,  iamque  arva  tenebant 
ultima,  quae  bello  clari  secreta  frequentant. 
hie  illi  occurrit  Tydeus,  hie  inclutus  armis 

480  Partbenopaeus,  et  Adrasti  palleutis  imago. 

hie  multum  fleti  ad  superos  belloque  caduci 
Dardanidae,  quos  ille  omnis  longo  ordine  cemens, 
ingemuit,  Glaucumque  Medontaque  Thersilochumque, 
tris  Antenoridas,  Cererique  sacrum  Polyboten, 

485  Idaeumque  etiam  currus  etiam  arma  tenentem. 

circumstant  animae  dextra  laevaque  frequentes; 
nee  vidisse  semel  satis  est,  iuvat  usque  morari, 
et  conferre  gradum,  et  veniendi  discere  causas. 
at  Danaum  proceres  Agamemnoniaeque  phalanges, 

490  ut  videre  virum  fulgentiaque  arma  per  umbras, 

FMPR     ingenti  trepidare  metu;  pars  vertere  terga, 

ceu  quondam  petiere  rates,  pars  tollere  vocem 
exiguam:  inceptus  clamor  frustratur  biantis. 
Atque  hie  Priamiden  laniatum  corpore  toto 

496    -      Deiphobum  vidit,  lacerum  crudeliter  ora, 

ora  manusque  ambas,  populataque  tempora  raptis 
auribus,  et  truncas  inhonesto  volnere  naris. 
vix  adeo  adgnovit  pavitantem,  et  dira  tegentem 
supplicia,  et  notis  compellat  vocibus  ultro. 


477  tenebat  P  484  Polyboeten  MP^B  (Poleboeten  Nonius  397)  486  fre- 
mentes  P  495  videt  lacerum  FPB,  vidit  et  lacerum  (et  dwrchgestrichen)  M, 
vidit  lacerum  junge  Hss.\  videt  et  Heinsius 


ÜBERSETZUNG.  79 

Den  starren  Trutz ^  der  ihr  im  Busen  glomm. 

Ihm  flössen  Tränen:  sie  hielt  abgewendet 

Die  Wimpern  stier  am  Boden,  und  ihr  Antlitz 

Blieb  bei  den  Worten  regungslos  wie  Marmor 

Von  Faros'  Felsen  oder  wie  Granit. 

Jetzt  raflPte  sie  sich  auf  und  floh,  ihm  gram. 

Von  hinnen  in  den  schattendunklen  Hag, 

AUwo  Sychaeus,  weiland  ihr  Gemahl, 

Ihr  Treue  hielt  und  Liebe  gab  um  Liebe. 

Aeneas  folgte,  von  dem  harten  Lose 

Erschüttert,  weithin  ihr  mit  nassem  Blick. 

Dann  eilt'  er  fürder  den  gewies'nen  Pfad. 
Schon  war  erreicht  das  äußerste  Gefilde, 
Das  abgegrenzt  der  Streiter  Scharen  faßt. 
Hier  traf  er  Tydeus  und  den  wackren  Recken 
Parthenopaeus  und  Adrast  den  bleichen. 
Hier  Trojas  Söhne,  die  der  Krieg  einst  fällte. 
Und  die  er  viel  beweint  am  Licht  der  Welt. 
Er  stöhnte,  da  er  sah  die  langen  Reihen, 
Den  Glaukus,  Medon  und  Thersilochus, 
Die  drei  Antenoriden  und  den  Priester 
Der  Ceres,  Polybotes,  und  Idaeus, 
Der  noch  den  Wagen,  noch  die  Waffen  hielt. 
In  hellen  Haufen  standen  sie  um  ihn, 
Sie  konnten  ihn  nicht  oft  genug  betrachten. 
Gern  säumten  lang  sie,  gaben  ihm  Geleite 
Und  fragten  ihn  nach  seines  Kommens  Grund. 
Doch  als  der  Griechen  Edle,  die  Geschwader 
Des  Agamemnon,  ihn  in  Waffen  sahen. 
Die  in  dem  Dunkel  blitzten,  da  ergriff 
Sie  ungeheurer  Schreck:  die  einen  flohen 
Wie  einst,  da  sie  zu  ihren  Schiffen  rannten. 
Andre  versuchten  Zeterruf — vergebens: 
Klanglos  entfuhr  dem  offuen  Mund  der  Ton. 

Da  sah  er  Priams  Sohn  Deiphobus, 
Am  ganzen  Leib  zerfleischt;  sein  edles  Antlitz, 
Die  beiden  Arme  grausam  zugerichtet; 
Die  Schläfen  arg  verstümmelt;  abgerissen 
Die  Ohren,  und  die  Nase  wundentsteUt. 
Mit  Mühe  nur  erkannt'  er  ihn,  der  bebend 
Zu  bergen  suchte  seine  grausen  Wunden, 
Und  sprach  zu  ihm  mit  brüderlicher  Stimme: 

„Troerheld  aus  fürstlichem  Geblüte, 

Sage  mir,  wer  hat  sich  unterstanden. 


80  TEXT. 

600  'Deiphobe  armipotens,  genus  alto  a  sanguine  Teucri, 

quis  tarn  crudelis  optavit  sumere  poenas, 
cui  tantum  de  te  licuit.     mihi  fama  suprema 
nocte  tulit,  fessum  vasta  te  caede  Pelasgum 
procubuisse  super  confusae  stragis  acervom. 

606  tunc  egomet  tumulum  Rhoeteo  litore  inanem 

constitui,  et  magna  manis  ter  voce  voeavi. 
nomen  et  arma  locum  servant:  te  amice  nequivi 
conspicere,  et  patria  decedens  ponere  terra.' 
ad  quae  Priamides.     'nihil  o  tibi  amice  relictum, 

610  omnia  Deiphobo  solvisti  et  funeris  umbris; 

sed  me  fata  mea  et  scelus  exitiale  Lacaenae 
his  mersere  malis,  illa  haec  monimenta  reliquit; 
namque  ut  supremam  falsa  inter  gaudia  noctem 
egerimus  nosti,  et  nimium  meminisse  necesse  est. 

616  cum  fatalis  ecus  saltu  super  ardua  venit 

Pergama,  et  armatum  peditem  gravis  attulit  alvo, 
illa  chorum  simulans,  euhantis  orgia  circum 
ducebat  Phrygias,  flammam  media  ipsa  tenebat 
ingentem,  et  summa  Danaos  ex  arce  vocabat. 

620  tum  me  confectum  curis  somnoque  gravatum 

infelix  habuit  thalamus,  pressitque  iacentem 
dulcis  et  alta  quies  placidaeque  simiUima  morti. 
egregia  interea  coniunx  arma  omnia  tectis 
emovet  —  et  fidum  capiti  subduxerat  ensem  — : 

626  intra  tecta  vocat  Menelaum,  et  limina  pandit: 

scilicet  id  magnum  sperans  fore  munus  amanti, 
et  famam  extingui  veterum  sie  posse  malorum. 
quid  moror,  inrumpunt  thalamo,  comes  additur  una 
hortator  scelerum  Aeolides:  di  talia  Grais 

680  instaurate,  pio  si  poenas  ore  reposco. 

sed  te  qui  vivom  casus,  age  fare  vicissim 
attulerint.     pelagine  venis  erroribus  actus, 


505  in  litore  iJfP*        524  etmovet  P\  amovet  F^MF^        528  additus  PR 


ÜBERSETZUNG.  81 

Also  grausam  sicli  an  dir  zu  almden! 

In  der  Schicksalsnacht  kam  mir  die  Kunde, 

Müde  durch  den  Massenmord  von  Griechen 

Habest  du  den  Heldentod  gefunden. 

Darauf  richtet'  ich  am  Strand  Rhoeteums 

Dir  ein  hohles  Hügelgrab,  und  dreimal 

Rief  mit  lautem  Ruf  ich  deine  Seele. 

Waffen  nur  und  Namensaufschrift  zeichnen 

Jenes  Grab:  dich  selbst  könnt'  ich,  mein  Lieber, 

Schauen  nirgend,  als  ich  scheiden  mußte. 

Bergen  nicht  im  Boden  unsrer  Väter." 

„Nichts,  mein  Lieber,"  sprach  der  Priamide, 

„Unterließest  du:  die  letzten  Ehren 

Gäbest  du  Deiphobus  im  Tode. 

In  dies  Leid  hat  mich  versenkt  mein  Dämon 

Und  die  unheilvolle  Tat  der  Dirne: 

Sie  ist's,  der  ich  diese  Male  danke. 

Weißt  du  doch,  wie  wir  die  Nacht  des  Schicksals 

Hingebracht  im  falschen  Freudentaumel: 

Ach,  zu  sehr  nur  müssen  deß  wir  denken! 
Es  sprengt'  im  Sprung     das  dämonische  Roß 
Über  Bergamos'  Wehr:     Waffengewalt 
Barg  es  im  Bauch. 

Da  führt  wie  zum  Feste     des  Bacchus  die  Böse 
In  rauschendem  Reigen     die  phrygischen  Frauen, 
Sie  selbst  in  der  Mitte     winkt  von  der  Warte 
Dem  Feind  mit  der  Fackel     Flammenfanal. 

Unterdessen  barg  in  Schlummers  Banden 

Sorgenmüde  mich  die  ünglückskammer, 

Süße  tiefe  Ruhe  lag  gebreitet 

Über  mir  gleichwie  der  Schlaf  des  Todes. 
Derweilen  entfernt     mein  wackeres  Weib 
Aus  der  Wohnung  die  Wehr.     Kaum  hatte  mein  Schwert, 
Das  treue,  sie  mir     zu  Häupten  gerafft, 
Da  ruft  sie  herein     Menelaus,  erschließt 
Ihm  die  Schwelle  zum  Haus:     traun  hoffend,  ein  großes 
Geschenk  ihrem  Buhlen     zu  bieten,  zu  löschen 
Die  Schmach  ihrer  Schuld.     Doch  kurz:  sie  kommen 
Gestürmt  in  die  Kammer,     zur  Seite  gesellt 
Odysseus  der  Schleicher,     der  Mahner  zum  Mord. 
Götter,  den  Griechen     gebt  Gleiches  zum  Lohne, 
Falls  fromm  mein  Mund     Vergeltung  verlangt! 

Aber  künde  nun  auch  mir  hinwieder. 

Welch  Geschick  hieher  dich  lebend  führte. 

War's  ein  Meeressturm,  der  dich  verschlagen? 

Veroii,  Buch  VI,  von  Norden.  6 


82  TEXT. 

an  monitu  divum,  an  quae  te  Fortuna  fatigat, 
ut  tristis  sine  sole  domos,  loca  turbida  adires?' 

535  hac  vice  sermonum,  roseis  Aurora  quadrigis 

iam  medium  aetherio  cursu  traiecerat  axem; 
et  fors  omne  datum  traherent  per  talia  tempus, 
sed  comes  admonuit  breviterque  adfata  Sibylla  est. 
'nox  ruit  Aenea:  nos  flendo  ducimus  boras; 

540  bic  locus  est  partis  ubi  se  via  findit  in  ambas: 

dextera  quae  Ditis  magni  sub  moenia  tendit, 
bac  iter  Elysium  nobis;  at  laeva  malorum 
exercet  poenas,  et  ad  impia  Tartara  mittit.' 
Deipbobus  contra  'ne  saevi  magna  sacerdos: 

645  discedam,  explebo  numerum,  reddarque  tenebris; 

i  decus  i  nostrum:  melioribus  utere  fatis.' 
tantum  effatus,  et  in  verbo  vestigia  torsit. 

Respicit  Aeneas,  subito  et  sub  rupe  sinistra 
moenia  lata  videt,  triplici  circumdata  muro; 

550  quae  rapidus  flammis  ambit  torrentibus  amnis, 

Tartareus  Phlegethon,  torquetque  sonantia  saxa. 
porta  adversa  ingens,  solidoque  adamante  columnae; 
vis  ut  nulla  virum,  non  ipsi  excindere  bello 
caelicolae  valeant;  stat  ferrea  turris  ad  auras, 

555  Tisipboneque  sedens,  palla  succincta  cruenta, 

vestibulum  exsomnis  servat  noctesque  diesque. 
hinc  exaudiri  gemitus,  et  saeva  sonare 
verbera,  tum  Stridor  ferri,  tractaeque  catenae: 
constitit  Aeneas,  strepituque  exterritus  baesit. 

560  MPR 'quae  scelerum  facies,  o  virgo  effare,  quibusve 
urgentur  poenis,  quis  tantus  plangor  ad  auras?' 
tum  vates  sie  orsa  loqui.     'dux  inclute  Teucrum, 
nuUi  fas  casto  sceleratum  insistere  limen, 
sed  me  cum  lucis  Hecate  praefecit  Avemis, 

565  ipsa  deum  poenas  docuit  perque  omnia  duxit. 

Gnosius  baec  Rbadamantbus  habet  durissima  regna^ 
castigatque  auditque  dolos,  subigitque  fateri, 


547  pressit  ME  553  ferro  M  556  insomnis  JR  559  strepitumque 
FP^E  Servius  hausit  F^P^  Servius  561  qui  P^E  clangor  ad  auris  P 
566  Cnosius  P 


ÜBERSETZUNG.  83 

Waren's  Götter,  die  es  dir  geboten? 

Oder  trieb  ein  Dämon  dich  zu  suchen 

Diese  sonnenlose  wüste  Stätte?" 
Dieweil  sie  so  der  Wechselrede  pflagen, 
War  Eos  mit  dem  ros'gen  Viergespann 
Hernieder  schon  am  Firmament  gefahren. 
So  wäre  wohl  die  ganze  Frist  verstrichen, 
Da  sprach  Sibylla  kurz  ein  mahnend  Wort: 
„Es  naht  die  Nacht,  Aeneas:  wir  verschwenden 
Die  Zeit  mit  Klagen!     Hier  am  Scheidewege 
Geh'n  rechts  wir  zum  Palast  des  hehren  Pluto 
Und  zum  Elysium;  der  Weg  dort  links 
Führt  die  Verfehmten  zu  der  HöUenqual!" 
„Erhab'ne  Priesterin,"  entgegnete 
Der  Priamide,  „grolle  nicht:  ich  scheide 
Ins  Dunkel,  mache  voll  die  Zahl  der  Toten.  — 
Du,  unser  Stolz,  zeuch  bess'rem  Los  entgegen!" 
Mit  diesem  Worte  macht'  er  Kehrt  sogleich. 

Aeneas  blickt  um     und  plötzlich  erschaut 
Zur  Linken  am  Fuße     des  Felsens  er  Burgen 
Dreifältig  ummauert,     tosend  umstürmt 
Von  Flammen  der  Hölle,     Phlegethons  Flut: 
Sausende  Steine     wälzt  sie  in  Wirbeln. 
Dort  ragt  entgegen     ein  riesiges  Tor, 
Von  Säulen  gestützt     gediegenen  Stahls: 
Nicht  brächen  es  los     Mächte  der  Menschen, 
Nicht  selber  im  Krieg     das  himmlische  Heer. 
Eisern  dräut     nach  droben  ein  Tum, 
Tisiphone  gürtet     ihr  blutig  Gewand, 
Wacht  tags,  wacht  nächtens,     hütet  den  Hof. 
Von  hier  schallt  Stöhnen,     Sausen  der  Schläge, 
Eisengerassel,     Kettengeklirr. 

Aeneas  machte  Halt,  vom  Lärm  erschreckt. 
„Welches  sind  der  Frevel  Arten,  Jungfrau, 
Was  für  Strafen  lasten  auf  den  Sündern, 
Welch  ein  Jammern  klingt  so  an  die  Lüfte?" 

Da  hub  die  Seherin  zu  reden  an: 

„Edler  Fürst,  auf  die  verfehmte  Schwelle 
Darf  den  Fuß  ein  Frommer  nimmer  setzen, 
Doch  die  Herrscherin  der  Höllen  selber. 
Die  mir  überwies  die  nächt'gen  Haine, 
Führte  mich  durch  das  Gericht  der  Götter. 
Rhadamanth  von  Kreta  ist  der  König 
Dieses  Reichs  der  Pein:  er  prüft  die  Frevel 

6* 


84  TEXT. 

quae  quis  apud  superos,  farto  laetatus  inani, 
distulit  in  seram  commissa  piacula  mortem. 

670  continuo  sontis  ultrix  accincta  flagello 

Tisiphone  quatit  insultans,  torvosque  sinistra 
intentans  anguis,  vocat  agmina  saeva  sororum. 
tum  demum  horrisono  stridentes  cardine,  sacrae 
panduntur  portae;  cernis  custodia  qualis 

676  vestibulo  sedeat,  facies  quae  limina  servet: 

quinquaginta  atris  immanis  hiatibus  hydra 
saevior  intus  habet  sedem.     tum  Tartarus  ipse 
bis  patet  in  praeceps  tantum  tenditque  sub  umbras, 
quantus  ad  aetherium  caeli  suspectus  Olympum. 

680  hie  genus  antiquom  Terrae,  Titania  pubes, 

fulmine  deiecti,  fundo  volvontur  in  imo. 
hie  et  Aloidas  geminos  immania  vidi 
Corpora,  qui  manibus  magnum  rescindere  caelum 
adgressi,  superisque  lovem  detrudere  regnis. 

686  vidi  et  crudelis  dantem  Salmonea  poenas, 

dum  flammas  lovis  et  sonitus  imitatur  Olympi. 
quattuor  hie  luvectus  equis,  et  lampada  quassans, 
per  Graium  populos,  mediaeque  per  Elidis  urbem 

FMPR     ibat  ovans,  divomque  sibi  poscebat  honorem: 

690  demens,  qui  nimbos  et  non  imitabile  fulmen, 

aere  et  eomipedum  pulsu  simularet  equorum. 
at  pater  omnipotens  densa  inter  nubila  telum 
contorsit  —  non  ille  faces  nee  fumea  taedis 
lumina  —  praeeipitemque  immani  turbine  adegit. 

696  nee  non  et  Tityon,  Terrae  omniparentis  alumnum 

cemere  erat,  per  tota  novem  cui  iugera  corpus 
porrigitur;  rostroque  immanis  voltur  obuneo 
immortale  iecur  tondens,  feeundaque  poenis 
viscera,  rimaturque  epulis,  habitatque  sub  alto 

600  pectore,  nee  fibris  requies  datur  ulla  renatis. 

quid  memorem  Lapithas  Ixiona  Pirithoumque, 
quos  super  atra  silex  iam  iam  lapsura  cadentique 


586  flammam  P  591  cursu  F'M*B  597  abunco  FB  adunco  P 

602  quo  JB  quod  F^ 


ÜBERSETZUNG.  85 

Im  Verhör  und  peinigt  zu  gestehen, 

Wer  Bekenntnis  seiner  Sünden  aufschob 

In  den  Tod,  umsonst  des  Truges  froh: 

Tisiphone  springt     sofort  auf  den  Sünder, 

Sie  hetzt  ihn  zur  Strafe     geißelgewappnet, 

Sie  schwingt  in  der  Linken     schaurige  Schlangen, 

Sie  ruft  ihrer  Schwestern     schreckliche  Schar. 

Grausig  in  den  Angeln  kreischend  öffnet 

Dann  sich  erst  die  Pforte  der  Verdammnis. 

Draußen  siehst  Tisiphone  du  wachen. 

Siehst  ihr  Schreckgesicht  am  Tore  lauem: 

Teuflischer,  mit  fünfzig  schwarzen  Rachen 

Hält  im  Innern  Wacht  ein  grauser  Drache. 

Grählings  gähnt  darauf  die  HöUe  selber. 

Dehnet  zwiefach  sich  so  tief  zum  Dunkel, 

Als  zu  Himmelshöhen  trägt  der  Blick. 

Hier  wälzt  sich  die  Brut,     die  alte  der  Erde, 

Titanen  zur  Tiefe     gewirbelt  vom  Blitz. 

Hier  sah  ich  das  Paar     der  Kinder  Aloeus', 

Die  Leiber  der  Riesen:     die  himmlischen  Burgen 

Zu  stürmen,  zu  stoßen     vom  Throne  des  Lichtes 

Den  König  der  Götter,     das  griffen  sie  an. 

Ich  schaute  Salmoneus'     furchtbare  Strafe, 

Der  Jupiters  Flammen     und  Donner  nachahmte. 

Auf  Vierergespanne     durchfuhr  er  die  Völker 

Der  Griechen,  die  Straßen     der  heiligen  Veste, 

Er  schwenkte  die  Fackel     im  Jubeltriumphe 

Und  heischte  sich  selber     der  Himmlischen  Ehren: 

Der  Tor,  daß  er  äffte     die  wabernden  Wolken 

Und  ewigen  Donner     durch  Rasseln  der  Räder, 

Durch  Stampfen  der  Rosse     mit  hörnernem  Huf. 

Da  schwang  in  schwerem     Wettergewölke 

Allvater  den  Keil  —  traun  keine  von  Kien 

Schwelende  Fackel  —     und  schmetterte  häuptlings 

Hinab  ihn  zur  Höllen     in  wirbelndem  Wind. 

Auch  Tityos  sah  ich,     den  Zögling  der  Erde, 

Der  Mutter  des  AUs;     es  deckt  der  Leib 

Des  Riesen  gedehnt     neun  Hufen  der  Flur. 

Es  nagt  an  der  Leber     der  grausige  Geier 

Gebogenen  Schnabels  —     nachwächst  sie  und  wuchert 

Ohn'  Ruhen  und  Rasten     zur  ewigen  Strafe  — : 

Er  hascht  nach  der  Atzung,     haust  in  der  Höhle 

Des  riesigen  Rumpfs.       Was  nenn'  ich  das  Paar 

Der  Lapithen  Ixion,     Pirithous  dir? 

Ihm  hangt  zu  Häupten     das  schwarze  Gestein: 


86  TEXT. 

imminet  adsimilis;  lucent  genialibus  altis 
aurea  fulcra  toris,  epulaeque  ante  ora  paratae 

605  regifico  luxu;  Furiarum  maxima  iuxta 

accubat,  et  manibus  probibet  contingere  mensas, 
exsurgitque  facem  attollens,  atque  intonat  ore. 
bic  quibus  invisi  fratres,  dum  vita  manebat; 
pulsatusve  parens,  et  fraus  innexa  clienti; 

610  aut  qui  divitiis  soll  incubuere  repertis, 

nee  partem  posuere  suis  —  quae  maxima  turba  est  — ; 
quique  ob  adulterium  caesi;  quique  arma  secuti 
impia,  nee  veriti  dominorum  f allere  dextras; 
inclusi  poenam  exspectant:  ne  quaere  doceri 

616  quam  poenam,  aut  quae  forma  viros  fortunave  mersit. 

saxum  ingens  volvont  alii,  radiisque  rotarum 
districti  pendent;  sedet  aetemumque  sedebit 
infelix  Theseus;  Pblegyasque  miserrimus  omnis 
admonet,  et  magna  testatur  voce  per  umbras: 

620  "discite  iustitiam  moniti,  et  non  temnere  divos." 

vendidit  bic  auro  patriam,  dominum que  potentem 
imposuit,  fixit  leges  pretio  atque  refixit; 
hie  tbalamum  invasit  natae  vetitosque  hymenaeos; 
ausi  omnes  immane  nefas,  ausoque  potiti. 

625  non  mihi  si  linguae  centum  sint  oraque  centum, 

ferrea  vox,  omnis  scelerum  comprendere  formas, 
omnia  poenarum  percurrere  nomina  possim.' 

Haec  ubi  dicta  dedit  Phoebi  longaeya  sacerdos, 
'sed  iam  age  carpe  viam,  et  susceptum  perfice  munus, 

630  acceleremus'  ait.     'Cyclopum  edueta  caminis 

moenia  conspicio,  atque  adverso  fomice  portas, 
haec  ubi  nos  praecepta  iubent  deponere  dona.' 
dixerat,  et  pariter  gressi  per  opaca  viarum, 
corripiunt  spatium  medium,  foribusque  propinquant, 

635  occupat  Aeneas  aditum,  corpusque  recenti 

spargit  aqua,  ramumque  adverso  in  limine  figit. 


607  increpat  P        630  ducta  FPB 


ÜBERSETZUNG.  87 

Im  Nu  wird's  kommen,     es  dräut  wie  zum  Fall. 

Es  funkeln  zum  Fest     an  hohen  Divanen 

Güldene  Lehnen;     schon  stehet  gerüstet 

Mit  Königsgepränge     das  Mahl  Tor  dem  Munde: 

Da  lagert  zu  Tisch  sich     der  Furien  ält'ste, 

Sie  wehrt,  nach  den  Speisen     mit  Händen  zu  haschen, 

Sie  hebt  sich,  sie  schwingt     die  Fackel  empor. 

Es  erdonnert  ihr  Mund.  — 

Wer  gehaßt  den  Bruder     im  irdischen  Leben; 

Greechlagen  die  Eltern;     betrogen  den  Schützling; 

Und  alle  die  Scharen,     die  einsam  gebrütet 

Auf  Gütern  des  Glücks     und  den  Lieben  die  Hilfe 

Verwehrt  in  der  Not;     wer  erschlagen  ob  Ehbruchs; 

Rebellisch  gebrochen     den  Herren  die  Treue: 

Sie  alle  harren     im  Kerker  der  Strafe, 

Frage  nicht  welcher,     noch  welches  Gericht 

Zur  Pein  sie  begrub.  — 

Die  wälzen  hinauf    den  wuchtigen  Fels; 

Die  hangen  gespannt     auf  Speichen  von  Rädern; 

Li  Ewigkeit  sitzt     der  unselige  Theseus; 

Durch  Schatten  schallen     des  Phlegyas  Rufe: 

Zur  Mahnung  für  alle     bekennet  der  Ärmste 

'Wandelt,  gewarnt,     gerecht  vor  den  Menschen, 

Gottfürchtigen  Sinns!'  — 

Für  Gold  verkaufte     das  Reich  ein  Tyrann, 

Er  gab,  hob  auf    Gesetze  für  Gold; 

Der  drang  in  der  Tochter     Gemach  zum  Genuß 

Verbot'ner  Verbindung:     was  jeder  gewagt 

Li  sündlichem  Wunsch,     ein  jeder  gewann's. 

Wenn  hart  mir  wie  Stahl    hallte  die  Stimme 

Aus  hundert  der  Kehlen,     von  hundert  der  Zungen, 

Nicht  könnt'  ich  fassen     die  Formen  der  Frevel, 

Nicht  nennen  dir  alle     Namen  der  Not." 

So  sprach  Apollos  greise  Priesterin, 

Dann  fuhr  sie  fort:  „Doch  jetzt  frisch  auf  den  Weg, 

Erfülle  schnell  den  übemomm'nen  Auftrag: 

Dort  liegt,  geschmiedet  in  Kyklopenessen, 

Der  Burgring,  gradeaus  des  Tores  Wölbung, 

Wo  dies  Geschenk  wir  niederlegen  sollen." 

Sprach's;  gleichen  Schrittes  eüten  sie  hinüber 

Auf  dunklem  Pfad.     Aeneas  nahm  den  Zugang 

Des  Tors,  besprengte  sich  mit  lautrem  Wasser 

Und  steckte  vom  am  Eingang  fest  den  Zweig. 


88  TEXT. 

His  demum  exactis,  perfecto  munere  divae, 
devenere  locos  laetos,  et  amoena  virecta 
fortunatorum  nemorum,  sedesque  beatas. 

640  largior  hie  campos  aether,  et  lumine  vestit 

purpureo,  solemque  suum,  sua  sidera  norunt. 
pars  in  gramineis  exercent  membra  palaestris, 
contendunt  ludo,  et  fulva  luctantur  harena; 
pars  pedibus  plaudunt  choreas,  et  carmina  dicunt. 

645  nee  non  Thraeieius  longa  cum  veste  sacerdos. 

obloquitur  numeris  Septem  diserimina  vocum, 
iamque  eadem  digitis,  iam  peetine  pulsat  ebumo. 
hie  genus  antiquum  Teucri,  pulcherrima  proles, 
magnanimi  heroes,  nati  melioribus  annis, 

650  Ilusque  Assaraeusque,  et  Troiae  Dardanus  auctor. 

arma  procul  eurmsque  vimm  miratur  inanis; 
stant  terra  defixae  hastae,  passimque  soluti 
per  eampum  pascuntur  equi;  quae  gratia  currum 
armorumque  fuit  vivis,  quae  cura  nitentis 

666  pascere  equos,  eadem  sequitur  tellure  repostos. 

conspicit  eece  alios  dextra  laevaque  per  herbam 
veseentis,  laetumque  choro  paeana  canentis, 
inter  odoratum  lauri  nemus,  unde  supeme 
plurimus  Eridani  per  silvam  volvitur  amnis. 

660  hie  manus  ob  patriam  pugnando  volnera  passi; 

quique  sacerdotes  casti,  dum  vita  manebat; 
quique  pii  vates,  et  Phoebo  digna  loeuti; 
inventas  aut  qui  vitam  excoluere  per  artis; 
quique  sui  memores  aüquos  feeere  merendo: 

665  Omnibus  his  nivea  cinguntur  tempora  vitta. 

quos  circumfusos  sie  est  adfata  Sibylla, 
Musaeum  ante  omnis,  medium  nam  plurima  turba 
hune  habet,  atque  umeris  exstantem  suspicit  altis. 
'dicite  felices  animae,  tuque  optime  vates: 


651  mirantur  MB        652  terrae  F        664  alios  JP* 


ÜBERSETZUNG.  89 

Erst  als  hiedurch  die  Weihung  für  die  Göttin 
Vollbracht  war,  kamen  sie  zum  Ort  der  Freude, 
Zu  lieblich  grünen  Auen  in  dem  Haine 
Des  Paradieses,  wo  die  Sel'gen  weilen. 

Ätherfülle  liegt  ob  den  Gefilden 

Und  umkleidet  sie  mit  Purpurglanze, 

Eigne  Sonnen,  Sterne  strahlen  dorten. 

Auf  den  Rasenplätzen  übt  sich  turnend 

Eine  Gruppe,  mühet  sich  im  Wettlauf 

Oder  ringet  in  dem  gelben  Sande; 

Andre  tanzen  Reigen  zu  Gesängen. 

Orpheus  im  Talare  läßt  zum  Takte 

Seine  Leier  in  Akkorden  klingen, 

Greift  mit  seinen  Fingern  in  die  Saiten, 

Schlägt  sie  mit  dem  Stab  aus  Elfenbein. 

Hier  verweilen  sich  die  Heldensöhne 

Aus  dem  alten  Adelsstamme  Trojas, 

Hochgemute  Recken  aus  der  weiland 

Guten  Zeit,  Assarakus  und  Ilus 

Und  der  Gründer  Trojas  Dardanus. 

Staunend  sah  Aeneas  in  der  Nähe 

Ihre  Wehr  und  führerlosen  Wagen; 

In  der  Erde  stunden  fest  die  Gere, 

Auf  den  Wiesen  grasten  frei  die  Pferde: 

Wagen,  Waffen,  blanker  Rosse  Züchten, 

AUes  was  sie  einst  im  Leben  liebten. 

Durften  hegen  sie  im  Erdenschoß. 

Da  gewahrt'  er  rechts  und  links  im  Grase 

Andre  schmausen:  Dankeshymnen  schallen 

Heiter  durch  des  Haines  Lorbeerdüfte, 

Und  zum  Himmelslicht  empor  durch  Wälder 

WaUt  Eridanus,  der  heil'ge  Strom. 

Hier  verweilt  die  Heldenschar,  die  kämpfend 

Fiel  zu  Schirm  und  Schutz  des  Vaterlandes; 

Hier  die  reinen  Priester;  fromme  Sänger, 

Deren  Lieder  Phoebus  wert  befunden; 

Hier  die  Weisen,  die  durch  neue  Künste 

Die  Kultur  gehoben;  hier  die  Herrscher, 

Deren  dankerfüllt  die  Welt  gedachte: 

AUer  Schläfen  kränzt  ein  schneeweiß  Band. 
Umdrängt  von  ihnen  wandte  die  Sibylle 
Das  Wort  an  sie,  vor  allen  an  Musaeus, 
Der  hochgeschultert  aus  den  Scharen  ragte 
Und  rings  die  Augen  aUer  zu  sich  hob. 
„Sagt,  sel'ge  Geister,  lieber  Priester,  sage: 


90  TEXT. 

670  quae  regio  Anchisen,  quis  habet  locus?  illius  ergo 

venimus,  et  magnos  Erebi  tranavimus  amnis.' 
atque  huic  responsum  paucis  ita  reddidit  heros. 
'nulli  certa  domus,  lucis  habitamus  opacis, 
riparumque  toros  et  prata  recentia  rivis 

675  incolimus.     sed  vos  si  fert  ita  corde  voluntas, 

hoc  superate  iugum,  et  facili  iam  tramite  sistam.' 
dixit  et  ante  tulit  gressum,  camposque  nitentis 
desuper  ostentat;  dehinc  summa  cacumina  linquont. 
At  pater  Anchises  penitus  convalle  virenti 

680  inclusas  animas,  superumque  ad  lumen  ituras 

lustrabat  studio  recolens,  omnemque  suorum 
forte  recensebat  numerum,  carosque  nepotes, 
fataque  fortunasque  virum,  moresque  manusque. 
isque  ubi  tendentem  adversum  per  gramina  vidit 

685  Aenean,  alacris  palmas  utrasque  tetendit, 

effusaeque  genis  lacrimae,  et  vox  excidit  ore. 
Venisti  tandem,  tuaque  exspectata  parenti 

FGMPR  vicit  iter  durum  pietas,  datur  ora  tueri 
nate  tua  et  notas  audire  et  reddere  voces. 

690  sie  equidem  ducebam  animo  rebarque  futurum, 

tempora  dinumerans,  nee  me  mea  cura  fefellit. 
quas  ego  te  terras  et  quanta  per  aequora  vectum 
accipio,  quantis  iactatum  nate  periclis; 
quam  metui  ne  quid  Libyae  tibi  regna  nocerent.' 

695  ille  autem  'tua  me  genitor  tua  tristis  imago 

saepius  occurrens,  haec  limina  tendere  adegit, 
stant  sale  Tyrrheno  classes;  da  iungere  dextram, 
da  genitor,  teque  amplexu  ne  subtrahe  nostro.' 
sie  memorans,  largo  fletu  simul  ora  rigabat. 

700  ter  conatus  ibi  collo  dare  bracchia  circum, 

ter  frustra  comprensa,  manus  effugit  imago, 
par  levibus  ventis,  volucrique  simillima  somno. 

Interea  videt  Aeneas  in  vaUe  reducta 
seclusum  nemus,  et  virgulta  sonantia  silvae. 


702  fehlt  in  P» 


ÜBERSETZUNG.  91 

Wo  weilt  Anchises?  seinetwegen  kamen 
Hieher  wir  ob  der  Hölle  großen  Schlund." 
Der  Edle  gab  in  Kürze  so  Bescheid: 
„Ein  festes  Haus  hat  keiner:  wir  bewohnen 
Der  Ufer  Pfühle,  schattenreiche  Haine 
Und  quellenfrische  Triften.     Überschreitet, 
So  dieses  euer  Wunsch,  die  Höhen  hier: 
Ich  bring'  euch  fürder  auf  bequemen  Pfad." 
So  sprach  er,  schritt  sodann  fürbaß  und  wies 
Hernieder  auf  die  glänz  erfüllten  Auen. 
Darauf  verließen  sie  des  Hanges  Gipfel. 

Vater  Anchises  mustert'  eben  emsig 

In  eines  grünen  Tales  Hintergrunde 

Die  eingeschloss'nen  Seelen,  die  das  Schicksal 

Zur  Wiederkehr  ans  Licht  erkoren  hatte. 

Als  er  die  Seinen  just  besichtigte. 

Und  an  der  lieben  Enkel  Schicksal  dachte, 

An  ihren  Edelsinn  und  Heldenmut, 

Sah  querfeldein  er  stracks  Aeneas  eilen. 

Da  streckt'  er  rasch  die  Arme  nach  ihm  aus 

Und  sprach  ihn  an,  die  Augen  voller  Tränen: 

„Kamst  du  also  doch!  ob  Müh'  und  Fährde 

Siegte  die  bewährte  Sohnesliebe! 

Darf  ich  Aug'  in  Auge  seh'n  und  tauschen 

Worte  mit  dir  wohlbekannten  Klanges! 

Ja,  ich  überzählte  mir  die  Stunden: 

Meiner  Rechnung  Treue  trog  mich  nicht. 

Welche  Lande,  welche  weiten  Meere 

Führten  dich  zu  mir;  in  was  für  Fährnis 

Kamst  du,  lieber  Sohn;  wie  ich  mich  sorgte, 

Unheil  brächte  dir  Karthagos  Reich!" 

Jener  sprach:  „Dein  Schatten,  lieber  Vater, 

Trat  mir  trauernd  offcen  vor  die  Seele, 

Ließ  hieher  mich  meine  Schritte  lenken; 

Im  Tyrrhenermeere  liegt  die  Flotte. 

Laß  mich  meine  Hand  in  deine  legen, 

Fliehe  deines  Sohns  Umarmung  nicht!" 
Er  sprach's  mit  tränenüberströmtem  Antlitz 
Und  suchte  dreimal  zu  umfah'n  den  Vater, 
Umsonst:  das  Schattenbild  entglitt  ihm  immer 
Wie  lindes  Windeswehn  und  Schlafesschwingen. 

Da  sah  Aeneas  in  dem  Hintergrunde 
Des  Tales  einen  abgeschloss'nen  Hain. 


92  TEXT. 

706  Lethaeumque  doraos  placidas  qui  praenatat  amnem. 

hunc  circum  innumerae  gentes  populique  volabant, 
ac  velut  in  pratis  ubi  apes  aestate  serena 
floribus  insidunt  variis,  et  Candida  circum 
lilia  funduntiir:  strepit  omnis  murmure  campus. 

710  horrescit  visu  subito,  causasque  requirit 

inscius  Aeneas,  quae  sint  ea  flumina  porro, 
quive  viri  tanto  complerint  agmine  ripas. 
tum  pater  Anchises  'animae  quibus  altera  fato 
Corpora  debentur,  Lethaei  ad  fluminis  undam 

715  securos  latices  et  longa  oblivia  potant. 

has  equidem  memorare  tibi  atque  ostendere  coram, 
iampridem  hanc  prolem  cupio  enumerare  meorum, 
quo  magis  Italia  mecum  laetere  reperta.' 
'o  pater  anne  aliquas  ad  caelum  hinc  ire  putandum  est 

720  sublimis  animas,  iterumque  ad  tarda  reverti 

Corpora?  quae  lucis  miseris  tam  dira  cupido?' 
'dicam  equidem,  nee  te  suspensum  nate  tenebo,' 
suscipit  Ancbises,  atque  ordine  singula  pandit. 
'principio  caelum  ac  terras,  camposque  liquentis, 

FMPR    lucentemque  globum  Lunae,  Titaniaque  astra, 

726  Spiritus  intus  alit,  totamque  infusa  per  artus 

mens  agitat  molem,  et  magno  se  corpore  miscet. 
inde  hominum  pecudumque  genus,  vitaeque  volantum, 
et  quae  marmoreo  fert  monstra  sub  aequore  pontus. 

780  igneus  est  ollis  vigor  et  caelestis  origo 

seminibus,  quantum  non  noxia  corpora  tardant, 
terrenique  bebetant  artus,  moribundaque  membra. 
binc  metuunt  cupiuntque,  dolent  gaudentque,  neque  auras 
dispiciunt,  clausae  tenebris  et  carcere  caeco. 

736  quin  et  supremo  cum  lumine  vita  reliquit, 

non  tamen  omne  malum  miseris,  nee  funditus  omnes 
corporeae  excedunt  pestes,  penitusque  neeesse  est 
multa  diu  conereta,  modis  inolescere  miris. 
ergo  exercentur  poenis,  veterumque  malorum 

740  supplicia  expendunt:  aliae  panduntur  inanes 

707  veluti  FGM        719  est  fehlt  in  F       721  cupido  est  F^        724  ter- 
ram  F^PB 


ÜBERSETZUNG.  93 

Im  Buschwerk  lispelt's  und  der  Lethe  Woge 

Rauscht  am  Gefild  der  Sel'gen  leis  dahin. 

Den  Strom  umflattern  ungezählte  Scharen, 

Gleichwie  an  sonn'gen  Sommertagen  Bienen 

Sich  auf  die  bunten  Wiesenblumen  setzen 

Und  um  die  silberweißen  Liljen  schwärmen: 

Von  ihrem  Summen  saust  es  durch  die  Au. 

Ein  Schauer  überkam  ihn  bei  dem  Anblick, 

Er  heischte  Kunde,  welcher  Fluß  das  sei 

Und  was  für  Scharen  dessen  Borde  füllten. 

Anchises  sprach:  „Aus  Lethes  Bronnen  schlürfen 

Die  Seelen,  die  in  neue  Körper  wandern. 

Erlösenden  Vergessens  Labetrunk. 

Ja,  lange  wünscht'  ich  schon  sie  dir  zu  nennen, 

Der  Uns'ren  Schar,  und  sichtbar  sie  zu  zeigen. 

Damit  noch  größer  werde  deiue  Freude, 

Daß  uns  gefunden  ward  Italien." 

„So  ist's  denn,  Vater,  wahr,  daß  Seelen  wandern 

Von  hier  zur  obem  Welt  in  träge  Körper? 

Was  sehnen  so  die  armen  sich  zum  Lichte?" 

„Nicht  soUst  du  länger  dich  mit  Zweifeln  quälen," 

Sprach  er  und  offenbart'  ihm  jegliches. 

„Beseelend  nährt  den  Himmel  und  die  Erde, 

Die  Meeresauen  und  die  Strahlenkugel 

Des  Mondes  und  den  Riesenstem  der  Sonne 

Eiu  Lebenshauch,  und  die  Materie 

Bewegt  der  Geist:  der  flutet  durch  die  Glieder 

Und  bindet  ganz  sich  mit  dem  Leib  der  Welt. 

Er  zeugt  mit  ihr  die  Menschen,  das  Getier 

Des  Landes  und  der  Luft,  die  Ungeheuer, 

Die  unter'm  Marmorglast  die  Tiefe  birgt. 

Vom  Himmel  stammt  sein  Same:  Himmelsfeuer 

Verleiht  ihm  Lebenskraft,  solang  kein  Körper 

Ihn  schadvoU  lähmt,  kein  irdisches  Gelenk 

Ihn  abstumpft  und  dem  Tod  verfall'ne  GKeder. 

Die  bringen  Furcht,  Begierde,  Schmerz  und  Lust, 

Und  in  des  Körpers  Grabesnacht  gekettet 

Dringt  nimmermehr  zum  Himmelslicht  der  Geist. 

Ja,  wenn  des  Lebens  letzter  Schimmer  floh, 

Weicht  doch  nicht  alles  Leid,  nicht  alles  Siechtum 

Des  Körpers  völlig  von  den  armen  Seelen: 

Viel  Keime  mußten,  wuchernd  mit  der  Zeit, 

Einwachsen  tief  in  wunderbarer  Art. 

So  werden  sie  mit  Marterqual  gepeinigt 

Zur  Buße  für  die  altererbte  Schuld. 


94  TEXT. 

suspensae  ad  ventos,  aliis  sub  gurgite  vasto 
infectum  eluitur  scelus,  ant  exuritur  igni: 
quisque  suos  patimur  manis.     exinde  per  amplum 
mittimur  Elysium,  et  pauci  laeta  arva  tenemus, 

745  donec  longa  dies,  perfecto  temporis  orbe, 

concretam  exemit  labern,  purumque  relinquit 
aetberium  sensum  atque  aurai  simplicis  ignera. 
has  omnis,  ubi  mille  rotam  volvere  per  annos, 
^        Letbaeum  ad  fluvium  deus  evocat  agmine  magno, 

760  scilicet  immemores  super  ut  convexa  revisant, 

rursus  et  incipiant  in  corpora  velle  reverti.' 

Dixerat  Ancbises,  natumque  unaque  SibyUam 
conventus  trabit  in  medios  turbamque  sonantem, 
et  tumulum  capit,  unde  omnis  longo  ordine  posset 

765  adversos  legere,  et  venientum  discere  vultus. 

MPR  'Nunc  age  Dardaniam  prolem  quae  deinde  sequatur 

gloria,  qui  maneant  Itala  de  gente  nepotes, 
inlustris  animas  nostrumque  in  nomen  ituras, 
expediam  dictis,  et  te  tua  fata  docebo. 

760  ille  vides  pura  iuvenis  qui  nititur  basta, 

proxima  sorte  tenet  lucis  loca,  primus  ad  auras 
aetberias  Italo  commixtus  sanguine  surget, 
Silvius,  Albanum  nomen,  tua  postuma  proles: 
quem  tibi  longaevo  serum  Lavinia  coniunx 

766  educet  silvis  regem,  regumque  parentem, 
unde  genus  Longa  nostrum  dominabitur  Alba, 
proximus  iUe  Procas,  Troianae  gloria  gentis, 

et  Capys,  et  Numitor,  et  qui  te  nomine  reddet 
Silvius  Aeneas,  pariter  pietate  vel  armis 

770  egregius,  si  umquam  regnandam  acceperit  Albam. 

qui  iuvenes,  quantas  ostentant  adspice  viris, 
atque  umbrata  gerunt  civili  tempora  quercu: 
bi  tibi  Nomentum  et  Gabios  urbemque  Fidenam, 
bi  Collatinas  imponent  montibus  arces, 

775  Pometios  Castrumque  Inui  Bolamque  Coramque: 


746  reliquit  PB  747  aurae  die  Hss.,  aurai  Servius  750  supera  ut 

F^M^M  (superant  P,  supera  aut  F^) 


ÜBERSETZUNG.  95 

Die  einen  schweben  ausgespannt  im  Winde, 
Den  andren  wird  der  Sünde  Keim  geläutert 
Im  Wasserwirbel  oder  Feuerbrand: 
Ein  jeder  büßt,  wie  es  sein  Dämon  heischt. 
Dann  wallen  wir  durch  Paradiesesauen; 
Jedoch  nur  wen'ge  dürfen  dort  verbleiben, 
Bis  ganz  der  Kreis  der  Zeit  erfüllet  ist 
Und  nach  Äonen  ihrer  Sünde  Flecken 
Erloschen  sind  und  wieder  rein  erstrahlt 
In  lautrer  Feuerluft  der  Himmelgeist. 
Die  meisten  ruft,  wann  erst  ein  tausend  Jahre 
Das  Zeitenrad  gerollt,  ein  Gott  in  Scharen 
Zu  Lethes  Fluten,  daß  sie  mählich  wieder 
Verlangen  spüren,  einzugeh'n  in  Körper, 
Und  wiederseh'n  die  Welt  erinn'rungslos." 
Sprach's,  zog  den  Sohn  und  die  Sibylle  mitten 
Durch  das  Gewirr  der  Schar  auf  einen  Hügel, 
Auf  daß  sie  deutlich  schauten  die  Gesichter 
Der  Mannen,  die  in  langem  Zuge  nahten. 

„Jetzt  wiU  ich  dir  erklären,  welcher  Ruhm 

Der  Troer  wartet,  was  für  edle  Seelen 

ItaKschen  Geblütes  imsem  Namen 

Einst  tragen,  will  dein  eignes  Los  dir  künden. 

Da  sieh,  auf  einen  Herrscherstab  gestützt, 

Den  Jüngling,  der  sich  einen  Platz  erkieste 

Zunächst  dem  Licht:  er  wird  als  erster  steigen 

Ans  Tageslicht,  italischer  Mutter  Blut, 

Mit  dem  Albanemamen  Silvius; 

Ihn,  deines  Alters  Spätling,  wird  erziehen 

Lavinia,  deine  Gattin,  in  den  Wäldern 

Zum  König  und  zum  Ahn  von  Königen: 

Er  gründet  uns  das  Reich  von  Alba  Longa. 

Der  nächste,  der  Trojaner  Stolz,  ist  Prokas, 

Der  Kapys,  dieser  Numitor,  und  jener. 

In  dem  dein  Name  neu  erstehen  wird, 

Aeneas  Silvius,  gleich  ausgezeichnet 

Durch  Frömmigkeit  und  seiner  Waffen  Ruhm, 

Wenn  er  das  Reich  von  Alba  einst  erhält. 

Wie  prangen  sie  in  Jugendkraft,  die  Schläfen 

Vom  Bürgerkranz  aus  Eichenlaub  beschattet! 

Sie  werden  dir  Nomentum,  Gabii, 

Die  Stadt  Fidena  gründen  und  die  Berge 

Dir  krönen  mit  der  Burg  Collatia, 

Pometii  und  Inuus'  Kastell, 


96  TEXT. 

haec  tum  nomina  erunt,  nunc  sunt  sine  nomine  terrae, 
quin  et  avo  comitem  sese  Marortius  addet 
Romulus,  Assaraci  quem  sanguinis  Ilia  mater 
educet:  viden  ut  geminae  stant  vertice  cristae, 

780  et  pater  ipse  suo  superum  iam  signat  honore? 

en  huius  nate  auspiciis  illa  incluta  Roma 
imperium  terris,  animos  aequabit  Olympo, 
septemque  una  sibi  muro  circumdabit  arces, 
felix  prole  Tirum:  qualis  Berecyntia  mater 

786  invehitur  curru  Phrygias  turrita  per  urbes, 

laeta  deum  partu,  centum  complexa  nepotes, 
omnis  caelicolas,  omnis  super  alta  tenentis. 
huc  geminas  nunc  flecte  acies,  hanc  aspice  gentem 
Romanosque  tuos;  hie  Caesar  et  omnis  luli 

790  progenies,  magnum  caeli  Ventura  sub  axem. 

hie  vir  hie  est  tibi  quem  promitti  saepius  audis, 
Augustus  Caesar  divi  genus,  aurea  eondet 
saecula  qui  rursus  Latio  regnata  per  arva 
Satumo  quondam,  super  et  Garamantas  et  In  dos 

796  proferet  imperium  —  iacet  extra  sidera  tellus, 

extra  anni  solisque  vias,  ubi  caelifer  Atlans 
axem  umero  torquet,  stellis  ardentibus  aptum  — : 
huius  in  adventum  iam  nune  et  Caspia  regna 
responsis  horrent  divom,  et  Maeotia  tellus, 

800  et  septemgemini  turbant  trepida  ostia  Nili. 

nee  vero  Aleides  tantum  telluris  obivit, 
fixerit  aeripedem  cervam  licet,  aut  Erymanthi 
paearit  nemora,  et  Lemam  tremefecerit  areu; 
nee  qui  pampineis  vietor  iuga  flectit  habenis, 

805  Liber  agens  celso  Nysae  de  vertice  tigris. 

et  dubitamus  adhue  virtutem  extendere  factis 
•    aut  metus  Ausonia  prohibet  eonsistere  terra. 


787  supera  alta  ilf  *        806  virtute  extendere  vires  PB 


ÜBERSETZUNG.  97 

Bola  und  Cora:  Namen  einst  von  Klang, 
Noch  sind  es  unbenannte  Strecken  Lands. 
Ja,  dann  wird  seinem  Ahne  sich  gesellen 
Als  Helfer  Romulus,  der  Sohn  des  Mars, 
Von  seiner  Mutter  Ilia  erzogen, 
Der  Fürstin  aus  trojanischem  Geblüt. 
Zu  Häupten  sieh  den  Doppelbusch  ihm  ragen 
Wie  ein  Symbol  der  künft'gen  Majestät, 
Mit  dem  schon  jetzt  der  Vater  selbst  ihn  krönt. 
In  seinem  Zeichen  dehnt  dereinst  ihr  Reich 
Die  stolze  Roma  bis  zum  Weltenende, 
Hoch  bis  zum  Himmel  ihren  Heldenmut, 
Und  faßt,  die  eine,  sieben  Vesten  sich 
In  einem  Mauerkranze,  reich  gesegnet 
Mit  Heldensippen,  wie  die  Göttermutter, 
Die  turmgekrönt  durch  Asiens  Städte  fährt 
Voll  Mutterstolz  auf  ihre  Götterkinder, 
Auf  ihrem  Schoß  die  ganze  Schar  der  Enkel, 
Die  in  den  hohen  Himmelssälen  thront. 
Nun  schaue  her  auf  deiner  Römer  Stamm, 
Auf  Caesar  und  des  Julus  ganz  Geschlecht, 
Das  einst  emporsteigt  zu  des  Himmels  Sternen 
Ja  er,  er  ist's,  der  oft  schon  dir  verheißen, 
Augustus,  des  verklärten  Caesar  Sohn. 
Die  goldnen  Zeiten  wird  er  wiederbringen 
Den  Auen  Latiums,  wo  Saturn  einst  herrschte; 
Des  Reiches  Mehrer  wird  er  sein  bis  jenseits 
Der  Wüstenvölker  und  der  Inder  Grenzen: 
Das  Land  liegt  außerhalb  der  Sonnenjahrbahn 
Und  unsrer  Himmelszonen,  dort  wo  Atlas 
Auf  Riesenschultem  dreht  das  Firmament, 
Das  in  der  Sterne  Flammenschmuck  erstrahlt. 
Schon  zittern  vor  dem  Nahen  des  Gewalt'gen, 
Durch  der  Orakel  Götterspruch  geschreckt. 
Die  Völker  in  des  hohen  Nordens  Steppen, 
Und  bange  bebt  der  siebenarm'ge  Nil. 
Nicht  Hercules  durchzog  so  weite  Lande, 
Der  Friedenstifter  in  Arkadiens  Bergen, 
Deß  Pfeil  die  Hindin  mit  den  eh'men  Hufen 
Erlegt,  vor  dem  der  Wurm  des  Pfuhls  erbebte. 
Nicht  Bacchus,  der  von  Himalajas  Firnen 
Mit  weinumrankten  Zügeln  sein  Gespann 
Von  Tigern  im  Triumph  hemiederlenkte. 
Da  zagen  wir  noch,  unsem  Heldenadel 
Durch  Taten  zu  bewähren,  oder  Furcht 

Vk  R  G 1 1,  Buch  VI,  von  Norden.  7 


98  TEXT. 

quis  procul  ille  autem,  ramis  insignis  olivae, 
Sacra  ferens?     nosco  crinis  incanaque  menta 

810  regis  Romani,  primam  qui  legibus  urbem 

fundabit,  Curibus  parvis  et  paupere  terra 
missus  in  imperium  magnum.     cui  deiade  subibit 
otia  qui  rumpet  patriae,  residesque  movebit 
Tullus  in  arma  viros  et  iam  desueta  triumphis 

815  agmina.     quem  iuxta  sequitur  iactantior  Ancus, 

nunc  quoque  iam  nimium  gaudens  popularibus  auris. 
vis  et  Tarquinios  reges  animamque  superbam, 
ultoris  Bruti  fascesque  videre  receptos? 
consulis  imperium  hie  primus  saevasque  secures 

820  accipiet,  natosque  pater  nova  bella  moventis, 

ad  poenam  pulchra  pro  libertate  vocabit, 
infelix,  utcumque  ferent  ea  facta  minores: 
vincet  amor  patriae,  laudumque  immensa  cupido. 
quin  Decios  Drusosque  procul,  saevomque  securi 

825  aspice  Torquatum,  et  referentem  signa  Camillum. 

ülae  autem  paribus  quas  fulgere  cernis  in  armis, 
concordes  animae  nunc  et  dum  nocte  premuntur, 
heu  quantum  inter  se  bellum,  si  lumina  vitae 
attigerint,  quantas  acies  stragemque  ciebunt, 

830  aggeribus  socer  Alpinis  atque  arce  Monoeci 

descendens,  gener  adversis  instructus  eois. 
ne  pueri  ne  tanta  animis  adsuescite  beUa, 
neu  patriae  validas  in  viscera  vertite  viris, 
tuque  prior  tu  parce  genus  qui  ducis  Olympo, 

835  proice  tela  manu  sanguis  mens. 

ille  triumphata  Capitolia  ad  alta  Corintho 
victor  aget  currum,  caesis  insignis  Achivis; 
eruet  ille  Argos  Agamemnoniasque  Mycenas, 
ipsumque  Aeaciden,  genus  armipotentis  Achilli, 

840  ultus  avos  Troiae,  templa  et  temerata  Minervae. 


839  Achillei  P 


ÜBERSETZUNG.  99 

Läßt  uns  Italiens  Erde  nicht  betreten?  — 

Wen  seh'  ich  dort  die  Opfergaben  tragen, 

Das  Haupt  mit  dem  Olivenlaub  gekränzt? 

Am  weißen  Haar  erkenn'  ich  und  am  Barte 

Den  Römerkönig,  der  den  jungen  Staat 

Uns  durch  Gesetze  festigt:  Cures  sendet, 

Der  dürft'ge  Flecken,  in  die  Hauptstadt  ihn. 

Nach  ihm  kommt  Tullus,  der  dem  Vaterlande 

Die  Muße  bricht  und  zu  den  Waffen  ruft 

Die  trägen,  schon  triumphentwöhnten  Scharen. 

Auf  ihn  folgt  Ancus,  der  schon  jetzt  zu  sehr 

Nach  wind'ger  BeifaUsgunst  der  Massen  hascht. 

Willst  du  auch  sehen  des  Tarquinierkönigs 

Hoffärt'ge  Seele,  seh'n  die  Rutenbündel, 

Die  Brutus  ihm,  der  Rächer,  wieder  nimmt? 

Die  Macht  des  Konsuls  über  Tod  und  Leben 

Wird  er  zuerst  erhalten,  wird  —  der  Vater!  — 

Die  eignen  Söhne  für  Rebellion 

Dem  Tode  weih'n,  ein  Hort  der  heil'gen  Freiheit: 

Unglücklich,  ob  auch  noch  so  sehr  die  Nachwelt 

Die  Tat  einst  rühmt-,  es  siegt  La  ihm  die  Liebe 

Zum  Vaterland  und  mächt'ge  Ruhmbegier. 

Dort  hinten  sieh  die  Decier  und  die  Druser, 

Torquatus  mit  dem  grimmen  Beil,  Camillus, 

Der  die  verlor'nen  Banner  wiederbringt. 

Doch  jene,  die  in  gleicher  Rüstung  funkeki, 

Einträchtig  jetzt,  da  noch  die  Nacht  sie  deckt,  — 

Weh,  welchen  Bürgerkrieg  auf  blut'ger  Walstatt 

Entfachen  sie  dereinst  am  Licht  der  Welt, 

Der  Schwäher,  der  vom  Mauerwall  der  Alpen, 

Der  Burg  des  Hercules,  zu  Tale  steiget. 

Der  Eidam  mit  der  Wehr  des  Orients. 

Nein,  Kinder,  richtet  euem  Sinn  doch  nicht 

Auf  solche  Fehde,  kehrt  die  Wehr  der  Waffen 

Nicht  wider  eures  Vaterlandes  Herz. 

Du,  Caesar,  dessen  Ahnin  wohnt  im  Himmel, 

Meiu  Anverwandter,  lasse  Gnade  walten. 

Wirf  du  zuerst  die  Waffen  aus  der  Hand! 

Der  dort,  ein  großer  Held  in  Griechenschlachten, 

Bezwingt  dereinst  Korinth  imd  lenkt  den  Wagen 

Zum  First  des  Kapitoles  im  Triumph. 

Der  stürzt  Mykenae,  Agamemnons  Reich, 

Und  Argos,  stürzt  den  Makedonenkönig, 

Der  von  Achill,  dem  Helden,  stammt:  so  rächt  er 

Uns,  seine  Troerahnen,  an  den  Griechen, 


100  TEXT. 

quis  te  magne  Cato  tacitum  aut  te  Gösse  relinquat, 
quis  Gracchi  genus,  aut  geminos  duo  fulmina  belli 
Scipiadas,  cladem  Libyae,  parvoque  potentem 
Fabricium,  vel  te  sulco  Serrane  serentem? 

845  quo  fessum  rapitis  Fabii?     tun  Maximus  ille  es, 

unus  qui  nobis  cunctando  restituis  rem? 
excudent  alii  spirantia  mollius  aera  — 
Credo  equidem  —,  vivos  ducent  de  marmore  voltus; 
orabunt  causas  melius,  caelique  meatus 

850  describent  radio,  et  surgentia  sidera  dicent: 

tu  regere  imperio  populos  Romane  memento  — 
haec  tibi  erunt  artes  —  pacique  inponere  morem, 
parcere  subiectis,  et  debellare  superbos.' 

Sic  pater  Anchises,  atque  haec  mirantibus  addit. 

856  'aspice  ut  insignis  spoliis  Marcellus  opimis 

ingreditur,  victorque  viros  supereminet  omnis. 
hie  rem  Romanam  magno  turbante  tumultu 

FMPR    sistet  eques,  stemet  Poenos  Grallumque  rebellem, 
tertiaque  arma  patri  suspendet  capta  Quirino.' 

860  atque  hie  Aeneas  —  una  namque  ire  videbat 

egregium  forma  iuvenem  et  fulgentibus  armis, 
sed  frons  laeta  parum,  et  deiecto  lumina  voltu  — 
'quis  pater  ille  virum  qui  sie  comitatur  euntem? 
filius,  anne  aliquis  magna  de  stirpe  nepotum? 

865  qui  strepitus  circa  comitum,  quantum  instar  in  ipso, 

sed  nox  atra  caput  tristi  circumvolat  umbra.' 
tum  pater  Anchises  lacrimis  ingi-essus  obortis. 
'o  gnate  ingentem  luctum  ne  quaere  tuorum: 
ostendent  terris  hunc  tantum  fata,  nee  ultra 

870  esse  sinent;  nimium  vobis  Romana  propago 

visa  potens  superi,  propria  haec  si  dona  fuissent. 

MFR       quantos  ille  virum  magnam  Mavortis  ad  urbem 


845  tu  MP^R        846  restitues  R        848  cedo  P»         852  hae  MP^R  pacis 
Sermus        865  quis  F^MR        868  nate  FPR 


ÜBERSETZUNG.  101 

Die  unsrer  Pallas  Heiligtum  entweiht. 

Wer  könnte,  großer  Cato,  dich  vergessen, 

Und  Cossus  dich;  wer  Gracchus'  edle  Söhne; 

Die  Scipionen,  Afrikas  Verderben, 

Zween  Schlachtenblitze;  wer  Fabricius, 

So  arm  wie  mächtig;  wer,  Serranus,  dich. 

Den  Rom  vom  Pflug  sich  holen  wird  zum  Schwert? 

Was  bannt  ihr,  Fabier,  meinen  müden  Blick? 

Du  also  bist  der  Einz'ge,  bist  der  Große, 

Durch  zähes  Zaudern  uns'res  Reiches  Retter! 

Traun  andre  werden  wohl  mit  weicher'm  Schmelze 

Ein  atmend  Kunstgebild  aus  Erz  gestalten, 

Dem  Marmor  lebenswarme  Züge  geben 

Und  besser  reden  vor  Gericht  und  Volk, 

Mit  ihrem  Stab  des  Himmels  Bahnen  zeichnen 

Und  künden,  wie  an  ihm  die  Sterne  zieh'n; 

Du  bist  ein  Römer,  dies  sei  dein  Beruf: 

Die  Welt  regiere,  denn  du  bist  ihr  Herr, 

Dem  Frieden  gib  Gesittung  und  Gesetze, 

Begnad'ge,  die  sich  dir  gehorsam  fügen. 

Und  brich  in  Kriegen  der  Rebellen  Trutz." 

So  sprach  er,  staunend  hörten  sie  ihm  zu. 

Dann  fuhr  er  fort:  „Sieh,  wie  Marcellus  dort. 

Der  Held,  im  Glanz  der  Siegstrophäen  wallet 

Und  wie  er  alle  Mannen  überragt. 

In  tosendem  Tumulte  wird  er  schirmen 

Als  Reisiger  das  Reich,  wird  niederstrecken 

Die  Punier  und  die  gallischen  Rebellen, 

Zum  drittenmal  Trophäen  weih'n  dem  Mars." 

Da  sah  bei  ihm  Aeneas  einen  Jüngling 

Von  einz'ger  Schönheit  und  im  Glanz  der  Waffen, 

Doch  ernst  die  Stirn,  am  Boden  hing  sein  Blick. 

„Wer  Vater,  ist's,  der  so  ihm  geht  zur  Seiten? 

Sein  Sohn?  vom  großen  Stamm  der  Enkel  einer? 

Wie  jauchzt  sein  Troß,  wie  stattlich  ist  er  selbst. 

Doch  schwarzbeschwingt  umschattet  Nacht  sein  Haupt." 

Da  hub  Anchises  unter  Tränen  an: 

„Ach,  mein  Sohn,  von  der  gewalt'gen  Trauer 

Deines  Volks  verlange  keine  Kunde: 

Zeigen  nur  wird  ihn  der  Welt  ein  Dämon, 

Wird  nicht  länger  ihn  dem  Lichte  gönnen. 

Romas  Söhne  däuchten  euch  zu  mächtig, 

Götter,  bliebe  solch  Geschenk  ihr  eigen. 

Welches  Stöhnen  wird  zu  großen  Marsstadt 


102  TEXT. 

Campus  aget  gemitus,  vel  quae  Tiberine  videbis 
funera,  cum  tumulum  praeterlabere  recentem. 

875  nee  puer  Iliaca  quisquam  de  gente  Latinos 

in  tantum  spe  tollet  avos,  nee  Romula  quondam 

uUo  se  tantum  tellus  iactabit  alumno. 

heu  pietas,  heu  prisca  fides,  invictaque  hello 

FMPR    dextera:  non  iUi  se  quisquam  impune  tulisset 

880  ohvius  armato,  seu  cum  pedes  iret  in  hostem, 

seu  spumantis  equi  foderet  calcaribus  armos. 
heu  miserande  puer;  si  qua  fata  aspera  rumpas, 
tu  MarceUus  eris.     manibus  date  lilia  plenis, 
purpureos  spargam  flores,  animamque  nepotis 

885  his  saltem  adcumulem  donis,  et  fungar  inani 

munere.'     sie  tota  passim  regione  vagantur, 
aeris  in  campis  latis,  atque  omnia  lustrant. 
quae  postquam  Anchises  natum  per  singula  duxit, 
incenditque  animum  famae  venientis  amore, 

890  exin  beUa  viro  memorat  quae  deinde  gerenda, 

Laurentisque  docet  populos  urbemque  Latini, 
et  quo  quemque  modo  fugiatque  feratque  laborem. 

Sunt  geminae  Somni  portae;  quarum  altera  fertur 
Cornea,  qua  veris  facilis  datur  exitus  umbris; 

895  altera  candenti  perfecta  nitens  elephanto, 

sed  falsa  ad  caelum  mittunt  insomnia  manes. 
his  ubi  tum  natum  Anchises  unaque  Sibyllam 
prosequitur  dictis,  portaque  emittit  ebuma, 
iUe  viam  secat  ad  navis,  sociosque  revisit; 

900  tum  se  ad  Caietae  recto  fert  litore  portum. 

[ancora  de  prora  iacitur,  stant  litore  puppes.] 


876  spes  B         890  exim  F^         897  ibi  FPB         901  fehlt  im  Text  von 
MPB,  getilgt  von  Benlley. 


ÜBERSETZUNG.  103 

Hallen  von  dem  Anger,  welch'  Gefolge 
Schaust  du  einst,  wenn  du  vorüberwallest, 
Gott  des  Tiberstroms,  am  frischen  Grab! 
Hoffiaungsvoller  den  Latinerahnen 
Wird  kein  Kind  vom  Troerstamm  erblühen. 
Keines  Sohns  wird  sich  mit  gleichem  Stolze 
Rühmen  je  das  Land  des  Romulus. 
Fromm  sein  Sinn,  von  alter  Art  die  Treue, 
Unbesiegbar  seine  Faust  in  Waffen: 
Jeder  war'  verloren,  dem  im  Kriege 
Er  begegnen  würde,  mag  er  stürmen 
Auf  den  Feind  zu  Fuß,  mag  er  die  Sporen 
Geben  seinem  schaumbespritzten  Roß. 
Weh  dir,  armes  Kind!     Daß  dir's  gelänge, 
Deines  Dämons  Fesseln  doch  zu  brechen: 
Was  für  ein  Marceller  würdest  du! 
Reicht  mir  Lilien  her  mit  vollen  Händen, 
Daß  ich  ihre  Purpurblüten  streue: 
Diese  letzten,  undankbaren  Spenden 
Will  ich  meines  Enkels  Seele  weih'n." 

So  schweiften  allerwege  sie  umher 

Im  Luftgefilde,  wo  sie  jedes  schauten. 

Als  so  Anchises  überall  den  Sohn 

Geleitet  und  sein  Herz  begeistert  hatte 

Mit  glüh'nder  Liebe  für  den  Ruhm  der  Zukunft, 

Sprach  von  dem  Krieg  er  ihm,  der  seiner  harre 

Mit  den  Italervölkem  vor  der  Stadt 

Königs  Latinus,  von  Gefahr  und  Leiden, 

Die  er  besteh'n  und  die  er  meiden  solle. 


Es  gibt  —  so  geht  die  Mär  —  zwei  Traumespforten 
Aus  Hom  die  eine:  mit  beschwingtem  Flug 
Enteilen  ihr  zum  Licht  die  wahren  Träume; 
Die  andre  schimmert  weiß  von  Elfenbein: 
Aus  ihr  entsenden  Geister  falsche  Träume. 
Anchises  gab  dem  Sohn  und  der  Sibylle 
Mit  seinen  Worten  das  Geleit  und  ließ 
Sie  durch  das  Tor  von  Elfenbein  hinaus. 
Aeneas  eilte  grades  Wegs  zur  Flotte, 
Wo  er  die  Freunde  wiederfand,  und  fuhr 
Dem  Strand  entlang  zum  Hafen  von  Cajeta. 


m. 
KOMMENTAR 


Alphabetisches  Verzeichnis  der  im  Kommentar  öfters  zitierten 
Ausgaben  und  Abhandinngen. 


1.  Ausgaben: 

Gerda,  Madrid  1612. 
Conington-Nettleship  ü,  London  1884. 
Foggini,  Codex  Mediceus,  Florenz  1741. 
Forbiger,  Leipzig  1873. 
Fragmenta  et  picturae  Vergiliana  co- 

dicis  Vaticani  3225,  Rom  1899. 
Germanus,  Antwerpen  1577. 
Gossrau,  Quedlinburg-Leipzig  1846. 
Heinsius-Burmann,  Amsterdam  1746. 
Heyne-Wagner  11^  Leipzig  1832. 
Ladewig-Deuticke,  Berlin  1889. 
Ladewig -Schaper-Deuticke  II,   Berlin 

1891. 
Peerlkamp,  Leyden  1843. 
Ribbeck\  Leipzig  1860. 
Ribbeck*,  Leipzig  1895. 
Sabaddini,  Turin  1898. 
Thiel,  Berlin  1834—38. 


2.  Abhandlnngen: 

Diels ,    Sibyllinische    Blätter ,     Berlin 

1890. 
Dieterich,  Nekyia,  Leipzig  1893. 
Henry,  Aeneidea  HI,  Dublin  1881. 
Köne,    Die    Sprache    der    römischen 

Epiker,  Münster  1840. 
Ladewig,    De   Vergilio  verborum   no- 

vatore,  Neustrelitz  1870. 
W.  Ribbeck,  Vergilii  auctores  et  imita- 

tores,  Leipzig  1862. 
Ursinus,  Virgilius  collatione  scriptorum 

graecorum    illustratus,     Antwerpen 

1568. 
Wagner,    Quaestiones  Virgilianae  (in 

Heynes  Ausgabe  IV ^),  Leipzig  1832. 


Erster  Hauptabschnitt:  Aeneas  und  die 
Sibylle  1—155. 
I.  Ankunft  in  Cumae  1 — 8. 

A.  Fahrt  u.  Landung  1 — 5  (puppes). 

B.  Erste  Unternehmungen  am  Land 
5  (iuvenum) — 8. 

II.  Besuch  bei  der  Sibylle  9 — 41. 

A.  Weg  bis  zur  Tür  des  Tempels 
9—13. 

B.  Beschreibung  des  Tempels  14 
bis  33  (manus). 

C.  Begegnung  mit  der  Sibylle  und 
Eintritt  in  den  Tempel  B3(quin) 
bis  41. 

in.  Befragung  und  Bescheid  der  Sibylle 
42—155. 

A.  Beschreibung  des  Lokals  42  -  44. 

B.  Epiphanie  des  Apollo  45 — 55. 

C.  Zwei  Wechselreden  des  Aeneas 
und  der  Sibylle  56 — 155. 

1.  Gebet  u.  Gelübde  des  Aeneas 
56—76. 

2.  Prophezeiung  der  Sibylle  77 
bis  97. 


Disposition  des  VI.  Baches. 

8.  Bitte  des  Aeneas  um  Erlaub- 
nis zur  Kardßaaic  98 — 123. 
4.  AntwortderSibyUe  124—155. 

Zweiter  Hauptabschnitt:  Vorbereitung 
zur  Kaxdßaoic  156—263. 
I.  Tod  des  Misenus  u.  Vorbereitungen 
zu  seiner  Bestattung;  damit  ver- 
knüpft die  Gewinnung  des  goldnen 
Zweiges  156—211. 

A.  Tod  des  Misenus  156—174. 

B.  Vorbereitungen  zur  Bestattung 
175—184. 

C.  Gewinnung  des  goldnen  Zweiges 
185—211. 

Et.  Bestattung  des  Misenus  212 — 235. 
III.  Opfer  für  die  Unterirdischen  236 
bis  263. 


Dritter  Hauptabschnitt:  die  KaräßacTic 

264—900. 
Prooemium  264—267. 
Tractatio  268—886  (mwmre). 
I.  Region    zwischen    Oberwelt    und 
Acheron  268—416. 


108 


DISPOSITION. 


A.  Eingang  des  Hades  268—294. 

B.  Gegend  am  Acheron  295 — 416. 

1.  Charon  und  die  Seelen   am 
Acheron  295—332. 

2.  Begegnung  des  Aeneas  mit 
einzelnen  Seelen  333—383. 

8.  Charon,  Aeneas  u.  die  Sibylle 
383—416. 
IL  Region  zwischen  Acheron  und  Tar- 
tarüs-Elysium  417—547. 

A.  Cerberus  417—425. 

B.  Seelenklassen  dieser  Kegion  426 
bis  547. 

1.  Säuglinge  426—429. 

2.  Unschuldig   Verurteilte    430 
bis  433. 

3.  Selbstmörder  434—439. 

4.  Liebende    auf   den   Trauer- 
gefQden  440-476. 

a)  Allgemeines  440 — 444. 

b)  Einzelne  Bewohner  445  bis 
449. 

c)  Begegnung    des    Aeneas 
mit  Dido  450—476. 

5.  Im  Kriege  Gefallene  477  bis 
547. 

a)  Einzelne   Kriegergruppen 
477-493. 

b)  Begegnung    des    Aeneas 
mit  Deiphobus  494 — 547. 


m.  Tartarus  548—627. 

A.  Einleitung  (iKcppaöic  töttou)  648 
bis  561. 

B.  Apokalypse  der  Sibylle  562  bis 
624. 

1.  Prooemium  562 — 565. 

2.  Tractatio  566—624. 

a)  Richter  und  Schergen  566 
bis  579. 

b)  Sünder   und  Strafen  580 
bis  624. 

3.  Conclusio  625—627. 

rV.  Palast    des    unterirdischen    Herr- 
scherpaars 628—636. 
V.  Elysium  637—678. 

A.  Schilderung  des  E.  und  seiner 
Bewohner  637—665. 

B.  Begegnung  mit  Musaeus  666 
bis  678. 

VI.  Lethehain  679—886  (munere). 

A.  Wiedersehen  mit  Anchises  679 
bis  702. 

B.  Lehre  von  der  Seelenwanderung 
703—751. 

C.  Die  große  Rede  des  Anchises 
(„Heldenschau")  752—886  (mu- 
nere). 

Conclusio  886(sic)—900. 


Ein  Blick  auf  vorstehende  Inhaltsübersicht  zeigt,  daß  der  von  Vergil 
in  dieses  Buch  verarbeitete  Stoff  ein  besonders  reicher  war:  daher  ist  be- 
greiflich, daß  es,  wie  Servius  in  den  Einleitungsworten  seines  Kommentars 
zu  diesem  Buche  bemerkt,  viele  Sonderabhandlungen  über  einzelne  Ab- 
schnitte dieses  Buches  gegeben  hat.  So  haben  wir  hier  Gelegenheit,  die 
Kunst  des  Dichters  zu  bewundem,  mit  der  er  das  weitschichtige,  aus 
gelehrten  Studien  aller  Art  mühsam  erworbene  Material  poetisch  gestaltet 
hat.  Epische  Handlung,  Reden  und  Beschreibungen  wechseln  sich  kunst- 
reich ab;  die  Handlung  selbst  erfährt  von  Anfang  bis  Schluß  eine  wirk- 
same Steigerung,  genau  in  der  Mitte  des  Ganzen  steht  die  von  dem 
weichgestimmten  Dichter  mit  besonderer  Liebe  ausgeführte  Episode  von 
dem  Wiedersehen  des  Aeneas  mit  Dido.  Licht  und  Schatten  ist  weise 
verteilt:  heitere  Bilder  wechseln  mit  traurigen,  groteske  Schilderungen 
mit  idyllischen;  in  der  großen,  das  ganze  Gebäude  krönenden  Rede  des 
Anchises,  der  sogenannten  „Heldenschau",  ringt  sich  die  bange  Stimmung, 
die  über  dem  Anfang  dieses  Buches  lagert,  triumphierend  durch  zu  einer 
gehobenen,  siegesgewissen,  zukunftsfreudigen:  wie  Aeneas,  so  wird  Roma 
durch  Nacht  zum  Lichte  vordringen,  und,  mag  ihr  auch  Leiden  nicht 
erspart  bleiben,  TÖ  b'  eu  viKr|aei.  Eine  solche  Konzeptionskraft  und 
Kunst  episch  großzügiger,  dramatischer  bewegter  Darstellung  hat  außer 
Vergil  unseres  Wissens  kein  lateinischer  Dichter  besessen;  und  auch 
darin  fand  er  wenige  seinesgleichen,    daß  trotz  mühevoller  Arbeit,  trotz 


DISPOSITION.  109 

gelegentlicher  Khetorik  doch  das  Feuer  wahrer  Begeisterung  seine  Verse 
durchdringt  und  das  nationale  Empfinden  von  griechischen  Gedanken 
und  griechischer  Technik  nicht  völlig  überwuchert  ist,  sondern  gelegent- 
lich in  stolzen  Worten  seinen  monumentalen  Ausdruck  findet.  Solchen 
Vorzügen  gegenüber  wird  man  geneigt  sein,  die  Fehler  milde  zu  be- 
urteilen, die  der  Dichter  mit  den  meisten  und  größten  seines  Volkes 
teilt.  Gewiß  ist  es  etwas  in  seiner  Art  Bewundernswertes,  wenn  Ovid 
auch  in  großen  Kompositionen  seine  Quellen  in  so  vollendeter  Weise  zu 
verbinden  versteht,  daß  man  die  Fugen  kaum  merkt,  während  es  sogar 
einem  Horaz  nicht  einmal  in  den  kleinen  poematia  und  sermones  immer 
gelungen  ist,  ein  widerspruchsloses  ev  zustande  zu  bringen.  Aber  trotz- 
dem läßt  uns  das  glatte  Virtuosentum  Ovids,  dem  das  Dichten  ein 
tändelndes  Spiel  war,  kalt,  während  wir  Vergil  auch  in  den  zahlreichen 
Fällen  Anerkennung  zollen,  wo  es  ihm  nicht  gelungen  ist,  die  Fülle  des 
Stoffes  ganz  zu  bewältigen,  wo  er  überlieferte  Motive  wenig  glücklich 
verwendet  und  sich  in  Widersprüche  mit  sich  selbst  verwickelt,  die  ihrer 
Art  nach  auch  bei  einer  endgültigen  Redaktion  kaum  beseitigt  worden 
wären,  da  sie  auf  dem  für  die  lateinische  Poesie  überhaupt  so  verhäng- 
nisvollen Prinzip  der  ^i)iir|(Tic  beruhen.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache, 
daß  in  einem  von  Vers  zu  Vers  fortschreitenden  Kommentar  grade  diese 
für  den  Dichter  ungünstigen  Einzelheiten  stärkere  Betonung  finden 
müssen  als  die  schwer  in  Worte  zu  fassenden  und  logisch  zu  beweisenden 
Vorzüge  der  Gesamtkomposition,  die  die  Probe  auf  ihre  Güte  in  der 
Wirkung  auf  die  Jahrtausende  bestanden  hat. 

Für  die  Komposition  im  großen  ist,  wie  das  Schema  der  Disposition 
zeigt,  triadische  Gliederung  bevorzugt  worden;  neben  dieser  kommen 
Tetraden  oder  deren  Hälften  vor.  Nur  einmal  findet  sich  eine  Fünfzahl 
(426 — 547),  aber  diese  Ausnahme  erklärt  sich  daraus,  daß  die  Gruppen  1, 
2,  3  unter  sich  eng  zusammenhängen,  die  Gliederung  also  auch  hier  in 
Wahrheit  triadisch  ist.  Dies  Priazip  des  pyramidalen  Aufbaus  war  für 
die  antike  Kunstübung  in  Poesie  und  Prosa  überhaupt  üblich:  als  Typen 
seien  die  pindarischen  Hymnen  und  die  demosthenische  Kranzrede  sowie 
die  horazischen  Oden  genannt.  Im  Kommentar  und  zusammenfassend  im 
Anhang  H  1  wird  ausgeführt  werden,  daß  sich  diese  Architektonik  auch 
auf  das  Einzelne  des  Periodenbaus  erstreckt. 


Erster  Hauptabschnitt:  Aeneas  und  die  Sibylle. 

1—155. 
I.   Ankunft  in  Ciunae  1 — 8. 

A.  Fahrt  und  Landung  1 — 5  (puppes).  Periodisierung  (vergl.  über 
das  von  mir  befolgte  Prinzip  der  Periodenanalyse,  der  die  Interpunktion  des 
Textes  entspricht:  Anhang  11  1  und  4):  zwei  xpiKUüXa  (1.  sie — lacrimans, 
classi — habenas.,  et — oris;  2.  öbvertwnt — proras,  tum — navis,  et — puppes). 

If.  Als  Vergil  das  sechste  Buch  begann,  lag  der  Schluß  des  fünften 
noch  nicht  vor;  er  ließ  das  sechste  also  mit  der  Schilderung  der  Landung 
in  Cumae  anfangen:  obvertunt  pelago  proras  etc.  (Vers  3 ff.).  Als  er 
dann,  nach  Beendigung  von  VI,  den  Schluß  von  V  gedichtet  hatte, 
nämlich  die  Klage  des  Aeneas  um  den  auf  der  Fahrt  nach  Cumae  ver- 
luiglückten  Palinurus  (V  870f),  fügte  er  in  seinem  Manuskript  diesem 
Schluß  zwei  Verse  hinzu,  die  bestimmt  waren,  die  Handlung  von  V  mit 
der  von  VI  zu  verknüpfen:  sie  fatur  lacrimans,  classique  immittit  habe- 
nas, I  et  tandem  Euboicis  Cumarum  adlabitur  oris.  Diese  beiden  Verse 
sollten  in  der  definitiv  redigierten  Ausgabe  statt  wie  im  Manuskript  den 
Schluß  von  V  vielmehr  den  Anfang  von  VI  bilden,  nach  Analogie  der 
homerischen  Buchanfänge  H :  uüc  eiirtuv  und  v :  tüC  ecpato.  Dieser  Intention 
des  Dichter  entsprechend  rückte  Varius  die  beiden  Verse  von  der  Stelle, 
wo  er  sie  im  Manuskript  vorfand,  dem  Schluß  von  V,  an  den  Anfang 
von  VI,  wo  sie  denn  auch  in  imseren  Hss.  stehen.  Dieser  Sachverhalt 
ist  aus  dem  Scholion  des  Servius  von  Conrads,  Quaest.  Virgilianae 
(Trier  1863)  p.  XXIV  richtig  erschlossen.  Wie  das  Buch  mit  der  Imitation 
eines  homerischen  Buchanfangs  beginnt,  so  endigt  es  mit  derjenigen 
eines  homerischen  Buchschlusses  (s.  zu  900). 

Die  beiden  Verse  sind  von  echt  vergilischer  Prägnanz.  Die  Klage 
um  den  verlorenen  Freund  weicht  der  Sehnsucht  nach  dem  nahen  Ziel 
der  Irrfahrt;  daher  setzt  Aeneas  alle  Segel  auf  und  jagt  über  die  nächt- 
lichen Fluten  (vergl.  V  868);  bei  Morgengrauen  kommt  die  Küste  in 
Sicht,  die  Fahrt  wird  verlangsamt  und  endlich  (tandem,  vergl.  Servius: 
ad  Aeneae  desiderium  retulit  olim  ad  Italiam  venire  cupientis,  vergl.  61 
und  III  131  f  mit  Servius'  Bemerkung)  gleitet  die  Flotte  dem  Gestade 
zu.  Das  alles  liegt  in  den  beiden  Versen,  aber  der  Dichter  ist  ndt 
Worten  sparsam,  um .  die  selbsttätige  Phantasie  des  Lesers  zu  erregen. 
Solche  dem  alten  Epos  unbekannte  Sparsamkeit  stammt  aus  der  zeit- 
genössischen Rhetorik,  durch  welche  gedankenschwere  Kürze  zum  stili- 
stischen Prinzip  erhoben  war  (V.'s  'brevitas'  und  'celeritas'  wird  gelobt 
in    den    Schollen   zu   a.^  HI  291.  XI  756.  XII  754).     Vergil    hat,    seiner 


VERS  1—5.  lil 

ganzen  poetischen  Haltung  entsprechend,  die  moderne  Technik  mit  der 
durch  das  alte  Epos  sanktionierten  behaglichen  Breite  verbunden.  So 
huldigt  er  dem  letzteren  Prinzip  in  den  gleich  folgenden  Versen  3  ff.,  wo 
er  die  nautischen  Manöver  mit  dem  im  griechischen  und  römischen  Epos 
(Ennius  a.  491)  traditionellen  Detail  beschreibt.  Der  Brauch  war  so 
konstant  geworden,  daß  Vergil,  seiner  sonstigen  Praxis  zuwider  (s.  zu 
5 — 8),  dabei  technische  Bezeichnungen  wie  ohvertere  proras  nicht  meidet 
(so  notieren  die  Scholien  ^nautica  vocabula'  zu  a.  I  244.  IH  291.  V  1. 
159.  IX  97.  XI  327).  —  Die  in  römischer  Poesie  seit  Lucrez  V  787  oft 
begegnende  und  fast  entwertete  Metapher  hdbenas  immittere  stammt  aus 
dem  Griechischen,  kein  griechischer  oder  älterer  lateinischer  Dichter 
stimmt  aber  so  genau  mit  dem  vergilischen  classi  immittit  hahenas  wie 
Oppian  hal.  229 f  (angeführt  von  Gerda):  7TpiJ|nvri  b'  ein  irdvTa  x«^iva 
iöuvxfip  dviT](Ti:  die  Übereinstimmung  Vergils  mit  einem  von  hellenistischer 
Poesie  so  stark  beeinflußten  Dichter  wie  Oppian  läßt  auf  diese  als  ge- 
meinsames Vorbild  schließen,  so  gut  wie  wir  denselben  Schluß  aus  einer 
Übereinstimmung  zwischen  Oppian  mit  Horaz  (Lambin  zu  od.  IV  5,  9  ff.) 
ziehen  müssen.  —  Die  Verlangsamimg  der  Fahrt  in  der  Nähe  der  Küste, 
ein  Moment,  das  anderswo  genauer  hervorgehoben  ist  (HE  207.  532), 
wird  hier  durch  die  Wahl  von  adlabi  bloß  angedeutet  (vergl.  m  5681), 
wie  es  V  3  3  f.  fertur  dta  gurgite  classis,  \  et  tandem  laeti  notae  advertuntur 
harenae  durch  den  starken  Wechsel  der  Rhythmen  malerisch  veran- 
schaulicht wird  (s.  Anhang  VII  B  1).  —  Das  nun  folgende  Manöver  (3 — 5) 
entspricht  dem  TtpujLivav  KpoOecTGai  (beschrieben  schol.  Aristoph.  Av.  398): 
da  Wind  und  Strömung  das  Schiff  dem  Ufer  zutreiben,  muß  es  vor  dem 
Ankern  wenden  (vergl.  J.  Segebade,  Vergil  als  Seemann,  Oldenburg 
1895,  17).  —  Die  Schilderung  der  Schiffsmanöver  wird,  wie  sie  mit 
einer  Metapher  begann,  so  durch  eine  solche  abgeschlossen:  Uttora  curvae 
praetexunt  puppes,  die  am  Ufer  verankerten  Schiffe  bilden  dessen  Saum, 
wie  sonst  die  harundo  (b.  7,  12  praetexit  harundine  ripas  Mincius)  und 
wie  die  ora  selbst  der  'Saum'  des  Landes  ist.  —  Zu  der  Plastik,  die 
die  ganze  SteUe  auszeichnet,  gehört  endlich  auch  die  Wahl  der  sinnlichen 
Ausdrücke  dens  ancorae  (ebenso  das  Griechische)  und  puppes  curvae 
(d)aq)ie\icrcrai). 

Kunstvoll  ist  auch  die  Periodisierung.  Die  eigentliche  Landung  wird 
in  einem  TpiKuuXov  beschrieben,  das  deutlich  hervorgehoben  ist  sowohl 
dadurch,  daß  jedes  küjXov  mit  einem  Verseinschnitt  endigt,  als  dadurch, 
daß  innerhalb  der  Glieder  ziemliche  Responsion  der  Begriffe  herrscht: 

pelago  öbvertuM  proras 

ancora  dente  tenaci        fimdahat  naves 
puppes  curvae  praetexunt  litora. 

Derartiges  gehört  auch  in  der  Poesie  zu  den  Mitteln  gehobener  Diktion; 
bei  Vergil  werden  wir  es,  enstsprechend  seiner  Neigung  zu  einer  ge- 
mäßigten Rhetorik,  oft  finden  (s.  auch  Anhang  11  3) ;  unserer  SteUe  be- 
sonders nahe  verwandt  ist  11  235 ff.: 

accinguMt  omnes  operi,  \  pedibusque  rotarum 
subidunt  lapsus,  |  et  stuppea  vincula  collo 
intendimt  1  , 


112  KOMMENTAR 

ein  TpiKUuXov,  wo  die  Responsion  durch  die  Homoioteleuta  der  Verben 
noch  gehoben  wird.  —  Kunstvoll  endlich  ist  das  malerische  Moment,  das 
in  der  Auswahl  sowohl  der  Rhythmen  wie  der  Laute  hervortritt.  Das 
durch  Rudern  ausgeführte  Manöver  des  Schiffwendens  ist  schwer  und 
geht  langsam  von  statten:  daher  überwiegen  in  den  Worten  obvertunt 
pelago  proras  imd  litora  curvae  praetexunt  puppes  die  Spondeen;  im 
Kontrast  zu  diesen  stehen  im  folgenden  (5  ff.)  die  das  emsige  Treiben 
am  Land  malenden  Dalitylen,  die  nur  unterbrochen  werden  durch  die 
schweren  Spondeen  6  f.  quaerit  pars  semina  flammae  \  dbstrusa  in  venis 
silicis,  auch  dies  absichtlich,  denn  das  Feuerschlagen  ist  eine  mühsame 
Arbeit:  Soph.  Phü.  296f.  ev  Treipoicri  irerpov  eKTpißuuv  |uö\ic  |  eqpriv' 
acpavTOV  irOp.  Die  Lautmalerei  ist  deutlich  in  der  Alliteration  pelago 
proras — praetexunt  puppes^  sowie  der  klingenden  Verbindung  dente  tenaci. 
Näheres  über  diese  malerischen  Elemente  der  vergilischen  Poesie  im 
Anhang  VIIAB. 

2  Euboicis  Cumarum  oris.  Die  bekannte  sogenannte  Enallage  des 
Adjektivs  ist  aus  dem  Griechischen  in  die  lateinische  Poesie  übemonmien, 
und  zwar,  da  sie  besonders  häufig  in  der  griechischen  Tragödie  ist 
(E.  Bruhn  im  VIII  Bd.  des  Schneidewin-Nauck'schen  Sophokles,  Berlin  1899, 
7 ff.),  möglicherweise  durch  das  Medium  der  Tragödienübersetzungen,  an 
denen  Ennius  sich  seinen  hohen  Stil  auch  für  das  Epos  bildete.  Für 
uns  ist  sie  wohl  zuerst  belegbar  bei  Lucrez  I  475  Alexandri  Phrygio  suh 
pectore,  V  24 f.  Nemeaeus  .  .  .  Malus  leonis.  Die  lateinischen  Dichter  siad 
sich  der  für  ihre  Sprache  großen  Kühnheit  stets  als  solcher  bewußt 
geblieben:  sie  verwenden  sie  im  Vergleich  zu  den  griechischen  überhaupt 
nur  selten  und  dann  mit  Vorliebe  bei  Eigennamen  und  an  Stellen  von 
großem  Pathos.  Vergil  steigert  die  Kühnheit  in  den  letzten  Büchern; 
XI  35  maestum  Iliades  crinem  de  more  solulae  (TpaYiKUJc),  XII  739  post- 
quam  arma  dei  ad  Volcania  ventum  est.  Oft  dient  die  Figur  nur  zur 
Umgehung  metrisch  unbequemer  oder  unbrauchbarer  Formen,  so  in  vor- 
liegendem Vers  und  IX  719  m  Euboico  Baiarum  litore  (denn  Euhoicarum 
war  als  fünfsilbiges  Wort  vom  Schluß  des  kunstgemäßen  Hexameters 
ausgeschlossen  [s.  Anhang  VIII]  und  im  Innern  nur  mit  einer  wenig 
graziösen  Synaloephe  brauchbar)  sowie  unten  57  Dardana  .  .  .  Paridis 
tela  {Dardani  _  u  _  unbrauchbar),  vergl.  g.  I  309  stuppea  verbera  fundae. 
Gelegentlich  soll  dadurch  auch  die  unbeliebte  Wiederholung  gleich- 
lautender Endungen  (s.  Anhang  IV)  vermieden  werden,  so  in  dem  an- 
geführten Beispiel  des  Lucrez  (statt  Alexandri  Phrygii)  und  a.  VIII  526 
Tyrrhenusque  tubae  .  .  .  clangor  (statt  Tyrrhenaeque  tuhae).  —  Die  ge- 
lehrte Bezeichnung  des  'euböischen'  Cumae  ziemt  dem  doctus  poeta;  der 
Anachronismus  (%p6\riv|Jic  Mstoriae'  Hygin  bei  Gellius  X  16,  8)  wie  17 
CJialcidica  arce.  Über  solche  Anachronismen  bei  Vergil  stellte  Hygin 
Untersuchungen  an,  die  uns  teils  bei  Gellius  1.  c.  teils  in  den  Schollen 
vorliegen;  er  entschied  sich  dafür,  daß  dergl.  erlaubt  sei,  wo  der  Dichter 
in  eigener  Person  spreche  (so  hier;  I  2  Aeneas  kommt  Lavinia  litora; 
vergl.  Vin  3 60 f.),  aber  fehlerhaft,  wo  er  eine  seiner  Personen  sprechen 
lasse,  wie  unten  366  (Palinurus  bittet  Aeneas,  ihn  in  Velia  zu  begraben, 
vergl.  III  703  f.).  Wenn  Hygin  glaubt,  Vergil  würde  Stellen  der  letzteren 
Art    geändert  haben,   so  ist  das  pedantisch   gedacht,   wie   die  Beispiele 


VERS  1—4.  113 

anderer  Dichter  beweisen  (vergl.  Jacob,  Quaest.  epicae,  Leipzig  1839, 
186f.,  A.  Ebert,  Der  Anachronismus  in  Ovids  Met.,  Ansbach  1888,  33f.), 
Hygin  hat  diese  Art  von  Kritik  übrigens  aus  Kommentaren  zu  griechischen 
Dichtern  (z.  B.  schol.  Eurip.  Phoen.  6  x]  OoiviKiT  TTpoXriTTTiKÖc  6  XÖYOC, 
oiibeTTUü  fäp  eKaXeiTO  O.  u.  dgl.  oft,  schol.  Apollon.  Arg.  IV  553:  er  nenne 
Italien  falsch  Ausonien,  epoO|nev  be  öti  eirei  auTÖc  6  iroiriTfic  outujc 
ujvö)iaaev,  €1  Ktti  |ufi  Karct  toOc  eKeivtuv  xpovouc  fjv). 

3  ff.  Die  Wahl  der  Tempora  öbvertunt  und  praetexunt  neben  /tm- 
dabat  erfolgte  hier  mit  Absicht:  die  begleitende  gleichzeitige  Handlung 
steht  im  Imperfectum  (Ladewig).  Im  allgemeinen  aber  lassen  die 
lateinischen  Epiker  im  Gegensatz  zu  den  griechischen  praesentische 
Tempora  sehr  willkürlich  mit  Praeteritis  wechseln,  und  zwar  (gegen  den 
epischen  Stil)  zu  Gunsten  der  Praesentia  (vergl.  für  Vergil  die  Scholien 
zu  a.  m3.  IV  200  und  J.  Ley,  Progr.  Saarbrücken  1877,  2 f.).  So 
stehen  in  den  ersten  100  erzählenden  Versen  von  II.  A  107  Praeterita, 
kein  Praesens,  dagegen  in  der  gleichen  Zahl  von  erzählenden  Versen 
unseres  Vergilbuchs  nur  33  Praeterita  neben  52  Praesentia.  Dies  Ver- 
hältnis ist  nur  wenig  bedingt  durch  den  stärkeren  rhetorischen  Charakter 
des  römischen  Epos,  vielmehr  vor  allem  durch  das  spezifisch  lateinische 
Sprachgut:  die  lateinischen  Praeterita  würden  fast  durchweg  lange,  für 
den  Vers  unbequeme  oder  unbrauchbare  Formen  ergeben,  man  vergleiche 
dafür  etwa  den  regellosen  Wechsel  unten  212 ff.:  flebant  ferebant  struxere 
intexu/nt  constituunt  dec&rant  expediunt  lavant  ungunt  fit  reponunt  coni- 
ciunt  suhiere  tenuere  cremantur,  worunter  intexebant  (intexuere  -tmt)^  con- 
stituebomt  (consütuerunt),  decorabant,  expediebant  (expedierunt),  reponebant 
(reposuere  -v/nt),  coniciebant  (coniecerunt)  teils  überhaupt  teils  für  den 
klassischen  Hexameter  unbrauchbar  gewesen  wären.  Aus  demselben  Grunde 
war  der  Conjunctiv  plusq.  sehr  unbeliebt,  der  entweder  durch  den  des 
Imperf.  (31  sineret,  haberes)  oder  gar  den  des  Praes.  ersetzt  wurde 
(293 f.  admoneat,  inruat,  diverberet). 

4  ancora  fundabat  naves  künstlich  für  naves  ad  ancoras  deligabantur 
(Caes.  b.  G.  V  9,  l),  aber  von  ancora  war  im  Hexameter  keine  pluralische 
Form  und  vom  Srugvilar  außer  dem  Nom.  nur  der  Acc.  (und  dieser  nur 
mit  ungewöhnlicher  Synaloephe  eines  daktylischen  Wortes  auf  -in)  an- 
wendbar. Aus  analogem  Grund  steht  z.  B.  XI  135  fraxinus  sing,  neben 
pinos  plur.  (s.  z.  181)  und  XI  600  sonipes  neben  equites.  Für  den  Einfluß 
des  MetiTims  auf  die  Sprache  der  lateinischen  Dichter,  den  schon  antike 
Exegeten  gelegentlich  notierten  (z.  B.  unsere  Vergilscholien  zu  b.  8,  75. 
aen.  H  365.  VII  181.  VHI  642.  XI  468.  886;  Corp.  gloss.  V  248,  16  über 
g.  III  53.  aen.  X  210)  und  den  wir  soeben  auch  im  Gebrauch  der  Enallage 
von  Adjektiven  und  der  praesentischen  Tempora  feststellten,  ist  noch 
immer  J.  Könes  bekanntes  Buch  über  die  Sprache  der  röm.  Epiker 
(Münster  1840)  die  Grundlage;  Einzelheiten  notieren  Hultgren,  Jahrb.  f. 
Phil.  1873,  76'6ff.;  Hosius  ib.  1895,  93ff.;  Häfuer,  Die  Eigennamen  bei 
den  lat.  Hexametrikern,  München  1895;  Leo  in  den  Phil.  Unters.  H  26  f., 
Nachr.  d.  Gott.  Ges.  1895,  420,  2,  Arch.  f.  Lex.  X  1898,  275.  436; 
Weise,  Charakteristik  d.  lat.  Spr.^  Leipz.  1899,  103;  Wölfflin,  Arch.  f. 
Lex.  rV  1887,  220f.  XI  1900,  503 ff.  Eine  systematische  Untersuchung 
wäre    dringend    erwünscht,    da    unter    diesem    Gesichtspunkt    viele    Er- 

Vkbgil  Buch  VI,  von  Norden.  8 


114  KOMMENTAR 

scheinungen,  die  wir  uns  gewöhnt  haben  mit  dem  farblosen  Wort  'poetisch' 
zu  bezeichnen,  sich  vielmehr  als  konventionelle  metrische  Surrogate  er- 
weisen uud  als  solche  stets  für  die  formale,  oft  auch  für  die  sachliche 
Exegese  von  Wichtigkeit  sind;  eine  fast  immer  untrügliche  Norm  ist  der 
Vergleich  des  Wortschatzes  der  epischen  Dichter  mit  demjenigen  der 
lyrischen  und  dramatischen,  also  etwa  Vergils  mit  dem  des  Horaz,  Lucans 
mit  dem  des  Seneca,  Statins'  lyrischer  Silven  mit  den  epischen.  Nach 
Beendigung  also  des  Thesaurus  1. 1.,  dessen  Bearbeiter  selbst  in  einzelnen 
Artikeln  auf  diese  Erscheinung  gelegentlich  hindeuten,  werden  Kom- 
mentare zu  lateinischen  Dichtern  nach  dieser  Richtung  hin  eine  Vollendung 
erreichen,  die  ihnen  zu  geben  vorläufig  nur  für  die  bereits  erschienenen 
Artikel  möglich  ist:  so  wird  unter  ancora  eine  pluralische  Form  aus  der 
poetischen  Sprache  nur  für  Naevius  (com.)  und  Seneca  (trag.)  zitiert 
und  bemerkt,  daß  Statins  den  Plural  einmal  durch  unca  retinacula  er- 
setzt. Im  Verlauf  dieses  Kommentars  ist  wenigstens  der  Versuch  ge- 
macht, den  allgemeinen  Gesichtspunkt  für  eine  Reihe  von  Fällen  praktisch 
zu  verwerten,  soweit  das  ohne  eine  Sammlung  des  vollständigen  Materials 
vorläufig  angängig  war:  vergl.  die  Stellen  im  Register  unter  'Sprache 
und  Metrum'.  —  Eine  dem  singularischen  ancora  verwandte  Erscheinung 
finden  wir  in  der  zweiten  Hälfte  unseres  Verses:  litora  (curvae  \  prae- 
texunt  puppes),  denn  hier  ist  umgekehrt  der  Plural  auf  -a  rein  metrisch 
zu  beurteilen:  der  dadurch  geschalfene  Daktylus  war  im  fünften  Fuße 
äußerst  bequem  (dagegen  gleich  in  Vers  6  litus  in  Hesperium  am  Vers- 
anfang). Meine  Auffassung  des  sogenannten  'poetischen'  Plurals  habe 
ich  im  Anhang  V  kurz  dargelegt  und  daselbst  meine  Übereinstimmung 
mit  P.  Maas  (Archiv  f.  Lex.  XII  1902,  479 ff.)  nachträglich  noch  kon- 
statieren können;  im  Kommentar  wird  auf  dieses  sprachliche  Spezifikum 
des  epischen  Verses  daher  nur  bei  besonders  bemerkenswerten  Fällen 
hingewiesen  zu  werden  brauchen. 

B.  Erste  Unternehmungen  an  Land  6  (iuvenum)  —  8.  Periodisierung: 
ein  TpiKiüXov  (iuvenum — Hesperium,  quaerit — silicis,  pars — monstrat),  das 
zweite  und  dritte  küüXov  mit  je  zwei  KÖmiiaTa. 

Es  folgt  das  Feuermachen  sowie  die  lignatio  und  aquatio.  Der 
Dichter  verweilt  mit  verhältnismäßiger  Ausführlichkeit  dabei;  ist  es  doch 
auch  das  erste  Mal,  daß  die  Trojaner  italische  Erde  betreten:  das  macht 
auch  triviale  Dinge  bedeutsam.  Überhaupt  mußte  bei  der  Lektüre  des 
ersten  Teils  dieses  Buches  gerade  auch  das  Lokal  auf  den  antiken  Leser 
eine  bedeutende  Wirkimg  ausüben:  die  Legende  von  den  Ahnen  Roms 
verband  sich  hier  in  Cumae  mit  der  ältesten  griechischen  Kolonisation 
auf  italischem  Boden,  einer  Gegend,  in  der  die  römische  Kultur  ihre 
Wurzeln  hatte;  und  an  dem  Orte,  wo  die  Trojaner  nach  schwieriger 
Landung  sich  in  unwirtlicher  Gegend  mühsam  Feuer,  Holz  und  Wasser 
verschaffen  mußten,  begann  man  damals,  als  der  Dichter  diese  Verse 
schrieb,  luxTiriöse  Villen  zu  erbauen  und  eine  lateinische  Kolonie  und 
eine  Flottenstation  zu  gründen.  Je  trivialer  nun  aber  diese  ersten  Ver- 
richtungen der  Trojaner  sind,  Tim  so  mehr  bemüht  sich  der  Dichter,  sie 
durch  die  Kunst  des  Ausdrucks  über  die  alltägliche  Sphäre  in  die  durch 
den  konventionellen  Stil  gebotene  emporzuheben,  wie  er  überhaupt,  um 
die  Würde   des   epischen  Stils   zu  wahren,   dem  Gewöhnlichen  sorgfältig 


VERS  4—8.  115 

aus  dem  Wege  geht})  Während  daher  Lucilius,  der  sich  vor  'sordida 
vocabula'  nicht  zu  scheuen  brauchte,  in  analoger  Situation  sagt  Student 
hi  ligna  videre  (118  L.),  nennt  Vergil  gerade  diejenigen  Ausdrücke,  auf 
die  es  ankommt,  ignis,  ligna,  aqua  nicht,  sondern  umschreibt  sie  mit 
einem  Pathos,  das  uns  befremdet,  dem  antiken  Leser  mit  seiner  Ab- 
neigung gegen  alles  Gewöhnliche  vermutlich  sympathisch  war.  Alit  der 
TTepiq)pa(Jic  des  an  Land  Springens  iuvenum  manus  eniicat  ardens  kommt 
auch  unser  Gefühl  noch  mit,  und  wir  lassen  es  uns  gefallen,  daß  der 
Dichter,  um  die  damals  schon  verblaßte  Metapher  (üsener,  Eh.  Mus.  XLES 
469 ff.  Lni  347)  des  von  ihm  aus  archaischer  Poesie  entnommenen  und 
mit  Vorliebe  gebrauchten  emicare  zu  beleben,  ardens  hinzufügt  (ähnlich 
n  173 ff.  V  319  Xn  325ff.).  Auch  die  Umschreibung  der  primitiven 
Art  des  Feuermachens  quaerit  pars  semina  flammae  abstrusa  in  venis 
silicis  (vergl.  M.  Planck,  Die  Feuerzeuge  der  Griechen  und  Römer, 
Stuttgart  1884)  geht  noch  an,  obwohl  die  Phrase  in  den  Georgica  I  135 
sachlich  besser  motiviert  ist  (Jupiter  verbarg  des  Feuer,  damit  die  Not 
silicis  venis  dbstrusum  excuderet  ignem).  Aber  pars  densa  ferarum  tecta 
rapit  Silvas  für  corripit  ligna  steht  für  unser  Gefühl  auf  der  Grenze 
zwischen  uvjjoc  und  KttKOlriXia,  und  um  den  Dichter  von  diesem  Vorwurf 
zu  befreien,  hat  Heyne  ihn  lieber  mißverstehen  wollen  ('rapido  cursu 
perlustrant  Silvas,  ut  ferarum  praedam  ad  epulas  exquirant')^  jedoch  hat 
schon  ein  nüchterner  Mann  wie  Agrippa  den  Vorwurf  der  KaKoZ!r|Xia 
gegen  Vergil  erhoben  (novae  cacozeliae  repertorem,  non  tumidae  nee  exilis 
sed  ex  communibus  verhis  atque  ideo  latentis  Sueton-Donat  S.  65  Reiff.), 

1)  Vergl.  für  die  Theorie  Aristoteles  Poet.  c.  22.  Seneca  contr.  VE  pr.  3. 
Quintilian  VLH  2,  2.  Unsere  Scholien  machen  über  die  Praxis  Vergils  eine  Reihe 
treffender  Bemerkungen,  die  hier  wegen  ihrer  Wichtigkeit  für  die  Interpretation 
unseres  Dichters  angeführt  werden  mögen,  a.  I  177  Cerealiaque  armaj  fugiens 
vilia  ad  generalitatem  transiit  propter  carminis  dignitatem  et  rem  vilem  auxit 
honestate  sermonis,  ut  alibi  (g.  I.  391),  ne  lucernam  diceret,  ait  'testa  cum  ardente 
viderent  scintillare  oleum'.  726  lychni]  graeco  sermone  usus  est,  ne  vile  aliquid 
introferret.  DI  217  proluviesj  vitavit  ne  diceret  'stercus'.  466  lebetasj  ollas 
aereas.  graece  dixit.  IV  254  avi  similis]  incongruum  heroo  credidit  carmini,  si 
m^rgum  diceret,  ut  alibi  (g.  11  320)  ciconiam  per  periphrasin  posuit  'candida 
venit  avis  longis  invisa  colubris' .  XI  244  casus  superavimus  omnesj  vilitatem 
singularum  rerum  generalitate  vitavit,  ne  diceret  flumina,  latrones  et  cetera.  723 
eviscerat]  ne  vulgari  verbo  uteretur  dicens  'exenteraf,  ait  ^pedibusqae  evisceraf. 
xn  170  saetigeri  fetum  suis]  nonnulli  porcum,  non  porcam  in  foederibus  adserunt 
mactari,  sed  poetam  periphrasi  usum  propter  nominis  humilitatem.  g.  I  274  lapi- 
dem  incusumj  molam  munvulem  cudendo  asperatam.  et  bene  verbum  vulgare 
vitavit.  391  testa  cum  ardente]  propter  vilitatem  Iticernam  noluit  dicere,  nee 
iterum  lychnum,  sicut  in  heroo  carmine,  ut  'dependent  lychni'  (a.  I  726):  medius 
enim  in  his  libris  est  stilus.  Ein  Tadel  wegen  (angeblicher)  Übertretung  des 
Gesetzes  findet  sich  wohl  nur  zu  a.  DI  343  avunculus]  quidam  'avunculus'  hu- 
militer  in  heroieo  carmine  dictum  accipiunt  und  IX  411  ligno]  quidam  humiliter 
dictum  accipiunt.  Wo  V"ergil  eigentliche  'sordida  vocabula'  in  der  Aeneis  ge- 
braucht, verbindet  er  eine  besondere  Absicht  damit.  So  steht  unten  297. 
ni  576.  632  eructare  überall  der  'atrocitas  rei'  zuliebe,  ebenso  VIII  253  das 
nur  einmal  gebrauchte  evomere  von  Cacus:  diese  Episode  ist  Ennius  nach- 
gedichtet, für  den  das  Wort  bezeugt  ist:  ann.  246.  Auf  das  Vorbild  des  En- 
nius, dem  das  fastidium  der  späteren  Poesie  noch  fremd  war,  wird  auch  der 
Gebrauch  von  fimus  V  333  concidit  immundoque  fimo  sacroque  cruore  357  f. 
udo  I  turpia  membra  fimo  zurückzuführen  sein,  denn  Vers  358  schließt  ganz 
ennianisch:  risit  pater  optimus  olli. 

8» 


116  KOMMENTAR 

ein  Urteil,  dessen  wenigstens  bedingte  und  relative  Eichtigkeit  man  an 
der  viel  behutsameren,  darum  im  ganzen  aber  auch  weniger  bedeutenden 
XeSiC  der  horazischen  Oden,  sowie  beispielsweise  an  Katachresen  wie 
aen.  X  681  se  mucrone  induere  und  895  clamore  caelum  incendere  ermesse; 
s.  auch  Tinten  z.  204.  321.  595  ff.  übrigens  hat  der  Ausdruck  r apere 
Silvas  für  corripere  ligna  gerade  wegen  seiner  Ungewöhnlichkeit  viele 
Nachahmungen  zur  Folge  gehabt,  die  J.  Henry  in  seinen  ausgezeichneten, 
im  folgenden  oft  von  mir  zitierten  Aeneidea  III  (Dublin  1881)  217  f. 
sammelte. 

6  Mus  in  Hesperium.  Hesperia  als  Bezeichnung  Italiens  ist  von 
Ennius  (a.  23)  aus  junger  griechischer  Poesie  eingeführt  (Italia  machte 
prosodische  Schwierigkeiten:  s.  z.  61);  Verg.  a.  VII  601  mos  erat  Hesperio 
in  Latio  mit  schwerer,  an  dieser  Versstelle  seltener  Elision  von  ö,  also 
stammt  die  Verbindung  Hesperium  Latium  möglicherweise  aus  Ennius 
(s.  über  Schlüsse  dieser  Art  den  Anhang  I).  —  7  f.  densa  ferarum  tecta 
Silvas.  Die  Stellung  der  Apposition  ist  eine  der  normalen  (vergl.  179 
silvam,  stahula  alta  ferarum)  entgegengesetzte,  wie  gleich  10 f.  secreta 
Sibyllae,  antrum.  Diese  Künstlichkeit  kam  in  der  neoterischen  Poesie 
auf  (nach  griechischem  Vorgang,  vergl.  schon  Eurip.  Herc.  1377),  Vergil 
ist  in  ihrer  Anwendung  (z.  B.  b.  2,  11.  g,  II  442  f.  a.  X  601)  ziemlich  zu- 
rückhaltend wie  Horaz  (Kießling  zu  od.  I  1,  6),  während  Properz  und 
Ovid  weiter  gehen  (Rothstein  zu  Prop.  IV  9,  4).  Auch  mit  einer  noch 
künstlicheren  Verschränkung  (b.  1,  57  raucae,  tua  cura,  palvmbes),  eben- 
falls einer  Erfindung  der  modernen  Poesie  nach  griechischem  Muster 
(H.  Boldt,  De  liberiore  graec.  et  lat.  colloc.  verb.  Göttingen  1884,  100  ff. 
Leo  zum  Culex  S.  37),  wirtschaftet  Vergil  sparsamer  als  Properz  und 
Ovid  (der  her.  7,  1^5  f.  beide  Formen  hintereinander  hat)  und  zwar  pro- 
portional mit  seinem  reifenden  Kunsturteil:  in  den  Bucolica  fünfmal 
(1,  57.  2,  3.  3,  3.  5,  71.  9,  9),  in  den  Georgica  dreimal  (II  146.  IV  168. 
246),  in  der  Aeneis  wohl  nur  unten  842  f.  geminos,  duo  fulmina  belli, 
Scipiadas,  um  die  Zahlbegriffe  zusammentreten  zu  lassen. 

n.    Besuch  bei  der  Sibylle  9 — 41. 

Im  schönen  Kontrast  {at  9)  zu  dem  eiligen  Durcheinander  der  mit 
alltäglichen  Verrichtungen  beschäftigten  Mannschaft  folgt  nun  das  Bild 
des  Aeneas,  der  ruhig  und  sicher  seinem  großen  Ziel  entgegenschreitet: 
dieselbe  Technik  I  180,  wo  Servius  gut  bemerkt:  merita  personarum  vilihus 
ofßcüs  Interesse  non  debent:  quod  hene  servat  ubique  Vergilius,  ut  hoc  loco, 
item  in  sexto  cum  diversis  officiis  Troianos  diceret  occupatos,  ait  'at  pius 
Aeneas  arces  quibus  altus  Apollo  praesidef :  nisi  cum  causa  pietatis  inter- 
venit,  ut  ad  sepeliendum  socium  Misenum  de  Aenea  dixit  'paribusque 
accingitur  armis'  (unten  184).  Die  Erzählung  umfaßt  drei  Absätze: 
A.  Der  Weg  bis  zur  Tür  des  Tempels  9 — 13,  B.  Beschreibung  des 
Tempels  14 — 33  manus,  C.  Begegnung  mit  der  Sibylle  und  Eintritt  in 
den  Tempel  33  quin — 41. 

A.  Weg  bis  zur  Tür  des  Tempels  9 — 13.  Periodisierung:  ein 
xpiKUjXov  9 — 12  (at — praesidet,  horrendae — petit,  magnam — futura)  und  ein 
abschließender  Vers  (13).  —  Das  Topographische  nach  J.  Beloch,  Campanien^ 


VERS  eflf.  117 

(Breslau  1890)  159  flF.  (mit  dem  Atlas  PI.  IV).  Die  Burghöhe  gipfelt  in 
zwei  Hügeln  (arces  9),  einem  größeren  und  höheren  westlich  dem  Meere 
zu  und  einem  kleineren  östlich  am  Aufgang.  Auf  dem  östlichen  stand 
der  Apollotempel.  Der  Fels  stürzt,  kaum  100  m.  entfernt  vom  Strand 
(daher  13  iam)^  fast  senkrecht  in  die  Ebene  ab.  Der  ganze  Fels  ist 
unten  von  Grotten  durchhöhlt  (vergl.  10);  der  Eingang  ist  auf  der  Süd- 
ostseite,  da  wo  man  zur  Burg  aufsteigt,  unweit  des  Apollotempels. 

Den  Kult  des  ApoUon  'ApxriTeTTic  (er  hatte  sie  durch  eine  Taube 
geführt:  Velleius  I  4  u.  a.)  brachten  die  Chalkidier  aus  ihrer  Heimat  nach 
Kyme  herüber;  hier  bauten  sie  ihm  einen  Tempel,  wie  einen  Altar  in 
Naxos  auf  Sizilien  (Thukyd.  VI  3,  l);  der  Tempel  auf  der  Burghöhe  war 
zugleich  ein  Wahrzeichen  für  Schiffer  (vergl.  A.  P.  VI  251).  Aus  Chalkis 
(bezw.  dem  gegenüberliegenden  Anthedon)  scheint  auch,  wie  E.  Maaß, 
Comment.  mythogr.  (Greifswald  1886/7)  XVf.  bemerkt,  der  weissagende 
Meergott  Glaukos  herübergekommen  zu  sein,  dessen  Kunst  sich  auf  seine 
Tochter  Deiphobe  vererbte  {Deiphöbe  Glauci  36).  Der  Name  dieser  weis- 
sagenden vujLiqpri  wurde,  wie  derselbe  annimmt,  auf  die  Sibylle  übertragen, 
die  erst  später  aus  der  Fremde  nach  Kyme  kam;  aus  dieser  Übertragung 
wird  es  sich  erklären,  daß  sich  der  Name  Deiphobe  für  eine  Sibylle  nur 
hier  findet  (die  Verfasser  der  Sibyllenkataloge  im  schol.  Plat.  Phaedr. 
244 B  und  in  der  anonymen,  von  K.  Buresch,  Klaros  121  edierten 
Theosophie  zitieren  dafür  Vergil).  Etwas  Besonderes  ist  es,  daß  die  Sibylle 
ausdrücklich  Priesterin  des  Apollo  und  der  Hekate  genannt  wird,  die 
also  durch  Kultgemeinschaft  verbunden  zu  denken  sind,  vergl.  13.  35.  38  f. 
Maaß  vermutet,  daß  diese  Verbindung  schon  aus  Chalkis  stamme;  hierüber 
urteile  ich  anders  und  glaube  dadurch  zugleich  eine  topographische 
Schwierigkeit  der  vergilischen  Darstellung  erledigen  zu  können.  Vergil  läßt 
nämlich,  wie  schon  Cluverius,  Italia  antiqua  H  1107  ff.  scharf  betont  hat, 
die  Sibylle  nicht  auf  dem  cumanischen  Burgberge  bei  dem  Apollotempel 
wohnen,  obwohl  sie  doch  dort  in  ihrem  antrum  weissagt  (42  ff.),  sondern 
bei  der  Hekatehöhle  am  Avemersee,  die  237 ff.  beschrieben  wird.  Daß 
hier  in  der  Tat  ihre  Wohnung  ist,  hat  E.  Cocchia,  L'Avemo  Virgiliano 
(in:  Atti  della  R.  accademia  di  archeoL,  lettere  e  belle  arti  XVTH  1896/7 
nr.  7  p.  35 f.)  richtig  daraus  geschlossen,  daß  sie  von  Hekate  als  die 
Hüterin  des  Haines  eben  am  Avernersee  eingesetzt  ist  (118  lucis  Hecate 
praefecit  Avernis  =  564),  und  vor  allem  aus  den  211  erwähnten  tecta 
Sibyllae,  in  die  Aeneas  den  am  Avemersee  gefundenen  goldnen  Zweig 
bringt  (201);  es  kommt  hinzu,  daß  Aeneas  vor  seinem  Besuch  des 
Apollotempels  (9  ff.)  den  Achates  abschickt,  um  die  Sibylle  zu  holen  (34): 
würde  sie  beim  Tempel  wohnen,  so  wäre  die  Mission  des  Achates  weniger 
verständlich.  Wenn  nun  aber  Cocchia  die  örtliche  Trennung  der  Wohnung 
der  Sibylle  von  ihrer  Orakelstätte  durch  die  Annahme  auszugleichen  sucht, 
daß  von  der  Orakelstätte  im  Burghügel  ein  unterirdischer  Gang  zu  der 
Höhle  am  Avemersee  geführt  habe,  so  wird  man  dieser  äußerst  gewagten 
Annahme,  die  nicht  den  geringsten  Anhalt  an  inneren  oder  äußeren  In- 
dizien hat,  schon  deshalb  nicht  beistimmen  können,  weil  die  verschiedene 
Lage  beider  Örtlichkeiten  dadurch  noch  keineswegs  erklärt  wird.  Vielmehr 
ist  die  topographische  Dublette  als  der  äußerliche  Ausdruck  einer  Dublette 
des  Kults  aufzufassen.    Als  die  griechischen  Kolonisten,  geführt  von  ihrem 


118  KOMMENTAR 

ApoUon,  in  diese  Gegend  kamen,  fanden  sie  am  Avemersee  ein  uraltes 
jnavTcTov  xöoviov  vor,  wie  Ephoros  (bei  Strabo  V  244)  berichtet,  der 
als  Bürger  der  kleinasiatiscben  Schwesterstadt  des  italischen  Kyme  allen 
Glauben  verdient.  Damals  also  wiesen  sie  ihrem  Himmelsgott  als  Wohn- 
sitz und  Orakelstätte  die  Warte  des  Burgfelsens  an,  wagten  es  aber 
nicht  —  in  echt  hellenischer  Scheu  vor  einem  Eingriff  in  altersessene 
Rechte  der  Götter  — ,  jenes  Erdorakel  am  Avernersee,  beim  Eingang 
zur  Unterwelt,  einfach  zu  kassieren  —  es  bestand  noch  im  UI.  Jahrb. 
V.  Chr.:  Liv.  XXIV  12,  4  — ,  sondern  vereinigten  die  alte  einheimische 
Erdgöttin,  die  sie  wegen  ihres  Sitzes  am  See  der  Tiefe  notwendiger- 
weise mit  Hekate  identifizieren  mußten,  mit  dem  neuen,  übers  Meer 
gekommenen  Gott  durch  Kultgemeinschaft:  so  wurde  der  chthonischen 
'GKdxTi  neben  dem  'goldnen  Hause'  ihres  himmlischen  Bruders  "€KaTOC 
auf  dem  Hügel  ein  Hain  geweiht  (13  Triviae  lucos  atgue  aurea  teda), 
wie  sie  einen  solchen  auch  am  Avernersee,  ihrem  ursprünglichen  Sitze, 
besaß  (238.  259),  und  der  Dienst  beider  Gottheiten  wurde  einer  Priesterin 
übertragen,  deren  Wohnung  bei  dem  alten  Sitze  der  Göttin  war,  während 
die  Orakelstätte  in  das  Gotteshaus  auf  der  Burghöhe  verlegt  wurde. 

9 f.  altus  Apollo,  das  Epitheton  nicht  in  übertragener  Bedeutung 
wie  X  875  (sie  pater  ille  deum  faciat^  sie  altus  Apollo),  sondern  topo- 
graphisch genau:  Apollo  ist  als  (Jkottöc  K\J|litic  gedacht,  wie  ihn  Pindar 
0.  6,  59  AdXou  (Jkottov  nennt.  Zugleich  dient  altus  dazu,  den  Kontrast 
mit  dem  folgenden  procul  secreta  zu  steigern.  Die  sachlich  wahre 
Antithese  hat  Vergil  als  bedeutendes  Mittel  zur  Hebung  der  Illusion  zu 
würdigen  verstanden  (vergl.  Servius  zu  Vin  366  ea?  eontrarietate  quaesitus 
ornatus;  schol.  Dan.  zu  XH  139);  so  liebt  er  in  diesem  Buch  besonders 
die  Kontraste  von  Licht  und  Dunkel,  vergl.  13  Triviae  lueos  atque  aurea 
templa  136  f  arhore  opaeä  aureus  .  .  .  ramus  140 f.  telluris  operta  .  .  . 
auricomos  fetus  208  auri  frondentis  opaeä  iliee  21 5  ff.  frondihus  atris  .  .  . 
fulgentibus  armis  300  f.  stant  lumina  flammä,  sordidus  .  .  .  amictus  403  f. 
insignis  armis  . . .  imas  ad  umhras  490  fulgentia  arma  per  unibras  592  ff. 
densa  nuhila  .  .  .,  lumina  602 ff.  atra  silex  .  .  .  lucent  aurea  fulera;  Kälte 
und  Wärme:  218 f.  corpus  frigentis  .  .  .  flammis]  Lärm  und  Ruhe:  327 f. 
rau^a  fluenta  .  .  .  quierunt  265  Phlegefhon  (rapidus  550)  —  loca  tacentia, 
386 f.  taeitum  —  inerepat'^  Schön  und  Häßlich:  729  monstra  —  marmoreo 
sub  aequore;  vergl.  zu  783.  820.  Auch  für  die  Komposition  im  großen 
liebt  er  Kontraste:  so  läßt  er  auf  das  ruhige  Gebet  5 6 ff.  die  aufgeregte 
Prophezeiung  8 3 ff.  und  auf  diese  wieder  eine  ruhig  gehaltene,  in  ein 
Gebet  auslaufende  Rede  103  ff.  folgen,  auf  das  Heulen  des  Cerberus  41 7  ff. 
das  Wimmern  der  Kinder  426  ff.,  auf  die  Schilderung  des  Tartarus  548  ff. 
die  des  Elysium  637 ff.  Durch  diese  Kunst  vermeidet  er  die  Monotonie 
und  regt  die  Phantasie  an.  —  Apollo  in  konstanter  Stellung  am  Vers- 
ende, erst  Statins  wagte  es,  den  Namen  mit  o  in  die  Mitte  zu  setzen 
(Diehl  im  Thes.  1. 1.  s.  v.  p.  244). 

9  ff.  haben,  um  die  Feierlichkeit  der  Gedanken  zu  heben,  jeder  eine 
bestimmte  Art  kunstvoller  Alliteration:  2  at  —  Aeneas  arees  —  altus 
Apollo,  10  praesidet — procul  secreta  Sibyllae  (ßchemaij  Si&hh),  11  antrum  — 
magnum  —  mentem  animumque  (Schema  abba).  —  10  proeul  secreta: 
procul  nicht  ^fern',  was  der  Topographie  widerspräche;    richtig  (nur  mit 


VERS  9—13.  119 

falscher  Etymologie)  Servius:  'procuV  haud  longe,  procul  mim  est  et 
quod  prae  oculis  est  et  quod  porro  ah  oculis,  unde  duplicem  habet  signi- 
ficationem,  iuxta  et  longe  (ähnlich  zu  V  124).  Es  heißt  zunächst  nur 
'seitab'  und  wird  daher  auch  von  etwas  Nahem,  aber  seitab  Gelegenem 
gebraucht,  z.  B.  b.  6,  16.  a.  X  835,  unten  651  (vergl.  Leo  zum  Culex  109): 
hier  verstärkt  es  also  den  Begriff  des  secreta.  —  10  f.  Sibyllae  antrum 
immane:  Lykophron  1279  (Ttutvöv  CißuXXric  oiKr|Tr|piov.  Die  Grotte 
der  Sibylle  nennt  Vergil  stets  antrum  (42.  77.  99.  157),  dagegen  die  Höhle 
der  Hekate  am  Avemersee  sowohl  antnmi  (262)  als  spelunca  (237).  Uns 
begegnet  antrum  zuerst  in  V.'s  buc.  1,  75;  da  es  aber  für  Vergil  und  die 
anderen  Augusteer  schon  ganz  geläufig  ist,  wird  es  von  den  Neoterikern 
aus  der  zierlichen  hellenistischen  Poesie,  in  der  die  aVTpa  ja  eine  große 
Rolle  spielten,  übernommen  worden  sein  (vergl.  auch  C.  Prinz  im  Thesaurus 
1.  1.,  s.  V.).  Dadurch  wurden  specus  und  spelimca  degradiert,  genau  wie 
unser  'Höhle',  seitdem  im  XVil.  Jahrb.  'Grotte'  aus  dem  Italienischen 
entlehnt  war;  so  sagt  Vergil  a.  Vlil  630  Mavortis  in  antra,  während  seine 
Quelle  (Fabius  Pict.  bei  Serv.  Dan.  1.  c.)  spelunca  Martis  gab.  Früher 
(b.  10,  52)  hatte  Vergil  versucht,  spelaeum  in  die  Poesie  einzuführen,  ohne 
damit  viel  Beifall  zu  finden  (Ciris  467,  dann  wohl  erst  wieder  Claudian, 
für  den  das  Wort  durch  den  Mithraskult  neuen  Klang  gewonnen  hatte). 
—  mentem  animu/mque.  Diese  Verbindung,  in  der  die  Spezies  und  das 
Genus  koordiniert  werden  (Cic.  de  rep.  H  67  ea  quae  latet  in  animis 
hominum  quaeque  pars  animi  mens  vocatur,  vergl.  Heinze  zu  Lucr.  IH  94), 
muß  älterer  Poesie  angehören,  da  sowohl  die  Synaloephe  an  dieser  Vers- 
stelle als  der  Bau  des  Versschlusses  in  Vergils  eigener  Praxis  singxilär 
sind  (vergl.  Anhänge  IX  2  und  XI  1).  Da  nim  Lucrez  I  74  mente  animoque 
und  ni  142  mens  animusque  est  hat,  so  hat  wahrscheinlich  schon  Ennius 
diesen  Versschluß  nach  Analogie  von  Kard  q)peva  Kai  Kaid  Gujuöv  ge- 
prägt {mentem  atque  animum  hat  er  tr.  186):  vergl.  über  die  relative 
Sicherheit  solcher  Kombination  Anhang  I.  —  inspirat  (vergl.  50  adflata 
est)  paßt  genau  nur  zu  mentem:  O  510  e|i7Tveucre  \ii\OQ  |LieTCt  OoTßoc 
'AttöXXuuv ;  animus  ist  aber  passend  hinzugefügt,  weü  die  Weissagung 
nicht  bloß  auf  der  mens  beruht,  kraft  derer  der  Seher,  indem  er  die 
Zukunft  durch  göttliche  Eingebung  vorausfühlt,  monet  (b.  9, 15.  a.  HI  712 
vergl.  XI  795),  sondern  auch  auf  der  Stärke  des  animus,  der  ihn  die 
Zukunft  dm-ch  Erkennen  wissen  läßt;  daher  sagt  Demosthenes  de  cor.  80 
(nur  mit  anderer  Ordnung  der  Begriffe)  q)povijUOuc  ctvbpac  Kai  judvieic, 
vergl.  Soph.  El.  472  f.  mit  Kaibels  Bemerkung, 

13  iam  subewnt  Triviae  lucos  atque  aurea  tecta.  Also  ist  Aeneas 
nicht  allein  (vergl.  auch  41  viri,  Teuer os)'^  der  Wechsel  des  Numerus 
(9  petii)  genau  wie  VTL  664,  wo  Peerlkamp  ändert  und  ßibbeck  eine  Lücke 
annimmt.  Auch  daß  Aeneas,  wie  wir  aus  34  (praemissus  Achates)  ent- 
nehmen, den  Achates  vorausgesandt  hat,  brauchte  nicht  eigens  gesagt  zu 
werden:  Katct  TÖ  (JiuJTriJuiievov  intelligimus  (Serv.).  Analoges  s.  zu  77.  — 
suhire  mit  Entfaltung  seiner  beiden  Begriffsnuancen:  subeunt  lucos  'sie  treten 
in  den  Hain',  subeunt  tecta  'sie  nähern  sich  dem  Tempel',  denn  in  diesen 
treten  sie  erst  41.  —  Über  die  Plurale  lucos  und  aurea  tecta  s.  Anhang  V. 

B.  Beschreibung  des  Tempels  14 — 33  manus  in  drei  Abschnitten: 
Einleitung  14 — 19  (Tempelbau),  Hauptteil  20 — 30  vestigia  (Darstellungen 


120  KOMMENTAR 

auf  der  Tür),  Schluß  30  tu — 33  manus  (Icarus).  Periodisierung.  1.  Die 
Einleitung  in  zwei  Perioden,  die  erste  ein  TerpdKiJuXov  (14 — 17:  der 
Schluß  jedes  Gliedes  mit  dem  Versschluß  zusammenfallend),  die  zweite 
ein  TpiKUiXov   (18 — 19:  redditus — terris,    tihi  —  alarum,  posuit — templa). 

2.  Der  Hauptteil  hat  zwei  Unterabteilungen  (20 — 22,  23 — 30  vestigia). 
a)  Die  erste  dieser  wird  durch  ein  TpiKUuXov  gebildet  (in — Ändrogeo, 
Ulm — natorum,  stat — urna).  b)  Die  zweite  ist  so  periodisiert:  a)  1  Vers 
(23)  mit  zwei  KÖ)H)LiaTa  -f"  TerpdKUüXov  24 — 26  (hie — tauri,  supposta — 
Pasiphae,  mixtum — inest,  Veneris — nefandae)  ß)  1  Vers  (27)  -|-  TpiKcuXov 
27  —  30   vestigia   (hie  —  error,    magnum — amorem,   Daedalus — resölvit). 

3.  Der  Schluß  wird  durch  ein  TerpdKUüXov  gebildet  (30  tu — 33  manus), 
dessen  beide  ersten  Glieder  durch  ein  Satzgefüge,  und  dessen  beide 
letzten  Glieder  durch  Anapher  (bis)  unter  sich  verknüpft  sind. 

14  ff.  Die  Legende  von  der  Erbauung  des  cumanischen  Apollotempels 
durch  Daedalus  berichtet  Servius  z.  d.  St.  aus  Sallust  (hist.  II  6  Kr.): 
Daedalus  primo  Sardiniam,  ut  didt  Sallustius,  post  delatus  est  Cumas  et 
templo  Apollini  condito  in  forihus  haec  tmiversa  depinxit  (die  letzten 
Worte  setzt  Servius  aus  Vergil  hinzu).  Wahrscheinlich  berichtete  das 
Gleiche  schon  Timaios  (J.  Geffcken,  T'.  Geographie  d.  Westens,  Berlin  1892, 
5 7  ff.  170),  aus  dem  es  Sallust  unmittelbar  oder  durch  Varros  Vermittlung 
entnommen  haben  kann  (Varro  sprach  über  Daedalus  auch  in  den  Heb- 
domades: Auson.  Mos.  300);  aus  Varro  konnte  auch  Vergil  diese  Legende, 
wie  andere  KTiCfeic  dieses  Buchs  (s.  z.  156 ff.  337 ff.),  entnehmen  (Geffcken 
1.  c.  79;  R.  Ritter,  De  Varrone  Vergilii  in  narrandis  urbium  populorumque 
Italiae  originibus  auctore,  Diss.  Halenses  XIV  parsIV,  1901,  308  ff.).  Durch 
die  Worte  18  redditus  his  primum  terris  tritt  Vergil  mit  gelehrter  An- 
spielung der  abweichenden  Sagenversion  entgegen,  nach  der  Daedalus 
nicht  zuerst  oder  überhaupt  nicht  nach  Kyme  gekommen  war.  Tatsäch- 
lich lassen  ihn  Diodor  IV  7  7  f.  und  Pausanias  VII  4,  6  f.,  ohne  Kyme  zu 
erwähnen,  nach  Sizilien  gelangen,  von  wo  ihn  nach  Diodor  IV  30  lolaos 
nach  Sardinien  holt.  Dagegen  ist  er  nach  der  von  Sallust  benutzten 
Quelle  zuerst  nach  Sardinien  und  von  da  nach  Kyme  gelangt;  Varro 
wird  in  seiner  Art  die  Varianten  gegeben  haben,  darunter  die  hier  von 
Vergil  befolgte  lokalpatriotische  von  Kyme.  Wie  diese  Stadt  dazu  kam, 
sich  diese  Ehre  zu  usurpieren,  ist  wohl  noch  durchsichtig.  Daedalus  war, 
wie  J.  Toepffer,  Attische  Genealogie  (Berlin  1889)  168  gezeigt  hat,  durch 
genealogisierende  Sage  eng  an  das  euböische  Chalkis,  die  Mutterstadt 
von  Kyme,  gebunden.  Deshalb  also  ließ  man  ihn,  wie  Vergil  sich  aus- 
drückt, Chälcidica  super  arce  zuerst  festen  Fuß  fassen  und  dem  Gott,  der 
die  Chalkidier  einst  dorthin  führen  sollte,  einen  Tempel  bauen. 

Das  retardierende  Motiv  der  Beschreibung  des  Tempels  und  der  auf 
seinen  Toren  dargestellten  Kunstwerke  wirkt  störend.  In  dem  Momente, 
da  Aeneas,  dem  Sturm  glücklich  entronnen  (VI  354 f.)  und  dem  Ziel  seiner 
Wünsche  nahe  ist,  versinkt  er,  während  seine  Mannschaft  in  freudiger 
Erregung  ist,  in  sinnende  Betrachtung  einer  ihn  nichts  angehenden  Dar- 
stellung und  muß  erst  durch  ein  scheltendes  Wort  der  Sibylle  an  seine 
Aufgabe  erinnert  werden  (3  7  ff.  non  hoc  ista  sibi  tempus  spedacula  poscit 
e.  q.  s.,  wo  iste,  ein  im  hohen  Stil  nicht  häufiges  und  z.  B.  von  Horaz  in 
den   Oden    nicht    gebrauchtes  Wort,    verächtlich    gesagt  ist  wie  11  521. 


VERS  14  fF.  121 

V  397.  XI  390).  Das  ist  eine  psychologische  ünwahrscheinlichkeit,  die 
Vergil  selbst  gefühlt  hat,  denn  er  sucht  sie  zu  motivieren:  Aeneas  hat  den 
Achates  vorausgeschickt  (34),  um  die  Sibylle  zu  holen,  und  während  er 
auf  beider  Ankunft  wartet,  betrachtet  er  die  Darstellung  (33).  Das 
Eesultat  dieser  dürftigen  Motivierung  ist  aber  nur,  daß  die  Absicht  des 
Dichters,  eine  prunkvolle  eKqppacTic  einzulegen,  xun  so  deutlicher  hervor- 
tritt: der  Übergang  von  der  CKcppacTic  zmt  Handlung  in  33  ist  so  hart, 
daß  Usener  (nach  Eibbeck  ^)  hier  eine  Lücke  vermutete.  Ganz  analog 
wird  die  Beschreibung  der  "IXiou  ä\u)(Jic  I441flf.  eingekleidet  (Aeneas, 
auch  dort  nach  einem  Sturm  glücklich  gelandet,  betrachtet  das  Gemälde 
reginam  opperiens  454),  doch  ist  sie  besser  motiviert,  da  die  Darstellung 
den  Aeneas  angeht.  Die  Wiederholung  des  auffälligen  Motivs  und  seine 
wenig  geschickte  Verwendung  in  vorliegendem  Fall  läßt  vermuten,  daß 
Vergil  diese  Technik  nicht  selbst  erfand;  wirklich  gibt  es  Spuren  eines 
ähnlichen  Verfahrens  auch  sonst.  Der  alexandrinische  Dichter,  dem 
Kolluthos  sein  Epyllion  vom  Eaube  der  Helena  nachgedichtet  hat,  ließ 
den  Paris  nach  seiner  Ankunft  in  Sparta  die  dortigen  Tempel  betrachten, 
wobei  er  ähnKch  wie  hier  Vergil  die  Sagen  kurz  referierte  (Kolluthos 
236 ff.^.  Der  Eoman  des  Achilles  Tatios  läßt  den  Helden  gleich  zu 
Beginn  der  Handlung  nach  einem  Sturm  landen  und  dann  ein  Gemälde 
betrachten  (I  1);  ebenso  an  einer  anderen  Stelle  des  Eomans  (HI  6) 
daiiievoi  yfic  \aßö|uevoi  touc  Geoiic  dveuqprmoOiLiev  (das  Gebet  folgt  bei 
Vergil  56  ff.,  es  enthält  auch  den  Dank  für  die  glückliche  Landung)  .  .  , 
TTpocTeuHd)Li€Voi  hr\  tlu  Geuj  .  .  .  Trepirieijuev  töv  veuuv  (folgt  Beschreibung 
der  Gemälde).  Auch  der  Eoman  des  Longos  geht  von  einer  solchen 
Beschreibung  aus,  ebenso  die  Handlung  in  Varros  Büchern  de  r.  r.  (I  2). 
Wir  werden  also  zu  schließen  haben,  daß  diese  Form  der  Einkleidung 
aus  hellenistischer  Erzählungskunst  stammt,  die  ihre  Wxurzeln  hatte  in 
T]  81ff.  (Odysseus  vor  dem  Palast  des  Alkinoos)  und  Euripides  Ion  184  ff. 
(die  Athenerinnen  vor  dem  Tempel  in  Delphi),  vgl.  Apollon.  Ehod.  HI  21 5 f. 
Während  das  Motiv  aber  da,  wo  es  am  Platze  ist,  gute  Wirkung  übt, 
hat  Vergil  es  für  eine  Situation  verwertet,  in  der  es  weniger  angemessen 
ist  und  daher  stört. 

Ob  Vergil  etwas  beschreibt,  was  er  mit  Augen  oder  bloß  in  seiner 
Phantasie  sah,  läßt  sich,  wie  gewöhnlich  in  solchen  Fällen,  nicht  mit 
Sicherheit  sagen.  Für  die  Eealität  der  Darstellung  entschied  sich  0.  Jahn 
(Arch.  Beitr.  239 ff.),  während  in  dieser  Art  von  Poesie  bloße  Fiktion 
a  priori  wahrscheinlicher  ist  (C.  Eobert  bei  Ehwald  im  Anhang  zu  Ovid 
met.  Xni  680).  Die  Gruppierung  der  dargestellten  Stoffe  ist  übersicht- 
lich. Auf  den  Flügeltüren  (fores  20,  vergl.  Properz  11  31,  12  ff.)  sind  je 
zwei  Szenen  dargestellt,  die  deutlich  geschieden  werden  (tum  20  wie 
VTH  660  und  Prop.  1.  c.  9;  hie — Mc  24.  27)  und  wohl  übereinander 
zu  denken  sind.  Auf  der  einen  Tür  Attika  und  zwar  oben  der  Ort 
der  Ermordung  des  Androgeos  (Marathon?),  unten  Athen.  Auf  der 
anderen  Tür  Kreta,  und  zwar  oben  Pasiphae  und  Miuotaurus,  unten 
das  Labyrinth.  —  Die  bekannte  Sage  (27  ille)  wird  nur  in  einigen  Haupt- 
zügen angedeutet,  dagegen  dem  sentimental-reflektierenden  Element  viel 
Spielraum  gegeben  (21.  30ff.),  beides  durchaus  in  alexandrinischer  Manier 
(lehrreich  das  Epyllion  von  Orpheus  g.  TV  45 3  ff.,  wo  die  Handlung  nur 


122  KOMMENTAR 

flüchtig  skizziert  ist;  vgl.  Servius  zu  b.  8,  47  fabulam  omnibus  notam 
per  transitum  tetigit,  schol.  Dan.  zu  georg.  III  258).  Das  Ethos  der 
Verse  30  ff.  {tu  quoque  magnam  \  partem  opere  in  tcmto,  sineret  dolor, 
Icare  haheres:  \  his  conaius  erat  casus  ef fingere  m  auro,  |  bis  patriae 
cecidere  manus)  fühlten  schon  die  antiken  Leser,  wie  die  Nachahmungen 
Ovids  (R.  Ehwald,  O.'s  14.  Heroide,  Gotha  1900,  17)  und  Späterer  zeigen. 
""EoiKCV  6  TTOirirfic  (JuvdxOecröai"  (schol.  B  zu  IL  N  178 ff.)  oder  ^spm- 
pathiam  poeta  ex  sua  persona  fecif  (schol.  Dan.  zu  IX  424,  vgl.  ib.  397 
'mire  adfectum  suum  poeta  interposuit')  würde  man  das  Ethos  antik 
formulieren,  zu  dessen  Steigerung  Vergil  sich  hier  der  dtTTOCTTpocpri  {Icare) 
bedient.  Während  diese  Figiu-  (7rpocr(puüvr|(Tic  genarmt  vom  schol.  Dan. 
zu  X  139.  302.  791)  in  altgriechischer  Poesie  durch  den  objektiven  Zu- 
sammenhang motiviert  zu  sein  pflegt  (vgl.  Pindar  P.  7,  10  und  dazu 
V.  Wilamowitz,  Aristot.  u.  Athen  II  326,  5),  dient  sie  in  der  rhetorischen 
Poesie  der  Späteren,  insofern  sie  nicht  bloß  metrisch  konventionell  ist 
(s.  u.  z.  18),  meist  nur  dem  Ausdruck  subjektiver  Anteilnahme,  und  kam 
so  zu  den  Römern,  die  seit  der  neoterischen  Poesie  starken  Gebrauch 
davon  machten  (Catull,  Calvus,  Varro  v.  Atax,  dann  Properz  und  Ovid); 
Vergil  ist  dem  Stil  des  Epos  gemäß  sparsam  damit  (vergl.  noch  VIII 643). 
In  30  dient  auch  die  durch  die  starke  Interpunktion  markierte  bukolische 
Diaerese  zur  Steigerung  des  Ethos,  denn  das  schließende  Kolon  _  u  u  _  o 
(oLi  TÖv  "Abujviv,  uiXero  Adcpvic)  gibt  hier  wie  oft  dem  Gedanken  einen 
weichen,  klagenden  Ausdruck,  vergl.  b.  3,  58  heu  heu  quid  volui  misero 
mihi?  II  floribus  austrum  Perditus  et  liquidis  immisi  fontibus  apros  5,  25 
(in  der  Klage  um  Daphnis),  Ovid  m.  XI  52  fleibile  nescio  quid  queritur 
lyra,  \\  flebile  lingua  Murmurat  720  et  tamquam  ignoto  lacrimam  dar  et  jj 
'heu  miser'  inquit  684  nuUa  est  Alcyone,  nuUa  est,  ait.  ||  occidit  una  Cum 
Ceyce  suo  (vergl.  A.  P.  VII  366  cpeO  ttöctov  aX^oc  373  Xeiipava  b'aiai 
383  (peO  lUttKapiaToi).  Der  Schluß  bis  conatus  erat  casus  ef  fingere  in  auro,  \ 
bis  patriae  cecidere  manus  ist  ganz  epigrammatisch,  durch  anaphorische 
Antithese  (bis — bis,  dies  nach  X  206  f.)  und  Wortspiel  (casus — cecidere) 
gewürzt;  man  glaubt  das  griechische  Kolorit  zu  fühlen,  wenn  man  sich 
die  Worte  griechisch  denkt:  bic  )uev  e9Ujp|uri9ri  biaTrXdacTeiv  AaibaXoc 
möv,  I  ujc  eirecrev,  X^iP^c  bic  h'ineöov  Trarpiai  (Philippos  Thess.  A.  P. 
VII  554  nennt  die  Hand  eines  Steinmetzen,  der  seinem  Sohn  das  Grab- 
denkmal selbst  gefertigt  hatte,  TrarpiÜTi  X^^P)- 

14:  ut  fama  est.  Auf  diesen  Ausdruck  und  ähnliche  (ferwnt  unten 
284,  ferunt  famä  VHI  765,  fertur  I  15)  wurden  die  antiken  Interpreten 
Vergils  aufmerksam:  das  sei,  sagten  sie,  das  Zeichen  der  diffidentia  des 
Dichters  (vergl.  H.  Georgii,  Antike  Aeneiskritik,  Stuttgart  1891,  179). 
Eine  genauere  Prüfung  der  Ausdrucksweise  zeigt  aber,  daß  diese  Formu- 
lierung zu  eng  ist.  1.  An  sich  kann  der  )Li06oc,  XÖYOC,  die  dvGpdiTTiJüV 
cpdxic,  die  'Sage'  oder  'Legende'  wahr  sein  und  vom  Dichter,  ohne  Kritik 
daran  zu  üben,  als  solche  referiert  werden.  In  diesem  Sinne  steht  qpaCTi 
einigemale  in  den  homerischen  Epen  (z.  B.  B  783  6  638  Z  100,  y  245 
I  42)  und  in  einem  alten  Stück  der  hesiodischen  Theogonie  306,  9a)Ltev 
cpavTi  everroiCJi  XeYOvri  qpdxo  Xe^exai  bei  Pindar  auf  Grund  sowohl 
literarischer  Tradition  (0.2,28.  6,29.  P.  4,  33.  88.  6,21.  12,17. 
N.  9,  39.  I.  7  [8],  47)  als  mündlicher  (0.  7,  54.  N.  6,  59.  7,  84,  besonders 


VERS  14.  123 

0.  9,  49  cpavTi  b'dvGpiUTtuuv  TtaXaiai  pr|(Tiec,  dazu  schol.:  irpö  TTivbdpou 
be  toOto  OUX  i(TTÖpr|TO;  wo  Pindar  einmal  für  die  Wahrheit  nicht  ein- 
steht und  bloß  seine  xva)|Lia  gibt,  sagt  er  böHa  0.  6,  82),  cpaffi  bei  Bak- 
chylides  5,  155,  öfters  dergl.  bei  den  Tragikern  (z.  B.  XÖTOC  Aesch. 
Ag.  722  K.  Eum.  4  Suppl.  220.  284.  Sept.  200,  cpotTic  Suppl.  283,  Soph. 
Ant.  828,  Eurip.  Ion  225.  507,  qpaai  Aesch.  Suppl.  281.  289),  cpaai  und 
XeTOUCTi  in  einem  attischen  und  einem  aeginetischen  Skolion  (Athen. 
XV  695  B),  sowie  in  dem  Anhang  zum  Theognis  1287;  lehrreich  ist 
Isyllos  S.  13  Wil.  a)be  fäp  cparic  evetroucr'  fiXuö'  ec  dKodc  TrpoYOVuuv 
djuerepiuv,  worauf  Xe^erai  folgt.  2.  Aus  der  Gedankensphäre  dieser 
griechischen  Ausdrücke  brauchen  die  lateinischen  an  sich  noch  nicht 
herauszutreten;  wenn  sie  sich  seit  der  neoterischen  Poesie  häufen  (Catull 
dicuntur  perhibent  ferimt  fertur,  Properz  ferunt  fertur  dicitur  ut  aiunt  u.  s.  w.), 
so  ist  das  alexandrinische  Manier:  die  Dichter  betonen,  daß  sie  das,  was 
sie  vortragen,  überliefert  fanden  (vergl.  Kallimachos  fr.  252  Sehn,  tujc  6 
YCT^ioc  [d.  i.  dpxaioc]  ex^i  Xöfoc);  wenn  Catull  68,  109  gar  fertmt 
Grat,  Cicero  Aratea  (de  nat.  deor.  II  107)  und  Vergil  a.  VIII  135 
ut  Grai  perhibent  sagen  (letztere  Floskel  wegen  der  Übereinstimmung 
zwischen  Cicero  und  Vergil  möglicherweise  schon  ennianisch:  s.  Anhang  I), 
oder  wenn  Vergil  g.  IV  507  sogar  den  redenden  Proteus  sich  auf  eine 
Tradition  berufen  läßt  (perhibent),  so  ist  das  die  reine  Buchpoesie,  wie 
die  Berufung  auf  die  fides  vetustatis  bei  Ovid  m.  I  400,  f.  IV  203  (vergl. 
aen.  X  792).  3.  Besonders  gern  wenden  diese  Dichter  diese  Form  der 
Berufung  da  an,  wo  die  SagenüberUeferung  schwankte,  verworfen  oder 
rationalistisch  umgedeutet  wurde,  so  VergU  X  189  ferunt  (abweichend 
von  Phanokles-Ovid  m.  H  367ff.),  HI  121  fama  volat,  TU.  578.  IV  179. 
Vn  409  fama  est,  buc.  6,  74  quam  (ScyUam)  fama  secuta  est  (überall  bei 
Sagenvarianten),  und  so  auch  an  vorliegender  Stelle:  denn  Timaios,  auf 
den  sie  vermutlich  zurückgeht  (s.  o.),  hat  nach  Diodor  IV  77  erst  eine 
rationalistische  Umdeutung  der  Sage  von  Daedalus  gegeben,  dann  diese 
selbst  erzählt  mit  der  Bemerkung,  sie  sei  unwahrscheinlich.  Sei-vius  hat 
also  Recht,  wenn  er  zu  unserem  Verse  bemerkt  (p.  7,  5  Thilo):  dicendo 
autem  Vergilius  'ut  fama  esf,  ostendit  reguirendam  esse  veritatem  (folgt 
eine  rationalistische  Deutung).  4.  Die  letztere  Gruppe  bildet  den  Über- 
gang zu  Ausdrücken  eigentlicher  'diffidentia\  wie  unten  173  ^  g.  III  391 
si  credere  dignum  est  VIII  140  auditis  si  quicquam  credimus  III  551  si 
Vera  est  fama,  Lydia  25  si  fdbula  non  vana  est,  Ovid  f.  11  113  fide 
m^ius  met.  XilL  732  si  non  omnia  vates  ficta  reliquerwnt  XV  282  nisi 
vatibus  omnis  eripienda  fides.  Auch  solche  eigentliche  dirKTTia  ist  in 
griechischer  Poesie  alt:  im  Prooemium  der  hesiodischen  Theogonie  (27  f.) 
sagen  die  Musen,  daß  sie  neben  Wahrem  auch  Falsches,  d  .h.  neben  echter 
Sage  auch  novellistisch  Fingiertes,  verkünden  (ein  Maßstab,  an  dem  Xeno- 
phanes  und  Pindar,  jeder  in  seiner  Art,  die  Überlieferung  messen),  Solon 
(fr.  20)  zitiert  als  Sprichwort  TToXXd  vjieObovTai  doiboi  (danach  Eurip. 
Herc.  1315  doibujv  eiTiep  ou  vpeubeTc  Xöyoi,  vergl.  dort  v.  Wilamowitz), 
und  besonders  skeptisch  verhalten  sich  (uneingedenk  der  aristotelischen 
Lehre  von  der  Poesie:  eq)  oTc  dTTicrToO)iev  oux  fiböjueGa  probl.  917b  15) 
die  alexandrinischen  Dichter,  z.  B.  Kallimachos  h.  1,  60 f.,  fr.  76.  Apollo- 
nios  I  153  ei  ereöv  fC  ireXei  kXgoc,  aus  deren  Einfluß  sich  die  zitierten 


124  KOMMENTAR 

Floskeln    Vergils    und    anderer    lateinischer    Dichter    erklären    (s.    auch 
u.  z.  441). 

15  praepetihus  pinnis.  Die  Akten  über  den  von  Hygin  eingeleiteten 
Streit  hinsichtlich  der  Bedeutung  von  praepes  geben  auf  Grund  eines 
erlesenen  Kommentars  Gellius  VII  6  und  Servius  Dan.  z.  d.  St.  Das 
Richtige  steht  bei  Gellius  §  12:  praepes  sei  ein  Wort  der  Augural- 
sprache, in  der  es  das  Epitheton  eines  mit  breiten  [patulis)  Schwingen 
fliegenden  Vogels  sei,  entsprechend  M  237  oiujvoT(Ji  Tavuirrepu Ye(J(ri ; 
also  Veit  geöffnet',  'ausgebreitet'.  Diese  Ableitung  vom  St.  pat-  ist 
nicht  bloß  lautlich  die  glaublichste,  sondern  auch  deshalb,  weil  nur  so 
sich  zwei  bei  Gellius  angeführte  ennianische  Verbindungen  erklären: 
Brundusium  pulcro  praecmdum  praepete  portu  (a.  478)  und  praepetihus 
sese  pulcrisque  locis  dant  (a.  97,  sc.  die  Auguralvögel).  Da  nun  auch 
Cicero  in  einem  von  ihm  selbst  (de  div.  I  106)  zitierten  Vers  seines 
Marius  praepetihus  pirmis  sagt,  so  werden  wir  aus  Vergils  Überein- 
stimmung mit  ihm  schließen  dürfen,  daß  die  Verbindung  von  beiden 
älterer  Poesie  entnommen  wurde,  vermutlich  also  aus  Ennius:  vergl. 
Anhang  I.  Daß  in  unserem  Verse  Ennius  die  Vorlage  Vergils  war, 
dürfen  wir  aber  mit  um  so  größerer  Bestimmtheit  vermuten,  als  III  361 
die  Worte  praepetis  omina  pivmae  in  einem  Zusammenhang  stehen 
(III  359 — 380),  der  voll  von  feierlichen,  z.  T.  als  ennianisch  überlieferten 
Wendungen  ist  (vergl.  359  Troiugena,  interpres  divom  360  sidera  sentis 
364  repostas  367  obscenamque  famem  369  de  more  370  exorat  pacem 
divom  374 f.  maiorihiis  auspidis  375  deum  rex  380  Saturnia  luno  u.  a.). 
Die  Herübernahme  eines  Worts  der  Auguralsprache  ist  für  die  lateinische 
Poesie,  deren  primitivste  Keime  in  den  nationalen  sacra  lagen,  charakte- 
ristisch: sie  hat  ein  bekanntes  Analogon  in  extemplo.  Servius  zu  I  92 
'  extemplo'  ilico.  et  est  augurum  sermo  e.  q.  s.,  vergl.  auch  u.  z.  191.  Die 
Feierlichkeit  wird  durch  die  gewählte  Alliteration  praepetihus  pinnis  — 
credere  caelo  (Schema  aabb)  gesteigert.  Für  Ovid  war  der  Begriff  von 
praepes  bereits  so  entwertet,  daß  er  den  Amor  einen  deu/m  praepetem 
nennen  konnte  (h.  8,  36). 

16  insuetum  per  iter  gelidas  enavit  ad  arctos  (Daedalus).  Die  auch 
uns  geläufige  Metapher,  die  sich  in  19  remigium  alarum  fortsetzt,  ist 
in  griechischer  Poesie  sehr  alt  und  beliebt,  ins  Lateinische  eingeführt 
schon  von  Ennius  a.  21  transnavit  {Venus)  cita  per  teneras  caliginis  auras. 
Der  spezielle  Ausdruck  remigium  pinnarum  ist  für  ims  zuerst  bei  Lucrez 
VI  743  überliefert,  aber  er  ist  wohl  älter,  denn  Lucrez  hat  ihn  im 
Genetiv  mit  einer  Licenz  (remigt  ohUtae  pinnarum,  vergl.  Lachmann), 
die  sich  doch  wohl  daraus  erklärt,  daß  er  die  Phrase  als  eine  in  älterer 
Poesie  geprägte  seinerseits  übernahm.  Quintilian  VIII  6,  18  nennt  den 
Ausdruck  eine  speciosissima  translatio,  verbietet  ihn  aber  für  die  Prosa, 
d.  h.  er  hatte  damals  bereits  Eingang  gefimden;  für  uns  in  Prosa  wohl 
erst  bei  Appuleius  m.  V  25  nachweisbar.  Durch  den  Gebrauch,  den 
Vergil  hier,  wo  er  den  Mythus  von  Daedalus  skizziert,  von  der  Metapher 
macht,  erweckt  er  in  dem  Hörer  eine  bedeutende  cpavTacTia,  die  durch 
die  Hyperbel  gelidas  ad  arctos  (d.  h.  Daedalus  schwamm  emporrudernd 
durchs  Äthermeer  zum  Pol)  noch  erhöht  wird.  Dieser  Ausdruck  wurde 
schon    im    Altertum    mißdeutet,    indem    einige    darunter    die    nördliche 


VERS  15-19.  125 

EicMung  des  Fluges  verstanden  (vergl.  Servius) ;  richtig,  aber  mit  schwäch- 
licher jLieiuJcric  schon  Silius  Xu  94 f.  media  inter  nubila  .  .  .  enavit.  Daß 
Vergil,  wie  ein  Scholion  des  interpolierten  Servius  meint,  den  hyper- 
bolischen Ausdruck  gewählt  habe,  um  auf  die  Gefahr  anzuspielen,  der 
das  Wachs  bei  zu  großer  Wärme  ausgesetzt  war,  ist  sehr  glaublich: 
denn  solche  'compendia  fabulae',  die  das  Denken  des  sagenkundigen 
Lesers  reizen  sollten,  waren  ja  gerade  in  demjenigen  poetischen  y^voc, 
von  dem  Vergil  hier  eine  Probe  gibt,  außerordentlich  beliebt. 

17  Chalcidicaque  levis  tandem  super  astitit  arce.  Attribut  und 
Substantive  rahmen  den  Vers  ein;  vergl.  über  diese  bei  Vergil  sehr  be- 
liebte Wortsynometrie  Anhang.  III A  1.  —  Mit  super  astitit  arce  (wo 
super  Adverb  ist,  vergl.  Boltenstem,  Stellung  der  Praeposition  bei  Vergil, 
Progr.  Dramburg  1880,  12)  vergl.  IV  252  f.  Mc  (auf  dem  Atlas)  primum 
parihus  nitens  Gyllenius  älis  \  constitit;  das  Motiv  ist  also  von  dem  Flug 
eines  Gottes  auf  den  des  Daedalus  übertragen.  Vergils  Ausdruck  super 
astitit  arce  stimmt  so  genau  überein  mit  Pindar,  der  von  Apollon,  nach- 
dem er  über  Länder  und  Meere  geflogen  ist,  sagt:  aKOTTiaidiv  <(dKpaic)> 
opeuuv  uirep  ^cria  (fr.  101  Bgk.),  daß  man  doch  wohl  eine  unmittel- 
bare Eeminiscenz  an  diese,  wie  es  scheint,  berühmte  pindarische  Stelle 
anzunehmen  haben  wird. 

18  f.  tibi  Phoebe  sacravit  \  remigium  alarum  posuitque  immania  templa. 
Erst  baut  er  den  Tempel,  in  dem  er  dann  die  Flügel  dediziert:  also 
sog.  liffTcpov  TTpÖTepov,  s.  Anhang  11  2.  —  Die  Apostrophe  des  Gottes 
ist  hier  aus  dem  Stil  der  Dedikationsepigramme  zu  erklären  ((Toi  .  . 
ct)oiße  .  .  bujpa  Tdbe  Kpejuaiai  A.  P.  V  9  u.  dgl.),  denn  Daedalus  weiht 
nach  seiner  glücklichen  Fahrt  durch  das  Luftmeer  seine  'ßuderflügel' 
wie  ein  dem  Sturm  entronnener  Schiffer  seine  Ruder  (vergl.  aen.  XII  768 ff.). 
Meist  aber  ist  diese  Figur  als  eine  rein  konventionelle  zu  beurteilen: 
der  Vokativ  ist  wegen  seiner  kurzen  Silbe  besonders  an  vorletzter  Vers- 
stelle sehr  bequem  (vergl.  Köne  31.  47.  119.  206  und  0.  Keller,  Gramm. 
Aufsätze,  Leipz.  1895,  198f.).  Wenn  Vergil  z.  B.  unten  250f.  sagt 
Äeneas  matri  Eumenidum  magnaeque  sorori  \  ense  ferit  (sc.  agnam)^ 
sterilemque  tibi  Proserpina  vaccam,  so  wechselt  er,  weil  Proserpinae  metrisch 
unbrauchbar  gewesen  wäre  (erst  seit  Properz  wird  Persephone  freigegeben; 
ganz  isoliert  scheint  Proserpinae  bei  Horaz  carm.  11,  13,  21  zu  sein); 
ebenso  wird  III  119  f.  (mactavit)  taurum  Neptuno,  taurum  tibi,  pulcher 
Apollo,  I  nigram  Hiemi  pecudem,  Zephyris  felicibus  albam  die  Form 
Äpollini  umgangen,  und  den  metrischen  Zwang  gesteht  Vergil  selbst  mit 
einer  für  solche  Dinge  seit  Alters  konventionellen  Phrase  ein  g.  II  95  f. 
purpureae  (sc.  uvae)  preciaeque,  et  quo  te  carmine  dicam,  \  Baetica? 
Während  aber  Vergil  in  der  Aeneis  die  Figur  nur  da  zuläßt,  wo  das 
Ethos  sie  wenigstens  nicht  ausschließt  (in  den  Georgica  I  215  wagte  er 
es  noch,  eine  Kleeart  medica  zu  apostrophieren),  überschreiten  andere 
Dichter  diese  Grenze,  z.  B.  redet  Properz  III  11,  68  den  Bosporus, 
Ovid  tr.  I  10,  26  Lampsacus  und  f.  11  392  gar  den  Circus  maximus  an; 
Ovid  gebraucht  wohl  auch  zuerst  in  der  Apostrophe  metrisch  bequeme 
Verbalformen  der  zweiten  Person  wie  m.  XIII  925  f.  quas  neque  corni- 
gerae  morsu  laesere  iuvencae,  |  nee  placidae  carpsistis  oves  hirtaeve  capeUae 
(vergl.  Ehwald  zu  m.  IX  185). 


126  KOMMENTAR 

20  Zu  letum  ist  aus  posuit  (19)  das  für  künstlerisclie  Darstellung 
allgemeinste  Wort  fecit  zu  entnehmen,  von  dem  auch  der  folgende  In- 
finitiv abhängt,  vergl.  VIII  630  (dazu  schol.  Dan.:  elegans  figura  ^ecerat 
procuhuisse').  Prop.  11  12,  6.  Ovid  m.  VI  75  u.  ö.  —  Über  das  Schwanken 
der  Überlieferung  zwischen  Ändrogeo  und  Ändrogei  s.  Anhang  VI  3.  — 
21.  Cecropidae.  KaUim.  4,  315  KeKpoTtibai  an  gleicher  Versstelle  in 
gleichem  Zusammenhang.  Die  gelehrte  Bezeichnung  hatten  die  Neoteriker 
(vergl.  CatuU  64,  79  u.  ö.)  von  den  Alexandrinern  um  so  lieber  auf- 
gegriffen, weil  sie  das  übliche  Wort  im  Hexameter  nicht  brauchen 
konnten;  Athenaeus  scheint  nur  Lucr.  VI  749  gewagt  zu  haben  und  kein 
Dichter  nach  ihm.  Thesidae  sagt  Vergil  g.  II 383.  —  21  f.  septena 
quotannis  \  corpora  natorum.  In  der  gewöhnlichen  Überlieferung  sind  es 
sieben  Söhne  und  sieben  Töchter,  die  dem  Minos  jährlich  ausgeliefert 
werden  mußten.  Daß  aber  Vergil  nicht  ohne  Autorität  davon  abgewichen 
ist,  zeigt  eine  von  Servius  D.  zu  14  (p.  6,  16  Th.)  mitgeteilte  Version, 
wonach  es  nur  sieben  Söhne  waren.  —  corpora  natorum  von  den  antiken 
Erklärern  als  TTcpicppaCFiC  notiert;  sie  ist  bei  Vergil,  wie  bei  griechischen 
Dichtem  be)aac  und  (Taiiua,  sehr  häufig  (besonders  corpora  virum,  was 
archaisches  Gepräge  trägt),  wird  von  ihm  aber  nie  ohne  Ethos  gebraucht 
(abgegriffen  Prop.  III  17,  25  curva  delpMnum  corpora)^  hier  Hhre  sieben 
leiblichen  Söhne'  (vergl.  Henry  232).  —  22  stat  ductis  sortibus  urna. 
Stat  in  seiner  Bedeutung  nach  Servius  von  den  alten  Exegeten  umstritten, 
neben  vielem  Falschen  richtig:  stat  post  diictas  sortes.  Beim  Losen  ist 
das  irdXXeiv,  movere  der  Urne  das  Wesentliche:  das  konnte  der  Künstler 
nicht  darstellen,  aber  die  stehende  Urne  sagte  dem  antiken  Betrachter, 
daß  das  Losen  vollzogen  war.  stare  prägnant  vom  unbeweglichen  Stehen 
auch  471.  Horaz  od.  I  9,  1.  Properz  IV  5,  12.  —  sortes  ducere  tech- 
nischer Ausdruck  der  alten  Sprache  (vergl.  J.  Schmalz,  Arch.  f.  Lex. 
rX  1896,  578). 

23  Gnosia  MR,  Cnosia  P;  auch  an  vier  anderen  Stellen  (g.  I  222. 
a.  in  115.  V  306.  VI  566)  schwanken  unsere  Majuskelhss.  begreiflicher- 
weise, aber  stets  zu  Gunsten  der  von  M.  Haupt  (bei  Beiger  251) 
empfohlenen  Schreibung  GN]  IX  305  geben  alle  (MPR)  Gnosius.  An 
diesen  sechs  Stellen  steht  es  viermal  am  Versanfang,  zweimal  nach  Kon- 
sonant im  Versinnern,  so  daß  die  Schreibung  GN  prosodisch  überall 
möglich  und  daher  (gegen  Ribbeck,  vergl.  prol.  crit.  392,  aber  mit 
Deuticke)  wohl  überall  einzusetzen  ist.  Im  Wortinnern  geben  die 
Hss.  (MPR)  VIII  425  Pyragmon  (und  so  las  Commodian  nach  der  maß- 
gebenden Überlieferung  instr.  I  5,  4),  X  198  Ognus  MP  Ocnus  VR  (ö), 
g.  IV  15  alle  (MPR)  Procne  (ö);  in  cygnus  hat  das  g  nur  cod.  M  an 
drei  Stellen  (b.  8,  55.  a.  I  393.  XH  250),  an  den  übrigen  sechs  hat  er 
mit  den  anderen  codd.:  c  (das  y  ist  an  allen  neun  Stellen  lang,  die 
Schreibung  mit  gn  also  überall  möglich  gegen  Horaz  od.  IV  3,  20  cyoni 
wie  I  30,  1  reginä  Cnidi).  Eine  definitive  Entscheidung  ist  vor  Samm- 
lung des  Materials  aus  allen  maßgebenden  Hss.  unmöglich.  —  elata  mari 
(Kreta)  plastisch  für  alta  (so  von  Kreta  V  588,  vergl.  Mela  II  7,  12 
super  eas  [Kykladen]  sita  est  Greta). 

24  supposta.  Die  synkopierten  Formen  der  Composita  von  ponere  finden 
sich,  wie  aus  der  Sammlung  von  K.  Wotke  (Wien.  Stud.  VIII  1886,  146) 


VERS  20—25.  127 

hervorgellt,  mit  einer  Ausnahme  (g.  III  527  repostae),  nwx  in  der  Aeneis, 
und  zwar  stets  bis  auf  einen  Fall  des  I.  Buchs  (249  Traia,  nunc  pla- 
cida  compostus  pace  quiescit)  so,  daß  die  Formen  den  fünften  oder  sechsten 
Fuß  ausfüllen  (X  694  expostaque  ponto  IX  716  inposta  Typlweo  VI  24 
suppostaque  furto;  g.  HI  527  nocuere  repostae  a.  1 26  mente  repostum 
III  364  temptare  repostas  VI  59  penitusque  repostas  655  tellure  repostos). 
Also  war  metrische  Bequemlichkeit  (neben  dem  archaisierenden  Kolorit) 
für  Vergil  der  Hauptgrund,  die  Formen  beizubehalten;  das  ergibt  sich 
auch  daraus,  daß  er  von  denjenigen  Composita,  die  sich  sowohl  ohne 
als  mit  Synkope  in  den  Vers  bringen  ließen,  nur  je  ein  Beispiel  mit 
Synkope  hat  (compostus,  exposta,  inposta,  suppostd),  aber  von  demjenigen, 
das  für  den  Hexameter  ohne  Synkope  überhaupt  nicht  brauchbar  war, 
fünf  Formen  (repostum,  repostae,  repostas  zweimal,  repostos).  Daß  re- 
postos aus  Ennius  stamme,  bezeugt  Servius  zu  I  26  (vergl.  unten  z.  328). 
Für  uns  ist  Lucrez  der  Hauptvertreter  dieser  Formen,  der  sie  auch 
schon  zumeist  auf  die  metrisch  bequemen  Stellen  beschränkt.  Im  Gegen- 
satz zu  Lucrez  verpönen  die  Neoteriker  diese  Formen  (Catull  hat  sie 
sogar  nicht  in  den  kleinen  Gedichten,  wo  er  doch  sonstige  Synkopen 
nicht  meidet,  s.  u.  z.  57),  nur  Varro  der  Ataciner,  der  überhaupt  eine 
Zwischenstellung  zwischen  der  alten  und  neuen  Richtung  einnahm,  hat 
fr.  7  Baehr.  placida  composta  quiete,  was  Vergil  in  der  zitierten  Stelle 
des  I.  Buchs  nachgeahmt  hat,  wenn  es  nicht  älteres  Gut  ist.  Von  den 
Augusteem  außer  Vergil  werden  diese  Formen  nur  je  einmal  von  Horaz 
und  Properz  gebraucht,  von  jenem  in  einem  sehr  frühen  Gedicht  unter 
dem  Einfluß  des  Lucrez  (epod.  9,  1  repostum;  über  das  unmögliche  postos 
epod.  2,  65  vergl.  Leo,  Göttinger  Prooemium  1900,  18),  von  diesem  in 
einem  sehr  späten  (IV  2,  29  imposta  Corona),  das  bereits  unter  dem 
Einfluß  Vergils  steht.  Öfters  begegnen  die  Formen  dann  erst  wieder  bei 
den  Epikern  seit  Valerius  Flaccus,  die  ganz  von  Vergil  abhängig  sind. 
Vergl.  auch  zu  57  direxti. 

24  f.  amor  tauri  suppostaque  Pasiphae.  Dargestellt  war  Pasiphae 
propter  amorem  tauro  supposita,  aber  der  Dichter  legt  die  logisch  sub- 
ordinierten BegrüBfe  parataktisch  auseinander,  um  sie  einzeln  deutlicher  her- 
vortreten zu  lassen  (Figur  der  eTxelr]fr\üic,  vergl.  Servius  zu  I  27.  XI 260). 
Dieser  auch  der  Prosa  beider  Sprachen  nicht  fremde  Gebrauch  wird  von 
allen  Dichtern  gepflegt,  aber  Vergil  hat  ihn  fast  zur  Signatur  seines  Stils 
gemacht  (Lucrez,  Catull  und  die  Augusteer  außer  Vergil  sind  darin  viel 
zurückhaltender),  vergl.  z.  B.  unten  57  Dardana  Paridis  tela  manusque 
227  reliquias  et  hibulam  favillam  230  spargens  rore  levi  et  ramo  felicis 
olivae,  282  ramos  annosaque  braccliia  715  securos  latices  et  longa  oblivia 
potant  (dagegen  Süius  XIH  555  mit  appositioneller  Hypotaxe  Lethaeos 
potant  latices,  ohlivia  mentis)  788  ha/nc  gentem  Romanosque  tuos  831 
a^geribus  Älpinis  atque  arce  Monoeci,  I  258  urhem  et  promissa  Lavini 
moenia  IH  222  vocare  in  partem  praedamque  (dagegen  Liv.  V  21,  5  in 
partem  praedae  vocare)  V  647  f.  divini  signa  decoris  ardentisque  oculos 
Vn  50  filius  prolesque  virilis  XI  22  socios  inJiumataque  corpora;  auch  das 
oft  mißdeutete  penatihus  et  magnis  dis  (EU  12)  ist  danach  zu  beurteilen 
(die  di  magni  sind  eben  Axq penates:  vergl.  Wissowa,  Hermes  XXH  1887,  32), 
und   für   das  Verständnis   von  VI  273   wird   uns   dieser  Sprachgebrauch, 


128  KOMMENTAR 

den  auch  Servius  zu  XI  260  notiert,  wichtig  sein.  In  vielen  Fällen  ist 
er  bloß  durch  das  Bestreben  des  Dichters,  einen  Ausdruck  stilistisch  zu 
variieren,  hervorgerufen  (s.  z.  25)  und  durch  Floskeln  aus  archaischer  Poesie 
beeinflußt,  so  nach  Ausweis  des  Metrums  in  dem  Versschluß  magnis  dis 
(s.  Anhang  IX  2).  —  amor  wie  gleich  (26)   Venus  KaT'euq)ri|Liicr)iiöv. 

25  Pasiphae  mixtumque  genus  prolesque  iiformis.  Mit  pröles  hifor- 
mis  wird  mixtum  genus  stilistisch  variiert:  eine  bei  Vergil  sich  großer 
Beliebtheit  erfreuende  rhetorische  Figur  (exomatio),  für  die  wir  noch 
zahlreiche  Beispiele  finden  werden  (s.  besonders  auch  zu  268 ff.  638  ff.). 
Wenn  wir  mit  mehr  Vergleichsmaterial  aus  alter  Poesie  operieren  könnten, 
so  würde  sich  herausstellen,  daß  Vergil  den  einen  der  beiden  Ausdrücke, 
mit  dem  er  den  anderen  variiert,  oft  aus  einem  Vorgänger  entlehnt  hat, 
wie  er  gleich  27  die  fast  genau  dem  CatuU  entnommene  Floskel  inextri- 
cabilis  error  neben  sein  labor  domus  stellt  (s.  auch  z.  68.  152.  165.  178. 
218.  387.  435).  Auch  in  unserem  Verse  macht  proles  hiformis  einen 
archaischen  Eindruck:  vergl.  für  pröles  unten  zu  784;  hiformis  scheint 
für  uns  freilich  vor  der  augusteischen  Poesie  nicht  belegt  zu  sein,  doch 
hat  Cicero  in  seinen  Versen  Tusc.  II  20  (Vers  13  f)  hiformato  impetu  \ 
Centaurus  und  da  er  zu  dieser  Bildung  durch  das  von  ihm  übersetzte 
sophokleische  Original  gar  keine  Veranlassung  hatte  (Trach.  1059  0r|peioc 
ßia),  so  nahm  er  sie  wohl,  wie  so  vieles  in  seinen  Versen,  aus  einem 
lateinischen  Tragiker;  so  übersetzt  er  gleich  darauf  (Vers  38)  den  sopho- 
kleischen  biqpufi  (TTparöv  (ib.  1095)  mit  hicorporem  nmnum,  und  da  haben 
wir  das  Adjektiv  zufällig  für  Naevius  und  Accius  bezeugt.  —  26  moni- 
menta  poetischer  Plural  (s.  z.  4),  deshalb  bemerkenswert,  weil  er  ihn  sogar 
als  Apposition  zu  einem  singularischen  Nomen  (Minotaurus)  gebraucht; 
ähnlich  schon  10  secreta  Apposition  zu  antrum.  —  27  läbor  domus  vom 
Labyrinth.  Die  Wahl  der  nicht  ganz  gewöhnlichen  Ausdrucks  weise 
erklärt  sich  vielleicht  aus  spielerischer  Anlehnung  an  das  etymologisch 
im  Altertum  viel  diskutierte  läbyrintlms  (mittelalterliche  Schreibung  eben 
deswegen  laborintus:  Th.  Birt,  Rh.  Mus.  LII  Suppl.  139).  Als  oiKia  (domus, 
vergl.  29  tecti)  wird  es  auf  Vasen  und  Münzen  dargestellt.  —  27  inex- 
tricahilis  error,  29  dolos  tecti  amhagesque.  Die  Irrwege  des  Labyrinths 
in  Versen  malerisch  zu  schildern,  reizte  die  hellenistischen  Dichter  (vergl. 
Kallim.  h.  4,  311)  und  nach  ihnen  CatuU  64,  112  ff.  (errahunda  regens 
tenui  vestigia  filo,  \  ne  lahyrintheis  e  flexibus  egredientem  |  tecti  frustrare- 
tur  inobservahilis  error),  an  den  sich  Vergil  deutlich  anlehnt  (ürsinus). 
Auch  an  einer  wohl  später  als  die  vorliegende  Stelle  geschriebenen 
Partie  V  588 ff.  macht  Vergil  dem  Catull  das  Kunststück  nach,  dort 
schließt  er:  qua  signa  sequendi  \  frangeret  indeprensus  et  inremeabilis 
error.  Die  Wahl  der  sechssilbigen  Worte  (sowie  des  viersilbigen  am- 
hagesque), die  den  vierten  und  fünften  Versfuß  ausfüllen  (eine  metrische 
Besonderheit,  s.  z.  9 9 f.  und  617),  beruht  auf  Absicht:  die  Länge  des 
error  soll  dadurch  gemalt  werden  (ähnlich  11  324  venit  summa  dies  et 
ineluctdbile  tempus),  s.  Anhang  IX  3  b.  In  der  Wahl  des  Wortes  inex- 
tricabiUs  (vom  Labyrinth  auch  Varro  bei  Plin.  n.  h.  XXXVI  91)  ist  Vergil 
hier  vorsichtiger  als  Catull,  wagt  dagegen  an  der  Stelle  des  fünften  Buchs 
nach  Catulls  inobservabilis  gegen  seine  Gewohnheit  (s.  z.  141)  eine  eigene 
Neubildung  (inremeabilis). 


VERS  24—32.  129 

28  magwam  regmae  sed  enini  miseratus  amorum.  In  vdrkungs- 
voUem  Kontrast  (s.  z.  9  f.)  zu  der  nefanda  Venus  der  Pasiphae  folgt  hier 
der  magnus  amor  Äriadnae.  Der  Name  war  in  den  obliquen  Casus  im 
Versinnem  nur  mit  schweren  Elisionen,  am  Versschluß  nach  den  strengen 
Gesetzen  des  lat.  Hexameters  überhaupt  nicht  brauchbar;  er  wird  daher 
hier  von  Vergil  durch  regina  ('Königstochter':  abusive  ait  more  poetico 
Servius  zu  I  273),  von  anderen  Dichtem  meist  durch  Minois  oder  Crnosia 
ersetzt  (vergl.  Thes.  1.  1.  11  561).  Kunstvoll  ist  die  Verteilimg  der  Worte 
über  den  Vers:  die  Hauptbegriffe,  darunter  das  schwere,  den  ersten  Fuß 
füllende  spondeische  magnum  (s.  Anhang  VIII) ,  rahmen  ihn  ein  (s.  ebenda 
in  A  l),  dagegen  sind  die  Partikeln  in  der  Mitte  wie  versteckt:  über 
diese  Freiheit  in  der  Stellung  der  Partikeln  s.  ebenda  DI  B  3.  Die  Ver- 
bindung sed  enim  (auch  I  19.  H  164.  V  395)  wird  von  Quintil.  IX,  3,  14 
als  Archaismus  bezeichnet,  zu  ihrer  Konservierung  trug  wohl  dXXct  ydp 
bei  (danach  at  enim  in  der  occupatio);  enim  behielt  in  ihr  seine  ursprüng- 
liche Bedeutung  (br|,  'ja',  vergl.  Bücheier,  Lexicon  Italicum  p.  Vm),  die 
es  noch  im  Vulgärlatein  hat  (öfters  bei  Commodian).  Altertümlich  enim 
auch  g.  in  6  9  f.  semper  erimt,  quarmn  mutari  corpora  malis:  |  semper 
enim  reßce  ('und  so'  wie  altlat.  einom),  a.  VIII  84  qimm  (suem)  pius 
Aeneas  tibi  enim,  tibi,  maxima  luno  j  mactat  sacra  ferens  et  cum  grege 
sistit  ad  aram  (ffoi  y^  örj;  in  der  Umgebung  von  lauter  feierlichen 
Worten).  Ahrüich  schillert  zwischen  Versicherung  und  Begründung 
namque  X  614.  —  30  caeca  vestigia.  Dieser  sinnliche  Gebrauch  von 
caecus  ist  eine  besondere  Liebhaberei  Vergils,  wofür  er  reichliches  Material 
außer  in  der  Umgangssprache  {caeca  nox,  caeci  parietes  wie  Tuq)Xoi  ToTxoi, 
'blinde  Fenster')  auch  in  griechischer  Poesie  fand,  so  hier  caeca  vestigia 
wie  TuqpXoi  TTÖbec  Eurip.  Phoen.  834  (djuaupöv  kiIiXov  Soph.  0.  C.  182), 
X  733  caecum  dare  cuspide  volnus  wie  TuqpXoTc  ourddac  ToHeu)Lia(Jiv 
Eurip.  Herc.  199,  DI  200  caecae  undae  g.  11  503  freta  caeca  a.  IH  706 
caeca  saxa  wie  TucpXöv  KÖ^ia  A.  P.  VII  400,  2  TuqpXai  a-mXdbec 
ib.  Vn  275,  2.  —  Über  die  Bildung  des  Versschlusses  tu  quoque  magnam 
_  I  «^  ^j  I  _  ö  s.  Anhang  IX  4  a.  —  31  partem,  sineret  dolor,  haheres.  Die 
Auslassung  der  Kondizionalpartikel  ist  vor  dem  Konjunktiv  des  Präteri- 
tums viel  seltener  als  vor  dem  des  Präsens  (für  letzteres  vergl.  Leo, 
Seneca  I  224,  Analecta  Plaut.  I  30,  l);  zu  den  wenigen,  von  ß.  Kühner, 
Gramm,  d.  lat.  Spr.  11  2,  761  angeführten  Belegen  kommt  ein  besonders 
genaues  Analogon  bei  Ovid  m.  IX  490  &mnia  di  facerenf^  essent  communia 
nobis,  woraus  sich  ergibt,  daß  P.  Cauer,  Grammatica  militans  (Berlin 
1898)  136  die  Auslassung  der  Partikel  in  imserem  Verse  richtig  aus 
der  Idee  eines  Wunsches  erklärt  ('ließe  es  der  Schmerz  nur  zu').  — 
32  (bis)  conatus  erat  Übersetzung  von  (rpic  |uev)  eq)UJp|Lir|0Ti  X  506; 
conari  gibt  den  Begriff  genau  wieder,  denn  M.  Haupt  (bei  Beiger  253) 
bemerkt,  daß  es  nicht  'versuchen',  sondern  'sich  anschicken'  heißt;  tat- 
sächlich ist  es  oft  kaum  verschieden  von  coepisse,  vergl.  bell.  Afr.  14,  2. 
15,  2  (dazu  Wölfflin)  und  besonders  Ovid  m.  Vlll  462f.  conata  quater  . . . 
imponere,  coepta  quater  tenuit. 

C.  Begegnung  mit  der  Sibylle  und  Eintritt  in  den  Tempel 
(33  quin  —  41).  Abgebildet  cod.  F,  fol.  XLW.  Periodisierung:  drei 
TpiKujXa:  1.  quin  33  —  regi  36  (a.  quin — oculis,  b.  ni  —  Glaud  mit  zwei 

Vkkgil  Buch  VI,  von  Norden.  9 


130  KOMMENTAR 

KÖmaaTa,  c.  fatur — regt)  2.  rwn  37  —  bidentis  39  (a,.non — possit,  b.  nunc — 
praestiterit^  c.  totidem — bidentis)  3.  talibus  40  —  sacerdos  41  (a.  talibus  — 
Aenean,  b.  nee — viri,  c.  Teuoros — sacerdos). 

33  protinus  omrna.  Protinus  hier,  wie  bei  Vergil  noch  oft  (Schol. 
z.  11  437.  VII  601),  räumlich:  biriV€KU)C.  —  Für  omnia  (Versschluß)  gibt 
R  omne  (das  Lemma  des  Servius  omnem,  d.  h.  omne  mit  falschem  Strich), 
eine  oflPenbare  Interpolation,  denn  nach  Maerob.  V  14,  1  wurde  die 
Synizese  ia  von  einigen  getadelt.  Kein  Vers,  in  dem  Vergil  diese  Synizese 
hat,  ist  völlig  intakt  geblieben:  VII  237  verba  precantia  FMP,  v.  pre- 
ccmtwm  R;  g.  IV  221  deum  namque  ire  per  omnis  alle  Hss.  (MPR),  aber 
Ambrosius  las  richtig  omnia:,  a.  I  2  ist  das  Schwanken  sowohl  der 
direkten  als  der  indirekten  Überlieferung  zwischen  Laviniaque  venu  (litora) 
und  Lavinaque  v.  l.  wohl  zu  Gunsten  der  besseren  hs.  Überlieferung 
Laviniaque  (M^V  gegen  RM^  [Hand  des  Schreibers  von  M^])  zu  unter- 
scheiden trotz  des  ältesten,  etwa  noch  dem  I.  Jh.  p.  Chr.  angehörigen 
Zeugnisses  für  Lavinaque  auf  einem  Ziegel  von  Italica  CIL  II  4967,  31. 
Die  lateinischen  Dichter  haben  diese  Art  der  Synizese  nach  der  Lehre 
griechischer  Metriker  zugelassen:  Hephaest.  euch.  2  belegt  den  xpÖTTOC 
Tfjc  (TuveKqpuüvriffeuJC  von  zwei  kurzen  Vokalen  zu  einem  kurzen  (TTriXidba 
_  w  w,  f|  biaveKUJC  _  u  w  _,  dXXa  leöv  ^  ^  J)  für  verschiedene  Gattungen 
^er  Poesie,  darunter  ausdrücklich  auch  die  epische.  In  lateinischer  Poesie 
ist  dieser  xpÖTTOC  für  uns  belegt  zuerst  aus  Lucüius  (Lachmann  zu  Lucr. 
I  1106.  II  719)  aber,  wie  wir  auch  sonst  bei  Übereinstimmungen  zwischen 
Vergil  und  Lucilius  auf  Ennius  schließen  dürfen  (s.  Anhang  I  2),  so  hier 
um  so  mehr,  als  1.  in  den  Georgica  1.  c.  gleich  eine  zweite  Besonderheit 
folgt:  terrasque  tractusque;  diese  ist  zuerst  nachweisbar  in  einem  Hexa- 
meter des  Accius  (bei  Festus  146)  metallique  caculaeque,  d.  h.  sie  wurde 
von  Ennius  auf  Grund  des  homerischen  le — te  (B  495)  eingeführt  und 
von  Accius  übernommen  (s.  Anhang  X);  und  als  2.  der  Abschnitt,  in 
dem  jenes  precantia  vorkommt,  auch  sonst  durch  Ennius  beeinflußt  ist. 
Im  Gegensatz  zu  dem  archaisierenden  Vergil  hat  Ovid  die  Licenz  nur 
einmal,  im  letzten  am  wenigsten  gefeilten  Buch  der  Met.  718  spissi  litoris 
Antium,  d.  h.  bei  einem  Eigennamen,  den  er  nach  seiner  Elisionspraxis 
(vergl.  L.  Müller  de  re  metr.  ^  347)  sonst  überhaupt  nicht  hätte  verwenden 
können  (dieses  zweisilbige  Antium  ist  also  gewissermaßen  ein  Vorläufer 
der  Assibilation  zu  Anzo,  vergl.  Bantia-Bansa).  In  der  11.  Heroide 
V.  6  9  hat  Ovid  den  vergilischen  Versschluß  verba  precantia  durch  die  Um- 
stellung precantia  verba  reguliert.  —  37  non  hoc  ista  sibi  tempus  specta- 

it 

cula  poscit.  So  FP,  poscunt  M,  poscwnt  R.  Servius  erwähnt  beides,  zieht 
aber  poscit  vor,  mit  Recht,  denn  wie  der  folgende  Vers  nwm  grege  de 
imtacto  Septem  mactare  iuvencos  |  praestiterit  zeigt,  ist  gemeint:  hoc  tempus 
non  spectacula  poscit  sed  sacrificium,  vergl.  XII  156  non  lacrimis  hoc 
tempus;  auch  der  Verfasser  des  Vergilcentos  'Medea'  (um  200)  zitiert  den 
Vers  mit  poscit  (PLM  IV  225,  160  Baehr.).  Die  Korruptel  erklärt  sich 
aus  Angleichung  des  Verbalnumerus  an  das  zunächst  stehende  Substantiv, 
wofür  Wagner  399  ff.  viele  Belege  aus  der  Vergilüberlieferung  gibt.  — 
hoc  ista  —  tempus  spectacula.  Über  die  verschränkte  Wortstellung,  die 
hier  gewählt  ist,  um  die  Gegensätze  scharf  hervortreten  zu  lassen,  s.  An- 


VERS  33—38  131 

hang  DI  A  3.    —    38   de    intacto    keine    Synaloephe,    sondern    Synizese, 
s.  Anhang  XI  2  Ab. 

38 ff.  Vor  der  Befragung  des  Orakels  muß  geopfert  werden,  und 
zwar  Ttpö  bö)iiujv  (an  den  ßujjiioi  Trpövaoi),  wie  in  Delphi  (Herod.  VII  140. 
Eurip.  Ion  226ff.,  419f.  Plut.  de  def.  or.  49,  437ß,  daher  rTueuu  jiiTiXobÖKOC 
Find.  P.  3,  27,  vergl.  auch  Hiller  v.  Gaertringen  in  der  Eealencycl.  III  2534) 
und  in  dem  italischen  ij/uxo)iavTeTov  bei  Ps.  Plut.  cons.  ad  Apoll.  14, 109  C. 
—  Dem  sakralen  Charakter  seines  Epos  und  dem  Vorbild  des  Ennius 
entsprechend  legt  Vergil  großes  Gewicht  auf  Genauigkeit  des  Opferrituals. 
Während  daher  andere  Dichter  gelegentliche  Abweichungen  vom  strengen 
Ritual  haben  (C.  Krause,  De  ßomanorum  hostiis,  Marburg  1894,  23),  ist 
Vergil,  um  mit  dem  Autoritätenglauben  des  Macrobius  zu  reden,  hierin 
wirklich  erroi'is  ignarus.  Als  einzige  Ausnahme  (denn  g.  IV  546  stammt 
aus  der  griechischen  Quelle)  galt  schon  im  Altertum  VIII  641  (vergl. 
auch  Xn  170),  wo  Romulus  und  Tatius  am  Altar  Jupiters  das  Bündnis 
schließen  caesa  porca,  also  einem  weiblichen  Tier,  was  die  alten  Kom- 
mentatoren tadelten  oder  wunderlich  erklärten  (Quintil.  VIII  3,  19.  Serv. 
z.  d.  St.);  aber  diese  Ausnahme  scheint  im  Ritual  begründet  gewesen  zu 
sein,  denn  im  Bündnisopfer  der  Fetialen  wird  die  porca  auch  sonst  er- 
wähnt (Suet.  Claud.  25  und  Bücheier  zu  Seneca  apoc.  9  p.  57),  und  auch 
im  Opfer  an  Terminus  kann  die  porca  den  agnus  vertreten  (Ovid  f.  11  656, 
vergl.  auch  Petron  133).  Wir  sind  daher  auch  an  vorliegender  Stelle 
zur  Prüfung  des  Details  verpflichtet:  nunc  grege  de  intacto  Septem  mactare 
iuvencos  |  praestiterit,  totidem  lectas  de  more  bidentis.  Das  Opfer  wird 
hier  wie  unten  153  von  der  Sibylle  befohlen,  für  die  ein  solcher  Auf- 
trag ja  typisch  war  (vergl.  z.  B.  Liv.  XLII  2,  6  und  Phlegon  mir.  10). 
Daß  es  einem  Gott  und  einer  Göttin,  also  hier  Apollo  und  Hekate, 
gilt,  folgt  aus  der  Sonderung  männlicher  und  weiblicher  Tiere  (iuvencos — 
lectas  bidentis).  Nach  der  Strenge  des  Rituals,  für  welches  das  Alter 
der  Tiere  als  etwas  Wesentliches  gilt  (Servius  zu  HI  21,  Cicero  de 
leg.  n  29),  gehören  beide  hier  genannten  Tierklassen  zu  den  maiores 
hostiae:  vergl.  für  die  iuvenci  Varro  r.  r.  11  5,  6  und  für  die  bidentis 
besonders  Gellius  XVI  6,  wo  auf  Grund  von  Hygins  Vergiluntersuchungen 
die  richtige  Erkläning  des  für  die  Augusteer  bereits  dunklen  Wortes 
aus  dem  ius  pontificium  gegeben  wird  (bestätigt  durch  einen  modernen 
Fachmann:  Nehring  im  Jahrb.  f.  Phil.  1893,  64ff.):  bidens  ist  ein  Tier 
mit  8  Schneidezähnen  in  der  unteren  Kinnlade,  von  denen  zwei  bereits 
gewechselt,  d.  h.  durch  größere  und  stärkere  ersetzt  sind,  was  beim  Schaf 
ungefähr  mit  lYg  Jahren  der  Fall  ist.  Das  adjektivische  Wort  (sc.  Jiostia) 
war  also  ursprünglich  durchaus  nicht  auf  Schafe  beschränkt,  denn  acht 
Schneidezähne  in  der  unteren  Kinnlade  haben  aUe  Wiederkäuer,  also 
auch  Kühe  und  Ziegen,  im  Gegensatz  z.  B.  zum  Pferd,  das  oben  und 
unten  Schneidezähne  hat;  daher  lesen  wir  bei  Plinius  n.  h.  VllI  206  aus 
Coruncanius  (cos.  280,  erstem  plebeischen  pont.  max.)  ganz  allgemein: 
Conmcanius  ruminales  Jiostias,  donec  bidentes  fierent,  puras  negavit.  Aber, 
wie  so  oft  in  der  Sprache,  trat  eine  Bedeutimgsverengerung  ein:  von 
einem  anderen  Tier  als  vom  Schaf  braucht  das  Wort  nur  der  Atellanen- 
dichter  Pomponius  bei  Gellius  1.  c.  bidenti  verre  facere.  Vergl.  die 
Analogie    des   indischen   Opferritus   bei  H.    Zimmer,   Altindisches   Leben 

9* 


132  KOMMENTAR 

(Berlin  1879)  74 f.  —  Für  grege  de  intado  s.  Macrobius  III  5,  5:  hostiae 
iniuges  (vergl.  db )Lir|TOi)  vocantur  quae  numquam  domitae  aut  iugo  suh- 
ditae  sunt,  wo  er  außer  auf  unsere  Stelle  auf  g.  IV  540  verweist.  — 
lectae  wird  durch  das  bei  Macrobius  folgende  erläutert:  eximiae  hostiae, 
quae  ad  sacrificiu/m  destinatae  eximantur  a  grege,  was  sich  auf  die  Stelle 
der  Georgica  bezieht:  quattuor  eximios  praestanti  corpore  tauros  delige, 
vergl.  egregius,  eHaiperoc.  —  Septem:  die  Siebenzahl  war  gerade  auch 
in  apollinischer  Religion  sakrosankt  (Diels  in  der  Festschr.  f.  Gomperz, 
Wien  1902,  9).  —  de  more  gehört  zu  mactare  (nicht  zu  lectas),  vergl.  V  96 
caedit  hinas  de  more  bidentis,  ähnlich  IV  57.  VII  93;  es  ist  also  dirö 
KOivoö  auch  zum  vorhergehenden  Satzglied  zu  ziehen.  Statt  de  gibt 
F  ex,  was  sich  in  dieser  Verbindung  bei  Vergil  zweimal  findet  gegen- 
über sehr  häufigem  de;  das  könnte  für  F  zu  sprechen  scheinen,  wenn 
auf  eine  isolierte  Lesart  dieser  Hs.  mehr  zu  geben  wäre  als  auf  den 
Consensus  von  drei  anderen.  Die  Verbindung  de  more  kommt  III  369 
innerhalb  eines  stark  durch  Ennius  beeinflußten  Abschnittes  vor  (s.  z.  15), 
die  Versschlüsse  lectas  de  more  bidentis  VIII  544  und  rite  bidentis  VII  93 
in  Zusammenhängen  mit  ebenfalls  ennianischem  Kolorit. 

III.    Befragung  und  Bescheid  der  Sibylle.    42 — 155. 

A.  Beschreibung  des  Lokals  42 — 44.  B.  Epiphanie  des  Apollo 
45 — 55.     C.    Zwei  Wechselreden  des  Aeneas  und  der  Sibylle  56 — 155. 

A.  Beschreibung  des  Lokals  42 — 44  in  einem  TpiKUjXov,  dessen 
drei  KUÜXa  mit  je  einem  Vers  zusammenfallen. 

42  ff.  Die  e'Kqppaffic  tÖttou  wird  verselbständigt  und  asyndetisch  an  das 
vorhergehende  angeschlossen,  wie  unten  237 ff.  893 fl'.  I  5 30 ff.  II  7 13 ff. 
und  besonders  ähnlich  g.  IV  418 ff.;  vergl.  Servius  z.  X  653  descriptio  per 
parecbasin  facta,  non  enim  a  superioribus  pendet^  sed  ante  dictis  adiungitur. 
Dieselbe  Technik  bei  Properz  IV  4,  3  ff.  und  besonders  oft  bei  Ovid. 

1.  Die  beste  Beschreibung  dieses  antrum  (11.  42.  77.  99.  157; 
domus  53 ;  adytum  98)  der  Sibylle  bei  Agathias  I  10  (angeführt  von 
Gerda  zu  11):  ev  Ttu  irpöc  fiXiov  dvicTxovTa  toö  Xöcpou  Terpamueviu 
dYKuJvi  dvTpov  Ti  u7Te(TTiv  djLiqpripeqpec  xe  Kai  Y^ciqpupiJUTaTOV ,  ibc 
döutd  xe  l\'^\v  auxöjuaxa  Kai  kuxoc  eupu  Kai  ßapa9pajb6C"  evxaOGa  hx\ 
TtaXai  (pa(Ti  xfiv  CißuXXav  xfiv  irdvu  .  .  .  qpoißöXriTTxöv  xe  eivai  Kai 
evGouv,  Kai  irpoaTopeüeiv  xd  ecröineva  xoic  7Tuv0avo|uevoic.  Wie  im 
Altertum,  reizte  die  Höhle  auch  seit  der  Eenaissancezeit  die  Neugierde. 
Auf  eine  interessante  Beschreibung  dieser  Höhle  macht  mich  R.  Wünsch 
aufmerksam:  J.  F.  Breithaupt,  Christlicher  Helden  Insel  Malta  (Frank- 
furt a.  M.  1632)  204 f.,  dort  heißt  es  u,  a.:  „Das  innwendige  Theil  ist 
anfänglich  gar  weit  und  hoch,  in  die  Vierung  gestellet,  mit  vierecketen 
steinern  Seulen  .  .  .,  hernach  gleichsam  in  eine  Ebene  auszgebreitet, 
dessen  Lenge  sechzig  Schritt  und  Breite  von  zehen.  Folgends  kommet 
mann  in  gar  seltzsame  .  .  .  Kammern  .  .  .,  sind  denen  vorigen  gantz 
ungleich,  auch  viel  gröszer  und  höher  als  dieselbe  .  .  .  Unter  andern 
ist  daselbst  eine  Kammer,  in  welcher  die  Sibyllinische  Weissagerin  von 
Cuma  soll  gewohnet  haben:  ist  vierecket  mit  Griechischer  Arbeit  ausz- 
gemacht    auff   die    Art    wie    der    Heidnische    Tempel    desz    Weingötzens 


VERS  38—42.  133 

Bacchi  zu  Rom  .  .  .  Soll  dieses  Ohrts  wegen  vieler  Gespenste  .  .  .  weiter 
einzugehen  gefährlich  seyn  .  .  .  Insgemein  sind  vorgedachte  Kammern 
oben  alle  offen,  auch  mit  Wänden  und  Mauern  unterschieden  .  .  .  Das 
gemeine  Landvolck  stehet  in  denen  Gedancken,  als  ob  an  diesem  Ort 
der  Herr  Christus  von  der  Hellen  aufgefahren  und  der  alten  Vätter 
Seelen  daraus  erlöset  hette.  Von  vielen  der  Berg  Christi  genennet." 
Noch  heute  ist  nach  Beloch  1.  c.  [o.  S.  116f.]  161  „der  ganze  Fels  unten  von 
Grotten  durchhöhlt.  Es  ist  ein  System  in  drei  Stockwerken,  vielfach 
verzweigt  und  z.  T.  verschüttet  und  unerforscht.  Der  Eingang  ist  auf 
der  Südseite,  da,  wo  man  zur  Burg  aufsteigt,  unterhalb  des  Apollo- 
tempels." Eine  dieser  Grotten  heißt  noch  heute  'grotta  della  Sibilla', 
vergl.  E.  Cocchia  1.  c.  (o.  S.  117).  —  2.  Das  ine^apov  im  Felsinnern  ist 
die  Wohnung  des  Gottes  (vergl,  E.  Rohde,  Psyche  ^  119 ff.  A.  Körte  in: 
Athen.  Mitteil.  XXm  1898,  94f.),  mit  dem  also  die  Sibylle  77 ff.  in 
unmittelbaren  Kontakt  tritt.  Lehrreich  sind  Analogieen  anderer  Orakel- 
stätten. Apollo  selbst  weissagte  aus  einer  Grotte  (vergl.  v.  Wilamowitz, 
Aristot.  u.  Athen  H  44,  17)  im  milesischen  Branchidenorakel  (Eusebios 
V.  Const.  II  50  TÖv  'AiTÖXXuuva  eqpaffav  eH  avxpou  tivöc  Kai  (Tkotiou 
|iuxo0,  ouxi  b'eH  dvöpiUTTOU  XP^crcii)  und  auch  in  Delphi  dachte  man 
es  sich  so,  wenigstens  in  späterer  Zeit  (Lucan  V  84 f.  sacris  se  condidit 
antris  j  incubuitque  adyto  vates  ibi  (actus  Apollo)^  die  Orakelhöhle  des 
klarischen  Apollon  lag  wie  die  cumanische  in  einem  Felsen  unweit  vom 
Meer  bei  einem  Hain  (C.  Schuchardt  in:  Athen.  Mitt.  XI  1886,  429ff.), 
diejenige  der  Sibylle  von  Erythrae  am  Ostfuß  des  Burgbergs  (K.  Buresch 
ib.  XVn  1892,  16ff.).  —  3.  Dagegen  ist  infolge  der  Gleichgültigkeit  des 
Dichters,  topographische  Situationen  genau  zu  zeichnen  (er  teilt  diese 
Gleichgültigkeit  mit  rhetorisierenden  Historikern  wie  Tacitus),  die  Lage 
der  Grotte  zum  Tempel  kontrovers.  Heyne  hatte  angenommen,  daß  die 
Grotte  vom  Tempel  getrennt  war  und  einen  eigenen  Eingang  von  außen 
hatte.  Letzteres  ist  richtig,  wie  die  angeführten  Worte  Belochs  zeigen, 
aber  durch  diesen  Eingang  von  außen  können  die  Sibylle  und  Aeneas 
die  Grotte  nicht  betreten  (45  ff.),  denn  der  dem  Betreten  der  Grotte 
vorangehende  Eintritt  in  den  Tempel  (41  Teticros  vocat  alia  in  templa 
sacerdos)  hat  nur  unter  der  Voraussetzung  einen  Zweck,  wenn  die  Troer 
durch  den  Tempel  in  die  Grotte  gelangen.  Darum  muß  die  geltende 
Anschauung,  daß  vom  Tempel  ein  unterirdischer  Gang  in  die  Grotte 
geführt  habe  (vergl.  z.  B.  Cocchia  1.  c.  36),  richtig  sein.  Die  Tatsache, 
daß  ein  solcher  existierte,  ergibt  sich  aus  folgender  Mitteilung  Belochs, 
der  die  Güte  hatte,  im  Oktober  1900  an  Ort  und  Stelle  nachzuforschen: 
„Der  Eingang  zur  Grotte  liegt  an  der  Westseite  des  Burgfelsens,  also 
dem  Meere  zu,  unterhalb  des  Eingangs  zur  Burg,  da,  wo  auf  meinem 
Plane  (PI.  IV)  grotta  della  Sibilla  steht.  An  der  Decke  der  Grotte, 
immittelbar  am  Eingang,  sind  in  flachem  Relief  Opfergeräte  ausgemeißelt, 
ein  Beil  (hipennis),  ein  Opfermesser  etc.  Es  wird  dadurch  wohl  unzweifel- 
haft, daß  wir  es  wirklich  mit  der  Grotte  der  Sibylle  zu  thun  haben. 
Unmittelbar  neben  dieser  Grotte,  die  sehr  geräumig  ist,  liegt  eine  zweite 
Grotte,  aus  deren  Hintergrund  ein  in  den  Felsen  gehauener 
Gang  mit  Treppenstufen  scharf  in  die  Höhe  führt.  Ich  bin 
darin  hinaufgestiegen,  soweit  es  möglich  war,  es  mochten  etwa  100  Schritt 


134  KOMMENTAE 

sein,  vielleicht  auch  mehr,  doch  ühemehme  ich  für  die  Distanz  keine 
Gewähr;  dann  war  der  Gang  verschüttet.  Ich  halte  es  aber  für  unzweifel- 
haft, daß  er  auf  die  Burghöhe  hinaufführte,  dorthin,  wo  auf 
meinem  Plane  der  Tempel  des  Apollon  gezeichnet  ist....  Wir 
werden  nach  diesem  Tatbestand  annehmen  müssen,  daß  die  Sibylle 
Aeneas  durch  den  Tempel  und  den  unterirdischen  Gang  in  die 
Grotte  geführt  hat."  —  4.  Diese  Auffassung  wird  durch  die  Lage  des 
delphischen  abuTOV  gestützt.  Auch  dieses  lag  tiefer  als  der  Tempel, 
denn  Kaxaßaiveiv  eic  xö  juavteTov  (abuxov)  ist  der  übliche  Ausdruck,  z.  B. 
Pindar  P.  4,  55.  Plutarch  Timol.  8  eic  AeXqpouc  TTOpeuGeic  eGucJe  xiu  Geo» 
(wie  hier  37 ff.  Aeneas)  Kai  Kaxaßaivovxoc  eic  xö  |LiavxeTov  auxoO  yivexai 
(TriineTov,  eine  literarische  Überlieferung,  die  durch  die  Ausgrabungen 
Foucarts  und  Pomtows  bestätigt  worden  ist  (vergl.  H.  Pomtow,  Beitr.  z. 
Topogr.  von  Delphi,  Berlin  1889,  31  f.).  Ebenso  war  in  Trikka  das 
Kttxaßaiveiv  eic  ctbuxov  (des  Asklepios)  typisch  und  zwar  mußte,  wie 
in  Delphi  und  hier  in  Kyme,  ein  Opfer  an  Apollon  vorangegangen  sein 
(Isyllos  p.  11  Wil.).  Auch  bei  der  Beschreibung  eines  Isisheiligtums  von 
Tithorea  in  Phokis  braucht  Pausanias  X  32,  9  den  Ausdruck  Kaxaßaiveiv 
ec  xö  dbuxov.  Daß  abuxa  dieser  Art  durch  unterirdische  Gänge  betreten 
wurden,  liegt  in  der  Natur  der  Sache  und  ist  für  ein  dbuxov  des  Pa- 
laimon  in  Korinth  von  Pausanias  11  2,  1  bezeugt:  KOtGoboc  be  ec  auxö 
uuÖTeuJc;  auch  an  die  Kd6oboc  uiroTaioc  auxojadxri  sei  erinnert,  durch 
die  in  Athen  an  den  Errephorien  Jungfrauen  vom  Tempel  der  Athene 
Polias  zur  Stadt  hinabstiegen  (Pausan.  I  27,  4);  Analogieen  aus  späterer 
Zeit  (z.  B.  Damascius  vit.  Isidori,  Phot.  344^  35  ev  'leparröXei  xfic  OpuTiac 
iepöv  fjv  'AttöXXujvoc,  iittö  be  xöv  vaöv  Kaxaßdffiov  iiireKeixo)  bei 
E.  Maaß,  Orpheus  (München  1895)  176,  3.  Cumont,  Texts  et  monuments 
relat.  au  culte  de  Mithra  I  (Brüssel  1899)  59.  —  5.  In  die  Grotte  tritt 
die  Sibylle  über  das  Urnen  (45)  durch  die  fores  (47  vergl.  III 449), 
während  Aeneas  und  seine  Begleiter  die  Grotte  nicht  betreten,  sondern 
auf  der  Schwelle  bleiben  (151).  Vor  dieser  Tür  (ante  fores)  ist  die 
Sibylle  noch  47,  dagegen  ist  sie  77  in  antro,  also  ist  sie,  während 
Aeneas  betet  (56 — 76),  in  die  Grotte  hineingegangen,  was  der  Dichter 
als  selbstverständlich  den  Leser  ergänzen  läßt  (s.  über  diese  Technik 
z.  13  und  77).  Streng  zu  scheiden  von  den  fores  sind  die  43  genannten 
lau  acutus  centwm,  ostia  centum  (=  ostiorum  centum  totidem  aditus, 
vergl.  Henry  230):  sie  dienen  nicht  als  Eingänge  in  die  Grotte,  sondern, 
wie  44.  81  f.  gesagt  wird,  als  Kommunikationswege  für  die  Stimme  der 
Sibylle  mit  dem  außerhalb  der  Grotte  stehenden  Befrager;  daher  öffnen 
sich  diese  ostia  auch  erst,  als  die  Sibylle  durch  die  fores  bereits  in  die 
Grotte  gegangen  ist,  und  zwar  öffnen  sie  sich  sua  sponie  (81),  d.  h.  auf 
übernatürliche  Art,  kraft  des  Gebetes  des  Aeneas  (52  f).  Durch  diese 
ostia  dröhnt  die  Stimme  der  Sibylle  in  der  Grotte  mit  starkem  Echo 
(99  antro  remugit-,  über  einen  ähnlichen  Effekt  in  Delphi  vergl.  Justin 
XXIV  6,  8);  es  hat  also  den  Anschein,  als  ob  die  Grotte  selbst  ihre 
ungeheuren  (81)  Schlünde  öffne  (ora  dehiscent  52f.). 

B.  Epiphanie  des  Apollo  45—55.  Periodisierung  in  vier  Absätzen: 
1.  Erste  Aufforderung  der  Sibylle  an  Aeneas  45 — 46  deus  (xexpdKUjXov : 
venttim — Urnen,  cum — virgo  ait,  poscere — tempus,  deus — deus).    2»  Äußerer 


VERS  42—45.  135 

Eindruck  auf  die  Sibylle  46  cui — 51  dei  (TerpdKuuXov:  a.  cui  46 — fores  47, 

b.  subito   47 — comae  48    in   drei   durch  Anapher  bezeichneten   KÖmiiaTa, 

c.  sed  48 — sonans  50    in    vier    durch    et   que   nee  getrennten   KÖ|Li)uaTa, 

d.  adflata  50 — dei  51).  3.  Wiederholung  der  Aufforderung  51  cessas — 
54 — conticuit  (xpiKUjXov:  cessas  51 — cessas  52,  neque  52 — domus  53,  et 
53 — conticuit  54).  4.  Eindruck  auf  Aeneas  und  seine  Begleiter  54  gelidus — 
55  imo  (biKUjXov:  gelidus  54 — tremor  55,  fundit  55 — imo  55). 

45.  J.  Kvicala,  Neue  Beiträge  zur  Erklärung  der  Aeneis  (Prag  1881) 
26 5 ff.  hat  beobachtet,  daß  die  römischen  Epiker  (seit  Ennius,  z.  B. 
ann.  386)  unbedenklich  Reden  im  Versinnern  beginnen  und  schließen 
lassen  (Vergil  in  diesem  Buche  noch  neunzehnmal,  z.  B.  51,  103,  125  etc.; 
46,  53,  76  etc.),  während  Homer,  Hesiod,  ApoUonios  sowie  die  meisten 
Epiker  des  IV/V  Jh.  n.  Chr.  Anfang  und  Schluß  der  Rede  mit  Vers- 
anfang bezw.  Versschluß  zusammenfallen  lassen,  bis  zu  dem  Grade,  daß 
sie  gelegentlich  den  vorhergehenden  Vers  mit  mehr  oder  minder  über- 
flüssigen Zusätzen  füllen  (z.  B.  H  278  vergl.  276,  A  346  vergl.  314);  nur 
Nonnos  hat  das  Gesetz  übertreten,  aber  auch  er  nur  bei  Ausrufen  u.  dgl., 
nie  bei  eigentlichen  Reden.  Der  Grund  dieser  Erscheinung,  die  richtig 
beobachtet  sein  wird,  selbst  wenn  eine  oder  die  andere  Ausnahme  vor- 
handen sein  sollte  (z.  B.  notierte  ich  mir  aus  Kallimachos'  Hymnen  als 
Ausnahme  von  der  auch  von  ihm  befolgten  Regel  4,  150.  162  sowie  aus 
Theokrit  7,  27.  91.  16,  18.  67;  umgekehrt  läßt  Catull  in  den  gelehrten 
gräzisierenden  Gedichten  63.  64  durchaus  griechische  Technik  herrschen, 
scheint  sich  also  der  Verschiedenartigkeit  griechischer  und  lateinischer 
Praxis  bewußt  gewesen  zu  sein),  ist  vielleicht  in  dem  ausgeprägteren 
griechischen  Stilgefühl  zu  suchen,  das  eine  so  starke  Unterbrechung  des 
Rhjrthmus  und  des  Vortrags,  wie  sie  durch  Anfang  oder  Schluß  einer 
Rede  bedingt  wurden,  im  Versinnern  instinktiv  mied.  Goethe  folgt  in  der 
Achilleis  völlig  der  Praxis  Homers;  in  Hermann  und  Dorothea  meidet 
er  den  Anfang  von  Reden  im  Versinnern  nicht  ängstlich,  während  er 
den  Schluß  der  Reden  fast  immer  mit  dem  Versschluß  zusammenfallen 
läßt  (Ausnahmen:  Gesang  II  und  V  die  vorletzten  Verse,  VI  215.  VH  43 
zwei  ganz  kurze  Bemerkungen);  dagegen  entspricht  dem  anderen  Ethos 
des  Reineke  Fuchs  eine  ganz  freie  Technik  etwa  im  Stil  der  horazischen 
Sermonen. 

Mit  poscere  fata  schließt  VII  272  ein  Vers  in  archaischer  Umgebung; 
da  auch  fata  'Schicksalssprüche'  (wie  67.  72;  III 456  durch  oracüla 
ersetzt)  altertümlich  und  für  Ennius  bezeugt  ist  (a.  19  tr.  43),  darf  die 
Phrase  vermutungsweise  als  ennianisch  bezeichnet  werden.  Poscere,  die 
italische  Bezeichnung  für  den  Inhalt  des  Gebets  (Bücheier,  Lex.  ital.  XXI), 
hat  Vergil  noch  oft  (z.  B.  I  666  supplex  tua  numina  posco)  aus  Ennius 
übernommen,  während  sich  im  allgemeinen  die  religiöse  Bedeutung  fester, 
wie  so  oft,  in  der  Komposition  erhielt  (exposcere  Cic.  Liv.,  wie  effatum 
geläufiger  blieb  als  fatum  in  dem  besprochenen  Sinn);  wenn  er  unten 
66  non  indehita  posco  regna  verbindet,  so  zeigt  er,  daß  ihm  die  Vor- 
stellung des  Begriffs  noch  geläufig  war:  denn  da  mit  dem  Gebet  stets 
ein  Gelöbnis  verbunden  war,  so  faßte  es  der  praktische  Geist  der  Italiker 
als  einen  Kontrakt  mit  den  Göttern  auf  (Hör.  od.  I  24,  11  non  ita  cre- 
ditum  posco  Quintilium  deos,  HI  29,  59  votis  pacisci). 


136  KOMMENTAR 

46 ff.  Die  viTTOTUTTDuaic  der  rasenden  Seherin,  ein  berühmtes  Vorbild 
für  die  Späteren  (z.  B.  Lucan  V  128ff.  Seneca  Ag.  710ff.),  die  aber  V.'s 
vornehmes  Maß  überschreiten,  ist  glänzend,  ohne  daß  jedoch  den  aus 
griechischer  Poesie  geläufigen  Zügen  neue  hinzugefügt  wären  (formell 
besonders  nahe  steht  Eurip.  Iph.  T.  291  f.  Ttapriv  b'  öpäv  od  TauTCt 
liopcpfic  (Tx^ctxa  '^  non  voltus,  non  cölor  unus)',  die  Belege  für  das 
einzelne  (vergl.  H.  Harries,  Tragici  graeci  qua  arte  usi  sint  in  insania 
describenda,  Kiel  1891)  sollen  daher  übergangen  werden.  —  Rhetorische 
Mittel  sind  reichlich  verwendet.  Auf  die  starke  Bevorzugung  des  r  in 
dieser  Partie  (zur  Versinnbildlichung  des  Tobens  und  des  Gewaltsamen) 
weist  Maxa  1.  c.  (Anhang  VII)  110  hin:  49  rabie  fera  corda  tument 
SO  OS  rdbidum  fera  corda  domans  fingitque  premendo  100  ea  frena  furenti 
concutit  102  cessit  furor  et  rahida  ora  quierunt,  wohl  auch  54  f.  per  dura 
cueurrit  ossa  tremor  (Sprachmalerei  mit  r  bei  Horaz  od.  III  27,  19  ff. 
notiert  Kießling).  Dann  die  Alliterationen  4  6  ff.  fanti  —  fores^  4  7  f. 
color — cotwptae — comae^  letztere  gesteigert  sowohl  durch  Homoioteleuton, 
das  durch  die  Caesuren  stark  ins  Ohr  fällt,  als  auch  durch  das  Wort- 
spiel (dasselbe  Spiel  Tibull  IV  2,  10  comptis  est  veneranda  cotnis  und 
Ovid  a.  I  1,  20.  f.  H  560.  Pont.  III  3,  16).  Ferner  die  Anaphern  47 f. 
non — non — non,  zweimal  die  Figur  des  sogenannten  kukXoc  (dient  nach 
Quint.  IX  3,  29  der  vehementia):  46  deus  ecce  deus  57  f.  cessäs  in  vota 
precesque  .  .  .  cessäs  (im  zweiten  Fall  die  gleichen  Worte  an  gleicher 
Versstelle  und  mit  gleichem  Accent,  dies,  weil  abweichend  von  dem 
bekannten  Brauch,  wohl  beabsichtigt).  Die  kommatische  Periodisierung 
von  47 — 50  sowie  der  identische  Rhythmus  von  48  und  49  (non  comp- 
tae  I  mansere  \\  comae,  \  sed  pectus  anhelum  Et  rahie  \  fera  corda  j|  tument  \ 
maiorque  videri)  gibt  diesen  Versen  etwas  Aufgeregtes  wie  11  309  ff.  und 
mit  andrer  Caesur  IX  807  f.  (dasselbe  Mittel  zu  gleichem  Zweck  öfters 
bei  Claudian:  Birt,  Proleg.  p.  CCXII).  Der  abrupte  Periodenschluß  conti- 
cuit  54  (am  Versanfang)  bringt  hier  wie  oft  (vergl.  421.  879)  ein 
besonderes  Ethos  in  den  Gedanken:  Beispiele  aus  Vergil  bei  M.  Krafft, 
Zur  Wortstellung  V.'s,  Goslar  1887,  27.  29,  aus  Ovid  bei  Lüdke,  Rhythm. 
Malerei  in  O.'s  Met.,  Stralsund  1878,  33.  1879,  20  (z.  B.  Ovid  m.  I  269. 
n  144.  IX  78.   128). 

46,  Daß  die  Wiederholung  von  deus  in  den  Worten  der  Sibylle 
deus  ecce  deus  auf  einem  Ritual  beruht,  scheint  aus  Ovid  m.  XV  677 ff. 
zu  folgen:  der  Priester  ruft  bei  der  Erscheinung  des  Asklepios  en  deus 
est  deus  est  und  das  Volk  wiederholt  diesen  Doppelruf  (verha  geminata). 
Ähnliches  findet  sich  aucf  sonst.  An  die  Doppelung  in  äHie  TttOpe,  aHi€ 
xaOpe  erinnert  mich  R.  Wünsch.  Der  Bannruf  lautet  CKCtc  CKOic,  was 
Vergil  unten  258  procul  o  procul  übersetzt.  In  den  Beschwörungen 
unserer  Zauberpapyri  ist  Doppelung  gewisser  Worte  sehr  gewöhnlich, 
z.  B.  pap.  Leid.  (ed.  Dieterich,  Jahrbuch  f.  Phil.  Suppl.  XVI  1888)  p.  802 
biä  toOto  errdKoucTÖv  |uou'  fibri  fibri  xaxu  xaxu  xaxu  iva  jur)  dvaYKaaGuj 
xaOxa  (die  ganze  Beschwörung)  ex  beuxepou  Xe^eiv,  pap.  Paris,  ed  Wessely, 
Denkschr.  d.  Wien.  Akad.  XXXVI  1888)  p.  69  apxi  apxi  f\br]  r\hY\  xaxu 
xaxu,  ib.  59  Xete  t^iT^l  ^^f^  •  •  •  ^^^  Tct  dKÖXouöa  (Jupicrov  öic  Kai 
TTÖTTTruffov  bic.  Daher  läßt  Seneca  Oed.  567.  622  bei  einer  Toten- 
beschwörung   den    Priester    die   Zauberformel    zweimal    wiederholen    und 


VERS  46—53.  137 

danach  ist  vielleicht  auch  Horaz  epod.  17,  6  Canidia,  parce  vocibus  tan- 
deni  sacris,  \  citumque  retro  solve  solve  turhinem  zu  beurteilen.  Die 
überall  zugrundeliegende  Vorstellung  ist,  daß  durch  die  Wiederholung 
die  Richtigkeit  oder  Dringlichkeit  des  Wortes  betont  werden  soll.  — 
Mit  dem  Versschluß  cui  talia  fanti  vergl.  53  et  ialia  fata  (conticuit)  und 
den  Versanfang  372  talia  fatus  erat.  Dergleichen  Formeln  hat  Ennius 
nach  dem  Vorbild  des  griechischen  Epos  geprägt,  und  Vergil  als  kon- 
ventionelle Floskeln  übernommen,  oft  in  einem  Zusammenhang,  der  auch 
sonst  auf  Ennius  weist  (so  V  16  ac  talia  fatur,  worauf  das  ennianische 
magnanimus  folgt,  s.z.  327);  einigemale  (V382.  X480.  XII  295)  schließt 
er  einen  Vers  atque  ita  fatur,  was  sich  auch  durch  die  metrische  Form 
des  Versschlusses  (va^J_w),  noch  dazu  mit  einer  an  dieser  Stelle  seltenen 
Synaloephe  als  nicht  von  ihm  geprägte  Floskel  erweist.  —  Die  gleiche 
Art  des  Versschlusses  (über  den  vergl.  Anhang  IX  4a)  liegt  auch  in  47 
non  voltus,  non  color  unus  vor;  hier  ist  er  durch  die  Figur  der  Anapher 
bedingt,  wie  Vergil  auch  sonst  einer  Figur  zuliebe  etwas  von  der  Strenge 
seiner  metrischen  Prinzipien  opfert  (s.  Anhang  XI  2).  —  49  rahie  fera 
corda  tument.  Die  Metapher  vom  xXiibuJV,  in  den  der  Wahnsinn  die 
Menschen  versenkt  (vergl.  Demosth.  19,  314  KXubujv  Kai  juavia),  wie 
102  rabida  ora  quierunt  (vergl.  IV  523  saeva  quierant  aeqitora);  ebenso 
vom  Zorn  407  tumida  ex  ira  tum  corda  residunt  (vergl.  g.  11  479  maria 
alta  tumescant  . . .  rursusque  in  se  ipsa  residoMt),  wie  IL  I  646  oibdveTai 
Kpabiri,  Aesch.  Cho.  175  K.  Kd)iioi  irpocTeaTri  Kapbict  kXuöuüviov  |  xo^'ic. 
Der  bei  Vergü  sehr  beliebte  Plural  corda  (so  unten  80.  407)  aus  alter 
Poesie  (Ennius  a.  392),  aber,  wie  es  scheint  (s.  Maas  1.  c.  [zu  4]  536.  538), 
mit  erstmaliger  Beziehung  auf  ein  Subjekt  statt  auf  mehrere.  —  50  quando 
am  Versschluß  ungewöhnlich,  s.  Anhang  HIB  2,  2.  —  51  cessas  in  vota 
«v*^  wie  II  "4^?-  andere  in  proelia  XII  71  arder e  in  arma  X  455  meditari  in 
proelia  637  ornare  in  fadem  g.  III  232  irasci  in  eornua  mit  der  von 
Madvig  (op.  acad.^  135 f.)  und  Leo  (zum  Culex  p.  86)  besprochenen 
Prägnanz  des  Ausdrucks,  die  uns  besonders  aus  Sallust  und  Tacitus  ge- 
läufig ist.  Servius  notiert  sie  zu  VII 445  (exarsit  in  iras)  mit  der 
Bemerkung:  est  specialis  CorneUi  elocutio;  da  an  Fronto  kaum  zu  denken 
ist  (Naber  p.  262,  5),  so  wird  Tacitus  gemeint  sein,  den  Servius  einmal 
als  Cornelius  Tacitus  zitiert.  Ähnliche  Prägnanz  bei  ex  unten  407,  bei 
ad  z.  B.  georg.  III  257  liumeros  ad  volnera  durat.  —  vota  precesque 
formelhafte  Verbindung  (Liv.  praef.  a.  E.  votis  et  precaiionihus ,  Hör. 
od.  rV  5,  13  votis  .  .  .  et  precibus  vocat,  carm.  epigr.  1549  Buch,  vota 
precesque,  vergl.  schol.  zu  aen.  III  261.  438),  in  welcher  der  für  die 
Erhörung  des  Gebets  wesentliche  Begriff  vorangestellt  ist;  in  dem  ge- 
sprochenen Gebet  kehrt  sich  naturgemäß  die  Reihenfolge  um  (jpreces 
56 — 68,  vota  69  —  74).  —  52  neque  enim  ante:  über  die  Synaloephen 
s.  Anhang  XI  1. 

53  attonitae  domus  nach  Serv.  facientis  attonitos,  ut  ^mors  pallida' 
'iristis  senecta'  mit  jener  abscheulichen,  z.  B.  von  Lobeck  (zu  Soph. 
Aias^  73)  und  Haupt  (bei  Kießling  zu  Horaz  od.  1  12,  39)  bekämpften 
Exegese,  wonach  derartige  Attribute  einen  'Tropus'  bilden  sollen.  Da 
diese  Lehre  recht  alt  ist  (schon  Quintilian  VIII  6,  27  kennt  sie  aus 
älteren  Quellen,  vergl.  auch  schol.  ApoUon.  Rh.  HI  118),  so  ist  möglich, 


138  KOMMENTAR 

daß  die  augusteischen  Dichter,  schon  im  Bann  der  Theorie  stehend, 
manches  derartige  bereits  als  künstliche  Redewendung  empfunden  haben 
(s.  z.  420),  und  mit  Bestimmtheit  darf  man  das  von  den  späteren 
rhetorischen  Dichtem  behaupten  (z.  B.  Persius  5,  55  cummum  pallens, 
Martial  III  58,  24  albwm  otium,  Statins  s.  I  6,  33  marcida  vma,  Juvenal 
7,  206  gelidae  cicutae  u.  s.  w.).  Aber  wie  für  Homer  die  ßeXea  (TTOVÖevxa 
oder  die  oiCTTOi  (TTOVÖevTec  und  für  Lucrez  (V  745)  der  crepitans  den- 
tibus  algor  sinnlich  vorgestellte  Realitäten  gewesen  sind,  so  hat  auch  für 
Vergil  die  attonita  domus  (wie  unten  390  sopora  nox  'die  schlaftrunkne 
Nacht')  gelebt.  Denn  die  Vorstellung,  daß  beim  Nahen  der  Gottheit  die 
Natur  selbst  begeistert  wird,  ist  uralt,  unserer  Stelle  nahe  verwandt  der 
berühmte  Anfang  des  kallimacheischen  Apollonhymnus,  den  Vergil  III  90 ff. 
nachahmt.  Hier  hat  er  die  Beseelung  der  Grotte  durch  ora  dehiscent 
besonders  greifbar  gemacht:  die  Grotte,  durch  die  göttliche  Epiphanie 
wie  vom  Donner  gerührt  und  sprachlos,  wird  erst  durch  das  Gebet  des 
Aeneas  von  dem  Bann  ihrer  d|Li(pa(yia  gelöst  werden  und  reden  (vergl. 
auch  Henry  240 f.);  auch  in  Delphi  war  es  Glaube,  daß  die  cortina  des 
Gottes  selbst  rede  (Ovid  m.  XV  635 ff.).  —  attonitus  vor  augusteischer 
Zeit  unbelegt  (Ladewig  6).  —  Über  die  Synaloephe  magna  öra  s.  Anhang 
XI  5.  —  54  f.  conticuit.  gelidus  Teucris  per  dura  cucurrit  \  ossa  tremor. 
Über  die  starke  Interpunktion  nach  dem  ersten  Choriambus  s.  u.  z.  155; 
über  die  gewählte  Stellung  der  Verben  conticuit — cucurrit  sowie  der  Sub- 
stantive und  Attribute  gelidus  dura  ossa  tremor  s.  Anhang  IHA  2  und  3. 
Die  Worte  gelidus — tremor  werden  fast  genau  so  wiederholt  II  120  ge- 
lidusque  per  ima  cucurrit  \  ossa  tremor  und  XII  447  f.  gelidusque  per  ima 
cucurrit  \  ossa  tremor;  da  nun  VHI  389 f.  notusque  medullas  |  intravit 
cälor  et  lahefacta  per  ossa  cucurrit  und  XII  6 5  f.  cui  plurimus  ignem  \ 
suhiecit  ruhor  et  ealefacta  per  ora  cucurrit  mit  den  sehr  seltenen,  unten 
zu  789  notierten  Caesuren  gebaut  sind,  so  liegt  die  Möglichkeit  vor, 
daß  Vergil  ennianische  Phrasen  verwertet  hat,  und  das  um  so  mehr,  als 
die  sehr  realistische  Ausdrucksweise  'eisiges  Beben  lief  durch  die  harten 
Knochen'  (vergl.  IX  66  duris  dolor  ossibus  ardet  HI  57  pavor  ossa  re- 
liquit  V  172  exarsit  dolor  ossibus  i/ngens)  der  sinnlich-drastischen  Diktion 
des  alten  Epos  angemessener  zu  sein  scheint  als  der  polierten  und  mehr 
vergeistigten  des  neuen;  ein  Vergleich  der  ähnlichen  Phrase  IV  101  tra- 
xitque  per  ossa  furorem  mit  501  f.  mente  furores  concipit  scheint  mir  die 
Verschiedenheit  archaischen  und  modernen  Denkens  und  Sprechens  deutlich 
zu  bezeichnen.  —  Übrigens  ist  der  Eindruck,  den  die  ZißuWa  )aaivo|aeviu 
6r6\iaTi  qpöef  YO|iievri  auf  die  Anwesenden  macht,  nach  dem  Leben  geschildert: 
denn  derselbe  Schauer  durchrieselte  den  Hermas,  als  er  die  cumanische 
Sibylle  sprechen  hörte:  vis.  I  2,  1  iLierd  tö  \aKY\aa\  amr]V  öXoc  fiiuriv 
TreqjpiKUJC.  III 1,  5  eK0a)nßoc  eYevöjuriv  Kai  ibcrei  Tpöjuoc  lue  ^Xaßev 
Ktti  ai  Tpixec  |uou  6p9al.  —  55  funditque  preces  rex  pectore  ab  imo. 
Der  Versschluß  pectore  ab  imo  (noch  I  485)  auch  bei  Lucr.  HI  57  und 
Catull  64,  198.  Da  Catull  von  Lucrez  unabhängig  ist,  wird  Ennius  die 
gemeinsame  Quelle  sein,  und  das  um  so  mehr,  als  auch  fundere  preces 
ennianisches  Colorit  hat;  denn  VH  292  folgen  die  Worte  haec  effu/ndit 
pectore  dicta  auf  eine  ennianische  Phrase  (quassans  caput  vergl.  Enn.  a. 
506    iubam  quassat)    und    leiten    eine   durch  Macrobius  bezeugte   Nach- 


VERS  53—56.  139 

ahmung  des  Ennius  ein,  und  ebenso  steht  VllI  70  efpundit  ad  aefhera 
voces  vor  einem  Enniuszitat. 

C.  Zwei  Wechselreden  des  Aeneas  und  der  Sibylle  56 — 155, 
Diese  dialogische  Komposition  erreicht  Vergil  dadurch,  daß  er  den  Aeneas 
einen  wesentlichen  Teil  des  Sibyllenorakels  (77 ff.)  durch  die  vota,  die 
er  ihm  in  den  Mund  legt  (6  9  ff.),  vorwegnehmen  läßt.  Denn  was  Aeneas 
hier  im  voraus  gelobt  —  Tempel,  Spiele,  Deponierung  der  Sprüche 
(unter  der  Statue  des  Apollo:  Suet.  Aug.  31)  — ,  das  gehört  nach  dem 
typischen  Stil  der  Orakelpoesie  als  Bedingung  für  die  Erfüllung  des 
Orakels  eigentlich  in  das  Orakel  selbst.  So  stellt  Eusebios  pr.  ev.  V  12  ff. 
(aus  Porphyrios)  Orakel  zusammen,  in  denen  die  weissagenden  Gottheiten 
(bezw.  ihre  Prophetinnen)  sich  Statuen  ausbedingen,  meist  auch  mit 
Angabe  des  Materials:  wie  bei  Euseb.  13,  4  Hekate  sich  ein  aYaX|Lia 
TTapioio  Xiöou  ausbedingt,  so  läßt  Vergil  den  Aeneas  geloben  69 
soUdo  de  marmore  templii/m.  Solche  Orakel  haben  wir  noch  inschriftlich 
(ep.  1034,  29  f.  Kaibel,  und  bei  Buresch,  Klaros  28 f.).  In  den  Sibyllen- 
orakeln bei  Phlegon  mir.  10  und  Zosimos  II  6  (=  Diels  p.  114,  55 f. 
63 f.;  p.  134)  befiehlt  die  Sibylle  selbst,  den  betreffenden  Gottheiten  ein 
Standbild,  einen  Tempel  und  Spiele  zu  weihen,  d.  h.  also  dasjenige,  was 
Vergil  hier  den  Aeneas  der  Sibylle  im  voraus  geloben  läßt.  Durch  diese 
Verteilung  des  Stoffes  auf  zwei  Sprechende  erreicht  er  große  dramatische 
Lebendigkeit. 

1.  Gebet  und  Gelübde  des  Aeneas  56 — 76  in  zwei  Abschnitten: 
a)  Gebet  56  —  68,  b)  Gelübde  69—76.  Der  erste  Abschnitt  (das  Gebet) 
ist  dreiteilig:  a)  Gebet  an  Apollo  56 — 62,  ß)  an  die  übrigen  Götter 
63 — 65  Bardaniae,  y)  an  die  Sibylle  65  tiique — 68.  Der  erste  dieser 
Teile  (a)  besteht,  dem  Gebetstil  entsprechend,  aus  einer  großen  Periode: 
der  Vordersatz  56 — 60  ist  ein  rpiKuuXov  (Phoebe  56 — lahores  56,  Dar- 
dana 57 — Äeacidae  58,  magnas  58 — arva  60,  das  letzte  kujXov  mit  drei 
KÖ)Li|LiaTa:  magnas  58 — te  59,  penitus  59 — gentis  60,  praetenta  60 — arva 
60),  der  Nachsatz  61  —  62  ein  bkiuXov  (die  Glieder  mit  den  Versen 
zusammenfallend).  Der  zweite  dieser  Teile  (ß)  ist  ein  biKUüXov  (vos 
63 — genti  63,  di  64 — Bardaniae  65),  der  dritte  (y)  ein  rpiKiuXov  {tu 
65 — venturi  66,  non  66 — fatis  67,  da  66 — Troiae  68,  und  zwar  das  zweite 
kujXov  als  Parenthese  in  das  dritte  eingeschaltet  und  das  dritte  wieder 
drei  i^6\X)X(iia  in  sich  enthaltend:  Teticros^  deos,  numina).  Der  zweite 
Abschnitt  (das  Gelübde)  ist  ebenfalls  dreiteilig:  a)  Gelübde  an  Apollo 
und  Hekate  69  —  70  (|iOVÖKUjXov  mit  zwei  KÖ)a|LiaTa),  ß)  Gelübde  an  die 
Sibylle  71  —  74  viros  (ipiKUjXov:  te  71 — nostris  71,  hie  72 — ponam  73, 
lectos  73 — viros  74),  y)  Bedingung  für  Erfüllung  des  Gelübdes  74 
foliis — 76  oro  (rpiKuuXov:  foliis  74 — manda  74,  ne  75 — ventis  75,  ipsa 
76 — oro  76).  Die  Partie  endigt  mit  der  Floskel  76  finem  dedit  ore 
loquendi.  —  Das  feierliche  Ethos  dieser  Eede  des  ruhig  am  Altare 
stehenden  (124)  Aeneas  kontrastiert  schön  zu  dem  Pathos  der  sie  um- 
rahmenden Worte  der  maßlos  erregten  Sibylle  (45 — 53,  83 — 97);  auch 
die  Rhythmen  fließen  im  Gegensatze  zu  46  ff.  ruhig  dahin,  und  die  vollen 
langen  Perioden  bilden  einen  wirkungsvollen  Gegensatz  zu  den  zer- 
stückelten in  83  ff. 

56  Troiae  wechselt  mit    57  Bardana    62  Troiana    63  Pergameae 


140  KOMMENTAR 

64  Ilium  65  Dardaniae  72  Teucros.  Dieser  Wechsel  ist  hauptsächlich  durch 
metrische  Bequemlichkeit  bedingt,  nebenbei  auch  durch  die  Absicht  stili- 
stischer Variation;  vergl.  über  letzteres  Moment  schol.  Dan.  zu  II  230 
sacrum  rohurj  notandum  quot  nomimbus  limic  equum  appellet:  lignum, 
macJiinam,  monstrwm,  dölum,  pinea  claustra,  donum,  molem,  equum,  sacrum 
rohur.  —  57  direxti.  Die  synkopierten  Formen  dieser  Art  haben  für 
CatuU  noch  volles  Leben,  aber  sie  galten  ihm  bereits  für  vulgär  (vergl. 
precesti  =  praecessisti  carm.  epigr.  1292  Buch.),  da  er  sie  nie  im  Epyllion 
braucht.  Auch  die  Augusteer  müssen  so  geurteilt  haben,  denn  Horaz 
braucht  sie  nur  in  den  Sermonen,  Properz  und  Ovid  haben  sie  nach  der 
Zusammenstellung  Fr.  Neues,  Formenl.  d.  lat.  Spr.  IIP  500  ff.  nur  je  ein- 
mal (Prop.  I  3,  37,  unsicher  ib.  27,  Ovid  her.  11,  59).  Dagegen  hat 
Vergil  sie  für  würdig  des  hohen  Stils  erachtet:  er  hat  außer  direxti  noch: 
accestisl  201  exstinxem lY  QOß  exstinxti lY  6S2  traxeY  7S6  vixetXIllS. 
Würde  er  nun  diese  von  ihm  sämtlich  (nachweisbar  oder  indirekt  er- 
schließbar) alter  Poesie  entnommenen  Bildungen  als  vulgär  empfunden 
haben,  so  hätte  er  sie  nicht  gebraucht:  er  empfand  sie  also  (wie  die  zu 
24  besprochenen  Synkopen)  als  archaisch,  ein  deutlicher  Beweis  für  die 
Tatsache,  daß  beides  oft  zusammenfällt  und  erst  die  Umgebung  das  eine 
oder  andere  Kolorit  bestimmt  (s.  z.  337.  524).  Daher  hat  Vergil  diese 
Formen  nur  in  der  sprachlich  archaisierenden  Aeneis  und  zwar  nur  in 
Reden;  an  unserer  Stelle  erhöht  er  durch  sie,  wie  durch  das  bezeugter 
Maßen  aus  Ennius  entnommene,  gleich  folgende  repostas  59  (s.  z.  24)  die 
Feierlichkeit  des  Gebets,  wie  Livius  grade  auch  in  Gebeten  die  archaischen 
Formen  seiner  Vorlagen  oft  beibehält.  Analog  braucht  er  in  hochfeier- 
licher Rede  VIII  274  die  für  Ennius  belegte  Form  porgite. 

5  7  f.  qui  Paridis  direxti  tela  .  .  .  |  corpus  in  Äeacidae.  Daß  Apollo 
den  Pfeil  des  Paris  'gelenkt'  habe,  scheint  direkt  nur  hier  zu  stehen, 
denn  Ovid  m.  XII  593 ff.  kann  von  Vergil  abhängig  sein;  aber  Vergil  (oder 
eine  Mittel  quelle)  deutete  damit  richtig  die  Intention  von  X  359  f.  öre 
Kev  (Je  TTdpic  Kai  Ooißoc  'AttöWuuv  |  ecröXöv  eövr'  oXecToucTiv.  —  corpus  in 
Äeacidae.  Die  Stellung  der  Praeposition  zwischen  Substantiv  imd  (attri- 
butivem) Genetiv  ist  ungewöhnlich,  in  der  Aeneis  nur  noch  IV  257  litus 
harenosum  ad  Libyae  671  cuhnina  perque  hominum  volvontur  perque 
deorum  VII  234  fata  per  Äeneae  IX  643  gente  suh  Assaraci  (nach  Bolten- 
stem  1.  c.  [z.  17]  16),  also  stets  am  Versanfang  und  meist  zur  Schaffung 
von  Daktylen  oder  zur  Vermeidung  ungewöhnlicher  Synaloephe.  —  59  tot 
maria  intravi  duce  te.  Tot  rhetorisches  multa;  Beispiele  aus  Lucan  bei 
Diels,  Abh.  d.  Berl.  Akad.  1885,  11.  —  duce  te  ganz  eigentlich:  Apollo 
zog  dem  Aeneas,  den  Vergil  der  Legende  gemäß  durchaus  als  oiKiCTTfipa 
'liaXiac  versteht,  als  dpxilTeTric  (vergl.  Pind.  P.  5,  56)  voraus.  —  Mas- 
sylum  gentes.  Diesen  numidischen  Stamm  scheint  Vergil  in  die  poetische 
Sprache  eingeführt  zu  haben  (vergl.  IV  483  Massylae  gentis),  doch  wohl 
nur  deshalb,  weil  der  Genitiv  Numidarum  ohne  Synaloephe  nur  am 
Versende  brauchbar,  von  dort  aber  nach  den  Gesetzen  des  entwickelten 
Hexameters  verbannt  war  (ein  anderes  Ersatzmittel  IV  320  Nomadumque 
tyranni,  wie  JS'omas  bei  Martial  für  Numidia  u  u  ^^  u).  —  praetenta  Syr- 
tihus  arva.  Die  Nennung  des  verrufenen  Küstenstrichs  (vergl.  Hör.  I  22, 
5,  Plinius  n.  h.  V  26)  ist  ein  vpeOboc,  das  die  antike  Rhetorik  also  nicht 


VERS  56—69.  141 

einmal  im  Gebet  verpönte  (s.  auch  z.  110 ff.):  Aeneas  hat  ihn  in  Wahr- 
heit nicht  betreten,  sondern  ist  bei  Karthago  gelandet.  —  Syrtibus  Dativ: 
xd  TTapareivovTa  xaic  Zupxiai  Ttebia.  —  arva  KaraxpriCTTiKiJUC  vom 
sandigen  Strand  wohl  nicht  vor  Vergil  (ebenso  11  209).  —  61  Italiae,  mit 
der  Messung  <j  <u  ^  -  für  den  Hexameter  unbrauchbar,  wurde  nach  Kalli- 
machos'  Vorgang  (W.  Schulze,  Quaest.  epic.  1541),  mit  der  Messung 
_  v^  w  _  vielleicht  erst  von  den  Neoterikem  in  die  lat.  Poesie  eingeführt 
(Ersatz  Hesperia:  s.  z.  6,  und  Ausonia^  z.  B.  unten  807);  Italwum  _  w  _  w 
CatuU  1,  5;  Itala  _  w  u  wagt  Vergil  erst  an  späten  Stellen:  in  185. 
Vn  643.  IX  698  (überall  im  fünften  Fuß),  worin  ihm  Ovid  folgt,  während 
Horaz  ('carm.)  die  Licenz  auf  andere  Endimgen  als  die  auf  -a  beschränkt. 
In  Sicilia  wagt  Vergil  das  gleiche  Mittel  nicht  (so  wenig  wie  irgend  ein 
lateinischer  Dichter),  sondern  ersetzt  es  durch  Trinacria  oder  umschreibt 
mit  Siculae  telluris — orae,  Siculis  regionibus — arvis;  dagegen  nach  dem 
Vorgang  des  Epos  (uü  307)  Sicaniac — o — um  _  «^  w  _  xmd  am  Versschluß 

mit   latinisierter   Paenultima  w Sicäni — ae — os.     Vergl.    auch   Hosius 

1.  c.  (zu  4).  —  62  hac — tenus  in  Tmesis  wohl  zuerst  hier  (dann  Ovid  m. 
V  642).  —  Fortima  secuta  enniani scher  Versschluß  (a.  299).  —  Die 
gewählte  Allitteration  Troiana  tenus  fuerit  Fortuna  (Schema  aabb)  steigert 
den  Affekt  in  diesem  den  ersten  Teil  des  Gebets  abschließenden  Vers.  — 
64  dique  deaeque  onmes  =  g.  I  21  (wohl  daraus  Prop.  III  13,  41).  Wegen 
des  bei  Ennius  beliebten  -que  -que  (s.  z.  336)  wohl  formelhaftes  älteres 
Gut.  —  64  f.  quibus  öbstitit  Ilium  et  ingens  \  gloria  Dardaniae.  Mit  ob- 
stitit  wählt  der  Betende  einen  vorsichtigen  Ausdruck:  er  meint  den  Neid 
der  Götter.  —  Tlium.  Vergil  braucht  nur  die  neutrale,  dem  homerischen 
Epos  noch  fremde  Form,  und  zwar  stets  mit  lateinischer  Endung;  da- 
gegen meiden  die  anderen  Augusteer  Ilium  ganz  zu  Gunsten  von  Ilion, 
Ilios.  Aus  der  Art  der  Synaloephen,  in  die  er  Ilium  zu  stellen  ge- 
zwungen ist,  wird  im  Anhang  XI  1  Entlehnung  wahrscheinlich  gemacht 
werden.  —  66  praesda  Neubildung  V.'s  nach  inscius;  neu  auch  indebitus, 
etwa  nach  immeritus.  —  66f.  (?a  .  .  .  cansidere  Teucros.  Bare  c.  inf.  wie 
unten  697  u.  ö.,  in  Poesie  so  nicht  vor  V.  (anders  Lucr.  m  1030  iter- 
que  dedit  legionibus  ire  per  altum\  nach  griechischem  Vorbild  (böc 
c.  inf.  oft  grade  in  Gebeten),  aber  in  der  Konversationssprache  schon 
vor  V.  üblich:  zu  schließen  aus  Varro  1. 1.  IX  10  dant  c.  inf.  wechsebid 
mit  c&nceditur  und  Horaz  ep.  I  11,  61  da  mihi  f allere.  Vergl.  Servius  zu 
I  319  dederat  comam  diffu/ndere  ventisj  ut  dijfunderetur.  graeca  autem 
figura  est . ..  umde  'da  bibere'  usus  obtinuit.  —  non  indebita  posco  \  regna 
meis  fatis.  Fatis  Ablativ  nach  VII 120  fatis  mihi  debita  tdlus  (Deuticke).  — 
68  errantisque  deos  wird  durch  agitataque  nu/mina  stilistisch  variiert 
(s.  z.  25),  letztere  Floskel  aus  diesem  Grunde  sowie  wegen  des  feierlichen 
numina  und  des  bei  älteren  Dichtern  beliebten  Frequentativs  agitare 
möglicherweise  durch  archaische  Poesie  beeinflußt. 

69  ff.  Gelöbnis  eines  Tempels  und  Festes  für  Apollo  und  Diana 
sowie  einer  Deposition  der  sibyllinischen  Orakelsprüche  daselbst.  Servius: 
ut  solet,  miscet  historiam,  nam  hoc  templum  in  Palatio  ab  Äugusto  factum 
est.  sed  quia  Augustus  cohaeret  lulo,  qui  ab  Aenea  dudt  originem,  vult 
Augustum  parentum^  vota  solvisse.  Daß  V.  wirklich  an  den  Palatinischen 
Apollotempel    denkt,    nicht    an    den    alten,    infolge    einer   sibyllinischen 


142  KOMMENTAR 

Sühnung  im  Jahre  433  v.  Chr.  auf  den  Flaminischen  Wiesen  erbauten 
(Livius  IV  25,  3,  vergl.  Diels  82),  beweisen  die  Worte  soUdo  de  marmore 
iemplum.  Der  Tempel  war  nur  dem  Apollo  geweiht,  doch  stand,  wie 
Heyne  bemerkt,  nach  Prop.  III  31,  15  seine  Statue  zwischen  denen  der 
Latona  und  Diana;  letztere  wird  hier  (als  (Tuvvaoc)  mit  genannt,  weil 
sie  in  den  sibyllinischen  Prokurationen  der  gleich  (73 f.)  erwähnten 
XVviri  mit  Apollo  unlöslich  verknüpft  war  (acta  ephigr.  VIII  Z.  139 ff.).  — 
Auch  bei  den  ludi  Apollinares  (70)  dachte  der  zeitgenössische  Leser 
weniger  an  die  im  J.  212  auf  Grund  eines  sibyllinischen  Orakels  ein- 
gerichteten (Livius  XXV  12),  als  an  die  neuen  von  Augustus  schon 
während  des  ganzen  ersten  Decenniums  seines  Prinzipats  geplanten  ludi 
saeculares,  die  vor  allem  dem  Apollo  und  der  Diana  galten.  —  Die 
enge  Verknüpfung  der  Sibylle  mit  Apollo  wurde  von  Augustus  auch 
äußerlich  dadurch  hergestellt,  daß  er  die  bisher  im  capitolinischen  Jupiter- 
tempel aufbewahrten  sibyllinischen  Bücher  nach  Einweihung  des  Apollo- 
tempels (9.  Oct.  28)  unter  der  Basis  der  Apollostatue  deponieren  ließ 
(Suet.  Aug.  31  vergl.  Tibull  II  5):  das  sind  die  71  genannten  magna 
penetralia  (Übersetzung  von  jueYCcpa).  Denn  mag  auch  die  Deposition 
selbst  erst  von  Augustus  als  Oberpontifex  vollzogen  worden  sein  (Sueton 
1.  c),  so  haben  wir  doch,  wie  in  analogen  Fällen  (vergl.  Neue  Jahrb.  f. 
d.  klass.  Altert.  VII  1901,  276)  das  Recht,  den  Plan  als  solchen  zurück- 
zudatieren, um  so  mehr  als  schon  Tibull  II  5,  17  die  sibyllinischen 
Bücher  in  engster  Verbindung  mit  dem  neuen  Apollotempel  nennt.  Die 
ganze  Partie  bietet  mithin  besonders  deutliche  Beispiele  für  die  in  der 
Aeneis  typischen  Projektionen  der  Vergangenheit  in  die  Gegenwart.  — 
72  hie  ego  namque:  über  die  Inversion  der  Partikel  s.  Anhang  HIB  3. 
—  7 4 ff.  eine  Kautel  hinsichtlich  der  Art  der  erbetenen  Prophezeiung; 
mündlich,  nicht  auf  Blättern.  Dabei  ist  vorausgesetzt,  daß  der  Leser 
sich  eriimert,  was  III  441  ff.  darüber  dem  Aeneas  von  Helenus  gesagt 
wurde.  —  Ob  Vergil  die  Losorakel  auf  Palmblättem  noch  gesehen 
hat  oder  sie  nur  aus  Varros  antiquitates  kennt,  die  Servius  zu  74  und 
in  444  dafür  zitiert,  läßt  sich  nicht  sicher  entscheiden,  vergl.  Diels 
56,  4,  der  auch  den  Brauch  behandelt  (vergl.  noch  aus  der  Zauber- 
literatur pap.  Paris,  v.  2206  ed.  Wessely:  im  xpTl|iiaTi(J)uiuj  €ic  qpuWov 
ödcpvrjc  e7riYpan;ov  ktX.  ib.  2232  Xaßujv  cpuXXa  |iiupaivTic  eTTiYpaqpe 
ktX.).  —  tantum  im  Gebet  wie  VIII  78  adsis  o  tcmtitm  ae  propius  tua 
numina  firma  (dieser  Vers  in  ennianischer  Umgebung);  ebenso  |liövov.  — 
ne  manda:  über  ne  mit  dem  Imperativ  s.  z.  544.  —  carmma  "^Orakel- 
verse':  Diels  26,  2.  —  76  finem  dedit  ore  loquendi  ennianisierende  Floskel: 
s.  Anhang  I  2. 

2.  Prophezeiung  der  gotterfüllten  Sibylle  77 — 97.  Zwei 
Abschnitte:  a)  Die  eKCTTacTic  77 — 82  (a.  Vergewaltigung  der  Sibylle 
durch  Apollo  77 — 80  in  zwei  TpiKUjXa:  at — patiens,  immanis — vates, 
magnwm — deum;  tcmto — räbidum,  fera — domans,  föngit — premendo.  ß.  Öff- 
nung der  Ostia  81 — 82  in  einem  biKiuXov:  ostia — sua,  vatis — auras). 
b)  Die  Prophezeiung  selbst  83 — 97  (a.  TpiKiuXov  83 — 86  volenti  o — peri- 
clis,  in — venient,  sed — volent  mit  zwei  Parenthesen:  sed — manent,  mitte — 
euram.  ß.  ihovökuuXov  86  hella — 87  mit  drei  KO^jiaia,  deren  jedes  das 
vorhergehende    mit    malerischem   Effekt    an  Länge  überragt,     f.  xeipd- 


VERS  69—77.  143 

kujXov  88 — 92:  non — defuerint  mit  den  drei  Begriffen  Simais  Xanthus 
Dorica  castra;  alius — dea;  nee — aberit;  cum — urbes  mit  zwei  KÖ)a|uaTa. 
ö.  juovÖKOuXov  93 — 94  mit  zwei  KÖ|Li)LiaTa,  durch  Halbvers  unvollständig. 
€.  zwei  TpiKUüXa  95 — 97:  tu — malis,  sed — ito,  quam — sinet;  via — salutis, 
quod — reris,  Graia — urhe). 

77 — 80.  Die  Sehergabe  ist  ein  Geschenk  des  Gottes,  aber  ein 
furchtbares,  das  er  dem  Menschen  aufdrängt  (juavToaOvai  dvdYKai  Eurip. 
Iph.  A.  757).  Das  wird  durch  die  Figur  der  dXXr|Yopia,  d.  h.  einen 
fortgesetzten  Vergleich  (von  Cic.  de  or.  III  167  als  magnum  ornamentum 
orationis  bezeichnet)  wirkungsvoll  ausgeführt.  Die  Sibylle  wird  mit  einem 
widerspenstigen  Roß,  Apollo  mit  dem  Reiter  verglichen,  der  es  zähmt 
(Sibyllam  quasi  equum,  Apollinem  quasi  equitem  indudt  et  in  ea  permanet 
translatione ,  Servius);  aus  dieser  Sphäre  sind  alle  Ausdrücke  gewählt. 
Patiens  77  oft  von  Tieren,  die  sich  die  Zucht  gefallen  lassen,  so  VIT  490 
von  einem  Hirsch  manum  patiens  (x€ipor|9Tic),  vom  Pferd  Sueton,  div. 
lul.  61  sessoris  patiens  vergl.  frenos  pati  Phaedr.  IV  4,  9  und  domans 
unten  80.  Excutere  79  vom  Abwerfen  XI  615.  640.  Livius  VH!  7,  10. 
F atigare  79  vergl.  XI  714  quadrupedemque  dtu/m  ferrata  cälce  fatigat. 
Fingere  80:  Hör.  ep.  I  2,  64  fingit  equum  .  .  .  magister,  Varius  de  morte 
bei  Macrob.  VI  2,  19  insultare  docet  campis  föngitque  morando:  dieser 
Versschluß  des  Varius,  aus  dem  er  unten  621  f.  zwei  ganze  Verse  fast 
wörtlich  zitiert,  schwebte  Vergil  hier  bei  seinem  Versschluß  fingitque 
premendo  vor,  wie  schon  g.  H  407  fingitque putamdo.  Premere  vom  straffen 
Anziehen  der  Zügel,  vergl.  I  63  et  premere  et  laxas  sdret  dare  iussus 
habenas  XI  599  f.  fremit  aequore  toto  \  insultans  sonipes  et  pressis  pugnat 
Jmbenis.  Frena  100.  Concutere  101  vergl.  VHI  3  acris  concussit  eqiios, 
V  147.  Stimuli  101  Kevxpa.  Das  bedeutende  Bild  hat  Vergü  nicht 
erfunden  (s.  auch  z.  570f.^:  bei  den  Tragikern  wird  der  Rasende  oft  mit 
einem  gepeitschten  oder  gestachelten  Rosse  verglichen,  z.  B.  Orestes  bei 
Eurip.  Iph.  T.  934.  10.  e'fvuuKa,  \xr\Tp6c  a'  oüveK'  rjXdaxpouv  Geai. 
OP.  uj(T6'  ai|LiaTTipd  CTÖ|iid  y'  e|nßaXeiv  e)ioi,  Or.  44 f.:  wenn  ihn  die 
Krankheit  packt,  bejuviujv  drro  j  Tir]ba  bpojuaToc,  ttujXoc  uüc  dirö  Iv^ov, 
und  viele  andere  Stellen  bei  v.  Wilamowitz  zu  Eur.  Her.^  S.  12.  195 f. 
217,  wo  auch  unsere  Stelle  zitiert  ist.  Der  Schaum  vor  dem  Mimde 
der  Kdxoxoi  (z.  B.  Evirip.  Or.  21 9 f.;  Lukian,  Alexand.  12)  und  der  rasenden 
Stuten  (z.  B.  Vergil  selbst  g.  IH  250 ff.  wahrscheinlich  nach  Euphorien) 
scheint  das  tertium  comparationis  gewesen  zu  sein  (Vergil  sagt  hier  mit 
Zurückhaltung  80.  102  os  rabidum),  von  dem  aus  der  Vergleich  sich  zu 
einem  Bilde  erweiterte.  Nicht  einmal  die  Übertragung  des  Vergleichs 
grade  auf  die  Sibylle,  die  |Liaivo)LievLU  (JTÖ|LiaTi  prophezeite,  scheint  Vergils 
eigne  Tat  gewesen  zu  sein,  denn  zu  Anfang  des  dritten  Buchs  unserer 
Sibyllinensammlung  (also  des  ältesten  Teiles,  saec.  U  a.  Chr.)  kommt  das- 
selbe Bild  vor  (4  f.)  dXXd  xi  ^0l  Kpabiri  irdXi  TrdXXexai  r\b4.  Ye  eu)iiöc| 
TUTTTÖiuevoc  iLidffTiTi  ßidZ^erai  evboGev  aiibfjv  |  dtTeXXeiv  TidviecrcTiv. 
Wir  werden  gleich  noch  andere  Berührungen  Vergils  mit  unserer  Samm- 
lung und  anderer  Orakelpoesie  finden. 

Wir  haben  hier  der  Tatsache  zu  gedenken,  daß,  wie  von  mir  im 
Hermes  XXVin  (1893)  506 ff.  gezeigt  worden  ist,  diese  Partie  einmal 
eine    andere  Fassung    gehabt    hat.     Aus   Senecas   dritter   Suasorie    (4  ff.) 


144  KOMMENTAR 

wissen  wir,  daß  unter  den  Rhetoren  der  augusteischen  Zeit  sich  ein 
Vergilvers  großer  Beliebheit  erfreute,  der  von  einer  fvvx]  evGeoc  sagte 
plena  deo;  Ovid,  der  großen  Gefallen  daran  hatte,  habe  diese  Worte  in 
seine  Tragödie  übernommen:  feror  huc  illiic,  vae  plena  deo.  Daß  jenes 
plena  deo  auf  die  Sibylle  zu  beziehen  sei,  hat  schon  Leo  (Seneca  I 
166,  8)  gesehen;  tatsächlich  tritt  bei  Vergil  nirgends  sonst  eine  Prophetin 
auf  (Kassandra  wird  stets  nur  ganz  nebenbei  genannt).  Die  Annahme, 
daß  der  Vers  ausgefallen  wäre,  hätte  angesichts  der  Vorztiglichkeit  unserer 
Überlieferung  keine  Wahrscheinlichkeit;  überdies  wäre  dem  Vers  in  der 
uns  vorliegenden  Passung  ohne  Störung  des  Zusammenhangs  kaum  eine 
Stelle  anzuweisen.  Also  hat  diese  Stelle  einmal  eine  andere  Passung 
gehabt,  die  in  der  augusteischen  Zeit  durch  Rezitationen  vor  der  Edition 
(solche  werden  für  Vergil  bezeugt  von  Sueton  in  der  vita  p.  62  ReiflF.) 
bekannt  und  besonders  berühmt  war.  Der  Grund  dieser  Berühmtheit 
läßt  sich  nur  mehr  vermuten.  Die  Sibylle,  die  Vergil  der  allgemeinen 
Überlieferung  gemäß  virgo  nennt  45.  III  445,  ist  plena  deo.  Mit  diesem 
Ausdruck  wußte  ich  Hermes  1.  c.  510  nur  zu  vergleichen  irepi  üvpouc 
13,  2  (die  Pythia  ist  eYKU|UUJV  Tf^c  baijuoviou  buvd|LteuJc)  und  einige 
Stellen  des  Nonnos  (paraphr.  ev.  Job.  III  53  0e(yTre(Jiric  ^ykuov  ö|Li(pfic 
u.  ö.),  kann  das  aber  jetzt  tiefer  begründen.  Der  Gott  'liebt'  seine 
Propheten  und  macht  sie  seines  Geistes  voll:  oubeva  y^P  ev6ou(Tia(y)iiöv 
aveu  TTic  epuJTiKfic  etriTTVoiac  aujußaivei  TeYevfidGai  sagt  Hermias  (zu 
Plat.  Phaedr.  p.  105  Ast)  in  richtiger  Formulierung  des  platonischen 
Gedankens.  Daher  nannte  sich  die  erythraeische  Sibylle  Y^vaiKtt  YöM^TtlV 
Apollons  (Pausan.  X  12,  2)  und  galt  die  thebanische  Seherin  Manto 
einigen  als  sein  Weib  oder  seine  Geliebte  (Apollod.  bibl.  epit.  p.  214 
Wagn.  u.  a.),  vergl.  0.  Immisch  in  Roschers  Lex.  II  2327;  den  Branchos 
e(pi\ricrev  epaaGeic  'AttöXXujv  . .  .,  6  öe  eH  'AttöXXujvoc  eTrirrvouc  |Liav- 
TiKfjc  Y^YOvdJC  . . .  e'xpa  (Conon  33).  Kassandra,  die  judvTic  KÖpa  (Pindar 
P.  11,  33),  kann  ihm  zwar  die  Gunst  ihrer  körperlichen  Liebe  verweigern, 
aber  dafür  kommt  sein  Geist  über  sie;  das  gleiche  Geschick  ist  der 
cumanischen  Sibylle  widerfahren  (Ovid  m.  XIV  132  ff.).  Von  der  del- 
phischen Prophetin  sagt  Origenes  c.  Geis.  VII  3  (vol.  XX  4  Lommatzsch) 
icTTÖpTiTai  irepi  ific  TTueiac  ...  öti  7repiKa9eZ;o)Lievri  tö  ttic  KaCiaXiac 
(5i6\x\ov  r\  ToO  'AttöXXujvoc  irpoqpfiTic  bexcTai  7revO|ua  biet  tujv  Y^vai- 
Kciujv  köXttuuv  ou  7rXTipuj0ev(ja  diroqpGeYYeTai  tci  . ,  .  aejuvd  Kai  Geia 
)LiavTeu)LiaTa,  worüber  er  sich  lustig  macht,  ohne  zu  bedenken,  daß  es 
eine  verwandte  Vorstellung  ist,  wenn  Elisabeth  beim  Anblick  der  Maria 
ihr  Kind  im  Leibe  hüpfen  fühlt  und  in  prophetische  Lobgesänge  aus- 
bricht (ev.  Luc.  1,  41  ff.).  Wenn  Aeschylos  die  Semele  als  eine  Schwangere 
prophezeien  und  die  ihren  Leib  berührenden  Frauen  ebenfalls  der  Gabe 
der  Prophetie  teilhaftig  werden  ließ  (schol.  Apoll.  Rh.  I  636),  so  war  das 
wohl  nicht  bloß  die  Macht  des  mantischen  Gottes,  den  sie  trug.  Denn 
mit  unverhüllter  Deutlichkeit  ruft  ein  yÖtic  des  IV  Jh.  n.  Chr.  den 
Hermes  an,  um  ihn  in  sich  hineinzuzaubern :  eXöe  |aoi  KUpie  'Ep)iifi  ibc 
xd  ßpecpri  eic  rdc  KOiXiac  tujv  Y^vaiKUJV  (Greek  papyri  in  the  Brit.  Mus. 
ed.  Kenyon  1893,  116).  Wie  geläufig  der  Glaube  war,  zeigt  die  Tatsache, 
daß  man  sogar  eine  absurde  Etymologie  auf  ihn  bauen  konnte:  Cumas 
vocarwnt   ...    a   gravidae   mulieris   augurio   quae   graece   ^ykuoc   dicitur 


VERS  77—78.  145 

(Servius  zu  VI  2).  Daher  lieben  es  auch  lateinische  Dichter,  epouTiKCt 
övöjuaTa  von  der  Sache  zu  brauchen,  so  Lucan  V  97  von  der  pythischen 
Priesterin:  hoc  uhi  virgineo  conceptum  est  pectore  numen  (vergl.  ib.  V  163 ff. 
Ovid  f.  I  473),  und  das  muß  man  im  Auge  halten,  um  einzelne  Aus- 
drücke an  unserer  Stelle  zu  verstehen:  77  Phoehi  nondum  patiens,  80 
domare,  premere.  Da  ist,  wie  wir  sahen,  die  Sibylle  zwar  zimächst  als 
ungeberdiges  Roß  gedacht,  das  den  Beiter  nicht  dulden  will,  aber  die 
Amphibolie  dieser  Ausdrücke  ist  durchsichtig  und  man  glaubt  zu  erkennen, 
daß  von  der  aus  Eezitationen  bekannten  Fassung  dieser  Stelle  zu  der 
uns  vorliegenden  deutliche  Fäden  laufen. 

77  m  antro.  Dagegen  war  sie  47  ante  fores.  Also  ist  sie  unter- 
dessen hineingegangen,  was  Kaia  TÖ  criiuTra)|Lievov  zu  ergänzen  ist,  s.  o. 
S.  119.  Vergil  macht  von  diesem  Mittel  —  nach  dem  Prinzip,  daß  der 
Epiker  semper  ad  eventum  festinat  (Hör.  a.  p.  148)  —  oft  Gebrauch,  s.  z. 
13.  156flF.  200.  220ff.  385.  678  (lehrreich  U  458,  wo  unerwähnt  bleibt, 
daß  Aeneas  in  das  Haus  gegangen,  und  VII  667,  daß  ein  Wagenkämpfer 
vom  Wagen  gestiegen  ist).  Schon  dem  homerischen  Epos  ist  diese  Praxis 
geläufig  (vergl.  E.  Eohde,  Kl.  Schrift.  U  264 f.);  sie  wird  von  Aristarch 
oft  notiert  (z.  B.  zu  TT  432  TToXXd  KttTCt  (Tu)i7repa(J|ua  Xeyei  6  rroiriTric 
(JiuJTTUJiievuuc  fCTOVÖTa,  vergl.  Lehrs,  De  Arist.  stud.  Hom.^  336),  und 
nach  diesem  Muster  auch  von  den  Vergilscholi asten  (z.  B.  zu  a.  I  223. 
234.  II  668.  X  238.  543).  —  78 f.  magnum  si  pectore  possit  excussisse 
deum.  Den  perfektischen  Infinitiv  nennt  Servius  z.  d.  St.  eine  graeca 
ßgura,  faßt  ihn  also  aoristisch.  Das  ist  richtig,  aber  Vergil  hält  sich 
in  diesem  Fall  doch  noch  innerhalb  des  auch  für  lateinisches  Fühlen 
Möglichen:  die  Sibylle  sieht  im  Geiste  ihren  Versuch,  sich  von  dem  Gott 
zu  befreien,  bereits  als  gelungen,  ihren  Wunsch  als  erfüllt  an.  Also 
nähert  sich  der  Gebrauch  des  perfektischen  Infinitivs  hier  der  bekannten 
echt  lateinischen  Konstruktion  bei  negiertem  teile  {id  ne  quis  fedsse  vellet 
u.  dergl.),  über  die  nach  Madwig  (opusc.  acad.  alt.  120flF.)  und  Haupt 
(bei  Beiger  2 33  f.)  besonders  gut  H.  Ziemer,  Junggramm,  Streifzüge  (Col- 
berg  1882)  77 f.  gehandelt  hat  (vergl.  auch  Köne  156.  168.  224);  daher 
konnte  bei  posse  schon  Plautus  einmal  diesen  Infinitiv  brauchen:  aul.  828 
non  potes  prohasse  nugas.  Ähnlich  ist  bei  Vergil  HI  606  si  pereo,  homi- 
num  manibus  periisse  iuvahit  und  X  625  Jiactenus  induisisse  vacat,  wo 
nicht  einmal  metrische  Bequemlichkeit  wie  bei  excutere  die  perfektische 
Form  empfahl.  Dagegen  ist  ganz  in  griechischer  Manier  schon  g.  III  435 f. 
ne  mihi  tum  mollis  sub  divo  carpere  somnos  \  neu  dorso  nemoris  libeat 
iacuisse  per  herhas,  dies  überhaupt  das  frühste  Beispiel  dieser  Art,  in- 
sofern wichtig,  als  es  zeigt,  daß  Tibull,  bei  dem  grade  auch  der  Wechsel 
der  beiden  Zeitformen  innerhalb  eines  Satzes  so  oft  begegnet,  nicht  als 
der  Erfinder  der  Manier  gelten  darf.  Vermutlich  war  der  erste  Schritt 
die  Übertragung  von  negiertem  velle  auf  nicht  negiertes:  zuerst  Lucrez  III 
69  effugisse  volunt  longe  longeque  remosse,  dann  Catull  69,  2  vdit  tenerum 
supposuisse  femur^  ähnlich  auch  Vergil  selbst  unten  86  non  et  venisse 
volent;  von  da  griff  dann  die  Analogie  weiter.  Vergil  macht  nur  selten 
Gebrauch  von  der  Freiheit:  außer  an  der  Stelle  der  Georgica  setzt  er 
perfektischen  Infinitiv  neben  präsentischen  nur  noch  a.  III  A29&.praestat ... 
lustrare  et  circumflectere  .  .  .  quam  mdisse    X  14  tum  certare  odiis,  tum 

Vergil  Buch  VI,  von  Norden.  IQ 


146  KOMMENTAR 

res  rapuisse  licebit  55  f.  quid  pestem  evadere  helU  \  iuvit  et  Ärgölicos 
medium  fugisse  per  ignes. 

81  f.  Ostia  iamque  domus  patuere  ingentia  centum  \  sponte  sua.  Über 
die  Verteilung  von  ostia — centum  auf  Versanfang  und  Versschluß  siehe 
Anhang  IIIAl;  über  die  Inversion  von  iamque  ebd.  HIB  3.  —  sponte 
sua,  mit  Umkehrung  der  in  Prosa  bis  auf  Augustus  (mon.  Anc.  5,  4  sponte 
sua)  allein  üblichen  Wortfolge,  empfahl  sich  den  Epikern  des  Daktylus 
wegen,  so  daß  es  gradezu  etwas  Besonderes  ist,  wenn  Lucrez  11  1092 
sua  per  se  sponte  sagt  (vergl.  auch  Wölfflin,  Arch.  f.  Lex.  X  1898,  138).  — 
Daß  sich  beim  Nahen  der  Gottheit  die  Pforten  des  Tempels  wie  von 
ejner  unsichtbaren  Hand  öffnen,  ist  eine  geläufige  Vorstellung,  am  be- 
kanntesten aus  dem  Prooemium  des  kallimacheischen  Apollonhymnus  (6  f.) : 
auTOi  vöv  KttToxfiec  dvaKXivecrGe  rruXduuv,  1  auxai  be  KXrjTbec"  6  y^P 
0eöc  OUK  eil  )aaKpr|V  (vergl.  schon  €  749.  Eurip.  Bacch.  447 f.);  auch 
in  römischem  Glauben:  Val.  Max.  I  8,  1  von  der  aedes  des  Castor:  nullius 
homi/num  manu  reserata  patuit,  Obsequens  13  in  aede  penatium  valvae 
nocte  sua  sponte  adapertae,  id.  67.  Wenn  es  bei  Vergil  ausdrücklich 
heißt,  daß  die  Pforte  sich  erst  auf  das  Gebet  öffne  (52 f.),  so  macht 
Servius  dazu  die  Bemerkung:  trahit  hoc  de  matris  deum  templo,  quod  non 
manu  sed  precihus  aperiebaiur.  Diese,  wie  es  scheint,  vom  Kybeletempel 
sonst  nicht  überlieferte  Vorstellung  hat  grade  in  orientalischer  Super- 
stition ihre  Analogieen:  in  dem  großen  Pariser  Zauberpapyrus  1.  c.  (z.  46) 
p.  5 9  f.  findet  der  zum  Himmel  Entrückte  die  Tore  verschlossen,  die  sich 
erst  auf  die  von  ihm  gesprochene  euxn  öffnen,  und  ähnlich  hat  die  Seele 
in  der  ophitischen  Gnosis  an  jedem  der  sieben  Sphärentore  eine  Gebets- 
formel zu  sprechen,  worauf  das  Tor  sich  öffnet  (Origenes  c.  Geis.  VI  31). 
Dieser  Vorstellung  liegt  der  Völkergedanke  zugrunde,  daß  das  Gebet 
nichts  anderes  ist  als  eine  Art  von  Zauberformel,  durch  welche  die 
Dämonen  zu  erscheinen  und  den  Menschen  zu  Willen  zu  sein  gezwungen 
werden  können;  denn  daß  der  Zauberer  durch  eine  magische  Formel 
verschlossene  Türen  zu  offen  vermag,  ist  ein  bekannter  Aberglaube,  für 
den  es  auch  antike  Zeugnisse  gibt  (Apul.  met.  I  14;  pap.  mag.  Leid. 
1.  c.  [z.  46]  p.  803;  pap.  mag.  Berol.  ed.  Parthey  in:  Abh.  d.  Berl.  Ak. 
1865,  122). 

83 — 97,  Daß  Vergil  den  Inhalt  der  nun  folgenden  Prophezeiung  nicht 
erfand,  sondern  Motive  eines  ihm  vorliegenden  Sibyllenorakels  benutzte, 
werden  noch  aus  unseren  Orakeln  belegbare,  bei  den  betreffenden  Versen 
(s.  auch  z.  102.  153 f.)  anzuführende  Züge  bew'eisen.  Dasselbe  ergibt 
sich  auch  aus  der  Tatsache,  daß  die  Weissagung  der  Sibylle  bei  Vergil 
sich  nicht  bloß  sachlich  in  den  Hauptpunkten  (Irrfahrten,  Kriege  in 
Italien,  Bettung),  sondern  auch  in  einer  zu  88  notierten  Einzelheit  mit 
der  sibyllinischen  Weissagung  bei  Tibull  II  5  eng  berührt,  ohne  daß 
eine  Abhängigkeit  Tibulls  bestände,  der  die  Weissagung  über  den  Rahmen 
der  vergilischen  ausdehnt  (Roms  Gründung).  Dieses  Orakel  scheint,  wie 
die  sachliche  Übereinstimmung  in  den  Hauptpunkten  schließen  läßt,  auf 
Grund  der  berühmten  Episode  in  Lykophrons  Alexandra  (1226 — 1282), 
wo  die  Irrfahrten  und  die  Rettung  des  Aeneas  prophezeit  werden,  ver- 
faßt und  Vergil  wie  Tibull  aus  einer  gemeinsamen  Quelle  (Alexander 
Polyhistor?)    bekannt    gewesen    zu   sein.      (Bei   dieser   im   Ganzen   wohl 


VERS  81—87.  147 

richtigen,  im  Detail  unsicheren  Kombination  lege  ich  die  besonders  von 
Leo  in  den  Philol.  Unters.  11  1881,  10  vei-tretene  Ansicht  zugrunde,  daß 
auch  bei  Tibull  die  cumanische  Sibylle  dem  Aeneas  das  Orakel  gibt. 
Die  entgegenstehende,  von  Maaß,  Hermes  XVIII  1883,  324ff.,  vergl. 
Robert  ebd.  XXII  1887,  454ff.,  aufgesteUte  Behauptung,  daß  Tibull  viel- 
mehr die  trojanische  Sibylle  meine,  halte  ich  für  unrichtig,  u.  a.  des- 
halb, weil  Maaß  1.  c.  337 f.  und  im  Greifswalder  Prooemium  1886/7  p.  XV f. 
dadurch  gezwungen  wird,  sowohl  einen  Irrtum  TibuUs  anzunehmen,  als 
auch  die  Prophezeiung  der  cumanischen  Sibylle  an  Aeneas  für  eine  Fiktion 
Vergils  zu  halten;  beides  scheint  mir  aber  der  Arbeitsweise  dieser  Dichter 
zu  widersprechen.) 

83 — 86.  Der  durch  die  beiden  Parenthesen  aufgelöste,  die  Erregung 
malende  Satzbau  gehörte  zum  Stil  der  Sibyllinen,  vergl.  Diels  64  über 
das  alte  sibyllinische  Orakel  bei  Phlegon:  „Aufgeregte  Stimmung  spricht 
sich  durch  Parenthesen  aus."  Auch  Aeschylos  Ag.  1061  ff.  K.  läßt  Kassan- 
dra  in  kurzen,  abgerissenen  Sätzen  orakeln.  Man  vergleiche  für  den 
Eindruck  Ovid  m.  XIV  108 ff.,  wo  er  in  Nachahmung  unserer  Stelle  die 
Sibylle  in  wohlkadenzierten  Perioden  sprechen  läßt.  Dagegen  hat 
Statins  s.  IV  3,  124 f.  das  Ethos  dieser  Stelle  besser  verstanden.  — 
83  periclis:  Die  Synkope  ist  nach  K.  Wotkes  Zusammenstellungen 
1.  c.  (z.  24)  137 f.  in  keinem  Woi-t  häufiger  als  diesem:  15  mal  und  zwar 
stets  am  Versschluß.  In  hexametrischer  Poesie  für  uns  zuerst  Lucrez, 
ebenfalls  mit  Beschränkung  auf  die  letzte  Versstelle.  —  84  sed  terrae 
graviora  manent.  Terrae  MP,  terra  R,  Servius  kennt  beide  La.  Die 
zweite  ist  interpoliert,  weil  der  Genitiv  nicht  verstanden  wurde.  Wagner 
dachte  an  lokativischen  Gebrauch,  aber  die  von  ihm  angefahrten  Bei- 
spiele sind  andersartig  (s.  z.  652).  Also  ergänzen  andere  aus  den  unmittel- 
bar vorangehenden  Worten  pelagi  magnis  defimcte  periclis  zu  terrae  richtig 
pericula  auf  Grund  von  X  57  totque  mnris  rasfaeque  exhausfa  pericula 
terrae.  —  Lävini  aus  metrischer  Bequemlichkeit  mit  Kürzimg  der  vor- 
tonigen Silbe  wie  I  258.  270,  stets  am  Versschluß,  auch  Tibidl  11  5,  49 
(vergl.  Fidena  unten  773);  Ovid  m.  XV  728  Lävini  sedes  am  Vers- 
anfang. Lävinia  hat  Vergil  nur  VJI  359  neben  zehnmaligem  ä  (so 
unten  764).  —  85  [mitte  hanc  de)  pectore  cur  am,  konventioneller  Vers- 
schluß =  I  227.  rV  448;  Lucr.  VI  645  (complebani)  peetora  cura;  Ennius 
hat  oft  pedore,  peetora  an  dieser  Versstelle  (a.  236.  312.  340.  530.  570). 
—  86 f.  Die  Prophetie  (^venient,  volent)  geht  in  Vision  über  (cerno)j 
diese  dann  wieder  in  Prophetie  (89  defuerint  etc.),  ebenso  Horaz  I  15 
und  Tibull  11  5,  39 ff.,  also  nach  gijechischer  Technik  (besonders  viel 
Lykophron,  aber  schon  Pindar  P.  4,  49.  8,  45  ff.).  —  87  ef  Thybrim 
multo  spumantem  sanguine  cerno:  der  spondeische  Rhythmus  malt  das 
beivöv  wie  Vin  7 Ol  f.  caelatus  {JMavors)  ferro  iristesque  ex  aethere  Dirae,  || 
et  sdssa  gaudens  vadit  Discordia  pälJa,  s.  z.  9  9  f.  Der  Gedanke  kommt 
aus  konventionellem  Orakelstil.  In  einem  aus  der  Zeit  Vespasians  stam- 
menden SibyUenorakel  V  200  f.  ecraerai  ev  BpuTxecTcri  Kai  ev  fdXXoic 
TToXuxpOcroic  I  'QKeavöc  KeXabuJv  irXripouiuevoc  ai'iLiaTi  ttoXXlu,  371  f. 
ecTtai  b'eK  bu(J)Liujv  7TÖXe^oc  ttoXuc  dvepcuTroicn,  |  peuffei  b'ai'iaaTOC  öxöoc 
€UiC  TroTa)nüJv  ßaGubivuüV.  Darin  ist,  wie  so  oft  in  dieser  Sammlung, 
ein   älterer  Zug   bewahrt,   denn   derselbe  Gedanke   kommt   auch   im   sog. 

10* 


148  KOMMENTAR 

Carmen  Marcianum  (einer  relativ  alten  Fälschung)  bei  Livius  XXV  12,  6, 
sowie  einem  Orakel  bei  Phlegon  mir.  c.  3  (p.  71,  14)  vor.  Auch  die 
Ei-wähnung  des  Tiber  bei  Vergil  dürfte  alt  sein,  denn  er  spielt  in  der 
Prodigienliteratvir  eine  große  Rolle  (z,  B.  Horaz  I  2);  seine  Nennung  in 
dem  zitierten  Sibyllenbuch  (170)  wird  daher  eine  Reminiszenz  sein,  zu- 
mal er  auch  in  einem  Orakelspruch  bei  Lukian  Alexand.  27  und  in  dem 
Säkularorakel  p.  134,  5  Diels  erwähnt  wird,  freilich  in  andrem  Zusammen- 
hang. —  Vergil  nennt  den  Fluß,  dem  griechischen  Charakter  der  Legende 
gemäß,  19  mal  mit  dem  gräzisierten  Namen  (vergl.  II  781  f.  Lydius 
Thybris),  nur  zweimal  mit  dem  italischen  aus  bestimmtem  Grund: 
g.  I  599  im  Gebet  an  Vesta  {quae  Tuscum  Tiberim  et  Romana  Falatia 
servas),  a.  VII  715  in  der  Aufzählung  italischer  Völker  (qui  Tiberim 
Fabarimque  bibunt).  Auch  Ovid  hat  die  Nuance  beider  Formen  für  das 
römische  Ohr  empfunden,  denn  während  er  in  den  Metamorphosen  nur 
die  griechische  hat,  gebraucht  er  in  den  Fasten  daneben  sehr  oft  die 
italische,  die  für  Horaz  und  Properz  die  einzige  ist.  —  Sprachlich  stammt 
spumare  sanguine  aus  Ennius  (tr.  106  maria  spumant  sanguine),  wie 
auch  wohl  der  Versschluß  horrida  bella  ==  VII  41,  dort  in  wahrschein- 
lich ennianischem  Zusammenhang. 

88  Dem  Orakelstil  gemäß  sind  die  meisten  geographischen  und 
Eigennamen  für  den  Befrager  dunkel,  doch  hütet  sich  Vergil  vor  den 
Übertreibungen  des  Lykophron  1253 if.  Daß  mit  Simois  und  Xanthus 
der  Numicus  und  Tiber  gemeint  sind  (wie  89  mit  Achilles  Turnus),  be- 
merkt schon  Servius.  Dafür  spricht,  daß  an  den  drei  Stellen,  wo  der 
Numicus  erwähnt  ist  (VII  150.  242,  797),  er  jedesmal  mit  dem  Tiber 
zusammen  genannt  wird,  ferner  daß  HavGöc  (ßavus)  ein  stehendes  Bei- 
wort des  Tiber  ist  (z.  B.  VII  31),  und  für  den  Numicus  vor  allem,  daß 
Tibull  II  5,  43  die  Sibylle  dem  Aeneas  seine  Vergötterung  im  Numicus 
prophezeien  läßt.  Daß  der  Tiber  einmal  eigentlich  (Thybris\  das  andere 
Mal  symbolisch  bezeichnet  wird,  kann  sich  aus  der  XoHöxTic  des  Orakels 
erklären.  —  Dorica  castra.  Daß  die  tadelnde  Bemerkung  des  Servius 
(zu  II  27,  vergl.  zu  g.  II  13)  über  die  Aufeinanderfolge  gleicher  Schluß- 
und  Anfangssilben  nicht  zu  streng  genommen  werden  darf,  hat  A.  Biese, 
Rh.  Mus.  XXXVm  (1883)  634fF.  bewiesen  (vergl.  auch  P.  Schulze,  Beitr. 
z.  Erkl.  d.  röm.  Eleg.,  Progr.  Berlin  1893, 16,  Vollmer  zu  Statius  s.  III  3, 12, 
Zingerle  in:  Festschr.  f.  Gomperz  353 f.).  Immerhin  ist  aber  doch  so  viel 
daran  richtig,  daß  sorgfältige  Dichter  das  in  der  Schule  der  Isokrateer 
aufgestellte  Gesetz  (Isoer.  art.  fr.  4,  vergl.  Dionys.  Hai.  de  comp.  verb.  6) 
nicht  gern  übertreten,  wenn  es  si(jji  um  harte  Silben  handelt  (vergl.  auch 
Birt  zu  Claudian  prol.  S.  CCXIX).  So  fiel  mir  auf,  daß  Vergil  zweimal 
das  ennianische  tonsa  (ann.  235  f.)  statt  remus  braucht,  um  das  Hinter- 
einander von  zweimaligem  re  zu  vermeiden;  VII  28  marm^re  tonsae  X  299 
consurgere  tonsis.  Daß  er  b.  3,  4  fovet  ac  4,  9  desinet  ac  die  von  ihm 
in  den  Bucolica  sonst  nicht  gebrauchte  Partikel  ac  gesetzt  habe,  um  die 
Wiederholung  der  Silbe  et  zu  umgehen,  bemerkt  Haupt  op.  I  110.  — 
Aeneas  muß  die  Worte  von  dem  Griechenheer  vor  Troja  verstehen,  das 
von  Vergil  auch  a.  II  27  und  Prop.  II  8,  32.  IV  6,  34  (danach  von  Ovid 
h.  15,  370)  so  genannt  wird;  eine  gelehrte  Bezeichnung,  die  aus  helle- 
nistischer Poesie   stammt:   Lykophr.  AI.  284   (aus  Euphorion?)   AujpieOc 


VERS  87—95.  149 

(JTpaTÖc.  Hier  soll  aber  amphibolisch  das  Heer  der  Italiker  unter  Turnus 
verstanden  werden:  Servius  mit  Hinweis  auf  VHSTlf.  Turno,  si  prima 
domus  repetatur  origo,  \  Inachus  Acrisiusque  pafer  mediaeque  Mycenae.  — 
89  f.  defucrint.  Der  häufige  Gebrauch  des  zweiten  Futurums  im  dakty- 
lischen Hexameter,  wo  der  Sinn  das  erste  verlangt,  ist  rein  metrisch  zu 
beurteilen 5  in  demselben  Wort  noch  IX  297  gleich  nach  erit,  vergl.  g.  U  51 
exuerint.  —  alius  Latio  iam  partus  ÄcJiüles.  Wie  aus  II  783 f.  illic 
regia  coniunx  \  parta  tibi  richtig  gefolgert  wird,  ist  Latio  Ablativ.  — 
Teucris  addita  luno.  Addere  in  diesem  Sinne  aus  archaischer  Poesie, 
s- Anhang  I  1;  ebenso  91  rebus  egenis,  s.  ebendort.  —  91  f.  cum  tu  .  .  . 
quas  gentis  Italum  aut  quas  non  oraveris  urbis  nach  griechischer  Aus- 
drucksweise (rivac  ou  =  d-rrdcTac).  —  gentis  P  -es  MR,  urbis  P  -es  MR,  wo 
P  beidemale  die  nach  Vergils  sonstiger  Praxis  besseren  Formen  überliefert; 
über  urbis  berichtet  Gellius  XIH  21,  daß  Probus  es  an  einigen  Stellen 
seines  Vergilexemplars  las;  s.  Ribbeck  prol.  405 ff.,  0.  Keller,  Gramm. 
Aufsätze,  Leipz.  1895,  318,  und  unten  z.  720.  819.  —  93f.  coniunx. 
Helena  war  in  Prophezeiungen  auf  Trojas  Fall  ein  seit  den  Kyprien 
überliefertes  Motiv,  vergl.  Bakchylides-Horaz  c.  I  15,  Lykophr.  AI.  60.  — 
causa  mali  tanti  wiederholt  XI  480  bei  Erfüllung  dieser  Prophezeiung.  — 
Durch  das  Ö)lioiÖtttuutov  mali  tanti  (s.  Anhang  IV) ,  die  kunstvolle  Allitera- 
tion causa — tanti — coniunx — Teucris  (Schema  alDab),  sowie  die  Anapher 
Herum — Herum  erhalten  diese,  den  ersten  Teil  des  Orakels  abschließenden 
Verse  besonderes  Gewicht.  —  externi  tJialami  unbestimmter  Plural  im 
Orakelstil  wie  VII  98.  270.  VIII  503.  XII  658.  Lykophron  1.  c.  von 
Helena:  XeKTpuJV  ö'eKaxi  tuiv  t'  eireicrdKTUJV  töM^jv. 

95  f.  tu  ne  cede  tnaUs,  sed  contra  audentior  ito,  |  quam  tua  te  For- 
tuna sinet.  Die  Hss.  und  Servius  quam,  aber  in  dem  Zitat  bei  Seneca 
ep.  82,  18  qun,  was  nach  Heyne  viel  Beifall  fand  (z.  B.  bei  Ribbeck). 
Aber  unsere  Überlieferung  ist  richtig.  Freilich  nicht  in  der  Deutung 
von  N.  Heinsius  {quam  =  quantum  'wie  sehr'  sc.  audentem  ire}^  die 
grammatisch  kaum  zu  rechtfertigen  sein  dürfte,  auch  nicht  in  der  von 
Conington  (der  contra — quam  verbindet,  wegen  des  dazwischen  stehenden 
audentior  unwahrscheinlich),  sondern  in  der  des  Servius,  die  schon  Gerda 
und  andere  vor  ihm  billigten  (vergl.  auch  H.  Zeyß,  Rh.  Mus.  XIII  1864, 
633 f.):  ne  cedas  malis,  sed  esto  audentior  quam  tua  te  Fortuna  permittit. 
Die  mala  sind  persönlich  gedacht,  wie  so  oft  in  griechischer  Poesie 
(Solon  3,  26 ff.  Soph.  Ant.  10.  Aristoph.  Vesp.  1483),  sie  wollen  den 
Menschen  im  Kampf  zum  Weichen  bringen,  aber  dieser  weist  der  feind- 
seligen TOxH.  die  ihm  das  Unglück  biingt,  die  Stirn  mit  größerem  Wage- 
mut, als  sie,  die  herrische  Gebieterin,  das  dulden  will.  Wenn  also  Goethe 
den  Achilles  sagen  läßt  (Achilleis  532 ff.):  „Keine  Tugend  wird  so  ver- 
ehrt von  sämtlichen  Menschen,  |  Als  der  festere  Sinn,  der,  statt  dem 
Tode  zu  weichen,  ]  Selbst  der  Keren  Gewalt  zum  Streite  muthig  heran- 
ruft", so  gibt  er  demselben  echt  antiken  Gedanken  wie  hier  Vergil  Aus- 
druck: die  Tuxri,  die  dem  Menschen  wie  ein  persönlicher  bai)LiuJV  anhaftet, 
will  ihn  durch  Unglück  ins  Verderben  stürzen  (vergl.  z.  B.  Aeschines  in 
Ctes.  157),  aber  der  moralische  Wille  des  Menschen  ist  stärker  als  die 
TuxTi:  KpeiTTUiV  iüix  xfic  Tuxtic,  de  Fortu/na  triiimphat,  wie  das  in  der 
Popularphilosophie    typische    Axiom    von    den    Deklamatoren    formuliert 


150  KOMMENTAR 

wurde,  vergl.  Fortwia  fortes  metuit  (Seneca  Med.  159),  fortes  etiam  contra 
Fortunam  insistere  spei  (Tacitus  h.  II  46).  Auch  wird  diese  Deutung 
durch  eine  Parallelstelle  gesichert:  V  709 f.  (ebenfalls  eine  Art  von  Weis- 
sagung): nate  dea,  quo  fata  traliunt  retrahwntque  sequamur:  \  quidquid 
erit,  superanda  omnis  fortuna  f er  endo  est.  Daß  sich  daneben  da,  wo 
Fortuna  ganz  allgemein  'Schicksal'  heißt,  die  Auffassung  findet  X  49 
quamcu/mque  viam  dederit  Fortuna  sequatur  u.  ä.  (vergl.  V  22.  XI  128. 
XII  147),  beweist  für  unsere  Stelle  nichts:  denn  hier  ist  Fortuna  das 
'Mißgeschick',  wie  62  {Troiana  Fortuna)  zeigt.  Wie  ist  nun  die 
Variante  in  den  Hss.  Senecas  zu  beurteilen?  Liest  man  die  Stelle  im 
Zusammenhang,  so  ergibt  sich,  daß  auch  er  quam  gelesen  und  im  an- 
gegebenen Sinn  verstanden  haben  muß,  da  qua  (sc.  via)  seine  ganze 
Exposition,  zu  deren  Bekräftigung  er  den  Vers  zitiert,  umwerfen  würde  5 
also  sind  nicht  die  Hss.  Vergils,  sondern  die  Senecas  leicht  verderbt. 

96 f.  via  prima  salutis  |  .  .  .  Graia  pandetur  ah  urbe.  Die  Prophe- 
zeiung schließt,  wie  R.  Heinze  (Hermes  XXXIII  1898,  478,  l)  bemerkte, 
der  Tendenz  der  sibyllinischen  Orakel  entsprechend  (Diels  78.  99),  mit 
dem  Hinweis  auf  griechische  Hilfe  (Graia  urbs:  das  'Pallanteum'  des 
Euander),  wie  das  bei  Phlegon  p.  115  Diels  überlieferte:  Tpwc  bf[T^ 
eKXviaei  cre  KaKUJV,  &na  b'  *6\Xdboc  ^k  fflc. 

3.  Bitte  des  Aeneas  um  Erlaubnis  zur  Kaidßaaic  98 — 123. 
Zwei  Abschnitte:  a)  Abschluß  des  vorigen  Teils  und  Übergang  zum  folgen- 
den 98 — 103  heros  in  zwei  TpiKUiXa:  a)  98 — 101  Apollo  (talibus — remugit 
mit  zwei  KÖ)üi|LiaTa;  obscuris — involvens;  ea — Apollo  mit  zwei  KÖ)Li|uaTa), 
ß)  102 — 103  heros  (ut — furor;  et — quieru/nt;  incipit — heros).  b)  Die  Rede 
des  Aeneas  103  non — 123,  nach  den  Regeln  der  Kunst  disponiert: 

1.  Prooemium  103  non — 105,  ein  biKwXov:  non  103 — surgit  104, 
omnia  105 — peregi  105. 

2.  Propositio  der  Bitte  106 — 109.  Nach  vorausgeschicktem  unum  oro 
106  ein  xpiKUjXov:  quando — refuso,  ire — contingat,  doceas — pandas, 
jedes  Glied  durch  et  zweigeteilt. 

3.  Probatio  der  Berechtigung  zu  dieser  Bitte  110 — 16  dabat.  Zwei 
Perioden:  a)  ein  TerpdKuiXov  110 — 14:  illum —recepi  mit  zwei 
KÖ)Li|LiaTa,  nie — iter,  maria — ferebat,  invalidus — senectae  mit  zwei 
KÖ|U|LiaTa;  b)  ein  biKUjXov  115  — 16  dabat:  quin — adirem  mit  zwei 
KÖ|ii)LiaTa,  idem — dabat. 

4.  Conclusioll6  gnatique — 23:  ein  langer  sehr  kunstvoller  Satzkomplex 
von  vier  KUüXa  mit  zwei,  dem  Pathos  jentsprechenden  Parenthesen. 
Die  Conclusio  umfaßt 

a)  eine  commiseratio  116  gnatique — 18, 

b)  eine  amplificatio  119 — 23:  si  potuit  manis  arcessere  coniugis 
Orpheus  .  .  .  .,  si  fratrem  Pollux  alterna  morte  redemit  ....  — 
quid  Thesea  magnum,  quid  memorem  Aleiden  — ;  et  mi  genus  ab 
love  summo.  Diese  führt,  wie  es  für  die  conclusio  typisch  ist, 
die  Sache  vom  speziellen  Falle  auf  das  Allgemeine  hin;  sie  endet, 
wie  Quintilian  VI  1,  21  für  die  conclusio  empfiehlt,  mit  dem 
Hinweis  auf  die  dignitas  et  nobilitas.  Sie  ist  gekleidet  in  das 
Enthymem  des  sog.  argumentum  ex  contrario  (und  zwar  sind  es 
mythologische  argumenta:  Quintilian  V  11,  17  f.),  dessen  Vordersatz, 


VERS  95—103.  151 

wie  oft  (vergl.  Cic.  pr.  Caec.  43,  M.  Seyffert,  Scholae  latinae  *  123  flF.) 

mit  si  eingeleitet  ist;  als  Nachsatz  schwebte  vor:  quidni  ego  potcro, 

aber  dadurch,  daß  der  Vordersatz  durch  die  Figur  der  praeteritio 

(wie   unten    601)   abgebogen   ist,    schließt    sich   der  Nachsatz   in 

anakoluthischer  Form  diesem  letzten  Satzteüe  an.     Das  Anakoluth 

ist,  wie  die  Parenthesen,  ein  Ausdruck  des  Affekts. 

99  f.   horrendas  canit  ambages  antroque  remugit  j  obscuris  vera  in- 

volvens.     Der   schwerfällige   Ehythmus   soll    das   Grausige    (s.  z.  87.  288) 

und  SchwerentwiiTbare   (z.  2  7  ff.)   malen.     Beide  Verse   haben   die  Heph- 

themimeres  (wie  üblich  mit  Nebencaesur  nach  der  zweiten  und  Diaerese 

vor  der  dritten  Hebung),  wobei  schon  die  Wiederholung  dieser  quantitativ 

seltensten  Caesur  bemerkenswert  ist  (in  diesem  Buch  so  nur  noch  41 4 f.). 

Aber   am   meisten   charakteristisch   dabei  ist,    daß   in  jedem   der  beiden 

Verse    den    Einschnitten    Worte    der    Form vorhergehen:    horren- 

das — ambages,  obscuris — involvens,  während  sonst  entweder  das  eine  oder 
das  andere  oder  beide  Worte  choriambischen  Rhythmus  haben  (vergl. 
176.  197.  222.  261.  414.  465.  571.  698.  703.  897;  236.  250.  415.  447. 
529.  781;  20.  149.  345).  Die  hier  vorliegende  Form  (bezw.  die  ver- 
wandte, in   welcher auf  zwei   Worte   der  Form  _, oder ,  _ 

verteilt  ist)  verwendet  er  in  diesem  Buch  nur  noch  sechs  mal,  stets  zu 
malerischen  Zwecken:  186  aspedans  silvam  immensam  (das  Gewaltige), 
831  (ebenso),  327  nee  ripas  datur  horrendas  et  rauca  fluenta  (das 
Grausige),  213  flebant  et  cineri  mgrato  suprema  ferebant  (Trauer),  428 
(ebenso),  614  inclusi  poenam  exspecfant  (Erwartung  des  Grausigen).  — 
In  wirkungsvollem  Gegensatz  dazu  stehen  die  beschleunigten  Rhythmen 
der  folgenden  Worte  ea  frena  furenii  \  concuüt  et  stimulos  sub  pectore 
vertu  Apollo,  die  auch  durch  sprachliche  Mittel  (Alliteration  und  Bevor- 
zugung der  harten  Konsonanten  r  und  t)  ausgezeichnet  sind  (s.  z.  46  ff.). 
—  99  ff.  ambages  der  Etymologie  gemäß  (amb — äg — es  zu  äfr\,  genau 
=  Trepi — äfT]  Arat  688,  vergl.  schol.  p.  464,  18  Maaß:  irepiKXacTic  xai 
Ka|ui7rr|;  also  wie  an-fractus)  'Umweg',  metaphorisch  'Uraschweif;  von 
der  XoHÖTric  der  Orakelsprache  hat  es  neben  Vergil  zuerst  Livius  I  55,  6, 
sodaß  möglicherweise  bereits  Ennius  es  so  gebrauchte  (vergl.  S.  Stacey, 
Arch.  f.  Lex.  X  1898,  36).  — •  antro  remugit  vergl.  Phaedrus  app.  6,  4  von 
der  Pytho  mugit  adytis;  bei  solchen  Übereinstimmungen  zwischen  Vergil 
und  Phaedrus  ist  als  gemeinsame  Vorlage  die  lat.  Tragödie  wahrschein- 
lich, die  Phaedrus  (meist  parodierend)  stark  benutzte.  —  ea  mit  Emphase 
wie  TOia  (vergl.  Aristarch  schol.  A  zu  Y  16).  —  stimulos  sub  pectore 
vertit,  weil  man  sagte  subdere  calcaria  equo  (Heyne).  —  102  ut  primum 
cessit  furor  et  rabida  ora  quierunt  mit  Benutzung  überlieferter  Termino- 
logie: das  alte  Sibyllinenbuch  IHS  a)LiTrau(Tov  ßaiöv  ne,  KeK|LiriKe  yotp 
evboGev  fJTop  (rjiop  wie  corda  80),  297 f.  rivka  br|  )iioi  9u)liöc  eTTaucrato 
^vöeou  \))Livou,  1  Ktti  XiTÖiUTiv  Tevexfipa  iLiexav  TTaucrac0ai  dvdTKTic. 
Lykophr.  AI.  3 f.  ou  YOtp  ficTuxoc  KÖpri  |  eXuffe  XPI^^M^JV,  ibc  irpiv, 
aiöXou  aTÖjia. 

103 ff.  Die  Einleitung  der  Rede  gibt  zu  sachlichen  Bedenken  An- 
laß. '  Aeneas  hatte  vorher  die  Sibylle  gebeten ,  ihm  seine  Zukunft  zu 
offenbaren  (76  ipsa  canas  oro).  Diese  Bitte  hat  die  Sibylle  soeben  er- 
füllt, indem  sie  ihm  prophezeite,  wie  er  sich  durch  Leiden  zum  endlichen 


152  KOMMENTAR 

Siege  durchringen  werde  (83—97).  Diese  Prophezeiung  macht  auf  Aeneas 
keinen  Eindruck;  er  versichert,  daß  ihm  kein  Leiden  unerwartet  komme, 
sondern  daß  er  sich  im  Geist  auf  alles  gefaßt  gemacht  hahe  (103 — 5  non 
ulla  läborum,  |  o  virgo,  nova  mi  fades  inopinave  surgit:  \  omnia  praecepi 
atque  animo  mecum  ante  peregi).  An  diese  Versicherung  schließt  er 
unvermittelt  die  neue  Bitte,  die  Sibylle  möge  ihm  den  Besuch  seines 
Vaters  in  der  Unterwelt  gestatten  und  selbst  die  Führerrolle  übernehmen 
(106  —  23);  in  den  Worten,  mit  denen  er  diese  zweite  Bitte  einleitet 
unum  oro  (106),  greift  er  deutlich  zurück  auf  den  Schluß  seiner  ersten 
Bitte  ipsa  canas  oro  (76).  Das  ist  keine  in  sich  geschlossene,  aus  sich 
selbst  heraus  verständliche  Komposition,  sondern  man  hat  den  Eindruck, 
als  ob  der  Dichter  durch  irgend  ein  Moment  sich  dazu  veranlaßt  gesehen 
hätte.  Verschiedenartiges  zu  verknüpfen.  Von  neueren  Erklärern  hat 
m.  W.  keiner  daran  Anstoß  genommen,  anders  die  antiken.  „Aeneas 
sagt  —  heißt  es  bei  Servius  zu  105  f.  — ,  daß  er  alles  über  seine  Leiden 
wisse,  und  unterbricht  die  ganze  Bitte,  um  zu  dem  speziellen  Punkt  zu 
kommen,  wie  er  seinen  Vater  sehen  könne.  Denn  wenn  er  sagt  'um 
das  Eine  bitte  ich',  so  meint  er  nicht  'um  dies  allein',  sondern  'um  dies 
vornehmlich'."  Gewiß  ist  diese  die  Fuge  verdeckende  Exegese  ganz  im 
Sinne  des  Dichters.  Das  überhebt  uns  aber  nicht  der  Verpflichtung,  die 
Frage  nach  dem  Ursprung  der  mangelhaften  Komposition  aufzuwerfen. 
Die  Antwort  ist  einfach.  Vergil  hat  seiner  Sibylle  eine  zweifache  Mission 
übertragen,  die  einer  Prophetin  und  die  einer  Führerin  durchs  Jenseits. 
Das  erstere  war  sie  nach  fester  Tradition,  aber  zum  letzteren  hat  sie 
erst  Vergil  gemacht.  Er  brauchte  eine  Person,  die  den  Aeneas  durch 
den  Hades  geleitete.  Denn  an  die  Stelle  der  homerischen  Fiktion,  wo- 
nach Odysseus  ohne  Führer  in  die  Tiefe  steigt,  war  längst  die  andere 
getreten,  die  bei  einer  KaiaßaCTic  den  Führer  fast  obligatorisch  machte 
(s.  u.  z.  109):  dies  Motiv  ist  von  den  alten  theologischen  Dichtungen,  die 
Piaton  Eep.  X  benutzt  hat,  bis  zu  Plutarchs  transzendenten  Mythen  xmd 
den  christlichen  Jenseitsapokalypsen  noch  des  späten  Mittelalters,  von 
Menipps  und  Lukians  Farcen  bis  zu  denen  der  byzantinischen  Zeit  so 
sehr  Brauch,  daß  im  41.  orphischen  Hymnus  sogar  eine  Göttin,  die 
)Lir|Tr|p  'AvTttia,  von  Triptolemos  geführt  werden  muß.  Vergil  übertrug 
also  das  typische  Motiv  auf  die  am  Avernus  wohnende  Sibylle.  Eine 
solche  Übertragung  ist  ganz  im  Stil  dieser  gelehrten  Poesie,  die  jede 
freie  Fiktion  ächtete,  dafür  Übertragungen  aus  anderen  Mythenkreisen 
schrankenlos  gestattete:  ist  doch  die  KaraßacTic  Aiveiou,  im  ganzen 
genommen,  eine  Übertragung  aus  der  KaraßacJic  '  Obu(T(JeiJüC.  Nun  ver- 
stehen wir,  weshalb  es  dem  Dichter  mißlingen  mußte,  die  zwei  Bitten 
des  Aeneas  um  Prophezeiung  und  um  Führung  in  befriedigende  Ver- 
bindung zu  bringen:  die  Kumulation  beider  Ämter  auf  die  Sibylle  machte 
das  von  vornherein  unmöglich.  Der  Fall  ist  lehrreich  für  die  Arbeits- 
weise des  Dichters,  der  gezwungen  war,  gegebene  Motive  zu  kontaminieren, 
was  nicht  immer  glatt  von  statten  gehen  konnte:  wir  werden  im  folgenden. 
noch  eine  Eeihe  von  Belegen  hierfür  finden,  ein  die  Gesamtkomposition 
dieses  Buchs  betreffender  Fall  ist  in  der  Einleitung  S.  14  ff.  erörtert  worden. 
103 — 105  non  Ulla  lahorum  .  .  nova  mi  facies  inopinave  surgit:  \ 
onrnia  praecepi  atque  animo  mecum  ante  peregi.     Mit  dem  (von  Dante 


VERS  103—105.  153 

Inf.  XV  93  verwerteten)  Gedanken  verglich  schon  Muret  Aesch.  Prom. 
101  ff.  TTCtvTa  TTpouSeTricrTaiuai  i  CTKeGpoic  tcc  ineWovi',  oube  |lioi  TTOiaiviov  | 
Trfiin''  oubev  f^Hei.  Seneca  ep.  76,  33 ff.  zitiert  die  Verse  Vergils  als  Beweis 
für  das  stoische  Dogma,  daß  der  Weise  seit  sibi  omnia  restare;  quicquid 
factum  est,  dicit  'seieham',  vergl.  die  ausführliche  Begründung  dieses 
Dogmas  ep.  24  und  Cicero  de  off.  I  80  f.  fortis  animi  et  constantis  est 
non  perturhari  in  rebus  asperis  .  .  .  .;  quamquam  hoc  animi,  illud  etiam 
ingenü  magni  est,  praecipere  (irpoXaiußdveiv)  cogitatione  futura  et  ali- 
quanto  ante  constituere,  quid  accidcre  possit  in  utramque  partem  e.  q.  s. 
vergl.  Tusc.  III  29.  Wenn  nun  auch  Seneca  philosophischen  Sinn  in 
Vergilverse  oft  erst  hineingedeutet  hat  (besonders  ep.  108,  24 ff.,  vergl. 
H.  Wirth,  De  Vergili  apud  Senecam  usu,  Freiburg  1900),  so  hat  seine 
Methode  gelegentlich  doch  innere  Berechtigung,  so  hier,  wo  Vergil  seinen 
Helden  mit  dem  ganzen  Ethos  des  stoischen  'vir  bonus  et  sapiens'  reden 
und  sogar  einen  stoischen  Terminus  (praecipere)  gebrauchen  läßt,  ferner 
95 f  (irepi  Tuxr|c).  278 f  (mala  mentis  gaudia:  irepi  (piXr|boviac).  Richtig 
auch  Servius  zu  Vm  334  fortuna  omnipotens  et  ineluctabile  fatum]  secun- 
dum  stoicos  locutus  est  qui  nasci  et  mori  fatis  dant,  media  omnia  fortunae 
und  zu  X  467  siat  siia  cuique  dies]  stoicorum  est  qui  dicunt  fatorum 
statuta  servari.  Erwägt  man,  daß  die  moralisierende  Exegese  der  home- 
rischen Gedichte,  wie  sie  seit  Antisthenes  und  Zenon  üblich  war,  von 
dem  Grammatiker  Ea-ates  in  die  eigentlichen  Kommentare  hinein- 
getragen wurde  und  daß  die  Römer  Ilias  und  Odyssee  durchaus  im  Bann 
dieser  Auffassung  lasen  (Hör.  ep.  I  2),  so  wird  man  es  nur  begreiflich 
finden,  wenn  Vergil  Züge  des  stoischen  Idealmenschen  auf  den  Helden 
seines  von  der  Idee  der  Gi)iap)LievTi  beherrschten  Epos  übertrug.  Sehr 
deutlich  noch  VHI  131  f.,  wo  Aeneas  sagt:  mea  rjiie  virtuis  et  sancta 
oracula  divom  |  ...  fatis  egere  volentem,  nach  dem  berühmten  stoischen 
Satz,  den  Seneca  mit  ducunt  volentem  fata  übersetzt.  Die  mehr  passive 
Rolle,  die  der  Dichter  den  Aeneas  im  Vergleich  zu  den  homerischen 
Helden  spielen  läßt  —  was  ihm  von  modernen  Erklärern  oft  zum  Vor- 
wurf gemacht  wird  —  erklärt  sich  eben  hieraus.  Die  Folge  dieser 
gelegentlich  moralisierenden  Haltung  des  Gedichts  war,  daß  es  von 
Fulgentius  bis  Petrarca  systematisch  allegorisiert  wurde,  indem  man  das 
Accessorische  zum  Wesentlichen  machte. 

104  mi.  Diese  in  der  alten  Poesie  so  häufige  Form  hat  Vergil 
nur  hier  und  merkwürdiger  Weise  noch  einmal  in  derselben  Rede  123 
(n  738  falsche  Konjektur  Ribbecks),  vergl.  J.  Krauß,  Rh.  Mus.  XXVHI 
(1873)  187.  Die  Form  vnirde  aus  der  hohen  Poesie  seit  den  Neoterikern 
wohl  deshalb  fast  verbannt,  weil  sie  vulgären  Charakter  hatte:  denn 
CatuU  hat  sie  nicht  im  Epyllion,  aber  oft  in  den  poematia,  Horaz  nie 
in  den  Oden,  wohl  in  den  Sermonen.  Wenn  Vergil  sie  hier  gebraucht, 
so  ist  das  als  ennianische  Nachahmung  aufzufassen  (s.  o.  z.  59).  —  inopina 
(TrapdboHa)  Neubildung  für  inopinata,  von  Ovid  und  späterer  Prosa  auf- 
genommen. —  105 f  omnia —  |  unum:  'nur  das  Eine'  wie  129.  744 
pauci  'nur  wenige'  nach  bekanntem,  auch  dem  Griechischen  geläufigen 
Brauch,  limitierende  Partikeln  durch  starke  Emphase  zu  ersetzen;  durch 
die  signifikante  Stellung  an  den  Versanfängen  kontrastieren  die  Begriffe. 
—  praecepi.  Servius  im  Lemma  und  im  Scholion  percepi,  was  er  erklärt 


154  KOMMENTAR 

ante  cognovi  ab  Ileleno  vcl  a  patre-,  aber  praecepi  zitiert  er  zu  IV  419 
und  XI  491,  feiner  außer  Nonius  zwei  von  Eibbeck  übersehene  Zitate: 
Plin.  ep.  IX  13,  12  und  der  cento  der  Proba  (Mitte  s.  IV,  ed.  Scbenkl 
im  Corp.  Script,  eccl.  Vindob.  vol.  XVI)  v.  514.  Zu  praecepi  gehört 
das  dnö  koivoO  gestellte  animo,  vergl.  Caesar  b.  c.  III  87,  7  animo  vic- 
toriam  praecipiehant.  —  106  f.  quando  hie  i/nferni  ianua  regis  dicitur 
eTreiTrep  evTaO0a  KaXoOviai  "Aibou  irOXai  mit  dem  bekannten  Gräzismus 
(reichste  SteUensammlung  bei  R.  Unger,  Paradoxa  Thebana,  Halle  1839, 
364ff.,  vergl.  auch  W.  Schulze,  Graeca  Latina,  Göttingen  1901,  16,2). 
Die  weitverbreitete  mythologische  Vorstellung  behandelt  Usener,  Sitzungs- 
berichte d.  Wien.  Ak.  CXXXVII  (1897)  30f.  —  infernus  als  Übersetzung 
von  KaiaxÖGViOC  auch  138  u.  ö.:  über  das  seltene  Wort  und  seine  Bildung 
s.  Leo,  Arch.  f.  Lex.  X  1898,  436.  —  tcnchrosa  paliis  Ächeronte  refuso. 
Sei*vius:  Ävernum  significat,  quem  vuU  nasci  de  AcJicroniis  aestuariis,  vergl. 
296 f.  und  Ovid  m.  XIV  105  (Paraphrase  dieser  Stelle):  ad  manes  veniat 
per  Äverna  paternos;  einen  Sumpf  nennt  ihn  auch  Dio  Cass.  XLVIII  50; 
tenebrosa  (Neubildung  für  die  von  früheren  Dichtern  gebrauchten,  aber 
im  Hexameter  nicht  verwendbaren  tcnebrica,  tencbricosa) ,  weil  dort  bis 
zur  Abholzung  durch  Agrippa  dichter  Ui'wald  war  (Strabo  V  244; 
s.  unten  z.  138 f.  1790".).  Die  Vorstellung,  daß  der  Sumpf  gebildet  werde 
durch  das  aus  dem  Erdinnern  zurückströmende  {refuso  iraXippöuj,  dijioppöiu, 
vergl.  VII  225)  und  in  natürlichen  Kanälen  nach  oben  geleitete  Wasser 
eines  ünterweltsstromes ,  ist  schon  Piaton  Phaed.  112  BC  (zitiert  von 
Heyne)  aus  seiner  Vorlage  bßkannt.  Den  Schauer  der  Gegend  hatte  jeder 
vornehme  Römer  bei  seiaem  Aufenthalt  in  Baiae  auf  sich  wirken  lassen, 
vergl.  Properz  I  11.  III  18  (dort  1  umbrosus  Avernus).  —  108  f.  ire  ad 
conspectum  cari  genitoris  et  ora  \  contingat:  feierliche  Spondeen  im  Gebet 
wie  187.  313.  —  coniingat  M  Servius,  contingam  PR,  letzteres  wohl  in- 
folge falscher  Verbindung  mit  dem  dabeistehenden  ora  (vergl.  Ovid  m. 
XIV  607  contigit  os,  Statins  s.  V  3,  275  pafrios  coniingere  voltus),  eine 
in  den  Vergilhss.  häufige  Fehlerquelle  (s.  z.  37);  contingit  c.  iaf.  (nach 
(JujLißaivei)  bürgert  sich  seit  Vergil  und  Horaz  auch  in  Prosa  ein  (vorher 
wohl  nur  bei  Cic.  pr.  Arch.  4  überliefert).  —  109  doceas  iter.  Ent- 
sprechend dieser  Bitte  um  Angabe  des  Weges  macht  die  Sibylle  125  ff. 
einige  allgemeine  Angaben  über  den  Weg.  Aber  dies  Motiv  steht  in 
Widerspruch  zu  dem  fernerhin  befolgten,  daß  die  Sibylle  vielmehr  die 
Führerin  auf  dem  Wege  ist.  Der  Widerspruch  erklärt  sich  aus  der 
Kontamination  zweier  Arten  von  Karaßdcfeic:  findet  sie,  wie  üblich 
(s.  0.  S.  152)  mit  Führer  statt,  so  bedarf  es  keiner  vorherigen  Angabe 
des  Weges,  findet  sie  aber  ohne  Führer  statt,  so  bedarf  es  einer  solchen: 
letzteres  ist  der  Fall  in  der  homerischen  Nekyia,  wo  Kirke  (k  505 ff.), 
und  in  der  aristophanischen,  wo  Herakles  (Frösche  120 ff.)  die  Angabe 
macht  (ferner  in  der  KaiaßaCTic  AiovucTou  nach  Pausanias  II  37,  5,  in 
dem  Epigramm  aus  Petelia  1037  Kaibel  und  bei  Apuleius  met.  VI  18).  — 
sa^ra  ostia  pandas  als  Priesterin  der  'GKairj  KXriboOxoc  ctbou  (terrae 
daustra  cohibens  Apul.  met.  XI  2);  die  Magier  vermögen  dvoiYeiv  toö 
aöou  TttC  TTuXac  (Lukian  necyom.  6,  vergl.  Seneca  Oed.  572 ff.).  Die 
Sibylle  erfüllt  die  Bitte  unten  262  (antrum  aper  tum). 

110  ff.   Die  Bitte,   seinen  Vater  sehen  zu  dürfen,   begründet  Aeneas 


VERS  105—117.  155 

außer  mit  ihrer  gegenseitigen  Liebe  mit  einem  speziellen  Auftrag  des 
Anchises:  mandata  dahat.  Diesen  Auftrag  hatte  ihm  Anchises  V  731  ff. 
gegeben,  während  er  III  441  ff.  ihm  vielmehr  von  Helenus  gegeben  wird: 
ein  Zeichen,  daß  Buch  VI  mit  III  noch  nicht  durch  endgültige  Redaktion 
in  Beziehung  gesetzt  ist  (vergl.  C.  Schüler,  Quaest.  Verg.,  Greifsw.  1883,  Iff., 
R.  Sabaddini,  Stud.  critici  suUa  Eneide,  Lonigo  1889,  101  ff.,  C.  Häberlin 
im  Phüol.  N.  F.  I  1889,  316  und  die  Einleitung  oben  S.  45).  —  Was 
Aeneas  von  der  Art,  wie  er  den  Vater  eiTettet  habe,  sagt  (per  flammas 
et  mille  sequentia  tela  eripui  .  .  .  medioque  ex  hoste  recepi),  erweist  sich 
durch  Vergleich  mit  11  172  ff.  als  rhetorisches  vjjeOboc  (vergl.  Thiel  und 
zu  60.  774).  —  Die  sprachliche  Einkleidung  des  Gedankens  erinnert  an 
n  358 f.  per  tela,  per  Jwstes  vadimus,  eine  Phrase,  bei  der  C.  Stacey, 
Arch.  f.  Lex.  X  1898,  51  durch  Vergleich  mit  Livius  IX  39,  8  per  arma, 
per  Corpora  evaserint  mit  Recht  Einfluß  ennianischer  Phraseologie  an- 
nimmt. Es  ist  daher  möglich,  daß  auch  in  vorliegendem  Verse  die  — 
in  diesem  Buch  hier  zuerst  vorkommende  —  bei  Vergil  nicht  beliebte 
Caesur  nach  dem  vierten  Trochaeus  (mille  \  sequentia  tela)  auf  Benutzung 
des  Ennius  zurückgeht,  und  das  um  so  mehr,  als  bei  dieser  Annahme 
das  sachliche  vjjeOboc  noch  verständlicher  wird  (vergl.  auch  Anhang  VTIB  2b). 
—  Über  die  markierte  Stellung  von  eripui — recepi  zu  Anfang  und  Schluß 
des  Verses  s.  Anhang  III  A  2.  —  meum  comitatus  iter  wohl  neu  (iter  inneres 
Objekt)  wie  260  invadere  viam,  was  vor  Vergil  auch  nicht  belegt  zu  sein 
scheint.  —  pelagique  minas  cacUque  ferebat  PR,  caeUque  m.  pelagique  f. 
M  irrtümlich,  da  pelagi  von  dem  vorhergehenden  maria,  das  dadurch 
spezialisiert  wird,  nicht  getrennt  werden  darf.  —  Die  kunstvolle  Periode 
schließt  114  wirktmgsvoll  mit  Alliterationen,  die  das  Ethos  des  Gedankens 
heben  sollen:  invalidus  viris  ultra  sortemque  senectae  (Schema  aabb); 
vdlidae — viris  auch  unten  833,  als  ennianisch  bezeugt.  —  115  supplex 
peterem  et  tua  limina  adirem  mit  ücTrepov  irpÖTepov  der  Begriffe  (s.  An- 
hang n  2),  das  hier,  wie  öfters,  wohl  durch  Herübernahme  der  zweiten 
Phrase  aus  älterer  Poesie  bedingt  ist,  zumal  die  Sjnaloephe  in  limina 
adirem  am  Versschluß  nicht  ganz  gewöhnlich  ist  (s.  Anhang  IX  l).  Das 
limen  des  Tempels  ist  nach  altem  Glauben  beider  Völker  (I  404  Xdivoc 
ouböc  Ooißou,  Arvallied  Urnen  sali)  ein  sakraler  Begriff  (so  Vergil  selbst 
a.  II  366  religiosa  deorum  limina,  vergl.  Horaz  s.  I  5,  99  limine  sacro), 
der    daher    auch    auf    den    Himmel    übertragen    wurde    (s.  z.  255).    — 

116  gnati  PM,  nati  R.  Die  alte  Form  nach  Wagner  586 f.  bei  Vergil 
nur  mehr  an  Stellen  des  hohen  Pathos  (nie  buc,  georg.),  so  hier  und 
unten  869,  der  einzigen  Stelle,  wo  das  Wort  im  Vokativ  steht:  aber 
das   ist    auch    eine    der    feierlichsten   Partieen    des    ganzen  Gedichts.    — 

117  alma  precor  miserere  Kupia  (irÖTVia)  eXeri(Tov,  auch  potes  namque 
omnia  wohl  mit  Benutzung  alter  Gebetsformel:  TT  515  bvvaOai  be  (Tu 
irdvTOc'  otKOueiv  (Gebet  an  ApoUon,  vergl.  Pindar  N.  7,  96),  Proklos 
hymn.  1,  46  böc,  dvag  (Helios),  buvacTai  t^P  aTtavia  xeXeffcrai.  — 
über  nachgestelltes  namque  s.  Anhang  IH  B  3.  —  Über  die  Bildung  des 
Versschlusses  onmia  nee  te  s.  ebenda  IX  4  b.  —  117  f.  nee — nequiquam. 
Nach  WölffHn,  Arch.  f.  Lex.  II  1885,  7.  11  und  Ehwald  ib.  IX  1896, 305 f. 
ist  negiertes  nequiquam  eine  außerordentliche  Seltenheit,  bei  Vergil  nur 
noch  Vni  370  (haud  .  .  nequiquam  exterrita  mater);  Vergil  hat  überhaupt, 


156  KOMMENTAR 

wie  Wölfflin  1.  c.  feststellt,  für  das  der  Umgangssprache  fernstehende, 
in  archaischer  Poesie  beliebte  nequiquam  gegenüber  frustra  eine  große 
Vorliebe.  —  118  fast  wörtlich  wiederholt  564;  so  noch  373  vergl. 
721,  465  vergl.  698  (ZifiXoc  '0|uripiKÖc).  —  llOff.  Das  Satzgefüge  ist 
oben  (S.  150f.)  analysiert,  ähnlich  I  242ff.  und  besonders  X  109flf.  (eben- 
falls in  einer  Rede),  wo  die  Worte  nee  Butulos  solvo  und  rex  lupiter 
Omnibus  idem  in  Parenthesen  stehen  (Ribbeck  athetiert  zwei  Verse  und 
setzt  im  dritten  eine  Korruptel  der  Noniushss.  in  den  Text);  auch  Horaz 
s.  n  6,  6  fif.  (wie  hier  im  Gebet).  An  unserer  Stelle  haben  (mit  Servius) 
die  richtige  Interpunktion  (neuer  Satz  mit  si  beginnend)  schon  viele 
alte  Ausgaben,  denen  aber  nicht  alle  neueren  Editoren  gefolgt  sind 
(z.  B.  nicht  Ribbeck). 

120  Thraeicia  fretus  cithara  ist  Orpheus  in  den  Hades  gestiegen, 
um  seine  Gattin  zu  holen.  Germanus  zitiert  aus  den  orphi sehen 
Argonautica  die  Worte  Vers  42:  'fijueTepri  tticTuvoc  KiOdpr)  stieg 
ich  (Orpheus)  in  den  Hades  aus  Liebe  zu  meiner  Gattin'.  Aber  die 
notwendige  Folgerung,  die  aus  dieser  merkwürdigen  Übereinstimmung 
sich  ergibt,  hat  weder  er  noch  Heyne,  der  das  Zitat  wiederholt,  gezogen. 
Der  Verfasser  der  Argonautica  läßt  in  der  Einleitung  den  Orpheus  einen 
langen,  aus  erlesensten  Quellen  zusammengeschriebenen  Katalog  derjenigen 
Gedichte  geben,  die  er  (Orpheus)  schon  früher  verfaßt  habe;  in  diesem  stehen 
die  Verse  40 — 42  aWa  be  (Toi  (dem  Musaeus)  KareXe^,  äirep  eicTibov  rjb' 
evÖTicTa,  I  Taivapov  tivik'  e'ßiiv  ctkotitiv  obov  "Aiboc  eicTuü  |  fmeiepr) 
TTiCTuvoc  Ki0dpr],  bi'  epujT'  dXöxoio,  die  in  diesem  Zusammenhang  also  ein 
direktes  Zitat  aus  der  KaraßacTic  'Opqpeuuc  sind;  ihr  entstammen  die  für 
uns  in  Betracht  kommenden  Worte  um  so  sicherer,  als  der  kümmerliche 
Verfasser  der  Argonautica  sie  später  (265),  wie  eine  ihm  überliefeiie 
Floskel,  wiederholt.  Wir  haben  hier  also  die  erste  deutliche  Spur 
der  Benutzung  der  orphischen  Katabasis  seitens  Vergils,  die 
wir  im  Verlauf  des  Kommentars  weiter  zu  verfolgen  haben.  Es  ist  das- 
selbe Gedicht,  das  er  schon  in  den  Georgica  IV  467 If.  benutzte,  als  er  — 
also  zu  einer  Zeit,  wo  er  schon  an  der  Aeneis  arbeitete  —  die  laudes 
Galli  ersetzte  durch  xd  Ttepi  'Api(TTaiov  Kai  'Opqpea.  Der  Vers,  mit 
dem  er  dort  die  KaidßacJic  eröffnet:  Taenarias  etiam  fauces,  alta  ostia 
Ditis  1  .  .  ingressus  klingt  bemerkenswert  an  den  griechischen  Taivapov 
tivik'  eßriv  (Tkotitiv  öböv  "Aiboc  eicruü  an.  Man  findet  zwar  öfters  die 
Behauptung  ausgesprochen,  daß  das  Motiv  der  Gattenliebe  in  der  orphi- 
schen Katabasis  nicht  vorgekommen  sei,  Vergil  also  dieses  Gedicht  nur 
in  einer  jüngeren  Fassung  gekannt  habe:  aber  diese  Behauptung  ist  ohne 
jedes  Beweismaterial  aufgestellt  und  widerspricht  nicht  bloß  dem  obigen 
Zitat,  sondern  auch  einem  später  (zu  548 — 627)  anzuführenden  des 
Plutarch,  wo  man  jenes  Motiv  ohne  Grund  als  eigene  Zutat  Plutarchs 
ausscheidet  (vergl.  0.  Gruppe  in  Roschers  Lex.  d.  Myth.  s.  v.  'Orpheus' 
Sp.  1159;  richtig  A.  Milchhöfer,  Philol.  N.  F.  VII  1894,  386f.).  Die  Zeit 
dieses  bis  ans  Ende  des  Hellenismus  vielgelesenen  Gedichts  kennen  wir 
nicht,  aber  das,  was  wir  hauptsächlich  aus  den  Inschriften  über  diese 
Art  von  theologischer  Poesie  wissen,  macht  wahrscheinlich,  daß  wir  als 
terminus  ante  quem  etwa  300  v.  Chr.  anzusetzen  haben.  Bemerkt  sei 
noch,  daß  die  Kenntnis  orphischer  Literatur   für  Vergil  auch  sonst  fest- 


VERS  117—121.  157 

steht:  oi"phische  Hymnen  auf  die  Eumeniden  —  seien  es  die  in  unserer 
Hynmensammlung  überlieferten  nr.  68.  69  selbst  oder  eine  ältere  Vor- 
lage dieser  —  sind  aen.  VII  323 — 38  benutzt,  und  auch  IV  242 ff. 
erklärt  sich  nach  dem  orphischen  Hymnus  auf  den  chthonischen  Hermes 
(nr.  57):  s.  unten  zu  749. 

Thraeida  fretus  cithara  fidibusque  canoris.  Das  altertümlich  feier- 
liche TTiCTuvoc  (vergl,  Diels  68,  l)  wird  gut  durch  das  ebenso  feierliche, 
in  der  lebenden  Sprache  damals  schon  ungewöhnliche  fretus  wieder- 
gegeben: Plautus  Amph.  213  (TrapaTpaYtubuJv)  freti  vitiute  et  viribus, 
Naevius  b.  P.  fr.  VIH  Vahl.  senex  fretus  pietati  (so  Vergil  selbst  fretus 
pietate  a.  XI  787  im  Gebet  bei  Erwähnung  altitalischer  superstitio;  vergl. 
auch  Bücheier,  Umbrica  55).  —  fidibus  canoris  von  Orpheus'  Leier  auch 
Horaz  I  12,  11  (gemeiasames  Vorbild?).  —  Die  Alliteration  {Thraeida) 
fretus  dthara  fidibusque  canoris  (Schema  ab  ab),  sowie  die  vielen  und 
klangvollen  Vokale  (Dionys.  Hai.  de  comp.  14  euqpuuvÖTttTOV  TÖ  ö.)  sollen 
die  XiYupd  doibr|  malerisch  zum  Ausdruck  bringen.  Ähnliche  Mittel  zu 
gleichem  Zweck  Lucr.  IV  981  citharae  liquidum  Carmen  chordasque  loquentes, 
Hör.  IV  9,  11  f.  commissi  calores  \  Aeoliae  fidibus  puellae  (Dionys.  ib.  fibuvei 
Trjv  dKofiv  TÖ  \  Kai  ecTii  tOuv  fi)Lii(puuvujv  Y^^Kurarov):  alles  schwache 
Versuche,  dem  natürlichen  Wohllaut  griechischer  Dichter  (besonders  der 
Bukoliker)  nahezukommen,  wenn  sie  in  ihrer  melodischen  Sprache  den 
Gesang  malerisch  zum  Ausdruck  bringen;  s.  im  Allgemeinen  Anhang  VII A. 
—  121  f.  si  fratrem  Pollux  alterna  morte  redemit  \  itque  reditque  viam 
totiens.  Die  jüngere  Fassung  des  Dioskurenmythus  (tägliches  Abwechseln) 
begegnet  für  uns  wohl  zuerst  hier,  ist  später  die  gewöhnliche  (z.  B. 
Lukian  dial.  deor.  26),  mag  also  auf  Umbildung  des  alten  Mythus  in 
hellenistischer  Zeit  zurückgehen.  Zum  Ausdruck  fratrem  morte  redemit 
vergl.  Pindar  P.  6,  39  irpiaro  öavaroio  KO)iiibdv  Traxpöc.  —  Der  Rhyth- 
mus in  121  kontrastiert  mit  seinen  feierlichen  Spondeen  schön  zu  den 
Daktylen  122,  deren  accelerierende  Wirkung  durch  die  ziemlich  seltene 
Verbindimg  von  trochäischen  Einschnitten  im  ersten  und  zweiten  Fuß 
(itque  I  reditque  \  viam)  noch  gesteigert  ist.  itque  reditque  ist  eine  poetische 
Variation  der  wohl  dem  Leben  angehörigen  asyndetischen  Verbindung 
it  redit  (Hör.  ep.  17,  55  und  wahrscheinlich  eleg.  in  Maec.  1,6).  — 
122  f.  quid  TJiesea  magnum,  \  quid  memorem  Aldden.  Von  dem  Bei- 
spiel des  Theseus  sagt  Servius,  weil  er  als  Frevler  hinabstieg  (s.  u.  393.  617), 
richtig:  durum,  unde  nee  immoratus  est  in  eo,  d.  h.  Vergil  setzte  es,  wie 
das  ebenfalls  zur  Situation  wenig  passende  des  Hercules,  in  die  Paren- 
these mit  der  Figur  der  praeteritio.  —  Servius  berichtet,  daß  einige 
magnum  nicht  zu  Thesea,  sondern  zu  Aldden  bezögen,  was  er  billigt. 
Auch  die  neueren  Editoren  schwanken.  Sachlich  ist  beides  angemessen 
(maxime  Theseu  Ovid  m.  VII  443,  andrerseits  Vergil  a.  V  414  magnum 
Aldden  u.  dergl.  oft).  Die  an  sich  ziemlich  belanglose  Entscheidung 
hängt  von  der  wichtigeren  Frage  ab,  wie  Vergil  sich  zu  einem  Sinnes- 
abschnitt vor  dem  sechsten  Fuß  stellt:  die  Prüfung  (s.  Anhang  11,  4,  4) 
empfiehlt  es,  magnum  nicht  in  den  folgenden  Vers  hinüberzuziehen, 
sondern  mit  cod.  M  nach  magnum  zu .  interpungieren.  —  Älcides,  zur 
Umgehung  der  im  Hexameter  unbrauchbaren  Formen  von  Hercules,  be- 
gegnet  füi-  uns   zuerst  bei  Vergil  b.  7,  61    und  bei  Horaz  od.  I  12,  25. 


158  KOMMENTAR 

Also  wurde  es  (s.  o.  z.  10  f.)  vermutlich  von  den  Neoterikern  aus  der 
alexandrinischen  Poesie  entlehnt,  wo  es  zur  Bezeichnung  des  Herakles 
in  der  Poesie  zuerst  nachweisbar  ist  (Kallim.  h.  Dian.  145,  vergl.  Usener 
Rh.  M.  LIII  1898,  337,  3).  Auch  die  Umschreibung  durch  das  adjek- 
tivische Herculeus  haben  für  uns  zuerst  Vergil  g.  II  66  und  Horaz  in 
den  Oden.  Älter  in  griech.  Poesie  ist  Amphithryoniades  belegt,  in  latei- 
nischer für  uns  wohl  zuerst  bei  CatuU  68,  112;  da  es  aber  Vergil  nur 
in  der  sachlich  und  sprachlich  stark  durch  Ennius  beeinflußten  Episode 
von  Hercules  und  Cacus  in  VIII  hat  (103.  214),  so  spricht  die  Wahr- 
scheinlichkeit dafür,  daß  wir  in  diesem,  den  halben  Hexameter  füllenden 
Worte  den  ennianischen  Ersatz  für  Hercules  zu  erkennen  haben.  — 
memorem.  Memorare  archaisierendes,  von  Vergil  sehr  oft  (vergl.  601.  699) 
nach  Ennius'  Vorbild  (a.  2  u.  ö.)  gebrauchtes  Wort,  wie  es  Sallust  gern 
nach  Cato  hat;  nominare  war  in  den  meisten  Formen  für  den  Daktyliker 
unbrauchbar:  vergl.  unten  441  nomine  dicimt  für  nominant,  g.  IV  272  nonien 
fecere  und  aen.  III  693  nomen  dixere  für  nominarunt-,  Lucrez  half  sich, 
wie  Wölfflin,  Arch.  f.  Lex.  IV  1887,  220f.  bemerkte,  mit  Formen  von 
nominitare;  appellare  ist  ebenso  beliebt  in  der  Umgangssprache  wie 
äußerst  selten  in  der  hohen  Poesie  (bei  Vergil  nur  V  540.  718).  — 
ab  love  summo  wegen  der  Art  des  Versschlusses  (s.  Anhang  IX)  möglicher- 
weise ennianische  Floskel  (lupiter  summe  Enn.  tr.  176),  die  hier  wirkungs- 
voll das  Gebet  beschließt. 

4.  Antwort  der  Sibylle  124—155.  Die  Rede  zerfällt  —  nach  den 
einleitenden  Worten  124  bis  125  vates  (3  KÖ|U)LiaTa)  und  vor  den  schließen- 
den 155  dixithisore  —  in  drei  Teile.  Erster  Teil  125  säte— 132:  Schwierig- 
keit der  KttiaßaCTic  (zweimal  TpiKouXov-fbiKUuXov).  Zweiter  Teil  133 — 136 
prius:  Das  Wagnis  knüpft  sich  an  Bedingungen  (ipiKOuXov,  das  erste  mit 
zwei,  das  zweite  mit  di*ei  KÖ|Li)uaTa).  Dritter  Teil  136  latet — 155:  Die 
Bedingungen:  a)  Erwerbung  des  Goldzweigs  136  latet — 148  (xpiKOüXov 
-f  2  biKuuXa  +  TpiKiüXov,  die  drei  letzten  KUjXa  mit  je  zwei,  das  viert- 
letzte mit  drei  KÖ)ii)aaTa),  b)  Beerdigung  des  Freundes  149 — 152 
(xpiKiJüXov,  das  erste  mit  drei,  das  zweite  und  dritte  mit  je  zwei 
KÖ|U)LiaTa),  c)  Opfer  für  die  Unterirdischen  153  (öikujXov),  d)  Schluß 
154 — 155  aspicies  (iliovökiuXov). 

124r  talihus  orabat  dictis  arasque  tenebat.  Die  beiden  ersten  Worte 
am  Versanfang  auch  IV  437.  X  96;  da  an  letzterer  Stelle  orare  alter- 
tümlich 'reden'  heißt  und  der  Zusammenhang  sowie  die  umgebende 
Phraseologie  ennianisches  Kolorit  haben,  so  wird  diese  Verbindung  aus 
Ennius  stammen  (nach  uuc  q)dTO,  s.  z.  547).  Das  gleiche  gilt  für  die 
sakrale  Phrase  arasque  tenebat  (vergl.  aras  tangere  XH  201 ,  wie  aras 
contingere  aet.  fratr.  Arv.  p.  34  Henzen),  die  sich  mit  der  anderen  ebenso 
vereinigt  findet  IV  219  talibus  orantem  dictis  arasque  tenentem-,  worauf 
gleich  das  ennianische  (audiit)  omnipotens  folgt.  Die  Phrase  ist  —  eine 
Bestätigung  dafür,  daß  nicht  Vergil  sie  prägte  —  in  unserm  Vers  nur 
mehr  floskelhaft  gebraucht:  es  handelt  sich  weder  um  ein  Opfer  (wie 
Xn  201),  noch  weiß  man,  wo  man  sich  diesen  Altar  stehen  denken  soll. 
Prinzipiell  steht  jedenfalls  der  Annahme,  daß  Vergil  einen  Vers  aus  zwei 
ennianischen  Hemistichien  kombinierte,  nichts  im  Wege:  s.  z.  445 ff.  — 
Über  das  pluralische  arae  s.  Anhang  V. 


VERS  121—125.  159 

125 — 32  Der  erste  Teil  der  Erwiderung  der  Sibylle  gehört  sach- 
lich zu  den  schwächsten  Partieen  dieses  Buches,  denn  er  enthält  eine 
Reihe  von  Widersprüchen,  die  ihrer  Natur  nach  schwerlich  bei  einer 
endgültigen  Redaktion  beseitigt  worden  wären.  Erstens  der  Gedanke 
dieses  Abschnitts  als  solcher.  Es  ist  der  bekannte  töttoc  von  dem  Wege, 
von  dem  es  keine  Wiederkehi*  gibt.  Aber  dieser  Gedanke  paßt  hier 
wenig,  wie  Conington  bemerkt  (vergl.  auch  A.  Gercke  in:  Neue  Jhb.  f.  d. 
kl.  Alt.  1901,  15).  Denn  bei  dem  allgemeinen  Menschenschicksal  ist 
freilich  facilis  descensus  Äverni  (126)  und  umgekehrt  operis  et  laboris 
plena  via  remeandi  (128  f.,  vergl.  135).  Aber  wenn  jemand  wie  Aeneas 
lebend  in  die  Unterwelt  dringen  will,  so  ist  der  descemus  nichts  weniger 
als  facilis:  tatsächlich  weist  ja  die  Sibylle  selbst  im  folgenden  (260ff.) 
den  Aeneas  auf  die  Gefahren  des  descensus  hin,  wie  überhaupt  weiterhin 
die  Vorstellung  von  der  Mühsal  und  Schwierigkeit  desselben  durchaus 
festgehalten  wird  (417fF.  461  ff.  534.  671.  688  ifer  durum).  Auch  sieht 
man  nicht  ein,  zu  welchem  Zweck  es  der  136  ff.  mitgeteilten  Vorbedin- 
gungen für  den  descensus  bedarf,  wenn  der  Zugang  zur  Unterwelt,  wie 
die  Sibylle  hier  (127)  sagt,  jedem  offen  steht.  Andrerseits  widerspricht 
auch  das,  was  hier  (128 ff.)  von  der  Schwierigkeit  der  Rückkehr  zum 
Licht  gesagt  wird,  der  Erzählung  von  dieser  Rückkehr  893  ff.,  wonach 
sie  ohne  irgendwelche  Schwierigkeit  vor  sich  geht.  —  Zweitens.  Aeneas 
hatte  109  die  Sibylle  gebeten:  sacra  ostia  pandas,  gemäß  der  Vorstellung, 
daß  die  Priesterin  der  'GKaTT]  KXrjboöxoc  abou  die  Schlüssel  zum  ver- 
schlossenen Tor  des  Hades  habe.  Wenn  die  Sibylle  nun  aber  ant- 
wortet 127  noctes  atque  dies  patet  atri  ianua  Ditis,  so  wird  mit  dieser 
vulgären  Vorstellung  jene  andere  wenig  angemessen  negiert.  —  Drittens 
(notiert  von  Deuticke).  Aeneas  hatte  119 ff.  gesagt:  „wenn  es  Orpheus, 
PoUux,  Theseus  und  Hercules  freistand,  in  den  Hades  zu  steigen  und 
von  dort  zurückzukehren,  warum  soll  das  mir,  einem  Abkömmling  Jupiters 
(wie  Pollux  und  Hercules),  verboten  sein?"  Die  Sibylle  sagt  mit  ihrer 
Erwiderung  129 ff.  „aus  dem  Hades  an  die  Oberwelt  hinaufzusteigen 
vermochten  nur  Göttersöhne"  dem  Aeneas  also  nicht  nur  nichts  Neues, 
sondern  etwas,  das  er  selbst  sogar  mit  Nennung  jener  Gottbegnadeten 
genauer  gesagt  hat.  —  Wir  haben  nun  hier  um  so  weniger  Berechtigung 
zur  Annahme,  daß  Vergil  diese  Inkonvenienzen  bei  endgültiger  Redaktion 
entfernt  haben  würde,  als  —  wie  schon  bemerkt  —  der  feierliche  Anfang 
der  Sibyllenrede  125  säte  sanguine  divom  den  Schluß  der  Rede  des 
Aeneas  et  mi  genus  ab  love  summo  aufnimmt,  beide  Reden  also  mit 
Bezug  auf  einander  konzipiert  \md  komponiert  worden  sind.  —  Besser 
als  der  Inhalt  ihrer  Worte  ist  das  Ethos,  mit  dem  die  Sibylle  redet: 
das  empfindet  man  wieder  bei  dem  Vergleich  mit  Ovid  (m.  XIV  108  ff.), 
der  sie  in  seiner  Nachbildung  auch  dieser  Pai-tie  (vergl.  oben  S.  147) 
mit  Antithesen  und  Wortspielen  tändeln  läßt;  dagegen  hat  Dante  Inf.  XTV 
87  f.  das  vergilische  Ethos  würdig  reproduziert. 

125  orsa  loqui  (==  562)  und  säte  sanguine  divom  sind,  wie  die 
archaische  Diktion  vermuten  läßt,  ennianisch.  Dem  zweiten  Ausdruck  ver- 
wandt ist  Vrn  36  0  säte  gente  deum  (wozu  das  schol.  Dan.  eine  Be- 
merkung macht,  die  darauf  schließen  läßt,  daß  Vergil  Phrasen  dieser 
Art  nicht   selbst  prägte)    und  V  45  genus  alto   a  sanguine  divom,   eine 


160  KOMMENTAR 

Floskel,  deren  ennianischer  Ursprung  unten  zu  500  {penus  alto  a  sangume 
Teucri)  wahrselieinlicli  gemacht  werden  wird.  Ganz  poetisch  auch  Livius 
XXXVIII  58,  7  non  sanguine  humano  sed  stirpe  divina  satum.  —  126  Über 
das  Schwanken  der  Hss.  zwischen  Anchisiade  und  ÄncMsiada  s.  An- 
hang VI  2.  —  facilis  descemus  Äverno  M  (est  in  M^  interpoliert,  vergl. 
die  Varianten  133.  719.  721),  f.  d.  Ävern-e-  P,  f.  d.  Äverni  R,  beide  La. 
notiert  Servius,  aber'  zugunsten  von  -i  (Äverni,  legitur  et  Averno).  Die 
Editoren  schreiben  wohl  sämtlich  mit  M  Averno,  fraglich  ob  mit  Recht, 
denn  Vergil  braucht  nach  den  Sammlungen  von  Fr.  Antoine,  De  casuum 
syntaxi  Vergiliana  (Paris  1882)  149  ff.  sonst  keinen  Dativ  bei  einem 
Verbalsubstantiv  der  Bewegung  (Averno  i.  e.  ad  Avernum  Serv.);  auch 
müßte  Avernus  dann  hier  allgemein  'die  Unterwelt'  bedeuten,  und  das 
ist  nicht  recht  wahrscheinlich  in  einer  Szene,  die  wie  die  vorliegende  in 
der  Nähe  des  lacus  Avernus  spielt  (vergl.  126  f.  descensus  Averni  bez. 
Averno  —  atri  ianua  Ditis  ^^  106  f.  inferni  ianua  regis  —  tenehrosa 
palus  d.  i.  eben  der  Avernersee).  Also  ist  vielleicht  descensus  Averni 
richtiger,  d.  h.  ^der  Abstieg  am  Avernus'  (vergl.  Plinius  n.  h.  XVI  110 
descensus  speluncae). 

127  ff.  noctes  atque  dies  =  Lucr.  H  12.  III  62  (W.  Ribbeck),  wohl 
ennianisch,  s.  z.  556  noctesque  diesque,  und  über  das  spondeische  Wort 
im  1.  Fuß  Anhang  VIII.  —  ianua  Ditis:  Lucr.  I  1112  ianua  Leti.  — 
paud  quos  aequus  amavit  \  Jupiter  vergl.  hymn.  in  Cer.  487  f.  )u^y'  öXßioc 
övTiv'  CKeivai  (m  Geai)  |  irpocppoveujc  9iX(JuvTai.  Die  Worte  wurden 
geflügelt:  Plin.  ep.  I  2,  2  vim  tantorum  virorum  'pauci  quos  aequus  amavif 
adsequi  possuM.  —  dis  geniti  biOTeveic.  —  130  evexit  ad  aethera  virtus. 
Der  hyperbolische  Ausdruck  (vergl.  C.  Weyman  in  den  Blatt,  f.  d.  Gym- 
nasial-Schulwesen  XXXVIII  1902,  227)  läßt  in  Verbindung  mit  dem  in 
archaischer  Poesie  öfters  als  in  der  vergilischen  gebrauchten  trochaeischen 
Einschnitt  nach  dem  vierten  Trochaeus  (s.  Anhang  VII  B  2  b)  die  Möglich- 
keit einer  Anlehnung  an  ältere  Poesie  erwägen;  ähnlich  III  158  venturos\ 
tollemus  I  in  astra  nepotes  mit  deutlicher  Reminiszenz  an  das  berühmte 
ennianische  tollere  in  caerula  caeli  templa  (a.  66).  —  131  f.  Die  Rück- 
kehr nach  oben  ist  schwer,  denn  tenent  media  omnia  silvae  \  Cocytusque 
sinu  Idbens  circumvenit  atro  im  Gedanken  und  in  einzelnen  Worten 
weniger  nahe  verwandt  mit  X  155 ff.  xc^efTÖv  be  xdbe  IwovOiv  opcicrGai  | 
ILieaduj  föp  iLieTotXoi  iroTaiLioi  Kai  beivd  pee6pa  als  mit  Aristoph. 
Ran.  46 9 ff.,  wo  der  Torwart  des  Hades  zu  Dionysos-Herakles  sagt: 
vOv  e'xei  iixecToc'  Toia  Xtutöc  (Je  .  .  .  Trexpa  'Axepövxiöc  xe  (TKÖTreXoc  .  .  . 
qppoupoOai  KujKUToO  le  ...  Kuvec.  Wahrscheinlich  sind  die  innerhalb 
der  überhaupt  späten  homerischen  Nekyia  besonders  jungen,  schon  von 
den  alten  Kritikern  als  Interpolation  ausgeschiedenen  Verse  von  X,  Aristo- 
phanes  und  Vergil  von  einer  uns  verlorenen  KaraßaCTic  (vermut- 
lich 'HpaxXeouc,  s.  z.  260.  309ff.  384ff.)  abhängig;  aus  derselben 
Quelle  wie  Aristophanes  die  'Hunde  (Erinyen)  des  Kokytos'  wird  Vergil 
auch  unten  374f.  den  'Strom  der  Eumeniden',  nämlich  eben  den  Cocytus, 
kennen.  —  Über  das  Schwanken  der  Hss.  zwischen  Gocytos  und  Cocytus 
s.  Anhang  VI  1. 

133  ff.  Der  mittlere  Teil  der  Rede  (bis  136  prius)  ist,  je  geiingeren 
Umfang  er  hat,  um  so  kunstvoller  in  der  Diktion;  eTravaqpopai :  si  tan- 


VERS  125—136.  161 

tus — si  tanta,  bis — bis,  ojaoiOKaTapKTOv:  msano — mdulgere  (besonders 
stark  durch  Accentuation  der  gleichen  Silben,  vergl.  II  84.  93;  außerdem 
erhält  indulgere  durch  den  Rhythmus  großen  Nachdruck,  s.  z.  29),  icTÖ- 
kujXov  (vergl.  Anhang  II  3):  Stygios  innare  lacus  =  nigra  videre  Tartara 
(je  8  Silben).  —  amor  .  .  .  ciipido,  innare  .  .  .  videre.  Ermöglicht  wurde 
diese  Konstruktion  für  lateinisches  Empfinden  dadurch,  daß  amor  (cupido) 
est  dem  Sinne  nach  mit  iuvat,  libet  u.  dergl.  zusammenfiel  (Wölfflin, 
Arch.  f.  Lex.  XI  1900,  505  f.).  Das  älteste  Beispiel  Ennius,  Medea  fr.  III 
cupido  cepit  miscram  nunc  me  proloqui  ist  bezeichnenderweise  eine  Über- 
setzung aus  dem  Griechischen  (Eurip.  Med.  5  7  f.  uj(J0'  ijuepoc  |U0UTrfiX9e  ,  .  . 
XeHai,  notiert  von  J.  Schaf  1er,  Die  syntaktischen  Gräzismen  etc.,  Am- 
berg 1884,  75).  Nach  Ennius  hat  diese  Freiheit  wohl  erst  Vergil  wieder, 
und  zwar  besonders  da,  wo  das  Gerundium  metrisch  imbrauchbar  war, 
wie  II  10  f.  amor  .  .  .  cognoscere  .  .  et  audire  (vergl.  Köne  15).  —  si 
tanta  cupido  stilistische  Variation  (mit  leichter  Steigerung)  für  das 
vorangehende  si  tantus  amor,  wie  gleich  bis  nigra  videre  Tartara  von 
bis  Stygios  innare  lacus  (s.  z.  25).  —  bis  Stygios  innare  lacus,  bis  nigra 
videre  \  Tartara  nach  |n  21f.  (TxeTXioi  o'i  JÜuuovxec  uTTriXGexe  bujju'  'Aibao  ] 
bi(T9aveec  (ürsinus).  —  innare  c.  acc.  nicht  vor  Vergil,  vergl.  369  u.  ö.; 
hier  steht  innare  lacus  wie  in  sachlichem  so  in  formalem  Parallelismus 
mit  videre  Tartara  (s.  Anhang  11  3).  —  135  Tartara  aus  metrischer 
Bequemlichkeit  im  Nom.  und  Acc.  bei  Vergil  13  mal  (neben  einmaligem 
TaHarus  unten  577);  für  den  überhaupt  unbrauchbaren  Gen.  und  Dativ 
läßt  er  Erebi,  Erebo  (unten  247.  g.  IV  471)  oder  das  Adjektiv  Tartareus 
(unten  zu  295)  eintreten,  vergl.  Köne  31.  37.  Tartara  ist  für  uns  zuerst 
bei  Lucr.  nachweisbar,  wird  aber  früherer  Poesie  angehören,  da  solche 
Metaplasmen  älter  zu  sein  pflegen  (Lucr.  V  1126  Tartara  taetra  mit  echt 
ennianischer  Paronomasie  und  einem  in  feiner  Poesie  unbeliebten  Adjektiv). 
—  insano  iuvat  indulgere  labori  ^^  II  776  i.  i.  i.  dolor i.  Da  letztere 
Worte  in  einer  Umgebung  ennianischen  Kolorits  stehen,  so  wird  Vergil 
bloß  das  Schlußwort  variiert  haben.  Auch  die  starke  Alliteration,  die 
Gravität  des  Rhythmus  Tind  der  sachlich  für  die  vorliegende  Situation, 
wie  bemerkt  (S.  159),  nicht  recht  passende  Gedanke  sind  Instanzen  für 
Entlehnung  der  Phrase  aus  älterer  Poesie. 
136  ff.    Hier  beginnt  die 

Episode  vom  goldnen  Zweig, 
dessen  Besitz  den  Zutritt  zur  Unterwelt  ermöglicht.  Aeneas  bemächtigt 
sich  seiner  in  einem  Hain  am  Avemus  (187 ff.),  wo  er  einer  Mistel 
gleich  an  einer  Steineiche  wächst,  beschwichtigt  durch  ihn  den  Groll  des 
Charon  (405  ff.)  und  heftet  ihn  an  die  Pforte  des  Palastes  der  Perse- 
phone  (630 ff.),  für  die  er  als  Geschenk  bestimmt  ist  (142.  632).  Dieses 
märchenhafte  Motiv  ist  uns  sonst  nicht  überliefert  (so  wenig  wie 
das  meiste  von  dem  Märchenhaften  Trepi  tdiv  ev  abou,  das  Apuleius 
met.  VI  19  zu  berichten  weiß);  schon  Comutus  wußte  nichts  Besseres, 
als  es  für  eine  Fiktion  Vergils  zu  erklären  (Macrob.  V  19,  2,  vergl. 
Serv.  z.  HI  46.  IX  81).  Das  auch  für  uns  nicht  mehr  völlig  lösbare 
Problem  soll  nach  folgenden  Gesichtspunkten  erörtert  werden:  1.  Welche 
Vorstellungen  liegen  zugrunde?  2.  Schöpft  Vergil  aus  schriftlicher  Über- 
lieferung?   3.  Läßt  sich  diese  bestimmen? 

Vergil  Buch  VI,  von  Norden.  11 


162  KOMMENTAR 

1.  Für  die  Beantwortung  der  ersten  Frage  war  entscheidend,  daß 
J.  Grimm,  Deutsche  Myth.  11'^  (Berlin  1876)  1009,  III*  354  (und  unab- 
hängig davon  H.  Keck,  Jahrb.  f.  Phil.  1878,  792 ff.)  auf  Vers  205 fif.  hin- 
wies, wo  der  goldene  Zweig  mit  der  Mistel  verglichen  wird;  dadurch 
ist  die  Sphäre  gegeben,  innerhalb  welcher  die  Untersuchung  sich  zu  be- 
wegen hat:  Grimm  selbst  hat  viel  Material  für  den  weitverbreiteten,  an 
den  Mistelzweig  anknüpfenden  Aberglauben  bei  Germanen  und  Kelten 
beigebracht.  Mit  teilweiser  Benutzung  desselben  werden  wir  zu  unter- 
suchen haben,  was  daraus  für  Vergil  zu  lernen  ist. 

a)  Zunächst  ist  zu  betonen,  daß  Vergil  den  goldnen  Zweig  mit  der 
Mistel  bloß  vergleicht.  Haben  wir  also  überhaupt  die  Berechtigung, 
die  an  die  Mistel  sich  anschließenden  abergläubischen  Vorstellungen  für 
die  Exegese  Vergils  zu  verwerten?  Diese  Frage  muß  bejaht  werden. 
Denn  ein  Gleichnis  auf  mythischem  Gebiet  bedeutet  hier  wie  oft  das 
Herabsinken  einer  Vorstellung  von  der  höchsten  Stufe,  auf  der  zwei  Be- 
griffe sinnlich  in  einander  geschaut  werden,  zu  der  tieferen,  auf  der  sie 
bereits  verstandesmäßig  auseinandergelegt  und  bloß  mehr  verglichen 
werden:  ein  Prozeß,  der  so  alt  ist  wie  unsere  frühsten  mythologischen 
Urkunden  und  für  den  Vergil  selbst  noch  andre  Beispiele  bietet.  So 
wird  Od.  b  121  f.  Helena  mit  Artemis  verglichen;  in  Wahrheit  ist  jene 
eine  Hypostase  dieser  (vergl.  S.  Wide,  Lakon.  Culte,  Leipz.  1893,  174  f.). 
Ebendort  i  191  f.  wird  Polyphem  mit  einer  ragenden  Bergesspitze  ver- 
glichen; tatsächlich  sind  die  Kyklopen,  oi  y'uijiriXujv  öpeujv  vaioucTi  KCtpriva 
(113,  vergl.  400)  und  Felsblöcke  schleudern  (481  f.),  Personifikationen 
der  vulkanischen  Gebirge,  wie  schon  die  Alten  wußten.  Bei  Nikandros 
(fr.  im  schol.  Nik.  Ther.  460)  tanzen  die  bpuec  oTd  re  Trap9eviKai;  viel- 
mehr sind  die  Bäume,  d.  h.  die  in  ihnen  wohnenden  Nymphen,  selbst 
TTttpeevoi  (Pausan.  VIII  24,  7,  vgl.  Mannhardt  1.  c.  [S.  167]  19).  Bei  Verg. 
V  5 22 ff.  ist  das  brennende  Geschoß,  das  mit  einem  Meteor  verglichen 
wird,  eigentlich  selbst  ein  Meteor  (ßoXri);  VI  311  ff.  werden  die  Seelen 
mit  Vögeln  verglichen:  in  Wahrheit  sind  sie  Vögel,  wie  aus  griechischer 
Literatur  und  Kunst  (vergl.  Eohde,  Psyche  11^  371,  2),  sowie  aus  der 
gleichen  Vorstellung  anderer  Völker ■'^)  bekannt  ist;  vergl.  ferner  unten 
z.  282 ff.  Ein  Beweis  für  solches  Auseinanderlegen  mythologischer  Vor- 
stellungen mag  endlich  noch  aus  einem  anderen  Kulturkreis  angeführt 
werden.  Die  Inder  dachten  sich  ihren  Weltheiland  mit  einem  Schwerte 
kommen,  das  'wie  ein  Komet'  strahlen  werde;  aber  bei  den  Persem  ist 
es  ein  Komet  selbst  (bei  den  Christen  eine  besonders  auffällige  Planeten- 
konjunktur), der  sein  Erscheinen  begleitet  (vergl.  H.  Luken,  Traditionen 
des  Menschengeschlechts,  Münster  1856,  320.  364). 


1)  Vergl.  Grimm  1.  c.  690 ff.;  J.  Zemmrich,  Toteninseln  (Leiden  1891)  20; 
E.  Samter,  Familienfeste  (Berlin  1901,  6,  1).  Ich  füge  den  uns  erreichbar 
ältesten  Beleg  hinzu:  Höllenfahrt  der  Istar,  eine  altbabylonische  Beschwörungs- 
legende ed.  A.  Jeremias  (München  1886)  9:  „nach  dem  Lande  ohne  Heimkehr, 
nach  dem  Hause  der  Finsternis  |  ...  da  Licht  sie  nicht  schauen,  in  Finsternis 
wohnen,  |  da  sie  gekleidet  sind  wie  Vögel  in  ein  Flügelgewand."  —  Auch  der 
Verfasser  von  Od.  tu  5 ff.  vergleicht  bloß  noch  die  Seelen  mit  Vögeln,  woraus 
E.  Rieß,  Rhein.  Mus.  XLIX  (1894)  189  f.  richtig  auf  ursprüngliche  Identität 
schließt. 


VERS  136  ff.  163 

b)  Das  Altertum  hat  die  Mistel  zu  den  repaia  gerechnet.  Als 
Te'pac  bezeichnete  sie  das  Volk  nach  Theophrast  de  caus.  pl.  II  17.  Als 
solches  muß  sie  auch  behandelt  gewesen  sein  von  Alexander  Polyhistor, 
aus  dem  Plinius  n.  h.  XIII  119  die  Notiz  übernimmt,  daß  das  viscum 
gegen  Wasser  und  Feuer  gefeit  sei:  denn  diese  Nachricht  des  Polyhistor 
kann,  ihrem  Charakter  nach  zu  urteilen,  wohl  nur  in  seiner  öaujuaCTiUJV 
(TuvaTOiTil  gestanden  haben,  in  der  er  nach  Photios  bibl.  cod.  188  auch 
TepaTuubri  Kai  dmcrTa  irepi  qpuTuJv  behandelte.  Auch  der  Vergilinterpret 
Donatus  nennt  sie  zu  208  f.  miraculum. 

c)  Was  gab  nun  Anlaß  zu  dieser  Vorstellung  der  Mistel  als  xepac? 
Sie  sprießt  ohne  Zusammenhang  mit  dem  Erdboden  und  scheinbar  ohne 
Samen  aus  dem  Baum:  Vergil  206  quod  (viscum)  non  sua  seminat  arbos, 
Theophrast  1.  c.  Sie  hat  femer  eine  für  das  Leben  des  Baumes  ver- 
nichtende biJva)Liic:  Theophr.  ib.  V  15,  4  f]  iHia  boKei  Kai  öXuüc  TOt 
eiLißXacTTdvovTa  cpGeipeiv.  Sie  wächst  endlich  —  und  das  ist  für  diese 
Untersuchung  von  besonderer  Wichtigkeit  —  im  Winter,  wenn  die  übrige 
Natur  ihren  Todesschlaf  hält.  Denn  Winter  und  Tod  sind  für  mythisches 
Denken  eins:  ein  Völkergedanke,  den  ein  Orakel  aus  der  Zeit  um 
Chr.  Geb.  (bei  Labeo-Macrobius  sat.  I  18,  19)  schlagend  in  die  Worte 
zusammendrängt:  „der  höchste  Gott  heißt  im  Winter  Hades". 

d)  Demgemäß  finden  wir  die  Mistel  in  mehreren,  von  Grimm  an- 
geführten Sagen  in  Verbindung  mit  der  Unterwelt  gesetzt.  Im  ger- 
manischen Mythus  tötet  Loki  den  Baidur  durch  einen  Mistelzweig,  d.  h. 
die  Finsternis  des  Winters  überwindet  durch  höllischen  Zauber  den 
Lichtgott  des  Frühlings.  Nach  einigen  Stellen  der  älteren  Edda  hat 
Loki  den  Mistelzweig,  der  die  Unterwelt  öffnet,  am  Höllentor  gebrochen, 
wie  Aeneas  am  Avernersee,  wo  die  inferni  ianua  regis  (106)  ist.  Auch 
bei  den  Kelten,  denen  die  Mistel  vor  allen  heilig  galt  (Plinius  XVI  249 ff.), 
erschloß  sie  die  Unterwelt  (vergl.  Grimm). ^) 

e)  Auch  der  Aberglaube,  daß  die  Mistel  nicht  mit  einem  eisernen 
Instrument  abgeschnitten  werden  darf  (Vergil  148),  ist  ein  altes  Motiv, 
das  wir  nicht  bloß  in  der  von  Grimm  angeführten  germanischen  Vor- 
stellung, wonach  sie  mit  einem  Stein  abgeschlagen  werden  muß  ^),  wieder- 
finden, sondern  auch  in  der  Notiz  des  Plinius  XXIV  12,  daß  das  viscum, 
ohne  Eisen  von  einer  Eiche  gewonnen,  die  Epilepsie  heile.  Die  Dämonen 
fürchten  das  Eisen  (als  eine  Errungenschaft  der  Kultur):  der  Zauber 
würde  also  bei  dem  Gebrauch  von  Eisen  durch  Gegenzauber  aufgehoben 
werden;  s.  z.  2 60 ff. 

f)  Wir  sahen  (unter  c),  daß  die  Mistel  wegen  ihres  Blühens  im 
Winter  als  ein  Symbol  des  Todes   gelten  mußte.     Aber   Tod  und  Leben 


1)  Nach  Grimm  soll  sie  keltisch  'pren  purawr'  d.  i.  'Baum  des  reinen 
Goldes'  genannt  worden  sein.  Das  wäre  ja  eine  schlagende  Analogie  zu  Vergils 
'goldnem  Zweige'.  Aber  wie  mir  H.  Zimmer  mitteilt,  ist  die  Beziehung  jenes 
Ausdrucks  auf  die  Mistel  unsicher,  und  darf  höchstens  als  eine  mögliche  Ver- 
mutung gelten. 

2)  Vergl.  A.  Kuhn,  Herabkunft  des  Feuers  (Berlin  1859)  231  f.:  „Noch  heute 
heißt  es  gewöhnlich,  die  Pflanze  (nämlich  die  Mistel)  nvüsse  gepflückt,  dürfe 
nicht  geschnitten  werden;  in  Schweden  glaubt  man,  daß,  wenn  die  Mistel  ihre 
gehörige  Kraft  haben  soll,  sie  von  der  Eiche  herabgeschossen  oder  mit  Steinen 
herabgeschlagen  werden  müsse." 

11* 


164  KOMMENTAR 

sind  für  mytliisclies  Denken  nicM  immer  Gegensätze,  sondern  tonnen 
eine  Einheit  bilden.  Denn  die  Natur  stirbt  nur,  um  wieder  aufzuleben: 
Dionysos  ist,  mit  Heraklit  zu  reden,  derselbe  wie  Hades'  und  doch 
zugleich  der  Gott  des  Frühlings,  So  war  die  Mistel  auch  umgekehrt 
ein  Symbol  des  Lebens.  Denn  ihre  immergrünen  Blätter  schienen  dem 
sinnenden  Menschen  die  feste  Hoffnung  zu  geben,  daß  die  Vegetation 
von  neuem  erstehen  werde,  und  so  gewissermaßen  das  Leben  in  der 
winterlichen  Todesnacht  zu  repräsentieren^);  immergrün  ist  auch  der 
Baum,  auf  dem  sie  hier  wächst,  die  ilex  (209),  auch  sie  den  Mächten 
der  Unterwelt  heilig.^)  Wer  also  diese  wunderbare  Pflanze  in  seinen 
Besitz  zu  bringen  weiß,  der  wird  dadurch  Herr  über  den  Tod.  Das 
muß  die  zugrundeliegende  Vorstellung  sein,  wenn  wir  bei  Vergil  lesen, 
daß  Charon  denjenigen  zu  Willen  ist,  die  ihm  die  Mistel  zeigen:  sie  be- 
zwingen eben  den  Dämon  des  Todes.  Und  wenn  wir  weiterhin  lesen, 
daß  Aeneas  den  Zweig  der  Persephone  zum  Geschenk  macht  ^),  so  ver- 
stehen wir  jetzt  den  Sinn,  der  darin  liegt:  Persephone  ist  die  Göttin  der 
Tiefe,  die  das  Leben  nicht  bloß  als  Todesgöttin  tilgt,  sondern  als  Vege- 
tationsgöttin auch  von  neuem  hervorsprießen  läßt  (ßiobujTic);  ihr  gehört 
also  in  Wahrheit  zu  eigen  jenes  Symbol,  das,  wie  die  Göttin  selbst,  die 
Kräfte  des  Lebens  und  Todes  in  sich  vereinigt  und  ihr  die  Wiederkehr 
zimi  Lichte  des  Tages  gewährleistet.  Sind  diese  Ausführungen  richtig, 
so  fällt  ein  besonderes  Licht  auf  den  Vers  (205),  in  dem  der  Dichter 
von  der  Mistel  sagt,  sie  kleide  sich  brumali  frigore  mit  neuem  Grün.*) 


1)  Vergl.  J.  Murr,  Die  Pflanzenwelt  in  der  griech.  Mythologie  (Innsbruck 
1890)  118:  „Wie  alle  immergrünen  Bäume,  eigneten  sich  insbesondere  auch  die 
Nadelhölzer  für  die  Vorstellung  der  immerwährenden  Fortdauer  des  Lebens  .  .  . 
und  konnten  so  leicht  zu  den  Unterirdischen  in  Beziehung  gesetzt  werden"; 
vergl.  ib.  195  über  die  'Immortelle'  (^Xixpvjcfoc  oder  xpoadvGeiuov),  die  schon 
im  Altertum  „wegen  der  Dauerhaftigkeit  und  Unverwelklichkeit  der  goldfarbigen 
Blütenköpfchen  zur  Bekränzung  der  Gräber  verwendet  wurde."  Eine  Analogie 
aus  einem  andren  Kulturkreise  bei  Fr.  Delitzsch,  Wo  lag  das  Paradies?  (Leipzig 
1881)  91 :  „Der  heilige  Baum,  welcher  bei  den  Babyloniern  wie  bei  den  Assyrern 
eine  so  große  Rolle  spielt  .  .  . ,  erweist  sich  als  Baum  des  Lebens,  der  Unsterb- 
lichkeit. Ob  ihm  eine  Pinie  oder  Cypresse  zu  Grunde  liegt,  läßt  sich  schwer 
entscheiden,  jedenfalls  eine  immergrüne  Art."  In  dem  genannten  vortrefflichen 
Buche  Murr's  ist  die  Mistel  leider  nicht  mitbehandelt. 

2)  Vergl.  Murr  1.  c.  11:  „Die  Steineiche  mit  ihren  dunklen,  immergrünen 
Blättern  wurde  frühe  zum  Trauerbaume  .  .  .  wie  die  Cypresse."  Zu  den  dort 
angeführten  Belegen  kommt  noch  Culex  140,  wo  die  ilex  neben  der  non  laeta 
cupressus  genannt  ist.  Von  der  Cypresse  sagt  Seneca  Oed.  632  f.  cupressus  . . . 
virente  semper  trunco  und  Statins  Theb.  VI  92  (99)  briimae  inlaesa.  Was  aber 
mag  es  mit  der  XeuKi^  Ku-rrdpiaooc  für  eine  Bewandtnis  haben,  die  nach  der 
Aufschrift  eines  der  unteritalischen  Goldtäfelchen  (IGSi  641)  im  Hades  bei  einer 
Quelle  steht? 

3)  Vergl.  munus  142,  donum  632.  Der  Zweig  wird  von  Aeneas  vom  auf 
der  Schwelle  des  Palastes  der  Persephone  festgeheftet  (636  ramum  adverso  in 
limine  figit).  E.  Maaß,  Orpheus  (München  1895)  207,  1  vergleicht  mit  dieser 
symbolischen  Handlung  wohl  richtig  den  für  Griechenland  und  Rom  bezeugten 
Brauch,  Tannen-,  Pinien-  und  Cypressenschößlinge  um  das  Wohnhaus  auf- 
zupflanzen; vergl.  auch  Murr  1.  c.  119.  125,  6. 

4)  Vergl.  Seneca. in  der  großen  iuaYini*)  upaHic  der  Medea  714 — 716:  Medea 
pflückt  (quodcumque  tellus  vere  nidifico  creat)  |  aut  rigida  cum  iam  bruma  dis- 
ciissit  decus  |  nemorum  et  nivali  euncta  constrinxit  gelu,  nämlich  eben  das  vis- 
cum,  das  er  in  affektiert  rhetorischer  Manier  statt  mit  Namen  zu  neimen  bloß 


w* 


YERS  136  ff.  165 

Wir  werden  hrumalis  ganz  eigentlich  (nicht  allgemein  =  Memalis)  ver- 
stehen dürfen:  die  hruma,  die  Zeit  der  Wintersonnenwende,  ist  der  Tag, 
an  dem  der  Dämon  des  Todes  und  der  Finsternis,  mit  seinem  höllischen 
Heer  am  Himmel  dahintosend,  den  Genius  des  Lichts  zu  vernichten  sucht, 
der  aber  als  Sieger  aus  dem  Kampf  hervorgeht  und  nun  von  Tag  zu 
Tag  herrlicher  erstrahlt.  Die  hruma  fiel  nach  cäsarischem  Kalender  auf 
den  25.  Dezember  (vergl.  Plinius  n.  h.  XVHI  221,  W.  Tomaschek  in  den 
Sitzungsber.  d.  Wien.  Ak.  LX  1868,  359 ff.,  Mommsen  zum  CIL  I^  p.  288), 
also  einen  Tag,  den  auch  der  heidnische  Germane  mit  abergläubischer 
Scheu  heilig  hielt  ^),  lange  bevor  ihn  die  christliche  Kirche  übernahm 
und  weihte  als  den  Tag,  an  dem  zum  erstenmal  die  Finsternis  er- 
leuchtet ward  vom  Lichte  Christi,  des  Herrn  über  Leben  und  Tod,  der 
wie  Dionysos,  Herakles  und  Orpheus,  die  hellenischen  (TiUTfipec,  auch 
seinerseits  zur  Hölle  niedergefahren  war  und  ihre  Schrecken  überwunden 
hatte.  Wenn  es  also  in  unserm  schönen  alten  Weihnachtsliede  heißt: 
„Es  ist  ein  Eeis  entsprungen  aus  einer  Wurzel  zart  .  .  .,  und  hat  ein 
Blümlein  bracht  mitten  im  kalten  Winter",  so  reproduziert  der 
unbekannte  Dichter  dieses  Liedes  dieselbe  Vorstellung,  die  dem  hrumale 
frigus  Vergils  zugrunde  liegt  ^)  und  die  der  Weihnachtsbrauch  noch 
heutigen  Tages  mit  der  Mistel  in  England  und  anderwärts^)  verbindet, 
g)  Die  vorgetragenen  Momente  düi-fen  teils  als  sicher,  teils  als 
in  hohem  Grade  wahrscheinlich  gelten,  während  die  Hypothesen  von 
W.  Schwartz,  Indogerman.  Volksglaube  (Berlin  1885)  64ff.*)  imd^.  Frazer, 
The  golden  bough  11^  (London  1900)  S.  449  ff.  keine  Beweiskraft  haben. 
Auch  die  Kombinationen,  die  A.  Jacobsson,  In  necyiam  Virgilianam  studia 
nonnulla  (üpsala  1895)  durch  Vergleich  mit  einem  isländischen  Mythus 
anstellt,  sind  haltlos,  da  sie,  wie  mir  0.  Jiriczek,  der  erste  Kenner  der 
nordischen  Sagen,  mitteilte,  auf  einer  noch  dazu  unwahrscheinlichen  Text- 
konjektur beruhen.^) 


umschreibt  wie  sämtliche  anderen  von  ihm  in  dieser  Scene  genannten  Kräuter. 
Da  Seneca  hier  sachlich  von  Vergil  unabhängig  ist,  so  darf  er  als  selbst- 
ständiger  Zeuge  gelten. 

1)  Das  hat  freilich  A.  Tille,  Gesch.  der  deutschen  Weihnacht  (Leipz.  1893) 
und:  Jule  and  Christmas  (London  1899)  zu  bestreiten  gesucht,  aber  Fr.  Vogt, 
Die  schlesischen  Weihnachtsspiele  (Leipz.  1901)  88 ff.  hat  nachgewiesen,  daß 
die  traditionelle  Auffassung  zu  Recht  besteht. 

2)  Die  hruma  (25.  Dez.)  entspricht  genau  unserm  'Mittwinter,'  denn  sie 
fällt  mitten  zwischen  Wintersanfang  (Frühuntergang  der  Plejaden  am  11.  Nov.) 
und  Wintersende  (Eintritt  des  Zephyr  am  8.  Febr.):  vergl.  Plinius  n.  h.  XVIII  222. 

3)  Eine  interessante  Überlieferung  aus  Deutsch-Mähren  bei  Vogt  1.  c.  56: 
dort  wird  der  Mistelzweig  kombiniert  mit  dem  Tannenbaum,  der  in  Deutschland 
sonst  die  Mistel  verdrängt  hat. 

4)  Doch  verdient  folgende  Analogie  Erwähnung,  die  Schwartz  1.  c.  83  f.  für 
die  verg.  Worte  146  ff.  namque  ipse  (der  goldne  Zweig)  volens  facilisque  sequetur, 
I  si  te  fata  vocant:  aliter  non  viribus  ullis  (  vincere  nee  duro  poteris  convellere 
ferro  aus  einer  Sage  von  der  Springwurzel  anführt:  „Sie  floh  vor  den  Menschen 
und  keiner  hat  sie  jemals  gebrochen,  es  sei  denn,  daß  er  von  der  Vor- 
sehung ausdrücklich  dazu  bestimmt  gewesen  wäre." 

5)  Dagegen  sei  wenigstens  anmerkungsweise  auf  die  Analogie  in  dem 
ältesten  uns  bis  jetzt  bekannten  Mythus  hingewiesen:  in  dem  altbabylonischen 
Epos  von  Izdubar  (Nimrod,  Gilgames)  findet  sich  nach  der  Analyse  und 
Übersetzung  von  A.  Jeremias   (in  Roschers  Lexik,  d.  Myth.  11  773  ff.)  folgende 


7.^. 


166  KOMMENTAR 

2.  Wir  kommen  zur  zweiten  Frage:  liat  Vergil  diesen  Volksglauben 
zuerst  aufgegriffen  und  literarisch  verwertet?  Es  mag  gleich  bemerkt 
werden,  daß  wir  hier  ohne  Vermehrung  unseres  Materials  keine  absolut 
sichere  Antwort  zu  geben  in  der  Lage  sind,  doch  müssen  wir  versuchen, 
die  Möglichkeiten  gegen  einander  abzuwägen. 

a)  Dem  Cornutus  war  nach  seiner  anfangs  erwähnten  Bemerkung 
kein  literarischer  Gewährsmann  bekannt,  aber  ich  würde  daraus  nicht 
(z.  B.  mit  R.  Ehwald  im  Philologus  LIII  1894,  734ff.)  zu  schließen 
wagen,  daß  es  einen  solchen  nicht  gegeben  habe.  Denn  auch  die  Vor- 
stellung von  der  Locke,  die  der  sterbenden  Dido  abgeschnitten  werden 
muß,  bevor  sie  in  den  Hades  eingehen  kann  (IV  698  ff.),  erklärte  der- 
selbe Cornutus  (nach  Macrobius  1.  c.)  für  poetische  Erfindung  Vergils, 
wogegen  schon  derjenige  alte  Exeget,  dem  Macrobius  diese  Nachricht 
entnahm,  auf  Euripides'  Alkestis  7 3  ff.  verwiesen  hat.  Unter  die  ßgmenta 
poetica,  deretwegen  Vergil  getadelt  wurde,  fiel  nach  Servius  zu  III  46 
auch  die  Erzählung  von  Polydorus  (III  22 ff.):  dieser  war  von  Lanzen 
überschüttet  worden,  die  nun  als  Zweige  aus  seinem  Grabe  wachsen  und 
bluten,  als  Aeneas  sie  losreißen  will.  Nun  aber  werden  von  neueren 
Erklärern  für  die  Idee  Stellen  aus  Ovids  Metamorphosen  (besonders 
II  358ff.)  angeführt,  die  sicher  nicht  aus  Vergil,  sondern  aus  Ovids 
griechischer  Quelle  stammen.  Also  müssen  wir  schließen,  daß  Vergil 
ein   in   hellenistischen  Verwandlungssagen   (vergl.  Apollon.  Eh.  III  8 65  f.) 


Scene.  Der  Held  ist  in  die  Unterwelt  gestiegen  und  möchte  wieder  ans  Licht 
gelangen.  Da  wird  ihm  der  Bescheid,  er  müsse  zuerst  die  Wunderpflanze 
(„ähnlich  dem  Stechdorn")  erbeuten.  Das  gelingt  ihm,  er  kommt  mit  der 
Pflanze  zu  dem  Fährmann  der  Toten  und  spricht  zu  ihm:  „Diese  Pflanze  ist 
die  Pflanze  der  Verheißung,  durch  welche  ein  Mensch  sein  Leben  erlangt." 
Nun  geht  die  Fahrt  los,  aber  die  Pflanze  wird  ihm  von  einem  Dämon  der  Tiefe 
geraubt  [d.  h.  also:  schon  dieser  uralte  Mythus  ist  —  wie  für  andere  Teile 
schon  von  anderen  nachgewiesen  worden  ist  —  kontaminiert,  denn  das  Motiv 
wird  fallen  gelassen  und  ist  zwecklos,  da  der  Held  auf  andere  Weise  an  die 
Oberwelt  gelangt].  —  Bei  dieser  Gelegenheit  sei  auf  die  erstaunlichen  Analogieen 
hingewiesen,  die  dieser  Mythus  mit  den  griechischen  Nekyien  überhaupt  hat. 
So,  um  nur  die  auffälligsten  Motive  zu  erwähnen,  die  die  babylonische  Katabasis 
mit  der  vergilischen  (bezw.  deren  Vorlagen)  gemeinsam  hat:  wie  Izdubar  seinen 
„Ahn",  so  will  Aeneas  seinen  Vater  besuchen;  wie  Aeneas  der  Sibylle,  so  trägt 
Izdubar  seine  Bitte  einer  göttlichen  Jungfrau  vor;  wie  die  Sibylle  den  Aeneaa 
auf  die  Beschwerlichkeit  und  die  Gefahren  hinweist,  die  bisher  nur  von  Götter- 
lieblingen bestanden  worden  seien  (Vers  128  ff.),  so  spricht  die  Götterjimgfrau 
zu  Izdubar:  „Es  hat  niemals  eine  Fähre  gegeben,  und  niemand  seit  ewiger 
Zeit  kann  das  Meer  überschreiten;  Samas  der  Held  hat  überschritten  das  Meer, 
außer  Samas  wer  kann  es  überschreiten?  Schwer  ist  die  Überfahrt,  gar  be- 
schwerlich ihr  Pfad;"  wie  Aeneas  von  Charon,  so  wird  auch  Izdubar  von  einem 
Fährmann  übergesetzt;  wie  Aeneas  den  Anchises  auf  den  Gefilden  der  Seligen 
trifft,  so  Izdubar  seinen  Ahn;  wie  Aeneas  von  Anchises,  so  bekommt  Izdubar 
von  seinem  Ahn  einen  lehrhaften  Vortrag  zu  hören,  der  in  beiden  Fällen  mit 
dem  Hinweis  auf  die  Heroisierung  des  Redenden  schließt.  Daß  die  griechischen 
Sagen,  denen  Vergil  die  Motive  entnahm,  von  der  semitischen  beeinflußt  wären, 
müßte  in  vorliegendem  Fall  selbst  derjenige  für  ausgeschlossen  erachten,  der 
eine  solche  Beeinflussung  prinzipiell  für  denkbar  hielte;  denn  das,  was  Usener, 
Sintflutsagen  (Bonn  1899)  von  einer  in  das  babylonische  Epos  eingefügten 
Episode,  dem  Bericht  von  der  großen  Flut,  unwiderleglich  bewiesen  hat,  muß 
auch  von  dem  Ganzen  gelten:  es  handelt  sich  um  Völkergedanken,  die  in 
dichterischer  Ausgestaltung  analoge  Formen  erhalten  haben. 


VERS  136  ff.  167 

beliebtes  echtes  Sagenmotiv  (vergl.  "W.  Mannhardt,  Wald-  u.  Feldkulte  11 
Berlin  1877,  21)  auf  die  Sage  von  Polydorus  übertragen  und  in  das 
in.  Buch,  für  dessen  Ausfüllung  er  um  mythologischen  Stoff  verlegen 
war,  hineingearbeitet  hat.  In  analoger  Weise  wird  endlich  über  die 
letzte  'poetische  Erfindung'  zu  lu-teilen  sein,  die  man  ibm  als  solche 
vorwarf  (Servius  zu  IX  81):  die  Erzählung  von  der  Verwandlung  von 
Schiffen  in  Nymphen  IX  7 7 ff.,  eine  Metamorphose,  die  ganz  hellenistisch 
aussieht  und  wohl  nur  von  Griechen  ausgedacht  sein  kann,  die  sich  ihre 
Schiffe  als  beseelte  Wesen  dachten  (Aesch.  Suppl.  682  K.  Kai  TTpuJpa 
irpöcrGev  ömiiacri  ßXe-rrouc'  öböv,  Aristoph.  Ritt.  1300  ff.,  vergl.  v.  Wila- 
mowitz.  Alistot.  u.  Athen  II  178,  21.  R.  Thomas,  Progr.  Augsburg  1900); 
von  einer  reinen  'Erfindung'  kann  schon  deshalb  kaum  die  Rede  sein, 
weil  er  sonst  wohl  nicht  gewagt  hätte,  die  Erzählung  einzuleiten  mit 
den  Worten  prisca  fides  facti  (IX  79),  s.  z.  264ff.  Also  beweist  das 
Zeugnis  des  Comutus  (auf  den  überhaupt  die  Notierung  dieser  'Er- 
findungen' zurückgeht,  vergl.  Georgii  [z.  14]  153  f.)  nicht,  daß  unsere 
Sage  in  der  Literatur  nicht  vorkam.  Wie  wenig  wir  damit  dem  Cor- 
nutus  zu  nahe  treten,  zeigt  die  Tatsache,  daß  selbst  Probus  die  Quelle 
für  g.  III  391  ff.  (Pan  und  Luna)  nicht  anzugeben  wußte,  die  erst  ein 
späterer  Erklärer  in  Nikandros  erkannte  (Macrob.  V  22,  9f);  wir  werden 
daher  demselben  Probus  auch  nicht  ohne  Weiteres  zu  glauben  brauchen, 
daß  ein  spezielles  Motiv  in  der  Camillasage  ein  diriGavov  irXdcTiaa  Vergils 
sei  (XI  552  ff.  mit  Serv.  D.  zu  554). 

b)  Es  ist  an  sich  glaublicher,  daß  Vergil  einer  schriftlichen  "Über- 
lieferung folgt.  Gilt  das  überhaupt  für  römische  Dichter,  so  gerade 
auch  für  ihn,  dessen  Sache  eine  einstmalige  Verwendung  volkstümlicher 
Motive  nicht  gewesen  ist:  arbeitet  er  doch  selbst  in  den  Georgica,  einem 
Stoff,  der  ihm  als  einen  Sohn  der  cisalpinischen  Bauernschaft  vertraut  sein 
mußte,  fast  durchweg  nach  schriftlichen  Quellen.  Zudem  bietet  gerade 
unser  Buch  eine  ^Bestätigung  für  diese  Praxis  seines  Arbeitens.  Den 
Wunderbaum  mit  den  Träumen  im  Innern  der  Unterwelt  (282 ff.),  doch 
ein  genaues  Analogon  zum  Baum  mit  dem  goldnen  Zweig  an  der  Pforte 
der  Unterwelt,  kennt  außer  Vergil  kein  antiker  Zeuge,  aber  es  wird 
z.  d.  St.  bemerkt  werden,  daß  wir  es  mit  einem  Rudiment  ältester,  eben- 
falls in  der  nordischen  Mythologie  geläufigen  Vorstellung  zu  tun  haben; 
diesen  Wunderbaum  kennt  er  aber  aus  literarischer  Tradition,  wie  er 
durch  ferunt  (284)  andeutet. 

c)  Auf  eine  schon  von  M.  Schmidt,  Rh.  M.  VI  (1848)  31 9  f.  mit  Vers 
205ff.  verglichene  Glosse  desHesychios  xpucroppaxec  epvoc  dtreppriTMtvov 
f|  dTre(JTpa|Li)Lievov  d-rro  toO  bevbpou  wurde  ich  durch  R.  Wünsch  hin- 
gewiesen (das  carpere  und  refringere  des  goldnen  Zweigs  hebt  auch 
Vergil  hervor  146  ff.  210).  Doch  wage  ich  aus  diesem  Argument  keine 
Schlüsse  zu  ziehen. 

3.  Die  dritte  Frage,  ob  sich  die  Vorlage  Vergils  mit  Sicherheit 
bestimmen  lasse,  muß  verneint  werden.  Das  einzige,  was  mit  den  mir 
bekannten  Mitteln  sicher  erreicht  werden  kann,  ist  das  negative  Resultat, 
daß  zwei  von  dem  Dichter  sonst  benutzte  Nekyien  für  das  Mistelmotiv 
nicht  in  Betracht  kommen. 

a)    Heyne   hat   eine   Hypothese   aufgestellt   (Excursus  zu  Buch  VI), 


168  KOMMENTAR 

für  die  auf  den  ersten  Blick  manches  zu  sprechen  scheint  und  die  früher 
(Hermes  XXVIII  1893,  367 f.)  von  mir  angenommen  und  präzisiert  wurde. 
"Weiter  unten  (408  f.)  heißt  es  nämlich,  Charon  habe  sich  zur  Überfahrt 
des  Aeneas  bereit  finden  lassen,  als  er  den  goldnen  Zweig  erblickte 
longo  post  tempore  visum.  Also  muß  ihn,  sollte  es  scheinen,  schon  ein 
anderer  KaxaßaivuJV  vor  Aeneas  getragen  und  dem  Charon  gezeigt  haben. 
Herakles  und  Theseus  können  nicht  gemeint  sein,  denn  sie  drangen,  wie 
Charon  selbst  sagt  (392 ff.),  mit  Gewalt  in  den  Hades  ein.  Also  liegt 
es  nahe,  an  Orpheus  zu  denken  und  demgemäß  die  orphische  KaTdßa(Tic 
als  Vergils  Quelle  zu  vermuten.  Dieser  —  von  J.  Six,  Athen.  Mitt. 
XIX,  1894,  338  gebilligten  und  durch  ein  nur  scheinbares  Argument 
gestützten  —  Hypothesenreihe  schreibe  ich  jetzt  keine  Beweiskraft  mehr 
zu,  seit  Kroll  1.  c.  (zu  110  ff.)  154,  3  darauf  hingewiesen  hat,  daß  Vergil 
sich  durch  die  Situation  zu  jenem  Zusatz  longo  post  tempore  visum  ge- 
zwungen sah,  weil  Charon,  wenn  er  die  Zauberkraft  des  Zweigs  nicht 
schon  von  früher  her  gekannt  hätte,  ihn  jetzt  in  der  Hand  der  Sibylle 
nicht  hätte  wiedererkennen  und  daher  den  Aeneas  nicht  hätte  übersetzen 
können  (vergl.  auch  P.  Knapp,  Orpheusdarstellungen,  Tübingen  1895,  11). 
Es  mag  hinzugefügt  werden,  daß  es  auch  deshalb  nicht  wahrscheinlich 
ist,  an  die  orphische  Katabasis  zu  denken,  weil  Orpheus  wenigstens  nach 
der  gesamten  uns  bekannten  Tradition  kraft  seines  Leierspiels  und  Ge- 
sanges die  Dämonen  der  Tiefe  bezwungen  hat,  eine  Tradition,  der  Vergil 
selbst  an  einer  früheren  Stelle  unseres  Buches  folgt  (11 9 f.);  man  müßte 
also  annehmen,  daß  er  verschiedene  Fassungen  des  Mythus  nebeneinander 
gestellt  hätte,  eine  Annahme,  die  freilich  nicht  unerhört  (s.  z.  601  ff.), 
aber  doch  nicht  gerade  wahrscheinlich  sein  würde.  Endlich  war  die 
orphische  Katabasis  ein  vielgelesenes,  von  Servius  selbst  öfters  zitiertes 
Gedicht  (s.  z.  384 ff.):  wie  wäre  es  also  denkbar,  daß  die  antiken  Er- 
klärer vor  einem  in  dieser  überlieferten  Motiv  wie  vor  einem  Eätsel 
gestanden  haben  sollten? 

b)  Ebensowenig  wie  die  orphische  Katabasis  kann  die  des  Herakles 
in  Betracht  kommen:  nicht  bloß  deshalb,  weil  Herakles,  wie  gesagt, 
gewaltsam  in  den  Hades  eindrang,  sondern  auch  aus  folgendem  Grunde. 
Weiter  unten  (2  60  ff.  2 90  ff.)  wehrt  sich  Aeneas  auf  den  Befehl  der 
Sibylle  gegen  die  ihn  umdrängenden  monstra  des  Hades  mit  seinem 
Schwerte.  Dies  Motiv  ist  aus  der  KttiaßacTic  'HpaKXeouc  direkt  über- 
liefert (s.  z.  2  60  ff.).  Unmöglich  kann  diese  KaiaßacTic  die  Mistel  gekannt 
haben:  denn  wozu  das  Schwert,  wenn  die  Mistel  den  Zutritt  zur  Unter- 
welt gewährt,  indem  sie  den  Charon  gefügig  macht?  Die  Dublette  von 
Schwert  und  Mistel  bei  Vergil  ist  die  Folge  einer  von  ihm  vollzogenen 
Kontamination  zweier  heterogener  Motive,  von  denen  wir  bei  dem  einen 
die  Quelle  kennen,  während  sie  uns  bei  dem  zweiten  verborgen  ist. 

c)  Sind  wir  nun  also  auch  nicht  in  der  Lage,  eine  von  Vergil 
benutzte  Nekyia,  die  das  Zweigmotiv  gekannt  hätte,  namhaft  zu  machen, 
so  läßt  sich  doch  vielleicht  noch  die  Sphäre  vermutungsweise  bezeichnen, 
in  die  wir  durch  jenes  Motiv  geführt  werden.  Servius  hat  zu  Vers  136, 
mit  dem  das  Mistelmotiv  einsetzt,  eine  lange  Bemerkung,  die  er  nach 
Scholiastenart  aus  mehreren  älteren  Kommentaren  roh  kontaminiert  hat; 
darin  stehen  folgende  Worte:  licet  de  hoc  ramo  hi  qui  de  sacris  Pro- 


YERS  136  ff.  169 

serpinae  scripsisse  dicuntur'^),  quiddam  esse  mystimm  affirment,  publica 
opinio  hoc  habet  (folgt  ein  Exzerpt  aus  einer  anderen  Quelle,  die  nichts 
Brauehbares  gibt;  dann  vrieder  aus  der  ersten):  et  ad  sacra  I^oserpinae 
accedere  nisi  sublato  ramo  non  poterat.  inferos  autem  subire  hoc  dicit, 
Sacra  celeh'are  Proserpinae  (folgt  aus  einer  dritten  Quelle  Heterogenes). 
Hiernach  scheint  der  Mistelzweig  in  irgendwelchen  |LHJ(JTr|pia  Köpric  eine 
Rolle  gespielt  zu  haben,  denn  das  müssen  die  sacra  Proserpinae  sein 
(vergl.  quiddam  mysticurn).  Diese  Überlieferung  verdient  nach  dem,  was 
vorhin  über  die  'mystische',  oder  —  wie  wir  hier  einmal  sagen  dürfen  — 
'symbolische'  Beziehung  des  Mistelzweigs  zu  Persephone  festgestellt  worden 
ist,  allen  Glauben^):  von  der  Mistel  gilt,  was  die  Lexikographen  von  einer 
bei  Demosthenes  de  cor.  260  genannten  Pflanze  sagen:  sie  ist  ein  qpUTÖv 
ILiuCTiKÖv  und  als  solches  ein  aujußoXov  toö  ßiou  xai  toö  0avd- 
TOU  (Photios  lex.  I  406  Naber  und  Bekker,  anecd.  gr.  p.  279,  beide 
Stellen  in  letzter  Instanz  auf  Didymos  zurückgehend).  Diese  Überlieferung 
erhält,  wenn  auch  nicht  gerade  für  den  Mistelzweig,  so  doch  für  einen 
Zweig  überhaupt^),  eine  nicht  unbedeutende  Stütze  teils  durch  das  ge- 
lehrte (Didymos-)Scholion  zu  Aristoph  Eq.  408  irdviac  touc  xeXoövxac 
Tct  öpyia  ßdKxouc  eKdXouv,  ou  juriv  dXXd  Kai  touc  xXdbouc  ouc  oi 
|LiiJ(JTai  (pepouCTi,  teils  durch  bildliche  Darstellungen.  Auf  einer  in 
Petersburg  befindlichen  Vase  aus  Unteritalien,  publiziert  in  den  Wiener  Vor- 
legeblättem  Serie  E  Taf.  IV,  beschrieben  von  E.  Kuhnert,  Arch.  Jahrb.  VHI 
1893,  104 f.,  „hält  ein  Jüngling  in  der  rechten  einen  großen  Zweig, 
durch  den  er  als  flehend  den  Gottheiten  nahend  charakterisiert  wird;  er 
blickt,  der  Entscheidung  harrend,  auf  die  mit  ihrem  Gemahl  und  dem 
Seelengeleiter  Hermes  beratende  Persephone".  Besonders  schön  und  deut- 
lich finden  wir  diesen  Glauben  niedergelegt  auf  einem  kürzlich  publizierten 
(Ephem.  arch.  1901,  Iff.,  Taf.  I)  eleusinischen  Pinax,  dessen  Kenntnis  ich 
R.  Wünsch  verdanke.  Hier  sehen  wir  mehrere  männliche  und  weibliche 
Mysten  mit  Myrtenzweigen,  die  sie  der  Persephone  entgegenstreckend 
zeigen.  Die  Myrte,  die  heilige  Pflanze  der  Demeter  und  ihrer  Mysten 
(Aristoph.  Ran.  156.  330,   Istros  im  schol.  Sophocl.  O.G.  681),   gehört, 


1)  Zum  Ausdruck  vergl.  schol.  Dan.  zu  IV  458  ii  qui  de  nuptiis  scripsisse 
dicuntur,  tradunt  etc. 

2)  Vergl.  auch  den  Ausdruck  Vers  142  f.  hoc  sibi  pulcra  suum  ferri  Proser- 
pina mwnus  I  instituit:  KaTaarrjcrai  TeXerdc  Eurip.  Bacch.  21  f.  Plat.  Phaed.  69 C; 
öpYia  ö'  avxi]  iffh  (Demeter)  6iro9fiöo|Liai  hymn.  in  Dem.  273. 

3)  Erinnert  sei  für  die  Vorstellung  des  'goldenen'  Zweiges  mit  R.  Wünsch 
an  die  bekannten  Goldblättchen,  die  in  Unteritalien  den  in  die  Mysterien  Ein- 
geweihten mit  ins  Grab  gegeben  wurden.  Solche  irexaXa  xpuöQ  oder  Xemöec 
Xpucrai  begegnen  auch  im  Zauber,  der  so  viele  altertümliche,  besonders  chthonische 
Elemente  bewahrt:  papyr.  Paris,  ed.  Wessely  1218.  1812.  2227 f.;  mit  diesen 
Ausdrücken  hat  der  vergilische  209  crepitabat  brattea  (vergl.  144  frondescit 
virga  metallö)  auffällige  Ähnlichkeit.  Goldblättchen  als  Amulete:  K.  Wessely, 
Wiener  Stud.  VIII  (1886)  178  ff.  Über  die  Beziehungen  des  Goldes  zur  Unter- 
welt vergl.  E.  ßieß  1.  c.  (o.  S.  162, 1)  178,  der  u.  a.  zitiert  Artemidor  I  77  (p.  71,  26 
Hercher):  x^iupöc  6  xpvaöc  koI  ßapuc  koI  vpuxpöc  koI  öict  toOto  öavotTiu  irpocrei- 
KOöTai.  Daher  hat  Persephone  unter  den  Blumen  die  hellschimmernden,  be- 
sonders die  goldglänzenden  lieb:  hymn.  in  Dem.  8 ff.,  Sophocl.  0.  C.  681  ff.  mit 
schol.,  Pausanias  IX  31,  9,  Nikandros  bei  Athen.  XV  684  C;  auch  der  aus  einem 
Zweige  umgestaltete  Stab  des  Hermes  ist  golden  (w  3). 


170  KOMMENTAR 

wie  Mistel  und  Ölbaum,  zu  den  deiqpuXXa  (Theophr.  h.  pl.  I  10,  3).  So 
reiht  sich  also  die  Mistel  auch  in  dieser  ihrer  Eigenschaft  dem  Ölzweige 
an,  von  deni  Diels  (Sib.  Bl.  120)  sagt:  „der  Ölzweig  in  der  Hand  .  .  . 
ist  das  Symbol  der  gesuchten  oder  erlangten  Versöhnung  mit  der  Gott- 
heit der  Tiefe".  Hätte  mithin  Servius  die  Erklärung  seiner  ersten  Quelle 
ausführlicher  mitgeteilt,  so  würden  wir  vielleicht  noch  bestimmter,  als 
es  jetzt  möglich  ist,  die  Vermutung  aussprechen  dürfen,  daß  in  einer 
uns  unbekannten  griechischen  Nekyia  jenes  Symbol  der  Persephone- 
Mysterien  für  die  Katabasis  eines  Helden  verwertet  worden  ist. 

Den  Weg  zu  dem  goldnen  Zweige  zeigen  dem  Aeneas 
zwei  vorausfliegende  Vögel, 
indem  sie  sich  auf  den  Baum  setzen,  an  dem  sich  der  Zweig  befindet. 
Daß,  wie  Ehwald  1.  c.  737  annimmt,  dieses  Motiv  auch  in  der  Vorlage 
Vergils  mit  dem  Suchen  des  seltenen  Mistelzweigs  (Plinius  XVI  250 
viscum  .  .  .  rarum  admodum  inventu)  verbunden  war,  ist  glaublich,  denn 
es  war  dem  Altertum  bekannt,  daß  das  viscum  nullo  modo  nascitur  nisi 
per  alvum  avium  rcdditum,  maxime  palumhis  et  turdi  (Plinius  1.  c.  247, 
vergl.  Theophrast  de  c.  pl.  II  17,  5).  Auch  dies  Motiv  der  Führung 
eines  vom  Schicksal  berufenen  Helden  durch  zwei  Vögel  ist  uns  aus 
nordischen  Sagen  ganz  geläufig.  Besonders  ähnlich  ist  ein  esthnisches 
Märchen  (bei  Schwartz  1.  c.  73),  in  dem  zwei  Vögel  dem  Helden  den 
Weg  zu  dem  Baume  weisen,  wo  er  die  Höllenjungfrau  treffen  soll;  von 
dieser  kann  er  den  Zauberring  erhalten,  mit  dem  er  des  Drachens  Herr 
wird.  Eigne  Zutat  Vergils  ist  es,  wenn  er  den  Aeneas  gerade  durch 
die  Vögel  der  Venus  (maternas  aves  193),  also  zahme  Tauben,  geführt 
werden  läßt.  Daran  knüpften  schon  antike  Exegeten  ein  Ir|Tr||Lia,  wie 
H.  Georgii,  Die  antike  Aeneiskritik  (Stuttgart  1891)  282 f.  aus  dem 
Scholion  des  Servius  zu  Vers  190  mit  Recht  gefolgert  hat;  doch  wurde 
der  Einwand,  daß  Tauben  keine  eigentlichen  Auguralvögel  seien,  von 
anderen  durch  die  XucTic  widerlegt,  daß  der  Dichter  diese  Vögel  dem 
Aeneas  als  Veneris  filio  dienstbar  sein  lasse.  Die  Richtigkeit  dieser 
Xiiaic  ergibt  sich  aus  einer  von  L.  Hopf,  Tierorakel  und  Orakeltiere 
(Stuttgart  1888)  158  angeführten  (mir  von  R.  Wünsch  nachgewiesenen) 
Analogie:  nach  Sueton  div.  Aug.  94  g.  E.  soll  Caesar  durch  ein  Pro- 
digium  —  zahme  Tauben  gegen  ihre  Gewohnheit  in  einem  Palmbaum 
nistend  —  in  seinem  Vorsatz,  den  Octavian  als  seinen  Nachfolger  zu 
bestimmen,  bestärkt  worden  sein. 

So  vertraut  uns  das  Motiv  der  pfadweisenden  Vögel  aus  unserer 
heimatlichen  Märchenpoesie  ist,  so  selten  finden  wir  es  in  antiker  Über- 
lieferung. Mir  sind  nur  folgende  Analogieen  bekannt.^)  Plutarch  Alex.  27 
berichtet  aus  Kallisthenes,  daß  dem  Alexander  und  seinen  Begleitern  der 
Weg  zum  Orakel  des  Ammon  durch  zwei  vorausfliegende  Raben  gezeigt 
worden  sei^).  Auch  in  einer  die  Art  der  Führung  betreffenden  Einzelheit 
berührt  sich  dieser  Bericht  mit  Vergils  Darstellung :  ^M^  ülae  (cölumhae) 
tantum  prodire  volando  \  quantum  acie  possent  oculi  servare  sequentum  ^» 
KÖpaKec  lK9avevTec  uTreXdjußavov  xriv  f]Teiuoviav  ttjc  Ttopeiac   (vergl. 


1)  Die  Stelle  aus  Plutarch  und  die  erste  aus  Pausanias  bei  Hopf  1.  c.  112.  208. 

2)  Von  Silius  XVII  52  ff.  auf  Scipio  übertragen. 


YERS  136  ff.  171 

Vergil  194  este  duces  o  si  qua  via  est),  duoiLieviuv  iuev  ejuirpocTGev  Treiö- 
luevoi  Ktti  (TireObovTec,  uffTepouvTac  be  Kai  ßpabuvoviae  dvaiievoviec. 
Hier  sehen  wir  auf  Alexander  ein  Märchenmotiv  übertragen,  dessen  Alter 
uns  Aristophanes  verbürgt;  denn  daß  dieser  im  Anfang  seiner  Vögel, 
wo  Krähe  und  Dohle  die  beiden  athenischen  Spießbürger  ins  Vogelreich 
führen,  volkstümlicher  Überlieferung,  die  er  seinen  Zwecken  entsprechend 
umgestaltete,  gefolgt  ist,  hat  Th.  Zielinski,  Die  Märchenkomödie  in  Athen 
(Petersburg  1885)  9  ff.  m.  E.  sicher  bewiesen.  —  Die  Kolonisten  von  Kyme 
waren  durch  eine  Taube  geführt  worden  (z.  B.  Velleius  14,1  huius 
classis  cursum  esse  directum  alii  colunibae  antecedentis  volatu  ferunt,  alii 
nodurno  aeris  sono).  —  Verwandt  ist  femer  die  Sage,  daß  der  Weg  zur 
Höhle  des  Trophonios  dem  ersten  Besucher  von  einem  vorausfliegenden 
Bienenschwarm  gewiesen  worden  ist  (Pausanias  IX  40,  l).  —  Zu  dem 
speziellen  Motiv,  daß  es  ein  heiliger  Baum  ist,  der  durch  die  Vögel 
bezeichnet  wird,  findet  sich  eine  Analogie  bei  Pausanias  IX  3,  3:  an 
einem  Herafeste  in  Plataeae  wurde  das  Bild  der  Göttin  gefertigt  aus 
dem  Holze  derjenigen  Eiche,  auf  die  sich  ein  Rabe  setzte;  vergl.  die 
Worte  Vers  203  super  arbore  sidunt  (die  Tauben)  f^-»  eqp'  ou  (sc.  bevbpou) 
b'av  Ka9ecr6r]  (sc.  6  KÖpaH).  —  Endlich  gibt  es  eine  Sage,  die,  falls  sie 
richtig  gedeutet  ist,  wenigstens  Vergleichbares  zu  enthalten  scheint. 
Herakles^)  muß,  bevor  er  zui*  Unsterblichkeit  eingehen  kann,  die  goldnen 
Äpfel  vom  Baum  der  Hesperiden  holen.  Auf  den  chthonischen  Charakter 
dieses  Mythus  weist  v.  Wilamowitz  hin  (Eurip.  Her.  11^  p.  98 f.,  vergl. 
auch  ein  von  Usener,  Rh.  Mus.  LVI  1901,  491f.  mitgeteiltes  Märchen) 
und  macht  wahrscheinlich,  daß  die  Hesperiden  ursprünglich  als  Vögel 
gedacht  waren,  die  im  Weltenbaum  nisten  und  dem  Herakles  helfen; 
wenn  er  bemerkt,  daß  dies  Abenteuer  des  Herakles  mehr  germanisch  als 
hellenisch  anmute,  so  gilt  das  in  erhöhtem  Maße  von  demjenigen  Märchen, 
das  Vergil  hier  von  einem  uns  unbekannten  Helden  auf  Aeneas  über- 
tragen hat.  Für  die  Verwandtschaft  der  beiden  Mythen  ist  charakte- 
ristisch, daß  Lucan  IX  348  ff.  das  Herakles-Abenteuer  mit  Ausdrücken 
erzählt,  die  er  z.  T.  der  vergilischen  Darstellung  entnimmt  (vergl.  Lucan 
3 60 f.  fuit  aurea  süva  \  divitiisqiie  graves  et  fulvo  germine  rami,  364  rohora.. 
rutüo  curvata  metallo  mit  Vergil  195  dives  opacat  ramus  humum  208  auri 
frondentis  opaca  ilice   144  frondescit  virga  metallo). 

136  ff.  arbore  opaca  |  aureus  .  .  .  ramus:  die  antithetischen  Begriffe 
(s.  z.  9  f.  und  208  f.  auri  frondentis  opaca  \  ilice)  sind  mit  jener  schönen, 
den  beiden  alten  Sprachen  gewährten  Freiheit  der  Wortfolge  zur  Er- 
höhung des  Eindrucks  zusammengerückt  (vergl.  820  natos  pater  und  im 
Allgemeinen  Anhang  III A 3).  —  lunoni  infernae  kühnes,  im  Griech. 
nicht  nachzuweisendes  Femininum  zu  Zeuc  KaxaxOöviOC  (aus  Vergil 
wiederholt,  aber  mit  veränderter  Bedeutung,  carm.  epigr.  1551  Buch., 
von  Ovid,  Statins,  Silius  durch  luno  Stygia  oder  I.  Averna  variiert), 
als  Ersatz  für  das  unbrauchbare  Proserpinae,  während  andere  Dichter 
sich  mit  PersepJiones,  Persephonae  zu  helfen  wagten  (s.  z.  18,  vergl.  auch 
Hafner  1.  c.  [z.  4]  12).    —    hu^c  tegit  omnis:    über    die   Art    des   Vers- 


1)  ,,Die  Heraklessage    ist   eine   wahre  Fundgrube  alter   Märchemnotive", 
0.  Crusius  in  den  Yerh.  d.  40.  Philologenvers.  (Leipzig  1890)  31,  1. 


172  KOMMENTAR 

Schlusses  s.  Anhang  IX.  —  lums  et  öbscuris  claudunt  convallihus  umbrae: 
die  Häufung  des  dunklen  Vokals  u  soll  die  Dunkelheit  malen,  s.  z,  238 
und  im  Allgemeinen  Anhang  VII A.  —  140  f.  non  ante  datur  .  .  . 
suhire  .  .  .,  quam  qui  decerpserit  fetus.  Qui  M,  quis  Pß,  beides  an  sich 
möglich,  ersteres  wegen  der  bestimmteren  Determinierung  der  Person 
wohl  vorzuziehen.  Die  beiden  Vorstellungen  non  ante  datur  cuiquam 
suhire,  quam  fetus  decerpserit  und  nemini  datur  suhire,  nisi  qui  fetus 
decerpserit  sind  zu  der  dritten  non  ante  datur  suhire  quam  qui  fetus 
decerpserit  ausgeglichen.  Liest  man  quis,  so  liegt  eine  Fusion  vor  von 
non  datur  suhire,  nisi  quis  ante  etc.  +  non  ante  datur  cuiquam  suhire 
quam  etc.,  wofür  mich  C.  F.  W.  Müller  auf  Hand,  Turs.  I  396 f.  ver- 
weist. —  sed  non  ante  datur  \\  telluris  \  operta  \  suhire  ein  wegen  der 
doppelten  weiblichen  Nebencaesur  sehr  bemerkenswerter  Vers.  Nach  der 
Zusammenstellung  bei  C.  Cavallin,  De  caesuris  quarti  et  quinti  trochae- 
orum  hexametri  apud  lat.  poetas  coniunctis  (Lund  1896),  16  hat  Vergil 
in  der  Aeneis  außer  unserm  Vers  nur  noch  20  so  gebaute  Verse  (I  188. 
11  194.  465.  470.  IV  123.  335.  559.  651.  V  749.  871.  VI  333.  VIII  34. 
523.  IX  63.  388.  705.  753.  XI  262.  739.  XII  192),  wobei  diejenigen 
Verse,  die  vor  den  Nebencaesuren  que  und  ve  (dies  nur  VIII  206)  haben, 
nicht  mitgezählt  sind,  da  bei  ihnen  die  Caesur  vor,  nicht  nach  que  (ve) 
angesetzt  werden  kann  oder  muß  (also  z.  B.  VI  366  inice  namque  potes  || 
portusque  require  Velinos  zu  teilen  nScht  portusque  \ ,  sondern  mit  regulärer 
männlicher  Nebencaesur  portus\que;  s.  darüber  Anhang  VH  B  2  b).  Nur 
in  zwei  dieser  Verse  kann  malerische  Absicht  angenommen  werden  (II 465. 
V  871:  s.  Anhang  1.  c).  Dagegen  weisen  bei  vielen  unverkennbare  In- 
dizien auf  Entlehnung  von  Floskeln  aus  Ennius,  der  die  Empfindlichkeit 
der  späteren  Poesie  noch  nicht  kannte  (vergl.  ann.  6  Homerus  |  adesse  \ 
poeta  48  germana  \  repente  \  recessit  113  tanta  \  turanne  \  tulisti  252  an- 
tiqua  I  sepulta  \  vetustas  510  prognata  \  Paluda  \  virago),  und  bei  einem 
jener  Verse  ist  die  Entlehnung  direkt  bezeugt:  IX  705  sed  magnum 
Stridens  \\  contorta  \  falarica  \  venit  -^  Ennius  534  venit  ||  contorta  |  fala- 
rica  I  missu.  So  liegt  also  auch  in  unserem  Verse  sowie  in  dem  zweiten 
so  gebauten  dieses  Buches  (333  mortis  \  honore  \  carentes)  die  Möglich- 
keit vor,  daß  sie  mit  Benutzung  ennianischer  Phraseologie  gedichtet  sind. 
Eine  weitere  Bestätigung  s.  unten  zu  167. 

141  auricomos — fetus  mit  wirkungsvoller  Verteilung  der  Haupt- 
begriffe auf  Anfang  und  Schluß  des  Verses  s.  Anhang  III A  1.  — 
auricomus  hat  Vergil  nach  xpucTOKÖ|UOC — KÖjuric  entweder  frei  gebildet 
(Germanus),  oder,  da  er  das  kaum  gewagt  hätte  (s.  u.),  vielmehr  aus 
älterer  Poesie,  etwa  der  Tpa^iKf)  XeHic  des  Ennius,  entnommen,  denn 
Euripides  hat  XP^Ö'OKÖjUOC  in  der  aulischen  Iphigenie  (von  Eros),  die 
E.  übersetzte.  Die  besondere  Verbindung  auricomi.  fetus  (xpucroKÖ)UOi 
öZ^oi)  erinnert  an  die  xpv(J0K6}JLa  KXr||uaTa  des  Paulos  Silentiarios,  des 
Nachahmers  alexandrinischer  Dichter  (descr.  S.  Sophiae  236  im  Corp. 
Script,  bist.  Byz.  XXXII  32  K\r|)uia(Ji  xP^croKÖjUOicri  TTepibpojuoc  a|UTTe\oc 
epTtei).  Auch  Lucrez,  der  VI  152  lauricomus  vielleicht  auf  Grund  des- 
selben Vorbildes  wie  Vergil  bildete,  übersetzte  damit  wohl  eine  griech. 
Komposition  wie  e\aiOKÖ|uoc,  das  Nonnos  XIII  184.  XXXVII  170,  bei  dem 
es  für  uns  zuerst  nachweisbar  ist,  ebenfalls  einem  Alexandriner  entnommen 


VERS  136—142.  ^  173 

haben  könnte.  Spätere  Dichter  wagen  dann  auf  Vergils  Autorität  hin 
albicoinus  flammicomus  frondicomus  ignicomus  süvicomus  viticomus,  indem 
sie  -comus  fast  zum  Suffix  entwerteten.  Mit  der  freien  Wortkomposition 
sind  die  augusteischen  Dichter,  da  die  sprachschöpferischen  Versuche 
fiüherer  Dichter  (zuletzt  der  Neoteriker),  die  lateinische  Sprache  nach 
dem  Muster  der  griechischen  zu  bereichern,  durch  das  Verdikt  der  Ana- 
logisten,  speziell  Caesars,  gebrandmarkt  waren,  äußerst  zurückhaltend: 
erst  die  zweite  neoterische  Schule,  seit  Hadrian,  wird  wieder  freier. 
Es  ist  genau  dasselbe  Verhältnis,  dem  wir  in  unserer  eigenen  Literatur 
begegnen:  Klopstock  und  Goethe  wagen  die  kühnsten  Kompositionen 
nach  griechischem  Muster,  die  dann  aber  von  doktrinären  Grammatikern 
in  die  Acht  erklärt  werden,  und  dieses  Verdikt  wurde  maßgebender  als 
das  Vorbild  jener  sprachgewaltigen  Schöpfer  (nur  Hölderlin  wagte  wieder 
Ähnliches):  vergl.  C.  Olbrich,  Goethes  Sprache  und  die  Antike  (Leipzig 
1891)  98 ff.  (s.  über  diese  lehrreiche  Schrift:  Anhang  III  A  3  am  Ende). 
Vergil  hat  zwar  viele  uneigentliche  Kompositionen  mit  den  fast  zu 
Suffixen  herabgesunkenen  Silben  -fer  -ger  -cola  und  mit  Zahlpräfi:sen  wie 
bi-  tri-  (vergl.  Fr.  Seitz,  De  adiectivis  poet.  lat.  compositis,  Bonn  1878, 
17  f.),  aber  eigentliche  Kompositionen  übernimmt  er  nur  auf  Grund  ge- 
wichtiger Autoritäten  (Ennius,  Accius,  Lucrez)  und  auch  diese  nur  spär- 
lich. Von  kühnen  Bildungen  dieser  Art,  die  für  uns  vor  ihm  nicht 
nachweisbar  sind,  hat  er  außer  auricomiis  nur  noch  l)  armisonus  III  544, 
möglicherweise  von  ihm^selbst  nach  Analogie  der  unten  z.  573  notierten 
Adjektive  auf  -sonus  geprägt.  2)  longaevus  unten  321.  764  und  noch 
12  mal.  Diese  Übersetzung  von  luaKpaiuJV  findet  sich  öfters  in  unverkenn- 
barer ennianischer  Umgebung  (so  VIII  498)  und  darf  daher  für  Ennius 
in  Ansprach  genommen  werden  wie  das  neben  diesem  gebrauchte  grand- 
aevus  (aen.  I  121  u.  ö.),  das  aus  Lucilius  1026  L.  belegt  ist  (s.  z.  76); 
primaevus  (VII  162  u.  ö.)  upuuerißric  Catull  64,401,  vielleicht  ebenfalls 
aus  archaischer  Poesie.  Nach  diesen  Analogieen  scheint  dann  erst  Vergil 
aequaevus  (II  561.  V  452)  gebildet  zu  haben.  3)  ignipotens  (Vulcanus) 
VIII  414  u.  ö.  Bei  der  großen  Freiheit  alter  Dichter  (z.  B.  Enn.  a.  188. 
Plaut,  trin.  820.  Accius  127)  in  Kompositionen  mit  -potens  spricht  alles 
dafür,  daß  dies  Wort  von  Vergil  so  gut  aus  Ennius  entlehnt  wurde 
wie  nachweislich  omnipotens  (unten  592).  Horaz  hat  ein  derartiges  Com- 
positum nur  in  einen!  dithyrambischen  Gedicht  des  letzten  Odenbuchs 
(14,  25  iauriformis  Taupoeibr|c)  gewagt.  Vergl.  auch  zu  276.  287.  307. 
573.  796ff. 

142  ff.  Iioc  sihi  pulchra  suum  ferri  Proserpina  munus  \  instituit. 
Über  die  Stellung  der  Attribute  und  Substantive  s.  Anhang  III A  3 ;  die 
Alliteration  sihi  pulchra  suum  Proserpina  (Schema  abab)  soll  das  Ethos 
heben.  —  munus  muß  wie  632  donum  ganz  eigentlich  verstanden  werden: 
die  Königin  der  Unterwelt  läßt  sich  ^beschenken'.  Die  Vorstellung  ist 
besonders  aus  sibyllinischen  Prokurationen  geläufig,  vergl.  das  Orakel  bei 
Diels  113,  33 f.  qpepedöai  .  .  .  bujpov  ßaaiXriibi  Koupr],  Obsequens  43 
Proserpinae  .  .  .  virgines  dona  tulerunt.  Auch  Properz  II  13,  26  quos  ego 
Persephonae  maxima  dona  feram.  Daher  auch  das  emphatisch  gestellte 
pulchra:  die  KaXXiCTTri  liebt  den  Putz.  —  aureus,  et  simili  frondescit 
virga  meiallo:  aureus  (von  manchen  beanstandet)  mit  Emphase  am  Vers- 


174  KOMMENTAR 

anfang  (Conington).  —  simUis  M  für  simili  mit  Angleichung  an  aureus, 
Fehlerquelle  ähnlich  wie  37.  —  vestigä  ccuUs:  über  die  seltne  Synaloephe 
s.  Anhang  XI  2B4.  —  147  f.  Dieser  Teil  der  Rede  hat  am  Schluß  (wie 
134  f.)  ein  Isokolon  mit  Homoioteleuton:  non  viribus  ullis  vincere  =  nee 
duro  ferro  convellere  (je  9  Silben);  poteris  ist  dirö  KOivoO  zum  zweiten 
Glied  gestellt.     Über  die  Figur  s.  Anhang  II  3. 

149  f.  Zweite  Bedingung  für  die  KaiaßacTic:  Beerdigung  des  Misenus, 
d.  h.  Beseitigung  des  |iia(J)Lia  (loO  totam  incestat  funere  classem).  Ein 
solcher  Befehl  ist  für  die  Sibylle  typisch:  so  wurden  nach  Livius  XL  19 
die  sibyllinischen  Bücher  bei  einer  Pest  befragt,  die  so  groß  war,  ut 
lAbitina  vix  sufßceret.  —  149  iacet  exanimum  UM  corpus  amici  nach 
X  386  f.  KEiTai  TTOtp  vriecTCTi  veKuc  aKXauTOC  aGaTiTOC  (Heyne).  —  corpus 
'Leiche'  wie  cruj|ua  bei  Homer  (Kaibel  zu  Soph.  El.  S.  189),  von  Vergil  stets 
(z.  B.  161.  219)  zur  Vermeidung  des  unedlen  cadaver  gebraucht  außer 
VIII 264  von  Cacus.  Daneben  braucht  er  zuerst  als  Ersatz  funus 
(150.  510  u.  ö.)  nach  Analogie  von  mors  ('Leiche'  Cic.  pr.  Mil.  86  u.  a.); 
ebenso  im  griechischen  Epigramm  jjLÖpoc,  GdvttTOC  (AP.  VII  404.  X  439). 
—  151  ff.  Der  Schluß  der  Rede  (bis  155)  mit  zahlreichen  Alliterationen: 
151  petis — pendes,  152  sedibus  suis — sepulchro,  153  pecudes — prima  pia- 
cula,  154  invia  vivis  (iraprixiicric).  —  151  consulta  petis  gewählter  Aus- 
druck für  consulis.  Da  dies  Verbum  (wie  respondere)  für  die  Befragung 
(bez.  den  Bescheid)  wie  eines  Orakels,  so  auch  eines  Rechtsgelehrten 
typisch  war  (Thiel),  so  spielt  auch  die  folgende  Wendung  nostroque  in 
limine  pendes  zwischen  sakraler  (limen  ouböc,  s.  z.  115)  und  forensischer 
Terminologie  (vergl.  consuUor  ostia  pulsat  Hör.  s.  I  1,  10):  Rechtsweisung 
und  Prophetie  waren  auch  bei  den  Griechen  in  alter  Zeit  nicht  von 
einander  getrennt.  —  152  sedibus — sepulchro.  Der  Vers  ist  eingerahmt 
von  zwei  Substantiven  wie  oft  (s.  Anhang  HI  A2),  die  aber  in  diesem 
Buch  nur  hier  alliterieren.  Dadurch  wird  das  Ethos  in  derselben  Weise 
gesteigert  wie  unten  213,  wo  in  gleicher  Sache  die  analoge  Erscheinung 
bei  zwei  Verben  begegnet.  —  conde  sepulchro,  eine  stilistische  Variation 
zu  dem  vorangehenden  sedibus  suis  refer  (s.  z.  25),  ist  enaianisch:  ann.  142 
condebat  .  .  sepiilcro;  vergl.  aen.  III  6  7  f.  animamque  sepulchro  |  condimus. 
—  sedes  von  der  Ruhestätte  des  Grabes  noch  328.  371.  VII  3,  für  uns, 
wie  es  scheint,  vor  Vergil  nicht  nachweisbar. 

153 f.  Dritte  Bedingung  für  die  KaiaßacTic:  Opferung  von  hostiae 
piaculares  für  die  Unterirdischen,  in  deren  Reich  Aeneas  eindringen  will. 
Das  Motiv  ist  von  Kirke  (k  517  ff.)  auf  die  Sibylle  übertragen  worden: 
s.  unten  z.  236 — 63,  wo  dieses  Opfer  vollzogen  wird;  daselbst  wird  auch 
der  Grund  für  die  mangelhafte  Verbindung  dieses  dritten  Befehls  der 
Sibylle  mit  den  beiden  vorhergehenden  aus  der  homerischen  liiinriCiC  ab- 
geleitet werden.  Im  übrigen  ist  die  Übertragung  des  Opferbefehls  von 
Kirke  auf  die  Sibylle  gut  (s.  z.  3  7  ff.),  zumal  hier,  wo  es  sich  um  ein 
Sühnopfer  handelt;  der  Situation  nach  besonders  nahe  verwandt  ist  ein 
bei  Eusebios  pr.  ev.  IV  20,  1  aus  Porphyrios  überliefertes  Orakel,  in  dem 
XuTpa  (piacula)  befohlen  worden,  bevor  eine  Totenbeschwörung  statt- 
finden darf,  darunter  wie  hier  (244.  253)  Weinspende  und  aTrXdtYXva 
KaiaTiGecrGai.  —  Die  Konstruktion  prima  (piacula)  smito  —  sie  demum 
aspicies  d.  h.  ea  piacida  sunto,  priusquam  aspicias  ist  ein  gutes  Beispiel 


VERS  142—165.  175 

für  die  Auflösung  der  Periode  zu  Gunsten  der  durchsichtigeren  Parataxe 
(vergl.  unten  537  f.  und  Anhang  11 2).  —  invius  (aßaioc)  vor  Yergil 
nicht  nachweishar  (Ladewig  4). 

155  aspicies.  Abrupter  Schluß  der  Rede  nach  dem  ersten  Choriambus 
wie  XI  827  iamque  vale,  vergl.  oben  54  conticuit;  noch  weniger  graziös 
endet  eine  Rede  nach  dem  ersten  Daktylus  unten  886.  YIII  583.  XII  45. 
Möglicherweise  ist  das  durch  Benutzung  überlieferter  Phraseologie  bedingt 
worden:  so  machen  hier  die  folgenden  Worte  dixit  pressoque  öbmutuit 
ore  durch  die  periphrastische  Bezeichnung  des  Redens  und  Schweigens 
altertümlichen  Eindruck,  vergl.  Anhang  I  2. 


Zweiter  Hauptabschnitt:  Vorbereitungen  zur  Kaiaßacric. 

156—263. 

Für  die  Beurteilung  der  folgenden  Episode  von  Misenus,  den 
Triton  in  die  Tiefe  zog,  weil  Misenus  sich  mit  ihm  in  einen  Wettstreit 
im  Muschelblasen  einließ,  handelt  es  sich  um  zwei  Fragen:  erstens,  was 
übernahm  Vergil  als  überliefert;  zweitens,  wie  hat  er  das  Überlieferte 
seinem  Plan  eingefügt. 

I.  Daß  nicht  erst  Vergil  die  ätiologische  Legende  vom  Trompeter 
Misenus  aus  ihrem  Zusammenhang  mit  den  Irrfahrten  des  Odysseus 
(Strabo  I  26  nach  Timaios,  vergL  Ovid  m.  XIV  103)  löste  und  auf  die 
des  Aeneas  übertrug,  beweist  außer  der  tabula  Iliaca  (Stesichoros?),  auf 
der  Misenus  den  Aeneas  bei  seiner  Abfahrt  von  Troja  begleitet  (Jahn- 
Michaelis,  Griech.  Bilderchroniken,  Bonn  1873,  37),  die  von  Dionys. 
Hai.  153,  3  ausgeschriebene  Quelle:  Kaidpaviec  (nämlich  Ol  irepi  Aiveiav) 
€ic  Xi)ieva  ßaöuv  Kai  KaXöv  ev  'OttikoTc,  TeXeuxncravTOC  auiööi  MicttivoO 
TU)V  e7ri9ava)V  xivoc,  dir'dKeivou  töv  Xi|ueva  ibvöinacTav,  sow-ie  die  Quelle 
des  Solinus  2,  13  (p.  35,  If.  Mommsen^)  a  giibernatore  Äeneae  appellatum 
Palinurum,  a  tuhicine  Miseniim.  Als  den  Gewährsmann  des  Dionysios 
und  Solinus  hat  J.  Geficken,  Timaios'  Geographie  des  Westens  (Berlin  1892) 
29,  6.  77  vermutungsweise  Varro  genannt:  ich  halte  das  für  um  so 
sicherer,  als  bei  Solin  in  gleichem  Zusammenhang  unmittelbar  hinterher 
Cosconius  zitiert  wird,  ein  Autor,  der  nur  da  erscheint,  wo  Varro  als 
Quelle  nachweisbar  ist  ( Greifswalder  Programm  1895  p.  IVf.).  Also 
hängt  auch  Vergil  hier  (wie  14  ff.  und  337  ff.)  von  Varro  ab.  Daß  er 
einer  Quelle  folgt,  deutet  er  selbst  173  durch  si  credere  dignum  est  an 
(vergl.  zu  14  ut  fama  est  bei  der  aus  Timaios -Varro  stammenden 
Daedalus-Legende).  Die  Vortrefflichkeit  der  Misenus-Legende  ergibt  sich 
daraus,  daß  die  Muschel,  das  Instrument  des  Triton  (Plinius  n.  h.  IX  9. 
Ovid  m.  I  133)  und  das  Prototyp  der  Trompete  (Hesych  s.  köxXoc"  köxXoic 
ToTc  GaXacJcrioic  exP^vro  irpö  xfic  xuiv  CaXiTiYTuuv  eupecreujc),  das  Münz- 
wappen des  italischen  Kyme  ist  (vergl.  z.  B.  den  Catalogue  of  the  greek 
coins  in  the  Brit.  Mus.,  Italy  [London  1873]  85 ff.).     Es  ist  mithin  an- 


176  KOMMENTAR 

zunehmen,  daß  die  griccliiselien  Kolonisten,  als  sie  im  VIII.  Jh.  v.  Chr.  den 
fernen  Westen  erreichten,  den  Triton  in  den  klippenreichen  Gewässern  um 
Kap  Misenum  lokalisierten,  einer  Gegend,  deren  chthonischer  Charakter 
zu  dem  Wesen  dieses  auch  als  Dämon  der  Tiefe  aufgefaßten  mächtigen 
Wassergeistes  (vergl.  Pindar  P.  4,  33 — 45)  paßte.  Die  Sage  jedoch,  daß 
Triton  sich  den  Trompeter  Misenus  als  sein  Opfer  holte,  als  dieser  gewagt 
hatte,  ihn  zum  Wettstreit  in  seiner  Kunst  zu  provozieren,  setzt  die 
Lokalisierung  der  Irrfahrten  des  Odysseus  (bez.  Aeneas)  im  tyrrhenischen 
Meere  voraus,  wird  also  nicht  älter  sein  als  etwa  das  VI.  Jh.  v.  Chr.  Da- 
mals saßen  die  griechischen  Kolonisten  Kampaniens,  speziell  Kymes,  mit 
den  Etruskern  zusammen,  die  als  Erfinder  der  Trompete  galten:  das  wird 
für  die  Entstehung  dieser  Sage  in  Betracht  zu  ziehen  sein,  die  ja  deutlich 
eine  Übertragung  von  dem  Flötenspieler  Marsyas  und  dem  Sänger  Thamyris 
auf  den  Trompeter  Misenus  ist. 

II.  Also  das  Material  war  dem  Dichter  überliefert  und  er  hatte  nun 
die  Aufgabe,  es  seinem  Plan  einzufügen.  Bei  der  Behandlung  der  Frage, 
ob  und  wie  er  dieser  Aufgabe  gerecht  geworden  ist,  müssen  wir  mehrere 
Punkte  in  Erwägung  ziehen. 

1.  Unleugbar  geschickt  und  schon  von  Servius  gelobt  (zu  183)  ist 
die  Art,  wie  er  die  Ausführung  des  ersten  Befehls  der  Sibylle  —  Ge- 
winnung des  goldnen  Zweigs  —  mit  derjenigen  des  zweiten  —  Bestattung 
des  Misenus  —  verknüpft  hat.  Wähi-end  die  Trojaner  unter  Aeneas' 
Leitung  den  Wald  für  den  Scheiterhaufen  abzuholzen  beginnen,  kommt 
dem  Aeneas  der  Wunsch,  daß  doch  in  eben  diesem  Wald  der  Baum  mit 
dem  goldnen  Zweig  sein  möchte,  und  der  Wunsch  geht  in  Erfüllung 
(185 ff.).  Nicht  auf  gleicher  Höhe  wie  diese  sachliche  Ökonomie,  die 
ganz  auf  Erfindung  Vergils  beruht,  steht  ihre  formelle  Einkleidung. 
Aeneas  und  seine  Genossen  schicken  sich  177 — 84  an,  den  Scheiter- 
haufen wetteifernd  aufzutürmen,  indem  sie  in  dem  nahen  Wald  Bäume 
fällen  und  ans  Gestade  rollen;  es  folgt  die  Gewinnung  des  goldnen 
Zweigs  durch  Aeneas  185 — 211;  dann  wird  212  an  die  erste  Handlung 
wieder  angeknüpft  durch  nee  minus  interea  und  ihr  Inhalt  wiederholt, 
nur  mit  anderen  Worten  (vergl.  177 f.  aramque  sepulchri  \  congerere 
arhoribus  caeloque  educere  certant  r^  2 14  f.  principio  pingueni  taedis  et 
robore  secto  \  ingentem  struxere  pyram,  als  ob  das  nicht  schon  vorher 
gesagt  wäre).  Diese  Äußerlichkeit  wäre  bei  einer  endgültigen  Redaktion 
nicht  beseitigt  worden,  denn  sie  hat  in  den  Georgica  zahlreiche  Ana- 
logieen  (vergl.  N.  Pulvermacher,  De  georgicis  a  Vergilio  retractatis, 
Berlin  1890,  82 ff.);  sie  erklärt  sich  aus  der  Unmöglichkeit,  das  aus  ver- 
schiedenen Quellen  übernommene  Material  immer  lückenlos  und  harmonisch 
zusammenzufügen:  so  wird  es  hier,  wie  oft,  durch  ein  interea  bloß  lose  an- 
einander gereiht.  Schon  die  antike  Exegese  wurde  darauf  aufmerksam: 
Servius  zu  XI  532  licd  Hnterea'  particula  negotia  semper  praeteritis  futura 
coniimgat,  tarnen  ahruptus  est  et  vituperdbilis  transitus.  habet  autem  tales 
transitus  et  in  superioribus  Ubris,  vergl.  Georgii  1.  c.  (z.  4)  499 f. 

2.  Vergil  mußte  die  xaqpr]  Mi(yr|VOU  der  KaiaßacTic  Aiveiou  ein- 
fügen. Er  läßt  zu  dem  Zweck  die  Beerdigung  eine  Vorbedingung  für 
die  Hadesfahrt  sein  (149 — 52).  Diese  Motivierung  ist  innerlich  gut, 
denn  es  ist  verständlich,  daß  die  KttiaßacTic  nicht  stattfinden  darf,  bevor 


VERS  156.  177 

Aeneas  die  Seele  des  Misenus  durch  Bestattung  des  Leiclmains  den  Unter- 
irdischen als  ihren  schuldigen  Tribut  zugestellt  hat.  Auch  äußerlich  ist 
gegen  die  Einfügung  der  Misenus-Episode  durch  praeterea  149  nichts 
einzuwenden:  sie  ist  so  gut,  wie  es  bei  einer  Kontamination  verschieden- 
artiger Stoffe  eben  möglich  war.  Aber  das  ganze  Misenus-Motiv  bringt 
den  Dichter  in  Konflikt  mit  einer  späteren  Episode  dieses  Buches,  die 
hier  gleich  herangezogen  werden  muß.  Schon  Heyne  hat  kurz  an- 
gedeutet, daß  Misenus  eine  Art  von  Doppelgänger  des  Paliniu-us  (337 ff.) 
sei,  beide  im  Meer  veranglückt,  beide  unbeerdigt,  und  es  sei  nicht  ab- 
zusehen, weshalb  Aeneas  160 ff.  zweifle,  welchen  Leichnam  die  Sibylle 
meine,  statt  sofort  an  Palinurus  zu  denken,  der  ihm  ja  in  der  Nacht 
vorher  verunglückt  sei.  Dies  haben  Spätere  dann  weiter  ausgeführt; 
zuletzt  hat  Sabbadini  p.  XXIX ff.  die  Misenus-Episode,  d.  h.  die  Verse 
149 — 52.  156—89.  212 — 36,  als  nachträglich  von  Vergil  eingelegt  be- 
zeichnet. Aber  eine  so  glatte  Auslösung  dieser  Episode  scheitert  an  der 
Tatsache,  daß  sie,  wie  soeben  bemerkt  wurde,  aufs  engste  und  auch 
äußerlich  untrennbar  mit  der  Gewinnung  des  goldnen  Zweigs  verknüpft 
ist  (vergl.  189 f.).  Auch  ist  es  unwahrscheinlich,  daß  sie  nicht  gleich 
in  der  ersten  Konzeption  dieses  Buches  enthalten  gewesen  sein  soll,  da 
die  Gründung  des  nobile  Misenum  die  berühmteste  von  allen  auf  Aeneas 
zurückgeführten  war.  Also  würde,  wenn  überhaupt  eine  der  beiden 
Episoden  sekundär  wäre,  es  eher  die  Palinurus-Episode  sein.  Aber  diese 
ganze  Art  von  Analyse  beruht  auf  einem  Verkennen  der  vergilischen 
Kompositionsart.  Die  Sage  überlieferte  ihm  nebeneinander  Tod  und  Be- 
erdigung sowohl  des  Palinurus  wie  des  Misenus:  wir  sehen  das  deutlich 
aus  Dionys  v.  Hai.  I  53,  2  f.  Ol  be  CTuv  tuj  Aiveict  ....  irpuiTOV  )Liev 
üjp)Lii(JavTO  TTic  'IxaXiac  xard  XijLieva  tov  TTaXivoupov,  6c  dcp'evöc 
Tüjv  Alveiou  KußepvrjTUJV  xeXeuiricravTOC  auxöGi  Tauinc  luxeTv  Xe-fefai 
Tfic  övojuaaiac.  ^neiia  vriffuj  TTpoaecTxov,  fj  xoövojua  ^Gevxo  AeuKadiav 
dirö  YuvaiKÖc  dvevj;iäc  Aiveiou  uepi  xövbe  xöv  xöttov  diroGavoucrric 
(von  Vergil  übergangen).  eKeiGev  hk  Kttxdpavxec  eic  Xijieva  ßaGuv  Kai 
KaXöv  iy  'Ottikoic,  xeXeuxr|cravxoc  xai  aux69i  MicTrivoO  . . .,  dir'  cKei- 
vou  xöv  Xijueva  ujvöjiacrav.  Also  gab  ihm  die  Legende  selbst  eine 
Dublette,  deren  Spuren  völlig  zu  verwischen  ihm  nicht  gelungen  ist. 
Die  Art  aber,  wie  er  den  Ausgleich  versucht,  ist  für  seine  Arbeitsweise 
recht  charakteristisch.  Er  verteilt  das,  was  die  homerische  Nekyia  von 
Elpenor  berichtet,  auf  Misenus  und  Palinurus:  wie  Elpenor  vor  der 
Kaxdßacric  des  Odysseus  verunglückt  ist  (k  551  ff.),  so  vor  der  des 
Aeneas  Misenus  (162 ff.),  und  wie  der  unbeerdigte  Elpenor  dem  Odysseus 
in  der  Unterwelt  als  erster  der  Schatten  begegnet  (X  51  ff.),  so  der  un- 
beerdigte Palinurus  dem  Aeneas  (33 7 ff.).  Über  den  Widerspruch,  daß 
einerseits  die  Sibylle  die  Beerdigxmg  eines  Freimdes  (des  Misenus)  zur 
Vorbedingung  der  KaxdßacTic  macht  und  daß  andrerseits  Aeneas  nachher 
in  der  Unterwelt  doch  einen  andern  unbeerdigten  Freund  (Palinurus) 
trifft,  haben  die  antiken  Leser  Vergils,  die  an  äußerliche  Ausgleiche 
mythologischer  Dubletten  ja  genügend  gewohnt  waren,  wahrscheinlich 
ohne  Anstoß  hinweggelesen. 

So    gibt   diese   ganze   Episode    wieder    mehrere   Belege    dafür,    daß 
Vergil  im  Bestreben,   verschiedene  Sagenüberlieferungen  in   der  Art  der 

VKRGiii  Buch  VI,  von  Norden.  12 


178  KOMMENTAR 

hellenistischen  Dichter  zu  vereinigen  und  den  Mangel  eigner  Erfindung 
von  Motiven  durch  Nachahmung  zu  ersetzen,  nicht  überall  diejenige 
Glätte  und  Geschlossenheit  der  Komposition  erreicht  hat,  die  nur  einem 
frei  schaffenden  Künstler  zu  erreichen  möglich  ist. 


I.    Tod   des  Misenus  und  Vorbereitungen  zu   seiner  Bestattung; 
der  goldne  Zweig.    156 — 211. 

A.  Tod  des  Misenus  156 — 74,  B.  Vorbereitungen  zu  seiner  Bestattung 
175—84,  C.  Der  goldne  Zweig  185—211.  Der  erste  Teil  (A)  in  vier 
Perioden:  156 — 62  diceret  (rpiKUjXov,  das  erste  und  dritte  mit  drei, 
das  zweite  mit  zwei  KÖ)a)iaTa),  162  atque — 65  (TpiKUüXov,  das  erste  und 
dritte  mit  je  zwei  KÖjujuaTa),  166 — 70  (biKuuXov  -|-  rpiKuuXov),  171 — 74 
(TpiKCüXov,  das  erste  imd  dritte  mit  je  einer  Parenthese).  Der  zweite 
Teil  (B)  ebenfalls  in  vier  Perioden:  175  —  76  Aeneas  (zwei  KÖ|U)iaTa), 
176  tum — 78  (drei  KomiiaTa),  179 — 82  (juovökuuXov  mit  zwei  KÖmaata, 
+  TeTpdKUuXov,  das  zweite  mit  zwei  K6|Li)LiaTa) ,  183 — 84  (biKUjXov). 
Der  dritte  Teil  (C)  hat  drei  Absätze:  1.  Das  Gebet  185  —  89  (TpiKOuXov 
+  biKUjXov,  das  letztere  mit  einer  Parenthese),  2.  Die  Tauben  190 — 204 
(a.  TpiKUüXov  bis  precatur  193,  das  zweite  und  dritte  mit  je  zwei  KÖ)i- 
ILiaia,    b.   TeTpdKuuXov    bis  parens    197,    das    erste    mit   zwei  KÖ^x^aia, 

c.  TpiKUjXov  -f  biKUuXov  bis  sequentum  200,  das  dritte  mit  zwei  KÖ|U|LiaTa, 

d.  TpiKUüXov  bis  refulsit  204,  das  zweite  mit  vier  K6)Li]uaTa),  3.  Der 
goldne  Zweig  205 — 11  (TpiKUuXov,  das  erste  und  di-itte  mit  je  drei,  das 
zweite  mit  zwei  KÖ)ii)iiaTa), 

A.  Tod  des  Misenus  156 — 74.  —  Von  Cumae  nach  Misenum 
führten  und  führen  noch  heute  (nach  Beloch  1.  c.  [z.  9ff.]  200)  zwei 
Wege:  der  eine,  den  Seneca  ep.  55  beschreibt,  am  westlichen  Ufer  hart 
am  Meer,  zwischen  diesem  und  dem  Acherusischen  See  (lago  di  Fusaro), 
der  andere  (östlich)  an  dem  Averner  und  Lucriner  See  über  Baiae. 
Aeneas  und  Achates  gehen  zunächst  den  ersteren  (erheblich  näheren),  da 
sie  den  Misenus  in  Utore  finden  (162).  Aber,  um  in  den  Wald  zu 
kommen,  gehen  sie  von  179  ab  auf  den  zweiten,  denn  1)  ist  mit  süva 
(179)  offenbar  der  hart  am  Weg  bei  Baiae  gelegene  Wald  gemeint,  der 
sich  an  den  Hügeln  (montes  182)  hinzog  und  der  auf  einem  für  die 
Topographie  der  Gegend  grundlegenden  Glasgefäß  Silva  genannt  wird 
(Beloch  184 f.  mit  Karte  V),  2)  kommt  Aeneas  zum  lacus  Avernus  (201), 
an  dessen  (westlichem)  Ufer  diese  Straße  vorbeiführt.  Von  dort  geht 
er  mit  dem  goldnen  Zweig  in  die  am  Avernersee  gelegene  Wohnung  der 
Sibylle  (211,  s.  o.  S.  117).  Daß  er  darauf  zur  Beerdigung  des  Misenus 
an  den  Strand  gegangen  ist,  wo  er  sich  232  befindet,  überläßt  der 
Dichter  dem  Leser,  sich  als  selbstverständlich  zu  ergänzen  (vergl.  über 
diese  seine  Praxis  o.  S.  145),  wozu  er  hier  um  so  mehr  berechtigt 
war,  als  jeder  Gebildete  diese  Gegend  aus  Autopsie  kannte  (vergl. 
Properz  III  18). 

156  ff.  Die  schweren  Spondeen,  die  sich  in  den  folgenden  Versen 
fortsetzen  (162.  68.  74.  77  etc.),  leiten  den  tragischen  Ernst  dieser  Episode 
malerisch  ein  (ähnlich  unten  441.  860).  Durch  Unquens  antrum  157 
werden  die  Jsokola  maesto  defixm  lumina  voUu  mgredüw  und  caecosgue 


VERS  156—164.  179 

volutat  eventus  animo  secum  (je  14  Silben)  kunstvoll  auseinandergerückt. 
—  Dem  Gedanken  nach  ähnlich,  gleichfalls  mit  den  malerischen  Spondeen, 
V  701  f.  (Aeneas)  nunc  huc  ingentis,  nunc  Uluc  pectore  curas  |  mutdbat 
versans,  Verse,  die  in  ennianischer  Umgebung  stehen.  Auch  an  unserer 
Stelle  ist  Ennius  benutzt.  Defixus  lumina  voitu  ist  freilich  in  der  Kon- 
struktion des  Akkusativs  neu  und  ein  charakteristisches  Beispiel  für  die 
Freiheit,  die  sich  Vergil  in  der  Verwendung  dieser  griechischen  Struktur 
nimmt  (vergl.  XI  507  oculos  in  virgine  ßxus,  dann  bei  Properz  und  Ovid, 
in  Prosa  m.  W.  erst  bei  Cyprian  ad  Don.  c.  1,  wo  die  maßgebende  Über- 
lieferung in  me  oculos  tuos  ßxus  es  gibt):  s.  z.  281,  aber  in  der  Phi*aseo- 
logie  wohl  durch  Ennius  beeinflußt,  denn  VIII  520  stehen  die  Worte 
defixique  ora  tenebant  in  ennianischem  Zusammenhang  und  in  einem 
durch  die  Entlehnung  bedingten  gezwungenen  Satzbau.  Ingrediiur  'er 
schreitet  einher',  gravitätisch  wie  VIII  309.  513  in  ennianischer  Um- 
gebung. Volutat  animo  secum  jedenfalls  aus  älterer  Poesie  s.  z.  185. 
It  comes  eine  bei  Vergil  beliebte,  von  ihm  wohl  etymologisch  empfundene 
Verbindung,  die  VIII  466  in  ennianischer  Umgebung  erscheint.  Vestigia 
figit  nach  gemeinsamem  Vorbild  mit  Cicero  Arat.  (de  nat.  deor.  11  109) 
vestigia  ponit  (die  Phrase  vestigia  pressit  unten  197  in  sakralem  Zu- 
sammenhang, und  auch  331  weist  auf  Ennius).  Inter  sese  an  gleicher 
Versstelle  Ennius  a.  138.  Sermone  serebant:  die  gleiche  etymologische 
Verbindung  (Varro  de  1.  1.  VI  64)  öfters  bei  Plautus  (z.  B.  Cure.  193), 
also  wohl  ennianisch,  s.  Anhang  II.  —  Über  die  Wortstellung  it — figit 
am  Versanfang  und  -schluß  ebenda  HI  A  2. 

161  ff.  exanimem  M,  -um  PE,  ersteres  richtig,  s.  Anhang  IV.  — 
atque  hebt  mit  Emphase  von  einem  neuen  Moment  der  Handlung  an, 
bei  Vergil  gerade  in  der  Verbindung  atque  ille  und  atque  hie  (adv.) 
häufig  (vergl.  185.  494).  Das  gehört  der  alten  Sprache  an,  vergl.  die 
plautinischen  Beispiele  bei  Leo,  Nachr.  d.  Gott.  Ges.  1895,  423.  Aus  der 
Benutzung  überlieferter  Phraseologie  kann  sich  auch  die  seltene  starke 
Interpunktion  nach  dem  ersten  Daktylus  erklären:  s.  Anhang  11,  4,  3.  — 
in  litore  sicco  =  III  510,  s.  z.  362  und  das  Scholion  des  Ti.  Donatus^) 
id  est  in  arena  litoris  sicci,  est  enim  et  udum  litus,  ubi  pelagus  terminatur 
(so  udum  litus  Ovid  m.  III  599.  Statins  s.  III  1,  68).  —  morte  peremp- 
tum  f^  Lucr.  HI  1089  forte  perempti  (Germanus);  wegen  der  erlesenen 
Periphrase  ist  die  vergilische  Floskel  vielleicht  ennianisch,  vergl.  IX  453 
caede  peremptis  in  einer  Schlachtszene,  die,  wie  aUe  vergiliscben,  sich  an 
ennianische  Vorbilder  anlehnt. 

164.  Die  dTravabiTrXujcyic  am  Versanfang:  Misenum  in  litore  sicco  . . .  [ 
Misenum  Äeoliden  (der  bekannten  Praxis  entsprechend  mit  verschiedener 
Betonung:  Misenum,  Misenum)  dient  zur  Erhöhung  des  Ethos,  in  dem 
diese  ganze  Stelle  geschrieben  ist  (vergl.  die  eiravaqpopd  166,  die  Ttap- 
nXTlCJiC  165.  168);  zu  gleichem  Zweck  wird  die  Figur  496  angewandt. 
Sie  findet  sich  schon  im  alten  Epos:  Z  3 95 f.  'AvbpOjLidxTl,  GuYCtTTip  )LieTa\- 
riTopoc  'Heiiujvoc,  |  'Heiiujv  8c  ^vaiev  ktX.  Y  371  f.  toO  b'  ifvj  dvTioc 
elm,  Ktti  ei  TTupi  x^^P^  eoixev,  |  ei  irupi  x^^P^  loixe,  |nevoc  h'  aiGujvi 


1)  Der  Kommentar  des  Ti.  Donatus  beginnt  in  unserem  Buche  erst  bei 
Vers  156. 

12* 


180  KOMMENTAR 

aibripijj,  vergl.  X  127  und  das  im  Altertum  berühmte  Beispiel  B  671  ff. 
(vergl.  Demetr.  de  eloc.  61  f.).  Ob  die  Figur  schon  von  Ennius  aus  Homer 
übernommen  wurde,  läßt  sich  nicht  sicher  entscheiden,  doch  ist  es  wahr- 
scheinlich, weil  Cicero  (progn.  fr.  in  de  div.  I  14  vocibus  instat  \  vocibus 
instat,  in  Arat  948  erst  von  ihm  hineingetragen)  und  Lucrez  (z.  B.  V  9 50  f.) 
sie  haben.  Großer  Beliebhtheit  erfreute  sie  sich,  wie  viele  verwandte 
Figuren  (vergl.  Th.  Zielinski,  Philol.  N.  F.  XIV  1901,  13f.),  in  helleni- 
stischer Poesie  (vergl.  v.  Wilamowitz,  Gott.  gel.  Anz.  1898,  696 f.)  und 
daher  bei  Catull  und  dem  Verf.  des  Culex  (Leo  p.  73).  Unter  den 
Augusteern  verwendet  sie  besonders  oft  Ovid  (vergl.  E.  Helm  in  der 
Festschr.  f.  Vahlen,  Berlin  1900,  359 ff.),  der  sie  einmal  ganz  äußerlich 
benutzt,  um  eine  Stelle  in  die  Fasten  nachträglich  einzuschalten  (IV  81). 
Vergil  hat  sie  in  den  Bucolica  und  Georgica  grade  da,  wo  er  ganz 
griechisch  fühlt,  z.  B.  b.  6,  20  f.  supervenit  Aegle,  \  Aegle  naiadum  pul- 
cherrima  Trpoö"epxeTai  AiYXri,  AiyXti  vaidbuuv  ttoXu  qpepTdxri  55 f.  dau- 
dite  nympliae,  \  nymphae  Dictaeae  KXeiexe  vu|Liqpai,  |  vu|Li(pai  AiKxaTai, 
vergl.  4,  5 8 f.  g.  III  280 ff.  In  der  Aeneis  ist  er  mit  der  Figur,  weil 
sie  zu  den  amoenae  repeiitiones  gehört  (Macrob.  V  14,  6;  vergl.  Servius 
zu  g.  IV  341  figura  honcstissima),  sehr  zurückhaltend  und  verwendet  sie, 
wie  bemerkt,  nur  um  das  Ethos  zu  steigern:  so  trägt  er  sie  zu  diesem 
Zweck  in  eine  Homerstelle  hinein  VII  586  f.  vergl.  0  618.  —  Äeöliden. 
So  wird  Misenus  nur  hier  genannt  (und  nach  dieser  Stelle  bei  Ovid  ra. 
XIV  103);  den  Grund  gibt  Servius  z.  III  239  richtig  an:  Misenus  dicitiir 
filius  fuisse  Aeoli  .  .  .,  quia  constat  sonum  omnem  ex  vento  creari.  Diese 
Einreihung  des  Hornbläsers  in  das  weitverzweigte  Geschlecht  des  Wind- 
gottes Aiolos  weist  auf  die  Zeit,  als  Misenus  noch  nicht  aus  der  Ver- 
bindung mit  der  Odysseussage  gelöst  war:  wie  Aiolos  selbst  auf  Aiolie 
(Lipara),  so  wurde  ein  Aiolide  an  dem  nach  ihm  benannten  Misenum 
lokalisiert.  Lykophron  737  ff.  nennt  Cap  Misenum  und  die  Aiolosinsel 
nach  einander.  —  164  f.  quo  non  praestaniior  alter  \  aere  eiere  viros 
Martemque  accendere  cantu  mit  Eeminiscenz  an  B  553 f.  Tiu  b'  ou  ttu) 
TIC  öjnoioc  emxöövioc  fivex  dvrip  |  KO(T)Lifi(Tai  ittttouc  re  Kai  dve'pac 
dffTTibiuuTac  (ürsinus);  die  dem  catullischen  aere  ciehant  (64,  262)  nach- 
gebildete Phrase  aere  eiere  wird  durch  Martern  aceendere  cantu  stilistisch 
variiert  (s.  z.  25).  Der  malerische  Vers  machte  Aufsehen,  wie  die  an 
seine  Entstehung  geknüpfte  Legende  zeigt  (Sueton-Donat,  vita  p.  62  Reiff., 
vergl.  Eibbeck,  prol.  crit.  63  f.).  Sprachliche  Mittel  sind  reichlich  auf- 
geboten: aere  eiere,  mit  einem  in  dieser  Stärke  fast  singulären  Gleich- 
klang der  Silben  (Anhang  IV),  soll  malen  wie  die  tönende  7rapr|XTlcric 
in  aecendere  cantu;  auch  die  Häufung  der  r  (wie  49)  ist  bemerkenswert. 
Ahnliche  Verse  II  313  exoritur  clamorque  virum  clangor que  tuharum, 
VIII  2  rauco  strepuerunt  cornua  cantu,  g.  IV  71  f.  Martius  ille  aeris 
rauci  canor  increpat,  et  vox  \  auditur  fra^tos  sonitus  imitata  tuharum. 
Trompetensignale  durch  malerische  Mittel  sprachlich  zu  markieren  war 
seit  dem  berüchtigten  Vers  des  Ennius  at  tuta  etc.  (a.  452)  in  lateinischer 
Poesie  üblich;  selbst  Catull  und  Horaz,  die  im  Gegensatz  zu  Vergil  mit 
malerischen  Mitteln  äußerst  zurückhaltend  sind,  verwenden  sie  zu  gleichem 
Zweck:  Catull  64,  263  raucisonos  efflabant  cornua  bomhos,  Horaz  od. 
I  1,  23  f.  lituo  tuhae  \  permixtus  sonitus,  II  1, 17  f.  iam  nunc  minaci  mur- 


VERS  164—175.  181 

mure  cornuum  \  perstringis  auris,  iam  litui  sfreptmt  (Alliteration,  Häufung 
von  m,  u,  st,  gleicher  Auslaut  auf  -us).  Unmittelbar  von  Ennius  scheint 
Lucrez  beeinflußt  zu  sein  11  619  raucisonoque  minantur  cornica  cantu, 
IV  543  cum  tiiba  depresso  gravifer  sub  murmure  mugit.  Vergl.  im  all- 
gemeinen Anhang  VTIA.  —  Die  Metapher  in  (Martern)  accendere  cantu  (für 
das  prosaische  bellicum  canere,  vergl.  ancentus  carm.  epigr.  1319  mit 
Büchelers  Bemerkung)  ist  in  der  TpaTiKT]  XeHic  häufig,  aus  der  sie 
Aristophanes  in  dem  von  Gerda  verglichenen  Vers  Fried.  310  TÖv  TTö- 
XeiLiov  eKluuTTupricJeT'  evboGev  KeKpaTÖxec  übernahm.  —  166  ff.  Hectoris — 
comes,  Hectora  circum  Alliteration  (Schema  ab  ab)  mit  Anapher  zur  Hebimg 
des  Ethos,  wie  171  f.  Cava  —  concha  —  demens  —  cantu  —  certamina  — 
divos  (aabaab).  —  pugnas  .  .  .  öbibat.  Da  der  von  Gerda  verglichene 
Vers  des  Lucr.  IV  967  induperatores  pugnare  ac  proelia  öbire  ennianisches 
Kolorit  hat,  so  wird  die  Phrase  aus  E.  stammen.  Diese  Vermutung 
wird  bestätigt  durch  die  Metrik:  denn  die  doppelte  weibliche  Nebencaesur 
pugnas  \  insignis  |  ohibat  \  et  hasta,  schon  an  sich  ungewöhnlich  (s.  z.  140), 
ist  hier  um  so  härter,  als  der  Vers  nach  et  noch  einen  weiteren  Ein- 
schnitt hat.  Solche  Verse  hat  Vergil  nach  den  Sammlungen  Gavallins' 
1.  c.  (z.  140)  nur  noch  zwei  in  der  Aeneis:  VTE  45  rex  arva  \  Latinus\ 
et  urbcs  VIH  229  Jiuc  ora  \  ferebat  \  et  illuc  (beide  in  ennianischem  Zu- 
sammenhang), einen  in  den  Georgica:  IH  86  iactata  \  recumbit  \  in  armo 
(s.  über  armus  unten  z.  881).  —  vita  victor  irapiixic^ic  in  ennianischer 
Art  (vergl.  ann.  368  victores  cordibus  vivis).  —  heros  von  Misenus  in 
der  weiteren  Bedeutimg,  die  für  Homer  üblich  ist  nach  Aristarchs  Ob- 
servation schol.  Ven.  A  zu  M  165  ÖTi  TrdvTac  koivujc  Kai  oii  xouc  fiye- 
)Liövac  luövouc  fipujac  KaXeT.  —  non  inferiora  secutus.  Das  Neutr.  plur. 
wie  id  fiTTUJ  (Heyne);  aus  metrischer  Bequemlichkeit  (s.  Anhang  V). 
Die  (schon  von  Serv.  notierte)  Gleichsetzung  des  Aeneas  und  Hektor 
hier  wie  XI  289 ff.  nach  E  467 f.  P  513  (Heyne).  —  forte  nicht  'zufällig,' 
als  ob  keine  Absicht  darin  läge,  sondern  temporal  'gerade'  wie  185.  190. 
m  301.  IX  325  (vgl.  G.  Schroeter,  Progr.  Gr.  Glogau  1885, 4).  —  demens  ist 
wie  590.  IX  728  nach  dem  homerischen  vr|TTioc  mit  großem  Ethos  an 
den  Versanfang  gestellt;  es  gehört  zu  beiden  Satzgliedern  (also  nicht  Post- 
position von  et).  Vergil  hat  diese  Stellung  oft  (vergl.  M.  Krafft,  Progr. 
Goslar  1889,  22 f.),  so  in  der  schönen  Stelle  b.  8,88.  —  exceptum. 
Donatus:  ut  feram  venabulo.  —  intei'  saxa:  über  das  spondeische  Wort 
im  1.  Fuß  s.  Anhang  VIH.  —  saxa.  „Die  Ufer  des  äußeren  Hafenbeckens 
sind  größtenteils  felsig  und  steil  abfallend"  Beloch  1.  c.  (z.  9 f.)  196.  — 
virum.  Eine  der  vielen  Stellen  (so  unten  890),  wo  dies  Wort  zum 
Ersatz  für  die  bei  den  Daktylikern  seit  Ennius  unbeliebten  obliquen 
Kasus  von  is  dient.  Umgekehrt  steht  es  oft,  ebenfalls  nach  ennianischem 
Vorbild  (z.  B.  ann.  394),  mit  Emphase  ('Mannen'),  so  553  vis  .  .  .  virum 
(ennianisch:  ann.  280),  wo  Servius  es  richtig  erklärt  (vergl.  784.  Quintil. 
Vni  3,  86);  auch  Livius  XXI  4,  9  has  tantas  viri  viiiutes,  wohl  im  Stil 
seines  Gewährsmanns. 

B.  Vorbereitungen  zur  Beerdigung  175 — 84.  175ff.  ergo 
omne's  magno  circum  clamore  fremebant  drei  spondeische  Worte  hinter- 
einander mit  dieser  Betonung  in  diesem  Buch  nui*  noch  168  üliim  vitä 
Victor  (ennianisches  Kolorit),  320  hae  Uncünt,  ülde  remis  vada  Uvida  ver- 


182  KOMMENTAR 

runt  (gemildert  durch  die  Pause).  Der  wuchtige  Ehythmus  soll  dem 
Vers  das  pondus  geben,  von  dem  Horaz,  ebenfalls  malend,  sagt  a.  p. 
259  f.  Enni  \  in  scaenäm  missös  cum  magno  pondere  versus.  Mit  freme- 
hant^  einem  seiner  Lieblingsworte,  schließt  Vergil  oft  Verse  nach  dem 
Vorbild  des  Ennius  ann.  489.  572.  —  praecipue  pius  Äeneas  war  für 
I  220  zuerst  gedichtet,  wird  hier  nur  lose  angehängt.  —  haud  mora 
festinant  Haud  mora  wie  ein  Wort  adverbialisch,  also  ohne  folgende 
Interpunktion  zu  schreiben  (wie  in  M),  Noch  Ausonius  hat  es  so  ge- 
fühlt, denn  sonst  würde  er,  der  im  ersten  Fuß  des  Hexameters,  wenn 
dieser  aus  zwei  Worten  besteht,  keine  Synaloephe  zuläßt,  nicht  gesagt 
haben  Mos.  255  nee  mora  et  excussam  (vergl.  Schaper,  Progr.  Insterbiu-g 
1862,  15).  Aus  den  Versschlüssen  a.  III  207  haud  mora  nautae  X  153 
haud  fit  mora  Tarchon  folgt  dasselbe,  da  die  Interpunktion  nach  dem 
fünften  Fuß  sehr  unbeliebt  ist  (s.  Anhang  II  4,  4).  Diese  Versschlüsse  mit 
ihrer  unregelmäßigen  Bildung  (s.  Anhang  IX),  sowie  der  in  seiner  ersten 
Hälfte  unregelmäßig  gebildete  Vers  V  140  haud  mora  \  prosüuere  \\  suis 
(s.  ebenda  VII B  2d)  machen  zugleich  wahrscheinlich,  daß  die  Verbindung 
ennianisch  ist,  was  durch  die  Zusammenhänge,  in  denen  V  368  haud 
mora  continuo  (mit  echt  archaischer  Verstärkung  des  Zeitbegriffs)  und 
VII  156  haud  mora  festinant  stehen,  bestätigt  wird. 

177 f.  aramque  sepulchri  \  congerere  arhoribus  caeloque  educere  certant. 
Scpulchri  ME,  Servius;  sepulchro  P.  Ersteres  ist  also  besser  beglaubigt, 
zumal  da  als  ältester  Zeuge  Silius  XV  38 7 f.  alta  sepulchri  \  protinus  ex- 
struitur  caeloque  cducitur  ara  hinzutritt.  Die  Erklärung  ist  (für  das  eine 
wie  für  das  andere)  kontrovers;  schon  Probus  wußte  nach  Servius  nichts 
Sicheres:  de  hoc  loco  requirendum  adhuc  dixit.  Freilich  der  Sinn  steht 
fest:  gemeint  ist  die  pyra  wie  215  zeigt,  wp  die  Erzählung  zu  dieser 
Stelle  zurückkehrt.  Das  bemerkt  schon  Servius  richtig.  Aber  wie  kommt 
ara  zu  dieser  Bedeutung  ?  Ara  ist  urspr.  nur  die  'Feuerstätte'  (Varro  de 
1. 1.  V  38,  Bücheier,  Lex.  Ital.  p.  V);  sie  wird  zu  einem  'Altar'  erst  durch 
Erhöhungen:  structae  diris  altarihus  arae  Lucan  IH  404  (andere  Belege 
bei  E.  Reisch  s.  v.  altaria  in  Pauly-Wissowas  R.-E,  I  1691),  wie  ja  über- 
haupt das  auger e,  struere,  cumulare  aram  donis  (magmentis  etc.)  etwas 
Wesentliches  ist:  vergl.  Varro  de  1.  1.  V  112.  Festus  S.  310M.  Verg.  g. 
III  533.  IV  379.  a.  XI  50.  Seneca  Oed.  305.  Das  drückt  Vergil  hier  in 
seiner  pathetischen  Manier  aus:  aram  arhoribus  congestis  in  caelum  edu- 
cunt.  Aber  er  gibt  dem  Wort,  um  es  von  einer  gewöhnlichen  ara  zu 
differenzieren,  die  nähere  Bestimmung  sepulchri:  'Grabaltar'  (Donat:  prope- 
rdbant  aram  non  saxis  struere  sed  arhoribus,  ut  ipsa  esset  et  sepulchrum), 
ähnlich  wie  Ovid  tr.  III  13,  20f.:  „ich  kann  hier  dem  Geburtstagsgott 
keinen  Altar  errichten":  funeris  ara  mihi  ferali  cincta  cupressu  |  con- 
venit  et  structis  flamma  parata  rogis  und  met.  VHI  480  sepulchrales  arae 
vom  rogus.  Wie  diese  Bezeichnung  zu  verstehen  ist,  lehrt  Vergil  selbst 
im  weitem  Fortgang  unserer  Erzählung.  Bei  der  Verbrennung  der  Leiche 
2 24 f.  werden  mitverbrannt  turea  dona,  dapes,  fuso  crateres  olivo.  Also 
auf  dem  Scheiterhaufen  wird  geopfert  wie  auf  einem  Altar.  Das  Opfer 
gilt  den  Manen  des  Misenus,  wie  V  161  ff.,  einer  u.  21 4  f.  von  V.  benutzten 
Stelle,  der  Seele  des  Patroklos.  Später  opferten  die  Griechen  dem 
heroisierten  Toten  nur  mehr  am  Grabe  und  da  finden  wir  bei  Dichtem 


VERS  175—179.  183 

eine  der  vergilischen  verwandte,  wenn  aucli  nur  mehr  metaphorische 
Ausdrucks  weise:  Simonides  von  den  heroisierten  Marathonkämpfem :  'ihr 
Grab  ist  ein  Altar'  (ßu)|iiöc  ö'  6  Tdqpoc,  bei  Diodor  XI  11),  Aeschylos 
Cho.  99K.  (die  Chorführerin  zu  Elektra,  die  am  Grabe  des  heroisierten 
Agamemnon  opfert):  ai&ou|ne'vri  (Joi  ßuj)növ  u)C  TUjiißov  Traipöc  („gleich 
dem  Altar  verehr'  ich  deines  Vaters  Grab").  Der  Eömer,  der  die  roheren 
Formen  uralten  Seelenglaubens  zäher  konservierte,  konnte  aber,  wie  der 
Dichter  der  Patroklie,  sogar  das  Opfer  auf  dem  Scheiterhaufen,  d.  h.  also 
den  Scheiterhaufen  als  Altar,  mit  sinnlicher  Eealität  sich  vorstellen:  denn 
durch  Catull  59  und  Ovid.  f.  11  566  ist  die  cena  für  den  Toten  auf  dem 
Scheiterhaufen  bezeugt:  das  sind  die  von  Vergü  unten  225  genannten 
dapes.  Eine  analoge  Bedeutungsentwicklung  wie  ara  machte  hustum 
durch.  Dieses  Wort,  wie  ara  ursprüngKch  die  'Feuerstätte'  bedeutend, 
wurde  von  Dichtem  auf  den  über  dieser  aufgeworfenen  Grabhügel  (Catull 
64,  363  excelso  coacervatum  agyere  hustum,  Properz  II  13,  33,  Vergil  selbst 
XI  849 f.  ingens  .  .  .  terreno  ex  aggere  hustum),  dann  von  Vergil  im 
XI.  Buch,  wo  er  die  Totenopfer  für  Pallas  auf  Grund  der  zitierten  IKas- 
stelle  schildert  (l84ff.),  auf  den  Scheiterhaufen  (201,  wechselnd  mit 
pyras  185)  übertragen.  —  Mit  caeloque  educere  (cetiant)  wird  congerere 
arhorihus  stilistisch  variiert  und  grotesk  gesteigert  (cf.  oupavöjLiTiKec)-, 
daß  die  Variation  hier  wie  sonst  (s.  z.  25)  durch  eine  ennianische  Remi- 
niszenz bedingt  ist,  zeigt  der  aus  Ennius  überlieferte  Versschluß  extollere 
certant  (ann.  425). 

179ff.  Das  Baumfällen  im  Urwald.  Nach  Strabo  V  244f.  war  hier 
Urwald  (dYpia  ijXti  laeYaXöbevbpoc  Kai  aßaroc)  gewesen,  bis  er,  in  Zu- 
sammenhang mit  der  systematischen  Veränderung  der  Gegend  durch 
Agrippa  (37  v.  Chr.),  kultiviert  wurde.  Vergil,  der  zu  jener  Zeit  in 
Kampanien  die  Georgica  begann,  wird  ihn  also  noch  in  seiner  ursprüng- 
lichen Wildheit  gesehen  haben;  die  diirch  Agrippa  bewerkstelligte  Kom- 
munikation des  Lucriner-  und  Avemersees  mit  dem  Meer  erwähnt  er 
bewundernd  g.  II  161  ff.  —  Die  Schilderung  des  Baumfällens  gehörte  zu 
den  LieblingsstofFen  der  lateinischen  Poesie,  die  sich  darin  der  griechischen 
überlegen  fühlte  (Varro  sat.  389 — 392.  395  f.),  wie  überhaupt  in  dem 
ponere  lucum  (Persius  1,  70).  Während  daher  Homer  Y  118  f.  (Baum- 
fällen für  den  Scheiterhaufen  des  Patroklos)  mit  2 — 3  Versen  sich  begnügt 
(ebenso  Eurip.  Herc.  240 f),  gebraucht  Ennius  a.  193 ff.  in  seiner  Nach- 
ahmung der  genannten  homerischen  Stelle  (vergl.  Vahlen's  praefatio  LII) 
5  Verse,  SUius  X  526 ff.  in  Nachahmung  Vergüs  6,  Statins  Theb.  VI  90ff. 
gar  20  Verse.  Oder,  um  ein  weiteres  Beispiel  anzuführen:  der  alexan- 
drinische  Dichter,  dem  Ps.  Ovid  seine  16.  Heroide  (Paris  an  Helena)  und 
Kolluthos  sein  Epyllion  vom  Eaub  der  Helena  nachdichten,  beschrieb,  wie 
aus  Kolluthos  196 f.  zu  schließen  ist,  das  Holzfällen  für  den  Bau  der 
Flotte  des  Paris  in  2  Versen,  während  Ps.  Ovid  107  ff.  vier  daraus  macht. 
Vergil  legt  sich  hier  und  an  einer  späteren,  dieser  nachgebildeten  Stelle 
XI  135  ff.  vornehme  Beschränkung  auf.  Die  Genauigkeit  in  der  Nach- 
bildung des  Ennius  fiel  den  alten  Interpreten  auf:  darum  werden  bei 
Macrob.  VI  2,  27  dessen  Verse  zitiert.  Wir  können  hier  einmal  deutlich 
nicht  bloß  den  Umfang,  sondern  auch  die  Art  des  lf\\oc  'Evviavöc  bei 
Vergil  erkennen:  trotz  detaillierter  Nachbildung  ist  das  Ganze  polierter, 


184  KOMMENTAR 

studierter,  kurz  moderner,  also  ein  guter  Beleg  für  die  Worte  des  alten 
Kritikers  bei  Macrobius  s.  VI  1,  6  iudicio  transferendi  et  modo  imitandi 
consecutus  est  (sc.  Vergilius)  ut  quod  apud  iUum  legerimus  alienwm  .  .  ., 
melius  Mc  quam  ubi  natum  est  sonare  miremur  (vergl.  Anhang  I).  Wie 
von  Worten  und  Gedanken  macht  Vergil  hier  auch  von  Ennius'  malerischen 
Mitteln  Gebrauch:  starke  Alliterationen  mit  a,  i,  f,  p,  s,  sowie  die 
Spondeen  182  advolvont  ingentis  montibus  ornos  (Ennius:  perceUunt  magnas 
quercus  und  pinus  proccras  pervortu/nt),  die  er  aber  in  effekvoUen  Gegen- 
satz zu  den  vorhergehenden  Daktylen  sonat  icta  hipennibus  Hex  setzt;  das 
Ethos  der  Daktylen  ist  hier  noch  gesteigert  durch  den  malerischen  Vers- 
einschnitt nach  icta  (s.  Anhang  VIT  B  2  b).  In  181  cuneis  et  fissile  robur 
scinditur  fügt  er  (wie  VII  509)  durch  die  Erwähnung  der  Keile  eine 
gelehrte  Nuance  hinzu:  vergl.  g.  I  144  nam  primi  cuneis  scindebant  fissile 
lignum:  die  Säge  galt  als  eine  spätere  Erfindung,  vergl.  M.  Kremer,  De 
catalogis  heurematum,  Leipz.  1890,  7 4 f.  Die  Kiefern,  die  bei  Ennius 
erst  an  letzter  Stelle  genannt  sind,  rückt  er  an  die  erste:  der  Grund 
ist  aus  der  schon  von  Gerda  angeführten  Stelle  des  Plinius  n.  h.  XVI  40 
picea  feralis  arbor  .  .  .  ac  rogis  virens  ersichtlich  (vergl.  214).  Statt 
der  abies  des  Ennius  nennt  er  die  ornus,  da  sie  auf  den  Bergen  wächst 
(g.  n  111,  Plin.  XVI  73).  Das  ennianische  fraxinu(s)  (frangitur)  umschreibt 
er  metri  causa  (s.  z.  4)  fraxineaeque  trabes,  wie  er  aus  gleichem  Grund 
180  den  Sing,  ilex  neben  piceae  setzt  (so  Val.  Flacc.  III  165  äbies  neben 
piceae:  vergl.  Leo,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  955).  Auch  der  Vers  179  itur 
in  antiquam  silvam,  stabula  älta  ferarum,  der  die  Schilderung  des  Baum- 
fällens einleitet,  macht  durch  das  starke  ojlioiotttujtov  antiquam  silväm 
archaischen  Eindruck  (s.  Anhang  IV).  Mit  stabula  alta  ferarum  vergleicht 
Nettleship  Catull  63,  53  ferarum  gelida  stabula.  Aber  beide  folgen  wohl 
einem  älteren  Dichter.  Denn  Vergil  hat  denselben  Ausdruck  noch  zweimal 
in  Versen,  deren  Struktur  von  seiner  eignen  Technik  abweicht:  IX  388 
Alba/ni^  tum  rex  stabula  alta  Latinus  habebat  X  723  impastus  stabula 
leo  ceu  saepe  peragrans:  beide  Verse  mit  ungewöhnlicher  Synaloephe  — 
s.  Anhang  XI  2B  5  — ,  der  erste  außerdem  noch  mit  seltnen  Caesuren 
—  s.  z.  140  — ,  und  im  zweiten  folgt  das  archaische  ceu  —  s.  Anhang  IX 
2,  1  — .  So  hat  Catull  in  demselben  Gedicht  (63,  15)  sonipes,  das  er 
und  Vergil  (IV  135  u.  ö.)  aus  Ennius  nahmen. 

181.  Donatus  paraphrasiert  richtig  so,  daß  fraxineae  trabes  zu  dem 
Vorhergehenden,  cimeis  zu  dem  Folgenden  gehört,  und  dementsprechend 
ist  in  M  richtig  nach  trabes  interpungiert;  also  ist  et  nachgestellt,  s.  An- 
hang niB  3.  —  182.  advolvont  montibus.  Der  sogenannte  ablativus 
separationis  kommt  im  alten  Latein  nur  in  äußerst  seltnen  Fällen  außer- 
halb seiner  regulären  Gebrauchssphäre  (bei  Städtenamen)  vor.  Die  Vergil 
vorausgehende  Epoche  beschränkt  ihn  ausschließlich  auf  letztere,  denn 
die  aus  Lucrez  und  Catull  von  Schüler  1.  c.  (z.  llOff.)  47 f.  angeführten 
Beispiele  sind  anders  zu  beurteilen  (Lucr.  I  259.  VI  1203  abl.  absolut., 
V  29  abl.  instrum.,  VI  1141  Konjektur  Lachmanns;  Catull  64,  298  ge- 
hört caelo  als  Dativ  zum  Folgenden).  Vergil  hat  zuerst,  wie  er  über- 
haupt gerade  auch  auf  dem  Gebiet  der  Kasus  ein  großer  Neuerer  war, 
die  Grenzen  dieses  Gebrauchs  außerordentlich  erweitert:  einige  Beispiele 
bei  Schüler  1.  c.  46  f.,   vergl.  in  unserm  Buch  191   caelo  venere  volantes 


VEES  179—191,  185 

(dagegen  Ennlus  tr.  33  volans  de  caelo)  und  zu  539.  —  183 f.  nee  non 
Äeneas  opera  inter  talia  primus  \  hortatur  socios  paribusque  accingitur 
armis.  Nee  non  und  nee  non  et  (z.  B.  unten  595)  ist  in  die  Poesie,  wie 
es  scheint,  erst  von  Yergü  eingeführt  worden.  —  Die  logische  Folge  der 
Begriffe  in  dem  zweiten  Verse  wäre  in  Verbindung  mit  dem  ersten: 
paribus  accingitur  armis  et  hortatur  socios.  Läßt  schon  dieses  ucfTepov 
TTpöiepov,  das  sich  ähnlich  11  749  ipse  urbem  repeto  et  cingor  fulgentibus 
armis  findet,  es  als  möglich  erscheinen,  daß  eine  der  beiden  Phrasen 
durch  Ennius  beeinflußt  ist  (s.  z.  115  und  Anhang  II  3),  so  wird  das 
hier  für  die  zweite  bestätigt  durch  die  Parallele  VII 640  fidoque  ac- 
cingitur ense,  deren  ennianischer  Ursprung  zu  524  wahrscheinlich  ge- 
macht werden  wird;  aen.  11  235  accingunt  omnes  operi  bezeichnet  Wölfflin, 
Arch.  f.  Lex.  X  1898,  3  aus  anderem  Grunde  vermutimgsweise  als  en- 
nianische  Phrase.  —  arma  'Werkzeuge'  ist  nach  dem  Thes.  1.  1.  II  590 
für  uns  vor  Vergil  g.  I  160  nicht  nachweisbar,  also,  wie  daselbst  vermutet 
wird,  nach  Analogie  von  OTiXa  möglicherweise  erst  von  ihm  eingeführt. 
Er  umging  durch  dies  Wort  da,  wo  er  es  von  den  'instrumenta  agrestia' 
gebraucht  (g.  I  160,  vergl.  a.  I  177),  Worte  des  täglichen  Lebens  ('sordida 
vocabula'  s.  o.  S.  115,  l),  und  da,  wo  er  es  von  den  'instrumenta  nautica' 
gebraucht  (unten  353  spoliata  armis  .  .  .  navis,  V  15),  das  für  den  Vers 
unbequeme  lange  armammtum. 

C.  Gewinnung  des  goldnen  Zweigs  185 — 211.  185f.  haec... 
tristi  cum  corde  volutat  mit  starker  Benutzung  ennianischer  Phraseologie: 
s.  Anhang  I  1.  —  186f.  aspectans  silvam  immensam  et  sie  forte  precatur. 
Die  Spondeen  malen  die  Nachdenklichkeit  (s.  o.  156 ff.  und  Anhang  VIIB  l), 
die  zwei  aufeinander  folgenden  starken  Synaloephen  die  Unermeßlichkeit, 
vergl.  für  letzteres  unten  552  porta  adver sa  ingens  HE  658  monstrum 
horrendum  in  forme  ingens  IV  181  monstrum  Jiorrendum  ingens  Vii  170 
tedum  augustum  ingens  XTT  897  saxum  antiquum  ingens  (vergl.  Wagner 
zu  g.  n  441,  H.  Heibig,  De  synaloephae  ap.  epicos  lat.  ratione,  Progr. 
Bautzen  1878,  10).  —  forte  (s.  z.  171)  tadelt  Servius  hier  wie  VII  112 
als  Flickwort,  (deshalb  ist  in  E  dafür  voce  interpoliert  aus  IX  403. 
XI  784).  Donatus  sucht  es  zu  verteidigen:  hoc  sölum  protulerat,  ut  optare 
potius  videretur  quam  rogare,  und  daß  er  damit  die  Intention  des  Dichters 
trifft,  macht  der  Anfang  des  'Gebets'  187  mit  si  ei9e  sowie  die  Wieder- 
holung von  forte  190  bei  der  Erfüllung  wahrscheinlich.  Immerhin  legt 
aber  der  Umstand,  daß  forte  hier  durch  die  Situation  nicht  bedingt  ist, 
die  Vermutung  nahe,  daß  die  Phrase  sie  forte  precatur  von  Vergil  aus 
einem  älteren  Dichter  als  gegeben  übernommen  worden  ist.  —  190  vix 
ea  fatus  erat  vergl.  Varro  sat.  494  ^vix  effatus  erat\  cum  more  maiorum 
etc.,  sicher  ein  Zitat  aus  Ennius  (vergl.  Büchelers  Index  zu  Varros  sat. 
p.  250),  vergl.  in  unseren  Fragmenten  der  Annalen  48.  60  haec  effatus 
(ebenfalls  am  Versanfang).  Vergil  hat  die  Phrase  vix  ea  fatus  erat 
VILI  250  wiederholt,  imd  dort  steht  sie  in  ennianischer  Umgebung. 

191  ff.  ipsa  suh  ora  erklärt  Servius  aus  der  Auguraltechnik:  die  Vögel 
kamen  in  seinen  'Gesichtskreis'  {conspicio  Varro  1.  1.  VEI  8),  und  199  f. 
wird  ausdrücklich  gesagt,  daß  sie  in  demselben  bleiben.  Auch  im 
folgenden  bringt  Servius  mehrfach  Erklärungen  aus  dieser  Sphäre,  und 
zwar  mit  Recht.     Zu  197  vestigia  pressit  bemerkt  er:  quia  ad  captanda 


186  KOMMENTAR 

auguria  post  preces  immohües  vel  sedere  vel  sistere  consueverant ;  zu  198 
werden  in  der  erweiterten  Scholienfassung  öbservans,  zu  199  pascentes 
als  Worte  der  Auguralsprache  notiert:  beides  richtig,  und  zwar  dürfte 
pasci  von  Vögeln  außerhalb  dieser  Begriffssphäre  nicht  vorkommen, 
während  es  in  dieser  das  gebräuchliche  Wort  war,  vergl  P.  Eegell, 
Commentarii  in  libr.  augural.  fragm.  specimen,  Hirschberg  1893,  p.  17, 
41).  Wir  können  noch  hinzufügen:  198  quae  signa  ferant  t.  t.  für  die 
Zeichen  des  Auguriums,  ib.  quo  tendere  pergant  Richtung  des  Flugs, 
200  servare,  192  sedere  von  den  sich  niederlassenden  Vögeln  (vergl. 
Eegell  1.  c.  14,  25),  193  cognoscere  (vergl.  XU  260,  wo  der  Augur  ein 
augurium  oblativum  mit  den  Worten  accipio  agnoscoque  deos  begrüßt, 
XII  861  ff.,  wo  Turnus  eine  importuna  avis  als  ein  monstrum  'agnoscif), 
203  optare  'erschauen'  (s.  den  Komm,  daselbst).  Den  auguralen  Charakter 
der  Partie  hat  schon  Silius  erkannt,  denn  in  einer  deutlichen  Nach- 
ahmung derselben  XVII  52 ff,  (Adler  zeigen  dem  Scipio  den  Weg  von 
Sizilien  nach  Afrika)  heißt  es  Vers  55:  augurium  clangor  laetum  däbat. 
Vermutlich  hat  Vergil  die  auguralen  Phrasen  zumeist  bei  Ennius  ge- 
funden, bei  dem  ja  Augurien  eine  bedeutende  Rolle  spielen  (s.  z.  15),  und 
sie  auf  die  vorliegende  Situation  übertragen,  ohne  daß  es  sich  hier  um 
ein  eigentliches  Augurium  handelte:  vergl.  schol.  Dan.  zu  I  398  Jiaec 
(sc.  colunfibae)  inter  augurales  aves  dicuntur  non  inveniri,  et  tarnen  ex  Ms 
augurium  et  postulari  facit  et  ostendit  (folgt  Zitat  unserer  Verse). 

191  venere  volantcs  =  Lucr.  VI  833,  wegen  der  Alliteration  vielleicht 
ennianisch.  Durch  diese  Alliteration  und  die  der  folgenden  Verse  (sedere 
solo,  agnoscit  aves)  wird  die  Erscheinung  der  Tauben  als  bedeutsam 
hervorgehoben.  —  agnovit  M  und  Servius  z.  I  193,  agnoscit  PR;  letzteres 
kann  an  das  gleich  folgende  precatur  angeglichen  sein,  wie  umgekehrt 
unten  746  reliquit  durch  das  vorhergehende  exemit  verschrieben  sein  wird. 
Vergl.  498  f.  agnovit  .  .  .  et  compellat.  —  laetusque  precatur  im  Gegensatz 
zu  der  traurigen  Stimmung  (irisfi  cum  corde)  beim  ersten  Gebet;  daher 
sind  auch  die  Rhythmen  dieses  Gebets  lebhafter  als  die  des  ersten.  — 
195 f.  pinguem  dives  opacat  \  ramus  humum:  über  die  markierte  Stellung 
der  Attribute  und  Substantive  s.  Anhang  IIIA  3.  —  opacare  ist,  wie  das 
Adjektiv  (s.  z.  208 f.)  ein  Wort  nur  des  hohen  Stils,  das  Vergil  alter 
Poesie  entlehnte  (vergl.  Pacuvius  362);  vor  Vergil  hat  es  wohl  nur 
Cicero,  und  zwar  nur  an  Stellen  mit  deutlichem  poetischen  Kolorit  (de 
or.  I  28,  de  nat.  d.  II  49,  fr.  de  leg.  bei  Macrobius  s.  VI  4,  8).  —  196f. 
tuque  0  duhiis  ne  defice  rebus,  \  diva  parens.  Das  Gebet  schließt  mit  den 
alliterierenden  Worten  duhiis — defice — diva.  —  duhiis  rebus:  die  gleiche 
Verbindung  in  gleichem  Sinn  Plautus  most.  1041;  da  sie  sich  auch  XI  445 
als  Abschluß  einer  stark  ennianisch  gefärbten  Staatsratsscene  findet,  so 
wird  Vergil  sie  aus  Ennius  genommen  haben,  wie  Sallust  Cat.  10,  2 
lug.  14,  5  aus  älterer  Prosa.  —  197  vestigia  pressit  nach  Servius  *er 
blieb  stehen'  wie  unten  331  consiitit  .  .  .  et  vestigia  pressit  (ebenso  389 
comprime  gressum),  nach  anderen  'er  verlangsamte  seine  Schritte,'  wie 
XI  78 7 f.  per  ignem  .  .  .  premimus  vestigia  (verstärkend  oben  159  vestigia 
figit)  und  an  vielen  von  Henry  261  ff.  zitierten  Stellen.  Hier  macht,  wie 
bemerkt,  der  augurale  Sinn  die  erstere  Bedeutung  glaublicher.  Die  Phrase 
darf  mit   großer  Wahrscheinlichkeit  für  Ennius  in  Anspruch  genommen 


VERS  191—203.  187 

werden:  s.  z.  159.  331.  —  198  quae  signa  ferant,  quo  tendere  pergant 
Parison  mit  Homoioteleuton;  Parallelismus  auch  zwischen  199  und  200 
(vergl.  Anhang  II  3).  —  199  pascentes  illae  tantiim  prodire  volando  mit 
malerischen  Spondeen  zur  Bezeichnung  der  Langsamkeit  des  Flugs;  als 
dieser  schnell  wird,  schlägt  der  Rhythmus  um:  202  tollunt  se  celeres 
Uquidumque  per  aera  lapsae;  vergl.  über  derartige  rhythmischen  Kontraste 
Anhang  VII B  1.  —  Nach  Servius  zogen  einige  pascentes  noch  zu  den 
Worten  des  vorhergehenden  Verses  (quo  tendere  pergant),  was  Henry 
265 f.  billigt;  auch  in  M  ist  nach  pascentes  interpungiert.  Aber  die  starke 
Interpunktion,  die  dadurch  in  den  Versanfang  fallen  würde,  ohne  daß 
damit  eine  bestimmte  Wirkung  erreicht  werden  soll  (s.  z.  155),  empfiehlt 
diese  Verbindung  nicht,  zimial  durch  sie  die  soeben  notierte  Figur  quae 
Signa  ferant,  qico  tendere  pergant  zerstört  werden  würde.  Dagegen  ver- 
einigen bei  der  üblichen  Interpunktion  die  beiden  Partizipien  pascentes 
und  sequcntum  die  beiden  Verse  zu  einer  schönen  Einheit,  wie  Vergil  sie 
liebt  (s.  Anhang  III A  2)  und  gleich  (202  f.)  abermals  hat.  —  200  sequentum. 
Peerlkamp  u.  a.  nahmen  daran  Anstoß,  daß  vorher  weder  gesagt  sei,  daß 
Aeneas  Begleiter  habe,  noch  daß  er  nach  197  {vestigia  pressit,  s.  o.)  weiter 
gegangen  sei.  Beides  übergeht  Vergil,  seiner  Praxis  gemäß  (s.  z.  145), 
als  nebensächlich,  das  erstere  Moment  ähnlich  XII  75  f^  112.  —  Die 
Endung  auf  -um  wie  432  süentum  755  venientum  und  so  in  der  Aeneis 
noch  vierzehn  Formen,  meist  eigentliche  Participia  am  Versschluß,  aber 
in  den  späteren  Büchern  auch  quadrupedantum  (XI  614),  potentwn  (XII 
519),  caelestum  (VII  432).  In  dem  Gebrauch  dieser  Formen  war  Ennius 
vorausgegangen,  dem  auch  Lucilius  und  Lucrez  folgten  (vergl.  auch 
L.  Havet  zu  Phaedrus  p.  180). 

201  grave  olentis  Äverni.  Vergl.  für  das  Kompositum  g.  IV  270 
Cecropiumque  thymum  et  grave  olentia  cenfaurea,  also:  KcKpÖTTiöv  xe 
Gu|UOV  ßapuob|ud  xe  Keviaupem;  das  Adjektiv  ßapuobjjoc  kannte  er  aus 
Nikandros  Ther.  51,  einer  von  ihm  g.  m  415  nachgebildeten  Stelle. 
Daß  er  grave  olens  als  eine  Art  von  Komposition  fühlte,  lehrt  auch  die 
bloß  scheinbare  Synaloephe,  s.  Anhang  XI  1  (vergl.  die  Schreibung 
lenedora  =  hene  odora  carm.  epigr.  1559,  6  Buch.).  Auch  das  Gegenteil 
b.  2,48  narcissum  et  florem  iungit  hene  olentis  anethi  ist  aus  dem  Griechischen 
übersetzt:  fibuirveovTOC  dvr|0ou,  und  daher  wagt  [Tibull]  IV  2,  17  einen 
Vers  zu  schließen  hene  olentibus  arvis,  während  der  Verfasser  dieser 
Gedichte  eigentliche  Synaloephe  an  dieser  Stelle  nicht  zuläßc.  —  201  ff. 
inde  uhi  Versanfang  wie  Lucr.  VI  201.  —  liquidum  aera:  Servius:  non  est 
aeris  perpetuum  epitheton  (wie  g.  I  404,  als  solches  von  den  augusteischen 
Dichtem  nach  iJYpöc  alGrjp,  iiYprjv  r\ipa  eingeführt),  sed  purum  ait 
Äverni  comparatione.  —  sedihus  optatis  nicht  '(dem  Aeneas)  erwünscht', 
sondern  '(von  A.)  erschaut,  ausersehen',  wie  noch  öfters  bei  Vergil, 
besonders  klar  III  109  optavifque  locum  regno,  wo  er  das  sakrale  Wort 
(wohl  nach  Ennius)  wählt,  weil  die  Städtegründung  durch  Auspizien 
geschieht.  In  unserem  Vers  gehört  also  das  Wort  zur  Gmppe  der  zu  191 
besprochenen  auguralen.  Vergl.  Bücheier,  ümbrica  30.  —  203  gemina 
super  arhore.  Donatus:  quae  frondem  duplicem  materiamque  portahat. 
Nach  Columella  HI  2  hießen  gewisse  Sorten  von  Reben  vites  geminae 
oder  gemdlae,  quod  duplices  uvas  exigunt.     Das  überträgt  also  Vergil  auf 


188  KOMMENTAR 

den  Baum  mit  grünem  und  goldnem  Laube.  Er  interpretiert  die  kühne 
Metapher  selbst  durch  den  folgenden  Vers  (discolor  etc.),  wie  er  das 
überhaupt  liebt:  sehr  richtig  Servius  zu  I  252  sciendum  est  omnium  auc- 
torum  esse  consuetudinem  res  dubie  positas  in  sequeniibus  explanare  et 
plenius  dicere  (s.  z.  2  70  f.).  In  cod.  R  ist  geminae  aus  190  (gemmae  — 
cölumbae)  interpoliert. 

204:  ff.  discolor  unde  auri  per  ramos  aura  refulsit  Servius  deutet 
aura  auri,  zwar  dem  Sinne  nach  richtig,  durch  splendor  auri,  aber  der 
Ausdruck  ist  ungewöhnlich  kühn.  Vergil  erklärt  ihn  wieder  selbst  durch 
209  crepitahat  hrattea  vento:  also  richtig  Nonius  245  aura  est  ventorum 
mit  Verweisung  auf  Vergils  aura  auri.  Wir  würden  auch  wohl  ver- 
stehen und  als  schöne  Metapher  würdigen  können  'durch  die  Zweige 
weht  ein  goldiger  Lichtglanz',  aber  aus  griechischer  (oder  gar  lateinischer) 
Poesie  ist  mir  nichts  genau  Entsprechendes  bekannt.  Vergil  wagte  die 
Verbindung  nur  der  Paronomasie  zuliebe,  die  nicht  bloß  von  dem  witzeln- 
den Ovid,  sondern  auch  von  den  mit  spielerischen  Effekten  sparsam  um- 
gehenden Dichtem,  wie  Vergil  selbst,  Horaz  und  Tibull,  infolge  einer 
im  Charakter  des  italischen  Volks  wurzelnden  und  durch  die  importierte 
Ehetorik  gehegten  Manier  öfter  angewendet  worden  ist,  als  es  sich  mit 
unseren  Stilprinzipien  vertragen  will.  Was  Vergil  darüber  in  der  Rhetoren- 
schule  gelernt  hatte,  ersehen  wir  etwa  aus  der  Darlegung  des  auctor 
ad  Herennium  IV  21,  2  9  ff.  Die  dort  aufgeführten  Spezies  sind  bei  Vergil 
fast  sämtlich  nachweisbar:  1.  Productio  (bezw.  hrevitas)  eiusdem 
litter ae:  vergl.  IV  238  purere  pärabat  X  191  f.  cänit — cänentem  XII  389 
lato — lätebram  g.  II  328  ävia  tum  resonant  ävibus  virgidta  canoris  (vergl. 
das  in  der  genannten  Rhetorik  angeführte  Musterbeispiel  Mnc  avium 
dulcedo  ducit  ad  avium).  2.  Addendis  (bezw.  demendis)  litteris:  vergl. 
I  331  orhis  in  oris  II  271  teris  otia  terris  494  fit  via  vi  X  99  ven- 
turos — ventos  XI  729  caedes  cedentiaque  agmi/na  g.  III  502  factum  tractanti. 
3.  Commutandis  litteris:  vergl.  außer  unserem  auri — aura  b  3,  109 f. 
amores — amaros  7,  5  pares — parati  g  I  157  umbram — imbrem  a  I  399 
puppesque  tuae  pubesque  tuorum  (darüber  Quintil.  IX  3,  75)  646  cari  stat 
cura  parentis  II  313  clamor  clangor que  III  540  armantur  .  .  .  armenta 
IX  665  acris  arcus  X  735  furto — fortibus  XI  644  arma — armos  XII  788 
armis  animisque.  Vergil  macht  aber,  gemäß  der  Vorschrift  jener  Rhetorik, 
von  diesen  lumina  sparsame  Anwendung  und  zwar  fast  nur  in  Reden 
oder  an  sehr  zierlichen  Stellen  wie  der  unsrigen.  Manche  der  angeführten 
Beispiele  können  auf  Ennius  zurückgehen,  der  diese  Manier  in  die  hohe 
Poesie  einführte  (vergl.  Leo,  Prooemium  Göttingen  1898,  10 ff.),  so  wohl 
sicher  fit  via  vi  und  armis  animisque.  Denn  beide  Phrasen  hat  auch 
Livius  rV  38,  4.  VI  24,  10,  sei  es  aus  seiner  poetisch  gefärbten  anna- 
listischen Quelle,  sei  es  direkt  aus  Ennius  (s.  Stacey  1.  c.  [z.  99]  45.  48), 
und  die  zweite  Phrase  steht  in  einem  Vers  mit  dem  ennianischen  olli 
(s.  z.  317 ff.);  vergl.  auch  unten  zu  761  lucis  loca.  Ein  unserem  auri 
aura  wenigstens  verwandtes  Spiel  hat  Pacuvius  362  terra  exlialat  auram 
ad  auroram  umidam  und  der  in  seinen  Jamben  stark  durch  die  Tragödie 
beeinflußte  Varro  s.  121  aurorat  .  .  .  auro\  eine  Lieblingsverbindung  des 
Lucrez  (der  gelegentlich  der  ennianischen  Manier  folgte,  vergl.  II  103. 
in  888,  V  75,  299)  ist  aeris  auras.    Aber  dem  Vergil  am  nächsten  kommt 


VERS  203—210.  189 

Horaz  od.  I  5,  9  f.  creduius  aurea  —  nescius  aurae  fallacis.  —  Gewählt 
sind  in  vorliegender  Partie  auch  die  Alliterationen  205  f.  solet  silvis  .  . 
viscum  .  .  .  firere  .  .  .  sua  seminat  (Schema  aabbaa),  207  croceo  — 
teretis  circumdare  truncos  (ab ab),  das  Spiel  mit  r  204  discolor  unde  auri 
per  ramos  aura  refulsit  und  mit  t:  crepitabat  hrattea  vento.  Femer  das  in 
Ovids  Weise  pointierte  non  sua  in  206  qtiod  (viscum)  nmi  sua  seminat 
arbos,  wie  g.  11  81  arhos  . . .  miratur  non  sua  poma  (nach  dem  Griechischen, 
vergl.  A.  P.  IX  4,  wo  ein  okulierter  wilder  Bimbaiun  sagt:  ouk  e|aöv 
f])iieTepoic  kXuj(Ji  cpepoucTa  ßdpoc).  —  Auch  die  Ausdrücke  auri  fron- 
dentis  und  a'epifahat  hrattea  vento  sind  spielerisch  kühn:  der  Dichter 
darf  das  wagen,  weil  er  ein  TrapdboHov  beschreibt,  dem  er  hier,  wie  in 
der  sehr  studierten  Metamorphose  aen.  X  189 ff.  (nach  Phanokles),  im 
Stil  der  hellenistischen  Poesie  die  Sprache  anpaßt  (so  sagt  Ovid  m. 
X  647  f.,  wohl  durch  unsere  Stelle  beeinflußt,  von  dem  Baimi  mit  den 
Goldäpfeln  im  Atalantemythus:  medio  nitet  arbor  in  arvo,  \  fulva  comas^ 
fulvo  ramis  crepitantibus  auro).  Dem  Stil  besonders  dieser  Poesie  ent- 
spricht auch  die  malerische  Farbenwirkung:  aus  der  Landschaft  in  Eis 
und  Schnee  ragt  die  dunkle  Eiche,  auf  ihr  der  goldgelbe  Mistelzweig. 
205  brumali  frigore:  an  gleicher  Versstelle  brumali  tempore  Cicero 
Ar.  282;  über  brumalis  s.  o.  S.  65.  —  208  f.  opaca  ilice:  dieselbe  Ver- 
bindung X  851  in  einem  Verse  nach  archaischer  Technik  (s.  Anhang  VIIB 
2d  und  über  opacus  z.  195).  —  209  ilice:  die  Mistel  wächst  besonders 
auf  Eichen,  daher  die  alte  Interpolation  E  398  bpuCTiv  iHoqpöpoiCTiv  (für 
bp.  uijJiKOiuOKyiv,  danach  schon  Sophokles  fr.  370  N.^  iSo9Öpouc  bpuac); 
vergl.  Plinius  n.  h.  XVI  245  viscum  in  quercu  robore  ilice.  Die  Zweige  der 
Hex  stehen  so  tief,  daß  sie  von  der  Erde  aus  erreicht  werden  können, 
daher  210  corripit,  vergl.  Ovid  m.  XI  108f.  —  210  corripit — refringit: 
über  die  Stellung  der  Verben  am  Anfang  und  Schluß  des  Verses  s.  An- 
hang IIIA  2.  —  2 10  f.  avidtisqiie  refringit  \  cunctantcm  (sc.  ramum).  Das 
cunctari  des  Zweiges  steht  in  Widerspruch  mit  146 f.  ipse  (ramiis)  volens 
facilisque  sequetur,  si  te  fata  vocant.  Die  von  Servius  angeführte  XucTic, 
daß  Vergil  cunctantem  zum  Kontrast  von  avidus  hinzugefügt  habe,  td 
ostendat  tantam  fuisse  avellendi  cupiditatem,  ut  mala  ei  satisfacere  posset 
celeritas,  erklärt  richtig  die  Genesis  des  Widerspruchs,  ohne  ihn  als  solchen 
zu  beseitigen.  Ob  er  bei  endgültiger  Redaktion  ausgeglichen  worden 
wäre  oder  vom  Dichter,  der  momentane  Illusion  höher  stellte  als  absolute 
logische  Straffheit  (vergl.  Kroll  1.  c.  [z.  llOff.]),  überhaupt  nicht  als  solcher 
empfunden  worden  ist,  wird  sich  kaum  entscheiden  lassen;  cunctari  war 
ihm  als  verbum  rusticum  geläufig:  glaebae  ciinctantes  g.  II  236.  —  ex- 
templö  ävidusque,   vergl.   über  die    seltene   Synaloephe  Anhang  XI  2B  4. 


n.    Bestattung  des  Misenus  212 — 235. 

Drei  Abschnitte.  1.  Einleitung  212 — 13  (2  K6)a)iiaTa).  2.  Die  heilige 
Handlung  214 — 31  in  drei  Absätzen,  bezeichnet  durch  principio  214,  tum  220, 
postquam  226 ;  der  erste  Absatz  ein  xpiKUjXov  (a.  214 — 217  mit  vier  K6)Li|iaTa, 
b.  218  — 19  mit  zwei  KÖjLijuaTa,  c.  220  fit  gemitus,  gewichtig  ein  kuüXov  für 
sich  bildend  wie  unten  483  ingemuit),  der  zweite  ebenfalls  ein  rpiKUuXov  (a. 
220  tum— 222  conidunt,  b.  222 pars — 224 /acem,  c,  224  congesta— 225  olivo 


190  KOMMENTAR 

mit  je  drei  K6|Li)LiaTa) ,  der  dritte  mit  2  rpiKuuXa,  jedes  kujXov  mit  dem 
Yersschluß  zusammenfallend  (a.  226  mit  zwei  KÖ)i)LiaTa,  b.  227,  c.  228; 
a.  229,  b.  230,  c.  231).     3.  Schluß  232—35:  drei  +  drei  KÖ)Li|LiaTa. 

212  ff.  Anlehnung  an  die  Bestattungsszene  der  Patroklie  für  die 
allgemeine  Konzeption  ist  schon  zu  177  notiert  worden;  das  einzelne  ist 
z.  B.  von  W.  Ribbeck  zusammengestellt.  Die  ganze  Partie  war  im  Alter- 
tum wegen  ihres  sakralen  Charakters  berühmt,  wie  Nachahmungen  bei 
Schriftstellern  und  auf  Inschriften  beweisen.  Sie  ist  auch  für  uns  eine 
Fundamentalstelle  für  italisch-griechische  Bestattungs-  und  Opfergebräuche 
(die  V.  absichtlich  mischt)  und  in  diesem  Sinn  in  den  Handbüchern, 
sowie  von  Diels  in  den  ritualgeschichtlichen  Anmerkungen  seiner  Sibyll. 
Blätter  p.  121  verwertet  worden,  so  daß  die  Belege  für  das  Zeremoniell 
meist  übergangen  werden  können.  Die  Szene  ist  bei  aller  Kürze  sehr 
wirkungsvoll;  der  dumpfen  Klage  zu  Anfang  macht  am  Schluß  ein  be- 
freiendes Motiv  Platz. 

Für  den  konventionellen  Übergang  nee  minus  mterea  (VII  572  in 
einem  ennianisch  schließenden  Vers)  und  die  Wiederholung  des  Motivs 
von  177f.  in  214f.  s.  o.  S.  176.  —  213  flebant  et  cineri  ingrato  suprema 
ferebant  Über  die  signifikante  Stellung  der  (noch  dazu  durch  Alliteration 
und  Homoioteleuton  gebundenen)  Verba  s.  Anhang  III A  2 ,  über  das 
spondeische  Wort  im  ersten  Fuß  ebenda  VIII.  —  ingratus  ist  ein  Lieb- 
lingswort der  augusteischen  Dichter,  durch  das  sie  Dinge  beseelen, 
(besonders  schön  Prop.  I,  3,  25  mit  der  Erklärung  Haupts  bei  Beiger  256). 
Cineri  ingrato  auch  in  der  Copa  35  quid  cineri  ingrato  servas  hene  olentia 
serta  (Germanus).  Da  dies  Gedicht  sonst  keine  Anklänge  an  die  Aeneis 
hat,  scheint  die  Verbindung  nicht  von  Vergil  geprägt  zu  sein;  dafür 
spricht  auch,  daß  die  Erwähnung  des  cinis  hier  der  Handlung  vorgreift, 
wie  Donatus  treffend  bemerkt,  denn  erst  226  heißt  es:  postquam  conlapsi 
cineres.  Dagegen  kommt  suprema  vor  Vergil  so  nicht  vor  (Conington), 
scheint  also  von  ihm  geneuert  (anders  XI  2  5  f.  supremis  muneribus);  so 
unten  457  extrema  TCt  ecTXKTa.  Was  man  der  Asche  mit  den  ucTTaxa  bujpa 
zu  Dank  tut,  ist  eine  X^^Pi^  dxapiTOC,  und  in  diesem  Sinne  reden  die 
Toten  auf  ihren  Grabsteinen  von  einem  munus  inane  (carm.  474,  10. 
475,  2 f.  Bücheier),  vergl.  unten  885 f.  Die  entgegengesetzte  Vorstellung 
ist  es,  wenn  Vergil  unten  363 ff.  383  den  Palinurus  um  Bestattung  bitten 
und  sich  über  deren  Zusicherung  freuen  läßt.  Beide  an  sich  unverein- 
bare Vorstellungen  gehen  auch  in  griechischer  Poesie  nebeneinander  her; 
vermittelnd  wie  Elektra  bei  Soph.  356  (sie  erweise  dein  toten  Vater 
Ehren,  ei  Tic  ecTT'eKeT  xo^pic)  sagt  Vergil  X  82  7  f.  teque  parentum  |  mani- 
bus  et  cineri,  si  qua  est  ea  cura,  remitto  (vergl.  VII  4;  danach  zu  be- 
urteilen carm.  epigr.  1142,  25 f.  Buch.).  —  214:f.  principio  lucrezischer 
Versanfang,  s.  z.  724.  —  pinguem  taedis  et  roiore  secto  ingentem  .  . 
pyram.  Pinguem  taedis  für  pinguibus  taedis  (Heyne)  in  kühnem  Parallelis- 
mus zu  ingentem  robore:  s.  Anhang  II  3.  —  pyra  hat  Vergil  noch  viermal 
neben  dreimaligem  rogus  (IV  640.  646.  XI  189).  Da  das  griechische  Wort 
vor  Vergil,  wie  es  scheint,  nur  bei  den  Verfassern  des  bell.  Afr.  91,  2 
und  des  bell.  Hisp.  39,  3.  4  vorkommt,  so  mag  es,  weil  diese  Autoren  in 
ihrem  Wortschatz  stark  durch  die  archaische  Poesie  beeinflußt  sind,  von 
Vergil  aus  dieser  übernommen  sein.    —   215  ff.  Die  drei  KÖ|a|LiaTa  de^ 


VEES  212—224.  1dl 

Relativsatzes  cui  fronäihus  atris  intexunt  latera,  et  feralis  ante  ctipressos 
canstituunt,  decorantque  super  fuJgentihus  armis  sind  irdpicTa  (12,  13, 
12  Silben)  mit  sorgfältiger  Eesponsion  der  Begriffe  (frandibus  atris  '^ 
ferales  cupressos  f^  fulgentibus  armis;  intexunt  ^^  constituunt  ^-  decorant] 
latera  ~  ante  «^  super)  und  Bindung  der  Verba  durch  öjioioreXeuTa 
(die  beiden  ersten  an  gleichen  Versstellen).  Yergl.  über  diese  Technik 
Anhang  HS.  —  frondibus  atris:  die  außer  den  216  genannten  Cypressen 
in  Betracht  kommenden  Totenbäume  nennt  Tarquitius  Priscus  bei  Macrob. 
m  20,  3.  —  218ff.  expediunt — ungimt — reponiint — coniciunt:  Homoiote- 
leuta  in  markanter  Stellung;  s.  Anhang  III  A  2.  —  cdlidos  latices  wird 
stilistisch  variiert  durch  aena  ttndantia  flammis  (s.  z.  25):  beide  Phrasen 
mit  Benutzung  älterer  Poesie,  aus  der  latices  und  iindare  überliefert  sind 
(Ennius,  Accius),  wie  gleich  darauf  corpusque  lavant  .  . .  et  ungunt  nach 
Eimius  a.  156  corpus  .  .  .  lavit  et  unxit.  In  calidos  latices  ist  die  nicht 
beliebte  Aufeinanderfolge  zweier  anapästischer  Worte  (s.  z.  290)  bemerkens- 
wert, doch  wurde  calidus  zu  Yergils  Zeit  schon  zweisilbig  gesprochen 
(Quintil.  I  6,  19);  analog  unten  833  patriae  val{i)das.  —  velamen  zuerst 
bei  Vergil  wie  unten  246  libamen,  XI  67  stramen,  alle  aus  metrischer 
Bequemlichkeit  statt  -entum  (wie  fragmen  schon  bei  Lucrez),  und  wie 
Vni  89  luctamen  statt  des  metrisch  für  Vergil  noch  nicht  verwendbaren 
luctatiö.  Auch  ministeritim  223  ist  vor  der  augusteischen  Zeit  nicht 
nachweisbar.  Vergl.  Ladewig  4.  7.  —  221  purpureasque  super  vestes, 
vdamina  nota,  coniciunt.  Über  den  Gebrauch  des  Purpurs  urteilt  richtig 
(nach  VaiTo)  Serv.  D.  III  67:  er  sei  ein  Substitut  für  das  ältere  Blut- 
opfer am  Grabe;  vergl.  E.  Samter,  Familienfeste  (Berl.  1901)  56 f., 
unten  z.  884.  —  velamina  nota.  Servius:  ipsi  cara  (wie  dilecta  Val. 
Flacc.  ni  342  in  einer  dieser  Stelle  nachgebildeten  Episode),  vergl.  Plu- 
tarch  non  posse  suav.  26,  1104 D  \\xinm  (TuvriGTi  toTc  xeövriKÖci  (Tuv- 
GdTTieiv,  Lukian  Philops.  27  aufKaTaKaucrac  Kai  ir\\i  ecTöfiTa,  rj  Z^ÜJCTa 
eXttiptv.  —  222 f.  pars  ingenti  subiere  feretro.  Daß  die  Träger  die 
Bahre  mit  dem  Icctus  fiinehris  (torus)  auf  den  Scheiterhaufen  stellen, 
wird,  weil  es  aus  dem  weiteren  Verlauf  der  Handlung  sich  von  selbst  ver- 
steht, nicht  erwähnt  (s.  o.  S.  145),  wie  der  Dichter  überhaupt  in  dieser 
ganzen  Partie  nur  einige  wesentliche  Details  gibt,  dadurch  aber  größere 
Wirkung  erzielt  als  Statins  in  seiner  Nachbildung  (Theb.  VI  54  ff.),  die 
an  Umfang  diese  Partie  um  das  Sechsfache  überragt.  —  ingens  mit  der 
starken  Katachrese,  die  dieses  Wort  wie  immensus  oft  bei  Vergil  hat 
(am  stärksten  VII  377.  X  484  mit  Servius'  Bemerkung).  —  suhiere  feretro 
ungewöhnlich  für  den  Accusativ,  den  V.  selbst  IV  599.  XTT  899  braucht, 
wie  der  Verf.  der  consolatio  ad  Liviam  207  onus  lecti  subire  und  Persius 
3,  105  f.  atülum  \  Jiesterni  capite  induto  suhiere  Quirites.  Auch  in  anderen 
Verbindungen  konstruiert  er  subire  je  nach  metrischem  oder  euphonischem 
Gesichtspunkt  mit  dem  Dativ  oder  Accusativ,  vergl.  schol.  Dan.  zu  IV  598. 
—  triste  ministerium  wurde  eine  beliebte  Formel  der  Grabepigramme 
(vergl.  Büchelers  index  p.  918).  —  more  parentum  =  CatuU  101,  7 
(Sabbadini),  vermutlich  älteres  Gut,  vergl.  Varro  sat.  494  mtwe  maiorum 
nach  dem  oben  z.  190  notierten  Enniuszitat.  —  aversi  (tenuere  facem),  wohl 
um  das  eibuuXov  des  Toten,  das  jetzt  den  Leib  verläßt,  nicht  zu  erblicken. 
2 24  ff.  Der  Höhepunkt  der  heiligen  Handlung,  die  Verbrennung,  ist 


192  KOMMENTAR 

durch  Alliterationen  ausgezeichnet  {congesta  cremantur — dona  dapes,  con- 
lapsi  cmeres — quievit).  Bibulam  lavere  favillam  6vö)iiaTa  jnaXaKuuc  CTuYKei- 
jLieva  s.  z.  120;  bibula  favilla:  öiipia  kövic  Soph.  Ant.  246.  429,  öiqjdc 
(TTTobiri  A.  P.  Vn  185;  hibula  arena  schon  Lucrez  II  376.  —  tureus:  über 
die  Bildung  auf  -eus  s.  z.  281.  —  crateres.  Vergil  gebraucht  nur  die 
griechische  Form  cratcr  mit  entsprechender  Deklination  {crateres  auch 
Lucr.  VI  701),  im  Gegensatz  zu  Horaz,  der  die  beiden  gewöhnlichen, 
latinisierten  Formen  cratera  und  creterra  je  einmal  hat.  Die  griechische 
Form  bot  dem  Dichter  in  der  Deklination  vor  einfacher  Konsonanz  einen 
bequemen  Daktylus  (magnum  cratera  Corona  HI  525,  post  cratera  tegebat 
IX  346,  cratera  coronant  g.  II  528,  cratere  minantem  457,  crateres  olivi 
VI  225  sämtlich  am  Versschluß),  vor  doppelter  Konsonanz  die  Möglich- 
keit, ein  dabei  stehendes  Adjektiv  in  der  Endung  zu  differenzieren  (s. 
Anhang  IV):  craterasque  duos  b.  5,  68,  crateras  magnos  a.  I  724  (für 
crateram  antlquam  crateras  magnas),  IX  266  cratera  anticum  quem  dat 
(für  craterasque  duas  quam).  —  oUvo.  Vergil  kennt  oleum  olea  neben 
olivum  oliva,  hat  letztere  ^Formen  aber  nur  am  Versschluß;  oliva  galt 
ihm  feierlicher  als  olea,  daher  hat  er  in  der  Aeneis  ersteres  sehr  oft, 
letzteres  nur  einmal  in  einem  späten  Buch  (XI  101),  während  er  in 
den  Georgica  je  nach  metrischer  Bequemlichkeit  wechselt. 

226  f.  postquam  conlapsi  einer  es  et  flamma  quievit  nach  I  212  auxdp 
^Trei  KttToi  TTup  iKotTi  Ktti  qpXöH  e)napdv9r|  -[-  Y  251  (TtupKairiv  crßeaav 
ai9o7n  oivuj  |  öcr(Tov  im  qpXöH  fjXGe,)  ßaGeia  be  KdTrireffe  recppr)  (Ursinus), 
aber  mit  ücJiepov  TTpörepov  der  Begriffe,  also  ist  möglich,  daß  eine  der 
beiden  Phrasen  schon  von  Ennius  aus  Homer  übersetzt  war  (s.  z.  115. 
184  imd  Anhang  II  2),  —  Über  postquam,  idem  (229),  spargens  (230) 
im  ersten  Fuß  s.  Anhang  VTII.  —  Die  cineres  (poetischer  Plural  zuerst 
bei  Vergil  b.  8,  101  nachweisbar,  vergl.  Maas  1.  c.  [z.  4]  519)  unterscheidet 
er  mit  der  ihm  eignen  Proprietät  des  Ausdrucks  von  favilla:  erstere  ist 
die  Asche  der  Sachen,  letztere  die  noch  glimmende  des  Körpers:  Plinius 
n.  h.  XIX  19.  —  228 ff.  socios  pura  circumtuUt  wnda.  Servius:  circum- 
tulit  purgavit,  antiquum  vcrhum  est  (vergl.  Bücheier,  ümbrica  84 f.).  — 
ramo  felicis  olivae.  Servius:  sed  moris  fuerat  ut  de  lauro  fieret;  viel- 
mehr werden  Lorbeer  und  Olive  bei  den  Lustrationen  kaum  geschieden: 
Samter  1.  c.  (z.  221)  86  ff.  ■ —  dixitque  novissima  verba  (nämlich  üicet, 
vergl.  Servius;  über  den  Plural  s.  Anhang  V)  =  IV  650  als  sakrale 
Phrase  wohl  älteres  Gut.  —  Corynaeus:  der  Name  für  uns,  wie  es 
scheint,  sonst  nicht  nachweisbar  (Kopuvr|Tric  H  8  u.  ö.),  doch  scheint  er 
Vergil  irgendwie  überliefert  gewesen  zu  sein,  wenigstens  behauptet  Servius 
z.  IX  567  Lucetiurn]  solum  hoc  nomen  est  quod  dictum  a  Vergüio  in  nullo 
alio  reperitur  auctore  (das  weiter  folgende  läßt  auf  eine  ausgezeichnete 
Quelle  dieses  Scholions  schließen). 

232 ff.  Die  Schichtung  des  Tumulus:  „Den  Anlaß  zu  der  Sage  gab 
die  Tumulusform  des  Berges  ...  Er  steigt  von  allen  Seiten  in  schroffen 
Felswänden  aus  dem  Meere  empor,  der  Gipfel  ist  flach  und  bildet  ein 
Plateau  von  mäßiger  Ausdehnung."     Beloch  1.  c.  (z.  9  f.)  195. 

2 33  f.  suaque  arma  viro  remumque  tubamque  \  monte  suh  aerio 
(ponit).  Ein  altes  Ziriiriiua  wegen  217  decorantque  (pyram)  super  ful- 
gentibus  armis,  wonach  'Waffen'  auf  dem  Scheiterhaufen  verbrannt  sind. 


VERS  224—236.  193 

Daß  die  Xu(Tic  bei  Servius:  ipsi  cara  (sc.  arma)  sculpsit  in  saxo,  nam 
supra  (217)  ea  iam  legimus  concremata  willkürlich  ist,  liegt  auf  der 
Hand.  Auch  die  von  Thiel  vorgeschlagene  und  von  Conington  gebilligte 
Xijffic,  daß  arma  hier  'Gerät'  bedeute,  wozu  remiimque  tubamque  Appo- 
sition sei,  ist  mißlich,  weil  unten  in  der  Parallelstelle  von  dem  Grab 
des  Deiphobus  gesagt  wird  507  arma  locum  servamt,  so  daß  arm^  hier 
wie  dort  von  den  Waffen  verstanden  werden  muß.  Nun  zeigt  aber  schon 
die  emphatische  Stellung  des  Pronomens  sua  arma  in  unserem  Vers, 
daß  an  der  früheren  Stelle  (217  decorantque  super  fulgentibus  armis) 
eben  nicht  die  Waffen  des  Misenus  selbst  gemeint  sind:  die  auf  dem 
Scheiterhaufen  verbrannten  Waffen  gehören  vielmehr  den  Genossen  des 
Misenus,  die  sie  ihm  als  Ehrengabe  weihen,  während  seine  eignen  Waffen 
(sowie  das  Euder  und  die  Trompete)  mit  ihm  in  dem  Grabhügel  ge- 
borgen werden.  Dieselbe  Scheidung  zwischen  den  fremden  und  den 
eigenen  Waffen  auch  in  der  Begräbnisszene  XI  193  ff.  (vergl.  alii  .  .  . 
conidunt  igni  galeas  ensesque  decoros  .  .  .;  pars  mwnera  nota,  ipsorum 
clipeos  et  non  felicia  tela),  nur  daß  dort  die  einen  wie  die  anderen  mit 
verbrannt  werden,  weil  es  sich  um  ein  Massengrab  handelt.  Vergl.  auch 
die  Nachbildung  unserer  Stelle  durch  Statins  Theb.  VI  5  4  ff.  —  Über  die 
Synaloephe  suaqiie  ärma  s.  Anhang  XI  2  B  5. 

2  34:  f.  qui  nunc  Misenus  ah  iUo  \  dicitur  aeternumque  tenet  per  sae- 
cula  nomen.  Der  moderne  Leser  empfindet  diese  aus  der  Handlung  her- 
ausfallende Bemerkung  als  Störung  der  Illusion,  während  der  antike 
Leser  an  derartiges  durch  den  konventionellen  Stü  der  aetiologischen 
Poesie  gewöhnt  war;  vergl.  X  143 ff.  adfuit  .  .  .  et  Capys:  hinc  nomen 
Campanae  dicitur  urhi,  ein  Vers,  den  Eibbeck  (prol.  83)  ebenso  unrichtig 
verdächtigt,  wie  I  367  mercatique  {sölum)  facti  de  nomine  Byrsam.  Die 
Etymologie  von  luXus  legt  er  I  268  sogar  dem  Jupiter,  die  von  Camilla 
XI  543  der  Diana  in  den  Mund:  beide  Verse  (so  auch  I  109)  werden 
von  vielen  Erklärern  verdächtigt  oder  athetiert,  obwohl  Properz  imd 
Ovids  Fasten  zeigen,  in  welche  Kategorie  von  Poesie  das  gehört.  Vergil 
ist  sich  überhaupt  bei  der  ganzen  Erzählung  von  Misenus  bewußt  gewesen, 
in  der  Art  der  kallimacheischen  Aitia  cognomina  prisca  locorum  zu  er- 
klären (Properz  IV  1,  69);  in  der  Form  des  Ausdrucks  erinnern  die  Worte 
Vergils  an  Kallim.  h.  5,  42  Trexpaic  aic  vOv  ouvo)Lia  TTaWaxiöec.  Es 
war  typisch,  mit  dem  aiTiov  zu  schließen,  denn  so  macht  er  es  auch 
bei  der  zweiten  aetiologischen  Legende  dieses  Buches  381  ff.  (aeternumque 
locus  Pali/nuri  nomen  hahebit  .  .  .;  gaudet  cognomine  terrae)  imd  in  einer 
nach  dem  Zeugnis  der  Schollen  direkt  aus  den  Aitia  des  KallLmachos 
entnommenen  Stelle  VH  761  ff.  Ebenso  pflegt  Ovid  seine  aetiologischen 
Mythen  zu  schließen  (z.  B.  m.  II  706  qui  nunc  quoque  dicitur  X  502 f. 
nomen  .  .  tenet  nulloque  tacebitur  aevo),  und  auch  Properz  schließt 
seine  für  die  Gattung  typische  Elegie  IV  4  entsprechend. 

m.   Opfer  für  die  Unterirdischen  236 — 263  (abgebildet  in  der 
Büderhandschrift  fol.  XLVI^). 

Einleitender  Vers  236   mit  zwei   KÖ|Li)LiaTa.      Zwei  Absätze  von  je 
drei  Perioden.     Erster  Absatz.    1.  Ein  TpiKuiXov  237 — 41  (a.  237—38 

Vbroii.  Buch  VI,  von  Norden.  13 


194  KOMMENTAR 

mit  vier  KÖ)H|aaTa  b.  239 — 40  pirniis  c.  240  talis — 41  mit  zwei  KÖja- 
ILiara),  2.  Ein  TerpdKUjXov  243—47  (a,  243 — 44  mit  zwei  KÖ|U|aaTa 
b.  245  c.  246  d.  247),  3.  Ein  TpiKuuXov  248—53  (a.  248—49  pateris 
mit  zwei  KÖ)a)LiaTa  b.  249  ipse — 51  mit  zwei  KÖmaaia  c.  252 — 54  mit 
drei   mit   den   Versen    zusammenfallenden   KÖ|U|LiaTa).      Zweiter  Absatz. 

1.  Ein  TexpdKuuXov  255 — 58  dea  (a.  255 — 56  söltmi  mit  zwei  KÖmuaxa 
b.  256  et — 57  süvanmi   c.  257  visae — umhram   d.  258  adventante  dm), 

2.  Ein  xpiKiuXov  258  procul — 61  (a.  258  procul — 59  mit  zwei  KÖmuara 
b.  260  c.  261  mit  je  zwei  KÖjLXjLiaTa),  3.  Ein  TpkiuXov  262—63  (a.  262 
tantum  effata   b.  262  furens — aperto   c.  263). 

Das  Opfer,  das  Aeneas  jetzt  den  Unterirdischen  darbringt,  war  ihm 
vorher  (153  f.)  von  der  Sibylle  als  Vorbedingmag  der  KaraßacTic  dar- 
zubringen befohlen  worden.  Es  ist  längst  festgestellt,  daß  beides,  Befehl 
wie  Ausführung,  aus  der  homerischen  Nekyia  stammt:  Kirke  befiehlt 
dem  Odysseus  ein  Opfer  k  517  ff.,  das  er  X  2  3  ff.  darbringt.  Aber  dieses 
Opfer,  das  bei  Homer  notwendig  zur  Handlung  gehört,  ist  bei  Vergil 
der  Situation  nicht  durchaus  angemessen.  Wer  den  goldnen  Zweig  hat, 
besitzt  ja  die  Berechtigung  zur  KttiaßaCTic  (140 ff.):  wozu  also  noch  ein 
Opfer,  das  als  Sühne  für  etwas  an  sich  Verbotenes  darzubringen  ist 
(piaculimi  153)?  Die  Dublette  ist  handgreiflich,  wenn  man  die  Worte 
der  Sibylle  von  der  Notwendigkeit  des  Zweiges  sed  non  ante  datur  telluris 
operta  suhire  \  auricomos  quam  qui  decerpserit  arbore  fetus  (140 f.)  mit 
ihren  Worten  von  der  Notwendigkeit  des  Opfers  vergleicht:  duc  nigras 
pecudes,  ea  prima  piacula  swnto:  sie  demum  lucos  Stygis  et  regna  invia 
vivis  I  aspicies.  Auch  hier  erklärt  sich  der  Kompositionsmangel  aus  der 
Kontamination  zweier  von  Vergil  nicht  erfundener,  sondern  übernommener 
Versionen.  Die  homerische  Version  kennt  nicht  den  goldnen  Zweig, 
die  —  woher  auch  immer  stammende  —  Version  vom  goldnen  Zweig 
kannte  das  Opfer  nicht:  Vergil  kontaminiert  beides.  Eine  äußere  Be- 
stätigung für  diese  Analyse  gibt  die  völlige  Verbindungslosigkeit  des 
Befehls  zum  Opfer  mit  dem  vorhergehenden  (153  ohne  Kopula),  und 
analog  wird  auch  die  Ausführung  des  Opfers  236  ganz  äußerlich  mit 
Ms  actis  pi;opere  exsequitur  praecepta  Sihyllae  angefügt,  als  ob  nicht 
schon  vorher  zwei  andere  praecepta  Sibyllae  die  Gewinnung  des  Zweigs 
(I87ff.)  und  die  Beerdigung  des  Misenus  (l76ff.  212ff.),  ausgeführt 
worden  wären.  Die  mangelhafte  Anfügung  von  236  bemerkt  auch  Sabad- 
dini  p.  XXXI,  beurteilt  sie  aber  anders. 

Für  das  Detail  der  Ausführung  genügten  ihm  die  skizzenhaften  Züge 
Homers  nicht  mehr,  sondern  er  mußte  die  einfache  Kost  für  die  über- 
reizten Nerven  der  Leser  seiner  Zeit  würzen.  So  finden  wir  denn  hier 
zuerst  im  lateinischen  Epos  eine  Hekatebeschwörung,  wie  sie  seitdem 
im  Epos  und  der  rhetorischen  Tragödie  traditionell  geworden  ist;  aber 
dem  Geschmack  des  Dichters,  der  die  Grenzen  des  ästhetisch  Genießbaren 
auch  da  nicht  überschreitet,  wo  die  Gefahr  nahe  genug  lag,  wird  niemand 
seine  Anerkennung  versagen,  der  sich  die  Exzesse  eines  Lucan,  Seneca, 
Statins  und  Silius  auf  diesem  Gebiete  vergegenwärtigt.  Einzelne  Züge 
stammen,  wie  schon  Germanus  bemerkt,  aus  einer  Szene  bei  Apollonios 
(m  11 90 ff.),  wo  Jason  auf  Geheiß  der  Medea  (vergl.  1030 ff.)  bei  Nacht 
den  Unterirdischen  in  der  Einsamkeit  opfert,  bis  Hekate  erscheint.    Aber 


VERS  236  ff.  196 

viel  genauer  stimmt  die  jLiaYiKr]  irpäHic,  die  Lukian  nekyom.  9  f.  der  von 
ihm  geschilderten  Katdßaöic  des  Menippos  vorausgehen  läßt:  gerade  auch 
das  Motiv,  daß  die  ganze  Handlung  dem  Zweck  einer  KaraßacTic  dient, 
fehlt  bei  Apollonios.  Die  Szenerie  ist  bei  Lukian  ein  an  einem 
sumpfigen  See  gelegenes  x^piov  epr||Liov  Ktti  uXuibec  Kai  dvr|Xiov,  ebenso 
bei  Vergil  (2 3 7 f.  spelunca  ...  tuta  lacu  nigro  nemorumque  tenehrls).  Wie 
bei  diesem  (244  fi.)  wird  auch  bei  Lukian  geopfert  und  das  Blut  in  eine 
Grube  gegossen.  Der  Magier  Lukians  ruft  mit  lauter  Stimme  die  Erinyen, 
Hekate  und  Persephone:  so  wird  bei  Vergil  (247 ff.)  der  'Mutter  der 
Eumeniden'  und  Persephone  geopfert  und  Hekate  mit  lauter  Stimme 
gerufen.  Darauf  erfolgt  in  Lukians  Schilderung  ein  Erdbeben,  der  Boden 
öffnet  sich,  die  Unterwelt  wird  sichtbar,  in  die  nun  der  Magier  mit 
Menippos  hinabsteigt:  auch  bei  Vergil  Erdbeben  (2 5 5 f.),  Öffnung  der 
Höhle  (262),  Abstieg  der  Sibylle  mit  Aeneas  in  den  Hades  (263).  Eine 
im  Detail  sehr  nahe  verwandte  Episode  ist  auch  die  interessante  Zauber- 
szene der  orphischen  Argonautika  950 — 87.  Da  nun  Lukian  sowie  der 
Verfasser  des  orphischen  Gedichts  die  angeführten  und  andere  magischen 
Zeremonieen  nur  aus  der  ihnen  beiden  auch  sonst  sehr  vertrauten  Zauber- 
literatur entnommen  haben  können,  in  der,  wie  noch  unsere  Papyri 
lehren,  eiTiubai  'GKOtTTic  eine  große  Rolle  spielten,  so  werden  wir  das 
gleiche  für  Vergil  voraussetzen  dürfen,  und  das  an  diese  Episode  un- 
mittelbar anschließende  Gebet  an  die  Dämonen  der  Tiefe  (264 ff.)  wird 
uns  diese  Vermutung  bestätigen.  Daß  ihm  diese  Literaturgattung,  die 
sich  besonders  seit  der  hellenistischen  Zeit  einer  großen  Beliebtheit  er- 
freute, so  gut  bekannt  war,  wie  dem  Verfasser  der  Dirae  und  anderen 
Dichtem  der  augusteischen  Zeit,  vor  allem  Horaz  in  den  Canidiagedichten, 
beweist  ja  außer  der  8.  Ekloge  auch  die  mit  intimster  Kenntnis  dieser 
Dinge  gedichtete  |LiaYiKfi  TrpäSic  im  Didobuch  478 ff.  Wahrscheinlich 
geht  die  Benutzung  dieser  Art  von  Literatur  gerade  in  unserem  Buche 
viel  weiter,  als  unsere  Mittel  nachzuweisen  ermöglichen  (vergl.  auch  Ein- 
leitimg S.  11  und  oben  zu  81  f.).  ^) 

Bemerkenswert  ist,  wie  genau  diese  Zauberliteratur  der  Praxis  des 
Lebens  gefolgt  ist.  Die  Zeremonieen,  die  Vergil  hier  schildert,  sind  in 
dem  veKUO)iiavTeiov  am  Avemus  wirklich  vollzogen  worden,  bis  die 
Gegend  durch  Agrippa  im  J.  37  v.  Chr.  ein  ganz  anderes  Aussehen  er- 
hielt, das  die  Geister  verscheuchte  (Strabo  V  244f.).  Die  genaueste  Be- 
schreibung jener  Zeremonieen  steht  bei  Maximus  Tyrius  14,  2:  fjv  be 
TTou  Tfic  'IraXiac  .  .  .  rrepi  Xijuvriv  "Aopvov  outuj  KaXou|ueviiv  juavxeiov 
ctvTpov  . .  .  '€vTa09a  6  beöjuevoc  dcpiKÖJLievoc,  eiiHd)nevoc,  evTeiaouv 
CTqpdYia,  xc^inevoc  xo«c  dveKaXeiTO  vpuxnv  ötou  hx]  tujv  Trarepiuv 
Y\  qpiXujv"  Kai  auTuJ  dirrivTa  eibujXov,  diiiubpöv  ^h/  ibeiv  .  .  .  cpGcYKTi- 
KÖv  be  ....    Kai  cruTTevö|ievov  uirep  u)v  ebeiio,   dirriXXdTTeTO.  ^)     So 


1)  Plinius  XXX  14  nennt  als  eine  Spezies  der  Magie  umhra/rum  inferorumqiAe 
colloquia,  die  der  Zauberer  zu  bewirken  verheiße.  Vergl.  Th.  Weidlich,  Die 
Sympathie  in  der  antiken  Literatur,  Stuttgart  1894,  27. 

2)  Da  der  Avemersee,  nachdem  Ephoros  und  Timaios  ausführlich  über  ihn 
berichtet  hatten,  in  der  paradoxographischen  Literatur  eine  große  Rolle  spielte, 
wie  noch  unsere  dürftige  Überlieferung  dieser  Literaturgattung  erkennen  läßt 
(vergl.  Ps.  Aristot.  de  mir.  ausc.  102,  Antigonos  bist.  mir.  152  p.  37  Keller),  so 

13* 


196  KOMMENTAR 

schildert  es  auch  Vergil,  nur  setzt  er  an  die  Stelle  der  Evokation  eines 
Toten  an  die  Oberwelt  die  KaraßaCTic  eines  Lebenden  in  die  Unterwelt, 
während  SUius  in  seiner  Nachbildung  der  vergilischen  Katabasis  (XIII  39  7  ff.) 
sich  darin  genauer  an  das  Ritual,  sowie  an  die  homerische  Nekyia  an- 
schließt, daß  er  dem  Scipio  am  Avemus  die  durch  magische  Zeremonieen 
evozierten  Seelen  erscheinen,  nicht  ihn  selbst  in  den  Hades  hinabsteigen 
läßt.-^)  Daß  Vergil  die  Gegend  am  Avemus  noch  vor  ihrer  Umgestal- 
tung durch  Agrippa  aus  Autopsie  kannte,  darf  nach  dem,  was  wir  über 
sein  Leben  nach  40  wissen,  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  behauptet  werden 
(s.  auch  oben  S.  183);  dennoch  wird  sich  nach  der  Art  seines  Arbeitens 
auch  hier  die  Annahme,  daß  er  aus  schriftlicher  Tradition  schöpfte,  mehr 
empfehlen  als  die  andere,  daß  er  Erlebtes  aus  der  Erinnerung  erzählt 
hätte. 

236  Ms  actis  =  XII  843  könnte  wegen  seines  prosaischen  Kolorits 
ennianisch  sein.  Auch  scrupea  238  ist  archaisch.  —  237  ff.  Die  ^Kcppaffic 
TÖ7T0U  wird  wie  42  ff.  verselbständigt.  —  Über  das  Lokal  schreiben  die 
Brüder  Grafen  Stolberg  (Werke  VIII  Hamburg  1827,  19):  „Beim  Averner- 
see ist  die  sog.  Grotte  der  Sibylle.  Wir  gingen  mit  Fackeln  hinein. 
Seitwärts  hat  diese  lange  Höhle  einen  dunklen  schmalen  Gang  .  .  .  Diese 
Höhle  ist  ohne  Zweifel  diejenige,  durch  welche  Vergil  seinen  Helden  ins 
Schattenreich  führt."  Neuere  Beschreibung  bei  Cocchia  1.  c.  (o.  S.  117) 
40ff.,  vergl.  Beloch  1.  c.  (z.  9 f.)  168:  „In  den  Felswänden  des  den  Avernus 
umschließenden  Ki*aters  öffnen  sich  überall  Höhlen."  —  237  f.  spelvmca 
alta  fuit  vastoque  immanis  Jiiatu,  |  scrupea,  tuta  lacu  nigro  nemorumque 
tenehris.   Die  auffällig  starke  Häufung  von  a  undw  soll  malen  (Henry  272); 


liegt   es  am  nächsten  anzunehmen,    daß  der  sonst  recht  unwissende  Sophist 
seine  Kenntnis  aus  derartigen  vielgelesenen  Schriften  hat. 

1)  Es  ist  m.  W.  noch  nicht  scharf  ausgesprochen  worden,  daß  die  homerische 
'Nekyia'  ganz  eigentlich  eine  veKUO|uavTeia  ist  (also  richtig,  nur  mit  einem 
jüngeren  Worte,  das  schol.  Dan.  zu  aen.  HI  67  Homerus  in  necromantia)]  auch 
E.  Rohde,  Psyche^  53 f.,  der  dem  Wahren  nahe  war,  scheute  sich,  es  gradezu 
zu  sagen.  Aber  es  ist  ja  klar,  daß  von  einer  Koraßaaic  des  Odysseus  keine 
Rede  sein  kann.  Er  steht  an  der  Opfergrube,  die  er  am  Grenzbezirk  von  Ober- 
und  Unterwelt  gegraben  hat,  und  an  sie  schweben  die  Seelen  heran,  um  ihm, 
nachdem  sie  von  dem  Blute  getrunken,  zu  weissagen;  also  nicht  er  steigt  zu 
den  Seelen  hinab,  sondern  die  Seelen  zu  ihm  empor  ött^S  ep^ßeuc  (X  37).  Diese 
Vorstellung  wird  durchbrochen  durch  die  Episode  von  den  großen  Büßern 
(565 — 627),  die,  im  Erebos  festgebannt,  nicht  zu  Odysseus  kommen,  sondern 
die  er  'sieht',  ohne  daß  das  von  seinem  Standpunkt  aus  möglich  ist.  Diese 
Episode  wurde  eben  aus  diesem  Grunde  schon  von  Aristarch  athetiert  (vergl. 
schol.  568  voGeOexai  . . .  ■  iir^p  bt  rrjc  d9€Tr)öeujc  aurOuv  X^y^toi  Toid&e'  irOuc  olöe 
toOtouc  f\  TOiLJc  Xomovic  äaui  tuiv  ^6ou  ttuXujv  övtoc  koI  tuiv  TroxaiLiuiv;) 
und  ihm  folgen  die  neueren  Kritiker  (zuletzt  Rohde  Rh.  Mus.  L  1896,  605  =  Kl. 
Schrift.  II  260),  soweit  sie  es  nicht  vorziehen,  den  Widerspruch  auf  'poetisch 
naive  Selbstvergessenheit'  des  Dichters  zurückzuführen.  Wir  haben  mithin  die 
Frage  nach  der  Genesis  des  Widerspruchs  so  zu  beantworten:  der  Verf.  der 
v^Kuta  weiß  nichts  von  einer  Kaxdßaoic,  aber  der  Verf.  der  Episode  irepl  xiliv 
Iv  äbov  doeßOuv  hat  bereits  eine  eigentliche  KaTdßaoic  irgend  eines  Helden  ge- 
kannt und  Motive  aus  dieser  denkbar  ungeschickt  (vergl.  die  den  Übergang 
vermittelnden  Flickverse  565 — 567)  mit  der  homerischen  vIkuio  verbunden.  Von 
nun  an  gehen  die  beiden  Y^vri  einer  v^Kuia  (v€KUO)LiavTeia)  und  einer  Kardßaaic 
teils  nebeneinander  her,  teils  werden  sie,  eben  auf  Grund  der  Kontamination 
in  X,  ineinander  geschoben. 


VERS  236—243.  197 

a  ähnlich  unten  256  vastaque  voragine  gurges  493  ctamor  frmtratur 
hiantis  und  besonders  576  quinquaginta  atris  immanis  hiatibus  hydra, 
wohl  der  einzige  Vers  bei  Vergil  mit  fünf  langen  a,  der  ferner  die 
äußerst  seltne  Synaloephe  zweier  naturlangen  a  hat  (s.  Anhang  XI  2  B  2). 
Der  Effekt,  der  durch  diese  Synaloephe  erreicht  wird,  ist  demjenigen  ver- 
wandt, den  nach  W.  Scherer  (Kl.  Schriften  II  377)  deutsche  Metriker 
durch  Zulassung  des  Hiats  zu  erzielen  suchten,  z.  B.  'es  hatte  schon 
vorlängst  den  ungeheuren  Rachen  die  Hölle  aufgesperrt'.  Für  die 
malerische  Häufung  der  dumpfen  u  vergl.  256  f.  suh  pedibus  mugire 
solum  et  iuga  coepta  moveri  \  süvarum  visaeque  canes  ululare  per  umhram, 
591  cornipedum  pulsu  simularet  eqtiorum,  I  55 ff.  (venu)  magno  cum 
murmure  montis  |  circum  claustra  fremunt  (vergl.  Lucr.  I  722  ff.  von  der 
Charybdis);  a  und  u  zusammen  unten  417  latratu  trifaud.  Vergl.  im 
allgemeinen  über  diese  Mittel  o.  S.  157  und  Anhang  VII A.  Auch 
sonst  ist  in  dieser  Partie  das  malerische  Element  stark  ausgeprägt 
durch  Alliterationen:  240  tendere — talis  241  faucibus  effundens — ferebat 
245  summas  carpens — cornua  saetas  (Schema  abba)  246  ignibus  imponit 
247  voce  voccms  248  cultros — crtiorem  2 48  f.  supponunt — sucdpiunt  (in 
markanter  Stellung  zu  Anfang  zweier  Verse,  s.  Anhang  HI  A  2)  250  matri — 
magnae.  —  Über  die  Synaloephe  in  spelunca  dlta  s.  Anhang  XI  2  B5.  — 
237  f.  spelunca  .  .  .  vasto  immanis  hiatu:  so  vom  Hadeseingang  Eurip. 
Iph.  T.  626  x«ö"|Lia  eupuJiTÖv  Trexpac  (vergl.  E.  Schwartz,  Programm 
Rostock  1890,  11).  —  nem^rum  tenebris:  Timaios  bei  Antigonos  bist. 
mir.  152  ffuvbevbpujv  töttuuv  eiriKeiiLievuuv  auTf)  (sc.  rrj  'AopviTibi).  — 
239ff.  Die  von  Timaios  (vergl.  J.  Geffcken  1.  c.  [z.  120]  3l)  bestrittene 
Wirkung  der  mefitischen  Dünste  des  Avernersees  wurde  von  Varro  (bei 
Plinius  n.  h.  XXXI  21)  geglaubt  und  von  Lucrez  VI  818  ff.  physisch 
erklärt;  der  Inhalt  dieser  Lucrezverse  wird  hier  von  Vergil  pathetisch 
zusammengefaßt.  —  240  tendere  iter  pinnis  vergl.  VII  7  tendit  iter  vdis 
I  606  iter  ad  naves  tendebat  Achates  410  gressumque  ad  moenia  tendit. 
Die  Verbindungen  machen  archaischen  Eindruck  (vergl.  intendere  iter  auct. 
bell.  Afr.  95,  1.  Livius  XXI  29,  6  u.  ö.):  tendere  cursum  Lucrez  V  631 
und  (wohl  aus  seiner  Vorlage)  Livius  XXIQ  34,  5.  —  241  super  ad 
convexa  ferebat.  Super  M^P^R,  supera  FM^P^  (sowie  ein  im  Corp.  script. 
eccl.  Vindob.  XVI  624  edierter  Cento  v.  67).  Das  gleiche  Schwanken  in 
derselben  Verbindung  unten  750.  X  251  und  in  super  alta  unten  787; 
aber  VII  562  in  super  ardua  ist  super  die  einzige  Überlieferung  (MR), 
an  allen  anderen  die  bessere.  Da  Tiberianus  (bei  Baehrens  poet.  lat. 
min.  ni  267)  an  gleicher  Versstelle  supera  in  convexa  hat,  so  muß  die 
Variante  älter  sein  als  Anfang  s.  IV.  —  convexus  vergl.  Cic.  Arat.  314 
convexum  caeli  .  .  orbem-,  eine  xpaTiKf)  XeHic?  (vergl.  Ennius  tr.  374 
cacli  f&rnices).  —  242  tmde  locum  Grai  dixerunt  nomine  Äornon  nur  in 
R  überliefert,  in  M  tmten  am  Rand  von  einem  Humanisten  interpoliert, 
dann  wieder  ausradiert.  Die  Hs.  R.  hat  auch  VHI  46  einen  Vers  inter- 
poliert (dort  47  erklärt  Heyne  ex  quo  evident  richtig  eH  oö  sc.  xpövou, 
vergl.  TraXaiöc  dcp'  oö  XÖYOc).  unser  Vers  ist,  wie  Heinsius  erkannte, 
aus  Priscians  Periegesis  1056  t^ide  locis  Grai  posueruM  nomen  Äornis 
interpoliert,  vergl.  Rh.  Mus.  LVI  (1901)  473 f. 

243 ff.  Es  ist  inzwischen  Nacht  geworden:  kurz  angedeutet  252  noc- 


198  KOMMENTAR 

turnas  aras'^  Silius  XIII 413.  420  versteht  in  der  Nachbildung  dieser 
Stelle  richtig  die  Mitternacht.  Also  kann  das  Opfer  beginnen.  Es  ist 
ein  Sühnopfer  (153  piacula)  für  die  Unterirdischen  und  zwar  ÄcMvo  ritu, 
wie  es  sich  für  ein  von  der  Sibylle  befohlenes  (153)  Opfer  gehört, 
vergl.  Diels  55:  daher  werden  auch  cultri  verwendet  (248),  die  dem  alt- 
römischen Kult  fremd  waren  (Ovid  f.  I  347  f.  u.  ö.).  Der  beste  Kom- 
mentar zu  dieser  Partie  ist  mithin  das  von  Diels  6  9  ff.  festgestellte 
Zeremoniell  für  Sühnopfer,  worauf  für  die  meisten  einzelnen  Kiten  ver- 
wiesen sei.  Das  griechische  Zeremoniell  schließt  natürlich  nicht  aus, 
daß  die  sakralen  Worte  italisches  Gepräge  haben.  Sie  stammen  wohl 
sämtlich  aus  Ennius  (s.  z.  39 f.);  direkt  bezeugt  247  voce  vocans  vergl. 
Enn.  a.  51  voce  vocäbam,  indirekt  die  Verbindung  247  caeloque  Erehoque 
an  gleicher  Versstelle  VII  140  in  ennianischer  Umgebung,  Constituit 
(iuvencos)  244  wie  V  238  (vergl.  VIII  85  suem  .  .  .  cum  grege  sistit  ad 
aram  XII  171  admovitque  pecus  ßagrantibus  aris),  weil  das  Tier  sich 
nicht  sträuben  darf  (g.  II  395  ductus  cornu  stabil  sacer  hircus  ad  aram 
mit  der  Bemerkung  bei  Macrob.  III  5,  8);  auch  im  umbrischen  Ritual 
sestu  (d.  h.  sistito)  tab.  Ig.  IIB  22ff.  Invergit  vina  fronti  244.  Servius: 
fundere  est  supina  manu  libare  quod  fit  in  sacris  supremis,  vergere  autem 
est  conversa  in  sinistram  partem  manu  ita  fundere  ut  patera  convertatur 
quod  in  infernis  sacris  fit,  vergl.  Bücheier,  Umbrica  77.  Supponunt  cul- 
tros  248.  Servius:  fuit  verhum  sacrorum,  Bücheier  1.  c.  64.  Succipiunt 
cruorem  249  mit  cc  als  antique  dictum  von  Servius  bezeugt  (hier  nur 
in  FP  überliefert,  vergl.  über  das  Schwanken  Rothstein  zu  Prop.  IV  9,  36, 
Bücheier  zu  carm.  epigr.  1148).  Daß  das  aufgefangene  Blut  in  eine 
Grube  gegossen  wurde,  muß  der  Leser  sich  ergänzen.  Incohat  aras 
252  ('entwirft',  'legt  den  Grund  zu';  über  den  Unterschied  von  incipit 
gut  Henry  274).  Servius:  verhum  sacrorum,  wie  evdpxeffOcti  Aesch.  in 
Ctes.  120;  sacra  incohare  als  synonym  mit  dem  feierlichen  sacra  movere 
Schol.  Stat.  Theb.  III  451;  die  richtige  Schreibung  incohat  (Bücheier, 
Rh.  Mus.  XXXIII  31  f.)  nur  in  P.  Die  solida  visce-ra  253  werden  von 
den  exta  254  genau  geschieden.  Servius  zu  1211:  viscera  quidquid 
inter  ossa  et  cutem  est  . .  .,  ergo  per  solida  viscera  Jiolocaustum  (vergl. 
Diels  71.  73)  significaf,  quod  detr actis  extis  arae  super  imponebatur  (vergl. 
Heinze  zu  Lucr.  III  266).  Ense  ferit  251,  also  nicht  securi  oder 
malleo:  es  muß  Blut  fließen.  Quattuor  iuvencos  243:  die  Vierzahl, 
weil  sie  als  gerade  Zahl  infausta  ist  und  daher  zur  Unterwelt  paßt 
(Gerda). 

243  nigrantes  terga  iuvencos  =  V  97  mit  der  unten  zu  495  notierten 
Konstruktionsfreiheit  (vergl.  G.  Landgraf,  Arch.  f.  Lex.  X  1898,  209 ff.). 
—  Über  nigrans  ein  schol.  Dan.  z.  IV  120,  das  seiner  Fassung  nach  auf 
Probus  zurückgehen  könnte:  quaeritur,  quis  prius- ' nigrantem'  dixerit.  — 
247  Hecate  potens  wiepotens  Trivia  Catull  34, 15,  weil  ihr  als  Zaubergöttin 
besondere  bi)va)Liic  beiwohnt  (Porphyr,  bei  Euseb.  pr.  ev.  HI  11,  32).  Der 
Priester  ruft  laut  die  Göttin  (247  voce  vocans,  kikXkictkujv)  und  sie  hört 
den  Ruf,  denn  255ff.  erscheint  sie:  258  adventante  dea,  eXöouCTric  Tfjc 
6eäc.  Vergl.  ihre  Beinamen  'GirriKOOC  (Ol  G.  7321b),  'Aviaia  (Hesych  s.  v.), 
Apollonios  1.  c.  (z.  236ff.)  1210  r\  h'  (Hekate)  dioucTa  .  .  .  dvTeßöXricrev, 
ein    Hekateorakel    bei    Porphyrios  1.  c.  V  8,  5    fjXu6ov    eiaaiouffa    lefic 


VERS  243—255.  199 

7roXu(ppdb)novoc  euxfic.  —  250  matri  Eumenichtm  magnaeque  sorori. 
Die  Mutter  der  Eumeniden  ist  nach  der  festen  Genealogie  (auch  XII  846) 
die  Nacht.  Unter  der  Schwester  der  Nacht  wird  mit  Servius  die  Terra 
matcr  zu  verstehen  sein,  obwohl  seine  Begründung  unsinnig  ist  und  die 
uns  überlieferten  Theogonieen  diese  Genealogie  nicht  kennen  (Heyne); 
auch  auf  Grund  des  Sibyllenorakels  vom  J.  17  wurde  ihr  bei  Nacht 
geopfert  (acta  eph.  epigr.  "VlLi  Z.  134).  —  2^4:  pingue  super  oleum  fmidens 
ardentibus  extis  ~  A  775  (TTrevbuuv  aiGoTia  oivov  e7T'ai9o|Lie'voic  lepoiffi 
(Conington).  —  superque  oleum  sämtliche  alte  Hss.  (FMPE).  Eibbeck 
setzt  das  in  den  Text,  indem  er  nach  diesem  Vers  eine  Lücke  anniromt, 
die  der  Dichter  habe  ausfüllen  wollen.  Mit  Recht  ist  ihm  kein  Heraus- 
geber gefolgt,  sondern  allgemein  wird,  so  weit  man  nicht  zu  eignen, 
unwahrscheinlichen  Konjekturen  griff  (^pingue  superfundens  oleum  Schaper, 
pingue  oleum  super  infundens  Kappes)  die  Konjektur  einiger  jungen  Hss. 
(Überlieferung  kann  man  das  nicht  nennen)  super  angenommen  auf  Gnind 
des  sicheren  Fingerzeigs,  den  die  alte  Überlieferung  I  668  gibt:  dort 
haben  MR  und  Servius  gegen  den  Sinn  litora  iacteturque  odiis,  aber  P 
von  erster  Hand  iadetur,  von  zweiter  iacteturq.  Also  ist  an  beiden  Stellen 
in  früher  Zeit  que  interpoliert,  um  die  irrationale  Längung  des  Vokals 
zu  beseitigen.  Vergl.  darüber  Anhang  X.  —  oleum  fundens  FPR,  o.  in- 
fundens M,  beides  gleich  möglich. 

255 ff.  Das  wilde  Heer  naht  unmittelbar  vor  dem  Erscheinen  der 
Morgenröte:  das  ist  die  Zeit,  wo  die  Dämonen  der  Finsternis  wieder  in 
die  Unterwelt  niederfahren  (Lukian,  Philops.  14).  —  Die  Epiphanie  der 
Gottheit  mit  den  konventionellen  Zügen  in  Anlehnung  teils  an  ApoUo- 
nios  1.  c.  (z.  236  ff.),  teils  an  Kallimacbos  h.  1,  Iff.  (Germanus).  Letzterer 
Stelle  folgt  er  auch  IH  90 ff.,  hier  übersetzt  er  aus  ihr  procul  o  procul 
este  profani  (exac  CKCtc  ötTiic  dXiTpöc),  und  zwar  legt  er  diese  übliche 
Formel  gut  der  Sibylle  in  den  Mund,  die  in  ihren  Orakeln  den  Aus- 
schluß gewisser  Klassen  beim  Opfer  zu  befehlen  pflegte  (Diels  96 f).  — 
Bei  ApoUonios  (1216)  begleiten  die  Hekate  xöovioi  Kuvec,  nach  Vergil 
(257)  Hündinnen,  wie  bei  Theokrit  2,  35.  Horaz  s.  I  8,  35  (vergl.  epod. 
5,  23.  58).  Dies  ist  die  altertümlichere  Vorstellung,  vergl.  Löschke,  Aus 
der  Unterwelt  (Dorpat  1888)  11,  29  und  Röscher,  Abh.  der  Sachs.  Ges. 
d.  Wiss.,  phil.-hist.  Gl.  XVH  nr.  HI  (Leipzig  1896)  25 ff.;  Hekate  ist  ja 
selbst  eine  evobia  kuujv  jueXaiva:  pap.  mag.  Paris.  1.  c.  (z.  46)  p.  80, 
und  es  gab  Bilder  von  ihi-  mit  einem  Hundskopf:  Dilthey,  Rh.  Mus. 
XXVn  1872,  394. 

255  ecce  autem.  Diese  volkstümliche  Verbindung  teilt  Vergil  nach 
A.  Köhler,  Arch.  f.  lat.  Lex.  V  (1888)  18f.  mit  der  älteren  Poesie  und 
Pi'osa,  während  sie  z.  B.  von  Ovid  (bei  fast  achtzigmaligem  ecce)  ver- 
schmäht wird.  —  Die  Zeit  der  Morgendämmerung  (öpGpOc)  drückt  er, 
nach  der  Praxis  des  epischen  Stils  (s.  z.  535 f.),  gewählt  aus  primi  suh 
limina  solis  et  ortus.  Denn  limina  FM  (so  auch  die  gute  Überlieferung 
im  Cento  der  Proba  saec.  FV  [s.  z.  105]  Vers  160)  ist  gegen  lumina  PR 
(so  auch  Donat  in  der  Paraphrase)  das  Richtige,  obwohl  die  Editoren 
es  nicht  aufnehmen  (Ribbeck  gibt  als  La.  von  F  lumma  an,  aber,  wie 
jetzt  die  Photographie  dieser  Hs.  lehrt,  irrtümlich).  Diese  Variante  gehört 
in  Minuskelhss.  zu  den  gewöhnlichsten,  findet  sich  aber  auch  in  der  Ma- 


200  KOMMENTAR 

juskel:  unten  696  hat  cod.  G  lumina  gegen  das  richtige  limina  in  FMPR. 
Folgende  Gründe  sprechen  in  unserem  Vers  für  limina:  1.  Catulls  (64,  271) 
schon  von  Heinsius  verglichenes  Vorbild  Aurora  exoriente  vagi  sdb  limma 
solis  (so  die  beste,  lumina  die  schlechte  Überlieferung),  2.  Silius  XVI  229  f. 
iamque  novum  terris  pariebat  limine  primo  \  egrediens  Aurora  diem,  wo 
wenigstens  in  einer  alten  Hs.  das  Richtige  stand,  während  die  übrigen 
lumine  haben;  daß  limine  hier  das  Richtige  ist,  beweist  außer  egrediens 
auch  der  aus  aen.  VI  427  herübergenommene  Versausgang  limine  primo. 
3.  Die  'Schwelle  des  Lichts'  empfinden  auch  wir  als  schöne  Metapher, 
die  auf  mjrthologischer  Vorstellung  beruht.  Wie  die  Ilias  eine  'Schwelle' 
und  'Pforte'  des  Himmels,  die  Odyssee  ein  'Sonnentor'  kennt  (A  591 
G  749  uj  12),  so  sagt  in  Nachahmung  Homers  (vergl.  Seneca  ep.  108,  34) 
Ennius  a.  597  porta  tonat  caeli  (wörtlich  wiederholt  von  Vergil  g.  III  261), 
epigr.  10  mi  soli  caeli  maxima  porta  patet.  Ein  lim^n  caeU  kennt  Accius 
tr.  531,  denn  so  ist  bei  Varro  1.  1.  VH  11,  wo  die  Hs.  lumen  hat,  aus 
dem  Zusammenhang  schon  von  den  Humanisten  verbessert  worden.  — 
ortus  von  der  Sonne  im  Accusativ  stets  pluralisch  bis  auf  Ovid  (incl.), 
vergl.  dvaToXai:  s.  Maas  1.  c.  (z.  4)  487.  494. 

2  56  ff.  mugire  solum  et  iuga  . . .  moveri  visaeque  canes  ululare.  Wegen 
der  Verbindtmg  des  (dirö  koivoO  gestellten)  visae  mit  mugire  und  ululare 
führt  Aelius  Donatus  diesen  Vers  an  zu  Terenz  eun.  IH  2,  1  {audire 
vocem  Visa  sum)  mit  der  Bemerkung:  om/nes  sensus  visa  dicuntur  ab  eo 
qui  est  certissimtis^  worin  er  also  (wie  gelegentlich  griechische  Scholiasten, 
vergl.  Schol.  Aesch.  Prom.  115.  Eurip.  Hec.  174,  schon  Aristarch  nach 
schol.  A  390)  eine  richtige  Erkenntnis  der  'Metapher'  zeigt,  der  Lobeck 
in  seiner  berühmten  Abhandlung  De  confusione  vocabulorum  sensum 
significantium  (Rhematikos,  Königsb.  1846,  329ff.)  nachgegangen  ist. 
Ihr  Gebrauch  hat  hier  nichts  Auffälliges  (ganz  ähnlich  Ovid  m.  IV  402  ff.), 
denn  videri  ist  der  stehende  Ausdruck  des  Prodigienstils  (vergl.  Obsequens 
17  arma  in  caelo  volare  visa,  14  tuba  in  caelo  cantare  visa).  Aber 
Vergil  geht  in  ihrem  Gebrauch  weiter  als  andere  lateinische  Dichter 
(vergl.  Leo,  Seneca  I  111,  11,  zur  Copa  9,  und  Gott.  gel.  Anz.  1897,  954), 
so  in  den  sehr  studierten  Versen  XII  591  f.  volvitur  atcr  odor  tectis,  tum 
murmure  caeco  |  intus  saxa  sonant,  vacuas  it  fumus  ad  auras,  wo  wir 
in  ater  odor  und  murmu/re  caeco  zweimal  diese  sog.  |LieTd\Tii|iic  ai(T0r|- 
(TeuJC  (Schol.  Eurip.  1.  c.)  haben:  denn  es  ist  zu  äußerlich,  wenn  Servius, 
um  dadurch  die  novitas  des  Ausdrucks  zu  beseitigen,  odor  als  den  'den 
Geruch  erregenden  Dampf  faßt,  vergl.  Aristoph.  Av.  1710  ööjxf]  .  .  .  ic 
ßdGoc  kukXou  xvjpei  xaXöv  Geajua  Alexis  III  485  Mein.  oajLiriv  ibeiv, 
Catull  64,  284  domus  .  .  .  risit  odore  und  anderes  bei  G.  Gerber,  Die 
Sprache  als  Kunst  I  (Bromberg  1871)  339.  —  Starke  malerische  Mittel 
heben  den  Gedanken:  12 maliges  u  (vergl.  z.  237 f.  und  Ovid  m.  VII  113 f. 
pulvereumque  solum  pede  pulsavere  bisulco  \  fumißcisque  locum  mugitibus 
impleverunt\  sowie  die  Anaphern  procul — procul,  nunc — nunc  und  die 
Alliteration  sub  —  mugire  —  solum — moveri — silvarum  (Schema  ab  ab  a), 
procul — profani,  invade  viam  vagina.,  effata  furens. 

259  absistite  luco.  Nach  Wölfflin,  Arch.  f.  Lex.  V  (1888)  519 
kommt  absistere  zuerst  bei  Caesar  vor  und  scheint  ein  Wort  der  mili- 
tärischen Kommandosprache  zu  sein;  Vergil,  der  für  das  Wort  eine  große 


VERS  256—259.  201 

Vorliebe  hat,  braucM  es  unten  399  {äbsiste  movert)  als  erster  zur  Peri- 
phrase  des  negierten  Imperativs,   also   synonym  mit   desine   (unten  376 
desme  .  .  .  sperare)]  vergl.  den  Thes.  1.  1.  s.  v.  —    260  vaginaque  eripe 
ferrum.       Dies    pflegt     als     Monstrebeispiel    ungeschickter    Verwendung 
eines    homerischen    Motivs    betrachtet    zu    werden.      Während    nämlich 
der    Eat    der    Kirke,    sich    des    Schwertes    zu    bedienen    (k   535    Hicpoc 
öHu   epucrffd)Lievoc    Tiapct    inripoO    ktX.),    zweckmäßig    sei,    da    Odysseus 
im    Hades   von    dem    Schwerte    wirklich    Gebrauch    mache    (X  48),    sei 
der    gleiche    Rat    der    Sibylle    sinnlos,    da    sie    selbst,    als    Aeneas    im 
Hades  davon  Gebrauch  machen  wolle,   ihn   von  dem  unnützen  Loshauen 
auf  die  körperlosen  Schatten   abhalte:    2 90 ff.  corripit  hie  subita  trepidus 
formidine  ferrum  \  Aeneas  stridamque  aciem  venimtilms  offert;  \  et  ni  doda 
comes  tenuis  sine  corpore  vitas  \  admoneat  voUtare  cava  sub  imagine  formae,  \ 
inrimt  et  frustra  ferro  diverheret  wmbras.     Nun   aber  hat   schon   Heyne 
bemerkt,    daß    diese    zweite    Stelle    von    Vergil    der    KttTüßaCTic 
'HpaKXeouc    nachgebildet   sei,    deren  Inhalt   wir   aus   dem  Exzerpt  des 
sog,    Apollodor   (H  122 — 126)  kennen.     Denn    dort  (123)   heißt   es  von 
Herakles:    OTtriviKa    be  elbov    auTÖv   ai  vpuxai,    y.'M^xc   MeXeotTpou   Kai 
Meboucrrjc  ttic  fopTÖvoc  eqpuTOV.     em  be   ir\v  fopTÖva  t6  Sicpoc  ibc 
Za)(Tav  eXKei  Kai  Trapd  '6p|uo0  )uav6dvei  öxi  Kevöv  eibuüXov  edxi,   was 
wir  jetzt  ergänzen  können   aus  der  ältesten  Benutzung  wohl  eben  dieser 
Katabasis  bei  BakchyHdes  5,  71  ff.  (vergl.  Robert,  Hermes  XXXm  1898, 
152  f.),  wo  Meleagros  den  Herakles,  als  dieser  auf  ihn  den  Pfeil  anlegt, 
von    dem    nichtigen   Vorgehen    abhält:    )xr\    rauCTiov    irpoiei    Tpaxuv    ek 
XeipuJv    öicTTÖv    lyuxaiCTiv    em    q)9i)LieviJUV    oöxoi  beoc.     Zu  komischem 
Zweck  ver^vendet   wohl   nach   der   gleichen   QueUe  Aiistophanes  Frösche 
564  das  Motiv,  daß  Herakles  im  Hades  das  Schwert  gezogen  habe,  und 
auf  die  Hadesfahrt  des  Theseus  und  Perithoos  war   das  Motiv  in  einer 
von  Polygnot  befolgten  Sage   übertragen  nach  Pausanias  X  29,  9.     Also 
wäre   bei  Vergil  statt  von  einer  ungeschickten  Verwendung  eines  home- 
rischen Motivs  höchstens    von   einer  ungeschickten  Kontamination   zweier 
aus  verschiedenen  Quellen   entlehnten   Motive   zu   reden,   nämlich   1.  des 
Befehls,  das  Schwert  zu  ziehen,  aus  der  Odyssee  und  2.  des  vergeblichen 
Gebrauchs  des  Schwertes   aus  der  Hadesfahrt   des  Herakles.     Aber  auch 
von  einem  Fehler  dieser  Art,    dessen  er  sich  sonst  nicht  selten  schuldig 
gemacht    hat,    kann    wenigstens    hier    nicht    die    Rede    sein.      Denn    die 
Sibylle  befiehlt  dem  Aeneas  ja  nur  eripere  vagina  ferrum  wie  Kirke  dem 
Odysseus  Ei(poc  epucTCTaaGai  irapd  |UTipoO,  und  erst  als  Aeneas  sich  nicht 
wie  Odysseus   darauf  beschränkt,   das  Schwert  zu   zücken   {aciem  umbris 
offerre),    sondern   mit   ihm   auf  die  Gespenster   loshauen   will    (wie   es 
der  Niceros    des   Petron  62    und    ein   Spartaner    bei   Plutarch    apophth. 
Lac.  236  D    wirklich    tun),    weist    sie    ihn    auf   das    Vergebliche    dieses 
Tuns    hin.      Vergil    hat    also    die   beiden    Motive    zwar   künstlich,    aber 
widerspruchslos    verbunden.      Den   Grund    dafür,    daß    das   Schwert  bloß 
gezückt  zu  werden  braucht,  um  die  Gespenster  zu  schrecken,  haben  schon 
die  alten  Homerinteipreten  festgestellt:  schol.  Q  zu  X  48  KOivr)  Tic  irapd 
dvepuiTTOic  eaiiv  iJTToXrmjic  oxi  veKpoi  Kai  bai)Liovec  aibripov  q)oßoOvTai, 
eine    Exegese,    die    schon    Lykophron    685   kannte,    wenn    er   vorsichtig 
paraphrasiert:    cpacTtdvou    TrpößXrnLia,    baiinövujv    q)ößoc.      Diese    Be- 


202  KOMMENTAR 

deutung  des  Schwertes  ergibt  sich  auch  aus  einer  magischen  TrpäHic  des 
Leydener  Papyrus  (p.  793  ed.  Dieterich  in  Jhb.f.  cl.  Phil.  Suppl.XVI  1888): 
der  Zauberer,  der  Köre  zum  Erscheinen  zwingen  will,  soll  ein  Schwert 
in  die  Hand  nehmen,  dann  wird  sie  auf  seine  Zauberfonnel  kommen, 
ihre  Fackel  wird  erlöschen  und  sie  ihm  demütig  zu  Willen  sein.  —  Die 
vorgetragene  \u(Jic  des  Problems  ist  schon  in  Kommentaren  des  16.  und 
17.  Jh.  verbreitet,  nur  wird  sie  dort  ohne  Beweismaterial  gegeben  und 
ist  daher  in  die  späteren  nicht  übergegangen.  —  Formell  erinnert  die 
Phrase  vaginaque  eripe  ferrum  an  IV  579 f.  dixit  vaginaque  eripit  ensem  \ 
fulminewm  und  X  475  vaginaque  cava  fulgentem  diripit  ensem.  Da  letzterer 
Vers  ein  zur  Situation  wenig  passendes  Motiv  enthält  (Heyne  und  Peerl- 
kamp  tilgen  ihn;  aber  wer  sollte  dergleichen  interpolieren?),  da  femer 
in  ersterem  das  Attribut  fulmineus  von  seinem  Substantiv  ohne  ersicht- 
lichen Grund  und  daher  gegen  Vergils  Praxis  (s.  Anhang  IHBl)  durch 
Versschluß  getrennt  ist,  so  darf  vermutet  werden,  daß  dem  plastischen 
kriegerischen  Bilde  'er  reißt  sein  blitzendes  Schwert  aus  der  Scheide' 
eine  von  Ennius  geprägte  Phrase  zugrunde  liegt. 

261  nunc  animis  opus,  Aenea,  nunc  pectore  firmo.  Da  Ennius  pedore 
öfters  an  gleicher  Versstelle  (a.  340.  530.  570)  und  die  Verbindung 
pectus  firmum  in  einer  Tragödie  hat  (fr.  259),  so  wird  pectore  firmo  ein 
Versschluß  der  Annalen  gewesen  sein.  —  Die  Worte  sind  nachgebildet 
von  Dante  Inf.  XVH  81  (vergl.  I  i.  f.,  XXIII  i.  f.).  Ferner  schließt  in 
Goethe  Klass.  Walpurgisnacht  (Faust,  11  2,  929)  Manto  ihre  Aufforderung 
an  Faust,  ihm  in  die  Unterwelt  nachzufolgen,  mit  den  Worten  „frisch! 
beherzt!",  doch  wohl  nach  vorliegender  Szene  bei  Vergil;  Faust  II  3, 
567  ff.  ist  von  Goethe  ziemlich  wörtlich  der  Deiphobus-Episode  unseres 
Buches  494 ff.  nachgebildet  worden.  —  262 f.  furens:  die  Epiphanie 
der  Hekate  hat  sie  zur  |aaivdc  gemacht  (Eurip.  Hipp.  141  f.  f\  (Tu  y* 
evGeoc,  uj  Koupa,  eir'  ck  TTavöc  ei9'  'CKotTac  u.  a.  bei  Röscher,  Selene  70). 


Dritter  Hauptabschnitt:  die  natdßaöig, 

264—900. 

Zwischen  Prooemium  (264—267)  und  Epilog  (888—900)  sondern 
sich  nach  dem  Lokal,  in  dem  die  Handlung  spielt,  folgende  6  Teile 
ab,  von  denen  I.  IL,  III.  IV.,  V.  VI.  unter  sich  enger  zusammengehören, 
so  daß  die  Gesamtkomposition,  der  Gepflogenheit  guter  Autoren  ent- 
sprechend, triadisch  ist. 

L  Eegion  zwischen  Oberwelt  und  Acheron  268 — 416. 
IL  Region  zwischen  Acheron  und  Tartarus-Elysium  417 — 547. 

III.  Tartarus  549—627. 

IV.  Palast  des  unterirdischen  Herrscherpaars  628 — 636. 
V.  Elysium  637  —  678. 

VL  Lethehain  679—887. 


VERS  259—264.  203 

Prooemium  264 — 267. 

Ein  biKUjXov,  jedes  Glied  zu  2  Versen;   das   erste  Glied  mit  4,  das 
zweite  mit  2  KÖ|a|uaTa. 

264  ff.  di  quibus  imperium  est  animarum  umbraeque  silentes  |  et 
Chaos  et  PMegetTion,  loca  node  iacentia  lote:  \  sit  mihi  fas  audita  loqui, 
Sit  numine  vestro  \  pcmdere  res  alta  terra  et  caligine  mersas.  Eine  Unter- 
brechung der  Erzählung  an  Hauptabschnitten  durch  Anrufung  höherer 
Wesen,  meist  der  Musen,  war  im  Epos  traditionell;  so  auf  Grund  von 
B  418ff.  Z  508  Vergil  VII  36.  641  IX  525  X  163  XH  500.  Solchen 
Anrufungen  liegt  der  Sinn  zugrunde,  daß  der  Dichter  bloß  MoiJ(Tdu)V 
iiTTOqpriTTic  und  daher  alles,  was  er  sagt,  wahr  ist,  vergl.  B  485 f.  UfieTc 
(Moöcrai)  t^P  öeai  effxe  TrdpecTTe  re  icrie  xe  irdvia,  |  fmeTc  hk  kXeoc 
oTov  dKOUOjuev  oube  ti  ibuev.  Daher  sagt  Gorgias  Hei.  2  von  Helena: 
Trepi  f^c  6|uöcpuuvoc  , . .  f CTOvev  x\  tujv  ttoititujv  dKoucrdvTUüv  tticttic, 
fi  Te  Toö  6vö|uaT0C  qprmn  tujv  (Juiacpopdiv  |Livr||Liri  yeTOvev  und  genießen 
Dichteraussprüche  eine  solche  Autorität,  daß  sie  wie  Orakel,  Sprichwörter 
u.  dgl.  als  exempla  für  Beweise  verwertet  werden  können  (seit  Thrasy- 
machos  bei  Clem.  AI.  ström.  VI  746  P,  vergl.  Quintil.  V  11,  36).  In 
diesem  Sinn  verwenden  die  Alexandriner,  gemäß  ihrem  Prinzip,  nichts 
ünbezeugtes  zu  singen,  die  Formel  besonders  da,  wo  sie  etwas  Wunder- 
bares berichten,  so  Apollon.  Rh.  IV  1379f.  Moucfdujv  öbe  |aö0oc,  t^\h 
h"  uTraKOuöc  deibuu  |  TTiepiöujv,  kqi  Tr|vbe  TravaipeKec  eKXuov  6)Li<priv 
und  in  Nachbildung  dieser  Verse  Vergil  IX  7  7  ff.  (von  einer  Wunder- 
Erzählung):  qiiis  deus  o  Musae  tarn  saeva  incendia  Teucris  |  avertit? 
tantos  ratibus  quis  depulit  ignes?  \  dicite,  prisca  fides  (tticTtic  Gorg.) 
fado^  sed  fama  ((pr\[ir]  id.)  perennis.  Auf  Grund  dieser  Anschauung  sagt 
er  an  unserer  Stelle  266  sit  mifii  fas  audita  loqui.  Denn  es  ist  be- 
greiflich, daß  grade  transzendente  Offenbarungspoesie  (jpandere  267,  vergl. 
723  pandit  und  Einleitung  S.  22,  2),  wie  die  nun  folgende,  gern  als  über- 
liefert hingestellt  wurde.  Ein  junges  orphisches  Gedicht  über  die  Theo- 
gonie  begann  mit  einer  Anrufung  Apollons,  dessen  Stimme  der  Dichter 
vernommen  hatte:  buibeKdiTiv  hr\  Tr|vbe  Ttapai  aeo  ekXuov  ö^q)f]v  j  (TeO 
(pa^evou,  ae  be  f'  auTÖv  eKrißoXe  indpTupa  0ei|UTiv  (fr.  49  Abel,  vergl.  die 
Einleitung  des  orphischen  NepÖC  XÖTOC  fr.  141  und  Hermes  Trismeg.  p.  103 
Parth.  biö  Ktti  ToO  aYttGoO  bai|aovoc,  u)  TtKvov,  eyuj  fiKOucTa  Xe^ovroc 
ktX.).  Daß  diese  Formulierung  grade  für  die  Kenntnis  irepi  twv  ev  abou 
älter  ist,  zeigen  verschiedene  Stellen  Piatons.  Protag.  524  B  sagt  Sokrates 
nach  der  Beschreibung  der  Unterwelt:  Taut'  ecTTiv,  d  efUJ  aKTiKOÜbc 
TTKTTeuuJ  dXriGf]  eivai  (diese  Worte  übernahm  Ps.  Dionysios  Areopag.  in 
der  Erzählung  der  Vision  des  Karpos,  1.  c.  [Einleitung  S.  9]);  Menon 
81 A  leitet  er  seine  Darstellung  der  Metempsychose  mit  den  Worten 
ein:  aKrjKoa  ydp  dvbpujv  re  Kai  fuvaiKuJv  (Pythagoreerinnen)  (Toqpiuv 
Trepi  Td  6eTa  TrpdtiuaTa  .  .  .  Xö^ov  dXriGfi,  Gorg.  493A  fJKOiKTa  toiv 
(Joqpuiv,  ibc  vöv  fmek  Te6va)Liev  ktX.  (Ähnlich  noch  in  mittelalterlicher 
Apokalyptik:  vergl.  die  Vision  des  Albericus  saec.  XH  1.  c.  [Einleitung 
S.  9]  p.  288  ut  vidi,  iit  a  heato  Petro  apostolo  audivi,  ita  hie  scribere 
feci  ib.  p.  327  multa  praeterea  alia  loca  ostcndit  miJn  heatus  Petrus 
multaque  locutus  est  mihi  praeccpitque  ut  ea  quae  de  Ulis  audieram  re- 
ferrem).  —  Auch  in  der  Auswahl  der  angerufenen  Götter  schließt  Vergil 


204  KOMMENTAR 

sich  an  ältere  Vorlagen  an,  von  denen  wir  noch  Eeflexe  in  unserer 
Zauberliteratur  haben  (s.  o.  S.  195).  In  dem  Pariser  Papyrus  (ed.  Wessely 
in  den  Denkschr.  der  Wiener  Akad.  XXXVI  1888  p.  81)  werden  angerufen 
1.  die  unterirdischen  Gottheiten  'Gpjufi  x^ovie  Kai  'EKOiTri  xöovia  u.  s.  w. 
'-^'  di  quibus  imperium  est  animarum,  2.  veKuec  Kai  bai)Liovec  Kai  ijjuxai 
dvöpuJTruuv  <^  umbrae  süentes  (letzteres  ein  in  magischer  Literatur  übliches 
Epitheton:  W.  Headlam  in  Class.  Review  XVI  1902,  55),  3.  Xdoc  ctpxe- 
•fovov,  "€peßoc  qppiKTÖv,  Ztuyöc  libujp  ~  Chaos  et  Phlegethon.  —  Endlich 
ist  auch  die  Einkleidung  des  Gebets  in  die  Form  einer  Bitte  um  Er- 
laubnis, die  Geheimnisse  erschließen  zu  dürfen  (sit  mihi  fas  etc.),  von 
Vergil  nicht  erfunden  worden.  Denn  diesem  Gebet  nach  Form  und 
Inhalt  nahe  verwandt  ist  das  des  Oppian  (hal.  I  73 ff.)  an  die  Götter  des 
Meeres,  dessen  Tiefen  und  Bewohner  erschließen  zu  dürfen  er  sie  bittet. 
Das  Pathos  wirkt  bei  Oppian  fast  komisch,  weil  er  ein  Motiv  auf  die 
Meerestiefe  übertragen  mußte,  das  ursprünglich  so,  wie  Vergil  es  über- 
nahm, erfunden  worden  war  für  eine  Apokalyse  der  Erdentiefe.  Denn  die 
Unterwelt  war  ja  der  Sitz  des  Gottes  quem  scire  nefastum  est  (Stat. 
Theb.  IV  516)  und  der  ^unausprechlichen'  Göttin  ('€KdTr|  "AcppaffTOC, 
vergl.  Wünsch  in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XXVII  1900,  111),  deren  Geheim- 
nisse zu  profanieren  als  fluchwürdiges  Verbrechen  galt  (pap.  mag.  Paris. 
1.  c.  p.  106).  Nahverwandt,  bloß  übertragen  auf  eine  Apokalypse  des 
Himmels,  ist  auch  das  Gebet,  mit  dem  der  apokalyptische  Teil  desselben 
Zauberpapyrus  (Entrückung  in  den  Himmel)  beginnt  (p.  56):  i'XaGi  |Lioi, 
TTpövoia  Kai  Tvxr\,  Tdbe  fpacpevri  (s.  v.  a.  YpdipavTi)  xd  irpäia  (pytha- 
goreisierender  Dorismus!)  |au(TTr|pia. 

Diese  Argumente  berechtigen  zu  dem  Schluß,  daß  Vergil  Inhalt 
und  Form  dieses  Gebets  in  allem  Wesentlichen  einer  Quelle 
entnahm:  ob  einer  prosaischen  oder  poetischen,  wird  sich  nicht  ent- 
scheiden lassen.  Wegen  der  aus  den  orphischen  Gedichten  und  aus  Oppian 
angeführten  Analogieen  könnte  sich  die  zweite  Annahme  zu  empfehlen 
scheinen,  doch  war  andererseits  auch  in  transzendentaler  Prosa  der  tÖttoc 
des  Gebets  von  Piaton  (Tim.  27C  48D)  bis  zu  den  spätesten  Neu- 
platonikern  (Proklos  und  Ps.  Dionysios  Areopag.)  stehend.  Jedenfalls 
erweckt  das  Gebet  Vergils  in  dem  Hörer  neben  dem  Glauben  an  die 
Offenbarung  eine  weihevolle  Stimmung,  die,  wie  die  Erklärungen  und 
Nachahmungen  zeigen,  schon  das  Altertum  empfand. 

Starke  Antithesen  des  Gedankens  (s.  z.  9)  heben  das  Ethos:  loca  nocte 
tacentia  (ein  von  Schiller  bewunderter  Ausdruck,  vergl.  P.  v.  Boltenstern, 
Sch.'s  Vergilstudien  I  Cöslin  1894,  21)  soll  als  Gegensatz  zu  Phlegethon 
empfunden  werden  (vergl.  551  torquet  sonantia  saxa),  ebenso  loqui  zu 
audita,  pandere  zu  mersas.  —  264  di  quibus  imperium  est  =  V  235,  wo 
die  Worte  eine  Partie  mit  starken  ennianischen  Reminiszenzen  einleiten. 
—  266  Das  zweite  sit,  wie  die  Erklärer  bemerken,  im  Sinn  von  liceat 
(nicht  mit  Ergänzung  von  fas).  Lachmann  zu  Lucr.  V  533  weist  nach, 
daß  dieser  Gebrauch  des  Verbum  substantivum  erst  mit  dem  Ende  der 
Republik  aufkommt,  Vergil  hat  ihn  oft;  eTr|  c.  inf.  ist  auch  in  griechischen 
Gebeten  typisch  (z.  B.  Pindar  I  5  [6],  7).  —  267  res  altas  terra  M^ 
(mit  dem  zu  105  zitierten  Cento)  irrtümlich  für  alta  (über  die  Fehler- 
quelle s.  z.  37).  —  mersas  hier  wie  429  (==  XI  28)  und  615,   weil  die 


VERS  264—268.  205 

Unterwelt  mit  ihren  Toten  in  Wasserfluten  begraben  war:  eine  alter- 
tümliche Vorstellung  (auch  Find.  N.  7,  31  kOjli''  'Alba)  die  neben  allen 
jüngeren  sich  erhielt  (vergl.  v.  Wilamowitz  zu  Aesch.  Che.  722,  Rothstein 
zu  Porp.  II  9,  26). 


I.   Begion  zwischen  Oberwelt  und  Acheron  268 — 416. 

A.  Der  Eingang  des  Hades  268 — 94  (vergl.  die  Büderhand- 
schrift  fol.  XLVn^J.  Drei  Teile:  1.  Beginn  des  Weges  268—272  (rpi- 
kujXov,  das  erste  kiuXov  mit  drei,  das  dritte  mit  zwei  K6)Li)LiaTa).  2.  Die 
monstra  273 — 289  in  drei  Absätzen:  a)  273 — 81.  Die  Disposition  ist, 
wie  bei  einer  im  allgemeinen  unbeliebten,  aber  hier  nicht  zu  umgehenden 
Aufzählung  zu  erwarten,  besonders  kunstvoll.  Das  Ganze  ist  eingerahmt 
von  je  1  Vers  273  und  281,  dazwischen  zwölf  KÖ)i)LiaTa  in  zwei  Gruppen 
zu  je  sechs;  die  beiden  Gruppen  sind  durch  die  Parenthese  in  277  ter- 
rihües  visu  formae,  die  dem  Gedanken  nach  zu  beiden  gehört,  formell 
getrennt,  um  so  der  Aufzählung  einen  Euhepunkt  zu  bieten,  b)  282  bis 
284  (xpiKUjXov),  c)  285 — 89  (sechs  KÖ)ii|LiaTa,  das  letzte  mit  drei  Be- 
griffen). 3.  Aeneas'  Begegnung  mit  den  monstra  290 — 94  (TpiKUüXov, 
jedes  kujXov  mit  je  zwei  KÖ|ii|LiaTa).  —  Die  große  Sorgfalt  der  Aus- 
arbeitung zeigt  sich  auch  Lq  den  stark  gehäuften  Alliterationen:  269 
bis  272  domos  Ditis — limam  sub  luce — caelum  condidit — dbstulit  atra 
274  cuhüia  Curae  276  metus  —  malesuada  277  Letumque  Labosque 
278  mala  mentis  280  Discordia  demens  281  vipereum  crinem  vittis 
cruentis  (Schema  ab  ab)  283  f.  sedem  Somnia  völgo  vana  (Schema  aabb) 
284  fenmt  foliis  290  formidine  ferrum  294  frustra  ferro.  Femer  in  den 
über  das  meist  innegehaltene  Maß  (s.  z.  638 ff.  und  Anhang  IIIA  3)  den 
einzelnen  Substantiven  beigefügten  Attributen:  vergl.  besonders  269  f. 
domos  vacuas,  inania  regna,  incertdm  lu/ndm  (mit  starkem,  hier  ebenfalls 
dem  omatus  dienendem  ojlioiötttujtov,  s.  z.  638ff.  und  Anhang  IV),  luce 
maligna  2 75 f.  pallentes  Morhi,  tristis  Senectus,  malesuada  Farnes,  turpis 
Egestas,  27 9 ff.  Der  Vergleich  2 70 ff.,  der  als  solcher,  einem  festen  Stil- 
prinzip gemäß,  besonderer  omamenta  bedarf  (s.  z.  2 70 ff.),  wird  durch 
ein  Isokolon  mit  Responsion  der  Begiiffe  (s.  Anhang  11  3)  abgeschlossen: 
ubi  caelum  coyididit  umbra  lupiter  ^-  et  colorem  ahstulit  rebus  Nox  atra 
(je  12  Silben). 

2 68  f.  ibant  öbseuri  sola  sub  nocte  per  umbram  \  perque  domos  Ditis 
vacuas  et  inania  regna.  Zwei  malerische  Verse,  die  auf  Dante  Eindruck 
machten  (Inf.  XXTTT  1,  Purg.  I  118)  und  von  Schiller  bewundert  wurden 
(vergl.  Boltenstem  1.  c.  [S.  204]).  Wenn  letzterem  besonders  die  doppelte 
Bezeichnung  der  Leere  in  domos  va,cuas  et  ina/nia  regna  gefiel,  so  ur- 
teilte er  ebenso  wie  die  antiken  Rhetoren,  die  derartige  eindrucksvolle 
repetitiones  verborum  zimi  ornatus  rechneten:  s.  z.  25.  638ff.  Vergil  hat 
im  folgenden  Vers  ein  weiteres  Beispiel:  incertam  lunam,  luce  maligna, 
und  auch  die  dreifache  Bezeichnung  des  Dunkels  in  obscuri,  nocte,  per 
umbram  ist  nicht  anders  zu  beurteilen.  In  dem  Vers  ibant  obscuri  sola 
sub  nocte  per  umbram  werden  das  Dunkel  und  die  Einsamkeit  durch 
Anwendung  der  auch  von  Servius  hier  notierten  sogenannten  Enallage 
der  Attribute  (vergl.  C.  J.  Jacob,  Quaestiones  epicae,  Leipzig  1838,  118f., 


206  KOMMENTAR 

R.  Hillebrandt,  Progr.  Leipzig  1900,  2.  5,  9)  eng  verknüpft  und  auch 
sprachlich  zu  einer  plastischen  Einheit  verschmolzen:  wie  viel  weniger 
wirkungsvoll  wäre  das  normale  soli  suh  öbscura  nocte  gewesen  (vergl. 
II  420  obscura  nocte  per  umbram).  Sola  nox  wie  vuH  epTi)Liair|;  „nur  die 
Nacht  ist  Genossin  ihres  Weges"  sagt  Pindar  P.  4,  155.  Suh  nocte  steht 
in  formaler  Angleichung  (s.  Anh.  II  3)  an  das  folgende  sub  luce,  (wie 
suh  sole  I  431.  b.  2,  13),  weil  die  Nacht  auf  ihnen  gewissermaßen  lastet: 
unten  827  nocte  premimtur  wie  Horaz  I  4,  16  te  premet  Nox.  Die 
Spondeen  (noch  dazu  im  ersten  Fuß  das  spondeische  ibant,  s.  Anhang  VIII) 
malen  das  langsame  Gehen  in  der  Finsternis. 

270  ff.  quäle  per  incertam  lunam  sub  luce  maligna  \  est  iter  m  silvis, 
uhi  caelum  condidit  umbra  \  lupiter  et  rebus  Nox  abstuUt  atra  colorem. 
Mit  Kombination  der  La.  von  F^  incertum  lunam  und  der  vom  Schol. 
Lucan  IX  73  mcertam  lunae  vermutet  Ribbeck  mcertum  lunae,  aber  in- 
certam lunam  wird  durch  den  Parallelismus  mit  nocte  maligna  empfohlen 
(s.  Anhang  II  3).  Eine  alte  Variante  inceptam  lunam  notiert  Servius 
und  scheint  Donatus  neben  incertam  zu  paraphrasieren:  Ji.  e.  im,  ipsis 
initiis  positam  aut  sub  nubilo  constitutam,  aber  incertam  wird  von  Vergil 
—  seiner  o.  z.  203  erwähnten  Praxis  gemäß  —  selbst  im  folgenden  Vers 
erklärt  (ubi  caelum  condidit  umbra  lupiter)  und  durch  die  von  den  Inter- 
preten verglichene  Stelle  III  203  incerfi  caeca  caligine  soles  gesichert.  — 
lux  maligna.  Donatus:  quae  securos  invideat  gressus;  so  verstand  es 
auch  Ambrosius  in  einer  von  M.  Ihm,  Studia  Ambrosiana  (Jahrb.  f.  Phil. 
Suppl.  XVI  1888)  91  notierten  Anspielung  auf  diese  Stelle.  Das  ^Auge 
des  Mondes'  (eine  seit  Pindar  0.  3,  20  und  Aeschylos  fr.  170N^  ge- 
läufige Vorstellung)  kann  'mißgünstig'  sein  wie  die  Augen  von  Menschen 
{oculi  maligni  V  654).  Auch  der  die  malignitas  erläuternde  Ausdruck 
rebus  Nox  abstulit  atra  colorem  ist  persönlich  zu  fassen  wie  Aeschyl. 
Pers.  426 K.  ^uüc  KeXaiv^c  vuktöc  ö|Li|ua  dcpeiXero  (sc.  Tot  vaudTia).  — 
Das  malerische  Gleichnis  scheint  originell  zu  sein,  eine  Seltenheit  bei 
Vergil.  Die  Ausnahme  (falls  sie  sich  als  solche  bestätigt)  wäre  charak- 
teristisch: der  italische  Bauemsohn  kannte  die  Wälder.  Das  Gleichnis  ist, 
wie  die  meisten  vergilischen  (vergl.  P.  Cauer,  Progr.  Kiel  1885,  14,  1 
und  Baur,  Progr.  Freising  1891,  6 5 f.),  so  gebaut,  daß  das  vergleichende 
Bild  dem  verglichenen  Objekt  folgt.  Daher  können  die  Vergleiche  Vergils 
größtenteils  unbeschadet  der  Konstruktion  fehlen,  vergl.  in  diesem  Buch 
309ff.  470f.  707ff.  784ff.  und  für  den  Gegensatz  zu  Homer:  M  156ff. 
mit  aen.  IX  66 7 ff.,  v  81ff.  mit  aen.  V  142 ff.  Da  nun  Gleichnisse  in 
allen  Büchern  in  größerer  Zahl  vorkommen  mit  Ausnahme  von  dem 
besonders  unfertigen  B.  III,  wo  sich  nur  eins  findet  (679  ff.),  so  wird 
man  vielleicht  vermuten  dürfen,  daß  Vergil  sie  im  allgemeinen  erst  ein- 
legte, wenn  das  betreffende  Buch  in  seinem  Rohbau  fertig  war.  Das 
wäre  ein  für  ihn  begreifliches  Verfahren.  Denn  während  die  homerischen 
Gleichnisse  ihre  Entstehung  dem  Streben  nach  plastischer  Realität  ver- 
danken, waren  sie  für  den  reflektierenden  Kunstdichter  nur  ornatus  causa 
da:  unter  diesem  Gesichtspunkt  behandelt  Quintilian  VIII  3,  7 2 ff.  das 
Gleichnis  bei  Dichtem  und  Rednern.  Das  ornare  aber  war  wenigstens  in 
der  Kunstprosa  bezeugter  Maßen  eine  Tätigkeit,  die  an  dem  i)Tr6)avTi|ua, 
dem  ersten  Entwurf,  nachträglich  vorgenommen  zu  werden  pflegte  (vergl. 


VERS  268— 273  ff.  207 

P.  Corßen,  Gott.  gel.  Anz.  1899,  318 f.).  Aus  diesem  Verfahren  mag 
sich  auch  erklären,  daß  V  594 f.  ein  bloß  angedeutetes  Gleichnis  mit 
einem  unvollständigen  Vers  schließt,  und  daß  IX  679 ff.  ein  ausgeführtes 
Gleichnis  steht,  das  unmittelbar  vorher  (674)  bereits  kurz  angedeutet 
war:  die  kürzere  Fassung  wird  aus  dem  Entwurf  stammen  und  sollte 
wohl  wegfallen,  nachdem  die  ausführliche  eingelegt  worden  war. 

273ff.  Das  Reich  des  Hades  müssen  wir  uns  nach  der  Intention 
des  Dichters  als  einen  Eaum  von  riesigen  Dimensionen  denken.  Zuerst 
die  Vorhalle  bis  zum  Eintritt  in  die  Flügeltore  {fores  286):  273  —  94. 
Durch  diese  fores  tritt  man  in  das  Burgrevier  des  Hades  mit  seinen 
verschiedenen  Regionen;  in  einer  dieser  ist  die  Burg  selbst  (630 ff.).  Die 
Vorhalle  gliedert  sich  in  mehrere  Teüe,  die  bei  der  Gleichgültigkeit  des 
Dichters  gegenüber  topographischem  Detail  (s.  o.  S.  133)  nur  kurz  an- 
gedeutet werden,  weil  das  Hauptinteresse  ihre  Bewohner  betrifft;  deshalb 
bieten  sie  dem  Verständnis  einige  Schwierigkeiten.  1.  Ein  Teil,  der  273 
bezeichnet  ist:  vestibtihim  ante  ipsum  primisque  in  faucibus  Ord.  Die 
Erklärung  war  schon  im  Altertum  kontrovers,  da  man  sich  über  die 
Bedeutung  von  vestibulum  nicht  einig  war.  Nach  Gellins  XVI 5  ver- 
standen einige  darunter  einen  Platz  vor  dem  Hause,  zwischen  Straße 
und  Haustür,  andere  einen  Teil  des  Hauses  selbst,  unmittelbar  vor  dem 
Atrium;  der  Vergilvers  sei  in  ersterem  Sinn  zu  verstehen:  vestibulum 
appellat  ante  ipsam  quasi  domum  et  ante  Orci  penetralia.  Diese  Erklärung 
ist  richtig.  Denn  erstens  entspricht  sie  der  glaublichsten  Etymologie  von 
vestibulum,  die  schon  Servius  neben  vielen  falschen  z.  d.  St.  anführt:  alii 
dicrnit  ab  eo  quod  nullus  illic  stet,  in  limine  enim  solus  est  transitus: 
quomodo  vesanus  dicitur  non  sanus,  sie  vestibulum  quasi  nmi  stabülum 
(also  ve-stib-u-lum).  Zweitens  paßt  sie,  und  nur  sie,  zu  den  anderen 
Stellen  Vergils,  vergl.  unten  zu  575,  U  469  (wo  sich  die  richtige  Er- 
klärung aus  478.  483ff.  ergibt)  VH  181  (vergl.  183.  193)  g.  IV  20 
(vergl.  22).  Die  Ortsbezeichnung  vestibulum  ante  ipsum  wird  präzisiert 
durch  primisque  in  faucibus  Orci.  So  geben  MR  und  die  Zitate  des 
Gellius-Macrobius,  während  P  que  ausläßt.  Für  den  Sinn  ist  das  gleich- 
gültig, denn  que  steht  epexegetisch  nach  dem  zu  24  f.  besprochenen  Ge- 
brauch: also  wollte  der  Redaktor  von  P  durch  Auslassung  von  que  dem 
Mißverständnis  vorbeugen,  als  werde  dadurch  eine  neue  Ortsbestimmung 
angefügt.  Fauces  ist  ein  allgemeiner  Begriff  für  enge  Korridore  des 
römischen  Hauses,  aber  gewöhnlich  spezialisiert  für  die  Durchgänge  zu 
beiden  Seiten  des  Tablinum  (Vitruv  VI  4,  6).  Damit  an  sie  nicht  gedacht 
werde,  steht  primis  dabei:  also  richtig  Gellius  1.  c.  fauces  vocat  iter 
angustum  per  quod  ad  vestibulum  adiretur.  Durch  Hineintragen  des 
technischen  Sinns  gibt  er  also  den  sprichwörtlichen  fauces  Orci  (Amob. 
adv.  g.  II  53),  die  auf  der  Vorstellung  des  Hades  als  eines  wilden  Tieres 
beruhen  (vergl.  z.  B.  Lucr.  I  852  Leti  sub  dentibus  und  Usener,  De  Hiadis 
carmine  quodam  Phocaico,  Bonn  1875),  eine  neue  Nuance. 

2.  Bei  278  (tum,  s.  z.  20)  schreitet  die  Handlung  vor  zu  dem 
vestibulum  selbst,  das  gegen  das  ostium  abgeschlossen  wird  durch  das 
limen  adversum  (279)  und  die  fores  (286).  Es  ist  sehr  geräumig  wie 
bei  Palastanlagen  (vergl.  VII  17  7  ff.  Sueton,  Ner.  31).  Bei  der  Nennung 
dessen,    was   es   birgt,   verfährt  der   Dichter  nicht  der  Reihe   nach   auf- 


208  KOMMENTAR 

zählend,  denn  er  trennt  das  Urnen  von  den  dazu  gehörigen  fores:  mit 
gutem  Grund,  denn  eine  weitere  Aufzählung  wäre  poetisch  schlecht  ge- 
wesen. Jetzt  erhält  sie  einen  Ruhepunkt  durch  282 — 84:  die  Ulme 
in  meäio,  d.  h.  in  der  Mitte  des  vestibulum  (so  Servius);  denn  die  Be- 
ziehung des  Donatus  auf  das  Impluvium,  die  wegen  des  Baumes  nahe- 
liegt (vergl.  n  51 2 ff.),  ist  hier  ausgeschlossen,  da  von  dem  Hausinnern 
keine  Rede  sein  kann.  Für  die  Ausdrucksweise  vergl.  Sueton  Vesp.  25 
in  media  parte  vestibuli,  und  daß  dort  ein  Baum  stand,  hat  nichts  Auf- 
fälliges: vom  vestibulum  des  Bienenhauses  sagt  er  g.  IV  20  palmaque 
vestibulum  aut  ingens  Oleaster  inumbret  (vergl.  hier  opaca  ingens). 
Mit  Grund  tut  er,  wie  schon  Servius  bemerkt,  des  Urnen  Erwähnung 
grade  beim  Kriegsdämon  (adver so  in  Umine  Bellum  279).  Denn  den 
GoOpoc  "Apric  dachte  man  sich  auf  der  Schwelle  seines  Tempels  sitzend, 
von  wo  er  sofort  losstürmen  konnte.  Die  Arvalbrüder  beteten  zu  Mars: 
satt  des  Kampfes  (für  gewöhnlich  ist  er  aroc  TToXejLioio  E  388)  limen 
sali,  sta,  d.  h.  er  soll  wieder  auf  die  Schwelle,  von  wo  er  losgestürmt 
war,  springen  und  dort  sitzen  bleiben  {Marte  sedente  eleg.  in  Maec.  1,  50). 
Auch  das  stabulare  in  foribus  286  muß,  wie  schon  Heyne  bemerkt, 
ganz  eigentlich  verstanden  werden,  denn  nach  Vitruv  VI  10,  1  waren 
(wenigstens  im  griechischen  Haus)  gleich  an  der  Tür  Ställe  (so  auch 
Apuleius  m.  I  15). 

Die  erste  Klasse  des  nun  folgenden  Katalogs,  die  dämonischen 
Personifikationen  am  Hadeseingang  (274 — 281),  hat  in  späterer 
Poesie  viele  Nachahmer  gefunden  (von  Ovid  bis  Dante  und  Milton),  die 
hier  ebenso  wenig  angeführt  werden  sollen  wie  die  Analogieen  aus  der 
ägyptischen  und  germanischen  Hölle  (vergl.  R.  Schröter,  Totenreich  der 
Indogermanen,  Progr.  Wongrowitz  1888,  13).  Auch  über  die  griechischen 
Vorbilder  der  verg.  Personifikationen  braucht  nur  wenig  gesagt  zu  werden, 
da  das  Material,  wenn  auch  längst  nicht  erschöpfend,  von  R.  Engelhard, 
De  personificationibus  etc.  (Göttingen  1881)  25ff.  gesammelt  ist.  Die 
Tatsache,  daß  eine  Anzahl  dieser  Personifikationen  sich  in  der  hesiodischen 
Theogonie  (211  ff.  vergl.  758ff.),  in  dem  stoischen  Katalog  bei  Cicero  de 
nat.  deorum  III  44,  bei  Kebes  und  in  dem  das  hyginische  Fabelbuch  ein- 
leitenden Kataloge  finden,  zeigt,  daß  auch  Vergil  bezw.  schon  seine  Quelle 
einem  solchen  genealogischen  Verzeichnis  gefolgt  ist  (qui  a  genealogis 
antiquis  sie  nominantur  .  .  .,  quos  Erebo  et  Nocte  natos  ferunt  Cicero  1.  c). 
Nur  ein  paar  Bemerkungen  zu  folgenden  Einzelheiten.  In  der  Ver- 
bindung 277  Letumque  Labosque  ist  Letum  für  Mors  nicht  bloß  der 
Alliteration  zuliebe  gewählt,  sondern  in  jenem  empfand  der  Römer  das 
persönliche  Element  stärker:  Leti  sub  dentibus  Lucrez  I  852;  Letus  carm. 
epigr.  562  Bücheier.  In  Läbos  braucht  er,  der  Feierlichkeit  oder  der 
Euphonie  zuliebe  (laborque  wäre  hart),  nur  hier  die  archaische  Endung, 
während  er  g.  III  118  lieber  sogar  zu  einer  Lizenz  greift:  labör  aeque 
(vergl.  Wagner  zu  b.  3,  56.  Lachmann  zu  Lucrez  S.  424).  Die  Egestas 
276  ist  ante  Leti  portas  auch  bei  Lucrez  III  67.  Mit  den  mala  mentis 
Gaudia  278 f.  sind  die  Erscheinungsformen  der  fibovri  gemeint  (Seneca 
ep.  59,  3  von  diesem  Ausdruck:  voluptatibus  hoc  nomen  imposuit  sc. 
Vergilius),  wie  die  von  Kebes  9.  27  genannten  'AKpacTia,  'AauuTia, 
'HbuTTOtGem,   vergl.   auch  Clemens  AI.  protr.  2,  26  p.  22  P  q)iXoffö(puJV 


VERS  274 ff.  209 

Tivec  .  .  .  Tuiv  ev  fiiiiiv  iraGiuv  dveibiuXoTTOioijCi  tuttouc,  töv  <t>ößov 
Kai  TÖV  "EpcuTtt  Ktti  xfiv  Xapdv;  mentis  ist  hinzugefügt,  weil  das  auf 
Befriedigung  der  körperlichen  Lüste  gerichtete  Streben  ein  irdGoc  xf^C 
vpuxfic  ist  (Plutarch  n.  posse  suav.  c.  9  p.  1092 DE).  Von  den  Attributen 
der  Dämonen  verdient  Erwähnung  276  malesuada  (Farnes):  ver- 
mutlich aus  archaischer  Poesie,  s.  Anhang  I  1.  Bei  den  Eumenidum 
thalami  280  ist  ganz  eigentlich  an  'Schlafgemächer'  zu  denken,  da 
Vergil  thalamus  nie  anders  gebraucht  (vergl.  auch  274  cuhüia):  wenn 
die  Rachedämonen  nicht  beschäftigt  sind,  so  schlafen  sie  (Aesch.  Eum. 
Anf.,  Eobert,  Bild  u.  Lied  177);  daher  ist  auf  Devotionen  ein  gewöhn- 
liches Wort  an  den  Dämon  eHcfepGriTi  oder  i^^expe  Gavxr\v :  vergl.  E.  "Wünsch, 
Defixionum  tabulae,  Berlin  1897  p.  XXIH  und  Eh.  Mus.  LV,  1900,  267; 
r\yepBr]Oaw  von  den  Dämonen  des  Hades  auch  in  der  |uaYiKfi  TTpdHic  der 
orphischen  Argonautica  972.  Während  die  Eumeniden  also  hier  am 
Hadeseingang  hausen  (ebenso  Culex  218),  sind  Tisiphone  und  Megaera 
unten  555,  570ff.  605 ff.  im  Tartarus,  ein  vielbehandeltes  tr\rr\pia.  Die 
konziliatorische  Kritik  (so  schon  Gerda)  stützt  sich  auf  572,  wo  die  im 
Tartarus  befindliche  Tisiphone  vocat  agmina  saeva  sororum:  also  rufe  sie 
die  übrigen  Furien  eben  vom  Hadeseingang  in  den  Tartarus,  Aber  diese 
XuCTic  wird  durch  eine  dritte  Version  (374f.)  ausgeschlossen,  wonach  der 
Cocytus  der  amnis  Eumenidum  ist,  eine  altertümliche  Vorstellung  (s.  o. 
z.  160).  Also  hat  Vergil  mehrere  Sagenvarianten  nebeneinander  gestellt, 
die  er  auch  bei  endgültiger  Eedaktion  kaum  ausgeglichen  hätte:  denn 
die  lateinischen  Kimstdichter,  für  die  die  griechischen  Mythen  nie  wahres 
Leben  besessen  hatten,  duldeten  das  Nebeneinander  solcher  mythologischen 
Varianten  unbedenklich,  ja  liebten  es,  dadurch  das  Schwanken  der  Tradition 
mit  affektierter  Gelehrsamkeit  gelegentlich  anzudeuten  (vergl.  auch  zu 
617).  Einer  genauen  Analogie  zu  der  verschiedenen  Stationierung  der 
Eumeniden  werden  wir  unten  (Seite  233)  in  derjenigen  des  Cerberus  be- 
gegnen. —  Die  inneren  Beziehungen  der  dämonischen  Wesen  zu  einander 
sind  meist  ohne  weiteres  klar.  Zu  den  bösen  Sinnesfreuden  (mala  mentis 
Gaudia)  gehört  der  Sopor  (vergl.  Kappes -Wöm er  in  der  Ausgabe* 
Leipzig  1895),  ein  Wort,  das  im  Gegensatz  zu  dem  stammverwandten 
somnus  oft  den  sinnbetäubenden  torpor  bezeichnet  wie  Kapoc  (vergl. 
Properz  HI  11,  54.  17,  42.  Plinius  n.  h.  XXI  119.  Apul.  met.  H  30  so- 
pore  m^rtuus):  eine  Verbindimg  also  wie  bei  Dionys.  Hai.  de  Thuc.  34 
UTTÖ  TTic  fibovfic  K€KapiJU)uevoc  xfiv  bidvoiav  zeigt  die  von  Vergil  gewollte 
Beziehung.  In  der  Auswahl  der  Dämonen  glaubt  man,  wie  A.  Schalk- 
häuser, Progr.  Bayreuth  1873  ausführt,  die  Eindrücke  zu  spüren,  die 
der  soziale  (276),  sittliche  (278  f.)  und  politische  (279  f.)  Euin  der 
Eevolutionszeit  auf  den  Dichter  ausgeübt  hatten,  deren  Schrecknisse  er 
ein  Dezennium  früher  in  dem  glänzenden  Epilog  georg.  H  schilderte. 

Die  zweite  Klasse  des  Katalogs  (285 — 289)  besteht  aus  den 
monstra,  mit  denen  die  extravagante  Phantastik  der  verschiedensten 
Völker,  hqchzivilisierter  wie  kulturloser,  den  Weg  ins  Jenseits  bevölkerte. 
"Oqpeic  \md  Gripia  )aupia  öeivöxaxa  sind,  wie  die  Interpreten  bemerken, 
auch  bei  Aristophanes  Frösche  143.  277  im  Hades;  ein  solches  Un- 
geheuer ist  Vergils  helua  Lernae,  deren  chthonischer  Ursprung  durch 
Hesiod  Th.  3 10 ff.  feststeht.     Auch   die  Gorgonen,   raffende   Ungeheuer 

Vbbgil  Buch  VI,  von  Norden.  14 


210  KOMMENTAR 

der  Tiefe  (vergl.  Pindar  P.  12),  sind  bei  Aristoplianes  1.  c.  477  im 
Hades  (vergl.  \  634),  und  zwar,  wie  bei  Vergil,  in  der  Mehrzahl  (vergl. 
V.  Wilamowitz  zu  Eur.  Her.  H^  p.  198).  Briareus  im  Hades  bei 
Hesiod  Th.  61 7 ff.  (und  späteren  von  Vergil  unabhängigen  Dichtern, 
vergl.  0.  Roßbach,  Rh.  M.  XLVHI  1893,  595).  Von  Geryoneus,  der 
289  forma  tricorporis  umbrae  heißt  (forma  wie  277  'Gespenst,'  vergl. 
Soph.  El.  199  beivf]  luopqpri  mit  Kaibels  Erklärung;  daher  290  formido 
*Gespensterfurcht'),  hat  v.  Wilamowitz  1.  c.  I^  45.  65  bemerkt,  daß  er 
(von  Herakles  wie  der  Kerberos  bezwungen)  ein  Dämon  des  Hades  sei, 
in  dem  er  ja  auch  bei  Horaz  HI  14,  8  ist.  Die  Harpyien  sind,  wie  ihr 
Name  und  der  formelhafte  Versschluß  der  Odyssee  (a  241  u.  ö.)  "Apirmai 
dvTipeiHittVTO  zeigt,  Todesdämonen  (vergl.  Dieterich  56,  1;  Dümmler, 
Delphika,  Basel  1894,  18;  Rohde,  Rh.  Mus.  LV  1895  Iff.).  Zum  Ver- 
ständnis der  Stationierung,  die  ihnen  Vergil  am  Hadeseingang  beim 
Weltenbaum  anweist,  scheint  bemerkenswert,  daß  sie  in  den  unter  des 
Akusilaos,  Pherekydes  und  Epimenides  Namen  gehenden  Theogonieen 
Wächterinnen  des  Tartarus  und  Hüterinnen  des  Baumes  der  Hesperiden 
waren  (vergl.  0.  Kern,  De  Orphei  etc.  theogoniis,  Berlin  1888,  88; 
Fr.  Studniczka,  Kyrene,  Berlin  1890,  26).  Den  Harpyien  verwandt  sind 
die  Scyllae,  der  Plural,  wie  es  scheint,  in  griechischer  Literatur  wenigstens 
für  uns  nicht  nachweisbar,  aber  vor  Vergil  schon  bei  Lucrez  IV  732. 
V  893;  auch  sie,  die  Hündinnen  des  Hades,  dpTTdJUoucJi  {]X  100).  Die 
Chimaera  kennt  im  Hades  Lukian  dial.  mort.  30,  1  (6  ö'  lepöCuXoc  iirrö 
Tfic  Xi)Liaipac  öiaaTracr9r|TUJ,  vergl.  nekyom.  14),  sicher  darin  die  älteste 
Vorstellung  bewahrend  (vergl.  üsener  1.  c.  [o.  S.  207]  40).  So  bleiben 
nur  die  an  erster  Stelle  genannten  Kentauren,  die  außer  Vergil  wohl 
nur  Statius,  aber  in  Nachahmung  dieser  Stelle  (Theb.  IV  534,  s.  V  3,  280), 
unter  den  Ungeheuern  der  Tiefe  nennt.  Daß  aber  ihre  Stationierung  im 
Hades  eine  Erfindung  Vergils  sei,  ist  nach  seiner  ganzen  Arbeitsweise 
und  hier  speziell  bei  seiner  Genauigkeit  im  übrigen  Detail  unwahrscheinlich : 
wir  werden  vielmehr  aus  ihm  folgern  dürfen,  daß  auch  die  Kentauren 
wenigstens  in  der  von  Vergil  hier  benutzten  Vorlage  als  chthonische 
Dämonen  galten.  Für  die  Richtigkeit  dieser  Auffassvmg  scheint  manches 
zu  sprechen,  z.  B.  daß  sie  uj)LiocpdYOi  sind  (Theogn.  542,  ApoUod.  bibl. 
n  83),  wie  die  Hadesdämonen  (Dieterich  48  f.),  ferner  daß  einer  von 
ihnen  bei  Ovid  (d.  h.  dem  von  ihm  für  die  Erzählung  vom  Kampf  der 
Kentauren  und  Lapithen  benutzten  hellenistischen  Dichter)  m.  XH  441 
CtJionius  heißt,  und  daß  auf  einer  unteritalischen  Vase  (vergl.  Roßbach, 
Rh.  M.  1.  c.  595)  ein  Hippokamp,  also  ein  den  Kentauren  analoges  Misch- 
wesen, im  Hades  ist.  —  Aus  dem  Angeführten  ergibt  sich,  daß  der 
Versuch  W.  Roschers  (in  seinem  Lex.  d.  Myth.  H  1055),  diese  ganze 
Partie  Vergils  mit  italisch-etruskischen  Vorstellimgen  in  Zusammenhang 
zu  bringen,  abzuweisen  ist;  denn  alles  ist  griechisch  gedacht:  so  ist  289 
fast  unverändert  zu  übersetzen  fopTÖvec  "ApTTUiai  xe  (TKidc  xe  xpiaiu- 
inaxov  elboc. 

In  der  Mitte  des  Vestibulum  steht  eine  Ulme,  in  deren  Zweigen 
die  Träume  nisten:  282 — 84  in  medio  ramos  annosaque  bracchia  pan- 
dit  I  ulmus  opaca  ingens,  quam  sedem  somnia  volgo  \  vana  tenere  ferunt 
foUisque  sub  ommbus  haerent.     Eine  hochaltertümliche  Vorstellung,  für  die 


VERS  274ff.  211 

uns,  ganz  wie  bei  dem  Motiv  vom  goldnen  Zweig,  unsere  antike  Über- 
lieferung im  Gegensatz  zu  derjenigen  anderer  Kulturen  fast  völlig  im 
Stich  läßt,  für  die  aber  Vergil  selbst  sich  auf  eine  Quelle  zu  berufen 
in  der  Lage  ist:  ferunt  284  (s.  z.  14).  Wunderbäume  im  Jenseits  werden  aus 
verschiedenen  Kulturkreisen  von  Schröter  1.  c.  (o.  S.  208)  15,  Zemmrich  1.  c. 
(o.  S.  162,  1)  10.  17.  26,  Brandt,  Z.  f.  prot.  Theol.  XVm  1892,  433ff.  an- 
geführt. Aus  der  antiken  Literatur  kenne  ich  nichts  genau  Vergleichbares, 
sondern  nur  dürftige  Analogieen:  den  Baum  der  Hesperiden  [s.  o.  S.  171] 
und  die  Insel  der  Träume  mit  dem  Wald,  in  dem  nur  Fledermäuse  nisten 
(Lukian,  ver.  bist.  IT  33,  vergl.  Ovid  m.  XI  592ff.).  Eine  Ulme  ist  es, 
weil  sie  zu  den  aKapiTOi  gehört  (Theophr.  h.  pl.  HI  5,  2),  wie  aus  dem- 
selben Grunde  im  Hades  der  Odyssee  k  510  aiyeipoi  xe  xai  keai  luXeffi- 
KapTTOi  wachsen  (Theophr.  1.  c,  vergl.  Pausanias  X  30,  6).  —  In  dieser 
Ulme  nisten  die  falschen  Träume  scharenweise,  lölgo,  was  Servius  richtig 
catervatim  erklärt,  vergl.  Hl  643  und  den  bfi)iioc  'Oveipiuv  UJ  12,  q)OXov 
'Oveipujv  Hesiod  Th.  212,  passim  .  .  .  Sornniu  vana  iacent  Ovid  1.  c.  61 3  f. 
Auch  diese  Vorstellung  ist  sonst  nicht  belegt.  Wieder  nur  eine  Analogie, 
wenn  auch  eine  ziemlich  genaue,  ist  die  von  Gerda  angeführte  Stelle  Z  286, 
wo  Hypnos  auf  eine  Tanne  steigt,  in  deren  Zweigen  er  sich  verbirgt 
'wie  ein  Vogel'.  Offenbar  sind  auch  bei  Vergil  (vergl.  IF.  Granger, 
Folklore  in  Virgil,  Classical  review  XIV  1900,  25 f.)  die  Träume,  die 
'unter  den  Blättern  hangen'  (vergl.  B  312  TTeidXoic  UTr07TeTrTr|UJTec  von 
Sperlingen,  zitiert  von  Henry  287)  als  Seelenwesen  in  Vogelgestalt  ge- 
dacht (vergl.  die  verschlechternde  Nachahmung  Silius  XIII  595 ff.),  wofür 
J.  Grimm,  Deutsche  Mythologie  H*  959.  HI  331  Belege  aus  anderen 
Kulturkreisen  gibt.  Aus  der  antiken  Literatur  ist  mir  sonst  nur  die 
Vorstellimg  bekannt,  daß  sie  als  beflügelt  (nicht  geradezu  als  Vögel) 
gelten,  z.  B.  Eurip.  Hec.  71.  Phoen.  1549  (mehi-  bei  C.  Hense,  Poet. 
Personifikationen  in  griech.  Dichtem,  Halle  1868,  118).  Wir  haben  darin 
ein  Beispiel  für  den  häufigen  Prozeß  der  Veredlung  und  Idealisierung 
einer  rohen  Vorstellung  zu  erkennen,  deren  ursprüngliche  Realität  sich 
nur  mehr  in  den  Rudimenten  zeigt.  So  sind  —  um  von  den  vielen 
Belegen  nur  ein  paar  sachlich  naheliegende  zu  erwähnen  —  die  Seelen 
selbst,  die  in  gi-iechischer  Poesie  und  Kunst  so  oft  in  beflügelter  Gestalt 
erscheinen  (vergl.  Hense  1.  c.  123),  ursprünglich  geradezu  als  Vögel  ge- 
dacht: s.  0.  S.  162.  Auch  die  Nacht  ist  zu  einer  menschenähnlichen  Gestalt 
mit  Flügeln  geworden  (z.  B.  Eurip.  Or.  174  u.  ö.),  wählend  Aristophanes 
Av.  695  das  Alte  bewahrt,  wenn  er  im  Stil  einer  Theogonie  sagt 
TiKiei  TrpuüTiarov  uTrrjveiLiiov  NuH  f]  jueXavÖTtTepoc  iböv.  Das  gleiche 
gilt  von  Helios,  den  Euripides  Ion  122 f.  nur  als  'geflügelt',  aber 
Aeschylos  Suppl.  202  K.  als  Zrjvöc  öpvic  kennt,  womit  er  nach  dem 
Ausweis  des  Mythus  vom  indischen  und  germanischen  Sonnenvogel  Ältestes 
entweder  bewahrte  oder  kraft  seiner  in  mythologischen  Vorstellungen 
noch  wahrhaft  webenden  Phantasie  rückbildete.  Der  altertümliche  Glaube, 
daß  die  Seele  des  Dichters  in  den  Leib  eines  Singvogels  (Schwan,  Nach- 
tigal)  übergehe  (Piaton  Rep.  X  620,  vergl.  Aristoph.  Av.  1373 ff.  Horaz 
od.  IT  20),  wurde  verdrängt  durch  die  jüngere  vom  'beflügelten'  Dichter 
(Belege  bei  0.  Jahn,  Hermes  H  244).  Die  Musen  tragen  oft  eine  Feder- 
krone (vergl.  0.  Bie  in  Roschers  Lex.  d.  Myth.  H  3290),  die  ein  Rudiment 

14* 


212  KOMMENTAR 

der    Vorstellung    ist,    daß    sie    ursprünglich    als   Vögel    gedacht    wurden 
(v.  Wilamowitz,  Eui-ip.  Her.  II ^  98,  2). 

274  posuere  |  cubilia  Curae  mit  trochaeischem  Einschnitt:  s.  z.  130 
und  Anhang  VII  B  2b.  —  278  et  mala  mentis:  über  die  Struktur  des 
Versschlusses  s.  Anhang  IX.  —  280  ferreique.  Diese  in  der  neoterischen 
Poesie  für  griechische  Eigennamen  eingeführte  Synizese  nach  griechischer 
Art  (vergl.  Hephaest.  euch.  c.  2,  oben  zu  33)  haben,  soweit  unser  Material 
darüber  urteilen  läßt,  erst  die  augusteischen  Dichter  auf  lateinische  Worte 
ausgedehnt,  fast  stets  (bei  Vergil  immer)  mit  der  Einschränkung,  daß 
es  sich  um  Worte  handle,  die  ohne  diese  Lizenz  metrisch  unbrauchbar 
waren  (ältestes  Beispiel  Horaz  s.  I  8,  43  cereä).  Aus  der  Sanomlung  der 
Beispiele  bei  F.  Lorey,  De  vocalibus  irrationaliter  enuntiandis  (Göt- 
tingen 1864)  5 4 ff.  ergibt  sich,  daß  nur  Vergil  die  von  den  übrigen 
Dichtern  auf  den  Versschluß  beschränkte  Freiheit  auf  den  Anfang  aus- 
gedehnt hat:  außer  in  vorliegendem  Vers  noch  in  aureä  I  698.  VII  190, 
und  daß  femer  nur  er  die  Freiheit  auf  die  Vokale  ei  erstreckt  hat:  außer 
in  vorliegendem  Vers  noch  in  aureis  1726.  V352.  VIII  553  (vergl. 
XpucTeoiCTi),  aerei  VII  609  und  nach  richtiger  Verbesserung  der  Aldina 
XII  541  (vergl.  xa^KCOi),  haltä  X  496.  Oft  umgeht  Vergil  solche  Syni- 
zesen  durch  die  Figur  des  '^v  bia  buoiv  (Servius  zu  a.  I  61  est  ßgura, 
ut  wna  res  in  duas  dividatur,  metri  causa  interposita  coniwndione),  vergl. 
g.  II  192  pateris  et  auro  (Servius:  pateris  aureis,  'ev  biet  buoTv),  a.  III  467 
hamis  auroque  (Servius:  hamis  aureis,  ev  biet  buoiv),  VII  142  radiis  ei 
auro  (Servius:  radiis  aureis),  11  627  ferro  et  bipennibus  für  b.  ferreis 
(schol.  Dan.:  'ev  bici  buoTv).  —  281  vipereum  crinem  vittis  innexa  cruentis 
mit  malerischer  Zusammendrängung  der  wesentlichen  Züge  in  einen  durch 
gewählte  Alliterationen  (Schema  ab  ab)  ausgezeichneten  Vers.  —  vipereus 
neu  für  das  metrisch  unbrauchbare  viperinus;  vergl.  die  teils  ebenfalls 
durch  Verszwang,  teils  durch  das  Streben  nach  Kürzen  bedingten  Neu- 
bildungen Vergils  frondeus,  fumeus  (imten  593),  pampineus  (unten  804, 
vergl.  Serv.  zu  g.  II  5),  pulvcreus,  rameus,  sidereus,  spumeus  (vergl.  Serv. 
zu  aen.  II  419),  squameus,  Tartareus  (s.  unten  z.  295),  triticeus,  tureus 
(oben  225).  Daß  schon  die  ältere  Poesie  hiermit  voranging,  zeigen 
Lucrezens  fulmineus  und  CatuUs  aequoreus,  die  dann  Vergil  übernahm.  — 
crinem  innexa  mit  Erweiterung  der  Gebrauchssphäre  des  medialen  Par- 
tizips nach  der  Analogie  von  indutus  corpus;  sprachlich  und  sachlich 
sehr  ähnlich  Horaz  ep.  5,  15  Canidia  brevibus  inligata  viperis  crines.  Die 
dieser  Konstruktion  des  Accusativs  ursprünglich  gezogenen  Grenzen  sind 
erst  von  den  augusteischen  Dichtem  weit  überschritten  worden,  von 
Vergil  noch  weiter  als  von  Horaz  und  zwar  in  steigendem  Maße  von 
Werk  zu  Werk  und  innerhalb  der  Aeneis  von  Buch  zu  Buch.  Vergl. 
die  Sammlungen  von  J.  Schaf  1er,  Die  syntaktischen  Gräzismen  bei  den 
august.  Dichtem,  Amberg  1884  und  G.  Landgraf,  Arch.  f.  Lex.  X  1898, 
209 ff.;  s.  auch  z.  156.  243.  470.  495.  Bei  der  Beurteilung  der  Fälle 
ist  zu  erwägen,  daß  der  Accusativ  gegenüber  dem  Dativ  oder  Ablativ 
oft  metrische  Vorteile  bot:  ein  Moment,  das  auch  sonst  griechische  Kon- 
struktionen, wo  nicht  hervorrief,  so  doch  begünstigte,  vergl.  z.  B.  zu  133  ff. 
—  282  ramos  amtosaque  bracchia  wie  g.  II  296  ramos  et  bracchia,  also 
war  dieses  Wort  für  Vergil  schon  zur  Metapher  herabgesunken,  während 


VERS  274—295.  213 

es  für  den  Bauer  nicht  minder  sinnliche  Realität  hatte  als  Caput  coma 
oculus  venter  pes  der  Pflanzen.  Der  Grammatiker  wußte,  daß  er,  um 
derartiges  zu  erkennen,  dem  Bauern  auf  den  Mund  sehen  mußte  (Cic.  de 
or.  II  155  or.  81).  Aber  die  gelehrten  Dichter  bedienten  sich  vielmehr  des 
Mediums  griechischer  Metamorphosenpoesie,  die  hier,  wie  oft,  uralte  sinn- 
liche Identität  in  die  spielerische  Form  mythologischer  Verwandlung  um- 
goß. Daher  findet  sich  hraccMa  metaphorisch  nächst  Vergil  zuerst  bei 
Ovid  in  folgender  Formulierung:  in  frondes  crines,  in  ramos  hracchia 
crescunt  (m.  I  550).  —  284  {quam  sedem  Somnia  volgo)  |  vana  tenere 
ferunt  föliisque  sub  onmibus  haerent.  Der  Vorstellung  des  sommis  gemäß 
hat  der  Vers  weichen  Rhythmus:  nur  Daktylen  und  dreimal  trochäische 
Einschnitte;  so  in  diesem  Buch  nur  noch  522  zu  gleichem  malerischen 
Zweck:  dulcis  et  alta  quies  placidaeque  simillima  morti\  s.  Anhang  VII B  2b. 
—  285 ff.  multaque  praeterea  variarum  monstra  ferarum:  über  die  Stellung 
der  Attribute  und  Substantive  s.  Anhang  III  A3.  —  multaque  praeterea 
Versanfang  =  Lucr.  VI  903.  1182.  —  287  centumgeminus  von  Vergil 
gebildet  nach  dem  Muster  des  alten  tergeminus  (trigeminus),  das  er  selbst 
zweimal  braucht.  Auch  tricorpor  289  ist  neu,  aber  auf  Grund  des  in 
archaischer  Poesie  geläufigen  hicorpor  gebildet,  wie  centiceps  von  Horaz 
II  13,  34  nach  hiceps.  —  288  ff.  horrendum  striden,s.  Malerische  Spon- 
deen,  ebenso  mit  horrendum  III6  58.  IV  181.  VII  78  (s.  z.  99),  mit  horrere 
unten  799  responsis  horrent  divom  XI  754  arrectisque  horret  squamis, 
mit  Horror  II  559  at  me  tum  primum  saevos  circumstebit  horror  rV279f. 
Dagegen  malen  in  290  corripit  hie  subita  trepidus  formidine  ferrum  die 
Daktylen  die  Eile.  Besonders  markant  sind  die  aufeinanderfolgenden 
anapästischen  Worte  subita  trepidus,  vergl.  XI  805  c&ncurrunt  trepidae 
comites  893  tela  manu  trepidae  iaciunt,  unten  845  rapitis  Fabii,  HL  241 
rapido  pariter  cum  flamine  V  255 pedibus  rapuitlovis  armiger,  IX  178  iactdo 
celercm  levibusque  sagittis  473  pavidam  volitans;  gelegentlich  auch  drei 
anapästische  Worte,  z.  B.  b.  8,  28  cum  canibus  timidi  venient  .  .  .  dam- 
mae  g.  I  361  medio  celeres  revolant  ex  aequore  mergi  a.  III  259  sociis 
subita  gelidus  formidine  sanguis  \  deriguit  VII  479  subitam  canibus  rabiem. 
Auch  Ovid,  der  solche  Aufeinanderfolge  im  allgemeinen  so  wenig  sucht 
wie  Vergil  (s.  z.  218),  hat  m.  II  66  pavida  trepidat  formidine  pectus 
119  iiissa  deae  celeres  pteragunt  III  242  at  comites  rapidum  solitis  hor- 
tatibus  agmen  (instigant)  XI  486  sponte  tarnen  proper ant  alii  subducere 
remos  (vergl.  Lüdke,  Rhythm.  Malerei  in  O.'s  Met.,  Programm  Stralsund 
1878,  34).  —  Über  die  Wortstellung  corripit — ojfert  und  admoneat — 
inru^t  s.  Anhang  m  A2.  —  292  docta  comes:  doctus  stehendes  Epitheton 
der  Seher,  z.  B.  Ovid  f.  I  499.  m.  III  322.  —  293 f.  admoneat— inruat 
aus  metrischem  Grund  statt  der  Präterita  wie  I  58  ff.  II  599  f.  XI  912  ff. 
u.  ö.  (s.  z.  113);  nebenbei  erhöht  der  Dichter  dadiu-ch  für  den  Leser  die 
Spannung,  indem  er  einen  Fall  als  möglich  ausmalt,  der  durch  die 
Wirklichkeit  ausgeschlossen  war  (vergl.  Cauer  1.  c.  [z.  31]  132).  Eine 
kühne  Mischung  beider  Tempora  g.  IV  116 ff.,  frei  auch  unten  537 f.  — 
294  diverberet  umbras  Versausgang  nach  Lucr.  11 152  diverberet  undas 
(Germanus). 

ß.  Gegend  am  Acheron  295—416.     Drei  Teile:  1.  295—332, 
2.  333—383,  3.  384—416.     Von  diesen  drei  Teilen  handeln   der  erste 


214  KOMMENTAR 

und  dritte  von  Charon,  seiner  Begegnung  mit  Aeneas,  und  der  Überfahrt 
über  den  Acberon;  dazwischen  gestellt  ist  das  Wiedersehen  des  Aeneas 
mit  seinen  im  Meere  verunglückten  Freimden,  besonders  mit  Palinurus. 
Die  Trennung  von  sachlich  Zusammengehörigem  durch  ein  heterogenes 
Einschiebsel  ist  hier  also  ähnlich  wie  vorhin  bei  der  Misenus-Episode 
(s.  o.  S.  176).  Auch  in  der  vorliegenden  Partie  ist  der  Grund  der 
Trennung  in  der  Verknüpfung  verschiedener  überlieferter  Motive  zu  suchen. 
Das  Motiv  der  Begegnung  mit  den  Freunden  ist  der  homerischen,  das 
der  Begegnung  mit  Charon  und  der  Überfahrt  über  den  Acheron  einer 
anderen  Nekyia  entnommen,  die  sich,  wie  wir  sehen  werden  (S.  231  ff.), 
noch  mit  Wahrscheinlichkeit  bestimmen  läßt.  Durch  die  Verarbeitung 
ergaben  sich  auch  hier  kleine  Inkongruenzen:  1.  Aeneas  und  die  Sibylle 
sehen  den  Charon  schon  326,  er  sie  erst  385.  Das  hat  schon  Brandes 
(Jahrb.  f  Phü.  1890,  141)  bemerkt,  wir  begreifen  aber  erst  jetzt  die 
Genesis  des  Widerspruchs.  Würde  nämlich,  was  das  Naturgemäße  ge- 
wesen wäre,  die  Erkennung  eine  gleichzeitige  und  gegenseitige  gewesen 
sein,  so  wäre  die  Schilderung  der  Begegnung  mit  den  Freunden,  vor 
allem  die  lange  Palinurus-Episode  unmöglich  gewesen:  auf  die  Erkennung 
mit  Charon  hätte  gleich  das  Zwiegespräch  mit  diesem  (385 ff.)  und 
die  damit  zusammenhängende  Überfahrt  (40  7  ff.)  folgen  müssen.  Aber 
das  schöne  homerische  Motiv  wollte  Vergil  um  so  weniger  missen,  als 
es  ihm  Gelegenheit  zu  einem  rührenden  bidXoTOC  bot  (341  ff.);  daher 
teilte  er  die  Begegnung  mit  Charon  in  zwei  Teile,  zwischen  die  er  jenes 
Motiv  einschob.  2.  Aeneas  sieht  den  Charon,  als  dieser  mit  den  Seelen 
an  das  jenseitige  Ufer  fährt  (320);  sobald  Charon  den  Aeneas  gesehen 
hat,  redet  er  ihn  vom  Wasser  aus  an  (385)  und  kehrt,  nachdem  er  den 
Grund  seines  Kommens  erfahren  hat,  um  (410).  Das  hängt  gut  zu- 
sammen, wenn  man  die  Begegnung  des  Aeneas  mit  seinen  Freunden  und 
besonders  das  Gespräch  mit  Palinurus  ausscheidet;  durch  die  Einfügung 
dieser  Szene  ergibt  sich  die  Inkongruenz,  daß  Charon  sich  mittlerweile 
schon  so  weit  entfernt  haben  muß,  daß  die  Anknüpfung  eines  Gesprächs 
mit  Aeneas  durch  die  Situation  nicht  mehr  glaublich  erscheint.  —  Diese 
durch  Kontamination  entstandenen  kleinen  Unebenheiten  hat  Vergil  zu- 
gelassen, da  sie  ihm  für  die  poetische  Illusion  nebensächlich  erscheinen 
durften.  Bei  Dante,  der  Inf  III  70 ff.  nur  den  ersten  und  dritten  Teil 
nachbildet,  ist  die  Komposition  straffer. 

1.  Charon  und  die  Seelen  am  Acheron  295 — 332  in  drei 
Unterabteilungen:  a)  Der  Fluß  295—97  (xpiKuuXov),  b)  Charon  298—304 
(zwei  TeTpotKUjXa,  das  fünfte  und  siebente  kujXov  mit  je  zwei  KÖmaara), 
c)  die  Seelen  305 — 332  in  drei  Absätzen:  a)  Allgemeines  305 — 16 
(drei  Perioden  von  je  4  Versen:  305 — 8  biKUuXov,  das  zweite  mit  vier 
K6)H)LiaTa;  309 — 12  xpiKiuXov,  das  dritte  mit  zwei  K6)Li|biaTa;  313 — 16 
TeipdKUüXov,  die  KUjXa  mit  den  Versen  zusammenfallend,  das  erste  mit 
zwei  KÖ)ii|uaTa),  ß)  Zwiegespräch  zwischen  Aeneas  und  der  Sibylle 
317 — 30  (vier  Perioden:  317 — 20  TpiKuuXov,  das  dritte  mit  vier  k6|li- 
^laxa;  321 — 24  TexpdKLuXov,  die  KuiXa  mit  den  Versen  zusammenfallend, 
das  erste  mit  zwei  K6)ii|iiaTa;  325 — 26  TpiKiuXov,  das  erste  mit  zwei 
KÖ|Li|LiaTa;  327  — 30  terpdKUjXov,  das  letzte  mit  zwei  KomLiaxa),  t)  Aeneas' 
Beflexion  331 — 32  (vier  KÖ)Li|LiaTa). 


VERS  295—298.  215 

296  flF.  Der  Dichter  orientiert  den  Leser  über  das  Lokal  und  die 
Vorgänge  teils  referierend  (295 — 317),  teils  durch  einen  Dialog  der 
Sibylle  und  des  Aeneas  (318 — 30).  Diese  auch  im  weiteren  Verlauf 
von  ihm  befolgte  Praxis  ist  an  sich  geschickt  und  entspricht  dem  Ftin- 
damentalsatz  der  aristotelischen  Poetik  (24.  1460a  7)  aiiTÖv  bei  TÖv 
TTOiriTTiv  (Epiker)  eXdxiCTTa  \efeiv  ou  xap  ecTii  Kaxct  Taura  |Lii|LiriTr|C. 
Nur  hat  diese  Vereinigung  des  xevoc  eHnTHTiKÖv  mit  dem  y^voc  bpa- 
jAaiiKÖv  (vergl.  Sueton  p.  5  Reiff.)  gelegentlich  kleine  Wiederholungen 
und  Inkongruenzen  zur  Folge  gehabt.  Hier  hören  wir  zweimal,  daß  der 
eine  Fluß  Cocytus  heißt  (297.  323).  Da  femer  der  Dichter  den  Charon 
selbst  beschrieben  hat,  läßt  er  Aeneas  nicht  nach  ihm  fragen,  die  Sibylle 
aber  in  ihrer  Antwort  ihn  dem  Aeneas  vorstellen  (326  portitor  iUe 
Charon)^  als  ob  er  nach  ihm  gefragt  hätte.  Analoge  kleine  Inkon- 
gruenzen in  296 f.  ~  319  (wo  Heyne  296 f.  tilgen  wollte),  und  unten 
zu  548 ff.  679 ff.  716 f.  —  Die  Topographie  der  ünterweltsströme,  die 
ja  überhaupt  schwankte  (Bergk,  Kl.  Schriften  H  694 ff.),  weicht  von  der 
homerischen  (k  513f  evGa  )Liev  eic  'Axepovia  TTupiqpXeTeöujv  re  ^eouaiv  | 
KujKUTÖc  9'oc  hr\  Ztutöc  ubaiöc  eaiiv  otTToppiuE)  darin  ab,  daß  nach 
397  (Ächer&n  .  .  .  omnem  Cocyto  eructat  harenam)  der  Acheron  ein 
Nebenfluß  des  Cocytus  ist,  nicht  umgekehrt.  Dagegen  scheint  Vergil  sich 
nach  323  {Gocyti  stagna  alta  vidcs  Stygiamque  paludem  vergl.  3 74 f.  mit 
der  Bemerkung  daselbst)  den  Cocytus,  Avie  der  Dichter  der  Nekyia, 
als  Abfluß  des  stygischen  Sumpfes  zu  denken;  nach  Piaton,  der  im 
übrigen  abweicht,  Phaed.  113  C  bildet  der  Cocytus  den  stygischen  See, 
um  dann  wieder  aus  ihm  herauszufließen.  Vom  Pyriphlegethon  sagt 
er  nur,  daß  er  (wie  der  Acheron:  295)  im  Tartarus  entspringt  (551), 
von  der  Styx,  daß  sie  in  neunfacher  Windung  fließt  (439  noviens  Styx 
interfusd).  An  genauer  Wiedergabe  des  topographischen  Details  seiner 
Quelle  liegt  ihm  bei  dieser  phantastischen  Topographie  noch  weniger 
als  sonst  (s.  o.  S.  133.  207). 

295  Tartareus,  eine  in  griechischer  Poesie  wohl  erst  jüngster  Zeit 
(Nonnos)  begegnende  Bildung,  hat  Vergil  aus  metrischem  Zwang  für  die 
unbrauchbaren  obliquen  Casus  (s.  z.  135)  oft  (so  unten  395.  551),  vor 
ihm  für  uns  wohl  nur  Cicero  in  seinen  Versen  Tusc.  II  22  (Vers  40), 
der  es  aber  vermutlich  (s.  z.  27)  aus  älterer  Poesie  übernahm  (vergl. 
Tartarinus  Ennius  a.  510).  Über  andere  Bildungen  auf  -eiis  s.  z.  281 
und  Hafner  1.  c.  (z.  4)  8  f.  —  296  vasta  voragine  malt  durch  die  drei  ä 
(s.  z.  237 f.)  und  die  Alliteration  mit  v  (über  die  (puCTiC  des  v  s.  z.  833). 
—  erudare:  über  den  Gebrauch  des  'sordidum  vocabulum'  s.  o.  S.  115,  1. 

298 — 304  Die  eKcppaaic  Xdpujvoc  fügt  den  in  griechischer  Poesie 
und  Kunst  üblichen  Zügen  keinen  neuen  hinzu;  soweit  diese  von  0.  Waser, 
Charon,  Berlin  1898  und  W.  Röscher  1.  c.  (z.  255 ff.)  34,  88  gesammelt 
sind,  sollen  sie  hier  nicht  wiederholt  werden.  —  Die  Verse  sind,  dem 
Stil  der  eKcppaCTic  entsprechend,  besonders  kunstvoll  gearbeitet,  vor  allem 
die  drei  abschließenden:  vergl.  das  Parison  302  conto  suhigit  =  velis  mi- 
nistrat  (je  5  Silben),  die  Allitei-ationen  302  f.  suhigit — subveäat — corpora 
cuniba  (Schema  aabb),  sowie  das  glänzende  avTiGeiov  304  cruda  deo 
viridisque  senedus. 

298  portitor  ist  der  'Hafenzöllner'  (eWiiieviairjc).    Als  solchen  ver- 


216  KOMMENTAR 

steht  den  Charon  Vergil,  wenn  er  hier  von  ihm  sagt:  portitor  has  aquas 
et  flumma  servat  und  wenn  er  ihn  weiter  unten  gewissen  Seelen  den 
Zutritt  zum  Strand  wehren  läßt  (alios  longe  summotos  arcet  liarenä, 
vergl.  g.  rV  502  nee  portitor  Orci  |  amplius  öbiectam  passus  transire  paki- 
dem,  Properz  IV  11,  7  ubi  portitor  aera  recepit).  Vergl.  Ti.  Donatus  (der 
hier  von  dem  uns  verlorenen  Kommentar  des  Aelius  Donatus  abhängt: 
s.  diesen  zu  Terenz.  Phorm.  I  2,  100):  portitores  dicmitur  qui  portus  ob- 
servant,  ut  sine  ipsorum  iussu  nullus  trcmseat  in  älienas  regiones  (ähnlich 
Nonius  24  mit  Zitat  unseres  Verses).  Nun  aber  lag  es  in  der  Natur 
der  Verhältnisse,  daß  der  Hafenzöllner  oft  zugleich  Fährmann  sein  mußte, 
und  die  Angleichung  von  portitor  an  portarc  vollzog  sich  fast  mit  Not- 
wendigkeit. In  diesem  Sinne  heißt  es  unten  (326.  28)  von  Charon,  daß 
er  als  portitor  transportat:  das  ist  eine  Übersetzung  von  TTOpG^euc, 
was  andere  Dichter,  die  nicht  mehr  in  dem  Grade,  wie  Vergil,  auf  den 
Purismus  bedacht  sind,  gern  beibehalten  (Petron,  c.  de  bell.  civ.  117 
navita  porthmeus,  carm.  epigr.  1549,  3  Buch.).  Nach  Vergil  scheint  die 
ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes  geschwunden  zu  sein:  Donatus  muß 
sie,  wie  wir  sahen,  schon  erklären  (ebenso  Nonius  24),  und  Servius  weiß 
nichts  Besseres  mehr  als:  portitor  qui  portat  (vergl.  carm.  epigr.  1223 
per  Stygias  portabit  portitor  imdas).  —  300  stant  lumina  flamma  M^P^, 
von  Donat  paraphrasiert  und  von  Servius  zu  I  646  zitiert;  flammae  M^P^R. 
Da  Claudian  de  nupt.  Hon.  266  einen  Vers  schließt  lumina  flammae  (wenn- 
gleich mit  anderer  Konstruktion),  so  ist  die  Variante  ziemlich  alt,  aber 
schlecht:  sie  verdankt  ihren  Ursprung  der  nicht  mehr  geläufigen  Kon- 
struktion von  Stare,  die  Vergil  dem  ennianischen  stant  pulvere  campi 
(ann.  592)  nachbildete  (vergl.  XII  407  pulvere  caelum  stare  vident)  wie 
Lucilius  181 L.  stat  sentibus  pectus.  Daß  Vergil  (bezw.  seine  Quelle)  auf 
Charons  ö|LX|uaTa  xcipOTrd  anspiele  (gemäß  einer  verbreiteten  Etymologie 
des  Namens,  vergl.  Waser  1.  c.  15 f.),  bemerkt  Gerda.  —  301  sordidus 
ex  umeris  nodo  dependet  amictus,  nämlich  die  bei  Arbeitern  und  besonders 
Schiffsleuten  (Plaut,  mil.  11 77 ff.)  übliche  eHuJjUiC  (Gerda).  Sie  wird  sonst 
mit  einer  fibula  auf  der  linken  Schulter  zusammengehalten,  hier  aus- 
drücklich nodo,  vielleicht  wegen  der  apotropäischen  Kraft  des  Eisens, 
s.  o.  S.  163  und  z.  260.  Auch  das  Boot  Charons  hat  nicht,  wie  sonst  bei 
Schiffen  üblich,  eiserne  Nägel:  s.  z.  41 3 f.  —  Eine  Übertragung  aus  dem 
täglichen  Leben  ist  auch  der  struppige  Bart  des  Fährmanns  (299 f.): 
vergl.  Petron  99  barbis  Jwrrentibus  nauta,  sowie  sein  Schimpfen  (3 8 7 ff.): 
vergl.  Horaz  s.  I  5,  11  f.  pueris  convicia  nautae  \  ingerere.  —  302  ipse 
rotem  conto  subigit  velisque  ministrat.  Daß  velis  hier  und  an  der  ähn- 
lichen Stelle  X  218  Ablativ  ist  'er  bedient  das  Schiff  mit  Segeln', 
nicht  Dativ  'er  bedient  die  Segel'  (Servius  kennt  beide  Erklärungen), 
folgt  aus  den  von  Gerda  u.  a.  angeführten  Nachahmungen  Valer.  Fl.  III  38 
ipse  rotem  vento  stellisque  ministrat  und  Tacitus  Germ.  44  naves  velis 
ministrantur.  Diese  Auffassung  wird  auch  durch  die  llesponsion  conto 
subigit  (^  velis  ministrat  empfohlen,  s.  Anhang  II  3.  —  304  iam  senior 
(senior  mit  Verflüchtigung  des  komparativischen  Elements,  vergl.  Vollmer 
zu  Stat.  s.  I  1,  102)  am  Versanfang  auch  VH  46,  dort  in  ennianischer 
Umgebung;  senior  in  einem  dem  Ennius  nachgebildeten  Vers  VHI  32.  — 
sed  cruda  deo  viridisque  senectus.     Die  Berühmtheit  des  Ausdrucks,  der 


VERS  298—305.  217 

auch  in  die  Prosa  drang  (z.  B.  wird  Tac.  Agr.  29  affluebat  omnis  iuven- 
tus  et  quibus  cruda  ac  viridis  senedus  angefahrt),  beruht  nicht  auf  der 
Metapher  (vergl.  virgo  cruda,  iuventus  viridis),  die  so  geläufig  war,  daß 
sie  als  solche  kaum  mehr  empfunden  wurde,  sondern  auf  der  kühnen 
begrifflichen  Antithese,  die,  wie  Heyne  bemerkt,  nach  iu)LiOYe'puüV  (ip  791, 
anders  u)|uöv  T^ipac  o  357)  gebildet  ist.  Die  wirkungsvolle  Pointe  ist 
absichtlich  in  einen  Vers  zusammengedrängt  und  an  den  Schluß  der 
eKtppaCTiC  gestellt,  ein  rhetorischer  Kunstgriff,  den  besonders  Lucan  mit 
Virtuosität  verwendet;  Vergil  selbst  z.  B.  noch  11  354  una  Salus  victis 
nullam  sperare  salutem  V  754  exigui  numero,  sed  hello  vivida  virtus, 
unten  776  haec  tum  nomina  erunt,  nunc  sunt  sine  nomine  terrae  853jpar- 
cere  suhiectis  et  dehellare  superhos  VII  312  flectere  si  nequeo  superos, 
Acheronta  vrwveho.  Vergl.  auch  zu  376.  —  deo.  Charon  als  deus  wohl 
nur  noch  auf  einer  mauretanischen  Inschrift  CIL  Vm  8992  deo  Charoni 
lulius  Anahus  votum  solvit  (Apul.  m.  VI  18  kritisch  unsicher).  Er  ist 
aber,  bevor  er  zum  dienenden  Dämon  herabsank,  der  Totengott  selbst 
gewesen  (vergl.  auch  Cicero  de  n.  d.  III  43)  wie  der  neugriechische  Charos 
(vergl.  C.  Dilthey,  Eh.  Mus.  XXVII  1872,  419,  Waser  1.  c.  85ff.). 

305  ff.  Das  Gebahren  der  Toten  wird  in  drei  Absätzen  geschildert, 
deren  jeder  vier  Verse  umfaßt  (305—8,  309—12,  313  —  16).  Diese 
Gliederung  tritt,  abgesehen  von  den  deutlich  sich  absondernden  Gedanken, 
auch  rein  formal  darin  hervor,  daß  jeder  der  drei  Absätze  durch  einen 
Vers  eingeleitet  wird,  der  durch  seinen  spondeischen  Rhythmus  stark 
sich  abhebt:  305  =  309  =  313. 

305  huc  omnis  turha  ad  ripas  effusa  ruehat.  Die  von  einigen  Er- 
klärern empfohlene  Verbindung  ]iu£- — ad  ripas  (vergl.  unten  385  inde — 
ah  unda  404  ad  genitorem  imas  Erehi  descendit  ad  umbras  I  235  liinc — 
a  sanguine  Teucri  II  18  f.  huAi — caeco  lateri  III  616  f.  hie — in  antro 
VII  209  Mnc—ab  sede  und  Kroll,  Rh.  Mus.  LVI  1901,  304),  wird  hier 
durch  die  Stellung  von  ad  ripas  ausgeschlossen,  die  zwingt,  diese  Orts- 
bestimmung mit  effusa  zu  verbinden;  dagegen  geht  huc  auf  die  303  ge- 
nannte cumha,  auf  die  sich  die  Seelen  losstürzen  (vergl.  31 5  f.).  — 
306 — 308  matres  atque  viri  defunctaque  corpora  vita  \  magna/nimum  hero- 
um,  pueri  innuptaeque  puellae  |  impositique  rogis  iuvenes  ante  ora  parentum 
=  g.  IV  475 — 477  ('Opcpeuuc  KaraßacTic),  in  Nachahmung  der  (von  den 
Alexandrinern  mit  Recht  athetierten)  Verse  \  37ff.,  aber  mit  stärkerer  Hervor- 
hebung des  sentimentalen  Kolorits  {cum  miseratione  Donatus,  s.  o.  S.  121  f.), 
sowie  kunstvollerer  Gruppierung  der  Seelenklassen  (zwei  Gruppen  zu  je  drei, 
jede  Gruppe  in  V-/^  Versen),  beides  für  Vergils  Art  charakteristisch.  Mit 
innuptae  puellae  läßt  er  ein  Motiv  leise  anklingen,  das  in  den  griechi- 
schen Tragödien  (am  schönsten  Soph.  Ant.  810  ff.,  vergl.  v.  Wilamowitz  zu 
Eur.  Her.  481.  1016)  und  griechisch-lateinischen  Elegieen  und  Epigrammen 
immer  ergreifend  wirkt,  wenn  es  auch  durch  die  Häufigkeit  seiner  An 
Wendung  fast  zur  Phrase  herabsinkt  oder  durch  rhetorische  Pointen 
(vergl.  Rothstein  zu  Prop.  IV  11,  46)  seiner  Einfachheit  beraubt  wird. 
Auch  308  impositique  rogis  iuvenes  ante  ora  parentum  wiederholt  in 
Kürze  ein  altes,  in  seiner  herben  Dissonanz  ergreifendes  Motiv,  in  dessen 
Verwendung  die  Inschriften  schwelgen  und  das  in  Goethes  Euphrosjiie 
ausgeführt  ist.  —  Da  magnanimum  307,  wie  die  Erklärer  bemerken,  das 


218  KOMMENTAR 

einzige  Adjektiv  der  o-Deklination  ist,  in  dem  Vergil  hier  (=  g.  IV  476)  und 
g.  III  704  die  alte  Genitivform  braucht,  so  werden  wir  das  auf  Nachahmung 
eines  älteren  Vorbildes  zurückführen  müssen  (vergl.  Äom/crww  Pacuvius  82). 
Auf  ein  solches  weist  ohnehin  das  dem  Griechischen  nachgebildete  Wort 
(fipu)ec  |LieTd6u)aoi) ,  das  Plaut.  Amph.  213  an  einer  Stelle  mit  paro- 
dierendem, Lucrez  V  400  an  einer  mit  tragischem,  Catull  66,  26  an  einer 
mit  pathetischem  Kolorit,  Vergil  selbst  I  260  in  einem  aus  Ennius  ent- 
lehnten Gedanken  hat  (s.  Anhang  I).  Auch  aen.  III  704  magnanimum  .  .  . 
equorum  darf  deshalb  als  ennianische  Verbindung  angesehen  werden,  weil 
dieser  ann.  503  f.  eqmis  .  .  .  vincla  magnis  animis  ahrupit  wevhmdei.  Und 
XII  144  magnanimi  lovis  ingratum  ascendere  cubile  ist  ein  versus  im- 
modulatus,  wie  er  des  Ennius,  nicht  Vergils  Praxis  entspricht  (s.  An- 
hang VnB2c).  Vergl.  auch  Skutsch,  Arch.  f.  Lex.  XII  (1901)  208  ff. 
u.  'Aus  Vergils  Frühzeit'  (Leipzig  1901)  64,  1.  Vergil  hat  analog  nach 
der  «-Deklination  so  nur  caelicölum  lil  21 ,  was  aus  Ennius  (a.  483) 
belegt  ist,  und  Graiugcnum  III  550.  VIII  127,  was  den  archaischen 
Stempel  auf  der  Stirn  trägt  (vergl.  Tromgenum  Catull  68,  355  wohl 
ebenfalls  nach  älterem  Vorbild).  —  Auch  matres  atque  viri  ist  möglicher- 
weise ennianisch  (s.  Anhang  VIII)  und  308  ante  ora  parentum  steht 
V  553  in  einem  ennianisch  beginnenden  Vers.  Dagegen  scheint  defunctus 
üita  eine  Neuerung  Vergils  zu  sein  (vergl.  Horaz  c.  II  9,  13  aevo  functus). 
309 — 312  quam  multa  in  silvis  autumni  frigori  primo  \  lapsa  cadunt 
folia,  aut  ad  terram  gurgite  ah  alto  \  quam  multae  glomeraniur  aves,  ubi 
frigidus  annus  \  Irans  ponfum  fugat  et  terris  immittit  apricis.  Zwei  schöne 
Vergleiche,  die  ihre  Wirkung  auf  spätere  Dichter  nicht  verfehlt  haben: 
Dante  Inf.  V  46,  Purg.  XXIV  64 ff.;  Heine,  Die  Nordsee  II  2  „Es  flattert 
ängstlich  das  Seegevögel,  Wie  Schattenleichen  am  Styx,  Die  Charon  ab- 
wies vom  nächtlichen  Kahn."  Das  tertium  ist  zunächst  nur  die  Quantität 
einerseits  der  Seelen,  andrerseits  der  Blätter  und  der  Wandervögel  [quam 
multa  309,  quam  multae  311),  erstreckt  sich  aber  auch  auf  die  Qualität 
der  verglichenen  Objekte.  Wenn  die  Blätter  in  des  Jahres  Kreise  fallen 
und  wenn  die  Blüte  des  Menschenlebens  abfällt:  das  wird  immer  und 
überall  ineinandergeschaut.  Daß  Vergil  aber  nicht  als  erster  den  home- 
rischen Vergleich  €  146  ff.  oiTi  irep  qpuXXwv  Tcver)  ktX.  auf  die  am 
Unterweltsfluß  sich  sammelnden  Seelen  übertragen  hat,  ist  eine  wichtige 
Tatsache,  die  wir  jetzt  aus  Bakchylides  5,  64 f.  ipuxotc  ebdri  (Herakles) 
irapd  KiüKUTOu  peeGpoic,  oid  t€  qpuXX'  dve)Lioc  "Ibac  dvd  inriXoßö- 
Touc  TTpuüvac  dpfTlCTTdc  bovei  zuzulernen  haben.  Auch  der  zweite  Ver- 
gleich der  Seelen  mit  Wandervögeln  trägt,  wie  längst  bemerkt,  einzelne 
Farben  eines  homerischen:  f  2ff.  wird  der  Schlachtruf  der  Troer  mit 
dem  Geschrei  von  Wandervögeln  verglichen,  die  über  dem  Meere  fliegen; 
nur  wählt  Vergil,  der  veränderten  Situation  gemäß,  den  Moment,  wo 
die  Vögel  sich  erst  am  Gestade  sammeln,  um  die  Reise  anzutreten;  der 
antike  Leser  dachte  dabei  an  Kraniche  oder  Schwäne,  die  vom  Strymon 
zum  Nil  wanderten,  vergl.  VTI  703 ff.  X  264  ff.  und  besonders  die  Nach- 
bildung unserer  Verse  bei  Seneca  Oed.  604 ff.  Aber  auch  bei  diesem 
zweiten  Vergleich  ist  das  Vergleichsobjekt  wiederum  ein  von  dem  home- 
rischen ganz  verschiedenes:  dort  die  in  die  Schlacht  stürmenden  Troer, 
hier  die  ins  Jenseits   wallenden  Seelen  der  Toten.     Und  wiederum  läßt 


VERS  306—311.  219 

sich  zeigen,  daß  Vergil  auch  hier  nicht  als  erster  den  homerischen  Ver- 
gleich auf  ein  neues  Objekt  übertragen  hat.  Denn  in  einem  Chorliede 
des  Sophokles  Oed.  T.  175 ff.  heißt  es:  'eine  Seele  nach  der  anderen 
wandert  ttTtep  eÖTTTcpoc  öpvic  (KpeTacTov  d|uai|aaKeTou  irupöc)  dKidv 
Trpöc  edTrepou  Geoö'.  Sollen  wir  nun  annehmen,  daß  VergU  den 
ersten  Vergleich  aus  Bakchylides,  den  zweiten  aus  Sophokles  entlehnt 
und  beide  durch  einzelne  homerische  Züge  ergänzt  hätte?  Diese  An- 
nahme dürfte  kaum  Glauben  finden.  Nun  wissen  wir  aber,  was  zunächst 
den  ersten  Vergleich  angeht,  daß  Bakchylides  in  dem  Mythus  jenes  Ge- 
dichts eine  'HpaKXeouc  Kaidßaffic  aus  dem  epischen  Stil  in  den  lyrischen 
umgesetzt  hat,  und  die  Benutzung  einer  'HpaKXe'ouc  KaxdßaCTic  wurde 
oben  (z.  131  f.  260)  auch  für  Vergil  bewiesen,  was  sich  unten  (S.  231  ff.) 
bestätigen  wird.  Also  haben  wir  zu  schließen,  daß  beide  Dichter  diesen 
Vergleich  jenem  Gedicht  entnahmen.  Und  der  zweite  Vergleich?  Er  ist 
bei  Sophokles  kaum  original,  denn  sonst  würde  er  ihn  nicht  mit  solcher 
Kürze  bloß  angedeutet  und  vor  allem  auch  nicht  mit  einem  zweiten, 
völlig  andersartigen,  verquickt  haben:  „Wandernder  Vögel  Zügen  ver- 
gleichbar. Stärker  als  wilden  Feuers  Gewalt,  Drängen  sich  Scharen  von 
Sterbenden  rings  auf  dem  dämmernden  Wege  Zum  abendlichen  Hades- 
strand" (v.  Wilamowitz'  XJbersetzung).  Auf  Grund  dieser  Argumente  wird 
mit  großer  Wahrscheinlichkeit  behauptet  werden  dürfen,  daß  Vergil 
beide  Vergleiche  vereinigt  und  mit  homerischen  Zügen  aus- 
gestattet in  der  'HpaKXeouc  KaraßacTic  vorfand,  der  Bakchy- 
lides den  einen,  Sophokles  den  anderen  entnahm;  einen  analogen 
Schluß  auf  eine  gemeinsame  Vorlage  des  Sophokles  und  Vergil  s.  unten 
z.  706  ff.  —  Übrigens  wird  das  Alter  der  von  Vergil  für  den  zweiten 
Vergleich  benutzten  Vorlage  durch  die  Altertümlichkeit  der  Vorstellung 
selbst  bestätigt.  Denn  wenn  er  hier  die  Seelen  mit  Flügelwesen  ver- 
gleicht (daher  auch  329  volita/nt\  so  besagt  das  nach  unseren  Darlegungen 

0.  S.  162  und  212 f.,  daß  die  Seelen  ui'sprünglich  als  Vögel  selbst  gedacht 
sind,  nicht  bloß  als  geflügelte  eibuuXa,  wie  wir  sie  auf  Grablekythen  oft 
dargestellt  finden.  Daß  ist  ein  Völkergedanke,  der  sich  auch  in  mehreren 
der  in  der  Einleit.  S.  9  genannten,  von  Vergil  unabhängigen  christlichen 
Apokalypsen  findet:  Vision  des  h.  Antonius  bei  Palladios  bist.  Laus.  c.  27 
^uupujv  vpuxdc  dviTTTaiüievac  lijc  öpvea,  Bonifatius  ep.  20  (ca.  725  p.  Chr.) 

1.  c.  (Einl.  1.  c.)  p.  56  referebat  se  vidisse  miserorum  honiinum  spiritus  in 
similitudine  avium,  Visio  Baronti  (-{-  ca.  700)  1.  c.  (ibid.)  p.  571  ego 
miser  staUm  sensi  animam  meam  eviüsam  a  corpore  meo,  sed  et  ipsa 
a/nima  quam  parva  sit  referam:  sie  mihi  videhatur^  quod  similitudinem  de 
parvitate  habuit,  ut  pullus  aviculae  de  ovo  egreditur. 

311  f.  Die  Daktylen  in  glomerantur  aves,  ubi  frigidus  annus  \  trans 
pontum  fugat  malen  xd  tujv  opviGuJV  TTTepuYiö")naTa:  s.  Anhang  VII  Bl. 
In  wirkungsvollem  Gegensatz  dazu  stehen  die  ernsten  Spondeen  309  quam 
multa  in  silvis  autumni  frigore  primo  und  vor  allem  313  stabant  orantes 
primi  transmittere  cursum:  s.  Anhang  1.  c,  sowie  im  besonderen  über  das 
schwere,  den  ersten  Fuß  füllende  stabant  Anhang  Vm.  —  313  ora/ntes 
transmittere.  Servius:  figura  graeca  est.  Sie  scheint  zuerst  von  Vergil 
gewagt  zu  sein.  Auch  transmittere  cursum,  wo  cursum  inneres'  Objekt 
ist  (so  oben  112  comitari  iter,  I  67  aequ^r  navigare  III 191  aequor  currere 


220  KOMMENTAR 

IV  468  viam  ire),  ist  neu  und  kühn;  das  Gewöhnliche  noch  g.  IV  154 
cervi  transmittunt  cursu  campos.  —  314  tendebcmtque  manus  ripae  ulte- 
rioris  amore.  Daß  Vergil  das  plastische  Motiv  vom  flehenden  Aus- 
strecken der  Arme  als  überliefert  übernahm,  scheint  der  in  seiner  Hades- 
mythologie von  Vergil  völlig  unabhängige  Apuleius  zu  beweisen,  wenn 
er  nach  der  griechischen  Quelle,  aus  der  er  das  Märchen  von  Amor  und 
Psyche  entlehnte,  sagt  met.  VI  18  tibi  pigrum  fluentum  trcmsmecmti  quidam 
supernatans  senex  mortuus  attollens  manus  oraiit  tit  eum  intra  navigium 
trahas.  Altüberliefert  ist  auch  der  Zug  320,  daß  die  Toten  selbst  rudern 
(remis  vada  livida  verrunty.  vergl.  Aristoph.  Ran.  197.  202  u.  ö.;  Charon 
hat  nur  den  contus  (302;.  —  nunc — nunc  für  uns  zuerst  bei  Lucrez 
nachweisbar,  aus  dem  es  Vergil  in  die  georg.  I  386  und  dann  sehr  oft 
in  die  Aeneis  übernahm  (vergl.  Archiv  f.  Lex.  11  1885,  242.  X  1898,  71); 
vergl.  unten  zu  647  iam — iam.  —  316  as^  alios.  Nach  Leos  Sammlungen 
(Seneca  I  214  f.)  hat  ast  bei  Vergil  seinen  regulären  Platz  nur  vor  Vokalen, 
und  zwar  oft  nur  vor  ille  (6 mal)  und  älius  (5 mal);  vor  ipse  und  ubi 
steht  es  nur  je  einmal  (V  509.  III  410),  vor  ego  zweimal  (1 46.  VII  308), 
vor  Substantiven  zweimal  in  späten  Büchern  (X  173  ast  Ilva  XI  293  ast 
armis).  Vor  Konsonanten  nur  einmal  in  demselben  späten  Buch  X  743  f. 
ast  de  me  divom  pater  atque  hominum  rex  \  viderit,  also  des  feierlichen 
Ethos  wegen  (der  Versschluß  ennianisch,  wie  gleich  darauf  745  olli), 
wie  es  Horaz  s.  I  8,  6  in  ast  importunas  völucres  absichtlich  neben  einem 
sakralen  Wort  braucht.  —  arcet  (sc.  Charon  animas):  derselbe  Ausdruck 
von  derselben  Sache  Heliodor  Aeth.  11  5  ^^vxr]  .  .  biet  tö  dxaqpov  uttö 
V€pT€piu)V  eibuiXuuv  eipTOjaevTi,  also  wohl  von  Vergil  aus  der  Quelle 
beibehalten,  vergl.  auch  coercet  unten  439. 

31 7  ff.  Feierliche  Partie  mit  reichlichen  Archaismen.  317  enim  in 
den  Worten  miratus  enim  (s.  z.  28).  —  320  vada  .  .  .  verrunt  vergl.  CatuU 
64,  7  aequora  verrere,  was  wegen  Lucrez  I  278 f.  venti  .  ,  .  mare  verrunt 
älter  sein  muß.  —  321  olli  in  diesem  Buch  nur  hier  und  zwar  (wie  noch 
17 mal)  am  Anfang  des  Verses,  dessen  ersten  Fuß  es  in  Ennius'  Art 
gravitätisch  füllt  (s.  Anhang  VIII);  außerhalb  des  Versanfangs  nur  in 
späten  Partieen  (V  197.  358.  XII  300);  olUs  hat  er  nur  zweimal  (unten 
730.  VIII  659)  und  zwar  beidemal  im  Versinnem  (vergl.  die  Sammlungen 
K.  Wotkes  in  Wiener  Stud.  VIII  1868,  140f.).  —  321  longaeva  archaisch 
(s.  z.  141).  —  322  Änchisa  generate  archaisch  (vergl.  Cic.  poet.  Tusc.  II  23 
generata  Caelo)  wie  331  Änchisa  satus  und  deum  pröles  (s.  z.  125.  784). 
323  stagna  alta  =  Accius  tr.  335,  daher  auch  die  bei  Vergil  seltne 
Synaloephe  in  betonter  Silbe  (s.  Anhang  XI  2  B5).  —  332  multa  putans 
'mit  sich  ins  Reine  bringend',  'erwägend'  (s.  Anhang  I  l)  und  animi 
miseratus:  animi  M,  animo  PR,  ersteres  empfohlen  durch  X  686  animi 
miserata  in  allen  Hss.  (MPR),  vergl.  II  61  födens  animi  PM  animo  R. 
Das  feierliche  Ethos  wird  durch  Klangfiguren  noch  gesteigert:  Allitera- 
tionen 320  lincunt—vada  livida  verrunt  (Schema  ab  ab)  327  ripas — hor- 
rendas — rauca  (Malerei  mit  r  s.  z.  49,  horrendas  mit  malerischem  Rhyth- 
mus, s.  S.  21 3 f.);  antithetisches,  durch  Homoioteleuton  gehobenes  Isokolon 
(s.  Anhang  11  3):  319  f.  vel  quo  discrimine  ripas  hae  lincunt  "^  illae  remis 
vada  livida  verrunt  (je  11   Silben). 

331    olli  sie  breviter  fata  est  longaeva  saccrdos. .    Die   Sibylle  hat 


VERS  311—329.  221 

es  eilig  wie  398.  538,  während  Aeneas  hier  wie  überall  in  diesem  Buch 
(vergl.  besonders  539)  das  retardierende  Moment  vertritt  (nach  Donatus). 
Eigentlich  sollte  auch  Aeneas  eilig  damit  sein,  zu  seinem  Vater  zu 
kommen  (vergl.  687  venisti  tandem),  aber  der  Dichter  braucht  Zeit  für 
seine  Situationen  und  Reflexionen  (s.  z,  14ff.  514ff.).  —  hreviter  steht 
zu  longaeva  in  frostiger  Antithese,  die  Vergil  nicht  selten  in  einer  unser 
Stilgefühl  verletzenden  Art  hat,  z.  B.  X  834  völnera  siccahat  lympJiis 
849  morte  tua  vivens  (ein  seit  Heraklit  und  Gorgias  beliebtes  axflMCx) 
Xn  9  50  f.  ferrum  adver  so  sub  pectore  condit  |  fervidus,  ast  Uli  solvontur 
frigore  membra  (vorletzter  Vers  des  Gedichts!);  s.  auch  zu  360.  516 
und  ähnliches  aus  Horaz  bei  Bücheier,  Ind.  lect.  Bonn.  1878/79,  11.  — 
324  iurare  numen.  Die  Verbindung  von  iurare  c.  acc.  (wie  351  maria 
aspera  iuro,  XII  816)  bürgerte  sich  seit  der  cäsarischen  Zeit  (Cic.  ep.  fam. 
Vn  12,  2;  Catull  66,  40  aus  Kallimachos  übersetzt)  aus  dem  Griechischen 
ein:  vergl.  Brenous,  Etüde  sur  les  hellenismes  dans  la  syntaxe  latine, 
Paris  1895,  215;  der  kürzlich  von  Grienberger,  Indog.  Forsch.  VI  1900, 
342  f.  gemachte  Versuch,  die  Konstruktion  schon  auf  der  Dvenosinschrift 
nachzuweisen,  ist  nicht  überzeugend.  Iurare  et  fallere  vertritt  das  metrisch 
unbrauchbare  peierare.  —  325 ff.  Die  Antwort  befolgt  die  Reihenfolge 
der  Fragen  (320),  imd  325  wird  über  326  hinweg  in  327 ff.  ausgeführt 
(vergl.  Donatus);  die  Umstellung  von  325  und  326  ( Ribbeck ^)  oder 
325.  328.  326  (Kloucek)  ist  also  falsch.  Über  die  Nennung  Charons, 
nach  dem  Aeneas  nicht  gefragt  hatte,  s.  o.  S.  215.  —  inops  inhumataque 
(turba):  ersteres  wird  durch  letzteres  bestimmt  (s.  z.  24 f.):  so  nennt 
Lucrez  VI  1241  die  Unbegrabenen  opis  cxpertes.  —  32  7  f.  nee  ripas  datur 
horrendas  et  rauca  fluenta  \  transpcrrtare.  Vor  Vergil  ist  fluenta  nur  bei 
Lucrez  V  949  überliefert,  aber  da  Catull,  der  von  Lucrez  nicht  beeinflußt 
ist,  64,  52  fluentisonus  zu  bilden  sich  erlaubt,  muß  das  Wort  älterer 
Poesie  angehören.  Aus  Anlehnung  an  überlieferte  Phraseologie  mag  sich 
auch  die  große  Kühnheit  der  Verbindung  ripas  et  fluenta  transportare 
erklären  (ia  Prosa  =  mortuos  ex  ripa  flumen  transportare).  —  328  sedibus 
ossa  quierunt,  vergl.  371  sedibus  ut  saltem  placidis  in  morte  quiescam, 
b.  10,  33  molliter  ossa  quiescant.  Das  älteste  Vorkommen  der  'Quiescat- 
formel'  ist  nach  J.  Church,  Arch.  f.  Lex.  XI  (1900)  226  Ennius  tr.  312 
ubi  (sc.  in  sepulcro)  corpus  requiescat  mälis,  dann  erst  wieder  Vergil 
(und  TibuU).  Unten  655  steht  tellure  repostos,  was  der  Form  wegen 
ennianisch  zu  sein  scheint  (s.  z.  24).  —  329  centum  errant  annos  voli- 
tantque  haec  litora  circum  (die  Unbegrabenen):  vergl.  über  diesen  Glauben 
Einleit.  S.  lOf.  —  litora  circum  Versschluß  =  Lucr.  IV  320.  Die  In- 
version zweisilbiger  Präpositionen,  besonders  am  Versschluß  und  öfter 
nach  Pronomina  als  Substantiven  (in  unserem  Buch  noch  114  vires  ultra, 
706  hunc  circum  708  Candida  circum  \  lüia  fimdtmtur,  430  hos  iuxta 
815  quem  iuxta  451  f.  quam  .  .  .  iuxta)  ist  für  uns  in  hexametrischer 
Poesie  zuerst  in  Ciceros  Aratübersetzung  (Jias  inter,  hanc  .  .  .  propter, 
Corpora  propter,  pedes  subter  etc.),  dann  besonders  bei  Lucrez  nachweisbar. 
Daß  sie  aber,  was  auch  wegen  der  Übereinstimmung  von  Cicero,  Lucrez 
und  Vergil  wahrscheinlich  ist,  möglicherweise  schon  bei  Ennius  vorkam, 
zeigen  plautinische  Beispiele  (mit  erga,  penes,  propter),  die  von  H.  Dege- 
ring,  Beitr.  z.  bist.  Syntax  d.  lat.   Sprache  (Erlangen  1893)  33ff. ,    wo 


222  KOMMENTAR 

ungenau  über  die  Sache  gehandelt  ist,  teils  vergessen  sind,  teils  durch 
Konjektur  beseitigt  werden.  Ursprünglich  hat  diese  echtitalische  Post- 
position mit  der  analqgen  des  Griechischen  natürlich  nichts  zu  schaffen, 
hat  sich  dann  aber  mit  dieser  vermischt,  so  daß,  wie  so  häufig  in  der 
Syntax,  altlateinischer  Brauch  sich  mit  importiert  griechischem  kreuzt 
und  eben  durch  diesen  konserviert  wird.  Besonders  kühn  ist  die  Stellung, 
die  Vergil  wohl  nur  im  letzten  Buch  der  Aeneis  638  hat:  vidi  oculos 
ante  ipse  meos,  wo  die  Inversion  der  Präposition  verbunden  ist  mit  der 
freien  Stellung  von  ipse,  die  Vergil  nach  griechischer  Art  (vergl.  H.  Boldt, 
De  liberiore  collocat.  verborum,  Göttingen  1884,  34)  auch  sonst  hat, 
z.  B.  IV  223  nee  super  ipse  sua  molitur  laude  Idborem.  Vergl.  auch 
unten  z.  451  f.  —  330  Die  Antwort  der  Sibylle  schließt,  wie  die  Frage 
des  Aeneas  320,  mit  einem  schweren  spondeischen  Vers  (twm  demum  ad- 
missi  stagna  exoptata  revisunt),  der  durch  die  Ausfüllung  des  vierten  und 
halben  fünften  Fußes  mit  einem  Worte  noch  ein  besonderes  Ethos  erhält 
(s.  Anhang  VII  B  2a).  —  331  constitit  ÄncJiisa  satus  et  vestigia  pressit 
mit  Prothysteron  der  Verben,  eine  Bestätigung  für  die  zu  159.  197  auf 
Grund  anderer  Indizien  geäußerte  Vermutung,  daß  vestigia  pressit  eine 
ennianische  Floskel  sei  (s.  z.  115  und  Anhang  II  2)  Archaisch  ist  auch 
Anchisa  satus,  s.  z.  125.  —  Über  die  markante  Stellung  von  constitit — 
pressit  s.  Anhang  IIIA  2.  —  332  Wie  Aeneas  hier  das  Schicksal  der 
Seelen  mitleidig  überdenkt  (multa  putans  sortemque  animi  miseratus  ini- 
quam),  so  heißt  es  von  ihm  bei  Naevius  bell.  Poen.  I  fr.  IV  Vahlen:  ei 
venit  in  mentem  hominum  fortu/nas;  die  Übereinstimmung  ist,  da  Vergil 
das  naevianische  Epos  bezeugter  Maßen  gelesen  und  sachlich  benutzt  hat 
(Macrob.  s.  VI  2,  31.  Serv.  D.  z.  aen.  I  198),  wohl  nicht  zufällig. 

2.  Zusammentreffen  des  Aeneas  mit  einzelnen  Seelen 
333 — 383,  Auf  die  kurze  Nennung  einzelner  von  Aeneas  im  Sturm 
(I  113ff.)  verlorener  Genossen  (333 — 36  TexpdKUüXov)  folgt  die  Be- 
gegnung mit  Palinurus  337 — 83  als  Hauptstück.  Dieses  ist  drei- 
teilig: 1.  Einleitung  337 — 41  adloquitur  (leTpdKUuXov  -f"  biKUuXov).  — 
2.  Thema:  a)  Rede  des  Aeneas  341  quis — 346  (rpiKuuXov),  b)  Rede  des 
Palinurus  347 — 71  a)  Prooemium  347 — 48  (zwei  Kommata)  ß)  Narratio 
349—61  (vier  Perioden:  349 — 51  TpiKiuXov,  351 — 54  TpiKOiXov,  das 
zweite  kujXov  mit  zwei  KÖ|Li)uaTa,  355 — 57  rpiKUjXov,  358 — 61  rexpa- 
kujXov,  das  dritte  koiXov  mit  zwei  K6|a|LiaTa)  y)  Übergang  zum  Epilog 
362  (zwei  KÖ|U|LiaTa)  b)  Epilog  (commiseratio:  370  miscr)  363  —  71  (drei 
Perioden:  363 — 65  biKUüXov,  das  zweite  küjXov  mit  drei  KÖ)LijuaTa, 
365 — 66  rpiKUjXov,  367 — 71  xeTpdKiuXov,  das  erste  küjXov  mit  zwei 
KÖ|Li)LiaTa),  c)  Rede  der  Sibylle  372 — 81  (nach  dem  Einleitungsvers  372 
mit  zwei  K6|a|LiaTa  zwei  Perioden:  373 — 76  TpiKtuXov,  das  zweite  kujXov 
mit  zwei  KÖ)Li)LiaTa,  377 — 81  TexpdKiuXov ,  das  dritte  kuüXov  mit  drei 
KÖ)Li|aaTa).  —  3.  Schluß  382 — 83  (öikujXov,  das  erste  kujXov  mit  zwei 
KÖjuiLiaTa). 

333  cernit  ibi  maestos  et  mortis  honore  carentes  mit  gewählten 
Alliterationen  (Schema  abba);  mortis  honore  carere  für  das  prosaische 
sepulturae  honore  carere  Cic.  de  sen.  75.  —  Wegen  der  sehr  seltnen 
Caesuren  mortis  \  honore  \  carentes  besteht  die  Möglichkeit  der  Benutzung 
ennianischer   Phraseologie:   s.  z.  140.    —    334   Lyciae  ductorem   classis 


VERS  329—337.  223 

Oronten.  Für  dassis  gleich  darauf  (336)  navis,  also  heißt  es  dpxaiujc 
'Aufgebot'  'Mannschaft'  wie  in  602.  VII  716,  vergl.  unten  697.  Auch 
ductor  ist  altertümlich:  Accius  522  AcMvis  dassibus  dudor  (sicher  emen- 
diert  für  audor)^  Lucrez  I  86  Danaum  dudorcs;  vergl.  Servius  zu  11  14 
^diidores'  sonantius  est  quam  ^duces':  quod  Jieroum  exigit  carmm.  — 
Über  das  Schwanken  der  Hss.  zwischen  Orontem  und  Oronten  s.  An- 
hang VI  6.  —  Für  die  Namengebung  Orontes  vergl.  A.  Heeren,  De  choro- 
graphia  a  Valerio  Flacco  adhibita  (Göttingen  1899)  11  f.,  wo  nachgewiesen 
ist,  daß  Vergil  viele  von  Ortsnamen  abgeleitete  nomina  propr.  teils  über- 
nahm (so  Orontes)^  teils  selbst  neu  bildete.  —  335  ab  Troia  P^,  a  Troia 
MP2ß.  Ähnliches  Schwanken  HI  149  {ah  Tr.  FP^  a  Tr.  MP^).  Daß  der 
Praxis  Vergils  ah  entspricht,  hat  Ph.  Wagner,  Quaest.  Virg.  387  wahr- 
scheinlich gemacht,  vergl.  Ribbeck  prol.  crit.  388,  Arch.  f.  Lex.  X  1898,  374. 
—  ventosa  per  aequora  vedos:  Catull  64,  12  ventosum — aequor  (Ursinus) 
und  101,  1  midta  per  aequora  redus.  Vergil  hat  diesen  Versschluß  oder 
ganz  ähnliche  noch  öfters:  g.  I  206  ventosa  per  aequora  vedis,  a.  VI  692 
quanta  per  aequora  vedum,  I  376  diver sa  per  aequora  vectos,  Vn  228  vasta 
per  aequora  vedi;  an  den  beiden  letzteren  Stellen  hat  die  imigebende  Phraseo- 
logie ennianisches  Kolorit.  Daß  Catull  die  Phrase  multa  per  aequora  vectus 
nicht  geprägt  hat,  ergibt  sich  mit  Wahrscheinlichkeit  aus  der  für  seine  Praxis 
höchst  seltenen  trochäischen  Caesur  im  4.  Fuß  (nach  W.  Meyer,  Sitzungsber. 
d.  Münch.  Ak.  1884,  1059  nur  noch  dreimal,  und  nie  im  Epyllion,  s.  auch 
z.  130  imd  Anhang  VII  B  2b).  —  336  ohruit  auster  aqua  mvölvcns  navem- 
que  virosque  ein  in  zweifacher  Hinsicht  von  der  üblichen  Technik  abweichen- 
der Vers:  fehlende  Nebencaesur  bei  der  Hephthemimeres  (s.  Anhang  VII B  2c) 
und  seltne  Synaloephe  des  iambischen  Worts  (s.  ebenda  XI  2  B  5).  Durch 
den  Versschluß  mit  dem  doppelten  que,  eine  von  Ennius  nach  griechischem 
xe — T€  eingeführte,  für  den  Vers  sehr  bequeme  Praxis  (in  unseren  Ennius- 
Fragmenten  9  mal  überliefert),  mochte  Vergil  sich  berechtigt  fühlen,  auch 
im  Versinneren  die  Strenge  der  entwickelten  lateinischen  Technik  zu 
lockern;  hat  er  doch  auch  in  einem  so  gebildeten  Versschluß  VII  32  dr- 
cumque  supraque  gegen  seine  sonst  feste  Praxis  süpra  zugelassen  (Ennius 
mißt  an  der  einzigen  Stelle,  wo  uns  von  ihm  das  Wort  überliefert  ist, 
epigr.  7,  süpra,  also  wie  stets  Plautus)  und  IX  767  Koemonaque  Pry- 
tanimque  nach  €  678  Nor||Liova  re  TTpuiaviv  re  mit  der  im  Anhang  X 
behandelten  griechisch-ennianischen  Lizenz.  Auch  Ovid  fühlte  que — que 
als  Gräzismus,  denn  m.  VIH  22  armaque  equosque  Jidbitusque  Cydoneasque 
pharetras  stellt  er  das  erste  que  in  Synaloephe  mit  einem  mehrsilbigen 
Wort  statt  wie  sonst  immer  (vergl.  Schaper,  Progr.  Insterburg  1862,  13) 
mit  einem  einsilbigen  (cornaque  et,  antraque  et,  membraque  et,  muitaque  ut), 
und  schließt  den  folgenden  Vers  nach  griechischer  Art  Europaei.  —  auster. 
Eigentlich,  war  es  der  aquilo,  durch  den  die  Flotte  von  Sizilien  nach 
Karthago  verschlagen  wurde,  aber  auch  im  I.  Buch,  wo  der  Sturm  be- 
schiieben  wird,  nennt  er  gerade  nur  südliche  Winde  (85 f.  536),  ein 
deutliches  Beispiel  für  das  bloß  konventionelle  Moment  solcher  speziali- 
sierenden Bezeichnungen. 

337 — 383  Die  Palinurus-Episode  wird  wie  die  sachlich  ver- 
wandte Misenus-Episode  auf  die  zeitgenössischen  Leser  auch  wegen  des 
Lokals  Eindruck  gemacht  haben:  das  Vorgebirge  Palinurus  passierte  man 


224  KOMMENTAR 

auf  der  Fahrt  nach  Sizilien  (vergl.  Horaz  od.  III  4,  28)  und  Velia  war 
Badeort  (Horaz  ep.  I  15).  Die  Popularität  der  Legende  zeigt  sieh  auch 
darin,  daß  Palinurus  als  typischer  Name  eines  Steuermanns  begegnet: 
CIL  VI  23730  setzt  Tiphus  (d.  i.  Ti9uc)  seinem  Bruder  Palinurus  ein 
Denkmal  (vergl.  Gardthausen,  Augustus  u.  s.  Zeit  11  521,  16).  —  Diese 
Episode  ist  für  die  Art,  wie  Vergil  arbeitete,  besonders  lehrreich.  Seine 
Absicht  war  anerkanntermaßen,  die  Begegnung  des  Odysseus  mit  Elpenor 
(\  öljff.)  auf  Aeneas  und  Palinurus  zu  übertragen;  das  lag  um  so  näher, 
als  auch  Elpenors  Grab  durch  die  Legende  auf  italischem  Boden  (bei 
Circei)  lokalisiert  worden  war  (Theophr.  h.  pl.  V  8,  3.  Skylax  6).  Wir 
haben  nun  zu  untersuchen  1.  die  Legende  als  solche,  2.  ihre  Überlieferung, 
3.  die  Art  ihrer  Bearbeitung  durch  Vergil. 

1.  Über  den  Ursprung  der  Legende  (die  kürzlich  von  0.  Immisch 
in  Koschers  Lex.  d.  Mythologie  s.  v.  'Palinurus'  behandelt  worden  ist) 
belehrt  uns  das  aiTiov,  in  das  sie,  wie  die  Misenus-Episode ,  ausläuft 
378 — 81:  die  Eingeborenen,  durch  Prodigien  getrieben,  setzten  dem  von 
ihnen  barbarisch  ermordeten  Palinurus  ein  Kenotaphion,  an  dem  sie 
opferten  und  von  dem  der  Ort  seinen  Namen  trägt.  Hierzu  bemerkt 
Servius:  de  historia  hoc  traxit  Lucanis  enimpestüentia  lahorantibus  respondet 
oraculum  manes  Palinuri  esse  placandos,  oh  quam  rem  non  lange  a  Velia 
ei  et  lucum  et  cenotaphium  dederu/nt.  Die  Güte  dieser  Nachricht  kann  ich 
noch  beweisen.  In  dem  berühmten  Bericht  Herodots  (I  167)  über  den 
großen  Zusammenstoß  der  karthagisch  -  etruskischen  Seemacht  mit  der 
phokäischen  bei  Alalia  hören  wir,  daß,  als  nach  der  Schlacht  die  Ein- 
wohner von  Caere  (Agylla)  die  gefangenen  Phokäer  gesteinigt  hatten, 
furchtbare  Prodigien  sie  zwangen,  sich  an  den  delphischen  ApoUon  zu 
wenden,  der  ihnen  befahl,  den  Getöteten  zu  opfern  und  Agone  auszu- 
richten, ein  Brauch,  der  zu  Herodots  Zeit  noch  bestand.  Das,  was  Vergil 
und  Servius  von  Palinurus  berichten,  ist  also  eine  Parallelerzählung,  die 
in  der  neuen  Heimat  der  Phokäer,  dem  nach  der  Schlacht  von  ihnen  im 
Lucaner(Oenotrer) lande  gegründeten  Velia,  lokalisiert  worden  ist.  In 
Etrurien  waren  es  die  wilden  Tyrsener,  die  den  Frevel  an  den  Hellenen 
begingen,  hier  die  barbarischen  Ureinwohner  Oenotriens,  die  das  Strand- 
recht nach  Piratenart  in  grausamster  Form  ausübten,  hier  wie  dort  Pro- 
digien, Orakelbefragung,  Sühnung. 

2.  Daß  Vergil  den  Stoff  so  wenig  wie  die  Misenus-Legende  als 
erster  behandelte,  ist  sicher:  Ol  öe  (Tuv  tlu  Aiveia  irXeovTec  dirö  ZmeXiac 
bid  ToO  TuppTiviKoG  TTeXdtYOuc  irpiuTov  |uev  ujpiuicravTO  rfic  MraXiac  Kaia 
Xiluieva  TÖv  TTaXivoupov,  oc  dqp'evöc  tujv  Alveiou  KußepvriTuJv  xeXeu- 
xrjffavTOC  auiöGi  rauiric  Tuxeiv  Xetexai  xfic  ovojuaffiac  sagt  Dionys. 
Hai.  I.  53,  2  unmittelbar  vor  seinem  Bericht  über  Misenus  (s.  o.  S.  177), 
und  Solinus  2,  13  (p.  35,  If.  Momms.^)  verbindet  beide  Legenden  gleich- 
falls: a  gubernatore  Äeneae  appellatum  Palinurum,  a  tubicine  Misenum. 
Nun  ist  schon  o.  S.  175  bemerkt  worden,  daß  Dionys  und  Solin  auf  Varro 
zurückgehen,  der  auch  Vergils  direkter  Gewährsmann  gewesen  sein  wird. 
Daß  Varro  in  letzter  Instanz  von  Timaios  abhängt,  dürfen  wir  auch  in 
diesem  Falle,  wie  bei  der  Legende  von  Misenus,  als  in  hohem  Grade 
wahrscheinlich  bezeichnen.  Denn  dasselbe  aiTiOV,  das  wir  hier  bei  der 
Palinurus-Legende  haben,  heroische  Verehrung  des  Ermordeten,  kehrt  in 


VERS  337—383.  225 

mehreren  sicher  von  Timaios  berichteten  KTiCTeiC  Unteritaliens  wieder. 
So  erzählt  Lykophron  922 flF.  nach  Timaios,  daß  Philoktet,  als  er  den 
rhodischen  Kolonisten  in  Bruttium  zu  Hilfe  gegen  die  dortigen  Einwohner 
kam,  von  letzteren  ermordet,  dann  aber  göttlicher  Ehren  durch  Opfer- 
spenden teilhaftig  wurde,  vergl.  die  ganz  ähnlichen  Legenden  ib.  732 ff. 
(Neapel)  1047  ff.  (Apulien)  1126 ff.  (Daunien).  Es  kommt  hinzu,  daß 
Trogus  Pompeius,  der,  wie  noch  aus  dem  Exzerpt  Justins  ersichtlich  ist, 
in  seinen  Erzählungen  italischer  KTiffeic  stark  von  Timaios  beeinflußt 
wurde  (vergl.  Geffcken,  1.  c.  [o.  S.  120]  71  ff.),  nach  dem  Prolog  zu  XVm 
die  origines  Veliae  behandelt  hat.  Die  dem  Vergil  überlieferte  Legende 
umfaßt  also  folgende  Hauptzüge.  Ein  Orakel  ApoUons  verhieß  dem 
Palinurus,  das  Meer  werde  ihn  wohlbehalten  an  die  Grenze  Italiens 
bringen  (344  ff.).  Das  Orakel  geht  in  Erfüllung,  aber  in  anderem  Sinne, 
als  man  erwarten  konnte:  Palinurus,  im  Sturm  von  Bord  gerissen,  rettet 
sich  zwar  durch  Schwimmen  an  die  ihm  verheißene  Grenze,  aber  in  dem 
Augenblick,  wo  er  sie  mit  Händen  faßt,  wird  er  von  barbarischen  Strand- 
räubern erschlagen  (347 — 61).  Ein  Pestprodigium  veranlaßt  die  Be- 
wohner des  Landes,  das  delphische  Orakel  zu  beschicken.  Dieses  verheißt 
Lösung,  wenn  dem  Ermordeten  heroische  Ehren  an  dem  Platz  des  Mordes 
erwiesen  sein  würden.  Seitdem  trägt  der  Ort  den  Namen  von  Palinurus 
(378 — 81).     Also  eine  typische  kolonialgeschichtliche  Legende. 

3.  Dies  Material  hat  Vergil  im  Stil  der  aetiologischen  Poesie  be- 
handelt. Das  aiTiov  steht,  wie  üblich  (s.  o.  S.  193),  am  Schluß  (378 ff.) 
und  enthält  die  für  diese  Art  von  Poesie  charakteristischen  Momente 
(vergl.  G.  Knaack,  Analecta  Alexandrino-Eomana,  Greifs wald  1880,  14  ff.), 
nämlich  Gr\iia  (tumulus  380)  Kai  i<JTOpir|  (Entstehung  des  Kults  378 f.); 
es  wird  mit  geschickter  Ausnutzung  der  Situation  der  Sibylle  in  den 
Mund  gelegt,  der  Prophetin,  aus  der  ApoUon  spricht.  Schwieriger  war 
es,  die  Legende  dem  Plan  der  Nekyia,  also  dem  homerischen  Eahmen, 
einzufügen.  Auch  dies  erreicht  Vergil  durch  Anlehnung  an  ein  Motiv 
der  hellenistischen  Poesie.  Aus  der  Kombination  von  Horaz  I  28,  wo  das 
eiöuuXov  eines  Ertrunkenen  vom  vorbeifahrenden  Schiffer  ein  Begräbnis 
fordert,  und  Properz  I  21,  wo  das  eibiuXov  eines  Erschlagenen  einem 
auf  dem  Schlachtfeld  vorbeieilenden  Flüchtling  Aufträge  gibt  (vergl. 
über  dies  Gedicht  Leo,  Gott.  gel.  Anz.  1898,  743),  haben  wir  zu  schließen, 
daß  dies  ein  Motiv  der  alexandrinischen  Dichtung  gewesen  ist;  es  war 
bereits  von  Euripides  Hec.  Iff.  (eibuuXov  des  Polydoros  um  Bestattung 
bittend)  vorgebildet.  Verwandt  sind  Properz  IH  7  und  Ovid  m.  XI  562 ff. 
(Nikander?),  wo  Ertrinkende  von  einem  erhofften  Begräbnis  sprechen. 
Vergil  hat  also,  indem  er  sich  einerseits  für  die  Situation  im  Hades  an 
Homer,  andererseits  für  die  besondere  Einkleidung  seines  Themas  (Bitte 
eines  Toten  um  Beerdigung)  an  hellenistische  Poesie  anlehnte,  das  eibujXov 
des  ermordeten  Palinurus  dem  Aeneas  im  Hades  erscheinen  lassen  und 
an  dessen  Bitte  um  ein  Begräbnis  (365  mihi  terram  inice)  die  Legende 
angeknüpft,  nach  der  ihm  ein  Kenotaphion  mit  heroischen  Ehren  zu- 
teil geworden  war.  Es  ist  mühsame  Arbeit,  aber  die  Ausführung  ist 
geschickt  und,  was  im  Geist  dieser  gelehrten  Poesie  eine  Empfehlung 
war,  ohne  eigne  'Erfindung'.  Wie  eng  er  sieh  an  die  uns  verlorene 
Spezies  von  Poesie  auch  in  Einzelheiten  angeschlossen  haben  mag,  lassen 

Vbbgii,  Buch  vi,  von  Norden.  15 


226  KOMMENTAR 

einige  kleine,  uns  aus  hellenistischen  Epigrammen  bekannte  Züge  ver- 
muten. Denn  wenn  er  351  den  Palinurus  bei  dem  wilden  Meer  schwören 
läßt  (maria  aspera  iuro),  so  ist  solche  Apostrophe  eines  Schiffbrüchigen 
ans  Meer  ein  dort  geläufiges  Motiv:  vergl.  Asklepiades  A.  P.  VII  284 
Tprixeicx  GdXacTffa  und  andere  Stellen  bei  J.  Geffcken,  Leonidas  v.  Tarent 
in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XXIII  1896,  50.  Wenn  er  ferner  371  den 
Palinurus  darum  bitten  läßt,  ihm  wenigstens  im  Tode  ein  ruhiges  Grab 
zu  gewähren  (sedibus  ut  saltem  placidis  in  morte  quiescam),  so  ist  auch 
dieser  Gedanke  in  der  genannten  Art  von  Poesie  sehr  häufig.  So  sagt 
A.  P.  VII  278  (Archias)  ein  Schiffbrüchiger,  der,  wie  Palinurus,  von  den 
Wellen  am  Strand  hin  und  her  geworfen  wird:  oube  GavÜJV  Xeir)  kekKi- 
|aai  fiCJuxii^:  also  der  gleiche  Gedanke,  bloß  in  negativer  Fassung. 

337  f.  ecce:  schol.  Dan.  zu  II  203  cum  ex  improviso  vult  aliquid 
ostendere,  'ecce'  ponit;  ähnlich  andere  alte  Interpreten  (vergl.  V.  Burckas, 
De  Ti.  Donati  comm.,  Jena  1888,  31).  —  sese  agebat  uns  sonst  nur  als 
KiJU)aiKfi  XeHic  geläufig.  Da  Vergil  es  aber  hier  und  Vm  465.  IX  696 
(stets  bei  Eigennamen  und  am  Versschluß)  im  hohen  Stil  gebraucht  und 
die  Stelle  des  VIII.  Buchs  auch  sonst  ennianisches  Kolorit  zeigt,  so 
werden  wir  es  dem  alten  Epos  vindizieren  dürfen,  s.  z.  57.  —  Auch  in 
338  sidera  servat  (vergl.  g.  I  335  sidera  servd)  läßt  die  altertümliche 
Bedeutung  von  servare  (s.  o.  S.  186),  die  Ennius  zweimal  hat  (a.  83 f.),  im 
Verein  mit  der  von  demselben  bei  diesem  Wort  angewandten  Alliteration 
(ann.  102  summam  servare),  auf  älteren  Ursprung  schließen.  —  Libyco 
cur  SU  im  Widerspruch  mit  Buch  V,  wonach  Palinurus  auf  der  Fahrt  von 
Sizilien  nach  Cumae  verunglückt.  Überhaupt  sind  die  Palinurus-Episoden 
beider  Bücher  vom  Dichter  noch  nicht  endgültig  redigiert  und  in  Be- 
ziehung zu  einander  gesetzt  worden,  vergl.  Conrads  1.  c.  (z.  Iff.)  p.  XXIII  f., 
Schüler  1.  c.  (z.  llOff.)  31,  Sabbadini  1.  c.  (ibid.)  77.  —  340  multa 
maestum  cognovit  in  urnbra  malerische  Spondeen  mit  Alliteration.  — 
342  medio  .  . .  aequore  'auf  offner  See'  wie  III  104  medio  ponto  {^longe 
a  continenti'  Servius;  vergl.  schol.  Dan.  zu  III  270);  ebenso  gr.  jueCToc 
TTÖpoc,  iLiecTOTTOpeiv.  Der  Sturm  hatte  das  Schiff  aus  seinem  Kurse,  längs 
der  Küste,  verschlagen.  —  eripuit — mersit:  über  die  Wortstellung  s.  An- 
hang III  A  2.  —  343 f.  fallax  haud  ante  repertus  (Apollo):  Aesch.  Cho. 
546  K.  dvaH  'AttöXXuüv,  indvTic  dvpeubfic  tö  Trpiv  (Germanus).  —  responso 
animum:  für  die  Synaloephe  s.  Anhang  XI  2  B  4.  —  345 f.  fines  .  .  ven- 
turum  Ausonios  mit  einer  Erweiterung  der  Gebrauchssphäre  des  Ziel- 
akkusativs, die  wir  zuerst  bei  Vergil  finden:  vergl.  Landgraf,  Arch.  f.  Lex. 
X  1898,  391  ff.,  unten  zu  542.  638.  696.  —  346  en  haec  promissa  fides 
est.  Über  en  treffend  Donatus  zu  Ter.  Phorm.  348:  en  habet  vim  indigna- 
tionis  post  enarratam  inluriam. — fides  est  wohl  eine  Verbindung  des  täg- 
lichen Lebens  (z.  B.  Plaut.  Amph.  80  si  Ulis  fides  est),  die  hier  eine  nur 
durch  die  Enklisis  gemilderte  Härte  in  die  Bildung  des  Versschlusses 
bringt,  s.  Anhang  IX.  Durch  diese  dura  et  dbrupta  clausula  (vergl.  Quin- 
tilian  IX  4,  61  f.)  hat  er,  wie  Scaliger  in  der  Poetik  bemerkt  (1.  IV  c.  XL VIII 
p.  484  der  Ausgabe  von  1607),  die  indignatio  des  Aeneas  malen  wollen. 
Ähnlich,  aber  weil  ein  Monosy Ilabon  vorhergeht,  nicht  ganz  so  hart, 
unten  466  extremum  fato  quod  te  adloquor  hoc  est  (ebenfalls  Schluß  einer 
affektvollen  Rede  des  Aeneas). 


VERS  337—355.  227 

347  ff.  Die  Rede  des  Palinurus  ist,  auch  abgesehen  von  ihrer  kunst- 
vollen Disposition  und  Periodisierung  (s.  o.),  mit  manchen  Kunstmitteln 
im  einzelnen  ausgestattet.  Gleich  zu  Anfang  steht  ein  Parison  mit 
Homoioteleuton :  347  f.  neque  te  Fhoehi  cortina  fefdlit  <^  nee  me  detis 
aequore  mersit,  350  gleichfalls:  haereham  custos  ^^  cursusqne  regebam, 
353  ein  Isokolon  (navis)  spoliafa  armis  =  excussa  magistro  (je  6  Silben), 
wo  dem  Pararellismus  zuliebe  der  zweite  Ablativ  kühn  an  den  ersten 
assimiliert  ist:  Servius  ^excussa  magistro'  nove  dixlf,  nämlich  für  spoliata 
magistro,  was  er  V  224  hat  (s.  Anhang  11  3).  Bemerkenswert  sind  femer 
die  vielen  Homoioteleuta  in  den  Caesuren:  349  gubernaclum — revolsum  350 
haereham — regebam  352  uUum — tantum  354  tantis — undis  357  summa — 
tmdä  358  adnabam — tenebam  361  invassiset — putasset  365  his — malis. 
Endlich  Anaphern  347f.  363f.  367  und  sehr  viele  Alliterationen:  350. 
51.  52.  55.  56  (vexit — violentus  sc.  notus  wie  362  versant — venti:  über 
die  (pOaic  des  v  s.  z.  833).  57.  58.  60.  61.  64.  65.  66.  69.  70.  71. 

347  cortina  aus  älterer  Poesie,  da  Lucüius  245  L.  eortinipotens  hat 
(s.  Anhang  I);  oraculum  (oi'aclum)  war  für  den  Hexameter  unbequem.  — 
349  namque  gubernaclum  midta  vi  forte  revolsum-.  Ennius  a.  160  atque 
gubernator,  Cicero  Arat.  157  atque  gubernaclum  an  den  Versanfängen. 
revolsum:  durch  den  Schaft  des  Steuerruders  war  ein  Quernagel  getrieben: 
V  852.  X  218,  vergl.  Segebade  1.  c.  (z.  3f.)  14.  —  350  cui  (gubernaculo) 
datus  haereham  custos  cursusque  regebam.  Der  Dativ  sowohl  zu  datu^ 
custos  als  zu  haereham  (V  852  f.  clavomque  adfixus  et  haa-ens  |  nusquum 
amittebat  von  derselben  Sache).  Letztere  Verbindung  war  von  den  Augusteem 
eingeführt:  Hör.  s.  I  10,  49  haerentem  capiti  .  .  .  coronam,  od.  I  32,  9  f.  Uli 
(Veneri)  haerentem  puerum,  vergl.  H.  Kern,  Progr.  Schweinfurt  1881,  6  f. 
G.  Landgraf,  Progr.  München  1899,  20 f.  Aber  bei  Appellativen  gebraucht 
sie  Vergü  nur  einmal,  um  das  metrisch  lästige  latere  (w  w  J)  zu  umgehen 
rV  73  haerct  lateri  letalis  harundo,  wie  er  auch  neben  anderen  Verben 
solche  freien  Dative  bei  Substantiven  nui'  dann  braucht,  wenn  deren 
Ablativ  drei  Kürzen  ergeben  hätte:  H  553  lateri  .  .  .  ahdidit  ensem  (wo 
0.  Keller,  Gramm.  Aufs.  358 ff.  fälschlich  an  einen  Lokativ  denkt,  s.  z.  652) 
X  270  ardet  apex  capiti  VIII  432  metum  .  .  .  miscehant  operi.  —  353  Me 
codd.,  ni  ßufinianus  p.  56  Halm,  letzteres  von  Ribbeck  aufgenommen. 
Ni  (älter  nei\  ursprünglich  bloße  Negation,  bedeutete  in  der  alten  Sprache 
sowohl  'wenn  nicht'  als  'damit  nicht',  indem  sich  die  reine  Negations- 
parataxe teils  nach  der  kondizionalen,  teils  nach  der  prohibitiven  Seite 
entfaltete.  Das  prohibitive  ni  war  aber  schon  vmi  50  v.  Chr.  infolge 
analogetischer  Sprachregelung  nur  noch  eine  Seltenheit  (Ritschi,  op.  II  625, 
0.  Brugmann,  Progr.  Leipzig  1887,  33),  mag  es  sich  auch  sporadisch 
später  noch  finden  (vergl.  carm.  epigr.  1533,  7.  1542,  10):  also  bedürfte 
es  hier  und  an  einer  kritisch  unsicheren  Stelle  HI  686  (XII  801  nur  in  P^) 
besserer  Beglaubigung,  um  für  richtig  gehalten  zu  werden.  Das  kon- 
dizionale  ni  hat  dagegen,  wie  es  scheint,  erst  Vergil  aus  der  gesprochenen 
Rede  in  die  hohe  poetische  Sprache  eingeführt  (so  unten  359)  und  auf 
seine  Autorität  hin  gebraucht  es  Horaz  einmal  im  IV.  Odenbuch  (6,  21; 
s.  dazu  Kießling).  —  (navis)  excussa  magistro:  die  Metapher  vom  Roß 
und  Reiter  (s.  z.  79);  das  Schiff  ist  eine  vaia  dirrivri  (Eur.  Med.  1122). 
—   355   hibernas   immensa  per  aequora  nodes:    über    die   Stellung   der 

15* 


228  KOMMENTAR 

Attribute  und  Substantive  s.  Anhang  III  A  3,  über  den  trochäisclien  Ein- 
schnitt in  immensa  \  per  aequora  oben  zu  335.  —  357  prospexi  Italiam 
summa  suUimis  ah  wida  nach  e  392  f.  ö  b'  apa  (Txeööv  eicJibe  Y^ictv,  | 
öHu  judXa  TTpoibojv,  jLietaXou  iittö  KU|naTOC  dpöeic  (Ursinus).  Auch  sonst 
benutzt  er  hier  diese  Partie  der  Odyssee,  vergl.  355  mit  Od.  388,  358 
mit  399,  360  mit  428;  wie  Odysseus  auf  einem  Balken,  so  schwimmt 
Palinurus  auf  dem  losgerissenen  Steuer  (vergl.  Heyne).  —  358  paulatim 
adnäbam  terrae  iam  tuta  tenebam.  Servius:  ^adnaham'  et  hie  distingui 
potest  et  ^adnabam  terrae";  richtiger  gesagt:  terrae  gehört  otTTÖ  KOivoO 
als  Dativ  zu  adnaham,  als  Genitiv  zu  tuta.  Daß  es  von  tuta  tenebam 
nicht  durch  stärkere  Interpunktion  getrennt  werden  darf,  beweist  die 
Alliteration,  die  sich  auch  VIII  603  Tarcho  et  Tyrrheni  tuta  tenebant 
nach  rückwärts  erstreckt.  Da  die  beiden  schließenden  Worte  an  letzterer 
Stelle  sachlich  wenig  passend  sind  (vergl.  Servius),  so  sind  sie  wahr- 
scheinlich eine  ennianische  Floskel.  —  Die  Spondeen  malen  hier  wie 
I  118  (apparent  rari  ncmtes  in  gurgite  vasto)  und  538  die  Mühseligkeit  des 
Schwimmens.  —  359  (me)  madida  cwm  veste  gravatum  grammatische 
Ausgleichung  von  me  cum  madida  veste  mit  madida  veste  gravatum.  Das 
homerische  Motiv  (e  321)  wird  hinzugefügt,  um  die  für  das  Ethos  des 
Eedenden  notwendige  Vorstellung  von  der  Unmöglichkeit  der  Gegenwehr 
hervorzurufen;  ein  analoger  Kunstgriff  gleich  361  und  unten  520. 

360  prensantemque  uncis  manibu^  capita  aspcra  m^ntis  mit  kunst- 
voller Umgestaltung  des  homerischen  Verses  (1.  c.  428)  djucpoiepriffi  b^ 
Xep(Tiv  e7Te(J(Ji)|iievoc  Xdße  irerpTic,  Für  das  dem  reflektierenden  Dichter 
selbstverständliche  Zahlwort  tritt  das  malerische  wncis  (xeTpac  aKpac 
in  analoger  Sache  Lykophron  759),  füi-  Xdße  das  drastischere  prensare 
ein:  dies  Verb  ist  in  Ciceros  Briefen  und  Horaz'  Sermonen  geläufig;  da 
es  sich  außerhalb  des  sermo  cotidianus  bei  Livius  findet,  und  zwar  10  mal 
in  der  ersten  Dekade,  so  werden  es  Livius  und  Vergil  aus  der  poetischen 
Sprache  der  archaischen  Zeit  haben.  Besonders  bemerkenswert  ist  die 
Spezialisierung  der  homerischen  ir^Tpri  durch  capita  montis.  Eine  gewöhn- 
liche Metapher  ist  radices  montis:,  da  nun  die  Wurzeln  der  Pflanzen  mit 
einem  schon  bei  Cato  de  agr.  33  vorkommenden  Ausdruck  capita  hießen 
(Vergil  selbst  g.  II  355,  womit  die  Interpreten  vergleichen  Aristoteles, 
de  long,  et  brev.  vitae  6.  467  b 2  TÖ  tap  «vuj  toO  qpuTOU  Kai  KecpaXf) 
f]  p'xia.  ecTTiv,  vergl.  noch  de  an.  114.  416  a  4),  so  sagt  er  hier  capita 
montis  im  Sinne  von  saxa  montis,  d.  h.  Klippen  (vergl.  174  und  g.  III  239 f., 
wo  die  saxa  vom  mons  unterschieden  werden).  Den  Ausdruck  wagt  er, 
um  eine  (uns  frostig  erscheinende)  Antithese  durch  die  Zusammenstellung 
von  capita  mit  manibus  zu  erreichen  (s.  z.  321).  In  der  geläufigen,  hier 
ausgeschlossenen,  Bedeutung  'Gipfel'  eines  Bergs  steht  Caput  dagegen 
rV  249.  Caput  ist  in  der  Übertragung  eben  ein  relativer  Begriff:  von 
Flüssen  heißt  es  sowohl  'Quelle'  (z.  B.  VIII  65)  als  'Mündung'  (z.  B.  Caesar 
b.  G.  IV  10).  Ganz  analog  fastigium,  vergl.  Servius  zu  I  438  ^fastigia' 
nunc  operis  summitates ,  alibi  ima  significat,  ut  ^forsitan  et  scrobibus  quae 
sint  fastigia  quaeras'  (g.  II  288;  vergl.  denselben  zu  aen.  II  758).  —  Übrigens 
entspricht  die  Terrainschilderung  der  Wirklichkeit:  nach  W.  Schleuning, 
Velia  in  Lucanien  (Jahrb.  d.  arch.  Inst.  IV  1889,  174)  ist  der  Burghügel 
von  Velia,  den  früher  das  Meer  bespülte,  mit  Steinen  übersät. 


VERS  357—366.  22^ 

361  ferro  invasisset  praedamque  ignara  putasset:  Parataxe  mit 
ücTrepov  TrpÖTepov  der  Begriffe  wie  gleich  365 f.  terram  |  inice  .  .  .  por- 
tusque  require  Vdinos:  s.  Anhang  II  2.  —  Wenn  Vergil  den  Palinurus 
es  nicht  aussprechen  läßt,  daß  die  Strandräuber  ihn  ermordet  und  den 
Leichnam  ins  Meer  geworfen  haben  (vergl.  Leonidas  Tar.  A.  P.  VII  654 
von  Strandräubem:  ibc  Kai  e)ie  TtXuüOVTa  CTuv  ouk  eiiTTiovi  cpöpTLU  | 
KpriTttieTc  uiaav  Ti)liu)Xutov  Ka6'  dXöc  nach  Euripides'  Vorbild  Hec.  25  f. 
KTcivei  |Li€  .  .  .  Ktti  Kxavüjv  ec  olbjx'  ctXoc  ^eeflK€),  sondern  es  den  Leser 
aus  den  Worten  361  f.  (ni  gens  cruddis)  ....  ferro  invasissd  praedamque 
ignara  putasset:  \  nunc  me  flu^us  habet  versantque  in  litore  venti  sich  er- 
gänzen läßt,  so  werden  wir  diese  Sparsamkeit,  die  wieder  dem  Ethos 
des  Redenden  dient  (s.  z.  359),  loben  statt  mit  Ribbeck  nach  361  einen 
Ausfall  von  Versen,  in  denen  das  ausdrücklich  gesagt  worden  wäre,  an- 
zunehmen. Dasselbe  Kunstmittel  des  Verschweigens  in  der  Deiphobus- 
Episode  529 f.  (s.  dort  zu  509 ff.).  —  362  nunc  me  fluctus  habet  versantque 
in  litore  venti:  Eurip.  1.  c.  28  Keijaai  b'eTr'  OKTaTc,  aXXor'  ev  ttövtou 
adXo)  (Ursinus).  Vergl.  auch  Lucan  VIII  6 98  f.  littora  Pompeium  feriunt 
trwncusque  vadosis  \  huc  illuc  iactatur  aquis.  Richtig  verstanden  hat 
unsem  Vers  auch  Dante  Purg.  ITC  130. 

363  ff.  Affektvolle  commiseratio  (nach  X  6 6  ff.)  in  einer  kunstvollen 
Periode  wie  119  ff.  imd  11  141  ff.  —  per  spes  surgentis  luli  (=  X  524). 
Die  Bitte  per  spes  alicuius  ebenso  Phaedrus  app.  26,  3  per  te  oro  superos 
perque  spes  onmes  tuas,  also  nach  dem  Leben.  Surgere  hier  und  IV  274 
Ascamum  surgentcm  et  spes  heredis  luli  mit  neuer  Metapher:  aus  welcher 
Sphäre,  zeigt  Columella  11  8  semen  surgit  VI  23  frutex  surrecturus  in 
altitudinem',  Vergil  wurde  darauf  geführt,  weil  ihm  spes  als  Ausdrucks- 
weise sowohl  des  agricola  (vergl.  Hör.  ep.  I  7,  87  spem  mentita  seges 
Tib.  11,9  nee  spes  destituat,  sed  frugum  semper  acervos  |  praebeat,  er 
selbst  g.  ni  473  spemque  gregemque)  als  des  pater  familias  (z.  B.  Caes. 
b.  G.  Vn  63  summae  spei  adolescentes ,  Tac.  Agr.  9  egregiae  spei  filid) 
geläufig  war.  Ovid  schwächt  die  Metapher  durch  crescenÜs  luli  (m.  XIV  583) 
ab.  —  365  invide:  Ennius  a.  321  Scipio  inmde.  —  terram  inice:  Ennius 
tr.  126  terram  inicere,  —  Über  die  Art  des  Versschlusses  tu  mihi  terram 
s.  Anhang  IX.  —  366  portusque  require  Velinos.  Über  den  Anachronis- 
mus s.  o.  S.  112.  —  Velia  hat,  soweit  die  Terrainveränderung  ein  Urteil 
erlaubt,  nur  einen  Hafen  besessen  (F.  Munter,  Velia  in  Lucanien,  Altona 
1818,  18f.  und  Schleuning  1.  c.  [z.  360]  173).  Der  Plural  dient  hier 
nicht  wie  V  813  tutus  quos  optas  portus  accedet  Averni  metrischer  Be- 
quemlichkeit (s.  Anhang  V),  sondern  vermutlich  der  Euphonie :  portusque — 
Velinos  ist  nach  dem  im  Anhang  FV  erörterten  Brauch  wegen  der  diffe- 
renzierten Endungen  melodischer  als  portumque —  Vdinum.  Aus  analogem 
Grund  Ovid  met.  XTV  232  Aeoliique  ratem  portus  repetisse  tyranni:  zur 
Vermeidung  von  ratem  portum;  her.  2,  92  cwm  premerd  portus  classis 
itura  meos  6,  142  intrasses  portus,  tuque  comesque  meos  und  ebenso  sein 
Nachahmer  her.  17,  198  et  teneant  portus  naufrage  membra  tuos:  ojioiö- 
TTTUJTOV  in  der  Diaerese  des  Pentameters,  im  allgemeinen  beliebt,  ist  gerade 
bei  -um  auffällig  selten.  In  aen.  VH  22  delati  in  portus  neu  litora  dira 
subircnt  mag  der  erste  Plural  wegen  der  Responsion  mit  dem  zweiten 
gewählt  sein  (s.  Anhang  II  3);   doch  ist  bemerkenswert,   daß  Aristoteles 


230  KOMMENTAR 

Ehet.  ni  6.  1407  b  33  gerade  XijLievec  als  rhetorisclien,  von  Dichtern  eic 
öfKOV  Tf]C  XeHeuuc  gebrauchten  Plural  anführt  (vergl.  Maas  1.  c.  [z.  4]  492). 

—  368  (sine)  numine  divom  Versschluß  Catulls  64,  134,  aber  wahr- 
scheinlich ennianisch:  s.  Anhang  I  3;  nee  . . .  sine  numine  divom  entspricht 
OUK  oteKTiTi  0eu)v:  vergl.  C.  Weyman,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XV  1887,  549. 

—  370  da  dextram  misero:  Y  75  (Schatten  des  Patroklos  zu  Achill) 
Kai  |iioi  böc  Triv  X^^P'.  öXoqpupoiuai  (Heyne).  —  372  talia  fatus  erat 
ennianische  Floskel:  s.  Anhang  I  2.  —  374  f.  am/nemque  severum  \  Eume- 
nidum  aspicies  ripamve  iniussus  adihis.  Mit  dem  Strom  der  Eumeniden 
ist  der  Cocytus  gemeint,  wie  außer  den  KiükutoO  Kuvec  bei  Aristophanes, 
Frösche  472  (s.  oben  z.  131  f.)  Vergil  selbst  lehrt  an  einer  Stelle  der  Geor- 
gica,  wo  er  auf  seine  Nekyia  vorausdeutet:  III  3 7 f.  Furias  am^emque 
severum  \  Cocyti.  Auch  Statins  Th,  I  89 f.  läßt  Tisiphone  am  Cocytus 
sitzen  (Gerda)  und  die  Erinyen  werden  mit  diesem  zusammen  genannt 
auch  Anth.  Pal.  VII  377.  Über  den  Widerspruch  dieser  Lokalisierung 
mit  derjenigen  anderer  Stellen  unseres  Buchs  s.  o.  S.  209.  —  Über  das 
lidiepov  TtpÖTepov  der  Begriffe  aspicies — adibis  s.  Anhang  II  2.  Für  adihis 
hat  Servius  die  schlechte  Variante  abibis,  die  auch  Donatus  interpretiert. 

—  iniussus  ist  ein  uns  zuerst  bei  Horaz  (epod.  16,  49,  sat.  13,3)  be- 
gegnender Versuch,  mit  Hilfe  des  älteren  iniussu  ein  dem  Lateinischen 
fehlendes  Adjektiv  in  der  Bedeutimg  von  ^kOüv,  auTÖ)LiaTOC  zu  schaffen. 
Viel  Glück  hat  das  Wort  nicht  gehabt:  Vergil  hat  es  in  seinen  drei 
Werken  wohl  nur  je  einmal  und  auch  die  Späteren  blieben  trotz  Vergils 
Autorität  sehr  zurückhaltend. 

376  desine  fata  deum  flecti  sperare  precando.  Wie  er  sonst  Anti- 
thesen gern  in  einem  Vers  zusammenfaßt  (s.  z.  304),  so  auch  sentenziöse 
Gedanken  wie  unten  620  discite  iusUtiam  moniti  et  non  temner e  divos 
V  710  quidquid  erit,  super  anda  omnis  fortuna  f er  endo  est.  Dieselbe 
Praxis  ist  uns  in  hexametrischer  Poesie  besonders  aus  den  sentenziösen 
|Liovöö"Tixa  der  horazischen  Episteln  geläufig.  —  Mit  desine  begann  ein 
berühmter  Vers  des  Ennius  (Cic.  de  or.  III  167).  —  fata  deum  wie 
IV  614  fata  lovis,  wo  das  schol.  Dan.  richtig  erklärt:  'fata^  dicta,  id 
est  lovis  voluntas;  er  übersetzt  Aiöc  ßouXr].  —  Die  Stoiker  haben  aus 
der  Unabänderlichkeit  der  6i|Liap|aevTi  die  Nutzlosigkeit  eines  gegen  diese 
verstoßenden  Gebets  gefolgert:  vergl.  Seneca  ep.  41,  Oed.  980ff.  und 
besonders  nat.  quaest.  11  34  f.  (z.  B.  ib.  35,  2  fata  inrevocaUliter  ins  suum 
peragu^t  nee  ulla  comm^ventur  prece).  Nach  dem  o.  S.  153  Bemerkten 
darf  es  als  sicher  gelten,  daß  Vergil  die  vorliegende  Yva)|nr|  unter  dem 
Einfluß  dieser  den  Gebildeten  seiner  Zeit  geläufigen  Ansicht  konzipiert 
hat;  das  bestätigt  Seneca,  wenn  er  ep.  77,  12  diesen  Vers  in  folgendem 
Zusammenhang  anführt:  quid  optas?  perdis  operam:  ^desine  fata  deum 
flecti  sperare  precando':  rata  et  fixa  su/nt  et  magna  atque  aeterna  neccs- 
sitate  ducu/ntur.  Der  berühmte  Vers  ist  von  Dante  Purg.  VI  30  übersetzt 
worden. 

37 8 ff.  Die  Eede  schließt  mit  drei  Versen,  deren  Schlüsse  isokolisch 
gebaut  sind:  ossa piabwnt,  soUenmia  mittent,  nomen  haheUt  (s.  Anhang  113). 
Über  die  Wortstellung  piabunt — mittent  s.  ebenda  III A  2.  —  ßnitimi  die 
uepiKTiovec  in  einem  Orakel  bei  Herodot  VII  148.  —  soUcmnia  miftere 
eiriaiac  ^opxac  ireiHTreiv;   mittere  sakral  schon   auf  der  Dvenosinschrift. 


VERS  368—392.  231 

—  383  f.  his  dictis  curae  emotae  pulsusque  parumper  |  cor  de  dolor  tristi, 
gaudet  cognomine  terrae.  Malerische  Spondeen  wie  bei  älinlichen  Gedanken 
in  153  tum  sie  adfari  et  curas  his  demere  dictis  V  708  isque  Ms  Aenean 
solutus  voeibus  infit.  Das  malerische  Moment  wird  durch  die  Alliteration 
pulsusque  parumper  und  corde — tristi — cognomine  terrae  (Schema  ab  ab) 
noch  gesteigert,  so  daß  die  Episode  effektvoll  abschließt.  —  Mit  parumper 
schließt  Ennius  fünf  Hexameter,  in  alliterierender  Verbindung  ann.  74, 
auch  Lucrez  IV  1116  (pausa  parumper).  Vergil  hat  das  Wort  nur  hier 
(wie  partim  wohl  nur  unten  862);  Caesar  meidet  es  gänzlich,  dagegen 
hat  es  der  in  seiner  Sprache  oft  poetisch  archaisierende  Verfasser  des 
bell.  Afr.  52,  2,  und  zwar  gerade  in  derselben  alliterierenden  Verbindung 
wie  hier  Vergil  (pulst  parumper),  die  also  ennianisch  sein  wird.  — 
cognomine  terrae  codd.,  Nonius;  c.  terra  Servius  mit  plautinischem  Zitat 
für  adjektivisches  cognominis.  Da  -e  im  Ablativ  der  Adjektive  zwar  seit 
Ovid  zur  Erleichterung  des  Metrums  an  dieser  Versstelle  öfters  zugelassen, 
für  Vergil  aber  noch  nicht  nachweisbar  ist  (Servius:  quod  communi  genere 
in  *e'  misit  äblativum,  metri  necessitas  fecit,  ohne  Beleg),  so  scheint  es 
sich  zu  empfehlen,  bei  der  La.  unserer  Hss.  zu  bleiben.  Allerdings  hat 
Livius  V  34,  9  cognomine  Insubribus  pago. 

3.  Charon,  Aeneas  und  die  Sibylle  384 — 416,  Nach  kurzer 
Einleitung  (384 — 87:  TexpdKUjXov,  die  einzelnen  KiuXa  mit  den  Versen 
zusammenfallend)  drei  Teile:  a)  Charons  Rede  388 — 97  (vier  biKuuXa: 
388 — 89,  das  zweite  küüXov  mit  drei  KÖ|U)LiaTa,  390 — 91,  das  erste  k. 
mit  zwei  k.,  392 — 94,  das  erste  k.  mit  zwei  k.,  395 — 97,  das  erste  k. 
mit  drei  k.);  b)  Eede  der  Sibylle  mit  einleitendem  (398)  und  schließen- 
dem Vers  (407  tumida — 408  Ms).,  die  Rede  399 — 407  adgnoscas  in  drei 
Perioden:  399 — 400  TpiKUüXov,  400 — 404  TerpdKOuXov,  das  erste  kujXov 
mit  zwei  KÖ)Li)LiaTa,  405 — 407  reTpdKuuXov;  c)  Überfahrt  408  üle — 416 
in  drei  Perioden:  408 — 410  biKOuXov,  das  erste  kujXov  mit  zwei  KÖ)a- 
inara,  411 — 14  TpiKuuXov,  das  dritte  k.  mit  zwei  k,,  415 — 16  |liovö- 
KUuXov  mit  zwei  KÖmtiaia. 

In  dieser  Episode  sind  unverkennbar  Motive  griechischer  xaraßdcTeic 
benutzt.  Folgende  Züge  lassen  sich  mit  größerer  oder  geringerer  Sicher- 
heit feststellen. 

a)  Das  Motiv  vom  Zorn  Charons  (407  ira,  vergl.  387  increpat) 
muß  überliefert  gewesen  sein,  denn  es  findet  sich  auch  in  einem  Frag- 
ment des  Tragikers  Achaios  (beim  Schol.  Aristoph.  Frösche  184  =  fr.  11 
p.  749N.^):  x«ip'  '^  Xdpuuv,  r\  ttou  cTqpöbpa  6u|lioT;  (gesprochen  vom 
Chor  der  Satyrn). 

b)  Charon  sagt  392  f.  nee  vero  Aleiden  me  sum  laetatus  eu/ntem  | 
aecepisse  lacu.  Diese  Worte  bekommen  ihre  Pointe  erst,  wenn  man  sie 
sich  griechisch  denkt:  oube  jitv  'HpaxXfia  xo^P^ic  bexö|Lir|V  Kariövia, 
denn  das  antithetische  Wortspiel  zwischen  dem  finsteren  Xdpuuv  und 
XCtipeiv  war  sehr  beliebt,  so  in  dem  eben  zitierten  Fragment  des  Achaios. 
Nun  bemerkt  Servius:  lectum  est  in  Orpheo  (fr.  158  Abel),  qux)d  quando 
Hercules  ad  inferos  descendit,  Charon  territus  eum  statim  accepit,  ob  quam 
rem  anno  integro  in  compedibus  fuit.  Keinesfalls  ist  hier  der  'Orpheus' 
Lucans  gemeint  (so  wenig  wie  in  dem  Zitat  zu  g.  II  389  lectum  est  in 
Orpheo) j   denn  bei  einem  Zitat  aus  diesem  nennt  Servius  (z.  g.  IV  492) 


232  KOMMENTAR 

den  Namen  des  Dichters  {Lucanus  in  Orpheo\  vergl.  Ettig  in  Leipz. 
Stud.  XIII  376,  1,  Dieterich  134,  1,  Rohde,  Psyche  11  179,  2).  Also  muß 
das  Zitat,  wie  schon  Lobeck,  Aglaoph.  812 f.  erkannte,  auf  die  Kard- 
ßacTic  bezogen  werden,  die  unter  Orpheus'  Namen  ging.  Da  nun 
in  dieser  Orpheus  selbst  der  KttTaßaiviuv  war  (das  ergibt  sich,  wenn  es 
eines  Beweises  bedarf,  aus  Plutarch  de  sera  n.  v.  22,  566  C),  so  muß  die 
Situation  dort  dieselbe  gewesen  sein,  wie  hier  bei  Vergil:  Charon  er- 
zählte dem  Orpheus  (wie  hier  dem  Aeneas)  seine  Strafe  für  die  Über- 
fahrt des  Herakles.     So  schon  Ettig  1.  c.  287. 

c)  Die  Sibylle  sagt  vom  Cerberus  400  f.  licet  ingens  ianitor  antro  \ 
aeternum  latrans  exsangues  terreat  umhras.  Das  Motiv,  daß  die  Toten 
sich  vor  dem  Beißen  des  Cerberus  fürchten,  hat  Plutarch  non  posse 
s.  V.  s.  Epic.  27,  1105A  (anders  Apuleius  m.  I  15a.  E.),  und  zwar  neben 
einem  andern,  das  aus  orphischen  Mysterien  bezeugt  ist  (Plat.  Gorg. 
493  BC):  tuj  Kepß^piu  bmbdKvecrBai  Kai  (popeTv  eic  töv  xpriröv.  Der 
Glaube  ist  nach  dem,  was  Dieterich  49  über  die  mythologische  Vor- 
stellung vom  Cerberus  ermittelt  hat,  jedenfalls  altertümlich. 

d)  412  ff.  accipit  alveo  \  ingentem  Aenean.  gemuit  sub  pondere  cumha  | 
suülis  et  multam  accepit  rimosa  päludem.  Hier  übernahm  Vergil  nach- 
weislich das  Motiv,  daß  der  Nachen  Charons  rissig  ist  und  durch  das 
Leck  Wasser  zieht,  als  überliefert:  vergl.  die  von  Wagner  angeführten 
Worte  Lukians  dial.  mort.  10,  1  tö  aKaqpibiov  VTröaaöpöv  effTi  Kai 
biappei  xd  TToXXd,  dazu  4,  1  toO  (JKaqpibiou  xd  dvetuYÖxa.  Aber  auch 
das  spezielle  Motiv,  daß  der  Nachen  durch  das  Einsteigen  eines  gewaltig 
schweren  lebenden  Körpers  sich  mit  Wasser  gefüllt  habe,  läßt  durch 
seine  Besonderheit  von  vornherein  vermuten,  daß  Vei'gil  es  nicht  erfand. 
Und  da  nun  die  Benutzung  der  'HpaKXeouc  Kaxdßaaic  für  Vergil 
feststeht  (vergl.  zu  260 f.  309 ff.),  so  darf  weiter  vermutet  werden,  daß 
dieses  Motiv  dort  vorkam  und  von  Herakles  auf  Aeneas  durch  Vergil 
übertragen  wurde.  Für  diese  Vermutung  sprechen  folgende  zwei  Argu- 
mente. 1)  Seneca  Herc.  7 75 ff.  hat  das  Motiv  tatsächlich  von  Hercules: 
scanditque  puppern,  cumba  populorum  capax  |  succubuit  wni:  sidü  et 
gravior  ratis  \  utrimque  Lethen  latere  tituhanti  hibit.  Die  Annahme,  daß 
vielmehr  Seneca  auf  Grund  der  Vergilstelle  das  Motiv  von  Aeneas  auf 
Hercules  übertragen  hätte,  würde  deshalb  unwahrscheinlich  sein,  weil  es 
für  Hercules  besonders  passend  ist,  der  durch  sein  Gewicht  selbst  die 
Argo  fast  zum  Sinken  brachte:  Statius  Theb.  V  401  f.  Diese  Stelle  und 
die  Senecas  führt  Leo,  Seneca  I  praef.  p.  VII  und  50,  1  zum  Vergleich 
mit  dem  Vergilvers  an.  2)  Lukian  dial.  mort.  10,  5  läßt  Hermes  zu 
einem  Athleten,  der  im  Begriff  ist  Charons  Nachen  zu  besteigen,  sagen: 
„entledige  dich  erst  deines  vielen  Fleisches,  denn  sonst  wird  der  Kahn 
kentern,  wenn  du  auch  nur  mit  einem  Fuß  über  seinen  Rand  trittst." 
Der  Humorist  setzte  travestierend  den  Athleten  an  die  Stelle  des  mytho- 
logischen Athletenideals. 

e)  395 f.  Charon  von  Herakles:  Tartareum  ille  manu  custodem  in 
vimla  petivit  \  ipsius  a  solio  regis  traxitque  trementem.  An  diese  Verse 
knüpft  sich  ein  lr\TY\\xa.  Servius:  ^ipsius  a  solio  regis'.  atqui  Cerberus 
statim  (417)  post  flumina  est.  nam  illic  quasi  est  aditus  inferorum, 
solium  autem  Plutonis  inferius  est.    ergo  aut  ad  naturam  canum  referen- 


VERS  384—387.  233 

dimi  est  qui  territi  ad  dominos  confugimit  aut  sölium  pro  impcrio  accipien- 
dum  est.  Die  Neueren  haben  entweder  die  erste  Xu(TiC  des  Servius  an- 
genommen, die  aber  doch  (samt  der  zweiten)  bloß  eine  Ausflucht  der 
Verzweiflung  ist,  oder  aber  den  Widerspruch,  daß  der  Cerberus  nach 
vorliegender  Stelle  am  Throne  des  Pluton  tief  im  Hadesinnem  (vergl. 
541.  630),  dagegen  nach  41 7 ff.  gleich  am  Tore  des  eigentlichen  Hades 
stationiert  sei,  als  solchen  anerkannt.  Letzteres  scheint  nach  dem  o.  S.  209 
über  die  verschiedene  Stationierung  der  Fui'ien  Gesagten  richtig  zu  sein. 
Eine  weitere  Frage  ist,  ob  die  Worte  ipsius  a  solio  regis  mit  den  vorher- 
gehenden in  vincla  petivit  oder  mit  den  nachfolgenden  traxitque  trementem 
zu  verbinden  sind.  Wenn  nun  auch  die  letztere  Verbindung  (mit  Hyper- 
baton von  que)  sprachlich  möglich  wäre  (vergl.  unten  818),  so  wird 
doch  die  erstere  (mit  normaler  Stellung  von  que)  vorzuziehen  sein,  falls 
die  sich  dadurch  ergebende  Vorstellung  sachlich  belegbar  ist.  Nun  hat 
schon  Heyne  auf  Apollodor  bibl.  II  5,  12  (125  Wagn.)  hingewiesen,  wo 
aus  der  'HpaKXeouc  xaiaßacJic  berichtet  wird:  aiToOvTOC  öe  auxoO 
TTXouTouva  tov  Kepßepov,  iuiraHv  ö  TTXoijtujv  äfeiv  \^up\c  \hv 
€TX€V  ottXuüV  KpaToOvTtt.  Diese  Worte  erweisen  zunächst  die  Ver- 
bindung petivit  a  solio  regis  als  die  richtige  (für  das  solium  regis,  das  hier, 
um  die  Verwegenheit  des  Herakles  zu  betonen,  ^virkungsvoll  den  Namen 
Plutons  vertritt,  vergl.  hjonn.  orph.  18,  8  von  Pluton:  öc  Gpövov  effTrj- 
piHac  iiTTÖ  JÜoqpoeibe'a  x^J^POv).  Sie  enthalten  ferner  einen  deutlichen 
Fingerzeig  auf  die  Quelle  Vergils:  denn  sie  folgen  unmittelbar  auf  die 
von  dem  Mythographen  aus  derselben  KaiaßaCTic  exzerpierten  Worte  von 
dem  vergeblichen  Versuch  des  Herakles,  mit  den  Gespenstern  zu  kämpfen, 
d.  h.  auf  eine  Partie,  die  Vergil  an  einer  früheren  Stelle  (2 9 Off.)  repro- 
duzierte (s.  0.  S.  201  f.).  Hiemach  darf  der  Schluß,  daß  er  auch  in  vor- 
liegenden Versen  eine  Version  dieser  Kaxdßaffic  benutzte,  als  sicher 
gelten. 

Vergil  hat  mithin  für  diese  Episode,  bei  der  ihn  die  homerische 
Nekyia  völlig  im  Stich  ließ,  zwei  KttiaßdcTeic,  die  des  Herakles 
und  des  Orpheus,  herangezogen,  indem  er  Motive  aus  ihnen 
kontaminierte  und  auf  sein  Sujet  übertrug:  ein  seiner  eignen 
Praxis  und  derjenigen  andrer  lateinischer  Dichter  entsprechendes  Ver- 
fahren. Daß  er  durch  geschickte  Verwertung  überlieferter  Motive  ein 
wirkungsvolles,  dramatisch  belebtes  Ganzes  geschaffen  hat,  dafüi-  bürgt 
die  Tatsache,  daß  Dante  eben  dieser  Episode  eine  ganze  Reihe  von 
Motiven  seinerseits  entlehnt  hat,  vergl.  Inf,  V  Iff.  VIII  2 5 ff.  XII  63. 
Purg.  IX  8  5  ff. 

3  84  f.  ergo  Her  inceptum  peragwnt  fluvioque  propinquant.  Ergo  knüpft 
an  constitit  331  an,  wie  XI  799  an  784  und  (von  Conington  verglichen) 
g.  IV  206  an  202,  wo  aus  Mißverständnis  dieses  Gebrauchs  vielfach  um- 
gestellt wird.  —  Über  die  Synaloephe  in  ergo  iter  s.  Anhang  XI  2  B4. 
—  iter  inceptwm  peragwnt  '^  VIII  90  iter  inceptum  celerant,  worauf  dort 
zwei  Enniuszitate  folgen;  celerare  dpxctiuuc.  —  fluvioque  propinquant  <^ 
VHI  101  urbique  propinquant  in  ebenfalls  ennianischer  Umgebung.  — 
385  conspexit  M  für  prospexit,  wie  umgekehrt  III  652  prospexi  M,  con- 
spexi  PR.  —  387  sie  prior  aggreditur  dictis  atque  increpat  ultro.  Die 
Phrase  increpat  ultro   ist  eine  stilistische  Variation   von  prior  aggreditur 


234  KOMMENTAR 

dictis  mit  geringer  Nüancierung  der  Begriffe:  ultro  d.  h.  über  das  hinaus, 
was  man  den  umständen  nach  erwartet  (Serv.  zu  II  145),  bei  den  verbis 
dicendi  daher  oft  von  dem,  der  zuerst  das  Wort  ergreift,  so  499  com- 
pdlat  vocibus  ultro.  Wie  oft  bei  solchen  stilistischen  Variationen  (s.  z.  25) 
scheint  auch  hier  eine  der  beiden  Phrasen  älteres  Gut:  aggreditur  dictis 
ist  wohl  ennianisch,  da  es  III  358  Ms  vatem  aggredior  dictis  ac  talia 
quaeso  den  zu  15  erörterten  ennianischen  Zusammenhang  einleitet  und 
mit  dem  so  bei  Vergil  nur  hier  vorkommenden  archaischen  quaeso  ver- 
bunden ist. 

389  ff.  In  der  folgenden  Wechselrede  ist  die  Diktion  der  Handlung 
gemäß  etwas  niedriger  gestimmt  als  sonst:  389  fare  quid  venias  vergl. 
Plaut.  Amph.  377  loquere,  quid  venis\  solche  Accusative  neutraler  Pro- 
nomina sind  gerade  aus  der  KiJU)LiiKfi  XeEic  massenhaft  belegt.  Istinc  nur 
hier:  vergl.  über  istc  o.  S.  120f.  391  vectare,  nur  noch  XI  138  plaustris 
vectare  ornos.  Auch  die  Antwort  der  Sibylle  ist  danach  leise  stilisiert: 
399  äbsiste  moveri  eine  wohl  dem  Leben  angehörige  Umschreibung  des 
negierten  Imperativs  (Phaedrus  III  2,  17  timere  äbsistite),  401  die  eipuj- 
veia,  402  der  patruus.  —  Kraftvolle,  der  lebhaften  Handlung  angemessene 
Alliterationen  391  corpora  viva  .  .  vectare  carina  (Schema  abba),  wie 
402  licet  patrui — Proserpina  Urnen;  394  invicti  viribus;  die  erste  Rede 
schließt  396  f.  mit  traxitque  trementem  (malerisch  wie  H  550f.  altaria 
ad  ipsa  trementem  \  traxit)  und  dominam  Ditis — dedueere  adorti. 

389  fare  age,  quid  venias,  tarn  istinc  et  comprime  gressum:  Inter- 
punktion (iam  istinc  zu  fare  age)  nach  Lachmann  zu  Lucrez  p.  189.  — 
fare  age  wohl  ennianisch,  da  es  IH  362  (an  gleicher  Versstelle)  in  dem 
zu  15  besprochenen  ennianischen  Zusammenhang  steht.  —  iam  stinc  M 
(Lachmann  1.  c.  197;  vergl.  Vahlen,  Zeitschr.  f.  östr.  Gymn.  1860,  20) 
und  nach  solcher  Vorlage  auch,  wie  C.  Regel,  Quaest.  Vergil  crit.  (Celle 
1866)  18  bemerkte,  der  Verf.  des  ältesten  uns  erhaltenen  Vergilcentos 
(zu  37),  wo  im  Cod.  Salmasianus  iam  stinget  comprime  gressum  geschrieben 
ist  (Bährens,  PLM  IV  227,  193).  —  390  soporus  Neubildung  (Ladewig  5) 
nach  canorus,  deeorus,  wie  odorus  IV  132  sonor us  I  53  (zuerst  über- 
nommen von  Lygdamus  4,  69)  und  honorus  bei  Späteren;  soporifer  IV  486 
ebenfalls  neu.  Auch  die  Verbindung  nox  sopora  ^ schlaftrunkne  Nacht' 
gehört  dem  Vergil  (s.  z.  53).  —  PiritJioumque:  Versschluß  nach  griechischer 
Art:  s.  Anhang  IX.  —  394  dis  quamquam  geniti  atque  invicti  viribus 
essent.  Der  Konjunktiv  bezeichnet  die  Tatsache  nicht  als  solche,  sondern 
vom  subjektiven  Standpunkt  des  Redenden  aus:  quamquam  eos  dis  genitos 
esse  noveram,  vergl.  Servius.  Der  Gebrauch  des  Konj.  nach  quamquam 
ist  zuerst  von  Ovid  in  seinen  späteren  Dichtungen  über  die  Grenze  des 
subjektiven  Moments  hinaus  erweitert  worden,  vergl.  Ehwald  zu  Ovid 
met.  XIV  465.  —  essent  am  Versschluß  für  Vergils  Praxis  ungewöhnlich 
(s.  z.  690  und  Anhang  HI  B  2),  Nun  hat  invicti  viribus  ennianisches 
Kolorit,  denn  invictus  ist  ein  Lieblings  wort  des  Ennius  und  mit  vires 
alliteriert  er  besonders  oft.  Mithin  könnte  der  ganze  Versschluß  invicti 
viribus  essent  ennianisch  sein,  um  so  mehr  als  der  Konjunktiv  selbst 
innerhalb  der  genannten  Gebrauchssphäre  für  Vergil  singulär  ist.  —  Mit 
dem  Versschluß  traxitque  trementem  396  vergl.  den  des  Lucrez  V  403 
iu^ixitque  trementes:  ennianisches  Muster  ist  wegen  der  starken  Alliteration 


VERS  388—407.  235 

bei  Vergil  wahrscheinlich.  —  397  adorti  ist  als  ennianischer  Versschluß 
belegt  (ann.  169).  —  dominam  AecTtoivav  (Heyne).  —  Difis  tJidlami 
entsprechend    den   auf  Grabepigrammen   typischen   0ep(Te(pövr|C  GdXa^oi. 

399  f.  nullae  hie  insidiae  tales — nee  vim  tela  ferunt.  Mit  ihren  ersten 
Worten  widerlegt  die  Sibylle  den  zuletzt  gehörten  Vorwurf  Charons  (vergl. 
397  adorti),  mit  den  zweiten  Worten  den  zuerst  gehörten  (vergl.  388 
armatus).  Die  Ordnung  der  Glieder  ist  also  chiastisch.  Über  diese  mehr 
psychologische  Art  der  Komposition  (es  ist  naturgemäß,  in  der  Antwort 
zunächst  auf  das  zuletzt  Gehörte  einzugehen)  hat  J.  Classen,  Beobachtungen 
über  den  homer.  Sprachgebrauch  (Frankfurt  1867)  204  f.  für  Homer  ge- 
handelt; sie  ist  aber  für  die  alten  Sprachen  überhaupt  charakteristisch. 
Ein  typisches  Beispiel  ist  die  nach  diesem  Prinzip  aufgebaute  Ode  des 
Horaz  I  12.  Anders  unten  500  f.  —  398  Amphrysia  vates.  Servius: 
longe  petitum  epitJieton.  Da  er  g.  HI  2  den  Apollo  pastorem  ab  Amphryso 
in  ganz  alexandrinischem  Zusammenhang  nennt,  so  ist  damit  die  Sphäre, 
aus  der  es  stammt,  gegeben.  Im  allgemeinen  hat  Vergil  sich  in  der 
Aeneis  von  der  Manier  seiner  früheren  Gedichte  (vergl.  Leo,  Hermes 
XXXVII  1902,  36)  mehr  losgesagt;  er  hat  in  ihr  nur  noch  I  720  mater 
Äcidalia  (VenMs)  IL  197  Larissaem  Achilles  IE  19  I>ionaea  mater  85  Thym- 
hraeus  401  dux  Melihoetis  . . .  Philoeteta  IV  252  Cyllenius  VIH  18  Laome- 
dontius  heros  (Aeneas)  XH  456  Bhoeteius  heros  (Aeneas).  —  401  aeter- 
num  latrans  exsanguis  terreat  unibras  mit  malerischen  Spondeen.  Aeternum 
adverbial  wie  617  aeternum  sedebit.  Es  ist  ein  in  augusteischer  Zeit 
geprägter  Gräzismus  (vergl.  ejLijaevec  dei,  auvexec):  finihestes  Beispiel 
Vergil  g.  II  400,  dann  TibuU  H  5,  64.  Hör.  ep.  I  10,  41;  vergl.  Schäfler 
1.  c.  (z.  281)  30.  Isoliert  steht  sempiternum  bei  Plaut,  aul.  II  1,  26.  In 
jungen  Büchern  dehnt  Vergil  die  Freiheit  auf  extremum  (IX  484)  und 
supremum  (HI  68)  aus,  wie  er,  gleichfalls  nach  griechischer  Art,  erst 
XI  865  extrema  gementeni  wagt.  —  402  easta  lieet  patrui  servet  Proser- 
pina Urnen.  Die  Nennung  des  patruus,  des  aus  der  Komödie  und  Elegie 
bekannten  bösen  und  mürrischen  Oheims,  führt  das  ironische  Moment 
des  vorangehenden  Verses  hübsch  weiter  (Gerda).  In  diesem  Zusammenhang 
stellt  sich  auch  für  domus  (vergl.  domum  servavit  carm.  epigr.  52  Buch.) 
das  spezialisierende  Urnen  ein,  der  in  der  Elegie  (z.  B.  Tib.  I  2,  17  u.  ö.) 
neben  ianua,  fores  für  die  Sache  typische  Ausdruck. 

405  si  te  nulla  movet  tantae  pietatis  imago.  Vor  diesen  Worten 
liegt  eine  Pause,  während  welcher  die  Sibylle  wartet,  ob  ihre  bisherigen 
Worte  keinen  Erfolg  haben.  Dieses  dramatische  Moment  scheint  durch 
die  Stelle  eines  Tragikers  (wahrscheinlich  Accius'  Atreus)  bedingt  zu 
sein  (s.  z.  500f.):  nil  fraterni  nominis  \  sollemne  auxüium  et  nomen  pie- 
tatis movet?  (p.  316  Kibbeck^).  Wie  dort  der  Bruder,  so  ist  hier  im 
vorhergehenden  Vers  der  Vater  genannt  (ad  genitorem  imas  Erebi  descen- 
dit  ad  umbras).  —  406  aperit  ramum  qui  veste  latebat.  Das  Motiv 
stammt  aus  ApoUonios  Rhod.,  bei  dem  Medea  das  wunderbare  Kraut 
zunächst  0uu)öei  Kdiöeio  ILiiTpr)  (IH  867)  und  weiterhin,  um  es  dem 
lason  zu  geben,  öuoubeoc  e'HeXe  lairpric  (HI  1013).  Hierdurch  erledigt 
sich  meine  irrtümliche  Auffassung  der  Stelle  bei  Skutsch,  Aus  Vergils 
Frühzeit  (Leipz.  1901)  116f.  —  407f.  In  tumida  ex  ira  tum  corda  resi- 
dunt  sind  prosaische  Phrasen  wie  tumor  animi  residit  (Cic.  Tusc.  HI  26), 


236  KOMMENTAR 

ira  residit  (Liv.  11  29,  6)  durch  den  zu  51  erörterten  prägnanten  Gebrauch 
der  Präposition  ex  künstlich  verbunden;  für  die  Metapher  s.  z.  49.  Über 
diese  die  Handlung  fortführenden  Worte  hinweg  knüpft  nee  plura  Ms 
(sc.  dixit  Sibylla)  408  an  den  Schluß  der  Eede  der  Sibylle  an  (vergl.  Servius). 
Diese  etwas  künstliche  Verschränkung  (ähnlich  886  -^  897)  läßt  es  als 
möglich  erscheinen,  daß  die  parenthetischen  Worte  tumida  ex  ira  tum 
corda  rcsid^mt  (die  mit  den  entsprechenden  des  vorhergehenden  Verses 
aperit  ramum  qui  veste  latebat  gleichen  Rhythmus  und  gleiche  Silbenzahl 
haben)  von  Vergil  nicht  frei  geprägt,  sondern  mit  Benutzung  über- 
lieferter Phraseologie  gedichtet  worden  sind;  corda  an  gleicher  Versstelle 
Ennius  a.  392. 

.408  f.  Durch  die  feierlichen  Spondeen  nee  plura  Ms:  ille  admirans 
venerahile  donum  |  fafalis  virgae  longo  post  tempore  visum  tritt  das  Bedeut- 
same dieses  Moments  für  die  Handlung  stark  hervor:  Spondeen  mit  mirari 
auch  I  421  miratur  molem  Äeneas  709  mirantur  dona  Aeneae,  vergl. 
Vn  812  f.  Ebenso  durch  die  Alliteration  venerahile — virgae — visum.  — 
venerabilis  zuerst  in  augusteischer  Zeit  nachweisbar  (Ladewig  7).  —  longo 
post  tempore  visum:  7TXd(J)ua  des  Dichters  der  Situation  zuliebe,  s.  o.  S.  168. 
So  auch  R.  Helm,  Jahresber.  d.  Altert.  CXHI  (1902)  42.  —  fluvioque  pro- 
pinquat:  propimquare  ist  vor  Vergil  nur  einmal  bei  Sallust  (bist.  IV  74 
Maur.)  überliefert;  das  Kompositum  appropinquare  war  im  daktylischen 
Maß  nicht  zu  brauchen.  —  411  indc  alias  animas  quae  per  iuga  longa 
sedebant  mit  zweifachem  Gräzismus:  alias  animas  im  Gegensatz  zu 
Aeneas  und  der  Sibylle  (vergl.  Ladewig-Deuticke)  und  iuga:  Servius  graece 
dixit,  lufot  enim  dicunt  quae  nos  transtra  nominamus.  —  41 2  f.  accipit 
alveo  I  ingentem  Aenean.  Daß  die  Sibylle  mit  eingestiegen  ist,  wird  erst 
beim  Ausschiffen  415  als  selbstverständlich  kurz  angedeutet.  —  413f.  ^^e- 
nmit  suh  pondere  cumha  |  sutüis  et  multam  aecepit  rimosa  paludem.  Das 
Gegenteil  einer  cumha  sutilis  (das  Adjektiv  zuerst  hier  nachweisbar,  vergl. 
Ladewig  5)  ist,  wie  Servius  notiert,  eine  c.  texta:  Ennius  tr.  50  classis 
texitur  (spätere  Belege  bei  Henry  307 ff.);  vergl.  Cic.  de  d.  nat.  II  150 
tegumenta  corporum  vel  texta  vel  suta,  Vergil  g.  IV  3  3  f.  seu  suta  .  .  seu 
texta.  Damit  das  Besondere  stark  hervortrete,  ist  sutilis  von  seinem  Sub- 
stantiv durch  Versschluß  getrennt,  s.  Anhang  III  Bl.  Bei  dem  Fahrzeug 
des  Dämons  hat  die  Errungenschaft  einer  fortgeschrittenen  Kultur  noch 
keine  Verwendung  gefunden  (s.  o.  S.  216),  sondern  es  ist  primitiv  wie 
die  von  Herodot  I  194  und  Plinius  n.  h.  IV  104.  VH  206  erwähnten  Fahr- 
zeuge (Zitate  bei  Gerda);  noch  heute  gebrauchen  kulturlose  Völker 
(nach  F.  Reuleaux,  Die  Spindel,  in:  Die  Woche  1900  p.  1903)  „richtig 
genähte"  Boote.  Das  erlesene  Motiv  konnte  Vergil  nur  aus  der  Quelle 
kennen,  der  er  die  Handlung  nachbildete  (s.  o.  S.  231  ff.).  —  Der  416  ge- 
nannte limus  (ßöpßopoc)  und  die  ulva  (steriles  ulvae  Ovid  m.  IV  299, 
vergl.  0.  S.  211)  sind  typische  Züge:  vergl.  Waser  1.  c.  (zu  2 98 ff.)  105 ff. 
—  415  tandem  den  1.  Fuß  füllend  wie  472,  s.  Anhang  VIII. 

n.    Begion  zwischen  Acheron  und  Tartarus-Blysium  417 — 547. 

Die  Begrenzung  dieser  Region  ist  angezeigt  durch  477  arva  ultima 
und  540  Mc  locus  est,  partis  ubi  se  via  findit  in  ambas  (rechts  Elysium, 


VERS  408—423.  237 

links  Tartarus).  —  417 — 25  (Cerberus)  sind  mit  426 — 33  (den  zwei 
ersten   Seelenklassen)   in   der   Bilderhandschrift   fol.  XL VIII  ^    dargestellt. 

A.  Cerberus  417 — 25  (drei  Perioden:  417 — 21  ökuuXov  nait  je 
zwei  KÖ|Li|LiaTa;  421 — 23  TCTpdKUjXov;  424 — 25  öikujXov,  das  erste  mit 
zwei  KÖjU|iiaTa).  Daß  die  Einschläfenmg  des  Cerberus  der  Szene  bei 
Apollon.  Rbod.  IV  139- -61  nachgebildet  ist,  wo  Medea  den  das  Vließ 
bewachenden  Drachen  einschläfert,  bemerkt  Germanus:  besonders  genau 
42  2  f.  immania  terga  resolvü  |  fusus  humi  totoque  ingens  extenditur  antro 
nach  150  f.  boXixrjv  dveXuei"  aKavGav  |  TTlTeveoc  CTTreipric,  |nr|Kuve  be 
ILiupia  kukXo.  Während  jedoch  der  griechische  Dichter  23  Verse  ge- 
braucht, kommt  Vergil  mit  9  aus,  die  er  dafür  aber  mit  um  so  größeren 
Kühnheiten  ausstattet.  417  trifaux  ist  Neubildung  nach  triceps,  was  als 
Übersetzung  von  TpiKOtprivoc,  rpiKpavoc  schon  Cic.  Tusc.  I  10  aus  einem 
Tragiker  zitiert.  Es  wird  kühn  mit  latratus  verbunden:  die  Verbindung 
rpiKpavoc  OXaTMÖc  wäre  im  hohen  Stil  griechischer  Poesie  nicht  so  un- 
gewöhnlich, wie  sie  es  für  römisches  Gefühl  sein  mußte  (schwächliche 
Nachbildimg  Ovids  m.  FV  450  tres  latratus  simul  edidit).  Eine  Neu- 
bildung ist  auch  425  inremeabilis  (=  V  591  vom  Labyrinth,  s.  z.  27), 
ein  Versuch,  griechische  Bezeichnungen  des  Hades  wie  dvöcTTTiTOC,  dveK- 
ßaroc,  dbiauXoc  wiederzugeben;  wenn  Statius  Th.  IV  537  Vergils  in- 
remeahilis  zu  remeabilis  rekomponiert  wie  Seneca  nat.  qu.  VI  8,  4  Vergils 
ineludäbilis  zu  eluctdbilis,  so  deutet  das  auf  ein  Sinken  des  Gefühls  für 
die  Proprietät  der  Sprache.  Dante  Purg.  I  131  f.  gebraucht  zwei  Verse, 
um  das  "Wort  zu  übersetzen.  Auch  418  personare  mit  einem  Ortsobjekt 
(regna),  wie  oben  171  personal  aequora,  scheint  erst  von  Vergil  gewagt 
zu  sein  in  Erweiterung  des  familiären  personare  aures  (Cic.  ep.  fam. 
VI  18,  4  Hör.  ep.  II,  7).  Besonders  kühn  ist,  wie  er  420  die  |aeXi- 
TOUTTtt  wiedergibt:  nielle  soporatam  et  medicatis  frugibtis  off  am.  In  formaler 
Angleichung  (s.  Anhang  11  3)  an  die  reguläre  Verbindung  medicatae  fruges 
(vergl.  Columellas  medicatus  cibus]  medicata  vina,  semind)  sagt  er  sopo- 
rata  offa  ('ein  narkotisierter  Kloß'),  wie  er  V  855  ramum  vi  soporatum 
Stygia  in  Angleichung  an  das  vorhergehende  ramwn  Lethaeo  rore  ma- 
dentem  zu  sagen  wagt,  noch  dazu  mit  dem  vor  ihm  nicht  nachweisbaren 
soporare  (s.  z.  390  soporus).  —  Auch  das  malerische  Element  tritt  stark 
hervor:  über  die  a  und  u  in  latratu  trifauci  s.  z.  237 f.;  ferner  bemerkt 
Gerda  treffend:  'in  tribus  primis  versibus,  qui  pertinent  ad  hoi-rorem 
canis,  littera  canina  adhibetur  supra  decies'.  Weiter  Alliterationen: 
418  adver  so — antro  419  colla  coluhris  (fast  eine  Paronomasie  nach  Art 
der  zu  204  besprochenen)  420  melle — medicatis  420  f.  offam — ohiüt 
Endlich  die  an  signifikante  Versstellen  (s.  Anhang  III A2)  gesetzten 
wirkungsvollen  Homoioteleuta  ohicit — corripit — resolvit. 

421  fame  mit  üblicher  Konservierung  der  Länge  aus  der  e-Deklina- 
tion  (gen.  fami  Cato).  In  diesem  Wort  schützte  die  Kürze  der  ersten 
Silbe  die  Länge  der  zweiten,  dagegen  hat  er  unten  442  tabe^  während 
Lucrez  I  806  auch  hier  das  ältere  -e  bewahrt  wie  m  734  in  contage.  — 
—  423  totoque  ingens  extenditur  antro.  Um  toto  glaublich  zu  machen, 
wird  ingens  aus  417  wiederholt  und  gewissermaßen  erklärend  (dxe 
7TeXu)pioc  ujv)  daneben  gestellt.  An  solchen  Wiederholungen  desselben 
Worts   in  kurzen  Zwischenräumen   (ingens  gleich   wieder  426)    hat   sich 


238  KOMMENTAR 

Vergil,  gemäß  der  Praxis  der  älteren  Dichter,  nicht  gestoßen  (z.  B.  unten 
684 f.,  Wagner  zu  g.  II  125 f.).  So  empfindlich  wie  wir  ist  aber  über- 
haupt kein  antiker  Dichter  hierin  gewesen:  vergl.  Lehrs  de  Aristarchi 
stud.  ^  450  ff.,  V.  Wilamowitz  zu  Eurip.  Her.  329  und  für  lateinische  Poesie 
Naeke  zu  Valer.  Cato  277 ff.,  Haupt  op.  I  103.  Es  ist  also  unrichtig, 
wenn  Eibbeck  g.  II  296  das  nur  in  einer  mittelalt.  Hs.  überlieferte 
bracchia  pandens  gegen  das  in  MPRV  überlieferte  h.  tendens  als  'elegan- 
tius'  bevorzugt,  weil  292  ein  Vers  mit  tendit  schließt.  —  424  f.  occu- 
pat  Äeneas  aditum  custode  sepulto.  Die  Phrase  occupat  Aeneas  aditum 
=  635,  vermutlich  mit  Benutzung  des  Ennius  (s.  z.  633 ff.).  —  custode 
sepulto  kann  er  sagen,  da  ihm  der  Zusammenhang  des  Verbs  mit  sopire, 
somnus  geläufig  war  (wie  Prop.  III  11,  56  Ungua  sepulta  mero)-^  II  265 
setzt  er  somno  hinzu:  urbem  vino  somnoque  sepultam  nach  Ennius  a.  291 
hostes  vino  domiti  somnoque  sepulti.  Wie  Ennius  schließt  auch  Lucrez 
zwei  Verse  (I  133.  V  973)  mit  somnoque  sepulti.  —  Über  die  markante 
Wortstellung  occupat — evadit  s.  Anhang  HI  A2. 

B.  Die  Seelenklassen  dieser  Region.  Es  sind  fünf  Klassen, 
von  denen  die  drei  ersten  nur  kurz  bezeichnet,  die  zwei  letzten  aus- 
führlich behandelt  werden,  indem  mit  je  einem  ihrer  Repräsentanten 
Aeneas  zusammengeführt  wird.  Über  das  Band,  das  die  fünf  Klassen 
verknüpft,  sowie  den  Grund  ihrer  Stationierung  in  dieser  Zwischenregion 
s.  Einleitung  S.  11  f. 

1.  Die  Säuglinge  426 — 29  (rpiKUjXov,  das  erste  küjXov  mit 
drei  KÖ)Li|aaTa).  Mit  bedeutender  Wirkung  folgen  auf  den  heulenden 
Höllenhund  sofort  (continuo)  die  Seelen  der  Kinder  öv  7TÖT|liov  fo6\xi(Jai, 
da  ihnen  die  MoTpai  keinen  Anteil  am  Leben  gegeben  haben  (sie  sind 
vitae  exsortes,  a)Lioipoi  ßiou),  und  die  daher,  wie  ein  Grabgedicht  mit 
rührender  Einfachheit  sagt  (78  Buch.),  'nicht  wissen,  zu  was  sie  geboren 
sind'.  Die  furchtbare,  mit  Kontrasten  spielende  Ironie  der  Tyche,  die, 
mit  Varro  (sat.  222)  zu  reden,  'neben  die  Wiege  den  Sarg  stellt',  wird 
in  diesen  paar  Versen  so  ergreifend  gezeichnet,  daß  sie  mit  Recht  hoch- 
berühmt waren.  Das  zeigen,  um  die  literarischen  Nachahmungen  (schon 
Severus  bei  Seneca  suas.  6,  26  dbstulit  una  dies  nach  429  abstulit  atra 
dies)  zu  übergehen,  die  vielfachen  Zitate  auf  Grabsteinen:  für  429  abs- 
tulit atra  dies  et  funer e  mersit  acerbo  (von  Vergil  selbst  XI  28  wieder- 
holt) werden  im  Index  III  zu  Büchelers  carm.  epigr.  (p.  918)  allein  elf 
mehr  oder  minder  wörtliche  Zitate  angeführt,  zu  denen  noch  zahlreiche 
Anspielungen  kommen  (so  405,  1  abstulit  una  dies;  588,  5  repenti  funere 
mersit  nach  funere  mersit  acerbo)]  für  428  ab  ubere  raptos  vergl.  1576 
Mc  sum  matris  ab  ubere  raptus  \  compositus  397,  1  rapta  sinu  matris 
398,  5  ubcribus  pressis  nutricem  liquit  amantem;  für  427 f.  in  limine 
primo  .  .  .  vitae  .  .  .  raptos  vergl.  567,  4  rapuit  quam  mors  in  limine  vitae 
569,  3  vitaeque  e  limine  raptus.  Auch  die  Sprache  ist  im  Gegensatz  zu 
der  überladenen  der  vorhergehenden  Verse  erfreulich  einfach.  —  Das  Weinen 
wird  426  f.  durch  drei  parataktische  Ausdrücke  (auditae  voces,  vagitus 
ingens,  animae  flentes)  besonders  stark  hervorgehoben  (Figur  der  expolitio: 
s.  z.  25.  638 ff.);  die  zwei  ersten  Ausdrücke  sind  durch  v,  den  Laut  des 
starken  Wehs  (s.  z.  833),  gebunden  (vergl.  IV  460f.  voces  et  verba  vo- 
cantis  Visa  viri,  ähnlich  stark  Accius  tr.  552f.  Lucr.  V  993.  997f.).    Daß 


VERS  424—430.  239 

Vergil  das  Motiv  als  solches  entlehnte,  geht  daraus  hervor,  daß  es  sich 
auch  in  der  plutarchischen  Apokalypse  de  genio  Socr.  22,  590 F  findet: 
dK0U€(T6ai  .  .  .  inupiuuv  K\au6)Liöv  ßpeq)U)V  (auditae  voces  vagitus  et  ingens 
infantum);  vergl.  Einleitung  S.  41.  —  In  427f.  infantumque  animae  flentes 
in  limine  prim^  j  quos  äulcis  vitae  exsortis  et  ab  ubere  raptos  e.  q.  s.  werden 
die  Worte  in  limine  primo  von  den  alten  Interpreten  teils  zum  vorher- 
gehenden teils  zum  folgenden  gezogen.  Daß  letzteres  richtig  ist,  zeigt 
die  schon  von  Gerda  angeführte  Nachahmtmg  Lucans  11  106  f.  primo  in 
limine  vitae  \  i/nfantis  miseri  nascentia  rumper e  fata:  also  gehört  vitae 
dTTÖ  KOivoO  zu  in  limine  primo  und  zu  exsortes  (vergl.  Henry  314).  Die 
schöne  Metapher  ist  übrigens  älter:  Lucr.  IH  681  vitae  cum  Urnen  inimus, 
umgekehrt  leti  limen  TL  960,  beides  kaum  von  Lucrez  selbst  geprägt. 
Sie  machte,  wie  die  sehr  zahlreichen  (von  Henry  1.  c.  gesammelten)  Nach- 
ahmungen zeigen,  Aufsehen.  —  428  exsors  äjLioipoc  (oKXripoc  Servius), 
auch  bei  Livius  und  Horaz  (a.  p.):  vielleicht  ältere  Bildung  wie  excors 
exlex  exos  exsanguis  exspes.  —  429  acerbo  duOpiu  (s.  z.  481);  mit  gleicher 
Metapher  crudo  funere  carm.  ep.  1355  Buch.  Die  Schnelligkeit  des 
raffenden  Todesdämons  malen  die  Daktylen  429  abstulit  atra  dies  et  funere 
mersit  acerbo;  sie  kontrastieren  schön  zu  den  schwermütigen  Spondeen 
der  drei  ersten  Verse. 

2.  Die  unschuldig  Verurteilten  430 — 33  (TeTpdKUuXov,  das 
zweite  und  vierte  kujXov  mit  je  zwei  KÖ)a|naTa).  Das  Ethos  ist  durch  die 
Spondeen  430.  32  und  durch  die  Alliterationen  431  sine  sorte  —  sine  — 
sedes  433  consüium  —  voeat  vitas  —  crimina  (Schema  abba)  gehoben. 
Schon  die  alten  Exegeten  bemerkten,  daß  Vergil  auf  die  Revision  des 
irdischen  Richterspruchs  Im  Hades  die  Terminologie  des  Kriminalprozesses 
übertragen  hat  (wie  Properz  IV  11,  19  f.  und  Seneca  apoc.  14  nach  dem 
Vorgang  griechischer  Autoren,  vergl.  Plat.  Gorg.  524Aff.  Lukian  dial. 
mort.  12  nee.  11  ff.).  Das  Beste  darüber  steht  aber  nicht  bei  den  uns 
erhaltenen  Kommentatoren,  die,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  einer 
falschen  Lesart  folgen,  sondern  stand  in  einem  Kommentar,  den  Ps.  As- 
conius  zu  Cicero  in  Verr.  act.  H  1.  I  p.  155  Orelli  benutzt  hat:  Vergilius 
Minoem  tamquam  si  praetor  sit  rerum  capitalium,  quaesitorem  appellat 
(432);  dat  ibi  sortitionem,  ubi  urnam  nominal  (432);  dat  electionem  iudi- 
cwm,  cum  dicit  ^ consiliumque  vocaf  (433);  dat  cognitionem  facmorum, 
cum  dicit  'vitasque  et  crimina  discif  (433).  Also  diese  Plätze  sind  nicht 
angewiesen  sine  sorte,  sine  iudice  (431)  d.  h.  ohne  den  Urteilsspruch 
ausgeloster  Richter,  sondern  Minos  veranstaltet  wie  der  die  Untersuchung 
leitende  Beamte  eine  Auslosung  aus  den  Geschworenen,  die  als  die 
Richter  fungieren  sollen  (vergl.  Mommsen,  Rom.  Strafrecht  187.  206). 
Die  ausgelosten  beruft  er  als  seinen,  des  Präsidierenden,  Beirat  (consilium 
Mommsen  ib.  214ff.).  Dann  beginnt  die  Untersuchung,  discit  =  cognos- 
city  cognitionem  exercet  (auch  discere  ist  gerichtlicher  Terminus)  über  die 
gegen  den  Lebenswandel  der  Verklagten  vorgebrachten  Beschuldigungen: 
fifas  et  crimina  =  crimina  vitae,  womit  es  Statins  Th.  Vm  22  in  gleicher 
Situation  wiedergibt.  Diese  Interpretation  basiert  auf  der  La.  consilium, 
die  mit  dem  genannten  Scholiasten  von  unseren  Hss.  nur  P  teilt,  während 
MR  concilium  haben.  Concilium  ist  auch  die  La.  des  Servius  und  Donatus, 
und   zwar   erklärt  es  Servius  eben  als  die  Versammlung  der  ausgelosten 


240  KOMMENTAR 

Geschworenen,  also  synonym  mit  consilium,  Donatus  als  die  der  Ver- 
klagten. Ersteres  kann  deshalb  nicht  richtig  sein,  weil  m.  W.  ein  Richter- 
kollegium nie  concilium  genannt  wird,  letzteres  deshalb  nicht,  weil  con- 
cilium  vocare  nur  von  einer  Versammlung  gesagt  werden  kann,  die  selbst 
beschließt,  nicht  von  einer  solchen,  über  die  beschlossen  wird.  Also  ist 
consilium  das  Richtige.  Die  Vertauschung  mit  concilium  ist  häufig  (vergl. 
Friedländer  zu  Petron  S.  318):  unsere  Vergilhss.,  für  deren  Schreiber 
beides  sich  auch  lautlich  schon  nahestand,  schwanken  auch  IT  89  (con- 
ciliis  MP,  conciliis  V)  und  XI  49  {concilium  PR,  co'ki^ilium  M).  Zu 
Gunsten  der  Überlieferung  conciliumque  vocat  darf  nicht  X  2  conciliumque 
vocat  angeführt  werden,  denn  dort  handelt  es  sich  um  eine  Götter- 
versammlung, die  nie  anders  genannt  wird.  Umgekehrt  erhält  consilium 
eine  Stütze  auch  an  den  (Tuvebpoi,  die  Lukian  ver.  hist.  11  10  mit 
Rhadamanthys  zu  Gericht  sitzen  läßt,  wie  hier  Vergil  das  consilium  mit 
Minos.  Die  Beisitzer  heißen  silentes:  die  Abstimmung  geschah  durch 
Stimmtäfelchen  (Mommsen  1.  c.  444 f.).  —  432  silentum  am  Versschluß 
von  den  Toten  im  Hades  auch  Cn.  Matius  in  seiner  Iliasübersetzung  fr. 
8  Baehrens  (FPR  p.  281),  also  wohl  älter  (ennianisch?). 

3.  Die  Selbstmörder  434 — 39  (ipiKuuXov,  das  erste  und  dritte 
KÜüXov  mit  je  drei  KÖmaaia).  Alliterationen:  434  loca — lefum  435 f.  ^e- 
perere — perosi — proiccere  436  animas — aethere — alto  437  pauperiem — per- 
ferre.  Homoioteleuta:  435f.  peperere — proiecere  438f.  obstat — alligat — 
coercet.  —  434  qui  sihi  Ictum:  über  die  Art  des  Versschlusses  s.  An- 
hang IX,  —  435  perosus  noch  IX  141  (ebenfalls  am  Versschluß).  Diese 
Bildung  ist  zwar  vor  Vergil  nicht  nachweisbar,  kann  aber  der  Form 
nach  unmöglich  von  ihm  geprägt  sein.  Daß  er  sie  archaischer  Poesie 
entnahm,  beweisen  folgende  Momente:  1.  osus  ist  als  archaisch  für  Plautus 
und  C.  Gracchus  bezeugt  (Archiv  f.  Lex.  XI  153),  2.  perosus  hat  Livius 
dreimal  im  III.  Buch  (ib.  X  45),  3.  Augustus  gebraucht  es  in  einem 
Briefe  (bei  Sueton,  Tib.  21  a.  E.)  in  feierlich  -  sakraler  Rede  (deos  ob- 
secro  .  .  .,  si  non  p.  B.  perosi  sunt)^  4.  An  vorliegender  Stelle  sind  die 
Worte  lucemque  perosi  \  proiecere  animas  eine  stilistische  Variation  (mit 
geringer  Nüancierung)  der  vorhergehenden  sibi  letum  \  insontes  peperere 
manu,  was  hier  wie  oft  (s.  z.  25)  auf  Benutzung  überlieferter  Phraseologie 
schließen  läßt.  Neben  perosus  hat  Vergil  noch  exosus  (V  687.  XI  436. 
XII  517.  818);  da  dieses  sich  nur  in  jungen  Büchern  findet  und  m.  W. 
durch  keine  ältere  Autorität  gestützt  wird,  so  kann  er  es  auf  Grund 
von  perosus  mit  Variation  der  Präposition  neu  gebildet  haben.  —  436 
aethere  in  alto  (==  g.  IV  78)  vergl.  den  Versschluß  des  Ennius  a.  602 
aequore  in  alto.  —  436 f.  Die  homerische  ^\\ir\a\c  (X  487  ff.)  notiert 
Servius.  —  437  pauperiem:  die  alte  Form  aus  metrischer  Bequemlichkeit 
(Köne  218).  —  duros  perferre  laborcs  Versschluß  nach  Lucr.  V  1359 
durum  perferre  laborem  (Ursinus).  —  438  fata  obstant  (z.  B.  von  Henry 
320f.  empfohlen)  für  fas  obstat  ist  durch  keine  alte  Hs.  beglaubigt,  steht 
vielmehr  nur  in  mittelalterlichen  Hss.  und  der  darauf  beruhenden  Kon- 
jektur eines  Humanisten  in  M^.  —  438  f.  tristisque  palus  inamabilis 
undae  \  alligat  et  noviens  Styx  interfusa  coercet  mit  kleinen  Abänderungen 
aus  g.  IV  47 9  f.  (dort  tardaque — unda)  wiederholt,  Wohl  die  Reminiszenz 
an  jene  Stelle  hatte  zur  Folge,  daß  in  R  (sowie  in  M^  von  einem  Hu- 


VERS  430—440.  241 

manisten)  und  der  von  Servius  befolgten  Hs.  tmda  geschrieben  wurde, 
"woraufhin  dann  Servius  tristique  konjizierte,  ne  si  'tristis'  dicamus,  duo 
sint  epitheta.  —  noviens  Styx  interfusa  („der  Styx,  der  neunfach  fließet" 
Schiller,  Hero  und  Leander):  s.  Einleitung  S.  29 f.  Die  dreimal  heilige 
Zahl  ist  zugleich  ein  Symbol  für  die  Unlösbarkeit  des  Banns  (vergl.  b. 
8,  73 ff.).  Aus  derselben  Sphäre  stammen  alligare  (KaxabeTv,  magids 
artibus  ligare  Seneca  Herc.  453,  Apul.  met.  11  5  amoris  pedicis  alligare) 
und  das  für  den  'Orcus'  bezeichnende  coercere  (Hör.  II  19,  19  nodo 
coercere;  18,  18  der  sateUes  Orci  Tantalum  coercet),  wie  unten  552  der 
adamas  (Theokr.  2,  34.  Prop.  IV  11,  4).  —  inamabilis  djLieiXixoc,  äaiop- 
yoc  (epigr,  146,  3  Kaibel).  —  alligat — coercet:  über  die  Wortstellung 
s.  Anhang  IIIA  2. 

4.  Die  Liebenden  auf  den  Trauergefilden  440 — 76  in  drei 
Abschnitten:  a)  Name  und  Bewohner  im  allgemeinen  440 — 44  (zwei 
Perioden:  440 — 41  biKUüXov,  442 — 44  xpiKUjXov),  b)  Namen  einzelner 
Bewohner  445 — 49  (öiKiuXov,  mit  je  drei  KÖ)U|LiaTa),  c)  Aeneas  und 
Dido  450 — 76  dreiteilig:  a)  Begegnung  450 — 55  (TexpciKUjXov,  die  drei 
letzten  KÜüXa  mit  je  zwei  KÖ|U|LiaTa),  ß)  Rede  des  Aeneas  456 — 66  (drei 
Perioden:  456 — 60  xetpdKUjXov,  das  erste  und  dritte  kujXov  mit  je  drei 
KÖ|Li|iAaTa;  461 — 64  öikuuXov  mit  drei  bezw.  zwei  KÖ|ii)iiaTa;  465 — 66 
öikujXov  mit  je  zwei  KÖiajuara),  y)  Eindruck  auf  Dido  467 — 76  (vier 
Perioden:  467  —  68  zwei  KÖjU|uaTa;  469  —  71  rpiKuuXov,  dessen  KUüXa 
mit  den  Versen  zusammenfallen;  472  —  74  öikujXov  mit  je  zwei  KÖ|Li|LiaTa; 
475 — 76  biKUjXov,  dessen  KU)Xa  mit  den  Versen  zusammenfallen).  — 
Der  Steigerung  des  Ethos  dienen  Verse  mit  überwiegenden  Spondeen 
(441.  43 f.  46.  51  f.  53.  56.  60.  74),  überaus  zahlreiche  Alliterationen 
(443.  45.  46.  49.  53.  54.  55.  56f.  57f.  58.  62.  63.  64.  65.  66.  67. 
68.  70.  71.  72.  73f.  74.  75.  76)  sowie  einige  Anaphern  (458f.  61  f.) 
und  Homoioteleuta  (457  extindam — secutam  67  ardentem — tuentem  68f. 
lenihat — ciebat — tenebat  72  corripuit — refugit)  und  ein  Parison  (474  re- 
spondet  curis  r^  aequat  amorem). 

In  dieser  die  Mitte  des  Buches  füllenden  Episode  kann  sich  Vergils 
Kunst,  epujTiKd  TraGrijuaTa  mit  psychologischer  Feinheit  im  Sinn  der 
hellenistischen  Poesie,  aber  doch  mit  epischer  Großzügigkeit  zu  schildern, 
voll  entfalten.  Das  weite  Trauergefild  mit  den  in  stummem  Schmerz 
dahinwandelnden  Heroinen  und  das  Nachspiel  der  Liebestragödie  in  dieser 
Umgebung:  das  sind  Bilder,  die  auch  auf  Dantes  ernsten  Sinn  stark 
gewirkt  haben  (vergl.  Inf.  V  6  7  ff.).  An  diesem  Ruhm  wird  Vergil  durch 
die  Tatsache,  daß  er  die  Motive  als  solche  nicht  erfand,  im  Sinn  der 
lateinischen  Poesie  nichts  verkümmert.  Auf  Originalität  erhebt  er  selbst 
keinen  Anspruch:  441  lugentes  campi,  sie  illos  nomine  dicunt,  das  ist  in 
dieser  Art  von  Poesie  ein  Zitat  (s.  u.).  In  welche  Sphäre  wir  durch 
440 — 49  geführt  werden,  bedarf  kaum  eines  Beweises:  das  ist  ein  Kaxd- 
Xo-foc  TUJv  kXcivujv  fipujivujv  TUJV  ev  cibou,  wie  ihn  hellenistische  Dichter 
in  Ausführung  des  Frauenmotivs  der  homerischen  Nekyia  (225ff.  321  ff.) 
schufen  und  wie  er  uns  aus  der  Elegie  vor  allem  des  Properz  geläufig 
ist,  so  I  19,  13  illic  formosae  veniant  cliorus  heroinae,  mit  griechischem 
Versschluß  (ev0a  (JuvdvTOViai  KaXöc  xopoc  fipuJivai).  Für  Properz  ist 
das  Motiv  schon  beinahe  abgegriffen.  Spätere  verwenden  es  fast  nur  noch 

Vkrgil.  Buch  VT,  von  Norden.  16 


242  KOMMENTAR 

als  rhetorische  Floskel  (vergl.  das  Gedicht  des  Markellos  Sideta  auf  den 
Tod  der  Gattin  des  Herodes  Atticus  epigr.  graec.  1056,  8fF.  55 ff.  Kaibel). 
In  der  uns  überlieferten  Literatur  sind  es  aber  sonst  stets  solche  Heroinen, 
die   zum  Lohn  für  ihre  Tugend  auf  die  elysischen  Gefilde  versetzt  sind: 
vergl.    z.   B.    noch    Philostratos   her.   143  Kays.    iroO    be   rx]    Aaoba|uia 
HuvecTTiv    (sc.   6  TTpuuTecTiXeujc) ;   —   ev  abou,   Heve.     Kai  \efei  auiriv 
euÖ0Ki|aujTaTa  YuvaiKUJV  irpaiTeiv  dpi9|uou)Lievr|v  ev  aic  "AKkticttic  xe  Kai 
€udbvri  ^^^  cti  TauTttic  i'aai  (Ju)9povec  re  Kai  xP^lcTTai.     Dagegen  ist 
bei  dem  Dichter,  dem  Vergil  hier  folgt,  die  Tugend  kein  Prinzip  für  die 
Auswahl   gewesen:   werden   doch   sogar  Pasiphae   und  Eriphyle    erwähnt. 
Es   werden  vielmehr    nur  solche   genannt,   die   wegen   ihres   durus  amor 
freiwillig  in  den  Tod  gegangen  oder  getötet  worden  sind.    Daß  auch  diese 
Kategorie  von  hellenistischen  Dichtem   behandelt  wurde,   dürfen  wir  aus 
dem    bei  Hygin  fab.  243    unter    dem   Titel    quae   se  ipsae   interfecerunt 
überlieferten  Katalog  schließen,  z.  B.  Canace  Aeoli  fiUa  propter  amorem 
Macarei  fratris  ipsa  se  interfecit.     Byhlis  Mileti  ßUa  propter  amorem 
Cauni  fratris  ipsa  se  interfecit.     Calypso  Atlantis  filia  propter  amorem 
TJlixis  ipsa  se  interfecit,    alles   Stoffe,   die   bei   den  Alexandrinern   nach- 
weislich beliebt  waren.     Auch   die  hier  bei  Vergil   genannten   Heroinen 
sind  auf  gewaltsame  Weise  gestorben:  von  allen  ist  es  überliefert  außer 
zufällig  von  Pasiphae,   für  die   wir   es   also   aus  dieser  Stelle  zu  lernen 
haben.     Da   sie   nach   Pausanias  HI  26,  1    ursprünglich   eine   Mondgöttin 
war,   so   ist  nach  dem  von  Usener,   Götternamen   160.   239  darüber  Ge- 
sagten anzunehmen,    daß  sie  sich  erhängte.   —  Das  Vorbild  für  die  von 
Vergil  mit  großer  Liebe  ausgearbeitete  Begegnung  des  Aeneas  mit  Dido 
notierten  schon  die  alten  Exegeten:  tractum  est  hoc  de  Homero  (X  541  ff.), 
qui   inducit  Äiacis   umhram   TJlixis   conloquia   fugientem,   quod  ei  fuerat 
causa  mortis  (Servius  zu  468);  genauer  gesagt:  Vergil  hat  die  Begegnungs- 
szene  zwischen   den  beiden   Heroen   in   eine   solche   zwischen  Heros   und 
Heroine  umgewandelt,  die  aus  Liebe  zu  dem  ungetreuen  Freund  in  den 
Tod  gegangen  war.    Eine  derartige  Übertragung  eines  homerischen  Motivs 
aus   der   epischen  Sphäre   in   die   der   Erotik   ist   durchaus   im  Geist   der 
hellenistischen  Poesie.     Daß  nun  ein  griechischer  Dichter  schon  vor  Vergil 
die  berühmte  homerische  Szene  in  dieser  Weise  in  den  Stil  der  neueren 
Poesie  umgesetzt  hätte,  wäre  an  sich  glaublich,  läßt  sich  aber  wenigstens 
mit  unsern  Mitteln  nicht  beweisen.     Denn  die  Vermutung  von  E.  Maaß, 
Orpheus  (München  1895)  279,   daß   ein   hellenistisches  Gedicht  eine  Be- 
gegnung im  Hades  zwischen  Odysseus  und  Kalypso  erzählt  habe,  die  nach 
seinem  Abschied  in  den  Tod  gegangen  sei  (vergl.  Hygin  1.  c),  läßt  sich  nicht 
zur  Gewißheit  erheben.     Benutzung  einzelner  Züge  hellenistischer  Erotik 
wird  zu  440f.  442.  445 ff.  456 f.  458.  466.  469.  475 f.  notiert  werden. 
440  f.  partem  fusi  monstrantur  in  omnem  \  lugentes  campi:  sie  illos 
nomine  dicunt.     Die   große   Ausdehnung   dieser  Gefilde   (vergl.  451  süva 
magna)  erklärt  Servius  falsch  aus  der  angeblich  großen  Zahl  der  Liebenden, 
richtig   Heyne    daraus,    daß    sie   mit   ihrem   Schmerz    in   die   Einsamkeit 
fliehen  (443  secreti),  ein  typischer  Zug  der  hellenistischen  Poesie  (Rohde, 
Eoman^  158).     „Endlos    liegen    vor    dir    die    Trauergefilde"    Goethe    im 
Anfang  des  Monodrams  Proserp ina,  wohl  nach  dieser  Stelle;  lugentes  campi 
gibt  Dante  Inf.  XIV  10   schön   wieder   'la  dolorosa  selva'.     Auch  Vergil 


VERS  440—442.  243 

seinerseits  übersetzt,  denn  mit  den  Worten  sie  illos  nomine  dicunt  will 
er  im  Stile  der  hellenistisclien  Poesie  (s.  z.  14)  sagen,  daß  ihm  die  Vor- 
stellung der  lugentes  campi  überliefert  war.  Vergl.  \T;I  607  simt  geminae 
Belli  portae,  sie  nmnine  dicunt  (Janustempel),  g.  III  380  hippomanes,  vero 
quod  nomine  dicunt:  diese  Partie  der  Georg,  stammt  wobl  aus  Euphorion, 
s.  Heyne  zu  270,  sicher  aus  einem  hellenistischen  Dichter.  Für  Berufungen 
auf  eine  Tradition  mit  diccre,  ferri  überhaupt  vgl.  g.  in  90  IV  221,  unten 
893 f.  sunt  geminae  Somni  portae,  quarum  altera  fertur  \  Cornea  (nämlich 
T  562  ff.).  Welchen  griechischen  Ausdruck  Vergil  mit  lugentes  campi 
übersetzt,  weiß  ich  nicht.  Sicher  und  bekannt  aber  ist,  daß  die  darin 
niedergelegte  Vorstellung  von  der  mittrauemden  Natur  spezifisch  alexan- 
drinisch  ist;  formell  besonders  nahe  steht  die  ttituc  foepx]  bei  Nikander 
Alex.  301  und  Ovid  m.  XI  46  f.  positis  te  frondibus  arhor  \  tansa  comas 
luxit.  —  fusi  von  den  Örtlichkeiten  statt  von  den  Menschen,  die  sich  darin 
'ergießen'  scheint  neu  zu  sein  (Conington);  für  die  fast  verbrauchte  Metapher 
des  funder e  hat  V.  Hehn,  Kulturpfl.'  538  •  f.  viele  Belege  gesammelt. 

44:2  Jiic  quos  durus  amor  crudeli  tahe  peredit.  Das  von  Servius 
notierte  verallgemeinernde  Maskulinum  quos,  weil  474  auch  Sychaeus 
genannt  ist.  Aber  Sychaeus  paßt  wenig  in  diese  Region  des  durus  amor: 
er  ist  nach  I  344  vielmehr  magno  dilectus  amore.  Dieses  Abgleiten 
des  Gedankens  ermöglicht  dem  Dichter  aber,  das  schöne  Motiv  von  der 
Wiedervereinigung  zweier  Liebenden  (hier  des  Sychaeus  imd  der  Dido) 
im  Tode  zu  verwerten  (473  f.).  Es  beruht  auf  alter  Vorstellung  (Plat. 
Phaed.  68 A,  Eurip.  Alk.  363 f.)  und  begegnet  oft  in  Grabgedichten;  es 
war,  wie  aus  Ovid  m.  XI  61  ff.  und  Properz  I  19,  11  ff.  zu  schließen  ist, 
auch  in  hellenistischer  Poesie  beliebt.  —  durus  amor  heißt  g.  III  259 
der  des  Leander,  weil  dieser  seine  Vereinigung  mit  Hero  unter  Verletzung 
der  albujc  ([Ovid]  h.  18,  171  ff.,  Musaeus  106)  ertrotzte.  Es  ist  die  Über- 
setzung von  beivöc  epujc,  denn  so  heißt  er  bei  Musaeus  245  (vergl. 
G.  Knaack  in  der  Festgabe  f.  Susemihl,  Leipzig  1898,  67).  Alexandrinisch 
ist  auch  die  weitere  Terminologie.  Eine  solche  Liebe  ist  ein  'zehrendes 
Siechtum',  daher  tabes:  vergl.  tabescere  Prop.  I  15,  20  u.  ö.  Ovid  m. 
III  445  u.  ö.,  dem  gr.  xriKeaOai  nachgebildet,  das  schon  der  alten  Lyrik 
in  diesem  Sinn  bekannt  ist  (Pindar  fr.  123,  9  Bgk.)  und  von  da  in  die 
jüngere  Komödie  (vergl.  Plaut.  Pseud.  21  quae  me  miseria  et  cura  contabe- 
facit)  sowie  in  die  hellenistische  Erotik  (Theokr.  1,  66.  82.  2,  29)  über- 
ging. Sie  'frißt'  bis  auf  das  Mark  der  Knochen:  peredit;  vergl.  Kalli- 
machos-Catull  66,  23,  Ps.  Theokr.  30,  21,  Vergil  selbst  IV  66  est  mollis 
flamma  medullas.  Denn  sie  ist  ein  'Gram':  curae  444.  474.  Mit  diesem 
Wort  übersetzen  die  Lateiner  seit  Plautus  1.  c,  Epid.  135  die  Vielheit 
der  griechischen  Bezeichnungen:  öviai,  )LieXr||Lia  Sappho,  lueXebiLvai  Ps.- 
Hesiod  op.  66,  |Liepi|Uvai  seit  dem  erotischen  Anhang  zu  Theognis  1323 
bis  auf  Nonnos,  qppovTiC  schon  Pindar  P.  10,  62,  also  von  ihm  wie  das 
dabei  stehende  |ueXri)Lia  aus  der  aeolischen  Lyrik  übernommen,  aus  welcher 
(ppovTic  auch  in  die  hellenistische  Poesie  kam,  vergl.  A.P.  V  110.  264. 
279.  296.  Auch  das  Motiv,  daß  sich  dieser  Liebesgram  im  Hades 
fortsetzt  (444  curae  non  ipsa  in  morte  relinquont),  ist  entlehnt,  vergl. 
Theokr.  1,  103,  [Oppian]  cyn.  11  410ff.  (hier  wie  oft  nach  alexandrinischem 
Muster):  ößpi)ii'  "Gpujc  .  .  .,  öei^aivei  öe  cTe  TrdvTa,  Kai  oupavöc  eupuc 

16* 


244  KOMMENTAR 

uTrepGe,  |  ^air\c  öaca  t  ^vep9e  Kai  ^Gvea  XuYpct  KajuövTUJV,  |  di  AriGric 
)aev  acpuacrav  ijttö  aTÖiuia  vtiiraGec  ubujp  |  Kai  (puTov  oKfea  TrdvTa.  ae 
b'  eicTexi  TTecppiKaffi.  Die  Liebenden  klagen  ihr  Leid  aus  auf  einsamen 
Waldlichtungen  und  in  schattigen  Myrtenhainen:  443 f.  secreti  celant  calles 
et  murtea  circum  \  silva  tegit,  472  f.  refugit  \  in  nemus  umbriferum.  Auch 
dies  ist  ein  überlieferter  Zug.  So  läßt  Aristoxenos  in  dem  neugefundenen 
Liede  pap.  Oxyrhynch.  I  Jungfrauen  sich  setzen  auf  eine  Wiese  ßaGucJkiov 
kot'  äXcToc;  nach  Phanokles  bei  Stob.  flor.  LXIV  14  klagt  Orpheus 
(TKiepoTcTiv  ev  aXcrecri;  vergl.  Properz  I  18.  Die  Myrte  (murtea  silva)  ist 
hier  genannt,  weil  sie  mit  der  erotischen  Beziehung  die  sepulkrale  ver- 
einigt. Typisch  ist  endlich  auch  das  errare  451  (errabat  süva  in  vmgna): 
vergl.  Parthenios  c.  26,  4;  Prop.  I  1,  11. 

445  ff.  Die  Kontamination  des  Verses  445  his  Phaedram  Pro- 
crinque  locis  maestamque  Eriphylen  aus  den  beiden  homerischen  Hemi- 
stichien  \  225  <t)aibpr|V  te  TTpÖKpiv  xe  (ibov  Ka\r|V  t'  'Apidbvr|v)  +  321 
(MaTjudv  te  KXu)Lievnv  xe  ibov)  (TxuTepriv  x'  'GpicpOXriv  ist  ganz  in  der 
Art  griechischer  Dichter:  so  wird  bei  Eusebios  pr.  ev.  X  3,  22  ein  ganz 
analoges  Beispiel  aus  Antimachos  angeführt,  vergl.  auch  A.  Ludwieh, 
Homervulgata  (Leipzig  1898)  68,  1.  136.  Ein  anderes  vergilisches  Beispiel 
bei  Macrob.  V  3,  9  wird  eingeleitet  mit  den  Worten:  hie  (Vergilius)  de 
duohus  (Homeri  versibus)  unum  fabricatus  est;  vergl.  unten  455.  483  f. 
Wenn  Vergil  crxuYepr|V  mit  maestam  wiedergibt,  so  ist  das  'nicht  mit 
H.  Weil,  Etudes  sur  Tantiquite  grecque  (Paris  1900)  91  als  absichtliche 
Änderung  aufzufassen,  sondern  Vergil  legte  dem  Wort  die  Bedeutung 
bei,  die  es  in  nachhomerischer  Poesie  oft  hat.  Er  erhielt  dafür  eine 
Rüge;  Servius:  vituperatur  Vergilius,  quod  maestam  dixerit  quam  ffxuxepriv 
legit,  id  est  nocentem,  nam  maesta  est  crxuYvr|.  —  Die  Auswahl  der  Heroinen 
ist  oft  behandelt  und  bemängelt  worden,  letzteres  infolge  des  prinzipiellen 
Fehlers,  unbelegte  Sagenversionen  für  Fiktionen  oder  Mißverständnisse 
des  Dichters  anzusehen,  obwohl  wir  doch  grade  die  ihm  besonders  vertraute 
hellenistische  Poesie  nur  in  Trümmern  besitzen.  Wir  haben  aus  vor- 
liegender Stelle  vielmehr  zu  lernen:  erstens,  daß,  wie  schon  bemerkt 
(S.  242),  auch  Pasiphae  wie  die  anderen  hier  genannten  Heroinen 
eines  gewaltsamen  Todes  starb  (unter  den  Heroinen  im  Hades  nennt  sie 
auch  Properz  H  28,  52.  IV  7,  57).  Zweitens,  daß  es  eine  erotische 
Umbildung  der  Sage  von  Eriphyle  gab.  Tatsächlich  nennt  Ovid  ars  am. 
in  9 ff.  Helena,  Klytaemestra  und  Eriphyle  als  Typen  verbrecherischer 
Liebe,  eine  Version,  die  er  auch  am.  I  10,  51  f.  andeutet.  Danach  war 
also  Polyneikes  ihr  Buhle,  dem  zuliebe  sie  Gatten  und  Vaterland  verriet 
(wie  Klytaemestra  aus  Liebe  zu  Aigisthos:  beide  Mütter  fallen  durch 
ihre  Söhne).  Ob  diese  Umbildung  bereits  auf  Euripides  zurückgeht  oder 
erst  von  hellenistischen  Dichtem  vollzogen  wurde,  läßt  sich  nicht  sagen. 
Daß  das  Motiv  aber  in  hellenistischer  Poesie  vorkam,  folgt  hier  wie  oft 
aus  der  Übereinstimmung  zwischen  Vergil  und  Ovid;  übrigens  ist  diese 
Sagenversion  die  Voraussetzung  für  die  Erzählung  des  Parthenios  c.  25. 
Drittens.  Daß  Caeneus  im  Hades  wieder  in  seine  weibliche  Gestalt  zu- 
rückverwandelt worden  sei  (rursus  et  in  veterem  fato  revoluta  figuram), 
sagt  nur  Vergil,  aber  die  Sage  von  Caenis-Caeneus  schwankte  überhaupt 
(Ovid  m.  XII  522  exitus  in  dubio  est,  vergl.  Hygin  f.  242).    Jedenfalls  ist 


VERS  442—451.  245 

es  eine  echt  alexandrinische  Pointe,  wenn  Vergil,  woran  seit  Heinsius  viel- 
fach Anstoß  genommen  wird,  die  Verbindung  Caeneus  ...in  veterem  revoluta 
figuram  wagt:  so  läßt  Catull  im  Attisliede  von  v.  6  an  das  Femininum  an 
die  Stelle  des  Masculinum  treten.  Ganz  im  Stil  zierlicher  hellenistischer 
Poesie  ist  auch  die  Antithese  Caeneus — veterem  (Kaiveuc  'Neumann'  von 
Kttivöc,  statt  'Mörder'  von  Kaivuu).  Anlehnung  an  griechische  Meta- 
morphosenpoesie zeigt  endlich  auch  der  scheinbar  überflüssige  Zusatz  von 
fato:  denn  von  ähnlichen  Vei-wandlungen  hebt  Ovid  m.  IX  430  ff.  aus- 
drücklich hervor,  daß  sie  nach  dem  Willen  des  fatum  geschehen. 

445  Über  das  Schwanken  der  Hss.  zwischen  Procrin  und  Procrim 
s.  Anhang  VI  7,  über  die  giiechische  Art  des  Versschlusses  maestamque 
Eriphylen  ebenda  IX.  —  446  von  Eriphyle  crudelis  nati  monstrantem 
völnera.  Der  Vorstellung,  wonach  die  Spuren  der  Gewalt  am  eibuüXov 
haften,  folgt  Vergil  auch  450  (recens  a  volnere  JDido),  494 ff.  (Deiphobus 
(XKpuuTripiaaGeic),  II  272 ff.  (Phantom  Hektors  atri  cruento  pulvere).  Sie 
findet  sich  schon  X  40  f.,  einer  von  den  Alexandrinern  deshalb  mit  Recht 
athetierten  Stelle,  und  ist  später  allgemein  (z.B.  Tibull  II  6,  39f.  Prop. 
IV  7,  7  ff.  Stat.  s.  n  1,  154  ff.  Apul.  met.  VLH  8).  —  447  Euadnen  M, 
Euhadnen  P,  HeuJiadnen  E.  Da  falsche  Interaspiration  in  unsera  Vergilhss. 
sehr  häufig  ist  (z.  B.  Borelian  Caliystri  cohercet,  vergl.  Ribbeck,  proll. 
Grit.  421  ff.),  so  ist  fraglich,  ob  Euhadne  auf  Grund  des  von  namhaften 
Grammatikern  bezeugten  eödbev  (vergl.  Lehrs,  Herodiani  scripta  tria  285) 
hier  als  echte  Überlieferung  angesehen  werden  kann  (mit  Ribbeck  und 
Birt,  Rh.  Mus.  LH  Suppl.  1897,  122 f.).  Dagegen  steht  unten  517  euhantis 
und  Vn  389  eufioe  richtig  in  allen  Hss.  (Lachmann  z.  Lucr.  V  743,  Lehrs, 
De  Aristarch.  stud.^  318  ff.).  —  Laodamia:  Versschluß  nach  griechischer 
Art,  s.  Anhang  IX.  —  448  f.  mmc  femina  Caeneus  \  rursus  et  in  veterem 
fato  revoluta  figuram.  Stellung  von  rursus  dirö  koivoO  wie  7 50  f.  ut 
convexa  revisant  \  rursus  et  incipiant  in  corpora  velle  reverti,  also  nicht 
mit  M.  Haupt  op.  I  121  unter  die  Beispiele  eigentlicher  Inversion  von 
et  zu  rechnen:  s.  z.  840. 

451  f.  quam  (sc.  Didonem)  Troius  heros  \  ut  primum  iuxta  stetit 
adgnovitque  per  umhras  \  obscuram.  Die  Anastrophe  von  iuxta  ist  bei 
Vergil  freilich  konstant  —  ein  Zeichen  dafür,  daß  dies  Adverbium  auch 
bei  ihm  noch  nicht  die  vollen  Rechte  einer  Präposition  erhalten  hat  — , 
aber  seine  Trennung  vom  Accusativ  durch  den  Versschluß  ist  singulär 
und  möglicherweise  darauf  zurückzuführen,  daß  Vergil  die  Worte  (ut 
primum)  iuxta  stetit  an  dieser  Versstelle  von  einem  früheren  Dichter 
übernahm,  der  der  alten  Praxis  gemäß  iuxta  nur  noch  als  Adverbium 
kannte.  Dieselbe  Freiheit  in  der  Stellung  einer  zweisilbigen  Präposition 
XI  149  f.  feretro  Pallanta  reposto  \  proaibuit  super  (reposto  ennianischer 
Versschluß:  s.  z.  59),  509 f.  est  omnia  quando  \  iste  animus  supra  (für 
Vergils  eigne  Praxis  quando  am  Versschluß  nicht  gewöhnlich:  s.  Anhang 
HIB  2),  Vn441f.  arma  \  regu/m  inter  (^arma  regum  besang  Ennius, 
vergl.  ann.  333).  —  umhras  PR,  umbram  M  mit  Servius  und  Donatus; 
ersteres  461.  490,  letzteres  268  am  Versschluß,  sodaß  eine  sichere  Ent- 
scheidung unmöglich  ist.  Die  Besorgnis,  es  möchte  jemand,  wie  es  tat- 
sächlich die  beiden  Scholiasten  getan  haben,  umbram  obscuram  verbinden, 
konnte  für  Vergil  kein  Grund  für  die  Bevorzugung  der  pluralischen  Form 


246  KOMMENTAR 

sein,  denn  die  Trennung  eines  nicht  stark  betonten  Attributs  vom  Sub- 
stantiv durch  den  Versschluß  wäre  nach  seiner  im  Anhang  HIB  1  er- 
örterten Praxis  ausgeschlossen  gewesen.  —  453 f.  öbscuram  (sc.  Aeneas 
Didonem  agnovif),  qualem  primo  qui  surgere  mense  \  aut  videt  aut  vidisse 
putat  per  nubila  lunam  nach  ApoUon.  Ehod.  IV  1477 f.,  wo  Lynkeus  den 
Herakles  sieht  ujc  Tic  xe  veuj  evi  rijuaii  |Lir|VTiv  |  f|  löev  f|  evörjaev 
eTTaxXuoucrav  ibe0Öai  (Germanus),  aber  mit  feiner  Übertragung  auf 
Dido,  da  der  Vergleich  der  Trauenschönheit  mit  dem  Mondlicht  seit 
Sappho  (fr.  3)  und  dem  homerischen  Aphroditehymnus  (89)  traditionell 
war.  —  Henry  280  meint,  daß  Vergil  eine  astronomische  üngenauigkeit 
sich  habe  zu  schulden  kommen  lassen,  indem  er  von  einem  sichtbaren 
Mondaufgang  zu  Anfang  des  Monats  spreche,  während  Apollonios  nur 
von  dem  Sichtbarwerden  des  Mondes  am  frühen  Morgen  spreche.  Nun 
würde  zwar  ein  Versehen  auf  diesem  Gebiete  bei  einem  lateinischen 
Dichter  gar  nichts  Ungewöhnliches  sein,  aber  in  diesem  Fall  liegt  ein 
solches  doch  wohl  nicht  vor.  Denn  primo  mense  braucht  nicht  grade 
auf  die  ersten  beiden  Tage  des  Monats,  an  denen  der  Mond  allerdings 
unsichtbar  ist,  zu  gehen.  Vom  dritten  Tage  an  aber  kann  er  durch  die 
Dünste  des  Horizonts  hindurch  erkannt  werden,  freilich  nur  mit  großer 
Mühe:  aber  das  ist  es  ja  auch  grade,  was  Vergil  hier  ausdrücken 
will  (vergl.  340  Jmnc  ubi  vix  multa  maestum  cognovit  in  umbra).  Er 
hat  also,  wie  das  seine  Art  ist,  ein  Motiv  seiner  Vorlage  gesteigert 
(s.  z.  578.  625). 

455  demisit  lacrimas  dulcique  affatus  amx>re  est  nach  tt  191  bd- 
Kpuov  f|Ke  xapLote  -\-  X  552  töv  |iiev  i^Oj  eTreeacri  irpocrriijbujv  lueiXi- 
Xioiffi  (ürsinus  u.  a.),  letzteres  mit  schöner,  der  Situation  angepaßter 
Vai-iation.  —  456ff.  Aiveiou  Kai  Aiboöc  6)iiiXia.  Donatus:  dictio 
mire  certe  concepta  est.  Die  Berühmtheit  der  Stelle  im  Altertum  zeigt 
sich  noch  mehr  als  in  den  Nachahmungen  in  der  Travestie  von  469 f. 
bei  Petron  132.  —  Auf  feiner  Berechnung  beruht  es,  daß  einzelnes  in 
den  Gedanken  und  Worten  des  Aeneas  an  das  IV.  Buch  anklingt:  456 
infelix  DJtZo  ==  IV  596;  460  invitus  regina  tuo  de  Uttore  cessi  vergl. 
IV  361  Italiam  non  sponte  sequor;  464  Jmnc  .  .  .  tantum  .  .  .  dolorem 
=  IV  419;  466  quem  fugis  (Aeneas  zu  Dido)  vergl.  IV  314  mene  fugis 
(Dido  zu  Aeneas);  hier  vergießt  Aeneas  Tränen  und  Dido  bleibt  un- 
beweglich (455.  469ff.),  dort  sind  die  Rollen  umgekehrt  (IV  314.  331f.). 
—  Die  Eede  des  Aeneas  umfaßt  drei  Gedankenreihen:  1.  Es  ist  also 
wahr:  du  bist  tot  und  ich  schuld  daran  durch  meinen  unfreiwilligen 
Abschied  von  dir  (456 — 60).  2.  Hätte  ich  geahnt,  daß  du  ihn  dir  so 
zu  Herzen  nehmen  würdest,  so  hätte  ich  mich  vielleicht  dem  Zwang 
nicht  unterworfen  (461  —  64).  3.  Vergilt  nicht  Gleiches  mit  Gleichem, 
indem  du  jetzt  so  schnell  von  mir  scheidest;  denn  jetzt  ist  es  ein  Ab- 
schied auf  Nimmerwiedersehn  (465  —  66). 

4 56  f.  infelix  JDido,  verus  mihi  mmtius  ergo  \  venerat  extinctam: 
Beginn  der  Rede  mit  schwermütigen  Spondeen.  —  infelix  Dido  AiboT 
beiXaiTi:  vergl.  Antip.  Thess.  A.  P.  IX  215,  5  'HpoT  beiXair)  (wahrscheinlich 
Zitat  aus  dem  Hero-Leander-Epyllion).  —  Das  schöne  Ethos  der  Partikel 
ergo,  die  den  Abschluß  einer  langen  unausgesprochenen  Gedankenreihe 
voraussetzt,  hat  Vergil  aus  der  dieser  Episode  zugrunde  liegenden  Partie 


VERS  451-463.  247 

der  homerischen  Nekyia  (s.  o.)  beibehalten:  Alav  .  .  .,  OUK  öp'  ^)LieX\ec 
ktX.  Mit  solchem  ergo  beginnen  Properz  und  Ovid,  nach  hellenistischem 
Vorbild  (vergl.  Nikias  A  .P.  VI  127),  gern  ganze  Elegieen  (z,  B.  Prop.  HI  7, 
Ovid  tr.  m  2);  Horaz  I  24,  5  und  s.  11  6,  16  hat  es  nach  dem  Prooemium 
wie  Hesiod  Erg.  11;  in  parodierend  pathetischer  Prosa  Petron  83.  — 
Daß  Aeneas  eine  Nachricht  vom  Tod  der  Dido  erhalten  habe,  weicht 
von  V  1  ff.  leicht  ab.  Ob  der  Dichter  beabsichtigte,  die  kleiae  Diskrepanz 
zu  Gunsten  der  einen  oder  der  anderen  Stelle  auszugleichen  oder  sie  als 
für  die  Illusion  gleichgültig  zu  dulden,  wird  sich  nicht  entscheiden  lassen 
(vergl.  Helm,  Jahi-esber.  d.  Altertumswiss.  CXm  1902,  48);  doch  ist 
letzteres  glaublicher.  Das  hier  verwendete  Motiv,  daß  ein  Liebender 
den  Tod  der  Geliebten  diu*ch  die  fama  erfährt,  muß  in  alexandrinischer 
Poesie  geläufig  gewesen  sein,  da  es  von  Ovid  m.  XIV  726 ff.  in  der  Nach- 
dichtung eines  hellenistischen  Epyllions  pointiert  so  verwendet  wird:  nee  tibi 
fama  mei  Ventura  est  nuntia  leti:  \  ipse  ego,  ne  duhites,  adero  praesensque 
videhor,  |  corpore  ut  exanimi  crudelia  lumina  pascas.  Diese  Stelle  Ovids 
beweist  zugleich,  daß  Vergil  auch  IV  384  f.,  wo  er  seine  Dido  sagen  läßt 
sequar  atris  ignibus  absens  \  et  cum  frigida  mors  anima  seduxerit  artus  \ 
Omnibus  umbra  locis  adero,  ein  überliefertes  Motiv  verwertet  hat.  — 
4:58  funeris  heu  tibi  causa  fui.  [Ovid]  h.  17,  200  läßt  Leander  an 
Hero  schreiben:  'wenn  du  meinen  Leichnam  finden  wirst,  so  wirst  du 
sagen:  mortis  huic  ego  causa  fui',  Worte,  die  in  dem  hellenistischen 
Original  von  Hero  an  Leanders  Leiche  wirklich  gesprochen  wurden  (vergl. 
J.  Klemm,  De  fabula  quae  est  de  Herus  et  Leandri  amoribus,  Leipzig 
1889,  35).  Also  hat  Vergil  die  Worte  dieses  von  ihm  selbst  (g.  III  258ff.) 
zitierten  Epyllions  auf  die  vorliegende  Situation  übertragen.  —  459  si 
qua  fides  tellure  sub  ima:  si  qua  fides  eine  Verbindung  des  täglichen 
Lebens,  da  sie  auch  Martial  I  13,  3  hat.  —  Ein  durch  si  (ei)  leise 
angedeuteter  Zweifel,  ob  irdische  Verhältnisse  füi*  das  Jenseits  ihre  Gültig- 
keit haben,  ist  auf  Grabschriften  beider  Sprachen  typisch,  vergl.  Eohde, 
Psyche  H^  393;  lehrreich  carm.  ep.  1328  Buch,  im  Vergleich  mit  1329.  — 
460  invitus,  regina,  tu^  de  litore  cessi  Zitat  aus  Kallim.-CatuU  66,  39 
invita,  o  regina,  tuo  de  vertice  cessi  (Ursinus).  Bei  CatuU  folgt  der 
Schwur,  der  hier  vorhergeht;  ein  solcher  gehört  seit  Alters  zum  ständigen 
Inventar  erotischer  Poesie.  —  462  loca  scnta  situ.  Das  alte  sentus 
(eig.  'angefressen'  otTrö  toö  aivecTGai,  vergl.  Bücheier,  Rh.  Mus.  XLII 
1887,  586)  hat  Vergil  wieder  hervorgezogen;  vor  ihm  ist  es  nur  Ter. 
eun.  236  video  sentum  squalidum  aegrum,  pannisque  armis  öbsitum  über- 
liefert. Vergil  nahm  es  nicht  aus  Terenz,  der  ihm  für  seine  Phraseologie 
fem  lag,  sondern  beide  aus  einem  älteren  Dichter.  Dafür  spricht  auch  die 
Phrase,  mit  der  Terenz  seinen  Vers  schließt:  annis  obsitus  wie  Vergil 
Vni  307  ibat  rex  obsitus  aevo:  hier  garantiert  das  plautinische  consitus 
sum  senectute  (Men.  756)  nach  den  Ausführungen  im  Anhang  I  eine 
ältere  (tragische)  Vorlage,  durch  deren  Reproduktion  die  beiden  Komiker 
parodischen,  Vergil  feierlichen  Effekt  erzielen.  —  Der  situs  gibt  den 
von  den  Intpp.  verglichenen  homerischen  'Aibeuü  b6|Liov  eupouevTa  richtig 
wieder.  —  463  imperiis  egere  suis  nee  crederc  quivi.  Da  die  Phrase 
imperiis  egere  suis  VH  240  in  ennianischer  Umgebung  steht,  wird  sie 
aus  Ennius  stammen,  der  a.  595  imperiis  am  Versanfang  hat.    Entlehnung 


248  KOMMENTAR 

ist  auch  wegen  der  subtilen  Differenzierung  iussa  deum  .  .  .  imperiis  egere 
wahrscheinlich  (vei'gl.  Terenz  eun.  389  iubesne?  —  iubcam?  cogo  atque 
impero,  und  dazu  Donatus:  evidenter  ostendit,  plus  esse  imperare  quam 
iubere).  —  quivi  fühlte  Vergil  schon  als  Archaismus:  er  hat  nur  noch 
X  19  qucamus,  beides  nach  nee  am  Versschluß  und  in  Reden.  Mit  queamus 
(ohne  Negation)  schließt  auch  Cicero  seinen  von  ihm  de  div.  II 63 
zitierten  Vers ;  quivi  (mit  Negation  am  Versanfang)  hat  das  archaisierende 
carm.  epigr.  1044  Buch.  —  465  aspectu  (te  subtrahe).  Dativformen  auf 
-11  hat  Vergil  nicht  bloß  in  Worten,  die  sonst  metrisch  nicht  zu  ver- 
werten waren  (amplexu  unten  698,  aspeetu,  concuhitu,  curru,  fletu,  portu, 
venatu,  victu),  sondern  einmal  auch  in  metu  (I  257);  also  hielt  er  diese 
von  Autoritäten  gebilligte  Dativform  für  die  korrekte.  —  466  quem 
fugis?  Das  Motiv  ist  aus  der  alten  Lyrik  (Sappho  1,  21.  Anakreon  75,  2) 
über  die  alexandrinische  Poesie  (z.  B.  Theokrit  6,  17)  in  die  lateinische 
Erotik  gekommen  (z.  B.  Tibull  I  8,  62.  9,  74).  —  extremwm  fato  quod 
te  adloquor  hoc  es^  oo  Soph.  Ai.  857 f.  TrpoaevveTTUu  ]  iTavu(TTaTOV  bf) 
kouttot'  auGic  iJ(TTepov  (Germanus).  Über  den  absichtlich  abrupten 
Versschluß  hoc  est  s,  Anhang  IX  und  o.  zu  346. 

46  7  f.  ardentem  et  torva  tuentem  .  .  .  animum.  Die  kühne  Personi- 
fikation torva  tuens  animus  ist  eine  TpaYiKf]  XeHic  wie  Soph.  Ai.  955 
KeXaivuJTrac  0u)aöc  (vergl.  Aesch.  Cho.  847  K.  cppfjv  u))d)uaTUJ|aevr|  u.  dgl.  m. 
bei  C.  Hense,  Poet.  Personifikat.  in  griech.  Dicht.,  Halle  1868,  42 f.). 
Auch  die  Konstruktion  torva  tueri  ist  ja  ein  Gräzismus  (seit  f  342  ctTpict 
bepKÖjaevoc),  der  in  lateinischer  Poesie  für  uns  seit  Lucrez  (V  33  asper 
acerha  tuens  bpijuea  bepKÖ|U€VOC  =  aen.  IX  794,  vergl.  g.  in  149)  nach- 
weisbar ist.  Er  war  bei  den  Daktylikern  deshalb  beliebt,  weil  er  eine 
Kürze  bot;  besonders  kühn  g.  IV  122  sera  comantem  narcissum  (önJißXaaxfi). 
Torvus  nicht  'wild'  'grimmig',  sondern,  wie  469  solo  fixos  oculos  tenebat 
zeigt,  'starr  (stier)':  Vergil  glaubte  wohl  Taupr|böv  ßXeTiew  so  richtig  zu 
übersetzen,  da  er  wie  andere  torvus  mit  taurus  spielerisch  zusammen- 
brachte (g.  in  51  torva  bos,  Ovid.  m.  VITE  132  torvum  taurum).  — 
468  lenibat  dictis  animum  lacrimasque  eiebat:  ein  Vers,  der  dem 
Gedanken  entsprechend  absichtlich  lenis  ist:  Alliteration  mit  l,  Vokal- 
reichtum. Im  Gegensatz  dazu  die  Härte  der  Dido  471  si  dura  silex  aut 
stet  Marpesia  cautes:  viele  5,  x.    Vergl.  Dionys.  de  comp.  14  fibuvei  ir\v 

OtKOflV     TÖ    X    KOI     eCTTl    TUJV    fl|Ul(piUVUiV    YX^KUTttTOV    .  .  .,    aXCtpl    be    Kttl 

dribec  TÖ  a  xai  ei  TrXeovd(yeie  aqpöbpa  XuTteT,  .  .  .  tö  H  töv  cTupiTMÖv 
aiTobibuJcri;  x  als  vasta  und  aspera  littera  bei  Cic.  or.  153,  Varro  fr. 
49  Wilm.  Die  Homoioteleuta  lenihat  —  eiebat  —  tenebat  sind  beabsichtigt: 
sie  dienen,  wie  die  Theorie  für  diese  Figur  vorschreibt,  dem  KdXXoc  der 
Rede.  Die  beiden  letzten  stehen  an  den  Versenden,  was  bei  Ovid  schon 
viel  häufiger  ist  als  bei  Vergil ,  der  es  relativ  selten  und  nicht  •  immer 
mit  Absicht  hat:  mit  deutlicher  Absicht  z.  B.  IV  405 f.  655f.  und  wohl 
auch  unten  843  f.  Vergl.  das  Material  bei  H.  Johnstone  (Rhymes  and 
assonances  in  the  Aeneid,  Classical  review  X  1896,  9 ff.),  das  aber  der 
Sichtung  bedarf.  —  lenibat.  Vergil  hat  i  für  ie  nur  in  der  Aeneis  (vergl. 
Wotke  1.  c.  [z.  24]  145),  und  zwar  fast  nur  in  Worten,  die  metrisch 
nicht  anders  zu  gebrauchen  waren  (insignibat  lenibat  nutribat  nutriba/nt 
redimibat  vestibat);  nur  polibant  VIII  436  (also  in  einem  späteren  Buch) 


VERS  463—471.  249 

hätte  sich  dem  daktylischen  Maß  auch  mit  der  gewöhnlichen  Flexion 
gefügt.  —  lacrimasque  ciebat.  Schon  im  Altertum  (vergl.  Servius)  zweifelte 
man,  ob  die  Tränen  des  Aeneas  oder  der  Dido  zu  verstehen  seien. 
Aber  der  Gedanke,  daß  Aeneas  Dido  grade  zu  Tränen  habe  rühren 
wollen  („er  suchte  ihr  Tränen  zu  entlocken  als  Zeichen  der  eingetretenen 
weicheren  Stimmung"  Ladewig),  ist  schwerlich  passend.  Auch  wider- 
spricht diese  Erklärung  dem  durch  CatuUs  Vorbild  (64,  131  singultus  ore 
cientem  von  Ariadne)  bedingten  Sprachgebrauch  Vergils  g.  HI  517  (taurus 
concidit)  extremosque  ciet  gemitus  a.  III  344  f.  talia  fundebaf  lacrimans  Ion- 
gosque  ciebat  \  incassmn  fletus.  Diese  Argumente  (vergl.  Henry  329  f.) 
werden  durch  den  Einwand  Schapers,  daß  es  bereits  455  von  Aeneas  heiße 
demisit  lacrimas,  kaum  widerlegt:  die  Wiederholung  des  Gedankens  macht 
wahrscheinlich,  daß  Vergil  die  Phrase  lacrimasque  ciebat  älterer  Poesie 
entlehnt  und  hier  als  floskelhaftes  TrapaTr\r|puü)iia  des  Verses  verwendet 
hat.  —  Über  die  Wortstellung  lenibat  —  ciebat  s.  Anhang  IIIA  2. 

469 ff.  Dido  schweigt  wie  Aias  (\  563  uuc  e(pd)LiTiv,  6  be  in'oubev 
d|LieißeTo).  Nach  dem  homerischen  Vorbild  haben  die  Tragiker  (besonders 
Aeschylos)  das  Motiv  des  Schweigens  oft  in  Anwendung  gebracht, 
worüber  0.  Hense,  Das  Schweigen  nnd  Verschweigen  in  Dichtungen, 
Parchim  1872  gehandelt  hat;  schon  antike  Exegeten  der  guten  Zeit 
haben  darauf  sorgfältig  geachtet,  wie  die  alten  Schollen  zu  Aesch.  Prom. 
438  K.  und  Aristoph.  Ean.  911  beweisen.  Wenn  Vergil  das  Motiv  hier 
in  Anlehnung  an  Homer  verwendet,  so.  ist  das  bewußte  Technik,  wie 
Heyne  durch  Hinweis  auf  irepi  öq;ouc  9  f]  toO  AiavTOC  ev  V€Kuia 
(TiujTrf)  juefa  Kai  iravTÖc  uvj^riXÖTepov  Xöyou  bemerkt.  Ovid  m.  XIII  53  7  ff. 
hat  in  Nachahmung  unserer  Stelle  dasselbe  Motiv  verwendet,  aber  das 
Ethos  durch  KttKoilriXia  verdorben.  —  469  illa  solo  fixos  oculos  aversa 
tenebat.  Ursinus  vergleicht  Eurip.  Med.  2 7 f.  out'  ömn"  eiraipouc'  out' 
dTTaXXd(Tö"ouaa  Ync  |  irpöauüTrov.  Formell  noch  näher  steht  Theokrit  2, 112 
ujaTOpTOC  em  xöovöc  ö|U)aaTa  TtriSac  |  'ileTO,  Musaeus  160  TrapöeviKri 
h'  dcpGoTTOC  erri  xöova  -rrfiHev  öiriJüTrriv  (und  wohl  nach  demselben 
hellenistischen  Vorbild  das  späte  Epigramm  A.  P.  V252  tittte  rrebov, 
XpviaiXXa,  KdTUJveuou(TaboKeueic).  D.  h.  also:  das  erotische  Motiv 
kam  aus  der  Medea  in  die  hellenistische  Poesie,  aus  der  es  Vergil,  wie 
die  späten  griechischen  Dichter,  reproduziert;  von  Eros  selbst  sagt  Bion 
5,  3  de  xööva  veuffTdZ^iuv.  —  Dido  liebt  den  Aeneas  noch:  odit  et  amat. 
Das  wird  472  durch  tandem  corripuit  sese  mit  schöner  Kürze  angedeutet: 
der  Entschluß  des  Scheidens  auf  Nimmerwiedersehn  wird  ihr  trotz  allem 
schwer.  —  470  voltum  movetur  mit  neuer  Konstruktion:  s.  z.  281.  — 
471  quam  si  dura  silex  aut  stet  Marpesia  cautes  mit  dirö  koivoO  ge- 
stelltem stet,  ähnlich  474  respondet  curis  aequatque  Sycliaeus  amorem 
538  sed-  comes  admonuit  breviferque  adfata  Sibylla  est  692  per  717  cupio. 
Aus  den  Sammlungen  von  J.  Kvicala,  Vergilstudien  (Prag  1878)  64  ff., 
Leo,  Analecta  Plautina  I  (Göttingen  1896)  21.  32.  43  und  Hillebrandt  1.  c. 
(zu  268)  2  5  ff.  ergibt  sich,  daß  diese  Wortstellung  in  der  augusteischen 
Poesie  durch  das  Medium  der  hellenistischen  besonders  beliebt  wurde. 
Sie  gehört  oft  zu  den  Mitteln,  dem  in  der  zweiten  Hälfte  des  Verses 
fallenden  Rhythmus  ein  Gegengewicht  durch  den  Gedanken  zu  verleihen, 
ein  der  alten  Poesie  unbekanntes  Prinzip:   Lucrez  füllt  die  zweite  Vers- 


250  KOMMENTAR 

hälfte  oft  mit  Flickworten,  während  Vergils  Praxis  z.  B.  an  einem  Vers 
wie  464  liunc  tibi  me  tantum  \  cliscessu  ferre  dolorem  deutlich  zu  erkennen 
ist;  vergl.  darüber  auch  Anhang  HIB 2.  —  Dem  vulgären  Vergleich 
der  Starrheit  des  Sinnes  mit  der  eines  Steines  (ujc  be  Trexpoc  dKOuei 
Eurip.  1.  c.)  wird  durch  Marpessia  cautes  eine  feine  Nuance  hinzugefügt: 
„starr  wie  ein  Marmorbild".  So  nach  hellenistischer  Poesie  (vergl.  Theo- 
krit  6,  38.  Poseidippos  A.  P.  V  193),  auf  die  ohnehin  das  gelehrte  Epitheton 
hinweist,  auch  Horaz  c.  I,  19,  6  und  Ovid  m.  III  419  haeret  ut  e  Pario  for- 
matum  marmore  Signum  a.  I  7 ,  51  adstitit  illa  amens  alho  et  sine  san- 
guine  voltu,  \  caeduntur  Pariis  qualia  saxa  iugis.  —  472  f.  corripuit  sese 
wahrscheinlich  ennianische  Floskel:  s.  Anhang  I  1.  Älterer  Poesie  entnahm 
Vergil  auch  (nemus)  umbriferum,  da  Cicero  dies  Wort  in  seine  Übersetzung 
eines  homerischen  Hexameters  wie  ein  ihm  überliefertes  hineinträgt  (de 
div.  II  63  sub  platano  umbrifera,  fons  wide  emanat  aquai  -^  B  307  KaXfü 
iJTrö  TüXaxavicrTUJ,  öSev  peev  otYXaöv  i)bu)p).  —  coniunx  pristinus.  Servius: 
pristinus  prior,  quod  difßcile  invenitur,  nam  de  hoc  sermone  quaerit  et 
Probus  et  alii.  Analog  IV  458  von  Sychaeus:  coniugis  antiqui,  dazu  die 
Scholien:  aut  prioris  aut  cari.  Lucilius  ^concilio  antiquo  sapiens  vir  solus 
fuisti\-  antiquus  ergo  est  qui  praecedit  eum  qui  praesens  est.  Beides  wohl 
nach  ö  TrdXai  ttÖ(Tic,  'ihr  weiland  Gemahl'.  —  47 3 f.  iUi  \  respondet 
curis  aequatque  SycJiaeus  amorem.  Durch  das  parataktisch  angefügte 
(s.  Anhang  II  2)  aequat  amorem  wird  respondet  curis  (curis  mit  Thiel 
als  Dativ  neben  Uli  zu  fassen,  s.  z.  305)  erklärt:  in  der  Liebe  ist  das 
pares  esse  wesentlich  (Rothstein  zu  Prop.  I  1,  32),  mutua  cura  der  Gatten 
Ovid  m.  VII  200,  f.  II  730.  Unserem  Vers  entnahm  Ovid  das  Motiv 
seiner  7.  Heroide  (Dido  Aeneae)  95 ff.  —  Der  trochäische  Einschnitt  nach 
dem  vierten  Trochäus  gibt  dem  Verse  besondere  Weichheit:  s.  Anhang 
VII  B  2  b. 

475 f.  nee  minus  Aeneas,  casu  concussus  iniquo  \  proseqmtur  laeri- 
mis  longe  et  miseratiir  euntem.  Wenn  hier  Aeneas  der  scheidenden  Ge- 
liebten mit  Tränen  und  Seufzern  nachblickt,  so  ist  das  die  ümkehrung 
eines  in  hellenistischer  Poesie  —  auf  Grund  der  leisen  Andeutung  Homers 
Z  496  evTpoTraXiZojaevri ,  nämlich  Andromache  nach  dem  scheidenden 
Hektor  —  viel  verwendeten  Motivs:  die  zurückbleibende  Gattin  (Geliebte) 
sieht  ihrem  scheidenden  Gemahl  (Geliebten)  mit  Tränen  und  Seufzern  nach, 
vergl.  Catull  64,  249,  Ovid  m.  XI  463 ff.  (nach  Nikandros.?),  h.  12,  55 f., 
Apuleius  m.  V  25  (nach  der  griechischen  Quelle  seines  erotischen  Märchens). 
Aber  auch  die  Umkehrung  selbst  hatte  in  jener  Poesie  ihren  Platz,  wie 
die  Verwendung  beweist,  die  Vergil  selbst  in  dem  Orpheus -Epyllion 
(g.  IV  49  9  ff.)  und  der  hiernach  gestalteten  Abschiedsszene  zwischen  Aeneas 
und  Creusa  (a.  II  790  ff.)  von  dem  Motiv  gemacht  hat.  In  dieser  Form 
scheint  das  Motiv  auch  in  dem  Epyllion  von  Hero  und  Leander  vor- 
gekommen zu  sein,  insoweit  aus  der  Nachdichtung  bei  [Ovid]  h.  17,  117  f. 
ein  Schluß  auf  das  Original  erlaubt  ist.  —  nee  minus  phraseologische 
Anknüpfungspartikel  wie  212.  —  casu  concussus  iniquo  ^^  V  700  casu 
concussus  acerbo,  dort  in  ennianischer  Umgebung  (s.  z.  156 ff.  679);  iniquo 
zum  Kontrast  mit  aequat  474. 

5.  Die  im  Kriege  gefallenen  Helden  477 — 547.  Die  Dis- 
position ist  ähnlich   wie  295 ff.  440 ff.:   aus   der  großen   Masse   einzelner 


VERS  471—477  251 

Gruppen,  die  zuerst  kurz  behandelt  werden,  hebt  sich  Einer  heraus,  mit 
dem  Aeneas  (wie  Odysseus  mit  Agamemnon  X  387  ff.)  ein  Gespräch  an- 
knüpft, wie  vorhin  mit  Palinurus  und  Dido.  Wir  haben  also  im  ganzen 
eine  Trias  von  Dialogen, 

a)  Einzelne  Gruppen  477 — 93.  Nach  den  Übergangsversen 
477 — 78  (ipiKiuXov)  drei  Gruppen:  a)  Thebanische  Helden  479 — 80 
(drei  KÖ)Li)aaTa),  ß)  Trojaner  481 — 88  (zwei  Perioden:  481 — 85  TCTpd- 
kujXov,  das  vierte  kiBXov  mit  vier  KÖ)i|iaTa;  486 — 88  biKwXov,  das 
zweite  kuuXov  mit  vier  KÖ)ii|iaTa),  t)  Flucht  der  Griechen  489 — 93 
(zwei  Perioden:  489 — 91  xpiKUjXov,  491 — 93  TerpdKUjXov). 

Über  die  Quelle  dieser  Motive  läßt  sich  folgendes  sagen.  1)  Heyne 
zitiert  als  Vorbild  für  unsere  von  ihm  sehr  bewunderten  Verse  489  ff. 
(Flucht  der  Griechen)  X  605  ff.,  wo  die  Schatten  vor  dem  eiöujXov  des 
bogenspannenden  Herakles  fliehen.  Aber  viel  näher  muß  der  vergilischen 
Schilderung  die  von  ihm  nachweislich  benutzte  (s.  z.  131  f.  260.  309 — 12. 
384 — 416)  'HpaKXeouc  KaxdßaiJic  gestanden  haben,  denn  in  dieser 
hieß  es  vom  lebenden  Herakles:  OTTrivka  be  eibov  aiiTÖv  ai  ipuxai,  (x^upic 
MeXedYpou  Kai  Mebouffric)  e9UT0V  (ApoUod.  H  5,  12).  Daß  Vergü  das 
Motiv  von  der  Flucht  der  griechischen  Feinde  nicht  selbst  hinzufügte, 
ergibt  sich  auch  daraus,  daß  es  den  engen  Anschluß  von  494  (Aeneas' 
Zusammenkunft  mit  seinem  Bruder  und  Freunde  Deiphobus^  an  488 
(Aeneas'  Zusammenkunft  mit  trojanischen  Freunden)  unterbricht.  Auf  dies 
Moment  scheint  die  antike  Exegese  aufmerksam  geworden  zu  sein,  denn 
Donatus  bemüht  sich  zu  zeigen,  daß  die  descriptio  Graecorum  non  in- 
aniter  posifa  est,  kannte  also  wohl  ein  darauf  gehendes  Z!r|Tri|Lia.  2)  Ferner 
mußte  eine  Zusammenkunft  des  Herakles  mit  den  vor  Theben  gefallenen 
Helden  in  der  'HpaKXeouc  Kardßadic  zweckvoller  sein  (vergl.  Eurip. 
Suppl.  1197 ff.)  als  bei  Vergil  (479 f.)  deren  Zusammenkunft  mit  Aeneas, 
für  den  sie  gar  keine  Bedeutung  haben:  ihre  Aufzählung  479 f.  ist  da- 
her auch  ein  bloßes  Ornament,  dem  man  deutlich  anmerkt,  daß  es  nicht 
für  diese  Stelle  erfunden  sein  kann.  3)  Die  Benutzung  einer  älteren,  er- 
lesenen Vorlage  gerade  bei  Nennimg  der  thebanischen  Helden  wird  end- 
lich durch  folgende  Indizien  bestätigt.  Vorangestellt  ist  Tydeus,  der  in 
der  Thebais  und  nach  dieser  auch  bei  Aeschylos  der  Hauptheld  ist 
(E.  Bethe,  Theban.  Heldenlieder  84).  Als  zweiter  wird  Parthenopaios 
genannt  mit  dem  Epitheton  inclutus  armis:  tatsächlich  galt  er  als  der 
tapferste  der  Sieben  (Bethe  1.  c.  86  f.).  Doch  diese  beiden  Momente  konnte 
Vergil  allenfalls  aus  Aeschylos  imd  Euripides  (Phoen.)  kennen;  aber  die 
Nennung  des  Adrastos  als  dritten  führt  auf  anderes.  Seine  Erwähnung 
befremdet  zunächst,  weil  in  diesem  Bezirk  des  Hades  sonst  nur  ßiaio- 
Gdvaroi  genannt  sind:  ein  solcher  war  aber  Adrast  nach  der  geläufigen 
Sage  nicht,  vielmehr  entkam  er  als  einziger  durch  seine  Flucht  dem 
Verderben.  Nun  aber  ist  von  Usener  1.  c.  (zu  106)  3  7  ff.  bewiesen,  daß 
nach  der  ältesten  Sagenversion  auch  Adrastos  den  Tod  fand,  was  in 
einem  thebanischen  Epos  erzählt  gewesen  sein  muß  (Bethe  1.  c.  65  f.),  und, 
wie  wii-  jetzt  werden  hinzufügen  dürfen,  aus  diesem  in  die  'HpanXeouc 
KaidßacTic  übernommen  wurde,  die  Vergil  hier  benutzt  hat.  So  erklärt 
es  sich  auch,  daß  ihn  Vergil  unter  den  hello  clari  (478)  nennt,  während 
er  für  diejenigen,   die  ihn  aus  der  Schlacht  fliehen  ließen,  vielmehr  der 


252  KOMMENTAR 

Typus  eines  Feiglings  war:  Isokrates  pan.  169,  Anth.  Pal.  VII  431. 
Wenn  Vergil  von  ihm  sagt  Ädrasti  pallentis  imago,  so  darf  das  also 
nicht  mit  ohnehin  sehr  künstlicher  Interpretation  auf  seine  Flucht  in 
Trauergewändern  bezogen  werden  (Ladewig);  pallens  wird  er  nur  deshalb 
genannt,  weil  er  im  Hades  ist,  und  daher  wird  auch  imago  hinzugefügt: 
et  Ädrasti  pallentis  imago  =  et  Ädrasti  pallens  imago,  'Abpr|(TTOU  t'  ei- 
öujXov  d|Liaupöv. 

477  ff.  datum  molitur  iter  ~  Aetna  112  molilMS  iter  (von  dem  sich 
Bahn  brechenden  Gashauch  des  Erdinnem).  Da  dies  Gedicht  sprachlich 
von  der  Aeneis  noch  nicht  beeinflußt  ist,  so  muß  die  Phrase  älterer  Poesie 
angehören  (ebenso  väe  Aetna  299  subremigat  unda  -^  aen.  X  227  suh- 
remigat  undis).  Das  bestätigt  sich  dadurch,  daß  möliri  hier,  wo  es  sich 
doch  um  keine  Anstrengung  handelt  (datum  iter),  in  ganz  verblaßter 
Bedeutung  steht;  genauer  X  477  von  der  Lanze:  viam  clipei  molita  per 
oras.  —  iamque  arva  tenebant  \  ultima  quae  hello  clari  secreta  frequentant. 
Die  Trennung  des  Attributs  durch  den  Versschluß  zeigt,  daß  es  zum 
folgenden  gezogen  werden  soll  (s.  Anhang  III  Bl);  Servius:  tenebant  arva 
quae  ultima  viri  fortes  frequentant.  —  tenebant  MR;  tenebat  P  in  An- 
gleichung  an  das  vorangehende  molitur  (umgekehrt  oben  362  habent  M 
statt  liabet  infolge  des  danebenstehenden  versant;  s.  z.  37).  —  479  in- 
clutiis  an  gleicher  Versstelle  Ennius  a.  147.  164;  unten  782  incluta  Roma 
wie  Ennius  494.  —  multum  fleti  iroXuKXauTOi  (Germanus).  —  481  bello 
cadud  wie  X  622  caduco  iuveni  von  dem  zu  einem  frühzeitigen  Tode 
bestimmten  Turnus,  wo  es  Servius  als  moriturus  erklärt.  Genauer  Donatus : 
fructus  quorum  pars  appellatur  caduca  quae  im,  usus  hominum  non  cadit. 
inde  translatum  est,  ut  caduci  dicantur  homines  qui  in  pueritia  aut  iuventa 
moriu^ntur  (vergl.  aen.  IV  620  cadat  ante  dicm),  also  aus  derselben  volks- 
tümlichen Begriffssphäre  wie  mors  acerba  (vergl.  o.  429).  Es  liegt  die 
Vorstellung  zugrunde,  daß  der  Tod  im  Kriege  ein  gewaltsamer  und  daher 
ein  vorzeitiger  ist  (s.  Einleitung  S.  12  f.). 

483  f.  ingemuit  mit  großem  Ethos  an  den  Versanfang  gestellt;  es 
bildet  bei  richtiger  Interpunktion  (Rezitation)  ein  kujXov  für  sich,  wie 
220  fit  gemitus.  —  Wie  Vergil  479  f.  drei  Thebaner  nannte,  so  hier 
zweimal  drei  Trojaner,  vergl.  II  261  ff.  dreimal  drei  Namen  (^per  ternos 
dixit  Servius).  —  Die  ersten  vier  Namen  (Glaucumque  Medontaque  Ther- 
silochumque  \  tres  Äntenoridas)  kontaminiert  (s.  z.  445)  aus  P  216  fXaO- 
KÖv  Te  Mebovrd  te  GepffiXoYOv  re  +  A  59  xpeic  'Avirivopibac.  Aber 
während  in  letzterem  Vers  deren  Namen  folgen,  tritt  hier  dafür  als 
fünfter  Name  ein:  Cererique  sacrum  Polyboten  (über  die  giiechische  Art 
der  Versschlüsse  ThersilocJiumque  und  Polyboten  s.  Anhang  IX).  So  ist 
der  Name  in  P^  geschrieben,  während  MP^R  Folyhoeten  haben,  worauf 
auch  die  Noniushss.  mit  Poleboeten  führen.  Die  La.  Polypheten  kommt 
als  Überlieferung  nicht  in  Betracht,  da  sie  nur  in  Humanistenhss.  über- 
liefert und  eine  Interpolation  aus  N  791  TToXu(pr|TriV  ist.  Heinsius  wollte 
nach  Y  836  Polypoeten  schreiben,  aber  Ribbeck  nimmt  wohl  mit  Recht  Poly- 
botes  auf.  Denn  TToXußoiTr|C  gibt  es  nicht,  aber  TToXußdjxric  ist  Name 
eines  Giganten,  in  den  Schol.  zu  Theokrit  10,  15  richtig  als  der  'rinder- 
reiche' gedeutet.  Daß  nun  Vergil  hier  nicht,  wie  sonst  oft  (vergl. 
Heeren  1.  c.  [z.  334]),  einen  beliebigen  griechischen  Namen  zu  einer  Namen- 


VERS  477—499.  253 

gebung  füi'  einen  Trojaner  verwertete,  zeigt  der  Zusatz  Cereri  sacrum: 
ein  trojanischer  Demeterpriester  mit  Namen  Polyhotes  muß  ihm  also 
irgendwo  überliefert  gewesen  sein,  etwa  aus  demselben  Dichter,  aus  dem 
er  wohl  d\irch  Vermittlung  eines  mythographischen  Handbuchs  den  troja- 
nischen Poseidonpriester  Laokoon  übernahm,  also  einem  Kykliker.  Das  ist 
um  so  wahrscheinlicher,  als  er  den  verwandten  Namen  Butes  V  372  in 
einem  Zusammenhang  hat,  der,  wie  Heyne  dort  bemerkt,  in  letzter  Instanz 
auf  ein  kyklisches  Epos  zurückgeht.  Für  ein  solches  würde  auch  passen, 
daß  ein  Priester  hier  unter  'Kriegshelden'  genannt  wird,  wie  Amphiaraos 
nach  der  kyklischen  Thebais  (aus  dieser  Pindar  0.  6,  17)  und  Mopsos 
nach  der  Quelle  Ovids  m.  XH  455  ff.  ihren  sakralen  Beruf  mit  dem  eines 
Kriegers  verbanden.  Derselben  nachhomerischen  Vorstellung  folgt  Vergil 
selbst  auch  X  537 ff.  XI  429.  768 ff.  XII  258. 

486  circumstant  animae  dextra  laevaque  frequentes  so  MR  mit  dem 
(zu  105  zitierten)  Cento  466;  frementes  P.  Letzteres,  häufig  bei  Vergil 
gerade  am  Versschluß  (s.  z.  175),  ist  hier  unpassend:  vergl.  493  hiantes; 
es  wird  von  Eibbeck  (Prol.  294)  und  Ettig  (Acheruntica  352,  5)  falsch 
verteidigt.  Dagegen  schließt  frequentes  die  Gedankenreihe  gut  mit  dem- 
jenigen Begriff  ab,  der  in  ihrem  Anfang  482  durch  longo  ordine  aus- 
gedrückt war.  —  488  conferre  gradum  wahrscheinlich  ennianisch:  s.  An- 
hang I  1.  —  491  ff.  ingenti  trepidare  metu,  pars  vertere  terga.  Die  t  malen, 
wie  493  clamor  frustratur  hiantes  die  a  (Henry  272):  s.  z.  237 f.  und 
Anhang  VH  A.  —  Die  Versschlüsse  491  pars  vertere  terga  und  492  pars 
tollere  vocem  mit  einem  in  solcher  Stärke  in  diesem  Buch  sonst  nicht 
vorkommenden  Parallelismus  (s.  Anhang  II  3),  der  die  Entlehnung  einer 
der  beiden  Phrasen  aus  dem  kriegerischen  Epos  des  Ennius  möglich  er- 
scheinen läßt.  —  493  exiguam  von  vocem  durch  Versschluß  getrennt, 
weil  es  durch  die  folgenden  Worte  inceptus  clamor  frustratur  hiantes 
näher  begründet  wird  (s.  Anhang  HI  B 1).  Gemeint  ist  natürlich  die 
(pujvfi  TexpiTuTa  V  101  uü  5ff.  (Heyne).  Auffallend  ähnlich  in  der  for- 
mellen Ausdrucksweise  ist  Lykophr.  Alex.  686  f.  otKOUCTei  KeTGi  (im  Hades) 
TrejLiqpibuüV  örra  |  Xeiririv  (=  vocem  \  exiguam),  djuaupac  judcTTaKOC  TrpocT- 
q)6eY|ua(Jiv  (vergl.  hiantes).  Nach  anderer  Quelle  hat  unten  619  einer 
der  Büßer  magnam  vocem. 

b)  Begegnung  mit  Deiphobus  494 — 547  (494 — 556  auf  einem 
Bild  der  Bilderhs.  fol.  XLIX'  vereinigt).  Auf  eine  Einleitung  (494 — 99) 
folgen  zwei  bidXoYOi  (getrennt  durch  535 — 38):  der  des  Aeneas  (500 — 
508)  mit  Deiphobus  (509—34),  sowie  der  der  Sibylle  (539—43)  mit 
Deiphobus  (544 — 46);  darauf  der  Schluß  (547).  —  Periodisierung: 
494 — 97  biKOuXov,  das  zweite  mit  vier  KomnaTa;  498 — 99  bkuuXov, 
das  erste  mit  zwei  k.;  500 — 502  bkuuXov  mit  je  zwei  k.;  503 — 506 
biKUjXov  mit  je  zwei  k.;  507 — 508  biKuuXov,  das  zweite  mit  zwei  k.; 
509  nihil — 514  TpiKiuXov  mit  je  zwei  k.;  515 — 19  biKOuXov  mit  zwei 
bez.  vier  k.;  520 — 22  biKUuXov;  523 — 27  TpiKUüXov  mit  je  zwei  k., 
528 — 30  biKiuXov  mit  drei  bez.  zwei  k.;  531 — 32  attulerint  biKUüXov; 
532  pelagi — 34  rpiKUuXov,  das  erste  und  dritte  mit  je  zwei  k.;  535 — 38 
biKUjXov  mit  je  zwei  k.;  539 — 43  TerpdKUuXov,  das  erste,  dritte  und 
vierte  mit  je  zwei  k.;  544  ne — 46  TpiKuuXov,  das  zweite  mit  drei,  das 
dritte  mit  zwei  k.;   547  zwei  KÖ)a|LiaTa. 


254  KOMMENTAR 

Daß  wir  über  die  von  Vergil  befolgte  Sagenversion  vom  Fall  Trojas 
(5 13  ff.)  mit  einiger  Bestimmtheit  urteilen  können,  wird  vor  allem  einer  von 
G.  Knaack,  Rh.  Mus.  XL VIII  (1893)  632 ff.  der  Vergessenheit  entrissenen 
Entdeckung  Schneide wins  (Göttinger  Nachrichten  1852,  9 9 f.)  verdankt. 
Während  die  Sage,  daß  Helena  den  Griechen  mit  einer  Fackel  das  Zeichen 
zum  Angriff  gegeben  habe,  nur  bei  Vergil,  sowie  dem  angeblich  von 
Vergil  abhängigen,  in  Wahrheit  mit  ihm  die  gleiche  Quelle  benutzenden 
Tryphiodor  51 2  f.  vorzuliegen  schien  und  noch  von  Fr.  Noack,  Rh.  Mus. 
1.  c.  430 f.  als  vergilische  Erfindung  ausgegeben  werden  konnte,  zeigte 
Schneidewin,  daß  sie  vielmehr  auch  in  dem  Helenaroman  des  Simon 
Magos  befolgt  wurde  (nach  Hippol.  ref.  haer.  p.  252  und  Epiphanios 
adv.  haer.  T.  II 1.  1  haer.  21c.  3).  Daraus  hatte  schon  Schneidewin  ge- 
folgert, daß  von  einer  Erfindung  Vergils  keine  Rede  sein  könne.  Es 
läßt  sich  noch  hinzufügen,  daß,  wie  es  scheint,  auch  Horaz  epod.  14,  13  f. 
non  joulchrior  ignis  j  accendit  obsessam  Ilion  diese  Fassung  im  Auge  hat: 
bemerkt  von  Kroll  1.  c.  (zu  llOf.)  163,  2.  Endlich  weist  mir  R.  Wünsch 
eine  Gemme  nach  (bei  Furtwängler  Taf.  XXXVIII  6)  mit  der  Darstellung 
des  hölzernen  Pferdes,  aus  dem  die  Helden  heraussteigen,  und  der  troja- 
nischen Mauern,  auf  deren  Zinnen  eine  Frau  steht,  die  mit  einer  Hand 
einen  Gegenstand,  also  wahrscheinlich  eben  die  Fackel,  emporhält  (etwas 
anders  Furtwängler  Bd.  II  S.  181).  Bei  der  Frage  nach  der  Quelle  dieser 
Sagenversion  müssen  wir  streng  scheiden  einerseits  das  alte  Gedicht,  das 
die  Version  zuerst  brachte,  und  anderseits  die  unmittelbare  Vorlage  Vergils 
und  der  übrigen  Zeugen.  Von  der  letzteren  läßt  sich  mit  Knaack  be- 
haupten, daß  sie  ein  mythographisches  Handbuch  war.  Wenn  aber 
Schneidewin  als  jenes  alte  Gedicht  die  kyilische  Iliupersis,  0.  Immisch,  Rh. 
Mus.  LH  (1897)  127ff.  die  des  Stesichoros  bezeichneten,  so  muß  das  eine 
wie  das  andere  aus  Mangel  an  genügenden  Momenten  als  ungewiß  gelten. 
Dagegen  läßt  sich  vielleicht  —  mit  aller  auf  diesem  Gebiet  nötigen 
Reserve  —  noch  ein  wichtiges  Motiv  jener  alten  Sagenversion  feststellen. 
Schon  Schneidewin  bemerkte,  daß  die  feste  Tradition,  wonach  Troja  bei 
hellem  Mondschein  gefallen  sei  (vergl.  darüber  auch  Fr.  Marx,  Ind.  lect. 
Rostock  1888/9  p.  13),  mit  dieser  Sagenversion  in  Verbindung  zu  stehen 
scheine,  da  Helena  ursprünglich  selbst  die  Selene  sei.  Da  nun  diese 
Identifikation  auch  sonst  als  gesichert  gelten  darf  (vergl.  z.  B.  Usener, 
Rh.  Mus.  XXIII  1868,  344 ff.),  so  ergibt  sich  m.  E.  als  notwendige  Kon- 
sequenz, daß  die  von  Helena  auf  der  Höhe  der  Burg  geschwungene 
Fackel  ein  Symbol  des  Mondes  war.  Dies  scheint  durch  folgende  zwei 
Indizien  bestätigt  zu  werden:  1.  Tryphiodor  512 ff.  sagt:  Helena  zeigte 
in  tiefer  Nacht  den  Gefährten  die  goldne  Fackel,  so  wie  Selene  im  Voll- 
glanz erstrahlend  den  Himmel  mit  ihrem  Antlitz  vergoldet.  Das  hat 
der  Spätling  kaum  erfunden,  sondern  einer  Vorlage  entlehnt,  in  der  die 
ursprüngliche  Vorstellung  analog  den  oben  S.  162  besprochenen  Fällen 
nur  mehr  als  Vergleich  figurierte  (vergl.  Hesych.  eXeviT  Xa|LiTrdc  und 
eXdvn  'Fackel'  bei  Athenaeus  XV  699D  701 A).  2.  Nach  Vergil  51 7 f. 
führte  Helena,  vorgeblich  als  Choregin,  die  Trojanerinnen  in  bacchan- 
tischem Taumel  im  Kreise,  in  der  Mitte  sie  selbst  die  Fackel  haltend 
{ßammam  tenebat  eöabouxei).  Ihre  List  beruhte  also  darauf,  daß  sie 
Orgien  zu  feiern  vorgab,  bei  denen  die  Fackel  nötig  war.     Nun  war  die 


VERS  494  ff.  255 

Fackel  das  ständige  Attribut  nächtlicher  Orgien,  speziell  des  Dionysos- 
Sabazios,  und  daß  diese  hier  gemeint  sind,  beweist  der  Ausdruck  517 
euhantes  orgia  (vergl.  Catull  64,  390 f.  saepe  vagus  Liber  Parnasi  vertice 
summo  1  Thyiadas  effusis  euhantis  crinibus  egit,  Properz  11  3,  18).  Dieser 
Gott  aber  wurde  nach  sicheren  Zeugnissen  mit  dem  phrygischen  Men 
identifiziert  (W.  Drexler  in  Koschers  Lex.  d.  Myth.  II  2755).  Die  Ent- 
wicklung scheint  also  die  gewesen  zu  sein,  daß  nach  ältestem  Mythus  die 
geraubte  Mondgöttin  selbst  ihren  Befreiem  leuchtete  und  daß  dann  die 
Göttin  zur  Heroine  herabsank  und  die  KoUe  einer  Priesterin  des  phrygischen 
Mondgottes  erhielt.  Als  solche  schwingt  sie,  um  ihre  Befreiung  zu  er- 
wirken, eine  Fackel  auf  der  Burgwarte:  vergl.  für  den  Begriff  der  summa 
arx  hymn.  Merc.  99  r\  öe  veov  (TKOiTifiv  TrpocTeßricTaTO  öTa  Ce\r|VTi 
u.  a.  bei  Röscher  in  den  Nachtr.  zu  seiner  'Selene',  Progr.  Würzen  1895, 
33.  Zur  Stütze  dieser  Kombination  kann  vielleicht  der  in  mancher 
Hinsicht  verwandte  lakonische  Mythus  (vergl.  Usener,  Sitzungsber.  d. 
Wien.  Akad.  CXXXVII  1897,  12)  dienen,  wonach  Theseus  die  Helena 
ev  lepuj  'ApTejuiboc  'OpGiac  xopeuouffav  entführte  (Plut.  Thes.  31):  denn 
auch  hier  finden  wir  sie  den  Reigen  führend  im  Kultus  einer  Gottheit, 
deren  Hypostase  sie  ist  (vergl.  S.  Wide,  1.  c.  [o.  S.  162]  174f.  und 
K.  Wernicke  in  Pauly-Wissowas  R.-E.  I  1357).  —  In  völligem  Gegensatz 
zu  der  besonderen  Rolle,  die  hier  der  Helena  angewiesen  ist,  steht  die 
mehr  der  vulgären  Fassung  entsprechende,  die  der  Verfasser  von  aen. 
n  567  ff.  sie  spielen  läßt:  die  Interpolation  steht  durch  das  Zeugnis  des 
Servius  und  der  alten  Hss.  sowie  durch  die  unvergilische  (ppdcTic  fest 
(s.  Leo,  Plaut.  Forsch.,  Berlin  1895,  39,  3),  wird  übrigens  auch  durch 
metrische  Kleinigkeiten  bestätigt  (Anhang  XI  2  B  3). 

Da  nun  also,  um  wieder  auf  festeren  Boden  zu  kommen,  Vergil  die 
Beteiligung  der  Helena  am  Verrat  sicher  nicht  erfunden  hat,  so  folgt 
das  Gleiche  für  seine  Erzählung  vom  Tode  des  Deiphobus  (5 20  ff.),  denn 
beides  ist  unlösbar  in  einander  verschlungen.  Die  uns  bekannten  Ver- 
sionen (seit  9  514  ff.)  haben  (abgesehen  von  dem  aus  Vergil  schöpfenden 
Dictys  V  12)  nicht  die  Züge  der  verg.  Erzählung;  besonders  eigenartig 
Eustath.  zu  M  94,  wie  es  scheint  nach  einer  in  die  hellenistische  Meta- 
morphosen-Literatur führenden  Version  (vergl.  z.  B.  Apollon.  Rh.  IH  851  ff.). 
Auch  Quintus  Smyrn.  XIII  354  ff.,  der  ihn  wenigstens  d|uq)'  '€\evTic 
XexeecJffi  getötet  werden  läßt  wie  Vergil  (vergl.  528  thcUamo),  kennt 
doch  weder  die  Beihilfe  der  Helena  (Vei-gil  523 ff.)  noch  die  Ver- 
stümmelung der  Leiche  (Vergil  494 ff.).  Aus  den  Fragmenten  von  Accius' 
Deipliohus  läßt  sich  nichts  gewinnen.  Aber  durch  folgende  Erwägung 
läßt  sich  wahrscheinlich  machen,  daß  Vergil,  wie  bei  seinen  anderen 
TpUJiKd,  auch  hier  das  stoffliche  Material  einer  mythologischen  (JuvaYUUYri 
entnahm.  Bei  genauem  Zusehen  stellt  sich  nämlich  heraus,  daß  er  in  dieser 
Partie  zwei  Versionen  über  den  Tod  des  Deiphobus  verbunden  hat.  Denn 
neben  die  Ermordung  und  Verstümmelung  des  völlig  waffenlosen  (523 f.) 
Deiphobus  durch  Menelaos  und  Odysseus  stellt  er  502  ff.  eine  ganz  ab- 
weichende: Deiphobus  fällt  im  Kampfe,  nachdem  er  ein  Blutbad  unter 
den  Griechen  angerichtet  hat  (vergl.  für  letztere  Version  die  ähnliche 
6  51 7  ff.  und  wieder  etwas  anders  Dares  28).  Freilich  hat  Vergil  dafür 
gesorgt,  daß  die  beiden,  unmittelbar  hintereinander  berichteten  Fassungen 


256  KOMMENTAR 

sich  nicht  ausschließen:  der  tapfere  Kampf  des  Deiphobus  ist  eine  bloße 
'fama\  die  Aeneas,  wie  sie  ihm  zugetragen  war,  referiert  (502),  die 
dann  aber  Deiphobus  selbst  durch  Darstellung  des  wahren  Tatbestandes 
widerlegt.  Das  ist  aber  nichts  anderes  als  eine  geschickte  Kombination 
einer  mythographischen  Dublette.  In  dem  Handbuch,  das  Vergil  für 
seine  Darstellungen  der  Iliupersis  benutzte,  fand  er  beide  Versionen 
in  der  bekannten  typischen  Art  nebeneinander,  beispielsweise  so:  bia- 
cpöpoüc  idTopeTiai  xd  irepi  Tf]v  Ar|iq)ößou  Te\euTr|V  oi  juev  Tdp  auxöv 
Tpaqpouai  ttoXXujv  dvaipeBevxuuv  TroXeiuiujv  ev  iiidxTl  TrecTeTv  Kai  xeXeu- 
xr|(Javxa  Kevoxaqpiou  xuxeiv  em  xf]  r\i6vi  'Poixeia*  oi  be  cpaffiv  auxöv 
TJ7TÖ  MeveXdou  Kai  'Obucrcreiuc  ev  xui  ^auxoO  öaXdinuj  'GXevnc  lUTixavaTc 
cpoveu9evxa  eixa  laaaxci^icyönvai.  Diese  Art  eines  Ausgleiches  von  Sagen- 
varianten hat  Vergil  öfters;  besonders  nahe  verwandt  ist  die  Kombination 
zweier  Versionen  über  den  Tod  des  Priamus  II  505—57  +  557 — 58  (vergl, 
Servius  zu  506:  de  morte  autem  Priami  varie  lectum  est.  alii  dicunt ..., 
alii  .  .  .;  et  hanc  opmionem  plane  Vergilius  sequitur,  licet  etiam  illam 
praelibet).  Nicht  immer  ist  die  Kombination  so  geschickt  wie  in  unserer 
Episode.  So  erfährt  Aeneas  III  163 ff.  auf  Kreta,  wohin  er  auf  Anchises' 
Rat  gefahren  war  (104  ff.),  daß  nicht  dieses,  sondern  Hesperien  das  ver- 
heißene Land  sei;  als  er  das  dem  Anchises  mitteilt,  sagt  dieser  1820"., 
er  habe  das  schon  vor  Zeiten  von  Kassandra  gehört,  aber  ihr  nicht 
geglaubt:  eine  recht  unwahrscheinliche  Vereinigung  zweier  Versionen, 
nach  deren  einer  Aeneas  gleich  bei  der  Abfahrt  über  das  Ziel  seiner 
Irrfahrten  aufgeklärt  war,  während  die  andere  ihn  dieses  erst  auf  Kreta 
erfahren  ließ.  Von  den  beiden  an  vorliegender  Stelle  verbundenen 
Varianten  macht  diejenige,  nach  der  an  dem  ermordeten  Deiphobus  der 
dKpuJXTipiaffjLiöc  vollzogen  worden  ist  —  denn  das  ist  ja  der  Sinn  von 
495  ff.  — ,  schon  durch  die  Roheit  der  Vorstellung  einen  altertüm- 
licheren Eindruck:  innerhalb  des  troischen  Sagenkreises  findet  sie  ihre 
nächste  Parallele  an  dem  dKpiJUxripiacr)Liöc,  den  Klytaemestra  an  Aga- 
memnon vollzog,  wie  das  von  Aeschyl.  Cho.  42 7 K.  und  Soph.  El.  445 
benutzte  Epos  berichtete. 

495  JDeiphobum  videt  lacerum  FPR;  Deiphobum  vidit  et  lacerum  M, 
aber  mit  durchgestrichenem  et;  vidit  im  Lemma  des  Servius  alle  Hss. 
bis  auf  eine,  die  videt  hat.  Mit  Kombination  beider  Überlieferungen 
Deiphohum  videt  et  Heinsius.  Aber  et  war  wohl  bloß  eine  auf  vulgärer 
Aussprache  beruhende  Variante  zur  Endung  von  vidit  (vergl.  823  vincit 
neben    vincet,    846   restitues   neben  restituis),    als   solche    zunächst  über- 

geschrieben:  vidit,  und  dann  in  den  Text  gelangt,  teils  das  Echte  ver- 
drängend (FPR),  teils  sich  neben  diesem  erhaltend  (M).  —  495ff.  Über 
den  Realismus  der  Vorstellung,  daß  das  eibuuXov  die  Spuren  der  Wunden 
bewahrt,  vergl.  oben  z.  446  und  aus  der  Hadesvision  im  Martyrium  der 
Perpetua  (s.  Einleit.  S.  9)  7  die  Worte:  opili  AeivoKpdxriv  eHepxö|Lievov 
CK  XÖ7T0U  (TKOxeivGO  . .  .  iaQ\]ra  e'xovxa  puirapdv,  ujxpöv  xfj  xpöcf,  Kai 
xö  xpaö|ua  £v  xf)  öi|;ei  auxoO  iiepiöv  e'xi  öirep  xeXeuxuJv  eixev  ouxoc 
be  6  AeivoKpdxric  . . .  eTTxaexfic  xe0vr|Kei  dcrGevricrac  Kai  xfjv  övyiv 
auxoö  Y^TTPCiivii  aaireic.  —  Die  dvabiirXujaic  in  495 f.  lacerum  crudeliter 
ora,  I  ora  manusque  ambas  dient  dem  eXeoc  (z.  164f.);  in  498  wird  das 
Ethos   gesteigert   durch   die   Alliteration  adeo  agnovit    (eine   Bestätigung 


VERS  494—505.  257 

für  diese  in  MP  überlieferte  Schreibung  gegen  agnovit  FR),  die  Kommata 
496 f.  populata  tcmpara  rajptis  auribus  und  truncas  nares  inhonesto  volnere 
sind  isokolisch  gebaut  (12  und  11  Silben).  —  lacer  ora  manusque  mit 
kühner  Ausdehnung  der  griechischen  Konstruktion  (s.  z.  243)  auf  lacer: 
TreTTTipujjuevoc  Tr\v  öqjiv  Kai  xac  x^ipcc.  Öfter  so  saucius  bei  Vergil, 
Tibull  und  Properz  (vergl.  Quintilian  IX  3,  17).  —  populäre  von  Körper- 
teilen kühn  und  wohl  neu  (wie  iropöeTv);  truncus,  zuerst  in  augusteischer 
Zeit  nachweisbar,  scheint  nach  der  Proportion  orbatus:  orbus  ==  truncatus: 
trtmcus  rekomponiert  zu  sein;  498  pavitare  auch  Terenz,  also  möglicher- 
weise älter  (s.  z.  462);  499  compellat  vocibus  ennianisch:  ann.  45  com- 
pellare  voce. 

500  Beiphobe  armipotens,  genus  alto  a  sanguine  Teucri:  \  quis  tarn 
crudeles  optavii  sumere  poenas,  \  cui  tantum  de  te  licuit.  Daß  dies  keine 
Fragen  sind,  bemerkt  Donatus:  principia  isla  non  tarn  interrogantis  smit 
sed  potius  admirantis  et  dolentis.  Ebenso  richtig  sagt  derselbe,  daß  quis 
tarn  crudeles  optavit  sumere  poenas  sich  auf  die  erste  Anrede  armipotens 
beziehe,  wie  cui  tantum  de  te  licuit  auf  die  zweite  genus  alto  a  sanguine 
Teucri.  —  Der  Gedanke:  „Deiphobus,  wer  hat  dich  so  grausam  behandeln 
dürfen"  ist  einer  berühmten  Partie  des  ^Alexander'  des  Ennius  nach- 
gebildet, wo  Cassandra  u.  a.  prophezeite  (fr.  VIII):  o  lux  Troiae,  germane 
Hector:  quid  ita  (Lücke)  cum  tuo  lacer ato  corpore,  miser,  aut  qui  te  sie 
tespectantibus  tractavere  nobis.  Diese  Worte  führt  Macrobius  s.  VI  2,  18 
an  als  Vorbild  für  aen.  11  281  ff.,  wo  Aeneas  zu  dem  ihm  im  Schlafe 
erschienenen  Hector  sagt:  „Hector,  du  Stolz  Trojas,  wie  grausam  bist 
du  behandelt  worden."  Dasselbe  Motiv  hat  Vergil  also  an  unserer  Stelle 
von  Hectors  Bruder  Deiphobus  verwendet.  Das  ist  um  so  sicherer,  als 
in  der  Antwort  des  Deiphobus  51 5  f.  ein  weiteres  Zitat  aus  derselben 
Partie  desselben  Dramas  folgt  (s.  u.).  Benutzung  einer  Situation  der 
lat.  Tragödie  konstatierten  wir  schon  oben  z.  405  und  werden  unten 
692 f.  ein  weiteres  Beispiel  kennen  lernen.  Wenn  wir  mit  vollständigerem 
Material  operierten,  würden  wir  auch  auf  diesem  Gebiete,  wie  für  Ennius' 
Annalen  (s.  Anhang  l),  vermutlich  zu  Resultaten  gelangen,  die  uns  selbst 
überraschen  würden  (vergl.  auch  Servius  zu  11  241.  IV  473.  XI  259).  — 
armipotens  auch  bei  Accius  und  Lucrez,  also  wohl  ennianisch  wie  belli- 
potens  ann.  188.  Auch  genus  alto  a  sanguine  (Teucri)  klingt  archaisch, 
wie  oben  125  säte  sanguine  divom:  vergl.  Enn.  ann.  117  o  sanguen  dis 
oriundum.  Die  Phrase  genus  alto  a  sa/nguine  (Teucri,  bezw.  divom)  hat 
er  noch  zweimal:  IV  230.  V  45,  an  letzterer  Stelle  der  Situation  wenig 
angemessen  (vergl.  Georgii,  Ant.  Aeneiskritik  246),  wodurch  die  Ent- 
lehnung aus  alter  Poesie  noch  um  so  wahrscheinlicher  wird  (über  genus 
s.  z.  792).  Ebenso  wird  optare,  der  Etymologie  entsprechend  ^sich  er- 
küren', archaisch  sein  (s.  o.  201  ff.).  Die  Spondeen  quis  tam  crudeles  optavit 
sumere  poenas  malen  die  Trauer  über  das  Furchtbare  wie  in  der  parallelen 
Episode  II  286  (quae  causa)  focdavit  voltus,  aut  cur  haec  volnera  cerno? 
—  In .  cui  tantum  de  te  licuit  ist  de  bedingt  durch  den  Begriff  des  sumere 
poenas  im  vorhergehenden  Vers  {supplicium  sumere  de  aliquo  seit  Terenz 
Andr.  623):  de  te  steht  also  dTtö  koivoO  erst  beim  zweiten  Glied  (vergl. 
Henry  333).  —  505f.  turne  egomet  tumulum  Rhoeteo  litore  inamem  \  consti- 
tui.     Donatus:  egpmet:  pro  me  suprema  complev%  non  aliis  facienda  com- 

Vbbqil  Buch  VI,  von  Notden.  '  17  ^  ^ 


258  KOMMENTAR 

misi.  Egomet  nur  noch  V  650  (an  gleicher  Versstelle),  memet  IV  606, 
vosmet  I  207.  Da  Formen  dieser  Art  in  den  Satiren  des  Horaz  noch 
häufig  sind,  aber,  wie  es  scheint,  nach  Vergil  aus  der  Poesie  verschwinden 
(vergl.  die  Sammlungen  Neues  IP  362  ff.),  so  müssen  sie  von  Vergil  zur 
archaisierenden  Färbung  seines  Stils  verwendet  worden  sein  (s.  den  ähn- 
lichen Schluß  oben  z.  57.  104).  —  Bhodeo  Utore  FP^R,  Rhoeteo  in  lüore 
MP^  mit  unbeliebter  Synaloephe  (Lachmann  zu  Lucr.  158 ff.).  Rhoeteo  ... 
subter  lüore  CatuU  65,  7.  —  Die  Sache  wird  nur  hier,  aber  ersichtlich 
nach  einer  erlesenen  Quelle,  erwähnt;  em  t^  ^lövi  'Ponexq.  war  auch 
das  |Livfi|Lia  ATavTOC  Strab.  595. 

506  ff.  Das  Ethos  der  Rede  ist  gegen  den  Schluß  hin  durch  alli- 
teriende  Verbindungen  gesteigert:  magna  manis  —  voce  vocavi  (Schema 
aabb),  wo  voce  vocavi  ennianisch  ist:  s.  z.  247;  auch  mit  Formen  von  magnus 
liebt  Ennius  zu  alliterieren:  a.  302.  425.  558  tr.  50.  288,  wie  Vergil 
selbst:  so  unten  583  manihus  magnam.  Ferner:  nomen  arma,  —  amice  nequivi 
(Schema  abba);  patria  ponere.  Dem  Ethos  dienen  ebenso  die  an  markante 
Versstellen  (s.  Anhang  IHA  2)  gesetzten  Homoioteleuta  constitui  —  vo- 
cavi —  nequivi.  —  magna  manis  tcr  voce  vocavi,  damit  die  Seele  des 
Erschlagenen,  die  das  Grab  umschwebt,  den  Ruf  höre  und  dem  abfahrenden 
Bruder  in  die  neue  Heimat  folge:  ein  Glaube,  für  den  von  den  Intpp. 
auf  X  64 f.  verwiesen  wird:  oiib'  apa  )iOi  TrpoTepuj  vfjec  kiov  äjicpie- 
Xiffaai,  I  irpiv  xiva  tüjv  beiXüuv  erdpiuv  rpk  ^KacTiov  dOffai  (mit  Schollen, 
vergl.  Rohde,  Psyche  11^  65 f.).  —  507  f.  nomen  et  arma  locum  servant. 
te  amice  nequivi  |  conspicere  et  patria  decedens  ponere  terra.  Wer  hier 
unten  den  arma  die  des  Deiphobus  versteht,  muß  den  Dichter  allerdings 
der  Konfusion  zeihen;  denn  es  würde  dann  heißen,  daß  Aeneas  zwar  die 
Waffen  des  Deiphobus  gefunden  und  geborgen  hätte,  nicht  aber  den 
Leichnam  des  Deiphobus  selbst.  Aber  die  Erklärung  des  Servius  arma: 
depicta  scilicet  ist  evident  richtig.  Finden  sich  doch  Waffen  häufig  auf 
Grabsteinen  von  Kriegern  dargestellt  (vergl.  Friederichs -Wolters,  Bau- 
steine no.  1812)  und  auf  attischen  Grablekythen  zum  Zeichen  des  Todes 
im  Kriege  gemalt  (vergl.  E.  Pottier,  Etüde  sur  les  lecythes  blancs  Attiques, 
Paris  1883,  33),  und  analog  ist  es,  wenn  das  eibiuXov  eines  Schiff- 
brüchigen A.  P.  Vn  279  von  den  auf  seinem  Kenotaphion  'gemalten' 
Schiffsgeräten  spricht.  Während  also  dem  Misenus,  der  ein  eigentliches 
juvfiiiia  erhielt,  sua  arma  ins  Grab  mitgegeben  worden  sind  (oben  233), 
erhält  Deiphobus  bloß  ein  Kevoidtpiov  (505  tumulwm  inanem),  dessen 
Aufschrift  und  Waffen  künden,  wer  er  sei  und  daß  er  den  Heldentod 
gefunden  habe  (503  f.  vasta  te  caede  Pelasgum  \  procubuisse  super  confusae 
stragis  acervovn).  Daß  Vergil  auch  hier,  wie  in  der  verwandten  Palinurus- 
episode  (s.  o.  S.  225 f.),  für  die  Stilisierung  des  ihm  überlieferten  mytho- 
logischen Materials  sich  an  hellenistische  Epigramme  anschloß,  zeigt  die 
pointierte  Gegenüberstellung  von  Namen  und  Körper  des  Toten  (nomen  — 
te):  vergl.  A.  P.  VH  271  (Kallimachos)  dvTi  b' CKCivou  |'oövo|ia  Kai 
xeveöv  afiiLia  rrapepxöiieGa  uud  ib.  500  (Asklepiades)  i\xl  \xhi  ...  KttKÖc 
eupoc  I  diXecrev,  Euittttou  b'  auiö  XeXeiTur'  övo|Lia.  Für  den  Stileindruck 
denke  man  sich  also  Vergils  Erzählung  in  ein  Epigramm  etwa  dieser 
Art  umgesetzt:  Ariiqpößoio  ßXeireic  Kevöv  ripiov,  u)  TrapobTia"  'Poireir) 
\x^  eiapoi  Gdipav  Itt"  iiiövi.     Autöc  ^^v  K€T|aai  )li€t'  'AxaioTc  oOc  ^vd- 


VERS  506—510.  259 

piHa*  )Livfi)aa  b'  dpicrteiTic  SirXa  xai  oi5vo|n'  opctc.  —  ^  amice  in  der 
Aeneis  singulär,  in  den  Bucolica  2,  65  o  Alexl  8,  108  qui  ämant  (vergl. 
J.  Schultz,  Beitr.  z.  lat.  Metrik,  Danzig  1872,  9).  Es  ist  also  möglicher- 
weise ein  Kriterium  der  relativ  frühen  Abfassungszeit  dieses  Abschnitts 
wie  die  umgekehrte  Erscheinung  IV  235  spe  inimica,  die  ebenfalls  in  der 
Aeneis  singulär  ist,  aber  in  den  Bucolica  zahlreiche  Analogieen  hat. 

509  ff.  Die  Eede  des  Deiphobus  mit  ihrem  Hauptstück,  der  aXuucTic 
Tpoiac,  ist  besonders  kunstvoll  disponiert:  Schilderung  der  Einnahme 
von  Städten  war  ein  tÖttoc  der  Rhetorik  (Theon  prog.  II  63  Sp.  Quintil. 
Vni  3,  67),  was  auch  für  aen.  11  zu  erwägen  ist.  l)  Prooemium 
509 — 10  Lob  der  pietas  des  Aeneas;  vergl.  Cic.  de  inv.  I  22  über  das 
Prooemium:  ah  auditorum  persona  benevolentia  captahitur,  si  ah  Ms  for- 
titer  sapienter  mansucte  gesta  proferentur.  2)  Propositio  511  — 12. 
3)  Narratio  513  —  29  ÄeoUdes.  a)  7TpobifiYri<Jic  513 — 22:  vergl. 
[Isokr.]  art.  fr.  8  TT)  biTiTncTei  XeKTeov  tö  te  7rpäY|ua  Kai  rd  irpö  toO 
TTpotYMaTOC.  Sie  ist  eingekleidet  in  die  Form  der  praeteritio:  namque  ut 
supremam  ..  noctem  egerimus,  nosti,  was  in  Prosa  gelautet  hätte:  nam  quid 
ego  dkam  de  rebus  node  suprema  gestis:  notae  sunt  tibi  (vergl.  Cic.  de 
amic.  11  quid  dicam  de  moribus:  nota  sunt  vobis).  b)  birifnö'ic  ^23 — 29 
ÄeoUdes,  der  Vorschrift  gemäß  kurz  (vergl.  528  quid  moror).  Die 
narratio  enthält  sämtliche  Umstände  (TrepiCTTdcTeic),  die  die  Rhetorik 
seit  Hermagoras  für  das  Zustandekommen  eines  bestimmten  Ereignisses 
als  nötig  erachtete  (vergl.  R.  Volkmann,  Rhetorik^  36 f.):  Zeit  und  Ort 
(515—22),  Art  und  Weise  (523—25),  Grund  (526—27),  Werkzeuge 
(die  Personen  528.  29).  Das  Ethos  wird  durch  zweimalige  Anwendung 
des  TpÖTTOC  elpuuveiac  (523.  26)  gehoben.  4)  Schluß  529  di — 30  in 
Form  einer  exclamatio  ((TxtTXiacyiuoc),  um  durch  Erzählung  der  grausigen 
Verstümmlung  das  TTpeirov  nicht  zu  verletzen  (s.  z.  361).  —  Von  der 
Alliteration  wird  dem  Pathos  der  Stelle  entsprechend  besonders  starker 
Gebrauch  gemacht:  512.  13f.  15.  15f.  17.  20.  21.  26.  30.  32.  33.  34. 
Dem  gleichen  Zweck  dienen  die  an  markierte  Versstellen  (s.  Anhang  IIIA  2) 
gesetzten  Homoioteleuta  518  f.  ducebat  —  tenebat  —  vocabat  sowie  das 
Isokolon  420  confcdum  curis  =  somno  gravatum  (je  5  Silben). 

509  ad  quae  Priamides  ||  nihil  o  |  tib(i)  \  amice  \  relidum  mit  un- 
gewöhnlicher Struktur  der  zweiten  Hälfte:  so  nach  Cavallin  1.  c.  (z.  140) 
25  nur  noch  X  904  corpus  liumo  \  patiare  \\  tegi  \  sei(o)  acerba  \  meorum. 
—  FrJamides  mit  erster  Länge  wie  im  griech.  Epos,  vergl.  Hosius  1.  c. 
(z.  4)  98.  —  5 10 f.  DeipJiobo.  Über  das  Pathos  des  Redenden,  seinen 
Namen  Statt  des  Pronomens  zu  gebrauchen  {emphasis,  adfectus  schol.  zu 
buc.  7,40.  aen.  n  479)  vergl.  J.  Kvicala  1.  c.  (z.  45)  17ff.:  er  zählt 
aus  Vergil  34,  aus  Homer  nur  18  Beispiele.  Schon  dies  Quantitäts- 
verhältnis ist  charakteristisch  für  den  rhetorisierenden  Dichter.  Femer 
scheinen  bei  Hom.  die  Personen  nur  im  Selbstgefühl  von  sich  so  zu  reden 
(z.  B.  A  240  X  235),  während  Vergil  neben  diesem  Motiv  (besonders  oft 
spricht  Turnus  so  von  sich,  vergl.  XH  11.  74.  97.  645)  das  Stümittel 
auch  an  sentimentalen  Stellen  hat:  so  hier,  II  778.  784.  IH  487.  IV  308. 
An  solchen  Stellen  wird  es  oft  in  der  Tragödie  verwendet  (z.  B.  Soph.  0. 
C.  109  oiKTipai'  dvbpöc  Oibiirou  xöb'  dGXiov  j  eibujXov)  und  im  Threnos: 
so  im  theokritischen  Daphnis  5 mal  1,  103.  106.  120 f.  135.    Daneben  im 

17* 


260  KOMMENTAR 

naiven  Stil,  z.B.  Theokr.  5,  9.  15.  19,  dies  von  Vergil  nachgeahmt  b.  2,  65. 
9,  16.  53.  54.  Verwandt  sind  die  Fälle,  wo  der  Redende  zwar  nicht 
seinen  Eigennamen,  aber  seinen  Verwandtschaftsgrad  nennt,  z.  B.  unten  687 
(parenti)  IV  31  (sorori)  JX  484  (miserae  matri)  XII  872  (germana).  Den 
10  Beispielen,  die  Kvicala  dafür  aus  Vergil  anführt,  stellt  er  nur  ein 
homerisches  gegenüber  (X  499  \xr\vepa,  durch  den  Gegensatz  zu  Trarrip  und 
das  dabeistehende  iraTc  motiviert).  —  511  Lacaena  sagte  dem  antiken 
Leser  in  diesem  Zusammenhang  fast  so  viel  wie  'Metze':  Eur.  Andr.  486. 
595 ff.  Horaz  II  11,  21  ff.  Properz  IH  14.  Ovid  h.  5,  99.  Mit  Namen  nennt 
Deiphobus  die  Helena  überhaupt  nicht  (517  illa  518  ipsa  523  egregia 
coniunx),  wie  Donatus  gut  bemerkt.  —  Ähnlich  wie  hier  Lacaena  von  Helena 
steht  529  Äeolides  'der  Verschmitzte'  von  Odysseus  (Gerda).  —  512 
mersere  malis  auch  Liv.  III  16,  4,  daher  möglicherweise  ennianisch  (s. 
Stacey  1.  c.  [z.  99]  44).  —  5 14  ff.  nosti  etc.  Wenn  Aeneas  es  weiß,  wanun 
wird  es  ihm  dann  noch  erzählt?  Hier  spricht  der  Dichter  zum  Leser, 
wie  mit  ähnlicher,  ebenfalls  verzeihlicher  Störung  der  Illusion  HI  692  ff. 
Aeneas  in  der  Erzählung  seiner  Irrfahrten  hinter  dem  referierenden  Dichter 
(vergl.  694.  704)  zurücktritt;  vergl.  z.  321. 

51 5  ff.  cmn  fatalis  equus  saltu  super  ardua  venu  \  Pergama  et  ar- 
matum  peditem  gravis  attulit  alvo.  Die  bedeutende  qpavTaaia  aus  Ennius' 
Alexander  fr.  IX  (für  Vergils  |ai|UTi(yic  angeführt  von  Macrob.  VI  2,  25) 
nam  maximo  \  saltü  superabit  gravidus  armatis  equus,  |  qui  cum  suo  partu 
ardua  perdat  Pergama.  Benutzung  derselben  Tragödie  oben  500  f.  — 
peditem  in  künstlicher  Antithese  zum  Roß  (Gerda;  s.  z.  321).  —  euans 
ist,  wie  es  scheint,  von  GatuU  geprägt  (nach  eudZiuJv);  Vergil  wagt  es 
als  erster  und  einziger  mit  dem  griech.  Accusativ  (orgia)  zu  konstruieren, 
vergl.  Brenous,  Hellenismes  216.  —  circum  \  ducebat:  über  die  Tmesis 
von  circum  s.  Anhang  HIB  3.  —  flammam  media  ipsa  tenebat  wie  VH  39 7 f. 
ipsa  (Amata  als  Bacchantin)  inter  medias  flagrantem  fervida  pinum  \ 
sustinet  nach  Eur.  Bacch.  685 f  jur|Trip  ibXöXuHev  ev  |ie<Jaic  öraQeiaa 
BdKxaic.  —  ingentem  emphatisch  von  seinem  Substantiv  durch  Vers- 
schluß getrennt:  s.  Anhang  HIB  1.  —  Über  die  Wortstellung  ducebat  — 
tenebat  —  vocabat  s.  ebenda  DIA  2. 

520  ff.  tu/nc  me  confectum  curis  sommoque  gravatum  |  mfelix  habuit 
fhalamus  pressitque  iacentem  \  dulcis  et  alta  quies  placidaeque  simillima 
morti.  Schon  im  Altertum  machte  confectum  curis  Schwierigkeiten,  weil 
Deiphobus  513 f.  gesagt  hatte,  daß  er  wie  die  anderen  die  Nacht  inter 
gaudia  verbracht  habe.  Vergl.  Servius:  atqui  vacaverat  gaudiis,  sed  .  .  . 
curae  ferebantur  suo  impetu  ex  pristino  bdlorum  tumultu.  Diese  Aus- 
flucht schien  Joh.  Schrader  (Emendationes,  Leeuwarden  1776),  einem 
Manne,  dessen  Urteil  stets  beachtenswert  ist,  mit  Recht  unbefriedigend, 
und  er  vermutete  auf  Grund  von  Statins  s.  HI  1,  41  confectus  thiasis 
hier  confectum  choreis,  was  Ribbeck  aufnahm.  Aber  confectum  curis, 
anzutasten  ist  bedenklich,  1.  weil  es  eine  feste  Verbindung  ist  (z.  B.  Gic. 
ep.  fam.  IV  13,  2),  2.  weil  schon  lustinus  (Trogus?)  XI  13,  1  so  las: 
confectum,  curis  Alexandrum  somnus  arripuit  (zitiert  von  Deuticke)  und 
auch  wohl,  mit  geringer  Variation,  carm.  epigr.  1829,  6  adfectus  curis, 
wo  eine  vergilische  Floskel  dieses  Buchs  vorausgeht,  3.  weil  doch  wohl 
^i,p,j|Qrm,^le  ;^^aG^alppuyg  jy^pp  V  62f.  y;c}yJ|eg1j{,,.^uTe  xöv  üttvoc  liaopTTie., 


VERS  511—521.  261 

Xuiuv  |Lie\ebr|)LiaTa  9u)noö,  |  vr|bu|Lioc  d)iqpixu9eic.  Nun  ist  ja  der 
Widerspruch  zwischen  den  gaudia  und  den  curae  handgreiflich,  aber  das 
Abgleiten  des  Gedankens  beruht  auf  Absicht.  In  dem  Bestreben  nämlich, 
die  Würde  des  redenden  Deiphobus  nicht  zu  verletzen,  läßt  der  Dichter 
ihn  nicht  sagen,  was  der  Wahrheit  entsprochen  hätte,  der  Schlaf  habe 
ihn  überwältigt  confectum  vino  (so  Quintus  XIII  354 flF.  xai  töte  br\ 
MeveXaoc  vnö  Siqpei  (TrovoevTi  |  Arjicpoßov  KaieiTeqjve  Kaprißapeovra 
KixncTac  I  diacp'  'GXe'vric  XexeecrcTi,  vergl.  aen.  11  265  invadunt  urbem 
vino  somnoque  septdtam),  sondern  mit  einem  vj;eOboc:  confectum  curis. 
Ein  Fundamentalsatz  der  Rhetorik  und  Poetik  seit  Aristoteles  war,  das 
dHiiJU|Lia  ToO  uiroKeiinevou  TrpocTuuTrou  zu  wahren  selbst  auf  Kosten  der 
objektiven  Wahrheit;  das  n^eubfi  Xexeiv  ibc  bei  war  also  erlaubt:  Aristot. 
poet.  24.  Wie  fest  diese  Auffassung  wurzelte,  zeigt  noch  deutlicher  als 
der  gegen  Euripides  ausgesprochene  Tadel  wegen  gelegentlicher  Über- 
tretung des  Gesetzes  (Didymos  schol.  Eur.  Andr.  365)  ein  wegen  seiner 
ostentativen  Befolgung  gespendetes  Lob:  der  Homeriker  und  Rhetor 
Aristodemos  von  Nysa  machte  nämlich  nach  Didymos  zu  I  453  sogar 
eine  gewaltsame  Konjektur,  damit  der  Redende  nur  nicht  etwas  seiner 
Unwürdiges  sage,  und  fand  damit  Beifall:  eTi)Lir|6ri  die  euffeßfi  Tr|pr|- 
(Tac  TÖv  npiua  .  .  .  Kai  6upmibric  be  dvaiudpTTiTOV  eiadfei  töv 
fipiua.  So  hat  denn  auch  der  noch  in  dieser  Tradition  fußende  rhe- 
torische Kommentator  Donatus  richtig  beobachtet,  daß  Vergil  in  dieser 
Episode  überhaupt  bemüht  ist,  den  Deiphobus,  damit  die  folgende  Über- 
rumplung im  Schlaf  (523  ff.)  so  anständig  wie  möglich  motiviert  sei, 
nur  sagen  zu  lassen  quae  criminosa  non  fuerunt  viro  forti.  Wie  sorg- 
fältig Vergil  überhaupt  in  der  Befolgung  dieses  rhetorischen  Gesetzes 
war,  dafür  gibt  die  antike  Exegese  auch  sonst  oft  Zeugnis,  meist  mit 
den  Worten:  servavit  t6  TrpeTTOV,  vergl.  die  Schollen  zu  I  92.  in  9. 
IV  23.  Vm  127.  IX  775.  XI  166.  351.  415  (servavit  viri  forfis  per- 
sonam).  511.  XII  3  (duds  dignüatem  servavit).  443.  Charakteristisch  ist, 
daß  grade  auch  in  der  'IXiou  dXuJCTic  der  Dichter  sich  bemüht  zeigt,  das 
npeiTOV  der  Besiegten,  wie  hier  des  Deiphobus,  so  gut  wie  möglich  zu 
wahren,  vergl.  die  Scholien  zu  II  415.  451.  617.  —  Formell  erinnert 
der  Versschluß  curis  somnoque  gravatum  an  Livius  I  7,  5  ihi  cum  cum 
cibo  vinoque  gravatum  sopor  oppressisset.  Da  diese  Worte  die  von 
Livius  in  poetischem  Stil  erzählte  Cacus-Episode  einleiten,  so  kann  die 
Floskel  von  ihm  aus  Ennius  übernommen  sein  (vergl.  auch  Liv.  XXV 
24,  6  gravatis  ommihus  vino  somnoque). 

521  f.  (pressitque  iacentem)  |  dulcis  et  alta  quies  placidaeque  simülima 
morti.  Der  Vers  malt  die  Weichheit  des  Schlafes:  die  Worte  sind  reich 
an  Vokalen  und  l  (s.  z.  120.  468  und  die  im  Gedanken  verwandten 
melodischen  Verse  I  691  ff.),  und  der  Rhythmus  ist  rein  daktylisch  in 
malerischem  Gegensatz  zu  den  schweren  Spondeen  520  twtc  me  con- 
fectum curis.  Der  Vers  hat  ferner  dreimaligen  trochäischen  Einschnitt, 
so  in  diesem  Buche  nur  noch  284  in  dem  Vers  von  den  Träumen:  s. 
Anhang  VIIB  2b.  Durch  Hinzufügung  dieser  malerischen  Mittel  sucht 
Vergil  mit  dem  homerischen  Vorbild  v  80  (uTTVOc)  vrjTpCTOC  fibKTTOC, 
öavdTUJ  dfKKTTa  eoiKOUC  zu  rivalisieren.  Vergl,  Anhang  UTA  und  B  1.  2. 
Mit    den    Worten  pressit    alta    quies   vergleicht    Stacey    1.  c.  (z.  99)  49 


262  KOMMENTAR 

Livius  VII  35,  11  quod  tempus  mortales  cdtissimo  somno  premit  und  folgert 
daraus  richtig  Benutzung  ennianischer  Phraseologie  bei  beiden.  —  523 ff. 
arma  omnia  tedis  \  emovet  et  fidum  capiti  subtraxerat  ensem:  intra  tecta 
vocat  Menelaum.  Die  von  Eibbeck  eingeführte  Parenthese  der  Worte 
et  .  .  .  ensem  entspricht  nicht  der  Absicht  des  Dichters:  das  Plusquam- 
perfectum  gibt  vielmehr  den  Zeitpunkt  der  Handlung  an,  nach  deren 
Abschluß  das  folgende  Ereignis  unmittelbar  (daher  die  asyndetische  An- 
knüpfung) eintritt.  In  Prosa  würde  es  mit  Hypotaxe  statt  der  poetischeren 
Parataxe  (s.  Anhang  II  2)  lauten:  vix  ensem  capiti  subtraxerat,  cum  vo- 
cabat]  vergl.  IX  799 f.  X  215ff.  XI  609,  J.  Ley,  Progr.  Saarbrücken  1877, 
20,  Ehwald  zu  Ovid  m.  VIH  83.  —  amovct  MF^P^,  emovd  F^E,  etmovet 
P^.  Für  emovet  spricht  1)  daß  amovere  bei  Vergil  sonst  nie,  emovere  noch 
dreimal  vorkommt,  2)  die  Alliteration  der  den  Vers  einrahmenden  Worte 
emovet — ensem,  3)  die  Analogie  bei  Plaut.  Pseud.  144,  wo  emovere  durch 
dieselbe  Interpolation  aus  den  Hss.  der  einen  Eezension  verdrängt  ist:  ex 
pedore  ocuUsque  exmovdis  A,  amovetis  P,  letzteres  trotz  des  Wechsels 
der  Präposition  zwar  möglich  —  vergl.  Vahlen,  Sitzungsber.  d.  Berl. 
Akad.  1901,  16,  1  — ,  aber  ersteres  empfohlen  durch  Truc.  78  ex  pedore 
exmovit  meo.  —  fidum  capiti  subduxerat  ensem.  Der  fidus  ensis  ist  wohl 
ennianisch.  Denn  VII  640  schließen  die  Worte  fidoque  accingitur  ense  eine 
durch  Ennius  beeinflußte  Schilderung  ab  und  IX  707  steht  lorica  \  fidelis 
in  einem  Vers  mit  nicht  ganz  gewöhnlicher  Caesur;  auch  geht  dort  ein 
Vers  (705)  mit  gleicher  Caesur  vorher,  in  dem  die  Worte  contorta  ||  fa- 
larica  nachweislich  aus  Ennius  (a.  534)  stammen.  —  caput  poetisch  für 
cervical,  pulvinus.  So  nach  Vergil  Tacitus  h.  II 49 pugionem  capiti  subdidit, 
während  Sueton  Otho  11  das  Wort  der  ihm  und  Tacitus  gemeinsamen 
Quelle  pulvinus  beibehält.  Vergl.  TTpO(TK€cpdXaiov  Theophrast  char.  25,  4. 
—  intra  tecta:  über  das  spondeische  Wort  im  1.  Fuß  (hier  durch  Proküsis 
verbunden)  s.  Anhang  Vm.  —  527  famam  veterem  malorum.  Helena  war 
der  Typus  der  Frau  von  bösem  Euf:  Gorgias  Hei.  2  f)  toO  övö)LiaTOC 
tp^lMH  (fawia)  tuuv  au|Liq)opujv  (vergl.  malorum)  |iivri|uri  Y^TOve.  —  528 
inrumpunt,  .  . .  comes  additur  lebhaftes  Asyndeton,  das  durch  additus 
(PE)  verflüchtigt  würde.  —  529  hortator  scelerum  von  Odysseus  auch 
Ovid  m.  XIII  45:  möglicherweise  (s.  u,  zu  767)  nach  gemeinsamem  Vor- 
bild (Accius,  den  Ovid  im  Armorum  iudicium  bis  zu  wörtlichen  Be- 
rührungeu  benutzte?);  hortator  haben  Ennius  und  Plautus  als  Übersetzung 
von  KeXeucrxric.  —  529 f.  di  talia  Grais  |  insfaurate,  pio  si  poenas  ore 
reposco.  Der  Fluch  (mit  der  typischen  Eeserve)  in  feierlichen,  durch 
Alliteration  gebundenen  Worten;  reposco  am  Versschluß  Lucrez  VI  920; 
das  sakrale  Wort  ist  vermutlich  ennianisch. 

5310".  Die  nun  folgende  Frage  des  Deiphobus  nach  dem  Zweck 
der  KaraßacTic  des  Aeneas  war  ein  Motiv,  das  dem  Leser  aus  der 
Begegnung  des  Odysseus  mit  seiner  Mutter  und  mit  Achilleus  (\  155 ff. 
475 ff.)  geläufig  und  schon  vor  Vergil  von  einem  unbekannten  Tragiker 
benutzt  war  (ine.  249  f.  quaendm  te  adigünt,  liospes,  \  stagnd  capacis  viscre 
Averni).  Während  aber  Odysseus  diese  Frage  beantwortet  (163 ff.  478 ff.), 
läßt  Vergil  die  Antwort  durch  das  Eingreifen  der  Sibylle  abgeschnitten 
werden  (538 ff.):  doch  wohl  deshalb,  um  nicht  genötigt  zu  sein,  den 
Aeneas  etwas  dem  Leser  Bekanntes  antworten  zu  lassen  (eine  verwandte 


VERS  522—535.  263 

Praxis  Homers  erörtert  C.  Rothe,  Progr.  Berlin  1894,  26  f.).  Die  Absicht, 
eine  Antwort  des  Aeneas  bei  endgültiger  Eedaktion  einzudichten  (Deuticke), 
hat  also  kaum  bestanden:  auch  würde  eine  solche  den  Parallelismus  der 
Palinurus-  und  Deiphobus-Episode  (je  eine  Frage  des  Aeneas,  Antwort 
des  Palinurus  bezw.  Deiphobus,  Schlußbemerkung  der  Sibylle)  durch- 
brochen haben.  Nun  wäre  es  geschickter  gewesen,  eine  Frage,  die  nicht 
beantwortet  werden  sollte,  überhaupt  nicht  stellen  zu  lassen.  Aber  der 
Dichter  wollte  die  Rede  des  Deiphobus  statt  mit  dem  Fluch  (52 9 f.)  lieber 
mit  der  gemütvollen  Frage  schließen  und  durfte  glauben,  durch  die 
Worte  hoc  vice  sermonum  (535)  in  dem  Leser  die  Illusion  erweckt  zu 
haben,  daß  der  Gefragte  auch  antwortete.  Immerhin  ist  Dantes  Nach- 
ahmung Inf,  XVISlflF.  logisch  straffer. 

531  vidssim  in  hexametrischer  Poesie  nur  am  Versende:  Ph.  Thiel- 
mann, Archiv  für  Lex.  VII  1892,  371.  —  532 f.  pelagine  vetiis  erroribus 
actus  I  an  monitu  divom,  an  quac  te  Fortuna  fatigat,  \  ut  etc.  Madvig 
wollte  das  zweite  an  tilgen.  Aber  statt  fortzufahren  an  te  FoHuna  fatigat 
kombiniert  Vergil  diese  Frage  nach  der  im  Griechischen  geläufigen  Art 
mit  einer  zweiten  quae  te  Fortuna  fatigat  zu  an  quae  te  Fortuna  fatigat: 
TTÖrepov  fiXGec  Karct  GdXaaaav  irXaviJuiLievoc  f|  Geuiv  icpern^  fj  Tic  aoi 
bai|auJV  eviCTTriCTiv,  (jlkTtc  ktX.  —  Da  Ennius  fortuna  sechsmal  an  dieser 
Versstelle  hat  und  aen.  VIII  94  ein  Vers,  der  zwei  ennianische  Worte 
bezw.  Wortverbindungen  hat,  mit  fatigant  schließt  (olli  remigio  noctemque 
diemque  fatigant),  so  ist  die  alliterierende  Verbindung  fortv/na  fatigat  wohl 
ennianisch.  —  534  tristes  sine  sole  domos,  loca  turbida.  Durch  sine  sole 
ersetzen  die  lat.  Dichter  das  ihnen  fehlende  Kompositum:  vom  Hades  dvdXioc 
Xe'pffoc  Aesch,  Sept.  838  f.  K.,  dvr|Xioi  Muxoi  Eur.  Herc.  606,  dvdXioc 
oTkoc  id.  Ale.  451  (Germanus).  —  Für  turhida  vermutete  A.  Nauck 
lurida,  aber  schon  Heyne  hatte  auf  das  Chaos  265  verwiesen.  Doch 
läßt  es  die  immerhin  ungewöhnliche  Bezeichnung  der  Unterwelt  als  loca 
turhida  möglich  erscheinen,  daß  dieser  Ausdruck  nicht  hierfür  geprägt, 
sondern  von  Vergil  aus  einem  älteren  Dichter  entlehnt  worden  ist;  eine 
Bestätigung  hierfür  könnte  man  in  der  füi'  Vergils  Praxis  nicht  ge- 
wöhnlichen Synaloephe  mit  -ä  an  dieser  Versstelle  finden:  s.  Anhang  XI  1. 
—  535  f.  roseis  Aurora  quadrigis  \  iam  medium  aetherio  cursu  traiecerat 
axem.  Es  ist  also  seit  255  (primi  sub  limina  solis  et  ortus)  Nachmittag 
geworden.  Die  künstliche  Bezeichnung  der  Tageszeit  in  der  soeben  (534) 
sonnenlos  genannten  Unterwelt  befremdet  uns,  aber  es  galt  nach  dem 
Brauch  Homers  und  der  Tragiker  als  Gesetz,  daß  eine  solche  Bezeichnung 
ornatus  fordere  (Quintil.  Vm  6,  60).  Da  schon  Horaz  (wie  später  Seneca 
apoc.  2)  in  den  Satiren  (I  5,  9 f.  II  6,  100 f.)  diese  Manier  parodiert,  so 
haben  wir  zu  folgern,  daß  bereits  vor  Vergil  Ennius  derartige  Tiepi- 
(ppdcTeic  aus  Homer  ins  lateinische  Epos  eingeführt  hat.  Auch  formell 
erinnern  die  Worte  Vergils  Aurora  .  .  .  medium  traiecerat  axem  an  die 
Parodie  des  Horaz  an  der  zweiten  Stelle:  iamque  tenebat  \  Nox  medium, 
cadi  spatium:  zugrunde  liegen  homerische  Phrasen  wie  0  68  'HeXioc  ... 
lieaov  oupavöv  d)Li(pißeßr|Kei.  Für  Vergil  waren  Trepiq)pdcreic  dieser  Art 
sachlich  bereits  so  entwertet,  daß  er  sie  wie  Floskeln  auch  da  gebraucht, 
wo  sie  überflüssig  oder  sogar  fehlerhaft  sind:  FV  584 f.  sachlich  neben 
586    (überflüssig    von   Peerlkamp    athetiert),    X215f.    neben    147.    161 


264  KOMMENTAR 

störend  (von  demselben  geändert),  IX  459  f.  (sclion  von  der  antiken 
Exegese  beanstandet).  Noch  Dante  bedient  sich  sehr  häufig  solcher 
kapriziösen  Bezeichnung  der  Tages-  und  Nachtzeiten  in  einer  für  modernes 
Empfinden  durchaus  anstößigen  Ausführlichkeit.  —  Daß  Aurora  hier  (wie 
an  der  späten  Stelle  ij;  243  ff.  und  dann  oft)  das  Viergespann  lenke, 
notierte  schon  Aelius  Donatus  (nach  Servius).  —  5370".  et  fors  omne 
datum  tralierent  per  talia  tempus,  \  sed  comes  admonuit  breviterque  adfata 
Sibylla  est.  Verwandt  tt  220.  cp  226  Kai  vu  k'  6bupo)uevoi(Jiv  ebu  qpdoc 
iieXioio  (Gennanus).  Daß  die  KaiaßacTic  bis  zu  einer  bestimmten  Zeit 
beendigt  sein  muß,  wird  nur  hier  (datum  tempus)  und  gleich  539  (du- 
cimus  horas)  nebenbei  angedeutet.  Das  Motiv  übernahm  Vergil  als  über- 
liefert, s.  z.  893 ff.  —  Statt  der  schleppenden  Hypotaxe  wird  der  Nach- 
satz verselbständigt,  wodurch  zugleich  die  metrisch  schwierigen  Konjunktiv- 
formen umgangen  werden  (s.  z.  153  f.  292  f.).   —  fors  dpxaiUJC. 

539  nox  ruit,  d.  h.  sie  stürmt  aus  dem  Ozean  auf  Erde  und  Himmel: 
vergl.  n  2  50  f.  ruit  Oceano  nox  \  involvens  umbra  magna  terramque  po- 
lumquc,  umgekehrt  H  8  nox  caelo  praecipitat,  d.  h.  auf  ihrer  Höhe  an- 
gelangt stürzt  sie  sich  vom  Himmel  in  den  Ozean  (der  Morgen  naht): 
vergl.  dtcTCJeiv.  Die  zugrunde  liegende  Vorstellung  ist  die  eines  un- 
geheuren Nachtvogels,  vergl.  VIII  369  nox  ruit  et  fusds  tellurem  am- 
plectitur  alis,  Aristoph.  Vög.  695  xiKiei  ttpuOtkTtov  iJTTTive)uiov  NuH  f] 
jueXavÖTTiepoc  üjöv  und  oben  z.  283 f.  Die  Altertümlichkeit  der  Vor- 
stellung im  Verein  mit  dem  für  Vergil  bereits  irregulären  Versschluß 
(s.  Anhang  IX)  Oceano  nox  nach  homerischer  Art  (vergl.  öpiupei  ö'  ou- 
pavöGev  vuH)  macht  Entlehnung  der  Phrasen  nox  ruit  und  ruit  Oceano 
nox  aus  Ennius  wahrscheinlich.  Dafür  spricht  auch  der  von  Deuticke 
beobachtete  Umstand,  daß  nox  ruit  hier  eine  Übertreibung  enthält,  da  nach 
545  erst  Mittag  vorbei  ist;  Vergil  braucht  die  Phrase  also  hier  wie  H  8, 
wo  die  Zeitbestimmung  ebensowenig  der  Situation  entspricht  (vergl. 
V.  Wilamowitz,  Hom.  Unters.  117,  4),  nur  mehr  wie  eine  Floskel.  — 
540 ff.  hie  locus  est,  partis  uhi  se  via  findit  in  ambas:  \  dextera  quae 
Ditis  magni  sub  moenia  tendit,  \  hac  iter  Elysium  nobis;  at  laeva  ma- 
lorum  I  exercet  poenas  et  ad  impia  Tartara  mittit.  Die  Zweiteilung  des 
Weges  nach  altüberlieferter  Vorstellung:  Piaton  Gorg.  524 A  tJj  obiu, 
Tl  )Liev  eic  jUOKdpuJV  vr\aovc,  f]  b'  elc  Tdpiapov  nach  orphisch-pytha- 
goreischer  Lehre  (Dieterich  191  ff.).  —  poenas  exercere  mit  kühner 
Kombination  von  poenas  sumere  -f-  iudicium  exercere  (vergl.  Tac.  a.  I  44 
mit  Benutzung  unserer  Stelle :  iudicium  et  poenas  exercuit).  Die  Kühnheit 
wird  durch  die  Verbindung  via  poenas  exercet  et  ad  Tartara  mittit  noch 
gesteigert:  in  Prosa  würde  es  mit  Hypotaxe  und  andrer  Ordnung  der 
Begriffe  (s.  Anhang  II  2)  lauten:  via  in  Tartarum  ducit  ad  x^oenas  luen- 
das.  —  Der  besondere  Gedanke  541  wird  durch  die  gewählte  Alliteration 
dextera  —  Ditis  —  magni  —  moenia  (Schema  aabb)  markiert.  —  iter 
Elysium  wie  HI  507  iter  Italiam  mit  freiem  Gebrauch  des  Zielaccusativs, 
vergl.  Landgraf  1.  c.  (z.  345  f.)  402.  —  544  ne  sacvi.  Sei-vius:  Terentius 
'ne  saevi  tanto  opere^  (Andr.  V  2,  27).  et  antique  dictum  est,  nam  nunc 
'ne  saevias'  dicimus.  Vergil  hat  diese  Konstruktion  noch  sehr  oft  (so 
74.  698):  für  ihn  hatte  sie  also  nicht  vulgäres,  sondern,  was  oft  davon 
nicht  zu  scheiden  ist,  archaisches  Kolorit  (vergl.  z.  57). 


VERS  537—547.  265 

545  explcho  numerum  reddarque  tenebris  mit  zeitlicher  ümkehrung 
der  Begriffe  =  reddar  tenebris,  ut  numerum  cxpleam  (s.  Anhang  II  2). 
Über  die  Bedeutung  von  explebo  numerum  haben  die  alten  Exegeten 
sehr  ausführlich,  z.  T.  mit  den  größten  Irrtümern  gehandelt,  von  den 
neueren  war  Henry  p.  340  auf  der  richtigen  Spur.  Die  tief  wurzelnde  Vor- 
stellung, daß  der  Gott  der  Tiefe  seine  Scharen  zählt,  fand  ihren  Nieder- 
schlag in  verschiedenen  Bildern.  Zunächst  von  Hades  dem  Hirten  (vergl. 
die  Mythen  von  Admetos  und  Geryoneus,  sowie  Horaz  od.  I  24,  18; 
Dieterich  25,  l),  der  wie  jeder  Hirt  (Verg.  b.  3,  34.  6,  85),  seine  Herde 
zählt.  Ferner  hat  Hades,  iL  TravTec  ö(peiX6)ne9a  (A.  P.  X  105),  ein 
Rechenbuch,  in  das  er  alles  einträgt:  Aesch.  Eum.  268 ff.  K.  und  die 
wohl  sprichwörtlichen  Wendungen  raiionem  cum  Orco  habere  Varro  r.  r. 
I  4,  3,  in  peculio  Proserpinae  et  Orci  familia  numerari  Apul.  met.  III  9; 
vergl.  Lukian,  Philops.  25.  Aber  die  dem  verg.  Ausdruck  zugrunde 
liegende  Vorstellung  ist  die  von  Hades  dem  Völkersammler  ('AxTiCTiXaoc: 
Usener,  Götternamen  361),  der,  wenn  er  die  ^Toten  in  die  hohle  Gasse 
treibt'  (Pindar  0.  9,  31),  sein  unterirdisches  Heer  zählt  oder  durch  seine 
Trabanten  zählen  läßt:  Seneca  Phaedr.  1153  constat  inferno  numerus 
tyranno,  Statius  Theb.  IV  528f.  in  specuUs  Mors  atra  sedet  dominoque 
silentes  \  adnumerat  populos  und  besonders  deutlich  Lukian  Katapl.  4 
eirei  be  Kar'  auxö  fjbr|  t6  cTtöiuiov  r\}xev  (Hermes  spricht  zu  Klotho), 
e|LioO  Touc  veKpouc  ujc  e9oc  dirapiGinoOvTOC  tlu  AictKUj  Kai  eKeivou 
XoTi2o)iievou  auTOuc  rrpöc  xö  Trapd  xfic  crfic  dbeXqpfic  (Atropos)  TrcfiqpGev 
auxuj  (TuiLißoXov,  Xa9ujv  ouk  oW  ottuuc  ö  xpicTKaxdpaxoc  d-i.ibv  ujxexo" 
evebei  ouv  vexpöc  ek  xiu  XoticT|lilu,  ib.  5  (Hermes  zu  Charon):  ibou 
(TOI  xöv  dpi9|Liöv  ouxoi  xpittKÖCTioi.  Wie  verbreitet  diese  Vorstellung 
war,  zeigt  die  Devotion  CIL  VHI  suppl.  12505  te  rogo  qui  infernales 
partes  tenes^  commendo  tibi  lulia(m)  Faustilla(m)  Marii  filia(m),  ut  eam 
celerius  abducas  et  in  numerum  tu  (Jt)a[bjias;  vergl.  auch  carm.  epigr. 
423  mit  Büchelers  Bemerkung.  Die  Richtigkeit  dieser  Erklärung  wird 
auch  durch  den  Ausdruck  numerum  explere  selbst  gewährleistet,  denn  er 
ist  technisch  für  das  Heer:  numerum  legionum  explere  Livius  XXIV  11,  4; 
vergl.  XXm  5,  5. 

547  tantum  effatus  et  in  verbo  vestigia  torsit:  pressit  MR  und  der 
zu  105  zitierte  Gento  528,  mit  irrtümlicher  Wiederholung  des  Vers- 
schlusses vestigia  pressit  von  197.  Die  Konstruktion  ist  wie  X  877  tantum 
effatus  et  infesta  subit  obvius  hasta.  Daß  zu  effatus  das  Verbum  subst. 
nicht  zu  ergänzen  ist,  zeigt  das  von  Wagner  angeführte  homerische 
Vorbild  X  447  ujc  (pa\ii\r]  Kai  (Kepboaijvr)  fi^ricrax'  'A0r|VTi).  Also  ist 
effatus  torsit  mit  effatus  est  et  torsit  ausgeglichen  worden  zu  effatus  et 
torsit.  Möglicherweise  übernahm  Vergil  die  Phrase  tantum  effatus  wie 
die  analoge  zu  124  notierte  aus  Ennius  (vergl.  auch  Anhang  I  2  und 
VnB  2  c).  Nach  der  Analogie  des  medialen  Particip.  perf.  scheint  Vergil 
ein  solches  et  einmal  (in  einem  vielleicht  nur  vorläufig  so  hingesetzten 
Verse)  sogar  nach  einem  Particip.  praes.  gebraucht  zu  haben.  Wenigstens 
steht  IX  403  suspiciens  altam  lunam  et  sie  voce  precatur  in  allen  Hss. 
(MPRV,  mit  Priscians  Zeugnis),  und  da  schon  Asper  (nach  dem  schol. 
Veron.)  so  las  (wenn  auch  falsch  erklärend),  so  hat  die  Tilgung  des  et 
keine  Wahrscheinlichkeit. 


266  KOMMENTAH 


III.    Tartarus  548 — 627. 


A.  Einleitung  548 — 61  in  drei  Absätzen:  a)  548  —  56  (biKUüXov 
548 — 51  mit  je  drei  KÖ)U)LiaTa,  552 — 56  rpiKiuXov  mit  zwei  -f-  zwei 
+  vier  KÖ|U)LiaTa),  b)  557  —  59  (biKUuXov  mit  vier  -\-  zwei  KÖ)a|LiaTa), 
c)  560 — 61  (TerpdKuuXov). 

548 ff.  "GK9paaic  tÖttou.  Die  Furchtbarkeit  wird  durch  starke 
Sprachmalerei  dem  Hörer  sinnlich  näher  gebracht:  Alliterationen  besonders 
mit  s  (axapi  Kai  driöec  tö  a  Kai  ei  TrXeovdaeie  (Tqpöbpa  XuTteT  Dionys. 
de  comp.  verb.  14;  s.  z.  468):  548  respicit  —  subito  —  rupe  —  sinistra 
(Schema  ab  ab)  549  moenia  —  muro  550  ambit  —  amnis  (etymologische 
Verbindung:  Varro  1. 1.  V  28)  550f.  torrentibus  —  Tartarus  torquet  551 
sonantia  saxa  552  adver sa  —  adamante  553f.  vis  —  virum  —  valeant 
555 f.  sedens  —  succincta  —  exsomnis  —  servat  557 f.  saeva  sonare:  mit 
sonus,  sonitus  alliteriert  Ennius  oft,  vergl.  sonitu  säevo  tr.  3.  Außerdem 
harte  Konsonantenverbindungen  besonders  mit  r,  s  und  t  (s.  o.  S.  136  und 
Anhang  VII A):  550  rapidus  —  torrentibus  554  ferrea  tu/rris  558  Stridor 
ferri  tractaeque  catenae  559  strepituque  exterritus.  Anaphern  mit  Parisöse 
der  Kommata:  5 60 f.  quae  scelerum  facies  —  quibus  urgentur  poenis  — 
quis  tantus  plangor  ad  auras  (7,  7,  8  Silben).  Malerische  Rhythmen  551 
Tartareus  PhlegetJion  torquetque  sonantia  saxa:  Daktylen;  552  porta  ad- 
versa  ingens:  Spondeen  mit  ingens  auch  III 466.  579.  658.  IV  181. 
V  701.  VII  170.  791.  X127.  XII  896 f.;  sie  sind  hier  noch  gesteigert 
durch  die  sich  folgenden  Synaloephen  (s.  darüber  z.  187). 

Über  die  Topographie,  auf  deren  genaue  Darlegung  Vergil  hier  wie 
sonst  nicht  bedacht  ist  (s.  o.  S.  133.  207),  gingen  schon  im  Altertum  die 
Ansichten  auseinander  (vergl.  Serv.  z.  573.  577),  die  hier  so  wenig  wie 
die  vielfachen  Erklärungsversuche  neuerer  Interpreten  erörtert  werden 
sollen.  Wenn  seine  Darstellung  beim  ersten  Lesen  nicht  sofort  durch- 
sichtig ist,  so  hat  der  Dichter  das  besonders  dadurch  verschuldet,  daß 
er,  in  dem  Bestreben,  das  y^voc  birifruLiaTiKÖv  mit  dem  y^voc  bpa|ia- 
TiKÖv  abwechseln  zu  lassen,  die  Topographie  teils  selbst  referiert  teils 
durch  eins  seiner  TrpöcTuJTra,  die  Sibylle,  referieren  läßt:  so  kommt  es, 
daß  eine  und  dieselbe  Sache  zweimal  erwähnt  wird,  eine  Inkonvenienz, 
an  der  sich  niemand  stoßen  wird,  der  die  genannte,  von  uns  schon  öfters 
in  ihren  Vorzügen  und  Fehlern  notierte  Praxis  dieses  Dichters  kennt 
(s.  z.  295 ff.).  Es  hat  nämlich  m.  E.  als  Voraussetzung  der  Interpretation 
dieser  Stelle  zu  gelten,  1)  daß  das  vestibulum  (über  den  Begriff  s.  z.  273), 
welches  nach  555  f.  TisipJione  sedens  servat  (Worte  des  Dichters),  identisch 
ist  mit  demjenigen,  welches  nach  5 74 f.  eine  custodia  sedens  servat 
(Worte  der  Sibylle),  d.  h.  also,  daß  diese  custodia  eben  Tisiphone  ist  (auch 
Ovid  m.  IV  453  läßt  die  Furien  sitzen  carceris  ante  fores).  2)  Ebenso 
sicher  scheint  mir  folgendes.  Tisiphone  wird  von  Aeneas  gesehen  (574 
cernis),  dagegen  sieht  er  die  im  Innern  des  Tartarus  wachende  fünfzig- 
köpfige Hydra  nicht,  sondern  diese  wird  ihm  von  der  Sibylle  nur  genannt 
als  noch  grausiger:  5 74 ff.  cernis,  custodia  qualis  \  vestibulo  sedeat  .  .  .: 
hydra  saevior  intus  habet  sedem  (die  bekannte  Form  des  sogen,  argu- 
mentum ex  contrario,  s.  z.  847  ff.).  Da  diese  Hydra  jetzt  nicht  sichtbar 
ist,   so   haben   sich   also  die  Tore,   hinter  denen  sie  sitzt,  nicht  geöffnet. 


VERS  548  ff.  267 

Mithin  sind  die  Worte  5  73  f.  tum  demum  horrisono  stridentes  cardine 
sacrae  \panduntur  portae  nicht  eine  die  Handlung  weiterführende  Zwischen- 
bemerkung des  Dichters,  sondern  sie  werden  von  der  Sibylle  gesprochen 
wie  alles  diesen  Worten  von  562  ab  Vorhergehende  und  alles  ihnen  bis 
627  Folgende.  Daß  nur  die  letztere  Auffassung,  die  im  Altertum  neben 
der  falschen  bestand  (Serv.  z.  573;  Donatus  erklärt  richtig)  möglich  ist, 
bemerkte  schon  Heyne,  ohne  daß  ihm  aber  z.  B.  Kibbeck  gefolgt  wäre 
(richtig  u.  a.  Deuticke).  Der  Zusammenhang  dieser  Worte  der  Sibylle 
ist  also:  „wenn  ein  Verbrecher  unter  Foltern  bekannt  hat,  so  wird  er 
von  den  Fiu-ien  gepeitscht  (566  —  72).  Erst  dann  öffnet  sich  das  Tor, 
hinter  dem  die  fünfzigköpfige  Hydra  sitzt  und  die  Tiefe  des  Tartarus 
gähnt."  3)  Man  hat  femer  einen  Widerspruch  darin  gefunden,  daß 
Aeneas  nach  557 f.  (Mne  exaudiri  gemitus  et  saeva  sonare  \  verbera,  tum 
Stridor  ferri  tractaeque  catenae)  die  verbera  der  Tisiphone  höre  und 
letztere  doch  nach  5 74 f.  (ccrnis,  custodia  qualis  vestibulo  sedeat)  sehe, 
was  unvereinbar  sei:  er  könne  sie  nur  entweder  sitzen  sehen  oder 
peitschen  hören.  Aber  an  ersterer  Stelle  ist  Tisiphone  überhaupt  nicht 
genannt,  sondern  ganz  allgemein  von  verbera  gesprochen;  daher  ist 
Donatus  im  Recht,  wenn  er  557 f.  so  paraphrasiert:  gemitus  et  sonitus 
verberum  et  tractariim  catenarum  Stridor  auditus  quid  intus  gereretur  evi- 
dentissime  nuMiabat.  Die  verbera  also,  die  Aeneas  nach  557  f.  bloß  hört, 
dringen  über  das  von  ihm  gesehene  vestibulum  aus  dem  Innern  der 
554  genannten  turris  (stat  ferrea  tiirris  ad  auras),  d.  h.  der  zur  Be- 
festigung mit  einem  Turm  versehenen  (vergl.  11  460)  Burg  des  Rhada- 
manthys,  in  der  das  hochnotpeinliche  Gericht  stattfindet  (566 ff.).  Es  sind 
also  die  bei  der  Folter  in  Anwendung  gebrachten  Schläge,  wie  sich  auch 
aus  dem  Culex  376 f.  ergibt:  ergo  iam  causam  mortis,  iam  dieere  vitae  | 
verberibus  saevae  cogunt  sub  iudice  Poenae.  Nur  so  erklärt  sich  doch 
auch,  daß  Aeneas  außer  den  verbera  auch  das  Klirren  von  Ketten  hört: 
diese  werden  eben  den  im  Verhör  schuldig  befundenen  Verbrechern  an- 
gelegt (so  auch  verstanden  von  Statius  Th.  Vlil  21  ff.  forte  sedens  media 
regni  infelicis  in  arce  \  dux  Erebi  populos  poscebat  crimina  vitae.  |  .  .  . 
stant  Furiae  drcum  .  .  .  |  saevaque  multisonas  exertat  Pocna  catenas). 
Erst  nach  Beendigung  des  im  Innern  stattfindenden  Verhörs  beginnt  das 
Amt  der  im  Vorhof  an  der  Schwelle  lauernd  sitzenden  Tisiphone:  5 70 f. 
Continus  sontis  ultrix  accincta  flagello  \  Tisiphone  quatit.  Donatus  und 
Servius  (zu  573)  bemerken  richtig,  daß  die  Vorstellung  an  das  irdische 
Kriminalverfahren  anknüpfe:  Untersuchung  durch  den  cognitor  criminis 
unter  Assistenz  von  Folterknechten  (557 f.),  Anlegung  der  Ketten  (558), 
Stäupung  und  Abführung  in  den  Kerker  (5 70 ff.).  Das  ist  also  analog 
dem  zu  430 ff.  (Gerichtsszene  in  der  Zwischenregion)  Erörterten. 

Schwierig  und  mit  den  xms  verfügbaren  Mitteln  nicht  völlig  zu 
lösen  ist  die  Frage  nach  den  von  Vergil  für  diesen  Abschnitt 
benutzten  Vorlagen.  Denn  die  von  ihm  erwähnten,  seit  alter  Zeit 
typischen  Motive  (549.  552  Mauern  und  eiserne  Tore  des  Tartarus, 
578  f.  seine  Ausdehnung,  556  der  Pyriphlegethon,  571  f.  das  Henkersamt 
der  Furien)  woUen  wenig  besagen  gegenüber  der  Fülle  der  sonst  teils 
überhaupt  nicht  teils  doch  nicht  genau  so  überüefei-ten  Züge.  Immerhin 
werden    sich    einige    durch  Analogieen    belegen,    einige    auch   wohl   mit 


268  KOMMENTAR 

größerer  oder  geringerer  Wahrscheinlichkeit  auf  ihre  Quellen  zurück- 
führen lassen.  Jedenfalls  werden  wir  uns  hüten  müssen,  durch  will- 
kürliche Eingriffe  in  den  Text  diese  oder  jene  Singularität  zu  beseitigen, 
um  dadurch  eine  Übereinstimmung  mit  unserem  sonstigen  Wissen  her- 
zustellen, die  immer  doch  nur  eine  teilweise  bleiben  würde. 

1)  Dem  Ehadamanthys  ist  hier  das  Richteramt  über  die  schweren 
Verbrecher  übertragen  (566  ff.)  und  Tisiphone  ist  seine  Schergin.  H.  Weil 
1.  c.  (z.  445  ff.)  93  sagt,  Vergil  habe  die  dem  Rh,  hier  zugeteilte  Rolle 
einer  uns  unbekannten  Überlieferung  entnommen,  aus  der  die  rationa- 
listische Umdeutung  bei  Diodor  V  79  (' PabdjuavGuv  Xe'YOUdi  rdc  tc 
Kpiaeic  TrdvTiuv  biKaiOTdiac  TreiroificrOai  Kai  toic  XrjcJTaTc  Kai  dcreßecTi 
Kai  Toic  ctXXoic  KaKOupTOic  dTTapairriTov  Ivrivoxevai  Ti|uuupiav)  ab- 
geleitet zu  sein  scheine.  Aber  viel  näher  steht  ja  die  Szene  in  Lukians 
Kataplus  2  2  ff.,  wo  wir  den  Rh.  eben  dieses  Richteramt  ausüben  sehen. 
Der  Zusammenhang  dieser  Stelle  lehrt  uns  noch  ein  weiteres.  Mikyllos 
spricht  zum  Kyniker:  „Sage  mir  —  denn  du  bist  ja  selbstverständlich 
in  die  Eleusinien  eingeweiht  —  sind  die  Verhältnisse  hier  unten  nicht 
ähnlich  wie  dort  oben?"  Der  Kyniker:  „Ganz  richtig:  sieh  nur,  da 
kommt  ja  die  fackeltragende  Erinys."  Hermes:  „Nimm  diese  hier, 
Tisiphone!"  Tisiphone:  „Schon  lange  wartet  Rhadamanthys  auf 
euch."  Rhadamanthys:  „Führe  sie  vor,  Erinys."  Hier  sehen  wir  also 
Tisiphone  desselben  Amtes  einer  Schergin  des  Rhadamanthys  walten  wie 
bei  Vergil,  und  die  ganze  Vorstellung  bildet  Lukian,  wie  er  selbst  an- 
deutet, einer  in  den  eleusinischen  Mysterien  geläufigen  nach;  auch  weiter- 
hin übernimmt  Lukian  die  Terminologie  der  Mysteriensprache  (vergl. 
besonders  24  rdc  KTiXTöac  ttic  vjjuxfic  dTToXou(Ta(J0ai  und  24 f.  das  drei- 
malige KaGapoc).  Hierdurch  ist  das  Alter  der  von  Vergil  befolgten 
Vorlage  gesichert.  Da  ferner  Motive  der  eleusinischen  Mysterien  in  die 
orphischen  übernommen  wurden,  so  liegt  wenigstens  die  Möglichkeit  vor, 
daß  die  von  Vergil  nachweislich  (s.  Einleitung  S.  5,  2)  stark  benutzte 
orphische  Katabasis  auch  hier  seine  Quelle  gewesen  ist. 

2)  Die  fünfzigköpfige  Hydra  (5 76  f.)  hat  eine  Analogie  an  der 
hundertköpfigen  Echidna,  die  Aristophanes  Frösche  473  im  Tartarus 
kennt,  sicher  auch  er  nach  der  von  ihm  in  dieser  Partie  (4 70 ff.)  be- 
folgten Überlieferung.  Da  nun  bei  ihm  unmittelbar  vorher  (472)  die 
Erinyen  am  Kokytos  genannt  sind,  die  auch  Vergil  kennt  (oben  3  74  f.), 
so  liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  Vergils  Hydra  und  Eumenidenstrom 
derselben  Nekyia  entnommen  sind,  die  auch  Aristophanes  benutzte 
('HpaKXeouc  Kardßacric?) 

3)  Das  Motiv  557  f.  Mnc  exaudiri  gemiius  et  saeva  sonare  \  verbera, 
tum  Stridor  ferri  tradacque  catenae  findet  sich  ebenso  in  den  Apokalypsen 
des  Plutarch  de  genio  Socr.  22,  590F  öÖev  dKOiiecTGai  .  .  .  jLiupiiJUV 
KXau9|aöv  ßpeqpujv  (über  diese  s.  o.  426)  Kai  jLie|LiiY|Lie'vouc  dvöpujv  Kai 
YuvaiKuJv  öbupiuouc,  ij/öqpouc  be  Traviobairouc  Kai  Gopußouc  und  des 
Lukian  ver.  bist.  H  29  ^Kouojuev  Kai  juacTTiyuuv  vpöcpov  Kai  oi|uiuüYriV 
dvGpOuTTUUV  TToXXoJV  (fast  wörtlich  =  nekyom.  14).  Dann  auch  in  den 
von  Vergil  nicht  direkt  abhängigen  (s.  Einleitung  S.  7  f.)  christlichen 
Apokalypsen:  Visio  Wettini  vom  J.  824  (1.  c.  Einleitung  S.  9)  p.  304 
ita  tenebrae  densae  et  spissae,  ut  nuUa  ratione  ibi  cerni  aliquid  possit; 


VERS  548  ff.  269 

stridorem  tarnen  et  eiulatum  audieham-^  Visio  Tundali  vom  J.  1149  (1.  c, 
ibid.)  p.  15  venerunt  ad  vallem  profundam  .  .  .  ac  tenebrosam,  cuius  pro- 
fimditatem  ipsa  quidem  anima  videre  non  poterat,  sonitum  autem  sulphurei 
fluminis  et  ululatus  multitudinis  in  imis  patientis  audire  valehat^  Dante 
Infern.  VIII  65  f.  Purg.  Xm  22.  Den  drei  Ausdrücken  bei  Vergü  ver- 
hera,  Stridor  fcrri,  traciae  catenae  entspricbt  genau  das  Nebeneinander  von 
)ia(JTiYU)creTai,  crxpeßXuucreTai,  beörjaexai  bei  Piaton  ßep.  n  361 E  vergl. 
363 E.  Wenn  Piaton  für  diese  Strafen  des  Jenseits  die  orphische 
Apokalyptik  zitiert  (vergl.  363 C),  so  ist  das  ein  Fingerzeig  für  die 
Sphäre,  in  der  wir  hier  Vergils  Quelle  zu  suchen  haben. 

4)  Von  den  Sündern  heißt  es  56 7 ff.:  'sie  werden  hier  gezwungen, 
diejenigen  Missetaten  zu  bekennen,  deren  Bekenntnis  sie  im  Leben  unter- 
lassen und  in  den  Tod  hinausgeschoben  haben.'  Die  Pflicht  des  Sünden- 
bekenntnisses (und  der  durch  dieses  garantierten  Vergebung  der  Sünden) 
ist  uns  aus  christlichem  Glauben  ganz  geläufig:  bildet  es  doch  seit  Alters 
einen  integrierenden  Teil  vinserer  Litui-gie  (vergl.  z.  B.  Liturg.  Alexandr. 
p.  62  Swainson).  Aus  antikem  Glauben  ist  mir  dieser  Gedanke,  noch 
dazu  in  so  präziser  Formulierung,  unbekannt  bis  auf  ein  einziges  noch- 
maliges Vorkommen  bei  Plutarch  de  superst.  7,  168D:  der  Abergläubische 
TrepieZ;uu(T|ievoc  potKem  puTtapoTc  ttoWöikic  be  yumvöc  ev  tttiXuj  kuXiv- 
bö)aevoc  eHttTopeuei  rivcic  djuapTiac  auioö  xai  irXriiLiiLieXeiac, 
Das  'Sichwälzen  im  Schlamm'  ist,  wie  bekannt,  nach  orphischem 
Glauben  die  Strafe  der  üngeweihten  im  Tartarus.  Durch  ihre  sym- 
bolische Anwendung  im  Leben  wurde  den  Geweihten  Befreiung  von  der 
Verdammnis  im  Tartarus  (in  christlicher  Terminologie  'Vergebung  der 
Sünden')  gewährleistet:  vergl.  z.  B.  Demosth.  de  cor.  259. 

5)  Ein  besonders  gewähltes  Motiv  findet  sich  61 8  ff.  Plilegyasque 
miserrimus  omnes  |  admonet  et  magna  testatur  voce  per  umbras:  \  ^discite 
iustitiam  moniti  et  non  temnere  divos'.  Die  Vorstellung,  daß  die  großen 
Sünder  im  Jenseits  Zeugnis  ablegen  müssen  von  ihren  Freveltaten  zur 
Warnung  der  Menschen,  ist  sehr  alt:  Piaton  übernimmt  sie  Gorg.  525 C 
Rep.  X  616A,  Phaedon  114A  als  überliefert  und  bei  Pindar  P.  2,  21f. 
(den  hier  Ursinus  zitiert)  ist  sie,  ebenfalls  als  bereits  gegeben,  auf  Ixion 
übertragen:  GeuJv  b'  eq)eT|iaTc  MHiova  (pavTi  laOia  ßpoToTc  Xetciv  .  .  . 
'Töv  euepTCTttV  dtavaic  d)LioißaTc  erroixoiuevouc  xiveaGai."  Eine  Über- 
einstimmimg Pindars  und  Piatons  auf  theologischem  Gebiet  weist  be- 
kanntlich auf  orphische  (orphisch-pythagoreische)  Apokalyptik.  In 
den  Kreis  der  Mysteriensprache  führt  bei  Vergil  auch  die  Mahnung 
zur  biKTi  (iustüia)  und  eucTeßeia  (non  temnere  divos).  Die  biKaioi  und 
eudeßeic  werden  in  der  Persiflage  einer  besonderen  Art  orphischer 
Mysterien  von  Piaton  Eep.  II 363  CD  zusammengenannt;  die  Aikti  orphisch 
nach  [Demosth.]  25,  11,  hymn.  Orph.  8,  16.  18,  fr.  125f.  154  Abel;  der 
Geweihte,  der  den  Ablaß  im  Leben  erhielt,  darf  zu  Persephone  reden: 
TTOivdv  dvTaTreTei(Ta  eptiwv  eveKa  outi  biKaiuuv  IGSi  641.  Wenn  nun 
diese  Mahnung  hier  dem  Phlegyas  in  den  Mund  gelegt  wird,  so  wird 
uns  das  vielleicht  einen  bestimmten  Schluß  auf  die  von  Vergil  hier  be- 
nutzte Quelle  ermöglichen.  Die  Stationierung  des  Phlegyas,  des  del- 
phischen lepöauXoc,  im  Tartarus  ist  (abgesehen  von  Vergüs  Nach- 
ahmei:u),  singi^lär  und  jed,enfalls .  sehr  erlesen.     Die  Voflage  Verguß. muß, 


270  KOMMENTAR 

wie  H.  Weil  1.  c.  93  annimmt,  von  Delphi  inspiriert  gewesen  sein  („il 
s'agissait  pour  les  pretres,  d'inspirer  Thorreur  du  sacrilege:  ainsi  s'ex- 
pliquait  le  grand  developpement  donne  a  ce  supplice"):  tatsächlich  war 
ja  von  Polygnot  auf  seinem  delphischen  Gemälde  ein  lepa  crecTuAriKUJC 
dvrip  unter  den  Büßern  des  Hades  dargestellt  (Pausan.  X  28,  2).  Nun 
scheint  mir  Dieterich  6  5  ff,  aus  vereinzelten  Spuren  den  Einfluß  Delphis 
auf  die  Jenseitsvorstellungen  der  Mysterien  erwiesen  zu  haben.  Zu  den 
dort  gegebenen  Belegen  kommt  ein  für  uns  wichtiger  in  Plutarchs 
Eschatologie  de  sera  n.  v.  22,  566  C,  wonach  im  Zusammenhang  mit 
Orpheus'  Katabasis  von  Delphi  die  Rede  war  (eXe^ev  .  .  .  dxpi  toutou 
TÖv  'Opqpea  irpoeXGeTv,  öie  xriv  vpuxriv  Tfic  YuvaiKÖc  laetriei,  Kai  .  .  . 
XÖTOv  eic  dvOpouTrouc  . .  .  IHeveYKeTv,  die  koivöv  eit]  ^avTeTov  dv  AeX- 
cpoTc  'AttöXXiüvoc  xai  NuktÖc).  Es  darf  mithin  auf  Grund  dieses  Motivs 
sowie  der  unter  l),  3)  und  4)  erörterten  als  wahrscheinlich  bezeichnet 
werden,  daß  Vergil  auch  in  der  Beschreibung  des  Tartarus, 
wofür  ihn  wiederum  die  homerische  Nekyia  fast  ganz  im  Stich  ließ, 
die  orphische  Katabasis  benutzte.  —  Das  zuletzt  besprochene 
Motiv  zeigt  wieder  deutlich,  mit  welcher  Zähigkeit  sich  einzelne  von  den 
altgriechischen  Theologen  entworfene  Jenseitsbilder  erhielten.  Denn  den 
Glauben,  daß  die  Sünder  im  Jenseits  ihre  Sünden  bekennen  müssen, 
finden  wir  ebenso  in  der  christlichen  Apokalyptik  (vergl.  apoc.  Petri  v. 
24,  Pauli  p.  47  Tisch.)  bis  auf  Dante.  Wenn  dieser  den  Sündern 
Sprüche  aus  der  heiligen  Schrift  in  den  Mund  zu  legen  pflegt  (z.  B. 
Purg.  XIII  36  'amate  da  cui  male  aveste'  nach  ev.  Matth.  5,  44  bene- 
facite  his  qui  oderunt  vos,  diligite  inimicos  vestros),  so  hat  er  den  Sinn 
der  altertümlichen  Vorstellung  mit  richtiger  Intuition  reproduziert.  Denn 
göttliche  Gebote  sind  es  ja  auch,  die  nach  Pindar  Ixion  und  nach  Vergil 
Phlegyas  verkünden,  das  eine  —  von  der  'Gerechtigkeit'  und  der  'Furcht 
Gottes'  —  der  christlichen  Lehre  genau  entsprechend,  das  andere  —  von 
der  'Dankbarkeit  gegen  die  Wohltäter'  —  von  ihr  in  der  genannten 
Stelle  des  Evangeliums  umgeprägt.  So  verdienen  unsere  Verse,  in  diesen 
Zusammenhang  eingereiht,  die  Berühmtheit,  die  das  discite  moniti  zum 
geflügelten  Wort  hat  werden  lassen. 

552  ff.  solidoque  adamante  cdlwmnae,  \  vis  ut  nulla  virum,  non  ipsi 
excindere  tello  \  caelicolae  valeant.  Vis  virum  und  caelicölae  aus  Ennius 
(a.  280.  483).  —  Mio  FPR,  ferro  M  (mit  dem  zu  37  zitierten  Vergil- 
cento  IV  222,  74).  Ersteres  richtig,  da  es  nichts  Besonderes  wäre,  wenn 
man  den  adamas  ^icht  mit  dem  ferrum  zwingen  könnte;  dagegen  ist  im 
Kriege  beim  Stüi/men  das  Ausbrechen  der  erzbeschlagenen  postes,  die 
hier,  um  ihre  Dimension  und  Festigkeit  zu  bezeichnen,  durch  Säulen  aus 
purem  Stahl  vertreten  sind,  ein  typischer  Zug  (II  480 f.  VII  622 f.);  ferro 
ist  eine  Variante  aus  IX  137  ferro  sceleratam  excindere  genfem,  wie  um- 
gekehrt hdh  für  ferro  XII  124  in  M  steht.  —  554 ff.  Die  turris  im 
Tartarus  ist  ein  Gegenstück  zu  der  Kpövou  TupcTic  auf  den  Inseln  der 
Seligen,  die  Pindar  0.  2,  77  aus  alter  Überlieferung  nennt.  —  556  ex- 
somnis  wohl  Neubildung  (denn  Hör.  III  25,  9  ist  von  Bentley  korrigiert) 
wie  insomnis  IX  167.  Über  die  Art  der  Komposition  s.  z.  428.  — 
noctesque  diesque  Ennius  a.  338  (Ursinus),  auch  Plaut.  Amph.  168. 
—  559  constitit  Aeneas  strepituqiie  exterritus  liaesit.    Zwischen  strepHuque 


VERS  552  ff.  271 

exterritus  haesit  und  strepitumcine  e.  hausit  schwanken  die  Hss.  Letzteres 
erklärt  zwar  Servius,  aber  dagegen  spricht,  daß  haurire,  wo  es  mit 
dieser  Metapher  steht  (die  wohl  ennianisch  ist,  vergl.  Xu  26  animo 
hauri  am  Versschluß  mit  einer  für  Vergils  Praxis  unerhörten  und 
ganz  singulären  Synaloephe:  s.  Anhang  IX  2),  durch  auribus  gestützt  ist: 
IV  359  vocemque  Ms  auribus  hausi  und  dazu  Probus  im  schol.  Dan., 
vergl.  Hör.  II  13,  32  hibit  aure.  Eine  positive  Instanz  für  haesit  sind  die 
von  den  Intpp.  angeführten  Parallelstellen  III  59 7 f.  aspectu  conterritus 
haesit  \  continuitque  gradum  XI  699  subitoque  aspectu  territus  haesit.  Daß 
in  unserem  Verse  das  consistere  dem  haerere  vorangeht,  führt  Eibbeck 
(prol.  283)  falsch  als  Instanz  gegen  diese  La.  an,  denn  ein  OcTTepov 
irpÖTepov  dieser  Art  gehört  zu  Vergils  stilistischen  deliciae,  vergl.  oben 
331  constitit  Anchisa  satus  et  vestigia  pressit  imd  Anhang  11  2.  —  560  quae 
scelerum  fades  pluralisch  nach  g.  I  506  tarn  multac  scelerum  fades.  — 
560  f.  quibusve  |  urgentur  pocnis,  quis  tantus  plangor  ad  auras.  Quis  MP^, 
qui  P^R,  ersteres  von  "Wagner,  Quaest.  Virg.  XXII  aus  Vergils  Praxis 
als  richtig  erwiesen.  Zweifeln  kann  man  unten  865,  wo  quis  strepitus 
in  F^MR  (in  F^  von  sehr  junger  Hand),  qui  str.  in  F^P  überliefert  ist. 
Denn  es  ist  möglich,  daß  Eibbecks  Argument  (proU.  crit.  p.  XI),  qui  str. 
sei  aus  euphonischem  Grunde  vorzuziehen,  richtig  ist:  bei  dieser  An- 
nahme könnte  übrigens  qui  strepitus  pluralisch  gefaßt  werden  (vergl.  An- 
hang V).  Es  ist  nämlich  bemerkenswert,  daß  IX  146  qui  sdndere  (für 
zu  erwartendes  quis)  die  einstimmige  Überlieferung  (FMPE)  ist.  So 
wollte  Lachmann  bei  Properz  I  11,  7  aus  euphonischem  Grund  nesds 
qui  simulatis  schreiben  statt  quis.  Gelegentliche  Eücksichtnahme  Vergils 
auf  den  (JiY)LiaTi(y)Liöc  ist  auch  sonst  wahrscheinlich,  vergl.  Maas  1.  c.  [z.  4] 
518.  520,  1.  —  plangor  ad  auras  ME,  clangor  ad  auris  P.  Ersteres 
richtig,  denn  plangor  geht  auf  gemitus  557,  wie  die  poenae  auf  verhera 
und  catenae  558:  also  mit  Chiasmus  (s.  z.  399 f.).  Auch  IV  668  hat  P 
falsch  clangoribus  gegen  FM  plangorihus.  Auch  auris  ist  intei-poliert, 
weil,  wie  Servius  (zu  554)  notiert,  einige  (törichte)  Kritiker  die  aurae 
im  Hades  beanstandeten.  —  quibusve:  seltene  Stellung  des  Eelativs  am 
Versende,  s.  Anhang  m  B2. 

B.  Die  apokalyptische  Eede  der  Sibylle  562 — 627,  in  drei 
Teilen:  1)  Prooemium  562—65,  2)  Tractatio  566—624,  3)  Conclusio 
625  —  27.  Die  Tractatio  zerfällt  in  zwei  Abschnitte:  a)  Eichter  imd 
Schergen  (566  —  79),  b)  Sünder  und  Strafen  (580—624).  Kontrovers 
ist  die  Disposition  dieses  zweiten  Abschnitts  der  Tractatio,  doch  waltet 
in  der  scheinbaren  Unordnung  ein  erkennbares  Prinzip,  l)  Aeneas  hat 
5 60 f.  nach  zweierlei  gefragt:  s cetera  und  poenae.  Das  ist  also  die  Pro- 
positio,  und  damit  der  Leser  dies  Einteilungsprinzip  festhalte,  wird  es 
innerhalb  der  Tractatio  und  am  Schluß  der  ganzen  Eede  wieder  hervor- 
gehoben (6 14 f.  'frage  nicht  im  einzelnen  nach  Art  der  Strafe  und  der 
Sünden'  626f.  ^ich  kann  dir  nicht  alle  Sünden  und  Strafen  auf- 
zählen'). Hätte  Vergil  nun  eine  Abhandlimg  trepi  TÜJV  ev  &ÖOU  dö"e- 
ßujv  Ktti  u)V  e7rXTi)ijaeXri(Jav  schreiben  wollen,  so  hätte  er  hinter  einander 
die  einzelnen  Sünden  mit  der  je  zugehörigen  Strafe  abhandeln  müssen. 
Das  aber  wollte  er  nicht,  einmal  weil  solches  katalogartige  Eegistrieren 
schon  an  und  für   sich   unpoetisch  gewesen  wäre   (auch   in  der  'Helden- 


272  KOMMENTAR 

schau'  unten  756 ff.  hat  er  es,  wie  wir  sehen  werden,  vermieden),  dann 
auch  deshalb  nicht,  weil  er  bei  genauer  Aufzählung  gezwungen  worden 
wäre,  Dinge  zu  erwähnen,  die  das  ästhetische  Gefühl  verletzt  hätten 
(vergl.  6 14  f.  ne  quaere  doceri  quam  x)oenam  sc.  exspectent):  um  das  zu- 
zugeben, muß  man  sich  die  grausigen  Einzelheiten  vergegenwärtigen,  die 
die  Hölle  schon  der  altgriechischen  Theologen  kannte  (vergl.  Piaton 
ßep.  II  36 IE)  und  die  Dante  —  oft  auf  Kosten  der  Ästhetik  —  aus 
den  Apokalypsen  zu  übernehmen  sich  nicht  gescheut  hat.  So  fand  Vergil 
als  Dichter  den  Ausweg,  teils  nur  die  Sünden,  teils  nur  die  Strafen  zu 
nennen  und  zwar  so,  daß  er  beide  Motive  sich  dreimal  gegenseitig 
ablösen  läßt:  Strafen  580—81,  Sünden  582—94;  Strafen  595—607, 
Sünden  608  —  15;  Strafen  616—20,  Sünden  621—24.  2)  Auf  dem- 
selben Prinzip,  der  Vermeidung  eintöniger  Aufzählung,  beruht  eine  zweite 
scheinbare  Inkongruenz.  Hinsichtlich  der  Sünder  bot  ihm  die  doppelte 
von  ihm  befolgte  Überlieferung  —  eine  mythologische  und  eine  theo- 
logische (s.  Einleitung  S,  4.  16),  letztere  von  der  Art  der  plutarchischen 
de  sera  n.  v.  566  E  bis  67 E  —  zwei  Gruppen:  einzelne  Sünder  der  Sage 
und  Sünderklassen  des  Lebens.  Auch  diese  hat  er  nicht  hinter  einander 
abgehandelt,  sondern,  die  beiden  Quellen  gewissermaßen  in  einander 
schiebend,  sich  abwechseln  lassen:  Sünder  der  Sage  580 — 607,  Sünder- 
klassen des  Lebens  608 — 15,  Sünder  der  Sage  616  —  20,  Sünderklassen 
des  Lebens  621  —  24.  Infolge  dessen  war  freilich  die  Trennung  von 
sachlich  Zusammengehörigem  nicht  zu  umgehen:  Theseus  (618)  ist 
von  Pirithous  (601),  Phlegyas  (618)  von  Ixion  (601)  getrennt,  ebenso 
zwei  Arten  fleischlicher  Sünden  (|aoixeia,  0UYaTpO)LiiHia  612.  23),  die  in 
unseren  sonstigen  Quellen  (Dieterich  174  ff.)  zusammenstehen.  Wer  hier 
also  mit  R.  Sabbadini  (II  primo  disegno  dell  'Eneide,  Turin  1900,  46) 
die  Verse  608  — 15  als  späteren  Nachtrag  ausscheidet,  oder  gar  mit 
anderen  gewaltsame  Umstellungen  vornimmt,  der  erreicht  freilich,  um  mit 
Petron  zu  reden,  'religiosae  orationis  sub  testibus  fidem',  wie  derjenige, 
der  in  der  'Heldenschau'  eine  Umstellung  aus  chronologischen  Gründen 
vornimmt;  er  zerstört  aber  die  Intention  des  Dichters,  der  gewußt  hat,  ÖTi 
t6  xeXoc  iCTTopiac  Kai  Troiriffeujc  ou  Tauxöv.  —  Ein  analoger  Kunstgriff 
ist  für  die  Komposition  der  6.  Ekloge  nachgewiesen  von  Leo,  Hermes 
XXXVII  1902,  24. 

1.  Prooemium  562 — 65  (nach  dem  überleitenden  KOjLijLia  tum — loqui 
ein  TCTpdKiJuXov).  Auf  das  Pathos  des  Anfangs  (dux  inclute  Teucrum) 
macht  Donatus  aufmerksam  (s.  z.  125.  479);  der  Schluß  ist  gehoben 
durch  die  Alliteration  deum — docuit — duxit.  —  562  orsa  loqui  =125 
dpxaiUJC.  —  inclutus  Lieblingswort  des  Ennius,  zweimal  (ann.  147.  164) 
an  gleicher  Versstelle  wie  hier.  —  563  ff.  Zur  Sache  vergl.  Einleitung 
S.  42  f.  —  nulli  fas  mit  spondeischem  Wort  am  Versanfang  (s.  An- 
hang Vni)  ==  VIII  502,  dort  in  ennianischer  Umgebung.  —  sceleratum 
Urnen.  Da  Tibull  (ein  von  Vergil  unabhängiger  Zeuge)  I  3,  67  scelerata 
sedes  vom  Tartarus  hat  (aus  Tibull  Ovid  m.  IV  456),  so  scheint  ein 
älterer  Dichter  die  bekannten  topographischen  Bezeichnungen  campus 
(vicus)  sceleratus,  porta  scelerata  (vergl.  Leo  zum  Culex  S.  105)  als  Über- 
setzung von  TÖTTOC  dcreßujv  auf  den  Tartarus  übertragen  zu  haben. 

2.  Tjactatio  566 — 624.     Die  548  begonnene  Lautmalerei  findet 


VERS  562  ff.  273 

hier  ihre  Fortsetzung:  Alliterationen  568 ff.  superos  —  seram  —  sontis  — 
sinistra  —  saeva  sororum  —  stridentes  —  sacrae  71  f.  Tisiplione  —  insul- 
tcms  —  torvos  —  intentans  (Schema  ab  ab,  verstärkt  durch  Homoioteleuton) 
72  unguis  —  agmina  74  panduntur  portae,  ccrnis  custodia  qualis  75  se- 
dcat  —  servet  7 6  f.  hiatibus  hyära  —  habet  (vergl.  Birt,  Hiat  bei  Plautus, 
Marburg  1901,  90  f.)  77  saevior  —  sedem  7 7  f.  tum  Tartarus  — patet  — 
praeceps  —  tantum  tendji  (Schema  aabbaa)  83  manibus  magnum  87  quat- 
tuor  —  (equis)  —  quassans  88  per  —  populos  —  per  93  faces  —  fumea 
95  Tityon  Terrae  96  cernere  —  corpus  9 7  f.  immanis  —  immortale  600  re- 
quies  —  rcnatis  2  super  —  silex  6  manibus  --  mcnsas  7  attollens  ätque 
9  pulsatus  parens  11  partem  posucre  12  adulterium  —  arma  13  domi- 
norum  —  dextras  1 5  forma  fortuna  1 6  radiis  roiarum  1 7  sedet  —  scdebit 
20  discite  —  divos  21  patriam  — potentem  22  fixit  —  refixit  24  ausi  — 
auso.  Harte  Konsonantenverbindungen  (s.  o.  S.  266):  566  durissima  regna 
70  ultrix  73  Iwrrisono  stridentes  26  ferrea  vox.  Malerei  mit  Yokalen: 
576  quinquägintä  äiris  immänis  Mätihus  hjdra  (s.  z.  237),  591  corni- 
pedum  pulsu  simularet  equorum  (s.  Anhang  "VTL  A).  Parisa,  Homoio- 
teleuta  |(s.  ebenda  II  3):  5 78 f.  bis  patet  in  praeceps  tantum  tcnditque 
sub  umbras  ^^  quantus  ad  aetherium  caeli  suspectus  Olympum  83 f.  ma/nibus 
magnum  rescindere  caelum  ^^  superis  lovcm  detrudere  regnis  (je  11  Silben), 
59 3 f.  contorsit —  adegit  (über  die  signifikante  Stellung  s.  Anhang  m  A2), 
605  f.  Furiarum  maxima  iuxfa  accubat  -^  manibus  proMbet  c&ntingere 
mensas  (je  12  Silben),  21  f.  vendidit  hie  auro  patriam  r^  dominumque  po- 
tentem imposuit '^  fixit  leges  prefioquc  refixit  (9,  11,  12  Silben). 

a)  Richterund  Schergen  566—79.  Vier  Perioden :  566— 69  Texpa- 
KuuXov,  die  KU)\a  mit  den  Versen  zusammenfallend,  das  zweite  und  dritte 
mit  je  zwei  KÖjUjuaTa;  570 — 72  rpiKiuXov;  573 — 77  rpiKUjXov,  das  erste 
und  zweite  kujXov  mit  je  zwei  KÖ)Li)uaTa;  577 — 79  öikdüXov.  —  567  casti- 
gaique  auditque  dolos  subigitque  fateri.  Castigare  heißt  genau  'ins  Reine 
bringen',  'etwas  Unrichtiges  korrigieren'  (vergl.  Persius  1,  7  mit  schol.), 
daher  oft  'strafen'.  Aber  die  Strafe  folgt  hier  erst  570Ö.,  und  nicht 
Rhadamanthys,  sondern  Tisiphone  vollzieht  sie.  Daher  castigare  et  audire 
dolos  wohl  'die  Arglist  durch  Folter  im  Verhör  feststellen'  (ähnlich 
T.  Page,  Class.  review  IV  1890,  465f.  VIII  1894,  203f.):  'esamina  le 
colpe'  übersetzt  Dante  inf.  V  5,  die  feine  Nuance  des  castigare  genau 
zum  Ausdruck  bringend.  Über  das  parataktisch  angefügte  audit  s.  An- 
hang II  2.  Mit  subigitque  fateri  e.  q.  s.  werden  die  Begriffe  castigafque 
auditque  dolos  stilistisch  variiert  und  ausgeführt  (s.  z.  25).  —  subigere 
in  der  Bedeutung  eines  drastischen  cogere  ist  der  alten  Sprache  geläufig, 
während  es  die  ciceronianische  Zeit  nur  als  'unterwerfen',  'zähmen' 
kennt.  Aus  der  alten  Sprache  griffen  es  sowohl  Sallust  und  Livius  als 
auch  Vergil  auf,  nach  dessen  Vorgang  es  in  die  spätere  Prosa  dringt. 
Da  Plautus  es  in  derselben  Verbindung  hat  wie  hier  Vergil  (Truc.  783 
vis  subigit  verum  fateri)^  so  kann  diese  ennianisch  sein  (s.  Anhang  I), 
eine  Vermutung,  die  dadurch  empfohlen  wird,  daß  die  Worte,  wie  be- 
merkt, bloß  eine  stilistische  Variation  der  vorhergehenden  sind  (s.  z.  25). 
—  570f.  ultrix  .  .  Tisiphone:  Servius  zu  IV  609  'ultrix^  hoc  est  Tisi- 
phone, nam  graece  Tidic  ultio  dicitur.  Derartige  spielerische  Selbstinter- 
pretation liebt  Vergil,  vergl.  I  366  'novae  Carthaginis^  Servius:  Carthago 

VEKGiii  Buch  VI,  von  Norden.  18 


274  KOMMENTAR 

enim  est  lingua  Poenorum  nova  civitas,  III  692  ^Plemyrium  imdosum' 
Servius:  verhuin  de  verho  expressit,  hoc  est  enim  'imdosum'  quod  ^ Ple- 
myrium',  698  ^ stagnantis  Helori'  schol.  Dan.:  Graeci  stagna  'i\r\  dicimt, 
unde  ait  ^ stagnantis  HelorV,  VII  684  ' Hernica  saxa'  Servius:  Säbinorum 
lingua  saxa  ^hernae'  vocantur  713  ' Tetricae  horrentis^  Servius:  Tetricus 
mons  in  Sabinis  asperrimus  XI  721  'accipiter  sacer  ales'  Servius:  graecum 
nomen  expressit^  nam  lepaH  dicitur.  —  Die  Erinys  sontihus  insultat  d.  h. 
ecpdXXeTai  (vergl.  den  koköc  bai|iiujv  '€9idXTr]c)  und  jagt  sie  (quatit) 
mit  ihrer  Peitsche.  Insultare  und  quatere  sind  typische  Ausdrücke  für 
den  Reiter:  equis  insultans  Lucr.  III  1032,  equos  curru  quatere  Vergil  a. 
Xn  338.  Vergl.  für  die  Metapher  z.  7  7  ff.  und  folgende  Parallelstelle 
einer  Apokalypse  des  J.  1206  (s.  Einleitung  S.  9)  p.  23  ecce  daemon  qui- 
dam  venit,  equum  nigerrimum  praecipiti  cursu  öbequitans  .  .  .  Deinde 
sanctus  interrogat  daemonem,  cuius  üla  sit  anima  quam  sie  equitando 
torquebat;  qui  ait  Jiunc  unum  fuisse  ex  proceribus  regni  Angliae  etc.  — 
573  horrisonus  noch  IX  55.  Diese  u.  ä.  Kompositionen  (altisonus  clari- 
sonus  fluctisonus  raudsonus),  nach  denen  Vergil  armisonus  prägte  (III  544), 
begegnen  seit  Ciceros  Aratea,  Lucrez  und  Catull  neben  den  schon  früher 
nachweisbaren  Bildungen  mit  einem  partizipialen  Kompositionselement 
(altisonans  Naev.,  altitonans  Enn.,  Lucr.,  Cic).  Cicero,  der  in  den  Aratea 
13  horrisonis  —  alis  geschrieben  hatte,  ersetzte  dies  in  seinem  Selbstzitat 
de  d.  n.  n  111  durch  horriferis  —  aUs,  weil  ihm  horrifer  infolge  des 
Herabsinkens  des  Kompositionselements  zum  Sufßix  als  Komposition 
weniger  fühlbar  war:  zvsdschen  die  Abfassung  beider  Schriften  fällt  die 
Zeit  der  doktrinären  Sprachregelung,  durch  welche  die  Kompositionen 
beschränkt  werden  (s.  z.  141).  —  576  immanis  \\  Jiiatibus  liydra:  über 
den  trochäischen  Einschnitt  s.  z.  130.  —  57 8 f.  Die  Überbietung  des 
homerischen  TOdaov  evepG'  'Aibeuu,  ocTov  oupavöc  ecTi'  otTro  yairic  (0  16) 
durch  bis  tantum  wird  Vergils  eigne  Zutat  sein,  da  solche  Übertreibungen 
durch  bloße  Steigerung  des  Zahlworts  (s.  z.  625)  so  recht  charakte- 
ristisch für  das  oft  hohle  Pathos  römischer  Rhetorik  auch  in  der  Poesie 
sind.  An  die  Stelle  der  einfachen  homerischen  Bezeichnung  der  Distanz 
von  Erde  und  Himmel  ist  die  geschraubte  Wendung  gesetzt:  quantus  ad 
aetherium  caeli  suspectus  Olympum,  was  wohl  mit  Henry  349  f.  zu  ver- 
stehen ist:  'so  weit  der  Auf  blick  gen  Himmel  reicht  bis  zum  ätherischen 
Olymp';  caeli  ist  hinzugesetzt  zum  Kontrast  mit  dem  vorhergehenden  um- 
hras,  vergl.  719.  896  und  über  die  Vorliebe  für  die  Antithese  s.  z.  9f.  321. 
Diese  Erklärung  verdient  vor  derjenigen  Ladewigs,  der  caeli  Olympum 
verbindet  (caeli  zur  gelehrten  Differenzierung  des  Berges),  wohl  besonders 
deshalb  den  Vorzug,  weil  suspicere  in  caelum  eine  feste  Verbindung  ist 
(z.  B.  Cic.  Arat.  104).  Die  Künstlichkeit  des  Ausdrucks  mag,  wie  so 
oft  bei  Vergil,  dadurch  veranlaßt  worden  sein,  daß  er  irgendwelche 
Floskeln  älterer  Dichter  übernahm  und  sie  mit  seiner  eigenen  Diktion 
verband:  der  Versschluß  Olympum.  (-i)  ist  für  Ennius  überliefert  (a.  1.  198) 
und  aen.  X  1  mit  einem  anderen  ennianischen  Wort  verbunden  worden 
(omnipotentis  Olympi).  Dagegen  scheint  suspectus  wenigstens  für  uns  vor 
Vergil  nicht  nachweisbar  zu  sein  (Ladewig  11)  und  kann  daher  möglicher- 
weise erst  von  ihm  nach  der  Analogie  von  aspectus,  conspectus  geneuert 
sein  wie  affatus  und  assuUus. 


VERS  673—685  275 

b)  Sünder  und  Strafen  580 — 624.  a)  Erste  Gruppe  von 
Sündern  der  Sage  580 — 607  (Titanen,  Aloiden,  Salmoneus,  Tityos, 
Lapithen).  Periodisierung:  580 — 81  biKUuXov  mit  je  zwei  KÖmaara; 
582 — 84  TpiKuuXov;  585 — 86  öikuuXov;  587 — 91  zwei  TpiKiuXa,  das  erste 
und  zweite  küjXov  mit  je  zwei  KÖ)a|uaTa;  592 — 94  TpiKouXov;  595 — 600 
zwei  biKiuXa,  das  erste  und  dritte  kujXov  mit  je  zwei,  das  vierte  mit 
drei  KÖ|Li|iaTa;  601 — 607  zwei  biKUüXa  +  TexpdKUjXov. 

582  ff.  Die  Aloiden  im  Tartarus  aucli  Culex  234 f.,  Hygin  f.  28,  dort 
auch  mit  Angabe  der  Art  ihrer  Strafe  (vergl.  0.  Roßbach,  Neue  Jahrb.  IV 
1901,  388);  sie  wird  von  Vergil  aus  aesthetischem  Grunde  verschwiegen: 
s.  o.  S.  272.  Dagegen  sind  Salmoneus  (585 ff.)  und  Phlegyas  (618),  der 
Vater  des  Ixion,  wohl  nur  hier  (abgesehen  von  nachverg.  Dichtem)  im 
Tartarus,  aber  sicher  auf  Grund  irgend  einer  Überlieferung:  so  sind  nur 
bei  Properz  Alkmaion  und  Phineus  im  Tartarus,  dazu  die  Singularität 
über  Prometheus  bei  Horaz  II  18. 

585  f.  vidi  et  crudelis  dantem  Salmonea  poenas,  \  dum  flammas  lovis 
et  sonitus  imitatur  Olympi.  Eine  der  kontroversesten  Stellen  dieses  Buchs. 
Der  Vers  586  dum — Olympi  wurde  aus  zwei  Gründen  beanstandet:  erstens 
seien  die  folgenden  Verse  587 — 94  bloß  eine  Ausführung  dieses  Verses, 
zweitens  sei  es  sinnlos  zu  sagen:  „ich  sah  den  Sabnoneus  im  Tartarus 
grausam  büßen,  während  er  Blitz  und  Donner  nachahmte."  Es  sind  die 
verschiedensten  Auswege  vorgeschlagen.  Der  radikalste  ist  Tilgung  des 
Verses,  nicht  viel  weniger  gewaltsam  die  Annahme,  er  sei  eine  von 
Vergil  selbst  herrührende  Dittographie,  oder  die  weitere,  er  müsse  nach 
588  oder  nach  592  gestellt  werden.  Dies  alles  bedeutet  jeden  Verzicht 
auf  Interpretation.  Andere  versuchten  wenigstens  eine  solche.  Gerda 
(dem  Heyne  folgte)  erklärte  dum  =  quod,  was  sprachlich  undenkbar  ist, 
Forbiger  u.  a.  zogen  den  Vers  statt  als  Nachsatz  zum  Vorhergehenden 
vielmehr  als  Vordersatz  zum  Folgenden,  wodurch  sich  eine  logisch  und 
grammatisch  falsche  Verbindung  ergibt.  Die  unerhörte  Erklärung  endlich 
(Goßrau  u.  a.),  dieser  Vers  gebe  die  Art  der  Strafe  an,  die  darin  be- 
stehe, daß  Salmoneus  im  Tartarus  die  Nachäffung  Jupiters  bis  ins  Un- 
endliche fortsetzen  müsse,  ist  schon  von  0.  Krauße,  Progr.  Eudolstadt 
1890,  12 f.  verworfen  worden.  Der  erste  Grund  nun,  daß  587 — 94 
bloß  eine  Ausführung  des  Gedankens  von  586  seien,  ist  keine  Instanz 
gegen  die  Echtheit  (bez.  die  richtige  Stellung)  dieses  Verses.  Im  Gegen- 
teil stellt  Vergil,  entsprechend  seiner  Vorliebe  für  stilistische  Variationen 
(s.  z,  25),  gern  einen  Gedanken  zunächst  in  knapper  Form  hin,  gewisser- 
maßen wie  eine  propositio,  um  ihn  dann  weiter  auszuführen.  Vergl. 
VTI  7 3 ff.,  wo  Ribbeck  deswegen  gleichfalls  eine  Dittographie  annimmt; 
X  104 ff,,  wo  Peerlkamp  und  Ribbeck  109 f.  tilgen;  g.  I  469—88,  richtig 
behandelt  von  N.  Pulvermacher,  De  georgicis  a  Vergilio  retractatis,  Berl. 
1890,  86;  II  373—79,  wo  Ribbeck  373—75  für  erste,  376—79  für  zweite 
Redaktion  hält.  Besonders  charakteristisch  ist  II  501  f.  '^  506 ff.,  wo 
der  Tod  des  Priamus  zunächst  kurz  erwähnt,  dann  genau  geschildert 
wird  (vergl.  das  schol.  Dan.  zu  506).  Dieselbe  Praxis  befolgt  oft  Pindar, 
indem  er,  ganz  wie  hier  Vergil,  die  Quintessenz  eines  Mythus  der  Einzel- 
ausführung kurz  vorausschickt  (z.  B.  P.  3,  8.  4,  20.  9,  5.  12,  6.  N.  10,  58). 
Richtig   urteilte    also   wenigstens  hierin  schon  Gerda:    'quae  presse  dixit 

18* 


276  KOMMENTAR 

in  superiori  versu  de  fulmine  et  tonitruo,  explicatius  hie  (587  ff.)  exhibet'. 
Über  den  zweiten  Grund,  die  zeitliche  Beziehung,  in  die  dieser  Vers 
durch  dum  mit  dem  vorhergehenden  gesetzt  ist,  hat  schon  A.  Jacobi  (bei 
Hand,  Tursellinus  II  310)  richtig  geurteilt,  dem  Conington  gefolgt  ist. 
Die  Verse  sind  nämlich  so  zu  paraphrasieren:  vidi  in  Tartaro  etiam  Säl- 
monea,  qui  dum  lovis  flammas  et  Olympi  sonitum  imitatur,  crudeles  dedit 
j)oenas  lovis  fulmine  in  Tartarum  dciectus.  Also  der  Satz  mit  dum  ent- 
hält eine  zeitliche  Bestimmung  nicht  zu  vidi,  sondern  zu  dem  zunächst- 
stehenden dantem  und  die  poenae  sind  demnach  nicht  von  der  Art  der 
Strafe  im  Tartarus  zu  verstehen,  die  bei  Salmoneus  so  wenig  angegeben 
wird,  wie  bei  den  Aloiden,  sondern  von  der  Strafe,  die  seinem  Frevel 
auf  Erden  durch  Jupiters  Blitz  widerfuhr.  Diese  Erklärung  billigt  auch 
R.  Helm,  Jahresber.  d.  Altertumswiss.  CXIII  (1902)  40.  —  flammas  MR 
wird  statt  flammam  P  empfohlen  durch  den  Parallelismus  mit  sonitus 
(s.  Anhang  II  3). 

587  ff.  Während  die  bekannten  Sagen  von  den  Büßern  des  Tartarus 
mit  ein  paar  großen  Strichen  abgetan  werden  (im  Gegensatz  zur  Detail- 
malerei der  Alexandriner:  Lukian  de  bist,  scrib.  57),  wird  die  weniger 
vulgäre  Sage  von  Salmoneus  ausführlich  berichtet,  und  zwar  kunstvoll 
Frevel  und  Strafe  in  je  drei  Versen,  die  durch  eine  der  indignatio 
dienende  exclamatio  ((TxeTXiadjUÖC,  vergl.  auct.  ad  Herenn.  IV  15,  22) 
von  zwei  Versen  auseinander  gehalten  werden.  Das  großartige  Pathos 
erinnert  an  den  Stil  der  Tragödie  (Sophokles  hatte  einen  'Salmoneus' 
geschrieben,  allerdings  ein  Satyrspiel),  wie  man  sich  etwa  an  folgender 
Paraphrase  überzeuge:  TeOpiTTTTOV  äp|Lia  YCtöpoc  fiviocTpocpiuv  |  (TeiuJV 
xe  7Tup(TÖv,  qpOX'  errfiXö'  'GX\r|viKd  j  bi'  acTru  t'  f^Xacr'  auxö  TTicraiac 
X6ovöc,  I  Geujv  be  Ti|nfiv  övriiöc  luv  6916x0  |  Xax6Tv  Trap'  dvbpujv, 
eKTreirXTiTM^voc  qppevac  |  öcTTiep  GueXXav  Kai  jaevoc  (JktittxoO  iLieya  | 
XaXKoO  ipöqpoicJi  Kai  Kepaxiviu  kxuttlu  ]  ittttujv  Kaxr|(Txuv',  övxa  y'ou 
)ai|Lirixe'a.  |  Zeuc  yäp  crKOxeivuJ  (TuYKeKpu|d)Lievoc  veqpei  |  eiraXXev  eyxoc, 
oiix  6  y'  CK  ireuKric  (TeXac  |  KaTTVuj  )Liapav0ev  dXXct  xov  Kaxaißdxriv  j 
axepvoic  Kepauvöv  eYKaxecfKrinjev  ßia,  |  xucpüjvi  x'auxov  eHe-rrXriS'  oxn- 
liidxuuv.  Zur  Würdigung  der  Kunst  Vergüs  ist  der  Vergleich  mit  der 
kümmerlichen  Nachbildung  des  Ps.  Manilius,  eines  doch  nicht  ganz  un- 
bedeutenden Dichters,  V  91  ff.  lehrreich.  —  587  lampada  quassans, 
vergl.  Phaedrus  IV  17  (19),  2 2  f.  consedit  genitor  tum  deorum  maximus  \ 
quassatque  fulmen,  tremere  coepere  omnia;  d.  h.  die  Phrase  stammt  aus 
dem  von  Phaedrus  parodierten  Tragödienstil,  nach  dem  also  auch  Vergils 
tremere  omnia  visa  repente  (a.  HI  90)  zu  beurteilen  ist.  —  588  Graium 
populos  ennianisch?  (ann.  149  Graium  gcnus).  —  mediae  Elidis  (der 
Pisatis)  urhs  von  Salmone  ein  gewählter,  also  wohl  einer  griechischen 
Vorlage  nachgebildeter  Ausdruck  (ZaX)LXUüVTi  iTÖXic  xfic  TTi(jdxiboc  Steph. 
Byz.  552).  —  589  ovans:  das  Verbum  oft  bei  Livius,  also  wohl  ennia- 
nisch s.  Stacey  1.  c.  (z.  99)  43.  —  590f.  qui  nimbos  et  non  imitabile 
fulmen  \  aere  et  cornipedum  pulsu  simularet  equorum.  Daß  fulmen  als 
'Donnerkeil'  zu  fassen  ist,  zeigen  die  dai-auf  folgenden  Worte,  vergl. 
VIII  431  f.  vom  fulmen  der  Kyklopen  fulgores  nunc  terrifwos  sonitumque 
metumque  |  miscebant  operi^  XII  922  nee  ful/mine  tanti  dissultant  crepitus. 
Bei  nimbos  kann  man  zweifeln,  ob  gemeint  ist  'Sturmwolke'  (so  III  198) 


VERS  587-595.  277 

oder,  da  aus  dieser  der  Blitz  fährt  (g.  I  328),  'Strahlenschein'.  Letztere 
Bedeutung,  in  der  es  von  der  christliclien  Kunst  übernommen  wurde, 
steht  für  Vergil  fest  durch  11  616  (wo  von  einigen  falsch  limbo  geändert 
wird),  V  666,  IX  110:  vergl.  A.  Kirsch,  Quaest.  Verg.,  Münster  1886,  26ff., 
K.  Sittl,  Arch.  f.  Lex.  XI  1900,  120  f.  Aber  der  folgende  Vers  empfiehlt 
hier  erstere  Bedeutung:  vergl.  11  113  toto  sonuerunt  aethere  nimbi 
V  458  nimbi  crepitant.  —  non  imitdbile  d)Lii)Lir|TOV.  —  comipedum 
(equorum).  Das  Kompositum  ist  vor  Vergil  nicht  belegt  und  möglicher- 
weise von  ihm  wie  unten  802  aeripes  nach  Analogie  der  älteren  sonipes, 
pimdpes,  plumipes,  dem  tragischen  Stil  dieser  Episode  zuliebe,  neu 
geprägt.  Genau  entsprechen  würde  KepaiÖTTOUC,  was  aber  nur  als  eine 
aus  dem  Vergilwort  übersetzte  Glosse  überliefert  ist  (Corp.  gloss. 
I  278).  Vergl.  KepoßdtTac  von  Pan  Aristoph.  Ran.  230;  so  cornipes  ca- 
pella  carm.  Priap.  86,  16.  —  Für  pulsu  haben  das  weniger  plastische 
cursu  r^M^  (alte  Korr.)  R.  —  592  at  pater  omnipotens  =  Lucr.  V  399, 
wohl  beide  aus  Ennius,  für  den  omnipotens  zweimal  belegt  ist.  Der  Vers 
aen.  VII  428  ipsa  palam  fari  omnipotens  Saturnia  iussit  zeigt  auch  in 
seinem  Bau  (s.  Anhang  VII  B  2  c)  archaisches  Kolorit  (^Saturnia  ist  für 
Ennius  bezeugt).  —  593  ille  wie  öfe,  vergl.  Horaz  s.  II  3,  204;  est 
arcliaismos  Servius  zu  I  3.  —  fumeus  zuerst  hier;  andere  Ersatzmittel 
für  das  wegen  seiner  Längen  unbequeme  fumosus  sind  bei  den  Dak- 
tylikern  (neben  fumidus)  fumifer  fumificus.  Für  die  Bildimg  auf  -eus 
s.  z.  281. 

595 iF.  Die  nun  folgenden  Verse  von  Tityos'  Strafe  erklärte,  wie 
Heyne  berichtet,  jemand  für  die  schönsten  Vergils,  während  Heyne  selbst 
findet,  daß  sie  nur  Abscheu  erregten.  Vielmehr  müssen  wir  scheiden 
zwischen  der  Wirkung  des  Einzelnen  und  des  Gesamten.  Die  beabsich- 
tigte Überbietung  Homers  (\  576ff.)  und  des  Lucrez  (IH  984ff.),  viel- 
leicht auch  des  Prometheus  des  Accius,  ist  Vergil  im  einzelnen  gelungen: 
auch  hier  erhebt  sich  seine  Sprache,  wie  in  den  vorhergehenden  Versen, 
zu  der  Höhe  der  XeHic  xpaTiKr).  Denn  wenn  einige  Ausdrücke  —  „die 
unsterbliche  Leber  abweidend"  (kontaminiert,  wie  Heyne  bemerkt,  aus 
Hesiod  Th.  523  fjuap  dGdvarov  und  Homer  1.  c.  578  fiTrap  CKeipov); 
„die  zur  beständigen  Strafe  fruchtbaren  Eingeweide";  „er  durchwühlt  sie 
zum  Fraß,  in  der  Tiefe  der  Brust  wohnend"  (rivalisierend  mit  Lucrez 
1.  c.  985  suh  magno  scrutantur  pectore;  mit  Vergils  sub  alto  pectore  vergl. 
das  pindarische  ßa9u(TTepvoc)  —  durch  Übertreibung  des  üvjjoc  uns  an 
KttKoZiriXia  zu  grenzen  scheinen,  so  dürfen  wir  unser  ästhetisches  Gefühl 
nicht  an  der  Norm  des  antiken  messen:  soweit  die  Übersetzung  Ciceros 
(Tusc.  n  23)  aus  dem  befreiten  Prometheus  des  Aeschylos  ein  Urteil  ge- 
stattet, muß  auch  dieser  den  Fraß  des  Geiers  an  der  Leber  mit  grellen 
Farben  geschildert  haben.  Dagegen  ist  für  die  Gesamtwirkung  unserer 
Vergilverse  verletzend,  daß  kaum  einer  der  Begriff'e,  die  das  Fressen  des 
Geiers  schildern,  dem  andern  ein  wesentliches  neues  Moment  hinzufügt. 
Diese  eTri)iOvri  bei  der  Ausmalung  ('expolitio',  s.  z.  638fi".),  dieses  Be- 
hagen, das  Grausige  mit  Worten  spielerisch  zu  variieren,  ist  nichts  als 
jene  hohle  Rhetorik  (jpatJios  von  Macrobius  s.  IV  4,  12.  15  mit  Zitat 
dieser  Verse  genannt),  die  schon  von  den  alten  römischen  Tragikern  an 
die  Stelle  des  uipoc   der  griechischen  gesetzt  worden  war  und   die   dann 


278  KOMMENTAR 

bei  den  rhetorisierenden  Dichtern  der  Kaiserzeit,  wie  Ovid,  Seneca  und 
Lucan,  ihre  Orgien  feiert.  Die  steigende  Vorliebe  für  Ausmalung  des 
Grausigen  kann  man  durch  Vergleich  der  Polyphem-Episode  der  Odyssee 
(\  288 ff.)  mit  Vergü  aen.  III  6 18 ff.  und  Ovid  m.  XIV  167—212  gut 
beobachten:  die  Andeutungen  Homers  überbietet  schon  Vergil  mit  einer 
uns  verletzenden  Detailmalerei,  aber  Ovid  schwelgt  darin  ohne  Eücksicht 
auf  irgendwelche  Ästhetik  und  ohne  Schonung  für  die  Nerven  seiner 
Leser.  Es  ist  daher  begreiflich,  daß  die  vorliegenden  Verse  von  Tityos' 
Strafe  bei  den  Autoren  der  Kaiserzeit  sich  einer  besonderen  Beliebtheit 
erfreuten  (vergl,  A.  Zingerle,  Kl.  phil.  Abhandl.  III,  Innsbruck  1882,  69  ff.). 
Den  Reigen  eröffnet  charakteristischer  Weise  Maecenas,  der  in  einem  Zitat 
bei  Seneca  ep.  114,  5  das  sprachliche  Wagnis  Vergils  rimatur  epulis  in 
seine  wegen  ihrer  KttKoZiiXia  verrufene  Prosa  übertrug.  —  595  nee 
non  et  Kai  iurjv,  s.  z.  183.  —  TUyon.  Über  die  griechische  Endung  s.  An- 
hang VI  5.  —  terra  omniparens  TTamuriTeipa  (Heyne),  zuerst  bei  Lucrez 
II  706  nachweisbar,  aber  wohl  älter  wie  omnipotens  592.  —  alumnus 
hier  =  GpertTÖc  nach  der  jungen  Sagenform  bei  ApoUon,  Rh.  I  761  6v 
p  '^TEKev  Te  1  öl'  '€Xdpri,  0pev|iev  be  Kai  aip  eXoxeucraxo  faia  (Heyne 
u.  a.).  —  596  cernere  erat  fjv  ecJibeiv  nach  Analogie  des  bekannten, 
seit  caesarischer  Zeit  üblichen  Gräzismus  videre  est  wahrscheinlich  von 
Vergil  geneuert  (vergl.  Lachmann  z.  Lucr.  V  533,  Wölfflin,  Arch.  f.  Lex. 
n  135 f.);  graeca  figiira  Serv.  zu  VIH  676.  —  obuncus  M,  adtmcus  P, 
abuncus  FR.  Ahnliches  Schwanken,  aber  durchaus  zu  Gunsten  von  obun- 
cus  an  der  zweiten  Stelle,  wo  das  Wort  vorkommt:  XI  755.  Es  ist  für 
uns  vor  Vergil  nicht  nachweisbar  (Arch.  f.  Lex.  IH  1886,  246.  249).  — 
598 f.  fecunda  poenis  viscera.  Daß  poenis  Dativ  ist,  zeigt  außer  dem 
Parallelismus  mit  rimatur  epulis  die  Nachahmung  des  sog.  Manilius 
IV  664  crimina  in  poenas  fecunda  suas  (Henry  351).  —  600  fihris: 
Varro  1. 1.  V  79  in  iecore  extremum  fibra.  —  requies  datur  =  Lucr.  VI  931. 
601  ff.  Quid  memorem  Lapithas,  Ixiona  Pirithoumque,  \  quos  super 
atra  silex  iam  iam  lapsura  cadentique  \  imminet  adsimilis;  lucent  geniali- 
bus  altis  I  aurea  fulcra  toris  epulaeque  ante  ora  paratae  |  regifico  luxu 
e.  q.  s.  Schwierige  Verse,  über  die  ich  nicht  wage  ein  bestimmtes  urteil 
abzugeben.  Ribbeck  (prol.  crit.  62 f.)  behauptete,  daß  die  602 ff.  er- 
wähnten Strafen  vom  fallenden  Stein  und  dem  durch  die  Furie  gestörten 
Mahl  auf  Tantalus,  nicht  auf  Ixion  und  Pirithous,  gehen  müßten,  wofür 
er  außer  der  vulgären  Sagentradition  als  Beweise  anführte  l)  daß  602 
in  R  quo  statt  quos  MPF^  {quod  F^)  überliefert  sei,  2)  daß  Servius  zu 
603  ff.  den  Mythus  von  Tantalus  referiere,  3)  daß  Vergil  selbst  g.  III  38  f. 
IV  484  Ixion  aufs  Rad  gefesselt  sein  lasse.  Also  schloß  er,  daß  601 
von  Varius  an  falscher  Stelle  eingefügt  sei  und  Vergil  beabsichtigt  habe, 
hier  statt  Ixion  und  Pirithous  vielmehr  Tantalus  zu  nennen.  Andere 
ließen  von  dieser  gewagten  Hypothese  wenigstens  so  viel  gelten,  daß 
nach  601  eine  Lücke  anzunehmen  sei,  in  welcher  die  Erwähnung  des 
Tantalus  ausgefallen  sei.  Die  anderen  bis  in  die  jüngste  Zeit  vor- 
getragenen Vermutungen  (Textänderungen,  Versumstellungen  etc.)  auf- 
zuzählen, scheint  mir  zwecklos,  da  mich  keine  zu  überzeugen  vermocht 
hat  und  ich  nichts  Besseres  weiß,  als  zu  der  Ansicht  der  älteren  Inter- 
preten zurückzukehren,   wonach  die  Überlieferung   intakt  ist.     Dazu  ver- 


VERS  595—601.  279 

anlassen  mich  folgende  Gründe:  l)  Es  hat  gar  keine  Wahrscheinlichkeit, 
gegen  die  La.  der  besten  Hss.,  die  durch  die  indirekte  Überlieferung  des 
Servius,  Macrobius  und  Ps.  Probus  sowie  die  Paraphrase  des  Hieronymus 
de  bono  mortis  7,  33  (angeführt  von  K.  Schenkl,  Wiener  Stud.  XVI 
1895,  336 f.)  bestätigt  wird,  vielmehr  die  La.  der  schlechtesten  unter 
den  alten  Hss.  zugrunde  zu  legen  und  für  weitgreifende  Kombinationen 
zu  verwerten,  da  sie  doch  nur  auf  leichtem  Verschreiben  beruht  (quo 
super  für  quos  super).  2)  Servius  kann  nichts  für  die  Hypothese  be- 
weisen, denn  auch  er  (zu  616)  las  quos  und  bezog  die  Strafe  des  fallen- 
den Steins  auf  Ixion  und  Pirithous.  Nur  versucht  er  dadurch  ein  Kom- 
promiß mit  der  vulgären  Tradition  zu  schließen,  daß  er  wenigstens  die 
zweite  Strafe,  die  Entziehung  der  Speisen,  von  Tantalus  verstanden 
wissen  will.  Diese  Trennung  der  beiden  Strafen  ist  aber  nach  dem  Wort- 
laut ausgeschlossen,  wie  denn  auch  Donatus  beide  auf  Ixion  und  Piri- 
thous bezieht  und  schon  Statins  in  seiner  Nachahmung  dieser  Stelle 
(Theb.  I  713)  beide  auf  Phlegyas  überträgt  (wie  Vergü  selbst  VHI  668 f. 
auf  Catilina:  te  Catilina  minaci  \  pendentem  scopulo  Furiarumque  ora 
trementetn).  3)  a)  Daß  Vergil  hier  die  in  den  Georgica  1.  c.  erwähnte 
vulgäre  Sage  von  der  Bestrafung  des  Ixion  durch  das  Ead,  die  in  der 
nach  601  angenommenen  Lücke  gestanden  haben  soll,  nicht  gemeint 
haben  kann,  ergibt  sich  daraus,  daß  er  diese  Strafe  gewissen  allgemeinen, 
nicht  näher  bezeichneten  Verbrechern  zuteil  werden  läßt  616  f.  radiisque 
rotarum  districti  pendent:  die  Strafe  des  Tpo\ii€iv  ist  ein  altes  Motiv, 
s.  Dieterich  203.  b)  Es  ist  aber  überhaupt  unerlaubt.  Sagen  Varianten  der 
Georgica  mit  denen  der  Aeneis  auszugleichen.  Wenn  sich  Vergil  sogar 
innerhalb  der  Aeneis  solche  erlaubte,  ohne  daß  die  Absicht  bestanden 
hätte,  sie  zu  beseitigen  (s.  z.  61 7 f.),  und  wenn  Ovid  in  den  Meta- 
morphosen dieselbe  Praxis  übt  (vergl.  Ps.  Probus  zu  Vergil  g.  I  399), 
wieviel  weniger  brauchten  diese  Dichter  auf  Uniformität  in  ihren  ver- 
schiedenen Gedichten  bedacht  zu  sein,  c)  Muß  dies  Prinzip  überhaupt 
eine  Grundlage  für  die  Interpretation  dieser  Art  von  Poesie  sein,  so 
darf  es  ganz  besondere  Geltung  beanspruchen,  wo  es  sich  um  die  Strafen 
im  Tartarus  handelt,  die  erst  spät  und  auch  dann  nie  ganz  festgelegt 
sind.  So  schwankte  ja  grade  auch  die  Überlieferung  über  Tantalus. 
Wenn  Vergil  ihn  hier  nicht  nennt,  so  durfte  man  seine  Erwähnung 
nicht  gewaltsam  in  den  Text  bringen,  denn  die  Stationierung  des  Tan- 
talus unter  den  Büßern  des  Tartarus  ist  ja  sicher  nicht  das  Ursprüng- 
liche. Vielmehr  darf  angenommen  werden,  daß  Vergil  ihn  auf  Grund  der 
treffenden  Darlegungen  der  Grammatiker  zu  \  582 if  und  zu  Pindar  0.  1, 
97  mit  Absicht  nicht  genannt  hat.  —  Die  von  Heyne  in  die  Worte  'fabu- 
lam  affert  a  vulgari  diversam'  zusammengefaßte  Erklärung  scheint  mir 
also  den  Umständen  nach  die  relativ  beste  zu  sein.  Die  Möglichkeit  aber, 
daß  dieser  Stelle  die  letzte  Hand  des  Dichters  noch  gefehlt  habe,  wird 
mit  Helm  1.  c.  (z.  586 f.)  offen  zu  halten  sein. 

601  quid  memorem  =  VIII 483,  dazu  Servius:  figura  oratoria 
quae  paralipsis  vocatur.  Die  rhetorische  Frage  paßt  besser  für  den 
Dichter,  der  durch  sie,  wie  Donatus  bemerkt,  eine  zu  lange  'continuatio 
sermonis'  vermeidet,  als  für  die  Person,  die  er  reden  läßt.  Vergl.  über 
diesen    kleinen    Stilfehler   o.  S.  215.    —    Pirithoumque.     Versschluß    wie 


280  KOMMENTAR 

oben  393,  vergl.  Anhang  IX.  —  602  cadentique.  Der  überhangende  Vers 
malt  das  Überhangen  des  Felsblocks  (Forbiger) ,  vergl.  Anhang  IX  3  c. 
Solche  versus  hypermetri  sind  nicht,  wie  Kießling  (zu  Horaz  s.  I  4,  96) 
glaubt,  erst  von  Lucilius  (481  L.)  gebildet,  sondern  schon  von  Ennius 
(vergl.  Seneca  bei  Gellius  XII  2,  10),  und  zwar  nach  einer  fälschlich  aus 
dem  homerischen  Zr\v  abstrahierten  Theorie  (vergl.  Hephaestion  euch.  4,  7), 
die  schon  Kallimachos  (ep.  41,  l)  in  die  Praxis  umgesetzt  hat.  Den  von 
Lachmann  z.  Lucr.  p.  81  angeführten  Beispielen  aus  lateinischen  Dichtern 
sind  jetzt  noch  die  von  L.  Quicherat,  Rev.  de  phil.  XIV  1894,  51  ff.  und 
von  Bücheier  z.  carm.  ep.  1247  gesammelten  hinzuzufügen.  —  cadenti 
adsimiUs  übersetzt  TTpOTretric.  —  603  f.  genialihus  aliis  .  .  .  toris.  Das 
doppelte  asyndetische  Attribut,  für  lateinische  Poesie  eine  Seltenheit,  ent- 
spricht hier  gut  der  ipa^iKf)  XeHic  wie  605  regificus  (==  Ennius  tr.  122). 
Letzteres  ist  zudem  in  den  obliquen  Casus  (wie  hier  regifico)  sowie  im 
Adverb  ein  bequemer  Ersatz  (neben  regalis)  für  die  im  Hexameter  un- 
brauchbaren Formen  von  regius.  —  aurea  fulcra.  Über  den  Begriff  von 
fulcrum  hat  W.  Anderson,  Class.  rev.  HI  1889,  322  ff.  gut  gehandelt  und 
die  Eichtigkeit  der  Isidorglosse  (orig.  XIX  26,  3)  fulcra  sunt  ornamenta 
lectorum  dida,  quod  in  iis  fuldnmr,  vel  quod  toros  fulciunt  sive  caput, 
quae  recUnatoria  vulgus  appellat  (vergl.  Corp.  Gloss.  I  473)  gegenüber 
den  Irrtümern  moderner  Lexikographen  erwiesen.  Danach  sind  fulcra 
die  verzierten  Bettlehnen ,  auf  denen  die  Polster  lagen.  Während  diese 
Verzierungen  gewöhnlich  aus  eingelegter  Bronze  oder  bei  großem  Luxus 
späterer  Zeit  aus  Schildpatt  bestanden  (Juvenal  11,  94|ff.),  läßt  Vergil  sie 
hier  aus  Gold  (vergoldet)  sein:  tatsächlich  waren  KXTvai  XP^^JcT  aus  dem 
Osten  nach  Rom  importiert  Avorden  (Athenaeus  V  197  A).  Wenn  Vergil 
hier  also  einen  Brauch  in  die  mythische  Vergangenheit  verlegt,  so 
nimmt  er  sich  dieselbe  Freiheit,  die  uns  besonders  aus  Ovid  geläufig  ist 
(vergl.  Ehwald  zu  Ovid  m.  VIII  556).  —  605  Furiaruni  maxiwia  sc. 
natu:  Eurip.  Iph.  T.  963  TTpeffßeip'  fitrep  fjv  •'Gpivuuuv,  Stat.  Th.  VII  477 
Eumenidum  antiquissima  (Germanus).  Statins  versteht  in  der  Nachbildung 
dieser  Stelle  (Th.  I  713)  Megaera.  —  606  f.  accubat — exsurgit:  über  die 
Wortstellung  s.  Anhang  III  A  2.  —  607  Monat  FMR  und  der  Vergil- 
cento  [zu  37]  IV  233,  346,  increpat  P  Glosse  aus  387.  Intonat  orc  Vers- 
schluß =  Culex  179,  dort  ungeschickt  verwendet,  also  möglicherweise 
ein  älterer  Versausgang;  intonare  wird  alter  Poesie  angehören  wegen  der 
Konkordanz  von  Cicero  poet.  (de  div.  I  106)  intonuit  caeli  pater  und 
Vergil  II  493  intonuit  (Jupiter).  So  hat  Plautus  Amph.  1094,  an  einer 
Stelle  mit  paratragodischem  Charakter,  continuo  contonat,  wie  Horaz 
s.  II  3,  223,  ebenfalls  parodierend,  circumtonare. 

ß)  Erste  Gruppe  von  Sündern  des  Lebens  608—15.  (Periodi- 
sierung:  608 — 15  zwei  TpiKUjXa,  das  erste,  zweite  und  fünfte  kujXov  mit 
je  zwei,  das  dritte  und  sechste  mit  je  drei  KÖ)U)uaTa.)  Das  Prinzip  der 
Gruppierung  ist  die  Verletzung  der  heiligen  Familiengesetze:  Brüder 
gegen  Brüder,  Kinder  gegen  Eltern,  Patrone  gegen  ihre  Schutzbefohlenen, 
Geizige  gegen  ihre  Angehörigen,  Sklaven  gegen  ihre  Herren,  Ehebrecher. 
Diese  Klassen  sind  seit  früher  Zeit  typisch  für  die  Verdammten  der 
Hölle  und  blieben  es  sehr  lange.  Die  Belege,  die  mit  den  (allerdings 
interpolierten)  Versen  Hesiod  Erga  327 ff.  und  der  alten  Orphik  beginnen 


VERS  602— 608flF.  281 

und  bis  zu  den  chiistlichen  Apokalypsen  des  IV.  Jli.  reichen,  sind  von 
Dieterich  163fF.  und  mir  (Hermes  XXVIII  1893,  390f.)  gegeben  worden 
und  brauchen  hier  nicht  wiederholt  zu  werden.  Wichtiger  ist  es  fest- 
zustellen, daß  Vergil  bemüht  ist,  die  griechischen  Anschauungen  durch 
römische  Terminologie  seinen  Lesern  näher  zu  rücken.  1)  Nach  Piaton 
Rep.  X615D  (bez.  seiner  Quelle)  büßen  im  Tartarus  die  Brudermörder. 
Wenn  Vergil  dafür  mit  Mildenong  des  Ausdrucks  vielmehr  quibtts  invisi 
fratres  sagt,  so  werden  die  Zeitgenossen  dabei  an  das  Thema  der  'feind- 
lichen Brüder'  (fratres  dissidentes ,  vergl.  georg.  11  496  infidos  agitans 
discordia  fratres)  gedacht  haben,  das  in  den  fingierten  Gerichtsreden 
jener  Zeit  eine  große  Rolle  spielte  (Seneca  contr,  I  1,  7.  V  4.  VI  3.  VII  l), 
weil  es  im  Leben  so  häufig  war.  —  2)  Aristophanes  Frösche  149  f. 
nennt  (nach  seiner  Quelle)  unter  den  Verdammten  der  Hölle  ei  Tic  .  . . 
f|  |iAT]Tep'  ^Xörjcrev  r\  iraTpöc  YvaGov  eTraraHe,  vergl.  die  von  Germanus 
zitierte  Stelle  Piatons  Ges.  IX  880  E  Traxpoc  f|  |LiTiTpöc  f|  toutujv  Iti 
TTpOTÖvujv  öaiic  ToX|iir|crei  cxi|jacr9ai  Ttoxe  ßialöiuevoc  alKia  tivi,  larite 
TÜJv  avui  öeicfac  Geujv  inriie  tujv  uttö  f^ic  Ti|uuüpia)v  . .  .,  Karaqppovujv 
TiI)V  TraXaiwv  Kai  uttö  TrdvTUJV  eipruneviuv ,  irapavoiiieT.  Wenn  Vergil 
diese  Vorstellung  wiedergibt  mit  quibus  pulsatus  parens,  so  erinnerte 
sich,  wie  schon  J.  Bernays  (Ges.  Abh.  H  144,  55)  bemerkte,  der  römische 
Leser  an  das  auf  Servius  TuUius  zurückgefühi-te,  wahrscheinlich  in  ältester 
Zeit  aus  griechischem  Recht  (Solon?  vergl.  Demosthenes  24,  103)  ent- 
lehnte Gesetz  sei  <^quem?y  parentom  pover  verherid  ast  öle  plorasid,  pover 
deivois  parentom  sdkros  estod  (nach  Festus  230),  wie  denn  auch  Plautus 
Pseud.  355  die  Worte  verberavisti  patrcm  atque  matrem  unverändert  aus 
seiner  Vorlage  herübernehmen  konnte  (vergl.  Usener,  Rh.  Mus.  LVII, 
1901,  26).  —  3)  Zu  der  Klasse  quibus  fraus  innexa  dienti  bemerkt 
schon  Servius:  ex  lege  XII  tabularum  (p.  149  Seh.)  venit  in  quibus  scrip- 
tum est  'patronos  sei  cluenti  fraudem  faxid,  saJcer  estod\  Auch  dies  beruht 
wieder  auf  ältester  Rechtsgemeinschaft  oder  auf  sehr  früher  Entlehnung 
seitens  der  Römer.  Denn  bei  Aristophanes  1.  c.  entspricht  die  Klasse  ei 
TTOU  Hevov  (458  variiert  durch  fieioiKOv)  Tic  ^biKricre.  Vergl.  Ps.  Hesiod, 
Erg.  327,  Aeschyl.  Eum.  266  K.,  Aristoteles  bei  Demetr.  de  eloc.  157.  — 
4)  Es  folgt  die  Klasse  derer  qui  divitiis  soll  incubuere  repertis  \  nee  par- 
tem  pesuere  suis.  Die  Volksmoral,  daß  man  von  seinen  xP^IM^Ta  die 
rechte  X9^^^^  machen  müsse,  indem  man  sie  vor  allem  zur  Unterstützung 
seiner  Verwandten  gebrauche,  ist  älter  als  die  philosophische  Moral:  schon 
Pindar  sagt  (N.  1,  31  f.),  er  liebe  nicht  den,  der  große  Schätze  im  Hause 
verborgen  halte,  sondern  den,  der  sie  nutze  zur  Aushilfe  der  Freunde, 
und  so  rühmt  sich  Demosthenes,  den  Bedüi*ftigen  gegenüber  stets  hilfs- 
bereit gewesen  zu  sein  (de  cor.  268).  Wie  so  viele  Volksmoral  ist  auch 
diese  von  der  Stoa  rezipiert  worden,  in  deren  Sinn  sie  von  Cicero  de 
off.  I  42 ff.  (bes.  58),  Horaz  s.  I  1,  80ff.  H  2,  102 f.,  Persius  3,  70ff.  be- 
handelt wird,  und  aus  der  sie  von  der  christlichen  Morallehre  über- 
nommen wurde:  vgl.  Commodian  instr.  130,7  von  den  schlechten  Reichen: 
nee  parentes  pascitis  ipsos.  Vergil  fand  auch  diese  Klasse  in  seiner 
griechischen  Vorlage,  denn  in  den  griechischen  Listen  der  Verdammten 
entsprechen  ihr  die  irXouCfiOi,  die  von  ihrem  Gelde  nicht  den  rechten 
Gebrauch  machten  (vergl.  z.  B.  acta  Thomas  c.  53  p.  40  Bonnet).     Doch 


282  KOMMENTAR 

fügte  er  auch  hier  römische  Züge  hinzu.  Denn  da  Servius'  Erklärung 
von  suis  'id  est  cognatis,  adßnibus'  jedenfalls  richtig  ist  (nach  Terenz 
Phorm.  352 ff.  ist  das  neglegere  cognatos  typisch  für  den  avarus),  so 
erhalten  wir  neben  Eltern  und  Schutzbefohlenen  eine  dritte  Kategorie, 
die  in  die  heiligen  Rechte  der  römischen  Familie  einbegriffen  war:  vergl. 
Gellius  V  13,  2  constabat  ex  moribus  p.  R.  primum  iuxta  parentes  locum 
tenere  pupiUos  debere  .  .,  proximum  dient  es  habere  .  .  .,  in  tertio  loco 
esse  Jiospites,  postea  esse  cognatos  adfinesque.  Auch  die  Ethopoiie 
des  Geizhalses,  der  auf  seinen  gefundenen  Schätzen  schläft  (incubat), 
scheint  aus  römischem  Vorstellungskreis  zu  stammen,  da  sie  wohl  von 
dem  auf  den  Schätzen  liegenden  Incubus  (Petron  38)  auf  den  Reichen 
selbst  übertragen  ist.  Vergl.  Hör.  s.  I  1,  70  f.  congestis  imdique  saccis  vn- 
dormis,  Livius  VI  15,  5  incubantes  publicis  thesauris,  Quintil.  X  1,  2  velut 
clausis  thesauris  incubabit  u.  a.  bei  A.  Otto,  Sprichwörter,  Leipz.  1890, 
173 f.;  ein  analoger  Ausdruck  scheint  im  Griechischen  zu  fehlen.  Wenn 
Vergil  endlich  bei  dieser  Klasse  bemerkt  quae  maxima  turba  est,  so 
paßte  das  auf  das  Rom  seiner  Zeit:  war  doch  die  Freigebigkeit  des 
reichen  Proculeius,  des  Vertrauten  des  Augustus,  gegen  seine  verarmten 
Brüder  deshalb  Stadtgespräch,  weil  es  eine  Ausnahme  von  der  Regel 
war  (Horaz  od.  11  1,  5  ff.  mit  Porphyiio);  carm.  epigr.  1141,  8  wird  einer 
gerühmt,  daß  er  nicht  in  fratres  avarus  erat.  —  5)  Es  folgt  die  Klasse 
der  ob  adultcrium  caesi,  also  wegen  eines  Verbrechens,  gegen  welches 
Augustus  in  dem  Jahrzehnt  der  Abfassung  der  Aeneis  durch  Gesetze 
einzuschreiten  beschloß  (Hör.  HI  6  u.  24,  vergl.  Prop.  H  7).  Die  Speziali- 
sierung der  in  griechischen  Quellen  genannten  )aoixoi  durch  caesi  ob 
adulterium  erklärt  sich  aus  dem  z'ömischen  Kriminalrecht,  wonach  unter 
bestimmten  Umständen  dem  Gatten  die  Tötung  des  Ehebrechers  zustand 
(vergl.  Mommsen,  Strafrecht  6 24 f.).  —  6)  Besonders  deutlich  ist  das 
römische  Kolorit  bei  der  letzten  Klasse:  qui  arma  secuti  impia  \  nee  veriti 
dominorum  (allere  dextras.  Hierzu  bringt  Servius  eine  vortreffliche  Be- 
merkung, die  wieder  in  ihr  Recht  eingesetzt  werden  muß:  melius  est  (als 
die  vorangehende  falsche  Erklärung),  ut  bellum  a  Sexta  Pompeio  ...  in 
Siculo  freto  gestum  accipiamus.  nam  occiso  patre  Siciliam  tenuit  et  collec- 
iis  undique  servitiis  vastavit  sex  annis  uUro  citroque  Siciliam,  postea  victus 
est  ab  Äugusto  et  Agrippa:  Horatius  (ep.  9,  9  sq.)  ^minatus  urbi  vincla  quae 
detraxerat  s  er  vis  amicus  perfidis.'  et  hoc  sensu  tarn  'arma  impia'  quam 
'dominorum'  congruit  commemoratio.  Die  Richtigkeit  dieser  Erklärung 
beweisen  außer  dem  schon  von  Servius  beigebrachten  Horazzitat  (vergl. 
außerdem  Hör.  ep.  4,  19)  die  Worte  des  Augustus,  mon.  Anc.  5,  Iff.  mare 
pacavi  a  praedonibus.  eo  bello  servorum  qui  fugerant  a  dominis 
suis  et  arma  contra  rem  publicam  ceperant,  triginta  fere  millia  capta 
dominis  ad  supplicium  sumendum  tradidi.  So  spezialisiert  Vergil  die  seit 
T  259  f.  typische  Klasse  der  verdammten  eTTiopKOi  durch  Hindeutung  auf 
ein  für  römische  Rechtsanschauung  empörendes  Ereignis:  vergl.  Varro 
sat.  193  und  Liviiis  XXI  41,  10  über  frühere  Sklavenkriege.  Es  lebte 
noch  eine  Generation  nach  Vergil  in  aller  Gedächtnis:  vergl.  Ps.  Mani- 
lius  I  915  ff.  Auf  eine  Interpretation  dieser  Zeit  (Hyginus?)  mag  daher 
die  erlesene  Notiz  bei  Servius  zurückgehen. 

608    dum  vita  manebat   wird   hier    wie    unten   661    nur   zu    einer 


VERS  608—616.  283 

Gruppe  gesetzt,  es  gehört  dem  Sinne  nach  zu  allen.  Die  Phrase  er- 
scheint an  diesen  beiden  Stellen  sowie  besonders  an  der  dritten,  wo  sie 
noch  vorkommt  und  als  wenig  sachgemäß  schon  in  antiken  Kommentaren 
notiert  wurde  (V  724  mit  dem  Erklärungsversuch  des  Servius),  mehr  wie 
eine  formelhafte  "Floskel  und  wird  entlehnt  sein  (vergl.  die  Variation 
II  455  dum  regna  manebant).  Nach  Vergil  war  sie  auf  Inschriften  be- 
liebt^ z.  B.  carm.  epigr.  610,  6  Buch.,  vergl.  auch  J.  Schmalz,  Arch.  f. 
Lex.  XI  (1900)  346.  —  610  diviüae  repertae:  ein  Zug  aus  dem  Leben, 
vergl.  E.  Maaß,  Orpheus  (München  1895)  34,  22.  —  612f.  arma  sccuü  \ 
impia  nee  veriti  dominorum  faller e  dextras.  Impia,  emphatisch  durch 
Versschluß  von  seinem  Substantiv  getrennt,  wird  durch  die  folgenden 
Worte  näher  bestimmt  (s.  Anhang  HI  B  l).  Der  Versanfang  mit  Reminis- 
zenz an  Catull  64,  404  impia  non  vcrita  est  (divos  scelerare  penatcs).  — 
614:  inclusi  poenam  cxpectant.  Das  eigentümliche  Motiv,  daß  diese  Sün- 
der 'im  Kerker  ihrer  Strafe  harren',  muß  in  einer  älteren  Apokalypse 
überliefert  gewesen  sein,  da  es  auch  in  den  acta  Thomae  c.  54  (p.  40  f. 
Bonnet)  vorkommt:  UTrebeiHe  |aoi  avxpov  Trdvu  (TKOTeivöv  .  .  .,  iroWai 
be  vpuxcti  CKeTeev  TrapeKUTTiov  ßouXö)iievai  toO  de'poc  ti  jueTaXainßdveiv, 
Ol  be  TOUTCüv  qpuXttKec  oiik  eiwv  auidc  irapaKUTtTeiv.  6  be  ctuvuüv  \xo\ 
elire"  toOtö  low  tö  becTjuiUTripiov  (vergl.  inclusi)  toutujv  tOüv  vj;uxu»v 
il)v  eibec"  endv  ydp  irXripuuaujai  idc  KoXdcreic  (poenam)  auTuJv  u)V  ^ia 
eKdaiTi  CTipaHev,  ücfTepov  TrdXiv  dXXai  bmbexoviai  aiiidc  (vergl.  ex- 
spectant).  —  615  ne  quaere  doceri  .  .  .  quae  forma  viros  fortu/nave  mcrsit. 
Forma:  Servius  id  est  eausa  criminis  vel  regula,  singulis  enim  scderihus 
sunt  statuta  supplicia  ex  more  romano  quem  sequitur.  Also  s.  v.  a.  formula 
(L.  Havet,  Eev.  de  phil.  XIII  1889,  116),  in  spielerischem  Anklang  an 
fortuna  (ähnlich  Lucilius  932L  formonsi  fortes).  —  mersit.  Der  Indikativ 
im  abhängigen  Fragesätze  nach  der  Praxis  sowohl  des  Altlateinischen 
als  des  Griechischen.  Da  er  sich  auch  bei  Properz,  Ovid  und  Späteren 
findet  (vergl.  Leo,  Seneca  I  9 2  f.),  so  muß  für  Vergil  das  Griechische  als 
maßgebend  betrachtet  werden.  Oft  war  für  die  Wahl  der  einen  oder 
der  anderen  Form  nur  die  Bequemlichkeit  des  Verses  entscheidend,  wie 
sich  besonders  bei  Properz  erkennen  läßt,  der  oft  in  einem  und  dem- 
selben Satze  mit  unerhörter  Freiheit  wechselt.     Vergl.  auch  z.  779. 

f)  Zweite  Gruppe  von  Sündern  der  Sage  616 — 20  rpiKUjXov, 
das  erste  kuuXov  mit  zwei,  das  dritte  mit  vier  KÖ)i)uaTa. 

616  saxum  ingens  volvont  malerische  Spondeen  nach  dem  Vorbild 
des  homerischen  Xdav  ßacFxdZiovTa  TteXuupiov  (X  594),  was  schon  von 
dem  Gewährsmann  des  Dionys.  Hai.  de  comp.  verb.  20  als  |Ui|aTiTiKÖv  xoö 
TTpdY|LAaTOC  angeführt  und  von  einem  Dichter  bei  Cic.  Tusc.  I  10,  ver- 
mutlich Lucilius  (815  Baehr.),  Sisyphus  versat  \  saxum  Sudans  nitendo 
nachgebildet  war;  s.  Anhang  VII  Bl.  —  Dasselbe  rhythmische  Ethos  im 
folgenden  Vers  617  sedet  aeternumque  sedebit  |  infelix  Theseus.  Hier  soll 
durch  das  rhythmisch  schwere  aeternum  die  Länge  der  Zeit  gemalt 
werden,  wie  Lucrez  zu  gleichem  Zweck  mit  demselben  Wort  den  fünften 
und  sechsten  Fuß  füllt  in  dem  malerischen  Vers  III  907  insatiabüiter 
deflevimus  aeternumque  (nulla  dies  nobis  maerorem  e  pectore  demet)  und 
wie  Horaz,  wohl  um  eben  diese  Wirkung  zu  erzielen,  den  dritten  und 
vierten  Vers   der  alkaeischen  Strophe   durch  Synaphie  verbindet  11  3,  27 


284  KOMMENTAR 

in  aeternum  \  exüium  (sonst  das  nur  noch  einmal  bei  einem  Eigennamen 
ni  29,  35  Etruscum  \  in  mare).  Malerisch  sind  endlich  auch  die  Spondeen 
infelix  Tfieseus  wie  o.  456  infelix  JDido.  Vergl.  im  allgemeinen  An- 
hang VII  Bl.  —  617  von  Theseus:  sedet  aeternumque  sedebit.  Daß 
Theseus  (nicht  bloß  Pirithous)  zum  sedere  verdammt  wurde,  stammt  aus 
gewählter  Sagenüberlieferung,  vergl.  Dieterich  91  f.  Daß  die  Sagenversion 
von  der  ewigen  Strafe  des  Theseus,  die  seit  der  (späten)  Stelle  X  631 
neben  der  anderen  geläufig  blieb  (z.  B.  Properz  11  1,  37),  mit  122,  wo- 
nach er  aus  dem  Hades  zuinickkehrte ,  in  Widerspruch  stehe,  notierte 
schon  Hygin  (bei  Gellius  X  16,  11  ff.).  Er  meint,  correcturum  fuisse  Vcr- 
gilium,  nisi  mors  occupasset  Das  ist  möglich,  aber  nach  dem  o.  S.  209 
Bemerkten  nicht  sicher.  Wenn  Vergil  hier  zu  sedet  mit  Emphase  hinzu- 
setzt aeternumque  sedebit,  so  will  er  dadurch  die  andere  Fassung  aus- 
drücklich abweisen,  ähnlich  VIII  140 f.  at  Maiam^  auditis  si  quicquam 
crcdimus,  Allans,  \  idem  Allans  gener al,  eaeli  qui  sidera  lollit  (vergl. 
Servius  dazu  und  zu  VII  50 f.).  Da  CatuU  64,  16  (vergl.  Reitzenstein, 
Hermes  XXXV  1900,  89),  Horaz  IV  7,  25  f.,  Properz  III  15,  23  und  Ovid 
(vergl.  Ehwald  zu  m.  X  60 f.  VI  50 ff.),  in  analoger  Weise  gegen  ab- 
weichende Sagenüberlieferung  versteckt  polemisieren,  so  muß  dieser  schon 
früh  geübte  Brauch  der  Dichter  (Pindar  0.  1,  26  ff.,  6,  25  f.,  P.  3,  8 ff.  u.  ö., 
Soph.  El.  566 ff.  Eur.  Suppl.  846 ff.)  in  der  gelehrten  Poesie  der  Alexan- 
driner besonders  beliebt  gewesen  sein,  wofür  Kallimachos  h.  3,  172  einen 
guten,  vonKaibel  (DLZ  1882,  1750)  notierten  Beleg  gibt.  —  620  tcmnere. 
Das  als  Simplex  veraltete  Wort  hebt  die  Feierlichkeit;  Vergil  hat  es  noch 
dreimal  I  542.  665.  X  737,  stets,  wie  hier,  in  Reden. 

b)  Zweite  Gruppe  von  Sündern  des  Lebens  621 — 24-  (xpi- 
kujXov,  das  erste  mit  drei,  das  dritte  mit  zwei  K6)U|uaTa). 

621  f.  vendldit  hie  auro  patriam  dominumque  potentem  |  imposuit, 
fixit  leg  es  pretio  atque  refixit.  Der  Typus  als  solcher  war  überliefert; 
in  der  platonischen  Apokalypse  Rep.  X  615  B  werden  im  Tartarus  be- 
straft die  TToXeic  irpoböviec,  noch  in  einer  Vision  des  J.  824  (s.  Ein- 
leitung S.  9)  p.  299  die  domini  qui  subiectos  sibi  non  ut  domini  guber- 
narunt  sed  ut  crudeles  tyranni.  Aber  auch  hier  ist  die  Formidierung 
wieder  römisch.  Sei'vius  bemerkt:  possumus  Antonium  accipere  se- 
cundum  Ciceronem  in  PhiUppicis,  ubi  ait  ^leges  reßxisti,'.  fixit  autem  ideo 
quia  incisae  in  aereis  tabulis  affigebantur  parietibus.  Diese  Interpretation 
ist  richtig:  die  frevelhafte  Willkür  des  Antonius  im  Publizieren  von 
Gesetzen  angeblich  aus  Caesars  Nachlaß  brandmarkt  Cicero  ständig  mit 
dem  Ausdruck  leges  (tabulas)  figere  (vergl.  Phil.  2,  92.  97.  5,  12.  12, 
12.  13,  5),  und  mit  Beziehung  hierauf  scheint  später  von  Octavian  die 
lex  lulia  de  peculatu  (dessen  Cicero  an  einer  der  genannten  Stellen, 
12,  12,  den  Antonius  beschuldigt)  gegeben  zu  sein:  qui  tabulam  aeream 
leges  formamve  agrorum  aut  quid  aliud  continentem  refixerit  .  .  .,  pe- 
culatus  tenetur  (Dig.  XL VIII  13,  10).  Die  Richtigkeit  der  Beziehung 
auf  Antonius  (d.  h.  einen  Typus  wie  Antonius)  wird  durch  folgende 
Argumente  gewährleistet:  1)  Wie  Vergil  ihn  dominum  potentem  nennt, 
so  Livius  per.  117  M.  Antonius  cos.  cum  impotenter  dominaretur,  Velleius 
II  61  torpebat  oppressa  dominatione  Antoni  civitas,  vergl.  Augustus  im 
mon.  Anc.  1,  2.     2)   Schon   im   ersten   Entwurf  seines  Epos,    den  Vergil 


VERS  616—623.  285 

im  Prooemium  zum  III.  Buch  der  Georgica  darlegt,  findet  sich  Antonius 
als  Büßer  im  Tartarus:  g.  III  37 ff.  vergl.  Neue  Jahrb.  f.  das  klass.  Alt. 
1901,  319.  3)  Die  von  Macrobius  TV  4,  11  als  Vergils  Vorbild  zitierten 
Verse  des  Varius  de  morte  (Caesaris):  vendidlt  hie  Latium  populis  agrosque 
Quiritum  \  eiipuU,  fixit  leges  pretio  atque  refixit  beziehen  sich  tatsächlich 
auf  Antonius  (vergl.  z.  B.  E.  Unger,  L.  Varii  de  morte  eclogae  reliquiae, 
Halle  1870,  6  ff.)  —  Durch  das  fast  wörtliche  Zitat  der  berühmten  Verse 
seines  verehrten  Freundes  machte  Vergil  diesem  nach  der  bekannten 
Sitte  hellenistischer  Dichter  ein  Kompliment,  wie  Properz  11  34,  6 7 ff. 
seinerseits  dem  Vergil  durch  Zitate  aus  den  Bucolica.  Wenn  er  zu 
vmdidit  noch  awo  hinzufügt,  so  ist  das  wohl  eine  weitere  Keminiszenz 
an  einen  ebenfalls  berühmten  Vers  des  Accius  (p.  296  Ribb.^)  auro  ven- 
didit  (vitam  viri).  Dem  Zitat  zuliebe  hat  er  eine  für  seine  Praxis  irre- 
guläre Synaloephe  des  Varius  beibehalten:  pretio  atque  refixit,  d.  h. 
Synaloephe  der  Länge  eines  anapästischen  Worts  vor  der  5.  Arsis;  s. 
Anhang  XI  1..  —  Über  die  Wortstellung  vendidit  —  imposuit  —  refixit 
s.  ebenda  IIIA  2. 

623  Jiic  fJialamum  invasit  natae  vetitosqtie  hymenaeos.  Das  ist  ein 
Vertreter  einer  weitern  typischen  Klasse  von  Verdammten  der  Hölle,  der 
Unzüchtigen  (vergl.  Dieterieh  174ff. ).  Die  Beziehung  des  Servius  auf 
Thyestes  oder  Kinyras  ist  falsch,  da  sie  den  Frevel  der  OufaxpomHia 
unwissentlich  begingen,  was  dem  Gedanken  des  folgenden  Verses  (ausi 
omnes  immane  nefas)  widersprechen  würde.  Das  Motiv  war  in  helle- 
nistischer Poesie  beliebt  (Hygin.  f.  253),  seine  berühmteste  Behandlung 
in  der  Sage  von  Klymenos  und  Harpalyke  (vergl.  Crusius  im  Lex.  d. 
Myth.  I  1837  f.).  Die  Sache  selbst  wird  entsprechend  dem  feinen  Ton, 
den  die  kunstgemäße  Stilisierung  für  dergleichen  Dinge  vorschrieb  und 
den  man  grade  an  Vergil  besonders  rühmte  (vergl.  Gellius  X  10  über 
Vm  404ff.,  unsere  SchoUen  zu  g.  III  127.  135.  aen.  H  402.  IV  166.  318. 
608),  'honeste'  mehr  angedeutet  als  gesagt.  Wie  Vergil  hier  thalamurti 
und  hymenaeos  gebraucht,  so  die  Griechen  ydiLioi:  Demosth.  de  cor.  129 
an  einer  grade  wegen  dieser  honesta  translatio  berühmten  Stelle  (vergl. 
auct.  ad  Herenn.  IV  34,  45),  die  sachlich  auf  die  Komödie  weist.  Daß 
grade  in  der  mit  Worten  prüden  vea  das  Wort  so  gebraucht  wurde, 
darf  aus  der  Übersetzung  des  Plautus  durch  mcptiae  geschlossen  werden 
(Gas.  II  8,  45  ff.  Cist.  I  1,  43  ff.,  dann  später  bei  Petron  durch  das  Medium 
der  MiXrjCJiaKd).  Dieses  Wort  zu  gebrauchen  war  für  den  Daktyliker 
ausgeschlossen:  so  wählt  Vergil  die  beiden  Fremdworte,  zumal  diese 
eben  als  Fremdworte  zur  Verschleierung  der  Sache  geeignet  waren,  und 
läßt  den  Vers  nach  griechischer  Art  (s.  Anhang  IX)  schließen  vetitosque 
hymenaeos  (otTToppriTOuc  9'  \j)uevaiouc).  So  ist  er  auch  IV  550  gezwungen 
zu  sagen  thalami  expers,  während  Horaz  HI  11,  11  mit  nuptiarum  expers 

auskommt.     Auch    conubium w  u  machte   Schwierigkeiten,    da    -m   in 

daktylisch  auslautendem  Worte  in  klassischer  Zeit  nicht  mehr  elidiert 
wurde:  daher  braucht  Vergil  nach  CatuUs  Vorgang  den  Plural  conubia 
(IV  316.  535),  die  obliquen  Casus  mit  Synizese  conubio,  conubiis  nur  in 
späten  Partieen  (III  136.  VII  96.  253.  333.  XII  821)  und  dem  wohl 
gleichfalls  späten  ersten  Teil  von  I  (76,  daraus  interpoliert  in  IV  126). 
Coniugium  ist  im  Genitiv  erst  von  Ovid  gebraucht,  der  vor  Formen  auf 


286  KOMMENTAR 

-ii  keine  große  Scheu  mehr  hatte,  im  Accusativ  von  Vergil  in  dem  späten 
VII  (423.  433)  in  der  Bedeutung  von  coniugem  (vergl.  Xexoc,  ^&jjloc), 
das  als  daktylisches  Wort  auf  -m  aus  dem  genannten  Grunde  wieder 
nicht  zu  brauchen  war;  für  coniugalis  sagt  er  IV  16  iugalis,  was  die 
antiken  Exegeten  notierten.  Ersatzmittel  neben  den  genannten  griech. 
Worten  waren  taedae  und  foedera,  so  IV  338 f.  VII  388.  —  Die  gleiche 
vorsichtige  Wahl  der  Worte  zeigt  der  folgende  Vers  624  ausi  ornnes 
immune  nefas  ausoque  poiiti,  was  zunächst  auf  die  an  letzter  Stelle  ge- 
nannte fleischliche  Sünde  geht.  Denn  audere  (wie  ToXjuäv,  eGeXeiv)  und 
potiri  (wie  ec  xeXoc  oder  ec  iröGov  ^pxeffGai  oder  dvueiv)  sind  Verba 
nequam'.  Vergl,  z.  B.  IV  217  rapto  potitur,  von  Servius  durch  stupro 
fruitur  erklärt;  Ninnius  Crassus  fr.  2  Baehrens  (FPR  p.  283)  penetrat 
penitus  thalamoque  potitur-,  Ovld  m.  XI  242  auso  foret  ille  potitus  näml. 
Peleus  der  Umarmung  der  Thetis;  Apuleius  in  der  anth.  lat.  712  Riese 
amare  liceat,  si  potiri  non  licet.  Audere  streift  in  der  Verbindung  auso 
potiri  nahe  an  die  ihm  seiner  wahrscheinlichsten  Etymologie  gemäß  zu- 
kommende Bedeutung  'trachten  nach  etwas':  Paulus  F.  20  audacia  ab 
avide,  i.  e.  cupide,  agendo  dicta  est,  vergl.  Skutsch  1.  c.  (z.  210)  44  und 
Birt,  Rh.  Mus.  Suppl.  LH  131.  Daher  läßt  Ovid  1.  c.  auso  potiri  mit 
265  votis  potiri  wechseln,  vergl.  Apuleius  met.  IX  18  cupito  potiri 
Vergil  selbst  hat  audere  so  noch  g.  III  188,  wo  es  von  einigen  falsch 
in  gaudere  geändert  wird,  vergl.  Horaz  III  24,  25.  28  volet  —  audeat, 
ProperzIII,  11,  41  ff. 

3.  Conclusio  625 — 27  (biKOuXov  mit  je  zwei  K6)U)LiaTa)  mit  starken 
rhetorischen  Mitteln:  Alliterationen  si  —  sint,  ferrea  — -  formas,  poenarum 
percurrere  —  possim,  Anaphern  centum  —  centum,  omnis  —  onrnia,  das 
Parison  omnis  scelerum  comprendere  formas  r^  omnia  poenarum  percurrere 
nomina  (11,  13  Silben). 

625  f.  non  mihi  si  linguae  centum  sint  oraque  centum,  |  ferrea  vox 
ist,  wie  schon  der  von  Servius  und  Macrob.  VI  3,  6  benutzte  Kommentar 
notierte,  eine  Nachbildung  der  Verse  B  489 f.,  die  vor  Vergil  schon 
andere  Dichter  nachahmten,  darunter  der  hier  von  Vergil  fast  wörtlich 
zitierte  Lucrez  VI  840  f.  (non  mihi  si  linguae  centum  sint  oraque  centum,  \ 
aerea  vox),  und  die  nach  Vergil  ein  stehendes,  von  Persius  5,  Iff.  ver- 
spottetes Inventarstück  der  Poesie  wurden.  Für  die  rhetorisierenden 
römischen  Dichter  ist  es  charakteristisch,  daß  sie  aus  der  homerischen 
Zehnzahl  eine  Hundertzahl  machen;  bei  Ovid.  f.  II  119  und  Valerius 
Flacc.  VI  40  sind  es  gar  1000  Zungen.  S.  z.  578  und  andere  Steigerungen 
dieser  Art  bei  J.  Kvicala,  Vergilstudien  (Prag  1878)  110,  G.  Ihm,  Progr. 
Gemsheim  1902,  7,  Vollmer  zu  Statins  s.  V  4,  11. 


IV.    Palast  des  unterirdischen  Herrselierpaars  628 — 636. 

Die  beiden  iKcppdcTeic  von  Tartarus  und  Elysium  werden  durch 
eine  wenn  auch  nur  kurze  Handlung  getrennt:  die  Niederlegung  des 
goldnen  Zweigs  an  der  Pforte  des  unterirdischen  Palastes.  Singular  wie 
das  Motiv  als  solches  ist  die  Vorstellung  6 30  f.,  daß  der  Palast  von  den 
Kyklopen   aus  Eisen   geschmiedet   sei  (Cyclopum   educta  caminis  moenia). 

Periodisierung   628 — 30   öikujXov,    das    zweite    mit    drei    KÖ)i)iiaTa; 


VERS  624— 637flF.  287 

630 — 32  biKUjXov,  das  erste  mit  zwei  K6|Li)LiaTa;  633 — 34  TpiKouXov,  das 
dritte  mit  zwei  KÖ|i|uiaTa;  635 — 36  rpiKUuXov.  Alliterationen:  628  haec 
ubi  dicta  dedit  (ennianisch,  vergl.  tr.  265  orationem  duriter  didis  dedit, 
aus  Ennius  haec  ubi  dicta  dedit  auch  Lucilius  16  L.  und  Livius  XXII 
50,  10;  s.  o.  z.  472f.)  630f.  Cyclopum  —  caminis  —  conspicio  632  de- 
ponere  dona  633  pariter  — per.  Isokolon:  635 f.  occupat  Aeneas  aditum 
=  corpus  recenti  spargit  aqua  (je  9  Silben).  Homoioteleuta  in  signi- 
fikanter Stellung  (s.  Anhang  IIIA  2):  634  corripiunt  —  propinquant 
635  f.  occupat  —  spargit  —  figit. 

629 f.  carpe  viam  et  perfice  munus,  accderemus:  Parataxe  (s.  An- 
hang II  2)  für  celeriter  carpe  viam,  ut  mu/nus  perficias.  Der  zeitlich 
frühste  Beleg  für  die  Phrase  carpere  viam  (iter)  scheint  Horaz  s.  I  5,  95 
zu  sein:  vergl.  Weyman  1.  c.  (z.  130)  340 f.  Für  Vergil  war  sie  schon 
in  den  Georgica  so  geläufig,  daß  er  sie  mit  carpere  aera,  gyrum,  prata, 
rura  variieren  konnte  (g.  IV  311.  III 191.  142.  324f.).  Über  die  Metapher 
s.  z.  634  corripiunt  spatium.  —  630  educta  (caminis  moenia)  M  mit 
Servius  (vergl.  eHeXauveiv  (Tibripov  Herod.  I  60),  dueta  FPE.  —  631 
moenia:  |aeXavTeixea  ööfiov  0ep(Jeq)övac  Pindar  0.  14,  20.  —  633  di- 
xerat  beliebter  Abschluß  von  Eeden,  wohl  von  Ennius  nach  Homer  ein- 
geführt: aen.  VIQ  152  nach  bezeugtem  Enniuszitat.  Vergl.  zu  190  und 
Anhang  13.  —  pariter  gressi.  Die  bei  Plautus  (Truc.  124,  vergl.  Pseud. 
859)  nachweisbare  Verbindung  pariter  gradi  ist  möglicherweise  ennianisch: 
s.  Anhang  I  1.  Die  militärische  Ausdrucksweise  (s.  z.  545.  749)  setzt 
sich  in  den  beiden  nächsten  Versen  fort:  foribus  propinquare,  aditum  occu- 
pare.  Das  ist  passender  für  die  Sphäre,  in  der  das  ennianische  Epos  sich 
bewegte,  als  für  die  vorliegende  Situation  mit  ihrem  friedlichen  Charakter. 
Der  militaris  sermo  wird  in  den  Schollen  zu  VIII  653.  IX  605.  X  279. 
314.  XI  453  notiert,  einmal  —  X  241  —  mit  dem  Zusatz:  antiquo 
verbo  militiae  usus  est.  Das  Participium  des  Simplex  gressus,  das  nur 
hier  vorzukommen  scheint  (Forbiger),  kann  ebenfalls  alt  sein  wie  temnere 
o.  622;  möglicherweise  ist  es  aber  vielmehr  eine  Eückbildung  Vergils.  — 
opaca  viarum.  Dieser  Gräzismus  (vergl.  Brenous  1.  c.  9  7  f.),  den  schon 
Ennius  eingeführt  hatte  (a.  92  infera  nodis),  begegnet  oft  bei  den  Dak- 
tjlikem  seit  Lucrez,  weil  er  metrisch  bequem  und  oft  imumgänglich 
war,  vergl.  V  695  ardua  terrarum  Vni  221  ardua  rmntis  (vergl.  Köne 
62).  —  634:  corripere  spatium  (viam,  campum)  scheint  (zufällig?)  vor 
Vergil  nicht  nachweisbar  (c,  gradum  Hör.  od.  I  3,  33).  Der  bis  zum  Ziel 
zurückzulegende  Weg  erscheint  darin  als  Widerstand,  der  genommen 
werden  muß  (viam  vorare  vulgär  Catull  35,  7);  Ovid  übernimmt  die 
Phrase  und  dehnt  sie  auf  rapere  viam  aus.  Der  Vers  ist  rein  daktylisch, 
weil  das  accelerare  (630)  gemalt  werden  soll  (s.  Anhang  VHB  l). 


V.   Elysium  637 — 78. 

Auf  die  Schilderung  des  Elysiums  und  seiner  Bewohner  637 — 65, 
folgt,  zum  VI.  Hauptteil  überleitend,  die  Begegnung  mit  Musaeus  666—78. 

A.  Schilderung  des  Elysiums  und  seiner  Bewohner  637 
bis  665.  Periodisierung:  637 — 39  öiKuuXov  mit  zwei  bezw.  drei  KÖ)a|LiaTa; 
640 — 41   biKiuXov  mit  je  zwei   KÖ|Li|naTa;    642 — 44   biKOüXov   mit   drei 


288  KOMMENTAR 

bezw.  zwei  K6|Li|LiaTa;  645 — 47  bkuuXov  mit  je  zwei  KÖ|Li)iaTa;  648 — 50 
TpiKUüXov,  die  KUuXa  mit  den  Versen  zusammenfallend  und  mit  je  zwei 
KÖ|Li)LiaTa;  651  —  59  TerpdKUjXov;  660 — 65  zwei  rpiKuuXa,  die  KuJXa  mit 
den  Versen  zusammenfallend,  das  zweite  und  dritte  mit  je  zwei  K6)a)aaTa. 
—  Auf  eine  kurze  eKqppacTic  tÖttou  (637 — 41)  folgt  die  Schilderung 
der  Seligen  und  ihrer  Beschäftigungen  642  —  65.  Es  sondern  sich  vier 
Gruppen:  a)  Palaestra  und  Reigenplatz  642 — 47  b)  Heroen  648 — 55 
c)  Symposion  656  —  59  d)  Mehrere  zu  einer  Gruppe  zusammengefaßte 
Klassen  von  Seligen  660 — 65.  —  Der  malerische  Charakter  dieser  Partie 
findet  seinen  Ausdruck  in  der  Abbildung  der  Bilderhs.  fol.  LIF. 

Während  die  griechische  Poesie  seit  ältester  Zeit  die  Wohnsitze  und 
das  Leben  der  Seligen  mit  den  glänzendsten  Farben  umkleidet  hatte,  so 
daß  das  Motiv  schließlich  bis  zur  Parodie  entwertet  werden  konnte,  er- 
hielt der  römische  Leser  in  seiner  Sprache,  so  viel  wir  wissen,  hier  die 
erste  und  würdigste  Schilderung.  Zwar  ist  kein  Zug  im  einzelnen  neu, 
aber  die  Kunst  der  Zusammenfassung  der  überlieferten  Züge  und  die 
vornehme  Zurückhaltung,  die  der  Phantasie  des  Lesers,  statt  sie  zu  über- 
schütten, freien  Spielraum  läßt,  verdienen  die  Bewunderung,  die  diesen 
Versen  u.  a.  Schiller  zollte  (vergl.  v.  Boltenstern  1.  c.  [z.  265]  21).  Auch 
hier  sollen,  wie  bei  der  Exegese  der  Tartarus-Episode,  die  von  Dieterich 
19 ff.  und  von  mir  im  Hermes  XXVHI  1893,  393 f  gegebenen  Belege 
für  das  einzelne  nicht  wiederholt  werden.  Altere  Interpreten  vermuteten, 
daß  Vergil  einzelne  Züge  seines  farbenreichen  Gemäldes  dem  berühmten 
pindarischen  Threnos  (fr.  129  Bgk.,  vergl.  auch  Pyth.  10,  31  ff.)  ent- 
nommen habe.  Die  Möglichkeit  kann  nicht  bestritten  werden:  die  starke 
Betonung  des  agonistischen  Sports  (642  f.  Turnen,  Wettlauf,  Ringkampf, 
also  Spezialisierung  der  pindarischen  fV}Ji\&Oia.,  ferner  6 54  f.  die  itttto- 
xpocpia)  ist  besonders  gut  aus  der  Interessensphäre  desjenigen  Kreises 
verständlich,  für  den  ein  olympischer  Sieg  einen  iLiaKapiCTTÖv  ßiov  (Plat. 
Rep.  V  465 D)  bedeutete,  wie  ihn  eben  die  )LidKapec  im  Elysium  leben. 
Aber  sicher  ist  diese  Kombination  nicht.  Denn  da  Vergils  Eschatologie 
in  vielen  Punkten  von  der  pindarischen  unabhängig  ist,  so  ist  es  viel- 
mehr wahrscheinlich,  daß  die  übereinstimmenden  Züge  aus  theologischer 
Poesie  stammen,  deren  Benutzung  durch  Pindar  wie  durch  Vergil  eine 
Tatsache  ist.  Auf  die  Hervorhebung  der  Agonistik  bei  Vergil  darf  nicht 
zuviel  gegeben  werden,  denn  sie  war  ja  etwas  Panhellenisches  (Pind. 
J.  2,  38.  3,  47)  und  wird  daher  auch  in  Pindars  Quelle  nicht  gefehlt 
haben.  Grade  in  Großgriechenland  und  Sizilien,  wo  diese  Art  von  theo- 
logischer Poesie  blühte,  war  auch  der  ritterliche  Sport  beliebt,  wie 
aus  Pindar  selbst  bekannt  ist.  Jedenfalls  war  die  Vorlage  Vergils  sehr 
erlesen.  Das  zeigt  außer  den  6 60 ff.  aufgezählten,  in  der  Einleitung 
S.  33  ff.  auf  alte  theologische  Vorstellung  zurückgeführten  Klassen  von 
Seligen  besonders  noch  die  Erwähnung  des  Eridanus,  der  durch  einen 
Lorbeerhain  zum  Licht  emporströmt  (658 f).  Diese  Überlieferung  ist 
Singular,  beruht  aber,  wie  Th.  Bergk,  Kl.  Schriften  II  718  (vergl.  auch 
Dieterich  27)  bemerkt,  auf  dem  alten  Glauben  an  einen  Götterstrom,  der 
durch  den  Göttergarten  fließt.  Das  Motiv  ist,  natürlich  ohne  Nennung 
des  Eridanus,  auch  in  christlicher  Apokalyptik  nachweisbar,  die  so  viele 
Züge   der  hellenischen  aufgenommen  hat:   apoc.  Pauli  p.  50  Tischendorf 


VERS  637  ff.  289 

eatTicrev  ine  (ö  afTeXoc)  eTrdvuu  toO  iroTaiaoO,  ou  r]  dpxri  eairipiKTO 
eic  TÖv  kukXov  toO  oupavoO"  6  be  TroTainöc  oijtöc  ecTTiv  6  kukXuiv 
Träcrav  ir\v  yf\^-  ^ai  Xefei  )Lior  oüixoc  6  TTOxaiuöc  ujKeavöc  ecrriv.  orac. 
Sibyll.  n  337f.  'HXudiiu  irebiLU,  Ö9i  oi  (sc.  6euj)  ireXe  Ku^ara  juaKpd  | 
Xi^iVTic  devdou  'Axepoucridboc  ßaöuKÖXTrou.  Aus  der  Paulus-Apokalypse 
(p.  55)  ergiebt  sich  auch,  daß  das  plastische  Motiv  von  Orpheus,  der 
inmitten  seiner  geweihten  Schar  die  Leier  spielt  (645  ff.),  älterer  Apo- 
kalyptik  angehört,  denn  dort  ist  es  auf  David  und  seine  Gläubigen  über- 
tragen. Und  wie  bei  Vergil  die  Seligen  einen  Paean  singen  (657),  so 
heißt  es  in  der  Petras- Apokalypse  von  ihnen  v.  19  )aia  (puuvfi  TÖv  Kupiov 
Geöv  dvxeucprmouv :  auch  in  den  sogenannten  'chaldaeischen'  Orakeln 
singen  die  gen  Himmel  steigenden  Seelen  Paeane  (Kroll,  Bresl.  phil. 
Abh.  VII  54). 

637  perfecto  munere  divae  vergl.  VIII  306  f.  divinis  rebus  .  .  .  per- 
fectis  in  ennianischer  Umgebung;  perficere  ist  ein  sakrales  Wort,  das  die 
Vollendung  derjenigen  heiligen  Handlvmg  bezeichnet,  deren  Anfang  mit 
einem  ebenfalls  sakralen  Terminus  incohare  heißt  (s,  o.  S.  198);  vergl. 
aen.  IV  639 f.  sacra  .  .  .  quae   rite  incepta  paravi  \  perficere  est  animus. 

638 ff.  Der  Kunst  einer  eKcpacTic  entsprechend  werden  alle  dem 
KdXXoc  dienenden  Mittel  reichlich  verwendet,  besonders  die  Alliteration 
(z.  B.  638  locos  laetos  41  solemque  sumn,  sua  sidera  44  pars  pedibus plau- 
dumt  47  pectine  pulsat  48  pulcherrima  proles,  femer  40.  42 f.  49.  52 f. 
57f.  58f.  60.  62.  64)  und  die  Anapher  (641  suum  sua  42f.  pars  — 
pars  47  iam  —  iam  5 3  f.  qxiae  —  quae  61  ff.  qui  viermal).  Formell 
bemerkenswert  sind  besonders  die  zwei  ersten  Verse  devenere  locos  laetos 
et  amoena  virecta  \  fortunatorum  nemorum  sedesque  heatas.  Dieselbe  Sache 
wird  viermal  mit  verschiedenen  Worten  ausgedrückt.  Was  Vergil  damit 
bezweckte,  wird  aus  dem  auctor  ad  Herennium  IV  42,  54  klar:  expolitio 
est  cum  in  eodem  loco  manemus  et  aliud  atque  aliud  d'icere  videmur.  ea 
duplicitefr  fit,  si  aut  eandem  plane  dicemus  rem  aut  de  eadem  re.  eandem 
rem  dicemus  non  eodem  modo  —  nam  id  quidem  obtundere  auditorem 
est,  non  rem  expolire  —  sed  commutate.  commutabimus  triplidtefr: 
verbis  pronuntiando  tra,ctando.  Vergl.  Beispiele  für  dieselbe  Praxis  z. 
268 f.  595 ff.  und  georg.  11  227 ff.,  wozu  Servius  bemerkt:  isti  versus 
incomparabiles  sunt,  tantam  habent  sine  aliqua  perissologia  repetitionem. 
Femer  hat  jedes  Substantiv,  was  in  der  Aeneis  in  dieser  Häufung  selten 
ist  (s.  Anhang  IHA  3),  sein  Attribut,  also  vier  irdpiCTa,  darunter  das 
zweite  und  vierte  von  gleicher  Silbenzahl  (^amoena  virecta  =  sedesque 
beatas  an  gleichen  Versstellen)  und  das  erste,  zweite  und  dritte  je 
mit  gleichen  Endungen  von  Substantiven  und  Attributen  (6|LiOiÖTrTUüTa). 
Letzteres  ist  in  dieser  Häufung  gleichfalls  durchaus  gegen  Vergils  sonstigen 
Brauch  (s.  zu  268 — 94  u.  Anhang  IV),  besonders  bei  so  stark  ins  Ohr 
fallender  Endung  wie  foxtunatorum  nemorum  (vergl.  XI  545  solorum 
nemorum  und  die  geschmacklose  Spielerei  Ovids  m.  XHI  549  non  oblita 
animorum,  annorum  oblita  suorum).  Über  beide  Figuren,  das  irdpiCTov 
und  öfioiÖTTTUUTOV,  handelt  der  genannte  Rhetor  IV  20,  2  7  f.  Auch 
weiterhin  treffen  wir  sorgfältige,  fast  zierliche  Gliederung.  Zwei  Gruppen 
werden  sich  642 — 44  mit  pars  —  pars  gegenübergestellt  und  ihre 
KÖ|H)LiaTa   entsprechen   sich  ziemlich  genau:  exercent  membra  palaestris  <^ 

Vbbgil  Buch  vi,  von  Norden.  19 


290  KOMMENTAR 

contendunt  ludo  ^^  luctantur  harena,  plaudimt  cJioreas  ^^  carmina  dicunt 
Parisosis  mit  gelegentlicher  eiravacpopd  auch  653  quae  —  55  (drei 
Glieder  von  je  einem  halben  Vers),  660 — 65  (sechs  Glieder  von  je 
einem  Vers).  Der  Vers  657  ist  durch  vescentis  —  canentis  eingerahmt 
(s.  Anhang  III A  2),  mit  starkem  6)LiOiOTeXeuTOv:  bei  Partizipien  in  diesem 
Buch  nur  hier  und  680  (indusas  —  ituras).  Wenn  wir  alles  zusammen- 
fassen, so  dürfen  wir  sagen,  daß  Vergil  den  elysischen  Hain  mit  all 
den  Kunstmitteln  jener  zierlichen  XeHic  geschildert  hat,  die  in  der  Kunst- 
prosa grade  auch  bei  Schilderungen  von  äKox]  und  TrapdbeiCToi  tradi- 
tionell waren. 

638  devenere  locos  =  I  365  mit  einer  Erweiterung  der  Gebrauchs- 
sphäre des  Zielaccusativs  auf  Appellativa,  wie  wir  ihn  zuerst  bei  Vergil 
finden:  s.  Landgraf  1.  c.  (z.  345)  396  und  unten  696.  —  amoena  virecta: 
an  gleicher  Versstelle  amoena  salicta  Ennius  a.  40.  —  639  fortunatorum 
füllt  gewichtig  die  erste  Vershälfte,  bei  einem  Appellativum  nur  noch 
XI  512  exploratores ,  was  ennianisch  sein  kann  (a.  231  explorant  am 
Versanfang).  —  640  lumine  vestit  (sc.  aefJier  campos).  Die  Metapher 
wird  von  Ursinus  u.  a.  nui-  dui'ch  je  eine  Stelle  aus  Ciceros  Phaenomena 
(60  vestivit  lumine  Titan)  und  Lucrez  (II  148  convestire  luce  vom  sol) 
belegt.  Cicero  schwelgt  aber  darin  (262  convestiet  lumine  332  sol  ... 
convestit  lumine  473  aquarius  .  .  .  vestivit  lumine  terras;  umgekehrt  205 
vestiet  umbrä  440  convestiet  umbrä  479  caligine  .  .  .  lumi/na  vestit)-^  er 
übernahm  sie,  wie  alle  poetischen  Ornamente,  älterer  lateinischer  Poesie, 
vielleicht  der  Tragödie,  die  für  ihn  wie  für  Vergil  eine  Fundgrube  poetischer 
Diktion  neben  Ennius'  Annalen  war.  Die  verwandte  Metapher  hcrbis  prata 
convesHrier  hat  Ennius  tr.  S.  295  Eibb.^  in  Aeschylos  Eum.  889 K.  erst 
hineingebracht,  ein  Beweis,  wie  geläufig  sie  ihm  war.  —  644  pedibus 
plaudumt  choreas.  In  dem  homerischen  ttctiXtitov  be  xopöv  GeTov  rrocJi 
(9  264)  bedeutet  %op6c,  wie  meist  bei  Homer,  'Tanzplatz'  (vergl.  xopoi- 
TU7T0C  Pindar  fr.  156).  Wenn  Vergil  dafür  choreas  plaudere  'Reigen 
schlagen'  sagt,  so  ist  das  ein  in  der  Dichtersprache  häufiger  freier  Gebrauch 
des  Accusativs  wie  VII  307  scelus  merere  (=  Strafe  für  den  Frevel  ver- 
dienen), V  541  honorem  praeferre  (jemandem  an  Ehre  den  Vorzug  geben) 
XL.  a.  bei  Kießling  z.  Hör.  I  33,  16,  Rothstein  z.  Prop.  I  1,  20.  Plaudere 
pedibus  (ebenso  Lucr.  V  252)  ist  gewählter  als  pellere  pedibus,  das 
Lucrez  V  1402  (duritcr  et  duro  terram  pede  pellere  matrem),  Catull  61,  14 
und  Horaz  III  18,  15  absichtlich  brauchen.  Die  Kürze  des  e  in  choreas 
gegenüber  choreis  (am  Versschluß)  IX  615.  X  224  (s.  Lachmann  zu 
Lucr.  159)  entspricht  dem  beschleunigten  Rhythmus,  während  im  vor- 
hergehenden Vers  contendunt  ludo  die  Spondeen  das  Mühsame  malen, 
so  bei  tendcre  und  Kompositis  öfter,  z.  B.  VII  164  aut  acris  tendunt 
arcus  IX  665  intendunt  acris  arcus  VII  380  intenti  ludo  exercent  (sc. 
turbi/nem);  vergl.  Anhang  VII B  1.  Malerisch  sind  auch  die  dumpfen  u 
in  pedibus  plaudunt  wie  II  732  visus  adesse  pedum  sonitus  III  648  soni- 
tumque  pedum,  Culex  33  Hellespontus  pedibus  pulsatus  equorum;  vergl. 
Anhang  VII A. 

645  ff.  nee  non  lliraeicius  longa  cum  veste  sacerdos  \  obloquitur  nu- 
meris  Septem  discrimina  vocum,  \  iamque  eadem  digitis  iam  pectine  pulsat 
eburno.     Orpheus    und    Musaeus    im    Elysium    nach    alter   Überlieferung 


VERS  638—652.  291 

(Plat.  Apol.  41 A,  Rep.  11  363  C).  Ersterer,  im  apollinischen  Gewände, 
ist  hiei'  als  Chorführer  gedacht,  als  eHapxoc  Kai  TTporiYe^iJuv  toO  Gidaou 
(Eurip.  Backch.  141.  Demosth.  de  cor.  260),  wie  Apollon  selbst  6pxr|- 
(JTCic  d^Xctiac  dvdffcrujv  von  Pindar  fr.  148  genannt  wird;  vergl.  auch 
Maaß,  Oi-pheus  (München  1895)  66.  Sein  Spiel  wird  in  zwei  Versen 
so  künstlich  ausgedrückt,  daß  die  Erklärung  schwankt.  Die  Worte  sind 
aber  wohl  nicht  anders  als  (mit  Wagner)  so  zu  verstehen:  'er  accom- 
pagniert  die  Rhythmen  (der  Tanzenden)  auf  den  sieben  verschieden- 
stimmigen Saiten,  die  er  bald  mit  den  Fingern,  bald  mit  dem  Plektron 
schlägt':  dvTicpuuveT  toTc  puGjuoTc  Kaid  xd  eiTTdcpGoTTa  biacTTrmaTa, 
TTOTe  |Liev  v|jdXXiJUV,  Troie  öe  Kpouujv.  Aus  dem  dirö  koivoO  gestellten 
pulsat  ergänzt  man  zum  ersten  Glied  leicht  psallit  oder  einen  diesem 
analogen  Begrijff.  Die  genaue  Unterscheidung  zwischen  den  beiden  Arten 
des  Spiels  auch  in  einer  von  Gerda  verglichenen  Stelle  des  Phüostratos 
iun.,  imag.  6  (p.  400  Kayser):  ai  X^ipec  be  (des  Orpheus)  f]  |Liev  beEid 
i.v\lxovOa  dirpiH  tö  TrXfiKrpov  eTTiTeTaiai  toTc  cpöÖYYOic,  .  .  .  r]  Xaid 
he  opGoTc  irXriTTei  toTc  öaKxüXoic  xouc  laixouc.  — pccten  =  plectrum 
für  ims  zuerst  Vergil,  mit  Übertragung  vom  Weben  auf  das  Saitenspiel 
wie  in  Kxeic,  xpeKeiv,  )liixoc.  Auch  iam  —  iam  im  Sinn  von  modo  —  modo 
oder  nunc  —  nunc  finden  wir  zuerst  bei  Vergil  b.  4,  43  f.  (Wölfflin,  Ai'ch. 
f.  Lex.  II  1885,  244).  —  649  magnanimi  heroes  naü  melioribus  annis 
nach  Catull  64,  22  f.  o  nimis  optato  saeclorum  tempore  naü  \  heroes  sal- 
vete,  deum  genus  (Ursinus).  Über  magnanimus  s.  z.  307.  —  651  procul 
^abseits'  s.  z.  10.  —  miratur  FP,  mirantur  MR  mit  Donatus,  ersteres 
richtig,  denn  der  Sibylle  ist  dies  nicht  neu:  erst  854  steht  miraniibus. 
—  currus  inanes  nach  Servius  'wesenlose',  richtiger  Heyne  'ohne  In- 
sassen' wie  1 476  (dort  richtig  Servius:  sine  rectore).  Auch  auf  der 
Darstellung  der  Bilderhandschrift  sind  es  wesenhafte  Wagen,  aber  leer: 
sie  sind  augenblicklich  außer  Funktion,  wie  ja  auch  die  Rosse  auf  der 
Weide  sind  (6  5 2  f.). 

652  stxint  terra  defixae  hastae  MPR.  Der  für  terra  in  F  über- 
lieferte Dativ  terrae  (an  einen  Lokativ  ist  kaum  zu  denken:  vergl. 
K.  Wotke,  Wien.  Stud.  VIII  1886,  134f.)  wird  durch  g.  n  290  terrae 
defigitur  arbos,  a.  X  555  caput  deturbat  terrae  XI  87  sternitur  proiectus 
terrae  nur  scheinbar  empfohlen.  Dreimaliger  Wortausgang  auf  -ae  hinter- 
einander in  einem  Verse  wäi-e  (selbst  mit  Synaloephe)  für  Vergil  beispiel- 
los. Sogar  zweimaliges  -ae  ist  selten:  ohne  Synaloephe  nur  b.  9,  28  vae 
miserae  malend,  a.  II  282  quae  tantae  X  371  patriae  quae  bei  Enklisis 
bezw.  Proklisis;  mit  Synaloephe  noch  sechsmal:  oben  382  curae  emotae 
I  650  Ärgivae  Helenae  Vlil  580  curae  amblguue  11h  nymphae  Egeriae 
XII  24  aliae  innuptae.  Auch  von  den  hexametrischen  Dichtem  vor  Vergil 
hat  mehr  als  zweimaliges  -ae  ohne  Synalophe  keiner,  mit  Synaloephe 
nur  Lucilius  872 L.  gwmiae  vetulae  inprobae  ineptae,  zweimaliges  nur 
Ennius  ann.  1  Musae  quae  208  rectae  quae  298  multae  fortunae,  Lu- 
cilius 223  adver sae  fortmiae,  Lucrez  VI  363  variae  causae,  Dirae  42  li- 
cinae  flammae  48  undae  quae.  —  Die  Spondeen  malen  die  Ruhe,  das 
crxdai|Liov:  daher  stant  wie  IX  229  stant  longis  adnixi  hastis,  XII  772 
hie  hasta  Aeneae  stdbat.  Dies  Moment  hat  Vergil  in  seine  Vorlage 
r  135  datriffi  KeKXi)Lievoi ,  Trapd  b'  e'YXea  iiiaKpd  TreTrriYev  erst  hinein- 

19* 


292  KOMMENTAR 

getragen.  Überhaupt  ist  das  Bild  der  Rulie  648 — 55  mit  bewußter  Kunst 
(s.  z.  9  f.)  zwischen  die  bewegten  Szenen  des  Y^MvacTiov  und  des  X^poc 
(642—47)  einerseits  und  des  (Ju)Li7TÖ(Tiov  (656  —  59)  andererseits  gestellt. 
653  gratia  currum  ein  gewählter  Ausdruck:  die  Xdpixec  sind 
bei  Pindar  0.  14  Beschützerinnen  der  Agone.  So  betreiben  654f.  die 
Seligen  mit  dem  pascere  nitentes  eqiws  den  adligsten  Sport  des  Lebens 
(Pindar  z.  B  J.  2,  38  iTTTTOTpoqpiac  vojaiZiujv  ev  TTaveXXdvouv  vö)uiu  und 
0.  6,  14  cpaibi|Liac  ittttouc)  im  Elysium  weiter.  Dafür  erinnere  man  sich 
an  die  Pindar  geläufige  Vorstellung,  daß  die  Sieger  in  Agonen  sich 
im  Hades  über  ihrer  Nachkommen  Siege  freuen  (0.  8,  81  ff.  14,  18  ff. 
N.  4,  85ff.),  und  besonders  an  die  Nachricht  Herodots  (VI  103),  daß  das 
dreimal  siegreiche  Viergespann  eines  Atheners  der  Pisistratidenzeit  in 
dem  Familiengrabe  des  Geschlechts  beigesetzt  war.  —  currum  bei  Vergil 
einziges  sicheres  Beispiel  der  seltenen,  aber  auch  von  Augustus  (mon. 
Anc.  V  40  exercitum)  angewendeten  Kontraktion;  VII  490  manum  patiens 
kann  zwar  Accus,  sein  (vergl.  Tac.  h.  IV  81  manum  aeger,  Stat.  Theb. 
X  356  patientior  artus)  wird  aber  wegen  des  Parallelismus  mit  mensaeque 
adsuetus  erilis  von  Servius  und  den  meisten  Neueren  wohl  mit  Recht 
auch  als  Genitiv  gefaßt.  —  655  f.  Der  erste  Vers  schließt  mit  dem 
ennianischen  repostos  (s.  z.  24.  328),  der  zweite  mit  per  Jierham;  diese 
Worte  stehen  V  102  in  ähnlicher  Verbindung  und  in  ennianischem  Zu- 
sammenhang (s.  z.  39.  243).  —  dextra  laevaque  ==  Q.  Cicero  in  FPR 
p.  316  Baehrens.  —  657  vcscentes  laetumque  choro  paeana  camnies: 
beiTTVOV  mit  folgender  (TTTOvbri  und  dem  diese  begleitenden  iraidv;  Servius: 
^paeana'  proprie  ÄpoUinis  laudes,  quod  nunc  congruit  pr<ptcr  lauri  nemus. 
—  laetus  euqppu)v:  Asklepios-Hymnus  von  Ptolemais  (rev.  arch.  1889)  21 
XaTpe  \xo\  (xi  TTaidv  dir'  e/uiaic  eöqppoöi  laTab'  doibak.  —  658  superne 
am  Versende  wie  Lucr.  VI  1018.  1099;  über  die  Bildung  vergl.  Leo, 
Arch.  f.  Lex.  1897,  435ff.  Es  gehört  zu  den  vielen  Ortsbezeichnungen 
mit  bloß  relativer  Bedeutung  (foris,  intus;  peregre,  super)  und  heißt  hier 
'nach  oben'  [ad  superos  Servius),  wie  bei  Plinius  n.  h.  XIX  76  (superne 
tendit,  non  in  terram),  vertritt  also  das  von  Vergil  und  anderen  Dichtem 
nicht  gebrauchte  sursum  (vergl.  Leo,  Seneca  I  112,  12).  —  659  plurimus 
Eridani  per  silvam  volvitur  anmis.  Die  Häufung  der  l  und  p  malt,  vergl. 
Horaz  epod.  16,  48  levis  crepante  lympha  desilit  pede  und  dazu  Porphyrie: 
sonus  versus  imitatur  et  vclocitatem  et  strepitum  aquae  currentis;  so  auch 
od.  HI  13,  15  loquaces  lymphae,  ep.  I  2,  43  Idbitur  et  läbetur  in  omne  volur 
bilis  aevum.  —  plurimus  amnis  heißt  der  Eridanus  wie  bei  Cicero  Ar. 
146  magnis  cum  viribus  am/nis.  Er  fließt  per  silvam,  weil  an  ihm  die 
aiYCipoi  stehen,  in  die  die  Heliaden  verwandelt  waren  (Ovid  m.  II  372 
Eridanum  .  .  .  silvamque);  volvitur  iXiOüejai:  so  vom  Eridanus  Nonnos 
XXXVIII 431.  Die  Phraseologie  Vergils  scheint  also  beeinflußt  durch 
das  alexandrinische  Phaethon-Epyllion,  von  dem  nach  G.  Knaack,  Quaest. 
Phaethonteae  (Berlin  1886)  49 ff.  Cicero,  Ovid  und  Nonnos  abhängen. 
So  hat  Vergil  auch  g.  1 482  fluviorum  rex  Eridanus  wohl  aus  dem 
Griechischen  übersetzt:  'Hpibavöc  ßaaiXeuc  iTOTa)Liu)v  (vergl.  Pindar  P. 
4,  181  ßacTiXeuc  dvejaujv  von  Boreas),  wie  er  g.  II  98  vom  Wein  von 
Phanae  auf  Chios  sagt  et  rex  ipse  Phanaeus  d.  h.  auTÖc  ßacTiXeuc  le 
0avaioc  (Lucilius  1161  XTöc  le  buvdffTTic). 


VERS  653—670.  293 

660  hie  manus  oh  patriam  pugnando  volnera  passi  '^  VII  182 
Martiaque  ob  p.  p.  v.  p.,  dort  in  ennianischer  Umgebung.  Für  Entlehnung 
spricht  auch  das  in  der  Sprache  des  Lebens  damals  schon  ungebräuch- 
liche ob  sowie  die  Alliteration:  mit  pugnare  alliteriert  Ennius  an  allen 
Stellen,  wo  es  uns  aus  ihm  überliefert  ist  (a.  258.  349.  tr.  6).  —  662 
Phoebo  digna  locuti  (vates),  vergl.  Menander  rhet.  gr.  III  437  Sp.  TTiv- 
bapoc  i)|uvouc  fpacpvjv  eic  töv  öeöv  (Apollon)  dHiouc  xfic  eKeivou 
Xupac.  —  664  Über  das  Schwanken  der  Hss.  zwischen  aliquos  und 
alios  s.  Einleitung  S.  36,  1,  —  665  Das  Motiv,  daß  den  Seligen  eine 
Binde  (raivia)  ums  Haupt  geschlungen  wird,  steht  in  gleichem  Zu- 
sammenhang bei  Aristides  im  Epitaphios  (or.  32,  34  =  vol.  11  225,  22 
Keil),  möglicherweise  nach  einem  pindarischen  Threnos  (Gerda). 

B.  Begegnung  mit  den  Seligen,  besonders  mit  Musaeus. 
666—78.  Periodisierung:  666—68  leTpdKOüXov ;  669  —  71  TpkiuXov 
mit  je  zwei  K6)a)iaTa;  672  |uovökuü\ov;  673  —  75  TpiKouXov;  675  —  76 
biKiüXov,  das  zweite  mit  zwei  KÖ|Li|LiaTa;  677 — 78  öikujXov,  das  erste 
mit  zwei  K6|Li|LiaTa.  —  Die  in  ihrer  natürlichen  Einfachheit  anmutige 
Szene  ist  von  Dante  öfters  nachgebildet  worden  (Purg.  III  73.  VII  37 ff. 
XI  37  ff.).  —  Die  Sibylle  fragt  die  Seligen,  vor  allen  den  Musaeus  'sagt 
uns,  wo  Anchises  hier  wohnt'.  Dieselbe  Situation  ist  bei  Aristophanes, 
Frösche  431  f.,  wo  Dionysos  auf  den  ihm  von  Herakles  gegebenen  Rat 
(161  ff.)  die  Seligen  fragt:  'könnt  ihr  uns  sagen,  wo  Pluton  hier  wohnt?' 
Also  gehört  das  Motiv  einer  älteren  KaiaßacTic  an,  wahrscheinlich  der 
des  Herakles  (s.  oben  S.  5,  2).  Entlehnung  des  Motivs  seitens  Vergils 
folgt  auch  daraus,  daß  es  von  der  sonst  festgehaltenen  Vorstellung 
abweicht,  nach  der  die  Sibylle  alles  weiß  und  nicht  Zu  fragen  braucht. 
Entlehnt  ist  auch  der  hier  unmotivierte  Zug  678  f.,  daß  Aeneas  und 
der  Sibylle  das  Elysium  {campt  nitentes,  vergl.  640  im  Gegensatz  zu 
887),  das  sie  doch  soeben  durchschritten  und  besichtigt  haben,  nun 
noch  einmal  von  oben  gezeigt  wird.  Typisch  und  motiviert  ist  das 
Zeigen  und  Schauen  aus  der  Höhe  dagegen  in  den  Apokalypsen:  vergl. 
Plat.  Rep.  X615D  616B,  Tim.  41 E;  Cicero  somn.  Scip.  11,  Plutarch 
de  sera  n.  v.  563 ff.;  apoc.  Job.  21,  10,  die  Petrusapokalypse  v.  4 ff.,  die 
Apokalypse  der  bia9r|KTi  ''Aßpad^  1.  c.  (Einleitung  S.  9)  p.  87  f.  Ebenso 
noch  in  mittelalterlichen  Apokalypsen:  Visio  Fursei  1.  c.  (ibid.)  p.  83, 
Visio  Wettini  l.  c.  (ibid.)  p.  322,  Visio  Tundali  1.  c.  (ibid.)  p.  52. 

667 f.  Musaeus  überragt  alle  mit  seinen  Schultern:  Übertragung 
aus  r  226  f.,  wo  es  von  Aias  gesagt  wird  (Conington).  Besser  als  hier 
auf  Musaeus  wird  es  H  721  auf  Aeneas,  VII  784  auf  Turnus,  VHI  162 
auf  Anchises  übertragen.  Da  die  letzte  Stelle  ennianisches  Kolorit  hat, 
kann  Ennius  mit  der  Übertragung  des  plastischen  homerischen  Bildes 
vorausgegangen  sein.  —  medium  nam:  über  die  Inversion  der  Partikel 
s.  Anhang  IHB  3.  —  670  illiits  ergo.  Ergo  präpositional  nur  hier  bei 
Vergil;  Lucrez  hat  es  einige  Male,  aber  gleichfalls  nur  am  Versschluß: 
also  war  es  auch  für  ihn  schon  ungewöhnlich.  Cicero  kopiert  damit  die 
alte  Gesetzessprache,  Livius  behält  es  öfters  aus  der  Sprache  seiner 
Vorgänger  bei  (Nonius  107  führt  es  aus  Sisenna  an).  Nach  Vergil 
und  Livius  ist  es  verschollen  (vergl.  auch  Wölfflin,  Arch.  f.  Lex.  I  1884, 
175).   —  672  paucis,  obwohl  die  Antwort  länger  als  die  Frage  ist;    es 


294  KOMMENTAR 

ist  nur  mehr  formelhaft  (wohl  ennianisch),  vergl.  H.  Peter  zu  Ovid  f. 
I  148.  —  lieros  wird  von  Vergil  oft  als  bequemes,  den  Vers  schließendes 
Wort  gebraucht  (so  oben  169.  192.  451),  nach  dem  Charakter  einzelner 
Stellen  sicher  aus  Ennius.  —  674  prata  \  recentia  rms:  über  den 
trochaeischen  Einschnitt  s.  z.  130.  —  675  si  fert  ita  corde  volunfas  ^^ 
Lucrez  IIT  46  si  fert  ita  forte  voluntas  (Germanus);  da  Ennius  corde  elf- 
mal hat,  bewahrt  Vergil  vielleicht  das  gemeinsame  Prototyp.  Auch  677 
ante  tuUt  gressum  klingt  altertümlich:  es  stammt  aus  der  Sphäre  der 
militärischen  Ausdrücke,  über  die  s.  z.  634.  —  678  desuper  (avuJÖev) 
für  de  supcro  (vergl.  Lachmann  z.  Lucrez  VI  511)  ist  zuerst  (deim 
Lucilius  411  Baehr.  ist  eine  Fälschung)  bei  Caesar  b.  G.  I  52,  5  über- 
liefert (in  allen  Hss.),  Vergil  hat  es  oft:  vergl.  Leo,  Arch.  f.  Lex.  X 
1898,  437.  Seiner  Bildung  wegen  wird  es  vom  schol.  Dan.  zu  aen. 
I  165  notiert.  —  dehinc  summa  cacumina  Unquont.  Dehinc  hier  und  an 
drei  anderen  Stellen  der  alten  Praxis  gemäß  einsilbig,  öfters  zweisilbig. 
summa  cacumina  an  gleicher  Versstelle  Lucr.  VI  464.  Unquont  Aeneas 
und  die  Sibylle:  daß  Musaeus  sich  von  ihnen  trennt,  wird  als  neben- 
sächlich nicht  erwähnt  (Conington):  s.  über  diese  Praxis  o.  S.  145. 

VI.    Lethehain  679—887. 

A.  Wiedersehen  mit  Anchises  679 — 702,  B.  Lehre  von  der  Seelen- 
wanderung 703  —  51.     C.  Die  große  Rede  des  Anchises  752 — 887. 

A.  Wiedersehen  mit  Anchises  679 — 702.  1)  Anchises'  Be- 
schäftigung 679 — 86  (679 — 83  zwei  Perioden:  öikujXov  mit  zwei  bez. 
vier  KÖmuaxa;  684 — 86  xpiKuuXov,  das  dritte  mit  zwei  KÖ)d)daTa),  2)  Dia- 
log mit  Aeneas  687—98  (vier  Perioden:  687  —  89  TpkujXov;  690—91 
TpiKUjXov;  692 — 94  öikujXov,  das  erste  mit  zwei  KÖ)U)LiaTa;  695 — 98 
zwei  xpiKUjXa),  3)  Eindruck  auf  Aeneas  699  —  702  (zwei  Perioden:  699 
biKuuXov;  700 — 702  xpiKUjXov,  die  KÜiJXa  mit  den  Versen  zusammen- 
fallend, das  zweite  und  dritte  mit  je  zwei  KÖ|U)LiaTa). 

Diese  Szene  soll  zu  den  folgenden,  das  Buch  abschließenden  und 
krönenden  Teilen  hinüberführen,  und  ist  diesem  Zweck  entsprechend  im 
Gegensatz  zu  der  Begegnungsszene  des  Odysseus  mit  seiner  Mutter 
(X  152  —  224)  nur  kurz.  Dagegen  tritt  das  rührende  Element  dadurch 
erheblich  stärker  als  in  dem  homerischen  Original  hervor,  daß  Vergil 
mit  jener  Szene  der  Nekyia  die  Stimmung  von  u)  345 ff.  (Odysseus  und 
Laertes)  verbunden  hat.  Die  Erfindung,  daß  Anchises  gerade  damit  be- 
schäftigt ist,  die  Seelen  der  Helden  zu  mustern,  die  er  dem  eben  jetzt 
erwarteten  Sohne  zeigen  will  (679ff.  683.  690f.  716f.),  ist  gut  wie 
die  analoge  o.  S.  176  erwähnte  (vergl.  forte  682  mit  forte  186,  interea 
703  mit  mterea  212):  durch  sie  verknüpft  V.  geschickt  ein  durch  Homer 
überliefertes  Motiv  (Begegnungsszene)  mit  einem  dem  Homer  fremden 
(Heldenschau).  Aber  eine  völlige  Verschmelzung  ist  ihm  hier  so  wenig 
wie  dort  gelungen:  wie  dort  212 ff.  etwas  mit  anderen  Worten  wieder- 
holt ist,  was  schon  1 7 7 f.  dagewesen  war,  so  wird  hier  703 — 5  von 
dem  Aufenthaltsort  der  Seelen  gesprochen,  als  ob  er  nicht  bereits  679 f. 
erwähnt  wäre  (vergl.  679  penitus  convalle  <^  703  valle  reducta,  680  in- 
clusas  ^  704  seclusum).     Auch  verliert  durch  die  Mitteilung  des  Dichters 


VERS  672—686.  295 

von  der  Palingenesie  dieser  Seelen  680 f.  die  spätere  darauf  bezügliche 
Frage  des  Aeneas  710 — 12  mit  der  Antwort  des  Anchises  713  — 15  fiir 
den  Leser  an  Bedeutung.  Auch  hier  kommt  also  der  epische  Stil  (Er- 
zählung des  Dichters  selbst)  mit  dem  Versuch  einer  Dramatisierung  der 
Handlung  (Dialog  der  Personen  des  Dichters)  in  Konflikt:  s.  darüber 
z.  295 ff. 

679  pater  Anchises.  Diese  Vergil  geläufige  Hinzufügimg  von  pater 
zu  Personennamen  (Aeneas  selbst,  Anchises,  Acestes  u.  s.  w.)  ist  Homer 
in  dieser  Art  fremd.  Daß  dies  echt  römische,  patriarchalische  Element 
aus  Ennius  stammt,  leuchtet  ohne  weiteres  ein:  vergl.  ann.  55  pater 
Tibermus,  121  Quirinus  pater.  Daher  steht  V  358  risit  pater  optumus 
(Aeneas)  olli  in  ennianischer  Umgebung  (s.  z.  316  ff.)  und  V  521  pater 
(Acestes)  mit  ennianischer  Lizenz  (s.  Anhang  X).  Horaz  sagt  s.  I  10,  27 
mit  parodischem  Pathos  patrisque  Laüni:  Latinus  war  eine  berühmte 
ennianische  Person.  —  680 ff.  Das  6)lioiÖ7TTU)TOV  inclusas  animas  (s. 
Anhang  IV),  verstärkt  durch  den  Versschluß  superumque  ad  lumen  ituras 
(s.  z.  638  ff.),  soll  das  besondere  Moment  anzeigen,  das  nun  in  die  Hand- 
lung eintritt  (superum  lumen  aus  Ennius  a.  106).  Auch  in  den  drei 
folgenden  Versen  sind  die  Tonmittel  des  Gleichklangs  am  Wortanfang  und 
-ende  kunstreich  verwendet.  Besonders  charakteristisch  ist  die  Allitera- 
tionsform in  683  fataque  fortunasque  virum  moresque  manusque,  wodurch 
zwei  Paare  von  Begriffen,  die  an  den  Anfang  und  Schluß  des  Verses 
gestellt  und  in  der  Mitte  durch  einen  beiden  gemeinsamen  Begriff  ge- 
trennt sind,  durch  Gleichklang  gebunden  werden:  so  in  diesem  Buch 
nur  hier  und  ähnlich  in  den  ennianisch  gefärbten  15.  857.  Das  ist  die 
im  alten  Latein  und  in  der  germanischen  Langzeile  beliebteste  Form 
(vergl.  K.  Bartsch,  Der  Saturnier  und  die  altdeutsche  Langzeüe,  Leipzig 
1867,  28ff.).  Wahrscheinlich  ist  denn  auch  die  Phraseologie  dieses  Verses 
stark  durch  Ennius  beeinflußt:  mit  fata  alliteriert  er  a.  19  (wie  mit 
fortuna  Naevius  II  1  Vahl.),  mit  manu  558,  fortunasque  hat  er  an  gleicher 
Versstelle  528,  über  virum  und  -que  -que  s.  z.  336.  —  lustrare  und  recen- 
sere,  weil  hier  wie  756 ff.  das  Bild  vom  Census  vorschwebt,  durch  das 
auch  numerus  veranlaßt  ist.  —  684 f.  isque  uhi  tendentem  adversum  per 
gramina  vidit  \  Aenean,  alacris  palmas  utrasque  tetendit.  Hier  ist  frei- 
lich die  gegenseitige  Sehnsucht  von  Vater  und  Sohn  durch  Wiederholung 
von  iendere  hübsch  zum  Ausdruck  gebracht,  aber  das  Motiv,  daß  Anchises 
die  Arme  nach  dem  Sohn  ausstreckt,  paßt  wenig  zu  697 ff.,  wo  Anchises 
sich  vielmehr  der  Umarmung  entzieht.  Vermutlich  ist  also  die  Phrase 
palmas  utrasque  tetendit  einem  älteren  Dichter  entlehnt  und  floskelhaft 
verwendet.  —  Isque  am  Versanfang  Ennius  a.  143.  371.  —  alacris  als 
masc.  notiert  Servius  hier  und  z.  V  380;  dagegen  hat  Vergil  in  späten 
Büchern  die  gebräuchlichere  Form  alacer  (X  729.  XII  337).  —  Über  die 
Wortstellung  vidit  —  tetendit  s.  Anhang  III  A2.  —  686  effusae  genis  la- 
crimae.  Nach  VH  779  litore  effundere  XII  276  fulva  effundit  harena 
380.  532  effudit  solo  deuten  einige  (vergl.  H.  Kern,  Progr.  Schweinfurt 
1881,  19)  'Trauen  flössen  reichlich  auf  die  Wangen'  (ebenso,  aber  genis 
als  *  finalen  Dativ'  fassend,  Schäfler  1.  c.  [z.  281]  54).  Daß  jedoch  schon 
Servius  richtig  verstand  'aus  den  Augen'  (genau  'Augenhöhlen'),  eine 
in   der  Poesie   seit  Ennius    geläufige   Bedeutung  (z.  B.  Ovid  m.  XIH  562 


296  KOMMENTAR 

expeUitque  genis  oculos),  beweist  sowohl  der  Pai-allelismus  des  Ausdrucks 
mit  vox  excidit  ore  (s.  z.  302.  353.  420  und  Anhang  II  3)  als  auch  die 
genaue  Parallele  in  der  consol.  ad  Liviam  116  effusae  ('sc.  lacrimae)  gra- 
vidis  uberihusque  genis,  was  225  durch  uheribus  oculis  variiert  wird. 
Die  Phrase  vox  excidit  ore  ist,  wie  die  von  Forbiger  aus  Cicero  pr. 
Süll.  72  de  dorn.  104  angeführten  Stellen  zeigen,  gewöhnlich  wie  unser 
'das  Wort  fiel  ihm  aus  dem  Mund',  in  die  Poesie  eingeführt  wohl  von 
Ennius,  der  verbale  Verbindungen  mit  ore  liebte  (s.  Anhang  I  3).  Sie 
ist  hier  schön  verwendet:  lang  hat  er  ihn  erwartet  (687),  und  da  bricht 
er  in  die  Worte  aus  „so  bist  du  endlich  da!" 

68 7  ff.  Die  Spondeen  687  venisti  tandem  sowie  das  den  4.  und 
halben  5.  Fuß  füllende  exspectata  (s.  z.  330.  617)  geben  dem  Anfang  der 
Rede  großes  Ethos  (vergl.  Servius:  'venisti  tandem'  Jioc  ad  adfectum 
pertinet  desiderantis)  ^  das  Vergil  durch  dies  malerische  Mittel  in  ir  23 
fjXeec  TriXeiLiaxe  f^uKepöv  cpdoc  hineinträgt  (s.  o.  zu  652).  Wie  berühmt 
die  Worte  waren,  zeigt  ihre  Parodie  bei  Apuleius  m.  VIII  26.  Auch  im 
weiteren  findet  der  Dichter  —  in  der  von  Pathos  überwucherten  latei- 
nischen Poesie  eine  Seltenheit  —  die  Worte  für  das  natürliche  Gefühl: 
so  steht  die  Anrede  nate  grade  an  den  beiden  Stellen,  wo  die  Eede 
besonders  innig  ist,  689.  93.  Daher  verdient  die  Episode  das  Lob, 
das  ihr  nach  Ausweis  der  Kommentare  des  Servius  und  Donatus  im  Alter- 
tum gespendet  wurde.  Wie  in  der  menschlich  schönen  Erkennungsszene 
der  sophokleischen  Elektra  (l220ff.)  die  Schwester  beseligt  ist,  den  Bru- 
der sehen,  hören  und  umarmen  zu  dürfen,  so  hier  Anchises  bei  dem 
Wiedersehen  mit  dem  Sohn  (688 f.),  nxir  daß  er  weiß,  daß  er  auf  die 
Umarmung  verzichten  muß,  während  der  Sohn  auch  diese  ersehnt  (6  9  7  ff.). 
—  Trotz  ihrer  Kürze  ist  die  Rede  des  Anchises  sehr  sorgfältig  disponiert: 
1)  du  bist  da  (687—89  drei  Glieder),  2)  du  wurdest  erwartet  (690—91 
drei  Glieder),  3)  wie  habe  ich  mich  um  dich  gesorgt  (692 — 94  drei 
Glieder).  Auch  die  Antwort  des  Aeneas  ist  dreiteilig:  l)  ich  folgte 
deinem  Befehle  (695—96),  2)  die  Flotte  liegt  vor  Anker  (697),  3)  laß 
dich  umarmen  (697 — 98).  Zu  dem  zweiten  Teil  dieser  Antwort  (697 
stant  sale  TyrrJieno  classes)  bemerkt  Servius:  adfcctionis  est  fdii  etiam 
ea  indicare  de  quibus  non  interrogatur,  besser  Donatus:  Aeneas  begegne 
mit  diesen  Worten  der  Sorge  des  Anchises  wegen  der  zu  Wasser  be- 
standenen Gefahren  (6  9  2  f.  quanta  per  aequora  vectum  accipio).  Letzteres 
ist  allerdings  die  Meinung  des  Dichters  gewesen,  aber  das  Befremdliche, 
das  in  den  Worten  zunächst  doch  liegt  und  das  Z;r|TTi|Lia  hervorrief,  er- 
klärt sich  aus  einer  künstlichen  homerischen  )Hi)LiTicriC :  Laertes  fragt 
Odysseus  uü  299  ttoO  be  vrjOc  effiriKe  6or|,  worauf  Odysseus  erwidert  308 
VTiOc  be  jLioi  r\b'  ecririKev  err'  otYpoO  vöcTcpi  ttöXtioc.  Statt  sich  also 
Frage  und  Antwort  in  dieser  Weise  genau  entsprechen  zu  lassen,  legt 
Vergil  dem  Anchises  statt  der  Frage  nur  den  Ausdruck  der  Besorgnis 
in  den  Mund,  die  Aeneas  kurz  und  bündig  als  unbegründet  zurückweist. 
Der  kunstvollen  Disposition  entsprechen  die  Kunstmittel  im  einzelnen: 
Alliterationen  z.B.  687 f.  venisti  —  vicit,  tandem  tua,  parenti — pietas 
6 88 f.  tueri  —  tua  695 f.  tua  tristis  —  t ender e  697  stant  sale — da  — 
dextram  (Schema  aabb)  700  conatus  —  coUa  —  circum  702  ventis  vo- 
lucri  —  simillima  somno  (Schema  aabb),  Anaphern:   692 f.  quas  —  quan- 


VERS  687—702.  297 

ta  —  quantis  695  tua  —  tua  697  f.  da  —  da  700 f.  ter  —  ter,  und  zum 
Abschluß  der  Szene  eine  kunstvolle  Parisosis:  702  par  levihus  ventis  r^ 
simülima  völucri  somno. 

687  exspedata  parenti  mit  Bezug  auf  V  731  ff.,  vergl.  Kroll  1.  c. 
(z.  llOff.)  156f.  —  689  audire  et  reddere  voces  =  I  409,  vergl.  Catull 
64,  166  nee  missas  audire  queunt  nee  reddere  voces  (Gerda).  Am  Vers- 
schluß reddere  voces  auch  Lucr.  IV  575  und  Varro  Atac.  fr.  12  Baehr.: 
also  aus  dem  alten  Epos.  —  690  duceham  —  rebar  '  rechnete  aus  und  be- 
fand richtig',  rebar,  schon  von  Cic.  de  or.  III  153  als  tot  bezeichnet, 
wird  ennianisch  sein;  vielleicht  gilt  das  von  der  ganzen  Phrase  reharque 
futurum,  da  Vergil  ungern  Formen  des  Verbum  substant.  an  den  Schluß 
des  Verses  stellt,  vergl.  o.  z.  394  und  Anhang  HI  B2. 

692  f.  quas  ego  te  terras  et  quanta  per  aequora  vectum  \  acciplo, 
quantis  iactatum  nate  periclis.  Der  Gedanke  erinnert  auffällig  an  die 
Worte,  mit  denen  in  Pacuvius'  Teurer  jemand  (die  Mutter?)  den  zurück- 
gekehrten Teucer  zu  begrüßen  scheint:  quam  te  post  multis  tueor  tem- 
pestatibus  (319  R).  Da  diese  Tragödie  sehr  berühmt  war  (Cic.  de  or. 
II  193.  III  217),  wird  sie  Vergil  (wie  Horaz  od.  I  7)  gelesen  und,  wie 
oben  500  f.  den  Alexander  des  Ennius,  für  ein  Motiv  des  Dialogs  ver- 
wertet haben.  Das  wird  bestätigt  durch  I  87  insequitur  clamorque  virum 
stridorqtie  rudentum,  eine  Nachahmung  des  von  Servius  (und  Caelius  bei 
Cic.  ep.  fam.  VIII  2)  angeführten  Verses  derselben  Tragödie.  (336)  stre- 
pitus  fremitus  clamoi-  ionitruum  et  rudentum  sibüus,  sowie  durch  IX  667, 
wo  flictus  von  Servius  mit  einem  Zitat  derselben  Tragödie  (335  flictus 
navium)  belegt  wird.  —  Über  die  Technik  des  Versschlusses  quanta  \ 
per  aequora  vectum  s.  z.  335.  —  696  haec  limina  tendere  adegit:  neu  so- 
wohl der  Accusativ  der  Richtung  bei  einem  Appellativum  (s.  z.  542.  638) 
als  die  Konstruktion  von  adigere  mit  dem  Infinitiv  wie  VII  113  (vergl. 
Thesaur.  1.  1.  s.  v.  p.  678).  —  697  stant  sale  TyrrJieno  classes:  sah  ä\c 
von  Ennius  (a.  378)  eingeführt;  classes  =  naves  wie  11  30,  dpxaiujc 
(s.  z.  334).  —  lungere  dextram  =  I  408,  vergl.  VIII  164  dextrae  con- 
iungere  dextram,  wo  der  Vers  ennianisch  compellare  virum  (vergl.  ann. 
45.  256)  beginnt;  VIII  467  lungere  dextras  in  ennianischer  Umgebung.  — 
700 — 2  ter  conatus  ibi  collo  dare  bracchia  circum,  \  ter  frustra  coniprensa 
manus  effuglt  Imago,  \  par  levlbus  ventis  volucrique  slmlllima  somno  = 
II  792 — 94.  In  P  ist  702  ausgefallen  und  wird  daher  von  Ribbeck  für 
interpoliert  gehalten.  Aber  er  stand  schon  in  dem  von  Lactantius  (div. 
inst.  VII  20,  11)  benutzten  Exemplar  imd  gibt  der  trikolischen  Periode  erst 
die  rechte  Abrundung,  wie  das  Ohr  lehi't.  Richtig  schon  Jul.  Scaliger 
poet.  1.  V  c.  III  (p.  511  der  Ausg.  von  1607):  'conclusit  rotundius  (sc. 
Homero),  tribus  enim  versibus  comprehendit  commodissimis'.  Charakte- 
ristisch für  den  nachahmenden  Dichter  ist,  daß  bei  ihm  das  Motiv  an 
beiden  Stellen  nur  mehr  ornamental  wirkt,  da  Aeneas  nicht,  wie  Odysseus 
(\  206 ff.),  sein  Erstaunen  und  Bedauern  über  das  Vergebliche  seines 
Versuchs,  das  Schattenbild  des  Vaters  zu  umarmen,  ausdrückt.  Dagegen 
hat  Dante  Purg.  II  76 ff.,  wo  er  unsere  Verse  genau  nachbildet,  intuitiv 
richtig  die  Homerstelle,  die  er  sicher  nicht  kannte,  reproduziert. 

B.  Lehre  von  der  Seelenwanderung  703 — 51  in  drei  Ab- 
schnitten.    1)  Das  Lokal  703 — 9  (703—5  biKiuXov,  das  erste  mit  zwei 


298  KOMMENTAR 

KÖ|U|LiaTa;  706 — 9  xpiKUjXov,  das  dritte  mit  zwei  KÖ|U)iaTa),  2)  Dialog 
zwischen  Aeneas  und  Anctises  710 — 23  (710 — 12  biKuuXov  mit  je  zwei 
KÖ)U)LiaTa;  714 — 16  xpiKuuXov;  716 — 18  biKUuXov,  das  erste  mit  zwei 
KÖjUjuaTa;  719 — 21  biKuuXov,  das  erste  mit  zwei  KÖ|Li|uaTa;  722-^23 
biKiuXov  mit  je  zwei  KÖmuaxa),  3)  Eede  des  Anchises  724 — 51  (724 — 27 
rpiKUjXov,  das  erste  mit  vier  KÖ)Li|LiaTa;  728 — 29  ipiKUuXov;  730 — 32 
biKuuXov,  das  zweite  mit  drei  KÖ|U)aaTa;  733 — 34  TerpdKUjXov;  735 — 38 
xpiKiuXov,  das  zweite  und  dritte  mit  je  zwei  KÖ|U)LiaTa;  739 — 43  ipi- 
KUuXov,  das  erste  mit  zwei,  das  zweite  mit  drei  KÖ|U|uaTa;  743 — 47  bi- 
KUüXov  mit  zwei  bez.  vier  KÖ|Li)LiaTa;  748  —  51  xpiKUuXov,  das  dritte  mit 
zwei  KÖ)Li|uaTa). 

703  ff.  "GKqppaCTic  töttou  in  gewählter  Sprache  und  mit  einem 
Gleichnis  {similitudo  sumitur  ornandi  causa:  auct.  ad  Her.  IV  59).  Fast 
alle  Substantive  haben  (wie  oben  bei  der  Beschreibung  des  Elysiums 
638 ff.)  ihre  Attribute,  ein  Zeichen  zierlicher  Diktion  (s.  Anhang  III  A 3) : 
valle  rcduda,  seclusum  nemus,  virgulta  sonantia,  Lethaeum  amnem,  domos 
placidas,  innumerae  gentes,  aestate  serena,  fJoribus  variis,  Candida  lilia. 
Kunstvolle  Parisosis  floribus  insidunt  variis  -^  Candida  circumfunduntur 
lilia  <^  strepit  omnis  murmure  campus.  Alliterationen  704  seclusum  — 
sonantia  silvae  5  placidas  —  praenatat  8  Candida  circum.  Malerei  zur 
Versinnbildlichung  des  Summens  der  Bienen  mit  s  und  u  707 ff.:  pratis 
apes  aestate  serena  floribus  insidunt  variis  .  .  .,  strepit  omnis  murmure 
campus:  nach  Dionys.  Hai.  de  comp.  verb.  14  beleidigt  die  Häufung  des 
a  das  Ohr,  GripiuObouc  y^P  Kai  dXÖTOu  juaXXov  r|  XoTiKrjc  ecpanTeffGai 
boKei  qpuuvfic  6  (TupiYMÖc:  hier  soll  eben  dieser  (JupiTjUÖc,  Stridor  gemalt 
werden. 

703  in  valle  reducta  ==  VIII  609,  technischer  Ausdruck  wie  bei 
Hör.  epod.  2,  11.  od.  I  17,  17.  —  704  virgulta  \  sonantia  silvae:  über 
die  trochaeische  Caesur  s.  z.  130.  —  705  Lethaeum  amnem,  wie  714 
Lethaei  fluminis,  könnte  heißen  'der  Fluß  Ar|6aToc'  (über  dessen  Iden- 
tität mit  dem  Arjöric  üboup  vergl.  Bergk,  Kl.  Schriften  II  716).  Aber 
Vergil  braucht  das  Wort  rein  adjektivisch,  wie  zuerst  hellenistische 
Dichter  und  nach  ihnen  Catull  65,  5.  Dadurch  umgeht  er  die  griechische 
Form  des  Genitivs  auf  -es  (Lethes),  den  er  —  im  Gegensatz  zu  Catull, 
Properz  und  Ovid  —  so  wenig  braucht  wie  Horaz  und  Tibull.  Be- 
merkenswert ist  die  starke  Betonung  der  Verborgenheit  des  Lethehains 
(in  valla  reducta,  seclusum  nemus,  679  penitus  convalle  virenti,  711  flu- 
mina  porro):  das  entspricht  der  ältesten  Vorstellung,  wonach  dieser 
Unterweltstrom  der  'verborgene',  nicht  der  'vergessenmachende'  (oblivia 
715)  war:  vergl.  v.  Wilamowitz  zu  Eurip.  Her.  11^  96,  1.  —  praenatat 
vom  Fluß:  die  Metapher  belegt  Servius  mit  Ennius  a.  584  fluctusque 
natantes,  vergl.  Trpo(Tvr|xeiv  vom  Meere  Ps.  Theokrit  21,  18.  Das  Kom- 
positum praenatare  ist  vor  Vergil  nicht  nachweisbar  (Ladewig  5).  — 
706  gentes  populique:  iQvea  )Liupia  veKpu)V  X  632.  Dem  umfassenderen 
Begriff  wird  der  spezielle  koordiniert  statt  subordiniert,  vergl.  X  202 
gens  Uli  (Mantuae)  triplex,  populi  sub  gente  guaterni  (Heyne);  umgekehrt 
Lucr.  V  1222  populi  genfesque.  Da  die  genaue  Bestimmung  weder  an 
vorliegender  Stelle  noch  bei  Lucrez  motiviert  ist,  so  wird  die  Verbindung 
gemeinsames  älteres  (ennianisches)  Gut  sein. 


VERS  703  ff.  299 

706 ff.  werden  die  Seelen,  die  zur  Wiederkehr  ans  Licht  bestimmt 
sind  und  sich  nun  am  Lethestrom  auf  ihre  Wanderung  vorbereiten,  mit 
Bienen  verglichen,  die  an  einem  schönen  Sommertage  bunte  Wiesenblumen 
umschwärmen;  das  Tertium  des  Vergleichs  ist  neben  der  Masse  (706  innu- 
merae  gentes  populique)  das  Summen  (709  strepit  omnis  murmure  campus). 
Als  Vorlage  für  das  farbenreiche  Bild  zitieren  die  Erklärer  B  8  7  ff.,  wo 
das  Gleichnis  vom  Bienenschwarm  nur  die  große  Menschenmasse  als 
solche  betrifft,  was  dann  ApoUonios  Eh.  I  879 ff.  mit  stärkerer  Speziali- 
sierung auf  das  summende  Stimmengeräusch  einer  großen  Menschenmasse 
übertrug.  Aber  keine  dieser  Stellen  war  Vergüs  unmittelbare  Vorlage. 
Er  gebraucht  das  Gleichnis,  um  das  ipiJleiV  der  Seelen  zu  versinnbild- 
lichen, und  eben  hiervon  hat  es  auch  Sophokles  fr.  794  N.  ßofißei  be 
veKpuJv  (S\xf\v oc.  Aber  auch  dieses  fast  nur  mehr  als  Metapher  er- 
scheinende Gleichnis  des  Sophokles  kann  nicht  die  Vorlage  des  aus- 
geführten vergilischen  Vergleichs  gewesen  sein.  Vielmehr  liegt  es  nahe 
zu  vermuten,  daß  der  homerische  Vergleich  in  einer  schon  dem  Sopho- 
kles bekannten  KaraßacTic  auf  die  Seelen  der  Toten  übertragen  war  und 
daß  eben  diese  Kaidßaaic  die  von  Vergil  hier  benutzte  Quelle  war. 
Diese  Vermutung  hat  an  folgenden  zwei  Tatsachen  gewichtige  Stützen, 
l)  Unser  Buch  hat  uns  bereits  einen  ganz  analogen  Fall  in  Vers  31  Off. 
geboten.  Dort  wurden  die  Seelen  der  Toten,  die  sich  an  den  Acheron 
drängen,  mit  Wandei-vögeln  verglichen.  Wie  daselbst  gezeigt  worden 
ist,  kennt  Sophokles  auch  diesen  Vergleich,  wieder  bloß  andeutend  in 
abgekürzter  Form,  und  dort  ließ  sich  die  Vermutung,  daß  dieser  Ver- 
gleich in  einer  alten  Kaidßadic  ausgeführt  war,  zu  großer  Wahrschein- 
lichkeit erheben.  2)  Das  Sophoklesfragment  wird  von  Porphyrios  de 
antr.  nymph.  18f.  (p.  69  N.)  in  folgendem  Zusammenhang  überliefert: 
Sophokles  sage  das  treffend,  denn  es  hätten  oi  TraXaioi  TCtc  v^/uxctc  eic 
Teve(yiv  ioucrac  als  laeXiffcrac  bezeichnet.  Also  nicht  bloß  von 
dBn  Seelen  im  allgemeinen  fand  Vergil  das  Gleichnis  überliefert,  sondern 
grade  von  denjenigen  Seelen,  von  denen  er  es  hier  gebraucht,  den  zur 
TraXifY^vedia  bestimmten.  Prophyrios  hat  in  der  Eschatologie  dieser 
Schrift  aus  erlesensten  Quellen  (wie  Herakleides  Pontikos,  vergl.  Diels, 
ßh.  Mus.  XXXIV  1879,  489)  alte  theologische  (orphisch-pytha- 
goreische)  Vorstellungen  überliefert  (d.  h.  in  der  Weise  seiner  Sekte 
mit  neuplatonischen  verquickt).  Eine  Vorlage  aus  jener  Sphäre  müssen 
wir  also  notwendig  auch  für  Vergil  annehmen  (Karaßadic  'Opqpeujc?). 
Jene  TraXaioi  haben  auch  hier,  wie  so  oft,  eine  volkstümliche  Vorstellung 
für  ihr  System  verwertet.  Honig  ist  eine  der  typischen  Grabesspenden 
(z.  B.  Eurip.  Iph.  T.  165 f.  Hou9äv  TTÖvriiua  |aeXi(Taäv,  a  veKpoTc  öcXk- 
Tripia  Keixai);  MeXiTUubric  und  MeXivbia  sind  euphemistische  Namen  der 
Persephone  (Rohde,  Psyche  I^  206,  2);  die  symbolische  Verwertung  des 
Wortes  \xi\\(5(5a.  als  Priesterin  der  Persephone  oder  Demeter  (vergl.  be- 
sonders die  Sage  im  schol.  Dan.  zu  aen.  I  430)  ist  alt  (Lobeck,  Agl.  817, 
Bergk,  Kl.  Sehr.  674ff.,  W.  Eobert-Tomow,  De  apium  mellisque  significa- 
tione  symbolica  et  m}i;hologica,  BerHn  1893,  92.  141);  eine  )ieXiTOÖTTa 
wird  dem  Toten  mitgegeben;  Honig  war  ein  Mittel  zum  Konservieren 
der  Leichname;  noch  in  später  Zeit  finden  sich  Bienenhäuser  mit  Grab- 
denkmälern   verbunden    (carm.  ep.  468.  1262.    1552A   86 ff.   Bücheier); 


300  KOMMENTAR 

aucli  die  eigentümliche  Legende  von  der  Entstehung  eines  Bienenschwarmes 
im  Schädel  eines  Toten  (Herodot  V  114)  gehört  in  diesen  Zusammen- 
hang. So  ist  es  denn  begreiflich  genug,  daß  die  Biene,  deren  erstaun- 
licher Intellekt  die  Allbeseeltheit  des  Weltganzen  so  sichtbar  zu  beweisen 
schien,  von  den  alten  Theologen  und  nach  deren  Vorbild  von  den  späten 
Piatonikern  als  ein  wichtiges  cru)LißoXov  in  der  Lehre  von  der  Seelen- 
wanderung verwertet  worden  ist  (vergl.  darüber  auch  Einleitung  S.  16  f., 
besonders  S.  17,  l).  —  Als  Vorstehendes  geschrieben  war,  erschien  Üseners 
Abhandlung  Rh.  Mus.  LVII  (1902)  177 ff.,  wo  die  Vorstellung  von  Milch 
und  Honig  als  Seelenspeise  in  einen  weltgeschichtlichen  Zusammenhang 
eingereiht  worden  ist.  Was  jene  alten  Theologen  des  VI.  Jh.  v.  Chr. 
von  Honig  als  Speise  der  zur  leiblichen  TraXiYTtveCTia  bestimmten 
Seelen,  die  sie  'Bienen'  nannten,  zu  berichten  wußten,  das  hat  die 
christliche  Theologie  auf  die  geistige  Wiedergeburt  in  der  Taufe  über- 
tragen: ein  neuer  Beleg  für  jenes  iLieTaxapdxTeiv  TÖ  vö|Liiö"|Lia,  das  das 
Christentum,  wie  in  der  Einleitung  S.  6  f.  2 5  ff.  an  einigen  Beispielen  ge- 
zeigt worden  ist,  grade  auch  auf  diesem  Gebiet  mit  einem  oft  bis  in 
die  Gegenwart  fortwirkenden  Erfolge  geübt  hat. 

707 ff.  ac  velut  (so  PR;  ac  veluti  FGM,  aber  Wagner  wies  zu 
IV  402  nach,  daß  Vergil  vor  Vokalen  nur  velut  gebraucht)  'grade  so 
wie',  oft  bei  Vergil,  z.  B.  II  626.  IV  402.  Es  stammt  aus  der  älteren 
Sprache,  da  Plautus  öfters  so  atque  ut  hat,  z.  B.  Cas.  860f.  nee  falla- 
ciam  astutiorem  ullus  fedt  poeta,  atque  ut  haec  est  fahre  facta  ah  nohis. 
Die  Verbindung  ist  durch  einen  Ausgleich  zweier  Vorstellungsreihen  zu 
erklären:  animae  strepunt  atque  apes  -}-  animae  strepunt  velut  apes  = 
animae  strepunt  ac  velut  apes.  Sie  ist  (wie  die  analoge,  bloß  umgekehrte 
Verbindung  uJCTie)  ein  deutlicher  Beweis  für  die  bekannte  Tatsache,  daß 
jeder  Vergleich  ursprünglich  nichts  als  reine  Parataxe  ist;  sehr  deutlich 
z.  B.  Plaut.  Bacch.  549  quem  esse  amicum  ratus  sum  atque  ipsus  sum 
milii,  Terenz  Andr.  841  tihi  sum  ohlitus  liodie,  ac  volui,  dicere.  Etwas 
anders  beurteilt  Haupt,  op.  I  110  diese  Partikelverbindung.  —  Der  Haupt- 
gedanke, der  das  sog.  tertium  comparationis  enthält  (strepit  omnis  mur- 
mure  campus),  wird,  der  homerischen  Praxis  entsprechend,  aus  der  Kon- 
struktion herausgenommen  und  asyndetisch  angefügt,  was  wirksamer  ist 
als  die  logisch  genaue  Hypotaxe  'wobei  das  ganze  Feld  summt';  analoge 
Beispiele  (I  498 ff.  IV  143 ff.  u.  a.)  richtig  beurteilt  von  E.  Weißenborn, 
Progr.  Mühlhausen  1879,  14f.  —  Über  die  Synaloephe  uhi  apes  s.  An- 
hang XI  1. 

710  horrescit  visu  subito  causasque  requirit.  Horresdt  =  VII  526 
ennianischer  Versanfang  (a.  385);  visu  suhito  an  gleicher  Versstelle 
VIII  109  in  feierlicher,  wahrscheinlich  ennianischer  Umgebung;  requirit 
am  Versschluß  vergl.  Enn.  a.  192  omnes  arma  requirunt  (dies  wörtlich 
von  Vergil  zitiert  VII  625).  Über  die  Wortstellung  horrescit — requirit 
s.  Anhang  III  A 2.  —  711  quae  sint  ea  flumina  porro.  Servius:  longe 
remota,  et  est  graecum  adverhium.  Vielmehr  gehört  es  der  alten  Sprache 
an:  Plautus  rud.  1034  uhi  tu  hie  hahitas?  Porro  illic  longe  (Forbiger). 
Vergil,  der  es  so  nur  hier  braucht,  wird  es  also  aus  Ennius  haben 
(s.  Anhang  II).  —  714  Lethaei  ad:  über  die  Synaloephe  s.  Anhang 
XI2B3.  —  715  securus  latex  wie  'A|ne\iic  iTOTajLiöc  Plat,  Rep.  X  621  A 


VERS  707—718.  301 

vom  Lethefluß  (Conington;  vergl.  W.  Schulze,  Quaest.  epicae  442,  6), 
TtauaiTTOVOV  Adöac  7TÖ)Lia  epigr.  244,  10  Kaibel.  Es  wird  durch  das 
parataktisch  mit  et  angefügte  longa  öblivia  erklärt  (s.  z.  24  f.).  —  öblivia, 
für  uns  zuerst  bei  Lucr.  VI  1213  (an  gleicher  Versstelle)  nachweisbar, 
ist  von  diesem  (oder  einem  früheren  Daktyliker)  für  das  metrisch  un- 
brauchbare obliviö  verwendet,  das  mit  Kürzung  des  o  zuerst  Lucan 
X  403  (obliviö  mentis)  hat.  So  sagen  contagia  statt  des  korrekteren  con- 
tagiö  (Paulus  F.  59  contagionem  esse  dicendum,  non  cantagium)  seit  Lucrez 
alle  bis  auf  Juvenal  (2,  78  contagia  labern).  Den  Singular  oblivium 
hat  erst  Tacitus  (h.  IV  9)  aus  öblivia  zurückgebildet.  Vergl.  Marius 
Victorinus  GLKVI25,10  ^eonta^io'  apud  omnes  fere  veter  es  scriptores 
est  nominativo  casu,  ut  .  .  .  '^ obliviö';  sed  poetarum  licentia  primo  fedt 
'contagia'  et  'öblivia',  postea  diel  coepit  et  'oblivium'  et  .  .  .  ' contagiu/m' . 
Die  horazischen  obliviones  IV  9,  34  sind  nichts  anderes  als  eine  Analogie- 
bildung des  Lyrikers  nach  den  öblivia  der  Daktyliker. 

7 16 f.  has  (sc.  animas)  equidem  memorare  tibi  atque  ästender e  c&ram  \ 
iampridem  hanc  prolem  cupio  enumerare  meorum.  Die  Worte  has  me- 
morare atque  ostendere  werden  durch  hanc  prolem  meorum  enumerare 
spezialisiert,  wie  oben  680 f.  inclusas  animas  lustrabat  durch  orrmemque 
suorum  recensebat  numerum  und  wie  unten  722 — 51  zunächst  die  Schick- 
sale aller  Seelen,  dann  von  756  an  speziell  die  der  trojanisch- römischen 
behandelt  werden  (vergl.  Henry  1.  c.  381  und  H.  Plüß,  Vergil  und  die 
epische  Kunst,  Leipz.  1884,  171,  l).  Iampridem  cupio  ist  diTÖ  koivoO 
zum  zweiten,  das  erste  spezialisierenden  Gliede  gestellt  (Ladewig).  Ein 
Grund  zu  Änderungen  (ac  für  hanc  Heyne  und  Nettleship,  iampridem 
cupio  ac  Novak)  oder  gar  zu  der  Annahme,  daß  716  eine  von  Vergil 
selbst  herrührende  Dittographie  sei  (Ribbeck),  liegt  also  nicht  vor;  doch 
ist  mir  wahrscheinlich,  daß  die  etwas  gewundene  Art  des  Ausdrucks, 
wie  nicht  selten  bei  Vergil,  durch  Benutzung  von  Floskeln  aus  älterer 
Poesie  bedingt  worden  ist.  —  Erwägenswert  ist  die  Vermutung  Deutickes, 
daß  716 — 18  von  Vergil  nur  vorläufig  hierher  gestellt  seien,  weil  der 
Zusammenhang  von  715  (Anchises:  'die  zur  Wanderung  bestimmten 
Seelen  tiiuken  das  Wasser  der  Lethe')  mit  719  (Aeneas:  'wandern  die 
Seelen  denn  wirklich  und  warum?')  durch  716  — 18  (Anchises:  'diese 
Seelen  wollte  ich  dir  längst  zeigen')  unterbrochen  und  weil  ferner  der 
Gedanke  von  716 — 18  in  756  —  59  ziemlich  genau  wiederholt  werde. 
Doch  scheint  mir  auch  hier  vielmehr  eine  kleine,  in  der  Kompositionsart 
des  Dichters  begründete  Ungeschicklichkeit  vorzuliegen,  deren  Spuren  zu 
beseitigen  kaum  in  seinem  Plan  lag,  wenn  er  sie  überhaupt  als  solche 
empfand.  Er  läßt  nämlich  den  Anchises  gewissermaßen  die  propositio 
der  zwei  folgenden  Abschnitte  machen:  l)  Seelenwanderung  713 — 15, 
2)  Heldenschau  716 — 18.  Das  erste  Thema  wird  (nach  einer  den  ersten 
Teil  der  propositio  genau  formulierenden  Frage  des  Aeneas  719 — 21) 
722 — 51  erledigt;  dann  aber  wird  die  dialogische  Komposition  durch 
ein  paar  Verse  unterbrochen,  welche  die  Handlimg  weiterführen:  752 — 55 
(Besteigung  eines  Hügels).  Die  Folge  dieser  Unterbrechung  ist,  daß  der 
Dichter  nun  den  Anchises  die  von  ihm  bereits  gegebene  propositio  des 
zweiten  Themas  wiederholen  lassen  muß  (756 — 59).  Also  dürfte  auch 
hier   wie   öfters  (s.  S.  176.  295)   der  kleine  Fehler  der  Komposition  aus 


302  KOMMENTAR 

einer  Kreuzung  des  dialogischen  (dramatischen)  und  erzählenden  (epischen) 
Elements  zu  erklären  sein.  —  Über  die  Synaloephe  tibi  atque  s.  An- 
hang XI  1. 

719  anne  .  .  .  putandumst.  In  der  direkten  einfachen  Frage  steht 
anne  bei  Vergil  nur  hier,  und  zwar  in  einer  Bedeutung  („aber  ist's  denn 
zu  glauben?"),  die  der  von  Skutsch,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl'.  XXVII  (1900) 
105  ff.  erwiesenen  Ableitung  aus  ^atne  entspricht.  In  der  direkten  doppelten 
Frage  steht  es  unten  864  und  g.  II  159,  in  der  indirekten  g.  I  32,  an 
den  zwei  Stellen  der  Aeneis,  dem  alten  Gebrauch  gemäß,  vor  Vokalen, 
an  denen  der  Georgica  vor  Konsonanten.  —  TlOf,  ire  .  .  .  sublimis 
dueiapCTiac).  Die  nach  Vergils  Praxis  bei  den  Adjektiven  auf  -is  einzig 
mögliche  Form  des  acc.  plur.  auf  -Is  ist  nur  in  FP^  erhalten  (s.  z.  92). 
—  Der  prädikative  Gebrauch  von  sublimis  ist  bei  Vergil  sehr  beliebt, 
und  zwar  nach  ennianischem  Muster:  denn  daß  die  Phrase  V  255  suhli- 
mem  rapuit  aus  Ennius  stammt,  hat  R.  Ehwald,  Progr.  Gotha  1892,  12 
aus  Livius  II  16,  2  erwiesen  (vergl.  auch  Stacey  1.  c.  [z.  99]  43).  — 
721  quae  lucis  miscris  (sc.  animis)  tarn  dira  cupido?  Schon  diese 
Formulierung  des  Themas  ist  (wie  seine  ganze  nachherige  Ausführung) 
durch  Lucrez  III  7 30 ff.  beeinflußt:  at  neque  cur  faciant  ipsae  (nämlich 
die  Seelen  das  Eingehen  in  Körper)  quareve  laborcnt  \  dicere  suppeditat, 
denn  die  Seelen  hätten  es  außerhalb  des  Körpers  viel  besser:  also  ist 
niiseris  proleptisch  =  'ut  miscrae  fianf,  'zu  ihrem  Unglück'.  Auch  der 
Versschluß  dira  cupido  erinnert  an  Lucr.  IV  1046  dira  lubido,  wie  der 
Vers  722,  mit  dem  der  lehrhafte  Ton  einsetzt,  dicam  equidem  nee  te 
suspensum  nate  tenebo  an  den  schon  von  Germanus  zitierten  Vers  des 
Lucrez  VI  245  expediam  neque  te  in  promissis  plura  morabor. 

723 ff.  Es  folgt  der  töttoc  irepl  Tra^iYT^vecTiac,  dessen  Kom- 
position und  Quelle  in  der  Einleitung  S.  16  ff.  ausführlich  behandelt  ist, 
so  daß  es  hier  nur  weniger  sprachlicher  Bemerkungen  bedarf.  Die  Be- 
handlung ist  lehrhaft  in  der  Form  einer  theoretischen  6e(Tic,  wie  ja 
überhaupt  arrOKaXuipic  und  bibaxil  in  einander  überzugehen  pflegen  (be- 
sonders deutlich  im  Pastor  des  Hermas).  Die  TTpöGecTic  hat  Aeneas 
durch  seine  Frage  719  ff.  gegeben,  ihre  Ausführung  erfolgt  durch  Anchises 
nach  einem  wohlgegliederten  'ordo'  (xdSiC,  vergl.  Lucr.  V  518):  724 priM- 
cipio  28  inde  33  hinc  39  ergo  (wie  Lucr.  V  5 10  ff.  principio  —  inde  —  hinc), 
daher  723  ordine  singula  pandit.  Begreiflicherweise  stellt  sich  mit  der 
naturphilosophischen  Betrachtung  sofort  lucrezianisches  Kolorit  ein  (ebenso 
b.  6,  31  ff.),  obwohl  die  Lehre  sachlich  in  schärfstem  Gegensatz  zu  Lucrez 
steht:  es  ist  genau  dasselbe  Verhältnis  wie  in  den  sachlich  von  der  Stoa, 
formell  von  Lucrez  abhängigen  naturphilosophischen  Partieen  des  Verf. 
des  'Aetna'  sowie  des  sog.  Manilius.  Gleich  der  erste  Vers  principio 
caelum  ac  terras  camposque  liquentis  ist  nach  dem  Muster  von  Lucr. 
V  92  principio  maria  ac  terras  caelumque  tuere,  wie  Lucrez  ja  überhaupt 
das  lehrhafte  principio  liebt  (Haupt  bei  Beiger  160  f.).  Mit  camposque 
liquentis  wird  Lucr.  VI  1142  campique  natantes  verglichen,  was  Vergil 
g.  III  198  wörtlich  herübernimmt.  Die  Metapher  kann,  da  Cicero  Arat. 
129  Neptunia  prata  und  Vergil  selbst  VIII  695  arva  ISeptunia  hat,  auf 
Ennius  zurückgehen,  der  sie  aus  der  griechischen  Tragödie  (z.  B.  Aesch. 
Suppl.  836  K  dXippuTOV  clXffoc,  Pers.  102  ttövtiov  aX(Joc)  in  seine  Be- 


VERS  719—724.  303 

arbeitungen  dieser  herübergenommen  haben  wird  (danach  Plantus  Trin. 
834  TrapaTpafUJÖuJv:  caeruleos  campos).  Hat  Ennius  doch  auch  aequor 
(vergl.  Eurip.  Phoen.  816  irebiov  von  der  Meeresfläche)  eingeführt,  was 
seitdem  poetisches  Gemeingut  wurde.  Weiter  stammen  aus  Lucrez  fol- 
gende Floskeln.  725  glohum  lunae  =  L.  V  69  lunaique  glöbum.  — 
26  per  artus  =  L.  11  949.  964.  —  28  volantum  für  avium  =  L.  VI  833 
wohl  nach  Ennius,  vergl.  a.  84  genus  aUivolantum.  Diese  Vermutung 
J.  Tolkiehns,  Wochenschr.  f.  kl.  Phil.  1901,  343  wird  empfohlen  durch  die 
Alliteration  vitaeque  volantum:  denn  mit  vita  wie  mit  volare  alliteriert 
Ennius  oft,  mit  beiden  zusammen  epigr.  4  volito  vivus.  —  28f.  <~  L.  11 
1080ff.  —  30f.  ~  L.  II  991  f.  —  In  32  stammt  die  Unterscheidung  von 
artus  und  mernbra  aus  L.  (vergl.  Heinze  zu  Lucr.  HI  151)  und  nwri- 
hundos  —  artus  hat  L.  111129.  —  26  alere  31  semina  und  36  fimditus 
sind  Lieblingsworte  des  L.,  letzteres  grade  in  der  Verbindung  mit  omnis 
(I  956  u.  ö.).  —  35  vita  reliquit  =  L.  V  63.  —  37  necesse  est  beliebte 
Klausel  des  L.  —  38  modis  miris  =  L.  I  124.  —  46  labern  = 
L.  n  1145;  concretam  =  L.  V  468;  purumque  relinquit  =  L.  III  40.  — 
50  f.  scilicet  sehr  beliebter  Versanfang  des  L.  —  revisant  —  rursus  — 
reverti:  solche  pleonastischen  Verbindungen  von  rursus  sind  bei  L.  (wie 
überhaupt  in  der  archaischen  Sprache)  häufig. 

Das  Ethos  dieser  feierlichen  Partie  wird  gehoben  durch  Archaismen: 
730  Ollis  47  aurai,  vergl.  738.  48.  Ferner  durch  alliteriereade  Ver- 
bindungen: z.  B.  725  lucentem  —  lunae  (nach  der  den  Alten  bekannten 
Etymologie:  Varro  1.  1.  V  68);  27  mens  —  molem  —  magno  —  miscet  in 
dieser  Stärke  bei  Vergil  selten,  bei  Lucrez  oft;  34  clausae  —  carcere 
caeco;  42  infectum  eluitur  —  exuritur  igni  (Schema  abba).  Dazu  isoko- 
lischer  Satzbau  mit  gelegentlichem  Homoioteleuton:  724  cadum  ac  ter- 
ram  «^  camposque  liqu£ntis,  25  lucentemque  glohum  lunae  <^  Titaniaque 
astTtty  30  igneus  vigor  ^-^  caelestis  origo,  31  f.  noxia  corpora  tardant  r^ 
terreni  artus  hehetant  33  metuunt  cupiuntque  f^  dolent  gaudentque  46  f.  con- 
cretam exemit  läbem  r^  purum  relinquit  sensum.  Endlich  Anaphern:  736 
omne  —  omnes,  40  f.  aliae  —  aUae. 

723  susdpit — pandit:  über  die  Wortstellung  s.  Anhang  inA2.  — 
pandere  'offenbaren':  s.  z.  267.  —  724  principio  caelum  ac  terras  cam- 
posque liquentis.  Terram  PR,  terras  GM,  terram  F.  Auch  die  indirekte 
Überlieferimg  schwankt;  zu  den  Zitaten  bei  Ribbeck  kommen  noch  der 
zu  105  angeführte  Cento  saec.  IV  v.  56  und  ein  wohl  nicht  viel  jüngerer 
ed.  Schenkl  1.  c.  pag.  693  v.  92:  beide  haben  terras).  Schwankungen  im 
Numerus  sind  in  unserer  Überlieferung  äußerst  häufig  (Wagner,  quaest. 
Virg.  IX),  und  zwar  grade  in  ähnlichen  Verbindungen  wie  hier:  so 
IV  269  caelum  et  terras  M,  cadum  ac  terram  P.  Aber  der  Plural  ist 
einstimmig  überliefert  I  58  maria  ac  terras  caelumque  profundum  VII  571 
terras  caelumque  und  wird  empfohlen  durch  Lucr.  V  92.  VI  612  maria 
ac  terras,  Cicero  fr.  3,  3  Baehr.  (FPR  p.  299)  caelum  terrasque,  Vergil 
b.  6,  32  terrarumque  .  .  .  marisque,  Horaz  od.  I  12,  15  mare  et  terras. 
Gegen  terras  sind  die  aiY|uaTa  terras  camposque  liquentis  keine  Instanz, 
da  Vergil  XII  708  sogar  ingentis,  genitos  diversis  partibus  orbis  hat:  so 
stark  allerdings  nur  in  diesem  spätesten  Buch.  —  725  Titaniaque  astra 
von  Helios  ist  theologischer  Poesie  angemessen  (vergl.  Diels  in  der  Pestschp. 


304  KOMMENTAR 

f.  Gomperz,  Wien  1902,  8,  1),  und  wegen  der  besonderen  Synaloephe  (s. 
Anhang  XI  1 )  wohl  einem  älteren  Dichter  entlehnt.  Der  Plural  wird 
rein  metrisch  zu  erklären  sein  (s.  Anhang  V),  kaum  nach  Class.  review 
V  (1891)  186  TOt  Ttepi  töv  fjXiov  (Sonne  und  Sterne).  —  726  alere 
vom  stoischen  Feuer  (spiritus  =  TTveOiaa)  auch  Cic.  de  deor.  nat.  II  41: 
es  ist  auHriTiKÖv  im  Gegensatz  zum  gewöhnlichen,  welches  jueTaßdXXei 
eic  eauTÖ  ifiv  rpoqpriv  (Arius  Did.  467,  5  Diels).  —  729  Weil  es  be- 
sonders wunderbar  ist,  daß  der  Feuergeist  Ktti  eic  TCt  ßevBri  öuetai 
(pythagoreisch-stoische  Lehre  nach  Alexander  Polyh.  bei  Diog.  L.  VIII  28), 
wird  dies  in  einem  eignen,  sorgfältig  ausgearbeiteten  Vers  (et  quae  mar- 
moreo  fert  monstra  sub  aequore  pontus)  besonders  betont,  aequor  mar- 
moreum  aXc  )Liap)aapeTi  (Heyne),  seit  Ennius  a.  377  geläufig.  —  monstra: 
dafür  V  822  cete.  Diese  griechische  Bezeichnung  der  heluac  marinae  hat 
Vergil  bei  seinem  sonstigen  Purismus  sicher  nicht  auf  eigne  Gefahr,  sondern 
nach  einem  älteren  Vorbild  gewagt:  vergl.  Varro  sat.  406  Andromeda 
proposita  ceto  (die  'Andromeda'  war  von  Ennius  und  Accius  übersetzt). 
Beides,  monstra  wie  cete,  ist  Ersatzmittel  für  das  im  Plural  nicht  zu 
brauchende  beluae,  wie  konstant  ferae  für  hestiae.  —  730  igneus  vigor 
TTup  evepTTlTiKÖv;  auch  Cic.  1.  c.  II  42  und  Varro  sat.  268  brauchen  vigor 
vom  stoischen  Welt-Ziujov.  —  731  seminibus^  weil  das  Hervorgehen  der 
Einzeldinge  aus  dem  das  All  durchdringenden  Feuer  eine  Zeugung  ist 
(z.  B.  Poseidonios  aus  Zenon  bei  Sext.  Emp.  IX  lOOfF.).  —  732  Jiebetare 
vor  Vergil  nicht  belegt  (Ladewig  4);  es  wird  also  von  ihm,  um  den  griechi- 
schen Terminus  (d7Ta|ußX0veiv  oder  djuaupoOv)  wiederzugeben,  aus  dem 
Adjektiv  weitergebildet  sein  wie  g.  IV  295  fecundare.  —  734  carcere 
caeco  mit  malerischen  harten  Lauten:  s.  Anhang  VII  A.  —  735  supremo  .  . 
lumine  vita  reliquit  kunstvolle  Variation  der  alten,  bei  Naevius,  Ennius 
und  Lucrez  nachweisbaren  Verbindung  lumina  Unquere  oder  reimquere.  — 
738  multa  diu  concreta  modis  inolescere  miris.  Inolescere  ist,  wie  seine 
Umgebung  miris  modis,  ein  altertümliches  Wort.  Es  hielt  sich  auf  dem 
Lande,  wo  es  die  vox  propria  für  das  Einwachsen  des  Pfropfreises  in 
den  Stamm  war  (g.  II  77  u.  ö.);  auf  den  menschlichen  Charakter  wird 
es  übertragen  ganz  wie  i/ndoles,  das  in  alter  Sprache  vom  vegetativen 
Leben  gebraucht  wurde.  Es  bleibt  also  im  Bilde  des  concrescere. 
Zu)Li9UT0v  (TrpocTTreqpuKÖc)  kokov  ist  seit  Piaton  Rep.  X  609  AB  Tim. 
42  AC  Phaed.  81  C  grade  in  diesem  Zusammenhang  typisch.  —  740f.  pandi 
ad  ventos  dvaTreTdvvuffGai  Ttpöc  dveiuouc.  —  742  scelus  eluitur  Über- 
setzung des  für  den  Ka6ap|nöc  üblichen  Ausdrucks  TÖ  jiiaaiiia  (oder 
luvjffoc)  ^KviiTTecrGai.  infectum  scelus  =  scelus  quo  infecfi  sunt  mit 
kühner  Erweiterung  der  bekannten  Verschiebung  des  Objektsbegriffs  (Bei- 
spiele bei  W.  Kloucek  in  den  Symbola  Pragensia,  1893,  75).  —  743  quis- 
que  suos  im  Versanfang  =  Accius  ann.  fr.  3,5  Baehr.  (FPR  p.  267), 
also,  wie  aus  Übereinstimmungen  zwischen  Vergil  und  den  Annalen- 
fragmenten  des  Accius  geschlossen  werden  darf  (vergl.  Anhang  X  Anm.), 
möglicherweise  ennianisch.  —  744  mittimur  —  tenemus:  über  die  Wort- 
stellung s.  Anhang  III  A  2.  —  745  longa  dies.  Über  feminines  dies  zur 
Bequemlichkeit  des  Verses  s.  Köne  8 5 f.  —  746  reli/nquit  FM,  reliquit 
PR,  auch  die  Hss.  des  Servius  (zu  340)  variieren  wie  die  beiden  zu 
105  zitierten  alten  Centonen.     Das  Präsens  ist  markanter,   das  Präteri- 


VERS  725— 762  ff.  305 

tum  an  das  vorhergehende  exemit  angeglichen,  s.  o.  z.  193.  —  748  mille 
rotam  volvere  per  annos.  Dies  der  einzige  Fall,  wo  Vergil  ein  nicht- 
flektiertes  Attribut  (müle)  von  seinem  Substantiv  trennt  (Boltenstern, 
Progr.  Dramburg  1880,  10);  die  Ausnahme  ist  hervorgerufen  durch  die 
nach  Servius  aus  Ennius  entlehnte  Floskel  rotam  volvere  per  annos.  — 
749  deus  evocat  agmine  magno.  Servius:  non  dicit  quis  .  .  .,  sed  alii 
Mercurium  volu/nt  propter  hoc  (IV  242  f.)  'hac  (sc.  virga)  animas  ille  evocat 
Orco  pallentes,  alias  sub  Tartara  tristia  mittit,  dat  somnos  adimitque  et 
lumina  morte  resignat'.  Die  Beziehung  auf  Hermes  kann  richtig  sein; 
mit  der  Parallelstelle  des  IV.  Buchs  vergleicht  Heyne  Aesch.  Pers.  626  ff. 
(K.)  dXXd  xöövioi  bai)Liovec  dfvoi  Tri  t€  xai  'Epinf]  ßamXeO  t'  evepujv 
7Te)LiipaT'  evepGev  vp^xriv  ec  cpujc.  Auch  der  57.  orphische  Hymnus  auf 
Hermes  Chthonios,  wahrscheinlich  Vergils  unmittelbare  Vorlage  für  die 
Stelle  des  IV.  Buchs,  hat  diese  Vorstellung  (vergl.  v.  6 ff.  aivojLiöpoic 
vpuxaTc  TTOjinTÖc  Kaici  yöi«v  uTrdpxwv,  |  Sc  KaxdYeic,  ottöt'  av  inoipric 
Xpövoc  eicfaqpiKriTai,  [  euiepuj  pdßbtu  GeXTWv  uTrvobuuTibi  TidvTa,  |  Kai 
TrdXiv  uTTVuuovTac  i'^eipexc).  Wie  realistisch  man  sich  Hermes  bei  diesem 
Geschäft  dachte,  zeigt  die  von  J.  Harrison  (Jovim.  of  hell.  stud.  XX  1900, 
lOl)  besprochene  Darstellung  einer  attischen  Grablekythos ,  sowie  die 
von  Furtwängler,  Gemmen  IH  255  f.  gedeuteten  römischen,  durch  pytha- 
goreische Lehre  beeinflußten  Gemmenbilder  des  DI.  bis  11.  Jh.  v.  Chr. 
—  evocare  ist  das  typische  Wort  für  das  Zitieren  der  Manen  (schon 
u)  1  'Gpfific  be  vpuxdc  KuXXr|Vioc  eHeKaXeiro) ;  Vergil  hat  es  nur  hier 
und  in  der  zitierten  Stelle  des  IV.  Buchs.  Da  es  auch  t.  t.  vom  Auf- 
bieten der  Soldaten  ist,  so  ist  dadurch  die  Wahl  des  Wortes  agmen  be- 
dingt (vergl.  die  militärischen  Metaphern  424.  634f.).  Daß  die  Seelen 
in  großer  Zahl  einherziehen,  ist  ein  überlieferter  Zug:  Lukian  de  luctu  7 
CTreibdv  (TuvaXiaGÜJdi  iroXXoi,  Trejunoudiv  ec  xö  'HXucriov  irebiov 
(vergl.  743  f.  per  amplum  \  mittimur  Elysmm)\  auch  Piaton  Rep.  614E 
spricht  von  einer  iravriYupic  der  Seelen.  —  7  50  f.  super  ut  convexa 
revisa/nt  \  rursus  et  incipiant  in  corpora  velle  reverti  mit  öcrtepov  irpö- 
xepov  der  Begriffe  (s.  Anhang  II  2).  —  incipiant  velle  (reverti).  Diese 
auch  der  täglichen  Sprache  geläufige  Verbindung  bezeichnet  „den  Anfang 
vom  Anfang"  (Bücheier  zu  Seneca  apoc.  14). 

C.  Die  große  Rede  des  Anchises  752 — 886  (munere).  Eine 
kurze,  die  Handlung  weiterführende  Einleitimg  (752 — 55  ein  xexpd- 
KU)Xov,  das  letzte  kujXov  mit  zwei  KÖ)U|aaxa)  und  ein  die  Handlung  be- 
endender Schlußsatz  (886 — 87)  rahmen  die  Rede  ein.  Diese  selbst 
beginnt  mit  der  propositio  (756 — 59),  die,  wie  oft  (vergl.  Seyffert, 
Scholae  lat.  I*  43  ff.),  mit  nimc  age  (in  Prosa  stets  age  nunc)  eingeleitet 
wird.  Die  propositio  enthält  zugleich  die  partitio:  es  soU  gesprochen 
werden  l)  von  dem  Ruhm  des  trojanischen  Geschlechts,  2)  von  den 
itaKschen  Nachkommen,  3)  von  den  Schicksalen  des  Aeneas.  Die  beiden 
ersten  Punkte  werden  nicht  gesondert  behandelt,  sondern  absichtlich  ver- 
mischt (s.  u.),  der  dritte  nur  kurz  imd  anhangsweise  (888 — 92). 

Wir  pflegen  diesen  berühmtesten  Abschnitt  unseres  Buchs,  einen  der 
berühmtesten  des  ganzen  Gedichts,  „Heldenschau"  zu  nennen,  und 
möglicherweise  schwebte  dem  Dichter  für  die  Situation  wirklich  die 
Teichoskopie  der  Ilias  vor  (vergl.  7 54 f.  mit  T  154;  863 ff.  mit  T  166 ff. 

Vebgiij  Buch  vi,  voa  Norden.  20 


306  KOMMENTAR 

192 ff.  226 f.  und  Eurip.  Phoen.  145 ff.).  Wenn  wir  aber  von  der  bloß 
skizzierten  Situation  abseben  und  Form  und  Inbalt  ins  Auge  fassen,  so 
müssen  wir  diese  moderne  Bezeichnung  durcb  eine  antike  ersetzen:  wir 
haben  es  mit  einem  XÖYOC  TrapaiveiiKÖc  (irpOTpeTTTiKÖc,  (JujußouXeu- 
TiKÖc)  zu  tun.  Nach  dem  in  der  Einleitung  S.  4  7  f.  Gesagten  ist  diese 
Form  der  Einkleidung  für  Vergil  vermutlich  gegeben  gewesen  durch 
den  paränetischen  Charakter  der  posidonischen  Apokalyptik,  den  wir 
noch  deutlich  in  Ciceros  Nachbildung  im  somnium  Scipionis  erkennen. 
Die  rhetorische  Analyse  des  Donatus  trifft  hier,  wie  oft,  das  Richtige. 
Aeneas,  der  Repräsentant  des  römischen  Volks,  soll  zu  großen  Taten 
angefeuert  werden:  quae  postquam  Änddses  natum  per  singula  duxit  \ 
incenditque  animum  famae  venientis  amore,  so  referiert  der  Dichter 
selbst  888 f.  den  Inhalt  der  Rede.  Demgemäß  ist  diese  durch  drei 
Trapaivecreic  gegliedert:  806 f.  et  dubitamus  adhuc  virtutem  extendere 
factis  ;  aut  metus  Äusonia  prohibet  consistere  terra  irpoTpoTTr)  Trpoc  dv- 
bpeiav  (genus  hortamenti  Donatus^,  832 — 35  ne  pueri  ne  tarda  animis 
adsuescite  bella  e.  q.  s.  dTTOTpOTrf)  dirö  (TtdcTeujc  ^juqpuXiou  (consiliiim 
dat  ostendens  quid  prohibiti  ab  adibus  inimicis  facere  debuissent  Donatus^, 
851 — 53  tu  regere  imperio  populos  Romane  memento  e.  q.  s.  TTpoTpoirfi 
Trpöc  ßiov  irpaKTiKÖv.  Vom  rhetorisch-technischen  Standpunkt  aus  sind 
also  die  einzelnen  Helden  7Tapa6eiY|iiaTa,  die  nach  einem  seit  Aristo- 
teles (Rhet.  III  17.  1418  a  1)  nachweisbaren  Brauch  grade  für  das  yevoc 
(TuiLtßouXeuTiKÖv  konstant  waren,  vergl.  Quintilian  III  8,  66  usum  exem- 
plorum  nulli  materiae  magis  convenire  fere  omnes  consentiunt,  cum  ple- 
rumque  videantur  respondere  futura  praeteritis;  daher  sagt  Donatus  wieder 
ganz  richtig  (z.  841  ff.):  omnes  isti  diversis  artibus  meritisque  et  virtute 
floruerunt,  quos  VergiUus  ex  persona  ÄncMsae  dicit  .  .  .  propter  exempla 
optima  tradendos  memoriae  posterorum.  Die  Auswahl  und  Ausführung  der 
irapabeitjuaTa  ist  panegyrisch,  so  daß  vom  Ganzen  dasselbe  gilt,  was 
ein  Rhetor  vom  'Philippos'  des  Isokrates  sagt:  ^v  (Txr|)iiaTi  toO  eyKiJü- 
|aid(Tai  Trapaivei  (argum.  or.  5  =  vol.  I  ^  p.  LV  BL).  Überhaupt  berühren 
sich  ja  die  beiden  fivr\  sehr  nahe,  wie  Isokrates  umgekehrt  im  panegy- 
rischen Y€VOC  das  paränetische  (protreptische)  Element  verwendet  (paneg. 
188.  Euag.  76 ff.),  eine  Verbindung,  die  schon  Pindar  geläufig  ist  und 
die  daher  auf  die  Anfänge  der  Rhetorik  zurückgeht.  Auch  in  der  Aus- 
wahl der  Helden  hat  Vergil  sich  von  einem  rhetorischen  Gesichtspunkt 
leiten  lassen,  wie  ein  Vergleich  der  Theorie  bei  Quintilian  IH  7  (de  laude 
et  vituperatione),  18  mit  Vergils  Ausführung  zeigt:  Quint.  adferunt  lau- 
dem  liberi  parentibus  «^  vergl.  Vergil  764ff.,  urbes  conditoribus  ^^  773ff., 
leg  es  latoribus  ^^  810  f.,  artes  inventoribus  f^  84  7  ff.,  nee  non  instituta 
quoque  auctoribus  ut  a  Numa  traditum  deos  colere  ^^  808  ff.,  a  Poplicöla 
fasces  populo  summittere  (^  818.  Hieraus  erklärt  es  sich  auch,  daß  die 
Helden  Vergils  die  typischen  der  Rhetorenschule  sind,  vergl.  Cicero  de 
off.  I  61  in  laudibus,  quae  magno  animo  fortiter  excellenterque  gesta 
suMt  .  .  .  rhetoru/m  campus  .  .  .  Codes,  Decii  (824),  Cn.  et  F.  Scipiones 
(843),  M.  Marcellus  (855),  i/nnumerabiles  alii.  So  gestaltet  sich  das 
Ganze  zu  einem,  von  einer  Paränese  durchzogenen  Panegyrikus  auf  die 
Hauptträger  der  römischen  Geschichte,  deren  glänzende  Ereignisse  am 
Leser  apokalyptisch  vorüberziehen. 


VERS  752  ff.  307 

Aber  auch  die  Kehrseite  des  eYKUi|LiiOV,  der  x\i6fOC,  fehlt  nicht 
ganz:  offen  826ff.,  versteckt  817.  822f.  Das  entspricht  nicht  bloß  der 
rhetorischen  Theorie  (vergl.  auch  Servius  zu  g.  11  461  ut  etiam  in  laude 
fecit  Italiae,  non  solum  vitam  laudat  rusticam,  sed  etiam  contrariam  .  . 
vituperat),  sondern  auch  dem  antiken  Schicklichkeitsgefiihl.  Pindar  hält 
mit  verstecktem  oder  offenem  Tadel  nicht  einmal  in  Enkomien  auf  seine 
königlichen  Gönner  immer  zurück,  und  auch  wo  er  die  Großtaten  eines 
ganzen  Geschlechts  preist,  deutet  er  gelegentlich  an,  daß  Fehler,  Ver- 
gehungen und  Mißerfolge  vorgekommen  seien.  Diese  ernste  Art  hat  auf 
Horaz  gewirkt,  wenn  er  sich  in  dem  pindarischen  Liede  I  12  nicht  bloß 
die  Glanzpunkte  der  römischen  Geschichte  aussuchte.  Denn  wie  das 
Leben  des  einzelnen  und  das  von  Geschlechtern,  so  führt  auch  die  Ge- 
schichte der  Völker  auf  keiner  graden  Linie  vorwärts:  daß  Rom  trotz 
allem  selbstverschuldeten  Unglück  zu  solcher  Höhe  emporgestiegen  war, 
das  war  das  Wunderbare:  'merses,  profu/ndo  pulchrior  evenit\  Die  großen 
Dichter  und  Geschichtsschi'eiber  der  augusteischen  Zeit  empfanden  noch 
zu,  historisch,  um  im  Stil  späterer  Panegyriker  das  Schwarze  weiß  zu 
malen,  und  zu  religiös,  um  nicht  grade  darin  das  gnädige  Walten  des 
Fatum  zu  erkennen,  daß  es  den  Staat  durch  Nacht  zum  Licht  geführt 
hatte  (eine  schöne  Ausführung  dieses  Gedankens  bei  Ps.  Manilius  IV  23  ff.). 
Wir  werden  also  schon  aus  diesem  allgemeinen  Grunde  die  Ansicht  ein- 
zelner Kritiker  nicht  teilen,  die  die  Erwähnung  des  Bürgerkriegs  826 ff. 
nicht  passend  finden,  und  dem  Dichter  unsere  Anerkennung  zollen,  daß  er 
von  König  Ancus  lieber  eine  entlegene,  diesem  abgünstige  Legende  benuzt 
(8 15  f.),  statt  sich  mit  einem  wohlfeilen  Lob  zu  begnügen,  und  daß  er  die 
Tat  des  Brutus  (822  f.)  nicht  im  Fanfarenstil  der  Rhetorik  gepriesen  hat. 

Für  die  Komposition  im  einzelnen  sah  sich  Vergil  wieder  (vergl. 
o.  S.  205)  vor  die  Aufgabe  gestellt,  die  Eintönigkeit  einer  bloßen  Auf- 
zählung zu  vermeiden.  Das  erreicht  er  erstens  durch  zahlreiche,  das 
Ethos  und  Pathos  steigernde  (Jxrmaxa  bmvoiac  (die  in  dieser  Häufung 
modernem  Empfinden  nicht  entsprechen),  besonders  das  epu)TTi|Lia  817 f. 
41  ff.,  in  der  Figur  der  ccTTopia  808 f.,  verbunden  mit  uTTOTUTTUJaic  779 f. 
(letztere  ohne  Fragefigur  auch  809);  ferner  die  eK(piJUVTi(Tic  771.  822. 
87 2 ff.,  speziell  als  axe^XiacyiLiöc  806.  28 ff.  32 f.  7 8 f.;  sowie  die  citto- 
(yTp09r|  841  ff.  45 f.  70 f.  73.  82.  Zweitens  wahrt  er  sich  durch  die 
Fiktion,  daß  die  Heldenseelen  in  zufälliger  Gruppierung  an  den  Be- 
trachtern vorüberwallen  (7 54 f.),  die  Freiheit,  einzelne  aus  der  Masse 
herauszugreifen.  So  erklärt  es  sich,  daß  sogar  Typen  wie  Regulus  und 
Marius  fehlen:  letzteren  sowie  die  von  Vergil  übergangenen  illustres 
feminae  fügt  Silius  in  seiner  Nachbildung  (XIH  806 ff.)  hinzu,  die  so 
recht  deutlich  die  dem  Epigonen  unerreichbare  Vorzüglichkeit  der  ver- 
gilischen  Komposition  zeigt.  Vor  allem  gewinnt  Vergil  durch  diese 
Fiktion  die  Möglichkeit  einer  freien  Behandlung  der  ^chronologischen 
Reihenfolge.  Nur  die  großen  Gruppen  folgen  sich  chronologisch:  alba- 
nische Könige  (760 — 76),  römische  Könige  (777—87),  Helden  der 
Republik  (818 — 46).  Innerhalb  dieser  Gruppen  sind  chronologisch  ge- 
ordnet nvir  die  römischen  Könige;  nach  Romulus  (777 — 87)  ist  Augustus 
(788 — 807)  als  alter  Bomulus  eingeschaltet  (Gerda:  'excellenti  iudicio 
post  Romulum   infert  Augustum   quasi  alterum   conditorem   urbis').     Im 

20* 


308  KOMMENTAR 

übrigen  emanzipiert  er  sich  von  der  Chronologie,  wie  in  verwandten 
Aufzählungen  Horaz  I  12,  37ff.  und  Properz  III  3,  7ff.  5,  25ff.  12,  25ff. 
(Gerda:  'ordinem  voluit  abrumpere  et  poetice  confundere,  ut  qui  non 
historicum  sed  poetam  ageret',  Sainte-Beuve,  Etüde  sur  Virgile,  Paris 
1857,  88:  'Anchise,  par  un  naturel  et  heureux  desordre,  s'ecarte  ainsi, 
a  tout  moment,  de  la  suite  chronologique').  Schwieriger  als  dies  negative 
Moment  ist  das  positive  Anordnungsprinzip  der  republikanischen  Helden 
(8 17 ff.)  zu  bestimmen,  falls  es  ein  solches  wirklich  gab.  Von  den 
vielen  Vermutungen  sei  die  von  H.  Plüß,  Jahrb.  f.  Phil.  1871,  396 ff.  und 
A.  Cima,  Analecta  lat.,  Mailand  1901,  5ff.  mitgeteilt,  ohne  daß  ich  für 
ihre  Richtigkeit  bürgen  möchte.  An  der  Spitze  der  republikanischen 
Helden  werden,  an  Brutus  anschließend,  genannt  die  Decier,  Druser,  Tor- 
quatus  und  Camillus  (817  —  25).  Es  sind  Männer,  die  ihr  eignes  Wohl 
und  Wollen  dem  des  Vaterlandes  hintangesetzt  haben;  mit  Brutus  hat 
Torquatus  die  größte  Gemeinschaft,  die  auch  äußerlich  angezeigt  ist 
durch  saevasque  secwres  819  und  saevomque  securi  824;  die  Decier 
opferten  sich,  Camillus  bezwang  seinen  Groll  wegen  der  Verbannung 
und  rettete  die  Stadt,  Livius  Drusus  versöhnte  sich  auf  Befehl  des  Senats 
trotz  persönlicher  Feindschaft  mit  Claudius  Nero  (Livius  XXVII  35)  und 
wurde  ebenfalls  zum  Retter  der  Stadt.  Im  Gegensatz  (autem  826)  zu 
diesen  folgen  826 — 35  Caesar  und  Pompeius,  die  ihre  Kräfte  gegen 
das  Vaterland  kehrten  ("833  neu  patriae  validas  in  viscera  vertue  vires). 
Endlich  drittens  solche,  die  sich  im  weitesten  Sinn  um  das  Vaterland 
verdient  machten  (836 — 46),  ohne  daß  bei  dieser  Gruppe  ein  besonderes 
Einteilungsprinzip  erkennbar  wäre.  Meist  sind  die  Helden  paarweis  ge- 
ordnet (gelegentlich  mit  Alliteration):  Decii  Drusi,  Torquatus  Camillus, 
Caesar  l?ompeius,  Mummius  Paulus,  Cato  Cossus,  Gracchi  Scipiones, 
Fabricius  Serranus. 

Nimmt  man  zu  der  Großzügigkeit  der  Gesamtkomposition  hinzu, 
daß  die  Sprache  bei  allem  Pathos  edel  ist  und  stellenweise,  vom 
Gedanken  getragen,  zu  vornehmer  Höhe  emporsteigt  (vergl.  781  ff.  91  ff. 
819ff.  47 ff.  68ff.),  so  begreift  man  den  gewaltigen  Eindruck,  den  diese 
Partie,  wie  die  Nachahmungen  späterer  Dichter  (seit  Ps.  Manilius  I  758 ff.) 
bis  auf  Dante  (Inf.  IV  115  ff".  Purg.  VII  88  ff.)  zeigen,  auf  die  Leser  ge- 
macht hat.  Es  war  in  der  Form  einer  in  die  Urzeit  verlegten  Prophetie 
eine  Huldigung  für  die  Vergangenheit,  deren  Größe  Augustus  zu  regene- 
rieren eben  damals  bemüht  war,  eine  Mahnung  für  die  Gegenwart  und 
ein  Vermächtnis  an  die  Zukunft,  sich  solcher  Ahnen  würdig  zu  zeigen; 
alles  ist  durchweht  von  dem  Geist  der  großen  Zeit,  die  auch  den  Livius 
inspiriert  hat.  Denn  an  das  livianische  Werk,  sowie  besonders  an  die 
seit  der  caesarischen  Zeit  blühende  Schriftstellerei  de  viris  illustribus 
(vergl.  758  imlustris  animas)  wird  sich  jeder  Leser  dieser  Partie  sofort 
erinnern.  Die  in  dieser  Gattung  von  Schriften  vorkommenden  Abschnitte  de 
regibus,  de  imperatoribus,  de  artificibus,  de  oratoribus,  de  mathematicis,  de 
poetis  werden  auch  von  Vergil  teils  ausführlich  behandelt,  teils  in  einer 
in  jenen  Schriften  üblichen  Parallelisierung  mit  den  Griechen  kurz  gestreift 
(847 ff.).  Es  wird  daher  wenigstens  als  eine  Vermutung  ausgesprochen 
werden  dürfen,  daß  das  bei  der  Nennung  einzelner  viri  clari  stark  her- 
vortretende malerische  Element  (Silvius  760,  andere  Albanerkönige  772, 


VERS  756—759.  309 

Romulus  779f.,  Numa  808ff.,  auch  Brutus  818f.,  Torquatus  824f.,  Ca- 
millus  825)  auf  die  für  diese  Art  von  Literatur  grundlegenden  varro- 
nischen  imagines  zurückgehen  kann.  Jedenfalls  ist  es  ein  Trieb  derselben 
Wurzel,  aus  der  dann  später  auch  die  Idee  des  Augustus  erwuchs,  auf 
seinem  Forum  die  Statuen  der  Erweiterer  des  Imperiums  (vergl.  795 
proferet  imperium)  aufzustellen.  Von  den  bei  Vergil  genannten  Helden 
sind  aus  der  Heldengalerie  des  Augustusforums  für  ims  teils  durch  litera- 
rische Überlieferung,  teils  durch  die  Elogien  noch  nachweisbar  (vergl. 
CILI^p.  188):  Silvius  Aeneas,  Eomulus,  Camillus,  Fabius  Maximus, 
Aemilius  Paullus,  Sempronius  Gracchus  (der  Vater  der  beiden  Gracchen), 
Scipio  Aemilianus. 

Daß  dieser  Abschnitt,  der  einen  Überblick  über  die  großenteils  von 
Ennius  behandelten  Epochen  der  römischen  Geschichte  gibt,  sprachlich 
aufs  Stärkste  von  diesem  beeinflußt  ist  —  die  eigentliche  'Heldenschau' 
schließt  846  mit  einem  fast  wörtlich  wiederholten  Enniusvers  — ,  ist 
für  den  Kenner  vergilischer  Art  selbstverständlich:  es  ist  genau  so  wie 
mit  den  Episoden  des  VIII.  Buchs  von  Cacus  und  Mettus  Fufetius,  wo 
wir  die  ennianische  Nachahmung  aus  Livius  noch  sicher  beweisen  können 
(s.  Stacey  1.  c.  [zu  99]  39 f.).  Die  allgemeinen  Ausführungen  des  An- 
hangs I  gelten  also  in  ganz  besonders  potenziertem  Maß  von  diesem  Ab- 
schnitt: das  was  wir  direkt  oder  durch  indirekte  Schlüsse  als  ennianische 
Floskeln  nachweisen  können,  steht  in  gar  keinem  Verhältnisse  zu  dem, 
was  sich  unserer  Kenntnis  entzieht.  Für  die  zeitgenössischen  Leser  wird 
es  ein  besonderer  Reiz  gewesen  sein,  den  Wein,  den  der  alte,  noch 
immer  hochverehrte  Dichter  den  vergangenen  Generationen  kredenzt  hatte, 
ndt  so  vollendeter  Kunst  in  neue  Schläuche  gefüllt  zu  sehen. 

Auf  die  ästhetische  Analyse  dieses  Abschnitts  von  H.  Plüß  1.  c. 
156 — 256  sei  zur  Ergänzung  des  nachfolgenden  Kommentars  verwiesen. 

Über  die  eigentümlichen  in  dieser  Partie  niedergelegten  eschato- 
logischen  Vorstellungen    ist  in  der  Einleitung  S.  46  f.   gehandelt  worden. 

1)  Propositio  766 — 59  (Donatus:  proposuit  quae  sit  dicturus)  in 
einem  TexpdKUjXov,  das  letzte  kuiXov  mit  zwei  Y.ö\X]xaTa.  Durch  die 
genaue  partitio  756  f.  zwischen  der  Dardania  pröles,  die  an  Julus,  und 
der  Itala  gens,  die  an  Silvius  anknüpft,  sucht  Vergil  sowohl  dem  grie- 
chischen, von  dem  julischen  Geschlecht  rezipierten  als  auch  dem  natio- 
nalen Element  der  Legende  gerecht  zu  werden.  Näheres  über  dieses 
Kompromiß  in  den  Neuen  Jahrb.  f.  d.  klass.  Altertum  (1901)  276 ff.  — 
Für  adjektivisches  Italus  (über  die  Prosodie  s.  z.  61)  scheint  der  älteste 
Beleg  Horaz  s.  I  7,  32  zu  sein;  in  frühaugusteischer  Zeit  hat  es  außer 
Vergil  und  Horaz  auch  Krinagoras  A.  P.  VH  741  (aixMilTTlc  'ItoXoc). 
Substantivisches  Italus  zuerst  je  eimnal  Catull  (1,  5)  und  Cicero  (har. 
resp.  19),  dann  oft  Vergil  (so  oben  92):  vergl.  K.  Sittl,  Arch.  f.  Lex. 
XI  (1900)  124.  —  759  expediam  didis  et  te  tua  fata  docebo.  Die  zwei 
ersten  Worte  von  einer  Prophezeiung  auch  HI  376  in  einer  Partie,  die 
von  ennianischen  Floskeln  voll  ist  {expediam  auch  VII  40);  fata  docebo 
(Anchises  spricht)  vergl.  Ennius  18 f.  doctusque  Änchisa,  Venus  quem 
pulcherrima  dium  \  fata  docet  fari.  —  Über  die  Wortstellung  expe- 
diam— doceho  s.  Anhang  HI  A2. 

2)  Albanerkönige    760—76    (Periodisierung:    760 — 63    Teipd- 


310  KOMMENTAR 

KOuXov,  das  vierte  mit  drei  KÖ|U)naTa;  764 — 66  biKUüXov,  das  erste  mit 
zwei  KÖjLijLiaTa;  767  —  70  bkujXov  mit  vier  bezw.  drei  KÖ|UiuaTa;  771 — 76 
TpiKUüXov  mit  drei  -f  drei  +  zwei  K6|Li|LiaTa).  Es  werden  einige  wenige 
herausgegriffen,  darunter  nur  der  erste  (Silvius)  an  dem  durcli  die  Legende 
bestimmten  Platz,  die  übrigen  ohne  Eücksicht  auf  die  Reihenfolge  in 
der  Legende  (1  Procas  2  Capys  3  Numitor  4  Silvius  Aeneas  statt  4,  2, 1,  3) 
Ob  die  Auswahl  grade  dieser  durch  die  773 — 75  genannten  albanischen 
Kolonieen  bedingt  ist,  wissen  wir  nicht  (s.  z.  7 73 ff.),  wie  wir  überhaupt 
den  Gewährsmann,  dem  Vergil  für  die  damals  noch  sehr  schwankende 
imd  überhaupt  nie  ganz  fixierte  armselige  Legende  gefolgt  ist,  nicht 
kennen:  die  nur  bei  Vergil  erwähnten  Singularitäten  sind  zahlreicher  als 
die  anderweitig  überlieferten  Züge  (vergl.  auch  Fr.  Cauer,  Die  römische 
Aeneassage  von  Naevius  bis  Vergil,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XV  1887,  175). 
—  Dem  Pathos  entsprechen  häufige  Alliterationen,  z.  B.  761  proxima  — 
lucis  loca — primus  (Schema  abba),  64 f.  longaevo  serum  Lavinia  — 
süvis  (ab ab),  67  proximus  —  Procas  —  gloria  gentis  (aabb),  6 2  f.  san- 
guine  surgit  Silvius;  TToXOTTTOUia:  765  regem  rcgumque,  76  nomma  — 
nomine. 

760  vides  wie  adspice  771  ohne  Interpunktion:  so  im  cod.  M 
(s.  z.  858);  ebenso  opäc.  —  pura  hasta.  Servius:  i.  e.  sine  ferro,  nam 
hoc  fuit  praemium  apud  maiores  eins  qui  tunc  primum  vicisset  in  proelio, 
sicut  ait  Varro  in  libris  de  gente  p.  li.  (vergl.  Skutsch,  Bezz.  Beitr.  XXI 
1895,  87,  4).  Die  Verleihung  des  bekannten  Ehrenzeichens  für  junge 
Offiziere  an  Silvius  möglicherweise  nach  bildlicher  Darstellung  (s.  o.).  — 
nititur  nämlich  beim  Gehen:  XII  386  alternos  longa  nitentem  euspide 
gressus.  —  761  proxima  sorte  tenet  lucis  loca.  Die  sors  (von  sero)  be- 
stimmt die  Reihenfolge,  daher  proxima;  die  angebliche  Reihenfolge  beim 
Wiedereintritt  der  Seelen  in  die  Körper  macht  Lucrez  III  776  ff.  (nach 
griech.  Quellen  s.  Heinze  z.  d.  St.)  lächerlich.  —  lucis  loca  archaische 
Paronomasie,  vergl.  Varro  sat.  121.  —  761  f.  auras  \  aetherias  mit 
Trennung  durch  Versschluß,  weil  letzteres  betont  ist  (vergl.  z.  780), 
ebenso  I  546 f.  si  vescitur  aura  |  aetheria  neque  adhuc  crudelibus  occu- 
hat  umIris  (s.  Anhang  III  Bl);  die  Verbindung  für  uns  zuerst  bei 
Lucr.  III  405. 

763 — 65  Silvius,  Albanum  nomen,  tua  postuma  proles,  \  quem  tibi 
longaevo  serum  Lavinia  coniumx  \  educet  silvis  regem  regumque  parentem, 
eine  im  Altertum  vielbehandelte  Stelle  (die  Akten  bei  Gellius  II  16). 
Nach  der  Version  Catos,  die  Servius  berichtet  (ähnlich  Dionys.  Hai.  I  70), 
war  Silvius  der  nachgeborene  Sohn  des  Aeneas,  den  Lavinia  im  Walde 
gebar,  wohin  sie  vor  den  Ränken  des  Ascanius  (Julus)  geflohen  war. 
Dieser  Version  vom  'nachgeborenen'  Sohne  schien  nun  auch  Vergil  ^u 
folgen  mit  postuma  proles,  während  andererseits  im  folgenden  Vers  un- 
verkennbar der  'spätgeborene'  Sohn  gemeint  war,  der  dem  Vater  noch 
in  seinen  alten  Tagen  (longaevo)  geboren  wurde.  Im  Gegensatz  zu  der 
absurden  Xu(Tic,  longaevus  bezeichne  den  Aeneas  als  Gott,  konstatierte 
Caesellius  Vindex  in  seinem  commentarius  lectionum  antiquarum,  daß 
postumus  hier  nicht  'nachgeboren',  sondern  'spätgeboren'  ('letztgeboren') 
heiße,  eine  Bedeutung,  die  für  uns  durch  Plautus  aul.  162 f.  ausdrück- 
lich bezeugt  ist  (ebenso  wird  im  Deutschen  'nachgeboren'  oft  im  Sinne 


VERS  760—770.  311 

von  'spätgeboren'  gebraucht,  z.  B.  von  Goethe,  Pandora  238).  Daß 
Gellius  diese  Interpretation  abweist,  weil  die  so  sich  ergebende  Version 
der  Legende  mit  der  vulgären  in  Widerspruch  stehe,  ist  für  die  nivel- 
lierende Art  der  antiken  Exegese  charakteristisch,  aber  bei  einer  Legende, 
deren  Schwankungen  Livius  I  3,  2  ausdrücklich  hervorhebt,  doppelt  ver- 
kehrt. Läßt  sich  doch  sogar  noch  der  Grund  dieser  abweichenden 
Fassung  vermuten.  Die  von  Vergil  befolgte  Version  kann,  da  sie  den 
Silvius  noch  zu  des  Vaters  Lebzeiten  geboren  werden  ließ,  den  Zwist 
zwischen  Lavinia  und  Ascanius  (Julus)  nicht  gekannt  haben,  d.  h.  dies 
war  die  im  Sinne  des  julischen  Hauses  loyale  Fassung,  der  auch  Livius, 
mit  latenter  Polemik  gegen  die  vulgäre,  sich  anschließt,  1.  c.  6:  Silvius 
casu  quodam  in  silvis  natus.  —  educere,  das  auch  die  Prosa  im  Sinn 
von  educare  kennt  (Cic.  de  or.  U  124),  bevorzugen  die  Daktyliker,  da 
educare  in  den  meisten  Formen  für  sie  nicht  zu  brauchen  war  (vergl. 
Köne  184f.),  so  unten  779  educet  VII  763  eductum  VIII  413  educere 
natos;  dagegen  gebraucht  Vergil  in  dem  späten  B.  X  518  das  Präsens 
kühn:  quattuor  hie  iuvenes,  totidem  quos  educat  Ufens,  \  viventis  rapit, 
wie  Ovid  m.  III  314  edticat  neben  occuluere.  —  Die  Antithese  des  Ge- 
dankens, die  zwischen  dem  Aufwachsen  in  der  Wildnis  und  der  hohen 
Bestimmung  des  künftigen  Königs  liegt,  wird  durch  das  ttoXOtttiütoV 
regem  regumque  (parentem),  das  Ethos  durch  die  wuchtigen  Spondeen 
gehoben  wie  771  f.  774.  —  766  longa  Alba  hier  wie  I  271  mit  der 
archaischen  Wortfolge  (vergl.  bona  dea,  opima  spolia,  patria  potestas, 
Sacra  via  etc.)  wie  Cic.  de  rep.  11  4,  Liv.  13,3,  Ovid  f.  11  499  (aus 
Ennius:  R.  Ehwald,  Progr.  Gotha  1892,  12),  Trogus-Justin  XLIH  1,  13. 
Auch  Silvius  Aeneas  769  bewahrt  das  Ursprüngliche.  Wenn  Livius  ihn 
1.  c.  6  Aeneas  Silvius,  seinen  Sohn  Latinus  Silvius  nennt,  so  faßt  er 
Silvius  unrichtig  als  Cognomen;  vergl.  ib.  7  mansit  Silvius  postea  omnibus 
cognomen:  Cognomina  auf  -ius  kamen  damals  auf.  Dagegen  weiß 
Vergil,  daß  es  ein  nomen  (praenomen)  ist:  763  Silviis  Albanum  nomen. 
—  767  Mit  gloria  gentis  schließt  auch  Ovid  m.  XII  530  einen  Vers. 
Da  er  längst  noch  nicht  so  oft,  wie  spätere  Dichter,  vergilische  Phrasen 
übernimmt,  so  kann  die  alliterierende  Verbindung  älter  (also  ennianisch) 
sein:  so  schließen  Vergil  II  74.  HI  608  und  Ovid  m.  XIH  31  Verse  mit 
sanguine  cretus,  was  von  Vergil  nicht  geprägt  sein  kann,  da  cretus  für 
ihn  längst  tot  war  (s.  auch  zu  810). 

770  si  umquam  regnandam  acceperit  Albam.  Servius:  accepit  autem 
a  tutore  qui  eius  invasit  imperium,  quod  ei  vix  anno  quinquagesimo  tertio 
restituM.  et  rem  plenam  historiae  per  transitum  tetigit.  Singulare  Version 
nach  unbekannter  Quelle.  —  si  umquam  mit  sehr  seltner  Synaloephe 
von  i  -\-  u,  s.  Anhang  XI  2.  —  regnandam.  In  dieser  Form  hat  das 
Passivum  wohl  nur  Vergil,  und  nur  an  dieser  einen  Stelle.  Das,  was 
er  unten  793  regnaia  arva  Saturno  und  m  14  terra  .  .  regnata  Lycurgo 
hat,  findet  sich  auch  bei  Horaz  (od.  11  6,  11  regnata  rura  Phalanto 
29,  27  regnata  Bactra  Cgro),  wie  kausatives  triumphare,  das  zuerst 
g.  ni  33  und  Hör.  od.  HI  3,  43  nachweisbar  ist  (auch  unten  836).  Es 
sind  Gräzismen  nach  ßaai\eue(J9ai,  GpmjLißeuecrGai,  denen  Horaz  später 
(a.  p.  56)  invideor  (qp6ovoö)iai)  hinzufügte.  Auf  das  part.  perf.  be- 
schränken sich  Vergils  Nachahmer  und  erst  Tacitus  dehnt  es  auf  andere 


312  KOMMENTAR 

Formen  des  Passivs  aus.  Auch  der  sog.  dativus  auctoris  (regnata  8a- 
turno,  Lycurgo)  ist  eine  Neuening  nach  griechischer  Art,  vergl.  G.  Land- 
graf, Progr.  München  1899,  11.  —  772  civüi  —  quercu.  Servius:  'civica' 
debuit  dicere,  sed  mutavit,  ut  econtra  Horatius  'motum  ex  Metello  consule 
civicum^  pro  'civilem'.  Für  beide  war  das  Metrum  entscheidend.  Die 
Vermutung  Gerdas,  daß  die  Erwähnung  dieser  militärischen  Auszeichnung 
durch  ihre  bekannte  Verleihung  an  Augustus  i.  J.  27  (Mommsen  z.  mon. 
Anc.  ^  149  f.)  beeinflußt  sei,  ist  sehr  ansprechend. 

7 73 ff.  Die  'Prisci  Latini'.  Der  verblichene  Glanz  dieser  Flecken 
wurde,  woran  man  sich  bei  der  Lektüre  dieser  Stelle  erinnern  muß, 
grade  damals  durch  die  augusteische  Romantik  wieder  aufgefrischt,  wie 
Stein-  und  Münzaufschriften  von  Bovillae  und  Gabii  beweisen  (vergl. 
Gardthausen,  Aug.  u.  s.  Zeit  I  879).  Für  die  Gegensätzlichkeit  der  Charak- 
tere des  Vergil  und  Horaz  ist  es  sehr  bezeichnend,  daß  jener  von  diesen 
Urstätten  lateinischer  Geschichte  in  feierlichem  Ton  redet,  während  Horaz 
sie  —  der  Wirklichkeit  entsprechend  (Strabo  V  230)  —  nur  als  Typen 
verödeter  Nester  nennt  (ep.  I  11,  7  f.).  —  Von  den  30  Kolonieen  nennt 
Vergil  acht  (gruppiert  zu  2x4).  Ob  die  Deduktion  grade  dieser 
Kolonieen  und  grade  durch  diese  Könige  auf  Grund  einer  bestimmten 
Legendenversion  von  Vergil  erwähnt  ist,  wissen  wir  nicht.  Kastor-Diodor 
(bei  Euseb.  vers.  Armen,  p.  287  Schöne)  und  Alexander  Polyhistor-Livius 
(l  3,  7)  weichen  ab.  —  Die  sonst  bloß  Castrum  genannte  Kolonie  wird 
hier  differenziert  durch  c.  Inui,  ihr  hohes  Alter  durch  den  Namen 
(Röscher,  Ephialtes,  Leipz.  1900,  5 9 f.)  verbürgend,  vergl.  Hülsen  bei 
Pauly-Wissowa,  R.-E.  HI  1769.  Pometii  für  Pometium  (so  Diodor- 
Eusebios  1.  c),  wohl  nur  hier,  jedenfalls  gut  und  alt.  Fidena  für  Fidenae 
ist  seltner  und  jedenfalls  weniger  alt,  aber  auch  sonst  belegt;  Horaz 
mißt  genauer  Fidenis  (ep.  113,8),  die  Kürzung  ist  zu  beurteilen  wie 
Lävini  o.  84.  Collatia  war  im  Accusativ  mißlich  in  den  Vers  zu  bringen 
(Ovid  f.  n  733  hat  es  im  Nominativ  an  fünfter  Versstelle)  und  wird 
daher  in  einem  eignen  Vers  hi  CoUatinas  imponent  montibus  arces  um- 
schrieben; monühus  mit  starker  Übertreibung  (vergl.  Hülsen  1.  c.  IV  364), 
die  durch  einen  tottoc  der  Rhetorik  hervorgerufen  wurde:  denn  Horaz 
zählt  ep.  H  1,  253 f.  arces  monühus  impositae  unter  den  konventionellen 
Zügen  eines  Enkomions  auf  und  verwendet  es  selbst  in  diesem  Sinn 
od.  IV  14,  11  f.  arces  Älpibus  impositas.  Je  weniger  also  von  diesen 
Nestern  sonst  zu  sagen  war,  um  so  stärker  ist  die  rhetorische  aöHriCTic, 
vergl.  Serv.  zu  g.  IV  1  rhetorice  dicturus  de  minOribiis  rebus  magna  pro- 
mittit,  ut  levem  materiam  siiblevet:  es  ist  bemerkenswert,  daß  die  Prisci 
Latini  seit  der  augusteischen  Zeit  einen  Gegenstand  der  Deklamationen 
bildeten  (vergl.  C.  Morawski  in  Diss.  phil.  acad.  Cracoviensis  XXXII  1901, 
3 50  f.).  Demgemäß  schließt  die  Aufzählung  mit  einem  rasum  antitheton: 
776  haec  tum  nomina  erunt,  nunc  sunt  sine  nomme  terrae;  der  Figur 
zuliebe  steht  hier  die  singulare  Synaloephe  nomina  erunt,  s.  Anhang  XI  1. 

3.  Romulus,  verknüpft  mit  einem  eYKiJU)Liiov  Tuu)Liric,  777—87 
(Periodisierung:  777 — 80  TerpdKUjXov ;  781  —  87  TpkuuXov,  das  erste 
mit  zwei  KÖja|LiaTa,  -f  biKUuXov,  das  zweite  mit  vier  KÖ|a|LiaTa).  Dem 
Pathos  entsprechen  viele  rhetorische  Figuren:  Alliterationen  z.  B.  780 
suo  superum  —  signat,  Isokola  und  Parisa  782  Imperium  terris  <^  animos 


VERS  772-782.  313 

Olympo  (je  6  Silben)  786 f.  laeta  deum  partu  -^  centum  complexa  nepotes 
f^  onmis  caelicolas  ^^  omnis  super  alta  tenentis:  vier  durcli  Caesur  und 
Versschluß  getrennte  KÖ)Li|LiaTa,  deren  erstes  und  drittes  je  6  und  deren 
zweites  und  viertes  8  bez.  9  Silben  hat.  Dazu  die  rhetorische  Frage 
779 f.  und  das  Gleichnis  784 ff. 

777  comitem  sese  addet  vergl.  Liv.  I  56,  7  iis  comes  additus  (archaische 
Phrase?)  —  778  Ässarad  sanguinis  mater  Ilia  lehnt  die  entgegen- 
stehende Version,  wonach  sie  der  italischen  Deszendenz  der  Silvier  an- 
gehörte und  Silvia  hieß,  mit  der  zu  617  besprochenen  Ostentation  ab. 
—  779  viden.  Servius:  posuit  secutus  Ennium.  Die  der  Sprache  des 
Lebens  angehörige  (von  Terenz  im  Gegensatz  zu  Plautus  gemiedene, 
aber  von  Horaz  in  den  Sermonen  nicht  verschmähte)  Foim  gewann  durch 
die  Neoteriker  Bürgerrecht  in  der  hohen  Poesie  (Catull  61,  77.  62,  8); 
Vergil  hat  sie  nur  hier,  und  zwar  viden  ut  der  archaischen  Praxis  ent- 
sprechend mit  dem  Indikativ,  Tibull  zweimal  im  II.  Buch  (1,  25.  2,  17) 
mit  dem  Konjunktiv,  dann  Spätere  (vergl.  auch  Leo,  Seneca  I  93).  — 
7  7  9  f.  gemi/nae  stant  vertice  cristae,  \  et  pater  ipse  sito  superum  iam  signat 
Jionore.  Die  letzten  Worte  werden  verschieden  erklärt.  Pater  superum 
zu  verbinden  verbietet  die  Wortstellung  und  777  Mavortius  Eomulus: 
also  ist  der  pater  Mars.  Auch  die  Verbindung  superum  (gen.)  honore 
ist  unmöglich,  da  ein  Objekt  verlangt  wird.  Also  superum  (acc.)  signat. 
Dieses  accusativische  superum  erklärt  Servius  deum^  was  z.  B.  Heyne 
annimmt;  aber  es  fehlen  Belege  für  singularischen  Gebrauch  in  diesem 
Sinn.  Also  richtig  u.  a.  Henry  412:  durch  superum  wird  der  Gegensatz 
zur  Unterwelt  bezeichnet  (vergl.  750  super  convexa,  790.  896  caelurrh): 
'Mars  selbst  zeichnet  den  Romulus  schon  jetzt  wie  einen  der  Oberwelt 
Angehörigen  mit  dem  ihm  dort  zukommenden  Ehrenschmuck  aus',  näm- 
lich dem  Helm  mit  Doppelbusch:  übrigens  einem  insigne,  das  für  uns 
weder  auf  Münzen  noch  bei  Schriftstellern  für  Romulus  sonst  nachweis- 
bar ist.  Die  komplizierte  Ausdrucksweise  ist  auch  hier  möglicherweise 
wieder  durch  Herübemahme  von  Floskeln  aus  älterer  Poesie  bedingt 
worden.  —  781  ff.  ein  eYKU)|Uiov  'Pa))HTic.  Donatus:  omni  genere  laudata 
est  (Koma),  positione  loci,  poteniia,  virtute  et  felicitate  söbölis  suae.  Da- 
her kommen  einzelne  Motive  auch  im  Enkomion  des  Aristides  auf  Rom 
(or.  26)  vor.  Was  Vergil  nennt  imperium  terris  aequare  steht  für  den 
griechischen  Rhetor  im  Mittelpunkt  und  auch  die  dpexri  rühmt  er  allent- 
halben. Der  Pointe  783  Septem  u/na  sibi  muro  drcumdabit  arces  ver- 
wandt ist  yfiv  TO(Tr|vbe  eic  |iiiac  TToXeiuc  övojaa  auvriYMevriv  (§  6).  Die 
^7riTT]beucreic,  ein  wichtiger  tÖttoc  des  Städteenkomions,  werden  von 
Vergil  für  den  Schluß  der  ganzen  Rede  aufgespart  (s.  u.  z.  847 ff.).  — 
781  Jiuius  auspiciis  .  .  .  incluta  Borna  etc.  nach  Ennius  a.  494  augusto 
augurio  postquam  incluta  condita  Borna  est  (Ursinus).  —  782  animos 
aequäbit  Olympo  (sc.  Boma).  Servius:  de  hoc  loco  et  Trogus  et  Pröbus 
quaeru/nt.  Trogus  zitierte  den  Vers  wahrscheinlich  im  43.  Buch,  wo  er 
über  Roms  Anfänge  handelte  (v.  Gutschmid,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  II  1856, 
192).  Das  lr\Tr]}JLa  ist  nicht  bekannt,  doch  zeigt  das  Scholion  des  Dona- 
tus favor  urhis  Bomae  quae  temporihus  Caesar is  iam  florebat;  poeta 
mira  dixit  ad  lau  dem  wohl  die  Richtung  des  Problems  und  die  Xu  (Tic 
an.     An  dem  für  das  Rom  des  Romulus  allerdings  stark  hyperbolischen 


314  KOMMENTAR 

Ausdruck  Kritik  zu  üben,  war  für  Trogus  bei  seiner  kühlen  Haltung 
gegenüber  Roms  Größe  gegeben;  die  Ej-itik  des  Historikers  mag  dann 
Probus  durch  Hinweis  darauf  widerlegt  haben,  daß  es  sich  um  ein 
poetisch-rhetorisches  eYKU)]Uiov  handle,  in  dem  man  keine  historische  fides 
erwarten  dürfe.  Ähnlich  ist  es,  wenn  Probus  die  Verse  121  f.  notierte, 
weil  sie  zwar  überflüssig  seien,  sed  Vergüius  amat  aliud  agens  exire  in 
laudes  p.  B.  (schol.  Dan.)  —  783  septemque  una  sibi  muro  circumdabit 
arces  (==  g.  II  535),  hier  mit  einer  Abschwächung  des  Gedankens  gegen 
die  Hyperbeln  des  vorigen  Verses,  aber  notwendig  zur  Überleitung  aul 
den  folgenden  Vergleich.  Über  die  der  Antithese  zuliebe  zugelassene 
seltne  Synaloephe  septemque  üna  s.  Anhang  XI  2B  5. 

784  felix  prole  virum  lauter  feierliche  Worte,  'gesegnet  mit  Sippen 
von  Mannen'.  Felix  (mit  Nachdruck  den  ersten  Versfuß  füllend,  s.  An- 
hang VIII)  hat  Vergil  oft  in  alter  Bedeutung,  die  ihm,  wie  viele  Stellen 
der  Georgica  zeigen,  besonders  aus  der  lingua  rustica  geläufig  war  (auch 
der  Verfasser  der  Dirae  10  setzt  felix  und  fecundus  nebeneinander):  auch 
in  den  786  folgenden  parallelen  Worten  des  Vergleichs  laeta  deum  partu 
war  die  Vorstellung  des  'Segens'  in  laeta  aus  derselben  Sphäre  ganz 
geläufig  (Vergil  selbst  oft  in  den  Georgica).  Bei  proles  fühlte  der 
römische  Leser  altertümlich-feierlich  und  grade  in  der  Zeit  des  Augustus 
hatte  das  uralte  (schon  von  Cicero  de  or.  HI  154  als  tot  bezeichnete, 
von  Caesar  gar  nicht  und  von  Livius  nur  in  der  ersten  Dekade  gebrauchte) 
Wort  einen  besonders  guten  Klang:  z.  B.  Hör.  od.  IV  5,  23  laudantur 
simili  prole  puerperae  von  dem  goldnen  Zeitalter  unter  Augustus,  ähn- 
lich IV  15,  27.  Wenn  man  bedenkt,  daß  die  Bestrebungen  des  Augustus 
de  augenda  prole  anfingen,  als  Vergil  mit  der  Aeneis  begann,  und  durch 
eine  lex  Julia  ihren  Abschluß  fanden,  als  er  sie  beendete,  wird  man  das 
Pathos  der  Worte  nachfühlen.  Für  virum  s.  z.  174.  Diese  feierlichen 
Worte  drängen  nun  hin  zu  dem  pompösen  Vergleich  (7 84  ff.)  der  durch 
Heldengenerationen  gesegneten  Eoma  mit  der  großen  Göttin,  die  mit  der 
Turmkrone  auf  löwenbespanntem  Wagen  durch  die  phrygischen  Städte 
einherfährt,  ihre  himmlischen  Enkelkinder  im  Schoß  haltend.  Nur  der 
letztere  Zug  scheint  sonst  nicht  nachweisbar  zu  sein,  sonst  ist  es  der 
bekannte  Typus,  der  in  die  lateinische  Poesie  von  Lucrez  II  600  ff.  ein- 
geführt ist  (Germanus).  Das  tertium  des  Vergleichs  betrifft  zunächst 
die  überschwängliche  Fruchtbarkeit  (felix  prole  virum  <^  laeta  deum  partu), 
greift  aber  auch  auf  die  beiden  vorangehenden  Verse  imperium  terris  .  .  . 
aequabit  septemque  sibi  .  .  .  muro  circumdabit  arces  zurück.  Denn  Kybele 
wird  von  Varro  (bei  Augustin  de  civ.  dei  VII  24)  als  Symbol  des  orbis 
terrae  gedeutet  und  der  die  Stadt  Rom  umgebenden  Mauer  entspricht 
die  getürmte  Mauerkrone  der  Göttin  (^785  turrita) ,  vergl.  X  252 f.  alma 
parens  Idaea  deum  cui  Dindyma  cordi  |  turrigeraeqite  urbes  (rrupTOcpöpoi 
T€  TTÖXeic).  Dieses  sekundäre  Vergleichsmoment  ist  um  so  treffender,  als 
die  servianische  Mauer  in  augusteischer  Zeit  Türme  trug  (Strab.  V  234). 
—  Der  Vergleich  nun  der  Göttin  Roma  mit  der  phrygischen  Allmutter 
hat  im  Zusammenhang  des  vergilischen  Epos  und  grade  im  Munde  des 
Anchises  einen  tiefen  Sinn.  Die  Überführung  des  Kults  der  Idaea  mater 
aus  Phrygien  nach  Rom  galt  als  Abschluß  der  Konstruktion  von  der 
trojanischen    Ursprungslegende    der    Stadt,    die    den   Anspruch    auf   den 


VERS  783—788.  315 

Besitz  des  heiligen  Steins  mit  ihrer  Abstammung  von  Troja  motivierte. 
Durch  die  Aufnahme  dieses  Idols  und  die  Gründung  des  Tempels  auf 
ihrer  Urstatte,  dem  Palatin,  hat  Roma  die  von  ihr  erhobenen  An- 
sprüche auf  die  Herrschaft  über  die  Städte  des  Erdkreises,  insbesondere 
Asiens,  gewissermaßen  legitimiert,  vergl.  Ovid  f.  IV  251  ff.  272,  Dionys. 
Hai.  I  61,  4,  Herodian  bist.  111,  13;  daher  läßt  auch  Vergil  X  252 ff. 
den  Aeneas  an  sie  ein  Gebet  richten.  Auf  Gnmd  dieser  Fiktion  sehen 
wir  keinasiatische  Städte,  darunter  grade  auch  Hion  und  Pergamon,  auf 
ihren  Münzen  dasjenige  Attribut  auf  Roma  übertragen,  das  sie  gewohnt 
waren,  ihren  eigenen  stadtschirmenden  Gottheiten  zu  geben,  die  Mauer- 
krone (vergl.  F.  Kenner,  Die  Roma- Typen,  in  den  Sitzungsber.  d.  Wien. 
Akad.  XXIV  1857,  283,  11).  Keine  im  Westen  geprägte  Münze  zeigt 
diesen  Typus  der  Roma  (vergl.  A.  Klügmann,  L'effigie  di  Roma  nei  tipi 
monetarii,  Rom  1879),  und  griechisch  empfunden  ist  auch  der  Vergleich 
Vergils,  mag  er  ihn  nun  als  erster  gebraucht  oder  in  einem  der  grie- 
chischen Gedichte  auf  Rom  vorgefunden  haben,  die  seit  der  Zeit  des 
T.  Flamininus  nachweisbar  sind.  Ein  Grieche  hat  auch  die  berühmte 
Gemma  Augustea  (Furtwängler  Taf.  LVI)  geschnitten,  auf  der  hinter 
Augustus  und  Livia  Poseidon  und  Kybele  dargestellt  sind,  letztere  mit 
der  Mauerkrone  und  dem  Kaiser  einen  Eichenkranz  aufs  Haupt  setzend. 
Wie  dieser  Künstler  so  Augustus  und  Kybele  vereinigt,  so  soll  auch  der 
Leser  Vergils  bei  den  Worten  787  'die  Göttermutter  hält  .ihre  Enkel 
auf  dem  Schoß,  die  alle  im  hohen  Himmel  wohnen'  bereits  an  Caesar 
und  Augustus  denken,  zu  denen  nun  sofort  übergegangen  wird:  denn 
auch  sie  werden  magnum  caeli  suh  axem  kommen  (790).  So  leitet  der 
Vergleich  mit  wahrhaft  großartiger  Wirkung  von  Romulus  und  Rom 
auf  den  'alter  Romulus'  über,  in  dem  man  den  inkarnierten  Repräsen- 
tanten der  Roma  zu  sehen  gewohnt  war.  —  785  turritus  haben  vor 
Vergil  nur  Lucrez  V  1302  und  auct.  bell.  Afr.  30,  2.  41,  2,  beide  von 
Elefanten:  Lucrez  sicher  nach  Ennius,  wie  Vahlen  in  den  Sitzungsber. 
der  Berl.  Akad.  1896,  726  bewiesen  hat;  und  auch  der  Verfasser  jener 
pseudocaesarischen  Schrift  putzt  seine  Diktion  gern  mit  ennianischen 
Floskeln  auf  (vergl.  Wölfflins  Vorrede  p.  XXIX).  Für  Ennius  (a.  483) 
bezeugt  ist  787  caelicölae,  das  durch  das  daneben  gestellte  super  alta 
tenentes  stilistisch  variiert  wird  (s.  z.  25).  —  Über  das  Schwanken  der 
Hss.  zwischen  super  alta  und  supera  alta  s.  z.  241. 

4.  Augustus  788 — 807,  darunter  788 — 90  (biKUüXov  mit  je  zwei 
KÖ)Li)LiaTa)  einleitend,  806  —  7  (biKUjXov,  die  KUjXa  mit  den  Versen  zu- 
sammenfallend) schließend.  Das  Enkomion  selbst  791 — 805  in  zwei 
langen,  prunkvollen  Perioden:  791 — 800  TpiKUüXov  mit  vier  -\-  vier  -|- 
drei  KÖjUjaaTa,  801 — 5  biKUüXov  mit  vier  -\-  zwei  KÖ)Li|LiaTa.  Die  drei 
KÖ|U|uaTa  802  f.  haben  isokolischen  Bau  {ßxerit  —  cervam,  Erymanthi  — 
nemora,  Lernam  —  arm,  je  9 — 10  Silben).  Auch  in  798  ff.  (drei  zwei- 
teilige Subjektsbegriffe  an  den  Versschlüssen)  und  806  f.  ist  der  Parallelis- 
mus sehr  sinnfällig,  vergl.  besonders  die  beiden  an  gleichen  Versstellen 
stehenden  Infinitive  extendere  und  consistere.  Das  sind  die  typischen 
Kunstmittel  eines  XÖYOC  iravriTupiKÖc.  —  Im  Rh.  Mus.  LIV  (1899)  466  ff, 
ist  von  mir  bewiesen  worden,  daß  Vergil  sich  in  der  Komposition  eng 
an  das  überlieferte  Schema  eines  eYKUJjuiov  ßaCfiXeuJC  angeschlossen,  im 


316  KOMMENTAR 

speziellen  typische  Züge  aus  Alexaijderenkomien  auf  Augustus  über- 
tragen hat.  Meinen  Darlegungen  über  die  merkwürdigen  prophetischen 
Verse  798 — 800,  die  ich  in  Beziehung  zu  gewissen  über  Augustus  um- 
laufenden sibyllinischen  Orakeln  gesetzt  habe,  füge  ich  hier  noch  hinzu, 
daß  die  Prophezeiung,  die  Horaz  sat.  II  5,  6 2 ff.  dem  Tiresias  in  den 
Mund  legt,  in  ihrem  Anfang  erst  verständlich  wird,  wenn  man  an  Prophe- 
zeiungen solcher  Art  denkt,  wie  sie  grade  im  Jahr  nach  der  Schlacht 
bei  Actium,  dem  Zeitpunkt  der  Abfassung  jener  Satire,  umlaufen  mußten, 
als  der  Caesar  im  fernen  Osten  weilte:  tempore  quo  iuvenis  Parthis  Jior- 
rendus,  ab  alto  |  demissum  genus  Äenea,  tellure  marique  \  magnus  erit 
Übrigens  ist  meine  Auffassung  der  Vergüverse  inzwischen  bestätigt  worden 
durch  die  Untersuchungen  von  Fr.  Kampers,  Alexander  der  Große  und 
die  Idee  des  Weltimperiums  in  Prophetie  und  Sage  (Freiburg  1901)  41  ff., 
wo  unsere  Verse  in  den  welthistorischen  Zusammenhang,  in  den  sie  ge- 
hören, eingereiht  worden  sind.  Da  mithin  die  sachliche  Interpretation 
dieser  Partie  im  wesentlichen  als  erledigt  gelten  darf,  so  brauchen  hier 
nva  ein  paar  Einzelheiten  vornehmlich  sprachlicher  Art  notiert  zu  werden. 
788  geminas — acies.  Dieser  affektierte  Gebrauch  von  gemmus  ist 
für  uns  erst  in  der  Poesie  der  Neoteriker  nachweisbar  (CatuU  63,  75 
geminas  aures,  Varro  At.  bei  Serv.  zu  buc.  1,  66  geminae  palmae),  vergl. 
Naeke  zu  Val.  Cato  290,  Haupt  op.  I  106.  Die  Wahl  von  acies  kann 
durch  die  Absicht,  den  Gleichklang  geminos — oculos  zu  vermeiden  (s.  An- 
hang IV),  mit  bedingt  sein.  —  789  Caesar  et  omnis  luli  _vj|u|_u|w__ 
der  einzige  so  gebaute  Versschluß  dieses  Buches  nach  Cavallin  1.  c. 
(z.  140)  19,  in  den  Bucolica  und  Georgica  beispiellos,  in  der  Aeneis 
nur  noch  19mal  (abzüglich  der  Fälle  mit  que^  die  andere  Messung  er- 
möglichen: s.  z.  140).  Hier  erkennt  man  noch  deutlich  den  Grund:  die 
beiden  Namen  Caesar  und  lulus  sollten  in  einem  Verse  zusammenstehen 
und  lulus  war  an  das  Versende  gebunden:  Vergil  hat  den  Namen  32 mal 
im  nom.,  gen.,  acc,  voc,  darunter  nur  einmal  im  Versinnem:  XII  185 
cedet  lulus  agris.  —  790  Die  schweren  Spondeen  malen  die  gravitas; 
sie  dominieren  überhaupt  in  dieser  Partie,  vergl.  792.  97.  99.  801.  — 
791  Jiic  vir  Jiic  est  (ohne  Interpunktion  s.  z.  858)  mit  doppelter  metrisch- 
prosodischer  Besonderheit.  Die  Bildung  des  1.  Fußes  durch  drei  Mono- 
syllaba  hat  Vergil,  da  ein  rhythmisches  Gesetz  die  Häufung  vieler  kurzer 
Worte  hintereinander  verbot  (vergl.  Dionys.  Hai.  de  comp.  verb.  12),  wohl 
nur  noch  viermal:  H  746  aut  quid  in  IH  186  sed  quis  ad  XH  566  neu 
quis  oh  g.  III  402  Mnc  vel  ad  (dazu  mit  Synaloephe  X  148  navnque  ut 
ah),  also  stets  bei  proklitischen  Präpositionen,  wie  in  unserm  Vers  bei 
enklitischem  est;  hier  erreicht  er  dadurch  Anapher  wie  788  Jmc  —  hanc  — 
hie,  795 f.  eoctra  —  extra.  Hiermit  hängt  zusammen  die  zweite  Besonder- 
heit, die  Kürze  des  zweiten  hie,  die  Bentley  zur  Tilgung  von  vir  ver- 
anlaßte.  Die  Konservierung  der  ursprünglichen  Kürze  in  diesem  Wort 
(s.  Skutsch  1.  c.  [z.  760]  84 ff.)  hat  Vergil  nur  noch  IV  22  solus  hie, 
ebenfalls  am  Versanfang,  wie  auch  von  den  drei  vorvergilischen  Bei- 
spielen (sämtlich  bei  Lucrez:  II  387.  1066.  VI  9)  zwei  (noster  hie,  qualis 
hie)  an  dieser  Stelle  stehen  (s.  L.  Müller,  de  r.  m.  ^  425).  Der  Betonungs- 
wechsel Ä«c  —  hic  entspricht  der  bekannten,  in  hellenistischer  Poesie  be- 
sonders häufigen  (aber  schon  früher  geübten:  v.  Wilamowitz,  Isyllos  157) 


VERS  788— 796  ff.  317 

Finesse,  für  die  auch  Vergil  viele  Beispiele  hat:  dem  vorliegenden  durch 
eine  prosodische  Besonderheit  verwandt  ist  11  663  gnatum  ante  ora  pätris, 
pätrem  qui  obtrimcat  ad  aras  mit  sehr  seltner  Länge  (vergl.  Shiera, 
Prosod.  Funktion   inlautender  muta  c.  liq.  bei  Vergil,  Czemowitz  1898). 

—  792  Äugustus  Caesar  divi  genus,  aurea  condet  (saecula).  Für  die 
Stellung  der  Namen  (ebenso  VTII  678.  Hör.  od.  II  9,  19 f.),  in  der  Äugustus 
noch  appellativisch  gefühlt  ward,  vergl.  Gardthausen  1.  c.  (z.  773ff.)  II  1,298. 

—  Drei  feierliche  Worte:  äugustus^  divus,  genus,  zusammengerückt  wie  o. 
784.  Genus  von  einem  einzelnen  Abkömmling  (also  =  progenies)  hat  bei 
Vergil  stets  feierlichen  Klang,  vergl.  500.  839,  wo  es  neben  einem  Wort 
archaischer  Prägung  (armipotens)  steht.  Daß  es  alter  Poesie  angehört, 
beweist  auch  Horaz,  wenn  er  s.  II  5,  62 f.  den  Octavian  pathetisch  nennt 
ab  alto  I  demissum  genus  Äenea,   vergl.  I  6,  12  Laevinum,   Valeri  genus. 

—  792  f.  aurea  condet  \  saecula  qui  rursus.  Um  die  Hauptbegriffe  hervor- 
treten zu  lassen,  wird  das  Pronomen  vom  Anfang  fortgerückt  und  gewisser- 
maßen versteckt.  An  sich  ist  das  nicht  ungewöhnlich  (z.  B.  g.  HI  388 
nigra  suhest  udo  tantum  cui  Imgua  palato  mit  der  im  Anhang  III  A3 
behandelten  Stellung  der  Begriffe,  b.  3,  86 f.  taurum,  |  iam  cornu  petat 
et  pedibus  qui  spargat  harenam),  aber  in  der  Weise,  daß  ein  Teil  des 
Eelativsatzes  dem  ersten,  ein  anderer  dem  folgenden  Vers  angehört,  wohl 
nur  hier.  Vielleicht  ist  diese  Freiheit  durch  Entlehnung  irgendwelcher 
Floskeln  aus  archaischer  Poesie  bedingt;  von  den  aurea  saecula,  die 
Saturn  Latium  brachte,  hat  Ennius  gehandelt:  vergl.  ann.  2 4 ff.  Die 
altertümliche  Formel  condere  saeda  (so  Lucrez  IH  1090  am  Versschluß) 
wird  hier  in  einem  Sinn  gebraucht,  der  dem  ursprünglichen  ('ein  Zeit- 
alter begraben')  entgegengesetzt  ist  (Usener,  Rh.  M.  XXX  1875,  206). 
Der  Bedeutungsübergang  erklärt  sich  leicht  aus  der  Vorstellung,  daß 
Äugustus,  indem  er  die  Vergangenheit  zu  Grabe  trägt,  in  sakralem  Sinn 
der  'Gründer'  einer  neuen  ist  (Äugustus  als  zweiter  conditor  urhis: 
Suet.  Aug.  7).  —  794  ff.  Im  Stil  des  Enkomion  wird  das  Ende  der  Erde 
geographisch  spezialisiert  (auf  Aethiopien);  den  TÖTtOC  kennt  schon  Pindar 
J.  5  (6)  23:  "seine  Taten  erstrecken  sich  Kai  irepav  NeiXoio  TraTäv  Kai 
hx"  'Y-rrepßopeouc"  (schol.  rfiv  Hujutracrav  oiKOU)LievTiv  GeXei  eiireiv). 
Der  kühlen  Art  des  Äugustus  angemessener  als  die  hart  an  KaKoJlTiXia 
streifende  Rhetorik  der  Worte  795  f.  iacet  extra  sidera  tellus,  \  extra  anni 
solisque  vias  (über  ihre  Quelle  s.  Rh.  Mus.  1.  c.)  erscheint  der  reserviertere 
Ausdruck  des  Horaz  IV  14,  5f.  o  qua  sol  habitahilis  \  i)flustrat  oras  yi 
maxme  principum.  —  Die  Hoffnung  vieler,  der  Vergil  mit  den  Worten  ~" 
proferet  imperium  (795)  Ausdruck  gibt,  hat  sich  nicht  erfüllt:  Äugustus 
war  wie  Tiberius  proferendi  imperii  incuriosus  (Tac.  Agr.  13.  a.  1 11.  IV  32). 
Daß  Vergil  auch  hier  einen  locus  communis  verwendet,  zeigt  eine  Stelle 

der  nach  den  Schulregeln  gearbeiteten  consolatio  ad  Liviam  20,  wo  es 
von  Drusus  heißt:  protuUt  in  terras  imperiumque  novas.  —  7 96 ff.  caelifer 
(Aüans)  vor  Vergil  nicht  nachweisbar  (an  der  Stelle  IV  481  f.,  aus  der 
die  Worte  uhi — aptum  hier  wiederholt  sind,  steht  dafür  maximus).  Falls 
Vergil  das  Wort  selbst  bildete,  war  die  Bildung  ganz  im  Geiste  der 
alten  Poesie,  nach  der  er  den  folgenden  Vers  axem  humero  torquet  stellis 
ardentibus  aptum  (=  IV  482  ~  XI  202)  formte:  Macrobius  s.  VI  1,  9 
notiert  als  dessen  Vorbild  Ennius  a.  37  qui  caelum  versat  stellis  fulgenti- 


318  KOMMENTAR 

hus  aptum.  Neu  erscheint  802  aeripes  (xaXKÖirouc) :  es  ist  eine  Bildung 
im  Stil  Catulls,  s.  o.  z.  591  cornipes.  Aus  Catull  selbst  stammt  800  septem- 
gemini  Nili,  ein  dürftiger  Versuch  einer  Übersetzung  von  ^TTTdppoc, 
dTrTd(TTO)iOC.  Erwägt  man  die  große  Scheu  Vergils  und  der  Augusteer 
überhaupt  vor  Wortkompositionen  (s.  z.  141),  so  ist  klar,  daß  deren 
Häufung  in  diesen  Versen  durch  den  dithyrambischen  Charakter  des 
poetischen  Enkomions  bedingt  wurde;  so  hat  auch  Horaz,  wie  bemerkt 
(1,  c),  eine  für  ihn  singulare  Art  der  Komposition  nach  griechischem 
Muster  (tauriformis)  nur  gewagt  in  dem  enkomiastischen  Dithyrambus 
pindarischen  Stils  IV  14,  25.  —  800  Das  Motiv  des  vor  Schreck  beben- 
den Nils  stammt  aus  hellenistischer  Poesie,  da  es  auch  Properz  III  11,  51 
(timidi  vaga  flwmma  Nili)  und  Ovid  m.  II  254 f  haben  und  andere  Dichter 
es  auf  andere  Flüsse  übertragen  (Tibull  17,4  u.  a.  bei  Forbiger  zu 
g.  III  30).  In  turbant  trepida  Ostia  sollen  die  t  und  r  malen.  Der 
medialpassivische  Gebrauch  von  turhare  ist  grade  in  dieser  Verbindung 
auch  für  die  Prosa  belegt  {cum  mare  turbaret  Varro  r.  r.  III  17,  7): 
vergl.  über  diesen  Gebrauch  Elters  lehrreiche  Abhandlung  Rh.  Mus.  XLI 
(1886)  538ff.  —  802  aut  Erymanthi:  Versschluß  nach  griechischer  Art 
s.  Anhang  IX;  über  die  Wortstellung  ßxerit — pacarit  ebd.  III  A 2.  — 
Erymanthi  pacarit  nemora.  Pacare  (für  älteres  pacißcare  oder  -n)  ist 
nach  Wölflflin,  Arch.  f.  Lex.  V  (1888)  581  von  Caesar  in  die  Schrift- 
sprache eingeführt;  Vergil  hat  es  nur  hier  (und  b.  4,17  pacaium  .  .  . 
orbem).  Aber  von  Herkules,  für  den  ja  das  fi|Liepa)crai  Y^iv  typisch  war,  hat 
es  vor  ihm  schon  Cicero  in  den  Versen  Tusc.  II  22  haec  de'xtra  Lernam 
taetra  mactata  excetra  \  pacavit:  denn  so  hat  Turnebus  evident  für  placavit 
emendiert.  —  804  pampineus:  über  die  Bildung  s.  z.  281.  —  iuga  flectit 
fivioffipoqpei  (Germanus).  —  804f.  Die  Farben  zu  dem  für  diese  En- 
komiengattung  typischen  Vergleich  des  Herrschers  mit  dem  indischen 
Dionysos  werden  aus  hellenistischen  Dichtungen  stammen,  in  denen  der 
indische  Dionysoszug  ein  beliebtes  Motiv  war  (Fr.  Koepp,  De  giganto- 
machia,  Bonn  1883,  63,  2;  B.  Graef,  De  Bacchi  expeditione  Indica,  Berlin 
1886,  5).  Vergl.  auch  Horaz  II  19,  Prop.  III  17,  22  und  eleg.  in  Maec. 
1,  57flf.  mit  den  Bemerkungen  von  J.  Ziehen  im  Rh.  Mus.  LII  (1897) 
450  ff.  und  Fr.  Lillge,  De  eleg.  in  Maecenatem  quaest.  (Breslau  1901)  10 f. 
—  tigres  substituiert  der  römische  Dichter  für  die  in  griechischer  Poesie 
und  Kunst  typischen  Panther  (vergl.  Kießling  zu  Hör.  III  3,  14). 

806  f.  et  dubitamus  adhuc  virtutem  extendere  factis,  |  aut  metus  Ausonia 
prohibet  consistere  terra.  Schlußsatz  des  Enthymems,  das  griechisch  etwa 
so  lauten  würde:  Kai  6  )uev  üeßacTTÖc  iräffav  xriv  okouinevTiv  iicp'  auTtu 
TTOiriad^evoc  xfiv  buvainiv  im  xoaövbe  auHricrer  elxa  fmeic  )aeX\o|aev 
Kai  ÖKVoö)Liev,  dpetri  ejuqpuTUJ  xpi1ö'«M£V0i  ev  'liaXia  KaGicTidvai;  Daß 
ein  solches  Enthymem  grade  in  diesem  Zusammenhang  zum  rhetorischen 
Inventar  gehörte,  zeigt  Isokrates  Phil.  57:  wenn  andre  das  und  das 
Schwere  gekonnt  haben,  xi  XoiTröv  e'cTxai  xoTc  dvxiXeYOudiv,  die  ou 
Gdxxov  (Ju  xd  pduj  irpdHeic  f\  CKeivoi  xd  xaXeiriuxepa;  —  In  806  gibt 
Mnvirtutem  extendere  f actis  (vergl.  X  468  f.  famam  extendere  f actis ^  hoc 
virtutis  opus)  und  dies  wird  von  Servius  erklärt,  von  Donatus  paraphra- 
siert;  virtute  extendere  vires  PR.  Ersteres  ist  gewählter,  also  wohl  richtig: 
'die   uns   innewohnende  Tüchtigkeit  ausdehnen  durch  Taten',    die  dpexr| 


VERS  800— 812  f.  319 

zur  irpoSiC,  die  ?HiC  zur  dvepYCia  machen,  virtutis  enim  laus  omnis  in 
actione  consistit  (Cic.  de  off.  I  19).  Es  ist  also  nicht  wahrscheinlich,  daß 
das  farblosere  virtute  extendere  vires  das  Ursprünglichere  sein  sollte:  die 
scheinbare  Empfehlung  des  letzteren  durch  die  Alliteration  wird  durch 
den  Parallelismus  extendere  fadis  <^  consiskre  terra  aufgewogen. 

5.  Die  Könige  808 — 18.  Periodisierung:  808 — 12  TerpdKUüXov, 
das  erste  mit  drei  KÖmuaxa;  812 — 18  drei  biKiuXa. 

809  cri/nes  incanaque  menta  (regis  Bomani)  ^^  g.  III  311  harhas 
incanaque  menta.  Incanus  findet  sich  vor  Vergil  wohl  nur  bei  Plautus 
rud.  125  (homineni  crispnm  incanum),  denn  bei  Catull  64,  350.  95,  5 
beruht  es  auf  falscher  Konjektur.  Daß  eine  phraseologische  Überein- 
stimmung Vergils  mit  Plautus  in  einer  Besonderheit  auf  den  Gebrauch 
des  betreffenden  Worts  in  gehobener  archaischer  Poesie  schließen  läßt, 
ist  im  Anhang  I  1  ausgeführt;  Anlehnung  an  ein  älteres  Vorbild  macht 
ja  auch  der  hübsche,  absichtlich  hochpathetische  Gebrauch  der  Phrase 
an  der  Stelle  der  Georgica  glaublich  (vergl.  Phaedrus  IV  8,  10),  und 
man  denkt  sich  gern,  daß  Ennius  so,  wie  Vergil  hier  von  Numa,  von 
den  alten  Römern  überhaupt  gesprochen  haben  mag  (vergl.  Cic.  pr.  Sest.  19 
imum  aliquem  ex  harhatis  Ulis,  exemplum  imperii  veteris,  imaginem  an- 
tiquitatis).  Zwar  scheint  der  poetische  Plural  menta  von  einem  Indivi- 
duum erst  durch  Vergil  eingeführt  worden  zu  sein  (s.  Maas  1.  c.  [z.  4]  541); 
aber  ganz  analog  fanden  wir  oben  49  das  von  Ennius  für  eine  Mehr- 
zahl gebrauchte  corda-  von  Vergil  mit  derselben  Freiheit  des  Numerus 
auf  eine  Person  übertragen.  —  810  regis  Bomani  (des  Numa)  mit 
gravitätischem  Rhythmus  (erster  Versfuß  mit  spondeischem  Wort:  s.  An- 
hang Vni),  der  sich  im  folgenden  Verse  fortsetzt,  während  in  den 
weiteren  Versen,  der  lebhafteren  Charakteristik  der  anderen  Könige  ge- 
mäß, Daktylen  überwiegen.  Da  Ovid  m.  XTV  837  Bomani  regis  in 
ennianischem  Zusammenhang  hat  (814  ein  ganzer  Ennius vers),  so  darf 
die  Verbindung  als  ennianisch  gelten,  zumal  Ennius  a.  174  einen  Vers 
mit  dves  Bomani  beginnt.  Dem  Gedanken  nach  weiden  auch  die  fol- 
genden Worte  priscam  qui  legibus  urbem  \  fundahit  ennianisch  sein, 
da  Livius  I  19,  1  mit  ähnlicher  Pointe  von  Numa  sagt:  urbem  novam 
conditam  vi  et  armis  .  .  .,  legibus  de  integro  condere  parat.  Seneca 
apoc.  10  läßt  den  Augustus  mit  Anspielung  auf  unsem  Vergilvers 
passend  von  sich  sagen:  legibus  urbem  fundavi  (vergl.  mon.  Ancyr.  c.  8): 
der  Kaiser  war  eben  nicht  bloß  ein  alter  Romulus,  sondern  auch  ein 
alter  Numa.  In  diesem  Sinne  werden  die  Zeitgenossen  des  Dichters  diese 
Partie  gelesen  haben,  in  der  Augustus  seine  Stelle  zwischen  Romulus 
und  Numa  erhalten  hat.  —  Auch  das,  was  femer  von  Numa  gesagt 
wird,  missus  in  imperium  magnum  (812),  hat  ennianisches  Kolorit  wegen 
des  schweren  6^0lÖ7tTUJTOV  (s.  Anhang  IV)  und  der  nicht  grade  gewöhn- 
lichen Caesur  in  der  Wiederholung  dieser  Worte  XI  47  mitteret  in  mag- 
num imperium.  —  811  f.  Jedes  der  drei  Substantive  hat,  um  die  Anti- 
these scharf  hervortreten  zu  lassen,  sein  Attribut:  Curibus  parvis,  paupere 
terra,  imperium  magnum  (s.  z.  638 f.).  —  812 f.  cui  P,  qui  M,  quid  R. 
Auf  Grimd  dieser  Überlieferung  schreibt  Ribbeck  mit  jungen  interpolierten 
Hss.  quoi,  obwohl  die  echte  Überlieferung  Vergils  diese  Form  nirgends 
hat.     Vielmehr  ist  die  La.  qui  in  M  und  die  aus  gleicher  Vorlage  resul- 


320  KOMMENTAR 

tierende  Korruptel  quid  in  ß  so  zu  beurteilen.  Die  Schreibung  qui  für 
cui  war,  wie  aus  Quintilians  Bemerkung  I  7,  27  zu  schließen  ist,  noch 
in  der  ersten  Kaiserzeit  in  Gebrauch,  und  noch  Velius  Longus  notiert 
sie  (6LK  Vn  70,  18  haec  pronomina,  'cuius^  et  'cui'  per  q  censuerunt 
quidam  scrihenda,  quo  magis  servaretur  origini  fides,  ut,  quomodo  'quis' 
inciperet  a  q,  sie  'quius'  ^qui'):  wir  finden  sie  tatsächlich  auf  einer 
Inschrift  etwa  aus  der  Zeit  dieses  Grammatikers:  carm.  ep.  1527  A5 
Bücheier.  Es  ist  daher  sehr  wohl  möglich,  daß  hier  M^  mit  qui  die 
Schreibung  einer  sehr  alten  Vorlage  bewahrt  hat;  auch  oben  502  hat 
P^  qui,  was  von  zweiter  Hand  in  cui  korrigiert  ist  (vergl.  auch  die  sehr 
alte  Variante  qui  für  cui  buc.  4,  62  und  Horaz  s.  I  2,  45,  wo  Bentley 
das  überlieferte  quidam  in  cuidam  korrigierte).  Formen  des  Dativs  mit 
q  statt  c  aus  Ciceropalimpsesten  notiert  Neue  11^  454.  —  813f.  otia 
qui  rumpet  patriae  (Tullus).  An  der  Spitze  steht  das  Wort,  mit  dem 
auch  Livius  I  22,  2  seine  Darstellung  einleitet:  senescere  civitatem  otio 
ratus  (Gerda).  Pluralisches  otia  ist  für  uns  in  der  Poesie  freilich  erst 
aus  Lucrez  belegt  (s.  Maas  1.  c.  [z.  4]  545),  aber  da  es  schon  der  in 
seiner  Sprache  stark  durch  Ennius  beeinflußte  Claudius  Quadrigarius  ge- 
braucht (fr.  28  Peter),  so  darf  es  vermutungsweise  schon  für  Ennius  in 
Anspruch  genommen  werden  (der  Singular  otium  war  nur  mit  ungraziöser 
Synaloephe  zu  brauchen).  —  residesque  movebit  mit  scharfer  Antithese 
(reses  eig.  'fest  am  Ort  verweilend'),  wie  783.  820.  —  movere  in  arma 
auch  Livius  VIII  2,  6  (vergl.  Deuticke,  Jahresber.  d.  philol.  Vereins  1899, 
206),  wohl  aus  Ennius  (vergl.  Stacey  1.  c.  [z.  99]  49),  zumal  die  Worte 
vn  429  f.  an  gleicher  Versstelle  und  von  ennianischen  Reminiszenzen 
umgeben  stehen.  Auch  desuetus  scheint  ennianisch  zu  sein,  da  es  Livius 
nur  in  der  ersten  Dekade  hat  und  zwar  in  ähnlichem  Zusammenhang 
wie  Vergil  hier  und  H  509  (desueta  arma):  vergl.  Stacey  1.  c.  63.  Aus 
der  Benutzung  überlieferter  Phraseologie  in  diesen  Worten  kann  sich 
auch  die  für  Vergils  eigne  Praxis  nicht  gewöhnliche  starke  Interpunktion 
nach  dem  ersten  Daktylus  (agmina)  erklären,  vergl.  Anhang  II  4,  3.  — 
81 5  f.  iuxta  sequitur  iactantior  Äncus,  |  nunc  quoque  iam  nimium  gau- 
dens  popularibus  auris.  Die  hier  von  Ancus  gegebene  Charakteristik 
(iactatio  popularis)  kennen  unsere  Quellen  nicht  (auch  nicht  Ennius- 
Lucrez  III  1025 f.);  sie  berichten  sie,  wie  ältere  Exegeten  bemerken,  viel- 
mehr von  Servius  Tullius  (den  Vergil  hier  übergeht,  dessen  Großtat  er 
aber  o.  783  gestreift  hat):  Dionys.  Hai.  IV  8,  3  6  TOXXioc  Im  TÖ  br||Lia- 
YUJTGW  Kai  Gepaireueiv  touc  otTröpouc  tüjv  ttoXitujv  etpeTreTO.  —  iuxta  . . . 
iactantior  Äncus  mit  spielerischen  Wortanklängen.  —  81 7  f.  vis  et  Tar- 
quinios  reges  animamque  superbam  \  ultoris  Bruti  fascesque  videre  receptos. 
Schon  im  Altertum  muß  man  geschwankt  haben,  ob  animamque  super- 
bam zum  vorhergehenden  oder  zum  folgenden  zu  ziehen,  also  Tarquinii 
regis  anima  superba  oder  anima  superba  ultoris  Bruti  zu  verbinden 
sei.  Denn  während  Servius  die  erstere  Erklärung  ohne  weitere  Polemik 
mit  den  Worten  umus  enim  de  Tarqumiis  fuit  superbus  bietet,  lehnt 
Donatus  die  zweite  mit  den  Worten  superbiae  Vitium  Tarquinio  appli- 
catur  sectmdum  veterum  fabulas,  non  Bruto  ausdrücklich  ab;  dagegen 
folgt  der  Schreiber  unseres  cod.  M,  wie  seine  Interpunktion  (nach  reges 
und  Bruti)  beweist,   eben  jener  von  Donatus   zurückgewiesenen  zweiten 


VERS  812—821.  321 

Auffassung.  Diese  ist  es  auch,  der,  soviel  ich  sehe,  sämtliche  Kom- 
mentare seit  der  Renaissancezeit  folgen,  und  zwar  finden  sie  in  der  Ver- 
bindung anima  superha  ultoris  Bruti  eine  Pointe:  der  Dichter  übertrage 
die  superbia  von  Tarquinius  auf  Brutus  (vergl.  z.  B.  Plüß  1.  c.  229 f. 
und  Conington).  Aber  es  leuchtet  ein,  daß  diese  Auffassung  falsch  sein 
muß.  Vergil  kann  nur  meinen,  um  seine  Worte  prosaisch  zu  paraphra- 
sieren:  'Bnitus  Tarquinii  superbiam  ultus  est  fascibus  recuperatis  popu- 
loque  restitutis'.  So  faßt  auch  Leo,  Nachi*.  d.  Gott.  Ges.  1895,  429,  3 
die  Stelle,  wenn  er  den  zweiten  Vers  als  Beleg  für  die  besondere  Stellung 
von  que,  dem  dritten  Wort  angehängt,  anführt  (s.  darüber  Anhang  HIB  3). 
Auch  Lucan  V  207  regnaque  ad  ulfores  Herum  redeuniia  Brutus  hat  es  so 
verstanden,  denn  er  paraphrasiert  den  einen  Vers  Vergils  mit  einem  eignen. 

6.  Helden  der  Republik  819—46.  Periodisierung:  819—23 
TerpdKuuXov,  das  zweite,  dritte  und  vierte  mit  je  zwei  KÖmaara;  824 — 25 
TpiKiuXov;  826 — 31  xpiKuuXov  mit  zwei  -f  drei  +  zwei  KÖ|Li|uaTa;  832 — 35 
TexpotKUjXov,  die  KuJXa  mit  den  Versen  zusammenfallend;  836—40  biKOuXov 
mit  zwei  -f  vier  KÖjLi)iiaTa;  841 — 44  TeipdKUjXov,  die  beiden  ersten  mit 
je  zwei  KÖ)H)iaTa;  845 — 46  xpiKUüXov. 

819ff.  saevasque  secures.  Die  Form  des  acc.  securis  hat  in  dem 
cod.  Gudianus  saec.  IX  hier  (gegen  MPR)  und  VII  627  (gegen  FMR) 
eine  zu  geringe  Stütze,  als  daß  sie  mit  0.  Keller,  Gramm.  Aufsätze 
(Leipz.  1895)  314  für  Vergil  beglaubigt  gelten  könnte;  aus  den  Samm- 
lungen Kellers  selbst  315 ff.  geht  hervor,  daß  Vergil  bei  den  Substan- 
tiven auf  -is  im  acc.  bald  -is  bald  -es  gebraucht;  s.  z.  92.  720.  —  Die 
Verbindung  (vergl.  814  saevomque  securi)  belegt  Ursinus  als  zweimaligen 
Versschluß  des  Lucrez  {fasces  saevasque  secures  111996.  V1234);  da 
saevus  ein  Lieblingswort  des  Ennius  ist,  das  er  zweimal  in  alliterieren- 
der Verbindung  hat,  wird  die  in  die  Gedankensphäre  seines  Epos  passende 
Phrase  ihm  gehören,  wie  der  Versschluß  820  hella  moventes:  Enn.  a.  394 
hella  moveri.  Auch  der  schöne,  durch  schwere  Spondeen  und  Allitera- 
tionen markierte  Vers  821  ad  poenam  pulchra  pro  libertate  vocabit  ver- 
dankt dem  Ennius  manches.  Pulcher  ist  eins  seiner  Lieblingsworte,  das 
er,  wie  aus  zahlreichen  Verbindungen  hervorgeht,  aus  der  Auguralsprache 
in  die  hohe  Poesie  herübernahm  (s.  z.  15).  Unser  'schön'  deckt  den  Be- 
griff nicht  immer,  so  wenig  wie  den  von  KttXöc,  das  z.  B.  bei  Pindar 
und  Simonides  oft  einen  erhabenen  Klang  hat  und  ebenfalls  in  sakraler 
Sprache  gebraucht  wird;  lehrreich  auch  Demosthenes,  prooem.  54.  Und 
wie  der  große  athenische  Patriot  das  KaXöv  so  oft  mit  dem  Begriff  der 
^XeuGepia  identifiziert  (Demosth.  de  cor.  63  -^  65.  68;  99  '^  100;  200 
»^  205),  so  stellt  Vergil  hier  pulchra  Ubertas  zusammen,  denn  das  Wort 
hatte  durch  Augustus  wieder  seinen  guten  alten  republikanischen  Klang 
erhalten:  rempublicam  .  .  in  Ubertatem  vindicavi  sagt  er  im  ersten  Satz 
seiner  Inschrift.  Wir  werden  das  Ethos  also  am  besten  durch  die  Über- 
setzung 'die  heilige  Freiheit'  treffen.  Pro  libertate  füllt  mit  malerischem 
Effekt  (s.  Anhang  VII  B  2a)  zwei  Versfüße,  es  steht  ebenso  Vm  648 
Aeneadae  in  ferrum  pro  Ube)'tate  rtiebant,  wo  der  Zusammenhang  und 
das  in  ennianischer  Zeit  geprägte  Aeneadae  (Plut.  Flamin.  12)  auf  Ennius 
hinweisen.  —  820  f.  Über  die  Wortstellung  acdpiet  —  vocabit  s.  An- 
hang ni  A  2. 

Vbboil  Buch  VI,  von  Norden.  21 


322  KOMMENTAR 

822 f.  infelix,  utcumque  ferent  ea  facta  minores:  vincet  amor  patriae 
laudumque  inimensa  cupido.  Die  Berühmtheit  der  Verse  (vergl.  Macrob. 
s.  rV  6,  18;  Augustinus  de  civ.  dei  III  16  =  V  18;  Servius:  ingenti  arte 
loquitur)  erklärt  sich  daraus,  daß  sie  ein  berühmtes  Deklamationsthema, 
die  heroische  Tat  des  Brutus  (auct.  ad.  Herenn.  IV  66;  Cic.  parad.  12; 
Sen.  contr.  IX,  2,  9.  X  3,  8;  Val.  Max.  V8;  Quint.  inst.  V  11,  7),  mit  kunst- 
voller Kürze  und  bedeutendem  Ethos  zusammenfassen.  Die  in  manchen 
neueren  Ausgaben  stehende  Interpunktion  (vocabit  \  infelix.  utcumque 
ferent  ea  facta  minores^  vincet  etc.^  ist  falsch,  denn  durch  sie  würde  die 
Eechtmäßigkeit  der  Tat  des  Brutus  in  Zweifel  gezogen  („wie  die  Nach- 
welt diese  Tat  auch  immer  aufnehmen  wird")  in  Widerspruch  mit  der 
gesamten  antiken  Tradition,  die  in  der  Auffassung  dieser  Stelle  einig 
ist,  vergl.  außer  Servius,  Donatus  und  Macrobius  1.  c.  besonders  die  echt 
antik  gefühlte  Paraphrase  des  Augustinus  1.  c:  quod  factum  Vergilius 
posteaquam  laudahiliter  commem^ravit,  continuo  clementer  exhorruit.  cum 
enim  dixisset  ^natosque  pater  nova  bella  mxyventes  ad  poenam  pulchra  pro 
lihertate  vocabit',  mox  deinde  exclamavit  et  ait  ^infelix,  utcumque  ferent 
ea  facta  m,inores'.  quomodolibet,  inquit^  ea  facta  posteri  ferant  i.  e.  prae- 
ferant  et  extollant:  qui  fillos  occidit  infelix  est.  et  tamquam  ad  consolan- 
dum  infelicem  subiunxit  'vincit  (Gedächtnisfehler  für  vincet)  amor  patriae 
laudumque  immensa  cupido'.  Er  faßt  also,  mit  richtiger  Interpunktion  (die 
auch  cod.  M  hat),  ferre  nicht  'als  etwas  aufnehmen',  sondern  'rühmen' 
(vergl.  prae  sc  ferre,  per  ora  ferre;  daß  auch  ferre  allein  diese  Nuance 
hat,  zeigt  Heinze  zu  Lucr.  HI  42).  So  verstanden  sind  die  Verse  ein 
schönes  Monument  für  den  Dichter,  der  sein  weiches  Empfinden  mit  der 
Bewunderung  für  die  starre  Großartigkeit  der  alten  'fortia  facta'  har- 
monisch zu  vereinigen  wußte:  'unglücklich  ist  Brutus  trotz  allem  Nach- 
ruhm; aber  höher  als  sein  Glück  stellt  er  die  Pflicht,  die  ihm  als  Patrioten 
obliegt  und  deren  Erfüllung  ihn  berühmt  machen  wird'.  Von  den  Neueren 
hat  erst  F.  Jasper,  Z.  f.  G.-W.  1879,  572 f.  diese  Deutung  aufgenommen. 
Daß  der  Dichter  neben  dem  Patriotismus  die  'gewaltige  Rvihmbegierde' 
als  das  den  Brutus  zu  der  furchtbaren  Tat  treibende  Motiv  ohne  jeden 
Tadel  nennt,  wird  niemanden  befremden,  der  sich  den  im  antiken  Em- 
pfinden fest  wurzelnden  Begriff  der  böHa  vergegenwärtigt.  Wahrschein- 
lich wurden  beide  Motive  auch  in  den  erwähnten  Brutus-Deklamationen 
verwendet;  wenigstens  kommen  sie  ebenso  vor  in  der  inhaltlich  ver- 
wandten Deklamation  Ovids  m.  XII  2  9  f.  XIII  181  ff.  (vergl.  Sen.  suas.  3): 
Agamemnon  opfert  die  Tochter  für  die  causa  publica  und  die  eignen  laudes. 

824  quin  ^-  aspice.  Quin  mit  dem  Imperativ  führte  Vergil  aus 
der  Umgangssprache  in  den  hohen  Stil  ein,  während  Horaz,  Properz  und 
Tibull  es  meiden  (Ehwald  zu  Ovid  m.  IX  383).  —  Daß  bei  den  Brusi 
jeder  zunächst  an  die  Rettung  Roms  durch  einen  Angehörigen  dieser  gens 
in  dem  periculosissimus  annus  (Liv.  XXVII  35,  5)  der  Schlacht  am  Me- 
taurus  denken  mußte,  zeigen  Horaz  IV  4,  3 6 ff.  und  der  Verfasser  der 
consol.  ad  Liv.  451  f.,  die  grade  diese  Großtat  eines  Ahnen  des  Drusus 
preisen,  sowie  Ps.  Manilius  in  seiner  Nachbildung  dieser  Verse  Vergils 
I  786 f.  victorque  necati  \  Livius  Hasdrubalis.  Daß  man  daneben  auch 
an  den  großen  Tribunen  des  J.  91  dachte,  dessen  Schicksal  in  den 
Deklamatorenschulen   behandelt  wurde   (auct.  ad  Her.  IV  31,  vergl.  Vell. 


VERS  822—826.  323 

n  13  f.,  Octavia  887  ff.),  lehrt  Lucan  in  seiner  Nachbildung  dieser  Partie 
VI  795  popularia  nomina  Drusos.  Möglich  ist,  daß  Vergil  mit  der 
Erwähnung  der  Drusi  der  kaiserlichen  Familie  huldigt  (vergl.  Servius), 
denn  Augustus  liebte  seinen  Stiefsohn  zärtlich  und  setzte  große  Hoff- 
nungen auf  ihn  (Suet.  Claud.  l).  —  825  referentem  signa  Camillum. 
Das  Faktum  wird  in  annalistischer  Überlieferung  (vergl.  0.  Hirschfeld  in 
der  Festschr.  f.  Friedländer  1895,  134  ff.)  wohl  nur  bei  dem  von  Gerda 
zitierten  Eutropius  I  20  erwähnt:  secutus  cos  (Gallos)  Camillus  ita  cecidit, 
ut  ...  omnia  quae  ceperant  müitaria  signa  revocaret.  Da  es  von  Dichtem 
außer  Vergil  auch  Properz  HI  11,  67  hat:  nunc  (wo  Augustus  alle  über- 
strahlt) uhi  Sdpiadae  classes,  ubi  signa  CamilU?,  so  vermutet  Rothstein, 
daß  die  beiden  Dichter  auf  das  Verdienst  anspielen,  das  sich  Augustus, 
den  man  wie  Camillus  (Liv.  V  49)  als  conditor  urbis  pries  (Suet.  Aug.  7), 
durch  die  Wiedergewinnung  der  im  Partherkrieg  verlorenen  signa,  wie 
man  damals  hoffte,  erwerben  sollte. 

826  ff.  Caesar  und  Pompeius.  Daß  diese  Partie  wegen  des  Halb- 
verses, mit  dem  sie  schließt  (835),  nachträglich  eingefügt  sein  müßte, 
ist  ebenso  unbeweisbar  wie  eine  andre  moderne  Behauptung,  daß  Vergil 
ein  solches  Versfragment  vor  Augustus  nicht  rezitiert  haben  könne  (sollte 
er  sich  davor  wirklich  gescheut  haben,  so  war  es  ja  ein  Leichtes,  das 
Fehlende  zu  improvisieren,  wie  er  es  angeblich  mit  VI  165  gemacht 
haben  soll;  so  las  Goethe  den  Tasso  kurz  vor  dem  endgültigen  Abschluß 
der  Herzogin  Luise  vor  mit  freier  Ergänzung  einzelner  noch  fehlender 
Szenen).  Vollends  zurückzuweisen  ist  die  Ansicht,  daß  die  Rezitation 
dieser  Verse  den  Kaiser  verletzt  haben  könnte  wegen  des  von  ihm  selbst 
gegen  Antonius  geführten  Bürgerkriegs.  Denn  Caesar  hat  das,  was  Vergil 
seinen  Ahn  Anchises  ihm  hier  anempfehlen  läßt  835 f.  parce  .  .  .,  proice 
tela  manu,  durch  die  Amnestie  nach  Thapsus  wahr  gemacht  (Servius: 
Caesarem  dementem  circa  Pompeianos  legimus),  so  daß  von  ihm  dasselbe 
galt,  was  Augustus  sich  im  Hinblick  auf  seine  Milde  nach  Naulochos 
und  Actium  zum  Ruhme  auslegt:  bella  terra  et  mari  civilia  .  .  .  suscepi 
victorque  omnibus  superstitibus  civibus  peperci  (m.  Anc.  1, 13).  —  Rhetorische 
Mittel  sind  dem  Pathos  gemäß  stark  verwendet:  Anaphern  8 28 f.  32; 
Alliterationen  830  aggeribus  —  Alpinis  —  arce  32  animis  adsuescite 
33  validas  in  viseera  vertite  vires  (das  v  ist  nach  Varro  1.  1.  fr.  2  p.  149  f. 
Wilm.  ein  die  Stärke  ausdrückender  Laut:  cum  dicimus  vim,  sonus  verbi 
quasi  validus  coyigruit  rei  quam  signißcat,  s.  z.  426  und  Anhang  VHA) 
34 f.  prier  — parce  — proice;  parallele  Versschlüsse  832  f.  adsuescite  bella 
—  vertite  vires  (s.  z.  806  f.  und  Anhang  H  3).  Auf  einem  rhetorischen 
vpeOboc  beruht  die  830 f.  angedeutete  Situation,  daß  Caesar  sein  Heer 
über  die  Alpes  (maritimae)  nach  Italien  geführt  habe;  daß  das  Motiv 
in  den  Deklamationen  vorkam,  zeigt  Petrons  Carmen  de  hello  civ.  144 ff.: 
vergl.  Lucan  I  183  iam  gelidas  Caesar  cursu  superaverat  Alpes;  auch 
in  der  'pragmatia  belli  GaUici'  des  von  Horaz  s.  H  5,  41  parodierten 
Furius  scheint  es  so  verwendet  worden  zu  sein.  Es  war  also  ein  Seiten- 
stück zu  Hannibals  Alpenübergang,  den  luvenal  10,  166  als  Thema  der 
Deklamatoren  erwähnt.  —  826  fulgere  bei  Vergil  nur  hier,  effulgere 
neben  fervere  VHI  677  (vergl.  K.  Wotke,  Wien.  Stud.  VHI  1886,  144); 
da    auf   letzteren    Vers    ein    Enniuszitat    folgt,    dürfen    die    nachweislich 

21* 


324  KOMMENTAR 

archaischen  Formen  bei  Vergil  auf  Nachahmung  des  Ennius  zurück- 
geführt werden.  —  827  node  teguntur  (Versschluß)  ^^  IV  123  diffugient 
comites  et  node  tegentur  opaca  in  einem  imregelmäßig  gebauten  Vers, 
sodaß  die  Phrase  möglicherweise  aus  älterer  Poesie  stammt.  —  832  ne 
pueri  ne  tanta  animis  adsuesdte  bella  mit  homerischem  Ethos:  H  279 
ILiTiKeti  Traibe  (piXiu  ■noXepiili.je  jurjöe  |Lidxe(J6ov  (Heyne).  Die  Konstruktion 
bella  animis  adsuescere  ist  singulär;  sie  wird  nicht  als  Gräzismus  (eiGiCT- 
fiai  Ti),  sondern  als  Ausgleich  von  bellis  animos  adsuescere  (vergl.  Hör. 
s.  II  2,  109  qui  plurihus  assuerit  mentem)  -\-  bella  animis  addiscere  auf- 
zufassen sein.  Wenn  bei  Hör.  s.  14,  105  insuevit  pater  optimus  hoc  me 
Eäeßling  Jioc  als  Accus,  faßt,  den  insuesco  'nach  Analogie  der  Verba 
docendi  regiere',  so  meint  er  dasselbe,  drückt  es  nur  anders  aus.  — 
833  validas  —  vires:  Ennius  a.  301  validis  cum  viribus.  —  viscera: 
Liv.  XXXII  21,  27  tamquam  non  intestino  et  haerente  in  ipsis  visceribus 
uramur  bello  (Gerda).  —  834  genus  qui  duds  Olympo.  Die  Verbindung 
genus  ducere  aus  älterer  Poesie:  trag.  fr.  ine.  124  Ribb.^  a  Tantalo  ducat 
genus;  vergl.  V  801  unde  genus  ducis  in  ennianischer  Umgebung. 

836 — 40  Besieger  Griechenlands.  —  836  Capitolia  ad  alta  (der 
Plural  zu  beurteilen  wie  g.  I  499  Bomana  Palatia  servas:  s.  Anhang  V). 
Daß  diese  Worte  von  Vergil  aus  älterer  Poesie  (Ennius)  übernommen 
sind,  machen  folgende  Gründe  wahrscheinlich:  l)  VÜI  654  steht  Capitolia 
celsa  an  gleicher  Versstelle  in  einem  Zusammenhang,  der  sachlich  auf 
Ennius  hinweist.  2)  Die  Struktur  des  Verses  triumphatä  ||  Capitoli(a)  \ 
ad  I  alta  Corintho  ist  für  Vergils  Praxis  durchaus  ungewöhnlich:  sie 
wiederholt  sich  (nach  Cavallin  1.  c.  [z.  140]  25)  nur  noch  a.  II  550  hoc 
dicens  \\  altari(a)  ad  \  ipsa  \  trementem.  3)  Die  Synaloephe  eines  auf  -ä 
auslautenden  Wortes  im  vierten  Daktylus  findet  sich  nur  sehr  selten  und 
zwar  an  Stellen,  wo  Ennius  als  Quelle  sicher  oder  wahrscheinlich  ist 
(s.  Anhang  XI  l).  —  Auch  caesis  vnsignis  Achivis  weist  auf  ein  älteres 
Vorbild  hin,  da  Horaz  s.  11  3,  194  mit  paratragodischem  Pathos  servatis 
clarus  Achivis  sagt;  besonders  klar  (und  schon  von  Kießling  erkannt) 
ist  dies  Verhältnis  in  dem  parodierenden  Versschlusse  Horaz  ib.  8,  34 
m^iemur  inulti,  den  Vergil  a.  H  670  ernsthaft  gebraucht  (vergl.  das 
Register  I  unter  'Ennius'). 

838  flf.  eruet  ille  Argos  Agamemnoniasque  Mycenas  \  ipsumque  Aeadden, 
genus  armipotentis  Achilli,  \  ultus  avos  Troiae  templa  et  temerata  Minervae. 
Während  Hygin  (bei  Gell.  X  16),  durch  den  berühmten  Enniusvers  aio 
te  Aeacida  etc.  (a.  186)  verleitet,  unter  dem  'Aeaciden'  Pyrrhus  ver- 
stand und  daraufhin  Vergil  eines  schweren  historischen  Versehens  be- 
schuldigte, erkannte  schon  Tumebus  (zitiert  von  Gerda),  merkwürdiger- 
weise ohne  allseitige  Zustimmung  zu  finden,  daß  vielmehr  Perseus  ge- 
meint ist,  der  ein  Nachkomme  des  Königs  Pyrrhus  von  Epirus  im  vierten 
Glied  war:  Pyrrhus  <~  Antigone,  deren  S.  Alexander  '^  mit  Olympias,  deren 
Tochter  Phthia  -^  Demetrios  v.  Makedonien,  deren  S.  Philipp,  dessen 
S.  Perseus.  Perseus  konnte  sich  also  wie  König  Pyrrhus  auf  Pyrrhos 
(Neoptolemos)  —  Achill eus  —  Peleus  —  Aeacus  zurückführen:  so  nennt 
ihn  daher  auch  Properz  IV  11,  39  simulantem  proavi  pedus  Achillis.  Da 
bei  Vergil  genus  ('Nachkomme')  und  armipotentis  vermutlich  ennianisch 
sind    (s.  z.  500.    793)    und    Aeadda    für   Ennius    bezeugt    ist,    so    wäre 


VERS  827—842.  325 

denkbar,  daß  eine  dem  vergilischen  Aeaciden  genus  armipotentis  AcJiilli 
analoge  Phrase  schon  bei  Ennius  von  dem  Vater  des  Perseus,  Philippos, 
gebraucht  war,  zumal  Silius  (der  den  Ennius  nachweislich  noch  las)  von 
diesem  Philippos  sagt  XV  291  f.:  Äeacidum  sceptris  proavoque  tumebat 
Achille.  —  Werm  nun  also  Vergil  den  Anchises  sagen  läßt,  Aemilius 
Paulus,  der  Besieger  des  Perseus,  werde  Argos  und  Mykenae  vernichten, 
so  ist  das  wieder  ein  rhetorisches  vpeuboc,  wie  wir  es  in  diesem  Ab- 
schnitt wiederholt  fanden,  denn  Mykenae  ist  von  Argos  selbst  (i.  J.  468/7) 
und  Argos  überhaupt  nicht  zerstört  worden,  war  vielmehr  unter  Augustus 
die  zweite  Stadt  des  Peloponnes.  Es  läßt  sich  aber  noch  zeigen,  wie 
Vergil  zu  dieser  Übertreibung  kam.  Das  Motiv,  daß  Mykenae  und  Argos 
den  Römei*n  Buße  gezahlt  haben  für  Trojas  Zerstörung  (speziell  für  den 
Gottesfrevel  des  Aias,  aus  dem  auch  Lykophrons  Kassandra  den  Unter- 
gang Griechenlands  prophezeit),  ist  den  Epigrammen  der  Anthologie  sehr 
geläufig,  z.  B.  IX  102  r\  Trpiv  eyuj  TTepanoc  diKpÖTTToXic  ai0epioio,  f) 
Ttpiv  'IXidbaic  dcTiepa  öpevpaiaevri,  |  aiTroXioicTiv  evauXov  epri|uaioi(Jiv 
dveT)nai,  xiaacra  TTpid)uou  bai)ao(Jiv  6v|;e  bkac,  ib.  28.  101.  103.  104, 
wo  in  gleichem  Zusammenhang  neben  Mykenae  Argos  genannt  ist;  ein 
analoges  Epigramm  auf  die  Zerstörung  Korinths,  die  Vergil  in  den 
vorhergehenden  Versen  erwähnte,  A.  P.  VII  297.  Diese  Pointe  setzte  Vergil 
also  in  den  epischen  Stil  um.  —  Argös.  Vergil  kennt  nur  die  lateinische 
Form  (latine  Argi  dicimus  Varro  1.  1.  IX  89)  während  Horäz  an  der 
einen  Stelle,  wo  er  den  Namen  hat,  die  griechische  Form  braucht,  ebenso 
immer  Ovid  außer  im  dat.  (abl,),  wo  die  lateinische  nicht  zu  umgehen 
war  (vergl.  Ehwald  1.  c.  [z.  513  f.]  16).  —  Achüli.  Über  die  Endung 
s.  Anhang  VI  4.  —  templa  et  tcmerata:  einziges  Beispiel  für  Inversion 
von  et  in  diesem  Buch,  s.  M.  Haupt  op.  I  121  und  z.  448  f.  —  temerare 
ist  für  uns  vor  Vergil  (der  es  nur  hier  hat)  nicht  belegt,  ebensowenig 
intemeratus ,  das  er  aen.  11  143  u.  ö.  hat:  es  könnte  also  neugebildet 
scheinen.  Da  es  aber  Livius  XXVI  13,  13  (nur  an  dieser  Stelle)  in 
ähnlicher  Verbindung  und  in  feierlichem  Zusammenhang  hat  (arae  foci, 
deum  deluhra,  sepulchra  maiorum  temerata  ac  violata),  so  haben  möglicher- 
weise beide  es  ihren  Quellen  entlehnt,  Vergil  vielleicht  grade  in  der, 
archaischer  Poesie  angemessenen,  stark  alliterierenden  Verbindung  templa 
temerare. 

841  ff.  Durch  die  in  dieser  letzten  Versreihe  besonders  häufigen  und 
starken  Alliterationen  (841  te  —  Cato  —  tacitum  —  te  —  Cosse  42  GraccM 
genus  —  geminos  43  parvo  potentem  44  sidco  Serrane  serentem  45  fessum 
—  Fäbü  46  restituis  rem)  soll  der  Leser,  auch  abgesehen  von  den 
wörtlichen  Zitaten,  das  Ethos  ennianischer  Poesie  gewinnen.  Möglicher- 
weise ist  daher  hier  auch  das  oiuoioieXeuTOV  potentem  —  serentem  am 
Schluß  von  843.  44  beabsichtigt,  denn  Ennius  hat  von  diesem  Ornament, 
wenigstens  in  den  Tragödien,  reichlich  Gebrauch  gemacht  (s.  z.  468).  — 
841  Das  persönliche  Interesse  des  Augustus  an  der  Heldentat  des 
Cossus  zeigt  das  denkwürdige  Kapitel  des  Liv.  IV  20.  —  tacitum  re- 
linquere  mit  persönlichem  Objekt  vielleicht  nur  Vergil  (mit  sächlichem 
z.  B.  Cic.  ep.  fam.  HI  8,  2).  —  842  Gracehi  genus  wegen  genus  vielleicht 
ennianisch  (s.  z.  839);  der  Vater  der  Gracchen  war  ein  berühmtes 
'exemplum  pietatis'  (Münzer,  Beitr.  z.  Quellenkrit.  d.  Plin.,  Berlin  1897, 


326  KOMMENTAR 

326);  seine  Kriegstaten  feierte  ein  Elogium  auf  dem  Augustusforum 
(CIL  1^  p.  195).  —  842 f.  geminos,  duo  fulmina  ielli,  Scipiadas.  Über 
die  Wortstellung  s.  z.  7f.  —  fulmina  helU  Scipiadas  wohl  unmittelbar 
aus  Ennius,  nicht  erst  durch  Lucrez'  Nachahmung  III  1034  Scipiadas 
belli  fulmen  vermittelt:  so  ist  auch  Romulidae  Lucr.  IV  683  =  Verg.  a. 
Vni  638  ennianisch,  wie  die  Zusammenhänge  daselbst  (und  die  Parodie 
des  Persius  1,  31)  lehren.  Von  dem  jüngeren  Africanus  sagte,  wie  aus 
Horaz  s.  II  1,  72  geschlossen  werden  darf,  nach  Ennius'  Vorgang  Lucilius 
Scipiadae  virius.  Ennius  hat  also  auch  den  Römern  ihre  'Barkas' 
(Kepauvoi,  jnax^c  TTpricrrfipec)  geben  wollen:  daß  dies  seine  Intention 
war,  zeigt  der  Enniusleser  Silius  XV  664,  wo  er  den  Ausdruck  von 
einem  Barkiden  gebraucht:  fulmen  suhitum  Carthaginis  Hannibal.  Zu 
der  gewaltsamen  Bildung  Scipiadae  wurde  Ennius  gezwungen,  weil  der 
Name  im  nom.  (voc.)  sg.  für  ihn  nur  mit  einer  Licenz  (a.  321  Scipio 
invicte),  in  obliquen  Casus  und  nom.  acc.  pl.  überhaupt  unbrauchbar 
war  (vergl.  Köne  36.  120f.);  erst  für  Ovid  (a.  a.  III  410),  dann  be- 
sonders für  Silius  ist  Scipio  vor  Konsonant  als  Daktylus  im  nom.  (voc). 
sg.  verwertbar  geworden.  Auch  das  bei  Varro  sat.  407  überlieferte 
Prusiades  trägt  ennianischen  Typus  (vergl.  Bücheier  im  index  p.  247), 
während  Juvenal  10,  162  mit  Bithynus  .  .  .  tyrannus  umschreibt.  Nach 
Ennius'  Vorgang  hat  Lucrez  Memmiadae  =  Memmio  gewagt  (dann  Val. 
Place.  VI  107  Caspiadae  =  Caspii).  —  Auch  die  bei  Vergil  folgende 
Metapher  cladem  Lihyae  (von  den  Scipionen)  muß  durch  einen  ver- 
wandten Ausdruck  des  Ennius  beeinflußt  sein,  denn  bei  Lucrez  1.  c.  folgt 
Carthaginis  horror  (von  den  Scipionen),  und  Cicero  parad.  12  nennt  zwei 
Scipionen  (Cn.,  P.)  kühn  duo  propugnacida  belli  Punid  und  braucht 
clades  in  dieser  Weise  de  prov.  cons.  13  has  duplices  miliium  clades 
(vergl.  öXeGpoc).  Die  Sprache  zwang  Vergil,  Libyae  zu  sagen  statt 
Äfricae,  was  von  den  beiden  'Africani'  ungleich  wirksamer  gewesen 
wäre;  Horaz  kennt  diesen  Zwang  in  den  lyrischen  Maßen  nicht  und 
kann  daher,  wo  er  von  den  Scipionen  spricht,  bedeutend  stärkere  Wirkung 
erzielen.  So  hat  Vergil  neben  einmaligem  Äfrica  im  nom.  (IV  37  Africa 
terra  triumphis  mit  Eeminiscenz  an  Ennius  a.  311)  15  mal  Libyae  (gen., 
dat.),  und  umschreibt  Africanus  14  mal  durch  Libycus,  2  mal  (V  37. 
VIII  368)  durch  Libystis  (dieses  aus  hellenistischer  Poesie),  vergl.  auch 
Servius  zu  I  577.  —  845  qu^  fessum  rapitis,  Fabii?  tun  Maximus  ille 
es,  I  unus  qui  nobis  cunctando  restituis  rem?  Die  anapästischen  Worte 
rapitis  Fabii  (s.  z.  290)  in  wirkungsvollem  Gegensatz  zu  den  das  cunctari 
malenden  Spondeen.  —  tUrn  P,  ^m  MR,  mit  analogem  Schwanken  852 
Jta&e  P  hae  MR:  an  beiden  Stellen  nimmt  Ribbeck  die  gewähltere  La. 
von  P^  auf,  wohl  mit  Recht  (auf  haec  nom.  plur.  fem.  führt  die  gute 
Überlieferung  Vergils  auch  sonst,  vergl.  Neue,  Formenl.  11^  417).  Die 
übrigen  Fälle  der  Apokope  in  -ne  vor  Konsonant  kommen  nur  in  späten 
Büchern  vor  (je  Imal  in  III,  3  mal  in  XII:  PyrrJiin  conubia,  tanton  me, 
tanton  placmt,  mortalin  decmt,  talin  possum),  fast  stets  mit  Schwankungen 
der  Hss.  ^Da  Ennius  dieses  ttoiGoc  der  gesprochenen  Rede  aus  seinen 
Tragödien  und  Komödien,  in  denen  es  öfters  überliefert  ist,  auch  in  das 
Epos  herübernahm  (a.  370  satin  vates),  so  mag  seine  Verwendung  in 
vorliegendem   Vers   dazu  bestimmt  sein,   dem  Enniuszitat  des  folgenden 


VERS  842— 847  ff.  327 

Verses  zu  präludieren.  Das  gilt  wohl  auch  von  dem  Versschlaß  iJle  es 
mit  seiner  ganz  singulären  Aphaeresis:  er  bereitet  gewissermaßen  vor 
auf  den  der  archaischen  Praxis  entsprechenden  Schluß  des  folgenden 
Verses  restifuis  rem,  also  dem  direkten  Enniuszitat.  Von  dem  Vers 
unus  qui  nobis  cnnctando  restituis  rem  sagt  Servius  aus  einer  gegen  den 
Vorwurf  des  'furtum'  polemisierenden  Quelle  richtig:  sciens  quasi  pro 
exemplo  hu/tic  versum  posuit:  in  wörtlichen  oder  fast  wörtlichen  Zitaten 
ganzer  Enniusverse  sind  ihm  außer  Lucrez  auch  die  beiden  Varro  vor- 
angegangen (Varr.  At.  bei  Serv.  aen.  X  396;  Varr.  sat.  103.  542)  und 
Ovid  m.  XIV  814  =  f.  II  487  gefolgt  (vergl.  auch  R.  Ehwald,  Progr. 
Gotha  1892,  12).  Das  in  MP  überlieferte  Präsens  restituis  hebt  das 
Ethos  und  steht  im  Klang  dem  ennianischen  ristitmi  näher;  in  R  ist 
restitucs  überliefert,  was  u.  a.  Bentleys  Beifall  fand,  aber  wohl  den 
anderen  Futura  dieser  Partie  angeglichen  ist,  wenn  es  nicht  bloß  eine 
rein  lautliche  Variante  zu  restituis  ist:  denn  Schwankungen  zwischen  t 
und  e  sind  in  unseren  Vergilhss.  ganz  gewöhnlich  (vergl.  Schuchardt, 
Gramm,  d.  Vulgärlat.  II  46 ff.).  Das  Zitat  eines  der  berühmtesten  Ennius- 
verse schließt  wirkungsvoll  die  ganze,  von  ennianischem  Geist  getragene 
Aufzählung  der  republikanischen  Helden  ab  und  leitet  zu  dem  folgenden 
über:  das  letzte  Wort  gilt  der  res  publica,  d.  h.  dem  Römertum;  es  folgt 
das  Hellenentum. 

7.  Epilog  847  —  53.  In  diesen  Versen  fand  der  Gegensatz  der 
beiden,  jeder  in  ihrer  Eigenart  großen  und  vereint  dem  Ziel  einer  Welt- 
kultur zustrebenden  Nationen  monumentalen  Ausdruck:  der  Dichter 
spricht,  über  die  Situation  hinausgreifend,  zu  seinem  Volke:  851  Romane. 
Es  ist  die  vornehmste  Formulierung  der  Wahrheit,  die  Cicero  de  or. 
III  137  in  die  Worte  kleidet:  ut  virtutis  a  nostris  sie  dodrinae  ah 
Ulis  (Graecis)  exempla  petenda  sunt.  Aber  auch  hier  hat  der  Dichter 
das  edle  Pathos,  von  dem  diese  Verse  getragen  sind,  konventionell  stili- 
siert. Es  ist  ein  —  in  die  Form  der  CTuTKpi(TiC  eingekleidetes  —  i^^Y.^- 
)Liiov  TTÖXeuJV,  speziell  'Puj)lit]c,  wie  wir  es  von  Aristides  in  Prosa, 
von  Claudian  (24,  130 ff.)  und  Rutilius  Namat.  (I  4 7  ff.)  in  Versen  haben. 
Daß  auch  Vergil  nach  einem  rhetorischen  Schema  gearbeitet  hat  {est 
rhetoricus  locus  Serv.),  ergibt  sich  aus  dem  Kapitel  des  sog.  Menander 
TTuJc  bei  otTTÖ  eTTiTTiberjffeujv  xäc  TröXeic  dTKUJ)iiidZ;eiv  (m  359 ff.  Sp.). 
Danach  zerfallen  die  eiTiTTibeiJaeic  l)  in  solche  Karct  rdc  eTriarriiLiac, 
nämlich  Astronomie  und  Geometrie,  Musik,  Literatur,  Philosophie:  davon 
nennt  Vergil  849  f.  die  erste,  2)  in  solche  Kaici  xdc  rexvac,  deren  voll- 
ständige Aufzählung  durch  eine  Lücke  im  Text  des  Rhetors  verloren  ist, 
doch  finden  sich  noch  erwähnt  Bildhauerkunst,  Malerei,  Medizin,  deren 
erste  Vergil  847 f.  nennt,  3)  in  solche  KttTCt  xdc  buvdjueic,  nämlich 
Rhetorik  und  Fechtkunst,  deren  erstere  Vergil  849  nennt.  Vergil  hat 
also  aus  jedem  fevoc  eTTiTtibeuffeuiv  ein  elboc  ausgewählt.  Der  Ärger 
humanistischer  Interpreten,  daß  Vergil,  das  eine  Auge  der  römischen 
Eloquenz,  hier  Cicero,  das  zweite,  zu  Gunsten  der  Griechen  verleugne, 
macht  uns  lächeln,  zumal  doch  Cicero  selbst  in  seiner  famosen  crOfKpKTic 
zu  Beginn  der  Tusculanen  von  der  lateinischen  Eloquenz  nichts  Höheres 
zu  sagen  wagt,  als  daß  sie  der  griechischen  'nur  um  weniges  oder  um 
nichts  nachstehe'.     Vergl.  Ps.  Menander  369:  man  solle  ein  Volk  loben 


328  KOMMENTAR 

ei  Trepi  Xoyouc  ^x^i  i^c  tö  '6XXriviKÖv,  eiie  vö|ui)uov  u)c  Tct  MtaXiKov. 
—  Es  folgt  im  Gegensatz  zum  ßioc  GeouprjTiKÖc  der  Hellenen  der  ßioc 
TTpaKTiKÖc  der  Römer.  Die  drei  Verse  auf  Eom  851  —  53  enthalten 
das,  was  Aristides  1.  c.  weitläufig  ausführt:  l)  Tic  regere  populos  me- 
mento:  Aristides  bemerkt  §  40 ff.,  daß  die  Fähigkeit  des  apxeiv  den 
Griechen  gefehlt  habe  und  eine  'Erfindung'  der  Römer  sei  (vergl.  z.  B. 
51  oÖTTUJ  TTpö  u|uu)v  fjv  TO  äpxciv  cibevai*  ei  fap  HV,  ev  toTc  "GXXr)- 
(Jiv  fjv  dv,  Ol  TiXeicTTOV  brjiTOu  tüuv  fc  ctXXiuv  aocpia  birjveTKav  dXXd 
Ktti  toOto  uiLieiepov  eaiiv  eüpriiua);  eine  Texvr)  nennt  er  das  §  58  wie 
Vergil  eine  ars.  —  2)  Pacique  imponere  morem,  so  unsere  Hss.  und  der 
z.  105  zitierte  Cento  (saec.  IV)  440;  pacis  —  morem  Servius,  was  er 
leges  paces  erklärt.  Aber  die  Richtigkeit  unserer  XJberlieferung  wird  durch 
Aristides  92 ff.  garantiert:  dort  spricht  er  von  den  Segnungen  der  Ord- 
nung und  Sitte,  die  nun,  da  der  Friede  gesichert  sei  (vergl.  70ff.),  im 
ganzen  Reiche  herrschten.  Was  Vergü  mos  nennt,  ist  dem  Griechen  KÖC- 
|uoc  und  xdHic:  97  TräcTa  r\  oiKOuiaevTi  elc  KÖö")aov  TexpaiTTai,  101 
biaixri  Kai  xdHei  irdvxa  fmepouffavxec  103  trpö  juev  xf^c  ujLiexepac 
dpxfjc  dvou  Kai  Kdxuu  (JuvexexdpaKxo  (xd  TrpdYiuaxa)  Kai  eiKf]  ecpepexo' 
emcrxdvxuuv  be  ij|uu)v  xapaxal  Kai  (Txdaeic  eXriHav,  xdHic  be  rrdv- 
xuüv  Kai  cpujc  Xa|Li7Tpöv  eicrnXGe  ßiou  Kai  TroXixeiac,  vöjaoi  be  eHe- 
(pdvTicrav  Kai  6eu)V  ßu))Lioi  tticTxiv  eXaßov.  Diese  Segnungen  friedlicher 
Gesittung  brachte  der  zerfahrenen  Welt  die  Kaiserzeit,  vor  allem  Augustus 
selbst,  den  griechische  Inschriften  deshalb  preisen,  so  die  von  Priene 
(Ath.  Mitt.  XXIV  1899,  288 ff.)  z.  B.  xöv  leßaaxöv,  ov  eic  euepTeffiav 
dvGpiuTnüv  ^TtXripujcrev  dpexfic  {f\  TTpövoia),  ujcTTrep  fiiuiv  Kai  xoic  )ue9' 
fiiadc  atuxfipa  Tiejuipacya  xöv  Trauöavxa  )aev  TTÖXe)Liov,  KOcr|Lir|- 
(Tavxa  be  -rrdvxa,  und  bald  nachher  Philo  leg.  ad  Gaium  21,  z.  B. 
ouxoc  6  xfiv  dxaHiav  eic  xdHiv  dTaTuuv,  6  eipTivo(puXaH.  Wenn 
also  schon  Cicero  Tusc.  1.  c.  2  den  Griechen  entgegenhalten  konnte: 
mores  nos  profecto  melius  tuemur,  wie  viel  wahrer  Vergil;  erlebte  er 
doch  die  soziale  Tätigkeit  des  Augustus,  die  auch  Horaz  —  ebenfalls 
mit  Seitenblicken  auf  die  Griechen  —  preist  (III  6  und  24).  An 
Augustus  denkt  also  auch  Vergil,  wie  er  in  gleichem  Sinne  I  264  den 
Jupiter  von  Aeneas,  dem  in  die  Vergangenheit  projizierten  Ebenbild  des 
Augustus,  prophezeien  läßt:  mores  viris  ponet.  —  3)  Parcere  suhiectis 
et  dehellare  superhos.  Auch  diesen  xötroc  hat  Aristides  §  96:  'in  der 
Herrschaft  über  die  unterworfenen  Völker  laßt  ihr  Schonung  ((peibiü)  walten, 
bei  den  Barbaren,  die  wie  unbändige  Pferde  oft  wider  den  Stachel  löken, 
zieht  ihr  die  Zügel  straffer  an',  oder,  wie  er  es  an  einer  früheren  Stelle 
formuliert  (§  66):  'bei  den  Römern  vereinigen  sich  Kpdxoc  dpxfic  mit 
qpiXavGpuüTTia'  (ähnlich  Menander  p.  374).  Als  politische  Maxime  muß 
dieser  Grundsatz  in  der  jungstoischen  Staatsmoral  aufgestellt  worden 
sein,  da  ihn  Cicero  de  off.  I  34 f.,  sicher  mit  Benutzung  einer  griechischen 
Quelle,  unter  den  iura  belli  behandelt.  Nun  aber  haben  die  Römer  diese 
Maxime  ihrer  Politik  zugrunde  gelegt,  längst  bevor  die  Philosophie  auf 
ihr  Tun  und  Lassen  Einfluß  erhielt.  Also  ist  die  Theorie  der  jüngeren 
Stoiker,  die  ja  überhaupt  im  römischen  Staat  wurzelte,  aus  der  realen 
Praxis  der  römischen  Politik  abgeleitet  worden  und  hat  dann,  wie  bei 
der  Wechselwirkung    von  Philosophie    und  Rhetorik    begreiflich   ist,    in 


VERS  847  £F.  329 

der  schulmäßigen  Behandlung  politischer  Themata  einen  festen  Platz 
erhalten.  Längst  vor  Aristides  hat  Livius  XXX  42,  17  den  Gedanken, 
pop.  B.  plus  paene  parcendo  viciis  quam  vincendo  Imperium  auxisse 
bereits  als  einen  festen  und,  wie  bei  Vergil,  antithetisch  zugespitzten 
übernonunen;  Caesar  hat  ihn  Kelten  und  Germanen  gegenüber  praktisch 
gehandhabt,  Augustus  ihn  als  Grundsatz  auch  ausgesprochen  (mon.  Anc. 
c.  1  externas  gentes  quibus  tuto  ignosd  potuit  conservare  quam  excidere 
malui)  und  die  Dichter  seiner  Zeit  schwelgen  darin  (Horaz  c.  saec.  51", 
Properz  n  16,  41f.  m  22,  21  f.,  Ovid  f.  H  143.  am.  I  2,  52;  diese  SteUen 
bei  Gerda).  —  Fassen  wir  alles  zusammen,  so  sehen  wir,  daß  Vergil 
weder  als  erster  noch  als  einziger  typische  Gedanken  in  ein  rhetorisches 
Schema  eingekleidet  hat.  Aber  wie  in  dem  gleichfalls  nach  rhetorischem 
Schema  gearbeiteten  eYK(JU)Liiov  'liaXiac  der  Georgica  (vergl.  Servius  zu 
n  136  incipit  laus  Italiae,  quam  exequitur  secundum  praccepta  rheforica), 
so  ist  auch  hier  die  in  ihrer  Kürze  majestätische  Diktion  und  das  edle, 
diese  Verse  durchdringende  Gefühl  ganz  sein  Eigentum,  üai-um  verdient 
die  Stelle  die  Bewunderung,  die  sie  zu  allen  Zeiten  gefunden  hat:  „Vergil 
hat  —  sagt  F.  Gregorovius,  Gesch.  d.  Stadt  Rom  im  Mittelalter  I* 
(Stuttg.  1886)  8  f.  —  das  hohe  Bewußtsein  von  der  weltbürgerlichen 
monarchischen  Mission  der  Römer  in  den  unsterblichen  Versen  aus- 
gesprochen tu  regere  etc.  Dieser  großartige  Spruch,  welcher  die  Natur 
und  die  Aufgabe  Roms  vollkommen  ausdrückt,  prägte  sich  tisf  in  die 
Menschheit  ein;  ein  Abglanz  von  ihm  ist  der  mittelalterliche  Kaiserspruch 
'Roma  Caput  Mundi  Regit  Orbis  Frena  Rotundi'."  H.  v.  Treitschke 
(Hist.  u.  pol.  Aufsätze^  105)  findet  in  diesen  Versen  mit  Recht  „die 
historische  Rechtfertigung  des  Kaiserreichs",  an  dessen  Begründung  und 
Erhaltung  beide  Nationen  mit  den  ihnen  von  der  Natur  verliehenen 
Gaben  gearbeitet  haben,  der  Römer  real  zum  Segen  des  Staates,  der 
Grieche  ideal  zum  Segen  der  Kultur. 

Auch  formell  sorgt  der  Dichter  dafür,  dieser  Glanzstelle  das  präch- 
tigste Kolorit  zu  geben,  das  ihm  die  Rhetorik  zur  Verfügung  stellte. 
Er  kleidet  den  ganzen  Gedanken  in  die  Form  eines  antithetischen  Enthy- 
mems  (argumentum  ex  contrario):  der  Vordersatz  (847 — 50)  enthält  das 
contrarium,  der  Nachsatz  (851  —  53)  das  argumentum.  Die  Satzglieder 
sind,  wie  es  sich  für  den  panegyrischen  Stil  gehört  (s.  o.  S.  315  und 
Anhang  11  3),  parallel  gebaut  mit  gelegentlichen  Homoioteleuta,  und  zwar 
sowohl  im  Vordersatz:  excudent  spirantia  aera  «^  ducent  vivos  voltus  ^» 
or abunt  causas  ^^  describent  caeli  meatus  ^^  dicent  surgentia  sidera^  als 
im  Nachsatz:  regere  imperio  populos  '^  imponere  paci  morem,  parcere 
subiectis  <^  debellare  superbos.  Dazu  die  Alliterationen  vivos  —  voltus, 
causas  melius  caelique  meatus  (Schema  ab  ab),  describent  —  surgentia  si- 
dera  dicent  (Schema  abba),  subiectis  —  superbos.  Über  die  gewählte 
Stellung  der  Worte  excudent  —  orabwit  —  describent  —  dicent  s.  Anhang 
niA2. 

847  f.  excudent  und  die  folgenden  Futura  mit  Zusammenfließen  des 
temporalen  und  modalen  Elements  dieser  Form.  —  Erzarbeiten  stehen 
als  die  wertvolleren  voran,  vergl.  Livius  XXXVIII  9,  13  signa  aenea 
marmoreaque.  Seneca  ep.  85,  40  non  ex  ebore  tantum  Fhidias  sciebat 
facere   simulacra,   faciebat   ex   aere;   si   marmor   Uli,   si   adhuc  viliorem 


330  KOMMENTAR 

materiam  öbtulisses,  fcdsset  quäle  ex  illa  fieri  Optimum  possef.  Properz 
in  21,  30  nennt  den  Marmor  überhaupt  nicht.  Vergil  dachte  bei  den 
'hauchenden  Erzbildern'  wohl  an  Lysipp  (Prop.  III  9,  9  gloria  Lysippo 
est  anim^sa  effingere  signa),  wie  bei  den  'lebenden  Marmorstatuen'  an 
Praxiteles  (Plinius  n.  h.  XXXIV  69  d.  h.  Varro:  Praxiteles  marmore  feli- 
cior,  ideo  et  clarior  fuii).  —  credo  equidem  MR,  cedo  equidem  P.  Die 
von  Ribbeck^  aufgenommene  La.  von  P^  ist  eine  falsche  Reminiszenz  an 
II  704.  XII  818;  credo  equidem  (über  die  Synaloephe  s.  Anhang  XI  2B  4) 
hat  das  Ethos  des  griechischen  oi|Liai  juev  oijuai.  —  vivos  voltus.  'Lebens- 
wahr' heißt  vividus  (Z^ujtiköc),  z.  B.  Prop.  II  31,  8;  abgesehen  davon, 
daß  dieses  Wort  im  Hexameter  nur  im  neutr.  pl.  zu  brauchen  war,  wird 
durch  vivus  im  Sinn  der  bekannten  Epigramme  der  Anthologie  die  bloße 
Metapher  zu  sinnlicher  Realität  erhoben.  —  849  f.  caelique  meatus  de- 
scribent  radio  et  surgentia  sidera  dicent.  Mit  den  caeli  meatus  (der  Aus- 
druck nach  Lucr.  I  128  vergl.  V  76:  soUs  lunaeque  meatus)  meint  Vergil 
die  Bahn  der  Sonne  durch  den  Zodiacus  (Henry  439 f.),  wobei  er  be- 
sonders an  Eudoxos  gedacht  haben  wird,  dessen  Sphaera  er  auch  b.  3,  41 
nennt  (descripsit  radio  totum  qui  gentihus  orbem).  Daneben  nennt  er 
Auf-  (und  Nieder)-gang  der  Gestirne  (sidera  dicere  nach  dcTTpoXoTeiv). 
Beides  behandelt  er  hintereinander  g.  l231flF.  —  851  regere  imperio  = 
Lucr.  V  1128  an  gleicher  Versstelle  (Forbiger);  wegen  des  Begriffs  wohl 
ennianisch.  —  Romanus  führt  Cic.  de  or.  III  168  als  typisches  Beispiel 
der  Synekdoche  (ex  toto  pars)  aus  Ennius  an,  aus  dem  es  auch  Livius 
nach  seinen  durch  Ennius  stilistisch  beeinflußten  Vorlagen  oft  bewahrt. 
Wie  hier  Vergil  seinen  Vers  mit  Bomane  memento,  so  schließt  Horaz 
s.  I  4,  85  einen  den  epischen  Stil  parodierenden  mit  Romane  caveto:  also 
liegt  sehr  wahrscheinlich  ein  gemeinsames  ennianisches  Original  zugrunde 
(mit  memento  parodiert  Horaz  auch  s.  H  4,  12.  89.  5,  52).  —  852  Jiaec 
tibi  erunt  mit  ungefälliger,  aber  durch  Enklisis  gemildeter  Synaloephe, 
s.  Anhang  XI  2B  5.  —  853  debellare,  ein  Lieblingswort  des  Livius,  vor 
der  augusteischen  Zeit  nicht  belegt  (Ladewig  6). 

8.  Die  Marceller  (854 — 86  munere).  Nach  dem  überleitenden 
854  in  drei  Absätzen:  a)  Der  alte  Marcellus  855 — 59  (855 — 56  bi- 
KU)Xov;  857  —  59  rpiKiJuXov),  b)  Übergang  zum  jungen  Marcellus  860 — 66 
(biKUjXov,  das  zweite  mit  drei  KÖ)Li)LiaTa;  TeTpdKOuXov,  dessen  KUJXa  mit 
den  Versen  zusammenfallen,  das  zweite  und  dritte  mit  je  zwei  KÖjUjuaTa), 
c)  Der  junge  Marcellus  867—86  (867  juovökujXov;  868—71  TpiKiuXov, 
das  zweite  und  dritte  mit  je  zwei  KÖjajiaTa;  872 — 74  TpiKUuXov;  875 — 77 
biKuuXov;  878^81  xpiKuuXov,  das  erste  mit  drei,  das  dritte  mit  zwei 
KÖ^jLiaTa;  882—83  TpiKiuXov;  883—86  TerpdKuuXov). 

Gewöhnlich  wird  angenommen,  daß  die  nun  folgende  Episode  von 
Vergil  erst  nachträglich  hinzugefügt  sei,  als  der  Tod  des  Marcellus  (Herbst 
23)  ihn  veranlaßt  habe,  diese  breves  et  inf austos  p.  R.  amores  (Tac.  a. 
II  41)  und  sein  Geschlecht  zu  verherrlichen.  Das  kann  aus  folgenden 
Gründen  nicht  für  wahrscheinlich  gelten,  l)  Das  einzige  Argument  dieser 
Kombination,  die  äußerliche  Abtrennung  der  Episode  von  dem  Vorher- 
gehenden, ist  nicht  zwingend  (vergl.  darüber  auch  Cima  1.  c.  [o.  S.  308] 
11  f.):  Vergil  konnte  mit  gutem  Grund  diese  in  einen  XÖYOC  eirixacpioc 
mündende  Episode,  in   der  das  threnetische  Element  überwiegt,  von  der 


VERS  849—857.  331 

vorhergehenden,  auf  einen  enkomi astischen  Ton  gestimmten  Partie  ab- 
trennen. Auch  Donatus  der,  weil  ihm  die  rhetorische  Praxis  noch  ge- 
läufig war,  grade  in  solchen  Dingen  Gehör  verdient  (s.  o.  S.  306),  führt 
als  Grund  für  die  Absonderung  rhetorische  oiKOVO)Liia  an.  2)  Wie  die 
rhetorischen  Geschichtsschreiber  ihre  Bücher  gern  mit  der  Schilderung 
des  Todes  einer  Hauptperson  schließen,  so  liebt  auch  Vergil  ein  der- 
artiges tragisches  Finale:  II  Tod  der  Creusa,  m  des  Anchises,  lY  der 
Dido,  V  des  Palinurus,  XI  des  Mezentius,  XTT  des  Turnus.  Servius,  der 
das  zu  m  718  notiert,  fügt  richtig  hinzu:  in  sexto  MarcelU  citum  deflet 
interitum.  3)  Die  Familie  der  Marcelli  zu  nennen,  war  vermutlich  von 
vornherein  Absicht  Vergils,  da  auch  Cicero  (in  Pis.  58.  de  off.  I  61) 
und  Horaz  (c.  I  12,  45)  ihrer  in  ähnlichen  Aufzählungen  gedenken.  4)  Im 
Vorhergehenden  sind  die  beiden  ersten,  die  die  opima  spoUa  erbeuteten, 
genannt  (Romulus,  Cossus);  daß  also  auch  den  dritten  und  letzten  in  der 
Reihe  (855  spoliis  Marcellus  opimis,  859  tertia  arma),  den  alten  Marcellus, 
eine  Heldengestalt  älterer  Poesie,  zu  nennen  von  Anfang  an  beabsichtigt 
war,  ist  um  so  wahrscheinlicher,  als  man  sich  für  diese  seine  Tat  grade 
zu  Vergils  Zeit  besonders  interessierte  (s.  u.  z.  859).  Aus  diesen  Gründen 
muß  als  wahrscheinlich  gelten,  daß  die  Absonderung  dieser  Episode  von 
vornherein  geplant  war,  d.  h.  also,  daß  die  ganze  'Heldenschau'  erst 
nach  Marcellus'  Tod  verfaßt  worden  ist  (vergl.  Rh.  Mus.  LIV  1899,  471,  1). 
856 ff.  Hier,  wo  die  durch  847  ff.  unterbrochene  historische  Partie 
fortgesetzt  wird,  tritt  sofort  wieder  ennianische  )UI|lit](Jic  ein.  Vidorque 
viros  mit  ennianischem  Kolorit,  da  Ennius  victor  und  vincere  oft,  vir 
einmal  in  alliterierenden  Verbindungen  hat.  —  rem  Bomanam  Ennius 
a.  455  an  gleicher  Versstelle  (Gerda).  —  Mit  turmUtu  schließen  Ennius 
selbst  (a.  311)  und  Lucrez  IH  834  (vergl.  V  1336)  einen  von  ihm  sicher 
nach  ennianischem  Vorbild  gedichteten  Vers  (das  beweist  Lucrez'  Über- 
einstimmung mit  einem  Gedanken  des  Livius),  und  zwar  steht  es  bei 
beiden,  wie  bei  Vergil  (turbante  tumultu),  in  alliterierender  Verbindung 
(terra  tumultu  Enn.,  trepido — tumultu  Lucr.);  vermutlich  hat  daher  Ennius, 
wie  Vergil  hier,  das  Wort  auch  grade  vom  tumidtus  GalUcus  gebraucht, 
für  den  es  ja  typisch  war  (Cic.  Phil.  8,  l).  —  Auch  sistet  darf  in  der 
Verbindung  rem  Bomanam  sistere  für  die  alte  Sprache  in  Anspruch  ge- 
nommen werden,  da  in  dem  (von  Conington  zitierten)  Edikt  des  Augustus 
bei  Sueton  28  ita  m'üii  salvam  ac  sospitem  rem  p.  sistere  in  sua  sede 
liceat  Wortwahl  und  Alliteration  deutliche  Nachahmung  der  alten  Sprache 
verrät.  —  Dagegen  ist  supereminere  vor  Vergil  nicht  nachweisbar  (bei 
ihm  noch  I  501  deas  supereminet  onmis  X  765  umero  s.  undas).  Ähn- 
liche mehr  oder  weniger  feste  Komposita  mit  super-,  die  Vergil  teils 
überhaupt  allein,  teils  als  erster  hat,  sind  super  imminere,  s.  occupare, 
supervolare  (ein  Wort:  Phaedrus  f.  126,  9  süpervolans  am  Versschluß), 
s.  völitare.  Statins  s.  HI  2,  47  supernatet  umdas  empfand  dies  Kompo- 
situm einheitlich,  denn  ein  Versschluß  von  der  Art  super  natat  undas 
(u  _  I  u  u  I  _  w)  würde  der  Praxis  wenigstens  der  Silven  (3321  Hexa- 
meter) widersprechen  (die  Thebais  und  Achilleis  habe  ich  darauf  nicht 
geprüft).  —  857  f.  hie  rem  Bomanam  magno  turbante  tumultu  \  sistet 
eques,  sternet  Poenos  Gallumque  rebeUem.  Die  meisten  Editoren  inter- 
pungieren  nach  sistet.     Aber  die  Verbindung  sistet  eques  ist  zunächst  die 


332  KOMMENTAR 

sachlich  wahrscheinlichere.  Denn  die  Eeiterei  hat,  wie  Conington  be- 
merkt, bei  Nola  nur  Hilfsdienste  geleistet  (Liv.  XXIII  16),  während  bei 
Clastidium  ein  Eeitergefecht  stattfand,  das  grade  als  solches  unvergeß- 
lich blieb  (Plut.  Marc.  7).  Dies  sachliche  Moment  wird  durch  zwei  for- 
male bestätigt,  l)  Die  markanten  Caesuren  des  Verses  (ebenso  856) 
würden  durch  die  Interpunktion  nach  dem  ersten  Trochaeus  nicht  mit 
gleicher  Stärke  hervortreten.  2)  Diese  Interpunktion  ist  überhaupt  recht 
unbeliebt,  s.  Anhang  II  4.  Richtig  ist  daher  in  unseren  Hss.  FMP  nach 
eques  interpungiert;  für  M  notiert  es  Ribbeck,  für  P  Henry  445,  für  F 
liegt  das  Facsimile  vor;  nur  für  die  vierte  der  hier  vorhandenen  alten 
Hss.,  den  cod.  R,  fehlt  eine  Nachricht.  —  rcbellis  ist  wohl  zuerst  hier 
überliefert,  doch  ist  rebelUo  älter  belegt.  Es  heißt  ganz  eigentlich  'den 
Krieg  erneuernd'  wie  XII  185 f.  nee  post  arma  ulla  rebelles  \  Aeneadae 
referent.  Auch  Properz  IV  10,  39 ff.  denkt  sich  den  Krieg  des  J.  222 
V.  Chr.  als  Erneuerung  des  ersten  Gallierkrieges  (vergl.  Rothstein),  ebenso 
Süius  V  10  7  ff. 

859  terüaque  arma  patri  suspendet  capta  Quirino.  An  diesen  Vers 
knüpfte  sich  ein  Ir|Tr|)Lia  wegen  der  singulären  Tradition,  daß  Marcellus 
die  opima  spolia  dem  Quirinus,  und  nicht  dem  Jupiter  Feretrius  dar- 
gebracht habe.  Keine  der  alten  und  modernen  XuCTeic  befriedigt,  aber 
eine  der  von  Servius  erwähnten  führt  auf  den  richtigen  Weg  (die  sach- 
lichen Irrtümer,  die  er  in  das  Liviuszitat,  wie  wir  sehen  werden,  hinein- 
trug, setze  ich  in  Klammem):  possumus  et,  quod  est  melius,  secundwm 
legem  Numae  hunc  locum  accipere  qui  praecepit  prima  opima  spolia  lovi 
Feretrio  debere  suspendi  (quod  iam  Bomulus  fecerat),  secunda  Marti 
(quod  Cossus  fecit),  tertia  Quirino  (quod  fecit  Marcellus)  .  .  .  Varie  de 
hoc  loco  tractant  commentatores  Numae  legis  immemores,  cuius  facit  men- 
tionem  et  Livius.  Da  Livius  weder  bei  Romulus  (I  10)  noch  bei  Cossus 
(IV  19 f.)  von  dieser  lex  Numae  spricht,  so  muß  er  es  im  XX.  Buch 
getan  haben,  da  er  in  diesem  über  die  Erbeutung  der  opima  spoUa 
durch  Marcellus  handelte  (periocha  1.  XX:  M.  Claudius  Marcellus  cos. 
ocdso  G-allorum  Insubrium  duce  Viridomaro  opima  spolia  retulit).  Das 
bestätigt  der  von  Livius  abhängige  Plutarch  Marc.  8.  Nachdem  er  be- 
richtet hat,  daß  Marcellus  die  Spolien  wie  Romulus  und  Cossus  dem 
Jupiter  Feretrius  dargebracht  habe,  fährt  er  fort:  „Freilich  soll  Numa 
in  seinen  Memoiren  von  ersten,  zweiten  und  dritten  Spolien  sprechen 
und  befehlen,  die  ersten  dem  Jupiter  Feretrius,  die  zweiten  dem  Mars, 
die  dritten  dem  Quirinus  zu  weihen,  worauf  Prämien  von  300,  200, 
100  Aß  ständen.  Meist  versteht  man  aber  unter  'opima  spolia'  nur  die- 
jenigen, die  der  Feldherr  in  der  Schlacht  zuerst  von  dem  feindlichen 
Feldherrn  erbeutete."  Aus  einem  z.  T.  zerstörten  Bericht  des  Festus  189 
ergibt  sich  sicher,  daß  auch  Varro  den  Begriff  behandelte:  er  berief  sich 
zum  Beweis  dafür,  daß  die  opima  spolia  auch  von  gemeinen  Soldaten 
erbeutet  werden  könnten  und  nicht  bloß  dem  Jupiter  Feretrius  dar- 
gebracht würden,  auf  die  Pontifikalbücher,  in  denen  über  erste,  zweite 
und  dritte  Spolien  Vorschriften  gegeben  waren  analog  denen,  die  Plutarch 
nennt.  Aus  diesen  Zeugnissen  ergibt  sich  mithin  folgendes.  Nach  der 
gewöhnlichen  Vorstellung  konnte  nur  derjenige  römische  Feldherr,  der 
in  offener  Schlacht   den   feindlichen  Feldherrn  getötet   und   der  Rüstung 


VEES  859—865.  333 

beraubt  hatte,  auf  die  Ehre  der  opima  spolia  Anspruch  erheben,  die 
dann  im  Tempel  des  Jupiter  Feretrius  aufgehängt  wurden;  dieser  Ehre 
waren  nur  Eomulus,  Cossus  und  Marcellus  teilhaftig  geworden.  Nach 
einer  anderen  Tradition,  die  auf  ein  Gesetz  des  Numa  zurückgeführt 
wurde,  war  die  Ehre  nicht  in  diese  engen  Grenzen  eingeschlossen,  sondern 
die  drei  ersten  Soldaten,  die  je  einen  Feind  spoliierten,  brachten  die  drei 
Spolien  der  Reihe  nach  dem  Jupiter  Feretrius,  dem  Mars  und  dem  Qui- 
rinus  dar.  Dieses  sog.  Gesetz  des  Numa,  das  die  aus  dem  Verzeichnis 
der  feriae  publicae,  der  ältesten  römischen  Urkunde,  bekannte  Göttertriaa 
Jupiter,  Mars,  Quirinus  nennt  —  vergl.  Wissowa,  Religion  und  Kultus 
der  Römer  16 ff.  — ,  ist  gewiß  viel  älter  als  die  Legende,  nach  der 
Romulus  die  ersten  Spolien  gewann;  die  ausschließliche  Darbringung  der 
vom  Feldherm  dem  Feldherm  abgenommenen  Spolien  an  Jupiter  Fere- 
trius war  also  vermutlich  eine  Beschränkimg  des  älteren,  weitergehenden 
Brauchs.  Die  Kontamination  beider  Versionen  hat  nun  zu  der  Fassung 
geführt,  daß  Marcellus  als  dritter  dem  Quirin\is  die  Spolien  dargebracht 
habe.  Diese  Fassung  hat  Vergil  und  sie  erklärt  der  Gewährsmann  des 
Servius,  indem  er  zwar  die  Vorstellung,  die  Vergü  sich  machte,  richtig 
deutet,  aber  sachlich  ebenso  irrt,  wie  Vergil  selbst.  Da  nun  Livius,  wie 
Plutarch  trotz  seiner  Kürzung  beweist,  über  beide  Versionen  genau  ge- 
handelt haben  muß,  so  ist  zu  vermuten,  daß  er  dadurch  der  über  diese 
Sache  herrschenden  Verwirrung  entgegentreten  wollte:  aus  der  anna- 
listischen Überlieferung  also,  gegen  die  Livius  polemisierte,  wird  Vergil 
die  falsche  Tradition  entnommen  haben.  Properz  IV  10  behandelt  das 
Thema  in  der  gewöhnlichen  Fassung  und  zeigt,  wie  beliebt  es  in 
augusteischer  Zeit  war.  —  pairi  .  .  .  Quirino  mit  ennianischem  Kolorit 
(a.  121  Qumne  pater). 

860ff.  Die  Spondeen  in  860  kündigen  das  schuermütige  Ethos  der 
nun  folgenden  Episode  wirkungsvoll  an.  —  atque  hie  s.  z.  Iß2.  —  unä 
namque:  über  die  Inversion  der  Partikel  s.  Anhang  in  B  3.  —  861  egre- 
gius  *sicK  aus  der  Masse  (vergl.  706.  865)  heraushebend',  eEaipexoc.  — 
865  Über  das  Schwanken  der  Hss.  zwischen  qui  strepitus  und  quis  str. 
s.  z.  561.  —  Das  in  unserer  Überlieferung  erst  seit  Cicero  auftretende 
circa  kommt  als  Adverb  wohl  nm-  noch  VII  535  vor,  hier  wie  dort  zur 
Vermeidung  des  gleichen  Auslauts  (circa  comitum,  virum  circa),  wie  bei 
Properz  IV  6,  6  focum  circa  und  Ovid  a.  a.  HU  274  augustum  circa: 
vergl.  Wölfflin,  Arch.  f  Lex.  V  294,  VH  302;  als  Präposition  hat  Vergü 
drca  wohl  nur  g.  111146.  IV75.  —  quantum  instar  in  ipso.  Instar, 
ein  Wort,  über  das  Probus  z.  d.  St.  handelte  (Servius),  bedeutet  (vergl. 
Henry  448 f,  Wölfflin,  Arch.  f.  lat.  Lex.  11  1885,  581  ff.)  zunächst  das 
'Stehen'  (instar e)  der  Wagschalen  beim  Gleichgewicht,  und  wird  daher 
bis  auf  Horaz  nur  von  Größenverhältnissen  gebraucht  (Vergil  a.  11  15 
instar  montis  equum  aedificant  u.  ö.);  Horaz  hat  es  zuerst  zur  Bezeich- 
nung der  Wesensgleichheit  (IV  5,  6  instar  veris).  Demgemäß  wird  es 
regulär  mit  dem  Genitiv  desjenigen  Begriffs  verbunden,  der  dem  andren 
das  Gleichgewicht  hält.  Dieser  Kasus  wird  hier  ungewöhnlich  durch  ein 
pronominales  Attribut  (quantum)  vertreten,  wodurch  quantum  instar  in 
formale  Parallele  (s.  Anhang  11  3)  zu  dem  vorausgehenden  qui  strepitus 
tritt.     Die  Vorstellung  ist  echt  römisch:   'quantum  in  eo  inest  ponderis 


334  KOMMENTAR 

atque  amplitudinis '  würde  man  die  Worte  paraphrasieren  (schwacli  Silius 
VIII  406  indole,  pro,  quanta  iuvcnis)]  Livius  III  12,  6  sagt  mit  einem 
Ausdruck  derselben  Sphäre:  iuvenis  cgregius  .  .  maximum  momentum  rerum 
eius  civitatis;  griecliisch  würde  es  mit  verwandter  Metapher  dHiuj)uia  heißen. 
—  866  nox  atra  caput  tristi  circumvolat  umhra:  nach  älterem  Vor- 
bild wegen  der  Übereinstimmung  mit  Horaz  s.  II  1,  58  (vergl.  über  die 
Art  dieses  Schlusses  o.  S.  324):  mors  atris  circumvolat  umbris  Csc.  me). 
Das  Bild  ist  griechischer  Poesie  geläufig,  vergl.  A.  P.  VII  713  (Anti- 
patros)  3  f.  jaeXaivric  vuktöc  iittö  cfKiepfj  KCüXuexai  irrepuYi  (den  Schluß 
dieses  Epigramms  übersetzte  Lucrez  IV  181  f.);  Nox  .  .  volahit  hat  schon 
Ennius  a.  416.  —  867  lacrimis  ingressus  obortis:  vergl.  III  492  lacri- 
mis  adfabar  obortis  XI  41  lacrimis  ita  fatus  obortis.  Da  lacrimae  obortae 
auch  Livius  I  58,  7  hat,  darf  die  Phrase  mit  Stacey  1.  c.  (zu  99)  43 f. 
als  ennianisch  bezeichnet  werden.  Absolut  gebrauchtes  ingredi  ("sc.  dicere) 
scheint  dagegen  vor  Vergil  (auch  IV  107)  nicht  nachweisbar. 

868  ff.  'GtriKribeiov  MapKeXXou.  Augustus  hat  seinem  geliebten 
Neffen  und  Schwiegersohn  die  Grabrede  gehalten:  Dio  Cass.  LIII  30 
auTÖv  6  AutoucTtoc  örmoffia  xe  ^Gavjjev  eiraivecJac  uKJTrep  eiGicJTO  Kai 
ec  TÖ  |iivr||ueTov  o  ibKobojaeiTO  KaieöeTO.  Daß  Vergil  diese  Rede  kannte, 
ist  anzunehmen;  ob  er  Gedanken  aus  ihr  verwertete  (wie  der  Verfasser 
der  consolatio  ad  Liviam  aus  der  von  Augustus  auf  Drusus  gehaltenen: 
vergl.  Vers  211  f.),  wissen  wir  nicht,  aber  die  typischen  Züge  des  XÖYOC 
dTriTdq)ioc  waren  für  ihn  wie  für  Augustus  verbindlich.  So  hatte  Augustus 
in  jener  Rede  den  berühmten  Ahn  des  jungen  Marcellus  aus  dem  hanni- 
balischen  Krieg  gepriesen  (Plut.  Marc.  30,  comp.  Pelop.  et  Marc.  1),  ein 
tÖttoc,  den  Vergil  in  den  vorhergehenden  Versen  855 ff.  verselbständigt 
hat;  so  hatte  Augustus  ferner  die  immatura  m^rs  des  Jünglings  beklagt 
(schol.  Dan.  zu  aen.  I  712),  ein  tottoc,  den  Vergil  869 f.  bringt.  Das 
vorliegende  epicedion  ist  das  älteste  uns  bekannte,  das  nach  den  Vor- 
schriften der  rhetorischen  Texvrj  gearbeitet  ist,  denn  die  etwas  älteren 
Oden  des  Horaz  (I  24.  II  9)  sind  von  der  Rhetorik  noch  wenig  be- 
einflußt und  bewegen  sich  mehr  in  einem  Stile,  den  wir  für  die  pinda- 
rischen  Gpfivoi  voraussetzen  dürfen  (vergl.  Vollmer,  Statius  silvae  p.  31 6  f.). 
Für  die  Analyse  werden  wir  am  besten  wieder  wie  oben  (S.  327),  das 
Schema  des  sog.  Menandros  zugrunde  legen  vmd  gelegentlich  die  nach 
der  Texvri  gearbeitete  Rede  des  Aristides  auf  Eteoneus  (31)  sowie 
metrische  Grabinschriften  heranziehen,  die  seit  früher  Zeit  mit  den  pro- 
saischen XÖYOi  eiTiTdcpioi  in  Wechselwirkung  standen,  l)  868  —  71  Die 
Götter  und  das  Schicksal  werden  ihn  der  Erde  nicht  lange  gönnen, 
vergl.  Menand.  III  435,  9  Sp.  XP^  ev  toutoic  toTc  Xötoic  euöuc  axeiXid- 
leiv  €V  dpx^  irpöc  bai|uovac  xai  irpöc  ^oTpav  döiKOV.  Dieser  tottoc 
über  den  ßdffKavoc  baijuiuv,  die  di  invidi,  die  invida  fati  lex  ist  auf 
den  Grabschriften  stehend,  vergl.  345.  348.  569.  579  Kaibel,  54.  59.  69. 
386.  596  Bücheier;  s.  auch  E.  Schwartz,  Coniectanea  (Rostock  1889)  lOf. 
In  den  Worten  '  das  Geschick  wird  ihn  der  Erde  bloß  zeigen '  liegt  der  Ge- 
danke, daß  die  Götter  ihn  als  einen  der  Ihrigen  wieder  zu  sich  genommen 
haben:  TToXiTeuexai  /aerd  GeOüV  Menand.  421,  16.  —  2)  872  —  74  Das 
große  Gefolge  beim  Leichenbegängnis:  Menand.  436,  11  eixa  bittYpdipeic 
jfiv   eK(popdv,    xfiv   Cuvobov  xfic  TTÖXeuuc,    vergl.  carm.  epigr.  69.  379. 


VERS  867— 868  ff.  336 

422  Buch.  Auch  die  besondere  Einkleidung,  die  diesem  locus  commimis 
hier  gegeben  wird  (die  Klagerufe  auf  dem  Marsfeld  und  die  Personifikation 
des  am  Grabe  vorbeifließenden  Tiberstroms),  scheint  konventionell  zu  sein, 
da  sie  sich  ganz  ähnlich  bei  dem  Verfasser  der  consolatio  ad  Liviam 
21 7  ff.  findet  und  zwar  in  einer  Art,  die  eine  Abhängigkeit  von  vor- 
liegender Stelle  sehr  unwahrscheinlich  macht,  wie  überhaupt  der  Einfluß 
der  Aeneis  auf  dieses  Gedicht  noch  sehr  gering  ist.  —  3)  875 — 77  Die 
Hoffnungen,  die  Staat  und  Familie  auf  ihn  gesetzt  haben.  Der  Gedanke, 
ÖTi  jaetdXac  Trapeax^v  idc  eXiribac  war  typisch  für  den  Epitaphios 
auf  einen  Knaben  (^puer  sagt  Vergil  875.  82  von  dem  schon  Zwanzig- 
jährigen, vergl.  Cic.  de  leg.  Man.  90.  Catull  12,  9),  von  dem  es  keine 
oder  wenig  *  facta'  zu  loben  gab;  so  erwähnt  diesen  tÖttoc  z.  B.  Menand. 
420,  2  KpeiTTOuc  eixov  ev  toutuj  xdc  eXTiibac  oi  Tpeqpovrec  436,  5  oioc 
dv  Trepi  xfjv  ttöXiv  dYevexo,  oiov  dv  rrapeaxev  eauiöv  eic  q)iXoTi|iiav. 
Servius  zu  875  rhetorice  spem  laudat  in  puero,  quia  facta  nmi  invenit 
est  autem  Ciceronis  in  diälogo  Fannio  (?)  '  causa  difficills  laudare  puerum, 
non  enim  res  laudanda  sed  spes  est'.  Vergl.  carm.  epigr.  422.  1232, 
Aristides  1.  c.  1.  11,  und  andere  Beispiele  bei  Leo  zum  Culex  p.  "23.  Den 
Gedanken  kleidet  Vergil  in  die  Form  einer  auYKpKTic  (nee  Romula  quon- 
dam  I  ullo  se  tantum  tellus  iactabit  alumno),  die  wie  in  jedem  elöoc  des 
Ycvoc  TTavTiT^piKÖv  auch  für  den  Epitaphios  typisch  war  (Menand. 
420,  31ff.).  —  4)  878—81  a)  Seine  (pu(Tic:  Menand.  420,12  le^eTc 
be  TTiv  9\jcriv  bixa,  ei'c  xe  tö  toö  cru))iiaTOc  KdXXoc,  ö-rrep  rrpujTOv  ^peTc 
(diesen,  wie  aus  Pindar  0.  9,  65.  94.  J.  6  [7],  22  zu  erschließen,  in  frühe 
Zeit  zurückgehenden  töttoc  hatte  Vergil  861  mit  egregium  forma  iuvenem 
vorausgenommen),  eic  le  jr\v  Tf\c  MJUxflC  euqpuiav,  z.  B.  ÖTi  bkaiov 
irapeixev  eauxöv,  qpiXdvöpuuTrov,  o^iXtitiköv,  fiiaepov:  dafür  setzt  Vergil 
die  spezifisch  römischen  Tugenden:  pietas  und  ßdes.  Marcellus'  pietas  — 
über  den  Begriff  s.  M.  Haupt  bei  Beiger  149  —  rühmt  Properz  HI  18,  14 
wie  in  gleichem  Zusammenhang  die  des  Drusus  der  Verfasser  der  con- 
solatio ad  Liviam  84.  b)  Seine  TrpdHeic:  Menand.  420,  19  tö  be  yii'^iö- 
Tov  KeqjdXaiov  tujv  efKUJiaiacrTiKiJUV  eicTiv  ai  rrpaEeic.  Hierüber  war 
wenig  zu  sagen  (s.  o.),  das  Wenige  wird  hier  gesagt,  soweit  es  für  die 
Situation  brauchbar  war  (daher  fehlen  die  berühmten  Spiele,  die  er  als 
Aedil  in  seinem  Todesjahr  23  gab):  Tapferkeit  als  pedes  und  eques,  die 
Marcellus,  wenigstens  nach  einem  Epigramm  seines  Lehrers  Krinagoras 
(A.  P.  VI  161),  im  kantabrischen  Krieg  (27/6  v.  Chr.)  wirklich  bewiesen 
hätte.  Das  Alter  auch  dieses  töttoc  zeigt  wieder  Pindar  P.  2,  64  ff. 
(pajLii  Ktti  ae  Tdv  dtreipova  böHav  eupeiv  Td  )li^v  ev  iTTTrofföaKyiv  dv- 
bpeam  juapvdinevov  Td  b'  ev  iretoiadxoicri.  Zur  Zeit  des  Augustus  galt 
Tüchtigkeit  im  Reiten  besonders  viel  (Neue  Jahrb.  f.  d.  klass.  Altert.  1901, 
263,  l):  wohl  deshalb  wird  dies  in  einem  eignen  Vers  (881)  besonders 
hervorgehoben.  Wenn  der  Ehetor  hinzufügt  ouK  dqpeEri  be  toö  Kai  ev 
^KdcJTr)  TTpdHei  Gpfivov  direiaßaXeTv ,  so  entspricht  dem  bei  Vergü  heu. 
—  5)  882  f.  Threnos:  Menand.  421,  10  em  toutoic  iraXiv  Ke9dXaiov 
Gricreic  töv  Gpfivov  .  .  .  oTktov  kivOuv  (miserande  882^.  —  6)  883 — 86 
Ehrungen:  Menand.  421,  32  eiTa  eTraiveffeic  tö  Yevoc  ÖTi  ouk  ^iue'Xriaav 
Tfic  Krjbeiicreujc  oube  ttic  KaTacXKeufic  toö  jiivrmaTOC  (den  tumulus  hatte 
Vergil    schon    874    erwähnt).      Diesen    locus    communis    paßt   Vergil    in 


336  KOMMENTAR 

eigentümliclier  Art  der  Situation  an.  Statt  nämlicli  den  Anchises  sagen 
zu  lassen,  'ihm  werden  Blumen  aufs  Grab  gestreut  werden',  läßt  er  ihn 
diesen  Liebesdienst  schon  jetzt  im  voraus  selbst  vollziehen.  Da  das 
Motiv  hier  doch  recht  gezwungen  ist,  so  wird  es  nicht  Vergils  Erfindung 
sein:  tatsächlich  scheint  die  Bewillkommnung  eines  hohen  Toten  durch 
Blumenspenden  seitens  der  Seligen  des  Elysiums  in  hellenistischer  Poesie 
üblich  gewesen  zu  sein,  wie  aus  der  Einkleidung,  die  Statius  s.  V  1,  255ff. 
dem  Motiv  gibt,  wohl  geschlossen  werden  darf:  die  Heroinen  werden  der 
Priscilla  entgegenkommen  serfaque  et  Elysios  animae  praesternere  flores 
(vergl.  ib.  V  3,  285). 

Die  Form  ist  also,  wie  die  des  Panegyi'icus  auf  Augustus  (791  if.), 
durchaus  konventionell,  ohne  daß  durch  diese  Stilisierung  die  Wärme 
und  Wahrheit  des  Gefühls  besondere  Einbuße  erlitte:  die  Kunst  des 
Dichters  weiß  auch  Gemeinplätze  zu  adeln  (das  zeigt  selbst  eines  Pindars 
Praxis),  und  so  steht  Vergils  epicedion  ungleich  höher,  als  das  bei 
gleichem  Anlaß  verfaßte  Dutzendgedicht  des  Properz  III  18.  So  hat  der 
eine  schwermütige  Vers  ostendent  terris  etc.  den  ernsten  Sinn  des  Tacitus, 
der  öfters  auf  ihn  anspielt,  mächtig  gepackt,  und  das  Ganze  hat  gleich 
bei  der  ersten  Eezitation  an  der  Wirkung  auf  Octavia  seine  Probe  be- 
standen (Suet.  p.  62  Eeiff.). 

So  ist  denn  auch  die  Stilisierung  einfach  im  Vergleich  mit  der 
Manieriertheit  des  Properzgedichts.  Die  beiden  ersten  Verse  mit  ihren 
Spondeen  o  gnate  ingentem  luctum  ne  quaere  tuorum:  |  ostendent  terris 
hunc  tantum  fata  bringen  die  Trauer  wunderbar  ergreifend  zum  Ausdruck, 
und  in  874  cum  tumulum  praeterlabere  recentem  ist  das  lange  Wort  von 
malerischer  Wirkung  (s.  Anhang  VEE  B  2a);  dagegen  haben  880f.  seu 
cum  pedes  irct  in  hostem  \  seu  spumantis  equi  f oder  et  calcaribus  armos 
dem  Gedanken  gemäß  accelerierenden  Rhythmus  (s.  ebenda  VII  B  l). 
Anaphern  875f.  76f.  78.  80f.;  Alliterationen  869.  70f.  72.  76f.  78.  83f.; 
auch  die  Wahl  der  Form  gnate  868  (nur  in  M),  die  sich  bei  Vergil  im 
Vokativ  nur  hier  findet  (s.  z.  116),  ist  wohl  durch  die  Klangwirkung 
0  gnate  ingentem  bedingt,  wie  873  aget  gemitus  nebeneinander  gestellt 
sind.  Archaische  Worte  und  Phrasen  heben  das  Ethos  (vergl.  878  prisea 
fides).  So  ist  altertümlich  feierlich  870  Romana  propago:  vergl.  clara 
propago  Lucr.  I  42,  wohl  ennianisch  {Romana  mit  folgendem  Substantiv 
an  dieser  Versstelle  bei  Ennius  a.  459.  527.  538).  872  Tiberine  (Enn. 
a.  55).  880  pedes  ire  steht  VII  624  in  ganz  ennianischem  Zusammen- 
hang. Die  Worte  872  virum  (gen.),  878  pietas  879  impune  hat  an 
gleichen  Versstellen  Ennius  a.  394.  8.  100.  Die  künstliche  Stellung  der 
Worte  872  magnam  Mavortis  ad  urbem  (zwischen  ille  —  campus)  läßt 
vermuten,  daß  sie  eine  entlehnte  Phrase  sind  (Mavortis  an  gleicher  Vers- 
stelle Eon.  a.  108).  8 78 f.  fides  invictaque  bello  \  dextera,  eine  konventio- 
nelle Verbindung  (Cic.  pr.  Dei.  8  dextram  non  tarn  in  bellis  neque  in  proeliis 
quam  in  promissis  et  fide  firmiorem),  ist  in  der  Form  wohl  ennianisch,  da 
sie  X  609  f.  (an  gleicher  Versstelle)  mit  einem  der  archaischen  Poesie 
entlehnten  Epitheton  variiert  wird:  vivida  bello  dextra  (vergl.  V  754 
bello  vivida  virtus  '^  Lucr.  I  72  vivida  vis);  imvictus  ist  ein  Lieblings- 
wort des  Ennius  (a.  198.  321.  523),  wie  er  auch  gern  mit  Formen  von 
helkm  Verse   schließt  (178.  230.  375).     In   871  propria  haec  si  dona 


VERS  869—875.  337 

fuissent  läßt  die  sehr  enge  Berührung  mit  einem  pathetischen  Verse  der 
horazischen  Satiren  (11  6 ,  5  propria  haec  milii  munera  faxis)  hier  wie 
sonst  (s.  o.  S.  324)  vermuten,  daß  beide  einem  älteren  Original  (Ennius?) 
folgen;  das  wird  bestätigt  durch  das  von  Vergil  hier  gegen  seine  Gewohn- 
heit (s.  z.  394.  690  und  Anhang  inB2)  an  den  Versschluß  gestellte 
Verbum  substantivum  (fuissent).  Auch  8 75 f.  RormUa  tellus  hat  feier- 
lichen Klang,  doch  können  wir  das  Adjektiv  vor  den  augusteischen 
Dichtern  nicht  nachweisen:  da  es  von  Properz  erst  im  B.  III  (11,  52 
Bomula  vinda\  von  Horaz  erst  im  carm.  saec.  47  (Bomulae  gentt)  und 
od.  rV  (^5,  1  Bomulae  genti)  gebraucht  wird,  so  ist  es  möglichei*weise 
erst  von  Vergil  geprägt,  um  die  obliquen  Casus  von  JRomulus  zu  ersetzen 
(demselben  Zweck  dient  auch  Quirini,  Quirino:  vergl.  Köne  38);  neu  ist 
auch  Vm  654  Ramuleoque  (culmo),  was  dann  von  Ovid  u.  a.  aufgegriffen 
wurde  (vergl.  Bücheier  zum  pervig.  Ven.  p.  23).  Dem  gleichen  Zweck 
der  Umgehung  metrisch  unmöglicher  Formen  dient  auch  (vergl.  Köne  63) 
875  IlidCä,  eine  Adjektivbildung,  die  in  griechischer  Poesie  selten  imd 
jung,  in  lateinischer  sehr  häufig  ist.  Auch  877  alunrno,  ein  sehr  altes 
und  feierliches  Wort,  wurde  von  den  Daktylikem  konserviert  für  die 
metrisch  unbrauchbaren  Formen  von  filius:  da  es  oben  595  neben  einem 
Wort  archaischer  Prägung  (omniparentis)  steht,  hat  es  vermutlich  auch 
Ennius  so  gebraucht. 

869  nee  ultra  ME,  neque  ultra  FP.  Daß  hier  nee  nicht  bloß  (was 
selbstverständlich)  zu  sprechen,  sondern  auch  (mit  Heinsius)  zu  schreiben 
ist,  wird  im  Anhang  XI  1  gezeigt  werden.  —  872 f.  quantos  . . .  gemitus  in 
der  eK9iJUvr|cric  auch  Lucr.  V  1196;  das  spondeische  Wort  im  1.  Fuß  mit 
starkem  Ethos  (s.  Anhang  VIII).  —  Die  kühne  Personifikation  'wie  viele 
Seufzer  wird  jenes  Feld  nach  Eom  senden'  ist  aus  der  Absicht  zu  er- 
klären, den  Ausdruck  mit  der  folgenden  sehr  gebräuchlichen  Personi- 
fikation 'welch  einen  Leichenzug  wirst  du,  Gott  des  Tiber,  sehen'  mög- 
lichst konform  zu  gestalten,  s.  Anhang  11  3.  —  8 75 f.  nee  puer  .  .  .  in 
tantum  spe  tollet  avos,  ein  künstlicher  Ausdruck.  Hätte  das  Schicksal 
ihm  ein  langes  Leben  gegönnt,  so  würde  es  geheißen  haben  'nee  quis- 
quam  in  tantum  f actis  efferet  gloriam  maiorum'  (ein  in  die  älteste  Zeit 
der  Ehetorik  zurückgehender  TÖiTOc:  Pindar  P.  8,  35 ff.).  So  heißt  es  von 
dem  Scipio,  der  es  bis  zur  Prätur  brachte:  stirpem  nobüitavit  honor  (carm. 
ep.  958  Buch.)  oder  von  dem  Konsul  Messala:  non  tua  maiorum  contenta 
est  gloria  fama,  \  sed  generis  priseos  contendis  vincere  honores  (paneg. 
Messal.  29f.).  Nun  aber  tritt  an  die  Stelle  der  'facta'  die  bloße  'spes' 
(s.  über  den  töttoc  oben),  oder,  wie  es  auf  der  Grabschrift  eines  jung 
gestorbenen  Scipio  (ib.  8)  in  irrealer  Fassung  heißt:  quihus  (virtutibus) 
sei  in  longa  licuiset  tibe  utier  vita,  \  fädle  facteis  superases  gloriam  maio- 
rum (vergl.  carm.  ep.  1214).  Diese  Erklärung  (vergl.  auch  Henry  451  f.) 
wird  durch  eine  Nachahmung  des  Statins  (s.  IV  4,  72f.)  gesichert;  sie 
bleibt  bestehen,  auch  wenn  spe  (z.  B.  mit  H.  Kern,  Progr.  Schweinfurt 
1881,  43)  als  Genitiv  gefaßt  wird,  was  zwar  grammatisch  korrekt  ist 
(Bücheier,  Deklination  ^35;  cod.  E  hat  spes,  ebenfalls  eine  korrekte 
Genitivform,  ib.  34,  doch  ist  auf  eine  isolierte  Überlieferung  dieser  Hs. 
kein  Verlaß),  aber  durch  den  Parallelismus  in  tantum  tollet  spe  ~>  tantum 
iactabit  alumno  nicht  empfohlen  wird,  s.  Anhang  II  3.    Wegen  des  immer- 

VBKOiii  Buch  VI,  von  Norden.  22 


338  KOMMENTAR 

hin  gewundenen  Ausdrucks  werden  wir  hier  wie  sonst  (s.  o.  S.  336)  mit 
der  Möglichkeit   einer  aus  älterer  Poesie   entlehnten   und   in   dem  neuen 
Zusammenhang  kühn  verwendeten  Floskel  zu  rechnen  haben.  —  878 f.  m- 
vidaque  hello  |  dextera  mit  starker  Interpunktion  nach  dem   ersten  Dak- 
tylus; da  das  für  Vergils  eigne  Praxis  nicht  gewöhnlich  ist,  so  bestätigt 
das  die  Vermutung,  daß  die  markvolle,  kriegerische  Phrase  durch  Ennius 
beeinflußt  ist:  s.  Anhang  II  4,  3.    —    879f.  non  Uli  se  quisquam  impune 
tulisset  1  obvius  armato  vergl.  CatuU  64,  343  non  Uli  quisquam   hello  se 
conferet  Tieres.    —    880 f.   seu  cum  pedes  iret  in  Jiostem  \  seu  spumcmtis 
equi  foderet  calcaribus  armos.     In  Anlehnung  an  cum  iret  tritt  für  eques 
ein   der   Satz   seu  foderet    (Leo,   Gott.  gel.  Anz.  1898,  738).    —    armss. 
Servius:  species  pro  genere,  equi  armos  pro  equo  posuit,  non  enim  possmd 
armi  calcaribus  fodi,  richtig  trotz  Henrys  Versuch   (p.  453f),    die  armi 
wörtlich  vom  Vorderbug  zu  verstehen:  denn  auf  diesem  kann  der  Reiter 
zwar  'JMX  Not  sitzen   (Horaz  s.  I  6,  106),   aber  ihn   doch   unmöglich   mit 
seinen  Sporen  erreichen.     Die  starke  Katachrese   mag  dadurch  motiviert 
sein,  daß  Vergil  den  Versschluß  armos  in  älterer  Poesie  überliefert  fand: 
wenigstens   ist   der  Vers  g.  III  86  densa  iuha   et  dextro  iactata  recumhit 
in  armo   mit   einer  Technik   gebaut,    die   der  bei   Vergil   üblichen   nicht 
entspricht  (s.  z.  167);  Silius,   der  den  Ennius  nachweislich  noch  gelesen 
hat,    sagt  mit   einem   ennianischen   Wort   (sonipes)  und   sachlich  richtig 
X  255  cernuus  inflexo  sonipes  effuderat  armo   (sc.  equitem).    —    882  si 
qua   fata   aspera  rumpas:    Bedingung    und    Wunsch    fließen    zusammen 
s.  z.  31.     Fata  rumpere  gewählt  für  fata  vincere  (so  consol.  ad  Liv.  234, 
cai-m.  ep.  1578  Buch.);  die  Metapher  wird  klar  durch  Livius  I  42,  2  rupit 
fati  necessitatem.     Da  Lucrez  II  254  fati  foedera  rumpat  hat,  so  liegt  ver- 
mutlich eine  ennianische  Phrase  zugrunde;  denn  daß  Livius'  Phraseologie 
durch   die   des   Lucrez   direkt  beeinflußt  sei,   ist  von  Stacey  1.  c.  [z.  99] 
52 f.  nicht  bewiesen  worden:  phraseologische  Konkordanzen  beider  weisen 
auf  Ennius  als  gemeinsame  Quelle.  —  883  f.  mamhus  date  lüia  plenis  \ 
purpureos   spargam    flores.      Die    konstante    Verbindung    manihus  plenis 
(Bücheier  zu  Seneca  apoc.  4)  ist  dnö  koivoö  auch  zu  spargam  zu  be- 
ziehen (vergl.  carm.  epigr.  1185,  3 f.  Buch,  utque  suis  manihus  flores  mihi 
vinaque  saepe  \  funderet).     Die  etwas  künstliche  Wortverschränkung  läßt 
wieder  auf  Entlehnung  einer  Floskel  schließen:  tatsächlich  ist  purpureos 
flores  (=  V  79)   ein  Versanfang   auch   der  Lydia  67,   eines   von   Vergil 
sonst  nicht  benutzten  Gedichts,  so  daß  auf  ein  älteres  Original  zu  schließen 
ist  (aus  Vergil  stammt  carm.  ep.  610,  11,   wo  aber  Hyazinthen   gemeint 
sind).     Die   Worte   manihus  date  lilia  plenis    haben    auf  Dante    solchen 
Eindruck  gemacht,  daß  er  sie  mit  Beibehaltung  des  Lateinischen  von  den 
Himmelsboten  sprechen  läßt  (Purg.  XXX  21).  —  Lilien  als  Grabesspende 
auch  A.  P.  VII  485,    symbolisch   wegen    der  kurzen   Dauer  ihrer   Blüte 
(hreve  lilium  Hör.  I  36,  16),    also   wie   die   Rosen.     Purpurlilien   (anders 
oben  708  Candida  lilia\.  Theophr.  h.  pl.  VI  6,  3    (vergl.  J.  Murr,   Progr. 
Marburg  i.  Ö.  1894,  10);  die  Purpurfarbe  wegen  ihrer  chthonischen  Ver- 
wendung: s.  z.  221.    —    884  f   animam  accumulare  donis  für  animae  a. 
dona    mit    originellem    Gebrauch    der    bei   Verben    dieser    Art    typischen 
Objektsverschiebung    (s.  Kaibel  z.  Soph.  El.  p.  140).    —    885  f.    fungar 
inani  \  munere  mit  folgendem  starken  Sinnesabschnitt   (Ende   der  Rede). 


VERS  878—893.  339 

Da  das  für  Vergils  Praxis  recht  ungewöhnlich  ist  (s.  Anhang  11  4,  3), 
so  liegt  die  Möglichkeit  vor,  daß  Vergil  durch  überlieferte  Phraseologie 
beeinflußt  war,  vergl.  die  ähnliche  Phrase  IV  623 f.  cinerique  haec  mitMte 
nostro  I  mwiera  (Gedankenschluß  in  der  Mitte  einer  Rede). 

Epilog  886  (sie)  — 000. 

Periodisiei-ung:  886 — 87  rpiKUjXov;  888 — 92  biKUuXov  +  TpiKuuXov, 
alle  K6|U|LiaTa  mit  den  Versen  zusammenfallend;  893 — 96  TpiKUüXov,  das 
zweite  und  dritte  mit  je  zwei  \i6\x)X(na;  897 — 900  TpiKuuXov,  das  erste 
und  zweite  mit  je  zwei  KÖ^)aaTa. 

Mit  dem  epicedion  Marcelli  schließt  die  eigentliche  Handlung 
stimmungsvoll  ab.  Alles  weitere  wird  nur  angedeutet:  man  fühlt,  daß 
der  Dichter  zum  Schluß  eilt  (ähnlich  III  Schi.).  —  In  886  tota  passim 
regione  vagantur  wird,  wie  Deuticke  bemerkt,  die  Fiktion  des  Schauens 
von  der  Höhe  (754 f.)  aufgegeben;  ein  analoger  Fall  I  438  ^^  419 f. 
(vergl.  KroU  1.  c.  [z.  llOflF.]  139).  —  887  aeris  in  campis:  s.  oben  Einl. 
S.  23 ff.  —  campis  latis:  über  das  6)LioiÖTrTUJTOV  s.  Anhang  IV.  —  888 ff. 
Über  die  Dublette  mit  8 3  ff.  s.  Einleit.  S.  44  f.  —  890  exin  MPR,  exim  F; 
dagegen  ist  an  den  drei  anderen  Stellen  exim  besser  bezeugt  (VII  341 
exim  M  exin  RV,  VIII  306  exim  MP  exin  R,  XH  92  exim  M  exin  R): 
vergl.  Wagner  adn.  er.  zu  VII  341,  Lachmann  zu  Lucr.  HI  160.  — 
891  Laurentes  .  .  .  populos  wie  VII  738  Sarrastes  populos  nach  ennia- 
nischem  Muster  (ann.  24  populi  .  .  .  Latini),  vergl.  Archiv  f.  Lex.  VI  1889, 
344.  349. 

893  ff.  Über  das  Motiv  des  Traums  s.  Einleit.  S.  47  f.  —  Die  Be- 
schreibung der  'Tore  der  Träume'  (Somni  portae,  da  oblique  Casus  von 
somnium  unbrauchbar  waren,  vergl.  Conington)  im  wesentlichen  aus 
T  562  ff.  (Servius).  Die  ausdrückliche  Hervorhebung,  daß  die  eirdvoboc 
durch  das  elfenbeinerne  Tor  der  falschen  Träume  vor  sich  gehe  (898  por- 
taque  emittit  eburna),  hat  im  Altertum  zu  unsinnigen  symbolischen  Er- 
klärungen Anlaß  gegeben  (vergl.  Serv.  xmd  Macrob.  in  somn.  Sc.  I  3,  17f.). 
Von  den  Neueren  ging  A.  Nauck  (Mel.  grecorom.  III  1874,  8 9 ff.)  so  weit, 
daß  er  893 — 96  athetierte  imd  898  Avorna  (sol)  statt  eburna  schrieb: 
Vermutungen,  die  Ribbeck  ^  in  den  Text  gesetzt  hat.  Die  richtige  Deu- 
tung gab  W.  Everett,  Class.  review  XIV  (1900)  153  f.  Es  war  ein  ver- 
breiteter Glaube,  daß  die  falschen  Träume  vor  und  die  wahren  nach 
Mittemacht  kämen  (vergl.  Moschos  id.  2,  Iff.,  die  Intpp.  zu  Horaz  s.  1 10,  33 
post  medium  nodem  .  .  .,  cum  somnia  vera,  und  carm.  epigr.  1109,  7 
Buch.),  eine  von  Vergil  selbst  bei  den  von  ihm  erzählten  Traumerschei- 
nungen befolgte  Vorstellung  (z.  B.  VIII  26.  67).  Wenn  Aeneas  also 
durch  das  Tor  der  falschen  Träume  entlassen  wird,  so  liegt  darin  nichts 
weiter  als  die  Zeitbestimmung  'vor  Mitternacht'.  Die  KttiaßacTic  begann 
bei  Morgengrauen  (255);  535 ff.  ist  es  Nachmittag  geworden  und  die 
Sibylle  drängt,  das  datwn  tempus  auszunutzen;  vor  Mitternacht,  d.  h.  der 
Stunde,  zu  der  die  Toten  die  Oberwelt  besuchen  dürfen  (vergl.  V  719 — 39), 
muß  die  dvdßaCTic  des  Lebenden  vollzogen  sein.  Diese  Auffassung,  wonach 
also  das  Buch  mit  einer  Zeitbestimmung  schließt,  erhält  noch  eine  Stütze 
durch  die  Analogie   mehrerer  mittelalterlicher   —   in  letzter  Instanz    auf 

22* 


340  KOMMENTAR 

gleiche  apokalyptische  Tradition  wie  Vergil  zurückgehender  —  Apo- 
kaljrpsen,  in  denen  gleichfalls  die  Stunde  der  Beendigung  der  Vision  an- 
gegeben ist;  nur  ist  es  dort  die  Morgendämmerung  beim  ersten  Hahnen- 
schrei: vergl.  die  —  in  der  Einleit.  S.  9  näher  bezeichneten  —  Visionen 
des  Furseus  s.  VII  p.  80,  die  von  Baeda  und  Bonifatius  berichteten  der 
J.  696  und  725,  die  visio  Wettini  vom  J.  824  p.  274;  auch  Dante  läßt 
seine  Reise  durch  die  Hölle  24  Stunden  dauern  (Inf.  XXXIV  68  f.  mit 
den  Kommentaren).  —  Die  eKqppacTic  tÖttou  (abgebildet  cod.  F,  fol.  LVE') 
893 — 96  wird  in  selbständiger  Formgebung  zwischen  892  (et  quo  quemque 
modo  fugiatque  feratque  Idborem  sc.  docet)  und  897 f.  (his  ubi  tum  natum 
Anchises  wnaque  S'ibyllam  prosequitur  didis  e.  q.  s.^  eingeschaltet,  so  daß 
mit  Ms  dictis  auf  892  zurückgegriffen  werden  kann  (Deuticke):  für  diese 
Technik  vergl.  die  Belege  zu  42 ff.,  auf  Grund  derer  über  Peerlkamps 
Konjektur  Mc  für  Ms  sowie  über  Naucks  Athetese  von  893  —  96  zu 
urteilen  ist.  Nauck  glaubte  seine  Athetese  dadurch  bestätigt  zu  sehen, 
daß  896  falsa  ad  caelum  mittunt  insom/nia  man  es  eine  jüngere  Vorstellung 
in  die  Homerstelle  hineinbringe:  vergl.  Soph.  El.  459f.,  Tibull  II  6,  37  ne  tibi 
neglecti  mittant  mala  somnia  manes;  pythagoreisch-volkstümlicher  Glaube 
war,  U7TÖ  Tujv  bai)aövuüv  TreiuTrecTGai  dvGpujTTOic  touc  öveipouc  Diog. 
L.  VIII  32,  vergl.  oveipoi  xöövioi  pap.  mag.  Paris.  1.  c.  [z.  46]  p.  82.  Aber 
Vergil  verknüpft  eben  hier  wie  oft  Homerisches  mit  Jüngerem.  —  Durch 
die  markierte  Stellung  der  Attribute  und  Substantive  894  qua  veris 
facilis  datur  exitus  umbris  (s.  Anhang  IIIA  3)  wird  kurz  angedeutet,  daß 
die  Träume,  die  durch  die  andere  (elfenbeinerne)  Pforte  kommen,  ßapeic 
öveipOi  sind.  Diesen  Gegensätzen  entsprechen  die  flüchtigen  Rhythmen 
894  facilis  datur  exitus  umbris  im  Vergleich  mit  den  schweren  896  sed 
falsa  ad  caelum  mittmvt  insonmia  manes:  s.  Anhang  VII B  1.  —  Über  die 
griechische  Technik  des  Versschlusses  nitens  elephanto  s.  ebenda  IX.  — 
896  insomnia  evuirvia  ist  vor  Vergil  (er  noch  IV  9)  nicht  nachweisbar: 
denn  Terenz  eun.  II  1,  13  ist  adiget  insomma,  d.  h.  düTTVia,  statt  adigent  i. 
eine  durch  den  Sinn  erforderte  Emendation  Bentleys;  Cic.  de  sen.  44  ist 
insomniis  =  düTTVia  (der  Plural  wie  bei  Sali.  ep.  Mithrid.  7).  —  897  Ms 
ubi  tum  .  .  .  prosequitur  dictis  M,  Donatus;  Ms  ibi  etc.  FPR.  Für  ubi 
spricht  VII  60 7 ff.:  dort  wird,  analog  wie  hier,  mit  suMt  geminae  Belli 
portae  (~  sunt  geminae  Somni  portae)  begonnen,  und  nach  deren  kurzer 
eKcppaCTic  (608 — 10)  mit  has  ubi  fortgefahren.  Vergl.  auch  die  beliebten 
Versanfange  des  Lucrez  hoc  ubi  Qioc  Ablativ:  s.  Archiv  f.  Lex,  XI  1900, 
102 f.),  sowie  Mc  ubi  Cic.  Arat.  113  und  Ovid  m.  I  318,  ebenfalls  nach 
einer  ^KCppacTic.  Die  Verbindung  von  ubi  mit  einem  Präsens  wie  III  69 
vergl.  X  148  ff.  —  899  f.  ille  viam  secat  ad  navis  sociosque  revisit,  tum  se 
ad  Caietae  recto  fert  litore  portum.  Für  viam  secare  vergl.  Lucr.  V  272 
via  secta,  was  wahrscheinlich  ennianisch  ist:  s.  Anhang  IX  2  und  XI  1. 
Mit  sociosque  revisit  schließt  VIII  546  in  ennianisch  er  Umgebung.  —  Der 
Schluß  des  Buchs  nach  dem  Schluß  der  homerischen  Nekyia  aiiTiK' 
eireiT'  em  vna  kiujv  CKeXeuov  exaipouc  |  auxouc  x'  djußaiveiv  kxX.  (Pom- 
ponius  Sabinus).  Mit  der  Schilderung  einer  Landung  hat  das  Buch  be- 
gonnen, mit  derjenigen  einer  Abfahrt  schließt  es.  Auf  derartige  sach- 
liche Abrundung  der  einzelnen  Bücher  hat  Vergil  sichtlich  Gewicht  ge- 
legt, besonders  deutlich   bei   den  eine  Einheit   bildenden  Büchern  II.  III 


VERS  893—901.  341 

(Aiveiou  TrXdvai);  vergl.  Servius  zu  III  717  in  secimdi  principio  duo 
poetae  sunt  versus,  sicut  Mc  tres,  et  similis  est  finis  initio:  ^conticuit' 
(n  1  ~  m  718)  et  'intentis'  (U  1  ~  IH  716).  —  901  ancora  de  prora 
iacitur,  stant  litore  puppes  =  III  277,  im  Text  nur  in  F  (erklärt  von 
Donatus),  dagegen  in  MPE  nachträglich  hinzugefügt  und  von  Bentley 
richtig  getilgt;  der  Anfang  von  VII  tu  quoqiie  Utoribus  nostris,  Aeneia 
nutrix,  aeternam  moriens  famam,  Caieta,  dedisti  schließt  so  unmittelbar 
an  den  letzten  Vers  von  VI  (900)  an:  tum  se  ad  Caietae  recto  fert 
litore  portum. 


Schlußbetrachtung  über  die  Gesamtkomposition. 

In  vorstehendem  Kommentar  galt  es,  zu  Beginn  der  einzelnen  Teile, 
in  die  sich  die  Handlung  gliedert,  jedesmal  zwei  Fragen  zu  beantworten: 
welches  war  das  Material,  das  dem  Dichter  die  legendarische  Über- 
lieferung bot,  und  wie  hat  er  dieses  Material  poetisch  gestaltet?  Hier 
soll  zusammenfassend  der  Versuch  gemacht  werden,  das  einzelne  zu 
einem  Gesamtbilde  zu  vereinigen.  Diese  Art  einer  auf  historisch-philo- 
logischer Grundlage  sich  erhebenden,  ästhetischen  Betrachtungsweise  ist 
in  die  Exegese  Vergils  von  Heinze  eingeführt  worden,  dessen  Werk 
„Virgils  epische  Technik"  (Leipzig  1903)  ich  in  den  Aushängebogen 
gelesen  habe,  als  der  Druck  des  Kommentars  fast  beendet  war.  Da 
Heinze  mit  Rücksicht  auf  das  Erscheinen  meines  Kommentars  das  VI.  Buch 
bei  seiner  Analyse  des  Gedichts  nur  gelegentlich  herangezogen  hat,  so 
halte  ich  mich  für  verpflichtet,  die  von  ihm  gewonnenen  neuen  Gesichts- 
punkte in  Kürze  auch  auf  dieses  Buch  anzuwenden.  Ich  hebe  nach- 
drücklich hervor,  daß  es  mir  ohne  die  aus  Heinzes  Werk  erhaltene 
Belehrung  unmöglich  gewesen  wäre,  eine  Schlußbetrachtung  dieser  Art 
anzustellen. 

1.    Die  drei  Grundmotive  und  ihre  Verbindung. 

Das  fünfte  Buch  schließt  mit  dem  Tode  des  Palinurus  auf  der 
Fahrt  des  Aeneas  von  Sizilien  nach  Cumae,  das  siebente  beginnt  mit 
der  Fahrt  von  Cumae  nach  Latium.  Das  sechste  umfaßt  also  die  Zeit 
des  Aufenthaltes  der  Trojaner  an  der  kampanischen  Küste.  Was  Vergil 
darüber  in  der  Legende  vorfand,  war  nicht  viel:  die  Begegnung  des 
Aeneas  mit  der  Sibylle  (s.  S.  117f.  146f.),  sowie  Tod  und  Be- 
stattung des  Misenus  (S.  175).  Dazu  kam  aber  als  drittes  Motiv 
selbstverständlich  der  Abstieg  in  den  Hades.  Denn  da  es  verbreiteter 
Glaube  war,  daß  die  homerische  Nekyia  am  Avernersee  spiele,  so  war 
die  Übertragung  von  Odysseus  auf  Aeneas  unmittelbar  gegeben.  Die 
erste  und  wichtigste  Aufgabe  des  Dichters  war  mithin,  diese  drei  Motive 
in  der  Weise  zu  verbinden,  daß  sie  eine  in  sich  geschlossene,  zu  einem 
Vollbilde  sich  ergänzende  Einheit  ausmachten.  Ob  er  das  erreicht  hat 
und  durch  welche  Mittel,  werden  wir  am  besten  erkennen,  wenn  wir 
zunächst  der  von  ihm  erzählten  Handlung  Schritt  für  Schritt  folgen. 

1.  Aeneas  ist  in  Cumae  gelandet  (1 — 8).  Also  —  sagte  sich 
jeder  Leser  — :  jetzt  wird  er  die  Sibylle  treffen  und  befragen.  Es  ist 
ein  feierlicher  Moment,  ein  Höhepunkt  der  Handlung  des  ganzen  Gedichts: 
hing  doch  die  Zukunft  des  Reichs  an  diesen  sibyllinischen  Weissagungen, 
durch  die  den  Aeneaden  die  Weltherrschaft  garantiert  war.  Die  Er- 
wartung   des  Lesers    ist    also   aufs  höchste  gespannt,   und   es  ist  nicht 


A 


SCHLÜSZBETRACHTUNG.  343 

Vergils  Art,  ihre  Erfüllung  lange  zu  verzögern.  So  strebt  der  Dichter 
denn  gleich  auf  sein  Ziel  los,  alles  Nebensächliche  so  schnell  erledigend, 
wie  es  der  konventionelle  epische  Stil  eben  zuließ  (9 — 12).  Nur  die 
kurze  ^KcppacTic  der  Darstellungen  an  den  Toren  des  cumanischen  Apollo- 
tempels (13  —  33^  gibt  einen  momentanen  Ruhepunkt,  den  einzigen  in 
dem  ganzen  ersten  Teil  dieses  Buches.  Aber  auch  diese  Beschreibung 
ist  von  der  Handlung  nicht  losgelöst,  sondern  mit  bedachter,  freilich 
nicht  ganz  einwandfreier  Kunst  zu  der  Handlung  in  Beziehung  gebracht 
(s.  S.  120  f.).  Jetzt  ist  die  Sibylle  da.  Mit  einer  fast  gewaltsamen 
Kürze  (s.  Heinze  S.  353,  l)  werden  alle  der  Befragung  der  Seherin  durch 
Aeneas  vorausgehenden  Momente  erledigt  (33 — 41):  würde  doch  der 
Leser  jetzt  an  allen  diesen  Nebensachen  kein  Interesse  nehmen. 

2.  Das  Vorspiel,  gewissermaßen  der  die  Exposition  enthaltende 
Prolog,  ist  zu  Ende.  Jetzt  setzt  das  bpäjua  ein:  die  Beschwörung  der 
Sibylle  durch  die  preces  des  Aeneas,  ihr  Sträuben  gegen  die  Ver- 
gewaltigung durch  den  Gott,  ihr  endliches  Nachgeben  und  die  Erteilung 
der  responsa  (42  — 101).  Mit  bedeutender  Wirkung  kontrastieren  die 
beiden  agierenden  7rpö(TuJ7ra:  hier  das  erhabene  Ethos  des  sich  seiner 
großen  Mission  bewußten  Trägers  der  römischen  Zukunftshoffiiungen, 
dessen  Rede  in  feierlichem  Gebettone  gemessen  dahin  wallt;  dort  die  von 
Apollos  Geist  erfüllte  Seherin,  deren  Worte  mit  höchster  Leidenschaft- 
lichkeit stoßweise  aus  dem  rasenden  Munde  dringen. 

3.  Mit  dieser  Szene  ist  das  erste  jener  Gnindmotive  unseres  Buches, 
die  Befragung  der  Sibylle,  erledigt.  Es  handelte  sich  für  den  Dichter 
nun  darum,  einen  Übergang  zu  dem  zweiten  Grundmotiv,  dem  Abstieg 
in  den  Hades,  zu  finden.  Zu  dem  Zweck  läßt  er  in  einer  zweiten 
Szene  abermals  einen  Dialog  zwischen  Aeneas  und  der  Sibylle  statt- 
finden (102 — 155):  Aeneas  bittet  die  Sibylle,  seinen  Vater  im  Hades 
aufsuchen  zu  dürfen;  die  Sibylle  knüpft  die  Gewährung  dieser  Bitte  an 
die  vorherige  Erfüllung  mehrerer  Bedingungen.  Für  sich  betrachtet  ist 
diese  Szene  —  mit  Ausnahme  von  ein  paar  S.  158  f.  notierten  Einzel- 
heiten —  gut  komponiert,  sie  bildet  auch  einen  wirkimgsvoUen  Kontrast 
zu  der  vorherigen,  denn  jetzt  hören  wir  auch  die  Sibylle,  deren  pro- 
phetische Erregung  sich  gelegt  hat,  mit  dem  ganzen  Ethos  reden,  das 
ihr  als  Priesterin  zukommt.  Aber  der  Zweck,  dem  diese  Szene  dienen 
soll,  jene  beiden  Motive  zu  verknüpfen,  ist  nicht  erreicht.  Als  ob  ihm 
die  Gewährung  seiner  ersten  Bitte  um  die  responsa  gleichgültig  wäre, 
sagt  Aeneas  zur  Sibylle  (103 — 105):  „auf  die  mir  von  dir  prophezeiten 
Leiden  habe  ich  mich  längst  gefaßt  gemacht;  nur  um  das  eine  bitte 
ich  (wnum  oro):  gewähre  mii-  eine  Begegnung  mit  meinem  geliebten 
Vater  im  Hades."  Dieser  Übergang  ist  rein  äußerlich^):  hier  klafft  eine 
Lücke,  die  auszufüllen  dem  Dichter  trotz  seines  Strebens  nach  Einheit- 
lichkeit der  Handlung   mißlungen  ist,   und   nach   Lage   der  Dinge   auch 


1)  Näheres  oben  S.  151  f.  Hier  sei  hinzugefügt,  daß  eine  formale  An- 
lehnung an  Homer  vorliegt:  \  139 f.  sagt  Odysseus  zu  Teiresias,  nachdem  ihm 
dieser  seine  Bitte  um  e^ocpara  erfüllt  hat:  Teipeöir],  rd  fiiv  öp  irou  ^ir^KXujaav 
öeol  aÖToi"  äXX'  äfe  jaoi  TÖ6e  dtii  koi  ärpeK^uuc  KaröXeSov,  nämlich  wie  kann 
ich  mit  meiner  Mutter  reden?"  Das  ist  in  verwandter  Situation  der  gleiche 
Gedankensprung. 


344  SCHLUSZBETRACHTUNa. 

kaum  gelingen  konnte:  die  Motive  waren  zu  heterogen,  um  sich  organisch 
vereinigen  zu  lassen.  Daß  Vergil  die  Vereinigung  dennoch  versuchte 
und  zwar  grade  in  dieser  Weise,  werden  wir  aus  homerischer  |lii)litiö"ic 
erklären  müssen.  Bei  Homer  geht  der  Nekyia  das  Gespräch  des  Odysseus 
mit  Kirke  voraus  (k  487  —  540),  in  dem  die  Göttin  dem  Helden  Weisungen 
gibt  über  seine  Hadesfahrt,  die  sie  ihm  befohlen;  in  einer  auf  die 
Nekyia  folgenden  Szene  (|ii  21  ff.)  gibt  dann  Kirke  dem  Odysseus  Pro- 
phezeiungen über  seine  ferneren  Irrfahrten.  Diese  beiden  Stellen  waren 
für  Vergil  sicher  das  Vorbild  der  Begegnung,  die  er  zwischen  Aeneas 
und  der  Sibylle  stattfinden  läßt:  hat  er  ihnen  doch  sogar  Einzelheiten 
entnommen  (k  516ff.  und  )Li21f.:  Worte  der  Kirke  -^  VI  154.  133f.: 
Worte  der  Sibylle).  Aber  bei  Homer  sind  die  beiden  Reden  der  Kirke, 
die  sachlich  ganz  verschiedenartiges  betreffen  (Befehl  zur  Nekyia,  Pro- 
phetie),  auch  zeitlich  durch  die  inzwischen  erfolgte  Nekyia  von  ein- 
ander getrennt;^)  Vergil  verlegt  die  beiden  Wechselreden  des  Aeneas 
und  der  Sibylle  (Prophetie,  Anweisungen  zur  Nekyia)  vor  die  Nekyia 
und  sucht  sie  untereinander  in  sachliche  Verbindung  zu  setzen.  Dieser 
Versuch  mußte  mißlingen,  da  eine  derartige  Verbindung  der  Motive 
nicht  bestand. 

Noch  durch  ein  anderes  Mittel  hat  er  diese  Verbindung  herzustellen 
versucht,  und  "das  mit  besserem  Erfolg.  Er  läßt  die  Sibylle  nicht  bloß 
Prophetin,  sondern  auch  Führerin  des  Aeneas  durch  die  Unterwelt  sein. 
Um  diese  Kumulation  zweier  Amter  auf  die  eine  Person  glaublich  er- 
scheinen zu  lassen,  fingiert  er,  daß  Hekate  der  Sibylle  als  ihrer  Priesterin 
die  Schlüssel  des  Hades  gegeben  habe  (109.  11 7 f.).  Durch  diese  Fiktion 
bringt  er  die  beiden  Motive  also  wenigstens  durch  die  Einheit  der 
Personen  (Aeneas,  Sibylle)  miteinander  in  Verbindung. 

4.  Soviel  über  die  Verbindung  zweier  Grundmotive  dieses  Buchs, 
der  Prophezeiung  der  Sibylle  an  Aeneas  und  der  KaiaßacJic  des  Aeneas 
mit  der  Sibylle.  Das  dritte  Hauptmotiv,  das  Vergil,  wie  bemerkt,  in  der 
legendarischen  Überlieferung  vorfand,  war  der  Tod  und  die  Bestattung 
des  Misenus.  Sachlich  hatte  dies  Motiv  mit  der  Karaßadic  so  wenig 
zu  tun  wie  die  Prophezeiung  der  Sibylle;  auch  hier  also  galt  es,  die 
mangelnde  Verbindung  irgendwie  herzustellen,  wenn  die  Darstellung  nicht 
bloß  episodisch  verlaufen  sollte.  Bei  Homer  ist  der  vor  der  Nekyia 
erfolgte  Tod  des  Elpenor  (k  551  —  560)  mit  dieser  dadurch  in  Ver- 
bindung gesetzt,  daß  Elpenor  dem  Odysseus  im  Hades  zuerst  erscheint. 
Diese  Motivierung  konnte  Vergil  für  den  Tod  des  Misenus  aus  folgendem 
Grunde  nicht  verwenden.  Bei  Homer  bittet  das  eibiuXov  des  Elpenor 
den  Odysseus  um  Bestattung  des  noch  unbeerdigten  Körpers,  die  ihm 
Odysseus  verspricht  (\  51 — 80)  und  die  er,  aus  dem  Hades  zu  Kirke 
zurückgekehrt,  vollzieht  (|u  9 — 15).  Hätte  Vergil  das  nachgebildet,  so 
würde  auch  bei  ihm  die  Beerdigung  des  Misenus  erst  haben  stattfinden 
können,  nachdem  Aeneas  aus  dem  Hades  an  das  Tageslicht  zurück- 
gekehrt war.     Dadurch  wäre  aber  die  Gesamtkomposition  dieses  Buches 

1)  Ich  fasse  bei  dieser  ganzen  Untersuchung  die  homerische  Nekyia  und 
die  sie  umgebenden  Partieen  als  einheitliches  Gedicht,  so  wenig  es  das  ist. 
Denn  es  kommt  hier  nicht  auf  die  Resultate  einer  Analyse  an,  die  Vergil  so 
fern  lagen  wie  den  anderen  antiken  Lesern  des  homerischen  Gedichts. 


SCHLUSZBETRACHTUNG.  345 

aufs  schwerste  geschädigt  worden.  Denn  die  große  apokalyptische  Eede 
des  Anchises  mußte  das  Ende  bilden,  auf  das  alles  hindrängte:  man 
merkt  es,  wie  im  Kommentar  S.  339  bemerkt  wurde,  dem  Dichter  an, 
wie  er  nur  widerstrebend  ein  paar  nicht  zu  vermeidende  Einzelheiten 
am  Schluß  hinzufügt,  aber  so,  daß  er  sie  in  wenigen  Versen  skizziert. 
Nun  denke  man  sich  die  Tacpf]  Mi(Jr|VOU,  die  bei  ihrer  Wichtigkeit  für 
römische  Leser  notwendig  in  großer  Ausführlichkeit  zu  geben  war,  ans 
Ende  gerückt,  um  sofort  zu  empfinden,  daß  dadurch  der  ganze,  sorgsam 
auf  den  Effekt  ausgearbeitete  Plan  dieses  Buches  über  den  Haufen  ge- 
worfen worden  wäre.  Aus  dieser  Schwierigkeit  fand  nun  Vergil  den 
eigenartigen  Ausweg,  daß  er  die  Elpenor-Episode  auf  zwei  Genossen  des 
Aeneas  gewissermaßen  verteilt.  Das  rührende  Motiv  des  dem  Odysseus 
im  Hades  erscheinenden  eibuuXov  seines  imbeerdigten  Genossen  Elpenor 
mochte  Vergil  nicht  missen,  aber  er  verwendet  es  nicht  für  Misenus, 
sondern  für  Palinurus,  der  nach  der  Legende  auf  der  Fahrt  von  Sizilien 
(Afrika)  nach  Cumae  verunglückt  war.  Dagegen  kombinierte  er  Tod 
und  Bestattung  des  Elpenor,  zwei  von  Homer  an  weit  auseinander 
liegenden  Stellen  erzählte  Ereignisse,  zunächst  zu  der  einheitlichen  Ge- 
samthandlung vom  Tod  und  Bestattung  des  Misenus,  die  er  vor  der 
Kardßaffic  stattfinden  ließ.  Weiter  aber  genügte  ihm  bei  seiner  Ab- 
neigung gegen  episodische  Komposition  nicht  ein  bloß  zeitliches  Prius 
der  einen  Handlung  vor  der  anderen,  sondern  er  wollte  sie  auch  sachlich  in 
Beziehung  zu  einander  treten  lassen.  So  läßt  er  denn  die  Beerdigung 
des  Misenus  eine  dem  Aeneas  von  der  Sibylle  gestellte  Be- 
dingung sein,  an  deren  vorherige  Erfüllung  sie  die  Erlaubnis 
zur  Karaßacric  knüpfte  (149—152.  162—189.  212—235).  Diese 
OiKOVOiLiia  ist  unleugbar  geschickt  und  ist  —  von  unbedeutenden  Un- 
ebenheiten abgesehen  (s.  S.  177)  —  einwandfrei  vollzogen  worden.  — 
Auch  in  ihrer  poetischen  Behandlung  zeigt  die  racpf)  Miar|VOU  bedeutende 
Kunst.  Durch  geschickte  Benutzung  von  Motiven  älterer  Poesie  hat 
Vergil  ein  neues  Ganze  geschaffen,  das  mit  seinem  tragischen  Ernst  und 
seiner  würdevollen  Feierlichkeit  auf  die  zeitgenössischen  Leser  seine 
Wirkung  nicht  verfehlt  haben  wird.  Auch  hier  rivalisiert  er  wieder  in 
seiner  Art  mit  dem  homerischen  Original.  Wie  Elpenor,  so  ist  auch 
Misenus  indigna  motte  (163)  dahingerafft,  aber  zwischen  beiden  ist  doch 
ein  Unterschied:  der  Sturz  des  betrunkenen  Elpenor  vom  Dach  mußte 
Vergil  nach  seinen  Vorstellungen  von  der  Würde  des  epischen  Stils  als 
ein  dTTpeitec  erscheinen  (vergl.  S.  115,  1.  229.  260f.);  Misenus  ist  im 
frevlen  Wettkampf  mit  Triton,  also  einem  großen  bai|iU}V,  zugrunde 
gegangen:  damit  ist  der  Würde  eines  fipuJiKÖv  TrpöcTuJTrov  nicht  zu 
nahe  getreten.  Femer  läßt  Homer  den  Tod  des  Elpenor  von  Odysseus 
ohne  eine  Spm*  von  Anteilnahme  erzählt  werden;  Vergil  stattet  seine 
Erzählung  mit  großem  Ethos  aus.^)  Die  Begi'äbnisszene  umfaßt  bei 
Homer  nur  fünf,  bei  Vergil  30  Verse:  wobei  man  sich  erinnere,  daß 
pomphafte  Leichenbegängnisse  und  Grabesceremonieen  den  Lesern  Vergils 
aus  eigner  Anschauung  bekannt  waren;  hier  sahen  sie  das  Alltägliche 
im  Spiegel  der  heroischen  Vergangenheit  verklärt. 


1)  Vergl.  die  Nachweise  für  das  einzelne  dieses  Ethos  bei  Heinze  S.  362, 1. 


346  SCHLUSZBETRACHTUNG. 

5.  Wir  sahen  (bei  3),  daß  die  Sibylle  die  Erlaubnis  zur  Karaßaaic 
von  der  Erfüllung  mehrerer  Vorbedingungen  abhängig  macht.  Es  sind 
drei:  die  Beerdigung  des  Misenus,  die  Gewinnung  des  goldnen  Zweiges, 
das  Opfer  für  die  unterirdischen.  Über  die  erste  ist  soeben  genauer 
gehandelt;  die  beiden  anderen  lassen  sich  kürzer  erledigen. 

Ein  Dichter,  dem  an  Konzentration  der  Handlimg  weniger  gelegen 
hätte  als  Vergil,  würde  die  Ausführung  der  drei  praecepta  Sibyllae  an 
einander  gereiht  haben.  Vergil  hat  dagegen  wenigstens  die  erste  und 
zweite  in  sehr  eigenartiger  Weise  unter  sich  verknüpft.  Er  läßt  den 
goldnen  Zweig  sich  eben  in  demjenigen  Walde  befinden,  den  Aeneas 
mit  seinen  Genossen  abzuholzen  beginnt,  um  aus  den  Baumstämmen  den 
Scheiterhaufen  für  Misenus  zu  türmen.  Daher  zerlegt  er  die  Behandlung 
des  Misenusmotivs  in  zwei  Teile:  l)  Tod  des  Misenus  und  Holzfällen 
im  Urwald  (156—184),  2)  Errichtung  des  Scheiterhaufens  (212—235); 
zwischen  beide  Teile  schiebt  er  das  damit  in  Kausalzusammenhang  ge- 
brachte Zweigmotiv  ein  (185 — 211).  Diese  oiKOVO)uia  fand  schon  das 
Lob  der  alten  Kritiker  (Servius  zu  183).  In  der  Tat  sind  die  kleinen, 
sich  durch  diese  Teilung  ergebenden  Inkonvenienzen  (s.  S.  176)^)  be- 
langlos gegenüber  der  vortrefflichen,  dadurch  erzielten  Wirkung.  Denkt 
man  sich  das  Zweigmotiv  ausgeschaltet,  so  hätten  die  zwei  Schilderungen 
des  Baumfällens  und  der  Begräbnisceremonieen  am  Scheiterhaufen  an 
einander  gereiht  werden  müssen:  die  eigentliche  Handlung  wäre  zum  Still- 
stand gekommen.  Jetzt  werden  die,  Schilderungen  durch  einen  energischen 
Fortgang  der  Handlung  unterbrochen,  und  zugleich  wird  ein  lebhafter 
Kontrast  erzielt:  von  dem  tragisch-düstern  Misenusmotiv  hebt  sich  das 
eigenartig  reizvolle,  farbenprächtige,  märchenhafte  Zweigmotiv  dadurch  mit 
besonderer  Intensität  ab,  daß  es  in  die  Mitte  gestellt  ist.  Die  Vorliebe 
des  Dichters   für  triadische  Komposition  (s.  S.  109)  zeigt  sich  auch  hier. 

Die  Ausführung  der  dritten  Vorbedingung,  des  Opfers  für  die 
Unterirdischen  (236 — 262),  ist  dagegen  selbständig  erzählt;  auf  die 
Äußerlichkeit  der  Anknüpfung  mit  Ms  actis  ist  im  Kommentar  (S.  194) 
hingewiesen  worden:  hier  ist  dem  Dichter,  der  verschiedenartige  Motive 
verschiedenen  Quellen  entnahm,  eine  organische  Verbindung  nicht  ge- 
lungen; hier  erzählt  er  episodisch  in  homerischer  Weise,  wie  ja  auch 
das  Opfermotiv  selbst  aus  Homer  (\  2 3  ff.)  stammt.  Die  Ausführung 
dieses  Motivs  ist  aber  von  Homer  unabhängig:  an  die  Stelle  der  ruhigen, 
epischen  Erzählung  Homers  setzt  Vergil  eine  wild  bewegte,  dramatische 
Handlung,  mit  der  dieser  Teil  des  Buches  wirkungsvoll  schließt.  Man 
bemerke  auch  wieder  den  Kontrast  zu  der  vorangehenden,  gemessen  feier- 
lichen Misenusszene. 

2.    Die  Katabasis. 

Sie  wird  eröffnet  mit  einem  hochfeierlichen  Gebet  des  Dichters 
(264 — 67),  das  an  dieser  Stelle,  nach  der  wilden  vorhergehenden  Szene, 
eine  um  so  bedeutendere  Wirkung  ausübt,  je  seltener  ein  solches  Heraus- 


1)  Über  das  bei  dieser  Art  von  Komposition  unvermeidliche  interea  s.  Heinze 
S.  381,  1,  wo  er  die  Kunst  Vergils  in  der  Erzählung  gleichzeitiger  Handlungen 
analysiert. 


SCHLUSZBETRACHTUNG.  347 

treten  des  Epikers  aus  seiner  Reserve  ist.  Durch  die  Tatsache,  daß  das 
Motiv  als  solches  und  in  einigen  Einzelheiten  entlehnt  ist  (s.  S.  203  f.), 
wird  die  Wirkung  in  nichts  beeinträchtigt.  Es  überträgt  auf  den  Hörer 
die  erhabene  Stimmung,  von  der  ergriffen  der  Dichter  selbst  diese  Verse 
aus  der  Tiefe  seines  Innern  strömen  läßt.  Wir  haben  die  Empfindung, 
als  ob  ein  Prediger  sich  die  Gnade  Gottes  auf  sein  Haupt  wünsche,  um 
sich  zu  stärken  für  die  Offenbarung,  die  er  den  andächtig  lauschenden 
Hörern  spenden  will. 

An  das  Gebet  schließt  sich  unmittelbar  die  KaTdßaCTic  an:  ibant  ist 
das  erste  Wort  der  nun  folgenden  besonders  malerischen  Verse  (s.  S.  206  f.). 

Wir  werden  zu  einer  Würdigung  der  eignen  Kunst  des  Dichters 
auch  hier  wieder  am  sichersten  gelangen,  wenn  wir  damit  beginnen,  die 
bewußten  Abweichungen  von  der  Komposition  Homers  festzustellen. 

1.  Als  ideales  leXoc  einer  von  ihm  zu  dichtenden  Nekyia  schwebte 
dem  Dichter,  noch  bevor  er  den  Gesamtplan  der  Aeneis  konzipiert  hatte, 
eine  Art  von  Heldenschau  vor:  das  wissen  wir  aus  dem  Prooemium  des 
in.  Buches  der  Georgica.^)  Diese  Absicht  blieb  bestehen,  als  er  im 
Zusammenhang  des  nunmehr  definitiven  Planes  der  Aeneis  das  VI.  Buch 
dichtete:  alles  strebt  in  ihm  auf  die  Heldenschau  hin,  die,  weil  sie  das 
ideale  Ziel  ist,  auch  das  reale  Ende  dieses  Buches  bildet,  denn  ein  die 
Handlung  in  wenigen  Versen  abschließender  Nachtrag  ist  unwesentlich 
und,  wie  schon  bemerkt,  mit  einer  Art  von  Widerstreben  hinzugefügt. 
Daß  die  Heldenschau  das  reXoc  der  KaiaßacJic  sein  soll,  weiß  Aeneas 
(und  mit  ihm  der  Leser):  er  hat  es  aus  dem  Munde  des  Anchises  gehört, 
der  ihm  im  Traume  erschienen  war  und  ihm  den  Besuch  im  Hades  be- 
fohlen hatte:  tum  genus  omne  tuum  et  quae  dentur  moenia  disces 
(V  737).  Diesem  xeXoc  muß  sich  alles  unterordnen  als  Vorbereitung 
zur  Vollendung.  Hauptsächlich  durch  diese  Konzentration  der  Handlung 
auf  ein  leXoc  steht  die  vergilische  Nekyia,  als  Ganzes  betrachtet,  tech- 
nisch höher  als  die  homerische.  Zwar  der  Zweck,  den  die  Helden  der 
beiden  Gedichte  verfolgen,  ist  derselbe:  wie  Odysseus  von  Teiresias,  so 
will  Aeneas  von  Anchises  eine  Prophezeiung  erhalten.  Aber  Odysseus 
trifft  mit  Teiresias  gleich  zu  Anfang  zusammen  (nur  das  Gespräch  mit 
Elpenor  als  einem  aiacpoc  geht  voraus),  und  damit  ist  das  eigentliche 
leXoc  schon  erreicht:  alles  weitere  gehört  nicht  mehr  zur  Handlung,  für 
die  es  ja  gleichgültig  ist,  daß  Odysseus  das  Schicksal  der  Heroinen  er- 
kundet, daß  er  den  Heroen  Auskunft  über  die  Vorgänge  seit  ihrem  Tode 
gibt  und  daß  er  die  Gestalten  der  Helden  und  Büßer  erblickt.  Mögen 
einzelne  dieser  Szenen  noch  so  großartig  konzipiert  sein  und  Motive  von 
einer  poetischen  Kraft  und  Plastik  aufweisen,  daß  sie  wie  e\vige  Ideale 
jedem  Nachdichter  unerreichbar  bleiben  mußten:  in  der  Kunst  der  Kom- 
position im  Großen  —  und  nur  um  sie  handelt  es  sich  hier  —  steht 
Vergils  Gedicht  höher  als  das  homerische  Original.  Der  Leser  bleibt  bis 
zuletzt  gespannt  und  wenn  Aeneas  mit  den  €ibu)Xa  einzelner  Heroen 
und  Heroinen  zusammenkommt,  so  sind  alle  diese  Teile  wesentlich  fürs 
Ganze  und  mit  der  Handlung  notwendig  verknüpft:  er  trifft  diese  Toten, 
weil  die  von  ihnen  bewohnten  Regionen  des  Hades  Etappen  seines  Weges 


1)  Vergl.  Neue  Jahrb.  1901,  319  f. 


348  SCHLUSZBETRACHTUNG. 

zu  Anchises  sind.-^)  Wie  viel  Vergil  bei  dieser  Komposition  andern 
ünterweltsgedichten  verdankte,  die  er  neben  der  homerischen  benutzt  hat, 
läßt  sich  mit  Sicherheit  nicht  sagen,  da  nur  mehr  die  Tatsache,  nicht 
der  Grad  ihrer  Benutzimg  für  uns  kenntlich  ist.  Immerhin  glaube  ich 
sehr  wahrscheinlich  machen  zu  können,  daß  die  Anlehnung  in  der  Gesamt- 
komposition eine  bedeutende,  die  Kunst  des  Aufbaus  der  Handlung  hier 
also  nur  zum  geringen  Teil  ein  Verdienst  Vergils  gewesen  ist. 

Darauf  führt  eine  grundsätzliche  Verschiedenheit  der  homerischen 
Nekyia  von  den  späteren  Jenseitsgedichten.  Homer  dichtet,  wie  oben 
S.  196,  1  hervorgehoben  wurde,  eine  veKUO)LiavTeia,  bei  welcher  der  Held 
notwendigerweise  eine  mehr  passive  Rolle  spielen  mußte:  denn  er  bleibt 
bei  seiner  Grube  stehen  und  tut  nichts  weiter,  als  daß  er  aus  der  Masse 
der  durch  den  Blutgeruch  angelockten  eiöUjXa  eine  Auswahl  derjenigen 
trifft,  mit  denen  er  sich  in  ein  Gespräch  einlassen  will;  von  einem  eigent- 
lichen Fortschritt  der  Handlung  kann  dabei  nicht  die  Rede  sein.  Das 
mußte  sofort  anders  werden,  sobald  an  die  Stelle  einer  veKUOjLiavTeia 
(vcKUia)  eine  KaraßacTic  trat,  bei  welcher  der  Held  nicht  am  Rande  des 
Hades  stehen  blieb,  sondern,  von  einem  höheren  Wesen  geleitet,  die 
Regionen  der  jenseitigen  Welt  durchschritt.  Damit  war  sofort  eine  Hand- 
lung gegeben  und,  was  für  unsere  Frage  von  besonderer  Wichtigkeit  ist, 
wohl  auch  immer  eine  solche  Handlung,  deren  Zweck  an  das  Ende  des 
Ganzen  gerückt  werden  mußte.  Denn  bei  einer  Totenbeschwörung,  wie 
sie  Homer  schildert,  zitiert  der  Held  der  Erzählung  aus  der  Masse  der 
ihn  umdrängenden  eibuiXa  begreiflicherweise  sofort  dasjenige,  um  dessent- 
willen  er  die  Beschwörung  vorgenommen  hat,  so  daß  alles  weitere  episoden- 
haft verlaufen  muß;  bei  einer  KaTOtßaaic  ist  dagegen  der  Held  gar  nicht 
in  der  Lage,  sofort  zum  Ziel  seines  Wunsches  zu  gelangen:  weit  ist  der 
Weg  dahin,  sei  es,  daß  er  einen  im  Elysium  weilenden  Schatten  befragen 
will,  sei  es  daß  es  gilt,  bis  zum  Palast  des  Pluton  und  der  Persephone 
vorzudringen,  um  den  Göttern  der  Tiefe  ein  Begehren  vorzutragen:  auf 
dem  Wege  zu  diesem  Ziel  trifft  der  Held  mit  Notwendigkeit  andere,  die 
ihm  im  Leben  lieb  und  wert  waren  und  bei  denen  er  daher  verweilt.^) 
Solcher  Art  war  die  'HpaKXeouc  KaiaßacTic,  deren  Inhalt  Apollodor 
bibl.  II  122  —  26    berichtet,    sowie    diejenige,    die    Aristophanes    in    den 


1)  Vergl.  Heinze  S.  433:  „Episodisch  ist  die  Nekyia  der  Odyssee  angelegt: 
die  Folge  der  Gruppen  .  .  .  erscheint  zufällig  .  .  .  Aeneas  sieht  nicht  zufällig 
dies  und  jenes;  sein  Weg  führt  zu  Anchises,  und  auf  diesem  Wege  berührt  er 
notwendig  die  sämtlichen  Abteilungen  der  Unterwelt  und  sämtliche  Klassen 
von  Verstorbenen  sieht  er  oder  hört  von  ihnen." 

2)  Man  kann  sich  den  Unterschied  der  beiden  Kompositionsformen  be- 
sonders klar  machen  an  der  von  Silius  im  XIII.  Buch  gegebenen  Nekyia  (400 
bis  895).  Er  wählt  nicht  die  Form  der  vergilischen  KOTdßaoic,  sondern  die 
einer  homerischen  veKUO|LiavTe(a,  wandelt  im  übrigen  aber  natürlich  ganz  in 
Vergils  ..Spuren,  dem  er  vor  allem  auch  das  Motiv  der  Heldenschau  entnimmt. 
Etwas  Öderes  nun  als  diese  Nekyia  ist  kaum  zu  denken:  schon  Vers  515  ist 
die  Handlung  zu  Ende,  denn  Scipio  weiß  jetzt  was  er  will,  da  der  Schatten 
der  von  ihm  evozierten  Sibylle  ihm  alles  prophezeit  hat;  die  ganze  nun  folgende 
'Heldenschau'  ist  nur  ein  unorganisches  Anhängsel,  grenzenlos  dürftig  motiviert 
mit  der  Neugierde  des  Scipio.  Zu  solchen  Konsequenzen  führte  die  Nach- 
dichtung der  homerischen  Nekyia :  um  sich  ihnen  zu  entziehen,  dichtete  Vergil 
eben  keine  veKUia  homerischen,  sondern  eine  KOTÖßaöic  nachhomerischen  Stils. 


SCHLUSZBETRACHTÜNG.  349 

Fröschen  benutzt;  auch  die  orphische  Katabasis  muß,  soweit  wir  darüber 
urteilen  können,  so  komponiert  gewesen  sein,  daß  Orpheus  die  Regionen 
des  Jenseits  durchwandelt,  um  zuletzt  zu  seinem  Ziele,  dem  Palast  der 
Unterirdischen,  zu  gelangen.  Diese  beiden  KttiaßdcTeic  hat,  wie  ich  glaube 
bewiesen  zu  haben  (vergl.  S.  5,  2),  Vergil  gekannt  und  für  einzelne 
Situationen  herangezogen.  So  werden  wir  also  schließen  düi-fen,  daß 
die  reichere  Handlung  und  straffere  Komposition,  die  sein  Gedicht  im 
Vergleich  mit  der  homerischen  Nekyia  aufweist,  sich  vor  allem  aus  der 
Benutzung  der  genannten  KaraßacTic-Gedichte  erklärt. 

Der  Benutzung  uns  verlorener  Jenseitsgedichte  verdankt  Vergil  die 
Konzeption  auch  einzelner  wirkungsvoller  Szenen.  Das  ist  im  Kommentar 
von  Fall  zu  Fall  bewiesen  worden  und  soll  hier  nicht  wiederholt  werden. 
Vielmehr  soll  hier  nur  dasjenige  zur  Sprache  kommen,  was  sich  in  der 
Komposition  mit  Sicherheit  als  Vergils  Eigentum  erkennen  läßt  und 
geeignet  ist,  seine  Kunst  in  der  neuen  Gruppierung  überlieferter  Motive 
zu  zeigen. 

2.  Durch  die  —  künstlerisch  in  Gruppen  zerlegte  —  Aufzählung 
der  am  Hadeseingang  den  Wanderern  begegnenden  Ungeheuer  (273 — 94) 
ist  die  268  —  72  begonnene  Handlung  für  einen  Augenblick  zum  Still- 
stand gekommen:  nun  wird  sie  intensiv  weitergeführt.  Es  folgt  ein 
eigentümlicher  Szenenkomplex  von  jener  Art,  wie  wir  ihn  vorhin  bei 
der  Behandlung  des  Misenus-  und  des  Zweigmotivs  fanden:  die  Begegnung 
des  Aeneas  mit  Charon  und  die  mit  Palinurus  (295 — 416).  Beide 
Motive  sind  entlehnt:  das  Charonmotiv  aus  einem  uns  verlorenen  Gedicht 
(s.  S.  231  ff.),  das  Palinui-usmotiv  ist  eine  Übertragung  des  Elpenormotivs 
der  Odyssee  (s.  S.  177.  224).  Nun  wäre  es  ja  das  Einfachste  gewesen, 
eins  nach  dem  anderen  zu  behandeln:  so  hätte  es  ein  älterer,  episodisch 
komponierender  Dichter  auch  gewiß  gemacht.  Aber  Vergil  schiebt  beides 
ineinander,  sehr  zum  Vorteil  der  Komposition.  Denn  die  Begegnung  mit 
Palinurus  ist  an  sich  betrachtet  nur  ein  zufälliges  Accidens,  das  nicht 
streng  zur  Handlung  gehört,  die  Erreichung  des  reXoc  im  Gegenteil 
verzögert:  dadurch,  daß  diese  Begegnung  mit  der  für  die  Handlung 
wesentlichen  Charonszene  eng  verknüpft  wird,  ist  der  Schein  der  Z\ifällig- 
keit,  des  bloß  Episodischen  aufs  Glücklichste  vermieden.  Will  man  diese 
Verknüpfung  Kontamination  nennen,  so  mag  der  Name  gelten,  wenn  man 
sich  nur  klar  macht,  daß  sie  ein  organisch  gefügtes  Ganzes  ergeben  hat: 
denn  die  kleinen,  auch  hier  nicht  vermiedenen  Unebenheiten  sind  zu 
unbedeutend,  um  den  einheitlichen  Eindruck  des  Ganzen  zu  stören 
(s.  S.  214)  Auch  formal  betrachtet  erhalten  wir  wieder  eine  geschlossene, 
triadische  Komposition:  von  Charon  führt  uns  der  Dichter  zu  Palinurus, 
von  diesem  wieder  zu  Charon. 

Die  Behandlung  des  Palinurusmotivs  im  Vergleich  mit  dem  home- 
rischen Elpenormotiv  ist  auch  im  einzelnen  bezeichnend  für  die  bewußte 
Kunst  der  vergilischen  Umbildimg  überlieferter  Stoffe.  Die  geschickte 
Verbindung  von  Kompositionselementen  homerischer  und  modern-ätiolo- 
gischer Poesie  ist  bereits  im  Kommentar  S.  224 f.  dargelegt  worden;  das 
größere  Ethos  der  vergilischen  Szene  im  Vergleich  mit  der  homerischen 
hat  Heinze  S.  453  analysiert.  Hier  sei  noch  auf  die  kunstreiche  Grup- 
pierung   der   Momente,    aus   denen   die    Szene    sich    zusammensetzt,    hin- 


350  SCHLUSZBETRACHTUNG. 

gewiesen:  in  der  Mitte  steht  das  Hauptstück,  die  Rede  des  Palinurus 
(347  —  71);  sie  wird  umgeben  von  je  einer  kürzeren  Rede  des  Aeneas 
und  der  Sibylle  (341 — 46;  372 — 81);  das  Ganze  ist  eingerahmt  von 
ganz  wenigen,  die  Situation  einleitenden  und  schließenden  Worten  des 
Dichters  (337  —  40;  382  —  83).  Also  eine  pyramidale  Komposition: 
abcba. 

3.  Die  dramatische  Handlung  wird  durch  epische  Erzählung  abgelöst: 
Cerberus  417 — 25,  drei  Gruppen  von  Seelen  der  Zwischenregion  426 — 39. 
Darauf  wieder  eine  hochdramatische  Szene:  die  Begegnung  des  Aeneas 
mit  Dido:  440 — 76.  In  dieser  Szene  verbindet  Vergil  zwei  berühmte 
Szenen  der  homerischen  Nekyia:  Odysseus  und  die  Heroinen  (\  225 — 332), 
Odysseus  und  Aias  (X  543  —  64).  Hier  erkennen  wir  wiederum  deut- 
lich sein  Streben  nach  Konzentration  und  sachlicher  Motivierung  der 
Handlung:  Odysseus  hat  zu  den  Heroinen,  deren  ycvoc  er  erkundet, 
keine  persönlichen  Beziehungen;  Aeneas  spricht  nur  die  eine  Dido  an, 
und  wir  erleben  das  Nachspiel  der  im  IV,  Buch  erzählten  Liebestragödie. 
Die  Übertragung  des  großartigen  Motivs  von  dem  schweigend  grollenden 
homerischen  Heros  auf  die  Heroine,  die  von  den  „süßen  Liebesworten" 
des  Aeneas  ungerührt  bleibt  und  ohne  ein  Wort  der  Erwiderung  von 
dem  noch  immer  Geliebten  scheidet,  ist  wahrscheinlich  Vergils  eigne  Er- 
findung (s.  S.  242):  eine  der  besten,  die  ihm  gelungen  ist.  Im  einzelnen 
werden,  wie  im  Kommentar  gezeigt  ist,  Motive  der  hellenistischen  Erotik 
reichlich  verwendet,  aber  ohne  jede  Spur  von  Sentimentalität  oder  Tän- 
delei: es  ist  eine  6)LiiXia  fipuuiKoTc  irpodiUTTOic  TTpeiroucTa,  würdig  der- 
jenigen des  IV.  Buchs,  die  uns  Heinze  verstehen  lehrte. 

4.  Es  folgt  die  Begegnung  des  Aeneas  mit  den  im  Kriege  gefallenen 
Helden  (477flf.).  Wie  aus  der  Masse  der  axaqpoi  Palinurus,  der  aus 
Liebesgram  gestorbenen  Heroinen  Dido,  so  wird  hier  aus  der  großen 
Liste  der  ßiaio6dvaTOi  wieder  einer  herausgehoben,  dessen  Gespräch  mit 
Aeneas  der  Dichter  referiert,  Deiphobus  (494 — 547):  somit  erhalten  wir 
in  dieser  Zwischenregion  eine  übersichtliche  Trias  von  Dialogen  im  Gegen- 
satz zu  der  Vielzahl  der  homerischen  (Elpenor,  Teiresias,  Antikleia,  mehrere 
Heroinen,  Agamemnon,  Achilleus,  Aias).  Die  Begegnung  des  Aeneas  mit 
Deiphobus  ist  derjenigen  des  Odysseus  mit  Agamemnon  (X  385 — 466) 
ziemlich  genau  nachgebildet:  dem  von  Klytaimestra  und  Aigisthos  hin- 
gemetzelten Griechenfürsten  entspricht  der  von  Helena  und  Menelaus 
grausam  ermordete  Trojanerprinz.  Aber  auch  hier  sehen  wir  Vergil 
wieder  bemüht,  die  durch  das  homerische  Vorbild  gegebene  Situation 
sachlich  zu  motivieren:  es  ist  der  Bruder,  der  hier  dem  Aeneas  seine 
Leidensgeschichte  erzählt.  Dadurch,  daß  sie  beide  an  gemeinsame  Erleb- 
nisse anknüpfen  (502ff.  513f.),  wird  der  Dialog  bei  Vergil  lebhafter 
und  persönlicher:  man  hat  auch  hier  wieder  das  Gefühl,  daß  die  Be- 
gegnung mit  Deiphobus  (wie  die  mit  Palinurus  imd  Dido)  durch  die 
Situation  bedingt  ist,  daß  sie  die  Haupthandlung  zwar  retardiert  —  das 
deutet  der  Dichter  selbst  Vers  53 7  ff,  an  — ,  dennoch  aber  nicht  zufällig, 
sondern  notwendig  ist.  Eine  größere  Symmetrie  als  Homer  erreicht 
Vergil  dadurch,  daß  er  an  die  Stelle  der  dreimaligen  Rede  des  Odysseus 
und  der  zweimaligen  des  Agamemnon  je  eine  Wechselrede  des  Deiphobus 
mit  Aeneas   und   mit   der   Sibylle   treten  läßt,    alles    weitere  durch   die 


SCHLUSZBETRACHTÜNG.  351 

Intervention  der  Sibylle  (535  ff.)  abschneidet  (s.  über  diese  Technik 
S.  262 f.).  In  der  künstlerischen  oiKOVOjLiia  übertrifft  der  Nachdichter 
also  wieder  das  Original;  aber  an  poetischem  Gehalt  bleibt  seine  Szene 
doch  weit  hinter  der  homerischen  zurück:  das  gewaltige  Ethos,  mit  dem 
der  König  der  Griechen  seine  Leidensgeschichte  berichtet,  ersetzt  der 
Priamide  durch  ein  Pathos,  das  sich  bis  zum  Fluche  steigert  (530). 

5.  Die  Tartarusszene  (548 — 627)  bot  der  poetischen  Behandlung 
ein  Problem  dar.  Sollte  Vergil  seinen  Helden  wie  durch  die  anderen 
Regionen  des  Jenseits  so  auch  durch  den  Tartarus  geführt  werden  und 
ihn  dessen  Schrecknisse  schauen  lassen?  Wie  schwer  es  dabei  gewesen 
wäre,  immer  das  TTperrov  zu  wahren,  sehen  wir  z.  B.  an  Dante,  der  in 
dem  ersten  Teil  seines  Gedichts  von  Vergil  bewußt  abweicht  und  hier 
neben  unsterblichen  Szenen  auch  solche  geschaffen  hat,  die  dem  empfind- 
lichen Kunstverstand  seines  bewunderten  Meisters  ästhetisch  bedenklich 
erschienen  wären.  Neben  dem  ästhetischen  Bedenken  gab  es  für  Vergil 
einen  anderen  Grund,  der  ihn  diese  Art  der  Komposition  nicht  wählen 
üeß.  Eine  Vision  hätte  ihren  Hauptzweck,  glaubhaft  zu  sein,  verfehlt, 
wenn  sie  nicht  von  dem  Visionär  selbst,  sondern  einem  Dritten,  hier  also 
dem  Dichter,  erzählt  worden  wäre.  Schon  in  der  großen  Interpolation 
der  homerischen  Nekyia,  wo  die  Situation  des  an  seiner  Grube  stehenden 
Odysseus  verlassen  wird  (565 — 627),  ist  es  die  Icherzählung,  in  welche 
die  Vision  eingekleidet  wird  (ibov,  eicJevöricra  u.  s.  w.),  und  sie  ist  in 
der  Folgezeit  wohl  durchaus  die  Eegel  geblieben.  Eine  Icherzählung 
seines  Helden  war  aber  für  Vergil  innerhalb  des  Rahmens  seiner  KttTCt- 
ßacJic  ausgeschlossen.  So  findet  er  den  eigentümlichen  Ausweg,  die 
Offenbarung  als  eine  Icherzählung  der  Sibylle,  der  Führerin  des  Aeneas, 
zu  geben.  Nur  den  Vorhof  des  Tartarus  läßt  er  den  Aeneas  selbst 
schauen  (549  videt,  574  cernis),  aber  das  Innere  die  Sibylle  ihm  offen- 
baren.^) Damit  es  aber  glaubhaft  erscheine,  daß  die  Sibylle,  die  Reine, 
den  Ort  der  Verdammnis  kennt,  läßt  er  sie  von  Hekate,  der  Göttin,  der 
sie  im  Avemerhain  dient,  einst  durch  den  Tartarus  geführt  worden  sein 
(5 64  f.).  Das  ist  sichtlich  ein  der  Situation  zuliebe  erfundenes  7r\d(T)ia 
des  Dichters:  wir  hören  die  apokalyptische  Rede  der  Prophetin  nun  mit 
vollem  Glauben,  sie  kann  ja  das  von  ihr  Geschaute  in  eigner  Person 
berichten  (582.  585  vidi  596  cernere  erat).  Zugleich  schafft  sich  der 
Dichter  durch  diese  Fiktion  die  Möglichkeit,  das  von  ihm  redend  ein- 
geführte TTpö(Tuj7T0V  aus  der  Fülle  des  Stoffes  nach  Belieben  auswählen 
zu  lassen  (vergl.  625 ff.);  hätte  er  diese  Dinge  von  seiner  Person  aus 
berichtet,  so  würden  wir  von  ihm  Vollständigkeit  verlangt  haben:  die 
aber  hätte  sich,  wie  bemerkt,  mit  der  Erhabenheit  seines  allem  Unästhe- 
tischen abholden  Stils  nicht  vertragen.  So  aber  ist  es  ihm  gelungen, 
die  grellen  Farben  der  von  ihm  benutzten  Schilderungen  des  Tartanis 
abzutönen  imd  die  Exzesse  der  Phantastik  auf  ein  die  Feinfühligkeit 
des  Hörers  nicht  beleidigendes  Maß  zurückzuführen,  ohne  daß  dem  Ganzen 
der  Eindruck  des  grotesk  Furchtbaren  dadurch  verloren  ginge.  Die 
großen  Sünder  der  Sage  werden  mit  solchen  des  Lebens  zu  einem  gewal- 


1)  Diese  Kombination  verschiedener  Kompositionsformen  hat  eine   kleine 
Unebenheit  zur  Folge  gehabt:  s.  S.  266. 


352  SCHLÜSZBETRACHTUNG. 

tigen  Gemälde  vereinigt,  auf  dem  griechische  und  nationalrömische  Farhen 
eigenartig  gemischt  sind.  Der  Dichter  wird  durch  den  Mund  der  Pro- 
phetin Apollos  zum  Prediger:  cliscite  iustitiam  moniti  et  non  temner e  divos; 
der  religiöse,  sittliche,  soziale  und  politische  Ruin  der  Revolutionszeit 
wird  an  einigen,  in  die  altersgraue  Vergangenheit  zurückverlegten  typischen 
Verbrechen  und  ihrer  Strafe  mit  großen  Zügen  geschildert.  So  arbeitete 
Vergil  in  seiner  Art,  wie  Horaz  in  den  etwa  gleichzeitig  verfaßten  Römer- 
oden, mit  an  dem  großen  Restaurationswerke  des  Augustus. 

6.  Die  Schilderungen  des  Tartarus  (548 — 627)  und  des  Elysiums 
(637 — 78)  werden  durch  eine  kurze  Handlung  (628 — 36)  auseinander 
gehalten:  Aeneas  heftet  den  goldnen  Zweig  an  das  Tor  des  Palastes 
der  Totenkönigin.  Man  hat  die  Vorstellung,  daß  Vergil  hier  seine  Vor- 
lage stark  gekürzt  und  verändert  hat.  Liegt  es  nicht  in  der  Natur  der 
Sache,  daß  der  mühsam  gewonnene  Zweig,  'den  die  schöne  Proserpina 
sich  als  ein  ihr  zu  eigen  gehörendes  Geschenk  bringen  läßt'  (Vers  14 2 f.), 
ihr  von  dem  glücklichen  Finder  persönlich  überreicht  werden  muß?  Mit 
Zweigen  in  der  Hand  treten  ja  die  Mysten  auf  dem  oben  S.  169  er- 
wähnten Pinax  von  Eleusis  vor  die  Göttin  der  Tiefe;  Herakles,  Dionysos 
und  Orpheus  haben  den  Palast  betreten,  sind  nicht,  wie  Aeneas,  an  der 
Schwelle  vorbeigegangen.  Hier  fehlt  also,  wenn  nicht  alles  täuscht,  das 
eigentliche  TeXoc  des  Zweigmotivs:  statt  die  Übergabe  persönlich  statt- 
finden zu  lassen,  begnügt  sich  der  Dichter  mit  dem  Symbol  der  Dedika- 
tion:  ramumque  adverso  in  limine  ßgit  (636). 

7.  Als  Gegenstück  zu  der  grotesk  furchtbaren  Szenerie  des  Tartarus 
folgt  die  idyllisch  liebliche  des  Elysiums  (637  —  78).  Dieses  läßt 
Vergil  seinen  Helden  mit  Aeneas  durchschreiten;  hier  also  darf  er  selbst 
schildern^),  Motive  edelster  griechischer  Poesie  in  kunstvoll  gewählter 
Diktion  wiederklingen  lassen,  mit  wenigen  großen  Strichen  ein  Vollbild 
schaffen,  das  lange  Generationenreihen  hindurch  angestaunt  worden  ist 
und  seine  Wirkung  auch  auf  uns  nicht  verloren  hat,  die  wir  es  im 
Spiegel  der  verklärenden  Poesie  Dantes  zu  schauen  gewöhnt  sind.  War 
der  Dichter  in  der  Tartarusszene  ein  warnender,  fast  drohender  Prediger, 
so  gibt  er  hier  den  Guten  die  verheißungsvolle  Verkündigung  ewiger 
Wonnen;  wer  den  Heldentod  fürs  Vaterland  gestorben  ist,  die  reinen 
Priester  der  Götter  und  die  Musarum  sacerdotes,  wer  die  Kultur  der 
menschlichen  Gesellschaft  veredelt  hat  durch  Erfindung  neuer  Künste 
(insonderheit  die  Philosophen)  und  diejenigen,  die  im  engeren  Sinne 
Wohltäter  ihres  Vaterlandes  geworden  sind:  sie  alle  werden  der  ewigen 
Seligkeit  teilhaftig  werden  (660—65;  vergl.  Einleit.  S.  33 ff.).  Man 
merkt  leicht,  daß  der  Dichter  auch  hier  ein  Prophet  des  großen  Zeit- 
alters ist,  dem  er  angehört;  bei  den  zuletzt  genannten  euepTtTai  dachte 
gewiß  jeder  Leser  an  Augustus,  dessen  „Wohltaten"  der  Bürger  in  der 
Stadt,  der  Schiffer  auf  dem  Meer,  der  Bauer  auf  seiner  Scholle,  und 
nicht  am  wenigsten  Dichter,  Gelehrte,  Künstler  priesen,  die  der  Munifizenz 
dieses  GuepTexric  die  behagliche  Muße  und  die  königliche  Belohnung  ihres 
Schaffens  dankten. 


1)  Seine    Vorlage    ließ    vermutlich    auch    das   Elysium    visionär   geschaut 
werden:  verffl.  Vers  677 f.  mit  dem  Kommentar. 


SCHLUSZBETRACHTUNG.  353 

8.  Nun  strebt  die  Handlung  mächtig  ihrem  TcXoc  zu.  Drei 
Szenen  sind  es,  die  zu  diesem,  der  Heldenschau,  hinstreben.  Erste  Szene 
679  —  702.  Anchises  ist  gefunden.  Eine  bei  aller  Kürze  eindrucksvolle, 
dramatische  Szene  des  Wiedersehens  mit  Benutzung  von  Motiven  zweier 
homerischen  Szenen:  Odysseus  und  Antikleia,  Odysseus  und  Laertes 
(s.  S.  296).  Durch  eine  geschickte  Erfindung,  ähnlich  der  bei  dem 
Misenus-  und  Palinurusmotiv  notierten,  wird  diese  Szene  mit  dem  großen 
Schlußakt,  der  Heldenschau,  verknüpft:  Anchises  ist,  als  Aeneas  ihn 
findet,  gerade  damit  beschäftigt,  die  Helden  zu  mustern  (679  —  83). 
Zweite  Szene  703 — 23:  Exposition  der  Situation,  lebhafter  Dialog  des 
fragenden  Aeneas  und  des  antwortenden  Anchises.  Dritte  Szene  724 — 51: 
die  bibaxn  'Afxiö'ou  irepi  TraXiTTevecJiac ,  erhabene  Gedanken  in  ein 
feiertägliches  Gewand  gekleidet. 

9.  Nun  wird  die  bibaxn  zur  dtTTOKdXuvpic.  ^)  Wir  stehen  auf  der 
Grenze  der  beiden  großen  Teile,  in  die  die  Aeneis  zerfällt;  wenn  Aeneas 
wieder  an  das  Licht  des  Tages  emporgestiegen  sein  wird,  so  soll  seine 
eigentliche  Mission  beginnen,  condere  urbem  et  inferre  deos  Latio.  Bis- 
her weiß  er  von  dem  Schicksal,  das  seiner  und  der  Seinen  in  dem  oft 
verheißenen,  nun  bald  gefundenen  Lande  wartet,  nur  das  Allgemeinste, 
und  dieses  ist  nicht  sehr  tröstlich:  furchtbare  Prodigien  sind  ihm  in 
Aussicht  gestellt;  soeben  noch  hat  er  von  der  Sibylle  gehört,  daß  er 
schwere  Kämpfe  werde  zu  bestehen  haben  wie  einst  in  Troja.  So  liegt 
Schweres  hinter  ihm,  nicht  minder  Schweres  wird  die  Zukunft  bringen. 
Zwar  weiß  er,  daß  mit  der  Götter  Hilfe  auch  dieses  endlich  zum  Heile 
sich  wenden  wird  (96);  aber  seine  Stimmung  ist  trotz  des  Bewußtseins, 
bald  am  örtlichen  Ziel  der  Irrfahrt  zu  sein,  noch  ernst  und  gedrückt: 
er  will  das  Schwere  tragen,  weil  er  muß  (103 — 5).  Nicht  mit  dem 
Mute  der  Eesignation  aber  soll  er  das  gelobte  Land  betreten:  Anchises 
will  ihm  die  Heldengenerationen  seines  Stammes  zeigen,  quo  magis  Italia 
nobis  laetere  reperta  (718).  Als  er  sie  geschaut  hat,  kann  er  zur 
Oberwelt  entlassen  werden  mcensus  famae  venientis  amore  (889).  So 
wird  er  dort  in  freudigem  Siegesbewußtsein  an  sein  großes  Werk  schreiten. 

Dieses  ist  die  Bedeutung  der  'Heldenschau'  (753 — 886)  im  Zu- 
sammenhang des  Gedichts.^)  Aber  Aeneas  wird  hier  zum  inkamierten 
Eepräsentanten  nationalen  Römertiuns:  Romane  läßt  der  Dichter  den 
Anchises  sagen  (851)  und  damit  über  die  momentane  Situation  hinaus- 
greifen, das  Lidividuelle  verallgemeinern.  Tatsächlich  ist  ja  die  'Helden- 
schau', genauer  gesprochen  die  lange  protreptische  Rede  des  Anchises 
(s.  S.  3050".),  ein  großartiger  an  die  gesamte  Nation  gerichteter  Appell 
zur  virtus  (806),  zurückverlegt  in  die  mythische  Vorzeit,  die  eben  jetzt 
in  dem  großen  Nachkommen  des  Aeneas  wieder  erlebte  Geschichte,  leben- 
digste Gegenwart  geworden  war.     Mit  jenen  weltgeschichtlichen  Worten, 


1)  Daß  die  'Heldenschau'  nur  durch  eine  sehr  künstliche  Kombination  mit 
der  von  Vergil  benutzten  philosophischen  Darstellung  verknüpft  ist,  wurde 
S.  46 f.  nachgewiesen.  Femer  ist  S.  42 f.  bemerkt,  daß  die  Sibylle  von  dem 
Augenblick  an,  wo  Anchises  gefunden  ist,  zu  einem  Kuiqpöv  TTpööuu-irov  de- 
gradiert wird,  ein  Mißgriff,  dessen  Ursprung  ebendaselbst  aufgezeigt  wurde. 

2)  Das  hat  Heinze  S.  270  festgestellt.  In  der  Deutung  der  Verse  103—5 
(oben  S.  152  f.)  bin  ich  mit  ihm  zusammengetroifen. 

YxBaii.  Buch  VI,  von  Norden.  23 


354  SCHLUSZBETRACHTUNG. 

die  Vergil  selbst  nur  konzipieren  konnte  im  Zentrum  einer  Kultur  von 
nie  wieder  dagewesener  Ausdehnung  und  Stärke,  schließt  der  erste  größere 
Teil  der  Rede  des  Anchises  (853).  Denken  wir  uns  nun,  daß  ein  deutscher 
Dichter  bald  nach  dem  glorreichen  Kriege  eine  Heldengalerie  deutscher 
Männer  von  Arminius  an  hätte  schaffen  wollen:  er  würde  es  sich  nicht 
haben  nehmen  lassen,  mit  ähnlichen  Worten  monumentalen  Stolzes  seine 
ganze  Komposition  zu  beschließen,  und  jeder  Leser  würde  einen  der- 
artigen Schluß  als  den  Ausdruck  seines  eignen  von  stolzer  Siegesfreude 
gehobenen  Empfindens  für  selbstverständlich  gehalten  haben.  Aber  darin 
wich  das  antike  Empfinden  vom  modernen  ab:  Vergils  Leser  hätten  es 
vermutlich  als  Hybris  empfunden,  wenn  der  Dichter  mit  diesen  Worten 
geschlossen  hätte,  und  seiner  eignen  Natur  wäre  ein  solcher  Schluß  zu- 
wider gewesen.  Durchzieht  doch  die  ganze  Rede,  wie  S.  307  zu  zeigen 
versucht  wurde,  die  durch  geschichtliche  Überlieferung  und  eigne  Erleb- 
nisse gewonnene  Überzeugung,  daß  der  Siegeszug  der  Roma  über  den 
orbJs  terrarum  auch  durch  dunkle  Strecken  geführt  habe,  ja  daß  die 
Existenz  des  Staates  durch  Bürgerkriege  einst  gefährdet  worden  sei. 
Die  Generation,  deren  Gefühle  der  Dichter  ausspricht,  hatte  sich  zwar 
aus  der  Nacht  zum  Licht,  aus  dem  Chaos  zur  Ordnung,  aus  der  Ver- 
schuldung zur  Sühne  emporgearbeitet,  aber  die  ernste  Betrachtung  der 
menschlichen  Dinge  nahm  sie  mit  hinüber  in  den  Glanz  der  neuen  Ära: 
keiner,  der  das  augusteische  Zeitalter  in  seinen  großen  politischen  und 
literarischen  Vertretern  überblickt,  wird  behaupten  wollen,  daß  all  die 
berechtigten  Ausdrücke  des  Jubels  und  der  Freude  nicht  gemäßigt  worden 
wären  durch  jene  ernste  Stimmung,  die  dann  ein  Jahrhundert  später 
Tacitus  so  ergreifend  in  Worte  zu  fassen  verstanden  hat.  Und  dieser 
pessimistische,  besser  fatalistische  Glaube  schien  ja  eine  neue  Gewähr 
erhalten  zu  haben,  als  auf  dem  Höhepunkte  seines  persönlichen  Glücks 
und  desjenigen  der  Nation  der  Liebling  des  Kaisers  und  des  Volkes 
durch  einen  jähen  Tod  dahingerafft  wurde  und  mit  ihm  der  Glanz  des 
lulmm  sidus  zu  erbleichen  drohte.  „Übermenschlich  wäre  unser  Ruhm 
gewesen,  wenn  die  Götter  uns  dieses  ihr  schönstes  Geschenk  zu  dauern- 
dem Besitze  gelassen  hätten:  so  haben  sie  ihn  uns  nur  gezeigt,  um  ihn 
wieder  zu  sich  zu  nehmen":  so  werden  die  Besten  der  Nation  empfunden, 
sa  mag  der  Kaiser  an  der  Bahre  seines  Neffen  und  Schwiegersohns  ge- 
sprochen haben,  so  hat  es  Vergil  in  seinen  schwermütigen  Versen  for- 
muliert. Aus  dieser  religiösen  Stimmung  heraus  schließt  er  —  auch 
abgesehen  von  rein  technischen  Erwägungen  (s.  S.  330  f.)  —  nicht  mit 
jenem  Siegesruf  nationalen  Stolzes,  sondern  mit  dem  ernsten  e7TiKr|beiOV 
MapKcWou  (854 — 86):  poetisches  Schaffen  ist  ihm  noch,  wie  den  alten 
Dichtern,  religiöse  Kunstübung  gewesen. 

10.  Die  Handlung  wird  skizzenhaft  zu  Ende  geführt  (886  —  900) 
und  dadurch  das  ganze  Buch  auch  formell  zu  einer  Einheit  abgerundet 
(s.  S.  110  und  340f.). 


Fassen  wir  alles  zusammen,  um  ein  abschließendes  Gesamturteil  über 
den  poetischen  Wert  dieses  Buches  abzugeben,  so  werden  wir  sagen 
dürfen:  im  Einzelnen  manche  Fehler,  Mißgriffe,  Widersprüche,  vergebliche 


SCHLUSZBETRACHTUNG.  355 

oder  künstliche  Versuche,  die  Vielheit  der  benutzten  Quellen  zu  einer 
Einheit  zu  verbinden,  und  dennoch  im  Ganzen  ein  bedeutendes  Kunst- 
werk, wüi-dig  der  großen  Zeit,  in  der  es  entstanden  ist.  Wenn  es  ein 
Zeichen  wahrhaft  klassischer  Poesie  ist,  daß  sie  einerseits  aus  dem  Fühlen 
ihrer  Zeit  herausgeboren  sein  und  andrerseits  sich  doch  über  das  Zeit- 
liche erheben  muß,  so  wird  man  dieses  Adelsdiplom  unserem  Gedicht 
erteilen  dürfen.  Denn  was  von  der  Aeneis  im  Ganzen  gilt,  das  gilt  im 
Besonderen  auch  von  diesem  ihrer  Teile.  Die  vergilische  Nekyia  ist 
ohne  den  Hintergrund  des  augusteischen  Zeitalters  undenkbar,  sie  ist  ein 
bpä|ia,  das  sich  abspielt  auf  der  Bühne  des  kaiserlichen  Roms,  dessen 
sittliche,  religiöse  und  politische  Ideale  sie  in  monumentalen  Gestalten, 
packenden  Szenen,  erhabenen  Gedanken  und  Worten  zusammenfaßt.  In 
die  Seele  des  größten  Sohnes  jener  großen  Zeit  müssen  wir  xms  also 
zu  versenken  suchen,  als  der  Dichter  ihm  dieses  Buch  vorlas,  in  dem 
der  Kaiser  die  Ziele,  die  er  verfolgte,  poetisch  verklärt,  die  Vergangen- 
heit mit  der  Gegenwart,  die  Gegenwart  mit  den  Zukunftshoffnungen  wie 
zu  einem  schönen  Traumbilde  vereinigt  und  sich  selbst  als  den  Vollender, 
den  Wohltäter,  den  Retter  der  Welt  geschildert  fand.  Denn  er  selbst 
bildet  in  seinem  Ahn  ja  den  Mittelpunkt  des  Ganzen  auch  da,  wo  er 
nicht  eigens  genannt  ist,  und  er  selbst  wieder  ist  der  inkarnierte  Ver- 
treter des  Römertums,  das  die  Götter  in  planvoller  Leitung  durch  alle 
Schrecknisse  hindurchgerettet  hatten  und  das  eben  damals  seinen  Bund 
mit  dem  Hellenentum  als  dem  Träger  der  Kultur  schloß.  Auf  der 
Basis  dieser  Weltkultur  erhebt  sich  auch  die  unsrige:  so  erhält  das 
Gedicht,  das  den  Gedanken  jener  Kultur  Ausdruck  verliehen  hat,  eine 
über  seine  zeitliche  und  örtliche  Beschränktheit  hinausragende  Bedeutung. 
Als  dann  das  Christentum  ein  neuer  Faktor  jener  Weltkultur  wurde, 
hat  es  mit  besonderer  Liebe  diesen  Dichter  zu  dem  seinigen  gemacht, 
der,  fast  an  der  Grenze  der  neuen  Zeit  stehend,  Ideen  formuliert  hatte, 
in  denen  der  Christ  staunend  die  eignen  wiedererkannte. 


23^ 


IV. 

STILISTISCH-METRISCHE 
ANHÄNGE 


In  diesen  Anhängen  ist  eine  Reihe  von  Untersuchungen  nieder- 
gelegt, die  mit  dem  vorstehenden  Kommentar  eng  verknüpft  sind:  um 
nämlich  nicht  gezwungen  zu  werden,  durch  stückweises  Zitieren  inner- 
halb des  Kommentars  in  sich  zusammenhängende  Fragen  zu  zerteilen, 
habe  ich  vorgezogen,  sie  hier  systematisch  zu  behandeln  und  an  den 
betreffenden  Stellen  des  Kommentars  auf  die  Anhänge  zu  verweisen. 
Vollständigkeit  des  Materials  ist,  außer  wo  sie  durch  die  Sache  selbst 
geboten  schien,  nicht  angestrebt  worden;  immerhin  reichen  meine  Samm- 
lungen dazu  aus,  gewisse  für  meine  Zwecke  wichtige  Fragen  im  Prinzip 
zu  entscheiden. 


I. 

Ennianische  Reminiscenzen  bei  Vergil. 

Eine  auch  nur  annähernd  richtige  Vorstellung  von  der  Art  und 
dem  Umfang,  wie  Vergil  seine  Vorgänger  sprachlich  benutzt  hat,  läßt 
sich  auf  Grund  tatsächlichen  Materials  nicht  mehr  gewinnen,  da  die  für 
ihn  hauptsächlich  in  Betracht  kommenden  Literaturgattungen,  Epos  und 
Tragödie,  uns  bis  auf  dürftige  Reste  verloren  sind.  Auch  die  Schiiffcen, 
in   denen   diese   sog.  *furta'  des  Dichters  zusammengestellt  waren^),   sind 


1)  Ich  finde  nicht  erwähnt,  daß  diese  uns  aus  der  Suetonvita  xmd  Macrobius 
bekannte  Literaturgattung  nichts  anderes  ist  als  eine  Übertragung  eines  in 
hellenistischer  Literatur  beliebten  fivoc  auf  römische  Verhältnisse,  wie  das 
bekannte  Exzerpt  des  Eusebios  (praep.  ev.  X  3)  aus  Porphyrios'  qpiXöXoYoc 
diKpöaaic  beweist,  dessen  Zitate  bis  auf  Aristophanes  von  Byzanz  hinaufführen. 
Wer  mithin  den  Vergilobtrectatoren  in  ihrer  Beurteilung  der  ''farta'  Vergüs 
Glauben  schenkt,  muß  bedenken,  daß  er  den  Dichter  in  der  guten  Gesellschaft 
z.  B.  eines  Menandros  und  des  Oeioc  TTXdTUJv  findet.  Wie  verständige  Männer 
die  'furta'  Vergüs'  beurteilten,  zeigt  Plinius  n.  h.  praef.  22  scito  conferentem 
auctores  me  deprehendisse  a  iv/ratissimis  et  proximis  veteres  transscriptos  ad 
verbum  neque  nominatos,  non  illa  Vergiliana  virtute,  ut  eertarent  und 
der  vorzügliche  Gewährsmann  des  Macrobius  sat.  VI  1,  6  iudicio  transferendi 
et  modo  imitandi  consecutus  est  ut  qiiod  apud  illum  legerimus  alienum  .  .  . 
melius  hie  quam  uhi  natum  est  sonare  miremur,  ganz  wie  es  bei  Porphyrios- 
Eusebios  1.  c.  §  15  heißt:  äyainai  ArnuoaG^vriv,  et  Xaßuuv  -rrapa  'Yirepeibou  irpoc 
b^ov  öiiüpeujoe  und  20  6  6'  'AvTi|Liaxoc  xä  '0|Lirjpou  kX^tttujv  rrapa&iopGoi 
ktX.  ;  vergl.  auch  die  vorzüglichen  schol.  Dan.  zu  aen.  11  797  adamat  poeta  ea 
quae  legit  diverso  modo  proferre  und  III  10  amat  poeta  quae  legit  immutata  aliqua 
parte  vel  personis  ipsis  verbis  proferre,  beide  mit  Belegen  aus  Vergüs  Naevius- 
Imitation;  sowie  Servius  zu  E  501  'at  tuha  terrihilem  sonitum' :  hemistichium 
Ennii.  nam  sequentia  ('procul  aere  canwo  \  increpuifj  iste  mutavit:  ille  enim 
ad  exprimendum  tübae  sonum  ait  'taratantara  dixif .  et  multa  huius  modi 
Vergilius  cum  aspera  invenerit,  mutat.  Mit  ganz  demselben  Argument, 
der  (stilistischen)  Korrektur  des  'geplünderten'  Vorgängers  entschuldigt  schon 
Cicero    den   Ennius    an    der    denkwürdigen   SteUe   Brut.  76    'scripsere''    inquit 


360  ANHANG  I. 

verschollen;  was  unsere  Schollen  und  Macrobius  daraus  mitteilen,  ist 
minimal  im  Verhältnis  zu  dem  ursprünglichen  Bestand:  wußte  doch  der 
filius  terrae  Q.  Octavius  Avitus  acht  volumina  damit  zu  füllen  (Sueton 
p.  65 f.  Eeijff.).  Freilich:  was  an  ganzen  Versen  Vergil  wörtlich  aus 
älteren  Dichtern  zitiert  hatte,  das  mag  von  Servius  und  Macrobius  aus 
den  alten  guten  Kommentaren  ziemlich  genau  ausgehoben  worden  sein. 
Aber  das  war  ja  auch  verschwindend  wenig ^):  das,  womit  jene  Vergilio- 
mastix  acht  Rollen  füllte,  müssen  vor  allem  Versteile,  Floskeln,  phraseo- 
logische Reminiscenzen  gewesen  sein,  und  da  darf  es  uns  nicht  wundem, 
daß  es  so  viele  volumina,  sondern  daß  es  nicht  noch  mehr  gewesen 
sind.^)  Denn  wie  weit  diese  Art  von  Benutzung  seiner  Vorgänger, 
speziell  des  Ennius  gegangen  sein  muß,  läßt  sein  Verhältnis  zu  Lucrez 
wenigstens  ahnen:  der  Abschnitt  unseres  Buches,  der  ein  philosophisches 
Problem  lehrhaft  expliziert  (724 — 51),  ist,  wie  im  Kommentar  gezeigt 
wurde,  ganz  in  der  Art  des  Lucrez  und  mit  stärkster  Verwendung  von 
dessen    Diktion    gedichtet.^)      Es    erscheint    mir    schon    a    priori    selbst- 

(Ennius)  ' alü  rem  vorsibus''  —  et  luculenter  quidem  scripserunt,  etiamsi  minus 
quam  tu  polite.  nee  vero  tibi  aliter  videri  debet,  qui  a  Naevio  vel  sumpsisti 
multa,  si  fateris,  vel  si  negas,  surripuisti.  Daß  diese  Literatur  über  litera- 
rischen Diebstahl  in  Rom  mindestens  bis  auf  die  sullanische  Zeit  zurfickgeht 
(schon  einige  Repliken  der  Terenz-Prologe  scheinen  sie  zur  Voraussetzung  zu 
haben),  lehren  die  Verse  aus  einem  Prolog  des  Afranius,  die  Macrobius  1.  c.  4 
gewissermaßen  als  Motto  seinen  Erörterungen  über  die  furta  Vergils  voran- 
schickt und  die  auch  hier,  weil  sie  für  die  Beurteilung  der  vergilischen  Praxis 
tatsächlich  schlagend  sind,  Platz  finden  mögen  (25 ff.  Ribb.): 

sumpsi  nön  ab  illö  Csc.  Menandro)  modo 

sed  ut  quisque  habuit,  conveniret  quod  mihi 

quodque  me  non  passe  melius  facere  credidi, 

etiam  a  Latino. 
Wie  man  dagegen  wirkliche  furta  beurteilte,  zeigt  Horaz  ep.  I  3,  15  ff. 

1)  Vergl.  Leo,  Hermes  XXXVE  1902,  53 f.  —  Lehrreich  Servius  zu  X  396 
C semianimesque  micant  digiti  ferrumque  retractanV):  Ennii  est,  ut  . . .  'setniani- 
mesque  micant  oculi  lucemque  requirunf ;  quem  versum  ita  ut  fuit  transtulit  ad 
suum  Carmen  Varro  Ätacinus,  und  zu  VI  846  ('unus  qui  nobis  cunctando  resti- 
tuis  rem''):  sciens  Vergilius  quasi  pro  exemplo  hunc  versum  posuit:  also  die  Aus- 
nahmen werden  als  solche  notiert  und  motiviert.  —  Wie  die  Bemerkung  des 
Servius  zu  buc.  10,  46:  hi  autem  omnes  versus  Galli  sunt,  de  ipsius  translati 
carminibus  zu  beurteilen  ist,  zeigt  die  Analogie  des  schob  Bern,  zu  georg.  II  93  f. 
('et  passo  psithia  utilior  tenuisque  lageos  \  temptatura  pedes  olim  vincturaque 
linguam'):  hos  versus  a  Calvo  poeta  transtulit.  ait  enim  ille  'lingua  vino  temptatur 
et  pedes'' ,  d.  h.:  es  handelt  sich  bei  allgemeinen  Angaben  solcher  Art  um  den 
Gedanken,  nicht  um  den  Vers  selbst.  Analog  schob  Dan.  zu  g.  I  375  hie  locus 
de  Varrone  est,  ille  enim  sie,  worauf  7  Verse  folgen  von  denen  nur  einer  wört- 
lich von  Vergil  übernommen  ist;  Servius  zu  V  591  est  versus  Catulli:  der  Vers 
Vergils  lautet  prangeret  indeprensus  et  inremeabilis  error'' ,  der  Catulls  (64,  115) 
Hecti  frustraretur  inobservabilis  error.  Vergl.  femer  die  Schollen  zu  g.  IH  293. 
aen.  II  241.  IV  1.  V  426.  VHI  631.  X  807.  XI  601.  608.  XII  115. 

2)  Für  den  Umfang  bezeichnend  sind  die  bekannten  Untersuchungen 
A.  Zingerles  über  Ovidius  und  sein  Verhältnis  zu  den  Vorgängern  (Innsbruck 
1869 — 71).  Wenn  man  bedenkt,  daß  das  uns  zur  Vergleichung  überlieferte 
Material  nur  einen  kleinen  Teil  des  von  Ovid  tatsächlich  benutzten  bildet  und 
daß  dennoch  die  Quantität  der  entlehnten  Floskeln  und  Versteile  eine  so  über- 
wältigend große  ist,  wird  man  der  im  Text  ausgesprochenen  Behauptung  zu- 
stimmen. 

3)  Vergl.  Gellius  I  21,  7  non  verba  autem  sola  sed  versus  prope  totos  et 
locos  quoque  Lucreti  plurimos  sectatum  esse  Vergilium  videmus.    Mit  dem  ein- 


ENNIANISCHE  REMINISCENZEN  BEI  VERGIL.  361 

verständlich,  daß  das,  was  von  einer  Episode  wie  der  genannten  nach- 
weislich gilt,  auch  von  dem  Gedicht  im  ganzen  zu  gelten  hat,  bloß  daß 
hier  der  Name  des  Ennius  für  den  des  Lucrez  eintritt.  Nur  derjenige, 
der  einen  modernen  Maßstab  an  diese  Dinge  anlegen  würde,  könnte  das 
leugnen  oder,  wenn  er  es  selbst  zugäbe,  für  den  Dichter  aus  dieser  Art 
der  Benutzung  seines  Vorgängers  einen  Vorwurf  ableiten.  Stellen  wir 
uns  dagegen  auf  den  antiken  Standpunkt,  so  erscheint  uns  dieses  Ver- 
hältnis als  eine  Notwendigkeit.  Ennius  hatte  Stil  und  Sprache  des 
Epos  geschaffen,  'erfunden',  wie  man  damals  sagte;  dadurch  wurden  sie 
nicht  bloß  Gemeingut  aller  Nachfolger,  sondern  ihre  'Nachahmung' 
gradezu  verbindlich:  dieselbe  strenge  Geschlossenheit,  die  für  die  Y^^ri 
der  antiken  Literatur  gegolten  hat^),  haben  auch  die  iöeai  des  Stils  und 
der  Sprache  gewahrt.  Es  leuchtet  daher  ein,  daß  und  warum  wir  uns 
das  Verhältnis  Vergils  zu  Ennius  nicht  anders  vorstellen  dürfen,  als  das 
der  griechischen  Epiker  zu  Homer,  angefangen  von  den  Homerrhapsoden 
selber,  die  den  Grundstock  erweiterten,  bis  zu  den  Ausläufern  im  VI.  Jahrh. 
n.  Chr.:  die  selbstverständliche  Freiheit  also,  die  sich  etwa  Antimachos^) 
und  Apollonios  von  Rhodos  in  der  stilistischen  und  sprachlichen  Be- 
nutzung Homers  nahmen,  durfte  Vergil  sich  gegenüber  Ennius  nehmen, 
ja  er  mußte  es  tun,  wenn  er  nicht  der  in  Theorie  und  Praxis  ver- 
bindlichen 7Tapdbo(Tic  trotzen  wollte.  Der  Beweis  hierfür  liegt  in  der 
epischen  Poesie  nach  Vergil;  denn  wir  würden  Dichtem  wie  Valerius 
Flaccus  und  Statius,  so  gering  wir  auch  von  ihren  Fähigkeiten  denken 
mögen,  gewiß  nicht  gerecht,  wenn  wir  ihre  starke  formale  Anlehnung 
an  Vergil  aus  dem  Unvermögen  erklären  würden,  selbst  neue  Worte 
und  Phrasen  zu  finden  —  wie  unrichtig  das  wäre,  zeigen  ja  Statius' 
Silven,  in  denen  als 'einem  nicht  vergilischen  f4.\oc  die  jLiiiaricric  Vergils 
nicht  entfernt  so  stark  ist  wie  in  der  Thebais  — ,  sondern  füi-  sie  war 
Vergil  die  verbindliche  Norm  geworden,  wie  es  für  ihn  selbst  Ennius 
gewesen  war. 

Für  Vergil  empfahl  sich  die  starke  Anlehnung  an  Ennius  außerdem 
noch  dadurch,  daß  die  Heiübemahme  der  archaisch  gravitätischen  Sprache 
seines  Vorgängers  seinem  eignen  Gedicht,  das  den  Römern  ihre  Ver- 
gangenheit in  idealisiertem  Bilde  und  gewissermaßen  in  die  Gegenwart 
projiziert  zeigen  sollte,  den  Stempel  der  Altertümlichkeit  auch  in  der 
Sprache  aufdrückte.  Jene  eigentümliche  Mischung  von  Altem  mit  Neuem, 
die  ein  hervorstechendes  Kennzeichen  der  augusteischen  Ära  ist,  übte 
vermutlich  einen  besonderen  Reiz  auf  die  zeitgenössischen  Leser  aus,  die, 
wie  wir  werden  annehmen  dürfen,  die  feierlichen  Phrasen  des  noch  immer 
wegen  seines  ingenium  hochgepriesenen   alten  Sängers  mit  Wohlgefallen 

schränkenden  prope  totos  vergleiche  man  Macrobius  1.  c.  7  (nicht  aus  Gellius, 
sondern  beide  aus  älteren  Quellen):  ab  aliis  traxit  (sc.  Vergilius)  vel  ex  ditniäio 
sui  versus  vel  paene  solidos. 

1)  Vergl.  Neue  Jahrb.  f.  d.  klass.  Alt.  1901,  331. 

2)  Vergl.  über  ihn  Eusebios  1.  c.  §  20  ff.,  wo  ihm  u.  a.  die  Kontamination 
eines  Verses  aus  zwei  homerischen  Hemistichien  nachgewiesen  wird;  nicht 
anders  hat  es  Vergil  mit  Homer  gehalten  (vergl.  den  Kommentar  zu  445)  und 
wenn  wir  mehr  Vergleichsmaterial  hätten,  würden  wir  ihm  vielleicht  auch  die 
Kontamination  von  Versen  aus  verschiedenen  ennianischen  Floskeln  nach- 
weisen können  (vergl.  zu  124). 


362  ANHANG  T. 

allenthalben  in  einem  Gedichte  wiederfanden,  das  dazu  bestimmt  war, 
den  alten  Wein  in  neue  Schläuche  zu  füllen.  Als  Vergil  zum  ersten- 
mal die  Absicht  aussprach,  dem  Wunsch  seiner  Gönner  gemäß  ein  Epos 
zu  dichten,  tat  er  es  mit  den  Worten:  Versuchen  will  ich  eine  Bahn, 
auf  der  auch  ich  mich  vielleicht  vom  Boden  erheben  kann,  so  daß  meine 
Worte  sieghaft  von  Mund  zu  Mund  fliegen'  (georg.  III  8  f.).  Mit  diesem 
Zitat  eines  berühmten  Enniusverses  versprach  er  ein  Epos  im  Stil  des 
Ennius,  und  dieses  Versprechen  hat  er  in  der  Aeneis  erfüllt^),  etwa  in 
demselben  Sinne,  wie  Horaz  die  Satirendichtung  des  Lucilius  und  Livius 
die  alte  Annalistik  erneuerten.^) 

Wenn  diese  Ausführungen  richtig  sind,  so  wird  ein  Erklärer  Vergils 
versuchen  müssen,  das  ennianische  Gut  in  den  Versen  des  Nachahmers 
wiederzuerkennen.  Mit  derselben  Bestimmtheit  aber,  mit  der  man,  wie 
ich  glaube,  dies  Ideal  eines  Vergilkommentars  wird  aufstellen  dürfen, 
wird  man  die  Hoffnung,  dieses  Ideal  auch  nur  annähernd  zu  erreichen, 
aufgeben  müssen.  Unsere  antiken  Kommentatoren  haben  es  nur  selten, 
an  besonders  markanten  Stellen,  der  Mühe  wert  gefunden,  das  nötige 
Material  zu  überliefern:  begreiflich  genug,  da  für  sie  diese  Art  von 
|Lii|ur)(Tic  nach  den  obigen  Ausführungen  etwas  Selbstverständliches  war. 
Während  wir  daher  in  der  Lage  sind,  die  Scholien  etwa  zu  Apollonios 
von  Rhodos  nach  der  dort  ebenfalls  nur  nebenbei  berücksichtigten  Seite 
der  homerischen  |Lii)Liri(Tic  durch  das  uns  vollständig  vorliegende  Original 
selbst  zu  ergänzen,  sind  wir  bei  der  Erklärung  Vergils  auf  die  paar 
Hundert  zufällig  überlieferter  Enniusverse  angewiesen.  Um  so  mehr 
wird  es  unsere  Pflicht  sein,  mit  allen  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  zu 
versuchen,  ob  sich  dies  dürftige  Material  vergrößern  läßt.  Es  werden 
sich  dafür  folgende  vier  Leitsätze  aufstellen  lassen:  l)  Da  die  antike 
Verskunst  sich  innerhalb  der  einzelnen  Yevri  historisch  entwickelt  hat, 
so  bietet  sie  eine  wertvolle  Handhabe  zu  literarhistorischen  Schlüssen: 
wo  Vergil  von  seiner  eignen,  hochentwickelten  Praxis  und  derjenigen 
seiner  Zeitgenossen  abweicht,  da  liegt  stets  die  Möglichkeit,  meist  die 
Wahrscheinlichkeit  vor,  daß  diese  Abweichung  die  Folge  eines  Zitats 
ist.  2)  Auch  die  Sprache  hat  sich  historisch  entwickelt,  eine  gewaltige 
Kluft  liegt  zwischen  den  Sprachformen  der  Jahrhunderte,  die  Vergil  von 
Ennius  zeitlich  trennen;  soweit  wir  also  die  Entwickelung  zu  erkennen 
vermögen,  bietet  auch  sie  uns  eine  wichtige  Handhabe,  Entlehntes  und 
Eignes  zu  sondern.     3)  Selbst   der   geschickteste  Nachahmer   verrät  sich 

1)  Wenn  mich  mein  Gefühl  richtig  leitet,  sind  die  Anfangsworte  der  Aeneis 
arma  virunique  eine  leichte  Abbiegung  eines  Enniuszitats ,  das  IX  57  steht: 
arma  viros,  wo  der  Vers  für  Vergils  Praxis  doppelt  unregelmäßig  schließt 
{atqiie  huc:  s.  Anhang  IX  2,  Ib),  umgebende  Worte  (horrisonus,  cordaj  und  diö 
ganze  Situation  auf  Ennius  weisen;  arma  virunique  steht  auch  XI  747,  arma 
virum  I  119,  arma  viros  IX  56,  arma  viro  IX  696,  arma  viris  IX  620  (die  beiden 
letzteren  in  Versen  mit  ungewöhnlichen  Synaloephen,  so  daß  man  den  Eindruck 
fester,  übernommener  Phrasen  hat:  s.  Anhang  XI  2B  5b);  arma  viri  Horaz 
s   n  7,  100  wohl  gleichfalls  aus  Ennius. 

2)  So  adelt  er,  ganz  wie  Horaz,  das  ingenium  des  alten  Dichters  durch 
die  fortgeschrittene  ars.  Z.  B.  XI  601  f.  late  ferreus  hastis  \  horret  ager  campique 
armis  suhlimibus  ardent:  eine  schöne  Umgestaltung  des  ennianischen  Schauer- 
verses, den  Macrobius  als  Original  zitiert  sat.  15  sparsis  hastis  longis  campus 
splendet  et  horret.    Vergl.  auch  den  £omm.  zu  179  ff. 


ENNIANISCHE  REMINISCENZEN  BEI  VERGIL.  363 

als  solcher  oft  dadurch,  daß  die  entlehnte  Phrase  bei  ihm  in  dem  neuen 
Zusammenhang,  in  den  er  sie  stellt,  sprachlich  oder  sachlich  weniger 
gut  paßt  als  in  dem  Original,  für  das  sie  geprägt  war.  Mit  relativ 
größter  Vollendung  hat  es  Ovid  verstanden,  die  Leser  über  seine  starke 
Anlehnung  an  seine  großen  Vorgänger  durch  eine  die  unterschiede 
nivellierende  Glätte  der  Form  hinwegzutäuschen:  man  wird  kein  Be- 
denken tragen,  ihm  in  der  virtuosen  Handhabung  dieser  Technik  den 
Preis  vor  Vergil  zuzuerkennen,  der  nicht  in  diesem  Maße  die  Gabe  be- 
saß, das  Fremde  sich  zu  amalgamieren.  Für  unsere  Untersuchung  hat 
das  den  Vorteil,  Entlehnung  ennianischer  Phrasen  gelegentlich  durch  den 
Nachweis  wahrscheinlich  machen  zu  können,  daß  Konstruktion  oder 
Wortstellung  kompliziert  und  von  der  sonstigen  Praxis  des  Dichters  ab- 
weichend sind  oder  der  Zwang  sich  durch  formale  Indizien  anderer  Art 
bemerkbar  macht.  4)  über  den  allgemeinen  Inhalt  der  Annalen  sind 
wir  leidlich  orientiert,  auch  von  dem  Ethos,  in  das  der  alte  Dichter 
seine  Gedanken  kleidete,  können  wir  uns  noch  ein  ziemliches  Bild  machen: 
dadurch  ist  wiederum  eine  neue,  wenn  auch  mit  besonderer  Vorsicht  zu 
benutzende  Erkenntnisquelle  gegeben.  —  Von  diesen  vier  Gesichtspunkten 
aus  —  Metrik,  Sprache,  Formzwang  durch  |ai)HTi(Jic,  allgemeiner  Charak- 
ter —  ist  im  Kommentar  der  Versuch  gemacht  worden,  das  zur  Be- 
urteilung nötige  faktische  Material  zu  vergrößern;^)  besonders  da,  wo 
mehrere  dieser  Momente  zusammenkommen  und  sich  gegenseitig  stützen, 
steigt  der  Grad  der  Wahrscheinlichkeit  für  die  Richtigkeit  der  Kom- 
bination. Trotzdem  bin  ich  mir  einerseits  zwar  bewußt,  oft  nur  mit 
Möglichkeiten  zu  operieren,  andererseits  aber  auch  nur  einen  geringen 
Teil  der  tatsächlichen  Entlehnungen  erkannt  zu  haben.  Gefühlt  freilich 
habe  ich  eine  ennianische  )ii)iri(Tic  oft  —  etwa  in  dem  Sinne,  wie  man 
aus  Livius  oft  den  Ton  der  alten  Annalisten,  aus  Strabon  den  des 
Poseidonios  entgegenklingen  hört  — ,  aber  wo  ich  nicht  vermochte,  die 
Berechtigung  für  dieses  Gefühl  irgendwie  zu  beweisen,  habe  ich  ge- 
schwiegen. 

Neben  den  erwähnten  vier  im  Kommentar  fortlaufend  berücksich- 
tigten grundsätzlichen  Möglichkeiten,  ennianisches  Gut  auszusondern,  gibt 
es  eine  fünfte,  über  die  hier  im  Zusammenhang  gehandelt  werden  soll, 
aber  wesentlich  nur  insoweit,  als  es  für  die  Exegese  von  Versen  unseres 
Buches  dienlich  ist;  zu  einer  systematischen  Ausdehnung  dieser  Unter- 
suchimg auf  die  anderen  Bücher  reicht  meine  Materialsammlung  nicht  aus. 

Vergils  Phraseologie  berührt  oder  deckt  sich  oft  mit  derjenigen 
früherer  Dichter,  die  deshalb  nicht  von  ibm  unmittelbar  benutzt  sein 
können,  weil  ihre  Werke  einem  anderen  flvoc  angehören,  a)  Vor  allem 
gilt  das  von  Berührungen  oder  Übereinstimmungen  zwischen  Vergil  mit 
Plautus  oder  Lucilius^)  in  solchen  Worten  und  Phrasen,  die  über  dem 


1)  Die  Stellen  vergl.  im  Register  I  unter  'Vergils  Nachahmung  des  Ennius'. 

2)  Was  für  Vergil  und  Lucilius  gilt,  das  hat  auch  für  Vergil  und  die 
Satiren  des  Horaz  zu  gelten:  findet  sich  an  den  zahlreichen  Stellen,  wo  Horaz, 
dem  Stil  dieses  y^voc  entsprechend,  den  epischen  xapaxTrip  parodiert,  eine  mehr 
oder  minder  wörtliche  Übereinstimmung  in  der  Phraseologie  mit  Vergils  Aeneis, 
so  hat  unbedingt  Ennius  als  das  gemeinsame  Prototyp  zu  gelten.  Denn  Ennius 
mußte  ja  für  Horaz  (wie  schon  für  Lucüius:  vergl.  1174  L.    Valeri  sententia 


364  ANHANG  I. 

Niveau  gewöhnlicher  Diktion  stehen.  So  würden  wir  zum  Beispiel  aus 
dem  Vorkommen  von  quadrupedans  bei  Plautus  und  Vergil,  von  sonipes  bei 
Lucilius  und  Vergil  auf  alte  Poesie  hohen  Stils  schließen  müssen,  auch 
wenn  uns  diese  Worte  nicht  tatsächlich  aus  dieser  bezeugt  wären 
(Ennius,  Accius) ;  so  würden  wir  für  die  echt  archaisch-realistische  Metapher 
aen.  VII  345  quam  (Ämatam)  .  .  .  curaeque  iraeque  coquebant  wegen  ihrer 
ähnlichen  Verwendung  bei  Plautus  Trin.  225  egomet  me  coquo  (sc.  dolore) 
auf  Ennius  schließen  dürfen,  auch  wenn  aus  ihm  zufällig  nicht  über- 
liefert wäre  ann.  340  quae  (cwra)  te  coquit.  In  solchen  Fällen  werden  wir 
mithin  Ennius  als  gemeinsame  Quelle  anzunehmen  haben,  doch  mit  der 
Einschränkung,  daß  neben  seinem  Epos  auch  an  seine  eignen  Tragödien 
oder  die  anderer  Dichter  gedacht  werden  kann  (und  bei  Plautus  wohl 
gedacht  werden  muß).  Überhaupt  läßt  sich  die  Frage:  Epos  oder  Tra- 
gödie da,  wo  es  sich  um  rein  sprachliche  Kriterien  handelt,  deshalb 
meist  nicht  sicher  entscheiden,  weil  zwischen  beiden  starke  Wechselwirkung 
stattgefunden  hat:  denn  Ennius  hat  die  TpaYVKf)  XeHiC,  die  er  teils  über- 
nahm, teils  selbst  weiterbildete,  auch  für  die  Grandezza  seines  epischen 
Stils  verwertet  und  auch  Vergil  selbst  hat  die  alten  Tragiker  neben  dem 
ennianischen  Epos  gelesen  und  verwertet  (vergl.  den  Komm,  zu  405.  500. 
692f.).  —  b)  Auch  Cicero  ferner  hat,  wie  ja  auch  nicht  anders  zu  er- 
warten, seinen  poetischen  Wortschatz  durch  den  des  Ennius  bereichert^), 
wie  sich  noch  auf  Grund  unseres  dürftigen  Materials  mit  Sicherheit  er- 
kennen läßt.  Wo  also  Vergils  Phraseologie  mit  derjenigen  Ciceros  iden- 
tisch oder  verwandt  ist,  darf  Ennius  als  das  gemeinsame  Vorbild  be- 
zeichnet werden.  Denn  wenngleich  anzunehmen  ist,  daß  Vergil  Ciceros 
Gedichte,  wenigstens  die  didaktischen,  selbst  gelesen  hat^),  so  macht  es 
doch,  wie  wir  sehen  werden,  die  Art  der  Übereinstimmung  zwischen 
beiden  wahrscheinlich,  daß  Vergil  nicht  dem  Cicero,  sondern  beide  dem 
Ennius  folgten.  Als  ich  mir  dieses  Urteil  über  das  Verhältnis  beider 
längst  gebildet  hatte,  sah  ich  zu  meiner  Freude,  daß  üsener  ebenso 
urteilt  und  die  Kichtigkeit  dieser  Auffassung  schlagend  bewiesen  hat 
(Rhein.  Mus.  LVI  1901,  313).  —  c)  Oft  müssen  wir  denselben  Maßstab 
an  Übereinstimmungen    zwischen    Vergil   und  Lucrez    anlegen,    der  ja 

dia,  danach  oder  direkt  nach  Ennius  Horaz  I  2,  32  sententia  dia  Catonis)  die- 
selbe Rolle  spielen  wie  für  die  griechischen  Parodisten  Homer  und  wie  dann 
für  die  nachhorazischen  Satiriker  Vergil  selbst.  Das  bekannteste  Beispiel  eines 
bezeugten  Enniuszitats  bei  Horaz  ist  sat.  I  2,  37  audire  est  operae  pretium  = 
Enn.  ann.  454.  In  diesem  Sinne  sind  von  mir  im  Kommentar  einige  Horaz- 
stellen  benutzt  worden  (vergl.  das  Register  I  unter  'Ennius');  eine  systematische 
Untersuchung  auf  Grund  des  ganzen  Materials  erscheint  aussichtsvoll.  Ein 
Beispiel  für  die  Art  des  Schlusses:  Horaz  s.  H  2,  52  Romana  iuventus  =  Ennius 
ann.  538  ^^  Verg.  a.  I  467  Troiana  iuventus,  also  stammt  Horaz  s.  H  8,  34 
moriemur  inulti  =  Vergil  a.  H  670  aus  Ennius.  Ein  Beweis  für  die  prinzipielle 
Richtigkeit  dieser  Kombination  ist  auch  darin  zu  sehen,  daß  gelegentlich  ver- 
gilische  Floskeln  durch  das  Medium  von  Parodieen  des  epischen  Stils  in  den 
Fragmenten  der  Satiren  Varros  sich  auf  Ennius  zurückführen  lassen  (vergl. 
das  Register  I  unter  'Ennius'). 

1)  Seine  Vorliebe  für  Ennius'  Diktion  liegt  in  seinen  zahlreichen  Zitaten 
offen  zu  Tage;  sie  wird  auch,  woran  mich  R.  Wünsch  erinnert,  durch  das 
interessante  Gelliuskapitel  XH  2  ausdrücklich  bezeugt. 

2)  Daß  Lucrez  sie  gelesen  hat,  scheint  sicher  zu  sein:  Munro  zu  Lucr. 
V  619;  J.  Maybaum,  De  Cic.  et  Germanico  Arati  interpretibus,  Rostock  1889,  16,  2. 


ENNIANISCHE  REMINISCENZEN  BEI  VERGIL.  365 

auch  seinerseits  den  von  ihm  aufs  Höchste  bewunderten  Ennius  stark 
benutzt  hat.-^)  Aber  dabei  ist  Vorsicht  nötig,  da  Vergil  sich  nachweis- 
lich auch  an  Lucrez  direkt  angeschlossen  hat.  —  d)  Ebenso  werden  wir 
Konkordanzen  zwischen  Vergil  und  Livius  vorsichtig  beurteilen  müssen, 
da  wenigstens  für  die  späteren  Partieen  seines  Werkes  die  Möglichkeit  einer 
stilistischen  Beeinflussung  durch  Vergil  zugegeben  werden  muß^);  sehr 
wahrscheinlich  ist  sie  freilich  nicht.  Vielmehr  beginnt  der  entscheidende 
Einfluß  Vergils  auf  die  Sprache  der  Prosa  erst  mit  Velleius,  während 
Livius  wenigstens  in  den  uns  erhaltenen  Teilen  seines  Werks  noch  im 
Banne  des  ennianischen  Epos  steht,  ganz  wie  seine  annalistischen  Vor- 
gänger, nur  daß  er  mit  fortschreitender  Kunstübung  und  je  mehr  er  zur 
Darstellung  eigentlich  geschichtlicher  Ereignisse  kommt,  das  poetische 
Kolorit  seiner  Sprache  allmählich  zurücktreten  läßt.  —  Immerhin  werden 
wir  für  die  folgenden  Listen  Lucrez  und  Livius  nur  als  sekundäre 
Zeugen  heranziehen.  Einige  wohl  sichere  Beispiele  für  gemeinsame  Be- 
nutzung ennianischer  Phrasen  durch  Lucrez  und  Vergil  oder  Livius  und 
Vergil  sind  im  Register  I  unter  'Ennius'  notiert  worden. 


1.    Vergil  VI  und  Flautus. 

aen.  VI  91  rebus  egenis  (=  VIII  365.  X  367).  Dieselbe  Verbindung 
bei  Plautus  Capt.  406.  Poen.  130.  Da  egenus  zu  Vergils  Zeit  schon 
nicht  mehr  lebendig  war  (das  archaische  Kolorit  des  Ausdrucks  fühlte 
Petron,  wenn  er  ihn  in  dem  auch  sonst  mit  altertümlichen  Floskeln  auf- 
geputzten Gebet  c.  133  verwendet),  so  darf  die  Verbindung  für  Ennius 
in  Anspruch  genommen  werden,  zumal  an  der  Stelle  in  VIII  auch  der 
Zusammenhang  auf  diesen  hinweist.  Zur  Bestätigung  dienen  noch  folg. 
zwei  Argumente:  l)  Der  Versschluß  I  599  omnium  egenos  stimmt  mit 
Livius  IX  6,  4  owmium  egena  corpora  (s.  Stacey  1.  c.  50);  2)  Die  Syn- 
aloephe  in  diesem  Versschluß  widerspricht  durchaus  der  eignen  Praxis 
Vergils  (s.  Anhang  XI  l). 

An  den  beiden  zitierten  Stellen  stellt  Plautus  neben  die  Verbindung 
rebus  egenis  die  weitere:  dubiis  rebus.     Diese  hat  Vergil  VI  196. 

VI  276  mcdesuada  Farnes.  Das  Adjektiv  vor  Vergil  bei  Plautus 
most.  213.  Da  er  auf  dessen  Autorität  die  Komposition  (vergl.  male 
suadere  Plaut.  Cure.  508)  nicht  zugelassen  hätte  (vergl.  den  Kommentar  zu 
141),  so  darf  das  Wort  für  einen  archaischen  Dichter  des  uqjTiXöv  y^voc 
in  Ajispruch  genommen  werden,  der  damit  vielleicht  KttKÖßouXoc  wiedergab. 

VI  488  conferre  gradum:  vergl.  Plautus  merc.  881  contra  pariter 
fer  gradum  et  confer  pedem  (aul.  813  gradum  contoUere),  LiArius  VII  33,  11 
consul  cum  quo  forte  contulit  gradum,  obtru/ncat.     Vergil  wahrscheinlich 

1)'  Vergl.  Vahlen,  Ennius  und  Lucretius,  Sitzungsber.  d.  Berl.  Ak.  1896, 
7 17 ff.  Man  wird  behaupten  dürfen,  daß  da,  wo  sich  die  Diktion  des  Lucrez 
über  ihr  durch  den  lehrhaften  Stoff  gegebenes  Niveau  erhebt,  Ennius  mehr 
oder  weniger  stark  benutzt  ist;  Musterbeispiel  III  1025—45,  wozu  Heinzes 
Kommentar  zu  vergleichen,  der  viel,  aber  noch  wohl  nicht  alles  erreichbare 
Material  bietet. 

2)  Vergl.  S.  Stacey,  Die  Entwicklung  des  livianischen  Stils  (Archiv  f.  lat. 
Lexikogr.  X  1898,  17fl'.),  wo  zum  erstenmal  systematisch  der  Versuch  gemacht 
ist,   durch  indirekte  Schlüsse  ennianische  Phrasen  bei  Livius  zu  konstatieren. 


366  ANHANG  I. 

aus  Ennius,  Livius  entweder  aus  seiner  ennianisch  gefärbten  Vorlage 
oder  wie  ähnliche  Phrasen  (s.  Stacey  1.  c.  24)  direkt  aus  Ennius.  — 
Analoger  Schluß  für  die  bei  Vergil  beliebte  Phrase  se  adferre  (im  Sinn 
von  advenire)  III  310.  346.  VII  477:  vor  Vergil  wohl  nur  Plaut. 
Amph.  988  und  Terenz  Andr.  807.  Ebenso  iussa  capessere  aen.  I  77, 
vergl.  Plaut,  trin.  300  imperia  capessere,  zumal  der  Versschluß  iussa 
capessere  fas  est  für  Vergil  trotz  der  durch  EnMisis  zusammengerückten 
Monosyllaba  schon  nicht  mehr  gewöhnlich  ist  (s.  Anhang  IX). 

VI  633  pariter  gressi  ^^  Plautus  Truc.  124  pariter  gr ädere. 

VI  472  corripuit  sese  .  .  .  {atque  refugit).  Da  se  corripere  eine  in 
diesem  Sinne  von  Plautus  (z.  B.  merc.  661  ut  corripuit  se  repente  atque 
ahiii)  und  Terenz  oft  gebrauchte  Wendung  ist,  so  kann  Vergil  die 
Phrase  aus  Ennius  übernommen  haben.  In  XI  462  corripuit  sese  et  tectis 
citus  extulit  altis  verbindet  er  sie  mit  se  efferre,  das  wie  das  vorhin  er- 
wähnte se  adferre  ebenfalls  archaisches  Kolorit  hat  (vergl.  Plaut.  Bacch. 
423  pedem  efferre  aedibus)  und  das  XII  441  haec  ubi  dicta  dedit,  portis 
sese  extulit  ingens  mit  dem  ennianischen  Hemistichium  (s.  unten  bei  3) 
haec  ubi  dicta  dedit  verbunden  ist. 

VI  90  Teucris  addita  luno.  In  alten  Kommentaren,  aus  denen 
Servius  und  Macrobius  (VT  4,  2)  schöpfen,  war  addere  in  diesem  Sinne 
als  verhum  antiquorum  aus  Plautus  (aul.  555 f.  Argus  .  .  .  quem  quondam 
loni  luno  custodem  addidit)  und  Lucilius  belegt.  Es  war  wohl  eine 
TpaYiKf)  XeHic:  luno  ist  als  bai|LiuJv  ^cpebpoc  gedacht. 

VI  160  muUa  Uli  inter  se  vario  sermone  serebant.  Die  etymo- 
logische Verbindung  (Varro  1. 1.  VI  64)  ==  Plautus  Cure.  193  u.  ö.,  auch 
Livius  VII  39,  6  haec  occultis  sermonibus  serunt.  Ennianischer  Ursprung 
ist  bei  Vergil  um  so  glaublicher,  als  inter  se  an  gleicher  Versstelle  aus 
Ennius  (a.  138)  belegt  ist. 

VI  185 f.  haec  .  .  .  tristi  cum  corde  volutat.  Aus  Ennius  (a,  473) 
belegt  ist  tristi  cum  corde,  was  Vergil  auch  VIII  522  muUaque  dura  su,o 
tristi  cum,  corde  putabant  hat.  Wie  in  diesem  Vers  putare  in  archaischer 
Bedeutung  steht  (s.  den  Konamentar  zu  31 7  ff.),  so  in  dem  des  VI.  volu- 
tare:  Plautus  mil.  196  volutare  secum  in  corde,  Lucilius  973  in  corde 
volutas,  Lucrez  III  240  mente  volutant.  Also  ist  auch  VI  157 f.  caecosque 
volutat  I  eventus  animo  secum  durch  ein  archaisches  Vorbild  beeinflußt. 
Wie  Liidus  die  Phrasen  XXVIII  18,  11  in  animo  volutare  XL  8,  5  m/uUa 
secum,  animo  volutare  aus  seinen  Quellen  beibehielt,  so  Sallust  lug.  13,  5. 
113,  3  die  analogen  Verbindungen  aliquid  secum  agitare  oder  cum  animo 
reputare.  Die  echt  altertümliche  Vorstellung,  daß  der  Mensch  mit  seinem 
Verstände  wie  mit  einem  alter  ego  überlegt  und  erwägt,  ist  aus  Homer 
geläufig;  ein  besonderes  drastisches  Beispiel  hat  Pindar  P.  3,  28 f.  in  der 
lyrischen  Behandlung  einer  hesiodischen  Eöe. 

VE  57  direxti.  Vergl.  über  derartige,  auch  bei  Plautus  nachweis- 
bare Synkopen  den  Kommentar  z.  d.  St. 

2.   Vergil  VI  und  Lucilius. 

aen.  VI  77  finem  dedit  ore  loquendi  von  Ursinus  mit  Ennius  a.  572 
pausam  facere  ore  {ore  add.  Vahlen)  fremendi  verglichen.     Noch  näher 


ENNIANISCHE  REMINISCENZEN  BEI  VERGIL.  367 

steht  die  von  Lucilius  16  L.  parodierte  iTepiq)pa(yic:  haec  ubi  dicta  dedit 
(dies  Hemistich  ebenfalls  ennianisch:  s.  unten  bei  3),  pausam  facit  ore 
loquendi.  Vergil  ersetzte  das  von  ihm  schon  als  vulgär  empfundene 
pausa  (^pausa  loquendi  auch  Accius  tr.  290)  durch  finis. 

Daß  Vergils  Capitolia  ad  alta  VI  836  aus  Ennius  stammt,  ist  im 
Kommentar  aus  anderen  Gründen  wahrscheinlich  gemacht  worden.  Lu- 
cilius (ine.  140  M.)  hat  ad  Capitolia  magna. 

Vergils  cortina  VI  347  stammt,  wie  das  Wort  selbst  zeigt,  aus 
archaischer  (wohl  tragischer)  Poesie.  Darauf  führt  auch  Lucilius'  245 
parodierendes  cortinipotens.  Ähnlich  zu  beurteüen  ist  wohl  alma  Ceres, 
das  Lucilius  195  und  Vergil  g.  I  7  an  gleicher  Versstelle  haben.  ^) 


3.    Vergil  und  Cicero. 

Daß  Vergils  praepetibus  pinnis  aen.  VI  15  aus  Ennius  stammt,  ist 
im  Kommentar  u.  a.  durch  das  Vorkommen  der  Phrase  in  Ciceros  Marius 
bewiesen  worden. 

Cicero  fr.  22,  18  Baehr.  (de  div.  II  63:  Iliasübersetzung)  genitor 
Sabumius,  Vergil  a.  IV  372  Saturnius  .  .  .  pater:  nach  Ennius,  der  a.  65 
Saturnia  luno  hat.  Ennius  muß  Saturnius  an  dieselbe  Versstelle  gesetzt 
haben  wie  Vergil  1.  c.  nee  Saturnius  Jiaec  oculis  pater  aspicit  aequis  und 
V  799  tum  Saturnius  haec  domitor  maris  edidit  alti,  denn  beide  Verse 
sind  für  Vergils  Praxis  durchaus  ungewöhnlich  wegen  des  daktylisch 
auslautenden  Wortes  im  zweiten  Fuß:  er  hat  das  nur  noch  g.  DI  344 
armentarius  Afer  und  a.  IV  316  per  conubia  laeta,  letzteres  ein  Zitat 
aus  CatuU  64,  141. 

Cicero  schließt  ib.  22  einen  Vers  mit  voce  locutus,  Vergil  a.  I  614 
ore  locutast.  Solche  Ausdrücke  für  'sprechen',  die  schon  durch  das 
periphi-astische  ore  archaischen  Typus  zeigen  (wie  dirö  YXujcJCTac  cpQiyiaTO 
Pindar  0.  6,  13),  dürfen  wohl  bestimmt  als  ennianisch  bezeichnet  werden, 
vergl.  oben  (bei  2)  über  finem  dedit  ore  loquendi;  femer  aen.  VI  155 
dixit  pressoque  obmutudt  ore  VII  194  placido  prior  edidit  ore  (vergl.  Ovid 
m.  Vin  703  talia  tum  placido  Saturnius  edidit  ore,  wegen  Saturnius  mit 
ennianischem  Kolorit),  sowie  XI  742  ita  farier  inßt  (ennianisch  wegen 
des  doppelten  Archaismus),  VI  372  talia  fatus  erat  (vergl.  ann.  37  talia 
commemorat),  190  (=  Vm  250)  vix  ea  fatus  erat  (sicher  ennianisch, 
s.  d.  Kommentar),  V  382  =  XII  295  atque  ita  fatur  (mit  ungewöhn- 
licher Synaloephe,  vergl.  Anhang  XI),  ähnlich  II  1  ora  tenebant  als 
ennianisch  (a.  94)  bezeugt. 

Cicero  ib.  schließt  einen  Vers  mirabile  monstrum,  ebenso  öfters 
Vergil;  daß  nicht  Cicero  die  (alliterierende)  Verbindung  prägte,  ergibt 
sich  daraus,  daß  er  sie  wie  eine  erstarrte  Phrase  in  den  hier  von  ihm 
übersetzten  Homervers  (B  320  0au|üidZ;ojaev  oiov  enixOTi)  hineinträgt. 


1)  Zu  aen.  IX  225  consilium  summis  regni  de  rebus  häbebant  notiert  Servius: 
Lucüü  versus  uno  tantum  sermone  mutato;  nam  ille  ait  'consilium  summis  ho- 
minum  de  rebus  häbebant' :  der  Luciliusvers  parodiert  eine  ennianische  Götter- 
Bzene.  Analog  zu  beurteilen  Serv.  z.  X  104  sowie  zu  g.  II  98  (hier  gemeinsames 
griechisches  Original). 


368  ANHANG! 

Cicero  Arat.  67  validis  .  .  viribus  (alliterierend),  Vergil  VI  833 
validas  .  .  vires:  Ennius  a.  301  validis  cum  viribus. 

Vergl.  Cicero  fr.  30,  2  luppiter  .  .  lustravit  lumine  terras  (allite- 
rierend) mit  Vergil  IV  6  Phocbeä  lustrabat  lampade  terras  (Aurora). 

VI  368  (sine)  numine  divom  Versschluß  Catulls  64,  134,  der  aber 
(worauf  auch  das  für  Catull  schon  veraltete  divom  führt)  älter  sein 
wird,  da  Ennius  a.  444  einen  Vers  mit  divom,  Cicero  de  cons.  fr.  3,  70 
mit  numine  divos  schließt.  Auf  Entlehnung  weist  auch  V  56  Mud 
equidem  sine  mente  rcor,  sine  numine  divom,  wo  mens  deorum  altertüm- 
lichen Eindruck  macht,  s.  auch  Anhang  1X2.  So  muß  auch  111697 
(iussi)  numina  magna  entlehnt  sein  wegen  der  sehr  seltnen  Ausfüllung 
des  zweiten  Versfußes  durch  ein  daktylisches  Wort  und  der  mangelnden 
Nebencaesur:  s.  Anhang  VII  B2  d2.    • 


n. 
Periodik. 

1.    Illietorische  Gliederung. 

„Die  römische  Poesie  verdankt  ihre  Ausbildung  der  genaueren  Rich- 
tung auf  das,  was  der  poetischen  Rede  ziemt,  während  die  alte  Poesie 
bis  zum  Ausgang  der  Republik  schwankt  zwischen  Poesie  und  Prosa. 
Solche  lange  Perioden  wie  Lucrez  I  930 — 950  sind  aber  der  Prosa  an- 
gemessen, nicht  der  Poesie.  Noch  Catull  hat  am  Anfange  des  Gedichtes 
auf  das  Haar  der  Berenike  eine  .  .  .  lange  Periode." 

Die  Richtigkeit  dieser  Worte  M.  Haupts  (bei  Beiger  S.  161)  ist 
längst  anerkannt,  auch  das  Weitere,  daß  Vergü  der  eigentliche  Schöpfer 
der  poetischen  Technik  auch  auf  diesem  Gebiet  gewesen  ist  (F.  Skutsch, 
Aus  Vergil  Frühzeit,  Leipzig  1901,  65).  Das  Prinzip  läßt  sich  kurz 
so  formulieren:  Vergil  hat  die  Gesetze  der  kunstmäßigen  Prosa  auf 
die  Poesie  übertragen  und  für  sie  verbindlich  gemacht:  begreiflich  genug, 
denn  diese  Art  von  Poesie  war  ja,  wie  rhetorische  Prosa,  zum  lauten 
Lesen  vmd  Hören  bestimmt.  Cicero  verbietet,  daß  die  Periode  ein  ge- 
wisses Maß  überschreite,  und  bezeichnet  vier  Hexameter  als  die  Normal - 
länge  auch  der  Prosa  (de  or.  IH  181  f.  or.  222).  Tatsächlich  sind  bei 
Vergil  die  Fälle,  wo  eine  Periode  sich  über  mehr  als  vier  Hexameter 
erstreckt,  nicht  eben  häufig^)  und  die  Ausnahmen  wohl  meist  beabsich- 
tigt: so  VI  56 — 62  in  einem  Gebet  (wie  georg.  I  in.,  n4ff.),  für  das 
dem  alten  Hymnenstil  gemäß  lange  Satzgefüge  typisch  waren,  119 — 23 
in  einem  pathetischen,  durch  ein  kunstvolles  Anakoluth  ausgezeichneten 
Epilog,  791 — 97  in  dem  prunkvollen  Panegyrikus  auf  Augustus.  Aber 
nicht  bloß  die  gemessene  Länge  ist  das  Kriterium  einer  guten  Periode, 
sondern  in  noch  viel  höherem  Grade  die  Gliederung,  durch  die  auch 
eine  das  Normalmaß  überschreitende  Periode  ein  Kunstwerk  werden 
kann:  contitMütio  verboi'um  multo  est  aptior  ac  iucundior,  si  est  articulis 
membrisque  distincta  quam  si  continuata  ac  producta  Cic.  1.  c.  186;  KoiXa 
und  KÖ)Li^aTa  bilden  die  eigentliche  Signatur  des  kunstgerechten  Satzes 
seit  Thrasymachos  und  Isokrates,  die  durch  ihre  Einführung  die  eigent- 
lichen dpxntCTai  der  Kunstprosa  geworden  waren.  Diese  'Glieder'  sind 
es  daher  auch,  die  Cicero  und  Vergil  zur  Signatur  der  prosaischen  tmd 
poetischen  Periode  erhoben,  vor  allem  das  rpiKUuXov  und  TexpdKiuXov 
(oder  dessen  Halbierung,    das  biKUüXov),    die   seit  Isokrates    dominierten 


1)  Als  besonders  ungefüge,  an  livianische  Art  erinnernd,  notierte  ich  mir 

X  302 — 368.     In    den  Georgica  zeigt  sich  noch  hin  und  wieder  die  Art  des 
Lucrez,  so  I  104  ff.  E  184  ff. 

Vmbqil  Buch  VI,  Ton  Norden.  24 


370  ANHANG  II. 

und  nach  Senecas  d.  ä.  Zeugnissen  (contr.  II  4,  12.  VIII  2,  27)  grade 
auch  in  den  Rhetorenschulen  der  augusteischen  Zeit  am  beliebtesten 
waren,  besonders  das  xpiKUjXov,  das  auch  der  vergilischen  Periodik  ihr 
eigentliches  Gepräge  gibt.  ^)  Triadische  und  tetradische  Gruppierung 
herrscht  auch  in  der  Komposition  im  Großen,  d.  h.  in  der  Disposition: 
diese  Architektonik  von  Pindar  an,  bei  dem  sie  schon  sehr  deutlich  ist^), 
durch  die  Literatur  beider  Sprachen  in  Poesie  und  Prosa  ^)  zu  verfolgen, 
dächte  ich  mir  eine  reizvolle  Aufgabe.*)     Für  das  VI.  Buch  der  Aeneis 

1)  Vergl.  beispielsweise  die  Analyse  zu  1 — 13,  212 — 35,  doch  gibt  die 
Analyse  fast  jeder  Perikope  Beispiele:  s.  Register  III  unter  'Periodik'. 

2)  Ein  paar  beliebig  herausgegriffene  Beispiele.  Nem.  1:  1)  Prooemium 
1 — 7,  2)  Übergang  zum  Enkomion  8 — 12,  3)  Enkomion  mit  zugehörigem  Mythus 
13 — Ende:  a)  Die  Heimat  des  Siegers  13 — 18;  b)  Die  dpexai  des  Siegers  19  bis 
33  dvbpu)v,  a)  Gastfreundschaft  19 — 25  övriov,  ß)  Kraft  des  Körpers  und  Weis- 
heit des  Geistes  25  T^x'vai--30,  y)  Lebenskunst  31 — 32  äv6pil)v;  c)  Der  Mythus 
33  if[b — Ende:  a)  Das  Wunder  33  i'^dj — 47,  ß)  Eindruck  auf  die  Umgebung 
48 — 59,  y)  Prophetie  des  Teiresias  60 — Ende.  —  Olymp.  6:  1)  Enkomion  des 
Siegers  1 — 21:  a)  Prooemium  1 — 4  xiiXauT^c,  b)  Übergang  zum  Enkomion  4  el — 7, 
c)  Enkomion  8—21;  2)  Enkomion  des  Geschlechts  22 — 74  ^kootov  (Anfang  und 
Ende   weisen   auf  einander  hin:    25  y^voc,    71   y^voc):    a)  Prooemium  22 — 28 

b)  Geschlechtsmythus  29 — 70,  c)  Schluß  71 — 74gKaaTOv;  3)  Rückkehr  zum  Sieger 
74  |Liu)|Lioc — 81:  a)  An  alles  Große  heftet  sich  der  Neid  74  iliujilioc — 76,  b)  Was 
ich  zum  Ruhm  des  Geschlechts  sagte,  ist  wahr  77 — 80  Tifi^,  c)  Daher  ver- 
dankt auch  der  Sieger  den  Sieg  dem  Hermes  80  kcIvoc — 81;  4)  Persönliche 
Bemerkungen  des  Dichters  82 — Ende:  a)  Korrektur  des  Sprichworts  von  der 
BoiujTia  uc  82 — 90  öv,  b)  Segenswünsche  90  taoi — 102,  c)  Gebet  an  Poseidon 
103— Ende.  —  Pyth.  3:  1)  Mythus  1—58:  a)  Einleitung  1—7,  b)  Koronis  8—46 

c)  Asklepios  47 — 58;  2)  Spezielle  Folgerung  für  Hieron  59 — 79:  a)  Einleitung 
59 — 62  (Yviü)LiTi  des  Mythus),  b)  Gesundheit  des  Körpers  vermag  ich  nicht  zu 
gewähren  63 — 76,  c)  Aber  um  sie  zu  beten  vermag  ich  77 — 79;  3)  Allgemeine 
Folgerung:  die  ungetrübte  Freude  des  Lebens  ward  keinem  Menschen  zuteil 
80 — Ende:  a)  Einleitung  (diese  Wahrheit  muß  vor  allem  ein  König  kennen) 
80 — 86  Tr6T)Lioc,  b)  Mythische  Beweise  86  atuüv — 103  yöov,  c)  Schluß  (wuchere 
mit  dem  Pfunde,  das  Gott  dir  gegeben  hat)  103  el — Ende. 

3)  Sehr  deutlich  ist  die  triadische  und  tetradische  Gruppierung  z.  B.  in 
der  demosthenischen  Kranzrede;  wo  sie  durchbrochen  ist,  pflegt  das  mit  der 
eigentümlichen  Entstehungsgeschichte  dieser  Rede  zusanunenzuhängen. 

4)  Besonders  klar  ist  die  Vorliebe  für  trikolische  und  tetrakolische  Gliederung 
mir  bei  Horaz  geworden.  Fast  jedes  Gedicht  bietet  eine  Reihe  von  deutlichen 
Fällen,  z.  B.: 

11:1)  Prooemium  (Widmung)  1—2,  2)  Tractatio  a)  3—10  a)  3—6  (drei 
KÖ|Li)LiaTa)  ß)  7—8  y)  9—10  b)  11—18  a)  11—14  ß)  15—18  c)  19—28 
a)  19—22  (vier  k.)  ß)  23—25  detestata  (drei  k.)  t)  25  manet—28  (drei  k.), 
3)  Conclusio  29—36 :  eine  dreigliedrige  Periode  a)  29—32  populo  b)  32 
si— 34    c)  35—36. 

I  22 :  1)  Strophe  1—2,    2)  Str.  3—4,    3)  Str.  5—6. 

I  31:  1)  Str.  1—2,    2)  Str.  3—4,    3)  Str.  5. 

I  34:  drei  Perioden  von  je  drei  Gliedern. 

II  20:   1)  Str.   1 — 2    a)  V.  1 — 5  relinquam   (drei  k.)    b)  5  non — 8  (drei  k.) 
2)  Str.  3—4,  a)  Str.  3  (drei  k.),  b)  Str.  4,    3)  Str.  5—6    a)  Str.  5,  b)  Str. 
6  (drei  k.). 
HI  1:  Nach    dem   Prooemium   (Str.  1  in  drei  k.)    drei  Teile:    1)  Str.   2—4 
a)  V.  5 — 8  (vier  k.)    b)  9 — 14  maior  (vier  k.)    c)  14  aequa — 16  (zwei  k.), 
2)  Str.  5—10    a)  Str.  5—6  (zweimal  drei  k.)    b)  Str.  7—8  (zwei  -f  vier  k.) 
c)  Str.  9—10  (drei  kujXo,   das  dritte  mit  drei  KÖm.iaTa),    3)  Str.  11 — 12 
(drei  kuiXo,  das  erste  mit  drei  KÖmuaTa). 
III  4:  1)  Str.  1—2,    2)  Str.  3—9,    3)  Str.  10—20. 
ni  9 :  1)  Str.  1—2,    2)  St.  3—4,    3)  Str.  5—6. 


PERIODIK.  371 

habe  ich  die  Sorgfalt,  mit  der  Vergil  die  Disposition  im  Großen  und  jede 
einzelne  Periode  gestaltet,  im  Kommentar  fortlaufend  nachgewiesen:  vergl. 
das  Register  m  bei  'Disposition'  und  'Periodik'.  Denn  nachdem  der 
Wahn,  als  ob  der  Dichter  arithmetische  Eesponsion  von  Versgruppen  er- 
strebt hätte,  für  Urteilsfähige  beseitigt  ist,  muß  um  so  größeres  Gewicht 
auf  den  Nachweis  der  rhetorischen  Gliederung  der  Perioden  nach  Kola 
und  Kommata  gelegt  werden.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  gelegentlich 
die  Kola  auch  mit  den  Versen  zusammenfallen,  worauf  im  Kommentar 
bei  der  Periodenanalyse  an  besonders  markanten  Stellen  hingewiesen  ist 
(vergl.  z.  B.  6  60  ff.,  und  unten  bei  4,  2);  aber  das  ist  vielmehr  eine 
Ausnahme  als  die  Regel,  genau  so  wie  bei  Pindar  und  Horaz  Gedanken- 
abschnitte und  Strophen  zwar  gelegentlich  sich  decken,  aber  häufiger 
auseinanderfallen. 


2.   Parataxe  und  Hypotaxe. 

Während  also  die  Periodik  der  kunstmäßigen  Poesie  mit  derjenigen 
der  Prosa  in  dem  Prinzip  einer  übersichtlichen  Gliederung  übereinstimmt, 
weicht  sie  von  dieser  ab   in  dem  Prinzip,   die   einzelnen  Kola  möglichst 
durch  Parataxe   neben   einander   zu   stellen,   anstatt  sie   durch  Hypotaxe 
sich   einander  unterzuordnen.      Die   archaische   Poesie    bewegt   eich  noch 
oft  in  Perioden,  deren  Glieder  eins  vom  andern  abhängen;  man  braucht 
Lucrez  nur  aufzuschlagen,  um  Beispiele  zu  finden,  so  VT  58  ff. 
nam  bene  qui  didicere  deos  securum  agere  aevom, 
si  tarnen  interea  mirantur,  qua  ratione 
quaeque  geri  possint,  praesertim  rebus  in  Ulis 
quae  super a  caput  aetheriis  cernuntur  in  oris, 
rursus  in  antiquus  referu/ntur  rdigiones.^) 
Im  Gegensatz   hierzu  bevorzugt  Vergil   die  Parataxe    als   die   mehr 
poetische  Art  der  Diktion,  so  gleich  zu  Beginn  von  Buch  VI: 

sie  fatur  lacrimans,  classique  immittit  habenas, 
'     et  tandem  Euboids  Cumarum  adlabitur  oris. 
obvertunt  pelago  proras,  tum  dente  tenaci 
ancora  fundabat  navis,  et  litora  curvae 
praetexu/nt  puppes. 

Das  sind  zwei  Perioden  von  je  drei  parataktisch  an  einander  ge- 
reihten Gliedern,  die  in  Prosa  durch  Hypotaxe  etwa  so  verbunden 
worden  wären:  'quae  postquam  lacrimans  dixit,  velis  passis  tandem  Cu- 
mas  appellit;  ibi  proris  ad  mare  versum  ancora  religatis  puppes  litora 
praetexunt.'  Wo  er  Perioden  mit  Hypotaxe  der  Kola  bildet,  sorgt  er 
dafür,  daß  sie  eiiauvoTTTOi  sind,  z.  B.  das  ipiKUjXov  VI  33 ff. 

quin  protimis  omnia 
perleg  er  ent  oculis,  ni  iam  praemissus  Achates 


1)  Ein  charakteristisches  Beispiel  bietet  auch  ein  längeres  hexametrisches 
Fragment  des  Sueius,  also  eines  Dichters  aus  der  Zeit  des  Übergangs  von  der 
archaischen  zur  neoterischen  Epoche  (FPR  p.  285  Baehrens). 

24* 


372  ANHANG  H. 

adforet  atque  una  Phoebi  Triviaeque  sacerdos 
Deiphöbe  Glauc%  fatur  quae  talia  regi. 

Vergl.  auch  den  Kommentar  zu  153f.  537f.  629f. 

Aus  dem  Streben  Vergils  nach  parataktischer  Satzfügung  zu  erklären^) 
ist  auch  die  in  solcher  Häufigkeit  sonst  kaum  nachweisbare^)  zeitliche 
Umkehi-ung  der  Begriffe  (iKTTepoXoTia  oder  ücTTepov  irpÖTepov).  Charakte- 
ristische Beispiele  aus  Buch  VI:  18f.  115.  184.  226.  331.  365f.  374f. 
452.  543.  545.  559.  567.  750f.,  aus  anderen  Büchern  z.  B.  II  353 
moriamur  et  in  media  arma  ruamus  (=  ruentes  moriamur)  749  ipse 
urhem  repeto  et  dngor  fulgentibus  armis  (=  cinctus  repeto),  V  292  invitat 
pretiis  cmimos  et  praemia  ponit  (=  praemiis  positis  invitat),  VII  7  tendit 
iter  velis  portumque  relinquit  (=  portu  relicto  tendit)  wie  g.  III  104  con- 
temmmtque  favos  et  frigida  tecta  reUnquunt  (=  tectis  reUctis  contemmmt).  ^) 
Er  sah  darin  wohl  etwas  spezifisch  Archaisches*)  oder  Homerisches 
(vergl.  Cic.  ad  Att.  I  16  respondeho  tibi  uffiepov  TtpÖTepov,  öiHTipiKuJc). 
Während  aber  bei  Homer  der  Grund  dieser  Stellung  ein  psychologischer 
zu  sein  pflegt  (vergl.  J.  Classen,  Beobacht.  über  den  homer.  Sprach- 
gebrauch, Frankfurt  1867,  189  ff.),  kann  man  davon  bei  Vergil  wohl 
nur  in  seltnen  Fällen  reden.  An  einer  Eeihe  der  angeführten  Beispiele 
des  VI.  Buchs  ist  im  Kommentar  vielmehr  nachgewiesen,  daß  der  Grund 
für  die  scheinbare  logische  Umkehrung  der  Begriffe  in  einer  Herüber- 
nahme von  floskelhaften  Phrasen  aus  Ennius  zu  suchen  ist. 

Seine  Vorliebe  für  die  Parataxe  führte  ihn  gelegentlich  zu  großen 
Kühnheiten  in  der  Wortstellung,  z.  B.  II  203 ff.  tranquUla  per  alta  .  .  . 
angues  incumbunt  pelago  pariterque  ad  litora  tendunt  (==  tranquUla  per 
alta  ad  litora  tendwnt  pelago  incumbentes ;  anders  H.  Plüß,  Vergil  und 
die  epische  Kunst  S.  61),  V  731  ff.  Ditis  tarnen  aMe  \  infernas  acccde 
domos  et  Averna  per  alta  \  congressus  pete  nate  meos  (=  per  Avema 
accedens  infernas  domos  congressus  meos  pete);  vergl.  VIII  82.  XI  781 
und  Leo,  Gott.  gel.  Anz.  1898,  8.^^) 

Der  Parataxe  zuliebe  macht  er  öfters  Anwendung  von  einer  be- 
kannten, schon  Homer  geläufigen  (A  78.  N  634)  Form  des  Anakoluths, 
so  VI  283 f.  quam  sedem  Sorrmia  volgo  \  vana  tenere  ferunt  foliisque  sub 
Omnibus  haerent  (=  sorrmia  sub  foliis  haerentia),  g.  HI  2 82  f.  hippomanes 
quod  saepe  malae  legere  novercae  \  miscueruntque  herbas  (=  mixtis  herbis)^ 
und    viel   dergleichen  bei   Ph.  Wagner,   Quaest.   Virgilianae   (Anhang   zu 

1)  So  richtig  T.  Page,  Classical  review  VIE  (1894)  203  f. 

2)  Aus  Lucrez  führt  Heinze  zu  III  787  nur  drei  Beispiele  an,  aus  Horaz 
Kießling  nur  III  16,  23  (aber  sat.  II  3,  293  f.  mater  delira  neeabit  (sc.  puerum)  | 
in  gelida  fixum  ripa  febrimque  reducet  ist  doch  wohl  auch  so  zu  erklären:  ne- 
eabit febre  reducta).     Vergl.  auch  E.  Hauler,  Arch.  f.  Lex.  V  (1888)  578  f. 

3)  Vergl.  die  Scholien  zu  g.  I  178.  267.  EI  60.  aen.  H  134.  353.  III  300. 
IV  7.  Vm  201.  611.  IX  70.  X  256. 

4)  So  steht  auf  der  Inschrift  der  Columna  rostrata  clasesque  navales  pritnos 
ornavet  pafravetquej,  womit  der  Verf.  der  Inschrift  vermutlich  den  archaischen 
Stil  kopieren  wollte,  denn  die  natürliche  Wortfolge  ist  die  umgekehrte,  vergl. 
Liv.  XXXVn  50,  5  naves  quae  priore  anno  paratae  erant,  ornare  iussus:  s. 
Wölfflin,  Sitzungsber.  d.  Münch.  Akad.  1890,  I  305. 

5)  Auch  hier  mag  die  Kühnheit  mit  der  Herübernahme  irgend  welcher 
Floskeln  zusammenhängen:  eine  Vermutung,  die  durch  den  gleichen  Versaus- 
gang in  den  zitierten  Beispielen  (per  alta)  unterstützt  zu  werden  scheint. 


PERIODIK.  373 

Heynes  Vergil  IV*   Leipzig  1832)   S.  555,    vergl.   Leo,   ind.   lect.   Gott. 
1896,  20f. 

Durch  diese  Mittel  umgeht  er  die  mehr  prosaischen  Partizipial- 
konstruktionen:  eine  Konstruktion  wie  VI  57  ingreditur  linquens  antrum 
ist  für  ihn  eine  Seltenheit  im  Vergleich  zu  dem  schrankenlosen  Gebrauch, 
den  Catull  von  solchen  Partizipien  macht,  vergl.  z.  B.  64,  4  ff.  cum  lecti 
iuvenes,  Argivae  robora  pubis,  \  auratam  Optant  es  Colchis  avertere  pdlem  \ 
ausi  sunt  vada  valsa  cita  decurrere  pitppi,  \  caerula  verrentes  abiegnis 
ciequora  palmis.^) 

3.    Satzparallelismus. 

An  zahlreichen  Stellen  des  Kommentars ,  die  im  Register  III  s.  v. 
'Periodik'  bezeichnet  worden  sind,  ist  auf  die  Vorliebe  des  Dichters  für 
Isokolie  des  Ausdrucks  mit  oder  ohne  Antithese  des  Gedankens  hin- 
gewiesen worden.  Damit  hat  er  also  eins  der  Haupterfordemisse  ktmst- 
gemäßer  Prosa  seit  Gorgias  auf  die  Poesie  übertragen,  weder  als  erster 
—  denn  schon  die  rhetorisierenden  lateinischen  Tragiker  sowie  die  ver- 
sifizierte  Rhetorik  Ciceros  bieten  zahlreiche  Beispiele^)  —  noch  gar  als 
letzter:  denn,  wie  anderswo  von  mir  gezeigt  wurde,  hat  dieses  aus  der 
Rhetorik  übernommene  Versornament,  das  seit  Alters  oft  mit  dem  Homoio- 
teleuton  verbunden  wurde,  schließlich  eine  souveräne  Herrschaft  in  der 
Poesie  beider  Völker  und  der  daraus  abgeleiteten  der  modernen  erlangt. 
Hier  sollen  aus  der  großen  Fülle  von  Beispielen,  die  Vergil  bietet,  einige 
zusammengestellt  werden,  die  geeignet  sind,  die  Arten  erkennen  zu  lassen 
und  die  im  Kommentar  behandelten  Stellen  des  VI.  Buchs  zu  illustrieren. 
1)  Wir  betrachten  zunächst  diejenigen  Fälle,  wo  die  parallelen 
Kola  in  einem  und  demselben  Vers  stehen,  meist  so,  daß  sie  durch 
Caesur  von  einander  getrennt,  und  oft  so,  daß  sie  durch  Homoioteleuta 
oder  Anaphern  (Homoiokatarkta)  gebunden  sind: 

b.     1,  62        aut  Ärar  im  Parthus  bibet  aut  Germania  Tigrim 
alba  ligustra  cadtmt,  vaccinia  nigra  legwntur 
et  siicus  pecori,  et  lac  subducitur  agnis 
quisquis  amores 
aut  metuet  dulces  aut  experietur  amaros^) 
et  quid  quaeque  ferat  regio  et  quid  quaeque  recuset 
dulcem  ferre  cibum  et  curvas  praebere  latebras 
qUfae  tenuem  exhalat  nebulam  fumosque  volucres 
complentur  vaUesque  cavae  saltusque  profimdi 

1)  Catull  hat  in  den  ersten  100  Versen  des  Epyllions  14  participia  con- 
iuncta,  Vergil  in  den  ersten  100  Versen  von  Buch  VI  nur  6  (1.  14.  30.  46. 
80.  100).  —  Beruht  auf  Wahrheit  die  Bemerkung  des  Servius  zu  acn.  III  300 
'progredior  portu  classes  et  litora  linquens']  notandum  finitum  esse  versum  parti- 
cipia: quod  ramm  apud  Latinos  est,  apud  Graecos  vitiosissimuml 

2)  Bezeichnend  auch  Horaz  an  einer  pathetischen  Stelle  der  Satiren  in 
ennianischem  Stil:  11  1,  13 ff.  nequ£  enim  quivis  horrentia  pilis  |  agmina  nee 
fracta  pereuntis  cuspide  Gallos,  |  aut  labentis  equo  descrihit  volnera  Parthi. 

3)  Der  vielbesprochene  Vers  ist  gedeutet  von  Leo,  Nachr.  d.  Gott.  Ges. 
1898,  Heft  4,  p.  8  f.  Über  das  Wortspiel  amores  —  amaros  s.  den  Kommentar 
oben  S.  188. 


2,  18 

3,6 

3,  109  f. 

g- 

I    53 

n216 

217 

391 

IV  104 

187 

1209 

IX  608 

X  80 

119 

193 

700  f. 

869 

XI  18 

86 

374  ANHANG  H. 

g.  IV  104     contemnuntque  favos  et  frigida  teda  relinctmt 
tum  tecta  petunt,  tum  corpora  curant 
spem  voltu  simulat,  premit  altum  corde  dolorem 
aut  rastris  terrani  domat  aut  quatit  oppida  hello 
pacem  orare  manu,  praefigere  puppibus  arma 
sternere  caede  vires  et  m^enia  cingere  flammis 
linquentem  ierras  et  sidera  voce  sequentem 

(armaque  Lauso) 
donat  habere  umeris  et  vertice  figere  cristas 
aere  caput  fulgens  cristaque  hirsutus  equina 
arma  parate  animis  et  spe  praesumite  bellum 
pectora  nunc  foedans  pugnis,  nunc  u/nguibus  ora 
2)  Der  Parallelismus  setzt  sich  über  mehrere  Verse  fort,  wobei  die 
respondierenden  Begriffe    oft   an   gleiche  Versstellen,    am  liebsten   an  die 
Schlüsse  gestellt  werden: 
b.      1,  59  f.    ante  leves  ergo  pascentur  in  aequore  cervi 
et  freta  destituent  nudos  in  litore  pisces 
3,  80  ff.  triste  lupus  stäbulis,  maturis  frugibus  imbres, 
arboribus  venti,  nobis  Amaryllidis  irae. 
dulce  satis  umor,  depulsis  arbutus  haedis, 
lenta  salix  feto  pecori,  mihi  solus  Ämyntas. 

5,  10  f.  siquos  aut  Fhyllidos  ignes 

aut  Alconis  habes  laudes  aut  iurgia  Codri 

6,  2  9  f.    nee  tantum  Phoebo  gaudet  Parnasia  rupes, 

nee  tantum  Mhodope  miratur  et  Ismarus  Orphea 
g.        I  8  f.    Chaoniam  pingui  glandem  mutavit  arista 
poculaque  inventis  Ächeloia  miscuit  uvis 
22  f.    quique  novas  alitis  non  ullo  semine  f rüg  es 
quique  satis  largum  caelo  demittitis  imbrem 
56flF,  nonne  vides,  croceos  ut  Tmolus  odores, 

India  mittit  ebur,  malles  sua  iura  Sabaei, 
at  Chalybes  nudi  ferrum,  virosaque  Pontus 
castorea,  Eliadum  palmas  Epirus  equarum 
133 ff.  ui  varias  usus  meditando  extunderet  artes 

paulatim,  et  sulcis  frumenti  quaereret  herbam, 
ut  silicis  venis  abstrusum  excuderet  ignem 
341  f.    tum  pingues  agni,  et  tum  nfwllissima  vina, 

tum  som/ni  dulces,  densaeque  in  montibus  umbrae 
II  435  f.    aut  ülae  pecori  frondem,  aut  pastoribus  umbram 

sufficiwnt,  saepemque  satis,  et  pabula  melli 
III  171  ff.  älii  taurvnis  follibus  auras 

accipiu/nt  redduntque,  alii  stridentia  tvngwnt 
aera  lacu 
a.  X  179 f.  Älpheae  origine  Pisae, 

urbs  Etrusca  solo 
XI  23  7  f.  et  nMucumus  aevo 

et  primus  sceptris 
XII    5  2  f.  qu^e  nube  fugacem 

feminea  tegat  et  vanis  sese  occuiat  umbris. 


PERIODIK.  375 

Die  relative  Beschränkung,  die  sich  Vergil  im  Gebrauch  dieses 
rhetorischen  Ornaments  auferlegte,  ist  Ovid  fremd ^):  das  Verhältnis  ist 
analog  dem  der  klassischen  Rhetorik,  die  maßvollen,  und  dem  der 
modernen,  die  übermäßigen  Gebrauch  davon  gemacht  hat;  so  vergleiche 
man  folg.  Beispiele  der  Metamorphosen  mit  den  angeführten  vergilischen: 
met.  I  470 f.    quod  fadt,  auratum  est  et  cuspide  fiüget  acuta; 

quod  fugat,  ohtusum  est  et  habet  suh  harwndine  plumbum 
627 S.  nudäbant  corpora  venu, 

obviaque  adversas  vibrabant  flamina  vestes, 
et  levis  inpulsos  retro  dabat  aura  capülos 
VI  419      quaeque  wbes  aliae  bimari  dauduntur  ah  Isthmo, 

exteriusque  sitae  bimari  spectantur  ab  Isthmo 
IV  575  f.    ipse  precor  serpens  in  longam  porrigar  alvum. 

dixit  et  ut  serpens  in  longam  tenditur  alvum 
VI    15  f.    deseruere  sui  nymphae  vi/neta  TimoU, 

deseruere  suas  nymphae  Padolides  undas 
VII  246  f.    tum  super  invergens  liquidi  carchesia  mellis 

aereaque  invergens  tepidi  carchesia  lactis 
Vni  628  f.    mille  domos  adiere  locum  requiemque  petentes, 

mille  domos  dausere  serae 
XII  148  f.    dumque  vigil  Nirygios  servat  custodia  muros, 

et  vigil  Ärgolicas  servat  custodia  fossas 
XIII  827  f.    su^nt,  fetvi/ra  minor,  tepidis  in  ovüibus  agni^ 

swnt  quoque,  par  aetas,  aliis  in  ovilibus  haedi 
I  32  5  f.    et  super  esse  virum  de  tot  modo  müibus  u/num, 
et  superesse  videt  de  tot  modo  müibus  wnam 
361  f.    namque  ego,  crede  mihi,  si  te  quoque  pontus  haberet, 

te  sequerer,  coniuMX,  et  me  quoque  pontus  haberet 
481  f.   saepe  pater  dixit  ^generum  mihi,  filia,  debes\ 
saepe  pater  dixit  'debes  mihi,  nate,  nepotes^ 
V  36  9  f.   tu  super  OS  ipsumque  lovem,  tu  numina  ponti 
vida  domas  ipsumque  regit  qui  numina  ponti 
IX  488  f.    quam  bene,  Caune,  tuo  poteram  nurus  esse  parenti, 
quam  bene,  Cau/ne,  meo  poteras  gener  esse  parenti. 
3)  Während    nun    Vergil    es    im    allgemeinen    vermieden    hat,    der 
Figur  zuliebe  entweder  dem  Gedanken  Gewalt  anzutun  durch  Einfügung 
irrelevanter  Flickworte    oder    der   Sprache^)    durch  Prägung    neuer  und 
kühner  Konstruktionen  oder  gar  neuer  Worte,   hat   er   doch  gelegentlich 
der  Manier  seinen  Tribut  entrichtet.     Für  diese  Erscheinung  sind  von  mir 
im   Greifswalder  Programm  1897    (De   Minucii   Felicis   aetate   et  genere 

1)  Ebenso  auch  dem  puerilen  Verfasser  der  laudes  Messalae,  vergl.  z.  B.  124  f. 

et  fera  discordes  tenuerunt  flamina  venti, 
curva  nee  assuetos  egerunt  flumina  cursus. 

2)  Ein  charakteristisches  Beispiel  carm.  epigr.  1265  mit  Büchelers  Be- 
merkung. Der  Verfasser  der  Hendekasyllaben  carm.  1504  macht  sich  in  dem 
zweiten  der  Verse  14  f. 

quae  sacrum  Colitis  nemus  puellae, 

quae  sacras  Colitis  aquas  puellae 
dem  Parallelismus  zuliebe  einer  für  diese  Versgattung  exzeptionellen  Freiheit 
schuldig. 


376  ANHANG  IL 

dicendi)  sowie  von  H.  Ziemer  in  der  Zeitschr.  f.  d.  Gymn.-Wesen  1900, 
84  ff.  (Über  syntaktische  Ausgleichungen)  zahlreiche  Prosabeispiele,  z.  T. 
aus  den  besten  Autoren,  angeführt  und  viele  gegen  gewaltsame  Än- 
derungen verteidigt  worden;  aus  älteren  lateinischen  Dichtern  bietet  Leo 
im  Göttinger  Prooemium  1898,  28  ff.  eine  reiche  Sammlung. 

a)  Plickworte  (iTapaTTXripuJ|LiaTiKd  eTrr|).  Mehrere  Beispiele  hierfür 
werden  unten  (Anhang  IIIA  3)  bei  der  Behandlung  einer  auf  demselben 
Prinzip  beruhenden  Besonderheit  in  der  Wortstellung  angeführt  werden. 
Hier  mögen  folgende  genügen  (die  betreffenden  Worte  sind  durch  ge- 
sperrten Druck  markiert): 

g.       I  2 54 ff.  e^  quando  infidwm  remis  impellere  marmor 
conveniat,  quando  armatas  deducere  classis, 
aut  temjoestivam  süvas  evertere  pmum 
(neben    quando  —  conveniat   ist    tempestivam   überflüssig,    das   nur  dem 
Parallelismus  mit  imfidum  und  armatas  dient) 

267      mmc  torrete  igni  f rüg  es,  nwnc  frangite  saxo 
III  555      arentesque  sonant  ripae  coUesque  supini 
(arentes  ist  durch  den  Zusammenhang  bedingt,  vergl.  479,  in  Parallelis- 
mus damit  steht  supini) 

a.  IX  773      unguere  tda  manu  ferrumque  armare  veneno 

XI  107      (quos)  prosequitur  venia  et  verhis  haee  vnsuper  addit 
XII  173  f.    dant  f rüg  es  manihus  salsas  et  tempora  ferro 
summa  notant  pecudum. 

b)  Kühne  Konstruktionen  oder  Freiheiten  des  Wortgebrauchs  (durch 
gesperrten  Druck  markiert): 

b.  5,  6  5  f.  en  quattuor  aras: 

ecce  duas  tibi,  Baphni,  duas  altaria  Phoebo 
(seltener,  bei  Vergil  singulärer  Accusativ  neben  ecce,  richtig  beurteilt  von 
A.  Köhler,  Archiv  f.  Lex.  V,  1888,  24) 

g.    III  498      labitur  infelix  studiorum  atque  immemor  Jierbae 
a.      X  666      ignarus  rerum  ingratusque  salutis 
XI416f.  fortunatusque  laborum 

egregiusque  animi 
(animi  verbindet  Vergil   als  erstarrten  lokativischen  Genitiv  oft  mit  Ad- 
jektiven, vergl.  g.  m  289.  a.  II  61.  IV  203.  529.  V  202.  IX  246,  danach 
hier  fortwnatus  laborum  wie  juaKOtpioc  ttövouv) 

I  444  f.  sie  nam  fore  bello 

egregiam  et  facilem  victu  per  saecula  gentem 
I  320      nuda  genu  nodoque  sinus  collecta  fluentes 
II  552 f.    implicuitque  comam  laeva  dextraque  coruscum 
extulit  .  .  .  ensem 
(comam  laeva  M,   coma  laevam  P,   letzteres   von   Ribbeck  fälschlich   auf- 
genommen) 

XI  598 f.  corpus  et  arma 

inspoliata  feram  tumulo  patriaeque  reponam 
(dagegen  VI  655  tellure  repostos;  von  J.  Church,  Archiv  f.  Lex.  X  1900, 
237 f.  wird  patriae  unrichtig  als  Locativ  gefaßt  [s.  den  Komm,  zu  652], 
von  anderen  reponere  unrichtig  ==  reddere) 

Vni  266  f.  vülosaque  saetis 


PERIODIK.  377 

pectora  semiferi  atque  exstinctos  faucihus  ignes 
(für  fauces  exstincUs  ignibus) 

IX  455f.  tepidaque  recentem 

caede  locum  et  plenos  spumanti  sanguine  rivos 
(vergl.  Servius:   Uepidaque  recentem  caede  locum''  hypallage  est  pro   'te- 
pidum  locum  recenti  caede',  unde  multi  legu/nt   'tepidumque  recenti  caede 
locum') 

163      purpurei  cristis  iuvenes  auroque  corusci 
(coruscus  c.  abl.  11  470) 

548      ense  levis  nudo  parmaque  inglorius  alba 
Xn    9  9  f.  crines 

vibratos  calido  ferro  murraque  madentes 
11619      eripe,  nate,  fug  am  finemque  impone  labori 
(eripe  te  fuga  erklärt  Servius) 

xn  252ff,  convertunt  clamore  fugam,  mirabile  visu, 

aetheraque  öbscurant  pinnis,  hostemque  per  auras 
facta  nube  premunt 
(redeunt  cum  clamore  erklärt  Servius) 

rv  477      consüium  voltu  tegit  ac  spem  fronte  serenat 
Vn  126 f.  ibiqiie  memento 

prima  locare  manu  molirique  aggere  tectu 
643  f.  quibus  Itala  iam  tum 

floruerit  terra  alma  viris,  quibus  arserit  armis 
460      arma  amens  fremit,  arma  toro  tectisque  requirit 
XI  453      arma  manu  trepidi  poscunt^  fremit  arma  iuv&ntus 
{mm  clamore  deposcit  erklärt  Servius) 

XII  242 f.  arma  volwnt  foedusque  precantur 

infectum  et  Turni  sortem  miserantu/r  iniquam 
(rogant  ut  pro  non  facto  sit  erklärt  Servius); 

XI  337      obliquä  invidiä  stimulisque  ag itabat  amaris 
(simulata  defensione  erklärt  Servius) 

607      adventusque  vir  um  fremitusque  ardesdt  equorum 
vn  651      Lausus  equum  domitor  debellatorque  ferarum 
XI  870      disiedique  duces  desolatique  manipli 
{debeUaior  und  desolatus  neu). 


4.    Interpunktion. 

1.  Interpunktionszeichen  waren  in  guter  Zeit  der  sichtbare  Ausdruck 
einer  nach  Kola  und  Komm  ata  kunstmäßig  gegliederten  Periode,  oder 
anders  ausgedrückt:  sie  waren  für  das  Auge  das,  was  für  das  Ohr  die 
Eezitationspausen  waren.  So  faßt  sie  Cicero  de  or.  III  173  ff.  181  or. 
228  nach  Theophrast  auf,  und  obwohl  diese  rhetorische  (rezi- 
tativische) Interpunktion  später  durch  eine  mehi*  logische,  der 
modernen  näher  stehende  verdrängt  wurde,  bieten  gewisse  nach  KU)\a  und 
KÖ|Li|iiaTa  geschriebene  Texte  sowie  die  Gesetze  des  Hiats  und  der  Klauseln 
doch  noch  die  Möglichkeit,  das  Wesen  jener  älteren  Art  der  Interpunktion 
zu  erkennen.  Das  von  nair  gesammelte  Material  beabsichtige  ich  andren 
Ortes   vorzulegen.     Das    sechste    Aeneisbuch    habe    ich    in    dieser  Weise 


378  ANHANG  n. 

nach  rhetorischen  Prinzipien  interpungiert^),  wesentlich  unterstützt  durch 
zwei  der  alten  Hss.,  deren  Intei-punktion  mir  genau  oder  doch  annähernd 
bekannt  ist:  genau  diejenige  der  Vaticanischen  Fragmente  (F)  nach  der 
Photographie,  annähernd  diejenige  des  Mediceus  nach  dem  Apographon 
Fogginis  (Florenz  1741).  Die  Interpunktionsstellen  meines  Textes  sind 
also  im  wesentlichen,  vor  allem  in  dem  zugrunde  liegenden  Prinzip,  die- 
selben wie  die  der  genannten  Hss.  Doch  habe  ich  mir  unbedenklich 
Abweichungen  gestattet,  zunächst  indem  ich  offenbare  Irrtümer  beseitigte: 
um  völlige  Genauigkeit  erreichen  zu  können,  hätte  ich  die  Interpunktion 
der  anderen  alten  Vergilhss.  keimen  müssen.  Fast  durchgängig  ab- 
gewichen bin  ich  von  den  Hss.  ferner  da,  wo  sie  auch  die  kleinste  Pause, 
nämlich  zwischen  zwei  durch  die  Copula  verbundenen  Begriffen  markieren 
(z.  B.  13  lucos,  atque  aurea  tecta  27  labor  ille  domus,  et  inextricabilis 
error  29  dolos  tecti,  ambagesque)-,  bei  durchgängiger  Herübemahme  der 
Interpunktion  auch  an  solchen  Stellen  wäre  die  Übersichtlichkeit  für  den 
modernen  Leser  noch  mehr  gestört  worden,  als  es  ohnehin  bei  der  auf 
Rezitationspausen  begründeten  Interpunktion  der  Fall  ist,  da  diese  viel 
zahlreichere  Zeichen  bedingt  als  die  grammatische:  z.  B.  sind  in  FM 
zwei   Verse    hintereinander    ohne    Interpunktion    wenigstens    in    Buch  VI 


1)  Über  Einzelheiten  läßt  sich  streiten  (z.  B.  schwankte  schon  im  Altertum 
die  Grenze  zwischen  KtJuXa  und  KÖiajuaTo);  aber  viele  fundamentale  Tatsachen 
sind  sicher.  So  hat  schon  J.  Bekker,  Hom.  Blätter  (Bonn  1863),  268  f  erkannt, 
daß  der  Vokativ  (insofern  er  keine  wesentlichen  Begriffe  enthält)  keine  Rezi- 
tationspause bedingt  (vergl.  auch  Havet  zu  Phaedrus  S.  157);  wie  würde  sonst 
auch  Seneca  Med.  605  über  einen  Vokativ  hinweg  Tmesis  haben  eintreten 
lassen :  sacro  violente  sanctas  und  wie  wäre  sonst  eine  Attraktion  der  Art  öXßie 
Koöpe  Y^voio  denkbar.  Demgemäß  haben  denn  auch  unsere  alten  Vergilhss., 
soweit  ich  sie  daraufhin  geprüft  habe,  keine  Interpunktion  in  Fällen  wie  VI  31 
sineret  dolor  Icare  höheres  251  sterilemque  tibi  Proserpina  vaccam  103  f.  non 
Ulla  laborum  \  o  virgo  nova  mi  facies  etc.  Ferner  verbietet  sich  im  allgemeinen 
die  Interpunktion  vor  und  nach  einer  Apposition,  die  dem  Gedanken  keinen 
wesentlichen  Begriff  hinzufügt,  schon  dadurch,  daß,  wie  im  Kormnentar  zu 
VI  7 f.  bemerkt  ist,  die  einzelnen  Glieder  changieren  können.  Dagegen  weiß 
ich  aus  Handschriften  und  sonstigen  Observationen,  daß  das  Participium  (abl. 
absol.)  nach  antiker  Rezitation  eine  Pause  hinter  sich  bedingt,  so  in  unseren 
Vergilhss.  z.  B.  240  f.  tdlis  sese  halitus  atris  |  faucibus  effundens,  super  ad  con- 
vexa  ferebat  46  f.  cui  talia  fanti  \  ante  fores,  subito  non  voltus  non  color  idevi 
330  tum  demum  admissi,  stagna  exoptata  revisunt  112  f.  ille  meum  comitatus 
iter,  maria  omnia  mecum  . . .  ferebat  236  his  actis,  propere  exsequitur  praecepta 
Sibyllae;  an  solchen  Stellen  interpungieren  noch  jetzt  gute  französiche  Autoren 
(wie  denn  überhaupt  die  Interpunktionsart  französischer  Bücher,  weil  sie  weniger 
logisch  als  psychologisch  ist,  der  antiken  näher  steht  als  unsere  deutsche,  die 
nur  an  den  Gesichts-,  nicht  an  den  Gehörsinn  appelliert).  Aus  Homer  führt 
E.  Gerhard,  Lectiones  ApoUonianae  (Leipzig  1816)  218  für  Interpunktion  nach 
dem  dritten  Daktylus  folgende  vier  Beispiele  an: 

E  580  'AvTiXoxoc  6^  Mvibujva  ßdX',  i'ivioxov  SepdTrovTa 
X  260  Tf]v  bk  |li^t'  'AvTiÖTrriv  löov,  'Aawiroio  GÜYarpa 
P  459  Toiöi  &'  ^tt'  AÖTOja^&ujv  liöxer',  äxvdfjievöc  -rrep  exaipou 
A  154  aiiv  diroKTeivujv  ^ttct',  'Apteioioi  KeXeOinv, 
aber  nach  dem  Gesagten  ist  in  den  drei  ersten  Versen  besser  gar  nicht,   in 
dem  vierten,  wenn  überhaupt,  dann  statt  nach  gireTO  vielmehr  nach  dtroKTeiviuv 
zu  interpungieren  (im  cod.  Ven.  A  der  Rias  steht  nach  Comparettis  Faksimile 
im  ersten  Vers  dieselbe  Interpunktion  wie  in  unseren  Ausgaben,  in  den  beiden 
letzten  Versen  keine). 


PERIODIK.  379 

beispiellos^),  während  in  unseren  Ausgaben  oft  sogar  vier  Verse  hinter- 
einander ohne  Interpunktionszeichen  geschrieben  sind.  Endlich  habe 
ich  mich  darin  von  der  Vorlage  der  Hss.  entfernt,  daß  ich  mich  der 
modernen  Zeichen  bediente  (außer  dem  in  antiken  Texten  die  Augen 
verletzenden  Ausrufungszeichen).  Der  hierdurch  bedingte  Nachteil,  KuiXa 
und  K6|U)aaTa  nicht  so  genau  markieren  zu  können  wie  unsere  Hss.,  wird 
einigermaßen  aufgewogen  durch  die  rhetorische  Analyse  der  Perioden 
nach  KU)\a  und  KÖ|U|uaTa,  die  von  mir  jedem  größeren  Abschnitte  im 
Kommentar  vorausgeschickt  und  die  mithin  als  Interpretation  der  im 
Text  gebrauchten  rezitativischen  Interpunktion  aufzufassen  ist. 

Im  folgenden  sollen  einige  Momente  hervorgehoben  werden,  die  für 
die  Stellung  der  Interpunktion  innerhalb  des  Verses  von  Be- 
deutung sind. 

2.  Ennius  und  Lucrez  waren  darin  der  Praxis  des  altgriechischen 
Epos  gefolgt,  daß  sie  die  Interpunktion  nicht  an  die  Versenden  banden, 
sondern  sie  auch  innerhalb  der  Verse  zuließen.  Diese  schöne  Freiheit 
wiurde  von  den  Neoterikem  aufgehoben:  Catull  baut  die  überwiegende 
Anzahl  der  Verse  seines  Epyllions  so,  daß  sie  am  Ende  einen  Gedanken- 
abschnitt haben,  z.  B.  v.   1  ff. 

Peliaco  quondam  prognatae  vertice  pinus  \ 
dicuntur  liquldas  Neptuni  nasse  per  tmdas  \ 
Phasidos  ad  fluctus  et  fines  Äeeteos  \ 
cum  lecti  iuvenes  Argivae  robora  puhis  \ 
auratam  optantes  ColcMs  avertere  pdlem  \ 
ausi  sunt  vada  salsa  cita  decurrere  puppi  \ 
caerula  verrentes  ahiegnis  aequora  palmis. 
Wie  gewöhnlich,-  sehen   wir  Vergil   auch   hier   zwischen  archaischer 
Freiheit   und   moderner  Gebundenheit  veimitteln.     So    verlegt  er  VI  3  ff. 
die  Interpunktionsstellen  in  das  Innere  des  Verses: 
dbverumX  pf^go  proras  \  tum  dente  tena^i 
a/ncora  fundabat  navis  \  et  litora  curvae 
praetexunt  puppes.  \  iuvenum  manus  emicat  ardens 
litus  in  Hesperium  \  quaerit  pars  semina  flammae 
abstrusa  in  venis  silicis  \  pars  densa  ferarum 
tecta  rapit  süvas  \  inventaque  flumina  monstrat, 
während  er  gelegentlich  auch  der  Praxis  Catulls  folgt,  z.  B.   14  ff. 
Baedalus  ut  fama  est  fugiens  Minoia  regna  \ 
praepetibu^  pinnis  ausus  se  credere  cado  \ 
insuetwm  per  'der  gelidas  enavit  ad  ardos  \ 
Chalcidicague  levis  tandem  super  astitit  arce. 
Doch  steht  er,  sehr  zu  seinem  Vorteil,  der  archaischen  Praxis  näher 
als  der  neoterischen:  Catull  hat  in  den  ersten  100  Versen  des  Epyllions 


1)  Der  einzige  Fall  in  VI,  wo  man  zweifeln  könnte,  ob  der  Dichter  nicht 
doch  zwei  volle  Verse  ohne  Rezitationspause  nacheinander  zugelassen  habe, 
betrifft  645  f.  nee  non  TTiraeicius  longa  cum  veste  sacerdos  |  obloquitur  numeris 
Septem  discrimina  vocum ;  aber  F  M  interpungieren  nach  sacerdos,  und  mit  Recht, 
denn  longa  cum  veste  entspricht  einer  Partizipialkonstruktion  (longa  veste  in- 
dutus)y  nach  der,  wie  in  der  vorigen  Anmerkung  gesagt  ist,  gewöhnlich  inter- 
pungiert  wird. 


380  ANHANG  II. 

83  Verse  ohne  Gedankeneinschnitt  im  Innern,  Vergil  in  VI  1  — 100  nur 
42.  In  dem  Bestreben,  die  Sinnesabschnitte  am  Versende  aufzuheben, 
ist  dann  Ovid  noch  weiter  als  Vergil  gegangen,  so  daß  sich  bei  ihm  nur 
selten  mehrere  Verse  nacheinander  mit  Sinnespausen  am  Schluß  finden 
(vergl.  Lüdke,  Progr.  Stralsund  1879,  12).  Dagegen  ist  der  grade  in 
ihrem  Wechsel  kunstreichen  Praxis  Vergils  sein  bester  Nachahmer  Claudia,n 
gefolgt  (Birt,  proleg.  p.  CCXVI),  während  die  poetae  novelli  des  III.  Jahrh. 
wieder  in  Catulls  Manier  verfielen  (Bücheier  zum  pervig.  Ven.  30  f.). 

3.  Der  Hexameter  des  altgriechischen  Epos  und  noch  derjenige  der 
älteren  Alexandriner  bindet  die  Interpunktionsstelle  im  Versinnern  nicht  an 
die  Caesur,  sondern  läßt  eine  Sinnespause  auch  innerhalb  der  ersten  andert- 
halb Versfüße  zu;  erst  die  jüngere  hellenistische  Poesie  beschränkte  die 
Interpunktion  teils  auf  das  Versende  teils  auf  die  Caesur  (vergl.  v.  Wila- 
mowitz  zu  Bions  Adonis  S.  38  f.).  Ennius  folgte  darin  der  altepischen 
Praxis:  in  den  zusammenhängenden  Versen  82 — 99  läßt  er  Sinnespausen 
zu  nach  dem  ersten  Halbfuß  (88  voU\  nach  dem  ersten  Trochaeus  (91 
rebus),  nach  dem  ersten  Spondeus  (97  avium).  Aber  schon  Lucrez 
schränkte  diese  Freiheit  ein:  in  den  ersten  100  Versen  von  B.  I  hat  er 
keine  Sinnespause  an  den  bezeichneten  Stellen,  sondern  erst  nach  der 
zweiten  Arsis  (4  concelebras  32  mortalis  50  quod  super  est  76  quid 
nequeat  79  obteritur  96  deductast).  Auch  Vergil  ist  recht  zurückhaltend: 
die  erste  reguläre  Stelle  für  starke  Interpunktion  ist  auch  bei  ihm 
erst  nach  der  zweiten  Arsis  (so  in  den  ersten  100  Versen  von  B.  VI: 
54.  74.  89).  Vor  dieser  findet  sie  sich  in  den  900  Versen  von  B.  VI 
nach  dem  ersten  Spondeus  nie,  nach  dem  ersten  Daktylus:  162.  342. 
421.  466.  815.  879.  886  (darunter  sind  einige  Fälle  durch  Benutzung 
ennianischer  Phraseologie  bedingt).  Sehr  unbeliebt  ist  jede  Interpunktion, 
auch  eine  schwache,  nach  dem  ersten  Trochaeus,  und  das  ist  bei  einem 
Verse  auch  für  die  Interpretation  entscheidend.     Zu  VI  857  f. 

hie  rem  Bomanam  magno  turbanm  tumultu 
sistet  eques  sternet  Poenos  Gallumque  rebdlem 
wurde  im  Kommentar  bemerkt,  daß  die  in  vielen  Ausgaben  stehende 
Interpunktion  nach  sistet  (statt  nach  eques,  also  nach  der  zweiten  Arsis) 
aus  sachlichen  Gründen  abzuweisen  sei,  und  das  wird  durch  ihre  Selten- 
heit bestätigt.  In  Ribbecks  Ausgabe  von  1884  ist  zwar  in  der  Aeneis 
an  dieser  Versstelle  noch  7  3  mal  interpungiert,  aber  darunter  in  Über- 
einstimmung mit  der  antiken  Rezitationspraxis  nur  8  mal  (IV  114.  V  835. 
Vm  33.  X  45.  73.  601.  746.  XI  313). 

4.  Im  griechischen  Epos  ist,  wie  E,  Gerhard,  Lectiones  Apolloni- 
anae  (Leipzig  1816)  21 9 ff.  bewiesen  hat,  nach  dem  fünften  Trochaeus 
oder  Daktylus  im  allgemeinen  nicht  interpungiert  worden.-^)  Auch  im 
lateinischen  Hexameter  ist  diese  Interpunktionsstelle  unbeliebt:  'in  versu 
heroico  raro  admodum  fit  distinctio  plenior  in  pede  quinto'  Bentley  zu 
Lucan  I  231.  Doch  sind  nicht  alle  Dichter  (bis  Vergil)  in  der  Abneigung 
gleich  weit  gegangen.  Am  ablehnendsten  verhält  sich  Catull,  der  im 
Epyllion  (408  Verse)  kein  Beispiel  und  in  den  übrigen  286  Hexametern 


1)  Vergl.   auch  J.  Bekker  1.  c.  269,  der  für  die  Regel  auch  einige  Homer- 
scholien  anführt  (M  49.  434.  0  360). 


PERIODIK.  381 

nur  eins  hat  (98,  3).^)  Aber  auch  Cicero  hat  in  seinen  uns  am  Schluß 
vollständig  erhaltenen  749  Hexametern  nur  je  ein  Beispiel  für  Inter- 
punktion nach  dem  fünften  Trochaeus  und  dem  fünften  Daktylus  (Arat. 
266.  379).  Freigebiger  ist  Lucrez,  der  42  Interpunktionen  nach  dem 
fünften  Trochaeus^),  26  nach  dem  fünften  Dactylus^)  hat,  d.  h.  je  eine  in 
177  bezw.  239  Versen.  Mit  Absicht  ignoriert  Horaz  in  dem  saloppen 
Vers  der  Sermonen  die  nur  für  den  hohen  Stil  gültige  Eegel:  so  hat  er 
in  den  134  Hexametern  der  wahrscheinlich  ältesten  Satire  I  2  nach  dem 
fünften  Trochaeus  8.  nach  dem  fünften  Daktylus  7  starke  Interpunktionen, 
d.  h.  je  eine  in  17  bezw.  19  Versen.  Vergil  steht  wieder  in  der  Mitte 
zwischen  der  zu  großen  Ängstlichkeit  der  neoterischen  und  der  zu  großen 
Freigebigkeit  der  archaischen  Poesie:  er  hat  in  der  Aeneis  24  Inter- 
punktionen nach  dem  fünften  Trochaeus*),  29  nach  dem  fünften  Dak- 
tylus^), d.  h.  je  eine  in  411  bezw.  340  Versen.  Hiernach  ist  wahr- 
scheinlich, daß  VI  122  f. 

quid  Thesea  magnum 
quid  memorem  Aleiden 
nach    magnum,    nicht    mit   Servius    und   einigen   neueren   Editoren   nach 
TJiesea  zu  interpungieren  ist,   zumal   es  die  einzige  Interpunktion  dieser 
Art   in   B.  VI   sein   würde   und   femer   grade   vor   einem   Adjektivum   an 
dieser  Versstelle  überhaupt  nur  einmal  interpungiert  ist: 

I  342  longa  est  iniuria,  longae 

ambages, 
was  durch  die  Anapher  bedingt  ist.^) 


1)  In  den  Ausgaben  wird  außerdem  im  oder  nach  dem  5.  Fuß  noch  zehn- 
mal interpungiert,  darunter  neunmal  vor  oder  nach  einem  Vokativ  (64,  132. 
133.  299.  327.  65,  15.  67,  37.  98,  5.  113,  1)  und  100,  3  hoc  est  quod  dieitur, 
illud  I  fraternum  vere  dulce  sodalicium,  aber  quod  dieitur  ist  attributivisch : 
^Keivo  TÖ  OpuXcüiLievov.  Auch  bei  den  im  Text  weiter  folgenden  Zahlen  ist  nur 
die  im  antiken  Sinne  richtige  Interpunktion  berücksichtigt. 

2)  I  65.  607.  881.  902.  922.  966.  E  388.  545.  IV  57.  148.  244.  324.  401. 
501.  524.  593.  604.  605.  762.  802.  806.  1190.  V  226.  275.  465.  552.  562.  685. 
687.  814.  871.  880.  960.  1343.    VI  515.  555.  701.  740.  945.  1056.  1059.  1080. 

3)  I  242.  434.  684.  11  204.  308.  331.  696.  886.  928.  UI  379.  843.  852.  1005. 
IV  265.  499.  586.    V  47.  146.   1071.    VI  432.  463.  528.  771.  896.  1063.  1156. 

4)  I  99.  321.  472.  11  150.  EI  480.  615.  IV  28.  193.  603.  V  22.  50.  VI  560. 
733.  Vn  236.  VIII  50.  443.  IX  312.  351.  X  49.  348.  XI  128.   160.  XH  57.  677. 

5)  I  342.  603.  n  458.  EI  151.  219.  433.  695.  IV  416.  593.  V  100.  372. 
624.  635.  VE  4.  273.  VEI  140.  IX  221.  512.  692.  X  67.  195.  709.  XI  283.  444. 
671.    XII  425.  507.  526.  821. 

6)  Daß  die  Irregularität  oft  durch  Anapher  entschuldigt  wird,  bemerkt 
Bentley  1.  c.  —  Über  die  Seltenheit  der  Interpunktion  nach  dem  fünften 
Trochaeus  bei  TibuU  und  Properz  vergl.  Leo,  Philol.  Unters.  E  (Berlin  1881)  26; 
für  Ovid:  Lüdke,  Progr.  Stralsund  1879,  15  ff.  Daß  sich  der  Verfasser  des  Aetna 
(vergl.  Sudhaus  p.  85)  imd  SUius  (vergl.  Bekker  1.  c.)  über  die  Regel  hinweg- 
setzen, ist  für  diese  besonders  schlechten  Dichter  charakteristisch. 


m. 
Einiges  über  Wortstellung. 

Eine  zusammenfassende  Untersuchung  über  die  fortschreitende  Frei- 
heit in  der  Behandlung  der  poetischen  Wortfolge  fehlt  noch^);  hier 
können  nur  Einzelheiten  behandelt  werden. 

A.  Wortsymmetrie. 
1.     Der  Vers  eingerahmt  von  Attribut  und  Substantiv. 

Wie  beliebt  diese  Verteilung  bei  Vergü  ist,  hat  J.  Kvicala,  Neue 
Beitr.  zur  Erklärung  d.  Aeneis  (Prag  1881)  275 £F.  gezeigt.  Im  VI.  Buch 
(900  Verse)  hat  Vergil  sie  (unter  Mitrechnung  von  Pronomina  und  Zahl- 
wörtern) 14  mal,  z.  B.: 

17  CJialeidieaque  levis  tandem  super  astitit  arce 
28  magnum  regmae  sed  enim  miseratus  amorem 

137  aureus  et  foliis  et  l&nto  vimine  ramus 

141  auricomos  quam  qui  decerpserit  arbore  fetus 
etc.  Daß  hierin  bewußte  Absicht  liegt,  kann  ein  Vergleich  mit  der 
Praxis  des  Ennius  und  Lucrez  zeigen,  von  denen  ersterer  in  seinen  428 
am  Anfang  und  Schluß  vollständigen  Hexametern  nur  4  Beispiele  hat 
(285.  413.  493.  538),  letzterer  in  900  Versen  des  I.  Buchs  nur  3  (27. 
256.  468).  Diese  Wortsymmetrie  gehörte  zu  den  wohlerwogenen  Kunst- 
mitteln, durch  welche  die  Neoteriker  die  Eleganz  ihrer  Verse  erhöhten. 
Denn  CatuU  hat  im  Epyllion  (408  Verse)  diese  Stellung  21  mal,  so 
daß  also  Vergil  auch  hier  wieder  die  Mitte  hält  zwischen  der  Kunst- 
losigkeit  der  alten  und  der  Künstelei  der  modernen  Schule. 

Dagegen  gehört  die  umgekehrte  Stellung  (Substantiv  am  Anfang, 
Attribut  am  Schluß)  zu  den  größten  Seltenheiten  (nur  etwa  10  mal  in 
der  Aeneis):  begreiflich  genug,  denn  der  Gehalt  des  Verses  würde  gegen 
den  Schluß  zu  sehr  sinken,  wenn  der  durch  das  Substantiv  repräsentierte 
Hauptbegriff  bereits   am  Versanfang  stände    (vergl.   den  Kommentar  zu 


1)  Den  von  mir  (Ant.  Kunstpr.  I  68,  1)  gegebenen  Literaturnachweisen  sind 
noch  hinzuzufügen:  Leo,  Gott.  Nachr.  1897,  967,  Prooemium  Gotting.  1896; 
Diels,  M^langes  Weil  127;  Dilthey,  Prooemium  Gotting.  1884/6,  7 f.;  Degering, 
Beitr.  z.  hist.  Syntax  Erlangen  1893;  Goßrau,  Von  der  latein.  Wortstellung, 
Progr.  Quedlinburg  1861,  22ff. ;  am  wichtigsten  Leo  1.  c.  1895,  415ff.,  weil  hier 
zum  erstenmal  mit  Erfolg  der  Versuch  gemacht  ist,  in  der  scheinbaren  Will- 
kür bewußte  Absicht,  in  der  scheinbaren  Unordnung  künstlerische  Ordnungs- 
prinzipien nachzuweisen. 


EINIGES  ÜBER  WORTSTELLUNG.  383 

471).  Im  VI.  Buch  kommt  das  (abgesehen  von  797  axem  umero  torquet 
stdlis  ardentibus  aptum,  wo  aptum  partizipial  ist  und  der  Dichter  mit 
entlehnter  Phraseologie  operiert)  nur  vor  in  Vers 

81  Ostia  iamque  dmnus  patuere  ingentia  centum, 
aber  hier  ist  das  Gewichtsverhältnis  der  beiden  Begriffe   umgekehi-t:   der 
Nachdruck   liegt  auf  centum   (vergl.   43  aditus  centum,    ostia  cmiuin)\ 
ähnlich 

Vn  483  cervus  erat  forma  praestanti  et  carnibus  ingens 
IV  165  speltmeam  Dido  dux  et  Troiarms  eandem 
deveniunt 


2.    Der  Vers  eingerahmt  von  zwei  Verben 
(Substantiven,  Adjektiven). 

Auf  diese  Stellung  hat  ebenfalls  Kvicala  1.  c.  278 ff.  hingewiesen. 
Vergil  hat  sie  mit  Verben  im  VI.  Buch  17  mal,  und  zwar  teils  ohne 
Homoioteleuta,  z.  B. 

157  ingreditur  linquens  aMrum  caecosque  volutat 

439  atligat  et  noviens  Styx  interfusa  coercet 
(so  noch  543.  744.  759),  teils  mit  solchen,  z.  B. 

111   cripui  his  umeris  medioque  ex  hoste  recepi 

213  flebant  et  cineri  ingrato  suprema  ferebant 
(so    noch    54.  159.  210.  331.  342.  559.  710.  723.  850),    darunter    mit 
gleichzeitiger  Alliteration  (Homoiokatarkton) 

54  conticuit.  gelidus  Teucris  per  dura  cuxMrrit 

850  describent  radio  et  surgentia  sidera  dicent. 

An  den  Anfängen  zweier  aufeinander  folgenden  Verse  stehen  die 
Verba:  ohne  Homoioteleuta 

4 24  f.  occupat  Aeneas  .  .  . 
evaditque  celer  .  .  . 
(so  noch  194 f.  606 f.),  mit  solchen 

216  f.  intexumt  latera  ... 

constituunt  decorantque  ... 
(so    noch    248f.    293f.  313f.    365f.    802f.).      An    den   Schlüssen:    ohne 
Homoioteleuta 

379 f.  .  .  .  ossa  pidbuM 

. .  .  sollemnia  mittent 
(so  noch  185  f.  886  f.),  mit  solchen 

684 f.  ...  per  gramina  vidit 

.  .  .  utrasque  tetendit 
(so  noch  812  f.).     Am  Anfang  des  einen   und   am  Schluß   des  folgenden 
Verses 

202  f.  toUunt  se  celeres  .  .  . 

.  .  .  super  arbore  sidunt 
(so   noch   290f.  524f.  593f.  820f.,    vergl.    den   Kommentar    zu    199f.). 
Am  Anfang  und  Schluß  des  einen  sowie  am  Schluß  des  folgenden  Verses 
(mit  Homoioteleuta) 

468 f.  lew^at  dictis  animum  lacrimasque  ciebat 

.  .  .  tenebat 


384  ANHANG  m. 

506  f.  constitui  et  magna  manis  ter  voce  vocavi 

.  .  .  neqmvi 
518  f.  ducebat  Phrygias,  flammam  media  ipsa  tenebat 

.  .  .  vocäbat 
Am  Anfang  des  einen  und  am  Anfang  und  Schluß  des  folgenden  Verses 
(mit  Homoioteleuta) 

421  f.  obicit  nie  .  .  . 

corripit  obiectam  atque  immamia  terga  resolvit 
621  f.  vendidit  hie  .  .  . 

imposuit,  fixit  leges  pretio  atque  refixit. 
Über  mehrere  Verse  setzt  sich  diese  Art  fort 

219  ff.  expediunt  .  .  .  wngvmt 

.  ,  .  reponwnt 
coniciunt 
634  ff.  corripiimt  .  .  .  propinqiiant 

occupat  ... 

spargit  .  .  .  figit 

847 ff.  exciident  ... 
orabunt  .  .  . 

describent  .  .  .  dicent. 

Durch  diese  Stellungen  werden  die  Anfänge  und  Schlüsse  der  Verse 
markiert  und  oft  durch  das  Mittel  des  Gleichklangs  gebunden.  Bei 
früheren  Dichtern  findet  sich  diese  Art  von  Wortsymmetrie  viel  seltener; 
besonders  zurückhaltend  ist  hier  Catull,  der  in  den  408  Versen  des 
Epyllions  für  sämtliche  Formen  nur  6  noch  dazu  ganz  unauffällige  Bei- 
spiele hat  (139 f.  150.  274f.  292f.  373f.  4001.).  —  Ähnlich  liebt  Vergil 
es  (vergl.  Kvicala  1.  c.  279 ff.),  den  Vers  durch  zwei  Substantiva  oder 
zwei  Adjektiva  (Partizipia)  einzurahmen,  z.  B. 

497  auribus  et  trwicas  inhonesfo  volnere  nares 
435  insontes  peperere  manu  lucemque  perosi 
624  ausi  omnes  immane  nefas  ausoque  potiti 
657  vescentes  laetumque  cJioro  paeana  canentes. 


3.    Verteilung  von  zwei  Substantiven  und  Attributen 
über  den  Vers. 

In  einem  Verse  wie  VI 

142  hoc  sibi  pulchra  suum  ferri  Proserpina  munus  (instituit) 
ist  die  Stellung  der  Worte,  wenn  wir  die  Attribute  mit  ab,  die  Sub- 
stantive mit  AB  bezeichnen,  diese:  ab  AB; 

569  distulit  in  seram  commissa  piacula  mortem 
bei  analoger  Bezeichnung  abBA.     In  beiden  Fällen  gehen  also  die  Attri- 
bute ihren   an   den  Versschluß   gestellten  Substantiven  voraus,   das  erste 
Mal  in  paralleler,  das  zweite  Mal  in  chiastischer  Folge.     Diese  gewählte 
Stellung  hat  folgende  Geschichte.-^) 

Ennius  hat  in  den  Annalen  kein  Beispiel  dafür;  Lucrez  I 
(1117  Verse)  acht: 


1)  Ein  paar  Bemerkungen  darüber  schon  bei  Naeke  zu  Valer.  Cato  284  ff. 


EINIGES  ÜBER  WORTSTELLUNG.  385 

415  elara  accendisset  saevi  certamina  belli 

196  ut  potius  mvltis  communia  corpora  rebus 
(multa  putes  esse) 

144  Clara  tuae  possim  praepandere  lumina  menti 
1003  quod  neque  clara  suo  procurrere  fulmina  cursu 

305  denique  fluctifra^fo  suspensae  in  litore  vestes 

491  dissiliuntque  fero  ferventia  saxa  vapore 

718  quam  fluitans  circum  magnis  anfractibus  aequor 
9  placatumque  nitet  diffusa  lumine  caelum, 
derselbe  in  VI  (1286  Verse)  neun: 

123  maxima  dissiluisse  capacis  moenia  mundi 

225  hunc  tibi  subtilem  cu/m  primis  ignibus  ignem 

296  inddit  in  gravidam  maturo  f ulmine  nubem 

610  omnia  quo  veniant  ex  omni  f lumina  parte 

789  multa  modis  multis  multarum  semina  reru/m 

418  discutit  infesto  praeclaras  fulmine  sedes 
1253  et  robustus  item  curvi  moderator  agdli 

bll  est  haec  eiusdem  quoque  magni  causa  tremoris 

722  inter  nigra  virum  percocto  saecla  colore. 

Er  hat  danach  diese  Stellung  in  beiden  Büchern  1  mal  in  je  140 
Versen.  Dagegen  hat  Catull^)  im  Epyllion  (408  Verse)  58  Beispiele 
(darunter  23  Partizipien,  6  Pronomina),  d.  h.  1  mal  in  je  7  Versen,  ge- 
legentlich mit  der  Aufdringlichkeit  wie 

172  f.  Gnosia  Cecropiae  tetigissent  litora  puppes, 
indomito  nee  dira  ferens  stipendia  tauro 

344  f.  cum  Phrygii  Teuero  manabunt  satiguine  campi, 
Troicaque  obsidens  longinquo  moenia  bdlo. 

Vergil  hat  in  den  Bucolica  (829  Verse)  39  Beispiele  (darunter 
4  Partizipien,  5  Pronomina),  d.  h.  1  mal  in  je  21  Versen;  Georgica  I IV 
(1080  Verse)  66  Beispiele  (darunter  23  Partizipien,  4  Pronomina),  d.  h. 
1  mal  in  je  16  Versen;  Aeneis  I  VI  (1651  Verse)  28  Beispiele  (darunter 
13  Partizipien,  3  Pronomina),  d.  h.  1  mal  in  je  58  Versen.  Er  hat 
also  die  affektierte  Zierlichkeit  der  Neoteriker  überwunden,  und  zwar 
verhält  er  sich  in  der  Aeneis  am  ablehnendsten,  da  ihm  die  Manier  für 
den  epischen  Stil  unangemessen  erschien  (während  z.  B.  der  sogenannte 
Manilius  völlig  in  der  Manier  stecken  geblieben  ist).  Dazu  verbindet  er 
mit  dieser  Wortstellung  im  Gegensatz  zu  Catull,  bei  dem  sie  zu  einem 
bloßen  Ornament  herabgesunken  ist,  oft  den  Zweck,  den  Sinn  dadurch 
stark  hervorzuheben;  so  in  VI 

142  hoc  sibi  pulchra  suum  ferri  Proserpina  munus  (instituit) 
d.  h.  fi  TTepcreqpövTi  äre  KaWiairi  ouaa  toO  xpuffoO  KXotbou  ctHioT  xuxeiv 
ibc  auTf)  TTpocrriKOVTOc, 

285  multaque  praeterea  variarum  monstra  ferarum 

355  fris  notus  Mbernas  immensa  per  aequor a  noctes 
mit  Hervorhebung  der  Zahlbegriffe, 

1)  Vergl.  R.  Fisch,  De  Catulli  in  vocabulis  coUocandis  arte,  Berlin  1876, 
der  aber  z.  T.  nach  anderen  Gesichtspunkten  ordnet.  CatuUs  Stil  kopiert  auch 
hierin  der  Verf.  der  Ciris,  der  die  Stellung  durchschnittlich  in  jedem  achten 
Verse  hat. 

VuRGii,  Buch  VI,  von  Norden.  25 


386  ANHANG  HI. 

,       894  Cornea  (sc.  porta),  qua  veris  facilis  datur  exitus  wmbris 
in   deutlichem    Gegensatz    zu    der   elfenbeinernen   Tür,    der    die    falschen 
Träume  langsam  entschweben.^) 

Die  umgekehrte  Anordnung,  daß  die  Attribute  den  Substantiven 
folgen  (AB ab  oder  ABba),  findet  sich  fast  nie  bei  Catull  und  bei  Vergil 
wohl  überhaupt  nicht,  bei  TibuU  nach  J.  Streifinger,  De  syntaxi  Tibul- 
liana  (Würzburg  1881)  39  nur  einmal  und  da  mit  besonderer  Absicht: 
I  9,  80  et  geret  in  regno  regna  superha  tuo  (andersartig  11  5,  57  nomen 
terris  fatale  regendis).  Der  Grund  ist  nach  dem  unter  1  Bemerkten 
klar:  die  Absicht,  das  Fallen  des  Rhythmus  gegen  den  Schluß  durch 
ein  Steigen  des  Inhalts  auszugleichen,  würde  durch  Voranstellung  der 
beiden  Substantive  aufgehoben  worden  sein. 

Wie  mögen  die  lateinischen  Dichter  nun  zu  der  Vorliebe  für  diese 
Art  der  Wortstellung  gekommen  sein?  Da  sie  in  aufdringlicher  Weise 
zuerst  bei  Catull  begegnet,  so  liegt  es  nahe  zu  vermuten,  daß  sie  aus 
hellenistischer  Poesie  stamme.  Tatsächlich  behauptet  H.  Boldt,  De  libe- 
riore  ling.  graec.  et  lat.  collocat.  verb.  (Göttingen  1884)  94  'poetae 
Alexandrini  artificiosa  illa  symplegmata  libenter  arripuisse  videntur', 
aber  er  führt  kein  Beispiel  an,  und  die  Behauptung  ist  auch  falsch,  wie 
der  Vergleich  hellenistischer  imd  lateinischer  Elegieen  lehrt:  so  hat 
Hermesianax  (fr.  2)  in  48  Pentametern  nur  ein  Beispiel  für  diese  Stellung 
(V.  34),  dagegen  Tibull  II  1  (45  Pentameter)  zehn.  Vielmehr  ist  die 
Neigung  für  diese  Art  der  Wortfolge  schon  in  altlateinischer  Poesie  nach- 
weisbar. Das  hat  Leo  1.  c.  432  bemerkt  und  daselbst  zugleich  auch  das 
zugrundeliegende  Prinzip  festgestellt:  „In  Sätzen  wie  iam  dudum  meum 
üle  pectus  pungit  amleus  (Plaut.  Trin.  1000)  .  .  .  sind  es  .  .  .  die  Wörter 
gleicher  Kategorie,  die  zu  einander  streben.^)  Es  ist  dasselbe 
Prinzip,  nach  dem  sich  als  eine  der  häufigsten  Figuren  in  der  Wort- 
fügung der  Elegie  die  Verbindung  zweier  zu  verschiedenen  Substantiven 
gehöriger  Attribute,  denen  dann  die  Substantive  folgen,  ausgebildet  hat: 
dum  mens  assiduus  luceat  igne  focus.'"''  Es  fragt  sich  nun  weiter,  wie  sich 
aus  einer  bloßen  Neigung  der  älteren  Dichter,  die  sich  noch  dazu  wesent- 
lich auf  so  gestellte  Pronomina  beschränkt,  bei  den  späteren  fast  ein 
Gesetz  entwickeln  konnte.  Entscheidend  dafür  war,  wie  ich  glaube,  der 
Einfluß  der  Rhetorik  auf  die  lateinische  Poesie.  Das  zugrundeliegende 
Prinzip  läßt  sich  so  formulieren:  falls  von  zwei  Substantiven  das  eine 
ein  Attribut  hat,  so  wird  auch  dem  zweiten  ein  solches  hinzugefügt. 
Dies  aber  ist  eine  der  Erscheinungsformen  des  Satzparallelismus  (Isokolie, 
Konzinnität),    der   in   der   kunstmäßigen  Prosa    seit   Gorgias   hergebracht 


1)  Dieselbe  Wortstellung,  nur  mit  anderer  Verteilung  über  den  Vers  hat 
er  in  B.  VI 

37     non  hoc  ista  sibi  tempus  spectacula  poscü 
54  f.  gelidus  Teucris  per  dura  cueurrit 

ossa  tremor 
195  f.  MÖi  pinguem  dives  opacat 

ramus  humum, 
überall  mit  der  Absicht,  die  gegensätzlichen  oder  zusammengehörigen  Begriffe 
wirkungsvoll  zu  gruppieren;  vergl.  dafür  besonders  noch  Buch  V  5. 

2)  Häufig  sind  es  antithetische  Begriffe,   die  in  dieser  Weise  zusammen- 
fferückt  werden:  s.  den  Kommentar  zu  136 f 


EINIGES  ÜBER  WORTSTELLUNG.  387 

war;  besonders  charakteristisch  sind  solche  Fälle,  wo  das  eine  Attribut 
für  den  Sinn  nicht  wesentlich  ist  und  nur  der  Satzarchitektonik  oder 
der  Antithese  zuliebe  hinzugefügt  wird,  z.  B.  Cic.  in  Cat.  1,  1  cum  illum 
ex  occtiltis  insidiis  in  apertum  latrocinium  coniedmus,  Nepos  XIII  2,  3 
recens  filii  veter em  patris  renovavit  memoriam  Att  7,  3  veter e  insütuto 
vitae  effugit  nova  pericula,  womit  man,  um  die  Identität  der  Erscheinung 
in  Prosa  und  Poesie  zu  erkennen,  vergleiche  Catull  64,  7  caerula  ver- 
rentes  abiegnis  aequora  palmis  112  Candida  permulcens  liquidis 
vestigia  lymphis  259  pars  obscura  cavis  cdebrabant  orgia  cistis  und 
besonders  66,  38  pristina  vota  novo  munere  dissoluo  64  sidus  in  anti- 
quis  diia  novum  posuit;  Verg.  aen.  m  181  seque  novo  veterum  de- 
ceptum  error 6  locorum^)  (vergl.  XII  424  novae  r ediere  in  pristina  vires) 
XI  773  spicula  torquebat  Lycio  Gortynia  comu^),  g.  I  467  cum  caput 
obscura  nitidum  ferrugine  texit  496  aut  gravibus  rasiris  galeas  pulsabit 
inanes  HI  298f.  glades  ne  frigida  laedat  |  molle  pecus;  Horaz  I  11,  6f, 
spatio  brevi  spem  long  am  reseces.^)  Auch  die  affektierte  Wortstellung, 
die  bei  dieser  Figur,  wie  wir  sahen,  in  der  Poesie  übHch  ist,  läßt  sich 
in  der  Prosa,  wenn  auch  selten,  nachweisen,  vergl.  die  von  Nägelsbach, 
Lat.  Stilistik^  (Nürnberg  1888)  641  angeführten  Beispiele  Cic.  Phü.  2,  66 
permagnum  optimi  pondus  argenti  Tusc.  IV,  7  midti  eiusdem  aemuli  ra- 
tionis,  bell.  Afr.  94,  2  firmior  imbecüliorem  luba  Petrdum  ferro  con- 
sumpsit,  Liv.  X46,4  frequenti  publicorum  ornatu  locorum,  denen  sich 
aus  späterer  Prosa  etwa  noch  hinzufügen  lassen  (um  von  Apuleius  und 
seinesgleichen  zu  schweigen)  Plinius  n.  h.  X  3  vom  Phönix:  caeruleum 
roseis  caudam  pinnis  distinguentibus  (andere  Beispiele  bei  Joh.  Müller, 
Der  Stil  des  alt.  Plinius,  Innsbruck  1883,  8),  Fronto  p.  51  N.  amans 
amaniem  pudla  iuvenem;  für  den  Zusammenhang  mit  der  griechischen 
Kunstprosa  vergl.  Gorg.  Hei.  5  xöv  xpovov  tlu  Xöyuj  t6v  tötc  tuj  vöv 
uirepßdc  17  toö  irapövioc  ev  tuj  irapövTi  xpoviu  qppovrmaTOC  Pal.  37 
Touc  irpiuTouc  Tüjv  TTpuÜTuuv  'GXXtivac  €\Xr|vujv. 

Die  zierliche  Figur  eignete  sich  wenig  für  den  feierlich-erhabenen 
Stil  des  Epos,  wie  ihn  Vergil  geprägt  hat.  Daher  verwendet  er  sie  in  der 
Aeneis  nur  selten*),  öfters  in  den  Bucolica  undGeorgica;  dagegen  schwelgen 
in  ihr  die  augusteischen  Dichter  der  poematia,  die  auch  hierin  ihren  Zu- 
sammenhang mit  den  Neoterikern  der  caesarischen  Zeit  nicht  verleugnen. 
Das  werden  ein  paar  Beispiele  zeigen,  die  ohne  Kücksicht  auf  das  spezielle 
Schema  der  Wortstellung  ausgewählt  sind,  um  an  ihnen  das  oft  fast 
ängstliche  Streben  nach  formaler  Konzinnität  des  Ausdrucks  zu  illustrieren 
(die  übergeschriebenen  Zahlen  zeigen  die  zusammengehörigen  Substantive 

imd  Attribute  an). 

1  1 

Vergil  selbst  b.  3,  3 6 ff.  (in  einer  ^KcppaOic):  pocida  ponam  \  fagina, 

2  3  2  3  4  5  5 

caelatum  divi/ni  opus  Alcimedontis,  \  lenta  quibus  torno  facüi  super  addita 

4  6  7  7  6 

viiis  I  diffusos  edera  vesUt  paüente  corymbos,  5,  16  f.  (in  einem  Gleichnis) 


1)  Dazu  Servius:  per  contrarietatem  sermonum  declamavit. 

2)  Vergl.  Leo,  Hermes  XXXVII  1902,  42,  1. 

3)  Vergl.  Bücheier,  Ind.  lect.  Boim.  1878/79,  11. 

4)  Vergl.  Servius  zu  in  126  non  adiecit  epitheton  causa  varietatis. 

25* 


388  ANHANG  III. 

11  2  3  3  4 

lenta    salix   quantum   pallenti    cedit    oUvae,  |  puniceis    humilis    quantum 

4  3 

scUitmca    rosetis,    6,  53  f.    (innerhalb    einer    sehr   zierlichen   Episode)    ille 

112  2  3  3  4 

latUtS   niveum   molli  pidtus    hyacintho  \  ilice   sub   nigra  pallentis   ruimmt 

4 

herbas,    femer  in    einer    mit  besonderer  Liebe   und   Kunst    ausgeführten 
Stelle   der    Georgica   (*o  fortwnatos  nimiiMn')  II461flF.  si  non  ingentem 

2  3  3  2  4  4  1 

foribus  domus  alta  superbis  |  mane  saluta/ntum  totis  vomit  aedibus  undam,  j 

5  6  6  5  7  7  8 

nee  varios  mhiant  pulchra  testudime  postes,  \  mlusasque  auro  vestes  Ephyreia- 

8  9  10  9  10  11 

que  aera,  \  alba  neque  Ässyrio   fucatur   lana   veneno,     nee  casia   liquidi 

11  12  12  13  13 

corrwmpitur  usus  olivi:  \  at  secwra  quies  et  nesda  faller e  vita,   III  196 ff. 

112  2 

(in  einem  Gleichnis),  331  ff.  aestibus  at  mediis  umbrosam  exquirere  vallem, 

3  4  4  3  5  5 

sicubi  magna  lovis  antiquo   robore  quercus  |  ingentis  tendat  ramos,    aut 

6  7  7  8  6  8 

sicubi  nigrum  \  üicibus  crebris  sacra  nemus  accubet  umbra,  IV  478 f.  qucs 

11  2  2  3  4  4 

circwm  limus  niger  et  deformis  harundo  \  Cocyti  tardaque  palus  inamabilis 

3 

unda  I  alligat;  in  der  Aeneis  ist  er  darin,  wie  bemerkt,  zurückhaltender, 

doch  läßt  er  das  Ornament  an  besonders  zierlichen  Stellen  auch  hier  zu, 

1  1 

vergl.   den  Kommentar  zu  VI  268 ff.  und  zu  638 f.   devenere  locos  laetos 

2  2  3  3  4  4 

et  amoena  virecta  \  forfunatorum  nemorum  sedesque  beatas  und  etwa  noch 

112  2  3  3  4 

XI  6  4  ff.  molle  feretrum  |  arbuteis  teocuM  virgis  et  vimine  querno  \  exstruc- 

4  5  5  6  7  6 

tosque   toros   obtentu   frondis   inumbra/nt.  \  hie   iuvenem    agresti   sublimem 

7  8  9  8  9  10 

Stramine  ponunt,  \  qualem  virgineo   demessum  pollice   florem  \  seu   mollis 

10  11  11  12 

violae  seu  languentis  hyacinfhi.     Horaz^)  epod.  2,  43 ff.   sacrwn  vetustis 

2  13  3  4  4 

exstruat  lignis  focum  Lassi  sub  adventum  viri  Claudensque  textis  cratibus 

556  6  787  8 

laetum  pecus  Distenta   siccet  ubera  Et  horna  didd  vina  promens   dolio 

9  9 

Dapes  inemptas  apparet  u.  s.  w.   od.  II  18    (sicher  ein  sehr   früher   Ver- 

12  2  1  3 

such)  non  ebur  neque  aureum  Mea  renidet  in  domo  lacwnar,  Non  trabes 

3  4  5  4  5  6  7 

Hymettiae  Premwnt  columnas  ultima  recisas  Africa,  neque  Attali  Ignotus 

7  6  8  9  8 

heres  regiam  occupavi,   Nee  Laconicas  mihi  TraJiuM  honestae  purpuras 

9 

clientae,    ähnlich  I  28    (ebenfalls  früh  wegen   der  Komposition  und   des 
Epodenmaßes;    die  von  Kießling  aus  "Vers  26  abgeleitete  Zeitbestimmung 


1)  Vergl.  Haupt,  op.  1  104  'Horatius,  cuius  in  carminibus  tantum  est  ver- 
borum  aequalitatis  studium  quantum  in  prosa  oratione  Ciceronis'.  Auch  in 
den  Satiren,  besonders  an  Stellen  mit  pathetischem  Charakter,  hat  er  diese 

1  2 

Art  der  Wortstellung  gelegentlich  verwendet,  so  I  6,  73  f.  nam  vaga  per  veterem 

.31  2  3 

dilapso  flamma  culinam  \  Volcano  summum  properabat  lambere  tectum  (der  paro- 
dische  Stil  ist  deutlich:  vergl.  Ennius  a.  477  und  den  durch  Ennius  beeinflußten 

1  2 

Vergil  a.  II  311.  684.    III  574.    VH  77),    H  2,  136   fortiaque    adversis    opponite 
pectora  rebus  (eine  fvib^xr]  irepl  T^xric),  3,  186.  4,  30  u.  ö.,  ep.  I  7,  29. 


EINIGES  ÜBER  WORTSTELLUNG.  389 

11  2  3  S  3 

ist  unrichtig)   3  f.  puloeris  exigui  prope   litus  parva   Maünum   immer a. 

12  3  13  2  s 

21  f.  me  quoque  devexi  rapidus  comes  Orionis  lUyriis  notus  obruit  umdis, 

12  3  2 

I  9  (früh,  vergl.  Kießling)    21  f.  nunc   et  latentis  proditor  intimo  gratus 

13  3  121 

puellae  risus  ah   angulo,    m  11,  26  f.   (ebenfalls)  inane  lymphae  Dolium 

3  2  3 

fundo  pereu/ntis  imo,   15  (eins  der  frühsten,  rein  erotischen  Lieder)  Iff. 

12  2  1  3  3  4 

quis  muUa  gracüis  te  puer  in  rosa  perfiisus  liquidis  urguet  odorUms  grato 

4  12  12  3 

Pyrrha  sub  antro    13  ff.  me  tabula  sacer  votiva  paries  indiccet  umda  sus- 

4  3  4 

pendisse  potenti  vestimenta  maris  deo;  später  hat  er  sich  etwas  mehr  da- 
von frei  gemacht  (vergl.  z.  B.  I  l).  Auch  die  Elegiker,  besonders  im 
Pentameter,  vergl.  z.  B.  Tibull  II,  Iff.  divitias  alius  fidvo  sün  congerat 

12  2  1  3  3  4 

auro.  et  teneat  culti  iugera  rmdta  soli,  Quem  labor  adsiduus  vicino  terreat 

4  5  5  6 

hoste,   Martia  cui  somnos  dassica  pulsa  fugent;   Me  mea  paupertas  vita 

6  7  8  8  7  9 

traducat  inerti,  dum  meus  adsiduo  luceat  igne  focus.     Ipse  seram  teneras 

10  10  9  11  12  12  11 

maturo  tempore  vites,  rusticus  et  facüi  grandia  poma  manu;  später  hat 

auch   er  sich   von   der  Manier   etwas   emanzipiert   (vergl.   auch  W.  Geb- 

hardi,  De  Tibulli  Properti  Ovidi  distichis,  Königsberg  1870). 

Kein  griechischer  Dichter  ist  meines  Wissens  der  rhetorischen  Manier 

in  diesem  Maße  verfallen:  selbst  bei  den  zierlichen  älteren  Dichtem  der 

Anthologie  muß  man  suchen,  um  ein  oder  das  andere  Beispiel  zu  finden.  ^) 

Eine  Ausnahme  davon  macht,   wenn  ich  nichts  übersehen  habe,   nur  ein 

Epigramm  der  Anthologie,   das  allerdings  ganz   in   der  Weise  der  latei- 

1      ,  2  ^  ^  1 

nischen  Dichter   geschrieben  ist:    VI  165  (JTpeTTXÖv  BaCTCTapiKoO  pöjuißov 

^    2  ^  3^4  3  4  5 

Bidffoio  mJuiTca  Ktti  (TkijXoc  d|iq)iböpou  aiiKTÖv  dxauveu)  Kai  Kopußav- 

,        ,®  ,6^,5  7  8  7 

Tciiüv  iaxr|,uaTa  xct^^ea  pÖTTxpujv  Kai  Gupaou  x^oepöv  KUJvoq)6pou  Kd- 

8 

liaKa  u.  s.  w.  Aber  diese  Ausnahme  ist  charakteristisch:  im  cod.  Pal. 
ist  das  Epigramm  überschrieben  <t)aXdKKOU,  woraus  zwar  in  den  apo- 
grapha  0aXaiKOU  gemacht  ist,  aber  unrichtig  für  <t)\dKKOU  (vergl.  Knaack 
bei  Susemihl,  Alexandr,  Lit.  II  523,  27),  d.  h.  es  stammt  von  einem  auch 
sonst  in  der  Anthologie  exzerpierten  Statilius  Flaccus,  also  einem  Lateiner, 
der  die  lateinische  Manier  auf  das  Griechische  übertragen  hat.^) 


1)  Bemerkenswert,    weil   zweimal   nebeneinander,  VI  154,  5 f.   Nüincpaic  bk 

18213  4-  ^  A- 

öKiepfjc  eöiroiKiXov  ävöoc  ÖTruüpric  cpOXXa  Te  TreuTa^^viüv  ai)iaTÖevTa  ^ö6u)v.  Über- 
schrieben ist  das  Epigramm:  Aetuviöa  TapavTivou,  oi  he  faiTouAiKoö,  aber  die 
Umgebung  und  der  Stil  sprechen  dafür,  daß  es  aus  der  Sammlung  des  Meleager 
stammt  (vergl.  J.  Geffeken,  Jahrb.  f  Phil.  Suppl.  XXIII  1897,  10.  101.) 

2)  Unter  dem  Einfluß  solcher  späten  Epigramme  dichtete  dann  Paulos 
Silentiarios  die  seinigen,  in  denen  daher  die  Manier  gelegentlich,  wenn  auch 
nicht  so  stark,  hervortritt,  vergl.  A.  P.  VI  64.  66.  Den  Stil  dieser  jungen  Epi- 
gramme hat  Nonnos  in  den  des  Epos  umgesetzt;  daher  finden  sich  bei  ihm 
viele  Beispiele  für  die  Manier:  mehr  als  bei  irgend  einem  anderen  griechischen 
Dichter,  aber  doch  noch  erheblich  weniger  als  bei  den  lateinischen,  die  ja 
auch  für  Nonnos  nachweislich  weder  als  inhaltliche  noch  formale  Vorbilder  in 
Betracht  kommen.  —  Interessanter  als  die  Praxis  dieser  Spätlinge  ist  die  Tat- 
sache, daß  Goethe  die  ihm  aus  der  Lektüre  der  römischen  Elegiker  geläufige 


390  ANHANG  IIL 

B.   Einzelnes. 

1.    Trennung  von  Substantiv  und  Attribut  durch  Verssoliluß. 

Während  Attribut  und  Substantiv  ganz  gewöhnlich  in  der  Weise 
über  zwei  Verse  verteilt  werden,  daß  ersteres  vorausgeht  (z.  B.  VI  4 f. 
litora  curvae  \  praetexmd  puppes),  ist  die  umgekehrte  Stellung  im  Ver- 
gleich dazu  selten,  weil  das  Substantiv  im  allgemeinen  den  wesentlicheren 
Begriff  enthält,  bei  dessen  Vorwegnahme  im  ersten  Vers  der  Hörer  ein 
Attribut  meist  nicht  erwarten  würde.  Daher  wird  diese  Stellung  nur 
unter  der  Bedingung  zugelassen,  daß  das  Attribut  dem  Substantiv  einen 
besonders  wesentlichen  Begriff  hinzufügt,  der  nun  gerade  durch  seine 
signifikante  Stellung  zu  Beginn  des  zweiten  Verses  hervorgehoben  wird; 
besonders  deutlich  XI  62  f.  solacia  ludus  \  erci^wa  ingentis.  Daher  findet 
sich  diese  Stellung  relativ  am  häufigsten,  wenn  das  Attribut  ein  Zahlen-, 
Größen-  oder  Raum  Verhältnis  bezeichnet,  auf  das  durch  die  isolierte 
Stellung  ein  Nachdruck  gelegt  wird.  So  oft  bei  ingens  z.  B.  VI  518 f. 
flammam  media  ipsa  tenebat  \  ing entern,  g.  I  476  vox  quoque  per  lucos 
volgo  exaudita  süentes  \  ingens,  a.  VIII  203  f.  taurosque  hac  victor  agebat  | 
ingentes;  femer  bei  negiertem  parvus  a.  IX  298f.  nee  partum  gratia 
talem  \  parva  tenet,  bei  plurlmus  g.  II  182f.  tractu  surgens  Oleaster 
eodem  \  plurimus,  bei  omnia  b.  6,  34  ut  Ms  exordia  primis  \  orrmia  (con- 
creverint),^)  bei  ulla  b.  5,  60f.  nee  retia  cervis  \  ulla  dolum  meditantur, 
bei  prima  a.  IX  478f.  agmi/na  cursu  \  prima  petit,  bei  ultima  a.  V  346 f. 
frustraque  ad  praemia  venit  \  ultima^  VI  477  arva  tenebant  \  ultima,  bei 
summa  g.  IV  5 4 f.  flumina  libant  \  summa,  bei  im«  a.  IX  119 f.  demersis 
aequora  rostris  |  ima  petunt.  So  dann  auch  bei  solchen  Attributen,  die 
eine  besonders  hervorstechende  Eigenschaft  des  Substantivs  bezeichnen, 
z.  B.  a.  VI  143 f.  non  deficit  alter  (^sc.  ramus)  |  aureus  IV  239 f.  talaria 
nectit  I  aurea  IX  303  f.  cxuit  ensem  \  auratum  441  f.  rotat  ensem  \  fulmi- 
neum  7 32  f.  tremunt  in  vertice  cristae  \  sanguineae  II  480  f.  postesque  a 
cardine  vellit  \  aeratos  IX  627 f.  aurata  fronte  iuvencum  \  candentem  X  44 f. 
si  nulla  est  regio.  Teuer is  quam  det  tua  coniunx  \  dura  u.  dgl.  m.;  daher 
auch  z.  B.  a.  IX  304 f.  Lycaon  \  Gnosius  619  f.  Matris  |  Idaeae  X  268 
du>cibus  ...  1  Ausoniis,  und  gelegentlich  beim  betonten  Pronomen:  z.  B. 
b.  8,  11  f.  iussis  I  carmina  coepta  tuis  a.  IX  481  f.  tune  üle  senectae  |  sera 
meae  requies  X  2 80  f.  coniugis  esto  |  quisque  suae  .  .  .  memor.  Charakte- 
ristisch sind  besonders  die  Fälle,  in  denen  die  nachdrückliche  Trennung 
deshalb  erfolgt,  weil  das  Attribut  im  folgenden  seinen  Gegensa,tz  oder  seine 

Stellung  einmal  nachzuahmen  gewagt  hat:  Alexis  und  Dora  27  „Jeden  freuet 
die  seltne  der  zierlichen  Bilder  Verknüpfung"  (allerdings  mit  be- 
sonderer Absicht,  denn  es  geht  vorher:  „So  legt  der  Dichter  ein  Rätsel  | 
Künstlich  mit  Worten  verschränkt,  oft  der  Versammlung  ins  Ohr"): 
vergl.  C.  Olbrich,  Goethes  Sprache  und  die  Antike  (Leipzig  1891)  37.  Diese 
ausgezeichnete  Schrift  ist  geeignet,  unsern  Blick  für  die  Beurteilung  von  Eigen- 
tümlichkeiten auch  der  lateinischen  Dichtersprache  zu  schärfen:  denn  die 
sprachlichen  Wagnisse  Goethes  in  seinen  antikisierenden  Dichtungen  finden 
ihre  genaue  Analogie  in  der  sprachlichen  Hellenisierung  der  lateinischen  Poesie 
besonders  des  augusteischen  Zeitalters  (vergl.  auch  den  Kommentar  zu  141). 
1)  Vergl.  carm.  epigr.  56,  4  a  püpula  annos  veiginti  optinui  domum  \  omnem 
und  dazu  Bücheier:  'omnem  segregatmn  argute  est  a  reliquis'. 


EINIGES  ÜBER  WORTSTELLUNG.  391 

Erläuterung  und  Fortführung  erhält.  Seinen  Gegensatz  z.  B.  g.  HI  147f 
cui  nomen  asilo  \  Eomanum  est,  oestrum  Grai  vertere  voccmtes,  a.  UI  493 f. 
vivite  felices  quibus  est  fortuna  per  acta  \  tarn  sua;  nos  alia  ex  aliis  in 
fata  vocamur,  ViU  6 71  f.  maris  ibat  imago  \  aurea,  sed  fliictu  spumabant 
caerula  cano,  g.  IE  291f.  ==  a.  IV  445f.  quantum  vertice  ad  auras  \ 
aetherias^  tantum  radice  ad  Tartara  tendit,  vergl.  a.  I  546  f.  vescitur 
aura  \  aetheria  neque  adhiic  crudelibus  occuhat  umbris  (analog  VI  761  f. 
ad  auras  \  aetherias  .  .  .  surget,  im  Gegensatz  zum  Hades,  in  dem  er 
jetzt  weilt).  Seine  Erläuterung  oder  Fortführung  z.  B.  VI  413  f.  gemuit 
sub  pondere  cumba  \  sutilis  et  multam  accepit  rimosa  paludem  492  f.  pars 
tollere  vocem  |  exiguam:  inceptus  clamor  frustratur  Mantes  III  614  f.  geni- 
tore  Adamasto  \  paupere:  mansissetque  utinam  fortuna  V  140f.  ferit  aethera 
clamor  \  nauticus:  adductis  spumant  freta  versa  lacertis  354 f.  quae  munera 
Niso  I  digna  dabis:  primam  merui  qui  laude  cor&nam  624  f.  o  gens  \  in- 
felix:  cui  te  exitio  Fortuna  reservat?  Vm  2 44  f.  regna  recludat  \  paUida, 
dis  invisa  XI  6 10 f.  tda  \  crebra,  nivis  ritu  XU  339  f.  rores  \  sanguineos, 
mixtaque  cruor  calcatur  harena. 


2.    Indifferente  "Worte  am  Versende. 

Das  Bestreben,  dem  gegen  Schluß  des  Verses  fallenden  Rhythmus 
durch  prägnante  Worte  ein  Gegengewicht  zu  geben  (s.  o.  S.  386),  ist  so 
alt  wie  der  lateinische  Hexameter  selbst:  seit  Ennius  übertrifft  die  Zahl 
der  Substantive,  Adjektive  und  Verben  am  Versschluß  weitaus  diejenige 
der  mehr  indifferenten  Wörter  (Pronomina,  Partikeln,  Konjunktionen, 
Präpositionen,  Hilfsverben,  Verbum  substantivum  außer  dem  durch  Enklisis 
verbundenen  est).  Aber  die  Abneigung  gegenüber  Wörtern  der  letzteren 
Art  war  nicht  immer  von  gleicher  Stärke.  Die  neoterische  Schule,  die 
im  Gegensatz  zu  der  archaischen  Verknüpfung  mehrerer  Hexameter  zu 
einer  Periode  den  einzelnen  Vers  inhaltlich  möglichst  zu  verselbständigen 
bestrebt  war  (s.  o.  S.  37 9 f.),  verhielt  sich  gegen  indifferente  Worte  am 
Versschluß  am  ablehnendsten.  Von  den  408  Hexametern  des  catul- 
lischen  Epyllions  schließen  402  mit  Substantiven,  Adjektiven  oder 
Verben,  so  daß  im  Durchschnitt  nur  jeder  68*®  Vers  mit  einem  indiffe- 
renten Wort  schließt.^^  Die  sechs  Ausnahmen  sind  noch  dazu  sämtlich 
beabsichtigt  oder  gerechtfertigt:  26  Tliessaliae  columen  Peleu,  cui  lupiter 
ipse  (beabsichtigt,  denn  es  folgt:  ipse  suos  divom  genitor  concessit 
am,ores),  158  si  tibi  non  cordi  fuerant  conubia  nostra  (ebenfalls  beab- 
sichtigt wegen  des  Gegensatzes  160  at  tarnen  in  vestras  potuisti  dunere 
sedes),  201  taii  mente,  deae,  funestet  seque  suosque  (Schluß  einer  Rede, 
die  Pronomina  in  starker  Antithese  zu  dem  in  200  vorangehenden  wc), 
61  saxea  ut  effigies  baccha/ntis  prospicit,  eheu  (mit  starker  Wirkung  an 
den  Schluß  gestellt),  219 f.  eripit  invito  mihi  te,  cui  languida  nondum] 
lumvna  sunt  grati  eara  saturata  figura:  „meine  Augen,  obwohl  schon 
matt,  haben  sich  doch  noch  nicht  satt  an  dir  gesehen"  (also  nondum  in 
Antithese  zu  la/nguida),  66 f.  omnia  quae  toto  delapsa  e  corpore  passim\ 
ipsius  ante  pedes  fluctm  salis  adludebant  (in  dem  Adverbium  wurde  die 
verbale  Bildung  wohl  noch  intensiv  gefühlt).  —  In  stai'kem  Kontrast 
hierzu  steht  die  Praxis  des  Lucrez.     Von    den  900   ersten  Hexametern 


392  ANHANG  in. 

des  Buchs  I  läßt  er  124  mit  solchen  Wörtern  schließen  (also  jeden 
7**°  Vers),  nämlich  mit  Adverbien  und  Konjunktionen  35  (foede, 
aeque,  vere,  raptim,  vicissim,  contra,  extra,  superne,  coram,  certe,  pi'ofedo, 
porro,  prorsum^  demum,  3  tmquam,  semper,  ta/ndem,  saepe,  2  usque,  iam, 
7  ante,  2  inde,  magis  quam,  autem,  quando  conj.^,  mit  Pronomina  51 
(4  eius,  2  eorum,  2  eandem;  3  quorum;  9  Formen  von  quisque;  3  quae- 
dam;  quis,  quid  indef.;  3  quicquam;  8  Formen  von  ipsc]  3  von  üle; 
4  von  tuus  und  noster;  5  se,  1  sese\  1  tute,  1  nos),  mit  Formen  von 
esse  (außer  est)  21  (8  esse,  5  sunt,  1  sit,  2  esset,  2  fuerwnt  fuere, 
2  fuisset,  1  fuissent),  mit  Formen  von  posse  und  quire  nequire  17 
(3  posse,  1  potesse,  1  possu/nt,  1  quimus,  1  nequihum,t,  1  possis,  1  possit, 
;3  possint,  1  queamus,  4  posset,  1  possent).  —  Vergil  hält  hier,  wie  über- 
haupt (s.  0.  S.  379.  82),  die  glückliche  Mitte  zwischen  archaischer  Kunst- 
losigkeit  und  neoterischer  Künstelei.  Er  läßt  von  900  Versen  des 
VI.  Buchs  41  mit  Wörtern  dieser  Art  schließen  (also  jeden  22*®'*  Vers)^), 
nämlich  mit  Adverbien,  Konjunktionen,  nachgestellten  Präposi- 
tionen (darunter  nachweislich  einer  Anzahl  von  Entlehnungen  aus 
archaischer  Poesie)  21  (quotannis,  volgo,  vere,  lote,  parumper,  2  ultro, 
ultra  adv.,  4  circum  adv.,  ergo  adv.,  quondam,  porro,  coram  adv.,  superne; 
quando  conj.;  2  circum  praep.,  ergo  praep.^,  mit  Pronomina  12  (quibusve 
interrog.,  qualis  interrog.;  2  Formen  von  ipse;  3  von  ille;  3  von  noster 
und  vester;  1  mecum,  1  te),  mit  Formen  von  esse  (außer  est)  4  (es 
ennianisch,  essent,  fuissent,  futurum),  von  posse,  quire  nequire  5  (pos- 
sim,  posset,  nequivi,  quivi,  letzteres  sicher  ennianisch,  s.  Kommentar 
zu  463;. 

Am  unbeliebtesten  am  Versschluß  waren  natürlich  solche  Wörter, 
die  in  ihrem  Verse  überhaupt  keine  selbständige  Bedeutung  besaßen, 
sondern  dem  Gedenken  nach  vielmehr  zum  folgenden  Verse  gehörten, 
also  Relativpronomina,  Konjunktionen,  Partikeln,  Präpositionen  ohne  In- 
version. Cicero  und  Catulls  Epyllion  bieten  für  diese  Stellung  über- 
haupt kein  Beispiel;  die  übrigen  Daktyliker  bis  Vergil^)  verhalten  sich 
hierzu  wie  folgt. 

1)  Relativpronomina:  Lucrez  17  (8  quae,  1  quod,  1  quid, 
1  quem,  1  cui,  5  quorum),  d.  h.  1  mal  in  436  Versen.  Vergil  7  meist 
durch  Anaphora  bedingte  (quae  b.  5,  83,  cuius  g.  IV  394,  quos  a.  V  713 
XI  429,  quas  XI  164,  quo  b.  9,  48,  quibusve  VI  560;,  d.  h.  1  mal  in 
1841  Versen.  Dazu  (tantum)  —  quantum  Lucr.  I  360,  Verg.  b.  9,  12. 
g.  IV  101,  quantus  (betont)  XI  283;  quidquid  XTI  891. 

2)  Konjunktionen»):    Lucrez    26    (cum  HI  1050   IV  259    939 

V  1071    VI  279    896,    dum  H  1125,   quod   H  799    IV  293    339    340 

V  1172  VI  53  861,  quare  II  308,  quando  1188,  quamquam  H  204, 
priusquam  VI  917,  ante  —  qimm  V  1341  VI  901,  postquam  III  843,  siquis 


1)  Ein  ähnliches  Verhältnis  zeigen  schon  die  Fragmente  von  Ciceros  Lehr- 
gedichten: in  674  Versen  22  indiflFerente  Worte,  d  h.  in  jedem  26**=°  Vers. 

2)  Die  Beispiele  aus  Lucrez  auch  bei  H.  Sauppe,  Quaest.  Lucretianae, 
Göttingen  1880,  8 f.  —  Daß  Ennius  so  wenig  vertreten  ist,  erklärt  sich  daraus, 
daß  von  ihm  meist  nur  einzelne,  in  sich  dem  Gedanken  nach  abgeschlossene 
Verse  zitiert  werden. 

3)  Lucilius  fr.  155  cum,  Lydia  25  si. 


EINIGES  ÜBER  WORTSTELLUNG.  393 

VI  167  841,  unde  H  331  1109  IV  722;,  d.  h.  1  mal  in  285  Versen. 
Vergil  26  oft  durch  Anapher  bedingte  (cum  b.  6,  39  g.  1 314  370 
111123  358,  dum  g.  III  428,  quando  a.  VI  50  X  366  XI  509,  donee 
XI  201,  posiquam  I  154  III  212  X  298,  priusquam  g.  III  468  a.  I  472, 
ante  — quam  g.  I  347  11  536  IV  306  vergl.  I  223,  siquis  b.  6,  9  g.  11  49 
m  474  IV  6,  ut(qu€)  g.  IH  24  a.  11  665,  neve  g.  I  80,  unde  a.  H  458;, 
d.  h.  1  mal  in  496  Versen.  • 

3)  Partikeln.^)  Lucrez  10  (atque  VI  1108,  quam  'als'  1738 
II  57  IV  181  911  Vlll  VI  37,  neque  autem  IV  152  VI  103  779;, 
d.h.  1  mal  in  741  Versen.  Vergil  7  (atque  XII  355  616,  namque 
V  733  VII  122,  necdum  g.  H  539  a.  IV  541  V  415;,  d.  h.  1  mal  in 
1841  Versen. 

4)  Präpositionen  (ohne  Inversion).*)  Lucrez  2  (cum  III  667, 
extra  I  72;,  d.  h  1  mal  in  3707  Versen.  Vergil  4  (ärcum  a.  IV  254 
mit  Anapher,  inter  g.  III  229  459  a.  X  890,  inter  \  hellatoris  equi  cava 
tempora  conicit  hastam,  dies  nach  dem  Vorbild  des  Ennius,  für  den  inter 
so  überliefert  ist  a.  114;  auch  beUator  equus  macht  archaischen  Eindruck), 
d.  h.  1  mal  in  3222  Versen. 

3.    Inversion  von  Faxtikeln. 

M.  Haupt  hat  nachgewiesen  (op.  I  115 ff.),  daß  Inversion  von  et 
und  aique  erst  von  den  Neoterikern,  und  zwar  nach  dem  Vorbild  der 
hellenistischen  Dichter^),  eingeführt  worden  ist;  der  Grund  ist  meist  in 
metrischer  Bequemlichkeit,  häufig  aber  auch  in  dem  Bestreben  zu  suchen, 
indifferente  Worte  von  den  markierten  Satz-  und  Versstellen  abzurücken 
(s.  den  Kommentar  zu  28.  792 f).  Eine  Ausdehnung  dieser  Untersuchung 
auf  andere  Partikeln,  sowie  auf  Konjunktionen  und  das  Relativpronomen 
(vergl.  für  letzteres  den  Kommentar  zu  792  f.)  wäre  erwünscht  und  ist 
schon  von  Leo  (Gott.  gel.  Anz.  1897,  956)  gefordert  worden.  Bisher 
gibt  es  dafür  nur  gelegentliche  Beobachtungen.*)  Für  diese  Art  von 
Stellung  der  Partikeln  bei  Vergil  habe  ich  —  außer  den  von  Haupt  ge 
sammelten  Fällen  von  et^)  —  mir  einige  Beispiele  gesammelt,  ohne  für  ab- 


1)  Lucilius  406  et,  ebenso  nach  wahrscheinlicher  Konjektur  884.  So  auch 
die  szenische  Poesie  (vergl.  Vahlen,  über  die  Versschlüsse  in  den  Komödien 
des  Terentius  in:  Abb.  d.  Berl.  Akad.  1900)  und  nach  dieser  Varro  sat.  78  Buch. 
Nach  Lucilius  hat  Horaz,  der  sich  in  den  Sermonen  hierin  überhaupt  so  weit 
gehen  läßt  wie  kein  andrer  Dichter,  12mal  et,  29mal  atqu^  am  Schluß;  et 
dann  auch  luvenal  2,  146. 

2)  Lucilius  1157  e  (?).  Über  invertierte  Präpositionen  vergl.  den  Komm, 
zu  VI  329;  Tmesis  von  circum  a.  I  175.  11  218.  III  634.  VI  517.  g.  IV  274. 

3)  Zwei  weitere  Beispiele  aus  hellenistischer  Poesie  für  invertiertes  Kai 
bei  V.  Wilamowitz,  Adonis  39  und  Archiv  f  Papyrusforsch.  I  (1901)  220,  12. 

4)  So  außer  Hand  im  Tursellinus  von  Leo  selbst  in  Nachr.  d.  Gott.  Ges. 
1895,  429,  3  und  Seneca  I  90;  Bentley  zu  Horaz  s.  H  6,  78;  Orelli-Hirschfelder 
zu  Horaz  carm.  I  37,  8;  Kießling  ib.  I  12,  21;  Lachmann  und  Heinze  zu  Lucrez 
ITI  531;  Ehwald  zu  Ovid  met.  Ö.  495.  XV  444;  Leyhausen,  Helenae  et  Hems 
epistulae  (Halle  1893)  44  ff.  sowie  einige  weitere  Literatur  bei  Forbiger  zu  Verg. 
b.  4,  63. 

5)  Vergl.  über  et  auch  den  Kommentar  zu  448  f.  840.  Etwa  aus  caesarischer 
Zeit  carm.  epigr.  55  Buch.  Vers  5  f.  heic  mridis  aetas  cum  floreret  artibus  |  cres- 
cente  et  aevo  gloriam  comcenderet  ('neoterice  et  postpositum'  Bücheier).  —  Atque 


394  ANHANG  m. 

solute  Vollständigkeit  einstehen  zu  können;  auch  gewinnen  solche  Samm- 
lungen eigentlichen  Wert  erst  dann,  wenn  man  die  Praxis  der  einzelnen 
Dichter  an  derjenigen  ihrer  Vorgänger  und  Zeitgenossen  mißt,  was  ich 
hierfür  nicht  vermag.^) 

nam  wie  ^ap  an  zweiter  Stelle  des  Satzes  (wie  Catull  23,  7.  37,  11. 
64,  301;  Horazepod.  14,  6.  17,45.  s.  II 3,  20.  41.  302.  6,78.  ep.  II  1,186. 
od.  IV  W,  9;  Lygdamus  4,  43)  a.  I  444.  518.  731.  IV  421.  VI  67.  X  585;  *? 
an   dritter  Stelle   wie   Hör.  od.  I  18,  3  siccis  omnia  nam  durcTcleus  pro- 
posuii  bei  Vergil  nie. 

namque  an  zweiter  Stelle^)  (wie  Catull  64,  384,  Horaz  s.  I  6,  57) 
b.  3,33.  g.  IV  221.  392.  a.  III  379.  VI  117.  860.  VIH  497.  X  401.  815; 
an  dritter  a.  VI  72  hie  (adv.)  ego  namque  tuas  sortes  .  .  .  ponam'^  an 
vierter  X  614  non  hoc  mihi  namque  negares  (affirmativ  wie  öfters  enim, 
jedenfalls  archaisch,  vergl.  Kommentar  zu  28)  und  zugleich  mit  ungewöhn- 
licher Stellung  am  Versende  (s.  o.  bei  B  2,  3)  V  733  non  me  impia 
namque  \  Tartara  habent  VII  122  genitor  mihi  talia  namque  \  nunc  repeto 
Anchises  fatorwm  arcana  reliquit;  an  sechster  b.  1,  14  hie  inter  densas 
corylos  modo  namque  gemellos  .  .  .  reliquit  (vergl.  Catull  66,  65  virginis 
et  saevi  contingens  namque  leonis  |  lumina). 

at  b.  10,  31.  a.  V  264.  VH  500.  XI  753  stets  an  zweiter  Stelle 
(wie  Catull  64,43.  58;  Horaz  s.  I,  2,  47.  8,  37),  also  nach  be  (über  dXXd 
s.  Haupt  1.  c.  135).     Vergl  auch  v.  Winterfeld,  Rh.  Mus.  LVIH  49,  1. 

sed  an  zweiter  Stelle  (wie  Catull  51,9;  Tibull  17,46.  8,63. 
II  4,  3;  Lygd.  1,  19.  paneg.  in  Mess.  34;  Horaz  ep.  II  1,  89.  2,  46.  od. 
IV  4,  33)  aen.  1353.  III  37.  586.  VH  704.  736.  XI  63.  631.  816;  an 
dritter  (wie  Lygdamus  5,  28)  V  5  duri  magno  sed  amore  dolor eh{mit  der 
oben  bei  A  3  besprochenen  Gruppierung  der  Worte).  —  sed  enim  an 
zweiter  Stelle  a.  I  19,  an  dritter  VI  28,  an  vierter  II  164. 

nee  an  zweiter  Stelle  (wie  Catull  64,  173.  210.  379.  68,  55.  116; 
Tibull  11,72.  93.  4,62.  6,69.  7,26;  Lygd.  3,26.  4,91.  6,55.  pan. 
in  Mess.  42.  61.  125.  127.  144.  164;  Horaz  epod.  10,  11.  16,  33.  55. 
60.  od.  I  8,  6.  III  4,  77.  18,  6.  IV  5,  14.  7,  25.  ep.  I  18,  37,  nie  in  den 
Satiren)^),  g.  1 397.  a.  HI  496.  IV  33.  365.  551.  696.  V  217.  783. 
VII  115.  261.  811.  IX  218.  X  297.  XI  137.  343.  XII  538.  630.  644; 
an  dritter  (wie  Tibull  I  8,  4.  Lygd.  6,  19  pan.  42)  a.  H  159  teneor  pa- 
triae nee  legibus  ullis  (aber  nee  —  uilus  eng  zusammengehörig). 

stellt  Vergil,  wie  Haupt  bemerkte  (p.  120),  nie  nach:  er  las  also  buc.  6,  38 
richtig  mit  cod.  R.  utque  (vergl.  Skutsch,  Aus  Vergils  Frühzeit  46)  und  verband 
nicht,  wie  einige,  in  g.  HI  498  labitur  infelix  studiorwin  atque  immemor  herbae 
ßlschlich  Studiorum  immemor. 

1)  Die  Beispiele  aus  Catull,  Horaz  und  der  tibuUischen  Sammlung  sind 
nach  den  indices  verborum  von  Schwabe,  Zangemeister,  Hiller  vollständig 
angeführt. 

2)  In  Prosa  seit'Livius:  vergl.  M.  Müller  Anhang  zu  Liv.  H  36,  4. 

3)  Freilich  interpungiert  Kießling  s.  H  5,  5ff.  vides  ut  |  nudu^  inopsque 
domum  redeam;  te  vate  nee  illic  \  aut  apotheca  procis  intacta  est  aut  peeus  und 
bemerkt  „te  vate,  wie  du  mir  soeben  geweissagt  hast  im  Gegensatz  zu  vides^''. 
Da  jedoch  invertiertes  nee,  das  der  gesprochenen  Rede  fremdartig  war,  sich  in 
den  Satiren  nicht  findet,  muß  te  vate  vielmehr  ötto  koivoO  zum  ersten  und 
zweiten  Satzgliede  bezogen  werden;  mit  nee  illic  das  zweite  Glied  beginnen  zu 
lassen,  empfiehlt  auch  der  analoge  Versschluß  s.  H  6,  83  neque  ille. 


EINIGES  ÜBER  WORTSTELLUNG.  395 

aut  an  zweiter  Stelle  (wie  Tibull  II  5,  112;  Horaz  epod.  1,  34. 
7,  7.  9,  31.  16,  4.  s.  I  3,  39.  II  7,  50.  od.  I  21,  7.  II  12,  24.  HI  1,  28) 
g.  1274.  484.  a.  1369.  IV  187.  317.  619.  VH  298.  1X214.  Xn  852; 
vd  (wie  TibuU  H  4,  9.  lY  19,  11.  pan.  202;  Horaz  s.  I  2,  134)  g.  H  321. 
in204. 

iamque^)  an  zweiter  Stelle  a.  HI  588.  V225.  VI  81.  Vn637.  X813. 

necdum  a.  V  415  dum  melior  viris  sanguis  dabat,  aemula  necdum  \ 
femporibus  geminis  canebat  sparsa  senectus  (der  Vers  eingeralimt  von 
dum — necdum  wie  g.  11  539  in  regulärer  Stellung  von  necdum — necdum).*) 


1)  Horaz  hat  iamque  als  anknüpfende  Partikel  nur  s.  I  5,  20  iamque  dies 
erat  II  6,  100  f.  iamque  tenebat  \  Nox  medium  caeli  spatium,  beidemal  in  paro- 
dierend pathetischem  Stü. 

2)  Zwei  sichere  Beispiele  für  das  Horaz  in  den  Satiren  und  besonders  den 
Elegikem  so  geläufige  Hyperbaton  von  gwe  sind  georg.  IH  238  und  aen.  VI  818, 
vergl.  Leo,  Nachr.  d.  Gott.  Ges.  1895,  429,  3  (über  aen.  VI  254  urteile  ich  anders, 
vergl.  den  Kommentar).   Andere  Fälle  sind  zweifelhafter:  s.  Forbiger  zu  g.  IV  22. 


IV. 
Gleicher  Anslant  aufeinander  folgender  Worte. 

Nach  der  antiken  Theorie  kann  das  simüiter  cadens  oder  desinens 
(öjLiOiÖTTTUJTOV,  6|LioiOTe\euTOv)  teils  ein  Vitium,  teils  eine  virtus  orationis 
sein.  Ein  Vitium  ist  es  nach  dem  auctor  ad  Herenninm  IV  12,  18  si 
utemur  continenter  simüiter  cadentibus  verbis  hoc  m,odo  ^flentes  plorantes 
lacrimantes  obtestantes'  (Ennius  a.  107);  Quintilian  IX  4,  42  vitia  sunt, 
si  cadentia  similiter  et  simüiter  desinentia  et  eodem  modo  dedinata  multa 
iu/nguntur.  Unsere  Vergilscholien  notieren  oft  Verse  des  Dichters  wegen 
des  Gebrauchs,  den  er  von  dieser  Figur  macht.*)  Auf  der  anderen 
Seite  sagt  der  auctor  ad  Herenn.  IV  20,  28:  simüiter  cadens  exornatio 
appellatur,  cum  in  eadem  constructione  verborum  duo  aut  plura  sunt  verba 
quae  similiter  isdem  casibus  efferantur,  hoc  modo  'hominem  laudem  egen- 
tem  virtutis,  dbwndcmtem  felicitatis'^'  Der  scheinbare  Widerspruch  ver- 
einigt sich  in  der  Weise,  daß  dieselbe  Figur  fehlerhaft  sein  kann,  wenn 
sie  ohne  besondere  Absicht  gebraucht  wird,  dagegen  ein  Vorzug,  wenn 
der  Schriftsteller  mit  ihrem  Gebrauch  einen  besonderen  Zweck  verfolgt. 
Wie  schwankend  die  Grenze  bei  der  Beurteilung  naturgemäß  sein  mußte, 
zeigt  deutlich  die  Tatsache,  daß  Ennius  in  jenem  von  dem  lateinischen 
Rhetor  getadelten  Vers  gerade  das  Tidöoc  der  Trauer  sinnfällig  zum 
Ausdruck  hat  bringen  wollen. 

Wenn  wir  an  der  Theorie  die  Praxis  messen,  so  dürfen  wir  wohl 
sagen,  daß  kein  noch  so  sorgfältiger  griechischer  oder  lateinischer  Pro- 
saiker oder  Dichter  den  gleichen  Wortauslaut  durchaus  gemieden  hat.^) 


1)  Vergl.  zu  buc.  5,  38  purpureo  narcissoj  duo  homoeoteleuta.  aen.  IV  604 
at  reginä  pyräj  notatus  est  hie  versus:  vitiosa  est  enim  elocutio  quae  habet  exitus 
similes,  licet  sit  casuum  dissimilitudo.  558  vocemque  coloremquej  duo  öiuoio- 
T^Xeuxa,  et  est  versus  hypermeter.  IX  44  cristaque  tegit  galea  aurea  rubra]  duo 
äblativi  sunt  et  duo  nominativi,  quos  metrica  ratione  discernimus  .  .  .  sane  htäus 
modi  versus  pessimi  sunt  (vergl.  zu  IX  606).  XII  341  Sthenelumque  dedit  Thamy- 
rumqu^  PholumqueJ  plura  öinoiOT^Xeuxa. 

2)  Als  besonders  starke  Abweichungen  in  griech.  Prosa  notierte  ich  mir: 
Herodot  IV  175  ^oüoric  xf^c  äX\r]c  Tf\c  TrpoKaxaXexeeiöric  Aißüric  vpiXfjc,  Antiphon 
de  caed.  Herod.  49  ^k  xoTv  Xöfoiv  xoiv  dv&poiv  ^Kux^poiv  xoiv  ßaoavicO^vxoiv, 
Demosth.  ol.  1,  1  ^G^Xeiv  ÖKoOeiv  de  cor.  238  xu)v  Oir^p  xOüv  'CXXrjvujv  ^Keivujv 
dYUJvicaiaevujv  xpiripujv,  xpiaKOöiujv  ouöiuv  xuiv  iraaiuv  (dies  innerhalb  einer 
nachweislich  improvisierten  Partie),  Theoprast  char.  5,  5  KeXeOoai  Kokiöai  15,  9 
dvaiueTvai  oök  öv  i)iro|ueTvai,  was  der  sorgfältige  Theoretiker  irepl  X^EeuJc  kaum 
belassen  hätte,  wenn  er  das  Material  seiner  Charaktere  schriftstellerisch  be- 
arbeitet haben  würde,  so  wenig  wie  Aristoteles  die  Gleichgültigkeit  seiner 
hypomnematischen  Schriften  (z.  B.  dmxeipfjöai  KaxaXOöai  pol.  t  1.  1301  b  19) 
auf  die  für  das  Publikum  bestimmten  übertragen  hat.     Lysias  ist,  wie  Gebauer 


GLEICHER  AUSLAUT  AUFEINANDER  FOLGENDER  WORTE.      397 

Der  von  unseren  Schollen  (vergl.  S.  396,  l)  gegen  einzelne  Verse  Vergils 
deswegen  erhobene  Tadel  ist  um  so  unbegründeter,  als  Vergil  gerade  die 
Wiederholung  von  schließenden  -a  unbedenklich  da  zugelassen  hat,  wo 
es  nicht  nacheinander  in  die  Arsis  fiel,  z.  B  a.  I  83  qtia  data  porta 
418  mterea  qua  semita  664  mea  magna  potentia  V  556  tonsa  coma 
pressa  Corona.  Andererseits  ist  allerdings  sicher,  daß  Vergil,  wie  zu 
erwarten,  die  Regel  gekannt  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  ohne 
sich  ängstlich  an  sie  zu  binden,  beobachtet  hat.  Das  zeigen  —  außer 
einigen  zutreffenden  Bemerkungen  unserer  Scholien^)  —  besonders  klar 
folgende  Tatsachen.  1)  Sein  Verhalten  gegenüber  Adjektiven,  deren 
Endungen  variierten.  Die  ihm  vertraute  Form  ist  hiiugus,  die  er  fünf 
mal  neben  Substantiven  der  3.  Dekl.  oder  alleinstehend  hat  (a.  V  144 
X  253  399  453  587),  aber  daneben  hat  er  zweimal  biiugis  aus  ersicht- 
lichem Grund:  g.  IH  91  equi  biiuges  a.  Xu  355  equos  biiuges.  Ebenso 
quadriiugus  -is:  g.  III  18  quadriiugos  currus  a.  Xll  162  quadriiugo  curru, 
aber  X  571  qiiadriiuges  m  eqiws  (vergl.  Servius:  propter  homoeotdeuion 
noluit  dicere  ^ quadriiugos^X  Analog  inermus  -is:  a.  X  425  pectus  inermum 
Xll  131  volgus  inermum,  aber  a.  II  67  turbatus  inermis.  Bei  exanimus-  is 
schwanken  die  Hss.  oft  (vergl.  ßibbeck  proll.  crit.  p.  428),  aber  stets 
so,  daß  das  euphonisch  Bessere  daneben  überliefert  ist:  a.  VI  161  sodum 
exanimem  M  (jum  PR)  IX  444  exanimem  —  amicum  PR  {-um  M)  XI  30 
exanimi  Pallantis  P  {-is  R)  51  iuvenem  exanimum  MP  {-em  R).^)  2)  Er 
wechselt  analog  mit  den  Genetivformen  Acliilli  imd  Achillis,  vergl.  An- 
hang VI  3.  3)  Er  stellt  die  eine  der  gleichlautenden  Silben  sehr  häufig 
in  Synaloephe  z.  B.  VI  382  curae  emotae  747  aetherium  sensum  aique. 
4)  Er  umgeht  den  Gleichklang  durch  Veränderung  der  Wortstellung  oder 
andere  Mittel  z.  B.  IV  587  aequaüs  classem  proeedere  velis  (nicht:  aequa- 
tis  velis  proeedere  classem),  n  398  multos  Danaum  (nicht:  Danaos), 
Vin  526  Tyrrhenusque  tubae  .  .  .  da/ngor  (nicht:  Tyrrhenasque)^),  VI  865 

im  Anhang  zu  12,  94  (Ausgew.  Reden  des  Lysias  erkl.  von  Frohberger  I.  zw. 
Aufl.  von  Gebauer,  Leipz.  1880,  p.  303  ff.)  bemerkt,  dem  Gleichklang  oft  durch 
Änderung  der  Wortfolge  aus  dem  Wege  gegangen.  Eine  genaue  Untersuchung 
wäre  erwünscht:  wie  sie  anzustellen  ist,  hat  Lobeck,  De  praeceptis  quibusdam 
grammaticorum  euphonicis  (in  den  Paralip.  gramm.  graec.  I  Leipzig  1837)  ge- 
lehrt, wo  p.  53  f.  auch  einige  Beispiele  angeführt  sind.  Über  Cicero  (und  Horaz) 
ein  paar  Bemerkungen  bei  H.  Kraffert,  Z.  f.  Gymn.  Wesen  XLI  1887,  713  ff. 

1)  Vergl.  zu  buc.  3, 1  cuium  pecusj  'cuium'  antique  ait  vitans  homoeoteleuton, 
ne  diceret  'cuius  peeus\  8,  28  cwn  canibtis  timidi  venient  ad  pocula  damviae] 
dammas  masculino  genere  posuit;  sie  alibi  (g.  HE  539)  "timidi  dammae  cervique 
fugaces'  .  .  .,  ne  homoeoteleuton  faceret  dicendo  'timidae  dammae\  *  aen.  I  30 
immitis  ÄchilliJ  propter  6^ioioT^XeuTov  detraxit  s  litteram.  220  acris  OrontiJ 
vitavit  ö^ioioT^XeuTOv.  11  56  Troiaque  nunc  staret  Priamique  arx  dlta  maneres] 
'maneres'  propter  öjaoioT^AeuTOv.  745  hominum^que  deoruinquej  hyperm^trus  ver- 
sus est,  ideo,  ne  si  "deum'  diceret,  öjnoioTdXeuTov  faceret.  III  663  fluidum  .  .  . 
cruorem]  propter  ö|ioioT^XeuTOv  'fluentem^  noluit  dicere.  Vlil  545  Euandrits 
pariter]  " EvMndrus''  pro  " Euander'' ,  sed  vitavit  6|uoiOT^XeuTOv.  XII  ö  saucius 
nie  gravi  venantum  volnere  pectus J  bene  alia  verba  interposuit,  quia  'saucitis 
pectus^  sonabat  asperrime.  781  luctans  moraius]  'luctatus^  et  " moratus''  erat 
integrum,  quod  vitavit  propter  öjiioioT^XeuTOv.    Vergl.  noch  zu  X  123.  XI  112.  464. 

2)  So  verwenden  griechische  Dichter  gelegentlich  maskuline  Formen  des 
Adjektivs  neben  femininem  Substantiv:  Ajistoph.  Frösche  383  ZidOeoi  inoXirai, 
Eurip.  Tr.  1075  ZdOeoi  oeXävai:  v.  Wilamowitz,  Isyllos  115. 

3)  Vergl.  Statins  s.  II  3,  12  belligerum  lani  nemus. 


398  ANHANG  IV. 

circa  comitum  und  VII  535  virum  circa  (nicht:  circum]  circa  adv.  wohl 
nur  an  diesen  zwei  Stellen),  III  461  liceat  te  voce  moneri  (nicht  monere: 
dies  nach  Arch.  f.  Lex.  XI  1900,  15  die  einzige  Stelle,  wo  Vergil  licet 
mit  pass.  Infinitiv  verbindet  gegen  22  act.).  5)  Er  ist  sorgföltiger  als 
Ennius  und  Lucrez,  die  auch  ohne  rhetorischen  Grund  dem  gleichen 
Auslaut  nicht  aus  dem  Wege  gehen,  vergl.  z.  B.  Ennius  a.  233  parerent 
observarent  283  ahnueo  metuo  299  haudquaquam  quemquam  389  deßn- 
dwnt  fiunt  24  prisci  casci  populi  352  comis  sparsis  passis.  Lucr.  I  800 
dempUs  paucis  paucisque  tributis  II  552  naufragiis  magnis  multisque 
coortis.  Selbst  Cicero  ist,  der  archaischen  Praxis  entsprechend,  darin 
nicht  zurückhaltend:  so  wagt  er  Ar.  310  implexus  tribus  orbibus  unus. 
Charakteristisch  ist,  daß  Catull  in  den  hohen  Gedichten  erheblich  zurück- 
haltender ist  als  in  den  Elegieen  und  Epigrammen;  so  sind  gleiche 
Wortausgänge  im  Epyllion  sicher  überliefert  nur  in  3  Versschlüssen 
nach  griechischer  Technik  (96  Idalium  frondosum  141  optatos  hymenaeos 
252  nysigenis  silenis)  und  in  3  engen  Wortverbindungen  (101  cum  sae- 
vum  228  si  sancti  296  quam  qiwndam),  während  er  z.  B.  78,  2  nicht 
meidet  alterius  lepidus  filius  alterius.  Einen  Vers  wie  Horaz  sat.  II  5,  86 
unctum  oleo  largo  nudis  umeris  tulit  heres  gibt  es  bei  Vergil  nicht.  — 
Vergl.  auch  den  Kommentar  zu  865. 

Gelegentlich  hat  Vergil  das  similiter  cadens  unverkennbar  zur  ex- 
ornatio  benutzt  (wofür  schon  Ph.  Wagner  in  Heynes  Vergil  IV^  S.  549 
einige  Beispiele  angeführt  hat).  So  besonders  bei  Attributen,  die  eine 
besonders  gewichtige  Eigenschaft  des  Substantivs  anzeigen,  z.  B.  g.  III  219 
pascitwr  in  magna  Sila  formosa  iuvenca  (4  a  in  dieser  Betonung  bei 
Vergil  sonst  nirgends)  a.  I  569  Hesperiam  magnam  (ennianisch?)  IV  345 
Italiam  magnam  II  251  involvens  ('sc.  nox)  umbra  magna  terramque  po- 
lumque  XI  234  concilium  magnum  (ennianisch?)  VI  812  Imperium  mag- 
nrnn  V376  =  XI  679  latos  umeros  VI  887  campis  latis  (latus  mit 
ö^oiÖTTTiüTOV  Öfters  Ennius),  VI  93  =  XI  480  mali  tanti  IX  256  meriti 
tanti  XI  24  egregias  animas  355  egregio  gener o  VI  179  antiquam  silvam 
(wohl  ennianisch)  und  besonders  deutlich  VI  638  f.  locos  laetos  et  amoena 
virecta  fortunatorum  nemorum  (in  dieser  Häufung  nirgends  sonst).  Auch 
VI  165  aere  eiere  viros  wurde  im  Kommentar  als  malerische  'napY\x(\<yic 
bezeichnet;  ähnlich  wohl  nur  noch  IV  346  iussere  capessere  XI  186  more 
tulere  190  lustravere  in  equis  ululatusque  ore  dedere  (dieses  ebenfalls 
mit  Tonmalerei).-^) 


3)  M.  Haupt  op.  I  111  bemerkt,  daß  Ovid  tr.  V  13,  29  sie  ferat  ac  referat 
das  von  ihm  in  den  Elegieen  selten  gebrauchte  ac  gesetzt  habe,  um  drei- 
maligen Auslaut  auf  -t  zu  vermeiden. 


Der  sogenannte  Tropns  der  Sjuekdoclie. 

Unter  diesem  Tropus  werden  in  den  Grammatiken  und  Poetiken 
seit  der  Renaissance  u.  a.  auch  diejenigen  Fälle  begriffen,  in  denen  ein 
Substantiv,  statt  wie  nach  unserem  Sprachgebrauch  zu  erwarten  in  singu- 
larischer, vielmehr  in  pluralischer  Form  erscheint.  Nach  diesem  Gesichts- 
pimkt  hat  R.  Braumüller,  Progr.  Berlin  1877,  lOff.  die  vergilischen 
Beispiele  behandelt.  Aber  der  scholastische  Terminus  wird  der  leben- 
digen Sprache  nicht  gerecht;  es  sind  vielmehr  mehrere  Arten  zu  unter- 
scheiden. 1)  Es  handelt  sich  um  Substantive  mit  pliiralischem  Sinn, 
wie  frondes  harenae  latices  lymphae  rores  (vergl.  Leo  zum  Culex  148), 
auch  Abstrakta  wie  IV  569  morae  (lange  Verzögerung),  IX  615  desidiae 
IX  394  und  vielleicht  VI  865  strepitus  (ebenso  clangor  es,  fragores  u.  ä.), 
amores  irae  metus,  conuhia  foedera  liospitia,  cursus  weil  der  Weg  als  eine 
Strecke  erscheint,  deren  einzelne  Teile  man  zurücklegt  (daher  iter  car- 
pere)-^  vergl.  darüber  auch  E.  Seyß,  Progr.  Iglau  1882,  6.  2)  Es  han- 
delt sich  um  rhetorische  Steigerung  (Leo,  Seneca  I  150,  3),  oder  3)  um 
Analogiebildungen,  so  wenn  Vergil  VI  124  u.  ö.  arae  sagt  nach  cätaria 
(beide  Worte  nebeneinander  XII  171.  174),  vergl.  epistulae  nach  litterae, 
ianuae  nach  fores  u.  a.  dieser  Art  bei  K.  P.  Schulze,  Progr.  Berlin  1893,  4. 
4)  Bei  den  Neutra  plur.  auf  -ä  (vergl.  schon  Servius  zu  b.  5,  36  'hordea' 
iisurpative  metri  causa  dixit,  nam  Uriticum'  ^Jiordeum'  'vimrni'  ^md^ 
nrnneri  tantum  singularis  suni)^)  handelt  es  sich  in  den  weitaus  meisten 
Fällen  um  eine  rein  metrische  Erscheinung:  der  lateinische  Epiker  mußt« 
sich  Daktylen  schaffen  (vergl.  0.  Weise,  Lat.  Sprache,  Leipz.  1899,  163. 
0.  Keller,  Gramm.  Aufsätze,  Leipz.  1895,  189 ff.).  Daher  stehen  solche 
pluralische  Neutra  (bez.  ihre  Attribute)  mit  singularischem  Sinn  auch 
meist  an  fünfter  Versstelle,  z.  B.  in  Buch  VI:  6  semina  7  densa  10  se- 


1)  Als  nachstehende  Bemerkungen  geschrieben  waren,  erschien  die  Ab- 
handlung von  P.  Maas,  Studien  zum  poet.  Plural  bei  d.  Römern  (Arch.  f.  Lex.  XII 
1902,  479 — 549),  wo  die  Frage  auf  Grund  eines  reichen  Materials  fast  er- 
schöpfend behandelt  ist.  In  den  entscheidenden  Punkten  bin  ich  mit  dem 
Verf.  zu  gleichen  Resultaten  gelangt;  wenn  ich  dennoch  meine  kvirzen  Be- 
merkimgen  unverändert  stehen  lasse,  so  tue  ich  es,  weil  sie  in  ein  paar,  grade 
Vergil  betreffenden  Einzelheiten  doch  ein  Plus  zu  den  umfassenden  Darlegungen 
von  Maas  enthalten. 

2)  Vergl.  femer  die  Bemerkungen  des  Servius  oder  der  anderen  Schollen 
zu  g.  I  100  sölstitia]  poetica  licentia  est  ustis,  ut  plurdlem  numerum  pro  Sin- 
gular i  poneret;  zu  g.  H  7  mustum  numero  tantum  singulari  dicirmis  sicut  vinum, 
licet  Ovidius  dbusive  dixerit  musta;  schol.  Dan.  zu  aen.  XI  659  flumina  Thermo- 
dontisj  flumina  pro  flumine. 


400  ANHANG  V. 

creta  13  aurea  14  Minoia  19  immania  26  monimenta  37  spectacula 
41  alta  u.  s.  w.  (231  novissima  verba:  nach  Servius  das  eine  Wort 
üicet,  besonders  stark  836  Capifolia  ad  alta).  So  steht  pedora  (bezw. 
sein  Attribut)  bei  Vergil  12  mal  an  fünfter  Stelle,  nur  1  mal  an  erster 
(XI  86  pedora  nunc  foedans  pugnis  nunc  unguibus  ora,  also  pedora  in 
Parallelismus  mit  ora,  wie  in  V  81  einer  es  animaeque  umbraeque  paternae 
das  sehr  ungewöhnliche  animae  an  das  bei  Vergil  häufige  cineres  assi- 
miliert ist;  s.  o.  Anhang  II  3),  silentia  nur  im  Plural  und  stets  (6  mal) 
an  fünfter  Stelle.  Daher  ist  VI  69  in  cod.  P  am  Versende  ohne  vor- 
hergehendes Attribut  falsch  templa  (statt  templum  MR)  überliefert,  weil 
hier  kein  Bedürfnis  einer  Kürze  vorliegt  (wie  19  immania  templa  41  alta 
in  templa  841  templa  et  temerata,  vergl.  III  84.  IX  626),-^)  5)  Wo  sich 
Substantive  anderer  Deklinationen  so  gebraucht  finden,  hat  das  meist 
den  Gnmd,  daß  dadurch  Hiatus  umgangen  werden  soll^),  z,  B.  in 
aen.  VI,  wo  nur  von  dem  einen  Hain  der  Hekate  die  Rede  ist,  13  lucos 
atque  195  lu^os  ubi  118  =  564  luds  Hecate  vergl.  IV  646  rogos  ensemque 
(aber  640  rogum  capitis),  X  389  thalamos  ausum  (aber  VI  521  thalamus 
pressit),  g.  II  59  sucos  oblita  a.  XII  419  ambrosiae  sucos  et  n  118  reditus 
animaque  X  436  reditus  ipsos  XI  54  reditus  exspedatique  IV  694  öbitus 
Irim  IV  423  =  IX  68  aditus  d  (aber  z.  B.  XII  501  obitumque,  VI  424 
aditum  custode);  g.  IV  501  umbras  et  (der  Euridice)  a.  IV  571  subitis  ex- 
territus  umbris  (des  Merkur),  VII  384  medias  urbes  (aber  VI  588  me- 
diaeque  —  urbem)  u.  s.  w.  So  greifen  auch  unsere  Dichter,  soweit  sie  den 
Hiatus  bei  stummem  -e  vermeiden,  gelegentlich  zu  demselben  Mittel  (so 
Goethe  'die  Sinnen',  'Atomen',  vergl.  W.  Scherer,  Kl.  Schriften  H, 
Berlin  1893,  387).  6)  Gelegentlich  ist  der  Grund  bei  den  Substantiven 
der  letzteren  Art  auch  ein  rein  euphonischer,  so  VI  154  sie  demum 
lucos  Stygis  (um  demum  lucüm  zu  vermeiden,  vergl.  darüber  Anhang  IV) 
und  SiHus  VtH  230  marmoreis  sistam  templis  iuxtaque  dicabo  (der  Sin- 
gular hätte  sog.  '  leoninischen '  Reim  bewirkt). 


1)  So  sagt  Properz  II  13,  33  am  Versende  busto,  fünf  Verse  darauf  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Pentameters  busta:  richtig  beurteilt  von  J.  Church,  Archiv 
f  Lex.  XI  1900,  234. 

2)  Vergl.  Servius  z.  buc.  1,  15  {'spem  gregis  a,  silice  in  nuda  conixa  re- 
liquiV  sc.  capella):  ^conixa'  pro  eo  quod  est  'enixa\  nam  hiatus  causa  mutavit 
praepositionem ,  sicut  ' sedudite  curas^  pro  'excludite'  (aen.  I  562  solvite  corde 
tmtum,  Teucri,  seclMdite  curas). 


VI 
Griechisclie  Deklinationsformen  im  sechsten  Bnch. 

über  die  Deklination  griechischer  Wörter  im  Lateinischen  fehlen 
Untersuchungen,  denn  mit  bloßen  Materialsammlungen,  die  noch  dazu 
kritisch  nicht  genau  sind,  ist  es  nicht  getan,  sondern  die  Frage  muß 
historisch  behandelt  werden,  da  die  Praxis  verschiedener  Zeiten  eine  ver- 
schiedene gewesen  ist,  femer  nach  Gattungen,  da  die  Prosa  nicht  überall 
dieselbe  Praxis  zeigt  wie  die  Poesie  und  ianerhalb  letzterer,  infolge 
metrischen  Zwanges,  für  den  epischen  Vers  nicht  immer  die  gleichen 
Regeln  gelten  wie  für  den  lyrischen  und  dramatischen.  Mit  einer  Unter- 
suchung dieser  Art  ist  zur  Zeit  einer  meiner  Schüler  beschäftigt.  Für 
Vergil  ist  wenigstens  als  Vorarbeit,  die  aber  im  einzelnen  der  Nach- 
prüfung und  Sichtung  bedarf,  die  Zusammenstellung  bei  Ribbeck  prolegg. 
crit.  S.  402  ff.  brauchbar.  Im  folgenden  sollen  nur  die  im  VI.  Buch 
vorkommenden  Fälle  griechischer  Deklination,  soweit  sie  zu  Bemerkungen 
Veranlassung  bieten,  auf  Gnmd  meiner  eigenen  Sammlungen  kritisch 
behandelt  werden. 

1.    Nominativ  sing,  auf  -OS  oder  -US. 

132  hat  M  Cocytos,  PR  Cocytm. 

In  griechischen  Nomina  auf  -oc  ist  bei  Vergil  -us  ca.  270  mal 
einstimmig  überliefert.  Dagegen  ist  -os  l)  in  allen  an  den  betreffenden 
Stellen  vorhandenen  alten  Hss.  überliefert  a)  in  Personennamen:  Epeos 
II  264  (FMP);  b)  in  geographischen  Namen:  Epiros  g.  I  59  (AMPR, 
bezeugt  von  Serv.),  Leshos  g.  II  90  (M),  Neritos  a.  III  271  (PM),  Tmaros 
b.  8,  44  (MPV,  aber  a.  IX  685,  wo  es  als  Personenname  vorkommt,  ist 
-US  besser  beglaubigt),  Tyros  a.  IV  670  (FMP),  Zacynthos  III  270  (M); 
c)  in  Appellativen:  lageos  g.  11  93  (MV).  2)  Besser  oder  in  der  Mehr- 
zahl der  Hss.  a)  in  Personennamen:  Mnasyllos  b.  6,  13  PV  -us  R;  b)  in 
geographischen  Namen:  Aegyptos  a.  VHI  705  P^R  (bezeugt  von  Ps.  Probus) 
-US  MP2,  Delos  g.  m  6  MRV  Bduos  P,  Tenedos  a.  H  21  MP  -us  R; 
c)  in  Appellativen:  scorpios  g.  I  35  MR  -us  P.  3)  Schlechter  oder  in 
der  Minderzahl  der  Hss.  a)  in  Personennamen:  Cyllarus  g.  III  90  MPR 
-OS  Ps.  Probus,  Hesperus  b.  8,  30  MV  -os  P  (10,  77  MPR  einstimmig 
Hesperus)',  b)  in  geographischen  Namen:  Cocytus  VI  132  PR  -os  M, 
Pactolus  X  142  MP  -os  R,  Paphus  X  51  MP  -os  R  (X  86  -us  MP  -ys  R 
d.  h.  -us),  Spercheus  g.  H  487  PRM^  -os  M.\  Tmolus  g.  I  56  AMPR 
(bezeugt  von  Serv.  u.  Ps.  Probus)  -os  P;  c)  in  Appellativen:  eous  g.  1288 
MP^R  -os  P\  Larissaeus  XI  404  M  -aevus  R  -aev^s  P  (II  197  Laris- 

VsKGii.  Buch  VI,  von  Norden.  26 


402  ANHANG  VI. 

saeus  FMP),  Tartarus  VI  577  MPR  -os  Ps.  Probus,  Tyrius  I  574  PRM* 
-OS  M^.  Bei  Beurteilung  der  unter  3)  aufgezählten  Formen  ist  der  Vul- 
garismus 0  für^,  für  den  Schuchardt ,  Voc.  d.  Vulgärlat.  II  168  einige 
Beispiele  aus  IR*  gibt,  mit  in  Rechnung  zu  ziehen. 


2.  Vokativ  auf  -e  oder  -a, 

126  haben  M^PR  AncMsiade^  M^  von  nicht  sehr  alter  Hand  An- 
chisiada.  Ersteres  ist  348  einstimmig  (MPR)  überliefert  imd  jedenfalls 
richtig.  Nomina  auf  Tic  haben  bei  Vergil  im  Vokativ  -e  (9  mal),  nur 
in  475,  der  einzigen  Stelle,  wo  der  Vokativ  von  ÄncMses  vorkommt, 
schwanken  die  Hss.  zwischen  Anchisä  und  Anehise  (AncMsae  M,  Anchis'^e 
P;  Ancliisa  Servius,  AncMse  Priscian^;  V  564  steht  Polites  als  Vok.  in 
M^P^R,  aber  Polite  bezeugt  Priscian  ('es  folgt  progenies);  1  459  gibt 
unsere  Überlieferung  (FMPR)  richtig  Achate,  der  Papyrus  von  Oxyryn- 
chos  saec.  V  (vol.  I  459  Grenfell-Hunt)  falsch  Achata. 

3.  Genitiv  auf  -i  oder  -o. 

20  haben  die  Grammatikerzeugnisse  (darunter  der  auf  alte  Quellen 
[Plinius?]  zurückgehende  Charisius  GLK  I  92,  9)  Androgeo,  unsere  Hss. 
(MPR)  Androgei.  Von  Nomina  auf  -uuc  ist  nur  noch  einmal  ein  Genitiv 
überliefert:  II  425,  wo  die  einzige  dort  vorhandene  alte  Hs.  (M)  Penelei 
gibt  und  Plinius  diese  Form  bezeugt. 

4.  Genitiv  auf  -i  (ei)  oder  -is, 

839  ist  Achüli  in  MR,  Achülei  in  P  überliefert. 

Die  Nomina  auf  -euc  haben  im  Genitiv  -ei,  stets  einsilbig  (vergl. 
Quintilian  I  5,  2 2 ff.),  was  öfters  auch  in  der  Schrift  zum  Ausdruck 
kommt:  I  41  Oili  M  (-ei  R),  VIH  383  Neri  (Asper  bei  Servius,  -ei 
unsere  Hss.).  Von  Achilles  lautet  der  Gen.  in  guter  Überlieferung  meist 
-is,  wenn  das  vorhergehende  Wort  nicht  auf  -s  endigt,  sonst  meist  -i 
bezw.  -ei  (vergl.  über  dies  Prinzip  der  Dissimilierung  von  Endungen 
zweier  aufeinander  folgenden  Worte  Anhang  IV):  II  476  agitator  Achülis 
MV  (P  vulgär  Achilles)  XII  352  adspirat  Achillis  PR  (M  vulgär  Achilles), 
aber  I  30  im/mtis  Achüli  M  und  Grammatikerzitate  (-is  R),  H  275  in- 
dutus  Achim  M  (-ei  F),  IH  87  immitis  Achüli  M  (-ei  F),  g.  III  91  cwrrus 
Achülei  P  (-is  R  -es  M)  und  im  vorhergehenden  Vers  armipotentis  Achüli 
MR  (-ei  P);  nach  vorhergehendem  Wort  auf  -s  ist  die  Form  auf  -is 
einstimmig  nur  überliefert  X  581  cemis  Achillis  (MPV). 

5.  Accusativ  auf  -on  oder  -um, 

595  ist  Tityon  einstimmig  (FMPR)  überliefert. 

Die  Endung  -on  im  Acc.  griechischer  Worte  ist  nur  hier  und 
g.  I  138  pleiadas  hyadas  claramque  Lycaonis  arcton  (AMPR)  in  allen 
Hss.  überliefert,  während  sie  HI  124.  126.  VlI  207  zwischen  -on  und  -um 
schwanken;  dagegen  ist  -um  in  griechischen  Worten  etwa  170  mal  ein- 


GRIECHISCHE  DEKLINATIONSPORMEN.  403 

stimmig  überliefert.  In  Tityon  ist  die  Bevorzugung  der  griechischen 
Endung  aus  dem  Bestreben  zu  erklären,  die  Lautverbindung  -yu  zu  dis- 
similieren; auch  Phaedrus  app.  5,  13  hat  Tiiyos  neben  Tantalus,  Sisyphus. 
Viel  freigebiger  mit  der  griechischen  Endung  ist  hier,  wie  überhaupt, 
Ovid,  der  sie  nicht  selten  verwendet,  um  Hiat  zu  vermeiden,  so  m.  IX  440 
cum  videat  fessos  Bhadamanthon  et  Aeacon  armis. 

6.  Aceusativ  auf  -em  oder  -en. 

334  haben  ME  Orontem,  P  Oronten. 

Dasselbe  Schwanken  I  113:  Orontem  M  -en  E,  wo  das  letztere  von 
dem  gemeinsamen  Gewährsmann  des  Charisius  (GLK  I  20,  6)  und  Dio- 
medes  (ib.  538,  8)  bezeugt  wird.  Die  konstante  Praxis  Vergils,  den 
Aceusativ  von  Namen  auf  -rjC  gen.  -ou  mit  -en  zu  bilden,  erweist 
Oronten  als  richtig  (auf  Orontem  in  der  nicht  über  das  XV.  Jh.  hinauf- 
gehenden Überliefenmg  bei  Statius  s.  IV  7,  46  ist  nichts  zu  geben).  Das 
Schwanken  der  Hss.  erklärt  sich  aus  falscher  Auflösung  des  Kompen- 
diums (vergl.  Äceste  ME  V  540,  Achate  ME  I  644,  Menoete  M  XQ  517, 
Niphate  E  g.  III  30;  ausgelassen  in  Hydaspe  M  X  747,  Menoete  M  V  173, 
Orode  E  X  732);  so  ist  11  747  Anchisem  XII  363  Thymoetem  g.  m  30 
Niphatem  in  M  und  XU  362  Asbystem  in  P  geschrieben. 

7.  Aceusativ  auf  -im  oder  -in, 

445  haben  PE  mit  den  meisten  Hss.  des  Servius  im  Lemma  und 
mit  sämtlichen  in  den  Scholien  Procrm,  dagegen  M  mit  einer  Hs.  des 
Servius  im  Lemma  Procrim. 

Von  griechischen  Namen  auf  4s  ist  im  Aceusativ  -im  in  allen  Hss. 
36  mal  überliefert,  dagegen  -in  nur  2  mal  (X  705.  XI  675);  Schwanken 
zwischen  -im  und  -in  14  mal,  aber  stets  zu  Gunsten  von  -im.  Das 
Schwanken  erklärt  sich  auch  hier  (wie  oben  334  bei  Oronten  -em)  daraus, 
daß  der  Konsonant  oft  mit  Kompendium  geschrieben  war  (vergl.  Daphm 
b.  7,  7  u.  ö.  in  M,  a.  V  83  Thybrt  M,  b.  2,  26  Baphni  mit  fehlendem 
Strich  E);  wie  wenig  Verlaß  auf  die  Endxmg  -in  ist,  zeigt  IX  762,  wo 
P  Fhalerin  et  trotz  der  Synaloephe  schreibt. 


26* 


vn. 
Die  malerischen  Mittel  des  vergilischen  Hexameters. 

Selbst  die  antiken  und  modernen  Tadler  Vergils  haben  ihn  als 
Meister  der  Form  gelten  lassen  und  haben  anerkannt,  daß  die  Texvrj  des 
Hexameters  durch  ihn  auf  eine  weder  vorher  noch  später  erreichte  Höhe 
gebracht  worden  ist.  Diese  hervorragende  Technik  ist  das  Resultat  einer 
Reihe  von  Momenten,  von  denen  einige  in  diesen  Anhängen  behandelt 
werden  sollen;  im  vorliegenden  wird  eine  nach  Zahl  und  Art  der  Bei- 
spiele besonders  wichtige  Gruppe  besprochen  werden,  die  malerischen 
Mittel.  Schon  in  den  Poetiken  der  Renaissance,  die  Scaliger  der  Vater 
abschloß,  ist  diesem  Element  des  vergilischen  Hexameters  gebührende 
Beachtung  zu  teil  geworden  (vergl.  poet.  lib.  IV  cap.  XLVHf.);^)  kürz- 
lich hat  F.  Maxa,  Lautmalerei  und  Rhythmus  in  Vergils  Aeneis,  Wiener 
Studien  XIX  (1897)  78jBF.,  ohne  diese  seine  Vorgänger  zu  kennen,  das 
Material  sorgfältig  gesammelt  und  mich  so  der  Verpflichtung  überhoben, 
meine  eignen,  unabhängig  von  ihm  angestellten  Sammlungen  vorzulegen, 
zumal  im  Kommentar  fortlaufend  auf  dieses  Element  des  vergilischen 
Verses,  das  auch  für  die  sachliche  Interpretation  unter  Umständen  wichtig 
werden  kann,  Bezug  genommen  worden  ist  (vergl.  die  einzelnen  Stellen 
im  Register  III  unter  'Rhjrthmen').  Dagegen  soll  versucht  werden,  die 
von  den  Genannten  nicht  gestellte  Frage  nach  der  Theorie  und  dem 
historischen  Werden  dieser  Verstechnik  zu  beantworten,  sowie  die  von 
ihnen  nicht  berücksichtigten  Caesuren  hierfür  auszunutzen. 

Auf  die  Frage,  welchem  literarischen  yevoc  diese  von  uns  als 
'malerisch'  bezeichneten  Versomamente  angehören,  gibt  es  vom  antiken 
Standpunkt  nur  eine  Antwort:  dem  rhetorischen.  Wir  müssen,  um  das 
zu  erkennen,  ziemlich  weit  zurückgreifen,  auf  die  Zeit,  da  die  Rhetorik 
noch  eine  Verbündete  der  Philosophie  war.  Das  fundamentale  Gesetz 
der  antiken  Sprachphilosophie  lautet  in  der  üblichen  Formulierung:  die 
Wörter  sind  Abbilder  der  Dinge,  TOi  6vö|LiaTa  cpvüei  )Lii)ariTiKd  (briXuJTiKd) 
eaxi  Tujv  TTpaYMttTUJV  (uTrOKeijLievuuv).  Der  Vater  dieses  Gedankens  war 
Heraklit,  dessen  Aö^oc  das  erkenntnistheoretische  Resultat  dieser  Vor- 
stellung ist.  Da  das  Gesetz  unmittelbar  aus  der  sinnlichen  Realität 
des  griechischen  Denkens  und  der  griechischen  Sprache  abstrahiert  war, 
so    erhielt    es    absolute    Gültigkeit.     Die    Einzelheiten    wurden    von    der 


1)  Wohl  ohne  Kenntnis  dieser  Tradition  hat  Lessing  die  Sache  beobachtet 
und  einige  zutreffende  Bemerkungen  darüber  gemacht,  die  aus  seinem  Philo- 
logischen Nachlaß  herausgegeben  wurden  (Werke  ed.  Lachmann-Muncker  XV 
Leipzig  1900,  438). 


DIE  MALERISCHEN  MITTEL  DES  VERGILISCHEN  HEXAMETERS.  405 

Schule  Heraklits  ausgeführt,  deren  Blüte  mit  der  Ausbildung  der  exakten 
Grammatik  und  Rhetorik  durch  die  Sophisten  zusammenfiel;  so  wurden 
die  heraklitischen  Gedanken  etwa  gleichzeitig  von  Piaton  im  Kratylos 
nach  der  Richtung  der  Sprachphilosophie  und  von  Gorgias,  Protagoras, 
Prodikos,  besonders  Hippias  nach  der  Richtung  der  Rhetorik  und  Gram- 
matik formuliert;  von  Hippias  heißt  es  bei  [Piaton]  Hipp.  mai.  285 D, 
er  verstände  sich  auf  die  TpamndTuiv  öüva)iic  Kai  (TuWaßuJv  Kai  dp^o- 
viojv.^)  Auch  Demokrit  schrieb  Trepi  KaWocrOvric  eTreuJV,  irepi  euqpuuvujv 
KOI  bucTcpuüVWV  TpaMMöTuuv  (Diog.  L.  IX  48).^)  Wie  die  herakliteische 
Lehre  nach  ihrer  philosophischen  und  sprachwissenschaftlichen  Seite  von 
den  Stoikern  in  ein  System  gebracht  wurde  (vergl.  besonders  Varro  de 
ling.  lat.  fr.  1.  2.  49  Wilm.),  so  war  der  erste,  der  das  Gesetz  syste- 
matisch der  Lehre  vom  künstlerischen  Ausdruck  der  Gedanken  in  Poesie 
und  Prosa  zugrunde  legte,  Theophrast  Ttepi  XeEeuJC,  wie  durch  Dionysios 
de  composit.  16  feststeht.  Die  ausgezeichneten  Erörterungen  des  Diony- 
sios c.  14 — 20^)  dürfen  im  großen  und  ganzen  als  Exzerpt  aus  Theo- 
phrast und  der  an  diesen  anknüpfenden  Literatur  gelten  (vergl.  c.  16 
Trepi  iIjv  eipriTai  TroWd  toTc  Trpö  rnnujv),  so  die  allgemeine  Formulierung 
c.  20:  „der  gute  Dichter  und  Prosaiker  muß  sich  darauf  verstehen,  die 
Dinge,  von  denen  er  redet,  in  der  Sprache  nachahmend  zum  Ausdruck 
zu  bringen  (|iii)ariTiKÖv  elvai  TUJv  TTpaYMdxuJv),  sowohl  in  der  Wahl  der 
Worte,  als  in  der  Komposition.  So  hat  es  Homer  verstanden,  trotz  des 
einen  von  ihm  gebrauchten  Metrums  mit  den  wenigen  Rhythmen  dennoch 
hierin  die  Kunst  der  Variation  zu  zeigen,  und  das  in  einer  Vollendung, 
daß  wir  die  von  ihm  erzählten  Dinge  geradezu  leibhaftig  sich  vor  uns 
abspielen  sehen."  Die  |ui|LiTiaic  besteht  also  vor  allem  in  der  'Auswahl 
der  Worte',  d.  h.,  wie  c.  14.  15  ausgeführt  wird,  in  der  Auswahl  der 
Buchstaben,  aus  denen  die  Silben  und  Worte  zusammengesetzt  sind, 
vmd  in  der  *  Komposition',  worunter  nach  c.  17.  18.  20  im  Besonderen 
die  Auswahl  der  Rhythmen  verstanden  ist.  Dionysios  ist  sich  durch- 
aus bewußt,  keine  absonderliche  Theorie  vorzutragen,  sondern  allbekannte 
und  allseitig  anerkannte  Prinzipien  der  Poetik  und  Rhetorik  zu  bringen 
(vergl.  z.  B.  ev  eiböffi  Xeyuuv  oiik  oTo)iiai  TiXeiöviuv  beiv  TtapabeifiLidTUJV, 
und  so  öfters).  Wie  Cicero,  Varro  und  Caesar,  so  steht  daher  begreif- 
licherweise auch  Vergil  im  Banne  dieser  Theorie,  imd  wie  Cicero  in  der 
Prosa,   so  hat  Vergil  sie  in  der  Poesie  in  Praxis  umgesetzt. 


A.  Auswahl  der  Buchstaben. 

Hierüber  können  wir  uns  kurz  fassen,  da  die  Sache  an  sich  klar 
und  im  Kommentar  durch  zahlreiche  Beispiele  belegt  ist  (vergl.  das 
Register  HI  unter  '  Lautmalerei ' ).     Die  Theorie  hierfür  gibt  neben  Varro 


1)  An  Hippias  vor  allem  hat  man  daher  zu  denken  bei  Plat.  Erat.  424  B 
öpeÖTaTÖv  loTi  6ieX^0eai  xä  OToixeia  itpiüTov,  djöirep  oi  ^irixeipoövTec  toTc  ^uö- 
^OlC  tOüv  öToixeiiuv  irpOjTov  xöc  buvd)Lieic  bieiXovro,  eireixa  tüjv  ouXAaßOüv  xal 
oöxiuc  fibri  ?pxovTai  Im  xoüc  ^uG|uouc  aKeipöiuevot,  irpÖTepov  b '  ou  ktX. 

2)  Vergl.  Genaueres  in  meiner  Ant.  Kunstprosa  I  57flF. 

3)  Gute  Bemerkungen  über  die  Sache  auch  bei  Plutarch  quaest.  conv. 
IX  15,  2  p.  747  CDE;  vergl.  auch  Aristides  Quint.  de  mus.  H  c.  9  und  11. 


406  ANHANG  VH. 

1.  c.  (die  verba  sind  signa  rerum)  Dionys.  1.  c.  14 — 16:  durch  die  Be- 
sonderheit in  der  Auswahl  der  Buchstaben  bezeichnen  die  Worte  td  T€ 
fiGri  Ktti  Tct  7rd0Ti  Kai  idc  biaGeaeic  Kai  xd  ^pya  xdiv  irpocriuiTUJV.  Er 
belegt  sie  durch  zahlreiche  mehr  oder  weniger  zutreffende  homerische 
Beispiele/)  die  z.  T.  aus  unseren  Scholien  ergänzt  werden  können,  z.  B.  zu 

H  252  Kai  bid  ÖmpriKOC  rroXubaibdXou  ^pripeiffTO 
schol.  Ven.  A:  erpdxuve  tdc  (TuXXaßdc,  rfiv  ßiav  xfic  ei(JÖbou  briXüüv 
(nach  Dionys.  14  rpaxuvei  xö  p),  zu 

B  210  aiTidXu)  laeTdXLU  ßpe|uexai,  cr|ixapaTeT  be  xe  ttövxoc 
schol.  Ven.  AB:    aujLi9uu)C    xu)  uTroKeijaevtu  xexpdxuvxai  xö  Ittoc   xaic 
övo)LiaxoTroiiaic,  zu 

A  125  Xi^He  ßiöc,  veupfi  be  inex'  i^X^v,  dXxo  b'öicrxöc 
schol.  Ven.  A:  xö  XiTEe  övo|aaxoTroiia  ecrxiv.    Ik  be  xujv  7Tape7ro)iiev(Juv 
xfiv  dqpecriv  briXoi.  xoO  be  dXxo  auvexjurieTi  r\  XeHic  Trpöc  xö  xdxoc  xfjc 
dqpecreuuc. 

Während  aber  die  griechischen  Dichter  mit  diesem  Stilmittel,  das 
in  seiner  Häufung  spielerisch  wirken  würde,  haushälterisch  wirtschaften^) 
—  erst  Nonnos,  dem  jedes  Stilgefühl  verloren  gegangen  ist,  bedient  sich 
seiner  in  exzessiver  Weise  — ,  haben  die  römischen  diese  Grenze  nicht 
immer  innegehalten.  Ennius  und  die  älteren  Tragiker^)  haben  öfters 
einen  Gebrauch  davon  gemacht,  der  späteren  ästhetisch  geschulten  Kri- 
tikern nur  ein  gutmütiges  Lächeln  oder  Mitleid  mit  dieser  Ostentation 
der  Kunst  erregen  konnte.  Als  ein  Protest  gegen  solche  Verirrungen 
werden  wir  die  Zurückhaltung  der  Neoteriker  auffassen  müssen:  aus 
Catull  werden  sich,  abgesehen  von  dem  Raffinement  des  ja  auch  sonst 
isolierten  Attisliedes,  wohl  nur  die  Verse 

64,  261  ff.  plangebant  aliae  proceris  tympana  palmis 
aut  tereti  tenuis  tinnitus  aere  ciebant. 
mtUtis  raucisonos  efflahant  cornua  homhos 
barbaraque  horribüi  stridebat  tibia  cantu 


1)  Ein  paar  andere  bei  G.  Gerber,  Die  Sprache  als  Kunst  11  1  (Bromberg 
1873)  126 ff.,  der  auch  für  die  Theorie  zu  vergleichen  ist.  Um  die  Gegen- 
sätzlichkeit zu  empfinden,  halte  man  etwa  noch 

a     56  aUl  bk  |Lia\aKoiai  koI  ai|Liu\ioi0i  Xöyoiöi  (QiXfei) 
b  567  aiel  2;eq)üpoio  Xi^ü  itveiovTac  drixac  (im  Elysiiun) 

neben 

p  491  dXX'  ÖK^uuv  Kivriöe  Kdpri,  kokö  ßu(Töo6o|Lieuu)v. 

2)  Aus  Pindar  notierte  ich  mir  P.  1,  23  (von  der  Ätna-Eruption)  qpoivioaa 
Ku\ivbo|Li^va  (pXöS  ^c  ßaeeiav  qp^pei  irövrou  jrXdKa  cfuv  7raTdYi|j  (vergl.  Lucr.  I  722  ff. 
Verg.  a.  III  581  f.  673 f.  ebenfalls  vom  Ätna),  4,  226  (die  feuerschnaubenden 
Stiere)  dpdoöeaKov  xööva.  Manches  bieten  die  Chöre  der  Tragiker  und  dann 
die  weichen,  melodischen  Verse  Theokrits  und  Bions.  Einen  Versuch,  das 
liebliche  Lispeln  von  Theokrits  Fichte  nachzuahmen,  hat  der  Verf.  der  Dirae 
gemacht:  28 f.  (von  der  silva):  nee  laeta  comantis  |  iactabis  möllis  ramos  in- 
flantibus  auris:  er  zog  also  6  <JiY|iiaTa  vor,  statt  sich  zu  begnügen  mit  den 
pinus  loquentes  Vergils  (b.  8,  22),  der  sich  der  Grenze  des  in  lateinischer 
Sprache  Möglichen  auch  hier  bewußt  blieb :  quo  enim  pacto  —  mit  dem 
Kritiker  bei  Gellius  IX  9,  7  zu  reden  —  diceret  ix  itixuc  ttotI  toic  troTaiöi  lueXia- 
ftexai,  verha  hercle  non  translaticia,  sed  cuiusdam  nativae  dulcedinis. 

3)  Auch  Plautus  besonders  da,  wo  er  den  tragischen  Stil  parodiert,  vergl. 
Amph.  232 ff.  1062 f  Über  Ennius  s.  auch  R.  Helm,  Jahresber.  d.  Altertums- 
wissenBchaft  CXIII  (1902)  17. 


DIE  MALERISCHEN  MITTEL  DES  VERGILISCHEN  HEXAMETERS.  407 

anführen  lassen,  mit  denan  es  eben  eine  eigne  Bewandtnis  hat,  da  auch 
Lucrez  II  618  ff.  und  Varro  sat.  131  f.  für  den  gleichen  Zweck  zu  den 
gleichen  Mitteln  gegriffen  haben.  ^)  Vor  allen  Dingen  war  ihnen  die 
Alliteration  antipathisch,  die  Ennius  aus  dem  Ruin  der  volkstümlichen 
Poesie  in  die  kunstmäßige  hinübergerettet  hatte,  die  aber  die  Neoteriker 
eben  deshalb  ächteten,  weil  sie  ihnen  als  ein  italisches  Spezifikum  er- 
scheinen mußte:  denn  es  ist  ja  Tatsache,  daß  dies  Versomament  bei 
den  Griechen  in  den  verschiedenen  Gattungen  der  Poesie  zwar  nicht 
völlig  fehlt  ^),  aber  nicht  entfernt  eine  RoUe  wie  in  altlateinischer  Poesie 
gespielt  hat.  Im  Gegensatz  zu  Horaz^),  Tibull  und  Properz,  die  den 
Neoterikern  näher  stehen,  sowie  zu  der  späteren  Poesie,  in  der  die 
Alliteration  keine  wesentliche  Rolle  mehr  spielt^),  vermittelt  Vergil  auch 
hier  zwischen  der  alten  imd  der  neoterischen  Technik:  die  Alliteration 
hat  er  als  nationales  (und  dazu  rhetorisch  wirksames)  Kunstmittel  in 
seinem  Nationalepos  nicht  missen  wollen^),  aber  er  hütet  sich  vor  den 
Exzessen  des  Ennius®)  und  dessen  Nachfolger. ^  Auch  der  Lautmalerei 
im   engem  Sinn   gewährt    er   einen   Platz,    ohne   in   die   Ostentation   der 

1)  Mit  dem  Bombast  dieser  Verse  wüßte  ich  nur  den  ohrenbetäubenden 
Lärm  der  für  Nonnos  typischen  Diktion  zu  vergleichen;  grade  das  von  Catull 
hier  gebrauchte  ßojLißoc  (und  die  davon  abgeleiteten  Verben)  liebt  er.  Möglich 
ist,  das  den  zitierten  Stellen  der  lateinischen  Dichter  ein  griechisches  Original 
zugrunde  liegt. 

2)  Vergl.  z.  B.  Mähly,  N.  Schweiz.  Mus.  1864,  207  ff.,  C.  Riedel,  Allit.  bei 
den  Tragikern,  Erlangen  1900,  Kaibel  zu  Soph.  El.  S.  103.  159,  Maaß  Index 
zu  Arat  S.  97,  Wilamowitz,  Adonis  13,  1,  meine  Ant.  Kunstpr.  I  59,  1.  Am 
weitesten  geht  Nonnos. 

3)  Ein  paar  (nicht  sehr  auffällige)  Beispiele  notiert  Kießling'  zu  od.  I  2,  1 
und  s.  I  6,  56 f.;  hübsch  epod.  16,  48  levis  crepante  lympha  desilit  pede,  wozu 
Porphyrio:  sonus  versus  imitatur  et  velocitatem  et  strepitwn  ciquae  currentis; 
vergl.  auch  den  Kommentar  zu  659. 

4)  Untersuchungen  für  die  nachaugusteische  Poesie  fehlen  m.  W.,  aber  die 
Tatsache  steht  fest.  Bezeichnend  dafür  ist  die  Art,  wie  einige  alliterierende 
Verse  Vergils  in  unseren  Schollen  beurteilt  werden:  Servius  zu  aen.  11  199 
maius  miseris  multoque]  wt  '  sale  saxa  sonabant''  (V  866)  et  'casus  Cassandra 
canebat''  (IH  183);  nam  apud  veteres  a  similihus  incipere  vitiosum  non 
erat;  zu  DI  183  casus  Cassandra  canebat]  haec  compositio  iam  vitiosa 
est,  quae  maioribus  placuit  ut  ' Änchisen  agnovit  amicum'  (HI  82);  zu  V  866 
tum  rauca  adsiduo  longe  sale  sa^xa  sonabant]  bene  imitatus  est  maris  stridorem 
'sale  saxa  sonebanV:  vielleicht  hatten  andere  den  Vers  getadelt  (vergl.  Georgii, 
Ant.  Aeneiskrit.  267).  —  Erst  in  der  lateinischen  Poesie  der  Angelsachsen  wird 
die  Alliteration  wieder  beliebt,  aber  in  jener  ist  sie  kein  entlehntes,  sondern 
ein  nationalgermanisches  Versornament. 

5)  Vergl.  darüber  die  treffende  Bemerkung  von  0.  Weise,  Charakteristik 
der  lat.  Sprache*  (Leipzig  1899)  45.  Das  vergilische  Material  ist  gesammelt 
von  J.  Kvicala,  Neue  Beitr.  z.  Erklärung  der  Aeneis  (Prag  1881)  293  ff.  Für 
das  VI.  Buch  vergl.  das  Register  III  unter  'Lautmalerei'. 

6)  Charakteristisch  ist  z.  B.,  wie  er  den  ennianischen  Monstrevers  at  tuba 
terribili  etc.  (ann.  452)  umbildet  aen.  IX  503  f.  at  tuba  terribilem  sonitum  procul 
aere  canoro  |  increpuit,  sequitur  clamor  caeluniqiie  remugit  (dazu  ein  lehrreiches 
Scholion  des  Servius).  Andere  Versuche  zur  Nachbildung  des  Trompetensignals 
(tubarum  clangor:  Varro  1.  c.)  im  Kommentar  zu  165;  im  Griechischen  oft 
Nonnos,  z.  B.  U  633  Xa'iveri  oäXmrri  KiXiH  jauKrjöaTO  TaOpoc  XXViU  28  ßdpßapoc 
^öluapdTTiöev  äYdöTparoc  auXöc  '6vuoöc. 

7)  Z.  B.  Accius  fr.  4  Baehr.  fraxinus  fusa  ferox  infensa  infinditur  ossis, 
tr.  569 — 573  Ribb.,  Lucrez  V  993  viva  videns  vivo  sepeliri  viscera  busto  964  vel 
violenta  viri  vis. 


408  ANHANG  Vn. 

archaisclien  Poesie  zu  verfallen,  imTnerhin  aber  doch  in  erheblich  weiterem 
Umfang  als  irgend  ein  griechischer  Dichter.  Daß  er  hierbei  der  rheto- 
rischen Theorie  folgte,  beweisen  folgende  Momente.  Dionys.  1.  c.  16 
notiert  als  malerisch  u.  a.  den  ßpö)Liov  Kai  Traiatov  dvejauüv;  ihn  hat 
Vergil  (wie  Nonnos)  häufig  durch  malerische  Mittel  zum  Ausdruck  ge- 
bracht, besonders  drastisch 

g.  I  356  ff.   continuo  ventis  surgentibus  aut  freta  ponti 
indpiunt  agitata  tumescere  et  aridus  altis 
montibus  audiri  fragor,  aut  resonantia  longe 
litora  misceri  et  nemorimi  increbrescere  murmur, 
vergl.  a.  I  55 f.  IV  160.  X  96 ff.     Ferner  notiei-t  Dionys.  ib.  das  'Pfeifen 
der  Taue'  ((JupiYMÖv  KOtXuüv),  vergl. 

a.  I  87   msequitur  clamorque  virum  stridorque  rudentum.^) 
Wenn  der  Khetor   ebendaselbst  die  TaupuüV  |LiuKr||LiaTa ,   Varro  1.  c.  fr.  2 
(p.  145  Wilm.)  ovium  balatum  als  charakteristische  Beispiele  nennen  für 
die  Tatsache,   daß   die  Worte   Abbilder   der  Dinge   seien,   so   hat  Vergil 
mit  Bedacht  beides  verbunden 
g.  in  554 f.   balatu  pecorum  et  crebrls  mugitibus  anmes 
arentesque  sonant  ripae. 
Auch   den   von  Varro   1.  c.   erwähnten    aeris    tinnitus    versinnbildlicht   er 
(allerdings  mit  Bevorzugung  dumpfer  Vokale,  weil  es  sich  um  das  Waffen- 
klirren  im  Bauch  des  hölzernen  Pferdes  handelt): 

a  II  53   msonuere  cavae  gemitumque  dedere  cavernae.^) 


1)  Mit  leichter  Variation  a.  11  313  exoritur  clamorque  virum  clangorque 
tuharum,  vergl.  S.  407,  6  —  Die  Theorie  kannte  und  befolgte  schon  Pacuvius 
335f.  Ribb.  drmamentum  Stridor,  flictus  navium,  \  strepitus  fremitus,  cldm^r 
tonitruum  et  rudentum  sibilus.  Nach  der  Theorie  auch  Nonnos  III  27  öu|li- 
irXcKdec  bi  KdXiuec  ^aiipieav  bii.'i  jboiZip. 

2)  Besonders  beliebt  als  malerisches  Mittel  ist  das  dumpfe  u  (vergl.  den 
Kommentar  zu  237  f.  644),  z.  B.  g.  III  45  et  vox  adsensu  nemorum  ingeminata 
remugit  XII  722  gemitu  nemus  omne  remugü  X  98  f.  fremunt  (sc.  flamina)  silvis 
et  caeca  volutant  \  murmura  III  581  f.  inbremere  omnem  \  murmure  Trinacriam 
et  caelum  subtexere  fumo  V  148  ff.  tum  plausu  fremituque  virum  studiisque  fa- 
ventum  |  consonat  omne  nemus,  vocemque  inclusa  volutant  \  litora,  pulsati  colles 
clamore  resultant  VIII  419  ff.  validique  incudibus  ictus  \  auditi  referunt  gemitus 
striduntque  cavernis  \  stricturae  Chalybum.  Ferner  u  -\-  m:  I  55  f.  magno  cum 
murmure  montis  |  circum  claustra  fremunt  124  interea  magno  misceri  murmure 
pontum  IV  210  inania  murmura  miscent  XII  718  stat  pecus  omne  metu  mutum 
mussantqu^  iuvencae  (dies  auch  Horaz  ep.  11  1,  202  Garganum  mugire  putes 
nemus  aut  mare  Tuscum,  vielleicht  auch  epod.  6,  9 2 f.);  u  -\-  r  VQ  15 f.  hinc 
exaudiri  gemitus  iraeque  leonum  \  vincla  recusantum  et  sera  sub  nocte  rudentum; 
M  -j-  s  V  866  tum  rauca  adsiduo  longe  sale  saxa  sonabant  X  212  spumea  se- 
mifero  sub  pectore  murmurat  unda;  u  -\-  r  -\-  s  II  301  clarescunt  sonitus  ar- 
morumque  ingruit  horror;  u  -\-  r  -{-  t  Hl  61Sf.  contremuere  undae  penitusqtie 
exterrita  tellus  \  Italiae  curvisque  immugiit  Aetna  cavernis  V  694 f.  tempestas 
sine  more  furit  tonitruque  tretnescttnt  |  ardua  terrarum.  Ferner  s  allein  und  in 
zahlreichen  Verbindungen,  z.  B.  «  g.  III  514  discissos  nudis  laniabant  dentibus 
artus  IV  370  saxosusque  sonans  Hypanis  Mysusque  Caicus;  s  -{■  t  a,.  l  bd  luc- 
tantes  ventos  tempestatesque  sonoras  (vergl.  Horaz  s.  H  8,  77  f.  videres  |  stridere 
secreta  divisos  aure  susurros  mit  der  Bemerkung  der  pseudoacronischen  Schollen: 
notandum  quod  ipso  versu  imitatus  est  sonum  susurri,  ut  'lento  ducunt  argento' 
<Verg.  aen.  VII  634>  et  'sale  saxa  sonabanf  <ib.  V  866»;  s  +  <  +  r  VII  567 
dat  sonitum  saxis  et  torto  vertice  torrens;  s  -\-  t  -]-  p  -\-  u  VII  722  scuta  sonant 
pulsuque  pedum  conterrita  tellus;  s  -]-  f  -j-  m  -\-  n  IV  135  stat  sonipes  et  frena 


DIE  MALERISCHEN  MTTEL  DES  VERGILISCHEN  HEXAMETERS.  409 

B.   Die  Answahl  der  Rhythmen. 

Das  Streben,  das  Ethos  des  Gedankens  durch  bestimmte  Rhythmen 
malerisch  zvnn  Ausdruck  zu  bringen,  ist  schon  im  Hexameter  Homers 
erkennbar,  aber  doch  nur  so  selten  (und  bezeichnenderweise  nirgends  so 
deutlich  wie  innerhalb  einer  sehr  jungen  Partie:  X  593 ff.),  daß  wir  diese 
Rhythmensymbolik  nicht  als  wesentliches  Element  des  altepischen  Verses 
bezeichnen  können.  Die  antiken  Theoretiker  haben  aber,  wie  gewöhn- 
lich, die  Theorien  ihrer  Zeit  auf  Homer  gewissermaßen  zurück  projiziert 
und  Absicht  oder  Reflexion  da  gefunden,  wo  wir  sie  nicht  anerkennen. 
Da  nun  aber  Vergil  eben  durch  solche  Theorien  beeinflußt  war  und  in 
ihrem  Bann  die  homerischen  Verse  las  und  nachbildete,  so  müssen  wir 
sie  hier  kurz  betrachten.  Wir  finden  die,  wie  bemerkt,  seit  Theophrast 
allgemein  angenommene  Theorie  am  besten  formuliert  von  Hermogenes 
de  ideis  H  409  Sp.:  „Wenn  der  Dichter  eine  leidenschaftliche  Stimmung 
oder  sonst  ein  Ethos  der  von  ihm  redend  eingeführten  Person  zum  Aus- 
druck bringen  will  (liifieiTai)  oder  auch  in  eigner  Person  spi'icht,  so 
müssen  sich  dabei  jedesmal  die  den  Arten  der  Reden  entsprechenden 
Pausen,  Versfüße  und  Rhythmen  einstellen,  z.  B.  getragene,  harte,  weiche 
oder  besonders  gefeilte.  Dies  wird  ermöglicht  durch  die  große  Zahl  der 
Formen  des  Hexameters  (es  gibt  nämlich  nach  der  Lehre  der  Metriker 
32  solcher  Formen),  dann  auch  durch  die  bestimmte  Art  der  Pause, 
worauf  es  hier  besonders  ankommt:  denn  es  tritt  bei  den  verschiedenen 
Arten  der  Caesuren  und  der  Gedankenpausen  im  Satz  das  Metrum  oft 
sogar  aus  dem  ihm  eignen  Rhythmus  heraus;  z.  B.  ist  in  dem  Vers 
fipuuuuv,  auTOuc  be  eXuupia  reöxe  KuvecfCTiv  nach  dem  Worte  fipOüUJV  eine 
Pause  und  die  folgenden  Worte  sind  gewissermaßen  anapästisch.  Die 
Gründe  aber,  die  den  Dichter  veranlaßten,  bald  diesen,  bald  jenen  Rhyth- 
mus zu  gebrauchen,  wird  der  aufmerksame  Leser  vorliegenden  Werkes 
über  die  Arten  der  Rede  sowie  meiner  späteren  Schrift  über  die  Methode 
der  kn^ftvollen  Beredsamkeit  leicht  erkennen."  Hiemach  sind  die  zwei 
wichtigsten  rhythmischen  Mittel,  durch  die  der  Dichter  im  Hexameter 
das  von  ihm  gewollte  Ethos  des  Gedankens  malerisch  zum  Ausdruck 
bringen  kann,  die  Verteilung  von  Daktylen  und  Spondeen  und  die  An- 
wendung der  verschiedenartigen  Caesuren. 

L    Daktylen  und  Spondeen. 

Dionysios  1.  c.  bringt  als  Beweis  für  seine  (d.  h.  des  Theophrast) 
Behauptung,  daß  der  gute  Dichter  )Lii)iriTiKÖc  ecTri  tOuv  TTpaT^dtiuv,  das 
Musterbeispiel  der  homerischen  Sisyphosverse  (X  593 ff.);  die  Spondeen 
der  Verse  Xäav  ^acfTolovra  ireXujpiov  und  Xäav  avuu  uiGecTKe  malen, 
wie  Dionysios  bemerkt,  die  Anstrengung,  mit  der  der  Block  aufwärts 
gerollt  wird,  und  daß  dies  nicht  auf  Zufall  beruhe,  sondern  auf  bewußter 
Kunst,   sei  klar   durch  die  Wahl   der  das  rdxoc   malenden  Daktylen   in 


ferox  spumantia  mandit.  Auch  nt  -^  r:  JE  626  f.  membra  fluentia  tobe  \  man- 
deret  et  tepidi  tremerent  sub  dentibus  artus  664  =  VH!  230  dentibus  infrendens. 
Endlich  c  -)-  Vokal  oder  Konsonant:  IV  303  nocturmisqm  vocat  clamore  Ciihaeron 
g.  I  378  ranue  cecinere  querellam. 


410  ANHANG  Vn. 

dem  Vers  auTic  ^rreiTa  Trebovbe  etc.  Wie  genau  die  alten  Interpreten 
auf  dergleichen  achteten,  zeigen  die  von  G.  Rauscher,  De  scholiis 
Homericis  ad  rem  metricam  pertinentibus  (Straßburg  1886)  48ff.  und 
H.  Großmann,  De  doctrinae  metricae  reliquiis  ab  Eustathio  servatis 
(ib.  1887)  47 ff.  gesammelten  Scholien.  So  schol.  AB  zu  A  530:  „Kpaiöc 
dir'  dGavaioio,  luexav  ö'  eXeXiHev  "OXuiuitov:  durch  die  Raschheit  malt  er 
das  Zittern  des  Berges  und  die  Schnellichkeit  der  Bewegung";  Eust.  zu 
9  15:  „Tijü  b'  iv  MecrcTrivr)  Hu|ußXr|TTiv  dXXr|Xouv:  dieser  Vers  wird  ge- 
lobt, weil  seine  durch  reine  Spondeen  zum  Ausdruck  gebrachte  ruhige 
Bewegung  derjenigen  Ruhe  entspricht,  mit  der  die  beiden  Freunde  sich 
begegnen,  während  umgekehrt  lobenswert  auch  die  aus  bloßen  Daktylen 
zusammengesetzten  Verse  sind,  z.  B.  kcTto  jLieTac  |LieYaXuj(TTi,  XeXacr|LAevoc 
iTTTTOCfuvduJV  (TT  776);  daß  nämlich  ein  Vers  mit  fünf  Daktylen  einen 
stark  hüpfenden  Charakter  hat,  wußten  schon  die  Alten  und  lehrt  die 
Metrik.  1)" 

Eine  Untersuchung,  in  der  die  antike  Theorie  an  dem  faktischen 
Material  geprüft  wäre,  gibt  es  m.  W.  nicht.  Auch  für  die  nachhome- 
rischen Dichter  fehlt  eine  Sammlung  und  Prüfung  des  Materials.  Denn 
obwohl  kein  griechischer  Dichter  in  der  Verwendung  dieses  doch  mehr 
äußerlichen  Mittels  so  weit  gegangen  ist  wie  die  römischen,  so  hat  es 
sich  doch  keiner  wohl  ganz  entgehen  lassen.  So  haben  Pindar^)  und 
Euripides^),  die  beide  von  der  Rhetorik  ihrer  Zeit  beeinflußt  sind,  im 
Vergleich  zu  Aeschylos  und  Sophokles  viel;  auch  Aristophanes  hat  es  oft 
mit  stark  sinnlicher  Wirkung  gebraucht,  während  die  hellenistische  Poesie 
hierin  äußerst  zurückhaltend  ist.  Für  uns  kommt  es  hier  aber  nur 
darauf  an  zu  prüfen,  wie  sich  die  griechische  Theorie  in  der  Praxis  der 
römischen  Dichter  spiegelt. 

Die  Theorie  war  in  Rom   schon   bekannt,   als  Ennius*)   es   unter- 
nahm,   den  Hexameter  in  die  lateinische  Poesie  einzuführen,   nicht  ohne 
Kenntnis  auch  der  griechischen  Theorie.     So  ist  in  Versen  wie 
a.  419     it  eques  et  plausu  cava  conmtit  ungula  terram 
281      consequitur,  summo  sonitu  quatit  ungula  terram 
die  bewußte  Anlehnung  an  den  Rhythmus  von 

Z  511     pijLiqpa  e  YoOva  qpepei  laeid  fiGea  xai  vo)liöv  i'ttttujv 
K  535     i'ttttujv  )li'  lUKUTröbuiV  djLiq)i  ktuttoc  ouata  ßdXXei 
um   so   sicherer,   als   auch   die  Theorie  konstatierte,    daß   i'ttttujv  TTOpeia 

1)  6  TCXviKÖc  Trapabibujöiv,  vergl.  G.  Amsel,  De  vi  atque  indole  rhytiimorum 
(Bresl.  phil.  Abb.  I  1887)  63:  „quis  sit,  ignoro." 

2)  Z.  B.  ist  in  0.  1  der  achte  Vers  der  Strophe  ein  iambischer  Trimeter 
mit  starken  Auflösungen:  zweimal  dient  der  lebhafte  Rhythmus  sichtlich 
malerischen  Zwecken:  77  t\xe  ö'  Itri  raxuxctTuiv  Tröpeuöov  äpiudrijuv  95  TT^Xottoc, 
Iva  TaxuTÖc  irobuiv  ipiZezai,  und  darauf  weist  folg.  Scholien  hin  (p.  16  Böckh): 

TÖV   TOIOUTOV   ^USjLlÖV   eÖaTl|LlOV   6lä  TOO    XÖYOU    dtTTOKaÖiaTIlÖtV,     iv   TT)    ^VVOlCjl   Toxu- 

TfiTO  KaxoipBuJKUJC.  P.  2,  3  f.  (qpepuiv)  |  jn^Xoc  epxojaai  dtfyeXiav  Terpaopiac  ^Xe- 
XixGovoc  (Daktylen  und  Trochäen).  Vergl.  ferner  Boeckh's  Abhandlung  de  metris 
Pindari  1.  III  c.  XIX  (Pindari  opera  vol.  I  p.  295  f.)  und  Schroeder  in  seiner 
Ausg.  p.  507  d,  sowie  unten  S.  412,  2.  413,  2. 

3)  Vergl.  V.  Wilamowitz  zu  Eur.  Her.  935. 

4)  Vergl.  schon  Naevius 

com.  fr.  35  ßibb.^  ubi  vidi,  exanimabüiter  timidus  pedibus  protinatn  me  dedi, 
ganz  im  Stil  der  dpxaio,  die  dergleichen  oft  hat. 


DIE  MALERISCHEN  MITTEL  DES  VERGILISCHEN  HEXAMETERS.  411 

puGjUÖc  evO|Lii(T9Ti :   vergl.  [Longin]  proll.  in  Hephaest.  ench.  p.  84  West- 
phal.     Die  Versmonstra 

a.  125 f.   VoUurnalem  Palatualem  Furrinalem 

Floralemque  Falacrem  et  Pomonalem  fecit 
werden  etwas  dadurch  entschuldigt,  daß  der  Verfasser  die  feierliche  Gran- 
dezza des  Numa   und  der  von  ihm  eingesetzten  Priesterschaft  durch  die 
gi'avitätischen  Spondeen  wahrscheinlich  hat  malen  woUen,  wie 

a.  34  Olli  respondit  rex  Albai  longai 
die  Feierlichkeit  und  Ruhe  der  Bündnisszene   zwischen  Aeneas   und  dem 
patriarchalischen  Albanerkönig   schön  zum  Ausdruck  bringt,   dies  um  so 
sicherer,  weil  Vergil  es  in  der  Bündnisszene  zwischen  Aeneas  und  Latinus 
nachahmte:  XU  18  olli  sedato  respondit  corde  Latinus. 

Bei  Cicero  und  Lucrez  tritt,  dem  Charakter  des  Lehrgedichts 
entsprechend,  die  malerische  Absicht  zurück;  daß  letzterer  die  Theorie 
kannte,  zeigt  der  Wechsel  von  Spondeen  mit  Daktylen  in  den  Versen 
von  Sisyphus 

ni  lOOOflF.  adver  so  nixantem  truder  e  monte 

saxum,  qmd  tarnen  e  summa  iam  vertice  rursum 
volvitur  et  plani  raptim  petit  aequora  campi^) 
und  die  malerischen  Verse 

III    907  f.    insatiabiliter  deflevimus  (sc.  te),  aeternumque 
nulla  dies  nobis  maerorem  e  pectore  demet. 

Fast  gänzlich  zu  fehlen  scheint  dieses  Element  bei  den  Neoterikern; 
wenigstens  wüßte  ich  aus  Catull,  wenn  wir  von  einigen  seiner  versus 
spondiaci,  die  als  besonders  geartet  unten  S.  43 2  f.  behandelt  werden 
sollen,  nur  ein  bemerkenswertes  Beispiel  anzuführen: 

64,  40      non  glaeham  prono  convellit  vomere  taurus, 
wo  die  Absichtlichkeit  des  spondeischen  Ehythmus  durch  Horaz 

s.  I  1,  28      nie  gravi  terram  duro  qui  vertit  aratro 
gewährleistet  wird.     Vermutlich   erklärt   sich  diese   ablehnende   Haltung 
daraus,    daß,    wie   es   scheint,    auch    die    hellenistischen   Dichter   Effekte 
dieser  Art,   wieder  abgesehen   von  einigen  unten  1.  c.  angeführten  versus 
spondiaci,  verschmäht  haben.  ^) 

Vergil  kehrte  dagegen  zu  der  Praxis  des  Ennius  zurück,  die  er 
nach  der  Lehre  der  Metriker  und  Rhetoriker  auch  als  die  homerische 
ansehen  mußte,  und  zwar  befolgte  er  darin,  wie  hier  gezeigt  werden 
soll,  bewußt  auch  die  Theorie.  So  hat  er  das  homerische  |ueT«v  h^iXl- 
XiHev  ''OXu^Trov,  das,  wie  Avir  sahen,  wegen  seines  malerischen  toexoc 
(TuXXaßujv  gerühmt  wurde,  übersetzt: 

aen.  IX  106  iotum  treme fecit  Olympum. 

In  dem  berühmten  Mustei'vers 

VIII  596  quadrupedante  putrem  sonitu  quatit  tmgula  campum 


1)  Vergl.  auch  den  von  Cic.  Tusc.  1 10  zitierten,  wahrscheinlich  von  Lucilius 
stammenden  Vers 

fr.  815  Baehr.  Sisyphus  versat 

saxum  Sudans  nitendo  neque  proficit  hilum. 

2)  Verse  mit  mehr  als  zwei  Spondeen  hintereinander  sind  bei  Kallimachos 
und  seinen  Nachfolgern  überhaupt  eine  Seltenheit:  Bücheier,  Rh.  Mus.  XXX 
(1875)  34. 


412  ANHANG  VII. 

hat  er  die  uns  durch  jenes  Hephaestionscholion  bezeugte  Theorie  von  der 
Rhythmik  der  ittttiüv  rropeia  in  die  Praxis  umgesetzt  (vergl.  IV  154  f. 
agmma  cervi  |  pulverulenta  fuga  glomerant),  und  ebenso  die  in  demselben 
Scholion  als  Beispiel  eines  natürlichen  Rhythmus  angeführten  TTiepufic- 
ILiara  tüjv  öpvi9u)V^)  durch  wirkungsvolle  Rhythmisierung  so  zum  Aus- 
druck gebracht: 

VI  311  f.    quam  multae  glomerantur  aves,  ubi  frigidus  annus 

trans  pontwm  fugat. 
Malt  nach  der  Theorie  der  alten  Rhythmiker  der  Daktylus,  wenn 
er  gehäuft  wird,  die  Eile,  so  der  Spondeus  die  gemessene,  feierliche 
Ruhe  (tö  (JTd(Ji)Liov,  dHiuj|Lia,  (TeiiVÖTric,  vergl.  Amsel  1.  c.  54  ff.).  Diese 
Theorie  hat  Vergil  sich  oft  mit  großer  Wirkung  zu  Nutze  gemacht. 
In  dem  Vers 

VI  313  stabant  orantes  primi  transmittere  cursum 
fielen  die  durch  das  spondeische  Wort  im  1.  Fuß  noch  besonders  stark  her- 
vortretenden Spondeen  (s.  Anhang  VIII)  schon  Scaliger  auf:  'vis,  sagt  er 
in  seiner  Poetik  (1.  c.  p.  489),  videre  tractum  ipsum  morae  sub  oculis? 
stabant — cursum:  cum  illis  enim  versus  quoque  stat'.  Zugleich  malen 
die  Spondeen  hier  das  Flehen  (orare)^)  der  Seelen,  wie  Homer  von  dem 
wehklagenden  Achilleus  sicher  absichtlich  sagt 

V  219      M^ux^v  KiK\r|crKUJV  TTaTpoKXfjoc  beiXoTo 
und  von   zwei  flehenden   Troern   (in   wirkungsvollem   Kontrast   mit   dem 
gegen  sie  anstürmenden  Atriden) 

A  129f.    Tib  be  KUKr|0r|TTiV  8  b'dvavriov  uipio  Xeuüc  u)C 

'ArpeibTic'  tuj  b'auT'  Ik  bicppou  TOuvaZ!ecr0r|v.^) 
Die  Klage*)  ist  es  auch,  die  in  der  Rede  des  Aeneas  an  Dido  und  den 
Epicedien  auf  Marcellus  und  Pallas  durch  Spondeen  gemalt  wird: 


1)  Wohl  mit  Bezug  auf  B  462  ävQa  Kai  ^vöa  iroTiDvTai  dTaX\6|ueva  irrepO- 
yeooiv,  vergl.  auch  Aristopb.  Vög.  1395  töv  äXäbe  6p6|aov  äXdiiievoc  ä|u'  dv^iuuuv 
TTvoaiai  ßair|v,  ein  Sotadeus,  in  dessen  beiden  ersten  lonikern  sämtliche  Längen 
aufgelöst  sind. 

2)  Im  Gebet  sind  feierliche,  getragene  Rhythmen  (öTTOvbeioi)  herkömmlich, 
vergl.  auch  Aristides  Quint.  11  15  (p.  59,  28  Jahn)  touc  |li^v  ßpaxeic  (sc.  xpövouc) 
tv  rate  TTuppixaic  XPI^IMOUC  öpü)|uev  . .  . ,  toOc  6^  laTiKiaTouc  ^v  toTc  iepoic  öjuvoic, 
otc  ^XP*J^VT0  irapcKTeTaiu^voic,  was  wir  noch  an  Pindars  Praxis  erkennen:  P.  1,  29 

eiri  ZeO  xlv  eir)  ävbctveiv _u _w_  (zwei  unterdrückte  Senkungen  im 

ersten  Epitrit,  der  dadurch  den  Typus  des  airov&eioc,  also  des  üblichen  Gebet- 
rhythmus erhält),  Epitriten  auch  ib.  72  XicTöoiLiai  veOaov  Kpoviuuv  ä|U€pov;  vergl. 

0.  4,  11  f.  6eöc  eöqppuuv  |  eiTi  Xonraic  euxatc  vju ,  ähnlich  Soph. 

0.  T.  1096  irjie  Ooiße  ao\  b^  toOt'  öp^öx'  eir]  (der  Schluß  _  u :  zwei  Epi- 
triten mit  Unterdrückung  von  1  bezw.  2  Senkungen). 

3)  Beide  Stellen  gehören  nicht  zum  ältesten  Bestände  des  Epos. 

4)  Vergl.  Bakchyl.  16  (17),  119  Xe7rTÖTrpu|uvov   cp&vr\.     qpeö  ol'aicfiv   ^v  <ppov- 

Tiöiv  _u_    _vj_ _w_    _v_  (iambisch,  überall  mit  Unterdrückung   der 

ersten  Senkung,  beim  dritten  wegen  qpeö  mit  Unterdrückung  beider,  vergl. 
V.  Wilamowitz,  Gott.  gel.  Anz.  1898,  138,  der  auf  das  Ethos  hinweist).  Ähnlich 
Pindar  0.  2,  52  (57)  öuöcppoväv  TrapaXuei,  nur  an  dieser  Stelle  _  u  _  u  u  u  _, 
sonst  stets  umgekehrt  ^  ^  ^  ^  -  ^  - ,  aber  er  wollte  durch  die  Ausnahme  dem 
Begriff  des  'Mißmuts'  Gewicht  geben.  In  demselben  Gedicht  23  (25)  irevOoc  bä 
iriTvei  ßapO:  _]  _  w  _  -  ^^,  sonst  immer  _  u  _  u  u  w  _  bis  auf  Vers  3  Saxaöev 
'  HpanXeric :  _]  _  u  _  _  u  _ :  an  der  ersten  Stelle  malt  die  Länge  die  schwer- 
lastende Trauer,  an  der  zweiten  das  }x^ya  oG^voc  '  HpoKXfioc,  wie  es  ApoUonios 
Rh.  I  531  in  einem  versus  spondiacus  nennt  (vergl.  auch  Boeckh  z.  d.  St.). 


DIE  MALERISCHEN  MITTEL  DES  VERGILISCHEN  HEXAMETERS.  413 

VI  456  f.    mfdix  Dido,  verus  mihi  mmtius  ergo 

venerat  exstinctam  ferroque  extrema  secutam 
8 68  f.    0  gnate,  ingentem  luctmn  ne  quaere  iuorum: 
ostendent  terris  hunc  tantwm  fata 
XI  51  f.    (nos  iuvenem  exanirmim  et  nü  iam  caelestibus  idlis) 
dehentem  vano  maesti  comitamur  honore. 
infelix,  nati  fu/nus  crudele  videbis.  — 
Oft  dienen  die  Spondeen  auch  dazu,   mühsame  Arbeit   zu  versinnbild- 
lichen.    Bei  einem  Vers  dieser  Art,  dem  berühmten  Gegenstück  zu  qiia- 
drupedante  etc.,  ist  der  Anschluß  an  die  Theorie  besonders  deutlich: 
a.  Vm  452     Uli  inter  sese  midta  vi  bracchia  toUitnt 
in  numerum; 
denn   in  dem  für   das  rhythmische  Traben   der  Rosse    und  Flattern   der 
Vögel   zitierten   Hephaestionscholion   wird    bemerkt,    daß    der   Rhythmus 
ebenfalls  deutlich  sei,   öiav  touc   x«^Keac   ibuj|Liev  Tctc  acpupac  Kaxa- 
cpepovxac   {m  numerum   bei  Vergil   ist  evplJ9^uuc).     Diese  Theorie  muß 
recht  alt  sein,  denn  schon  Kallimachos  kennt  sie,  wenn  er  seine  Schilde- 
rung   der  Kyklopenarbeit   mit    einem  v.   spondiacus    schließt:    im  ^ifa 
)Liox6r|Cleiav  (h.  3,  61):  vergl.  darüber  imten  Seite  432.     Femer: 

g.  I  281  ter  sunt  conati  imponere  Pelio  Ossam, 
wo  außer  den  Spondeen  auch  die  Hiate  malen:  auch  dies  nach  der  Theorie, 
denn  Dionys.  Hai.  I.e.  bemerkt  zu  den  Worten  Xäav  ävuu  ujöeffKC,    der 
Hiat    charakterisiere  ttjv   fiötic  dvujGoufievnv  Trexpav.     Dem   Sisyphos- 
motiv  begegnen  wir  wieder 

a.  VI  616  saxum  ingens  volvont  alii 
(vergl.  daselbst  den  Kommentar).  —  Besonders  oft  ist  es  die  Mühe  und 
Schwierigkeit    von    Schiffsmanövern,    die    er   durch    spondeischen 
Rhythmus  malerisch  hervorhebt^),  so 

a.     VI  3  f.  ohvertwnt  pelago  proras,  tum  dente  tenaci 
ancora  fundahat  naves^) 
in  549     cornua  velatarum  ohvertimus  antemnarum 

562     contorsit  laevas  proram  Palinurus  ad  u/ndas 
IV  39  7  f.  tum  vero  Teucri  incumbunt  et  litore  celsas 
dedu,cmit  toto  naves 
583     adnixi  torquent  spumas 
V  120     impellunt  ("sc.  naveni),  terno  consurgunt  ordine  remi 

829     attolli  maios,  intendi  bracchia  vdis 
X  195     ingentem  remis  Gentaurum  promovet. 
Wir  werden  dies  auf  Ennius  zurückführen  dürfen:  denn  Cicero,  bei  dem, 
wie    bemerkt,    diese    malerischen    Mittel    sonst    nicht    sehr    hervortreten, 


1)  Vergl.  Aristides  Quint.  de  mus.  11  4  (p.  41,  22  Jahn):  vauxiXiac  xe  xal 
eipeaiac  koI  to  x^XeiriuTaxa  tOuv  xcipuJvaKTiKUJV  IpYuuv.  —  Eine  lehrreiche 
Analogie  weist  mir  F.  Vogt  nach:  im  Nibelungenlied  Str.  368  Lachm.  wird  die 
Mühe  des  Flottmachens  durch  Fehlen  der  Senkungen,  dagegen  die  Leichtigkeit 
des  Stromabfahrens  durch  Ausfüllung  aller  Senkungen  charakterisiert. 

2)  Die  Spondeen  in  ancora  fundabat  naves  sollen  speziell  das  ardaijuGv 
malen:  vergl.  Pindar  0.  6,  100 f.  äyaQai  bä  ir^Xovr'  ^v  xeiM^pW  vuktI  eoäc  ^k  vaöc 

<iiTeaKi)Liqpeai  6\i '  äfKvpai  uw_     w^ _wu_     _ww_ uw _w _, 

wo  das  Moment  des  Befestigens  durch  doppelte  Synkope  des  Ditrochaeus  zum 
Ausdruck  gebracht  ist. 


414  ANHANG  VII. 

dichtet,  ohne  daß  der  entsprechende  Vers  des  Arat  (346)  das  irgendwie 
bedingte, 

Arat.  132  obvertunt  navem  magno  cum  pondere  nautae, 
was  auch  in  den  Worten  stark  erinnert  an  den  ersten  der  hierfür  soeben 
zitierten  Vergilverse:  solche  Übereinstimmung  weist  aber,  wie  wir  wissen 
(s.  Anhang  I),  auf  Ennius.  Nach  dessen  Muster  hat  Vergil  wahrscheinlich 
eine  viel  größere  Anzahl  sowohl  accelerierender  als  gravitätisch-schwer- 
fälliger Verse  gedichtet,  als  wir  nachzuweisen  vermögen.  — ^) 

Für  die  Absichtlichkeit  solcher  Rhythmisierung  besonders  lehrreich  sind 

1)  die  Fälle,  wo  der  Dichter  durch  ein  besonderes  Wort  die  Wahl 
dieses  Rhythmus  gewissermaßen  motiviert^),  z.  B. 

a.    IX    30 f.  ceu  Septem  surgens  sedatis  amnihus  altus 

per  taciium  Ganges 
XII    18     Olli  sedato  respondit  cor  de  Latinus^) 
g.       I  201  f.  non  aliter  quam  qui  adver  so  vix  flumme  lembum 

remigiis  subigit 
a.   rv  309 f.  quin  etiam  hiberno  moliris  sidere  classem 

et  mediis  properas  aquilonihus  ire  per  altum; 

2)  diejenigen,    wo   der  Rhythmus   eines   sachlich  benutzten  Homer- 
verses geändert  ist,  vergl.  z.  B. 

a.    VI  652      stant  terra  defixae  hastae 
IX  229     stant  longis  adnixi  hastis 
mit     r  135     dffTTiffi  KeKXifievoi,  Trapd  b'^YX^^t  jLiaKpd  Tr^miTev 
(Vergil  will  das  crTd(Ji|UOV  malen); 

3)  diejenigen,  wo  der  Rhythmus  sich  über  mehrere  Verse  fortsetzt, 
so  von  den  Ameisen 

a.    IV  404  ff.  it  nigrum  campis  agmen  praedamque  per  herbas 
convectant  cälle  angusto,  pars  grandia  trudunt 
obnixae  frumenta  umeris,  pars  agmina  cogunt; 

4)  diejenigen,    wo   der  Rhythmus  mit   dem   Gedanken  wechselt:   so 


1)  Z.  B:        a.  X  1  panditur  interea  domus  omnipotentis  Olympi, 

ein  von  Quintilian  TX  4,  49  wegen  des  Rhythmus  gerühmter  Vers  mit  dem 
ennianischen  omnipotens  (s.  den  Kommentar  zu  592)  und  dem  ebenfalls  enni- 
anischen  Versschluß  Olympi  (ann.  198,  vergl.  1),  für  Vergil  ungewöhnlich  auch 
wegen  der  fehlenden  Nebencaesur; 

a.  V  372  victorem  Buten  immani  corpore  qui  se 
mit  der  im  Anhang  XI  besprochenen  archaischen  Härte  am  Schluß; 

a.  V  422  et  magnos  membrorum  artus,  magna  ossa  lacertosque 
mit  dem  die  übermäßige  Größe  des  Faustkämpfers  malenden  v.  hypermeter, 
einem  echt  ennianischen  iraitviov:  s.  den  Kommentar  z.  602. 

2)  Vergl.  Aeschylos  Ag.  183  K.  von  den  die  Flotte  in  Aulis  aufhaltenden 
TTVoai:  7ra\i|Li|LiriKri  xpövov  Ti06iaai,  wo  die  doppelte  Synkope  der  kurzen  Silbe 
des  Jambus  («-»__  _w_u__)  die  Länge  der  Zeit  malt  (v.  Wilamowitz,  Comm. 
metr.  H  Göttingen  1895  p.  4,  vergl.  p.  16).  Lucrez  1.  c.  (S.  411)  aeternumque, 
Lydia  18  tardahunt  rivi  latentes  currere  lymphae,  Horaz  s.  I  1,  28  ille  gravi 
terram  duro  qui  vertit  aratro  (vergl.  Verg.  g.  I  118  f  hominumque  houmque  la- 
bores  \  versando  terram  experti),  a.  p.  259  Enni  \  in  seaenam  misstis  cum  magno 
pondere  versus,  wo  die  Worte  cum  magno  pondere,  die  auch  Cicero  in  dem 
oben  angeführten  Vers  der  Aratea  braucht,  wohl  eben  ennianisch  sind. 

3)  Dieser  Vers  mit  ganz  ennianischem  Kolorit,  s.  o.  S.  411  und  ann.  122 
olli  respondit  (suavis  sonus  Egerini). 


DIE  MALERISCHEN  MITTEL  DES  VERGILISCHEN  HEXAMETERS.  415 

außer  in  den  bei  l)  zitierten  Versen  a.  IV  309  f.  und  den  im  Kommentar 
notierten  VI  3  ff.  199.  309  ff.  z.  B.  noch 

a.  VII  163 f.    exercenim-  equis  domitantque  m  pulvere  Gwrrus,  — 
aut  acris  tendunt  arcus. 
V  255  ff.  sublimem  pedibus  rapuit  lovis  armiger  u/nds.  — 
longaevi  palmas  nequiquam  ad  sidera  tendu/nt 
custodes 
I  116  ff.  ast  aliam  (sc.  navem)  ter  fluctus  ibidem 

torquet  agens  circum  et  rapidus  vorat  aequore  vortex.   — 
apparent  rari  nantes  in  gurgite  vasto 
IX  664  ff.  ü  clamor  iotis  per  propugnacula  muris, 

intendunt  acris  arcus  ammentaque  torquent.  — 
sternitur  om/ne  solum  felis,  tum  scuta  cavaeque 
dant  sonitum  flictu  galeae,  pugna  aspera  surgit, 
vergL  IV  132ff.  IX  564f.  XI  453f.; 

5)  diejenigen,  wo  eine  gewählte  Wortstellung  das  Mittel  zum  Zweck 
ist,  so 

g.  DI  276  f.    saxa  per  et  scopulos  .  .  . 
diifugiuM  ("sc.  equae) 
a.  V  663  f.  furit  immissis   Volcanus  habenis 

transtra  per  et  remos  et  pictas  abiete  puppes^ 
die  beiden  einzigen  Beispiele  für  Inversion   einer  einsilbigen  Präposition 
bei   mehreren   durch  et  verbundenen  Substantiven;    es  ist  klar,    daß  bei 
normaler  Stellung   (per  saxa  et  scopulos  und  per  transtra  et  remos)   das 
Ethos  zerstört  worden  wäre.^) 

6)  Die  versus  spondiaci,  die  wegen  der  besonderen  Art  ihrer 
metrischen  Bildung  erst  im  Anhang  IX  3  behandelt  werden  sollen. 

2.  Die  Caesuren. 

Als  zweites  rhythmisches  Mittel,  durch  das  der  Dichter  den  Ge- 
danken malerisch  versinnbildliche,  nennt  Hermogenes  1.  c.  die  Wahl  der 
Caesur.  Obwohl  hier  vieles  Gefühlssache,  also  nicht  streng  beweisbar 
ist,  so  wird  sich  doch  einiges  feststellen  lassen.^) 


1)  Viel  zurückhaltender  als  Vergil  sind  mit  Ornamenten  dieser  Art  Horaz 
und  Ovid  gewesen.  Vergl.  für  Horaz  außer  den  S.  407.  3.  417,  5.  420,  6. 
423,  6  zitierten  Beispielen  etwa  noch  carm.  I  9,  3.  H  3,  11  f.; 

epod.  2,  35  pavidumque  leporem  et  advenam  laqueo  gruem: 
dies  ist  der  einzige  unter  den  297  Trimetem  der  Epoden,  in  dem  der  erste 
Jambus  durch  einen  Anapäst  vertreten  ist  (2,  65  positosqiie  vernas  wurde  fast 
wie  postosque  gehört);  fast  singulär  sind  in  ihm  auch  die  beiden  Auflösungen 
hintereinander  (nur  noch  17,  12  cdnibus  hömicidam)  und  der  Anapäst  im  fünften 
Fuß  (nur  noch  5,  79  inferiüs  mare).     Femer 

ib.  2,  65  pastas  oves 

videre  pröperantes  dotnum, 
in  228  Dimetem  die  einzige  Auflösung  neben  15,  24  ast  ego.  —  Für  Ovid  vergl. 
Lüdke,  Rhythmische  Malerei  in  Ovids  Met.,  Progr.  Stralsund  1878.  1879. 

2)  Bei  den  folgenden  Untersuchungen  werden  die  grundlegenden  Arbeiten 
Birts  (Ad  historiam  hexametri  lat.  symbola,  Bonn  1876)  und  W.  Meyers  (Zur 
Gesch.  des  griech.  u.  lat.  Hexameters,  Sitzungsber.  d.  Münch.  Ak  1884,  979  ff. 
und  ebd.  1889  II  228  ff.)   als  bekannt  vorausgesetzt.     Letzterem  folge  ich  auch 


416  ANHANG  VII. 

a)  Fehlende  Nebencaesur  bei  Penthemimeres. 

Während   die   archaische  Poesie,   hier   wie   oft  mit  der  griechischen 
Technik  übereinstimmend,  Verse  wie 

cwm  superum  lumen  ||  nox  intempesta  teneret  (Enn.  a.  106) 
unbedenklich  zuließ,  wurde  man  später  hiergegen  so  empfindlich,  daß 
z.  B.  Cicero  in  den  709  Versen  der  Aratea  keinen  solchen  Vers  diddete. 
Dieser  übertriebenen  Strenge  ist  Vergil,  indem  er  auch  hier  die  glück- 
liche Mitte  zwischen  archaischer  Kunstlosigkeit  und  modemer  Künstelei 
einhielt,  aus  dem  Wege  gegangen.  Zwar  ist  der  reguläre  Typus  auch 
bei  ihm  der,  daß  die  Penthemimeres  entweder  mit  der  Hephthemimeres 
oder  mit  der  bucolischen  Diaerese  verbunden  wird,  also  z.  B.: 
aen.  VI    3  obvertwnt  pelago  ||  proras  \  tum  dente  tenaci 

5  praetexunt  puppes  ||  iuvenum  \  manus  emicat  ardens 
23  contra  elata  mari  ||  respondet  \  Gnosia  tellus 
8  tecta  rapit  Silvas  \\  inventaque  |  flumma  monstrat. 
Aber   er  hat  doch  in  den  Bucolica  7,  in  den  Georgica  16,   in  der 
Aeneis  118  Verse  (d.h.  je  einmal  in  jedem  117**"^,  137**'',  84**'' Verse), 
in    denen    die   Nebencaesur    durch    ein    langes,    den    vierten   und  halben 
fünften   Fuß    ausfüllendes  Wort    gewissermaßen    absorbiert    ist^);    so   in 
Buch  VI  folgende: 
aen.  VI    21  hie  Idbor  ille  domus  ||  et  mextricabüis  error 
135  Tartara  et  insano  ||  iuvat  indulgere  lahori 
170  addiderat  sodum  \\  non  inferior a  secutus 
439  alligat  et  noviens  \\  Styx  interfusa  coercet 
452  ut  primum  iuxta  \\  stetit  adgnovitque  per  v/mhras 
489  at  Danaum  proceres  ||  Ägamemnoniaeque  phalanges 
511  sed  me  fata  mea  et  ||  scdus  exitiäle  Lacaenae 
617  districti  pendent,  ||  sedet  aeternwmque  sedebit 
821  ad  poenam  pulchra  \\  pro  libertate  vocdbit 

838  eruet  ille  Argos  ||  Agamemnoniasque  Mycenas 

839  ipsumque  Aeaciden,  ||  genus  armipotentis  Achilli 
874  fwnera,  cum  twmulum  ||  praeterlabere  recentem^) 

in  der  (von  Lachmann  zu  Lucr.  VI  1067  aufgestellten)  Annahme,  daß  die  Caesur 
durch  Synaloephe  nicht  aufgehoben,  sondern  nur  verdunkelt  werde;  immerhin 
werde  ich,  da  Fälle  dieser  Art  gewissermaßen  in  der  Mitte  zwischen  Caesur 
und  Caesurloßigkeit  stehen  (vergl.  auch  v.  Wilamowitz  zu  Eurip.  Her.  754  und 
speziell  für  Vergil:  P.  Sandford,  The  quasi-caesura  in  Vergil,  Hermathena  XXVI 
1900,  110  ff.),  solche  Verse  in  den  Anmerkungen  gelegentlich  berücksichtigen. 
Für  meine  Sammlungen  habe  ich  Vollständigkeit  erstrebt,  was  nicht  ausschließt, 
daß  ein  oder  das  andere  Beispiel  übersehen  sein  könnte. 

1)  Mit  Synaloephe  in  den  Bucolica  1  (5,  27),   in  den  Georgica  30,    in  der 
Aeneis  79  (d.  h.  je  einmal  in  jedem  820**",  27*«",  125**"  Vers). 

2)  Mit  Synaloephe: 

29  Daedalus  ipse  dolos  ||  tecti  amhagesque  resolvit 
307  magnanimum  heroum,  ||  pueri  innuptaeque  puellae 
330  tum  demum  admissi  \\  stagna  exoptata  revisunt 
425  evaditque  celer  \\  ripam  inremeabilis  undae 
595  nee  non  et  Tityon,  ||  Terrae  omniparentis  alumnum 
663  inventas  aut  qui  ||  vitam  excoluere  per  artes 
687  venisti  tandem  \\  ttiaque  exspectata  parenti 
717  iampridem  hanc  prolem  \\  cupio  enumerare  meorum. 


DIE  MALERISCHEN  MITTEL  DES  VERGILISCHEN  HEXAMETERS.  417 

Diese  Beispiele  sondern  sich  in  folgende  4  Gruppen^):  l)  Verse  mit 
griechischen  Eigennamen,  also  nach  griechischer  Technik  gebaut  489. 
838^),  2)  ein  Vers  mit  ennianischem  Wort  (vergl.  den  Kommentar),  also 
nach  archaischer  Technik  gebaut  839^),  3)  Verse  dieser  Art  ohne  er- 
sichtlichen Grund  (möglicherweise  z.  T.  zu  Gruppe  2  gehörig):  170.  452, 
4)  Verse  mit  malerischer  Absicht:  27  Irrgänge  des  Labyrinths  (vergl. 
den  Komm,  und  Seite  423.  431)*);  439.  874  das  Strömen  der  Flüsse^); 
617  die  Ewigkeit^);  135  (vergl.  a.  11  776  und  unten  bei  d).  511  (vergl. 
XII  656).  821  (vergl.  unten  bei  d)'^)  Worte  von  besonderem  Gewicht 
und  Ethos.«) 

b)    Penthemimeres  mit  weiblicher  Nebencaesur  im  4.  Fuß. 

Während  Hexameter  dieser  Art  im  Griechischen,  wie  seit  G.  Hermann 
feststeht,  zu  den  größten  Seltenheiten  gehören,  haben  die  Lateiner  nach 
Birts  und  W.  Meyers  Nachweis  diese  Zurückhaltung  nicht  in  gleichem 
Maße  geübt.  Freilich  hat  es  an  Versuchen,  auch  diese  Finesse  in  den 
lateinischen  Hexameter  einzuführen,  nicht  gefehlt:  so  wenn  Cicero  in  den 
Aratea   diese  Nebencaesur  nur  zweimal,   Catull   im  Epyllion   gar  nicht, 

Davon  gehören  zu  Gruppe  2  (ennianische  Worte):  307.  595,  zu  Gruppe  3  (kein 
ersichtlicher  Grund,  aber  möglicherweise  zu  Gruppe  2):  663.  717,  zu  Gruppe  4 
(malerische  Absicht):  29  (Irrgänge  des  Labyrinths,  vergl.  den  Kommentar  und 
unter  b  zu  Vers  99).  425  (ähnlich:  siehe  unten  bei  d  4).  330  und  687  (großes 
Ethos). 

1)  Daß  eine  Reihe  von  Versen  die  legitime  Nebencaesur  erhalten  würde, 
wenn  man  die  Präpositionen  von  den  Verben  absondern  wollte,  liegt  auf  der 
Hand  (z.  B.  ad\gnovitque ,  ex\itiale)^  aber  es  ist  bedenklich,  mit  Sandford  1.  c. 
von  diesem  Mittel  Gebrauch  zu  machen,  denn  1)  wohin  soll  das  führen,  wenn  wir 
z.  B.  bei  indulgere  inferiora  und  ingens  das  Präfix  als  selbständig  abtrennen 
wollten?  und  2)  hat  Vergil  eben  doch  keine  inmodulata  poemata  gemacht.  Da- 
gegen ist  bei  Verben  mit  zweisilbigen  Präpositionen  wie  interfusa,  praeterlabere 
mit  der  Möglichkeit   einer  selbständigen  Geltung  der  Präposition  zu  rechnen. 

2)  So  noch  g.  IV  341.  a.  II  197.  365.  457.  III  328.  466.  489.  IV  479.  VII  105. 
Vni  18.  X  123.  XI 404  (in  dieser  und  den  folg.  Anmerkungen  sind  die  Fälle 
ohne  und  mit  Synaloephe  nicht  geschieden). 

3)  Mit  bezeugten  oder  ganz  sicher  erschließbaren  Worten  des  Ennius- 
Lucrez  noch  g.  I  27.  a.  I  53.  80.  255.  U  188.  425.  HI  409.  528.  708.  V  772. 
VII  172.  199.    X  1.  5.  184.    XH  791.  846. 

4)  Kallimachos  hat  sein  Gesetz,  bei  der  Hephthemimeres  nicht  auch  Caeaur 
nach  der  fünften  Arsis  eintreten  zu  lassen  (G.  Heep,  Quaest.  Callim.  metr. 
Bonn  1884,  10)  einmal  vernachlässigt: 

h.  4,  311  TTaaiqpdric  Kai  yvoiutttöv  ?6oc  |  okcXioO  ||  XaßupivGou, 
wo  auch  das  anapästische  Wort  vor  schließendem  viersilbigen  für  seine  Praxis 
ganz   ungewöhnlich   ist   (C.  Prahl,  Quaest.  metr.   de  Callim.,  HaUe  1879,  18). 
Eine  gesuchte  Abnormität,  nur  mit  anderen  Mitteln,  haben  auch  Catull  und 
Vergil  in  ihre  das  Labyrinth  beschreibenden  Verse  hineingetragen. 

5)  Vergl.  b.  10,  4  supterlabere  a.  IH  478  praeterlabere.  Besonders  schön 
mit  gleichem  Effekt  in  anderem  Metrum  Horaz  od.  I  31,  7f  rura  quae  Liris 
quieta  \  mordet  aqua  tacititrnus  amnis. 

6)  Vergl.  a.  VIII  715.  IX  95  immortale  und  in  der  Hephthemimeres  (s. 
unter  b)    XI  97  aeternum;  für  das  Ethos  des  letzteren  s.  o.  S.  411.  414,  2. 

7)  Vergl.  a.  XII  820  pro  Lotio  obtestor,  pro  maiestate  tuorum. 

8)  Vergl.  etwa  noch  b.  3,  57.  5,  27.  g.  I  359  (=  a.  VIII  14).  II  61.  345. 
m  45.  68.  105.  285.  IV  287.  445.  a.  I  339.  428.  II  4.  93.  138.  427.  602.  HI  420. 
613  (=  691.  V  3.  VII  401).  707.  IV  40.  536.  692.  V  137.  229.  781.  VII  298. 
651  u.  8.  f 

Väkqil  Buch  VT,  von  Norden.  27 


418  ANHANG  Vn. 

Tibull  I  nur  einmal  haben.  Dagegen  hat  Vergil,  gemäß  seiner  schönen 
Vermittlung  zwischen  archaischer  Freiheit  und  modemer  Strenge,  diese 
Nebencaesur  zwar  nicht  mehr  so  oft  wie  Ennius  und  Lucrez,  aber  doch 
auch  nicht  so  selten  wie  Catull  und  Tibull:  sehr  zum  Vorteil  der  rhyth- 
mischen Wirkung  des  Verses,  der  in  seiner  zweiten  Hälfte  durch  gewisse 
strenge,  auch  von  Vergil  selbst  übernommene  Regeln  schon  zu  sehr 
gebunden  war,  als  daß  er  diese  weitere  Beschränkung  ohne  Schaden  für 
seine  Mannigfaltigkeit  ertragen  hätte.  So  verwendet  denn  Vergil^)  diese 
Nebencaesur  in  den  Bucolica  29,  den  Georgica  32,  der  Aeneis  3 23 mal, 
d.  h.  in  jedem  28*^"^,  32**''^,  31*®'^  Verse.  "Wahrscheinlich  gehen  eine  große 
Anzahl  der  Beispiele  besonders  der  Aeneis  auf  Ennius  zurück,  dem  Vergil 
ja  gern  grade  Schlüsse  von  Versen  entnommen  hat.  Gelegentlich  wird  aber 
auch  durch  den  trochäischen  Einschnitt  eine  malerische  Wirkung  erzielt. 
So  dürfte  in  folgenden  Versen  des  VI.  Buchs  die  Absicht  zu  erkennen 
sein,  dem  Vers  durch  den  trochäischen  Einschnitt  accelerierenden 
Rhythmus  zu  geben: 

aen.  VI  202  tollimt  se  celeres^)  ||  liquidumque  \  per  aera  lapsae  (sc.  aves) 
296  turbidus  hie  caeno  ||  vastaque  \  voragine  gurges  (sc.  aestuat) 
5 50  f.  rapidus  flammis  amhit  torrentibiis  amnis 

Tartareus  Phlegethon  ||  torquetque  \  sonantia  saxa 
180     procumhwnt  piceae  ||  sonat  ida  \  securibus  ilex.^) 
Unter  Umständen   gibt   aber   die   weibliche  Caesur  dem  Verse   auch 
einen  weichlichen  Rhythmus,  den  sichtlich  Tibull  bezweckte*),  wenn  er 
unter  405  Hexametern  des  I.  Buches  nur  einem  diese  Caesur  gab: 
Tibull  I  9,  83  haec  tibi  fallaci  ||  resolutus  \  amore  TibuUus, 
wo    der    weichliche   Rhythmus   des   Verses   dvei|Lievoc,    resolutus  ist,   wie 
es    der  Dichter    selbst    zu    sein    vorgibt.      Wir    dürfen    daher    wohl    die 
gleiche   Absicht    bei  Vergil    voraussetzen,    wenn    er    von    der  Liebe   des 
Sychaeus  zu  Dido 

aen.  VI  474     respondet  curis  \  aequatque  \  Sychaeus  amorem 
und  von  derjenigen  der  Dido  zu  Aeneas 

I  749     vnfelix  Dido  \\  longumque  |  hibebat  amorem 
sagt,   zumal   in   diesen  beiden  Versen   sich  wie  in   dem  tibullischen  mit 
dem  weiblichen  Einschnitt  nach  dem  vierten  Trochaeus  ein  solcher  nach 
dem  fünften  verbindet.^)     Das  gleiche  Mittel  verwendet  er  zweimal,  um 
die  Weichheit  des  Schlafes®)  zu  malen: 

1)  Bei  den  folgenden  Zahlen  sind  mitgerechnet  diejenigen  Fälle  (138  in 
den  Gedichten),  wo  vor  der  Caesur  qm  steht  (z.  B.  VI  296  twbidiis  hie  caeno  || 
vastaque  \  voragine  gurges),  also  die  Möglichkeit  einer  Teilung  vor  que  (vasta\que) 
mit  männlicher  Nebencaesur  vorliegt  (vergl.  W.  Meyer  1.  c.  1045  f. ;  falsch  gegen 
Meyer:  L.  Müller  de  re  metr.*  464 f.). 

2)  Vergl.  a.  II  380  pressit  humi  nitens,  ||  trepidusque  \  repente  refugit 
465  elapsa  \  repente  ruinam  Yil  27  omnisque  \  repente  resedit  (sc.  flatus) 
X  522  ille  astu  subit  ac  \\  tremibunda  |  supervolat  hasta. 

3)  Vergl.  g.  rv  50  saxa  sonant  vodsque  ||  offensa  |  resultat  imago. 

4)  So  auch  C.  Cavallin,  De  caesuris  quarti  et  quinti  trochaeorum  hexametri 
apud  latinos  poetas  coniunctis  (Lund  1896)  44;  s.  ibid.  57  über  das  acce- 
lerierende  Moment. 

5)  Vergl.  b.  6,  46  Pasiphaen  nivei  ||  solatur  |  amore  \  iuvenci.  10,  10  indigno  || 
cum  Gdllus  I  amore  \  peribat. 

6)  Vergl.  Ennius  a.  369  mollissimus  somnus,  Catull  68,  5  molli  somno  64,  331 


DIE  MALERISCHEN  MITTEL  DES  VERGILISCHEN  HEXAMETERS.  419 

VI  2 84  f.  quam  sedem  somnia  volgo 

vana  tenere  ferunt  \\  foliisque  \  suh  omnibus  haerent 
522  f.  pressitque  iacentem 

dulcis  et  alta  quies  ||  placidaeque  \  simillima  mortis 
wo    sich   mit  den  Einschnitten  nach  dem  vierten  Trochaeus  solche  nach 
dem  ersten  und  zweiten  verbinden,  die  dem  Rhythmus  einen  weichlichen 
Charakter  verleihen,*) 

c)    Hephthemimeres  mit  und  ohne  Nebencaesuren. 

Die  männliche  Caesur  nach  der  vierten  Hebung  (Hephthemimeres) 
ist  in  der  klassischen  Zeit  verbunden  mit  Caesur  nach  der  zweiten  und 
Diaerese  vor  der  dritten  Hebung,  z.  B. 

aen.  VI  149  praeter ea  \  iacet  \  exanimum  ||  tibi  corpiis  amid 
197  diva  parens  \  sie  \  effatus  ||  vestigia  pressit, 
während  nach  archaischer  (wie  altgriechischer)  Praxis  eine  oder  die  andere 
der  Stützen  fehlen  kann,  z.  B. 

Eim.  a.  347  aspecldbat  \  virtutem  \\  legionis  siiai 

233  parerent  |  observarent  \\  portisculus  Signum. 
Während  in  der  neoterischen  Poesie  die  Hephthemimeres  fast  ganz  zurück- 
tritt —  nach  Birts  und  Meyers  Nachweis  deshalb,  weil  die  hellenistischen 
Dichter  sie  geächtet  hatten  (Catull  hat  in  797  Hex.  nur  zwei  Beispiele 
64,  18.  193,  beide  regulär)  —  hat  Vergil,  indem  er  auch  hier  sich  von 
dem  Zwang  der  Manier  befreite,  diese  Caesur  wieder  als  legitim  an- 
gesehen und,  von  den  Bucolica  angefangen,  in  steigendem  Maße  verwendet. 
Mit  den  regrdären  Nebencaesuren  braucht  er  sie^)  in  den  Bucolica  3  mal 
(d.  h.  in  jedem  273**''  Verse),  in  den  Georgica  lömal  (in  jedem  146*«'')^), 
in    den    Aeneis    96mal    (ia  jedem    103*^)*).      Ein    großes    Kontingent 

languidulos  somnos,  Vergil  selbst  g.  IE  435  molles  somnos  II  470  moTlesque  suh 
arbore  somni  (dazu  ein  Schol.  des  Servius:  fiaXaKoi  bi  ütiö  6^v6peaiv  öirvoi,  aus 
welchem  Dichter?  vergl.  Theokr.  5,  51  öirviu  luaXaKiÜTepoc). 

1)  Vergl.  noch  b.  1,  55  saepe  levi  somnum  \\  suadebit  \  inire  \  susurro.  g.  I  78 
uru/nt  Lethaeo  \\  perfusa  |  papavera  somno  und  unten  bei  d.  Auch  aen.  I  691  ff., 
eine  der  zartesten  Stellen  des  Gedichts,  gehört  hierher:  Venus  träufelt  dem 
Ascanius  süßen  Schlummer  ein,  nachdem  sie  ihn  entrückt  hat  in  altos  Idaliae 
lucos  II  ubi  m Ollis  \  amaracus  illutn  (.  .  .  dulci  complectitur  umbraj.  Der  letzte 
Vers  von  Buch  V:  nudus  in  ignota  \\  Palinure  \  iacebis  harena  beschließt  wohl 
absichtlich  die  Gpriviuöia  mit  weichlichem  Rhythmus. 

2)  Nicht  mitgezählt  sind  die  vielen  Verse  mit  Synaloephe  zwischen  zweitem 
und  drittem  Fuß,  da  in  ihnen  Penthemimeres  beabsichtigt  sein  wird,  z.  B.  VI  20 
in  foribus  letum  Androgeo    213  flebant  et  cineri  ingrato. 

3)  Bemerkenswert  g.  IV  55  summa  leves  \  hinc  \  nescio  qua  ||  dulcedine  laetae, 

der  einzige  Fall,  wo  der  Caesur  kein  einheitliches  Wort  der  Form oder 

_  w  u  _  vorangeht,  aber  nescio  qvM  bildet  durch  Enklisis  fast  eine  Einheit. 

4)  Hierbei  sind  mitgezählt  die  zwei  singulären  Verse  mit  Synaloephe  im  4.  Fuß : 

XI  758  portat  ovans  \  ducis  \  exemplum  \\  eventum^ue  secuti 
XH  144  magnanimi  \  lovis  \  ingratum  |i  ascendere  cubiU, 
über  die  Lachmann  zu  Lucr.  1.  c.  (S.  415,  2)  gehandelt  hat.  Wahrscheinlich 
erklärt  sich  das  Ungewöhnliche  durch  Benutzung  ennianischer  Floskeln:  in 
letzterem  Vers  weist  auf  Ennius  außer  magnanimus  (s.  den  Komm,  zu  307)  der 
Zusammenhang  (Ehen  latinischer  Nymphen  mit  Jupiter),  ersterer  gehört  einer 
Kampfschüderung  an  und  bei  einer  solchen  ist  ennianische  |Lii|ar|öic  bei  Vergil 
von  vornherein  wahrscheinlich. 

27* 


420  ANHANG  VH. 

stellen  dabei  außer  Reminiszenzen  aus  archaischer  Poesie^)  die  Verse  mit 
Eigennamen;  so  enthalten  von  den  11  Versen  des  VI  Buches  mit  dieser 
Caesur^)   vier  vor  der  Caesur  Eigennamen  (176.  261.  447.   703)^)  z.  B. 
aen.  VI  176  praecipue  \  pius  \  Aeneas,  \\  tum  iussa  Sibyllae 
447  Euadnenque  \  et  \  Pasiphaen,  ||  Ms  Laodamia. 
An  einigen  Stellen*)  ist  malerische  Tendenz  unverkennbar,  so 

99  horrendas  |  canit  \  ambages  ||  antroque  remugit, 
wo   die   dunkle  Orakelsprache   der  rasenden  Sibylle   malerisch   zum  Aus- 
druck gebracht  ist^), 

327  nee  ripas  \  datur  |  horrendas^)  ||  et  rauca  fluenta 
der  Schauer  der  Gegend.'') 

Hephthemimeres   ohne   die   erste   oder   die   zweite  Stütze  findet  sich 
nur  9  mal,  und  zwar 

a)  ohne  die  erste: 

a.  VI  480  Parfhenopaeus  et  |  Adrasti  ||  pallentis  imago 
X  256  tantum  effatus  et  \  interea  ||  revoluta  ruhehat 
900  hostis  amare  quid  \  increpitas  \\  mortemque  minare, 
wo    der    erste  Vers,    den   griechischen   Namen    entsprechend,    griechische 
Technik,    der    zweite,    der    wahrscheinlich    ennianischen    Floskel    tantum, 
effatus  (s.  Komm,  zu  547)  entsprechend,  archaische  Technik  zeigt,  ebenso 
der  dritte  mit  dem  aus  archaischer  Poesie  (vergl.  Varro  1.  1.  VI  67)  be- 
legten Frequentativum  increpitarc] 

b)  ohne  die  zweite: 

g.        I  350  dent  motms  \  mcompositos  \\  et  carmina  dicant 

m  226  muUa  gemens  \  ignominiam  \\  plagasque  superbi 

a.  VIII  490  armati  \  circumsisfimt  ||  ipsumque  domumque 

IX  416  diver si  \  circumspiciunt  \\  hoc  atrior  idem 

VIII  521  Aeneas  |  Anchisiades  \\  et  fidus  Achates 

XII  822  ora  modis  |  Anchisiades  \\  pallentia  miris, 


1)  Bezeugt  sind  als  archaisch  die  von  Vergil  vor  dieser  Caesur  gebrauchten 
zusammengesetzten  Worte:  omnipotens,  horrificus,  unanimus,  velivolils;  femer 
legatos  (a.  VIII  143  o^  Ennius  a.  603),  virgineae,  virginibus  (a.  IX  120.  g.  II  487 
<~  Lucr.  I  87),  illorum  (b.  7,  17  -^  Lucr.  I  766);  archaisches  Kolorit  haben  in- 
ferias  (a.  X  519)  und  mille  viros  qid  supremum  comitentur  honorem  (a.  XI  61), 
wohl  auch  laeta  dedi,  nunc  sollicitam  timor  anxius  urget  (a.  IX  89;  solli- 
citare  zweimal  aus  Ennius  überliefert). 

2)  Bei  Mitzählung  der  Synaloephe  sind  es  28. 

3)  Bei  Mitzählung  der  Synaloephe  noch  20.  40.  250.  529.  897. 

4)  Bei  Mitzählung  der  Synaloephe  auch  186  aspectans  silvam  immensam 
et  sie  forte  precatur,  wo  auch  die  ungewöhnliche  Häufung  der  Synaloephen 
nach  einander  malerisch  wirkt,  vergl.  den  Kommentar. 

5)  So  auch,  wenn  man  die  Synaloephe  mitzählt,  in  dem  auf  diesen  folgen- 
den Verse  100:  obscuris  vera  involvens. 

6)  Vergl.  a.  E  222  clamores  |  simul  \  horrendos  ||  ad  sidera  tollit  VIII  431 
fulgores  \  nunc  \  terrificos  ||  sonitumque  metumque  und  mit  Synaloephe  XU  851 
siquando  \  letuni  |  hojTificum  morbosque  deum  rex.  Vergl.  auch  Horaz  s.  I  8,  25  f. 
pallor  utrasque  Fecerat  horrendas  adspectu. 

7)  Deutliche  Beispiele  für  malerische  Tendenz  noch  g.  III  43.  IV  497. 
a.  II  400  (hier  überall  ingens\  g.  II  310.  a.  I  115.  V  662.  Xir879;  mit  Syna- 
loephen: a.  II  202.  VllI  193.  IX  38  (hier  überall  ingens),  g.  I  119.  201.  II  160. 
441.  a.  I  525.  II  481.  616.  HI  632.  IV  201.  397.  V  434.  439.  443.  608.  636. 
VIII  234.  447.  IX  52.  734.  XI  97.  291.  XII  721. 


DIE  MALERISCHEN  MITTEL  DES  VERGILISCHEN  HEXAMETERS.  421 

wo  die  zwei  letzten  Verse  mit  dem  nach  griechischer  Art  gebildeten 
Patronymikon  griechische  Technik  zeigen,  der  dritte  und  vierte  bei  Trennung 
der  zweisilbigen  Präposition  vom  Verbum  Penthemimeres  erhalten  (s.  o. 
S.  417,  l),  der  zweite  die  ignominia  mit  besonderem  Ethos  hervortreten 
läßt,  und  der  erste  mit  incompositos  die  unrhythmischen  Bewegungen  der 
Bauern  in  der  Weise  des  horazischen  immodulata  poemata  hübsch  malt; 
c)  ohne  beide  Stützen  nur  scheinbar: 

b.    8,  34  Mrsutumque  supercüium  \\  promissaque  barha 
a.  II  263  Pelidesque  Neoptolemus  ||  primusque  Maehaon 
549  degener cmque  Neoptolemum  ||  narrare  memento: 
in  allen  drei  Fällen  ist  vor  que  ein  Einschnitt  anzunehmen  (s.  o.  S.  418,  l), 

d)    Weibliche  Haupteaesur  ohne  männliche  Nebencaesuren. 

Der  Typus  des  klassischen  Hexameters  mit  weiblicher  Haupteaesur  ist 
aen.  VI  48  f.  non  comptae  \  mansere  ||  comae  \  sed  pectus  anhelum 
et  rabie  \  fera  corda  \\  tiiment  |  maiorque  videri^), 
im   Gegensatz    zu   der   archaischen   Praxis,    die,    wiederum    entsprechend 
der    griechischen,    die   beiden   Nebencaesuren   nicht   für   obligatorisch   er- 
achtet, wie 

Eim.  a.  193  incedwnt  \  arhusta  ||  per  alta,  securibus  caedunt 

379  labitur  v/nda  carina  ||  volat  \  super  Impetus  u/ndas 
476  labitur  u/ncta  carina  ||  per  aequora  cana  celocis. 
Die  strenge  Form  hat  bei  Vergil  einige  Ausnahmen;  nicht  als  solche 
sind   aufzufassen   die  105  Verse,  wo  -que  in  der  Mitte  des  Verses  steht 
und  nicht  weibliche,  sondern  männliche  Haupteaesur  anzusetzen  ist,   wie 
aen.  VI    10  praesidet  horrenda^gue  procul  \  secreta  Sibyllae 
235  didtur  aeternu/mhue  tenet  \  per  saecvda  nomen 
683  fataque  fortuna^que  virum  \  moresque  manusque 
483  ingemuit  Glaucunilque  Medontaque  TJiersüochumque.^) 
Verse   nach  der  strengen  Form  hat  Vergil  915^);   die  Ausnahmen,   d.h. 


1)  Nach  W.  Meyer  1.  c.  228  ff.  ist  es  nicht  beliebt,  der  männlichen  Neben- 
caesur  im  zweiten  Fuß  ein  daktylisches  oder  spondeisches  Wort  vorausgehen 
za  lassen  (so  wenig  wie  der  männlichen  Haupteaesur  im  dritten  Fuß,  wie  et 
cum  frigida  mors  \\  oder  vel  manifestas  res  || );  immerhin  hat  Vergil  von  dieser 
Regel  zahlreiche  Ausnahmen,  so  in  Buch  VI: 

107  didtur  et  \  tenebrosa  \\  pdlus  \ 

136  acdpe  quae  |  peragenda  ||  prius  \ 

298  portitor  hos  |  horrendus  ||  aquas  | 

365  eripe  me  his  |  invicte  \\  malis  \ 

458  funeris  heu  |  tibi  causa  ||  fui  | 

587  quMttuor  hie  \  invedus  \\  equis  \ . 
Ferner:  a)  Daktylus  b.  1,  70.  73.   g.  I  167.  173.   II  515.  HI  4.  194.  456.  IV  226. 
309.    a.  m  318.  537.    IV  502.  515.    V  388.    VII  635.  641.  734.   VIH  245.    X  529. 
XI  81.  549.  640.  791.  XE  728,  b)  Spondeus  b.  1,  30.  3,  64.  10,  21.  g.  1118.  437. 
477.   a.  V  781.   X  557.  879.   XI  686. 

2)  Letzterer  Vers  ohne  die  reguläre  Nebencaesur  bei  Penthemimeres,  ganz 
nach  griechischer  Technik,  vergl.  V  826.  VHI  725.  IX  574.  767.  X  749.  XII  363. 

3)  Diese  Zahl  —  nach  Abrechnung  der  von  mir  anders  beurteilten  105  Fälle 
mit  qu£  —  entnehme  ich  von  J.  La  Roche,  Der  Hexameter  bei  Vergil,  Wien. 
St.  XXin  (1901)  124.  Im  übrigen  weichen  die  Gesichtspunkte  der  genannten 
Abhandlung  von  den  meinigen  ab. 


422  ANHANG  Vn. 

die  Verse   mit  nur   einer   der  beiden  Nebencaesuren   oder  keiner,   lassen 
sich  in  folgende  Gruppen  einteilen: 

1)  Verse  mit  griechischen  Worten,  also  nach  griechischer  Technik 
gebaut  (19) 

b.      2,  6  0  crudelis  Älexi  ||  nihil  |  mea  carmina  curas 

2,  24  ÄmpMon  \  Dircaeus  ||  in  Äctaeo  Äracynfho 

4,  16  permixtos  \  heroas  ||  et  ipse  videhitur  Ulis 

4,  34  alter  erit  \  tum  Tiphys  ||  et  altera  quae  veJiat  Ärgo 

4,  57  Orphei  Calliopea,  ||  Lino  |  formosus  Apollo 

5,  52  Daphnin  ad  astra  \\  feremus,  amavit  nos  qmque  Baphnis 
9,  60  incipit  apparere  ||  Bianoris;  hie  ubi  densas 

10,  12  Ulla  moram  \  fecere  \\  neque  Äoniae  Äganippe^) 

g.      I  437  Glauco  et  \  Fanopeae  \\  et  Inoo  Melicertae 

IV  339  Cydippe\que  et  flava  \\  Lycorias  altera  virgo 

343  atque  Ephyre  \  atque  Opis  ||  et  Asia  Deiopeia 

463  atque  Getae  \  atque  Hebrus  \\  et  Actias  Orithyia 

a.  I  500  hkic  atque  hinc  \  glomerantur  ||  oreades,  illa  pharetram 
II  264  et  Menelaus  et  ipse  \\  doli  \  fabricator  Epeos 

in  644  infandi  |  Cyclopes  ||  et  altis  montibus  errant 
VII  711  Ereti  \  manus  omnis  ||  oliviferaeque  Mutuscae^) 
724  curru  iimgit  Halaesus  ||  equos  |  Turnoque  ferocis 
X  413  hie  mactat  \  Ladona  ||  Pheretaque  Bemodocumque ; 
dazu 

b.  2,  53  addam  cerea  pru/na:  \\  honos  erit  huic  qusque  pomo 

mit  Hiatus  nach  griechischer  Art   (z.  B.  A  565   dW  deKOuaa  Kd0r](yo, 
d|iiiu  i)  ^TTiTreiÖeo  |au9iu), 

2)  Verse  mit  Floskeln  aus  archaischer  Poesie,  also  nach  archaischer 
Technik.     Bezeugt 

a.  IV  316  per  oonubia  nostra,  ||  per  inceptos  hymenaeos 
nach 

Catull  63,  141  sed  conubia  laeta,  ||  sed  optatos  hymenaeos. 
Wahrscheinlich  Verse  mit  ennianischen  Eeminiszenzen : 

a.  I  290  accipies  (sc.  hu/nc  caelo)  \  secmra,  ||  vocabitur  Mc  quoque  votis^) 
X  851  antiqui  \  Laurentis  ||  opacaque  ilice  tectum^) 


1)  b.  5,  15  hat  cod.  P  experiar  \  tu  deinde  \\  iuheto  certet  Amyntas  fälschlich 
statt  iuheto  ut  (cod.  R),  vergl.  Lachmann  zu  Prep.  III  6  (11  15),  43  (p.  156);  die 
Synaloephe  in  der  Nebencaesur  noch  fünfmal  {neque  nicht  miteingerechnet): 
g.  IV  129  nee  Cereri  \  opportuna  ||  seges  |  nee  commoda  Baccho  a.  XII  367  qvM 
venti  I  incubu£re  \\  fugam  |  dant  nubila  caelo,  g.  n  123  extremi  |  sinus  orbis  ||  ubi  \ 
aera  vincere  summum  244  ad  plenum  |  calcentur  ||  aqua  |  eluctabitwr  omnis  a.  V  785 
non  media  \  de  gente  \\  Phrygum  |  exedisse  nefandis. 

2)  Diese  Flecken  der  Sabina  galten  der  Legende  als  Siedlungen  der 
griechischen  Aboriginer  (von  Trebula  Mutusca  sagt  es  ausdrücklich  Varro  bei 
ßionys.  Hai.  I  14,  2),  werden  mithin  wie  griechische  Namen  behandelt  (vergl. 
Anhang  IX  1  über  turrigerae  Antemnae).  Der  griechischen  Verstechnik  entspricht 
die  Wortbildung  oUvifer  (^Xaioqpöpoc). 

3)  Ennianischer  Gedanke  (a.  66 f.);  auch  der  Schluß  des  Verses  entspricht 
nicht  der  Regel  (s.  Anhang  IX). 

4)  opacus  archaisches  Wort;  opaca  ilice  ==  VI  208 f.,  vergl.  den  Kommentar 
daselbst. 


DIE  MALERISCHEN  MITTEL  DES  VERGILISCHEN  HEXAMETERS.  423 

m  697  iussi  numina  magna  ||  loci  \  veneramur  et  inde^) 
XI  236  oUi  convenere  \\  fluuntque  \  ad  regia  plenis 
IV  417  imdique  convenere,  \\  vocat  |  iam  carhasus  auras^ 
V  140  haud  mora  prosiluere  ||  suis,  |  ferit  aetJiera  damor^) 
rV  582  litora  deseruere  ||  lotet  \  sub  classibus  aequor.^^ 

3)  Verse,  die  oline  sichtlichen  Grund  unregelmäßig  sind  (z.  T.  wahr- 
scheinlich zu  2  gehörig):  b.  1,  70.  5,19  (~g.  IV448).  6,80.  g.  1386. 
m  344.  538.  a.  n  483. ^)  Vm  404.  XI  568.  900. 

4)  Verse  mit  malerischer  Tendenz®): 

g.  I  356  flf.  freta  ponii 

vncipiunt  \  a^itata  \\  tumescere  et  aridus  altis 
montibus  audiri  fragor 
514  fertur  equis  |  auriga  ||  nee  audit  currus  habenas 
(das   ruhelose    Aufwallen    des    Meeres    und    Stürmen    der    Rosse: 
daher  entbehren  die  Verse  der  zweiten  Nebencaesur,   die  dem  Rhythmus 
einen  Ruhepunkt  bieten  würde), 

a.  X  94 f.  querfiUis 

Jiaud  iustis  |  adsurgis  ||  et  inrita  iurgia  iadas 
(Schluß  der  maßlosen  Rede  der  Juno;  der  Rhythmus  malt  die  Erregung), 
g.  II  399 ff.  ierque  quaterque  solum  sdndendum  glaebaque  versis 
aeternum  \  frangenda  ||  Udentibus,  omne  leva/ndum 
fronde  nemus 
(nach  Wagner   in   der  ed.  min,   malt  der  Rhythmus  von  399  die  'assi- 
duitas',    der  von  400   die    'gravitas    laboris',    vergl.   für  letztere 
o.  S.  413,  1), 

a.  V  591  frangeret  indeprensus  ||  et  inremeabilis  error 
(die  langen  Worte,  durch  die  die  Nebencaesuren  absorbiert  werden,  malen 
die  Irrgänge  des  Labyrinths,  s.  o.  S.  417,  4), 

a.  X  304  anceps  sustentata  \\  diu  |  fluctusque  fatigat 
(sc.   puppis;    durch    den    stark    retardierten    Rhythmus    sollen    die    Be- 
wegungen des  auf  einer  Sandbank  festsitzenden  Schiffes  gemalt  werden). 
In  folgenden  Versen  ist  die  eine  der  beiden  Caesuren  durch  ein  langes 
Wort  von  prägnantem  Sinn  absorbiert  worden: 
b.       1,  32  nee  spes  libertatis  \\  erat  l') 
a.     X  625  hactenus  indulsisse  \\  vacat  |*) 


1)  numina  magna  loci,  eine  erlesene  sakrale  Phrase,  für  deren  ennianischen 
Ursprung  auch  andere  Indizien  sprechen:  s.  Anhang  I  3. 

2)  La  dem  ersten  dieser  beiden  Verse  weist  die  Situation  (Staatsrats- 
versanunlimg)  und  olli  auf  Ennius,  daher  wird  convenere  auch  in  dem  zweiten 
ihm  gehören  {carhasus  ist  als  ennianisch  belegt). 

3)  haud  mora  wahrscheinlich  ennianisch,  s.  den  Kommentar  zu  177;  auch 
die  Gedanken  dieser  Partie  sind  durch  E.  beeinflußt. 

4)  litora  am  Versanfang  Enn.  a.  382,  über  a^quor  s.  o.  S.  303. 

5)  Vergl.  Servius  zu  486  de  Albano  excidio  (in  Ennius'  Annalen)  translatus 
est  locus. 

6)  Vergl.  Horaz  ep.  12,  43  labitur  (sc.  amnis)  et  \  labetur  \\  in  omne  volu- 
hüis  aevum,  wozu  Kießling  bemerkt:  „sowohl  die  weichen  Konsonanten  [s. 
darüber  den  Kommentar  zu  659]  wie  die  trochäische  Caesur  soUen  die  Be- 
wegung des  Fließens  malen". 

7)  libertas  mit  gleicher  Wirkung  bei  anderer  Caesur  a.  VI  821,  s.  o.  S.  416. 

8)  indulgere  mit  gleicher  Wirkung  bei  anderer  Caesur  a.  VI  135,  s.  o.  S.  416. 


424  ANHANG  VII. 

ni  707  hmc  Brepani  \  me  portus  H  et  inlaefdbüis  ora 
XII  619  confusae  \  sonus  urbis  \\  et  mlaetahüe  murmur 
V  781  lunonis  \  gravis  ira  ||  neque  exsaturäbile  pectus. 
Endlich  wird  die  Weichheit  des  Schlummers,    die,   wie  wir  gesehen 
haben  (o.  S.  418,  6),  auch  bei  anderer  Caesur  durch  eine  Besonderheit  der 
Versstruktur  versinnbildlicht  wurde,  in  dem  weichen  Vers 

a.  IV  486    spargens  umida  mella  ||  soporiferumque  papaver 
schön   zum  Ausdruck   gebracht,   wonach  man  versucht  ist,  folgende  zwei 
Verse  mit  que  in  der  Mitte  ebenfalls  mit  weiblicher  Caesur  zu  lesen: 
a.  V  855  f.  vique  soporatum  (sc.  ramum)  Stygia  super  utraque  quassat 
tempora  cwnctantique  \  natantia  lumina  solvit 
IV  80  f.  lumenque  obscura  vidssim 

Iwna  premit  \  suadentque  ||  cadentia  sidera  somnos. 
Dagegen  haben  griechische  Dichter  die  gleiche  Wirkung  durch  Spondeen 
erreicht:  vielleicht  schon  der  recht  alte  Dichter  von 

B  23  eiibeic  'Atp^oc  me  baiqppovoc  i7TTrobd)iioio 
(denn  wenigstens  teilweise  richtig  wird  die  Bemerkung  eines  Scholiasten 
zu  den  oben  S.  409  angefühi-ten  Worten  des  Hermogenes  sein:  Johannes 
Siculus  VI  492  Walz  öpäc  ttüüc  ö  atixoc  |Lii)LieiTai  rfiv  eS  uttvou  i.-iepGiv 
diTÖ  JLiaKpuJV  Kai  oKTTrep  iittvouvtujv  dpxö|aevoc),  sicher  Kallimachos, 
wenn  er  gegen  seine  sonstige  Praxis  (Kaibel,  Comm.  Mommsenianae  327) 
den  Spondeus  im  dritten  Versfuß  zugelassen  hat  in 

Kallim.  ep.  63  outuuc  iiTTVOJCTaic,  Kijüvouttiov,  u)c  ijik.  Troieic 

Koi|aäcr9ai  ijJuxpaTc  ToTffbe  irapa  TrpoGupoic.    * 
ouTUJC  uTTvojcTaic,  dbiKOJidTTi,  ujc  TÖv  ^paffxfiv 
Koi|iiiZ;eic  kt\. 
Wie  alt  in  diesem  FaU  auch  die  Theorie  ist,    zeigt  ihre  affektierte  Um- 
setzung in  Praxis  schon  durch  Agathon,  den  Schüler  der  Sophisten,  die, 
wie  bemerkt  (o.  S.  404 f),  diese  Dinge  zuerst  theoretisch  behandelten:  denn 
Piaton  Symp.  197  C  läßt  ihn  von  Eros  dichten,  er  bewirke 
vr|ve)aiav  dvejuiüv,  koitt]  b'  öttvov  vriKtibfi.^) 

e)    Caesur  im  sechsten  Fuß  (schließendes  Monosyllabon). 

Die  Verse  dieser  Art  werden  wegen  ihrer  Eigenart  im  Anhang  IX  3 
behandelt  werden. 


1)  Zitiert  von  Amsel  1.  c.  (o.  S.  410,  1)  65,  3. 


vm. 
Spondeische  Worte  im  ersten  Fuß. 

Da  spondeischer  Versanfang  mit  darauffolgender  Dihaerese  ein  für 
den  Ehythmus  stark  retardierendes  Moment  büdet,  so  ist  er,  wie  schon 
Ph.  Wagner,  Quaest.  Virgil.  XIII  (vergl.  auch  Rothstein  in  der  Festschr. 
für  Vahlen,  Berlin  1900,  521  f.)  bemerkte,  im  kunstmäßigen  Hexameter 
unbeliebt.  Vergil  hat  ihn  fast  nur  unter  folgenden  Bedingungen  zu- 
gelassen (wahrscheinlich  öfter  als  sich  ahnen  läßt  nach  Ennius). 

1)  Durch  eine  folgende  Kopula  wird  das  retardierende  Moment  ver- 
ringert. Vergl.  VI  127  nodes  atque  dies  (feste,  wohl  ennianische  Ver- 
bindung) 306  matres  atque  viri  (wohl  ebenso);  213  flebant  et  —  ferebant 
(hier  zugleich  mit  Nachdruck,  vergl.  b.  5,  21  a.  X  842).  Mit  folg.  et 
noch  c.  20  mal. 

2)  Wenn  das  Wort  eine  Präposition  ist,  so  hebt  die  Proklisis  die 
Dihaerese  auf.  Vergl.  VI  174  inicr  saxa.  So  bei  inter  noch  b.  8,  13 
g  I  413  n  526  III  488  IV  345.  521  a.  IX  318  XI  861,  intra  VI  525, 
cirmm  g.  I  245  a.  I  56,  contra  a.  VEI  584  VDI  699  IX  552,  instar  II  15. 

3)  Auch  bei  Konjunktionen,  Partikeln,  adverbialen  Begriffen  und 
Pronomina  findet  ein  mehr  oder  weniger  enger  Wortzusammenschluß 
statt.  So  postquam  VI  226  b.  1,  30  g.  IV  374  a.  I  723  m  1  518  IV  17 
V226  VII  406,  quamvis  b.  1,  33.  2,  16  g.  I  38  ÜI  120  a.  IH  454  V  542 
VIII  379,  donec  g.  IV  413;  ergo  g.  II  293.  393  a.  IV  503  XI  234,  exim 
a.  Vn  341  vm  306  XH  92,  contra  (adv.)  g.  II  420  a.  HI  684  VQ  374 
XI  145,  ititus  g.  IV  422  a.  XH  592,  saltem  IV  327;  Formen  von  üle  (olle) 
VI  321  und  noch  etwa  32  mal,  vom  ßelativum  (quorum,  quarum)  g.  II  476 

a.  I  72  VIII  547  X  225,  von  qualis  talis  g.  IV  511  a.  H  223  V  213  273 
280  375  IX  679  X  134  XI  68  659  XII  860,  tantmn—quantum  b.  1,  25. 
10,  74. 

4)  Bei  engen  Verbindungen  anderer  Art:  VI  202  tollwnt  se  vergl. 
X  892  iollii  se  b.  6,  20  addit  se  g.  IV  432  sternunt  se  a.  I  438  =  IV  142 
infert  se  587  scindit  se  U  339  addunt  se  IX  714  miscent  se  V  782  cogunt 
me;  VI  810  regis  Romani  (wohl  ennianisch)  vergl.  XL  850  regis  JDercenni 
IV  342  urbem  Troianam  655  urbem  praeclaram  I  602  gentis  Dandaniae, 

b.  7,  33  simim  laxiis  a.  XI  382  agger  moerorum  (ennianisch);  b.  2,  23 
canto  quae  solitus  53  addam  cerea  pru/na  (in  einem  mehrfach  unregel- 
mäßigen Vers:  s.  Anhänge  VII  B2d  und  IX)  g.  I  150  esset  robigo  a.  XI  174 
esset  par  aetas  176  possiwn — referre  a.  I  573  urbem  quam  statuo  in  268 
tendwnt  vda  XII  254  facta  nui)e. 


426  ANHANG  Vm. 

5)  Bei  nachdrücklicher  Betonung  des  Worts:  VI  28  magnum  172 
=  590  demens  (vergl.  IV  562  IX  728)  229  idern,  230  spargens  (vergl. 
IV  486)  268  ibant(werg[.  VII  698)  313  stabant  (vergl.  g.  III  34  a.  VIII  653) 
415  =  472  tandem  (vergl.  IV  333  VII  259  IX  778  XI  493)  563  =  673 
nuUi  (vergl.  V  610  VIII  502)  872  quantos  (Ausruf,  vergl.  I  33  tantae), 
und  dgl.  oft  in  anderen  Büchern,  besonders  bei  Zahl-  und  Größenbegriffen 
(z.  B.  imus,  omnis,  totus,  centum,  ingens)  sowie  Eigennamen  und  Verben, 
die  ein  für  die  Handlung  wesentliches  Moment  enthalten. 


IX. 
Unregelmäßig  gebildete  Verssehlüsse. 

Im  ausgebildeten  lateinischen  Hexameter  war  es  verboten,  1)  den  6. 
und  6.  Fuß  mit  einem  vier-  oder  fünfsilbigen  Worte  anzufüllen  (drcumspexit, 
dimidiatum)  2)  den  Vers  mit  einem  Wort  der  Form  u  u  _  y  zu  schließen 
(mens  animusque,  mentem  anirrmmque,  rebus  reparcmdis,  gemitu  laerimisque, 
mortales  perhibebant,  figurarum  ratione,  inimicitias  agitantes)  3)  den  Vers 
mit  einem  einsilbigen  Worte  zu  schließen  (et  vox,  equi  vis,  soliti  stmt, 
curriculo  nox).  Daß  diese  der  archaischen  Poesie  unbekannten  Regeln  in 
frühciceronianischer  Zeit^)  aus  den  Gesetzen  für  den  prosaischen  Satz- 
schluß abgeleitet  und,  soviel  wir  wissen,  zuerst  von  Cicero  (mit  wenigen 
und  meist  motivierten  Ausnahmen)  befolgt  worden  sind,  hat  Leo,  Göt- 
tinger Prooemium  1892/3  p.  7 ff.  festgestellt.^)     Noch  nicht  sicher  erklärt 

ist,  aus  welchen  Gründen  nun  auch  4)  schließende  Worte  der  Form y 

(ducv/nt  argento,  famulum  legarat)  und  5)  solche  der  Form  u  u  |  _  w  ('o  bona 
mater,  dexträ  rigat  amnem,  predbus  pater  orat,  dispendi  fadt  Mlum,  desi- 
derium  simul  inter)  vermieden  wurden.^) 

Die  Ausnahmen,  die  Vergil  von  diesen  Regeln  hat,  lassen  sich  in 
folgende  vier  Gruppen  teilen. 

1.  Versschlüsse  nach  griechischer  Technik.*) 

Vergil  hat  solche  Schlüsse  85  mal,  und  zwar  a)  50 mal  bei  griechischen 
Eigennamen,  z.  B.  petit  Eicandri,  Bardemio  Anchisae;  Oriona,  ÄncMseo;  an 

1)  Valerius  Cato  emendabat  des  Lucilius  Verse:  [Horaz]  sat.  I  10  in. 

2)  Die  besonders  entscheidende  Stelle  Quintilian  IX  4,  65  hatte  schon 
W.  Meyer,  Abh.  d.  Bayer.  Akad.  XVII  (1886)  9  herangezogen,  in  seinen  späteren 
Untersuchungen  aber  zu  Gunsten  einer  anderen  Erklärung  fallen  gelassen. 

3)  Der  Versuch  W.  Meyers,  Sitzungsber.  d.  Münch.  Akad.  1884,  979 ff.,  die 
Abneigung  der  lat.  Dichter  gegenüber  dem  Wortschluß  in  der  5.  Hebung  aus 
der  von  ihm  nachgewiesenen  Praxis  der  alexandrinischen  Dichter  abzuleiten, 
ist  vor  allem  deshalb  nicht  überzeugend,  weil  die  lat.  Dichter  die  Regel  grade 
bei  griechischen  Worten  oft  verletzt  haben.  —  Auch  auf  Inschriften  überwiegt 
die  Zahl  der  regulär  gebildeten  Hexameterschlüsse  weitaus  die  der  gegen- 
teiligen. Als  merkwürdige  Ausnahme  fiel  mir  auf  das  carm.  epigr.  1533,  das 
in  elf  Hexametern  sechs  irreguläre  Schlüsse  hat  (Pareae  cecinere,  fessum  re- 
creasti,  optent  sibi  cuncti,  super  et  tibi  semper;  nee  mare  saevom;  terminus  hie 
est).  Dieses  Epigramm,  dessen  Zeit  Bücheier  als  'propius  ab  Augusto'  be- 
stimmt, hat  in  der  Phraseologie  bemerkenswerte  ennianische  Floskeln;  es  wird 
daher  vermutet  werden  dürfen,  daß  der  Dichter,  wie  er  bei  seinem  navibu(s) 
velivolis  (=  Enn.  a.  381)  dem  Ennius  in  der  Prosodie,  so  bei  der  Bildung  seiner 
Versschlüsse  in  der  metrischen  Technik  gefolgt  ist. 

4)  Vergl.  E.  Plew,  Jahrb.  f.  Phil.  1866,  631  ff.,  der  aber  nur  schließende 
Wörter  der  Form  u  u  _  y  berücksichtigt. 


428  ANHANG  IX. 

Meliboei,  ducis  Melibod;  cxtremi  Garamantes,  pictique  Agathyrsi,  Aonie 
Äganippe,  Noemonaque  Frytanimque;  Deiopea,  Demodocumque.  So  in 
Buch  VI:  802  aut  Erymanihi,  484  sacrum  Polyboten,  445  maestamque 
Eriphylen;  447  Laodamia,  393  =  601  Firithoumque,  483  Thersilochwmque. 
b)  2 9 mal  bei  griechischen  bezw.  gräzisierten  Appellativen,  nämlich  a) 
14  mal  vor  hymenaeus  (nach  Catulls  Vorbild),  z.  B.  pati  hymenaeos,  canit  h., 
pactosque  h.,  inceptosque  h.,  inconcessosque  h.,  Lacedaemoniosque  h.  So  in 
VI:  623  veütosqueh.  ß)  5 mal  vor  hyaänthus,  z.  B.  rubens  h.,  tondehdtJi., 
ferrugineos  h.  j)  je  2  mal  vor  cyparissus  und  elephantus  (Idaeis  cypa- 
rissis  f^  Nikand,  ther.  585  'Ibairic  KUTtapiCTCTOu ,  coniferae  c;  nitens  e., 
sedoque  e.).  So  in  VI:  895  nitens  elephanto.  b)  je  Imal  potest  electro, 
purpurea  narcisso^);  centaurea^);  Oricia  terebiniho^),  alboque  orichalco, 
odoriferam  panaceam.  c)  2 mal  nach  einem  griechischen  Wort*):  b.  7,  53 
castaneae  Mrsutae,  g.  I  221  eoae  Ätlcmtides  äbscondantur.  d)  4 mal  über- 
tragen auf  lateinische  Worte,  aber  so,  daß  die  griechische  Technik  deut- 
lich ist  durch  Hiatus  oder  syllaba  anceps:  aen.  IV  667  ==  IX  477  femineo 
ululatu  (YuvaiKeiuj  oXoXuTMUJ,  der  Hiat  und  Ehythmus  gleichzeitig  male- 
risch)^), aen.  VII  631  turrigerae  Antemnae  (TrupYoqpopoi  "AvT€)Livai ; 
A.  wurde  als  Stadt  der  Aboriginer  auf  griechischen  Ursprung  zurück- 
geführt: Dionys.  Hai.  I  13,  2.  16,  5)  g.  II  5  pampineo  gravidüs  autumno 
(soll  wohl  auch  die  Schwere  malen,  vergl.  a.  IH  464  dona  dehinc  auro 
gravid  sectoque  elephanto).^) 

2.    Versschlüsse  aus  archaischer  Poesie  entlehnt. 

1)  Schlüsse  mit  Monosyllaba.  a)  Bei  vorhergehendem  Monosyllabon. 
Bezeugt:  g.  IV  6  ==  I  181  si  quem  (Lucr.  VI  167),  g.  I  314.  "^370  = 
IH  133  et  cum  (Lucr.  IV  259  u.  ö.),  g.  H  103  quae  sunt  (Lucr.  I  232 
u.  ö.\  g.  HI  428  et  dum  (Lucr.  II  1125),  g.  III  484  m  se  (Lucr.  I  729 
u.  ö.),  a.  VIII  400  =  XI  3  mens  est  (Lucr.  III  647),  a.  XI  16  Mc  est 
(Lucr.  IV  317),  XH  565  lupiter  hac  stat  (Ennius  a.  263).  Wahrschein- 
lich: die  Mehrzahl  der  unten  bei  4b  1  aufgezählten  Beispiele,  da  fast  in 
allen  das  eine  der  beiden  Monosyllaba  bei  Ennius  oder  Lucrez  in  solchen 
Versschlüssen  steht;  in  a.  VII  708  et  tribus  et  gens  ist  die  Wahrschein- 
lichkeit noch  um  so  größer,  als  auch  der  fünfte  Fuß  unregelmäßig  ge- 
bildet ist  und  die  publizistisch-prosaische  Ausdrucksweise  auch  sachlich 
auf  Ennius  weist.  —  b)  Bei  vorhergehendem  Disyllabon  in  Synaloephe: 
a.  IX  57  atque  huc  440  atque  hinc,  wo  die  Art  der  Synaloephe  in  diesem 
Fuß  für  Vergil  singulär  ist  (vergl.  über  atque  unten  bei  4).   —   c)  Bei 

1)  Bei  Dionys.  Perieg. ,  dem  Nachahmer  alexandrinischer  Dichter,  stehen 
293.  1031,  r|X^KTpoio  und  vapKtoaiTTiv  (sc.  \i0ov)  am  Versschluß. 

2)  Am  Versschluß  auch  Lucr.  IV  124,  wie  die  Umgebung  beweist  nach 
griechischem  Muster. 

S)  X  136,  ebenso  Properz  III  7,  49,  wahrscheinlich  beide  nach  gemeinsamem 
hellenistischen  Vorbild;  vergl.  'QpiKioio  Nikand.  ther.  516  (anders  Rothstein  z. 
d.  St.  und  Kießling  zu  Hör.  od.  I  7,  26). 

4)  Vergl.  CatuU  64,  96  Idalium  frondosum,  Ovid  m.  IV  535  lonio  immenso. 

5)  Vergl.  Ovid  m.  XI  17  Bacchei  ulutatus. 

6)  Vergl.  Ovid.  m.  I  117  perque  Meines  aestusque  et  inaequales  autumnos 
(der  durch  inaequalis  wohl  die  ävu)|ua\(a  des  Verses  spielerisch  ausdrückt?) 


UNREGELMÄSZIG  GEBILDETE  VERSSCHLÜSSE.  429 

vorhergehendem  Polysyllabon.  Bezeugt:  a.  I  65  =  II  648  X  2.  743  Jio- 
minum  rex  (Ennius  a.  179),  VI  846  restituis  rem  (ib.  313),  III  12  = 
Vm  679  magnis  dis  (ib.  207),  IX  532  =  XII  552  opum  vi  (ib.  168. 
404),  g.  ni  468  =  a.  II  472  prius  quam  (Lucr.  VI  917).  Wahrschein- 
lich, weil  es  Monosyllaba  sind,  die  auch  Ennius  oder  Lucrez  so  an  den 
Versschluß  stellen:  a)  enklitische  Worte  aen.  I  151  virum  quem  (vergl. 
Lucr.  IV  760  eum  quem  und  über  virum  an  dieser  Stelle  gleich  im  Folg.), 
VI  346  fides  est  (vergl,  Lucr.  II  95  quies  est,  V  1047  notities  est,  und 
für  fides  an  dieser  Stelle  V  104  fidem  res),  b.  3,  62  apud  me  a.  IV  314 
tuam  te  X  259  parent  se  802  tenet  se  (vergl.  Lucr.  I  978  locet  se  und 
für  tu>am  an  dieser  Stelle  m  3  tuis  nunc  V  860  suä  quae),  auch  wohl 
b.  8,  106  honum  sit.  ß)  Appellativa  (sämtlich  in  dieser  Stellung  bei 
Ennius  überliefert):  aen.  Itl  375  deum  rex,  g.  I  247  silet  nox,  g.  II  321 
rapidus  sol^),  a.  X  864  viam  vis  XI  373  tibi  vis,  V  638  agi  res  VII  592 
sunt  res  IX  320  vocat  res  723  agat  res  X  771  suä  stat.  Wahrschein- 
lich ennianisch  als  alliterierende  Verbindungen  oder  aus  anderen  Gründen: 
X  107  secat  spem  (s.  über  secare  auch  zu  VI  899),  843  praesaga  mali 
mens  (vergl.  Plaut.  Bacch.  679  animus  plus  praesagitur  mali)^)  wie  auch 
n  170  deae  mens  (mens  so  wohl  archaisch:  s.  Anhang  I  3)  und  deum 
gens    (archaische    Genitivform    in   feierlicher  Umgebung,   vergl.   Servius), 

X  361  =  734  viro  vir  XI  632  virum  vir^y,  dazu  11  355  lupi  ceu  nach 
A  72  XuKOi  ujc  vielleicht  durch  Ennius  vermittelt:  denn  ceu  ist  aus  Enn. 
a.  355  belegt  und  nach  zögerndem  Vorgang  des  Lucr.  IV  618.  VI  161 
und  Catull  64,  239  erst  von  Vergil  häufig  verwendet  worden  (Horaz  hat 
es  erst  im  IV.  Odenbuch,  d.  h.  unter  dem  Einfluß  der  edierten  Aeneis); 
III  390  =  VIII  143  ilicibus  sus  83  conspicitur  sus:  Ennius  erzählte  die 
Sache  (formell  nach  Ennius  wohl  auch  Lucrez  V25  Arcadius  sus  s.  b.  3  a). 

2) :  V  320  intervaüo  aus  Lucrez  n295  =  rV187;  wahr- 
scheinlich  ennianisch   aus   sachlichem   Grund    VIII  345  nemus  Ärgileti.'^) 

3)  u  w  _  ^  in  einem  Wort:  VI  11  mentem  animumque  (gleichzeitig 
mit  singulärer  Synaloephe)  aus  Ennius-Lucrez  (s.  den  Konamentar).  ^) 

1)  Ovid,  für  den  Versschlüsse  dieser  Art  noch  viel  ungewöhnlicher  waren 
als  für  Vergil,  sagt  einmal:  iubar  aureus  extulerat  sol  (met.  VII  663),  wo  wir 
ennianisches  Prototyp  vermuten  würden,  auch  wenn  uns  nicht  zufällig  über- 
liefert wäre  simul  aureus  exoritur  sol  (Enn.  ann.  95). 

2)  Vergl.  auch  die  Versschlüsse  des  Lucrez  siet  mens  (HI  101),  metu  mens 
(ib.  152),  labat  mens  (ib.  453)  und  für  so  gestelltes  mali  VI  663  mali  fert. 

3)  Von  Macrobius  als  Versschluß  des  Furius  Antias  überliefert,  den  Vergil 
aber  wohl  nicht  direkt  nachahmte.     Für  Ennius  spricht,   daß  sich  die  Phrase 

XI  632  legitque  virum  vir  auch  bei  Livius  IX  39,  5  X  38,  12  findet,  also  in  den 
Büchern,  die  von  Vergil  unbeeinflußt  sind  (vergl,  Stacey  1.  c.  [o.  S.  365,  2]  51). 
Vergl.  auch  Ennius  a.  280  am  Versachluß  virum  vis. 

4)  Ist  es  nicht  ennianisch,  so  fällt  es  unter  1),  da  man  den  Namen  mit 
der  griechischen  Legende  in  Verbindung  brachte. 

5)  Analog  ist  folg.  Fall  zu  beurteilen.  Nach  E.  Plew  bei  Lehrs,  Q.  Hör. 
Flacc.  (Leipzig  1869)  p.  CXLIflF.  hat  Silius  viersilbigen  Versschluß  bei  vorher- 
gehendem mehrsilbigen  Wort  außer  bei  dem  griechischen  hymenaeus  nur  noch 
zweimal  in  den  Verbindungen  divumqu^  hominumque  und  superumque  hominumqu£ 
(I  152.  n  484).  Hieraus  würden  wir  für  Silius,  der  den  Ennius  nachweislich 
noch  las,  Entlehnung  aus  diesem  folgern  müssen,  selbst  wenn  uns  erstere 
Phrase  (als  Übersetzung  von  dvöp&v  xe  0€d)v  xe)  nicht  zweimal  als  ennianischer 
Versschluß  (a.  254.  567)  überliefert  wäre. 


430  ANHANa  IX. 

4)  u  w  _  V  in  mehreren  Wörtern:  V  382  =  Xu  295  atque  ita  fatur 
(gleichzeitig  mit  ungewöhnlicher  Synaloephe)  ^) ,  X  594  =  XI  822  haec 
ita  fatus  wohl  sicher  mit  konventioneller  ennianischer  Phraseologie  (s.  o. 
S.  367).  Bei  III  207  haud  mora  nautae,  X  153  haud  fit  mora  Tarchon 
ist  Benutzung  ennianischer  Phraseologie  wahrscheinlich,  s.  Kommentar 
zu  VI  177.  Wegen  der  singulären  Synaloephe  wohl  ebenfalls  XII  26 
animo  Jiauri^),  und  wegen  der  singulären  Wortteilung  vielleicht  auch 
XII  634  sed  quis  Olympo.^) 

5)_ww_v^  XI  614  quadrupedantiim:  Ennius  tr.  154,  aber  wohl 
auch  in  den  Annalen  gebraucht.*) 

3.    Versschlüsse  mit  malerischer  Absicht. 

a)    Schließendes  Monosyllabon. 

In  a.  I  105  insequitur  cumulo  praeruptus  aquae  mons  wird  das  Über- 
hangen der  Flutwelle  gemalt  (der  Vers  selbst  ist  gewissermaßen  'prae- 
ruptus'),  wie  in  II  250  ruit  oceano  nox  g.  I  313  ruit  imbriferwm  ver 
das  ruere  der  Nacht  und  des  Frühlings  und  in  a.  IV  131  Massylique 
ruunt  equites  et  odora  canum  vis^)  g.  HI  255  ipse  ruit  dentesque  Sa- 
bellicus  exacuit  sus  das  ruere  der  Meute  und  des  Ebers.  —  In  a.  V  481 
sternitur  examimisque  tremens  procumbit  humi  bos^)  wird  das  plötzliche 
Niederstürzen  des  Kindes  plastisch  zum  Ausdruck  gebracht;  freilich  tadelt 
der  metrische  dvai(T6r|T0C  Servius  den  Vers  (est  hie  pessimus  versus  in 
monosyllaba  desinens),  aber  man  empfindet  die  Kraft,  wenn  man  den  lahmen 
Vers  des  ApoUonios  I  429,  Vergils  Vorbild,  daneben  hält:  TtXfiHev',  ö  b' 
(der  Ochs)  dGpöoc  au6i  Ttecrdjv  dvepeiaaxo  Taii;i.')  —  Die  Stelle  g.  1181 
exiguus  mus  war  schon  im  Altertum  berühmt  und  wird  von  QuintiUan 
VIII  3,  20  als  etwas,  das  man  non  tarn  ratione  quam  sensu  beurteilt, 
erklärt  mit  dem  Bemerken:  clausula  ipsa  wnius  syllabae  non  usitata  ad- 


1)  Ennius  hat  atque  mit  Synaloephe  in  diesem  Fuß  a.  179.  237,  ita  an 
gleicher  Stelle  a.  41;  atque  ita  an  gleicher  Stelle  Lucr.  II  227. 

2)  Der  vorhergehende  Vers  schließt  mollia  fatu,  wo  fatu,  bei  Vergil  nur 
hier,  dem  Wort  und  der  Form  nach  archaisch  ist,  obwohl  es  uns  vor  Vergil 
nicht  überliefert  ist  (Neue  IIP  638;  auch  der  Imperativ  fare  ist  vor  Vergil 
nicht  nachweisbar:  ib.  637). 

3)  Mit  Olympum,  Olympi  schließt  Ennius  zwei  Verse  (a.  1.  198). 

4)  Die  diesem  Verse  vorhergehenden  608 ff.  sind  nach  Servius'  Zeugnis  dem 
Ennius  nachgeahmt. 

5)  Hiermit  scheint  schon  Ennius  vorangegangen  zu  sein,  da  auch  Lucrez 
zwei  Verse  (IV  681.  VI  1222)  mit  canum  vis  schließt. 

6)  hos  am  Versschluß,  aber  nach  vorausgehendem  Monosyllabon  (iam  hos) 
a.  VU  790. 

7)  Vergl  Scaliger  1.  c.  (p.  484  der  Ausgabe  von  1607):  'ergo  maximus 
poetarum  cum  incomparabilem  versum  illum  fecisset  sternitur  —  hos,  impu- 
dentissime  Servius,  Pessimus,  inquit,  versus  in  monosyllaba  desinens.  Utrum 
enim  malis,  huncne,  an  sternitur,  exanimisque  tremens  hos  corruit  ictu?  Quis 
igitur  illum  quoque  grammaticorum  interpolabit  nobis,  ne  sit  monosyUabum 
insequitur  cumulo  praeruptus  aquae  mons?  Atqui  potuerat  sie  insequitur  tu- 
midis  mons  incitus  undis.  Verum  ut  corruit  taurus,  ut  confluxit  in  unum  montem 
mare:  ita  corruit  versus  in  monosyUabum;  sicut  et  in  ülo:  ruit  Oceano  nox 
(quid  illo  acrius?),  en  haec  promissa  fides  est  (VI  346);  nihil  enim  aptius  in- 
dignationi,  quam  oratio  desinens  in  monosyUabum'. 


UNREGELMÄSZIG  GEBILDETE  VERSSCHLÜSSE.  431 

didit  gratiam.  —  Gelegentlich  ist  auch  im  Griechischen  dieser  Versschluß 
zu  malerischem  Zweck  verwendet,  so  wohl  in  dem  homerischen  öpuupei 
b'oupavööev  vuH  (danach  mit  oceano  nox)  und  in  einem  Zitat  des  Dio- 
nysios  (des  Lehrers  des  Aristophanes  v.  Byzanz)  bei  Clem.  AI.  str.  V  674  P. 
TTÖVTOU  )aaivo|iievoio  TrepidTeivei  dXuKri  lä\^^)  (vergl.  Vergils  praeruptus 
aquae  mons).  Überhaupt  wurden  Versschlüsse  dieser  Art  von  den  römi- 
schen Dichtem  wohl  griechisch  empfunden^),  denn  viele  lassen  sich  ohne 
weiteres  griechisch  schreiben:  ujKedvLU  vuH,  6)ißpoqpöpov  fjp,  KuvuJv  ic 
(vergl.  |n  175  )ueYdXr|  ic),  'ApKdbioc  \jc  (so  Lucrez  V  25  Ärcadius  sus, 
dafür  setzte  ein  Italiker,  wahrscheinlich  Ennius,  den  SabelUcus  sus,  den 
wir  bei  Vergil  fanden),  x^tMCii  ßoOc  (vergl.  f  430  f\\Qe  |iiev  ap  ßoOc), 
cr)iiiKpÖTaTOC  |iOc;  auf  ein  giiechisches  Sprichwort  geht  daher  auch 
Horazens  ridiculus  mus  (a.  p.  139).^)  Daß  griechische  Metriker  die  Sache 
auch  theoretisch  behandelten,  macht  die  Nachricht  des  Servius  z.  VIJI  83 
wahrscheinlich:  ^conspicitur  sus\  Horatius:  ^ et  amica  luto  sus\  scien- 
dum  tarnen  Jioc  esse  vitiosmn  monosylldbo  finiri  versum,  nisi  forte  ipso 
monosylläbo  minor a  expUcentur  cmimalia,  ut  'parturient  montes,  nasceiur 
ridiculus  mus'.  gratiores  enim  versus  isti  sunt  secundum  Lucilium: 
Lucilius  aber  folgte  in  seiner  Theorie  wie  der  Grammatik  und  Rhetorik, 
so  auch  der  Metrik  griechischen  Quellen. 

b)   u  u  _  y  und  _  o  u  _  o. 

Der  ionische  Rhythmus  ^  ^  -  ^  malt  die  Klage  X  505  multo  gemitu 
lacrimisque,  das  Weichliche  IV  215  et  nunc  ille  Paris  cum  semiriro  eomi- 
tatu.*)  In  V  588 f.  ut  quondam  Creta  fertur  labyrinthus  in  alta  \  parie- 
tibus  textum  caecis  iter  andpitemque  \  müle  viis  habuisse  dolum  soll  das 
fünfsilbige  andpitemque,  wie  die  weiterhin  folgenden  langen  Worte  inde- 
prensus  und  inremeabilis  die  Irrwege  des  Labyrinths  malerisch  zum  Aus- 
druck bringen  (vergl.  den  Komm,  zu  VI  27  u.  S.  417,  4).  Diese  Auf- 
fassung wird  auch  dadurch  empfohlen,  daß  Catull  an  der  hier  von  Vergil 
nachgeahmten  Stelle  64,  114  ne  labyrintheis  e  flexibus  egredientem  den  Vers 
ebenfalls  mit  einem  fünfsilbigen  Wort  schließt,  was  auch  für  ihn  eine 
Rarität  ist  (im  Epyllion  nur  noch  152  alitibusque  205  contremuerunty 
beide  mit  archaischem  Kolorit). 

c)  ZiTovbeidZovTec. 

Da  A.  Viertel,  De  versibus  poetarum  lat.  spondiacis  (Jahrbücher  für 
Phil.  1862,  801  ff.)  gerade  das  uns  hier  angehende  Moment  nur  ober- 
flächlich und  meist  unrichtig  behandelt  hat,  muß  die  Untersuchung  ganz 


1)  D.  h.  GdXaaöa,  vermutlich  semitische  Glosse. 

2)  Daher  bildet  Lucan  seinen  einzigen  Versschluß  dieser  Art  (Trampe,  d. 
L.  arte  metr.  34)  mit  einem  griechischen  und  einem  nach  griechischer  Weise 
gebildeten  Wort:  IX  723  tabificus  seps  (vouaoqpöpoc  ar\\[i). 

3)  Unter  den  von  Kießling  z.  d.  St.  angeführten  Belegen  fehlt  der  für  den 
Zusammenhang  bei  Horaz  bezeichnendste:  Lukian  bist,  conscr.  23. 

4)  Nach  Quintilian  1.  c.  hat  ein  langes  schließendes  Wort  etwas  praemolle; 
Paris  war  eben  der  Typus  der  jnaXaKia, 


432  ANHANG  IX. 

von  neuem  angestellt  werden,  zumal  seitdem  das  griechisclie  Material 
von  A.  Ludwig,  De  hexametris  poetarum  graec.  spondiacis  (Halle  1866) 
vorgelegt  worden  ist. 

Bekanntlich  haben  die  alexandrinischen  Dichter  im  Gegensatz  zu 
den  alten  Epikern  solche  Verse  mit  besonderer  Vorliebe  gebraucht,  so 
daß  in  der  Ilias  auf  100  Verse  durchschnittlich  5  bis  6,  bei  Arat  14 
bis  15  kommen  und  Eratosthenes  in  den  fünfzehn  uns  erhaltenen  Hexa- 
metern seines  Hermes  7  spondeische  hat.  Die  alten  Epiker  haben  mit 
solchen  Versen  wenn  überhaupt,  so  doch  nur  in  einer  verschwindend 
kleinen  Anzahl  von  Stellen  malerische  Wirkung  erzielen  wollen,  denn  es 
erscheint  fast  zu  gesucht,  in  Versen  wie 

b  117ff.  )aep)iir|piHe  b'^Treixa  Kaxa  q)peva  Kai  Kard  0u)iiöv 
r|e  mv  auTÖv  Trarpoc  edcreie  |uvricr9fivai, 
fj  irpujx'  eHepeoiTO  eKaard  re  TTeiprjffaixo 
mit  Ludwich  (S.  164)  den  Zweifel  der  Überlegung  malerisch  ausgedrückt 
zu    sehen    (die   Folge    zweier    spondeischer   Verse    ist    bei   Homer   nichts 
Ungewöhnliches).     Die   alexandrinischen  Dichter   sind   im    allgemeinen 
dem  homerischen  Brauch  gefolgt,    insofern   sie  mit   der  Mehrzahl  solcher 
Verse   malerische   Absicht   nicht  verbunden   haben  ^),    wie   z.  B.   beliebige 
Verse  des  Kallimachos  zeigen: 
h.  Dian.  221  ff.  oube  juev  'YXaTöv  xe  Kai  dqppova  'Poikov  ^oXira, 
oube  Trep  exö^ipovxac,  ^v  "Aibi  |Liuj|ur|(Ta(T9ai 
xoEöxiv  Oll  Tdp   (Sq>iv  Xayövec   ffuveTrivpeucTovxai, 
xdujv  MaivaXiTi  vdev  (pöviu  dKpuupeia. 
Vielmehr    war   es  (Ludwich  163)   wesentlich   nur   der   ziehende,    schlaffe 
und  weichliche  Rhythmus,  der  diese  Poeten   an   solchen  Versen  Gefallen 
finden  ließ^):  war  doch  _  o  _  o   auch  in  der  Prosa  als  weichliche  Klausel 
verrufen.     Aber  wenigstens  als  sekundäres  Moment  ist  das  malerische 
zu  jener  Zeit   stärker  betont   als   im  alten  Epos.     Dafür  haben   wir  das 
interessante  Zeugnis  des  Longinos  bei  Euseb.  pr.  ev.  X  3,  20:  Antimachos 
habe  den  Vers 

I  558    "Ibeüü  8',  8c  KdpxKTxoc  emxOoviiJüV  t^vex'  dvbpujv 
mit  der  Änderung 

"Ibeu)  Q\  8c  KdpxicTxoc  emxGoviuuv  r\v  dvbpüjv 
herübergenommen,    was  ihm  das   Lob   des  Lykophron   eingetragen   habe: 
AuKÖqppujv  eTTttivei  xf)v  laexdGeaiv,  ibc  bi'  auxfic  eaxr|piY|Lievou  xoO 
(Jxixou.     Das  wird  bestätigt  durch  Stellen  wie 

Kallimachos  h.  Apoll.    23     öcTxic  dvi  OpuTir)  biepöc  Xiöoc  dcTxripiKxai 
Dian.     60 f.  f|  x^Xköv  leiovja  Ka)iiivö9ev  Y\e  (Tibripov 

d)aßoXabic  xexuTTÖvxec  em  lae^a  )Lioxör|(T6iav 

182     biqppov  etriaxricrac,  xd  be  qpdea  )ar|Kuvovxai 

Apollonios  Rhod.  I    531     |neacruj  b'  'AYKaioc  ulfa xe  a6evoc  ' HpaKXfioc 

1066     vuiixqpai  dTT0cp9i)ievTiv  dX(Tr|ibec  ibbOpavxo 

IV    287     'PiTTxaioic    ev    öpeacriv    dTTÖitpoGi    laopiiiu- 

poucTiv 

1)  Wie  überhaupt  eine  solche  bei  ihnen  sehr  zurücktritt;  z.  B.  ist  das, 
was  R.  Merkel,  Metr.-krit.  Abh.  über  Apollon.  Rhod.  (Progr.  Magdeburg  1844) 
6.  9.  12.  18  dafür  anführt,  viel  zu  gesucht,  um  glaublich  zn  erscheinen. 

2)  Sehr  deutlich  z.  B.  Mosches  2,  24  inrviOouöa  (über  das  Ethos  s.  S.  418,  6). 


TJNREGELMÄSZIG  GEBILDETE  VERSSCHLÜSSE.  433 

Theokrit  1,  71  rfivov  |Liev  Guuec,  rfivov  \ukoi  ujpuaavxo 

2,  35  GearuXi,  rai  Kuvec  a}i}x\v  dvd  tttöXiv  ibpuovxai 
Arat        1124  Kai  Xukoc  oTTTTÖxe  juaKpci  jliovöXukoc  ujpiJTiTai 

953  f|  TToXXr)  cTTpeqpeTai  irap'  übuup  iraxea  Kpculouaa 
Theokrit  15,  87  TraiiffacrG'  ilj  bOcTTavoi  dvdvuia  KuuxiXXoiCTai 
Euphorion  fr.  XCYI  Mein.  Zeqpupou  jueT«  TroicpiiHavxoc 

Theokrit  24,  47  b)Lia)ac  bx]  xöx'  duaev  üttvov  ßapuv  eKcpucTujvxac, 
in  denen  die  Dichter  selbst  auf  das  malerische  Element  durch  Hinzu- 
fügung  von  iLieY«,  Traxe«,  iiiaKpd,  dvdvuxa,  ßapüv  oder  durch  die  Wahl 
von  Worten  wie  'HpaKXf)c^)  (JxripiZ^eaGai,  luoxOeTv,  )iTiKuvea9ai  und 
Verben  der  langgezogenen  Klage  hinweisen.^) 

Die  Praxis  des  Ennius  und  Lucrez  stimmt  insofern  mit  derjenigen 
der  alten  griechischen  Epiker  überein,  als  spondeische  Verse  nicht  ge- 
mieden, aber  auch  nicht  gesucht  werden  und  an  den  wenigsten  Stellen 
eine  besondere  malerische  Absicht  vorliegt.  Unter  den  12  ennianischen 
Beispielen  (2  34  125  174  197  207  219  256  305  541  603  604) 
könnte  malerische  Absicht  vorliegen  nur  in 

34     Olli  respondit  rex  Älbai  longai 
207      dono  ducite  doque  völentibus  cum  magnis  dis 
541  f.  tanto  sublatae  sunt 

augmine  tunc  lapides, 
unter  den  29  des  Lucrez  (I  60  586  616  991   1077   1116  1147  H  295 
302  397  475  1053   III  191  249  253  417  545  908  963  IV  125  187 
594  975   978  V  190  425  971   1156   1265)  nur  in 
in    190  f.  quippe  voluhüibus  parvisque  creata  figuris, 
at  contra  mellis  constantior  est  natura 
1    616     Corpora  constabunt  ex  partibus  infiriitis 
n  1053     undique  cum  vorsum  spatium  vacet  infinit  um 
I    9  90  f.  quippe  ubi  materies  omnis  cumulata  iaceret 
ex  infinito  iam  tempore  subsidendo 
11 46  f.  omnia  debet  enim  cibus  imiegrare  novando 
et  fulcire  cibus,  dbus  omnia  sustentare 
V  1265      mucronum  duci  fastigia  procudendo 
in    907     i/nsatiabüiter  deflevimus  aeternumque 

nulla  dies  nobis  maerorem  e  pectore  demet. 
Bemerkenswert  ist,  daß  in  Buch  I  am  meisten  Beispiele  vorkommen, 
in  Buch  VI  keins  mehr;  das  könnte  sich  daraus  erklären,  daß  Lucrez, 
als  er  sah,  wie  die  Neoteriker  in  solchen  Versen  etwas  Besonderes  suchten, 
sie  absichtlich  mied.  —  Lucrez  ragt  mit  seiner  Lebenszeit,  aber  nicht 
mit  seinen  dichterischen  Tendenzen  schon  in  die  Zeit  der  Neoteriker 
hinein.      Ihre   Vorliebe   für   die   spondeischen   Verse    wird  durch   die   be- 


1)  Bei  Homer  steht  'HpaKXfioc  (-i,  -a)  nie  am  Versschluß,  Apollonios  weicht 
also  bewußt  ab,  vielleicht  auf  Grund  des  homerischen  ßiri  '  HpaKXr|€ir|.  In  dem 
homerischen  ßir|c  'GTeoKXTie{r|c  (A  386)  findet  Aristides  Quint.  de  mus.  H  c.  9 
p.  52,  14  (Jahn)  tö  KOTCt  rrjv  ^Ki}\x.r\v  ?Hoxov  ausgedrückt. 

2)  Für  die  malerische  Absicht  in  dem  ziJetzt  angeführten  Vers  des  Theokrit 
vergl.  Oppian  hal.  IV  460  eiaÖKev  oibaivouaa  koI  öaxerov  doGinaivouaa  und 
Ovid  m.  VI  247  animam  simul  exhalarunt  VH  581  mm's  deprenderat  ex- 
halantes. 

Verg  II,  Buch  VT,  von  Norden.  28 


434  ANHANG  IX. 

kannten  Worte  Ciceros  ad  Att.  VII  2  bezeugt:  Brundisium  venimus  nsi 
tua  felicitate  navigandi:  ita  belle  nobis  '  flavit  ab  Epiro  lenissimus  Onches- 
mites'.  Jmnc  CTTrovbeidCovTa  sicui  voles  tüjv  veuüxepuuv  pro  tuo  vendita, 
und  demgemäß  hat  Cicero  auch  in  seiner  Praxis  eine  Abneigung  gegen 
diesen  Versschluß:  gegenüber  den  zahlreichen  Beispielen  des  Arat  hat  er 
nur  eins:  Orionis  (Aratea  3). 

Die  Praxis  des  Catull  ist  dagegen  die  der  Alexandriner  (vergl. 
Haupt  bei  Beiger  p.  240 f.),  d.  h.  spondeische  Verse  werden  gesucht  und 
zwar  im  allgemeinen  nur  wegen  des  weichen  Ehythmus  (vergl.  lenissi- 
mus bei  Cic.  1.  c.  Persius  1,  95;  Quintilian  IX  4,  65  bezeichnet  Apennino, 
armamentis,  Orione  am  Versschluß  als  permolle),  gelegentlich  aber  auch 
in  malerischer  Absicht.  Er  hat  42  solcher  Versausgänge  in  781  Hexx., 
d.  h.  in  je  100  etwa  5 — 6,  während  Lucrez  in  7415  Hexx.  nur  29  hat, 
d.  h.  erst  in  je  1500  etwa  5 — 6.  Die  Verteilung  auf  die  einzelnen  Ge- 
dichte ist  bezeichnend:  im  Epyllion  (408  Hexx.)  30  spondeische  Schlüsse, 
in  den  373  Hexx.  der  Disticha  nur  12;  darin  folgt  er  wohl  dem  Vor- 
bilde des  Kallimachos,  der  in  dem  elegischen  Hymnus  und  in  den  Epi- 
grammen überhaupt  keinen  solchen  Vers  hat.^)  Unter  den  42  Vers- 
ausgängen dieser  Art  bei  Catull  werden  13  durch  Eigennamen  gebildet, 
und  zwar  durch  12  griechische  (64,  3  11  28  36  74  79  96  252  358. 
68,  87  89  109),  1  lateinischen  (100,  l),  worin  die  Tatsache  aus- 
gesprochen liegt,  daß  man  solche  Verschlüsse  von  jetzt  ab  als  gräzi- 
sierend  betrachtete,  während  das  bei  Lucrez  noch  keineswegs  der  Fall 
ist,  der  in  solchen  Versen  nur  1  griechisches  Wort  hat  (centaurea).  Unter 
den  29  übrig  bleibenden  Beispielen  Catulls  bezwecken  bloß  rhythmische 
Wirkung  17  (64,  24  78  80  83  91  108  119  255  258  277  291  301. 
66,  3  41   57   61.   116,  3),  besonders  deutlich 

64,  91  f.  non  prius  ex  illo  flagrcmtia  declinavit 
lumina  ^) 
255      euhoe  bacchantes,  euhoe  capita  inflectentes.^) 
Neben   der   rhythmischen  Wirkung   liegt   eine    bestimmte   malerische  Ab- 
sicht vor  in  den  übrigen  12: 

64,  15     acqiioreae  mmistrum  Nereides  admirantes 

44  fulgenti  splendent  auro  atque  argento; 

67     ipsius  ante  pedes  fludus  salis  adludebant 
269f.  hie  qualis  flatu  placidum  mare  matutino 
horrificans  zephyrus  proclivas  incitat  undas 
274     post  vento  crescente  magis  magis  increbrescunt; 
286      Tempe,  quae  silvae  cingunt  super  inpendentes 


1)  Vergl.  F.  Beneke,  De  arte  metr.  Callimachi  (Straßburg  1880)  20  f.  Die 
Praxis  ist  verständlich,  denn  es  wäre  disharmonisch  gewesen,  am  Schluß  des 
ersten  Teils  des  Distichons  den  daktylischen  Rhythmus  aufzuheben,  der  am 
Schluß  des  zweiten  Teils  verbindlich  war.  Übrigens  hat  Catull  in  den  eigent- 
lichen Epigrammen  außer  dem  Eigennamen  ^M/?Zewam  (100, 1)  nur  ein  Beispiel 
in  dem  unsere  Sammlung  beschließenden,  aber  zeitlich  wegen  tu  dabi(s)  suppli- 
cium besonders  frühen  Epigramm  116,  3  conarere;  er  wui-de  auf  diese  Finesse 
also  erst  mit  dem  Fortschreiten  seiner  Kunst  aufmerksam. 

2)  Ein  anderes  rhythmisches  artificium  in  verwandter  Sache  Horaz  c.  I  12, 
25 f.  cum  flagrantia  de\torquet  ad  oscula  cervicem. 

3)  Die  XoHÖTTic  des  Nackens  galt  als  Zeichen  der  äßpÖTr|c. 


UNEEGELMÄSZIG  GEBILDETE  VERSSCHLÜSSE.  435 

297  pendens  e  verticibus  praeruptis 

65,  23      atque  illud  prono  praeceps  agitur  decursu; 
64,  71  f.  ah  misera,  adsiduis  quam  luctibus  externavit 
spinosas  Erycina  serens  in  pedore  curas 
9  7  f.  qualibus  incensam  iactastis  mente  puellam 
fludibus  in  flavo  saepe  hospite  suspirantem 
68,  15     iam  prece  PoUucis,  iam  Castoris  inplorata 
76,  15     ima  salus  haec  est,  hoc  est  tibi  pervincendum, 
wo    das   erste   und  zweite   Beispiel    die  BewunderuBg  ^)   und  die  Pracht, 
die    drei   folgenden    das    aUmähliche    Anschwellen    des   Windes   und    der 
Wellen^),    das    sechste,    siebente    und    achte    das    Überhangen    und    das 
Moment  des  jähen  Hinabrollens^),    die   folgenden  vier   den  Schmerz  und 
die  Klage*)  malen,  darunter  am  schönsten  das  letzte,  in  dem  das  Bingen 
des   durch    den   Tod    des  Bruders  schmerzerfiillten   Herzens   ergreifenden 
Ausdruck  gefunden  hat.^) 

Die  Augusteer  haben,  wie  sie  überhaupt  die  Exzesse  der  Neoteriker 
durch  Rückkehr  zum  Klassizismus  aufhoben,  auch  in  der  Anwendung  der 
spondeischen  Verse  Begel  geschaffen.  Tibull  hat  kein  Beispiel;  Pro- 
perz  7:  drei  griechische  Eigennamen,  dreimal  heroine  —  dies  nach 
alexandrinischen  Vorbildern,  vergl.  Ludwich  1.  c.  87  — ,  einmal  (III  28",  49) 
sunt  apud  infernos  tot  milia  formosarum,  nämlich  eben  fiptuivujv  (vergl. 
I  19,  13  illic  formosae  veniant  chorus  heroinae:  KaXöc  xopoc  fipoiTvai); 
Horaz  je  2  in  Oden  und  Epoden  (drei  griechische  Eigennamen,  1  latei- 
nischer), 1  in  den  Sermonen  (a.  p.  467,  beabsichtigt,  vergl.  Kießling);^) 
Ovid  (nach  Viertel  1.  c.  802)  quantitativ  ziemlich  viele,  aber  wohl  sämt- 
lich erlaubte  (Eigennamen,  griechische  Worte)  oder  beabsichtigte  (die 
Untersuchungen  Viertels  müssen  neu  angestellt  werden).'')  Vergil  hat 
in  seinen  gesamten  Dichtungen  (12085  Versen)  33  spondeische  Verse, 
also  erst  in  je  2000  Versen  etwa  5,  während  Catull  etwa  in  je  100 
Versen  ebenso  viel  hat.  Ziehen  wir  hiervon  die  schon  oben  unter  l) 
und   2)   behandelten   26    nach   griechischer   Technik    gebauten    oder   aus 


1)  Vergl.  V  728  Kduireoe"  Xaoi  b'  aö  GrieOvxö  xe  edjußriödv  xe.  Ähnlich  die 
Furcht:  Moschos  2,  16  /|  b'  ävcö  yLäv  oxptuxOüv  Xex^ujv  Böpe  beiiiiaivouffa. 

2)  Bei  den  Griechen  bildet  das  Participium  von  KUjuaiveiv  oft  spondeischen 
Ausgang  (Ludwich  1.  c.  117),  vergl.  femer  KXü6a  XeuKoivouaav  Nikand.  alex.  170, 
löxaxai  otöaivouaa  (sc.  QäXaoaa)  Oppian  hal.  I  772,  eiv  ciXl  -rropqpupoOor)  Arat  158. 

3)  Vergl.  Haupt  bei  Beiger  S.  241.  Ein  anderes  Mittel  zu  gleichem  Zweck 
in  unserm  Vergilbuch  602;  wieder  ein  anderes,  aber  sehr  verwandtes  Lucan 
X  318  praecipites  cataractae,  nach  E.  Trampe,  De  Lucani  arte  metrica  (Berlin 
1884)  35  der  einzige  so  gebaute  Vers  bei  Lucan.  Prototyp  waren  die  Sisyphos- 
verse  der  homerischen  Nekyia,  wo  der  gleiche  Zweck  wieder  durch  andere 
Mittel  erreicht  ist,  s.  o.  S.  409  f. 

4)  Vergl.  0.  S.  412 f.  und  Varro  At.  fr.  24  Baehr.  (FPß  p.  336)  lamentatur, 
Ovid.  m.  I  772  gemitu  et  lacrimis  et  luctisono  mugitu  (oiKxpoYÖuj  jauKrjeiLiu)) ;  mit 
externavit  vergl.  ^irxoiriaav  Ps. -Moschos  4,  122. 

5)  Die  Wirkung  ist  um  so  stärker,  weil  es  der  einzige  so  gebaute  Vers 
dieser  Elegie  ist. 

6)  Im  lyrischen  Maß  läßt  er  IV  4,  72  die  Rede  des  Hannibal  mit  interempto 
-  u  —  (gegen  seinen  Brauch  und  in  Anlehnung  an  die  moderne  Rhetorik) 
wirksam  schließen. 

7)  Vergl.  auch  Lüdtke,  Rhythm.  Malerei  in  Ovids  Met.  (Progr.  Stralsund 
1878)  25. 

28* 


436  ANHANG  IX. 

älteren  Dichtern  entlehnten  ab,   so  bleiben  7  übrig,   von  denen  6  malen 
sollen,  nämlich: 

b.         4,  49     cara  deum  soholes,  magnvm  lovis  incrementum 
das  Wachsen  (wie  oben  bei  Catull  incrcbrescunt), 

g.     ni  276     saxa  per  et  scopulos  et  depressas  conv alles 
die  tiefen  Senkungen,^) 

a.    XII  863     quae  (sc.  ales)  quondam  in  hustis  aut  culminibus  desertis^) 
nocte  sedens  serum  canit  inportuna  per  vmhras 
das  Rufen  der  dies  lugubris, 

a.       II    68     constitit  atque  oculis  Fhrygia  agmma  circumspexit 
die  Langsamkeit  der  Rundschau^), 

a.    VII  634     aut  levis  ocreas  lento  ducunt  argento 
die  Mühe  des  Schmiedens*), 

a.     in  549     cornua  velatarum  ohvertimus  antemnarum 
die  Mühe  des  Manövrierens.  ^)     Ob  endlich  der  siebente 

a.  VIII  166  f.  nie  mihi  insignem  pharetram  Lyciasque  sagittas 

discedens  cMamydemque  auro  dedit  intertextam 
nach    griechischer    Technik    gebaut    ist    (es    sind   Worte    des    Graiugena 
Euandros,   vergl.  pharetra,   cJilamys)    oder   etwa    die   Pracht  malen    soll 
(wie  Catull  64,  44  o.  S.  434),   wird  sich  nicht  leicht  entscheiden   lassen. 

4.    Die  übrigen  Fälle. 

a)  uu_y  auf  mehrere  Worte  verteilt. 
Während  Cicero  im  Gegensatz  zu  der  archaischen,  auch  von  Lucrez 
befolgten  Praxis  viersilbigen  Worten  der  Form  i^  vj  _  b=!  aus  dem  Wege 
geht  (nur  drei  Beispiele  mit  Eigennamen:  Ar.  273  Capricornum  311  Ca- 
pricorno  372  Äquilai),  nimmt  er  sich  für  den  Fall,  daß  w  o  _  !^  nicht 
durch  ein  Wort  gebildet  wird,  noch  völlige  Freiheit,  wie  Ennius  und 
Lucrez:  in  den  575  (am  Schluß  vollständigen)  Versen  seines  Lehrgedichts 
hat  er  24  Beispiele,  d.  h.  auf  100  Verse  4,2.  In  16  dieser  Fälle  geht 
den  schließenden  Wörtern  ein  Monosyllabon  voraus  (z.  B.  sub  caput  ardi, 
ut  prius  illae,  sed  grave  maestis;  nur  einmal,  im  Vers  153:  quam  iacit 
ex  se),  in  den  übrigen  8  Fällen  ein  mehr  als  einsilbiges  Wort  (173  dex- 
trä  rigat  armiem  309  semper  tenet  ille  325  flexum  tenet  arcum  343  Titan 
trdhit  arcum  376  darum  caput  Hydrae  454  profert  simul  unguis  468 
parvos  simul  haedos  187  supero  dedit  orbe).  Gegen  Versschlüsse  dieser 
Art  wurden  nun  aber  die  Neoteriker  aus  einem,  wie  oben  bemerkt,  noch 
nicht  sicher  erkannten  Grunde  empfindlich.  Catull  hat  in  den  408 
Versen  des  Epyllion  nur  3  solcher  Schlüsse,  nämlich  23  o  bona  matrum 


1)  Vergl.  Scaliger  1.  c.  (o.  S.  404)  486. 

2)  Für  desertis  vergl.  IV  462 f.  solaque  culminibus  ferali  carmine  bubo  \ 
saepe  queri. 

3)  Vergl.  Arat  297  TroXXdKic  Ik  vriOuv  u^Xotoc  -rrepiirairTaivovTec. 

4)  Vergl.  die  o.  S.  432  f.  aus  Kallimachos  h.  in  Dian.  64  und  Lucrez  V  1265 
angeführten  Verse  sowie  den  schwerfälligen  Rhythmus  bei  Verg.  selbst  g.  III 449 
et  spumas  miscent  argenti  (über  deren  langsame  und  mühevolle  Zubereitung 
Plinius  n.  h.  XXXIH  106  flF.  handelt). 

5)  Vergl.  0.  S.  413  f. 


UNREGELMÄSZIG  GEBILDETE  VERSSCHLÜSSE.  437 

304  sunt  dope  mensae  58  pdlit  vada  remis, ^)  d.  h.  auf  100  Verse  nur 
0,7.  Vergil  ist,  seiner  zwischen  Archaismus  und  Neoterismus  ver- 
mittelnden Stellung  entsprechend,  zurückhaltender  als  die  archaischen, 
freigebiger  als  die  neoterischen  Dichter.  Er  hat  in  den  Bucolica  13  Fälle 
dieser  Art  (z.  B.  quae  vehat  Argo,  te  quoque  gaudet;  ausschließlich  mit 
vorhergehendem  Monosyllabon),  d.  h.  auf  100  Verse  1,6.  In  den  Georgica 
23,  d.  h.  auf  100  Verse  1,1.  Die  Beispiele  der  Georgica  verteilen 
sich  so:  a)  Nach  Monosyllabon  19  (darunter  einmal  IV  84  dum  gravis 
aut  hos),  b)  Nach  mehrsilbigem  Wort  3:  11  153  humum  neque  tanto 
I  80  pudeat  sola  neve  IV  251  apibus  quoque  nostros.  In  der  Aeneis  94, 
d.  h.  auf  100  Verse  1,0.  Die  Beispiele  der  Aeneis  verteilen  sich  in 
folgender  Weise:  a)  Nach  Monosyllabon  79,  so  in  Buch  VI:  30  tu  quoque 
magnum  47  non  color  unus  123  ah  love  summo  138  hunc  tegit  omnis 
278  et  mala  mentis  365  tu  mihi  terram  434  qui  sibi  letum;  unter  diesen 
79  Fällen  viermal  in  späten  Büchern:  VII  308  et  trihus  et  gens  Vlll  400 
haec  tibi  mens  est  IX  491  hoe  mifii  de  te  X  9  quis  metus  aut  hos  (die 
zwei  ersten  wohl  ennianisch:  s.  o.  unter  2);  zweimal  ebenfalls  in  späten 
Büchern  mit  ganz  ungewöhnlichen  Synaloephen:  X  508  haec  eadem  aufert 
XII  26  hoc  animo  hauri,  ersteres  wohl  durch  eine  rhetorische  Figur  be- 
dingt (Jiaec  te  prima  dies  bello  dedit,  haec  eadem  aufert),  letzteres  ver- 
mutlich ennianisch:  s.  o.  unter  2;  einmal  im  Schlußbuch  mit  wohl  singu- 
lärer  Wortverteilung:  XII  634  sed  quis  Olympo,  möglicherweise  ebenfalls 
älteres  Gut:  s.  o.  unter  2.  b)  Nach  zweisilbigem  in  Synaloephe  stehenden 
Wort  3:  I  405  ille  ubi  matrem  V  382  =  XU  295  atque  ita  fatur,  letzteres 
wahrscheinlich  ennianisch,  s.  o.  unter  2.  c)  Nach  zwei-  oder  mehrsilbigem 
Wort  13:  V  731  Ditis  tamen  ante  Vin  382  sanctum  mihi  nomen  X  302 
puppis  tua  Tarchon  400  morae  fuit  Uo  442  soli  müii  Pallas  112  quan- 
tum  satis  hasfae  XI  143  lu^et  via  longo  HI  695  supter  mare  qui  nunc 
XI  170  magni  Phryges  et  quam  X  440  medium  secat  agmen  471  etiam 
sua  Twrnum  849  misero  mihi  demum  XI  562  rapidum  super  agmen: 
also  diese  besonders  harte  Art  nur  in  spätverfaßten  Büchern  bezw. 
Buchteilen. 

Bemerkenswert  ist,  daß,  wie  aus  dieser  Liste  hei-vorgeht,  die  Fälle 
mit  vorhergehendem  Monosyllabon  an  Zahl  diejenigen  mit  vorhergehen- 
dem Polysy Ilabon  um  das  Fünffache  übersteigen;  so  hat,  wie  erwähnt, 
Vergil  in  den  Bucolica  überhaupt  kein  Beispiel  der  letzteren  Art,  und 
nach  Lüdtke,  Progr.  Stralsund  1878,  24  Ovid  in  den  Metamorphosen 
ebenfalls  nicht  (gegenüber  35  Fällen  mit  vorhergehendem  Monosyllabon). 
Bevor  ein  genügender  Grund  aufgefunden  ist,  kann  ich  nicht  umhin, 
trotz  W.  Meyer  (Sitzungsber.  d.  Münch.  Akad.  1889  vol.  II  242),  dem 
man  ungern  widerspricht,  anzunehmen,    daß   die  Vermeidung   eines  Aus- 

1)  In  den  Disticha  hat  er  noch  ein  paar  andere  Stellen:  E.  Eichner,  Progr. 
Gnesen  1875,  16.  Über  Tibull,  Properz  und  Ovid  vergl.  K.  P.  Schulze,  Z.  f. 
G.  W.  XXIX  (1875)  593  ff.  (wo  aber  nur  die  Fälle  mit  vorhergehendem  mehr- 
silbigen Wort  berücksichtigt  sind).  Danach  hat  Tibull  bei  vorhergehendem 
mehrsilbigen  Wort  nur  6  Fälle  mit  deutlicher  Enklisis  (I  2,  95  circum  terit 
arta  6,  1  offers  mihi  voltus  6,  63  proprios  ego  tecum  H  4,  45  centum  licet  annos 
4,  59  Nemesis  mea  voltu  5,  111  versus  mihi  nullus;  Properz  zwei  dieser  Art: 
in  34,  39  prostmt  tibi  fata  23,  15  Sacra  conteritur  via  socco  (sacra  via),  Ovid 
einen:  hal.  11  tandem  pavet  escam. 


438  ANHANG  IX. 

einanderfallens  von  Wort-  und  Versaccent  in  Betonungen  wie  pdlit  vada 
remis,  superö  dedit  orbe  eine  wenn  auch  vielleicht  nur  sekundäre  Rolle 
gespielt  hat. 

b)    Schließendes  Monosyllabon. 

1)  Bei  vorhergehendem  Monosyllabon.  Während  bei  Ennius  und 
Lucrez  auf  je  100  Verse  etwa  1  Beispiel  kommt,  hat  Cicero  in  den 
574  Versen  seines  Lehrgedichts  nur  3  Beispiele  (fr.  VII  4  Baehr.  hac  est, 
153  ex  se,  429  prae  se),  d.  h.  auf  100  Verse  0,3.  Die  Neoteriker 
gingen  noch  weiter:  Catull  hat  in  den  408  Versen  des  Epyllions  kein 
Beispiel  hierfür.  Vergil  vermittelt  auch  hier  zwischen  der  zu  großen 
Freiheit  der  archaischen  und  der  zu  starken  Manier  der  modernen  Epoche. 
In  den  Bucolica  hat  er  4  Beispiele  (5,  83  nee  quae  6,  9  si  quis  7,  35 
ai  tu  9, 48  et  quo),  d.  h.  auf  100  Verse  0,5;  in  den  Georgica  13 
(I  314  et  cum  370  et  cum  II  49  si  quis  103  quae  sunt  539  nee  dum 
in  133  et  cum  358  nee  cum  428  et  dum  474  si  quis  484  in  se  IV  6  si 
quem  71  et  vox  84  aut  hos),  d.  h.  auf  100  Verse  0,6;  in  der  Aeneis  32 
(I  77  fas  est  181  si  quem  603  si  quid  II  163  ex  quo  217  et  iam 
III  151  qua  se  695  qui  nunc  IV  224  qui  nunc  V  372  qui  se  713  et 
quos  VI  117  nee  te  465  hoc  est  VII  310  non  sunt  643  iam  tum  708 
et  gern  790  iam  hos  VIII  400  mens  est  IX  491  de  te  X  9  aut  hos 
231  ui  nos  XI  3  mens  est  16  hie  est  164  nee  quas  170  et  quam  [adv.] 
429  et  quos  XII  48  pro  me  231  hi  sunt  360  qui  me  526  nunc  nunc 
565  hac  stat,  mit  Synaloephe  IX  57  atque  huc  440  atqiie  hinc),  d.  h.  auf 
100  Verse  0,3.  Überall  sind  die  beiden  Worte  durch  den  Satzaccent 
mehr  oder  weniger  eng  verbunden;  viele  sind  nachweislich,  andere  ver- 
mutlich aus  Ennius-Lucrez  übernommen  (s.  oben  unter  2). 

2)  Bei  vorhergehendem  mehrsilbigen  Wort.  Während  Ennius  gegen- 
über dieser  Härte  so  gleichgültig  ist,  daß  er  unter  100  Versen  6  so 
schließt,  hat  Lucrez  unter  100  nur  mehr  2,5,  Cicero  unter  100  nur 
mehr  1,  nämlich:  fr.  XXX  Baehr.  simul  pes  57  equi  vis  64  =  189  curri- 
culo  nox  264  curriculum  sol  475  signipotens  nox;  bezeichnend  ist,  daß 
vis,  nox,  sol  als  schließende  Monosyllaba  mit  dieser  Betonung  auch  bei 
Ennius  überliefert  sind,  pes  bei  Ennius-Lucrez  (in  96.  653),^)^  d.  h.  also: 
die  sechs  Beispiele  Ciceros  sind  als  Zitate  anzusehen.  Galt  ihm  mithin 
dieser  Versschluß  schon  für  unschön,  so  waren  die  Neoteriker  noch 
empfindlicher:  Catull  hat  im  Epyllion  (408  Verse)  nur  mehr  ein  Bei- 
spiel: 315  opus  dens.  Vergil  hat  in  den  Bucol.  2  Schlüsse  dieser  Art, 
in  den  Georg.  6,  in  der  Aeneis  39^),  d.  h.  auf  100  Verse  0,4:  er  hält 
also  wieder  die  Mitte  zwischen  den  Extremen.  Die  Beispiele  sind  wahr- 
scheinlich sämtlich  entweder  Zitate  aus  archaischer  Poesie  oder  dienen 
malerischen  Zwecken:  s.  oben  unter  2  und  3. 


1)  Daß  aus  Übereinstimmung  von  Lucrez  mit  Cicero  auf  Ennius  zu  schließen 
ist,  ist  0.  S.  364  bemerkt  worden,  an  der  zweiten  Stelle  des  Lucrez  ist  auch 
der  Gedanke  ennianisch  (a.  462  f.). 

2)  Nicht  mitgezählt  ist  a.  IX  260  fidesque  est  (Aphaeresis). 


X. 

Irrationale  Längungen  (zu  VI  234). 

Die  bei  Ennius  und  Vergil^)  häufige  Erscheinung,  daß  eine  kon- 
sonantisch auslautende  kurze  Silbe  vor  Vokal  und  (seltener)^)  eine 
vokalisch  auslautende  Silbe  vor  einfacher  Konsonanz  oder  muta  -|-  liquida 
gelängt  wird,  ist  oft  behandelt,  z,  B.  von  Ph.  Wagner,  Quaest.  Virgil.  XII 
(im  Anhang  von  Heynes  Ausgabe  TV^  422  flf.),  am  besten  von  H.  Nettle- 
ship  im  Anhang  von  Coningtons  Ausgabe  III^  (London  1884)  486  ff. 
Doch  muß  die  ganze  Frage  in  engste  Beziehung  zur  Technik  des  epischen 
Verses  der  Griechen  gesetzt  werden,  über  die  nach  W.  v.  Hartel,  Homer. 
Studien  I^  Berlin  1873  eingehend  von  A.  Rzach  in  den  Sitzungsber.  d. 
Wiener  Akad.  C  (1882)  346ff.  gehandelt  worden  ist.  Bei  Homer  (und 
Hesiod)  werden  drei  Fälle  unterschieden.  1)  Als  Längen  erscheinen 
solche  Vokale,  die  erst  später  gekürzt  wurden;  hier  handelt  es  sich  also 
nur  scheinbar,  vom  Standpunkt  der  späteren  Praxis,  um  eine  Irratio- 
nalität. Z.  B.  0  305  f)  ttÄtiölc  em  vfjac  'Axaiujv  (Arsis^  A  305  n\r]- 
6uv  ujc  (Thesis),  M  218  öpvic  nXGe,  £  503  bd|uäp  'AXeyTivopibao. 
2)  Längungen  durch  folgenden  Spiranten,  von  denen  das  Gleiche  gilt, 
z.  B.  i  360  u)C  qpdi',  didp  oi  346  ^xöjv  )ae\avoc  oTvoio  I  155  Seöv 
(juc  Ti|Lir|(T0UCJiv.  3)  Längungen  durch  die  Kraft  des  Versiktus  (meist  bei 
deutlicher  Caesur,  oft  unterstützt  durch  Interpunktion,  und  am  liebsten 
in  metrisch  nicht  sehr  bequemen  Worten),  z.  B.  A  153  beOpo  inaxeffCTÖ- 
inevoc,  £7161  Ti  298  töv  b'  am'  'AXkivooc  dTra)iieißeTO  H  416  IbaToc 
ö  be  Z  168  Kpußba  Aiöc  dWuuv;  A  491  oöie  ttot'  ec  Trö\e)nov,  dXXd 
B  24  Ol»  XP^  Travvuxiov  eubeiv;  6  287  fiinßpoxec  oub'  exuxec,  didp 
r  40  aiö'öqpeXec  dtovoc;  B  228  TrpiuTiaTUJ  bibo^ev,  euxe  0  283  eicTax' 
T^ev  ec  Afijuvov.  Bei  Ennius  kommen  von  diesen  drei  Gruppen  die 
erste  imd  die  dritte  in  Betracht,  und  zwar  die  erste  in  Fällen  wie 
ann.  117  o  pater  o  gcnitor,  o  sanguen  dis  oriv/ndum  520  clämör  in; 
83  solus  avem  servat,  at  314  rumor  es  ponebät  ante;  die  dritte,  aus  Nach- 

1)  Horaz  hat  in  den  Satiren  8  Beispiele  (aber  keines  mehr  in  den  Episteln), 
vergl.  Kießling*  p.  XIX;  daraus  ist  vermutungsweise  zu  schließen,  daß  Lucilius 
die  ennianische  Praxis  übernahm,  um  so  mehr  als  eins  dieser  Beispiele  an 
einer  dem  Lucilius  nachgebildeten  Stelle  sich  findet  (11  2,  57). 

2)  Dieser  Fall  ist  für  Ennius  direkt  allerdings  nicht  überliefert;  da  er  sich 
aber  in  eüiem  Fragment  der  Aimalen  des  Accius  findet  (bei  Festus  146  =  2  FPR 
Baehrens):  Colones  famulique  metallique  caculaeqm,  so  dürfen  wir  daraus  ver- 
mutungsweise auf  den  Vorgang  des  Ennius  schließen:  vergl.  Serv.  zu  aen. 
IV  404  it  nigrum  campis  agmenj  hemistichium  Ennü  de  elephantis  dictum,  qtiod 
ante  (sc.   Vergilium)  Accius  est  tmis  de  Indis,  und  den  Kommentar  zu  743. 


440  ANHANG  X. 

ahmung  Homers  zu  erklären,  in  Fällen  wie  ann.  34  iamque  cxspedabat 
populus,  atque  und  wahrsclieinlicli  auch  286  iamque  fere  pulvis  ad  (wenn 
pulvis  nicht  vielmehr  eine  Analogiebildung  nach  sanguls  ist).  Vergil 
muß  taxiert  werden  wie  die  jüngeren  griechischen  Epiker.  Diese 
hatten  weder  Bewußtsein  einer  ursprünglichen  Länge,  noch  eines  ver- 
lorenen Spiranten,  also  sind  bei  ihnen  Beispiele  der  ersten  und  zweiten 
Gruppe  nur  mehr  als  formelhafte  Reminiszenzen  aufzufassen.  Diese 
Reminiszenzen  können  sein  a)  genaue,  insofern  die  Längung  dasselbe 
Wort  triflPt  wie  in  dem  homerischen  Vorbild,  z.  B.  Arat  387  ixöuc  eic 
nach  et)  127  ixö'JC  8c,  Antimachos,  Theb.  fr.  XIX  cpepeiv  )iie\avoc  oivoio 
nach  i  346  exuuv  |ueXavoc  oivoio,  oder  b)  partielle,  insofern  die  Längung 
auf  analoge  Worte  übertragen  wird,  z.  B.  Kallimachos  h.  4,  263  ßaöuc 
MvuJTTÖc  nach  N  705  ttoXuc  dvaKTiKiei,  h.  4,  238  dqpvibiov  eiroc  emr] 
nach  K  461  eux6)uevoc  cttoc  r|uba.  Mithin  fallen  für  diese  jüngeren  Epiker 
die  erste  und  die  zweite  Gruppe  mit  der  dritten  zusammen,  die  als  die 
einzige  bestehen  bleibt.  Analog  verhält  es  sich  bei  Vergil.  Wenn  er 
z.  B.  sagt  g.  III  118  aequus  uterque  Idbor,  aeque  a.  XI  323  considant,  si 
tantus  amor,  et  oder  V  853  nusquam  amittebat^  oculosque  XII  772  Mc 
Jiasta  Äeneae  stabat,  huc,  so  sind  das  für  ihn  keine  Längen  mehr  wie 
noch  für  Ennius,  sondern  für  ihn  fällt  die  erste  und  dritte  Gruppe,  die 
Ennius  noch  mit  Bewußtsein  zu  scheiden  vermochte,  in  die  dritte  zu- 
sammen. In  der  Anwendung  dieser  Freiheit  geht  er  viel  weiter  als 
Ennius,  genau  so  wie  die  jüngeren  griechischen  Epiker  sich  nicht  scheuten, 
über  Homer  hinauszugehen;  also  schreibt  er  nicht  bloß  z.  B.  I  478  pul- 
vis inscribiiur  wie  Ennius  1.  c.  pulvis  ad  caelum,  sondern  auch  XII  68 
si  quis  ebur,  aut  V  284  olU  serva  datur  operum  III  112  Idaeumque 
nemus  Mc  IV  64  peetoribus  inhians.  Und  zwar  hat  er  in  Versen  mit 
dieser  Lizenz  sicher  griechische  Technik  gesehen.  Das  beweist  1)  die 
Praxis  schon  des  Ennius,  der,  wie  bemerkt,  die  Berechtigung  für  die 
Beispiele  der  dritten  Gruppe  aus  Homer  ableitete,  2)  die  Praxis  CatuUs, 
der  nur  in  Versschlüssen  nach  griechischer  Technik  (s.  o.  S.  42  7  f.)  längt, 
z.  B.  64,  20  despexit  Jiymenaeos  66,  11  aucius  hymenaeo,  3)  einzelne 
Fälle  der  Praxis  Vergils  selbst,  nämlich  a)  wie  Catull  in  der  fünften 
Arsis  eines  Versschlusses  nach  griechischer  Technik,  und  zwar  a)  in 
griechischen  Worten,  z.  B.  b.  6,  53  fultus  Jiyacintho  a.  VII  398  canit 
hymenaeos,  ß)  übertragen  auf  ein  lateinisches  Wort:  g.  II  5  gravidus 
autumno;  b)  in  der  vierten  Arsis  eines  solchen  Versschlusses  nur  an 
einer  wahrscheinlich  späten  Stelle:  a.  HI  464  dona  dehi/nc  auro  gravia 
sectoque  elephanto;  c)  in  Versschlüssen  mit  -que  -que,  die  vermutlich  schon 
Ennius  einführte  (vergl.  den  Kommentar  zu  VI  33)  nach  xe  —  re  (B  495 
'ApKCdiXaöc  xe  TTpoGorivujp  re  KXövioc  xe),  und  zwar  a)  in  griechischen 
Worten  vor  muta  c.  liquida,  z.  B.  a.  IX  767  Noemonaque  Prytanimque 
IV  146  Cretesque  Dryopesque,  sowie  vor  einfacher  Konsananz  nur  in  dem 
späten  Buch  XII  363  Chlor eaque  Sybarimque,  ß)  übertragen  auf  latei- 
nische Worte  vor  muta  c.  liquida,  z.  B.  b.  4,  51  terrasque  tradusque 
g.  I  352  actusque  pluviasque  a.  VII  186  spiculaque  dipeique,  sowie  vor 
einfacher  Konsonanz  nur  an  einer  wahrscheinlich  späten  Stelle  a.  HI  91 
liminaque  laurusque;  d)  a)  in  einem  Vers  mit  homerischer  |Ui)Liricric 
a.  V  337   emicat  Euryalus  et  nach   0  140  xöv  b'aux'  €up\jaXoc  arra- 


IRRATIONALE  LÄNGUNGEN.  441 

liCißCTO,    ß)  übertragen  auf  ein  lateinisches  Wort,   aber  in  griecMschem 
Zusammenhang:  a.  III  112  Idaeumque  nemus  hinc;  e)  in  dem  Vers 

VI  234  pingue  super  oleum  fundens  ardentibus  extis, 
wo  super  nach  dem  Muster  des  von"  Vergil  vermutlich  als  irrationale 
Länge  aufgefaßten  homerischen  iiTreip  (in  der  Verbindung  uireip  ä\a) 
stehen  wird,  zumal  auch  die  Tmesis  super  —  fundens  griechisches  Kolorit 
hat.  —  Je  mehr  sich  nach  Vergil  der  lateinische  Hexameter  von  dem 
griechischen  und  dem  nach  homerischem  Muster  geformten  ennianischen 
emanzipierte,  um  so  mehr  trat  die  Lizenz  zurück,  um  schließlich  ganz  zu 
verschwinden.  Schon  Ovid  hat  sie  nicht  bloß  quantitativ,  sondern  auch 
qualitativ  sekr  eingeschränkt,  insofern  er  sie  mit  einer  Ausnahme  in  dem 
letzten,  wahrscheinlich  am  wenigsten  durchkorrigierten  Buch  der  Meta- 
morphosen (XV  217  spesque  honiinum  primae  matris  habitavimus  cUvo) 
auf  die  Penthemimeres  vor  et  und  aut  beschränkt,  vergl.  Haupt-Ehwald 
zu  mi84.  XV  217.1) 


1)  Zu  dem  Vers  aen.  V  467  'cede  deo'.  —  dixitque  et  proelia  voce  diremit 
bemerkt  Servius  richtig:  vacat  'que''  metri  causa,  et  maluit  perissologiam  facere 
quam  uti  communi  syllaba,  quae  frequens  vitiosa  est:  unde  et  Terentianus 
(v.  1010)  'nee  tanta  in  metris  venia  eonceditur  uti' :  Crtaeci  enim  his  utunttM" 
frequenter. 


XI. 
Bemerkenswerte  Synaloephen  in  VI. 

Neben  Caesuren,  über  die  oben  S.  415  ff.  einiges  ausgeführt  ist,  sind 
die  Synaloephen  wichtige  Merksteine  in  der  Geschichte  des  lateinischen 
Hexameters.  Da  mir  die  Berücksichtigimg  auch  solcher  Kleinigkeiten 
für  die  Vollständigkeit  der  Interpretation  eines  Dichters,  der  auf  die 
Form  so  großes  Gewicht  legte  wie  Vergil,  nötig  erschien,  so  habe  ich 
seine  Praxis  dm-ch  eine  Sammlung  der  bei  ihm  vorkommenden  Synaloephen 
festgestellt;^)  denn  nur  an  der  Regel  sind  die  Ausnahmen  zu  messen, 
und  nur  die  letzteren  haben  für  uns  Interesse;  für  besonders  bemerkens- 
werte Fälle  habe  ich  zum  Vergleich  auch  die  Epiker  vor  Vergil  geprüft. 
Es  ist  möglich  und  sogar  wahrscheinlich,  daß  ich  bei  der  gewaltigen 
Anzahl  von  Synaloephen  Vergils  und  der  Epiker  vor  ihm  einzelnes  über- 
sehen habe;  doch  werden  dadurch  die  folgenden  Aufstellungen  kaum 
wesentlich  berührt  worden  sein. 


1.   Die  Synaloephen  nach  ihrer  Stellung  im  Vers. 

1.  Erster  Fuß,  dritte  Silbe: 

852  haec  tibi  erunt  artes. 
Einziges  Beispiel  dieses  Buchs,  wo  das  in  Synaloephe  stehende  Wort 
dieses  Fußes  ein  zweisilbiges  ist  (sonst  nur  135  Tartara  et  240  tendere 
iter  516  Pergama  et  595  cernere  erat  755  pascere  equos  855  aspice  ut). 
Vergil  erlaubt  sich  das  meist  nur,  wie  hier,  bei  eng  verbundenen  Worten, 
nämlich  bei  neque  (6  mal),  age  (8  mal,  z.  B.  quin  age  et,  immo  age  et, 
vade  age  et  etc.),  quoque  (2  mal),  quidem  (b.  9,37  id  quideni  ago),  uhi 
(g.  II  353  Jioc  uhi  hiulca  IV  49  aut  uhi  odor),  tibi  (noch  g.  11  118. 
a.  V  483.  VIII  475);  ferner  a.  IV  539  et  bene  apud  memores  veteris  stat 
gratia  facti  (bene  —  facti).  Isoliert  stehen  in  späten  Büchern:  X  292 
sed  mare  inoffensum  XI  590  haec  cape  et.  Die  ungefällige  Synaloephe 
unseres  Verses  behält  aus  Vergil  Martial  XIV  21  bei  (Birt  bei  Friedländer 
I  36),  der  außerdem  nur  noch  curre  age  et  (VIII  67,  5)  hat,  also  bei 
dem  Wort,   bei  dem  auch  Vergil   die  Freiheit   sich   am   öftesten   nimmt. 

2.  Zweiter  Fuß,  dritte  Silbe: 

776  haec  tum  nomina  erunt,  nunc  swnt  sine  nomine  terrae. 


1)  Eine  trefFliche  Vorarbeit  für  die  Georgica:  Schaper,  Progr.  Insterburg 
1863  (p.  7)  und  Berlin  (Joachimsth.  Gynm.)  1873;  über  Synaloephe  von  -ae: 
Leo,  Plaut.  Forsch.  (Berlm  1895)  329  f. 


BEMERKENSWERTE  SYNALOEPHEN.  443 

Synaloephe  in  einem  daktylischen  Wort  dieses  Fußes  nur  noch 
X  514  ardens  limitem  agit  (militärischer  Ausdruck,  also  möglicherweise 
ennianisch).  Im  vorliegenden  Vers  ist  die  Seltenheit  durch  die  rhetorische 
Antithese  bedingt;  so  haben  auch  Kallimachos  und  Tibull  die  Strenge 
ihrer  Technik  gelegentlich  einer  rhetorischen  Figur  geopfert  (Kaibel, 
Commentat.  Mommsen.  327 f.,  W.  Meyer,  Sitzungsber.  d.  Münch.  Akad. 
1884,  1032). 

3.  Zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Fuß: 

II  575  praemetuens  Troiae  et  (zu  Seite  255). 
Synaloephe  eines  spondeischen  Worts  an  dieser  Stelle  ist  bei  Vergil 
nicht  häufig:  im  Durchschnitt  einmal  in  89  Versen.  Aber  in  der  inter- 
polierten Helena-Episode  des  11.  Buchs  findet  sie  sich  dreimal  in  15  Versen, 
nämlich  außer  in  dem  angeführten  noch  580  Iliadum  turhä  et,  587  ultrids 
flammae  et.  —  Hier  sei  gleichzeitig  noch  auf  folgendes  Kriterium  für 
die  Unechtheit  dieser  Episode  hingewiesen:  584  femineä  in  poenä  est. 
In  dieser  Versstelle  findet  sich  Enklisis  von  est  an  ä  außer  g.  I  83  nee 
nulla  interea  est  wohl  nur  hier  (dagegen  hat  Vergil  sie  an  ä  16  mal). 
Vergl.  unten  bei  2B  3. 

4.  Dritter  Fuß,  dritte  Silbe: 

707  ac  velut  in  pratis  ubi  apes  aestate  serena 
717  has  equidem  memorare  tibi  atque  ostendere  coram. 
Seltne^^ynaloephen  und  fast  nur  in  engen  Verbindungen,  nämlich: 
neque  lO'mal  (darunter  6  mal  neque  enim,  worüber  vergl.  unter  5) ;  b.  6,  6 
tibi  eriint  a.  VIII  84  tibi  enim;  X  467  breve  et;  g.  IV  270  gt-ave  olentia 
(darüber  unter  5);  nur  VHI  364  (aude  hospes)  contemnere  opes,  wohl 
entlehnt. 

5.  Vierter  Fuß,  dritte  Silbe: 

a)  52  Tros  ait  Äenea  cessas  neque  enim  ante  dehiscent 
201  inde  ubi  venere  ad  fauces  grave  olentis  Averni. 

Synaloephe  eines  zweisilbigen  Worts  an  dieser  Stelle  ist  überhaupt 
selten,  und  findet  sich  fast  nur  bei  eng  verbundenen  Worten,  nämlich: 
neque  ab  HI  447  quoque  et  g.  I  469  tibi  et  a.  H  605  mare  et  HI  290 
VII  25.  529;  videar  tibi  amarior  b.  7,  41  a.  VI  509  tibi  amice;  rape  in 
om/nia  tecum  H  675;  bene  olentis  anethi  b.  2,  48  (über  ita  s.  bei  b).  — 
Nur  in  dem  ersten  Beispiel  unseres  Buchs  folgt  auf  eine  elidierte  Silbe 
(in  neque)  ein  Wort  (enim),  das  auch  seinerseits  wieder  in  Synaloephe 
steht.  Das  ist  nur  möglich,  weil  neque  enim  fast  als  Einheit  gefaßt 
wird  (vergl.  das  o.  S.  129.  394  über  sed  mim  Bemerkte);  daher  läßt  auch 
Horaz  in  einem  Gedicht,  dessen  Hexameter  er  ohne  Synaloephe  baut 
(rV  7),  neque  enim  zu  (25)  und  ebenso  läßt  Lucan,  der  in  der  Synaloephe 
zweier  Kürzen  (außer  im  1.  Fuß)  sehr  zurückhaltend  ist,  neque  enim 
überall  zu  (E.  Trampe,  De  L.  arte  metr.,  Berlin  1884,  21),  und  analog 
Claudian  (Birts  Proleg.  CCXVI).  —  Ebenso  wurden,  wie  im  Kommentar 
bemerkt  ist,  grave  olens  und  bene  olens  als  Einheiten  gefühlt;  vergl.  das 
soeben  unter  4  Bemerkte. 

b)  836  nie  triumphata  Capitolia  ad  alta  Corintho. 
Synaloephe  eines  auf  -ä  auslautenden  Wortes   im   vierten  Daktylus 

findet   sich   nur   noch    a.  11  550  altaria  ad   ipsa    VH  347  praecordia  ad 
intuma   X  459   magnumque  ita  ad  aetJiera  fatur   XI  556  librans  ita  ad 


444  ANHANG  XI. 

aethera  fatur,   VII  113  penuria  adegit  edendi,  also  stets  vor  ad  und  in 
Verbindungen,  die  großenteils  archaisches  Kolorit  haben.  ^) 

6.  Zwischen  dem  vierten  und  fünften  Fuß: 
622  imposuit  fixit  leg  es  pretio  atque  refixit 

Die  durch  Macrobius  bezeugte  Herübemahme  des  Verses  aus  Varius 
findet  auch  in  der  irregulären  Synaloephe  der  Länge  eines  anapästischen 
Worts  vor  der  fünften  Arsis  ihren  Ausdruck.  Vergil  hat  sie  in  buc. 
und  georg.  gar  nicht,  in  der  Aeneis  nur  noch  an  drei,  wahrscheinlich 
ebenfalls  älterer  Poesie  entlehnten  Stellen:  II  658  pairio  excidit  ore  (wohl 
ennianisch:  s.  den  Kommentar  zu  686),  IV  420  miserae  hoc  tarnen  unum 
(wo  sich  die  ungewöhnliche  Synaloephe  mit  irregulärer  Büdung  des  Vers- 
schlusses [s,  0.  S.  436f.]  verbindet,  Entlehnung  also  um  so  wahrscheinlicher 
ist),  VIII  96  secant  placido  aequore  Silvas  (aequore  an  gleicher  Stelle 
Ennius  a.  602,  s.  zu  729;  placidum  Epitheton  von  mare  derselbe  377; 
über  secare  s.  z.  899).  Vor  Vergil  ist  die  ungefällige  Synaloephe  über- 
liefert: bei  Lucilius  5  mal  (51.  288.  295.  392.  900),  Lucrez  5  mal  (I  180. 
813.  ni499.  IV  483),  Cicero  2  mal  (Arat.  fr.  X  1  Baehr.,  311),  Catull 
Imal  (81,  1),  Dirae  [d.  h.  nach  den  Bucolica  und  vor  den  Georgica] 
2  mal  (4.  5). 

7.  Fünfter  Fuß,  zweite  Silbe: 

11  antrum  immane  petitj  magnam  cul  mentem  animumque. 
Die  Synaloephe  von  Vocal  -|-  m  an  dieser  Versstelle  ist  für  Vergil 
singulär.  Er  elidiert  an  dieser  Stelle  überhaupt  nur  ungern,  und  zwar 
sonst  nur  -e  (20 mal;  so  VI  445  maestamque  Eriphylen)  und  einmal 
sehr  auffällig  -ö;  g.  I  63  ergo  age  terrae  (durch  engen  Zusammenschluß 
der  Worte  gemildert).  Daß  die  Phrase  mentem  animumque  aus  älterer 
Poesie  von  Vergil  herübergenommen  wurde,  ist  im  Kommentar  bewiesen 
worden. 

8.  Fünfter  Fuß,  dritte  Silbe  :2) 

115  quin  ut  te  supplex  peterem  et  tua  limina  adirem 
64  dique  deaeque  omnes  quibus  obstitit  Ilium  et  ingens. 
Während  Vergil  -e  an  dieser  Stelle  oft  elidiert  (99  mal),  ist  er  mit  der 
Elision  von  -ä  zurückhaltend:  in  den  Buc.  Imal^),  Georg.  Imal,*)  Aen. 
15  — 17mal  (IV  322.  645.  V  428.  804.  846.  VI  115.  534.  IX  131.  601. 
737.  782.  X  161.  424.  460.  XI  154;  kritisch  nicht  ganz  sicher  VII  570. 
XII  741).  Eine  besondere  Bewandtnis  hat  es  mit  der  Synaloephe  von 
-um.  Aji  dieser  Versstelle  findet  sie  sich  in  Uium  et  noch  zweimal  (a. 
II  325.  III  109),  sonst  nur  I  599  omnium  egenos,  d.  h.  in  einer  enni- 
anischen  Floskel  (s.  o.  S.  365).  Im  ersten  Fuß  Uium  et  II  625.  III  3, 
Ilium  in  I  68;  ein  daktylisches  Wort  auf  -um  nur  noch  a.  11  667  alterum 


1)  Der  letzte  der  angeführten  Verse  VII  113  exiguam  in  Cererem  penuria 
adegit  edendi  ist  auch  in  seiner  Struktur  ungewöhnlich:  zwei  weibliche  Neben- 
caesuren  mit  Synaloephe  im  vierten  Fuß  nach  Cavallin  1.  c.  (zu  140)  26  nur 
noch  n  102  quidve  moror,  si  omnis  uno  ordine  Jiabetis  Achivi  VIII  656  porti- 
cibus  Gallos  in  limine  adesse  canebat. 

2)  Vergl    G.  Eskuche,  Rh.  M.  XLV  (1890)  249  f.  402. 

3)  b.  7,  14  Phyllida  habebam,  wo  er  in  dem  griechischen  Namen  Syna- 
loephe nach  griechischer  Art  zuließ,  wie  aen.  X  424  Imaona  Halaesus. 

4)  g.  in  486  saepe  in  Jionore  deum  medio  statis  hostia  ad  aram,  also  in 
sakralem  Zusammenhang,  der  meist  auf  ältere  Poesie  weist. 


BEMERKENSWERTE  SYNALOEPHEN.  445 

in  aUerius  .  .  .  sanguine,  also  wieder  einer  Figur  zuliebe.  Im  vierten 
Fuß  Ilium  et  11  241.  V  756;  sonst  kein  Wort  auf  -um  (überhaupt  nur 
noch  fünf  daktylische  Worte  in  buc.  und  aen.,  sämtliche  auf  -e).  Also 
erlaubt  er  sich  bei  Ilium  Synaloephen,  die  er  sonst  so  gut  wie  völlig 
meidet.  Hieraus  darf  in  Verbindung  mit  dem  über  neutrales  Ilium  im 
Komm,  zu  64  Bemerkten  geschlossen  werden,  daß  er  die  Freiheit  auf 
Grund  archaischer  Poesie  zuließ,  welche  die  Finessen  der  Synaloephen 
noch  nicht  kannte. 

9.  Zwischen  fünftem  und  sechstem  Fuß: 

725  lucentemque  globum  lAmae  Titaniaque  astra. 
Unbeliebte  Synaloephe.'^)  Sehen  wir  von  neque  ab  (s.  u.),  so  finden  sich 
an  dieser  SteUe  elidiert:  que  14mal  (g.  III  105.  349.  484.  a.  I  177.  569. 
m  111.  V  82.  137.  817.  VI  725.  VII  648.  696.  VHI  249.  IX  579, 
darunter  sechsmal  mit  Eigennamen  wie  in  unserm  Vers);  sine  ullis 
g.  ni  274.  342,  sine  idu  a.  II  544,  ibi  omnis  g.  IV  491,  a.  IX  351  ibi 
ignem,  I  99  nbi  ingens;  singulär:  a.  m  111  intremere  omnem,  X  508  eadem 
aufert,  XII  26  animo  Jiauri  (alle  drei  mit  archaischem  Kolorit). 

Neque  vor  Vokalen  ist  an  dieser  VerssteUe  in  allen  Hss.  über- 
liefert: vor  a:  g.  I  347,  vor  i:  g.  I  95.  H  138.  293.  420.  498.  IH  239. 
IV  37.  398.  500.  a.  X  32.  757,  in  den  besseren:  vor  a:  b.  5,  25  {neque 
amnem  P^E,  nee  P^),  vor  i:  a.  11  491  (neque  ipsi  M,  nee  PV)  IX  129 
(neque  ignes  FMP,  nee  R),  vor  h:  g.  DI  216  (neque  Jierbae  MR,  nee  APY 
Vor  au  herrscht  Schwanken:  a.  VI  733  (neque  auras  FMP,  nee  R), 
XI  228  (neque  aurum  MP,  nee  R),  IX  428  (nee  ausus  MP,  neque  R), 
aber  XI  801  alle  (MPR)  nee  aurae.  Dagegen  ist  vor  u  besser  über- 
liefert nee,  nämlich  einstimmig:  a.  D  432  (MP)  467  (FMP)  XH  207 
(MPR),  besser  IV  529  (nee  umquam  M^P^  gegen  nequ^  M^P^)  VI  869  (nee 
ultra  MR  gegen  neque  FP),  nur  g.  DI  352  ist  das  Verhältnis  umgekehrt 
(nee  ullac  R  gegen  neque  MPV).  Hiernach  ist  wahrscheinlich,  daß  wir 
in  unserm  Buch  869  nee  ultra  nicht  bloß  (was  selbstverständlich)  zu 
sprechen,  sondern  auch  (mit  Heinsius)  zu  schreiben  haben.  Vergl.  auch 
Wagner,  Quaest.  Virg.  (in  Heynes  Verg.)  p.  531,  Eskuche  1.  c.  237  und 
denselben  in  Friedländers  luvenal  p.  59. 

2.    Besondere  Arten  von  Sjmaloeplien. 

A.  Einsilbige  Worte: 

629  sed  iam  age 
900  timi  se  ad 

38  num:  grege  de  intacto 
365  eripe  me  Jiis 
385  navita  quos  iam  inde  ut 
770  egregius  si  umquam 
389  fare  age  quid  venias  iam  istinc 
262  tantum  e ff  ata  furens  antro  se  immisit 
466  quem  fugio  extrmium  fato  quod  te  adloquor. 


1)  Vergl.  Eskuche  1.  c.  385  f.  409. 


446 


ANHANG  IX. 


Synaloephe  von  Monosyllaba  ist  überhaupt  unbeliebt  (etwa  mit  Aus- 
nahme von  me,  te,  se).  Die  Praxis  Vergils  und  der  hexametrisch-penta- 
metrischen  Poesie  vor  ihm^)  ist  aus  folgenden  Tabellen  zu  ersehen.^) 


a) 

Art  der  M 

onosyll 

iba  in  Syna 

loe 

phe 

o 
o 

Vei 

1 

•gil 

1     3 

m 

d 

in 

o 

0 

o 
u 

O 
O 

U 
O 

'S 

cä 
O 

Q 
cä" 

«f-l 

H 

-TS 

ora 

z 

•iH 

Fragmente 

me 

6 

1 

28 

13 

1 

2 

8 

5 

6 

U 

2 

20 

1 

5 

2 

4 

5 

16 

3 

se 

6 

25 

8 

3 

12 

7 

5 

Lutat.  Cat.  1 

tu 

3 

1 

3 

5 

3 

5 

2 

mi 

1 

1 

2 

6 

Val.  Aedit.  1,  2 
Baehr. 

si 

3 

1 

7 

3 

6 

15 

2 

9 

tarn 

2 

4 

sum 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

2 

tarn 

1 

3 

18 

1 

2 

4 

1 

Cinna  p.  3,  3 
Baehr. 

cum  (conj.) 

5 

5 

10 

16 

6 

7 

cum  (praep.) 

1 

3 

2 

1 

2 

tum 

1 

2 

1 

1 

3 

3 

dum 

1 

1 

1 

1 

5 

4 

qui 

1 

3 

2 

3 

8 

4 

3 

1 

quae 

2 

2 

1 

1 

8 

1 

1 

Tullius  Laurea 
p.  316, 6  Baehr. 

quem 

2 

3 

1 

quam  (pron.) 

1 

1 

quo 

1 

1 

1 

nam 

1 

2 

4 

num 

1 

3 

quam  (adv.) 

1 

3 

ne 

2 

2 

3 

3 

Lutat.  Cat.  3 

ni 

1 

Varro  sat.  127 

de 

1 

rem 

4 

3 

re 

1 

1 

1 

vim 

1 

vi 

1 

di 

1 

b)  Zahl  der  Monosyllaba  in  Synaloephe  im  Durchschnitt 
auf  100  Verse. 


Vergil  buc. 

2,7 

Lucilius^) 

7,4 

georg. 

0,  8 

Cicero^) 

1,1 

aen. 

1,3 

Lucrez 

1,1 

Ennius^) 

0,8 

Catull 

4,8 

1)  Horaz  ist  ganz  gezählt  worden. 

2)  Konjekturen  und  sonst  Unsicheres  sind  nicht  mitgezählt,  ebenso  nicht 
die  durch  Enklisis  verbundenen  Partikeln  wie  quodsi,  necdum  u.  ä. 

3)  ca.  500  Verse.  4)  ca.  1000  Verse.  6)  ca.  750  Verse. 


BEMERKENSWERTE  SYNALOEPHEN.  447 

Dirae,  Lydia  0  Horaz  Sat.  3, 9 

Horaz  Od.,  Epod.  0  Epist.  0,  6. 

Also  ist  Vergils  Praxis  in  den  Georgica  am  strengsten,  in  den  Bucolica 
(wo  er  noch  stark  unter  Catulls  Einfluß  steht)  am  freisten,  während  er 
in  der  Aeneis  die  Mitte  zwischen  beiden  Extremen  hält,  ein  für  die 
Technik  der  drei  Gedichte  überhaupt  typisches  Verhältnis.  —  Nur  an 
einer  Stelle  der  Bucolica  hat  er  die  besonders  ungraziöse  Synaloephe 
des  Monosy Ilabon  am  Versanfang:  3,  48  (eins  der  frühsten  Gedichte) 
si  ad  vitulam  spectas:  dies  hat  Ennius  Imal  (198),  Lucilius  2mal  (236. 
256),  Lucrez  Imal  (IV  1204),  Cinna  Imal  (fr.  3,  3  Baehr.),  Catull  6 mal 
(64,  305.  350.  65,  22.  67,  30.  68,  14.  86,  6),^)  Horaz  9mal,  darunter 
7mal  im  ersten  Satirenbuch  (l,  52.  56.  2,  96.  3,  27.  120.  6,  27.  9,  6), 
2 mal  im  zweiten  (3,  61.  189).  —  Bemerkenswert  ist  grade  im  VI.  Buch 
der  Aeneis  38  grege  de  intado,  ganz  singulär,  denn  Lucilius  435  ac  de 
isto  und  Lucrez  m  853  de  Ulis  sind  kritisch  nicht  ganz  sicher,  wenn 
auch  wahrscheinlich;  wir  werden  dies  eher  als  Synizese  zu  bezeichnen 
haben  (vergl.  deinde),  die  Vergil  dann  möglicherweise,  wie  andere  Syni- 
zesen  (Komm,  zu  33),  nach  Ennius'  Vorgang  zugelassen  haben  könnte.  — 
Endlich  ist  bemerkenswert  VI  389  iam  istinc^  denn  iam  steht  bei  Vergil 

unter  22  Synaloephen   sonst  nie  vor  einem  "Wort   der  Form ;    daher 

ist  wahrscheinlich  Apokope  des  i  anzunehmen,  vergl.  den  Kommentar. 

B.  Einzelne  Vokale: 

1.  i  +  m: 

770  egregim  si  umquam. 
Seltene  Synaloephe  (vergl.  Lehrs,  Q.  Horatius  Elaccus,  Leipz.  1869,  p.  CG); 
nur  noch  b.  7,  27  si  ultra    8,  41  vidi  ut   a.  11  96  promisi  ultorem    V  264 
conixi  umeris   IX  683  Butuli  ut   XII  711  Uli  ut. 

2.  ä  +  ä: 

576  quinquaginta  atris. 
Synaloephe   von  ä  mit  naturlangem  ä  nur  noch  XI  866  dominä  amissa 
XII  236  patriä  amissa.     Über  den  malerischen  Charakter  unseres  Verses 
vergl.  den  Kommentar. 

3.  Vokal  nach  Diphthong  -\-  Vokal: 

714  Lethaei  ad  fluminis  u/ndam 
mit  Synnloephe  eines  langen  Vokals  nach  Diphthong  gegen  den  von 
Lachmaim  z.  Lucr.  162 f.  festgestellten  Brauch;  außerdem  noch  m  226 
harpyae  et  magnis  IV  179  Coeo  Enceladoque  IX  672  Idaeo  Alcanore, 
sowie  viermal  in  obliquen  Casus  von  Troia  (X  214  Troiae  et  campos 
V  626  Troiae  excidium  VTI  244  Troiä  ex  I  375  Troiä  antiqua,  letzteres 
mit  Catull  68,  99).  Sjmaloephe  eines  kurzen  Vokals  nach  Diphthong 
(Lachmann  1.  c.  163 f.)  hat  Vergil  nur  zweimal:  g.  IV  463  PoMgaea  et 
Bhesi  a.  IV  312  Troiä  antiqua  (mit  Aphaeresis  am  Versschluß  Troia  est 
n  703  IX  247,  an  ersterer  Stelle  in  den  Veroneser  Blättern  Troiast  ge- 


1)  Über  die  Praxis  Catulls  in  den  nichthexametrischen  Gedichten,  sowie 
die  des  Phaedrus  und  Seneca  (trag.)  s.  L.  Havet  in  seiner  Ausgabe  des  Phaedrus 
(Paris  1895)  194  f. 


448  ANHANG  XI. 

schrieben).  Charakteristisch  ist,  daß  beide  Arten  dieser  seltnen  Synaloephe 
in  der  interpolierten  Stelle  des  II.  Buchs  innerhalb  von  9  Versen  je  ein- 
mal vorkommen:  573   Troiae  et  patriae    581   Troia  arserit. 

4.    Lange  Vokale  oder  Diphthonge  vor  kurzen  Vokalen. 
145  ergo  alte  vestiga  oculis 
210  corripit  Aeneas  extemplo  avidusque 
344  hoc  uno  responso  animum 
384  ergo  iter 
848  credo  equidem. 

Daß  diese  Art  der  Synaloephe  unbeliebt  sei,  hat  M.  Haupt,  Observ. 
Grit.  16  ff.  (=  opusc.  I  88 ff.)  bemerkt  (vergl.  Lachmanns  Zustimmung:  zu 
Lucr.  I  1091),  F.  Lorey,  De  vocalibus  irrationaliter  enuntiandis  (Diss. 
Göttingen  1864)  77 ff.  genauer  ausgeführt  (unbrauchbar  L.  Müller,  De  re 
metr.^  343  f.),  aber  seine  Sammlung  ist  für  Vergil  nicht  ganz  vollständig 
und  die  Beurteilung  der  Fälle  oft  unrichtig.  In  der  Tat  ist  es  aber 
nicht  leicht,  die  überlieferten  Fälle  dieser  Synaloephe  zu  erklären,  bevor 
das  Material  für  die  gesamte  Poesie  vereinigt  und  gesichtet  ist;  dadurch 
wird  sich  dann  voraussichtlich  auch  meine  Beurteilung  in  Einzelheiten 
modifizieren.  Soviel  ich  bis  jetzt  sehe,  lassen  sich  die  aus  Vergil  über- 
lieferten Beispiele  in  vier  Gruppen  einteilen:  a)  Der  schließende  lange 
Vokal  des  ersten  Worts  ist  ein  -o,  dessen  Quantität  schon  in  der 
augusteischen  Zeit  schwankend  zu  werden  anfing;^)  b)  Die  beiden  Worte 
sind  durch  Enklisis  oder  Proklisis  nahe  verbunden;  c)  Der  Vokal  im 
Innern  des  zweiten  Woiies  ist  so  beschaffen,  daß  durch  seine  besondere 
Aussprache  die  Kürze  des  Anfangsvokals  dieses  Wortes  zu  einer  Länge 
wird;    d)  Ausnahmen. 

a) 

1.  buc.      3,  84  Polio  amat  I^)  aen.        V  380  ergo  alacris  I 

3,  88  Polio  amat  II  III  132  ergo  avidus  I 

3,  86  Polio  et  ipse  I  IX  661  ergo  avidum  1 

4,  12  Polio  et  incipient  I  VIII  382  ergo  eadem  I 

2.  aen.     I  391  nuntio  et  in  I  georg.      I    63  ergo  age  V 

XI  503  audeo  et  Äeneadum  I    aen.       II  707  ergo  age  I 
X  904  scio  acerba  IV  III  114  ergo  agite  I 

3.  aen.  VI  384  ergo  iter  1  V    58  ergo  agite  I 

Vn  467  ergo  iter  1  IX  107  ergo  aderat  I 

Vin    90  ergo  iter  I  georg.  IV     77  ergo  ubi  I 

georg.   ni  100  ergo  animos  III  aen.      III  238  ergo  ubi  I 

aen.       HI  250  ergo  animis  II  IV  474  ergo  ubi  I 

X  104  ergo  a/nimis  II  4.  aen.  IV  315  quando  aliud  I 

georg.   IV  139  ergo  apibus  I  IX  497  quando  aliter  I 

buc.          5,  58  ergo  alacris  I  VIII  602  aliqua/ndo  habuere  IV 
Hieraus   scheint   sich  zu  ergeben,   daß   der  Verwittenmgsprozeß  des 

-0   in  ergo    in    frühaugusteischer  Zeit    schon    weit   genug  vorgeschritten 


1)  P.  Maaß,  Arch.  f.  Lex.  XII  1902,  513.  1  hat  beobachtet,  daß  Vergil,  um 
die  ins  Schwanken  geratene  Quantität  des  -o  in  Verben  zu  verhüllen,  die  betr. 
Formen  gern  in  Synaloephe  oder  an  den  Versschluß  stellt. 

2)  Die  römischen  Ziffern  zeigen  den  betreffenden  Versfuß  an. 


BEMERKENSWERTE  SYNALOEPHEN. 


449 


b) 

1.  aen.     11  704  cedo  equidem  I 

Xn  818  cedo  equidem  TL 

3. 

buc. 

ni  315  vivo  equidem  I 

aen. 

IV    12  credo  equidem  I 

VI  848  credo  equidem  I 

IV  382  spero  equidem  1 

buc. 

georg.   I  193  vidi  equidem  11 

aen. 

buc.         9,  7  certe  equidem  I 

2.  aen.       I  753  immo  age  I 

4. 

aen. 

IV  569  heia  age  I 

Vn  429  quare  age  I 

5. 

aen. 

georg.  n    35  quare  agite  I 

aen.       I  627  quare  agite  1 

vn  130  quare  agite  I 

6. 

aen. 

war,  um  die  Sjmaloephe  mit  folg.  Kürze  für  Vergil  zu  gestatten;  denn 
wenngleich  einzelne  Beispiele  auch  unter  eine  der  Gruppen  b)  oder  c) 
fallen  können,  so  bleiben  doch  mehrere  übrig,  bei  denen  das  unmöglich 
ist  (ergo  iter,  ergo  apibus,  ergo  alacris,  ergo  aderat).  Dasselbe  gilt  auch 
für  quando,  denn  wenn  man  quando  aliud  auch  zu  Gruppe  c)  rechnen 
könnte  (quando  aljud),  so  geht  das  doch  weder  bei  quando  aliter  noch 
bei  aliquando  hdbuere. 

Vm  273  quare  agüe^)  I 

7,  41  immo  ego  I 

IX  257  immo  ego  1 

XI  160  contra  ego  I 

m  623  vidi  egomet  I 

2,  71  tu  aliquid  I 
n    81  fando  aliquod  I 
XI  256  mitto  ea  I 
IX    98  immo  ubi  I 
XI  459  immo  ait  I 
IV    96  me  adeo  I 
XI  369  si  adeo  H 
xn  548  totae  adeo  I 
xn  839  supra  homines  I 
Im  letzten  Beispiel   hat   das  Streben  nach  Parallelismus  die  Lizenz 
hervorgerufen:   supra   homines,   supra   ire   deos  pietate   videbis.   —   Die 
enklitische  Natur  von  ego  war  so  stark,  daß  unter  den  zwei  Beispielen, 
die  Tibull   für   diese  Art   der  Synaloephe   hat  (Haupt  1.  c.  21  bezw.  94), 
das  eine  ist:  vidi  ego  (I  2,  89).   —  In  mitto  ea  ist  die  Synaloephe  viel- 
leicht   nicht    auf   die    enklitische   Natur  des   Pronomens   zurückzuführen, 
sondern   mitt(o)   als  Vorläufer  von  Properz'   findo  aufzufassen,   wie   oben 
in   Gruppe  a)  Polli(o)  und   erg(o)  Vorläufer  von  Horaz'  PoUid  und  ergo 
sind.    —    Dasselbe    gilt   möglicherweise    von    fando   aliquod,    denn   Ovid 
(m.  XV  497)    hat    fand(o)    aliquem,    was    Haupt    (1.  c.  23  bezw.  96^    als 
Übergangsstadium  zu  fando  auffaßt. 

c) 

1.  aen.     n  333  ferri  acies  m 

vn  796  Sarranae  acies  H 
X  361  Troianae  acies  TD. 

691  Tyrrhenae  acies  m 
XI  632  inter  se  acies  JH 

862  laevä  aciem  I 
xn  227  sese  acies  JH. 
548  conversae  acies 
875  linquo  a^ies  H 

2.  georg.  in  398  multi  etiam  I 
aen,      II  420  Uli  etiam  I 

3.  georg.  IV  516  uUi  animum  in 


aen. 


m 


II    73  conversi  a/nimi  TU. 
451  instaurati  animi  U 
741  respexi  anim/umquelY 

IV    54  impenso  animum  HL 

VI  344  response  animum  HL 
Vni  4  turbati  animi  TU 

IX  127  uUro  animos  I 
498  concussi  animi  HL 

XI  291  ambo  animis  I 
300  placati  animi  m 
438  ibo  animis  I 
451  turbati  animi  TU 


1)  Vergl.  über  die  formelhafte  Verbindung  quare  age   (agite)  die  einzige, 
in  der  Vergil  das  vulgäre  quare  braucht,  M.  Haupt,  op.  I  85. 


Vbrgil  Buch  vi,  von  Xorden. 


29 


450  ANHANG  XI. 

Xn  439  te  animo  II  657  te  oculos  I 

4.  aen.  VI  145  vestiga  oculis  III        5.  aen.  II  708  suhibo  unieris  II 
XII      3  signari  oculis  TL  V  264  conixi  umeris  HL 

638  vidi  oculos  I  6.  aen.  VI  210  extemplo  avidusquelY. 

Daß  acies  mit  Verdickung  des  i  zweisilbig  zu  sprechen  sei,  hat  schon 
Wagner  zu  X  179  bemerkt;  dasselbe  gilt  von  etiam,  mit  dem  Tibull  die 
zweite  seiner  Synaloephen  dieser  Art  zugelassen  hat:  II  1,  41  Uli  etiam. 
Durch  Synkope  ('Schnellsprechformen',  vergl.  Osthoflf,  Arch.  f.  lat.  Lex. 
1884,  464)  erledigen  sich  die  Formen  von  oculus  (peius  CIL  X7756, 
vergl.  app.  Probi  GL.  IV  198  =' Archiv  f.  Lex.  XI  1900,  318);  umerus: 
vergl.  uj)iiöc  aus  uijacTÖc,  umbr.  onse  =  in  umero  (so  hat  Vergil  a.  II  379 
aspris)  und  avidus:  vergl.  audeo  (Skutsch,  Forsch,  z.  lat.  Gramm,  u. 
Metrik  I  44).  Auffällig  sind  die  16  Formen  von  animus;  dieses  Wort 
(nebst  anima,  animalia)  steht  auch  bei  Lucrez  nach  Lorey  1.  c.  21  mal 
in  solcher  Synaloephe  und  wird  ebenfalls  als  'Schnellsprechform'  auf- 
zufassen sein,  als  welche  es  in  die  romanischen  Sprachen  überging  (prov. 
anma,  afr.  cmme).  Wenn  Lucan  nach  E.  Trampe,  De  L.  arte  metr. 
(Diss.  Berlin  1884)  20  kurzen  Vokal  +  m  vor  einer  Kürze  im  zweiten 
Fuß  nur  mit  folg.  Synaloephen  hat:  luctantem  animam,  effugientem  a., 
festinantem  a.,  descendentem  a.,  infcUcem  a.,  so  wird  das  also  ebenfalls 
aus  der  besonderen  Aussprache  dieses  Wortes  zu  erklären  sein.  Die 
Gebräuchlichkeit  solcher  synkopierten  Formen  in  der  urbanen  Rede 
augusteischer .  Zeit  ist  durch  die  bekannte  Tradition,  daß  Augustus  calidus 
statt  caldus  zu  sprechen  für  affektiert  hielt  (Quintil.  I  6,  19),  gut  genug 
bezeugt,  um  ihre  Spuren  in  der  Metrik  anerkennen  zu  dürfen  (vergl. 
puertia,  surpite  u.  dergl.  bei  Horaz). 

d) 

1.  georg.  IV  471  commotae  Erebi  IH  II  182  improvisi  aderu/ntll 
aen.        I  650  Argivae  Helenaelll        III  452  inconsulii  abeunt  III 

n  193  ultro  Äsiam  I  IX  367  praemissi  equites  III 

501  vidi  Hecubam  1  X  692  u/ni  odiis  I 

Vn  675  Centaurillomolenin.  XI  6 SO  pugnatori  operit  H 

X  704  genitori  Ämyco  III  I  332  ignari  Jiominumque  IV 

xn  299  venienti  Ebuso  III  455  inier  se  operumque  IV 

2.  georg.  in    62  feturae  habilis  HI  VII  361  primo  aquilone  IV 
aen.      IX  365  Messapi  habilem  ni 

Die  unter  1  aufgezählten  Fälle  scheinen  durch  die  Eigennamen  von 
der  Strenge  der  Regel  eximiert  zu  sein;  für  die  unter  2  vermag  ich 
keinen  bestimmten  Grund  anzugeben,  doch  könnten  sich  einzelne  durch 
Synizese  oder  als  Schnellsprechformen  erklären  lassen,  wie  Lorey  1.  c.  will.') 

5,    Synaloephe  mit  betontem  Vokal. 

Lachmann  (zu  Lucr.  p.  196)  hat  bekanntlich  festgestellt,  daß  iambische 
Worte  keine  Synaloephe  mit  betontem  Vokal  zulassen.  Daß  diese  Regel 
zu  eng  gefaßt  ist,  insofern  als  auch  pyrrhichische  Worte  diese  Synaloephe 


1)  Das  letzte  Beispiel  primo  aquilone  erklärt  sich  vielleicht  aus  der  engen 
"Verbindung,  vergl.  schon  Haupt  op.  1.  c.  89  'habet  (Lucretius)  eam  (elisionem) 
in  vocabulis  arte  inter  se  cohaerentibus:  aequo  animo,  longe  alio,  longe  alias, 
magno  opere.^ 


BEMERKENSWERTE  SYNALOEPHEN.  451 

nicht  dulden,  hat  L.  Havet  in  seiner  Phaedrusausgabe  (Paris  1895)  166  ff", 
bemerkt.  Seine  unerhört  scharfe  Polemik  gegen  Lachmann  ist  aber  um 
so  weniger  berechtigt,  weil  auch  er  seinerseits  irrt,  wenn  er  das  Gesetz 
auf  iambische  und  pyrrhichische  Worte  beschränkt  glaubt,  und  weü  die 
iambischen  Worte,  wie  die  folgenden  Listen  zeigen  werden,  wenn  auch 
nicht  qualitiv,  so  doch  bei  ihrem  seltenen  Vorkommen  quantitativ  eine 
Sonderstellung  neben  anderen  zweisilbigen  einnehmen.  Eine  Prüfung 
der  Frage  für  die  hexametrische  Poesie  bis  Vergil^),  ergab  mir,  daß  die 
Form  des  Wortes,  das  mit  einem  folgenden  durch  Synaloephe  verbunden 
ist,  für  diese  Art  der  Synaloephe  von  keinem  Einfluß  ist,  daß  die  Kegel 
vielmehr  so  zu  lauten  hat:  „Synaloephe  mit  einem  in  der  zweiten, 
dritten  oder  vierten  Vershebung  stehenden  Vokal  wird  im 
Hexameter  möglichst  gemieden,  wenn  dieser  Vokal  tontragend 
ist,  dagegen  zugelassen,  wenn  dieser  Vokal  entweder  nur  ge- 
ring betont  oder  überhaupt  nicht  betont  ist."  In  den  folgenden 
Listen  sind  daktylische  und  spondeische  Wörter  des  zweiten  und  dritten 
Fußes  nur  in  den  Anmerkungen  berücksichtigt  worden,  da  sie  im  klassischen 
Hexameter  durch  die  Caesurengesetze  überhaupt  ausgeschlossen  sind,  ihr 
Nichtvorkommen  also  für  unsere  Frage  nichts  beweisen  würde;  im  vierten 
Fuße  dagegen,  wo  sie  auch  der  klassische  Hexameter  duldete,  sind  sie 
im  Text  berücksichtigt  worden.  Es  gehen  jedesmal  voran  die  vergilischen 
Beispiele;  auf  sie  folgen  diejenigen  der  Dichter  bis  auf  Vergil.  Unter 
«)  sind  die  einsilbigen  (proklitischen)  Worte  verzeichnet,  unter  ß)  die 
dreisilbigen,  die  auf  der  zweiten  Silbe  den  Ton  tragen,  unter  y)  die  vier- 
und  mehrsilbigen,  die  auf  der  Antepaenultima  den  Ton  tragen,  unter  (f) 
die  zweisilbigen,  die  zwar  auf  der  ersten  Silbe  betont,  aber  durch  Enklisis 
mit  dem  vorhergehenden  oder  Proklisis  mit  dem  folgenden  Worte  so  eng 
verbunden  sind,  daß  sie  den  Ton  an  dieses  abgeben;  zu  dieser  Gruppe 
werden  auch  diejenigen  Fälle  gerechnet,  in  denen  das  betreffende  zwei- 
silbige Wort  auch  seinerseits  wieder  mit  dem  folgenden  Synaloephe  hat, 
also  fast  einsilbig  wird.  Den  Schluß  (e)  bilden,  vollzählig  angeführt, 
die  etwaigen  (scheinbaren  und  wirklichen)  Ausnahmen,  d.  h.  die  zwei- 
silbigen nicht  durch  Proklisis  verbundenen,  sowie  die  dreisilbigen  Worte. 
Wo  nicht  das  Gegenteil  bemerkt  ist,  sind  nui-  typische  Beispiele  für  die 
einzelnen  Arten  erlaubter  Synaloephe  angeführt.  Der  Versictus  ist  durch  ', 
die  Wortbetonung  durch  "   markiert. 

a)    In  der  zweiten  Arsis. 

y  20mal  «)  XI  410  te  et  tüa  III  605  me  in  flüctus  I  623  tempore 
iam  ex  illo  ß)  X  812  te  incaütum  y)  XI  717  te  incblumem,  IX  481  te 
Eüryale  aspicio. 

wu  113  mal  «)  VI  689  tua  et  nötas  263  dticem  haüd  timidis 
IV  159  aprum  aüt  fülvom  IX  196  viam  ad  muros  VII  776  uM  in  sUvis 
g.  IV  186  ubi  e  pästu  IX  796  quidem  höc  cüpiens  b.  8,  73  tibi  hdec 
prinmm  1,  20  ego  hüic  nöstrae  ß)  IV  134  ubi  hibernam  g.  H  180  ubi 
drgilla  et    y)   HI  395   viam    invenient   H  780  tibi   e'xUia    et    d)   ant(e): 


1)  Die   horazischen  Sermonen  habe  ich  für  diese  Frage  nicht  untersucht. 

29* 


452  ANHANG  XI. 

I  334  tibi  ante  äras  (so  noch  II  40.    773.   XI  416.  537),  atq'u(e):  1  389 
modo  dtque  hinc. 

_  u  217mal  «)  VI  309  multa  in  silvis  896  falsa  ad  caäiim  406 
ramum  Mne  äperit  ß)  VI  330  demum  ädmissi  III  567  spumam  eltsam 
et    y)   VI  706    circum  innümerae    XI 219  regnum   'Itäliae   et    6)   ante: 

I  95:  ante  öra  (so  noch  5mal:  H  663.  IV  62.  V  540.  VQ  673.  IX  593.).i) 

u  _  20  mal  (darunter  8  auf  o  wie  amo  ago  dabo  homo)  «)  et  13  mal 
z.  B.  g.  n  203  fere  et  presso  in  71  veni  et  söbolem  V  163  ama  et  laeva, 
aut  2 mal:  X  66  sequi  dut  hbstem   XII  637   ago  aüt  quae,  id  Imal:  g. 

II  263  solo  id  venti   ß)  2 mal:  IX  263  dabo  ärgento   X  720  homo  infectos, 
y)  Imal:  XI  383  tona  elöquio    6)  ant(e)  Imal:  b.  3,  78  amo  ante  alias. 

_  _  125 mal  «)  VI  69  Phoebo  et  Trlviae  X  737  belli  haüd  temnenda, 
g.  IV  200  ipsae  e  föliis  a.  I  106  summo  in  flüctu  XI  909  ambo  ad 
miiros  XI  127  vero  hae'c  pätriam  XII  710  Uli  üt  väcuo  ß)  VI  479  Uli 
öccurrit  y)  I  138  Uli  imperium  6)  atqu(e):  VIII  318  rami  dtque  äsper 
c)  I  298  ut  terrae  ütque  novae  (Anapher),  g.  IV  411  quanto  üle  magis — 
tarn  tu  nate  ma^is  (Korrelation),  a.  II  624  tum  vero  ömne  mihi  visum 
considere  in  ignis  \  Ilium  (omne  .  .  .  Ilium  sind  eng  verbunden;  vergl. 
über  om^is  unten  bei  Lucrez,  bei  b)  _  v,  und  bei  c)  Lucrez).^) 

uuu  163 mal  «)  IUI  brevia  et  syrtes  396  capere  aüt  cäptas 
486  spolia  üt  cürrus  676  facere  id  pössis  VI  31  opere  in  tcmto  ß) 
VI  59  maria  inträvi  y)  VI  851  regere  imperio  687  tuaque  exspectäta 
6)  ante:  IV  697  misera  dnte  diem;  atque:  VII  315  Iraker e  dtque  möras; 
nie:  g.  II  397  etiam  ille  läbor  III  425  etiam  ille  malus;  esse:  g.  I  122 
facüem  esse  viam  e)  g.  III  457  etiam  ima  ...  ad  ossa  393  nemora 
dlta,  also  in  sehr  engen  Wortverbindungen  (ima  .  .  .  ossa  auch  a.  II  120. 

XII  447;  über  altus'^^   s.  unten  bei u,  bei  Lucrez,   bei  b)  _  k^,    www 

und  bei  c)  -  ^)-*) 

u  u  _  64 mal  «)  II  179  pelago  et  cürvis  III  590  $ubito  e  silvis 
XI  436  adeo  hds  .  .  .  mänus  ß)  VI  498  adeo  dgnovit  y)  II  341  lateri 
ddglbmerant  ö)  ant(e)  VII  420  iuveni  dnte  dculos;  atqu(e)  3 mal:  III  611 
iuveni  dtque  änimum  IV  687  gemitu  dtque  ätros  VIII  459  lateri  dtque 
iümeros.^) 

_  _  u  230  mal  «)  VI  211  cunctantem  et  vätis  749  Lefhaeum  dd  flü- 
vium  g.  IV  459  haudquaquam  6b  meritum  VI  390  umbrarum  Mc  locus 
ß)  VI  358  paulatim  ddnäbam  11  84  insontem  infändo  indicio  y)  VI  742 
i/nfectum  elüitur  in  4  diversa  exllia  et  (f)  ante  und  ant(e):  g.  IV  458 
immanem  dnte  pedes  a.  VI  667  Musaeum  dnte  ömnes;  atqu(e):  I  40  Ar- 
givom  dtque  ipsos  s)  VI  237  spdunca  dlta  (enge  Verbindung,  vergl.  oben 
nemora  alta),  g.  II  535  =  a.  VI  783  septemque  üna  (Antithese,  vergl. 
unten  bei  c) :  und  önmis).^) 


1)  inter   3 mal:    b.  3,  108  nostrum   inter  vos    a.  VI  828  quantum   inter  se 
Vni  639  idem  inter  se. 

2)  inter  2 mal:  b.  3,  28  ergo  inter  nös   a.  X  358  ipsi  inter  se. 

3)  In  jüngerer  Zeit   sind  Kompositionen    von  alttts  +  Substanstiv  üblich, 
wie  alticomus,  altifrons,  altüugus. 

4)  inter  Imal:  IV  193  hiemetn  inter  se. 

5)  inter  Imal:  g.  IV  13  trepidae  inter  si. 

6)  inter  Imal:  II  454  tectortim  inter  se. 


BEMERKENSWERTE  SYNALOEPHEN.  453 

9 6 mal    «)  I  564  moliri    et  täte    VI  286    Centauri  in  stabulis 

ß)  VI  138  lunoni  infernae  II  96  promisi  ültbrem  et  y)  VI  357  prospexi 
'Itäliam  IX  245  venatu  ädsiduo  et  <f)  ant(e):  XI  887  exdusi  ernte  bculos; 
atqu(e):  X  531  argenti  ätque  aüro}) 

^  ^  \j  ^  182  mal  «)  VI  508  conspicere  et  pätria  195  derigite  in  lücos, 
b.  4,  48  adgredere  6  Tnägnos  ß)  VI  20  remigium  dlärum  y)  VI  500 
Deiphobe  ärvmpotens  XI  58  praesidium  Äüsönia  et  d)  ant(e):  VI  273 
vestibulum  ante  ipsum;  atqu(e):  g.  II  38  conserere  ätque  ölea;  erg(o)  2 mal: 
a.  in  250  =  X  104  accipite  ergo  änimis;  ipse  2 mal:  g.  IV  543  corporaque 
ipsa  hbum  a.  XI  469  consilium  ipse  päter  (aber  M^  pater  ipse);  ille 
Imal:  11278  volneraque  illa  e)  V  15  coUigere  drma  200  aridaque  öra 
(enge  Verbindungen);  IV  421  exsequere  Anna  mihi:  der  Vokativ  steht 
wohl  in  nahem  Tonanschluß,  s.  o.  S.  378, 1;  vergl.  unten  bei  c)  das  Beispiel 
der  Dirae.^) 

_uu_  6 7 mal  «)  VT  506  constitui  et  magna  g.  1169  continuo  in 
silvis,  VI  111  eripui  Ms  ilmeris  g.  m  101  praecipue  hinc  alias  ß)  VI  426 
continuo  aüditae  I  301  remigio  dlärum  ac  y)  g,  11  9  principio  drhbrihus 
6)  ant(e):  V  492  Hyrtacidae  ante  bmnes;  atqu(e):  g.  I  186  curculio  dtque 
inopi;  ill(e):  b.  7,  8  aspicio  ille  ubi  me. 

Ennius  hat  16  Synaloephen  an  dieser  Stelle,  und  zwar  nur  reguläre; 
Lucilius  neben  4  regulären  einmal  1099  L.  ohtuso  öre  (enge  Verbindung, 
vergl.  unten  bei  b)  _  u  magna  dra);^)  Cicero  neben  48  regulären  fol- 
gende bemerkenswerte:  Arat.  303  söllertem  ipsa  dedit  378  canem  inde 
de  cons.  fr.  3,  39  Baehr.  convorsa  inde  (vergl.  für  inde  unten  bei  b) 
Cicero  und  c)  Lucrez.*)  Lucrez  hat  474  solcher  Synaloephen,  darunter 
429  mit  einsilbigen  (proklitischen)  sowie  drei-  oder  viersilbigen  Worten; 
femer  18  mit  proklitischen  oder  enklitischen  zweisilbigen,^)  nämlich  2  mal 
ante-.  II 352  saepe  ante  deum  V  1354  facere  ante  viros,  Imal  indu: 
V  102  iaoere  indu  mänus,  Imal  sine:  V  841  sine  öre,  5 mal  atque:  11  10 
errare  ätque  viam  V  788.  955.  1333.  VI  13,  Imal  esse:  1  627  quoque 
esse  tibi,  3mal  ille:  II  362  fluminaque  illa  1057  agere  illa  föris  VI  896 
scatere  illa  föras,  2mal  ipse:  III 1029  ille  quoque  ipse  IV  472  capite 
ipse  siio,  Imal  inde:  V  437  diffusere  inde  loci,  2mal  unde:  I  608  haerere 
ünde  queant  II  9  despicere  ünde  queas  (vergl.  für  unde  unten  bei  b) 
Lucrez  und  c)  Lucrez^);  endlich  4 mal  bei  engen  Wortverbindungen: 
summa  atque  ima  I  1056.  11  488,  omnis  -{-  Substantiv  IV  90  praeterea 
ömnis  ödor'^),  und  V  914  trans  maria  älta  (wie  bei  Vergil  nemora  älta, 


1)  inter  Imal:  V  766  complexi  inter  se. 

2)  inter  2 mal:  g.  I  301  mutuaque  inter  se   a.  IV  443  eruere  inter  se. 

3)  Irregulär  mit  daktylischen  Worten:  68  facta  omnia,  212  nequitia  occupat, 
896  etiam  accipe,  384  exstructam  ampliter. 

4)  Über  die  enklitische  Natur  von  inde  vergl.  Skutsch,  Forsch,  zur  lat. 
Gramm,  u.  Metrik  I  (Leipzig  1892)  76flF. 

5)  Außerdem  17 mal  inter,  z.  B.  I  760  sibi  inter  se  und  Imal  mit  dakty- 
lischem Wort  nach  esse:  IT  1086  non  esse  ünica. 

6)  Vergl.  Skutsch  1.  c.  64  ff. 

7)  Außerdem  bei  daktylischen  Formen  von  omnis:  IV  225  =  VI  935  adeo 
Omnibus  ab  rebus  VI  921  principia  Omnibus  ab  rebus.  Für  den  Tonanschluß 
von  omnis  -f-  Substantiv  vergl.  die  in  älterer  Poesie  vorkommenden  Kompo- 
sitionen omnicolor  (Lucilius),  omnigenus  (Lucrez),  omnimodis  (Lucrez  und  viel- 


454  ANHANG  XL 

spelunca  dltd)})  Catulls  Hexameter  zeigen  77  solche  Synaloephen, 
darunter  73  mit  einsilbigen  (proklitisclien)  sowie  drei-  oder  viersilbigen 
Worten;  ferner  3  mit  ille,  iste:  66,  7  me  ille  Cönon  100,  3  hie  fratrem 
ille  sorörem  81,  3  praeterquam  iste  tüus;  endlich  Imal  mit  der  engen 
Verbindung  omne  genus:  114,  3  aucupiimi  önine  genus.  Dirae  4 mal  mit 
einsilbigen  (proklitischen)  und  viersilbigen  Worten  (Lydia  0),  Die  Frag- 
mente der  übrigen  vorvergilischen  Dichter  haben  ebenfalls  nur  reguläre 
Fälle  (Hostius  fr.  5  Baehr.  centum  atque  öra  nach  atque). 

b)    In  der  dritten  Arsis. 

y  15 mal   «)  XI  278  fte  vero  ne  me  ad  täJes   IV  681  te  üt  pösita 

II  112  iam  hie  träbibus  .  .  .  equus  ß)  11  59  se  ignötum  y)  XII  679  me 
indecorem    ö)  nur  Imal:  ipse  11  522  si  ipse  meus  .  .  .  Heetor. 

uu  65  mal  «)  VI  488  gradum  et  veniendi  I  151  gravem  de  meritis, 
VlI  297  viam  dt  credo  I  414  moram  aüt  veniendi  IV  314  ego  hds  läerimas 

III  45  ego  hie  (adv.)  conftxum  XI  741  equum  in  medios  ß)  VI  607  fa- 
cem  dttöllens  y)  I  418  viam  interea  d)  atqu(e)  5 mal:  g.  IV  134  rosam 
atque  autümno    a.  III  558.  V  438.  X  607.  XI  395. 

-  Kj  244 mal  «)  VI  727  molem  et  magno  724  caelwn  de  terras 
196  tuque  6  diibiis  305  turha  dd  ripas  385  iam  inde  üt  Stygia  533 
divom  dn  quae  te  /3)  VI  414  multam  decepit  186  silvam  immensam  et 
y)  VI  781  nate  aüsplciis  d)  atqu(e)  7 mal:  VI  747  sensum  dtque  auräi 
g.  I  40.  IV  75.  110.  295.  a.  X  13.  624;  atque  5mal:  b.  5,  23  atque 
dstra  g.  IV  463  a.  II  423  V  512.  XH  326;  ani(e)  5mal:  XII  448  prima 
d/nte  ömnes  IV  141  ipse  dnte  älios  VII  531.  X  643.  XI  821;  ipse  6 mal: 
VI  148  namque  ipse  völens   XII 638  oculos  ante  ipse  meos   II 174.  IV  637. 

IX  467.  X  150;  iste  Imal:  quaeve  ista  . . .  disebrdia;  perque  Imal:  XI  696 
perque  drma  viro  perque  ossa;^)  sive  Imal:  XII  892  sive  animis  sive 
drte,  aber  außer  durch  Proklisis  noch  durch  Anapher  geschützt;  pro- 
klitisches  sive  auch  Lucrez  unten  bei  c).  e)  In  den  engen  Wortver- 
bindungen VI  53  magna  öra  323  stagna  dlta  III  681  silva  dlta  (s.  über 
altus  oben  bei  a)  u  u  u)  VII  641  terra  dlma^)  HI  537  primum  ömen^)^ 
und  danach  auch  wohl  zu  beurteilen  XI  12  namque  ömnis  .  .  .  türba 
(s.  über  omnis  oben  bei  a)  _  J)  XII  739  postquam  drma  dei  ad  Vol- 
eänia;  eigentliche  Ausnahmen  (alle  drei  in  jungen  Partieen):  III  88  quove 
ire  iubes   VII  508  telum  ira  facit   XU  924  exitium  dirum  hdsta  ferens. 

u  _  4 2  mal  (unter  Mitrechnung  von  -o)  a)  mit  et  33  mal  (z.  B. 
VI  230  levi  et  rämo\  aut  3 mal:  g.  III  466  sequi  aüt  medio    a.  1X408. 

X  675,  in  Imal:  1303  deo  in  primis,  hanc  Imal:  b.  1,13  ago  hdnc 
etiam  ß)  3 mal:  g.  II  476  fero  ingenti  a.  VI  336  aqua  invölvens  III  240 
cavo  invädunt    y)  atqu(e)  Imal:  X  31  tuä  dtque  invlto. 


leicht  schon  Plautus:   Lindsay,  Class.  review  1894,  159);  auch  an  ital.  ognora, 
ognuno  sei  erinnert.     Vergl.  unten  bei  c)  Lucrez. 

1)  Außerdem    bei    spondeischen    oder    daktylischen   Worten:    V  1178   non 
temere  Ulla  vi   V  285  quocumque  dccidit  (dies  die  einzige  eigentliche  Ausnahme). 

2)  Vergl.  über  perque  Skutsch  1.  c.  152;  unten  bei  c)  _  u  imd  bei  c)  Lucrez. 

3)  alma  Venus,  a.  Ceres,  a.  Tellus,  a.  parens  sind  fast  einheitliche  Begriffe. 

4)  Vergl.  primaevus,  primipilus. 


BEMERKENSWERTE  SYNALOEPHEN.  455 

_  _  148mal  «)  VI  227  vino  et  bibulani  IX  34  Teucri  de  Unebras 
Vn  721  campo  mit  Lyciae  VI  481  fleti  dd  süperos  451  silvä  in  magna 
Xn  771  puro  üt  possent  VI  106  quando  hie  (adv.)  inferni  I  333  vmto 
hüc  västis  ß)  VI  143  primo  dvölso  y)  VI  3A6  ponto  incölumem  d)  atqu(e) 
7 mal:  g.  I  209  lud  dtque  ümbris  HI  116.  a.  H  514.  V  20.  IX  569.  698. 
XI  627;  ant(€)  2mal:  III  150  visi  ante  öculos  XU  391;  mpr(a)  Xn  839 
supra  homines,  supra  ire  deos  (wohl  mit  durch  die  Anapher  bedingt); 
ante  (adv.)  Imal:  g.  I  167  multo  ante;  esse  Imal:  IV  226  morti  esse 
löcum. 

u  u  u  182mal  «)  VI  216  latera  et  feräles  1  58  maria  de  terras 
VI  92  Italum  aüt  quas  188  nemore  in  tänto  ß)  VI  623  thalamum  in- 
väsit  IX  734  faciem  invisam  atqu(e)  y)  VI  415  fluvium  incölumes  g. 
II  472  operum  exiguusque  adsueta  cf)  atque  Imal:  XII  312  capite  dtque 
süos;  atqu(e)  9 mal:  g.  in  163  Studium  dtque  üsum  b.  10,  45  g.  I  88 
IV  227.  a.  in446.  VHI  81.  X  237.  741.  XH  648;  ante  (adv.)  2mal: 
g.  I  173  tilia  ante  iitgo  a.  I  673  capere  dnte  dölis;  ante  (praep.):  V  673 
galeam  dnte  pedes;  ant(e)  I  347  scelere  dnte  älios;  ipse:  X  443  cuperem 
ipse  päter;  üle:  V  393  spolia  illa^).  e)  In  den  engen  Wortverbindungen 
VI  233  suaque  drma  IV  183  totidem  öra  IX  715  Prochyta  dlta  X  723 
stäbula  dlta  529  anima  üna  626  venia  Ulla  XI  791  spolia  Ulla;  so  bleibt 
als  eigentliche  Ausnahme  nur  IX  620  sinite  drma  viris  et  cedite  ferro 
{arma  viris,  vergl.  oben  bei  _  u  arm^  viro,  eine  von  Vergil  oft  ge- 
brauchte Verbindung:  s.  o.  S.  362,  l). 

ww_  98 mal  a)  VI  370  misero  et  tecum  407  tumidä  ex  ira  ß)  g. 
1172  duplid  dptäntur  y)  VI  236  propere  exsequitur  (f)  atque  Imal: 
VII 304  pelagi  dtque  mei;  atqu(e)  6mal:  VI  394  geniti  dtque  invicti 
g.  m  564.  a.  II  413.  VIH  527.  XI  565.  XQ  531. 

_  _  u  45  mal  «)  VI  825  Torquatum  et  ref er  entern  201  vrnere  dd 
faüces  b.  8,  60  extremum  hoc  miinus  ß)  VI  684  tendentem  ddversum 
y)  g.  n  477  arvorum  ingeniis  d)  atqu(e):  VI  422  obiectum  dtque  im- 
mania. 

23 mal  «)  g.  I  359  misceri  et  nemorum    ß)  g.  IV  328   temp- 

tü/nti  extiiderent    ö)  atqu(e):  VI  105  praecepi  dtque  änimo. 

_uuu  52 mal  «)  VI  437  pauperiem  et  diiros  11656  consüium  aüt 
quae  VI  819  imperium  hie  primus  I  96  oppetere  6  Dänaum  ß)  IV  431 
coniugium  dntiquum  y)  IV  8  unanimam  ddlöquitur  6)  atqu(e):  g.  11  149 
assiduum  dtque  alienis. 

_uu_  15 mal  «)  1666  confugio  et  supplex  IV  368  dissimulo  aüt 
quae  in  211  lonio  in  magno  ß)  HI  156  Bardaniä  incensä  y)  I  647 
praeter  ea  'Hiads  d)  atqu(e)  2  mal:  VI  631  conspido  dtque  adver  so;  ant(e) 
Imal:  V  109  prindpio  ante  öculos. 

u  _  _  u  8 mal  «)  VI  420  soporatam  et  medicdtis  IV  257  litus  hor 
renosum  dd  lAbyae    y)  VH  623  inexdta  Äüsönia. 

u 2 mal  a)  VIII  23  repercusso  aüt  radiäntis    y)  g.  IV  301  re- 

luctanti  öbstriiitur. 

u  Imal  «)  in  425  exertantem  et  naves. 

2  mal  «)  I  520  =  XI  248  introgressi  et  cöram. 


1)  inter  Imal:  IX  467  adgnoscrmt  spolia  inter  se. 


456  ANHANG  XI. 

u_uuu  2 mal  «)  VI  223  ministerium  et  suhiedam  VII  619  mini- 
steria  et  caecis. 

Ennius  4  reguläre  Synaloephen  dieser  Art  (summum  et  studiösum, 
vostra  evörtet,  te  ddiüero,  occisi  öbscensique).  Lucilius  4  reguläre:  35 '^ 
lecti  ätque  lucernas  470  uterum  ätque  etiam  1067  ta/ntum  ipse  sies 
467  capito  inquit  eum  (inquit  enklitisch  wie  (pr|(Ti,  also  inquit  mm;  vergl. 
unten  bei  c)  _  J).^)  Cicero  35  reguläre,  darunter  zweimal  vor  zwei- 
silbigen Worten:  Arat.  276  leporem  inde  pedes  278  Centauri  ätque  Nepäi. 
Lucrez  353  reguläre,  darunter  vor  zweisilbigen  Worten:  atque  4 mal: 
VI  1043  fugere  ätque  sequi  H  1128.  IV  695.  860,  atqu(e)  Imal:  III  567 
nervös  atque  össa;  ille  Imal:  IV  978  itaque  illa  dies;  ipse  Imal:  II  159 
atque  ipsa  suis;  unde  Imal:  III  725  unde  üna;  sine  Imal:  III  333  sine 
älterius  vi;  esse  2 mal:  I  487  difficile  esse  videtur  VI  542  similem  esse 
süi.^)  Catull  20  reguläre,  darunter  vor  zweisilbigen:  ante  2mal:  64, 
384  namque  ante  dömos  66,  51  paulo  ante  (adv.);  ille  Imal:  64,  288 
namque  üle  tülit;  iste  Imal:  116,  7  tela  ista;  esse  Imal:  64,  79  solitam 
esse  däpem.  Dirae  1  reguläre  (66  pergam  ülterius).  Lydia  0.  Frag- 
mente vorvergilischer  Dichter:  ebenfalls  nur  reguläre  Fälle. 

c)    In  der  vierten  Arsis. 

!^  10 mal  «)  IV  368  me  ad  maiöra  XII  25  me  Jiae'c  Jiaud  mbllia 
y)  I  219  iam  exaudlre  11  148  iam  öbliviscere  VIII  386  me  e'xcidiümque 
s)  Einmal  in  einer  engen  Verbindung:  X  63  me  älta  silentia. 

uu  2 5  mal  «)  VI  256  sölum  et  iüga  IV  337  ego  Jiänc  äbscöndere 
y)  V  785  Phrygum  exedisse  g.  11  244  aqua  eluctäbitur  cf)  atqu(e)  4 mal: 
VI  716  tibi  ätque  ostendere  V  807  g.  II  323.  IH  434;  (nequ(e)  Imal: 
g.  I  514  neque  aüdit);  imd  wohl  auch  g.  II  123  ubi  äera. 

_  u  228 mal  «)  VI  840  templa  et  temeräta  512  üla  Jiaec  monimenta 
65  tuque  ö  dübiis  y)  VI  330  stagna  e'xoptäta  425  ripam  inremeäbilis 
6)  atqu(e)  31  mal:  I  349  atque  aüri  VI  723  atque  ördine;  atque  Imal: 
IX  354  caede  ätque  cupidi/ne;  inter  9 mal:  so  VI  513  falsa  inter  gaüdia; 
intra  und  extra  je  Imal:  XI  235  alta  intra  limina  II  672  meque  extra 
tecta;  ant(e)  4 mal:  V  318  ante  öm/nia  570  ==  IX  293  ante  ömnes  XI  915 
ante  ürbem;  perque  3mal:  b.  10,  23  perque  Jiörrida  g.  EL  307  perque  älta 
a.  VII  499  perque  ilia;  ipse  3 mal:  b.  3,  35  tute  ipse  a.  II  5  quaeque  ipse 
miserrimus  1 486  utque  ipsum  corpus;  ips(e)  2 mal:  VI  249  ipse  ätri 
in  619  ipse  ärduus;  iste  Imal:  IV  703  teque  isto  corpore;  ille  2 mal: 
g.  I  87  sivi  Ulis  a.  II  110  saepe  illos;  ill(e)  2 mal:  VI  187  ille  aureus 
IX  62  ille  äsper;  inquit  Imal  (s.  oben  bei  b)  Lucilius):  V  348  vestra  in- 
quit mwnera.  b)  In  der  engen  Verbindung  alta  dtria  Imal:  XII  474. 
Eigentliche  Ausnahmen:  g.  I  170  formam  äccipit  11  109  ferre  ömnes  om- 
nia  possunt  (=  Lucrez  I  166:  also  der  Figur  zuliebe)  a.  III  193  caelum 
ündique  et  undique  pontus  (ebenfalls  der  Figur  zuliebe). 

u  _  9  mal  «)  II  774  comae  et  vbx  (so  noch  5 mal)  XII  739  arma  dei 
ad  Volcänia    532  solo  hünc  Ibra    (f)  atqu(e)  Imal:  metu  ätque  extöllere. 


1)  Mit  zweisilbigem  Wort:  340  H  magno  improbus. 

2)  inter  9 mal:  I  911  paulo  inter  se  (so  noch  7 mal),  III  258  pacto  inter  sese. 


BEMERKENSWERTE  SYNALOEPHEN.  457 

_  _  9 3 mal  «)  VI  267  terra  et  caligine  g.  III  429  terrae  de  pluvi- 
alibus  a.  V  618  sese  haud  ignära  I  261  quando  haec  te  cüra  Vm  172 
qucmdo  hüc  venistis,  VIII  89  remo  üt  luctamen  Vil  244  Troiä  ex  ardente 
IX  379  sese  ad  divörtia  XI  221  posci  in  certämina  XII  787  altä  ab  rar 
dice  y)  IV  178  irä  inritäta  VI .2 9  tecti  dmbägesque  595  terrae  ömni- 
parentis    <f)  atqu(e)    6 mal:   VI  472  sese  ätque  inimica    g.  III  109.   253. 

a.  vm  248.  IX  68.  XU  559;  ips(tmi)  Imal:  XI  636  quando  ipsum  hor- 
rebat;  ille  2 mal:  g.  DI  106  Uli  instant  a.  XII  300  olli  ingens  e)  In  den 
engen  Verbindungen  imo  ördine  II  102,  sese  obtulit  X  552,  sese  ävius  ab- 
didit  XI  810.  Eigentliche  Ausnahme:  11  477  unä  ömnis  (der  Antithese 
zuliebe). 

u  u  u    101  mal   VI  861   iuvenem  et  fiügentibus ,    198   animam  hdnc 

b.  3,  93  fugite  hinc,  a.  11  39  studia  in  contraria  y)  ^  ^^^  sinite  in- 
stauräte  b.  5,  27  etiam  ingemulsse  d)  atqu(e)  5 mal:  I  30  Danaum  ätque 
immitis  ID.  87.  639.  X  78.  g.  11  433;  ant(e)  (adv.)  Imal:  IX  115  maria 
ante  exürere;  inter  17 mal:  so  VE  183  opera  inter  tälia  245  media  inter 
cornua.  «)  In  den  engen  Wortverbindungen  IE  68  Phrygia  dgmina  IV  407 
opere    ömnis   semita    298  eadem    impia   fäma.      Eigentliche  Ausnahmen: 

V  9  maria  ündique  et  imdique  pontus  (der  Figur  zuliebe  wie  oben  bei 
_  u)  in  90  tremere  ömnia  visa  repente  Vlll  525  ruere  omnia  visa  re- 
pente  (wohl  nach  einer  ennianischen  Phrase). 

u  w  _  5  7  mal  «)  VI  280  fhalami  et  discördia,  g.  I  446  radii  aüt  tibi 
y)  VI  307  pueri  innüptaeque  707  cupio  e'numeräre  d)  atqu(e)  7 mal: 
so  X  178  acie  ätque  liorrentibus. 

u  5 mal  «)  VI  186  immensam  et  sie   11  555  incensam  et  prolapsa 

y)  XI  758  exemplum  eventumque  Xil  144  ingratwm  dscendere  <f)  atqu(e) 
imal:  IX  734  invisam  dtque  immänia. 

_vuu  3 mal  «)  g.  m  213  oppositum  et  trans  flilmina  a.  11161 
hospitium  et  däre    d)  atqu(e)  Imal:  Äusonia  dtque  immöbüis  VH  623. 

Ennius  4  reguläre  Synaloephen  dieser  Art  (atque  in  te,  regno  üt 
fämul,  divi  hoc  audite,  sese  östentatque),  1  irreguläre:  494  postquam  in- 
duta  (oder  postquam  enklitisch?  s.  oben  bei  b)  _  J).  Lucilius  10,  dar- 
unter regulär  nur  mit  inter  (1181^),  ille  (136.  145),  inquam  (78  H.), 
ergo  989  H.  und  in  der  Verbindung  u/na  dngina  (864),  irregulär:  75  H. 
susque  ömnia  1020*  4  rectum  utile  728  molito  Tiördeo  1062^  soleam  im- 
probus.  Cicero  4  reguläre,  1  irreguläre:  Arat.  fr.  XXVI  3  Baehr.  dara 
öbtinet  (die  Stammsilbe  des  Verbums  trug  wohl  einen  Nebenton).  Lucrez 
159,  darunnter  mit  zweisilbigen:  atqu(e)  14 mal:  I  811  nervis  atque 
össibus;  unde  5 mal:  I  231  unde  ae'ther;  inde  2 mal:  HE  248  inde  ömnia; 
ante  (adv.)  2 mal:  I  558  ante  ddi  temporis;  je  Imal  perque  sive  nempe 
neve  esse  ille  ipse  aiunt  (IV  187.   V  523.  I  385.   n  538.   972.  VI  1219. 

V  1182.  HI  898).  In  den  engen  Verbindungen:  nemora  dvia  (TL  145  == 
346),  fädle  ae's  aurümque,  facere  ictum  (II  952).  Ausnahmen:  12 mal 
vor  Formen  von  omnis  (darunter  mit  Figur:  I  166  ferre  ömnes  omnia 
possunt  11337  =  694  =  724  paria  Omnibus  omnia  constant  V  233  quando 
Omnibus  omnia  large;  mit  folg.  Substantiv:  IV  401  ruere  ömnia  teda  1035 
saepe  Omnibus  rebus  VI  845  porro  ömnis  terra;  ferner:  11  69  fluere  öm- 
nia 1092  sponte  ömnia  V  109  =  1203  posse  ömnia;  vergl.  oben  bei  a) 
_  _,    5  mal  vor  Formen   von  unus   (darunter  mit  Ajitithese:   IV  563  ver- 


458  ANHANG  XI. 

hum  saepe  ünum  perciet  auris  |  omnibus  VI  703  res  quarutn  ünam 
dicere  causam  |  non  saus  est,  verum  pluris,  mit  Anapher  IV  746  facile 
üno  commovet  ictu  |  quaelibet  una  animum  nobis  subtilis  imago),  Imal 
vor  alter  (V638  altern is  certo  fluere  alter,  also  mit  Figur);  2 mal  dem 
Parallelismus  zuliebe:  III  156  caligare  eculos^  sonere  aüris,  succidere  artus 
VI  576  summa  magis  mediis,  media  tmis,  ima  perhüum.  CatuU  25, 
darunter:  atqu(e)  2 mal  (64,  205  atque  liörrida  76,  11  atque  istinc).  Aus- 
nahmen: 84,  11  postquam  üluc  64,  11  prima  imbuit  98  saepe  höspite 
237  reducem  aetas.  Dirae  1:95  tuque  optima  Lydia  salve,  also  bei 
einem  proklitischen  Wort.  Lydia  0.  Fragmente  vorvergilischer 
Dichter:  nur  reguläre  Fälle. 


Aus  diesen  Listen  ergibt  sich,  daß  Vergil  in  der  zweiten,  dritten 
und  vierten  Vershebung  zusammen  2791  Synaloephen  hat,  darunter  nur 
16,  in  denen  die  Synaloephe  mit  einer  vollbetonten  Silbe  vollzogen  wird; 
von  diesen  16  Ausnahmen  erklären  sich  die  meisten  aus  der  Anwendung 
von  Redefiguren,  denen  er,  wie  oben  S.  443  u.  ö.  bemerkt,  auch  sonst  die 
Strenge  des  Versbaus  gelegentlich  unterordnet;  andere  Ausnahmen  werden 
sich  vielleicht  als  bloß  scheinbare  herausstellen,  wenn  die  Gesetze  über 
den  Tonanschluß  noch  genauer  untersucht  sein  werden  als  es  schon 
jetzt,  hauptsächlich  von  Skutsch  und  Lindsay,  geschehen  ist:  wie  denn 
auch  umgekehrt  die  obigen  Listen  einiges  Material  für  Untersuchungen 
auf  jenem  Gebiete  geben.  —  Das  behandelte  Synaloephen-Gesetz  ist  nicht 
von  Vergil  aufgestellt,  sondern  muß  aus  dem  Gehör  abstrahiert  sein,  da 
schon  Ennius  es  beobachtet.  Auch  die  übrigen  hexametrischen  Dichter 
beobachten  es,  besonders  in  der  zweiten  und  dritten  Hebung,  recht  streng 
mit  Ausnahme  von  Lucilius,  der  sich  gemäß  seinem  saloppen  Versbau 
auch  um  diese  Finesse  weniger  gekümmert  hat. 


Nachträge. 

Im  folgenden  habe  ich  außer  eignen  Bemerkungen  die  von  R.  Wünsch 
aufgenommen,  so  weit  sie  im  Text  nicht  mehr  verwertet  werden  konnten, 
sowie   die   von  R.  Heinz e   aus   seinem   oben  Seite  342  zitierten  Werke. 

Seite  3  f.  Eine  für  unsere  Kenntnis  der  Eleusinien  grundlegende 
Darstellung  auf  einer  marmornen  Grabume  stammt  aus  dem  Beginn  der 
Kaiserzeit  und  wird  von  der  Herausgeberin  E.  Lovatelli  mit  Recht  in 
Verbindung  gebracht  mit  dem  neu  erwachenden  religiösen  Bedürfnis 
jener  Zeit  (Bull,  della  commissione.  archeologica  comunale  di  Roma  Vll 
1879,  17). 

Seite  6.  Über  jüdische  Apokalyptik  vergl.  L.  Iselin  in  der  'Theol. 
Zeitschr.  aus  der  Schweiz'  IV  (1887)  272 ff. 

Seite  7.  „Das  von  A.  Wagner  hinter  der  von  ihm  edierten  Visio 
Tundali  (Erlangen  1882)  abgedruckte  lateinische  Visionsgedicht,  wohl 
des  Xni.  Jahrhunderts,  enthält  wörtliche  Reminiszenzen  an  Vergil  VI, 
von  denen  Wagner  p.  XXXV  zwei  anführt;  aber  die  Anlehnung  geht 
erheblich  weiter."     (Wünsch.) 

Seite  7  f.  Einige  neuere ,  mir  noch  unbekannte  Untersuchungen 
über  'Vergil  und  Dante'  bespricht  R.  Helm  in  den  Jahresber.  f.  Alter- 
tumswiss.  CXni  (1902)  13  f. 

Seite  9.  Wünsch  macht  mich  auf  folgende  Apokalypse  anfmerksam: 
'Artä  Viräf-Nämak  ou  Livre  d'Ardä  Viräf,  traduction  par  M.  A.  Barthelemy, 
Paris  1887'.  Das  Werk  ist  verfaßt  zwischen  dem  IX.  und  XIV.  Jahrh. 
n.  Chr;  es  ist  interessant,  weil  es  die  hellenisch-christliche  Apokalypse  in 
einer  Bearbeitung  für  die  Anhänger  der  Religion  des  Zoroaster  darbietet. 
Irgend  welchen  quellengeschichtlichen  Wert  besitzt  es  aber  nicht:  die 
von  dem  Verf.  benutzten  Quellen  besitzen  wir  selbst,  oder  doch  ganz 
ähnliche;  so  bietet  c.  VHI  (p.  20)  einen  weiteren  Beleg  für  die  von  mir 
S.  2  3  ff.  erwiesene  Vorstellung  von  der  Sage  des  *  Purgatoriums '  in  der 
Mondsphäre. 

14  ff.  über  die  Verbindung  von  Philosophie  und  Mythologie  in 
der  Aeneis  vergl.  Heinze  S.  284 ff. 

Seite  20  f  Eine  poetische  Quelle  nimmt  auch  Furtwängler,  Gemmen 
I  262  an. 

Seite  2 Off.  Dank  dem  lebhaften  Interesse,  dem  Poseidonios  in 
letzter  Zeit  bei  uns  begegnet,  kann  ich  auf  einige  Darstellungen  seiner 
Lehre  oder  gelegentliche  Bemerkungen  verweisen,  die  geeignet  sind,  meine 
Beweise  zu  ergänzen  oder  zu  stützen.  Poseidonios  als  Theologe  wird  von 
E.  Schwartz,  Charakterköpfe  aus  der  antiken  Literatur  (Leipzig  1902) 
90 ff.  gewürdigt;  seine   daselbst  gezeichnete  Bedeutung  als  eines  Pi-edigers 


460  NACHTRÄGE. 

und  Propheten  bestätigt  indirekt  meine  Ansicht,  daß  er  für  die  religiösen 
Partien  des  vergilischen  Gedichts  die  Hauptquelle  gewesen  sei.  —  Sein 
Interesse  für  die  pythagoreische  Lehre  von  der  Seelenwanderung  ergibt 
sich  auch  aus  den  längst  auf  ihn  zurückgeführten  Stellen  bei  Strabo 
IV  197  und  Diodor  V  28,  denen  J.  Bäumer,  de  Posidonio  etc.  (Münster 
1902)  7ff.  Lucan  I  454 ff.  hinzugefügt  hat.  —  Da  meine  Untersuchung 
großenteils  auf  der  These  beruht,  daß  Cicero  (somn.  Scip.)  +  Seneca  -f 
Plutarch  (eschat.  Schriften)  =  Poseidonios  seien,  notiere  ich,  was  v.  Wila- 
mowitz,  Griech.  Lesebuch  I  2  (Berlin  1902)  186  darüber  sagt:  „Wo 
Cicero  am  höchsten  zu  steigen  versucht  (in  dem  Traume  Scipios  .  .  .), 
ebenso  wie  in  ähnlichen  Partien  bei  Seneca  und  Plutarch,  vernehmen 
wir  in  Wahrheit  Poseidonios."  —  Über  Poseidonios  bei  Ps.  Manilius 
vergl.  auch  Boll,  Berl.  phil.  Wochenschr.  1902,  1547  f. 

Seite  21j  2.  XJber  das  ennianische  Prooemium  vergl.  jetzt  auch 
Helm  1.  c.  42. 

Seite  23,  2.  „Defix.  tab.  Att.  XXI,  wo  die  Seelen  angerufen  werden: 
eiTE  diTTÖ  Tfic  ttKpac  TiiJv  acTTpujv  (pepe(T0e  eiie  [ev  depi  ttoJu  TrXdZeaGe, 
Kroll  Eh.  Mus.  LH  338."     (Wünsch.) 

Seite  24,  3.  „Lydus  de  mens.  pag.  167,  23  W.  " ld)Liß\ixoc  iv  tu» 
TTpuuTLu  Tfic  TTepi  KttBobou  i|iuxfic  TTpaT)LiaTeiac  Kai  irjc  dTTOKaTaaTdcreujc 
auTuJv  (sc.  Tijuv  qjuxiiJv)  |ae)iiVTiTai,  töv  iirrep  (TeXrivric  dxpic  fiXiou  x^Jpov 
TU»  "Aibr)  bibouc,  TTap'  iD  cprjai  Kai  xdc  eKKeKa0ap)ievac  Idrdvai  ipuxdc." 
(Wünsch.) 

Seite  2  6  ff.  Über  den  Begriff  des  christlichen  '  Purgatoriums '  und 
dessen  Ableitung  aus  religiösen  Vorstellungen  des  Hellenismus  hat  in- 
zwischen, worauf  mich  Wünsch  hinweist,  G.  Anrieh  gehandelt:  Clemens 
und  Origenes  als  Begründer  der  Lehre  vom  Fegefeuer,  in  Theolog.  Ab- 
handlungen, Festgabe  für  H.  J.  Holtzmann  (Tübingen-Leipzig  1902)  9 7  ff. 
Daß  wir  unabhängig  von  einander  zu  demselben  Resultat  gelangt  sind, 
kann  ich  so  hier  nachträglich  konstatieren.  Für  die  Lage  des  Purgatoriums 
in  der  Atmosphäre  ist  meinen  Erörterungen  aus  Anrieh  (S.  116,  2)  eine 
wichtige  Stelle  aus  Clemens  hinzuzufügen. 

Seite  34,  5.  Benutzung  dieses  neuplatonischen  Vergilkommentars 
vermutet  Wünsch  auch  bei  Lydus  de  mag.,  der  Vergil  sechsmal  zitiert. 

Seite  35,  2.  Vergl.  Demosthenes  de  cor.  269  TÖv  €u  Tra6övTa 
öeT  |Lie|Livfi(J9ai  rrdvia  töv  xpovov. 

Seite  44  f.  Daß  die  Verse  890 — 92  bei  der  endgültigen  Redaktion 
beseitigt  werden  sollten,  macht  Heinze  S.  353,  2.  429  auch  durch  ein 
stilistisches  Argument  wahrscheinlich. 

Seite  45.  Über  das  zeitliche  Verhältnis  von  Buch  V  und  VI  vergl. 
Heinze  S.  141,  1. 

Seite  118  (Vers  9  f.).  Über  die  Wirkung  durch  Kontraste  vergl. 
Heinze  S.  451. 

Seite  122  (Vers  30ff.).  Über  das  Ethos  der  vergilischen  Erzählung 
vergl.  Heinze  S.  363 f. 

Seite  122 f.  (Vers  14).  Über  fama  est  u.  dgl.  bei  Vergil  vergl. 
Heinze  S.  237 f.  —  Zu  den  griechischen  Ausdrücken  ist  hinzuzufügen: 
Alkaios  fr.  71  Bergk:  ujc  XÖTOC  eK  Traxepuuv  öpujpev. 

Seite   128  (Vers  25).     Über  den  Begriff  der  rhetorischen  Variation 


NACHTRÄGE.  461 

eines  Gedankens  (exomatio,  expolitio,  repetitio  verborum),  wofür  der 
Kommentar  viele  Beispiele  gibt  (s.  das  Eegister  III  s.  '  Rhetorik '),  handelt 
zusammenhängend  Fr.  Guglielmino,  L'iteratio  nell'  Eneide,  Catania  1901; 
für  die  von  mir  S.  289  besprochene  Theorie  dieser  Figur  verweist  der 
Verf.  S.  6.  9  auf  Gellius  XIII  25  und  Cic.  pari  or.  20f. 

Seite  132  (Vers  42  ff.).  Über  vorangestellte  Ortsangaben  vergl. 
Heinze  S.  377,  1. 

Seite  132  f.  und  178 f.  Über  die  Topographie  von  Kyme  und 
Misenum  sowie  die  Sibyllengrotte  vergl.  jetzt  auch  H.  Nissen,  Italische 
Landeskunde  n  2  (Berlin  1902)   725  ff. 

Seite  133.  207.  215.  266.  Über  die  Gleichgültigkeit  Vergils 
gegen  das  Detail  der  Topographie  vergl.  Heinze  S.  343 ff. 

Seite  134.  Den  Belegen  für  das  Kaiaßaiveiv  eic  aöUTOV  fügt 
Wünsch  hinzu:  Lukian,  Gall.  18  eic  Tut  dbuxa  KaieXGiüV,  vergl.  Philops. 
34  ev  ToTc  dbuTOic  iiirÖTeioc,  Diog.  Laert.  VIII  3  KaifiXOev  ...  eic 
TCt  dbuxa. 

Seite  136  (Vers  46).  Aus  dem  Prinzip  der  Beteuerung  vermittels 
Doppelung  des  Begriffs  ist  vielleicht  auch  zu  erklären  Horaz  carm. 
IV  1,  2  parce  precor  precor,  II  17,  9  non  ego  perfidum  \  dixi  sacramentum: 
ibimus  ibimus,  möglicherweise  auch  IV  2,  49  f.  teque  dum  procedis,  io 
TriumpJie  |  non  semel  dicemus,  io  Triumphe^  \  civitas  omnis.  Denn  die 
Erkläning  der  letzten  Stelle  durch  Kießling-Heinze:  „Die  Wiederholung 
malt  das  durch  die  Straßen  sich  fortpflanzende  Jubelgeschrei  beim  Nahen 
Zuges"  scheint  mir  künstlich;  auch  legen  die  bei  Horaz  folgenden  Worte  des 
däbimusque  divis  iura  benignis  eine  sakrale  Vorstellimg  nahe:  die  Arval- 
brüder  riefen  fünfmal  triumpe.  —  Über  Wortdoppelung  zum  Zweck  der 
Verstärkung  des  Begriffs  handelt,  wie  mir  AVünsch  bemerkt,  0.  Crusius 
zu  Herondas  4,  61   (ed.  tert.  min.  p.  36  not.). 

Seite  139f.  (Vers  56).  Füge  hinzu:  „Vergl.  Heinze  S.  359,  2. 
Andererseits  tritt  aber  das  Moment  stilistischer  Variation  bei  Vergil  noch 
nicht  so  stark  hervor  wie  bei  späteren  Dichtern:  s.  darüber  zu  423." 

Seite  139  f.  (Vers  5  6  ff.).  „Der  Aufbau  des  Gebets  ist  analog  dem 
der  Hymnen.    Fr.  Adami,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XXVI  2 15 ff."     (Wünsch.) 

Seite  141  (Vers  64)  dique  deaeque  omnes.  „Es  ist  zu  bemerken,  daß 
es  im  Gebet  formelhaft  ist,  zunächst  den  Hauptgott  (hier  Apollo),  dann 
alle  übrigen  Götter  anzurufen,  vergl.  0.  Crusius,  Untersuchungen  zu  den 
Mimiamben  des  Herondas  S.  80  Anm."   (Wünsch). 

Seite  141  (Vers  60).  arva  vom  sandigen  Strande  ist  tatsächlich 
vor  Vergil  nicht  nachweisbar:  vergl.  jetzt  Thes.  1.  1.  II  733  sub  Hc. 

Seitö  142  (Vers  74ff.).  „Eben  wegen  der  Parallelstelle  in  III  muß 
Vergil  hier  motivieren,  warum  die  Sibylle  von  ihrem  gewöhnlichen  Brauch, 
schriftlich  zu  prophezeien,  abgeht.  Sie  muß  aber  hier  mündlich  pro- 
phezeien des  Dialogs  wegen.  —  Den  Zeugnissen  über  die  Palmblätter 
ist  Plinius  n.  h.  XIII  69  (aus  VaiTo),  denen  aus  der  Zauberliteratur 
Dieterich,  Abraxas  S.  204,  22  Xaßdiv  (piiXXov  ödqpvrjc  eTTiTpaqiOV  hin- 
zuzufügen."    (Wünsch.) 

Seite  145  (Vers  77).  Über  den  Gebrauch  der  Figur  Kard  tö 
criiJUTruü)Lievov  zum  Zweck  der  Kürze  vergl.  Heinze  S.  14.  196.  386. 

Seite  147   (Vers  83 — 86).     Kommatischer  Satzbau  wurde  von  den 


462  NACHTRÄGE.    . 

Rhetoren  für  Stellen  des  höchsten  Pathos  empfohlen  und  nach  dieser 
Lehre  von  Vergil  an  geeigneten  Stellen  verwendet:  Kroll,  Neue  Jahrb. 
1903,  23,  4. 

Seite  152.  „Das  Motiv  des  Führens  durch  das  Jenseits  geht  aus 
von  den  Mysterien,  nach  denen  niemand  ungefährdet  durch  den  Hades 
kommt,  der  nicht  als  Führer  den  |uu(JTaYUUYÖC  (Orpheus  etc.)  hat:  der 
Führer  im  Hades  ist  das  Bild  der  erlösenden  Wirkung  der  Lehre:  ohne 
Führer  keine  Erlösung."     (Wünsch). 

Seite  152 f.  Stoisches  im  Charakter  des  Aeneas  hat  auch  Heinz e 
S.  2 70 f.   295  erkannt. 

Seite  154r  (Vers  110  ff.).  Es  ist  kein  ijjeOboc,  das  Vergil  den 
Aeneas  hier  aussprechen  läßt,  sondern  eine  von  der  Fassung  in  II  ab- 
weichende Version,  über  die  Heinze  S.  70 f.  handelt. 

Seite  155  (Vers  117).  „Über  die  Gebetsformel  buvaaai  ^dp  vergl. 
Hemsterhuys  zu  Lukian  vol.  I.  p.  4.  Die  Macht  des  betreffenden  Gottes 
wird  vom  Betenden  erwähnt:  es  wird  dem  Gotte  nicht  die  Ausrede  ge- 
lassen, daß  er  nicht  könne."     (Wünsch). 

Seite  162  und  211  f.  Für  die  von  mir  nur  gestreifte  Vorstellung 
der  Seele  als  Vogel  gibt  jetzt  G.  Weicker,  Der  Seelenvogel  in  der  alten 
Literatur  und  Kunst,  Leipzig  1902  reiche  Belege. 

164,  2.  „Gemeint  ist  vielleicht  die  XeuKTi  'Silberpappel',  deren 
mystische  Bedeutung  aus  Demosthenes  de  cor.  260  bekannt  ist."  (Wünsch). 

Seite  167.  „Für  die  Auffassung  der  Schiffe  als  belebter  Wesen 
kann  auch  an  das  Schiff  der  Phaeaken  erinnert  werden:  0  558 f."  (Wünsch.) 

Seite  168  (b).  Zur  Stütze  meiner  Vermutung,  daß  das  von  Aeneas 
gegen  die  Gespenster  gebrauchte  Schwert  ein  Substitut  für  den  Mistel- 
zweig sei,  kann  ich  auf  Frazer  1.  c.  (S.  165)  p.  448  verweisen:  „The 
mistletoe  in  Germany  is  still  universally  considered  a  protection  against 
witchcraft,  an  in  Sweden  the  mistletoe  .  .  .  is  attached  to  the  ceiling  of 
the  house,  the  horse  stall,  or  the  cow's  crib,  in  the  belief  that  this 
renders  the  Troll  powerless  to  injure  man  or  beast." 

Seite  172 f.  (Vers  141).  Den  für  uns  bei  Vergil  zuerst  begegnenden 
Adjectiva  composita  sind  hinzuzufügen  cornipes  und  aeripes,  über  die 
S.  277  und  318  gehandelt  ist. 

Seite  181  (Vers  171)  und  185  (Vers  186f.).  Über  zufälliges  Zu- 
sammentreffen zweier  Ereignisse  bei  Vergil  handelt  Heinze  S.  333f. 

Seite  192  (Vers  233  f.).  Über  das  Ruder  des  Misenus  vergl.  Statius 
s.  in  5,  98  Iliacoque  iugum  memorabile  remo,  ib.  V  3,  167. 

Seite  201  (Zeile  9  v.  u.).  An  die  Kaunier  bei  Herodot  l  172 
(luTTTOviec  böpaffi  töv  iiepa  . . .  ^qpaaav  cKßdXXeiv  touc  HeiviKOuc  6eoiJc) 
erinnert  Wünsch. 

Seite  202  (Zeile  1  ff.).  „Die  magische  TTpäHic  ist  wohl  so  zu  deuten: 
es  kommen  der  ünterweltsgöttin  Fackel  und  Schwert  zu.  Da  der 
Zauberer  das  Schwert  hat,  so  erscheint  die  Göttin  in  der  Meinung,  es 
sei  das  ihre."     (Wünsch.) 

Seite  204  (Zeile  24  f.).  Den  Text  des  Zauberpapyrus  gibt  A.  Dieterich, 
Bonner  Jahrb.  Heft  108/9  p.  38  wohl  richtiger  so:  YP«90VTi  TCt  TrpÜJTtt 
TTapdboxa  juucTTripia. 

Seite  210  (Zeile  12  f.  von  unten).      „Der  Hippokamp   ist  vielmehr 


NACHTRÄGE.  463 

eine  falsch  ergänzte  Fackel:  siehe  E.  Kuhnert,  Arch.  Jahrbuch  1893." 
(Wünsch). 

Seite  216  (Vers  301).  „Charons  eHuu)iic  ist  geknotet,  nicht  mit 
einer  Fibel  geheftet,  weü  bei  Erscheinungen  der  Heroenzeit  der  ur- 
sprüngliche Kulturzustand  —  vor  Erfindung  des  Eisens  oder  sogar  der 
Bronze  —  gewahrt  wird.  Übrigens  hat  bei  Theokrit  7,  18  das  Fehlen 
der  Spange  keinen  religiösen  Hintergrund,  sondern  charakterisiert  nur 
den  otYpoiKOC."     (Wünsch). 

Seite  217  (Vers  304).  Über  pointierte,  an  den  Schluß  eines  Ab- 
schnittes gestellte  Verse  vergl.  auch  Kroll,  Neue  Jahrb.  1903,  22. 

Seite  242.  Daß  auch  die  Liebe  der  Laodamia  als  durus  amw 
(Vers  442),  d.  i.  ein  beivöc  epuJC  galt,  ist  von  mir  im  Hermes  XXVIII 
1893,  380  aus  Catull  68,  73 ff.  erschlossen  worden.  Diese  Sagenversion 
geht  vermutlich  auf  Euripides  zurück,  der  diese  Liebe  X^^UJ  'AqppobiTTiC 
geschehen  ließ:  Eustath.  zu  B  325,  vergl.  M.  Mayer,  Hermes  XX  1885,  104. 

Seite  249  (Vers  469).  Über  das  erotische  Motiv  vergl.  Heinze 
S.  134,  2. 

Seite  250  (Vers  473).  antiquus  im  Sinne  von  prior  findet  sich 
grade  in  alter  Sprache  oft,  vergl.  Thes.  1.  1.  11  178,  31. 

Seite  254 ff.  (Vers  494  ff.).  „Besonders  nahe  steht  der  von  Vergil 
befolgten  Sagenversion  über  den  Tod  des  Deiphobus  die  von  Proklos 
aus  der  'IXiou  Trepaic  berichtete:  MeveXaoc  öe  dveupdiv  '€\evriv  dm 
TOtc  vaöc  KaxotTei,  Ariicpoßov  qpoveuaac  (Kinkel,  Ep.  graec.  fr.  p.  49)." 
(Wünsch.) 

Seite  254f.  Die  auf  Grund  von  Vers  517f.  illa  (Helena)  cJm-um 
simulans  (zu  Ehren  des  Dionysos)  e.  q.  s.  angestellte  Kombination  gebe 
ich  jetzt  auf,  denn  Helena  schützt  den  Kidt  des  Dionysos  bloß  vor,  ist 
also  nicht  seine  Priesterin.  Das  Motiv  findet  sich  auch  in  der  euri- 
pideischen  Fassung  der  Sage  von  Laodamia  (vergl.  M.  Meyer,  Hermes 
1.  c.  114)  und  ist  von  Vergil  VII  385  simulato  numine  Bacchi  auf 
Amata  übertragen  worden;  vergl.  auch  Heinze  S.  180 ff.  Es  ist  also 
ein  Wandermotiv,  das  möglicherweise  zuerst  für  Helena  erfunden  wurde, 
aber  keinen  religiösen  Hintergrund  hat.  —  Helena  mit  der  Fackel  als 
Lichtgöttin  jetzt  auch  auf  dem  im  lacus  lutumae  gefundenen  Altar: 
vergl.  Petersen,  Rom.  Mitt.  XV  1900,  343;  Deubner,  Neue  Jahrb.  1902,  379. 

Seite  255,  Über  die  Helena-Episode  m  aen.  II  vergl.  Heinze 
S.  45  f. 

Seite  257 f.  (Vers  505).  „Bei  dem  Kenotaph  des  Deiphobus  am 
rhoeteischen  Gestade  hatte  der  Gewährsmann  Vergüs  offenbar  einen  der 
Tumuli  im  Auge,  die  sich  auch  heute  noch  dort  erheben;  der  größte  von 
ihnen  galt  bereits  dem  Altertum  als  Grabhügel  des  Aias:  s.  C.  Schuch- 
hardt,  Schliemanns  Ausgrabungen^  S.   108 ff."     (Wünsch.) 

Seite  260  (Vers  520ff.).  Schrader  wurde  auf  seine  Konjektur 
choreis  wohl  durch  Horaz  IV  6,  15  laetam  Friami  cJioreis  aulam  geführt. 

Seite  262  f  Über  absichtliches  Fehlen  der  Antwort  auf  eine  Frage 
vergl.  Heinze  S.   106,  1. 

Seite  265  (Vers  545).  „CILIH  suppl.  10716  ist  nach  Rostowzews 
Mitteilung  zu  lesen:  ,^ur(dii)  Pontianß  inj  mim  er  um  tfwtm  cadajver 
(h)abiaV'     (Wünsch.) 


464  NACHTRÄGE. 

Seite  274  (Vers  570f.).  Das  Bild  der  auf  dem  Sünder  'reitenden' 
Furie  liegt  auch  bei  Horaz  epod.  17,  74  vor,  wo  er  die  von  ihm  als 
Furie  geschilderte  Canidia  sagen  läßt:  vectdbor  umeris  tunc  ego  inimicis 
eques.  —  „Vergl.  den  auf  einem  Jüngling  reitenden  Pan:  Eoscher  Ephi- 
altes  122."     (Wünsch.) 

Seite  275  (Vers  586).  Daß  schon  Ps.  Manilius  V  93  diesen  Vers 
las,  bemerkt  Boll,  Berl.  phil.  Wochenschr.  1902,  1546. 

Seite  277  (Vers  591).  Die  beste  Übersetzung  von  sonipedes,  cor- 
nipedes  equi  wäre  das  epische  Kavaxr|7robec  ittttoi. 

Seite  281  (Vers  608).  Das  Motiv  der  Bruderliebe  auch  in  sokra- 
tischer  Ethik:  Xenophon,  mem.  II  3. 

Seite  294.  Über  die  zu  Vers  672  zitierte  Ovidstelle  handelt  jetzt 
Wünsch,  Rh.  Mus.  LVI  1901,  395f. 

Seite  298  (Vers  706).  „Vergl.  Lukian,  Philops.  24  (oi  veKpoi) 
Kttid  q)OXa  Kai  cpprirpac  .  . ,  biaTpißoucriv."     (Wünsch.) 

Seite  299  f.  (Vers  706  ff.).  Über  die  symbolische  Bedeutung  der 
Biene  und  des  Honigs  s.  jetzt  auch  Weicker  1.  c.  29  und  E.  Maaß, 
Griechen  und  Semiten   auf  dem  Isthmus  v.  Korinth  (Berlin  1902)  31  ff. 

Seite  307  f.  Vermutungen  über  die  Disposition  der  Heldenschau 
bei  Heinze  S.  431. 

Seite  312  (Vers  775).  über  Castrum  Inui  vergl.  jetzt  Nissen 
1.  c.  579. 

Seite  318  (Vers  802).  Neue  Worte  im  Dithyrambus:  vergl.  Horaz 
IV  2,  9  f.  von  Pindar:  per  audacis  nova  dithyrambos  \  verba  devolvit. 

Seite  325  (Vers  838).  Über  die  Formen  Argos  und  Argi  vergl. 
jetzt  Thes.  1.  1.  II  532. 

Seite  326  (Vers  843).  „Ein  bis  jetzt  nicht  erkannter  Beleg  für 
Aißuaxic  ist  Athen.  Mitt.  XXIV  1899  S.  204,  wo  in  einem  Epigramm 
auf  Stein  steht:  ou  juev  GripriTilp  Tevöjariv  AIBY.  .  lAOC  ctYPnc"" 
(Wünsch.) 

Seite  332  (Vers  859)  über  die  opima  spolia.  „Vielleicht  liegt  dies 
doch  etwas  anders.  Es  wäre  folgendes  denkbar:  wird  der  feindliche 
Feldherr  von  dem  römischen  Feldherm  erschlagen:  spol.  op.  I  (Jupiter); 
wird  er  von  einem  Unterführer  erschlagen:  spol.  op.  II  (Mars);  wird  er 
von   einem   Gemeinen   erschlagen:   spol.  op.  III  (Quirinus)."     (Wünsch.) 

Seite  340.  Über  das  von  Vergil  befolgte  Prinzip,  die  einzelnen 
Bücher  durch  Anfang  und  Schluß  möglichst  zu  Einheiten  zu  gestalten, 
s.  Heinze  S.  440. 

Seite  359,  1.  Über  die  Literatur  Tuepi  KXoirnc  handelt  Kroll,  Neue 
Jahrb.  1903,  8. 

Seite  370,  4.  Triadische  Komposition  ist  für  Horaz,  epod.  10  nach- 
gewiesen von  Leo,  De  Horatio  et  Archilocho,  Göttingen  1900,  p.  8. 

Seite  378.  Über  die  Notwendigkeit  rhetorischer  Interpunktion 
unserer  Texte  vergl.  auch  v.  Wilamowitz  in  seinem  Griech.  Lesebuch  11^ 
p.  269.  —  0.  Keller  gibt  in  der  2.  Auflage  seiner  kritischen  Horaz- 
ausgabe  (vol.  I,  Leipzig  1899)  praef.  p.  XXV  eine  Horazode  (HI  10) 
mit  der  Interpunktion  einer  Handschrift  des  Mavortius  (cos.  527),  nämlich 
des  cod.  Leidensis  28  saec.  IX  Das  Prinzip  stimmt  mit  der  Interpunktion 
unserer  Vergilhss.  überein. 


NACHTRÄGE.  465 

Seite  410,  2.  Für  malende  Daktylen  in  der  älteren  Lyrik  vergl. 
noch  Anakreon  fr.  24  Bgk.  dvaTreTO|uiai  bx]  irpöc  "OXuiuTrov  TTTepuYeaai 
Koucpaic.  Auf  die  charakteristische  Wirkung,  die  hier  durch  die  Auf- 
lösung der  ersten  Länge  des  ersten  Choriambus  erzielt  ist,  weist  0.  Crusius 
(Pauly-Wissowa  ß.-E.  I  2042)  als  auf  eine  der  neuen  rhythmischen 
Feinheiten  des  Anakreon  hin. 

Seite  427,  2.  Die  Zeugnisse  der  Rhetoren  über  die  vitiosa  dausvda 
durch  Monosyllaba  hat  Henri  Bomecque,  La  prose  metrique  dans  la 
correspondance  de  Ciceron  (Paris  1898)  20  gesammelt;  vergl.  auch 
A.  Kirchhoff,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XXYHI  (1902)  28  ff. 


VEBaiii  Buch  VI,  von  Norden.  30 


ßEGISTEB.') 


Sachliches. 


Agonistik  288.  92. 

Albanische  Könige  u.  Kolonieen  310  ff. 

Alexander  Polyhistor  it.  'Pi()|nric?  146. 

6au|uaaiuuv  a\)va-^uj^r\  163. 
Anachronismen,  poetische  112  f. 
Antonius,  M.  284  f. 
Augustua  307.   8.   9.   12.    14.    15.  15 ff. 

19.  23.  25.  28.  29.  34.  52.  54.  55. 

Camillus  323. 

carmina  epigr. :  von  Vergil  abhängig 

191.  238.  60.  83. 
Catull:    Stil    des    Epyllions   nnd   der 

poematia  140.  434.  37,  1. 
Cicero  poet. :  Nachahmung  älter.  Poesie 

124.    28.    79.    80.    220.    50.    80.    90. 

302  f.  64.  67  f.  414.  38. 
Copa:  Verhältnis  zur  Aeneis  190. 

Dante  8.  14,  1.  27.  29.  32.  44.  152 f. 
59.  202.  5.  8.  14.  18.  29.  30.  33. 
37.  41.  42.  63.  64.  68.  70.  72.  73. 
93.  97.  308.  38.  40.  51.  52.  459. 

Dichter:  ihr  Verhältnis  zur  Überliefe- 
rung 122  f.  67.  243.  460. 

Eunius : 

Auguralsprache  124.  85  f.  321. 

Homerische  Nachahmung  130. 

Lautmalerei  u.  rhythmische  Malerei 
180.  406.  7,  6.  lOf.  13f.  21. 

Naevius  von  E.  korrigiert  359,  1. 

Paronomasieen  188. 

Prooemium  der  Annalen  21,  2. 

versus  hypermetri  280.  414,  1. 
Ennius  oder  andere  archaische  Poesie 

nachgeahmt  von: 

Accius  (ann.)  304.  439,  2. 

auctor  belli  Africi  231.  315. 

carmina  epigr.  427,  3. 


Catull   184.   91.  218.  20.  21.  23.  30. 

97.  368. 

Cicero:  siehe  'Cicero'. 

Horaz  (parodierend)  263.  80.  95.  324. 

30.     34.     37.    62,  1.     63,  2.     88,  1. 

95,  1.  414,  2. 
Livius  oder  dessen  Quelle:   155.  60. 

81.  88.   240.  60.  61.  61  f.  87.  302. 

9.    19.   20.    25.    30.   31.    34.  38.  65 

(bis).  65  f.  66  (bis).  429,-3. 
Lucilius  (parodierend)   130.  216.  87. 

326.  63,  2.  66f.  67,  1. 
Lucrez    160.    61.    79.    81    (bis).    86. 

218.    20.    21.    34.    77.    90.   94.   97. 

98.  302.  3.  15.  21.  26.  30.  31.  36. 
38.  40.  65,  1.  429.  30,  5.  31. 

Ovid  311.  19.  27.  67.  429,  1. 
Persius  (parodierend)  326. 
Phaedrus:  siehe  'Phaedrus'. 
Plautus  (parodierend)  218.   80.  303. 

19.  65  f. 
Silius  325.  26.  38.  429,  4. 
Varro  Atacinus  327. 
VaiTO    Reatinus    185.    91.    326.    27. 

63,  2. 
Vergil:  siehe  'Vergil'. 
eöepT^TOi  35  f.  37  ff.  352. 

Goethe  6,  6.    135.    49.    202.    17.    42. 
311.  89,  2.  400. 

Heine,  Heinr.  218. 

Hellenistische  Poesie  111.   21.   23.  28. 

58.    66  f.    72  f.    80.    83.   89.    93.    203. 

25 f.   35.  41  f.   43 f.  (passim).   45.  46. 

47  (passim).  48.  49.  50  (bis).  55.  58. 

76.    84.    85  (bis).    92.   318  (bis).   36. 

80.  86.  93,  3.  411.  28,  1.  31.  32. 

Kyme   und  Umgegend    114.    17.    32  f. 
54.  71.  78.  83.  95.  96.  461. 


1)  Zahlen  =  Seiten,  fette  die  mehreren  Zehnern  gemeinsamen  Hunderte. 


REGISTER. 


467 


Lessing  404,  1. 
Lucilius  431. 

Marceller  330  ff. 
Marmor  und  Erz  329  f. 

Oheim  in  der  Komödie  235. 
Ovid  und  seine  Vorbilder  262.  360,  2. 
63;  vergl.  'Ennius'. 

Phaedrus  irapaTpaYiuö&v  151.  276.  319. 
Plautu8iTapaTpaYuj6u)v  157.  247;  vergl. 
'Ennius'. 

Rom: 

Enkomien  auf  Rom  3l3f.  27 f. 
Könige  3l2ff.  19  ff. 
Rom  und  Hellas  327  ff. 
Roma  als  Göttin  314  f. 

Schiffe  beseelt  167. 
Schüler  204.  5.  41. 
Schollen  zu  Vergil: 

Asper  265. 

Comutus  166  f. 

Donatus  216.  306.  31. 

Hyginus  112  f.  282?  324. 

Probus  167.  82.  98.  313  f.  33. 

Servius  168  f. 

Spezialkommentar   zu    VI :    15, 1. 
29,2.  31.  460. 
SchoUen,  latein.  nach  griech.  Muster 

113.  45.  200. 
Sophokles  benutzt  eine  Kardßaaic  219. 

99. 
spolia  opima  331.  32  f.  464. 

Tacitus'  Sprache  137. 

Theophrast  it.  X^Heujc  405. 

Timaios  über  Italien  120.  75.  97.  224f. 

Trogus  kritisiert  Vergil  313  f. 

Töxn  149  f- 

Varro    20.    41.    120.    42.    75.   97.   224. 

309.  14.  30.  32;  vergl.  'Ennius'. 
Velia  224 f.  28.  29. 
Vergil: 

Arbeitsweise  22.  167.  96.  206. 

Dubletten  und  Diskrepanzen  infolge 
mangelnder  Redaktion  44  f.  154  f. 
207.  26.  47. 

Eigennamen  192.  222.  52  f. 

Erfindungen,  angebliche  u.  tatsäch- 
liche  166 f.    68.    236.   44.  344.  51. 

Gelehrsamkeit  112.  20.  25.  52.  84. 
209.  35.  50. 

Halbverse  323. 

Kompositionsart  und  dergl. 
14  ff.  42  f.  46  f.  47  f.  108.  9.  20  f. 
39.    51  f.    54   59.    76.    76 f.   77.   89. 


90.  94  (bis)  201.  4.  14.  15.  25. 
33.  41.  43.  51.  63.  88.  94.  94f. 
95.  96  (bis).  339.  42 ff.;  vergleiche 
Register  HP   unter   'Disposition'. 

—  T^voc  öiTiYriiaaTiKÖv  u.  öpaiuoTiKÖv 
verbunden  215.  66.  95.  301  f.  50. 
52.  —  Griechisches  und  römisches 
Kolorit  verbunden  281  f.  84  f.  — 
Sentimental  -  reflektierend  121  f. 
217.  59.  94.  —  Projektion  der 
Gegenwart  in  die  Vergangenheit 
142.    70.    280.    328.    52.    53  f.    61. 

—  Rituale  Genauigkeit  131.  — 
Romantik  und  Religiosität  307. 
12.  54. — Topographie  gleichgültig 
behandelt  133.  207.  15.  66.  461. 

Obtrectatores  359  f.  464. 
Parodiert    von    Apiüeius    296,    von 
Persius  286,  von  Petron  246,  von 
Seneca  263. 
Rezitationen  144. 

Sagenvarianten   neben-    oder  nach- 
einander 209.  33.  53.  55 f.  79.  84. 
340,  ostentativ  abgelehnt  284.  313. 
Vorbilder: 

Allgemeines   über  die  Art  seiner 

Nachahmung  359  f. 
Apollonios   194.    99.    203.   35.   37. 

46.  430. 
CatuU   128.    80.    200.   47.   49.   58. 

83.  91.  318.  38.  67.  431. 
Ennius  359  ff.  —  115,  1.  16.  19. 
24.  30.  32.  35.  37.  38.  38  f.  40. 
41  (bis).  42.  47.  48  (bis).  51. 
53.  55  (bis).  58  (passim).  59. 

60  (bis).  61.  72  (bis).  73  (bis). 
74.  75.  79  (passim).  81  (bis). 
82  (bis).  83.  83 f.  85  (passim). 
86  (bis).  87.  91.  92.  96.  98. 
200.  2  (bis).  4.  16  (bis).  18  (pas- 
sim). 20.  21.  22  (bis).  23.  26  (bis). 
27.  28.  29.  30  (passim).  31.  33. 
34 (passim).  34f.  35.  36.  38(bis). 
40.  45.  47  f.  49.  50  (bis).  52. 
53  (bis).  57  (bis).  58.  60.  61. 

61  f.  62  (bis).  63  (bis).  64.  70 
(bis).  71.  72.  73.  74.  76.  77.  87 
(passim).  90  (bis).  92.  92  f.  93. 
94  (bis).  95  (passim).  96.  97  (pas- 
sim) 98.  98  f.  300.  2.  2  f.  4  (bis). 
5.  9  (bis).  11.  13  (bis).  17.  17  f 
19  (passim).  20  (bis).  21  (passim). 
23  f.  24  (passim).  26  (passim). 
27.  30  (bis).  31  (passim).  33.  34. 
36  (passim).  37  (bis).  38(passim). 
39.  40.  93.  98.  4l3f.  14,  1.  3. 
17,  3.  19,  4.  20,  1.  22,  3.  23,  1. 
2.  3.  4.  25  (passim).  28  (passim). 
29  (passim).  30  (passim).  37  (pas- 
sim). 43.  44  (passim). 

Furius  Antias?  429,  3. 
30* 


468 


REGISTER- 


Homer  110.    29.   52.   56.   74  (bis). 

77.   80.   90.    92.    94.   99.    201.  6. 

14.  17.  18.  24.  28  (bis).   29.  40. 

42.   47.   49.   51.  59.  60f.  61.  62. 

63.    64.  74.    77.    83.   86.    90.   91. 

93.  94.  96  (bis).  97.  305  f.  24.  39. 

40.  43,  1.  44.  44f.  47f.  50  (bis). 

Homerische   Hemistichien   kon- 
taminiert 244.  46.  52.  361,  2. 
Kallimachos  193.  99. 
Lucrez  160.  87.  90.  97.   213  (bis). 

20.   21.   40.    77.    78.   86.    90.  94. 

302  f.  (passim).  30.  60.   428.  29. 


Lykophron?  148  f.  49.  253. 
Mythograpbisches Handbuch?  253. 

54.  55  f. 
Naevius  222. 
Nikandros  187.  428. 
Pindar?  288.  93. 
Tragödie,  lat.    151.    220.    35.    47. 

57.  60.  76.  85.  97. 
Varius  143.  284.  444. 
Varro  Atacinus  127. 
Zauberliteratur?  195. 
viri  illustres  308  f. 


Mythologie,  Religion,  Philosophie. 


Aberglaube  (vgl.  'Eschatologisches'): 

Eisen  163.  201.  16.  36.  463. 

Geisterfurcht  191.  201. 

Geisterstunde  197.  99.  339. 

Gold  169,  3. 

Incubus  282.  312. 

Mistel  162  fif.  352.  462. 

Zauber  bannt  241,  öffnet  Türen  146. 

54;  Zaubergöttin  Hekate  194  ff.  98. 

99.   202.   462;    Zauberpapyri    136. 

42.   44.   46.    69,  3.    95.  99.   202.  4. 

Aloiden  275. 

Analogieen  aus  anderen  Kulturkreisen : 

Babylon  162,  1.  64,  1.  65,  5. 

Germanen  u.  Kelten  163.  65.  70.  211. 

Mithras  u.  Zoroaster  7,  3.  459. 
ApoUon : 

äpxTiT^Tr|c  der  Kolonisten  117.  40. 

Tempel  auf  dem  Palatin  142  f. 
Ares  auf  der  Tempelschwelle  208. 

Christentum  u.  Hellenismus  (vergl. 
^  Apokalytische      Literatur '      unter 
'  Echatologisches ') : 
Dämonen  33. 
Führung  im  Jenseits  43  f. 
Fürbitte  für  arme  Seelen  7,  3. 
Honig  als  Taufsymbol  300. 
Paradies,  doppeltes  28  f. 
Philosophen  und  Mönche  36,  2. 
Purgatorium  25 ff".  460. 
Seelenklassen  im  Jenseits  14,  1. 

Daedalus  120. 
Deiphobus  253  ff.  463. 
Dionysos,  indischer  318. 
Dioskuren  157. 


Eridanus  288.  92. 

Erinys  schlafend  209;  am  Cocytus  230; 

als  ömiuuuv  ^q)idXTric  274.  464. 
Eriphyle  244. 
Eschatologisches: 

ÖYOMOi,  öxaqpoi,  äiupot  10  f  11.  14, 1. 
41.  217. 

Apokalyptische  Literatur  6  ff.  20  f. 
42  f.  47  f.  203.  19.  68 f  70.  74.  83. 
84.  88f.  89.  93.  339 f  459.  — 
Apokalypse,  Prophetie  und  Vision 
147.  351. 

ßiaioedvaroi  11  f.  41.  252. 

ßöpßopoc  236. 

Cerberus  232.  32  f.  37  f. 

Charon  216  ff.  31  ff.  463. 

Dämonen  208  ff. 

eiöuuXa  245.  56. 

Elysium  287  ff.  352;  Doppelung  28  f. 

Führung  im  Jenseits  152.  54;  dop- 
pelte 42  f. 

Hades  als  Hirt  und  Völkersammler 
265,  als  wildes  Tier  207;  Hades- 
ströme 215. 

Hermes  njuxoTroiLnTOc  305. 

Kaxdßaöic : 

des  Herakles  5.    15.    154.   60.   68. 
201.    19.   31ff.   51.  68.  93.  348f. 
des  Orpheus  5.  21.  156  f.  68.  231ff. 
68.  69.  70.  99.  348  f 

KardXoYoc  tOuv  döeßuiv  280 — 85;  tujv 
jLiOKdpujv  33  ff.  288. 

Lethe  298. 

Mond  als  Aufenthaltsort  der  Seelen 
23  ff.  27,  48,1.  460. 

v^Kuia  Homers  196,  1.  344,  1.  47  f 
51. 


REGISTER. 


469 


veKUOjLiavTeia  2.  41;  v.  u.  Koräßaaic 

196,  1.  348. 
Persephone  164.  69.  352. 
Plutons  Thron  233,  Palast  286. 
Purgatorium  23  ff.  31  f. 
Rhadamantys  268. 
Seelenwanderang  16  ff.  43.  46.  298  ff. 

305.  10.  460. 
Sphären,  neun  29  f. 
Sündenbekenntnis   im  Jenseits   269. 
Tartarus  266  ff.  351  f. 
TÖTTOC  äceßOüv  272. 
Totengericht  239  f.  67. 
Wiedersehen  im  Jenseits  243.  336. 

Fluch  262. 

Gebet  135.  37.  40.  41.  42.  46.  54.  55. 
56.  57.  73.  86.  204.  30.  369.  461.  62. 
Goldener  Zweig  161  ff. 

Helena  162.  254 f.,  s.  aber  463. 
Herakles  u.   die  Hesperiden  171.  210. 

Kaineus  244  f. 

Kentaur  Todesdämon?  210;  s.  aber  462  f. 

Kyklopen  162. 

Misenus  175  f.  80.  462. 
Mysterien  3.  38.  169  f.  459.  62. 

Nacht  und  Erde:  ihre  Genealogie  199. 
Nacht  als  Vogel  264.  334. 
Nymphen  Baumjungfrauen  162. 

Orakelgrotten  133.  34.  38. 
Orakelpoesie    21  f.    139.    42.    47  f.    63. 

74.   98f.;   sibyllinische  142.  43.  46 f. 

47.  50.  51.  73.  74.  99  (bis).  289. 

Palinurus  223  ff. 

Pasiphae  242.  44. 

Pflanzen  und  Bäume,  immergrüne  und 

unfruchtbare   164.  69 f.   2ll.  36.  44. 
Philosophie: 

Heraklit  18,  1.  33  f.  404  f. 

Piatonismus  17,1.  22,1.  27,1.  29.  41. 

Pythagoreismus  u.   Orphik   11,  1.  2. 


16 f.   20  ff.  23.  25.  30.  34  f.  35.  38. 
41.  47.  152.  56f.  264.  69.  99.  305; 
vergl.    'Kaxdßaöic    des    Orpheus' 
unter  '  Eschatologisches ' . 
Stoa,    insbesondere   Poseidonios  3  f. 
16f.   20.    22.   23ff.   30.   31.  32.  34. 
35.  39.  43.  46.  47.  48.  48,  1.  208  f 
304.  459 f. ;  über  Mantik  39 ff.;  über 
Gebet  230;    Stoa  und  Volksmoral 
281;    Stoa    und    römische   Politik 
328 f.;    Philosophen    als    Erfinder 
der  Künste  34  f. 
Phlegyas  269  f. 
Sakrales: 

Grabesblumen  338. 
Grabesehren  190.  93. 
Honig  chthonisch  299  f. 
Kenotaphien  mit  Symbolen  258. 
Olive  lustrierend  192. 
Opfer  anf  dem  Scheiterhaufen  182. 
Opferritual  198;  Opfertiere  131. 
Purpur  Substitut  für  Blut  191.  338. 
Salmoneus  275.  76. 
Schwelle  des  Lichts  u.  Himmels  200; 

des  Tempels  155.  74.  208. 
Seelen   als    Bienen    17,1.    299f.    464; 

Seelenvogel  162.  211.  19.  462. 
Sündenbekenntnis  im  Leben  269. 

Tantalus  278  f. 

Thebanische  Helden  251  f. 

OeoXÖTOi  35. 

Theseus  im  Hades  284. 

Tityos  277  f. 

Traumsymbolik  339.  40. 

Träume  als  Vogelwesen  211. 

Trojas  Zerstörung  254 f.,  s.  aber  463. 

Vergleich  und  Identität  162.  2llf.  13. 

54. 
Verwandlungssagen  166  f. 
Vögel  pfadweisend  170  f. 

Wahnsinn,  prophetischer  im  bildlichen 

Ausdruck  143.  43 ff. 
Weltenbaum  211. 
Winter  und  Tod  163. 
Wintersonnenwende  165. 


n. 

Grammatisclies  und  Lexikologisches. 


a  und  ab  223. 

absistere  200  f.  34. 

ac  vergleichend  300. 

adferre  se  366. 

Adjectiva  composita  l72f.  87.  213.  37. 


50.  57.  74.  77  (bis).  78.  367.  420,  1. 
22,2.  27,3.  28.  53,5.  62;  dithyrambisch 
317  f.  464;  umschrieben  263.  77.  80. 

aequaevus  173. 

aequor  'Meer'  303.  423,  4. 


470 


REGISTER. 


aeripes  318. 

aeternum  Adverb  235. 

agere  se  226. 

alacer  -cris  295.  » 

Aleides  157. 

ambages  151. 

amnis  266. 

Anakoluth  151.  372  f. 

animus  und  mens  119. 

awwe  302. 

antrum  119. 

ora  und  altaria  182  f. 

J.r^i,  Argos  325.  464. 

arwa  'Werkzeuge'  185. 

armipotens  257.  324. 

armisonus  173.  274. 

armus  338. 

arva  =  Zi^MS  141.  461. 

Aspiration  245. 

as<  220. 

Asyndeton  zweier  Attribute  280. 

atque  'und  da'  179. 

attonitus  138. 

audere  eijqpriiuiuc  286. 

Auguralsprache  124.  85  f. 

auricomiis  172  f. 

bidens  131  f. 
hiformis  128. 
bracchium  'Zweig'  212 f. 
&U5tt«m  183. 

caducus  252. 

caecus  metaphorisch  129. 

caelifer  317. 

calidus  und  caldus  191. 

copu*  metaphorisch  228. 

carpere  viam  287. 

castigare  273. 

ceM  184.  429. 

Chiastische  Gedankenfolge  235. 

eiere  248. 

cmis  und  favilla  192. 

circa  333.  98. 

circumferre  sakral  192. 

classis  archaisch  223.  97. 

cognoniinis  231. 

conari  129. 

condere  saeculum  317. 

conferre  pedem  365  f. 

coniugiwn  285  f. 

consilium  und  concilium  239  f. 

coniiÜMcre  sakral  198. 

conubium  285. 

cowweaJMS  197. 

cornipes  277. 

corpMS  periphrastisch  126;  'Leiche'  174. 

corripere  se   366;    corripere   (carpere) 

viam  287.  399. 
cortina  227. 
crater  und  cratera  192. 


crcfMS  311. 
cunctari  189. 

debellare  330. 

defungi  vita  218. 

desuper  294. 

Doppelung  des  Begriffs  136.  46^. 

(^wctor  223. 

ecce  und  ecce  awiew  199.  226. 

educere  =  educare  311. 

efferre  se  366. 

egenus  365. 

emicare  115. 

emowere  262. 

ew  226. 

Enallage  des  Adjektivs  112.  205 f.  397. 

gv  öiä  buoiv  212. 

c«m  archaisch  129.  220.  394. 

er^ro  Partikel  246 f.;  Präposition  293 f. 

ertictare  115,  1. 

euhans  260. 

Euphemismen  128.  285  f. 

evocare  305. 

evomere  115,  1. 

eajim,  ea;iw  339. 

eajosMS  340. 

exsomnis  270. 

exsors  239. 

exto  und  viscera  198. 

extemplo  124. 

fastigium  228. 
/a<w  430,  2. 
/a«Mm  135.  230. 
fauces  207. 
/eZia;  314. 

/erre  'rühmen'  322. 
fltientum  221. 

forma  'Gespenst'  210;  =  formula  283. 
Formenlehre 
des  Nomen: 
Nominativ  sg.  auf  -or  -os  208. 

griech.  auf  os  401  f. 
pl.,  griech.  auf  -e  304. 
Vokativ      sg.,  griech.  auf -e -ä  402. 
Genitiv       sg.    auf  -ii  285  f. 

auf  c  (l5j9ej  337. 
griech.   auf  -es  298. 
auf  -ö  402. 
auf  f-i  -is)  402. 
pl.    auf  -um  -ium  187. 
auf  -um  -orum  217  f 
auf  -um  -uum  292. 
Dativ  sg.    auf  -u  248. 

Accusativ    sg.,  griech.  auf -en  403. 
auf-m  403. 
auf -ow  402  f. 
pl.    auf  -es  -is  149.  302. 
21. 
Ablativ       sg.    auf  -e  -i  231. 


REGISTER. 


471 


Ablativ       8g.    auf  -e  -e  237. 
Singularia  und  Pluralia  von  Orts- 
namen 312. 
Suffixe : 
Adjectiva  auf  -eus  192.  212.  15. 
77.  318.  37. 
auf  -fer  274. 
auf  -ficus  280. 
auf  -orus  234. 
auf  -US  -is  397. 
Substantiva  auf  -men  191;  Patro- 
nymica  326. 
des  Pronomen: 
hae,  haec  326. 
olle  220. 
qui  =  cui  319  f. 
qui  und  quis  271. 
Suffix  -}net  258. 
des  Verbum: 
fervere,  fulgere  323  f. 
Imperfectum  mit  -i  -ie  248. 
Synkopierte  Formen  126  f.  40.  47. 
fm-te  'grade'  181.  85. 
fretus  157. 
fulcrum  280. 

fvmdere  metaphorisch  243. 
funits  ''Leiche'  174. 

geminus  187.  316. 

genae  296. 

genus  =  progenies  317.  24.  25. 

<jfw  ==  KV  126. 

gnatus  155.  336. 

grandaevus  173. 

graveolens  187.  443. 

gressus  (particip.)  287. 

habenas  immittere  111. 
hebetare  304. 
Herculeus  158. 
Ä«ros  181. 
Hesperia  116.  41. 
horrisonus  274. 
hortator  262. 
hymenaeus  285. 

iaw  —  ia/n  291. 
ignipotens  173. 
Ilium  -on  -os  141. 
imperare  und  iubere  247  f. 
inamabilis  241. 
incawt^s  319. 
incipere  velle  305. 
incohare  sakral  198.  208. 
indebitus  141. 
infernus  154.  71. 
ingratus  190. 
iniussus  230. 
inolescere  304. 
inopinus  153. 
inremeabüis  128.  237. 


insomnium  340. 
instar  333. 
intonare  280. 
invergere  sakral  198. 
invius  175. 
iste  120  f. 
Wime  234.  447. 
Ito^MS  309. 
mxto  245. 

xa\6c  321. 

labyrinthtis  128. 
Lacaena  260. 
ZetMWi  208. 
Libystis  326.  465. 
hngaevus  173.  220. 

magnanimus  218.  419,  4. 

rmilesuadus  365. 

malignus  206. 

manes  =  &ai|aovec  32. 

meinorare  158. 

Metaphern  111.  24.  29.  37.  43.  51. 
81.  2l2f.  17.  27.  28.  29.  36.  39(bi8). 
43.  70.  74.  87.  90.  98.  302.  30.  34. 
38;  Vertauschung  von  Sinnesempfin- 
dungen 200. 

wi  =  »«ÄJ  153. 

'militaris  sermo'  287.  94.  305.  443. 

ministerium  191. 

mittere  sakral  365. 

mora:  haud  nwra  adverbialisch  182. 

'nauftctts  sermo'  111.  85. 
«€C  OTOw  185. 
w^gwe  eniw  443. 
nequiquain  155  f. 
m'  227. 
nigrans  198. 
nimbus  276  f. 
»mnc  -WM«c  220. 
nuptiae  285. 

o6  293. 

oblivia  —  «;«  301. 

obuncus  278. 

oleum,  olivum  192. 

olivifer  422,  2. 

omniparens  278. 

omnipotens  277.  414,  1. 

opacus,  opacare  186.  89.  422,  4. 

optare  'küren'  187.  257. 

orare  'reden'  158. 

orare  276. 

pacare  318. 

pandere  'offenbaren'  22,  2.  203. 

parumper  231. 

pasci  186. 

pausa  367. 


472 


REGISTER. 


pavitare  257. 

pecten  =  plectrum  291. 

perßcere  sakral  289. 

perosus  240. 

Persephone,  Proserpina  125.  71. 

Personifikationen    137f.    206. 

34.  48.  337.  462. 
porro  'fern'  300  f. 
portitor  215  f. 
poscere  'beten'  135. 
postumus  'spätgeboren'  310  f. 
potens  im  Zauber  198. 
poUri  ^puuTiKuic  286. 
praecipere  =  irpoXaiußdveiv  153. 
praenatare  298. 
praepes  124. 
praescius  141. 
prensare  228. 
primaevus  173. 
pristinus  250. 
procul  'in  der  Nähe'  128. 
proles  128.  314. 
iTpö|uoc  33,  1. 
propinquare  236. 
protinus  130. 
pulcher  321. 
^torc  220.  366. 
p?/ra  190. 

quadrupedans  364. 

quaeso  234. 

gware  449,  1. 

gwe  —  gfMß  130.  41.  223.  440. 

quire  248. 

rehar  297. 
rebellis  332. 
regificus  280. 
Boniulus  Adjectiv  337. 

secare  viam  340. 

scö5  ewm  129. 

seties  'Grab'  174. 

sewiws  247. 

sepelire  238. 

septemgeminus  318. 

sermoweOT  sercre  179.  366. 

servare  'beobachten'  186.  226. 

sistere  331. 

sonipes  184.  362. 

sopor  209. 

soportis  234;  soporare  237. 

spelaeum  119. 

spes  229. 

sponte  sua  und  swa  sponte  146. 

siare  prägnant  126. 

öTUYcpöc  244. 

subigere  273. 

si«ccipere  sakral  198. 

super-  in  Komposition  331. 

SMjjerwe  292. 


8  f. 


supponere  sakral  198. 
suprema  u.  extrema  =  rä  laxara  190. 
surgere  229. 

suspectus  (substant.)  274. 
sutilis  236. 
Syntax 
Kasusgebrauch: 
Vokativ  ohne  Interpunktion  378, 1. 
Dativ  'auctoris'  312. 

bei  haerere  u.  dgl.  227. 
bei  subire  119.  91. 
bei  Verbalsubstantiven  160. 
des  Zwecks  278  (295). 
Accusativ 

bei  ecce  376. 

bei  innare  161. 

bei  personare  237. 

bei  regnare   und  triumphare 

311  f. 
bei  transportare  221. 
'Objekt,  inneres',    155.   79. 
98.    219  f.    49.     57.     92; 
vergl.  'Gräzismen'. 
ObjektsbegriflF       verschoben 

304.  38. 
Prägnanter  Gebrauch  290. 
Pronomen  neutr.  234. 
Richtung  und  Ziel  226.   64. 
90.  97. 
Ablativ  'separationis'  184  f.  295  f. 
Lokativ  (wirklicher  u.  angeblicher) 
147.  220.  26.  91.  376  (bis). 
Plural,   sog.    'poetischer'   114.  28. 
37.  58.  92  (bis).  200.  29  f.  85.  304. 
19.  20.  24.  99  f. 
Präpositionen,     prägnant     ge- 
braucht 137.  235  f. 
Modusgebrauch: 
Indikativ  im  indirekten  Fragesatz 

283.  313. 
Konjunktiv  nach  quamquam  234. 
Infinitiv  bei  adigere  297. 
bei  contingü  154. 
bei  dare  141. 
bei  ingredi  334. 
pass.  bei  lix:et  398. 
statt  Gerundium  161. 
Imperativ  bei  ne  264. 

bei  quin  322. 
Participium  coniunctum  372  f.  78, 1. 
Tempusgebrauch: 
Praesens  statt  Praeteritum  113.  213. 
Futurum,  modales  329. 
Futurum  II  149. 

Perfectum:  Infinitiv  aoristisch  145  f. 

Plusquamperfectum  262. 

Parataxe    subordinierter    Begriffe 

127f.   207.    17.  21.  50.  62.  73.  87. 

98.  301  (bis). 

Ausgleich    zweier  Konstruktionen 

172.    228.     63.     64.    300.    24.    — 


REGISTER. 


473 


Wunsch-  und  Bedingungssatz  197. 

338. 
Systemzwang  durch  rhetorischen 

Parallelismus   161.     90.    206.    16. 

26.   37.    78.   92.   95.  333.  37.  75ff. 

400. 
Gräzismen    141.    48.    54  (bis).    61. 

79.    212.    19.    21.   22.    35.   36.   37 

48.  60.  63.  78.  83.  87.  376. 

taeter  161. 

Tartara  161. 

temer are  325. 

temnere  284. 

tetidere  iter,  cursutn  etc.  197. 

tenebrosus  154. 

thalamus  285. 

Thyhris  und  Tiberis  148. 

Titanius  304. 

torvus  248. 

trifaux  237. 

truncus  257. 

turbare  (intrans.)  318. 

turriger  428. 

turritus  315. 

vectare  234. 

velut  und  veluti  300. 

venerabüis  236. 

vestibulum  207. 

vicissim  263. 

vj'dew  313. 

videri  im  Prodigienstil  200. 

tnr  181.  314. 


M^fro  234. 

umbrifer  250. 

unum  'nur  eins'  153. 

Wortstellung    382ff.;    dirö    koivoO 
132.    54.    74.    200.    28.    39.   45.   49  f. 
57.  91.  301.  38;  vergl.  181. 
Apposition  il6.  326.  78,  1. 
Attribut    und    Substantiv    202.    36. 
46.   52.   53.   60.   83.  305.  10.  84  ff. 
90  f. 
Indifferente  Worte  am  Versende  391ff. 
Inversion  von 

Partikeln    129.    42.    46.    65.    (81). 
84.  (245).  325.  33.  93 ff.;  Hyper- 
baton von  qiie  233.  321. 
Präpositionen  140.  221  f.  45. 
Pronomina:    ipse   222,    Relativum 

317. 
Namen  (longa  Alba,  Silvius  Äeneas, 
Augustus  Caesar)  311  (bis).   17. 
Symmetrie    125.    29.   30  f.   38.   46. 
55.    73.    74.    79.    86.   87.    89.  90. 
97.    213.    22.    26.    27 f.    30.    38. 
41.   49.   58.    59.   60.   73.   80.  85. 
87.    90.    95.    803.   4.    9.    18.    21. 
29.    40.    82  ff.    —    Antithetische 
Worte    zusammengerückt     171. 
386. 
ööTcpov  irpÖTcpov  125.  55.  85.  92. 
222.    28.    30.    64.    65.    71.    305; 
vergl.  372. 

yu  differenziert  zu  yo  403. 


m^ 


Metrisches  und  Prosodisches. 


Aphaeresis  (Apokope) 

von  (e)s,  (e)st  327.  438,2.  47  f. 
von  (tjstinc  234.  447. 
von  n(e)  326. 

Betonungswechsel  gesucht  316  f. 

Caesuren  des  Hexameters  415 ff.;  Cae- 
suren  bei  qtie  172.  418,  1;  Caesur 
und  Synaloephe  415,  2;  Caesuren  und 
Interpunktion  380. 

Dehnung,  irrationale  kurzer  Vokale 
439  ff.  —  130.  99.  208.  23.  95. 

Hexameter,  Struktur:  119.  22.  28. 
29.  37.  38.  51.  55  (bis).   67.  60.  71  f. 


72.  81.  82.  84  (bis).  91.  92.  212  (bis). 
13.  18.  22.  23  (bis).  26.  28.  29.  34. 
40.  45  (bis).  48.  50.  52.  59.  61.  62. 
64.  74.  79  f.  86.  94.  97.  98.  316  (bis). 
18.  21.  24  (bis).  27.  40.  67.  68.  4l5ff. 
25  f.  —  Erste  und  zweite  Vershälfte 
249  f.  382  f.  86.  —  Unregelmäßige 
Versschlüsse  427  ff.  65.  —  Hyper- 
meter  280.  414, 1. 

i=j  in  actes,  etiam,  Antium  130.  449  f. 

Metrik,  lat.  nach  griech.  Theorie  130. 

280. 
Positio  debilis  223.  317. 
Proklisis    und    Enklisis    316.    30.    66. 

419,  3.   24.   49.  50,  1.  61  ff.  (passim). 


474 


REGISTER. 


Proßodie 

von  Chorea  290. 
dehinc  294. 
Fidena  312. 
hie  316. 
Italia  141. 
Lavinium  147. 
0  in  ergfO,  Scipio,  oblivio  etc. 

301.  26.  448  f. 
Priamides  269. 
Sicilia  141. 
superne  292. 

Rhythmen,  malerische  409 ff.  65.  — 
111.  12.  28.  36.  39.  47.  51.  54.  57. 
61.  78.  81  f.  84.  85.  86.  87.  89.  206. 
13  (bis).  17.  19.  22.  26  (bis).  28.  31. 
35.  36.  39  (bis).  41.  46.  50.  57.  61. 
66.  83.  83f.  87.  90.  91.  96.  311.  16. 
19.  21.  26.  33.  36.  40.  404  f. 


Sprache  und  Metrum  112.  13.  13f. 
25.  26.  27.  29.  39f.  40.  41.  47.  49. 
54.  58  (bis).  61  (bis).  71.  81.  84.  85. 
91.  92.  212  (bis).  13.  15.  21.  27  (bis). 
36.  40.  48.  77.  80.  83.  85f.  87.  301. 
4  (bis).  11.  12  (bis).  26  (bis).  30.  37 
(bis).  39.  99  f. 

Synaloephe  442ff.  —  119.  37.  38. 
41.  55.  74.  87.  89.  93.  97  (bis).  220. 
23.  26.  33.  58.  63.  71.  85.  85  f.  300. 
1.  2.  4.  11.  12.  14.  24.  30(bis).  62, 1. 
65.  67.  415,2.  28.  29.  30.  37.  — 
Mehrere  Synaloephen  nacheinander 
185.  266.  -  Synaloephe  nicht  voll- 
zogen 259.  —  neque  und  nee  445. 

Synizese  130.  31.  212.  447. 

Synkopierte  Wörter  ('  Schnellsprech- 
form') 449  f. 

Tmesis  141.  260.  378,  1.  93,  2.  441. 


iir 


Rhetorisches. 


Antithesen  und  Kontraste  116.  18.  22. 

29.  39.  51.  71.  89.  204.   15.   16f.  21. 

28.    38.    45.    60.    74.    91  f.    311.  12. 

14.  20.  43  (bis).  46.  52.  86,  2.  87. 
452.  57. 

Deklamationsthemen  aus  der  Geschichte 

306.   12.  22.  22  f.  23.  27  ff. 
Disposition  und  Komposition: 
Triadische  370f.  — 109.  16.  19f.  32. 

39.   58.    78.   89  f.   202.   5.    13  f.    14. 

17.  22.  31.  37.  41.  46.  50f.  51.  53. 

66.  71.  72.  76.  94.  96.  98.  305.  6. 

30.    46.    49.    49  f.    50.   53.  —  Bei 

Pindar  370,2;  Horaz  370,4.  464. 
Buchkomposition  110.  331.  40f.  464. 
Konzentration    der    Handlung    346. 

47.  49.  50. 

«Kqppdaeic    120 f.    32.   83.   96.    266.   88. 

89.  98.  340. 
Ethos  und  Pathos   122.   26.    39.   53. 

55.  59.  74.  79.  81  (passim).  204.  20. 
22.    28.   29.    34.    39.   41.   46.   49.   52. 

56.  58.  59.  60f.  96.  303.  7.  11.  21. 
22.  24.  27.  30.  36.  37.  43  (bis).  45. 
49.  —  115.  50  f.  55.  82.  259  (bis). 
72.  74.  76.  307.  8.  10.  12.  23.  27.  51. 

Gleichnisse   205.   6  f.  18  f.  46.  98.  313. 
18;  äXXriYopia  143. 


Interpunktion  377ff.  464.  —  136. 
38.  57.  75.  82.  87.  310.  16.  20.  20f. 
22.  31  f.  38.  38 f. 

;«aKorri\ia  115 f.  221.  28.  77 f.  317. 
Kürze  110.  97f.  237.  49.  322.  29.  43. 

KOTCt   TÖ    aiuJTriJÜ|iievov    119.    34.    45. 
78.  87.  91.  236.  94.  461. 

Sentenzen  in  1  Vers  230. 

Xi^iq  (vergl.  auch  oxr]^aTa): 
Lautmalerei  404ff. 

Alliterationen  407.  —  112.  18. 

24.    36.   41.   49.   51.    55.    57.  61. 

73.  74  (bis).  81  (bis).  84.  86  (bis). 

89.   90.    92.   97.   200.   5.    12.  15. 

20.    22.    26  (bis).   27.   28.  31.  34 

(bis).  36.  37.  39.  40.  41.  48.  57  f. 

58.   59.    62  (bis).   63.  64.  66.  72. 

73.  86.  87.  89.  93.  96  f.  98.  303 

(bis).  10.  11.  12.  21.  23.  25.  29. 

31  (bis).  —  Ältestes  Schema  295. 

—  In  einem  Edikt  des  Augustus 

331. 
Einzelne  Buchstaben: 

c  304.  408,  2. 

l  192.  248.  61.  92. 

m  408,  2. 

p  290.  92. 

r  136.   51.   80.   89.   220.  37.  66. 
73.  318.  408,  2. 


REGISTER. 


475 


S  181.  248.  66.  73.  98.  408,  2; 
aiTMaTiöjLiöc  303.   406,  2.  8,  1. 

t  189.  253.  66.  318. 

tr  234.  73.  318. 

V  215.  27.  38.  323. 

Vokale    157.    72.    81.    92.    96f. 
200.    37.    48.   53.    61.    73.   90. 
98.  408,  2. 
delectus  verborum: 

sordida  vocabula  gemieden  1 14f . 
64,4.  85.  215.  62.  85.  86;  ab- 
sichtliche xa-rreivijuöic  234. 

Kakophonieen,  wirkliche  u.  an- 
gebliche: 148.  271. 

Wechsel  des  Ausdrucks  gesucht 
139f.,  nicht  gesucht  237 f.  461. 

Metrik  durch  Rhetorik  beeinflußt  443. 
52  ff.  (passim). 

Periodik  369£F. 

Parataxe  174f.  300.  71ff. ;  kommatisch 

136.  47.  262  (bis).  461  f. 
TpiKuuXa    111.    14.    16.    20.    29f.   32. 

35.    39.   42  f.    50.    58.    78.   89.    93f. 

205.    14.    22.    31.    38.   39.   40.   41. 

51.    53.    66.    73.    75.    80.    83.    84. 

87.    88.    93.    94.    97.   98.   310.    12. 

15.  21.  30.  39.  69f. 
TeTpÖKUjXa  und  öiKuuXa  120.  34  f.  39. 

42  f.   50.    58.    78.   94.    203.    14.  22. 

31.  37.  41.  51.  53.  66.  72.  73.  75. 

86.  86  f.  87  f.  93.  94.  98.  305.  9. 
iaÖKUjXa,  udpiaa  (Parallelismus   des 

Ausdracks)  373ff.  —  lll.  61.  74. 

78f.  87.  91.  205.  6.  15.  20.  27.  30. 

41.  53.  57.  59.  66.  73.  76.  86.  87. 

89 f.    90.   97.  98.  303.  12 f.  15.  19. 

23.  29.  —  Substantiv  und  Attribut 

205.    89.    98.    315.    19.    84fiF.    — 

Lucrez  458.     Ovid  375. 
Pointen  am  Schluß  217.  463. 
Tipeirov    der    Personen    228.    29.    60  f. 
345;  des  Sachlichen  272. 


Reden,  rhetorisch  disponiert  150.  222. 
29.  59.  71.  302.  5  ff.  13.  15  f.  27  f. 
34  f.  —  Im  Versinnern  beginnend 
und  schließend  135. 

biavoiac: 
äiropia  307. 

äTTOOrpocpri  122.  25.  307. 
^Kq)U)VTiöic  307.  37. 
ejuqpaoic  259  f. 

€v60|uri|ua    (argumentum    ex    con- 
trario) 150.  266.  318.  29. 
dpujTTiiua  279.  307.  13. 
OuepßoXri    (auHnöic)    160.    83.    91. 

246.    74.    77.   86.   312.    13f.    17; 

xveüboc  140  f.  55  (doch  s.  S.  462). 

261.  323.  25. 
öiroTvnTuuöic  307. 
X^?euuc: 

Anaphern  120.  22.  35.  36.  37.  49. 

60f.    79.    81.    200.    27.    41.    66. 

86.   89.   90.  97.  303.  16.  23.  36. 

81.  92. 
Chiasmus  235.  71. 
eiravaöiTrXujöic  (repetitio)  179  f.  256. 
exomatio  (expolitio)  =  stilistische 

Variation  128.    41.    61.   74.   80. 

83.    91.    205.    33  f.    38.    40.    73. 

75 f.  77.  89.  315.  460 f. 
kOkXoc  136. 

ö|ioiöiTTiuTa    vermieden    oder   ge- 
sucht 396  ff.  —  112.  49.  80.  84. 

92.    205.    29.    89.    91.    95.    316. 

19.  33.  39.  400.  2. 
öiLioiOTeXeuTO  Ulf.  36.  74.  87.  90. 

91  (bis).    220.    27  (bis).    37.    40. 

41.   48.   58.  59.  73.  87.  90.  303. 

25.  29.  83  f. 
TTCpiqppdaeic  115.  99.  263  f. 
TroXOiTTiJUTa  311.  12. 
Wortspiele  {Tiapi\xr]Oic,  Trapovoina- 

aia)    188  f.  —  122.    36.    74.    79. 

80.  81.  237.  83.  310.  73,  3. 


IV.  ^) 
Stellenregister. 


Accius  tr.  522  f.     238. 
Acta  Thomae  c.  54     283. 
Aeschylos,  Suppl.  202  K.     211. 
Ag.  183K.     414,  2. 


Aetna  112.  299         252. 

Anthol.  Pal.  VI  154  389,  1. 

VI  165  389. 

VII  278  226. 


1)  Dieses  Register  enthält  ein  Verzeichnis  nur  derjenigen  Zitate,  zu  denen 
Bemerkungen  größeren  oder  geringeren  ümfangs  gemacht  worden  sind. 


476 


REGISTER. 


Anthol.  Pal.  IX  215,  5     246. 
Apuleius  m.  V  25     124.  250. 
VI  18     220. 
VI  19     161. 
VIII  26     296. 
Aristides  rhet.  or.  26     313.  27 f. 
31     334  f. 
II  225  K.     293. 
Aristophanes,  Frösche  (passim):  vergl. 
Register  P  Eschatologisches ,  Kard- 
ßaaic  des  Herakles. 
Aristophanes,  Vögel  695     211. 
[Asconius]  in  Verr.  II  1  p.  255     239. 
Ausonius  Mos.  255     182. 

Bakchylides  5,  64  f.  218. 

5,  71  ff.  201. 

16  (17),  119     412,  4. 

Catull  59  183. 

63,  15  184. 

63,  53  184. 

64,  112  ff.  128. 
64,  114  431. 
64,  198  138. 
64,  263  180. 
64,  271  200. 
64,  298  184. 
69,  2  145. 

100,  3  381,  1. 

vergl.  Register  I"  Ennius. 
Cicero  Arat.     13     274. 
132     414. 
vergl.  Register  I'  Cicero, 
de  div.  I  (Quellen)  40  f. 
somn.    Scip.:    allgemeine  Kom- 
position 43.  46.  47  f.  460. 
13     35. 

15  30. 

16  30,  1. 

17  29  f. 

18  34. 
26     30,  1. 
29     25,  1. 

Consolatio  ad  Liviam  21  If.  217ff.     334f. 

Culex  179     280. 

Cyprian  ad  Donat.  1     179. 

Demosthenes  de  cor.  63  ff.     321. 
80         119. 
205         12. 

Empedokles  fr.  115.  146  Diels     20.  31. 

33,  1.  33  f. 
Ennius   ann.  34.  125f.  193 ff.  281.  419 
S.  183.  410f. 
trag.fr.  154;  p.295R.';  Med  TU 

S.  161.  290.  430,  4. 
vergl.  Register  I*  'Ennius'  und 
'Vergil':  Vorbilder. 


Epigrammata  graec.   ed.   Kaibel  1056 

S.  242. 

lat.  ed.  Bücheier  55,  5     393,  5. 

56,  4     390, 1. 

1265     375, 2. 

1533     427, 3. 

Gorgias  Helena  2     203. 

Hermetische  Schriften  43.  203. 
Herodot  I  167     224. 
Homer  B  671  ff.     180. 

Z  395  f.      179. 

H  278         135. 

A  346         135. 

=  286         211. 
398         189. 

Y  371  f.      179  f. 
X  359  f.      140. 

V  118  f.      183. 
b  121  f.      162. 

i  191  f.      162. 

X     40  f.      245. 

155  ff.     160. 

[X     21  f.      161. 

UJ       5  ff.     162. 

Vergl.  Registerl»  'Vergil' :  Vor- 
bilder, Homer  und  Register  P 
'Eschatolog.' :  v^Kuia Homers. 

Horaz  carm.  I  1  370,  2. 

1, 23  180. 

5, 1  ff.  389. 

5,  9  f.  189. 

9,3  415,1. 

9,  21  f.  389. 

12  307. 

19, 6  250. 

22  370, 2. 

28  388  f. 

31  370,2. 

31, 7f.  417,5. 

34  370, 2. 

n  1,17  f.  180f. 

3, 11  f.  415,1. 

3,27  283  f 

18  388. 

20  370, 2. 

m  1  370,2. 

4  370, 2. 

9  370, 2. 

11,  26  f.  389. 

IV  4,  72  435,  6. 

5,  9  ff.  111. 

6,21  227. 

7, 25  443. 

9,  11  f.  157. 

9, 34  301. 

14, 5f.  317. 

14,  llf.  312. 

14,25  173.  318. 

epist.  I  2,  43  423,  6. 


REGISTER. 

4 

Horaz  epist.  II  1,  203 

408, 2.                  1 

Lucrez  I  133 

238. 

1,253  f. 

312. 

259 

181. 

3, 139 

431,  3. 

475 

112. 

3,259 

414,  2. 

852 

207.  8. 

epod.  2,35 

415, 1. 

II  619 

181. 

2,  43  ff. 

388. 

960 

239. 

2,65 

127.  415,  1. 

1092 

146. 

9,1 

127. 

III     46 

294. 

14,13 

254. 

57 

138. 

16,48 

407,  3. 

67 

208. 

17,6 

137. 

69 

145. 

sat.  I  1,28 

414,  2. 

681 

239. 

2,32 

363,  2. 

907 

283. 

2,37 

363,  2. 

1025  ff. 

356, 1. 

4,105 

324. 

1089 

179. 

5,20 

395,  1. 

IV  124 

428,  2. 

5,  73  f. 

388, 1. 

181  f. 

334. 

6,12 

317. 

543 

181. 

8,6 

220. 

967 

181. 

8,25 

420. 

981 

157. 

10,27 

295. 

V     24 

112. 

n  1, 13ff. 

373,  2. 

29 

181. 

1,58 

334. 

33 

248. 

1,72 

326. 

795 

138. 

2,52 

363,  2. 

973 

238. 

2,57 

439,  1. 

993 

238. 

3,194 

324. 

9  97  f. 

238. 

3,223 

280. 

VI  152 

172. 

3,  293  f. 

372,2. 

645 

147. 

4,85 

330. 

743 

124. 

5,  5  ff. 

394,  3. 

749 

126. 

5,41 

323. 

833 

186. 

5,  62  ff. 

316.  17. 

1141 

181. 

6,5 

337. 

1203 

181. 

6,  6  ff 

156. 

vergl.  Register  I»  ' 

Ennius' 

6,  100  f. 

395, 1. 

Lukian  öXtiB.  öuit-  n  29 

268. 

7,100 

362,  1. 

bia\.  vCKp.  10, 1.  5 

232. 

8,34 

324.  63,2. 

KaxairX. 

22  ff. 

268. 

8,  77  f. 

408,  2. 

veKUOjLl. 

9  f. 

195. 

vergl.  Register  '. 

»  'Ennius'. 

TT.    TT^VO 

Lydia  67     338. 

7 

305. 

Kallimachos  ep.  63 

424. 

Lykophron    3  f. 

151. 

h.  3,172 

284. 

685 

201. 

4,311 

417,4. 

1226ff 

146. 

Kolluthos  196  f.     183. 

Manüius  I  754 ff.     46.  308. 

22. 

Lactantius  de  ira  dei  I  11,  7  f.     S4f 

IV     23  ff.     307. 

div.  inst.  VI  3     34, 1. 

V     91  ff.     276. 

Livius  XX                   332  f. 

Maximus  Tyr. 

14, 2     195. 

XXX  42, 17     329. 

Musaeus  160 

249. 

Lucan  I  183         323. 

245 

243. 

n  106  f.       239. 

V  207         321. 

Nikander,  Alex 

301     243. 

VI  795         323. 

IX  348  ff.     171. 

Oppian  hal.  I  73  ff.     204. 

723         431, 2. 

229  f.      111, 

X  318         435,3. 

[Oppian]  cyn. 

a  410  ff.     243. 

'Orpheus'  231  f. 

Origenes  Homilien     26. 

Luciliu8(?)  bei  Cic.  Tusc.  I  10    283. 

c.  Celsum  144.  46. 

1181L.     292. 

Orpheus : 

vergl.  Register  P  'Ennius', 

Argonaut.  42  ff.  265 

156. 

477 


478 


REGISTER. 


Orpheus : 

Argonaut.  950  ff. 
fragm.  49  Abel 
141 
154 
156 
158 
165 
hymn.  37.  57.  68. 
Ovid:  am.  I  7,51 

ars.  a.  III  9  ff. 
fast.  II  566 
IV     81 
her.  7,  95  ff. 
11,59 
11,69 

16,  107  ff.] 
17, 117  f.] 

17,  200] 
met.    I  117 

II  358  ff. 
706 
III  419 
Vn  113  f. 

663 
VIII     22 
462  f. 
480 
703 
IX   490 
X   502  f. 
647  f. 
XI     46  f. 
61  ff. 
242 
265 
XII  530 
593  ff. 

XIII  31 
925  f. 

XIV  108  ff. 
116  ff. 
167  ff. 
726  ff. 
837 

XV  217 
497 
677  ff. 
718 
vergl.  Register  I' 


195.  209. 

203. 

203. 

26. 

30. 
231  f. 

38. 
69  157.  305. 
250. 
244. 
183. 
180. 
250. 
140. 
130. 
183. 
250. 
247. 
428,6 
166. 
193. 
250. 
200. 
429,  1. 
223. 
129. 
182. 
367. 
129. 
193. 
189. 
243. 
243. 
286. 
286. 
311. 
140. 
311. 
125. 
147.  69. 

46. 
278. 
247. 
319. 
441. 
449. 
136. 
130. 
'  ^Ennius'. 


Pacuvius  319.  336f.R.     297.  408,1. 

362  188. 

Phaedrus  fab.  IV  17  (19),  22  f.        276. 
app.  6,  4  151. 

vergl.  Register  I*  Thaedrus'. 
Philo  de  somniis  I  22     48. 
Philostratus  her.  143  242. 

iun.,  imag.  6     291. 
Pindar  0.  1,  77.  95     410,  2. 

2  36ff.  —  18f.  20.  28. 


Pindar  0.  2  30, 1.  270. 

2,23  (25)  412,4. 
2,  52  (57)  412,  4. 
4,  11  f.  412,2. 

6  370, 2. 

6, 100  f.  413,2. 
9, 49  123. 

P.  1,23  406,2. 

1,29  412,2. 

2,  3  f.  410,2. 

2,  21  ff.  39,1.  269. 

2,  64  ff.  335. 

3  370, 2. 

3,  28  f.  366. 

4,  226  406,  1. 
7,  10  122. 
8, 35              337. 

N.  1  370,2. 

I.  5  (6),  23        317. 
fr.  101  Bgk.      125. 
129  288. 

Piaton  Conv.  197  C  424. 

Gorg.  493  A  203. 

625 C  269. 

Erat.  424B  405,1. 

Leg.  IX  880  E  281. 

Menon  81 A  203. 

Phaedon  68 A  243. 

107  D  32. 

112BC  154. 

114A  269. 

Resp.  II361E363CD     269. 

X  614.  615.  616.     lOf.  13. 
19.    35.   269.   81.   84. 
93.  305. 
Timaeus  27  C  204. 

42B  39. 

48 D  204. 

Plautus  Amph.  213         157. 
988         366. 
1094         280. 
Aul.       555  f.      366. 
Bacch.  679         429. 
Capt.     406         365. 
Men.      756         247. 
Merc.    881         365. 
Most.     213         365. 
Poen.     130        365. 
Pseud.  344         262. 
355         281. 
Trin.     225         364. 
300         366. 
Truc.     124         366. 
783         273. 
Plutarch  def  or.  10         39. 
fac.  Iun.  28        23. 
gen.  Soor.  22     30.  32.  41.  43. 

47.  268. 
sera  vind.  22     42.  47.  270. 
superst.  7         269. 
Vit.  Marc.  8      332. 


REGISTER. 

479 

Porphyrius  antr,  Nymph.  18  f.     299. 

TibuU  pV  2, 17] 

187. 

Properz  I  3,  37         140. 

Trypbiodor  52  ff. 

254. 

19, 11  ff.     241.  43 

Tyrtaeus  12,  31  ff. 

33. 

21                 225. 

m  7,49           428,3. 

Valeriua  Flacc.  I  836  ff.     34. 

11,67           323. 

m 

38       216. 

IV  2,29           127. 

J42       191. 

4                 193. 

Varro  sat.  121 

188. 

vergl.  Register  I'  'Ennius' 

und 

Sallust  Catil.  prooem.     35, 

3. 

'Varro'. 

bist,  n  6  Kr.      120. 

Yergil 

Seneca  cons.  ad  Marc.  25 

25. 

Aeneis  I     1 

362,  1. 

ep.  76,  33  ff. 

153. 

2 

130. 

77,12 

230. 

21  f. 

314. 

82,18 

149  f. 

55  ff. 

197. 

Herc.  775  ff. 

232. 

65 

429. 

Med.    714  ff. 

164,  4. 

77 

366. 

nat.  qu.  VI  8,4 

237. 

87 

297.  408. 

Oed.  567.  622 

136. 

105 

430. 

Silius    I  152         429,5. 

109 

193. 

n  484         429,5. 

116  ff. 

415. 

Vm  406         334. 

180 

116. 

X  255         338. 

249 

127. 

526  ff.     183. 

260 

218. 

Xn     94  f.      125. 

264 

328. 

Xm  397  ff.     196.  348,^ 

>_ 

268 

193. 

533  f.        36. 

290 

422,  3. 

557           24, 3. 

341  f. 

381. 

806  ff.     307. 

367 

193. 

XV  291  f.      325. 

376 

223. 

387  f.      182. 

441  ff. 

121. 

664         326. 

467 

363,  2. 

XVI  229  f.      200. 

599 

365.  444. 

XVII     52  ff.     170,2.  86. 

614 

367. 

Sophokles  Oed.  R.  175  ff. 

219. 

668 

199. 

1096 

412,2. 

691  ff. 

261.  419,  1. 

fr.  794 N. 

299. 

749 

418. 

Statius  silv.  IH  2,47 

331. 

n    1 

367. 

IV  3, 124  f. 

147. 

8 

264. 

4,  72  f. 

337. 

10  f. 

161. 

V  1,256  ff. 

336. 

30 

297. 

Theb.    I  713 

279.  80. 

53 

408. 

IV  537 

237. 

61 

220. 

V  401  f. 

232. 

68 

436. 

VI     54  ff. 

191.  93. 

74 

311. 

90  ff. 

183. 

120 

138. 

VUI     21  ff 

239.  67. 

170 

203  ff. 

429. 
372. 

Tacitus  Agr.      29     217. 

235 

181. 

ann.  I  44     264. 

235  ff. 

111. 

Germ.   44     262. 

250 

430. 

bist,  n  46     150. 

261  ff. 

252. 

49     262. 

265 

238. 

Terenz  Andr.  807     366. 

281  ff. 

257. 

Eun.     236     247. 

286 

257. 

TertuUian  de  an.  46  ff.     39  ff. 

313 

180.  408, 1. 

56  f.      11  f. 

324 

128. 

TibuU  I  1,1  ff.         389. 

355 

429. 

9, 80           386. 

358  f. 

155. 

9, 83           418. 

458 

145. 

U  5                 146. 

483  ff. 

423,  5. 

480 

REGISTER. 

Aeneis  11  494 

188. 

Aeneis 

IV  73 

227. 

501  ff. 

275. 

80  f. 

424. 

505  ff. 

256. 

101 

138. 

550 

324. 

123 

324. 

553 

227. 

131 

430. 

567  ff. 

255. 

181 

186. 

[584] 

443. 

217 

286. 

616 

277. 

219 

168. 

658 

444. 

230 

267. 

663 

317. 

235 

259. 

667 

444  f. 

242  ff. 

157.  305. 

670 

324.  63,2. 

309 

415. 

693 

280. 

316 

367. 

738 

153. 

320 

140. 

746 

316. 

372 

367. 

749 

185. 

384 

247. 

776 

161. 

397  f. 

413. 

790  ff. 

250. 

404  ff. 

416. 

m   12 

127.  429. 

405  f. 

248. 

21 

218. 

417 

423,  2. 

22  ff 

1661". 

420 

444. 

67  f. 

174. 

460 

238. 

68 

235. 

,  486 

424. 

90 

276. 

650 

285. 

90  ff 

138.  99. 

679  f. 

202. 

109 

187. 

682 

423,  4. 

119  f. 

125. 

683 

413. 

153 

231. 

684  f. 

263. 

158 

160. 

614 

230. 

163  ff. 

256. 

628  f. 

339. 

186 

316. 

638  f. 

289. 

200 

129. 

665  f. 

248. 

207 

182.  430. 

667 

428. 

296  ff. 

215. 

693  ff. 

12. 

358 

234. 

698  ff. 

166. 

369—80 

124.  32. 

V  16 

137. 

362 

234. 

33  f. 

111. 

379 

309. 

45 

169  f.  257. 

429  ff. 

145. 

56 

368. 

458  ff. 

44  f. 

81 

400. 

461 

398. 

102 

292. 

464 

428. 

120 

413. 

492 

334. 

140 

182.  423,3 

544 

173. 

255 

302. 

549 

413.  36. 

266  ff. 

415. 

550 

218. 

320 

429. 

562 

413. 

333 

116, 1. 

576 

115,  1. 

368 

295. 

608 

311. 

368 

182. 

618  ff. 

278. 

372 

253.  414,  1 

632 

115, 1. 

382 

137.  367. 

658 

185. 

422 

414, 1. 

679  ff. 

206. 

467 

441, 1. 

686 

227. 

481 

430. 

697 

368.  423.1. 

621 

295. 

704 

218 

622  ff. 

162. 

706 

129. 

663 

218. 

IV   6 

368. 

688  f. 

128. 

16 

286. 

591 

423. 

22 

316. 

594  f. 

207. 

37 

326. 

663  ff. 

415. 

REGISTER. 

Aeneis  V  700 

250. 

Aeneis  VUi  46f. 

197. 

701  f. 

179. 

70 

139. 

708 

231. 

78 

142. 

709  f. 

150. 

84 

129. 

722  ff. 

45. 

90 

233. 

724 

283. 

96 

444. 

731  ff. 

372. 

101 

233. 

754 

336. 

109 

300. 

799 

367. 

127 

218. 

801 

324. 

131  f. 

153. 

813 

229. 

135 

123. 

822 

304. 

140  f. 

284. 

829 

413. 

152 

287. 

855 

238. 

162 

293. 

855  f. 

424. 

166  f. 

436. 

871 

419,  1. 

229 

181. 

VII  22 

229. 

253 

115, 1. 

28 

148. 

264 

174. 

32 

231. 

274 

140. 

41 

148. 

306  f. 

289. 

45 

181. 

307 

247. 

93 

132. 

309 

179. 

113 

444. 

334 

153. 

140 

198. 

345 

429. 

156 

182. 

365 

365. 

163  f. 

415. 

370 

155. 

170 

185. 

389  f. 

138. 

182 

292  f. 

432 

227. 

194 

367. 

452 

413. 

228 

223. 

465 

226. 

240 

247  f. 

466 

179. 

272 

136. 

467 

297. 

292 

138. 

513 

179. 

323  ff. 

157. 

520 

179.  85. 

345 

364. 

522 

366. 

423 

286. 

526 

112. 

428 

277. 

544 

132. 

433 

286. 

546 

340. 

441  f. 

245. 

596 

411. 

473  ff. 

275. 

603 

228. 

490 

292. 

630 

119. 

526 

300. 

641 

131. 

535 

333. 

648 

321. 

586  f. 

180. 

663 

324. 

601 

116. 

654 

337. 

607 

243. 

668  f. 

279. 

607  ff. 

340. 

677 

323  f. 

624 

336. 

695 

302. 

625 

300. 

701  f. 

147. 

631 

428. 

IX  30  f. 

414. 

634 

436. 

57 

362, 1. 

640 

185.  262. 

77  ff 

167.  203 

664 

119. 

106 

411. 

667 

145. 

141 

240. 

708 

428. 

146 

271. 

711 

422,  2. 

226 

367,1. 

715 

148. 

229 

291.  415 

738 

339. 

388 

184. 

761  ff. 

193. 

403 

265. 

vm    2 

180. 

453 

179. 

36 

159. 

459  f. 

264. 

481 


Veeoil  Buch  "VI,  von  Norden. 


31 


482 

REGISTER. 

Aeneis 

IX  477 

428. 

Aeneis  XI  35 

112. 

484 

235. 

41 

334. 

503  f. 

407,  6. 

47 

319. 

532 

429. 

51  f. 

413. 

620 

362,  1. 

61 

420,  1. 

664  ff. 

416. 

64  ff. 

388. 

667 

297. 

86 

400. 

6  74  ff. 

207. 

101 

192. 

696 

226. 

135 

113. 

705 

172.  262. 

149  f. 

245. 

707 

262. 

193  ff. 

193. 

710 

112. 

236 

423,  2. 

767 

223. 

242 

367. 

X   1 

274.  414,1. 

382 

425. 

2 

240. 

445 

186. 

14 

145  f. 

462 

366. 

19 

248. 

507 

179. 

55  f. 

146. 

509  f. 

245. 

94  f. 

423. 

512 

290. 

96 

158. 

543 

193. 

104 

367,  1. 

552  ff. 

167. 

104  ff. 

275. 

598  f. 

376. 

109  ff. 

156. 

600 

113. 

136 

428,  3. 

614 

430. 

143  ff. 

193. 

632 

429,  3. 

148 

316. 

696 

362,  1. 

153 

182.  430. 

758 

419,4. 

189  ff. 

189. 

787 

157. 

195 

413. 

851 

159.  422,4 

216  f. 

263  f. 

865 

235. 

218 

216. 

Xn  18 

411.  15. 

227 

252. 

25 

430,  2. 

252  f. 

314.  15. 

26 

271.  430,2 

270 

227. 

66  f. 

138. 

299 

148. 

144 

218.  419,4 

304 

423. 

185 

316. 

361 

429. 

295 

137.  367. 

367 

365. 

441 

366. 

467 

153. 

447 

138. 

471  f. 

12. 

541 

212. 

475 

202. 

565 

428. 

480 

137. 

566 

316. 

605 

431. 

591  f. 

200. 

614 

443. 

634 

430. 

618  f. 

311. 

638 

222. 

519 

420,  1. 

708 

303  f. 

594 

430. 

739 

112. 

609  f. 

336. 

772 

291. 

614 

129. 

788 

188. 

681 

116. 

839 

449. 

686 

220. 

843 

196. 

723 

184. 

863 

436. 

733 

129. 

897 

186. 

743 

220. 

950  f. 

221. 

834 

221. 

Bucolica  1,65 

419, 1. 

843 

429. 

75 

119. 

849 

221. 

2,48 

187. 

877 

265. 

58 

122. 

890  f. 

393. 

3,4 

148. 

895 

116. 

36  ff. 

387. 

904 

269. 

48 

447. 

REGISTER. 

Bucolica  3, 109 f. 

373,3. 

Georgica  n 

461  ff. 

388. 

4,9 

148. 

470 

418,  6. 

49 

436. 

503 

129. 

6,16 

422,  1. 

m 

3 

235. 

16  f. 

387  f. 

8  f. 

362. 

6,  20  f. 

180. 

37  ff. 

285. 

38  f. 

393,  5. 

69  f. 

129. 

55  f. 

180. 

86 

181.  338 

7,14 

444,  3. 

118 

208. 

61 

157. 

188 

286. 

8,101 

192. 

202 

316. 

10,52 

119. 

238 

395,  2. 

Georgica  I   7 

367. 

255 

430. 

21 

141. 

259 

243. 

63 

444. 

261 

200. 

78 

419, 1. 

276 

436. 

135 

115. 

280 

243. 

144 

184. 

311 

319. 

181 

430. 

331  ff. 

388. 

201  f. 

414. 

344 

367. 

215 

125. 

376  f. 

415. 

281 

413. 

391  ff. 

167. 

313 

430. 

435 

145. 

356  ff. 

408.  23. 

449 

436,  4. 

469  ff. 

275. 

486 

444,  4. 

482 

292. 

554  f. 

408. 

499 

148. 

IV 

50 

418,  3. 

514 

423. 

55 

419,  3. 

588  f. 

431. 

71  f. 

180. 

II   5 

428. 

122 

248. 

66 

158. 

202  ff. 

233. 

81  f. 

189. 

215 

431. 

95  f. 

125. 

219  ff. 

16  f. 

98 

292.  367,1. 

270 

187. 

161  ff. 

183. 

453  ff. 

121  f. 

227  ff. 

289. 

467  ff. 

156. 

296 

238. 

478  f. 

388. 

321 

429. 

479  f. 

240  f. 

373  ff. 

275. 

540 

132. 

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423. 

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131. 

407 

143. 

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S.  131      , 

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S.  148      , 

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,     499 

S.  155      , 

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S.  172      , 

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S. 185      , 

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stellung 
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S.  189  Zeile 
S.  200 
S.  218 
S.  243 
S.  256 
S.  280 
S.  309 
S.  316 
S.  324 
S.  362,  1 
S.  367 
S.  369, 1 
S.  382 
S.  407 
S.  422 
S.  429 


V.  u. 

V.  u. 

V.  u. 
12  V.  u. 
21 


lies:  XI  851 
sub 

a.  III  704 
ni280 
adgnovit 

II  693 

III  379 
III  202 
VIII  653 


6  tilge :  arma  viros  IX  56 


lies:  XI  242 
X362 

Seltenheiten 
denen 
XI 851 
und  X  2a^8. 


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